Der ökonomisierte Richter: Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit als Grenzen Neuer Steuerungsmodelle in den Gerichten [1 ed.] 9783428517633, 9783428117635

Die Neuen Steuerungsmodelle haben die Justiz erreicht. Damit sind für die Richter als rechtsprechende Gewalt besondere G

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German Pages 498 Year 2005

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Der ökonomisierte Richter: Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit als Grenzen Neuer Steuerungsmodelle in den Gerichten [1 ed.]
 9783428517633, 9783428117635

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 998

Der ökonomisierte Richter Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit als Grenzen Neuer Steuerungsmodelle in den Gerichten

Von Carsten Schütz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CARSTEN SCHÜTZ

Der ökonomisierte Richter

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 998

Der ökonomisierte Richter Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit als Grenzen Neuer Steuerungsmodelle in den Gerichten

Von

Carsten Schütz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11763-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Gewidmet dem Andenken an Marga Schütz (1947–2003)

„Es ist eigentlich selbstverständlich, daß am Beginn eines wissenschaftlichen Berichts das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit stehen muß.“ Otto Kimminich

Vorwort und captatio benevolentiae Die „Modernisierung“ der Justiz ist ein Großprojekt, zu dessen Verwirklichung an 17 Baustellen unter der Anleitung mindestens ebenso vieler „Architekten und Ingenieure“ gearbeitet wird. Die hohe Aktualität des Themas, die Vielgestaltigkeit der laufenden Prozesse und der dabei aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen sowie der unmittelbare Praxisbezug machen eine wissenschaftliche Betrachtung schwierig. Schon eine bloße Protokollierung der jeweiligen Veränderungsschritte wäre ihrerseits ein kaum überschaubares Vorhaben. Wenn sich die vorliegende Arbeit gleichwohl des Themas annimmt, so dient dies nicht der Beschreibung konkreter Umsetzungsschritte. Vielmehr soll versucht werden, ein System zu entwickeln, mit dessen Hilfe eine verläßliche verfassungsrechtliche Beurteilung der praktizierten oder zukünftig zu entwickelnden Modelle möglich ist. Dies geschieht in der 1926 von Erich Kaufmann in seinem Referat vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer formulierten „Überzeugung, daß schließlich jede Produktion auf wissenschaftlichem Gebiete einen gewissen Gewaltakt darstellt, oder zum mindesten einen Kompromiß zwischen der Unendlichkeit der wissenschaftlichen Probleme und der Kürze des Lebens, einen Kompromiß zwischen der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit und dem Bedürfnis sich mitzuteilen.“ Und gerade zum Thema „richterliche Unabhängigkeit“ meinte Dieter Simon bereits im Jahr 1975, daß eine Zusammenfassung der in seiner Literaturkartei befindlichen 800 Titel „zu einer nicht immer zu rechtfertigenden Auswahl und zu unangenehmer und gewaltsamer Vereinfachung führen“ müsse. Wenn man sodann noch Rolf Stürner glauben darf, so läßt sich gerade zur richterlichen Unabhängigkeit „wirklich Neues (. . .) kaum sagen“, es gehe in Sozialwissenschaften aber ohnehin mehr darum, „alte Weisheit lebendig zu halten und für die äußeren Veränderungen der Gegenwart fruchtbar zu machen als wirklich Neues zu ersinnen, das sich dann gemessen an den langen Traditionen menschlichen Ringens um Gerechtigkeit rasch als Narrentum auf eigene Hand erweisen könnte“. Gleichzeitig darf ein Manko nicht unerwähnt bleiben, das der Arbeit anhaftet und Ursache möglicher Kritik sein könnte: Die folgende Untersuchung beschäftigt sich zwar abstrakt mit der Position des Richters in der Gewaltenteilung des Grundgesetzes und vor allem mit der Reichweite richterlicher Unabhängigkeit,

8

Vorwort

kommt aber gleichzeitig um die Bewertung und Beobachtung tatsächlicher Gegebenheiten in Gerichten nicht umhin. Dies geschieht auf der Basis eines sehr „dünnen“ Erfahrungsschatzes, da sich meine eigenen gerichtsinternen Eindrücke auf die Erlebnisse während des Referendariats beschränken. Der Vorwurf einer Verkennung der Tatsachengrundlage kann daher nicht a priori als ausgeräumt gelten. Dennoch erscheint mir trotz mancher Zweifel das hier dokumentierte Vorhaben letztendlich zulässig, weil die Untersuchung durch einen weder als Richter noch als Politiker oder Beamten der Rechtsprechungsverwaltung persönlich Betroffenen gerade das Kriterium erfüllt, das für die Rechtsprechung konstitutiv ist: die distanzierte Neutralität eines unbeteiligten Dritten. Vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden „Lager“ ist auch und gerade der unbefangene Betrachter hin- und hergerissen zwischen den Argumenten und Plädoyers. Der Mißbrauch der Macht der Politik durch Instrumentalisierung der Gerichtsverwaltung gegenüber dem einzelnen Richter ist nicht wahrscheinlicher als der Mißbrauch der richterlichen Unabhängigkeit durch den Richter zugunsten eigener Vorteile oder sonstiger Interessen. Und das daraus resultierende gegenseitige Mißtrauen von Richtern und Politik war auch schon im Parlamentarischen Rat bewußt. Dabei könnten die vielschichtigen Eindrücke bei der Literaturverarbeitung gegensätzlicher kaum sein. Die so manchem Richter fehlende Fähigkeit zur distanzierten Betrachtung seiner eigenen privilegierten Position, die Unabhängigkeit mit Kritikfreiheit und Unfehlbarkeit verwechselt, erzeugt dabei genauso Erstaunen wie das nicht selten rudimentäre Bewußtsein von Repräsentanten der Rechtsprechungsverwaltung hinsichtlich der Besonderheit der Gerichte, die sie mit beliebigen anderen Behörden der Landesverwaltung gleichsetzen. Je nach Lektüre der einen oder anderen Positionierung ist man geneigt, die Neuen Steuerungsmodelle als längst überfälligen Schlußstrich unter die selbstgewährte Verantwortungsfreistellung kritikempfindlicher und sich selbst überschätzender Richtermimosen oder aber als wohldurchdachtes Teufelswerk von des Rechtsstaats überdrüssigen Rechtsprechungsverwaltern zu bewerten. Der folgenden Untersuchung liegt jedoch die Hoffnung zugrunde, daß das mir gewährte Privileg „Zeit“ solche relativen Extrema subjektiver Wertung abgeschliffen hat, so daß an deren Stelle eine wissenschaftliche Abhandlung treten konnte, die sowohl den Mindestanforderungen der Qualität öffentlich-rechtlicher Forschung wie auch der Komplexität des Beziehungsgeflechts von Richtern und Rechtsprechungsverwaltung gerecht wird. Die Veröffentlichung dieser Arbeit kann nicht ohne Dank für vielerlei Unterstützung erfolgen: Meiner Familie für Geduld und Nachsicht, den „aktiven“ Richtern für den Einblick in den Alltag von Rechtsprechungsverwaltung und Rechtsprechung, Herrn Prof. Dr. Horst Dreier für die unverzügliche Erstellung des Zweitgutachtens. Allem voran aber gilt mein Dank meinem akademischen

Vorwort

9

Lehrer, Prof. Dr. Helmuth Schulze-Fielitz, ohne dessen Geduld, Vertrauen, Ermutigung und Gewährung von Freiheit diese Arbeit nicht hätte gelingen können. Die nachfolgende Untersuchung – zwischenzeitlich ergänzt um vereinzelte Nachweise – wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg im Wintersemester 2004/05 als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doctor iuris utriusque angenommen. Ich widme sie dem Andenken meiner Mutter, die ihre Veröffentlichung nicht mehr hat erleben dürfen. Ihr Vorbild hat die Vollendung dieses Werkes überhaupt erst möglich gemacht. Dipperz, im Januar 2005

Carsten Schütz

Inhaltsverzeichnis § 1 Problemaufriß und status-quo: Die verfassungsrechtlich unterschätzte Fremdverwaltung der Rechtsprechung

17

Das Verhältnis Exekutive/Judikative als zentrales Problemfeld der Neuen Steuerungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Die Einflußinstrumente der Exekutive und ihre gegensätzliche Bewertung . . 1. Die ideologische Grundambivalenz der aktuellen Reformdebatte . . . . . . . 2. Beispiel richterlicher Bereitschaftsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die richterliche Position im Hintertreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 33 39 42

III. Die defizitäre Problematisierung der Fremdverwaltung der Rechtsprechung 1. Insbesondere: Entscheidende, aber spekulative Annahmen über die Gefährdung richterlicher Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die problematische Lückenhaftigkeit des Grundgesetzes und der geringe Grad an Wissen um die „notwendige“ Stellung des Richters . . . . . . . . . . .

44

IV.

Fazit und daraus folgende Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

§ 2 Die empirische Ausgangssituation: Der Richterberuf als „gefahrgeneigte Arbeit“

66

I. II.

52 58

I.

Die grundgesetzlich unterstellte „Gefahr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

II.

Der Richter im Einflußnahmegeflecht der Staatsgewalten . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

III. Das – bisher – geringe Gefährdungspotential der Legislative . . . . . . . . . . . . . .

71

IV.

V.

Hierarchisierung der Rechtsprechung – der Tragödie erster Teil: Einflußnahmestrukturen innerhalb der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzte Gefährdung durch die Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ambivalente Kammer-/Senatsberatung mit Vorsitzendem . . . . . . . . . . . 3. Die informelle Hierarchisierung der Rechtsprechung bei formaler Gleichordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hierarchisierung der Rechtsprechung – der Tragödie zweiter Teil: Die Richter unter der Kuratel der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Unabhängigkeit der „Gerichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bloße Inkompatibilität statt organisatorische Unabhängigkeit . . . . . . . c) Keine Konstitutionalisierung der Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . .

73 73 74 76 83 83 85 89 90

12

Inhaltsverzeichnis d) Kein Beleg einer organisatorischen Unabhängigkeit durch die Präsidialverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 e) Fazit: Abschied vom Glauben an eine institutionelle Unabhängigkeit und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Dienstaufsicht über Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Zuständigkeit der Exekutive als gewohnheitsrechtliche Selbstverständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Die rechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Die Zuständigkeit der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Inhalt und Grenzen der Dienstaufsicht als case law . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Beurteilung/Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

VI. Fazit: Quod erat demonstrandum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

§ 3 Die „Gefahrenabwehr“ zum Schutz des Richters I.

II.

Die Gewaltenteilung als überschätztes und zur (weiteren) Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit letztlich untaugliches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die richterliche Unabhängigkeit als Teilwiderspruch zur Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein deutscher Justizminister ist keine Hummel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die richterlich mißverstandene Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abschied von Charles de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die von Richtern unterschätzte Macht der Rechtsprechung . . . . . . . . . c) Die Steuerungsresistenz der selbstbetroffenen Richterschaft . . . . . . . . aa) Die richterrechtliche „Abschaffung“ des Rechtsbeugungsdelikts bb) Die zivilrechtliche Haftungsfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Der notwendige Beitrag der Exekutive im System der gerichtsund richterbezogenen Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs gegen eine Legendenbildung zur Entstehungsgeschichte des grundgesetzlichen Rechtsprechungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die (geringe) Beteiligung der Richterschaft im Parlamentarischen Rat und die fehlende Problematisierung der Rechtsprechungsverwaltung b) Rechtsstellung und Wahl der Richter in der Diskussion des Parlamentarischen Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aus dem Westen nichts Neues zur richterlichen Unabhängigkeit . . . . d) Die Richteranklage als Symbol des Verfassungsgebers für die Verantwortlichkeit des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis: Keine historischen Belege für eine weitreichende Reform der Rechtsprechungsorganisation durch das Grundgesetz . . . . . . . . . . .

117

117 117 121 124 128 130 133 134 142 152 155 157 162 165 168 172

Die richterliche Unabhängigkeit als entscheidender Topos . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Richterliche Unabhängigkeit zwischen normativer und faktischer Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Inhaltsverzeichnis

13

2. Der Stellenwert der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die fehlende (grund)gesetzliche Definition der richterlichen Unabhängigkeit und die Zurückhaltung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bisherige Verfahren zur Bestimmung des Inhalts richterlicher Unabhängigkeit und ihr Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit der dienstgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Gefährdung der Unabhängigkeit durch Struktur und Einzelfall . . . . . 7. Die mangelnde Beachtung struktureller Gefährdungen durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Konsequenz: Personalisierung und Überhöhung der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

§ 4 Die notwendige Neupositionierung der richterlichen Unabhängigkeit

185 189 193 197 200 206

214

I.

Defizite der richterlichen Unabhängigkeitsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

II.

Die „herkömmliche“ richterliche Unabhängigkeit als notwendige, aber nicht hinreichende Rahmenbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . 1. Subjektiv-rechtliche Weiterungen der objektiven Intention . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtliche und grundrechtsdogmatische Affinitäten . . . . . . . . . . . . . . 3. Die notwendige Herstellung bisher fehlenden Abhängigkeitsbewußtseins

221 221 223 232

IV.

Parallele und deshalb taugliches Vorbild: Die allgemeine Handlungsfreiheit 236

V.

Die „Schranken-Schranken“ der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . 1. Nicht durch gesetzgeberische Abwägung überwindbare Barrieren (der richterlichen Unabhängigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die zulässige Formalisierung der Absolutheitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das weite Feld der sonstigen Einschränkungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die „innere“ Unabhängigkeit als entscheidender Maßstab . . . . . . . . . . . . . 5. Die perspektivenerweiternde Funktion der inneren Unabhängigkeit . . . . . 6. Die Parameter der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässige Zwecke von Unabhängigkeitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . b) Die Besonderheiten der Angemessenheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit I.

240 240 243 244 244 255 258 259 259

262

Die ausschließliche Kompetenz des (formellen) Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . 262 1. Fast keine originären Kompetenzen der Exekutive im Bereich der Rechtsprechung und ihrer Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. Die zulässige Zuweisung der Aufgabe „Rechtsprechungsverwaltung“ an die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

14

Inhaltsverzeichnis

II.

Status quo: Das Steuerungsdefizit des Gesetzgebers im Bereich der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das unzulängliche Handeln des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unterbestimmte Rechtsprechungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auch kein Haltmachen der Exekutive vor der richterlichen Entscheidung(sfindung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . 1. Entformalisierung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergrößerte richterliche Handlungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionsbewehrte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verkleinerung der Richterbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abschaffung von Begründungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschränkung von Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trotz Indizien keine Trendwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Summe der Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269 270 274 276 278 280 281 285 286 291 293 296 298

IV.

Der notwendig umgekehrt proportionale Bestimmtheitsgrad von richterlicher Freiheit und Einflußermächtigungen der Rechtsprechungsverwaltung . . . . . . . 302

V.

Die Erforderlichkeit einer „begrenzten Einzelermächtigung“ . . . . . . . . . . . . . . 304

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen . . . . . . 1. Die nahezu unbeschränkte Herrschaft des Gesetzgebers über den Richter 2. Die fast unbegrenzte Befugnis des Gesetzgebers zur Ermächtigung der „Richter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 97 Abs. 1 GG: Die Unabhängigkeit nur des „gesetzlichen“ Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzlich keine Bindungswirkung anderer gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der gesetzlich beauftragte Richter als personifizierte Grenze der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ausnahmslos engen Grenzen der Exekutivermächtigung . . . . . . . . . . . a) Noch einmal: Das Steuerungsmonopol des „Rechtssatzes“ . . . . . . . . . b) Das „Marionettentheorem“ und seine Verfassungswidrigkeit . . . . . . . .

311 311 313 313 318 320 323 323 324

VII. Die Folgen für die prozedurale Durchsetzung der „Schranken-Schranken“ . . 326

§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle und die richterliche Unabhängigkeit

329

I.

Die bisherigen Erkenntnisse als Maßstab für die verfassungsrechtliche Bewertung der NSM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

II.

Notwendiger, aber kritischer Verzicht auf eine begriffliche Ideologisierung der NSM-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

III. Die Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsverzeichnis

15

1. Die Funktion der Kosten-/Leistungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berechtigung zur Skepsis: Die Defizite der Kosten-/Leistungsrechnung . 3. Die KLR als Steuerungsinstrument und die verfassungsrechtlichen Folgen a) Die Steuerungswirkung der KLR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Zugang zur KLR-Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen einer Datenerhebung bei den Richtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtfertigung für Datenerhebungen beim Richter . . . . . . . . 4. Pflicht und Macht des parlamentarischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis: Die rechtliche Bedingungsabhängigkeit der KLR in den Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

335 337 342 342 344 345

IV.

Controlling – das alte der Neuen Steuerungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Controlling – Planung und doch auch Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Notwendigkeit eines Controllings auch in den Gerichten . . . . . . . b) Das Controlling als primäres Kompetenzproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verfahrensproblem des gerichtsinternen Controllings . . . . . . . . . . d) Entökonomisiertes Controlling als Notwendigkeit in den Gerichten . . 2. Die alten Grenzen des neuen Controllings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zentrale Gefahr: Ein ökonomiefixiertes Controlling auch in den Gerichten 4. Die strukturelle Unausweichlichkeit der exekutiven Quantitätsfixierung 5. Noch einmal und erst recht: Das Versagen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . 6. Nur eine zulässige von drei denkbaren Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . 7. Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ergebnis der Controllingbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 358 358 362 363 365 366 367 368 371 373 373 379

V.

Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz . . . . . . . . . . . . 1. Der Qualitätsbegriff und seine Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Prozeduralisierung der Qualitätsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die allein richterliche Zuständigkeit für das Qualitätscontrolling . . . . b) Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Qualitätsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die anstehenden Aufgaben des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379 380 384 384 385 389 390 391 393

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt und Funktionen der Budgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Strukturen der aktuellen Budgetierungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Budgetierung als verfassungswidriges Anreizsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insbesondere die „Wirtschaftlichkeit“ als unzulässiges Ziel von Anreizsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lösung durch Entpersonalisierung und Kollektivierung der Anreize und Sanktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

399 399 406 415

346 353 355 358

420 422

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Inhaltsverzeichnis

VII. Die NSM unter notwendigem, aber nicht hinreichendem Gesetzesvorbehalt 423 VIII. Fazit: Die formelle wie materielle Verfassungswidrigkeit der NSM in den Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Verzeichnis der nachgewiesenen Internetpublikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

„Mit der abstrakten Modellvorstellung von der Existenz dreier im Prinzip gleichgeordneter Staatsgewalten (. . .) käme man schwerlich auf die Idee, die Gerichte könnten unter der Kuratel der Regierung stehen.“ Klaus F. Röhl

§ 1 Problemaufriß und status-quo: Die verfassungsrechtlich unterschätzte Fremdverwaltung der Rechtsprechung I. Das Verhältnis Exekutive/Judikative als zentrales Problemfeld der Neuen Steuerungsmodelle Die Reformlawine vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Staatsverständnisses mit dem Ziel einer Steigerung von ökonomischer Effizienz und Effektivität1 hat nach den Kommunen auch den Staat und mit ihm die Justiz erreicht – „mit der ihr angemessenen leichten Verzögerung“2. Die so verstandene „Modernisierung“ der Justiz (was auch immer jeweils unter diesem „charmanten“3, schillernden Begriff verstanden werden mag4) ist im Gange und wird von den Landesjustizverwaltungen5 energisch6, auf breiter Front und in föderaler

1 Wallerath, JZ 2001, S. 209 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 19 IV Rn. 46, spricht vom „Megatrend‘ der Ökonomisierung“. 2 Müller, FAZ vom 12.12.2003, S. 1; dies reiht sich ein in das Verständnis der Dritten als der „verspäteten“ Gewalt (Ritter, NJW 2001, S. 3440 ff.) und die „kulturelle Verspätung des Rechtswesens“ (s. Rasehorn, JZ 1970, S. 574 [576], unter Hinweis auf Kaupen, Die Hüter); jüngst ausführlich dazu Leisner, Das letzte Wort, passim, insb. S. 219 ff. 3 So zum Titel des „Justizmodernisierungsgesetzes“ Röttgen, ZRP 2003, S. 345 (345). 4 Wohl nach wie vor zutreffend ist die Charakterisierung von Görlitz, JuS 1970, S. 267 (267): „Modernisierung will gemeinhin eine Erhöhung des outputs“. 5 Insofern wird die Erkenntnis von Goll, BDVR-Rundschreiben 2000, S. 148 (154), die „Modernisierung der Justiz“ könne nicht „von oben‘ verordnet werden“, von der Realität wohl zumindest partiell ignoriert; in „seinem Hause“ wurde/wird dies auch anders gesehen, wenn etwa Steinforfner ein Überstülpen der NSM für möglich erachtet, vgl. Schiller, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 200 (201). Dies mag an der – jedenfalls auch – richterkritischen Stoßrichtung der NSM liegen, denn bei der Trockenlegung des Teiches dürfen die Frösche regelmäßig nicht befragt werden. Wie Goll auch U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomi-

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

Vielfalt7 vor allem mittels eines neuen Haushaltswesens8 propagiert. Dabei soll die diesbezügliche Notwendigkeit nahezu allgemeine Akzeptanz gefunden haben, „allenfalls die Ordnung des Verhältnisses der Richterschaft zur Justizverwaltung“ sei hier „ernsthaft in der Diskussion“9. Was hier en passant angesprochen wird, ist jedoch der wohl konfliktträchtigste Bereich, der alle sonstigen Übereinstimmungen zu Marginalien degradieren könnte. Und dennoch läßt sich auch hier die Gegenwart ihre unerhörte Macht nicht rauben10. Ziele wie Methode(n) dieser Veränderung liefert das „Neue Steuerungsmodell“, das begrifflich wie inhaltlich als deutsche Version des in der angelsächsischen Staats- und Verwaltungstradition entwickelten New Public Managements (NPM) bezeichnet werden kann11. Dessen Kernthesen lassen sich unter der Generallinie der Angleichung des öffentlichen und des privaten Sektors12 etwa wie folgt beschreiben: „a) Das Aufgabenspektrum des öffentlichen Sektors ist auf solche Aufgaben zu begrenzen, die nicht ebenso gut oder gleichgünstig von nicht-öffentlichen Trägern erledigt werden könnten. b) Im öffentlichen Sektor sind erprobte privatwirtschaftliche Managementmethoden (inkl. des Personalmanagements) anzuwenden, wobei besonderer Wert auf die Eigenverantwortung der Führungskräfte zu legen ist. c) Die Steuerung des Verwaltungshandelns ist auf klare Ergebnisvorgaben auszurichten, deren Einhaltung anhand aussagekräftiger Leistungsindikatoren zu überprüfen ist. d) Die monolithische Verwaltungsorganisation ist aufzulösen und durch dezentrale Strukturen zu ersetzen, in denen (teil)verselbständigte Einheiten mithilfe des Kontraktmanagements geführt werden. e) Der Wettbewerbsgedanke ist im öffentlichen Sektor als entscheidende Triebfeder für verbesserte Leistungsqualität und größere Kostendisziplin zu fördern.“13 sierungsdruck, S. 135 (146): „Veränderungen in der Justiz können nur mit und durch die Richterschaft selbst erreicht werden“; krit. zur (anfangs) mangelden Richterbeteiligung K. Koch, BJ 1999, S. 116. 6 Kruis, NJW 2004, S. 640 (640, 643), spricht von „krisenhaftem Aktionismus“ und „aktionistischer Modernisierungsmanie“. 7 Francken, NZA 2003, S. 457 (458); speziell zum für die Rechtsprechungsverwaltung bedeutsamen Haushalts- und Rechnungswesen registriert Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (76), eine „vielschichtige, (. . .) aber weitgehend unkoordinierte Reformlandschaft“. 8 Vgl. Bericht der Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen“ an die Justizministerinnen und Justizminister der Länder vom April 2000. 9 Landau/Köbler, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 125 (125). 10 Goethe, zit. nach Renner, AuslR, S. V. 11 Jann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 82 (83); Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 30. 12 Bull, Die Verwaltung 37 (2004), S. 327 (340); Dieckmann, Rpfleger 2000, S. 379 (379).

I. Das Verhältnis Exekutive/Judikative als zentrales Problemfeld

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Das „Neue Steuerungsmodell“14 teilt diese Inhalte ebenso – mit Zurückhaltung im Bereich Outsourcing und Markttest und statt dessen verstärkter Binnenrationalisierung15 – wie die Vielgestaltigkeit der konkreten Umsetzungen16. Der Begriff ist daher zu einer Chiffre für die aktuelle facettenreiche Diskussion über Verwaltungsmodernisierung und -reform und zu deren echtem und konkurrenzlosem Leitbild geworden17. Daraus folgt aber zugleich die gelegentliche Unschärfe und Mehrdeutigkeit des Konzepts18, so daß zutreffender mit dem Plural Neuer Steuerungsmodelle19 gearbeitet werden muß. Aber selbst dies erweist sich noch als ungenau, weil die große Ausbreitung des Neuen Steuerungsmodells gerade in der Kommunalverwaltung, für die es erstmals von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt)20 konzipiert wurde, alle möglichen und sehr unterschiedlichen Reformelemente und -ansätze hervorgebracht hat, die mit dem ursprünglichen Konzept aber nur wenig gemein haben21; insbesondere fehlt es an einem „zusammenhängenden Reformkonzept“22. Unbestreitbar 13 Schröter/Wollmann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 71 (75); s. a. Pfiffner, FS König, S. 443 ff. Die Literatur zum NPM dürfte unüberschaubar geworden sein; der hier zitierten Beiträge dürfen als ebenso knappe wie informative Zusammenfassung gewertet werden; s. aber auch jüngst Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 30 ff.; Schneider, Performance-Controlling, S. 31 ff. 14 Auch diesbezüglich sind die Veröffentlichungen mittlerweile unüberschaubar; gelungende Übersicht bei Jann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 82 ff. 15 Vgl. Jann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 82 (84); dies gilt vor allem für die Gerichte, s. Schneider, Performance-Controlling, S. 34 f. 16 Dies gilt auch und gerade für die Gerichte, vgl. U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/ Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (143); B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (276). 17 Siehe beispielhaft für Hessen Freudenberg, in: Damkowski/Precht (Hrsg.), Moderne Verwaltung, S. 88 (93). 18 Jann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 82 (82). 19 So mit Recht daher U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (140 u. ö.). 20 Ursprünglich wurde das Neue Steuerungsmodell durch die kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt) für die Kommunalverwaltung entwickelt (s. grundlegend KGStBericht 5/1993), wo die entsprechenden Reformen auch am weitesten gediehen sind (vgl. Jann, in: ders. u. a. [Hrsg.], Status-Report, S. 9 [15]). Anwendungsschritte finden sich aber auch bereits in der Landes- und Bundesverwaltung, vgl. nur das Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“, dazu im Überblick Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Bilanz 2002; jüngst resümierend Jann, in: ders. u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 100 ff. (zur Bundesebene, die eher als Nachzügler der Verwaltungsreform und „Bewahrer“ zu betrachten sei), und Reichard, ebd., S. 87 ff. (zur Landesebene, die auch nicht „im Zentrum der deutschen Reformdebatte“ stehe); Stand der Entwicklung auch bei Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 106 ff., ab S. 115 kurz für die einzelnen Bundesländer. 21 Jann, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 82 (88), der insofern von einer „Reformhülse“ spricht. 22 So Reichard, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 87 (87).

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

dürfte allerdings sein, daß bei allen Unterschieden jedenfalls weithin mit der Umsetzung einzelner Elemente des Neuen Steuerungsmodells begonnen worden ist. „Keine Verwaltung, die etwas auf sich hält, kann heute selbstbewußt verkünden, sie würde sich solchem ,neumodischem Unsinn‘ entziehen.“23 Angesichts dessen erscheint die in Baden-Württemberg gebräuchliche Terminologie „Neue Steuerungsinstrumente“ (NSI)24 wohl am treffendsten zu sein, weil damit sprachlich auf den Einzelelement-Charakter der praktischen Verwirklichung abgestellt und der Eindruck eines letztlich nicht existierenden (einheitlichen) Gesamtsystems vermieden wird. Wegen der aufgezeigten weiten Verbreitung soll hier gleichwohl am Begriff der (pluralisierten) „Neuen Steuerungsmodelle“ (NSM) festgehalten werden25; seine aufgezeigten Defizite bleiben dabei aber zu berücksichtigen. Die Übertragung eines organisatorischen Systems der Exekutive durch diese selbst auf judikative Einrichtungen erzeugt angesichts der grundsätzlichen Unterschiede a priori Widerspruch26: Denn es „kann nicht übersehen werden, daß bürokratische Sacherledigung prinzipiell anderen Regeln gehorcht als judizielles Entscheiden – ein Urteil ist kein Erlaß, und Richten ist etwas materiell anderes als Verwalten“27. Außerdem erscheint „Steuerung“ von Rechtsprechung28 insbesondere durch die Exekutive (Gerichts- und Justizverwaltung29) auf den ersten 23

Jann, in: ders. u. a., Status-Report, S. 9 (15, 17). Vgl. Francken, NZA 2003, S. 457 (457, Fn. 1); humoristisch-anschaulich Vetter, VBlBW 2001, S. 480 f.; aber auch verwendet etwa von B. Kramer, RuP 38 (2002), S. 127 (133). 25 Damit verbunden ist auch eine Absage an andere Termini wie etwa die „Neue Verwaltungssteuerung“ in Hessen. 26 H. Kramer, RuP 38 (2002), S. 127 (133), nennt dies gar „abenteuerlich“, ist aber doch dafür, es behutsam zu tun. 27 Simon, DRiZ 1980, S. 90 (91). 28 Die Dienstaufsicht soll „in gewisser Weise um ergebnisorientierte Steuerungsformen ergänzt werden“, s. Bernsdorff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 97 Rn. 32. 29 Das unklare und verunklarende Begriffsverständnis der „Justiz“ (so die berechtigte Kritik bei Piorreck, BJ 2003, S. 64 [64]; sinngleich Stötzel, BJ 2002, S. 356 [356]) gilt auch bezüglich des Begriffspaares Gerichts- und Justizverwaltung (i. E. ebenso MüKo-Wolf, § 1 GVG Rn. 6). Während Justizverwaltung einerseits als Oberbegriff auch für die Gerichtsverwaltung verstanden wird (so etwa Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 10; in diesem Sinne auch bei Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck), nehmen andere wohl mehrheitlich getrennte, nebeneinander stehende Bereiche an (etwa Kissel, GVG, § 12 Rn. 85 ff. [Gerichtsverwaltung] und 105 ff. [Justizverwaltung]; MüKo-Wolf, § 1 GVG Rn. 6, 7 ff. [Gerichtsverwaltung], 12 ff. [Justizverwaltung]; Schilken, Gerichtsverfassung, Rn. 250 ff. [Gerichtsverwaltung], 254 ff. [Justizverwaltung]). Die terminologische Differenzierung ist für die vorliegende Untersuchung nicht relevant; daher wird im folgenden völlig auf den Begriff „Justizverwaltung“ verzichtet. Statt dessen werden allein die Termini „Gerichtsverwaltung“ als exekutive Tätigkeit in den Gerichten oder als Oberbegriff für jede Form exekutiver Tätigkeit zur Organisation der Ausübung von Rechtsprechung „Rechtsprechungsverwaltung“ verwendet. Letzterer ist zwar nur wenig gebräuchlich, weist aber 24

I. Das Verhältnis Exekutive/Judikative als zentrales Problemfeld

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Blick ein evidenter Widerspruch zur Gewaltenteilung und der notwendig unabhängigen Entscheidung nur am Maßstab von Recht und Gesetz durch die hierzu allein berufenen Richter zu sein (Art. 20 Abs. 3, 92, 97 GG)30 – aber eben nur auf den ersten Blick. Schon beim zweiten Hinsehen entfällt jedenfalls die Evidenz der soeben getroffenen Feststellung. Eine differenzierte Betrachtung ist aber gerade im Hinblick auf Stellung der Organe der Rechtsprechung unter dem Grundgesetz unabdingbar. Denn das für die verfassungsrechtliche Beurteilung der NSM zentrale Verhältnis von Judikative und Exekutive in der Bundesrepublik ist nur scheinbar ein eindeutiges oder klar bestimmbares, so daß sich die Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen, insbesondere justizkulturellen31 Argumenten als besonders problematisch erweist. Hierfür sind im wesentlichen drei Gründe ursächlich: 1. Das grundlegende „Prinzip der Gewaltenteilung ist für den Bereich des Bundes (. . .) nicht rein verwirklicht“32. Dies hat zur Folge, daß dem Grundgesetz für eine Grenzziehung zwischen der Rechtsprechung und den beiden anderen Gewalten keine Instruktionen zu entnehmen sind, die jeweils eine klare Abgrenzung erlaubten. Vielmehr gilt auch für die Rechtsprechung – ungeachtet der bei ihr erfolgten Monopolisierung „der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist“33 – nicht absolute Trennung, sondern grundsätzlich das Gebot der „Kontrolle, Hemmung und Mäßigung“ durch Legislative und Exekutive mittels „Gewaltenverschränkung und -balancierung“34. 2. Die Vorschriften des Grundgesetzes über die Rechtsprechung, insbesondere aber deren innere Organisation und ihr Verhältnis zu den anderen Organen der Staatsgewalt sind „lückenhaft“35. Alles wesentliche jenseits allgemeiner Grundsätze bleibt ungesagt36. in sprachlich plastischer Weise auf das hier interessierende Problemfeld hin, nämlich die Tatsache, daß die Rechtsprechung als Ausübung (von den anderen Gewalten) unabhängiger Staatsgewalt ihrerseits (fremd-)„verwaltet“ werden muß/wird. Gleichzeitig werden damit die anderen Bereiche, die auch dem „Justiz“-Begriff unterworfen werden, hier aber nicht von Interesse sind, ausgeklammert (etwa Justizvollzug, Staatsanwaltschaft). 30 Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (12). 31 Zur Bedeutung der Justizkultur im Hinblick auf die NSM etwa R. Böttcher, BayVBl. 2002, S. 362 ff.; ders, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 27 ff.; Strempel, ThürVBl. 1998, S. 30 ff. 32 BVerfGE 34, 52 (59). 33 BVerfGE 103, 111 (137) m. w. Nw. 34 BVerfGE 34, 52 (59). 35 So zur „Ausgestaltung der rechtsprechenden Gewalt durch das GG“ insgesamt H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 8. 36 Dies erinnert an die Situation im Bereich Bildung und Erziehung, deren Regelungen auch in den Landesverfassungen ebenfalls nur vage sind, so daß Fuß, VVDStRL

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

3. Soweit Normen existieren, sind sie entweder für eine unmittelbare Anwendung wenig aussagekräftig (Art. 20 Abs. 2 S. 2 und 92 GG37) oder in ihrem begrifflichen Pathos so pauschal und absolut formuliert (Art. 97 Abs. 1 GG), daß ihre entsprechend kompromißlose Umsetzung einen nahezu absoluten Vorrang („Suprematie der rechtsprechenden Gewalt“38) voraussetzen würde, der politisch wünschenswert sein kann39, letztlich mit dem übrigen Wortlaut des Grundgesetzes aber rechtlich nicht vereinbar ist. Trotz dieser prinzipiellen Einschränkungen entsteht der Eindruck, daß das traditionelle deutsche Organisationsmodell der „Rechtsprechung“ vor dem Hintergrund des Grundgesetzes paradox erscheint – und überrascht entsprechend den unbefangenen Betrachter. Wer sich ihr über Art. 20 Abs. 2, 3 GG und den mit ihr betitelten IX. Abschnitt des Grundgesetzes nähert, baut zwangsläufig eine ernorme Erwartungshaltung auf, die nicht zuletzt in der beeindruckend klaren und pathetisch-einfachen Wortwahl begründet ist. Etwas (von der Exekutive) „Unabhängigeres“ als der deutsche Richter scheint angesichts seiner „übermächtigen Stellung“40 kaum vorstellbar41. Ihm allein wird die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt „anvertraut“ (Art 92 Hs. 1 GG), die ihrerseits nur an „Gesetz und Recht gebunden“ (Art. 20 Abs. 3 GG) ist; er selbst, der Richter, ist „nur dem Gesetze unterworfen“ (Art. 97 Abs. 1 GG). Sofern hauptamtlich und planmäßig angestellt, ist er unabsetzbar und unversetzbar (Art. 97 Abs. 2 GG). Keine Vorschrift des Grundgesetzes handelt von Beschränkungen dieser Unabhängigkeit42, und letztlich ist auch die neuerdings43 wieder44 mangels bisheri23 (1966), S. 199 (200 f.), formuliert, mit ihnen sei „im Grunde genommen nicht viel anzufangen“. 37 Vgl. für Art. 92 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 92 (1971) Rn. 20; Detterbeck, in: Sachs, GG, § 92 Rn. 2: „ausfüllungsbedürftige Blankettformel“; für Art. 97 Abs. 1 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 129. 38 AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 12. 39 Jedoch krit. zu „Überbetonungen“ der Aufgaben und Möglichkeiten der Dritten Gewalt Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 19; speziell für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 19 IV Rn. 44. 40 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 82. 41 Gleichwohl ist neben der Freiheit die „Abhängigkeit“ stets Gliederungspunkt der Betrachtung des „deutschen“ Richters, s. nur Beradt, Der deutsche Richter, Kap. IV: „Seine Abhängigkeit und Freiheit“, S. 53 ff., oder auch Simon, Unabhängigkeit, Kap. II: „Der abhängige Richter“, S. 21 ff.; sowie den Titel bei Frank (Hrsg.), Unabhängigkeit und Bindungen des Richters; deutlich auch Bettermann, in: ders./Nipperdey/ Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (525): „Die richterliche Unabhängigkeit behandelt das Problem von Freiheit und Bindung des Richters.“ 42 Es bleibt also nur das Gewaltenteilungsprinzip, vgl. Reinhardt, Jurisdiktion, S. 84. 43 Siehe nur Burmeister, DRiZ 1998, S. 518 ff. 44 Die dem Vorbild des Art. 127 Abs. 4 HessVerf nachgebildete Richteranklage war eines der „Feindbilder“ der Richterschaft bei Schaffung des Grundgesetzes, s. etwa die Entschließung des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen, gefaßt auf der dessen Mitgliederversammlung am 8./9.10.1948, abgdr. bei Schultz, MDR

I. Das Verhältnis Exekutive/Judikative als zentrales Problemfeld

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ger Anwendung abstrakt kritisierte Richteranklage45 in Art. 98 Abs. 2, 5 GG keine solche Einschränkung, da sie nicht über Art. 97 Abs. 2 GG hinausgeht: Sie ist nichts weiter als eine Absetzung des Richters aus Gründen und in den Formen des (Grund)Gesetzes aufgrund (qualifizierter, höchst-)richterlicher Entscheidung. Die Realität bleibt jedoch hinter dem vom Wortlaut des Grundgesetzes (scheinbar) Versprochenen weit zurück. Richterliches Handeln ist „gefahrgeneigte“ Tätigkeit46, insofern die hierfür wesensnotwendige Unabhängigkeit unter einer Vielzahl von potentiellen Beeinflussungen steht. Die Richter sind daher nur unabhängig, soweit sie in jedem Einzelfall diesem Einflußpotential widerstehen47. Auch im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung ist der Befund in struktureller Hinsicht zunächst „verblüffend“: Selbst wenn man die gleichrangige Aufzählung aller drei „Gewalten“ in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht als Ausdruck ihrer grundsätzlichen Gleichordnung wertet48, so „käme man schwerlich auf die Idee, die Gerichte könnten unter der Kuratel der Regierung stehen“49. Symptomatisch ist insoweit schon das vieldiskutierte Haushaltsproblem: Über die Verteilung der staatlichen Mittel entscheidet das Parlament, das sich als Legislative (Einzelplan 2 für den Bundestag und Einzelplan 3 für den Bundesrat) den selbst für notwendig erachteten Finanzbedarf zuteilt. Gleichzeitig entscheiden Bundestag und Bundesrat über die Mittel der Exekutive, die zuvor ihren Bedarf angemeldet hat. Die Dritte Gewalt erhält „natürlich“ auch Finanzmittel, die jedoch nicht sie selbst, sondern etwa auf Bundesebene der zuständige Bundesminister50 als Teil seines Einzelplans für sie beantragt hat. Eine Ausnahme 1948, S. 391 (392 f.); Ruscheweyh (Präsident des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet), MDR 1949, S. 258 ff.; Erdsiek (Vizepräsident OLG Celle), MDR 1948, S. 398 ff.; unterstützt wurde die Richterschaft vor allem durch eine vielbeachtete Veröffentlichung von Eb. Schmidt, in: Zentral-Justizamt für die Britische Zone (Hrsg.), Justiz und Verfassung, S. 55 ff., hiergegen krit. Wrobel, Verurteilt, S. 280 f. 45 Siehe unten ab § 3 I. 4. d). 46 Siehe unten § 2. 47 Pointiert formuliert Hochschild, LKV 1999, S. 14 (15), daß nach einer vielfach zu vernehmenden Meinung „sich die Frage ihrer (der Richter, C. S.) Unabhängigkeit nach dem persönlichen Mut des einzelnen“ richte; zum notwendigen Mut s. a. Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267). Bestätigt wird dies indirekt durch die Äußerungen eines Gerichtspräsidenten gegen die Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium in NRW, der den Widerstand der 23 Gerichtspräsidenten der ordentlichen Gerichtsbarkeit als „mutigen Akt“ bezeichnet hat (s. unten III.). 48 Denn auch Überordnungen der einen über die andere Gewalt sind zulässig, s. BVerfGE 34, 52 (59). 49 Röhl, JZ 2002, S. 838 (840). 50 Grundsätzlich der Bundesjustizminister, für das Bundesarbeits- und Bundessozialgericht der Minister für Arbeit und Sozialordnung, s. § 14 GVVO, § 38 Abs. 3 SGG, § 40 Abs. 2 ArbGG.

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

bildet nur das Bundesverfassungsgericht, das seinen Bedarf als einziges Gericht aufgrund seines Status als „Verfassungsorgan“51 selbst anmeldet und auch einen eigenen Haushaltsplan (Einzelplan 19) besitzt. Während also das Parlament autonom für sich entscheidet und die Exekutive auf ihre Finanzausstattung aufgrund ihres ausschließlichen Budget-Initiativrechts52 jedenfalls mittelbar Einfluß nehmen kann, ist die Dritte Gewalt von der Haushaltsaufstellung ausgeschlossen und bedarf der Vermittlung eines Ministers53. Nun ist es mit Ausnahme des Art. 1 Abs. 1 GG für das Grundgesetz selbstverständlich, daß Grundsätze der Verfassung auf gleicher Ebene einander widerstreiten und dann, etwa im Wege praktischer Konkordanz54, miteinander in Ausgleich gebracht werden müssen. Einen absoluten Geltungsanspruch kann außer der Würdegarantie55 kein anderer Verfassungsrechtssatz beanspruchen, auch die richterliche Unabhängigkeit nicht. Insofern sind Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit keine Überraschung, erst recht nicht ein Paradoxon. Allerdings bleibt es nicht bei einem bloßen Widerstreit von Verfassungsprinzipien hinsichtlich der Rechtsprechung und der für sie geltenden Unabhängigkeit. Vielmehr sind die rechtsprechende Gewalt und ihre Organe in einen ungewöhnlichen Rahmen eingebettet, der verwundern muß. Dies macht, wie Schuppert treffend und knapp verdeutlicht hat, die Reformen in den Gerichten unter dem Begriff der NSM so problematisch: Die hier – zunächst vereinfachend – als inhaltliche Einmischungsfreiheit56 im Sinne von Weisungs-, Handlungs- und Erkenntnisfreiheit57 verstandene richterliche Unabhängigkeit wird dem Richter als ihrem personalen Träger garantiert, der jedoch in eine spezifische „körperschaftliche Rechtsprechungsorganisation“ eingebunden ist58. Dies entspricht dem Modell des Art. 92 GG, demzufolge Rechtsprechung durch Richter nur in Gerichten als organisatorischen Einheiten stattfinden kann. Deshalb geht es

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Siehe unten § 2 V. 1. a). Vgl. nur Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 110 Rn. 34. 53 Sogar fachliche Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben müssen auf dem Weg zu Gesetzgeber erst den Filter der Exekutive passieren, vgl. Dury, DRiZ 2004, S. 239 (241). 54 Hierzu grundlegend schon in der ersten Auflage Hesse, Grundzüge, S. 28 f., 126 f.; in der aktuellen Aufl. Rn. 317 ff. 55 Selbst dies ist nicht mehr unbestritten, vgl. nur Brugger, JZ 2000, S. 165 ff.; dazu und zur dabei angewandten Methode krit. jüngst Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (417). 56 Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (225). 57 Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 97 Rn. 8. 58 Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (225), der hier allerdings die für die richterliche Unabhängigkeit zentrale Problematik unerwähnt läßt, daß diese Rechtsprechungsorganisation allein von der Exekutive beherrscht wird. 52

II. Die Einflußinstrumente der Exekutive

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„bei der Justizreform um das Organisationsrecht der rechtsprechenden Gewalt und um die Frage, ob die Steuerung der Rechtsprechungsorganisation durch die Steuerungsmodi von Organisation und Verfahren die primär an inhaltlichen Einmischungsverboten orientierte Garantie der richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt.“59

Damit ist in der Tat die gesamte (verfassungs)rechtliche Problematik der NSM in den Gerichten mit 36 Wörtern zusammengefaßt, aber noch nicht gelöst. Dies gilt um so mehr, als der Prämisse, die Reformen im Sinne der NSM stellten „sicher nicht“ einen „Versuch der inhaltlichen Einmischung in die richterliche Spruchtätigkeit“ dar, keineswegs gefolgt werden kann60. Richtig ist zwar, daß keine direkten Steuerungsabsichten in bezug auf konkrete Entscheidungsergebnisse erkennbar sind, etwa in dem Sinne, daß Haftpflichtprozesse vermehrt zugunsten der Versicherungsgesellschaften entschieden oder grundsätzlich höhere Strafen verhängt werden sollten. Davon sind die Reformen weit entfernt; trotzdem haben sie, wie zu zeigen sein wird, enormes Einflußpotential auf die richterliche Entscheidung(sfindung). Daher ist im Hinblick auf die NSM die zentrale Aufgabe gestellt, „die durch die notwendige Einbettung in die Organisation und durch die Ressourcenabhängigkeit entstehenden Gefährdungen so abzuschirmen, dass daraus kein Einfluss auf sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter entsteht, ohne dass dies auf der anderen Seite zur organisierten Unverantwortlichkeit führt“61.

II. Die Einflußinstrumente der Exekutive und ihre gegensätzliche Bewertung Der einfache Gesetzgeber findet angesichts der weithin fehlenden ausdrücklichen Regelungen im Grundgesetz kaum konkrete Aufträge vor, wie die Organisation der Dritten Gewalt inhaltlich und auch personell auszugestalten ist. In Ausnutzung des daraus folgenden Spielraums hat er in Fortführung deutscher Tradition der Exekutive eine bedeutende Rolle zuerkannt. Diese drückt sich insbesondere in drei Bereichen62 aus: 1. Die gesamte Gerichtsverwaltung, verstanden als Organisation der Arbeitsabläufe sowie Verwaltung der sachlichen und personellen Mittel, untersteht dem weisungsbefugten (Justiz-)Ministerium. Einzige Ausnahme bildet die

59 Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (225 – Hervorh. im Original). 60 So aber Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (220), hinsichtlich des Projekts „Justiz 2000“ in Hamburg. 61 Trute, FS Sächsisches OVG, S. 23 (33). 62 Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (220), faßt sie als „Klassische Gefährdungslagen“ zusammen.

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

Geschäftsverteilung, die der richterlichen „Selbstverwaltung“63 durch das Präsidium unterliegt. 2. Die Richter werden der Dienstaufsicht der Gerichtspräsidenten, die insoweit als Organe der Exekutive handeln, sowie des zuständigen Ressortministers unterstellt, wenn auch nur unter den Einschränkungen des § 26 DRiG. Diese Dienstaufsicht umfaßt auch das Recht zur dienstlichen Beurteilung64. 3. Die Ernennung und Beförderung der Richter obliegt ebenfalls der Exekutive und wird nur fakultativ in den Ländern der Mitwirkung eines Richterwahlausschusses unterworfen. Für die Richter der obersten Bundesgerichte ist die Mitwirkung des Richterwahlausschusses zwingend (Art. 95 Abs. 2 GG). Den Judikativorganen bleibt nur eine Beteiligung in Form der Präsidialräte, eine Mitbestimmung fehlt. Rechtsprechung als richterliche Tätigkeit erfolgt gemäß der Anordnung in Art. 92 Hs. 2 GG nur in Gerichten des Bundes und der Länder. Das Handeln des unabhängigen Richters ist also untrennbar mit staatlichen65, von Bund und Ländern zu errichtenden Gerichten verbunden66. Gleichzeitig bleibt aber der Gerichtsbegriff dieses Halbsatzes unklar. Die Rechtsprechung („sie“) wird durch Gerichte ausgeübt, die somit als die Organe der Rechtsprechung des Grundgesetzes erscheinen, allen voran das erstgenannte Bundesverfassungsgericht67, aber auch etwa das Amts- oder das Landgericht Würzburg als Gerichte des Freistaats Bayern (vgl. Art. 5 Nr. 22, 6 Abs. 2 Nr. 71 BayGerOrgG). „Das“ Landgericht Würzburg ist eine organisatorische Einheit, die eine bestimmte personelle und sachliche Ausstattung besitzt. Die Tätigkeitsfelder darin sind jedoch zweierlei: einerseits Verwaltung, andererseits Rechtsprechung. Dies wird symbolhaft an der „Doppelstellung“68 des LG-Präsidenten deutlich, der 63 Zur Ungenauigkeit des allerdings weithin gebrauchten Begriffs der Selbstverwaltung im Zusammenhang mit den Präsidien der Gerichte, s. unten § 2 V. 1. d). 64 Siehe statt aller Kissel, GVG, § 1 Rn. 89 ff.; für verfassungsrechtlich zulässig erklärt von BVerfG, DRiZ 1975, S. 284; ablehnend zur Anlaßbeurteilung als „Maßnahme der Dienstaufsicht“ VG Karlsruhe, NJW-RR 2001, S. 353 (357 ff.). 65 Zur Zulässigkeit mittelbarer Staatsgerichtsbarkeit (etwa Berufsgerichte der Anwaltschaft) s. nur BVerfGE 26, 186 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 92 (1971) Rn. 125; (daher) für eine Unzulässigkeit der aber vom BVerfG akzeptierten [s. detailliert unten § 2 V. 1. c)] früheren Friedens- und Gemeindegerichte in Baden-Württemberg auf der Basis des § 14 Nr. 2 GVG a. F. (außer Kraft seit dem 1.4.1974, BGBl. I, S. 761) Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 12; Bettermann, HStR III, § 73 Rn. 74. 66 Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 3. 67 Jüngst deutete das BVerfG jedoch ein in Art. 92 GG allerdings nicht zum Ausdruck kommendes Vorrangverhältnis zwischen ihm und der Fachgerichtsbarkeit an, denn letzterer sei „die rechtsprechende Gewalt in erster Linie anvertraut“, BVerfGE 108, 341 (348) – Hervorh. nicht im Original. 68 Kissel, GVG, § 59 Rn. 4.

II. Die Einflußinstrumente der Exekutive

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einerseits als unabhängiger Richter69, andererseits als weisungsgebundener Exekutivbeamter der Rechtsprechungsverwaltung fungiert; gleiches gilt natürlich auch für alle anderen zur Gerichtsverwaltung herangezogenen Richter70. Rechtsprechung gibt es zwar gem. Art. 92 Hs. 2 GG nur in Gerichten, Gerichte betreiben aber nicht nur Rechtsprechung71. Teil jedes Gerichts ist dabei zumindest die Gerichtsverwaltung72. Auch und gerade alle Amtsgerichte73 etwa besitzen daher (nur) eine neben anderen bestehende „Rechtsprechungs-Abteilung“74 und haben sich so vom Urzustand des GVG von 1877 entfernt, das aber nach wie vor in § 22 Abs. 1 GVG lapidar bestimmt: „Den Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor.“ Neben die mit einer Vielzahl75 von Richtern besetzte Rechtsprechungs-Abteilung ist also innerhalb eines jeden „Gerichts“ eine „zweite funktionelle Zuordnungsebene, wenn nicht Hierarchie“76 getreten, die exekutiv beherrschte, weisungsgebundene Gerichtsverwaltung. Die Gerichte als organisatorische Einheiten, wie sie herkömmlich verstanden werden, beispielweise das Amtsgericht Würzburg, aber auch das OLG Bamberg, genießen also im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG ein Zwitterstellung. Sie sind das Dach, unter dem sowohl die judikative wie auch die exekutive Staatsgewalt tätig werden77. Gerichte als administrative Einheiten78 sind als solche nicht die Organe der recht69 Sogar im Präsidium, in dem der Präsident von Amts wegen als Organ der Gerichtsverwaltung Mitglied ist, vgl. Kissel, GVG, § 21e Rn. 20. 70 Die zudem hinsichtlich der Tätigkeit in der Gerichtsverwaltung – anders als der Präsident – jederzeit absetzbar sind, vgl. BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 1977, S. 215 f. Das Bundesministerium der Justiz gibt deren Zahl mit 989 an (15.9.2003), „soweit von den Landesjustizverwaltungen mitgeteilt“ (vgl. DRiZ 2004, S. 44); diese Zahl ist daher als Mindestzahl anzusehen. 71 Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 92 Rn. 11. 72 Siehe die (wohl) umfassende Aufzählung der Gegenstände der Gerichtsverwaltung bei Kissel, GVG, § 1 Rn. 85 ff.; s. a. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 4 Rn. 16; Wolff, Gerichtsverfassungsrecht, S. 54; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 250 ff. 73 Das Amtsgericht nimmt gegenüber anderen Gerichten zunächst zwar eine Sonderstellung ein, da es eine Vielzahl von Verwaltungsaufgaben erfüllt, die mit der Rechtsprechung als solcher keine direkte Verbindung aufweisen, allen voran das Vereinsregister (§ 55 Abs. 1 BGB) oder die Grundbuchverwaltung (Amtsgerichte als „Grundbuchämter“, § 1 Abs. 1 S. 1 GBO); hinsichtlich der Gerichtsverwaltung als solcher bestehen aber keine Besonderheiten, so daß gerade das Amtsgericht als eindringliches, aber dennoch insofern verallgemeinerbares Beispiel dienen kann. 74 H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 25; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, S. 52: „Als Spruchbehörde ist das Gericht eine Abteilung der Gerichtsanstalt (. . .), sie ist ,das erkennende Gerichte‘“. 75 Die quantitative Spannweite ist enorm, vgl. U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (136): „In der Bundesrepublik gibt es über 1100 Gerichte, davon ca. 60 v. H. Amtsgerichte unterschiedlichster Größe – von unter zehn Beschäftigten bis über 1.600 Beschäftigte ist alles vertreten.“ 76 H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 26. 77 Siehe Piorreck, BJ 2003, S. 64 (64); daher verläuft die Trennlinie zwischen zweiter und dritter Gewalt nicht (nur) in der „Justiz als Gesamtorganisation“ (so eher

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sprechenden Gewalt, als die sie dem Begriff nach durchaus erscheinen. Denn Gerichtsverwaltung ist in Deutschland eben keine Rechtsprechung und auch nicht Ausübung judikativer Gewalt, sondern exekutive Verwaltung. Zum Beleg genügt schon die bloße Lektüre von § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG, durch den die Aufgaben der Gerichtsverwaltung als Aufgaben „außer“halb der rechtsprechenden Gewalt qualifiziert werden; gleiches folgt aus § 39 VwGO oder § 4 EGGVG, die stillschweigend voraussetzen, daß die Gerichtsverwaltung „von Natur aus“ bei der Regierung ressortiert und den Gerichten erst „übertragen“ werden muß79. Nun wirkt die Monopolisierung der Rechtsprechung in Art. 92 GG bei den Richtern und Gerichten nur in eine Richtung: Es ist – im konkretisierenden Rahmen des § 4 DRiG – verfassungsrechtlich nicht verboten, den Richtern und Gerichten andere als nur Rechtsprechungsaufgaben zu übertragen80. Bildlich gesprochen bedeutet dies, daß hinter den Türen des Amtsgerichts nicht zwingend nur rechtsprechende Gewalt ausgeübt werden muß81 – dies ist insoweit und aus Sicht der Judikative unproblematisch. Es könnten höchstens die beiden anderen Gewalten Bedenken anmelden, weil ihnen Kompetenzen zugunsten der Dritten Gewalt entzogen werden. Das Problem wird erst dann deutlich, wenn man sich klar macht, daß zur exekutiven Tätigkeit unter dem Dach des Gerichts auch die unabdingbar notwendigen sachlichen und personellen Voraussetzungen82 der rechtsprechenden Tätigkeit gehören. Dies ist etwas völlig anderes, als wenn etwa Richtern Aufgaben der Freiwilligen Gerichtsbarkeit oder auch die Geschäftsverteilung als Verwaltungsaufgabe übertragen werden, die dann in der aller rechtsprechenden Gewalt zukommenden richterlichen Unabhängigkeit erledigt werden. Dies wäre die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Rechtsprechungsorgane und als solches nichts Besonderes. Gerichtsverwaltung ist aber nicht Verwaltungstätigkeit, die Richtern anvertraut ist, sondern exekutive Aufgabe, die auch von exekutiven, weisungsgebundenen Amtsträgern wahrgenommen wird. Diese Organisationsstruktur wird angesichts des Art. 92 Hs. 2 GG erst verständlich, wenn man eine – sich nicht unmittelbar aufdrängende, sondern eher

verharmlosend Steindorfner, GedS Keller, S. 271 [273]), sondern unmittelbar in der Nähe aller Richter in jedem Gericht. 78 AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 48a, im Anschluß an Eb. Schmidt, LehrK, Rn. 86. 79 In diesem Sinne auch Röhl, JZ 2002, S. 838 (841). 80 Unbestritten, s., auch zu den Grenzen der Übertragbarkeit, Herzog, in: Maunz/ Dürig (Begr.), GG, Art. 92 (1971) Rn. 51 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 44 ff.; AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 39. 81 Vgl. Piorreck, BJ 2003, S. 64 (64): „Zwei Gewalten unter einem Dach“. 82 Kissel, GVG, § 12 Rn. 84, formuliert, daß die Verwaltungstätigkeit „Untrennbar mit der Notwendigkeit des institutionellen Bestehens dieser Gerichte verbunden“ sei.

II. Die Einflußinstrumente der Exekutive

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Mißverständnisse hervorrufende83 – Mehrdeutigkeit des „Gerichts“-Begriffs zugrunde legt und sich eine entsprechende begriffliche Differenzierung klar macht: „Gericht“ im Sinne des Art. 92 GG ist nicht die Gesamteinrichtung Amtsgericht Würzburg oder auch der Bundesgerichtshof, sondern „nur“ dessen jeweils als organisatorische (Teil-)Einheiten, ausschließlich mit Richtern besetzten und Rechtsprechung ausübenden Spruchkörper84. Wenn in Art. 92 Hs. 2 GG dennoch undifferenziert zu lesen ist, daß die rechtsprechende Gewalt durch „die Gerichte“ ausgeübt wird, so ist dies geschichtlich bedingt zumindest mehrdeutig und müßte zur Klarstellung eigentlich lauten: „sie wird durch die Senate des Bundesverfassungsgerichts und durch die Spruchkörper der in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und der Gerichte der Länder ausgeübt“.

Diese Differenzierung findet kaum Berücksichtigung85 in der Literatur86, auch wenn die Unterscheidung zwischen Gerichten als richterliche Spruchkörper und organisatorischem Überbau unter wechselnden Begrifflichkeiten seit langem bewußt ist87. Sie erweist sich als Folge der historischen Entwicklung 83 Dies war auch im Parlamentarischen Rat nicht anders. Der Abg. de Chapeaurouge setzte sich mehrfach, aber erfolglos für eine größere Beteiligung der Richterschaft bei den Beratungen des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege ein. In dessen Siebter Sitzung am 6.12.1948 weist das Protokoll der Sitzung seine Äußerung wie folgt nach: „Die deutschen Richter sind sowieso schon sehr traurig (. . .).“ Diese Formulierung ist jedoch die Folge einer Korrektur, denn ursprünglich hatte er gesagt: „die Gerichte sind sowieso schon traurig“, vgl. Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1398, Fn. 126; ein Indiz für die jedenfalls umgangsprachliche Selbstverständlichkeit, daß „Gericht“ stets nur mit „Richtern“ in Verbindung gebracht wird, jedenfalls aber nicht mit der Exekutive. 84 AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 47 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 55 f.; für „Gericht“ i. S. d. Art. 92 GG als „Gesamtheit aller Spruchkörper“ Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 92 Rn. 61. 85 So auch Katholnigg, Strafgerichtsverfassung, § 1 Rn. 8. 86 Beispielhaft Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 291: „In der Justiz genießen vor allem die Gerichte verfassungsrechtliche Autonomie.“ Anders aber noch bei Kern, HDStR II, S. 475 (487), der ausdrücklich darauf hinweist, daß „z. B. nicht das Oberlandesgericht Naumburg oder das Reichsgericht Recht“ sprechen, „sondern ein Zivilsenat oder eine Strafsenat dieser Gerichte“; zutreffend klar differenzierend Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 1, 9, dessen Ablehnung der „Spruchkörper“ als Rechtsprechungsorgane (ebd., Rn. 4) allerdings zu weit geht und die er dann auch selbst relativiert (ebd., Rn. 15: „Wenn Rechtsprechung nur von Richtern und gerichtlichen Spruchkörpern ausgeübt werden darf, [. . .]“ – Hervorh. nicht im Original). 87 Siehe AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 48a (identisch seit der 1. Auflage 1983): „Gericht als Behörde“ mit Bezugnahme (in Fn. 83) auf Eb. Schmidt, LehrK, Rn. 86: „administrative Einheiten“, dieser insoweit wiederum verweist auf Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 22 („Gerichte im „administrativen“ Sinne); zuvor schon Rosenberg, Zivilprozeßrecht, S. 52: „Gerichtsanstalt“; ebenso BK-Achterberg, Art. 92 (Zweitbearbeitung 1981) Rn. 240, und Kern, HDStR II, S. 475 (487); oder auch ders., Gerichtsverfassungsrecht, S. 129: „Gericht im staatsrechlichten Sinn“. Aus neuerer Zeit: Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 56: „Gerichte handeln entweder als Rechtsprechungsorgane (. . .) oder auch als Behörden“; ebenso

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des Richteramtes in Deutschland, das sich erst nach 194988 als ein besonderes, jedenfalls anderes gegenüber dem kleinen Justizbeamten89 etablieren konnte90: „Die rechtsgeschichtliche Entwicklung in Deutschland brachte es mit sich, daß der Berufsrichter zum Beamten wurde. Zwar hebt sich die richtl. Beamtenschaft vermöge der der richtl. Gewalt gewährleisteten sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit aus der übrigen Beamtenschaft, insbesondere auch innerhalb der Justiz als eine in rechtlicher Beziehung eigenartige Gattung heraus. (. . .) Daher mag hier gewiß die Vorstellung nahe liegen, daß aus dem Staatsgrundgesetz heraus sich ein besonderes Richterrecht hätte entwickeln können. Aber davon ist die Wirklichkeit weit entfernt. Vielmehr hat in Deutschland die geschichtliche Entwicklung es mit sich gebracht, daß das Richtertum in der allgemeinen Beamtenhierarchie stecken geblieben ist.“91

Beamtenstatus und sachliche sowie persönlichen Unabhängigkeit waren also nach deutscher Rechtstradition durchaus vereinbar. Eine Unterscheidung zwischen „Gerichten“ als organisatorischen Einrichtungen der rechtsprechenden Gewalt, die aus der Exekutive ausgegliedert, ihr gegenüber verselbständigt sind, und den Behörden eben dieser Exekutive war daher nicht erforderlich. Sowohl Verwaltungsbehörden als auch Gerichte waren exekutive organisatorische Einrichtungen, nur mit dem Unterschied, daß in letzteren auch Beamte tätig waren, die richterliche Unabhängigkeit genossen und insofern bei Ausübung dieses konkreten Amtes eine besondere Rechtsstellung innehatten. Die Schlußfolgerung, daß über die Unabhängigkeit des einzelnen Amtsträgers hinaus auch die „Behörde“, in der er tätig ist, aus der Exekutive herausgelöst werden sollte, war Jarass/Pieroth, Art. 92 Rn. 10; Detterbeck, in: Sachs, GG, § 92 Rn. 24; in positiver Weise verdeutlichend Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 92 Rn. 61: „administrative Einheit“; Stelkens, in: Schmidt-Aßmann/Schoch/Pietzner, VwGO, § 1 (1996) Rn. 26; für § 1 GVG undifferenziert anders allerdings KK-Pfeiffer, § 1 GVG Rn. 2, der meint, § 1 GVG umfasse Gerichtsbehörde und Spruchkörper; (ebenso) mißverständlich Katholnigg, Strafgerichtsverfassung, § 1 Rn. 3, 8, der beide vom § 1 GVG umfaßt sehen will, dann aber meint, dies gelte nur, soweit die Gerichtsbehörden Rechtsprechung ausübten. Hierfür müßte dann aber der „erforderliche Apparat von Einwirkungen durch die Verwaltung frei sein“; treffend auch Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 10: „Gerichte als judikativen Rechtsprechungsorganisationen“; Zöller-Gummer, Einl GVG, Rn. 7: „behördliche Einrichtung“ im Gegensatz zum „erkennenden Gericht“. 88 Zuvor war er, „bis in die Sprache der Gesetze hinein, richterliche Beamter“, D. Brüggemann, JJahrb. 7 (1966/67), S. 17 (19). 89 So Zinn, in: v. Mangoldt u. a., Schriftlicher Bericht, S. 49 (zur nachträglichen, aus einzelnen Teilen zusammenstellenden Entstehung dieser Anlage zum Protokoll s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 433, Fn. 14); ebenso ders., DÖV 1949, S. 278 (280); s. a. Strauß, SJZ 1949, S. 523 (531), der die Herausnahme der Richter aus dem allgemeinen Beamtenrecht als die „beachtlichste Neuerung“ bezeichnet. 90 Wenn auch unter gesetzgeberischen Restriktionen, s. a. unten § 5 II.; s. D. Brüggemann, JJahrb. 7 (1966/67), S. 17 (23 f.) 91 Gülland, Dienstaufsicht, Anm. 20; zur Geschichte s. a. BayVerfGHE 13, 182 (184).

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nicht Teil des Unabhängigkeitsverständnisses. Der Richter sollte unabhängig werden, auch wenn die (verfassungs)gesetzlichen Formulierungen bis zum Inkrafttreten des Art. 102 WRV durchgängig auf die Unabhängigkeit der „Gerichte“92 abstellten. Entsprechend besteht auch heute zwischen § 1 GVG und Art. 97 Abs. 1 GG/§ 25 DRiG kein sachlicher Unterschied93, beide Begriffe sollen „synonym zu verstehen“94 sein. Wenn sich heute – wenn überhaupt – nur schwerlich und indirekt eine Rechtsgrundlage dafür finden läßt, daß und warum die Gerichtsverwaltung zur Exekutive gehört95, dann liegt dies auch daran, daß seit jeher eine Herauslösung der „Gerichte“ als administrative Einheiten aus der Exekutive nicht stattgefunden hat. Die Gerichtsverwaltung ist in Deutschland traditionell der Exekutive zugeordnet96 und schließt seit jeher die Personalhoheit mit ein97. Die Verwaltung der Gerichte durch die Exekutive ist auf diese Weise zu deutschem Gewohnheitsrecht98 geworden. Daß ein Richter kein Beamter mehr sein könnte, war vor 1949 wohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden99. Als dann in Art. 98 Abs. 1, 3 GG der Verfassungsauftrag zur Verabschiedung des Richters aus dem Beamtentum erging100, blieb die Frage 92 Im einzelnen s. Kotulla, DRiZ 1992, S. 285 ff.; krit. zur personalen Fassung in der WRV Gülland, Dienstaufsicht, Anm. 105, 174, da so nicht deutlich werde, daß die Unabhängigkeit nicht der Person des Richters, sondern nur bei Ausübung des Amtes garantiert sei. Zudem erschwere es die Abgrenzung zwischen solchen Handlungen des Richters, die von der Unabhängigkeit umfaßt werden, und den übrigen, der Dienstaufsicht voll zugänglichen. 93 Kissel, GVG, § 1 Rn. 4; ihm folgend Achterberg, NJW 1985, S. 3041 (3042); gleichsinnig Eb. Schmidt, LehrK, Rn. 459; Mittenzwei, FS Schneider, S. 361 (367). 94 Kissel, GVG, Einl. Rn. 161; dies verkennt allerdings den von H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 4, hervorgehobenen Umstand, daß „die Adressaten des Anvertrauens Individuen sind, nicht Institutionen der Justiz“; ebenso ders., SchlHA 2003, S. 83 (83); Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 25 DRiG Rn. 1, leitet den fehlenden sachlichen Unterschied daraus ab, daß Gerichte ohnehin nur durch Richter tätig werden könnten. Dies verkennt aber die Existenz exekutiver Gewalt in den Gerichten, was dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee offensichtlich noch weitaus klarer vor Augen war, vgl. unten § 2 I. 4 a). Wieder anders Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 9: § 1 GVG meine „mit ,Gericht‘ in Wahrheit Richter“, weshalb Art. 92 Hs. 1, 97 GG „genauer“ seien. 95 Siehe Röhl, JZ 2002, S. 838 (840); allerdings findet sich eine komprimierte Zusammenfassung der Grundlagen bei Thomas, Richterrecht, S. 18 ff. 96 Steindorfner, GedS Keller, S. 271 (273 f.). 97 So Mahrenholz, NdsVBl. 2003, S. 225 (226), jedoch apodiktisch und ohne rechtliche Begründung. Vgl. auch de Maizière, ZRP 2003, S. 102 (102 f.), der die „Personalentwicklung“ als Antwort auf die Frage nennt, warum man einen Justizminister brauche. 98 Röhl, JZ 2002, S. 838 (841). 99 Siehe aber Anfang des 20. Jahrhunderts Adickes, Verständigung; ders., Grundlinien; dazu Kern, Geschichte, S. 137 ff. 100 Pointiert Rasehorn, in: Wassermann (Hrsg.), Justizreform, S. 32 (33): „das Grundgesetz hatte einen neuen Richtertyp dekretiert, den Richter ,entbeamtet‘ “; Thoma, Rechtsgutachten, S. 161 (181), spricht von der neuen „Wort-Etikette der ,Be-

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der Zuordnung der Gerichtsverwaltung (erneut) unerwähnt, das Gewohnheitsrecht wurde nicht angetastet, vielmehr durch die Fortgeltung der GVVO von 1935 als Bundes- und Landesrecht101 (als gesetzesvertretende Verordnung im Rang eines Parlamentsgesetzes102) mittelbar gestützt103. Denn nicht die Unabhängigkeit der Gerichte (von der Exekutive) sollte neu oder besonders geregelt werden, sondern „nur“ die Rechtsstellung der Richter. Entsprechend selbstverständlich ist auch aus Sicht des Dienstgerichts des Bundes die exekutive dienstaufsichtliche Überordnung eines Ministers sowie insofern weisungsgebundener Gerichtspräsidenten über die Richter seines Landes (oder des Bundes), ohne daß es hierfür einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung bedürfte104. Die Überordnung einer Exekutivbehörde über die Richter soll folglich als solche trotz der Gleichordnung von Exekutive und Judikative in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und der Garantie richterlicher Unabhängigkeit de constitutione lata nicht ausgeschlossen sein105. amten und Richter‘“. Vgl. aber an „unerwarteter“ Stelle kategorisch differenzierend BGH, NJW-RR 2002, S. 168 f. 101 Vgl. R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, GVGVO (2002), Vorbemerkung Rn. 3. 102 Diese muß aufgrund der umfassenden Ermächtigung des Reichsjustizministers in Art. 5 des Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934 (RGBl. I, S. 91) als „gesetzesvertretende Verordnung“ angesehen werden, die gem. Art. 123 GG im Rang eines förmlichen Gesetzes fortgilt (vgl. BVerfGE 22, 1 [12]; 51, 1 [16 f.]); zum Begriff der „gesetzesvertretenden Verordnung“ s. Jacobi, HDStR II, S. 236 (240 f.). 103 Die GVVO vom 20.3.1935 (RGBl. I, S. 403, abgdr. bei Kissel, GVG, Anhang, S. 1395; kommentiert von R. Böttcher, in: Rieß [Hrsg.], Löwe-Rosenberg25) regelt(e) reichseinheitlich die Dienstaufsicht über die Richter und galt gem. Art. 125 GG je nach Kompetenz sowohl im Bund wie in den Länden fort. Während sie für den Bund nach wie vor weitergilt, wurde sie in den Ländern weithin ersetzt (s. nur Art. 19 f. BayAGGVG). Die Bundesregierung hat jedoch bereits den Entschluß zur Abschaffung der GVVO gefaßt, s. Pressemitteilung des BMJ vom 7.7.2004. Röhl ist im Ergebnis zuzustimmen, wenn er ausführt, die Gerichtsverwaltung folge „der Dienstaufsicht nach“. Dies ist jedoch insofern ungenau, als die Gerichtsverwaltung nicht „nachfolgt“, sondern derjenige, der die Dienstaufsicht rechtlich und tatsächlich ausübt, per definitionem auch die Gerichtsverwaltung innehaben muß, weil die Dienstaufsicht Teil der Gerichtsverwaltung ist, s. Kissel, GVG, § 12 Rn. 85. 104 Siehe jüngst BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 ff.: Im Verfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG hatte der Antragsteller (VRiVG) geltend gemacht, die Beurteilungsrichtlinien des sächsischen Justizministeriums seien rechtswidrig, weil dieses nicht oberste Dienstbehörde der Richter sein könne, da § 38 VwGO die Dienstaufsichtabschließend festlege, ein Ministerium aber nicht erwähne. Das Dienstgericht des Bundes gesteht zu, daß § 38 VwGO die Frage der obersten Dienstaufsichtsbehörde nicht regele, dies sei vielmehr Aufgabe des Landesrechts. Der Landesgesetzgeber sei aber nicht gehindert, eine oberste Dienstaufsicht der Exekutive über Richter einzurichten (so auch BVerfGE 38, 139 [151 f.]). 105 Dies gilt erst recht für die Staatsanwälte als Exekutivbeamte; deren im Vordringen befindliches Streben nach Unabhängigkeit entsprechend den Richtern dürfte hieran nichts ändern. Daher wirkt erstaunlich die Erwägung von Rautenberg, NJ 2003,

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1. Die ideologische Grundambivalenz der aktuellen Reformdebatte Die laufenden Reformen innerhalb der Rechtsprechungsorganisation spalten deren „Personal“ vor dem Hintergrund des soeben aufgezeigten organisatorischen Rahmens in zwei Lager. Dies ist zunächst nicht überraschend, denn die Feststellung von Felix Frankfurter106 – „Those who enjoy power are apt to identify its exercise with the public interest.“ – trifft (auch) in den Gerichten den Kern der Auseinandersetzung. Das Gegenüber von exekutiver Rechtsprechungsverwaltung und rechtsprechenden Richtern ist weithin bestimmt durch die jeweilige Überzeugung, die anstehenden Aufgaben im Einklang mit dem Gemeinwohl, jedenfalls aber besser als die jeweils andere Seite erfüllen zu können107. Damit verbunden ist aber auch, daß die jeweilige Ausgangsposition die Bewertung der NSM nicht selten deutlich determiniert und daher bei der Würdigung der jeweiligen Positionierungen berücksichtigt werden muß. Vor allem die Instrumente der NSM werden von der Exekutive in die Gerichte getragen mit der Überzeugung, damit „der Sicherung der Funktionsfähigkeit und Effizienz der Justiz“108 zu dienen. Demgegenüber bewerten Richter „das Neue Steuerungsmodell für das Verwaltungsgerichts (. . .)“ als „entweder wirksam und deshalb rechtlich unzulässig oder aber unwirksam und rechtlich zulässig, damit aber auch wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen“109. Damit verbunden beherrscht deutliches Mißtrauen das gegenseitige Verhältnis. Dabei entzieht sich der Konflikt einer eindeutigen Bewertung zugunsten der einen oder anderen Seite, auch wenn die Richterschaft mit der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit ein

S. 169 (175), der für den Fall der Einbeziehung der Staatsanwälte in Art. 92 GG eine Regelung für nötig erachtet, „wie die wegfallende Dienstaufsicht der Justizminister ersetzt werden sollte“. Wenn eine solche schon bei Richtern zulässig ist, warum sollte sie dann bei den Staatsanwälten wegfallen?! 106 Felix Frankfurter war von 1939–1962 Associate Justice des US-Supreme Court, hier zitiert nach W. Hofmann, Rechtsschutz, S. 36. 107 Dies wird in bezug auf die Richter auch von der Öffentlichkeit so wahrgenommen, vgl. W. Janisch, Wiesbadener Kurier vom 24.12.2003: „(. . .) von dem unter Richtern verbreiteten Hochmut (. . .), es letztlich doch besser zu wissen als die Politiker“; s. auch die Position, „man könne es so manchem Gemeindevertreter nicht verdenken, wenn diese in der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Ansammlung von Besserwisserei, verbunden mit machtausübender Überheblichkeit sähen“, so referiert von Schinkel, BDVR-Rundschreiben 1999, S. 79 (80); ähnlich Prantl, in: Vierzig Jahre Dritte Gewalt, S. 45: „den Zeitgeist zu verteufeln ist die Hybris der Justiz“. Kritik an der Hybris wird auch deutlich in der Feststellung, Unabhängigkeit sei nicht mit Unfehlbarkeit gleichzusetzen, so Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 (273); dies gilt sogar für den Papst der Römisch-Katholischen Kirche, dem zwar im Sonderfall des can. 749 § 1 CIC Unfehlbarkeit zukommt, nicht aber in seiner Eigenschaft als oberster Richter gem. can. 1405 § 1 CIC. 108 So Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 5. 109 Bertram u. a., Das Neue Steuerungsmodell, Kap. F.

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rechtsstaatliches Schwergewicht in die argumentative Waagschale zu werfen vermag. Denn das spezifische Gewicht dieser Unabhängigkeitsgarantie bedarf noch der genaueren Bestimmung und ist zudem Wandlungen unterworfen. Vor allem aber kann es selbst bei noch so großer Bedeutung nicht den Ausschlag geben, wenn entsprechende Gegengewichte überwiegen (sollten). Unstreitig dürfte sein, daß weder das Gewaltenteilungsprinzip noch die richterliche Unabhängigkeit das bestehende System der Gerichtsverwaltung zementieren und jede Änderung verbieten110. Hierum geht es den Kritikern der Methoden der NSM auch gar nicht, im Gegenteil: Sie wollen ja zumeist gerade eine Veränderung der Strukturen der Justiz in Richtung einer größeren Unabhängigkeit von der Exekutive. Allein ihre Initiative spricht schon als Indiz dagegen, daß es um den Mißbrauch der richterlichen Unabhängigkeit zur Sicherung der eigenen Bequemlichkeit geht, die vor allem dadurch gepflegt werden kann, daß man „sich verwalten läßt“111. Die Übernahme von Aufgaben, die aktuell von der Exekutive wahrgenommen werden, kann nicht weniger, sondern nur mehr Arbeit für Richter verursachen112. Jede artikulierte Frontstellung gegenüber den aktuellen Reformkonzepten der Rechtsprechungsverwaltung ist daher prinzipiell Symptom einer Forderung nach einer anderen Reform, nicht aber Zeichen von genereller Veränderungsfeindlichkeit. Eine „verfassungsrechtlich nicht begründbare Berufung auf richterliche Unabhängigkeit im Sinne von Art. 97 Abs. 1 GG als ,Schutzschild‘ gegen jede Erscheinungsform einer Effektivierung oder Modernisierung von Justizpraxis und Justizverwaltung“113 ist damit in praxi aber nicht ausgeschlossen, selbst wenn „die Legende von der Reformfeindlichkeit des Art. 97 GG bereits in der Justizreformdebatte vor 30 Jahren überwunden“114 worden sein sollte. Daher ist eine richterliche Position nicht schon deshalb argumentativ und rechtlich überlegen, nur weil sie sich auf Art. 97 GG beruft. Der diskriminierende 110 Vgl. Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (23). 111 Vgl. H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 27; inhaltsgleich schon treffend L. Schäfer, DRiZ 1970, S. 73 (75). Jüngst ausdrücklich für die Richterschaft des BFH (Ri’inBFH) Jäger, BJ 2004, S. 274 (274, 276). Im badenwürttembergischen Justizministerium geht man (interessengeleitet?) ebenfalls davon aus, daß ein großer Teil der Richter es ablehne zu verwalten, vgl. Zimniok, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 172 (172); daher mag auch das z. T. mangelnde Interesse an den NSM kommen, vgl. Schiller, ebd., S. 200 (201). 112 Zudem wird man davon ausgehen müssen, daß jede Form von kollektiver Unabhängigkeit per „Selbstverwaltung“ der Gerichte mit deutlichen Verlusten bei der individuellen Unabhängigkeit bezahlt werden wird, so zutreffend Francken, NZA 2003, S. 457 (460); im Ergebnis ebenso B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (301). Letztere aber ist gerade die Voraussetzung dafür, seine Bequemlichkeit ausleben zu können. 113 Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (23). 114 So Wassermann, RuP 38 (2003) S. 241 (241).

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Vorwurf des Mißbrauchs der richterlichen Unabhängigkeit als „Schutzschild“115 kann daher im Einzelfall gerechtfertigt sein; er prallt aber nicht selten gerade an denen ab, die öffentlich gegen die NSM Position beziehen. So einfach läßt sich der Chor der Kritiker denn auch nicht zum Schweigen zu bringen. Die Kritik aus den Reihen der Richter ist daher ernst zu nehmen und kann nicht einfach mit dem Label „Reformfeindlichkeit“ versehen und außen vor gelassen werden. Der simplifizierte Antagonismus „moderne Gerichtsverwaltung“ versus „fauler Richter“ ist daher dem Sachverhalt einer Einführung der NSM nicht angemessen. Zudem ist es nicht damit getan, die in der Tat zwingende Unterscheidung zwischen richterlichem Rechtsprechungsbereich einerseits und exekutiver Gerichtsverwaltung andererseits zu betonen, indem zutreffend klargestellt wird, daß Reformen die in der Gewaltenteilung liegende Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Exekutive und Rechtsprechung nicht in Frage stellen dürfen und der Rechtsprechungsverwaltung steuernde Eingriffe verboten sind, „wo die Verantwortung der Exekutive endet und der Bereich richterlicher Unabhängigkeit beginnt“116. Denn wegen der faktischen Verzahnung beider Bereiche unter dem Dach jedes Gerichts läßt sich der eine vom anderen nicht trennen. Begreift man die Rechtsprechungs- bzw. Gerichtsverwaltung als „die notwendigen Hilfsund Sekundärgeschäfte, die der primäre Gerichts-(Rechtsprechungs-)betrieb erfordert“117, bzw. als „die gesamte verwaltende Tätigkeit, die nicht unmittelbar die Erfüllung der dem Gericht zugewiesenen RSprAufgaben beinhaltet, aber für diese die unerläßlichen materiellen und personellen Voraussetzungen schaffen muß“118, wird der conditio-sine-qua-non-Charakter der Exekutive für die Rechtsprechung und damit gleichzeitig deren Einflußpotential deutlich. Dies bestätigt auch der folgende Vergleich Hoffmann-Riems: „Man stelle sich vor, jemand wolle eine Oper inszenieren und denkt nur an die Sänger. Gewiss, diese werden später im Rampenlicht stehen, was aber, wenn der Vorhang sich gar nicht öffnet, weil die Bühnenarbeiter vergessen wurden, wenn das Licht nicht angeht, weil die Beleuchter fehlen, oder wenn die Diva ein unpassendes Kleid trägt, weil ohne Kostümbildnerin gearbeitet wurde. Wenn etwas auf der Bühne nicht funktioniert, oder wenn der Szenenwechsel zu laut vor sich geht, dann denken alle an die Bühnenarbeiter. Läuft alles reibungslos, dann gilt die ungeteilte Aufmerksamkeit den Stars an der Rampe oder auch dem Chor und den Statisten.“119 Seine diesbezügliche Schlußfolgerung ist durchaus richtig: Es muß bei der Modernisierung der Gerichtsverwaltung in erster Linie auch (!) darum gehen, 115 Jedenfalls eine diesbezügliche Gefahr bestätigt ausdrücklich Sendler, DVBl. 2003, S. 43 (43). 116 So Steindorfner, GedS Keller, S. 271 (275). 117 Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (99) – (Hervorh. so nicht im Original). 118 Kissel, GVG, § 12 Rn. 85 (Hervorh. nicht im Original). 119 Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 273.

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die Arbeitssituation derjenigen zu verbessern, die insbesondere im Bereich der Geschäftsstellen die tägliche Verwaltungsarbeit leisten120. Das Opern-Beispiel gilt aber auch umgekehrt: Mit einer entsprechenden Anweisung an die Bühnenarbeiter und Beleuchter kann man die gesamte „Performance“ der (richterlichen) Diva vereiteln oder sprichwörtlich „in schlechtem Licht“ erscheinen lassen. Wer die quantitativen Parameter der Mittelausstattung und des Erledigungsdrucks gegen die Richter in Stellung bringt, kann damit leicht Qualitätsarbeit verhindern. Daher werden hier die beiden Seiten der Medaille besonders deutlich. Eine argumentative Gegenüberstellung zweier Problemebenen lieferte jüngst die Deutsche Richterzeitung als Plattform. Hochschild/Schulte-Kellinghaus formulierten hier: „Nur ein Richter, der sich subjektiv nicht verantwortlich fühlt für das, was er in seinem Dezernat nicht erledigen kann, und der sich von höheren Erledigungszahlen anderer Kollegen nicht unter Druck setzen läßt, kann die schwierige Aufgabe des Qualitätsmanagements für die eigene richterliche Abteilung verantwortungsbewußt und rational erfüllen.“121 Hinter dieser Position steht eine kategoriale Trennung zwischen quantitativen und qualitativen Aspekten der Erledigung, deren gleichwohl bestehende Zusammenhänge nur nach und ausgehend von dieser grundsätzlichen Differenzierung analysiert werden können. Dabei liegt dem Zitat die Annahme eines prinzipiellen Widerspruchs beider Kategorien zugrunde: Eine hohe Erledigungszahl als Beleg einer regelmäßig schnellen Erledigung sei demnach Anzeichen für Qualitätsdefizite, weil bei geistigen Prozessen wie der richterlichen Entscheidung die Qualitätssicherung vor allem Zeit brauche122. Dies wird an anderer Stelle noch deutlicher: „Bei gleicher Arbeitszeit sollten weniger Erledigungen zunächst einmal als nahe liegendes Indiz für eine größere Qualität der Arbeit gesehen werden.“123 Hierauf regierte Mackenroth mit einer Gegenthese: Art. 92 Hs. 1 GG vertrage sich nicht mit dieser Aussage, denn das Grundgesetz gehe vor, „auch gefühlsmäßig“. Er habe als Richter124 stets anders, nämlich sich mitverantwortlich „gefühlt“ für lange Bearbeitungszeiten und dabei ein schlechtes Gewissen ge120

Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 274. Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (418). 122 Ebenso P. Kirchhof, FS Doehring, S. 439 (445); s. auch Flotho, DRiZ 1988, S. 167 (169): „Der Richter muß Zeit haben, sie sich aber auch nehmen“. Jüngst auch zutreffend differenzierend Eylmann/Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 33, 105. Zum Widerspruch zwischen „erforderlicher Muße“ und „Statistiken und Pensen“ Berkemann, FS Zehn Jahre VG Leipzig, S. 15 (25). 123 Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (417); hiergegen ausdrücklich von Keyserlingk, DRiZ 2004, S. 141. 124 Geert Mackenroth war als Richter zuletzt PräsLG und Vorsitzender des DRB, z. Zt. der hier angeprochenen Stellungnahme aber Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Justiz. Keines dieser Ämter war bei seiner Meinungsäußerung angegeben. 121

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habt. Er habe auch anders „gehandelt“ und sich bei jeder Gelegenheit die Arbeitsweisen von Kollegen angesehen, um seine eigene richterliche Arbeit „schneller, besser, effektiver“ zu bewältigen125. Hier werden zwei Vorverständnisse deutlich, die das Herantreten an die NSM determinieren, mit denen die quantitativen Aspekte der richterlichen Arbeit zum Zwecke der Steigerung und Verbilligung zum Gegenstand von Steuerung gemacht werden sollen. Vom erstgenannten Standpunkt aus kann man dem nur ablehnend gegenüberstehen, denn nach dessen Prämissen führt dies unweigerlich zu inhaltlichen Qualitätsverlusten, jedenfalls einem Vorrang der Quantität in Zweifelfällen. Damit wird zugleich deutlich, daß diese Form der Steuerung direkte Auswirkungen auf die Inhalte der richterlichen Arbeit besitzt und folglich für die Exekutive verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Inzident liegt darin auch eine entsprechende Zuweisung, aber auch Begrenzung von Verantwortungsbereichen, denn die Zahl der dem Richter zugewiesenen Eingänge wird ohne sein Zutun bestimmt durch die Rechtsprechungsverwaltung einschließlich des Präsidiums und hängt von der tatsächlichen Zahl der Verfahren ab. Die Höhe der Fallbelastung ist daher fremdbestimmt und theoretisch unbegrenzt. Wenn Gesetzgeber und Rechtsprechungsverwaltung Richterstellen streichen, auf erhöhte Eingänge126 oder Aufgabenzuweisungen (Betreuungsrecht, Insolvenzrecht) nicht mit weiterem Personal reagieren oder immer mehr innergerichtliche Aufgaben dem Richter selbst übertragen (Aktentransport127, Kopieren, Urteilsanfertigung in Reinschrift128)129, läßt sich die Arbeitsbelastung und damit der Erwartungsdruck hinsichtlich des quantitativen „Outputs“ beliebig steigern130. Hiergegen ist der betroffene Richter machtlos, er 125 Mackenroth, DRiZ 2004, S. 46 – auffallend ist hier die – vielleicht unbewußte – Reihenfolge, nach der sein Interesse zuerst der schnelleren, dann erst der besseren Erledigung galt. 126 Eindringlich die amtliche Feststellung des BayVerfGH, NJW 1986, S. 1326 (1327), wonach von 1972 bis 1984 die Eingänge bei bayerischen AG/LG um 42,4% gestiegen sind, die Familiensachen um 54,4%. Die Zahl der Richter, Staats- und Amtsanwälte wurde hingegen um lediglich 2,4% erhöht. S. auch Neue Ruhr/Rhein Zeitung-Online vom 6.2.2004 (www.nrz.de), wonach in 1989/90 wegen der Arbeitszeitverkürzung in der nordrhein-westfälischen Justiz um 1,5 Stunden 64 Stellen geschaffen wurden, nun aber wegen einer Arbeitszeitverlängerung um 2,5 Stunden 306 Stellen wegfallen sollen. 127 Zu Grenzen solcher Richtertätigkeit – per obiter dictum – VG Berlin, DRiZ 2002, S. 93 (96). 128 Vgl. Neumann, DRiZ 2004, S. 34. 129 Beachte aber die ebenso lapidare wie zutreffend Feststellung von H. Walther, BDVR-Rundschreiben 1999, S. 74: „Doch die Frage, was ,richterliche Tätigkeit‘ ist, unterliegt stetem zeitlichen Wandel“. 130 Trefflich zur unbegrenzten Belastbarkeit der Richter Rapp, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 141 (143): „Und schließlich schadet die Darstellung von Katastrophenszenarien unserer Glaubwürdigkeit. (. . .) Der Zusammenbruch fand nicht statt, und er wird auch künftig nicht stattfinden, selbst wenn wir noch mehr Verfahren pro

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kann weder feststellen lassen, seine Arbeitsbedingungen seien unzumutbar131, noch daß sein Gericht nicht mit der notwendigen Zahl von Richtern besetzt sei132. Gleiches gilt für die Überlastung durch deutlich über die Pensen hinausreichende Verfahrenszahlen133. Muß der Richter demnach diese Situation hinnehmen und will er sich für die negativen Folgen gegenüber den Verfahrensbeteiligten unter Hinweis hierauf rechtfertigen, so stellt dies ein Dienstvergehen dar134. Auch der Hinweis in einem Urteil auf fehlende Fachliteratur in der Gerichtsbibliothek ließ die Dienstaufsicht (auf Anweisung des Justizministers selbst135) tätig werden136. Zeitliche Verzögerungen bei der Verfahrenserledigung und die Diskrepanz von Eingängen und Erledigungen finden vor diesem Hintergrund immer auch ihre Ursache in Entscheidungen der Rechtsprechungsverwaltung, auf die der Richter keinen Einfluß hat und für die er sich daher auch nicht verantwortlich zu fühlen braucht. Folgt man der Gegenthese Mackenroths, so soll der Richter, obwohl er hinsichtlich seiner quantitativen Belastung weder ein Mitwirkungs- noch ein Abwehrrecht hat, trotzdem auch hierfür Verantwortung tragen und kompensierend Richter schaffen müssen, selbst wenn wir ohne Personalvermehrung neue Aufgaben bekommen werden.“ Tendenziell anders aber ders. in einer Rede am 5.2.1996, krit. zit. bei Hoffmann-Riem, JZ 1997, S. 1 (3, Fn. 32). Letztlich bestätigt sich doch das „heimtückisch sozialpsychologisch“ ansetzende Argument, „daß mehr Arbeit durch mehr Arbeiten und nicht durch mehr Arbeiter zu bewältigen ist“, so Simon, DRiZ 1980, S. 90 (91). Allerdings scheinen tatsächlich noch Leistungsreserven bei Richtern zu bestehen, da sie ein geringes Burnout-Syndrom aufweisen, vgl. Wegener u. a., MedReview 1/2000, S. 17 ff.; 6/2001, S. 7 ff.; dazu Hirth, MHR 2/2002, S. 23 f. Mittelbar für – zumindest vorübergehend – „mehr Arbeiten“ Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (120). Fixierte Grenze bei Herrmann, DRiZ 2004, S. 316 (320): ununterbrochener Bereitschaftsdienst über sieben Tage hinweg als Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit. 131 Dienstgericht bei dem LG Berlin, DRiZ 2004, S. 81 f. 132 VG Saarluis, DRiZ 2004, S. 80 f. 133 VG Minden, DÖD 2001, S. 186 f.; bestätigt durch OVG NW, NJW 2002, S. 1592 f. 134 So KG (Dienstgerichtshof), NJW 1995, S. 883 f. 135 Siehe Schmiemann, DRiZ 1999, S. 224; eine besondere Pointe liegt darin, daß der örtliche Anwaltsverein das Fehlen der Standardliteratur gegenüber dem Justizministerium moniert hatte, das daraufhin mit der Dienstaufsicht reagierte statt peinlich berührt möglichst ohne großes Aufsehen den Kommentar anzuschaffen; vielleicht war es gerade diese Peinlichkeit, die das Ministerium davon abhielt, die Möglichkeit der Revision in Anspruch zu nehmen, um so weiteres Aufsehen zu vermeiden. 136 Was jedoch vom Dienstgerichtshof wegen Zugehörigkeit des Urteils zum unantastbaren Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit beanstandet wurde, OLG Hamm (Dienstgerichtshof), DRiZ 1999, S. 222 ff.; das Dienstgericht hatte dies in erster Instanz allerdings anders gesehen. Krit. zur Ausdünnung der Gerichtsbibliotheken („auslaufendes Modell“) am Beispiel des LSG NW o.Verf., RiStA 1/2003, S. 11 (demnach hat das oberste Sozialgericht des bevölkerungsreichsten Bundeslandes der Bundesrepublik kein Geld mehr für die NVwZ); abwägend zur ersatzweisen Einführung von Online-Versionen von Zeitschriften Mackenroth, ZRP 2003, S. 24 (24).

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tätig werden. Weil aber die quantitativen Parameter für seine Tätigkeit gesetzt werden, bevor der Richter zum Einsatz kommt, kann er nur noch reagieren. Das Maß dieser Kompensationslast muß aber eine Grenze haben, nämlich dann, wenn, was viele Richter längst beklagen137, es nur noch um Erledigung geht ohne Rücksicht auf die inhaltliche Qualität an die Verfahrensgestaltung für die Beteiligten und das Ergebnis. Wann hier Quantitätsdruck in nicht mehr akzeptablen Qualitätsverlust umschlägt, dürfte, ungeachtet der offenen Qualitätsdefinition, bei jedem Richter unterschiedlich sein. Daher kann hier nur jeder Richter seine spezifische Grenze selbst finden, was aber dann irrational ablaufen muß, wenn die Erledigungszahlen von Kollegen wesentlich höher liegen, weil hieraus zwangsläufig Druck entsteht, mehr erledigen zu müssen und die Qualität hintanzustellen. Diese beiden Grundverständnisse der richterlichen Tätigkeit bestimmen die Perspektive des Blickes auf die NSM: Entweder ist der durch sie entstehende Druck inhaltlich entscheidungsrelevant auch im Einzelfall; dann schaden sie einerseits der Qualität und sind andererseits verfassungswidrig. Oder aber man leugnet zum einen (weithin) die Folge der Qualitätsdefizite, sondern geht im Gegenteil von einer Qualitätssteigerung infolge der „Modernisierung“ aus. Und/ Oder man verneint die Auswirkungen auf die Inhalte der richterlichen Arbeit, wie es etwa in der prominenten These zum Ausdruck kommt, es gehe nur um den Modus der Leistungserbringung, nicht deren Inhalte138. 2. Beispiel richterlicher Bereitschaftsdienst Wie das komplexe Neben- und Gegeneinander von Richtern und Rechtsprechungsverwaltung eine Bewertung von aufkommenden Streitfragen infolge der Perspektivenabhängigkeit erschwert, kann an einer aktuellen Problematik deutlich gemacht werden: Die Reform des richterlichen Bereitschaftsdienstes infolge zweier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts139, in denen zur Durchsetzung des Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG die Erreichbarkeit des zuständigen Richters auch außerhalb herkömmlicher Dienstzeiten für not137 Auch von Keyserlingk, DRiZ 2004, S. 141, nennt die „chronische Überlastung“ das einzige aktuelle Unabhängigkeitsproblem – jedoch fehlt die entscheidende Beschreibung einer Kausalkette von dieser Ursache zur Unabhängigkeitsverletzung. 138 Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (81); ihm folgend etwa Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (235); krit. dazu („fadenscheinig“) Piorreck, BJ 2003, S. 64 (67 f.). 139 BVerfGE 103, 142 ff.; 105, 239 ff. (dies weiter konkretisiert durch BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], NJW 2004, S. 1442). S. dazu Edinger, DRiZ 2004, S. 65 ff., der von einem bunten „Flickenteppich“ im Bereich des richterlichen Bereitschaftsdienstes spricht; letzteres bestätigen auch die Ergebnisse einer Umfrage des DRB, vgl. ders., DRiZ 2004, S. 161, 163; mit gleichem Ergebnis schon Kaminski, BJ 2003, S. 106 f.

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wendig erklärt wurde. Hiergegen regte sich alsbald Widerstand aus der Richterschaft; zumindest „gibt es unter Richterinnen und Richtern in Deutschland unterschiedliche Auffassungen“ zu der Frage, „ob an den Amtsgerichten nachts ein richterlicher Bereitschaftsdienst (Rufbereitschaft) erforderlich und sinnvoll ist“140. Wenn nun die Rechtsprechungsverwaltung auf die Einrichtung eines nächtlichen Bereitschaftsdienstes dringt141, wirkt dies zunächst als ein Schritt zur Grundrechtssicherung, wie er durch das Bundesverfassungsgericht angemahnt worden ist: „je mehr Bereitschaftsdienst, desto mehr gerichtlicher Rechtsschutz, also je mehr Bereitschaftsdienst desto besser“142. Von dieser Erkenntnis aus erscheint eine diesbezügliche Abwehrhaltung zwangsläufig als grundrechtsfeindlich, so daß die Rollenverteilung klar ist: Die Rechtsprechungsverwaltung verteidigt die Grundrechte gegen arbeitsunwillige Richter, denen ihr grundgesetzlicher Auftrag zur Grundrechtssicherung nicht einmal einen abendlichen Bereitschaftsdienst wert ist. Dies kann man aber auch aus anderer Perspektive betrachten und dann ganz anders sehen: Der Bereitschaftsrichter hat in einer strukturell schwierigen Situation zu entscheiden. Typischerweise per Handy erreicht143, muß er regelmäßig ohne oder höchstens mit nur unzulänglicher Unterstützung durch sonstige Kräfte der Serviceeinheiten 144 sowie ohne spezifische Erfahrung in Haft-, Durchsuchungs- oder Unterbringungssachen entscheiden145. Vor allem aber fehlen ihm ausreichende Informationen zum Sachverhalt, da nicht selten auch telefonisch etwa Durchsuchungsbeschlüsse von der Staatsanwaltschaft erbeten werden146. Wegen des regelmäßig gegebenen Zeitdrucks zur Nachtzeit wird der Bereitschaftsrichter allzu leicht zum „Schnellrichter“, der wegen der Situation und 140 (RiOLG) Schulte-Kellinghaus, BJ 2003, S. 170 (170) – von ihm letztlich verneint; sehr unterschiedliche Meinungen registriert auch Edinger, DRiZ 2004, S. 162; für einen Bereitschaftsdienst und damit die vorgenannte These bestätigend aber (RiAG) Helmken, BJ 2003, S. 174 f.; ebenso (RinAG) Sauter-Glücklich, BJ 2004, S. 244 (245): „An der Richtigkeit und Erforderlichkeit der richterlichen Rufbereitschaft bestehen keine Zweifel mehr.“ Zur Sonderbelastung der Amtsrichter s. Grotkopp, DRiZ 2004, S. 244 ff. 141 Für die Nachtzeit bedarf es nicht zwingend eines Bereitschaftsdienstes, so nun BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 2004, S. 1442; zu beachten ist auch, daß die Entscheidung über die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes dem jeweiligen Gerichtspräsidium vorbehalten ist, so BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1987, S. 1198 ff. 142 Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (478), der dies als „vordergründige Betrachtung“ beschreibt. 143 Vgl. die Ergebnisse der Umfrage des DRB bei Edinger, DRiZ 2004, S. 161 (161). 144 Dazu BVerfGE 103, 142 (152): „Zudem sind die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes aus Art. 13 GG gehalten, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle zu schaffen“. 145 Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (478).

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des (zeitlichen) Entscheidungsdrucks kaum mehr eine eigene Entscheidung treffen147, sondern nur noch die etwa von der Staatsanwaltschaft getroffene „absegnen“ kann – eine eigene Entscheidung war aber gerade das, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte148. Dies gilt vor allem dann, wenn die Rechtsprechungsverwaltung den zuständigen Richter einer Überlastung aussetzt, indem sie zwar den Eildienst fordert, aber dann keine Entlastung des Betroffenen herbeiführt149. Hat der Richter aber einen Durchsuchungsbeschluß erlassen, ist die Exekutive von ihrer Verantwortung für ihr Vorgehen entbunden150 – sie kann sich jederzeit auf die nicht nur rechtliche, sondern auch moralische Legitimierungswirkung der richterlichen Entscheidung berufen151. Vor diesem Hintergrund werden die zuvor zugeteilten Rollen vertauscht: Die Rechtsprechungsverwaltung ist nun keineswegs mehr die Grundrechtsbewahrerin; ihr geht es statt dessen (nur) um formale Freizeichnung der Exekutive von der Verantwortung152 und der Gefahr, bei eigenmächtigem Vorgehen später wegen der Annahme eines Verwertungsverbots ein Beweismittel zu verlieren153. Die abwehrenden Richter handeln dann nicht mehr „aus Bequemlichkeit, sondern aus guten rechtsstaatlichen Gründen“154. Somit wird deutlich, wie ambivalent sich jede Bewertung

146 Dazu ausführlich Harms, DRiZ 2004, S. 25 ff., mit dem Ergebnis der Unzulässigkeit mündlicher Durchsuchungsanordnungen durch den Richter; krit. hierzu sodann Seifert, DRiZ 2004, S. 141 f. 147 Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (478). 148 BVerfGE 103, 142 (151, 160); insofern zutreffend Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (478); s. auch das Zitat in FN 144. 149 Vgl. etwa Rupprecht, RiStA 1/2004, S. 14 (14); Edinger, DRiZ 2004, S. 161, 163, und ders., DRiZ 2004, S. 162. Eindringlich auch die Überlastungsbeschreibung beim AG Köln durch Wippenhohn-Rötzheim, RiStA 6/2003, S. 11, die allerdings (auch) nicht umhin kann, die für jedermann überzeugende Kritik an der beschriebenen objektiven Überlastung und damit Fehlentwicklung durch den Verweis auf verfassungsrechtlich unbedeutende subjektive Unbequemlichkeiten wie etwa die Störung des gesamten Wochenablaufs für den Bereitschaftsrichter und seine Familie (!) abzuschwächen (s. ähnlich RiStA 3/2003, S. 10 f.; RiSta 4/2003, S. 8 f.). 150 In diesem Sinne zutreffend Schulte-Kellinghaus, BJ 2003, S. 170 (171). 151 Zu den (potentiellen) Handlungsmotiven der Justizverwaltung ausf. Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 ff. 152 Freilich gilt dies – wenn überhaupt – nur für die politische Verantwortung, nicht aber etwa für die zivilrechtliche, wie jüngst BGH, JZ 2004, S. 454 ff., bestätigt hat; voll zustimmend Gusy, ebd., S. 459 (459): „Die Verantwortung bleibt bei der Exekutive und kann nicht (. . .) auf die Justiz verlagert werden“. 153 Dazu im Falle von Hausdurchsuchungen etwa Krehl, NStZ 2003, S. 461 (463). Gegen Verwertungsverbote außerhalb des § 136a StPO Amelung, NStZ 2001, S. 337 (341); ihm zustimmend M. Hofmann, NStZ 2003, S. 230 (232); vermittelnd Dalemann/Heuchemer, JA 2003, S. 430 (434 f.). 154 Schulte-Kellinghaus, BJ 2003, S. 170 (171); ebenso ders., NJW 2004, S. 477 (478), der hier insbesondere auf die vehemente Abwehr des Vorwurfs hinweist, den Amtsrichtern gehe es allein um ihre persönliche Arbeitszeit; zur Berechtigung dieses Vorwurfs s. aber FN 149.

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der konträren Positionen zwischen Richterschaft und Rechtsprechungsverwaltung darstellt155. 3. Die richterliche Position im Hintertreffen Die richterliche Position ist allerdings in der aktuellen Situation ins Hintertreffen geraten. In deutlichem Kontrast zur traditionellen verbalen „Verneigung“ vor dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit156 lautet gerade im Hinblick auf die NSM eine wohl aktuell realistische Einschätzung: „Als Richter sollte man sich (. . .) bewußt machen, daß man mit Hinweisen auf seine Unabhängigkeit in der derzeitigen politischen Landschaft auf nicht ganz unberechtigte Vorurteile stößt. (. . .) Man sollte die Unabhängigkeit der Richter im Zusammenhang mit dem Neuen Haushaltswesen nur mit äußerster Vorsicht thematisieren.“157 Die Ursache hierfür liegt zweifelsohne in einer unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmung der Realitäten in den Gerichten und vor allem an einer Überhöhung der Unabhängigkeitsgarantie bis auf die Ebene der (Menschen-)Würde durch die Richter selbst, die nahezu jeden Vorgang mit Gerichtsbezug als einen solchen mit unabhängigkeitseinschränkender Wirkung bewerten. Dies erweckt nach außen hin einen um so negativeren Eindruck, als es mit einer mimosenhaften Kritikempfindlichkeit der Richterschaft158 einhergeht, die sich durch eine restriktive Selbstkontrolle im Rahmen der Rechtsprechung zur Rechtsbeugung und Amtshaftung159, aber auch zur Dienstaufsicht weithin jeder Aktualisierung ihrer Verantwortung entzieht, während ernsthafte Gefährdungen der Unabhängigkeit außerhalb der Gerichte kaum wahrgenommen werden. Die Position der reformierenden Rechtsprechungsverwaltung erscheint hingegen als die überlegene, weil sie nach außen hin „modern“ auftritt und das Qualitätsmerkmal der Differenzierung vorgeben kann zwischen den Inhalten und den „verbesserten“ Methoden der Leistungserbringung, während die Gegenposition relativ pauschal daherkommen und kategorisch Verfassungswidrigkeit behaupten muß, was zu Schutzschildvorwürfen führt. Dahinter steht ein spezifisch deutsches Dilemma: Wegen der in der Bundesrepublik herbeigeführten Kongruenz von unabhängiger Rechtsprechung als verfassungsrechtlichem Strukturprinzip und individueller Freiheit des einzelnen 155

Zutreffend differenzierend jüngst Herrmann, DRiZ 2004, S. 316 ff. Nachweise s. unten § 3 II. 2. 157 B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (300, 301); ähnlich Voss, DRiZ 1998, S. 379 (380 f.), und schon Krützmann, DRiZ 1985, S. 201 (202), der allerdings auf die Konstellation im Bereich des § 39 DRiG abstellt. 158 So Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (96). 159 Siehe dazu unten § 3 I. 3. c). 156

II. Die Einflußinstrumente der Exekutive

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Richters kann es erstere als rechtsstaatliches Essential nicht ohne faktische Privilegien der Richterschaft geben. Die Sicherung des einen gibt es nicht ohne das andere – und umgekehrt. Daher erweist sich der Übergang zwischen rechtsstaatlicher Notwendigkeit und bloßer Privilegienverteidigung als fließend und die Zuordnung richterlicher Forderungen zum einen oder anderen schwierig. Festzuhalten bleibt aber: „Die Richter haben viele Anliegen.“ – so der wohl auch heute noch zutreffende erste Satz der Gründungsausgabe der Deutschen Richterzeitung im Jahr 1909160. Nicht zuletzt das durchaus gerechtfertigte161 Verlangen nach besserer Besoldung, die auch zu Lasten von Verfahrensbeteiligten durchzusetzen versucht wird162, aber auch die staatlich mitfinanzierte Krankenhausunterbringung in Zwei-Bett-Zimmern163 oder beamtenähnliche Amtstitel164 gehören zu diesen Anliegen, die sowohl bei Politik wie Rechtswissenschaft, aber auch mancherorts in den eigenen Reihen165 auf nur wenig Verständnis treffen. Und gerade in bezug auf den zuvor thematisierten Bereitschaftsdienst wird nur schwer nachvollziehbar argumentiert, wenn entgegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die Heranziehung von Richtern am Oberlandesgericht zum amtsgerichtlichen Bereitschaftsdienst gefordert oder „wegen des (in deren Nichtheranziehung liegenden, C. S.) Verstoßes gegen den Gleichheitssatz eine 160

So der Gründungsvorsitzende des DRB J. Leeb, DRiZ 1909, Sp. 1 (1). Die deutschen Richtergehälter befinden sich am unteren Rand des westeuropäischen Standards, vgl. nur die Ergebnisse der Umfrage der Europäischen Richtervereinigung, abgdr. in DRiZ 2002, S. 277 ff., und sind in letzter Zeit real gesunken, vgl. RiStA 4/2003, S. 4 f. Weit überzogen dürfte aber die Position des DRB-Landesverbandes NW sein, der davon ausgeht, der für Richter und Staatsanwälte angemessene Lebensunterhalt sei nicht mehr gewährleistet, vgl. RiStA 5/2003, S. 10 f. Hier scheint der Rückfall in schlechteste Zeiten gekommen zu sein, vgl. Schiffer, Deutsche Justiz, S. 282, zum Einkommen der Richter, „das gegenwärtig so niedrig ist, daß es kaum zur Notdurft des Lebens ausreicht.“ Ebenso Adickes; Grundlinien, S. 127: „Zwar ist das Gehalt (. . .) nicht so groß, daß ein völlig Unvermögender mit Frau und Kindern davon eingiermaßen standesgemäß leben kann“. S. aber auch L. Schäfer, DRiZ 1970, S. 73 (74): „Das Richteramt ist nicht zu dem Zweck geschaffen, seinen Träger zu ernähren.“ 162 So jüngst ein („zorniger“?, so Heydemann, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 179 [179]) hessischer RiLG, der – statt auf dem VB-Weg (vgl. aber den Fall in FN 39) – mittels einer konkreten Normenkontrolle das BVerfG dazu bringen wollte, ihm eine Beförderung in die Besoldungsstufe R 2 zu verschaffen. Dies wurde von BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), NJW 2003, S. 3264 f., ebenso mit deutlicher Kritik zurückgewiesen wie – ebenfalls aus Hessen – 35 Jahre zuvor (damals Finanzrichter, die aus ihrer Besoldung, die „nur“ derjenigen der Richter an Eingangsgerichten entsprach, abzuleiten versuchten, daß daher das HessFG kein Obergericht sei, vgl. BVerfGE 23, 321 ff.). Zur Streitlustigkeit hessischer Richter vgl. die Kritik an der hohen Zahl von (erfolglosen) Konkurrentenklagen bei Landau/Christ, NJW 2003, S. 1648 f. 163 BVerfGE 106, 225 ff.; s. a. BVerwG, BayVBl. 2004, S. 88 ff. 164 BVerfGE 38, 1 ff. 165 Etwa (RiVG) Heydemann, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 179 ff. (Anmerkung zu BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], NJW 2003, S. 3264 f., s. zuvor FN 162), mit dem treffenden Hinweis, daß auch ehrenamtliche Richter ohne jegliche diesbezügliche Besoldung als unabhängig angesehen würden. 161

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Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit“ behauptet wird und man seitens eines Richterrats der Auffassung ist, die Verpflichtung zur Erledigung der während des Bereitschaftsdienstes erforderlichen Schreibarbeit höhle die richterliche Unabhängigkeit „in unerträglicher Weise aus“166. Dabei können sich die Richter hinsichtlich ihrer unabhängigkeitsbetonten Positionierung auch nicht der Sympathie des Volkes sicher sein. Nicht selten dürfte hier vielmehr der Wunsch nach einer Korrektur richterlicher Entscheidungen durch den Gerichtspräsidenten, Justiz- oder gar Verteidigungsminister167 bestehen, wie sich an jeder entsprechenden Dienstaufsichtsbeschwerde und manch anderem Indikator168 wie etwa der Gründung des Vereins „Rechtsmißbrauch e. V.“169 ablesen läßt. Schon im Falle des Müllers Arnold feierten 1779 die „kleinen Leute“ Friedrich den Großen vor dem Berliner Schloß, weil er ein Urteil des Kammergerichts abgeändert hatte und die daran beteiligten Kammergerichtsräte verhaften ließ170. Zudem darf man den objektiven Umstand nicht vergessen, daß aktuell keine objektiv justizfreundliche, sondern eine exekutivische Zeit herrscht. Deren Bedürfnisse werden bestimmt durch das Gegenteil der Charakterzüge von Rechtsprechung, die sich durch „Verhältnismäßigkeit statt Durchgreifen, Gründlichkeit statt Promptheit, allseitige Anhörung und Abwägung statt sofortiger Entscheidung“ auszeichnet. Vor allem aber braucht sie „Zeit für ihre Produkte“171. Zeit aber ist augenscheinlich das Gut, das die Gesellschaft am wenigsten zu gewähren bereit ist172, so daß gerade die Rechtsprechung in Widerspruch zum Zeitgeist und unter Legitimationsdruck gerät.

III. Die defizitäre Problematisierung der Fremdverwaltung der Rechtsprechung Die faktische und rechtliche Verflechtung von Rechtsprechung und exekutiver Rechtsprechungsverwaltung sind bisher in kaum ausreichendem Maße thematisiert worden. Folge daraus ist nicht nur die soeben aufgezeigte, aktuell 166 Vgl. Schreiben des Vorsitzenden des Richterrates am AG Kamen an den nordrhein-westfälischen Justizminister, abgdr. in RiStA 3/2003, S. 10 f. 167 So zum Soldaten-Urteil des LG Frankfurt/Main, NJW 1988, S. 2683 ff., vgl. Dau, NJW 1988, S. 2650 (2651, Fn. 3). 168 Siehe die treffliche Fallstudie bei Simon, FS 10 Jahre Deutsche Richterakademie, S. 3 ff.; Falk, in: Gouron u. a. (Hrsg.), Error iudicis, S. 103 (125). 169 Vgl. Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (69, Fn. 5). 170 Vgl. Sendler, JuS 1986, S. 759 ff. (mit zahlreichen Belegen der Sympathiebekundungen für Friedrich den Großen in Fn. 1, 29). 171 Hassemer, DRiZ 1999, S. 185 (188). 172 Vgl. nur Boehncke, BJ 2003, S. 118 (120 f.).

III. Die defizitäre Problematisierung

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„schwache“ Position der kritischen Richterschaft, sondern eine generell unzulängliche Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus der Zuordnung der Gerichtsverwaltung an die Exekutive. Das damit verbundene Einflußpotential auf die Rechtsprechung wird insbesondere von Politik und Rechtswissenschaft nahezu ignoriert; und wer als Richter auf verwaltungsspezifische Unabhängigkeitsgefährdungen hinweist, gerät schnell in den Verdacht, selbst unzureichend unabhängig oder Privilegienverteidiger zu sein. Die damit verbundenen Wahrnehmungsdefizite und Verharmlosungen haben bisher – jedenfalls außerhalb der Richterschaft – eine ausreichende Durchdringung der verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus der intimen Nähe von Exekutive und Rechtsprechung sowie der damit verbundenen Abhängigkeiten verhindert. Dies läßt sich sehr eindringlich an einem justizpolitischen Ereignis veranschaulichen, das – trotz einzelner Besonderheiten – die idealtypischen Merkmale einer Diskussion um die deutsche Rechtsprechungsorganisation aufweist: Die letztlich am verfassungsgerichtlichen Verdikt173 gescheiterte Zusammenlegung des Justiz- und Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen durch Organisationserlaß des Ministerpräsidenten174. Die Abschaffung eines eigenständigen Justizministeriums ist für die aktuelle Modernisierungsdiskussion nicht nur deshalb „vorbildlich“, weil sie als Teil einer „Verwaltungsmodernisierung“ Effizienzsteigerungen zum Ziel hatte175. Die Entwicklung und diesbezügliche Debatte wird zudem von den klassischen „Vertretern“ mit der ebenso traditionellen Argumentationsstruktur geführt: Veränderungen in der Struktur der Gerichte und ihrer Verwaltung gehen nicht von der Richterschaft aus176. Sie werden entsprechend der hierarchischen Struktur der Verwaltung „von oben“ ohne Beteiligung der Richterschaft verordnet. Die Besonderheit, daß hier ausnahmsweise der Ministerpräsident und nicht der eigentliche Ressortminister handelt, verändert das Grundprinzip nicht. 173

NWVerfGH, NJW 1999, S. 1243 ff. Vom 9.8.1998, GVBl. NW, S. 544. 175 Ministerpräsident Clement hatte das fusionierte Ministerium als Kernstück der Verwaltungsmodernisierung bezeichnet, vgl. taz v. 10.2.1999, S. 4; es sei Teil eines Reformprozesses „der nordrhein-westfälischen Verwaltung an Haupt- und Gliedern“; vgl. taz v. 10.6.1998, S. 5. Der zeitweilige Justiz- und Innenminister Behrens erwartete in einem Gespräch mit dem Präsidenten des OLG Hamm, Debusmann, daß sich aus der Zusammenlegung „Synergie-Effekte und Einsparungen“ ergäben, s. DIE ZEIT vom 2.7.1998; zu den Motiven der Reform s. auch Rudolph, NJW 1998, S. 3094 (3094); Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1113); Prantl, SZ v. 10.2.1999, S. 4. Noch 1973 hatte Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 96 (1973) Rn. 26, ein „eigenes Justizressort“ als Merkmal des „modernen Staates“ angesehen. 176 Denn diese genügt sich selbst, vgl. Schaefer, NJW 1994, S. 428 (429). Breite Initiativen zur Einführung einer gerichtlichen Selbstverwaltung sind – jedenfalls in neuerer Zeit – (nur) Reaktionen auf anderweitige Neustrukturierungen durch die Verwaltung und widersprechen der grundsätzlichen Passivität der Richter nicht; anders freilich die NRV. 174

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

Hierauf reagiert die Richterschaft ablehnend, wobei sowohl politisch, aber vor allem auch rechtlich argumentiert wird. Mangels einfachgesetzlicher Regelungen bleibt hierfür aber nur der Rückgriff auf Verfassungsprinzipien der Rechtsprechung. So wird behauptet, die Maßnahme beeinträchtige die richterliche Unabhängigkeit und die Neutralität der Rechtsprechung177 und damit die Gewaltenteilung. Bemerkenswert ist im Beispielsfall allerdings die Breite und Einmütigkeit der richterlichen Kritik178. Nicht etwa die gerade gegenüber den Gerichtsverwaltungsstrukturen seit jeher kritische Neue Richtervereinigung tritt hervor, sondern die Präsidenten nahezu aller Gerichte des Landes179, also die Spitzen der Rechtsprechungsverwaltung, kritisieren in nicht bekannter180 deutlicher181 (und überzogener Form182) die Zusammenlegung183. Außergewöhnlich ist zudem die Kritik seitens der Ministerkollegen184 und sogar der Polizei, die gegen die Zu177 So der Präsident des OLG Hamm, Debusmann, im Gespräch mit dem zeitweiligen Justiz- und Innenminister Behrens, s. DIE ZEIT vom 2.7.1998. 178 Diese Bewertung findet sich auch bei Caesar, ZRP 1998, S. 368 (368), und Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1113); ebenso DIE ZEIT v. 2.7.1998. 179 Das Schreiben der 23 Präsidenten der Ordentlichen Gerichte an Ministerpräsident Clement ist abgdr. in BlfDuIntPol 1998, S. 1014 f.; der Brief der Präsidenten der Verwaltungs- und Finanzgerichte ist abgdr. in BDVR-Rundschreiben 1998, S. 111 f.; unterstützt wurden die Präsidenten durch die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs, die in einer Entschließung vom 17.6.1998 die Zusammenlegung „mit großer Sorge“ sah, abgedr. in DRiZ 1998, S. 280, und BlfDuIntPol 1998, S. 1014. BGH-Präsident Geiß schloß sich dem auch an anderer Stelle „mit scharfer Kritik“ (FAZ v. 27.6.1998, S. 3) an, sprach von „Rechtsstaatsmüdigkeit“ (s. FAZ, ebd.) und nannte die Fusion eine „fortschreitende Preisgabe rechtsstaatlicher Grundsätze“, zitiert nach Rudolph, NJW 1998, S. 3094 (3094); dem schloß sich (rückblickend) sein Amtsnachfolger an, s. Hirsch, Liber Amicorum Voss, S. 81 (84): „Unsensibilität gegenüber der dritten Gewalt im politischen Raum, die erstaunt“. 180 Prantl, SZ v. 23.1.1999, S. 9; vgl. auch taz v. 26.6.1998, S. 4. 181 Menzel, NWVBl. 1999, S. 201 (201): „heftig protestiert“; Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1113): „schroff und aufgeregt, wie es dieser Berufsstand am wenigsten erwarten ließ“. 182 Ministerpräsident Clement wies NS-Vergleiche als „völlig abwegig“, taz v. 26.6.1998, S. 4, und als „Entgleisung“, s. taz v. 3.7.1998, S. 6, zurück,. Ebenso die Bewertung in der Fachöffentlichkeit: Rudolph, NJW 1998, S. 3094 (3094): „harsche Verriß“; Sendler, NJW 1998, S. 3622 (3622), spricht von „maßlosen Ausfällen“ und nennt gefallene NS-Vergleiche (zutreffend) „Beleidigende Abwegigkeiten!“; Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (124), erkennt eine „extreme Wortwahl“, „rauhe(n) Ton“ und „grobe Bildersprache“ der Kritiker. 183 Voss, DRiZ 1999, S. 435 (438), nennt dies eine „fast geschlossene Phalanx“. 184 Siehe Caesar, ZRP 1998, S. 368 f.: Verstoß gegen die „Kultur der Justiz“ und damit die Tendenzen der VerfGH-Entscheidung vorwegnehmend; Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig: Rückfall in „absolutistische, jedenfalls vordemokratische Staatlichkeit“, sein Amtsvorgänger Kinkel, Die Welt v. 16.11.1998, abgdr. in DRiZ 1998, S. 20: „So etwas tut man nicht!“. Ebenso der weitere Amtsvorgänger Hans-Jochen Vogel, Der Tagesspiegel v. 2.7.1998, abdgr. in DRiZ 1998, S. 376.

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sammenlegung ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken geltend machte185. Wiederum erwartungsgemäß fällt die Kritik des Deutschen Richterbundes186 und die Unterstützung der Bundesrechtsanwaltskammer187 aus. Wesensmerkmal richterlicher Kritik gegenüber der Rechtsprechungsverwaltung ist der Hinweis auf die mögliche Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit. Es werden nicht konkrete, als sicher anzunehmende Übergriffe dargelegt, sondern allein die Möglichkeit und der daraus entstehende „böse Schein“188 als verfassungswidrige Gefährdung apostrophiert189. Diese Argumentationsstrategie erweckt zwangsläufig den ängstlichen Anschein mangelnden Selbstbewußtseins, sie scheint Zeichen einer Furcht, „gegenüber den eventuell höheren Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit zu versagen“190. Denn letztlich ist es das Eingeständnis der fehlenden inneren Unabhängigkeit, sich von einem Innenminister- oder auch nur einem Justizminister „dreinreden“ zu lassen191. Verstärkt wird dieser Eindruck im hier gewählten Beispielsfall angesichts der Tatsache, daß einer der protestierenden Gerichtspräsidenten es als „mutigen Akt“ bezeichnet hat, einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten zu schreiben192. Diese rechtlich und/oder politisch umstrittene Frage wird von einem Antragsbefugten193 einer gerichtlichen Klärung zugeführt. Damit kommt es zu einer strukturellen Unvermeidlichkeit: Die angerufenen Richter entscheiden „generalisiert ,in eigener Sache‘“194, denn auch wenn es um Angelegenheiten von Richtern geht, darf die „letztverbindliche Entscheidung darüber (. . .), was im konkreten Fall rechtens ist“, „nur von unabhängigen staatlichen Gerichten im Sinne des IX. Abschnitts des Grundgesetzes herbeigeführt werden“195, also von 185

So der Vorsitzende der GdP-NW, Swienty, s. taz v. 9.6.1998, S. 6. Erklärung vom 18.6.1998, abgdr. in DRiZ 1998, S. 280, und BlfDuIntPol 1998, S. 1013 f.; s. a. die Stellungnahme des DRB-Vorsitzenden, abgdr. in DRiZ 1999, S. 19. 187 Vgl. Pressemitteilung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 25.6.1998, und nach der Entscheidung Pressemitteilung vom 9.2.1999, s. BDVR-Rundschreiben 1998, S. 111. 188 NWVerfGH, NJW 1999, S. 1243 (1246). 189 Eine Konkretisierung dieser Gefahren vermissen insbesondere Sendler, NJW 1999, S. 1232 (1232), und Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (130). 190 Sendler, NJW 1998, S. 3622 (3623). 191 Kranig, BDVR-Rundschreiben 1998, S. 154 (155). 192 Zitiert nach Sendler, NJW 1998, S. 3622 (3623), der fragt, was daran mutig gewesen sein soll. Dem ist zweifelsohne beizupflichten: Wenn ein unabsetzbarer und unversetzbarer „Behördenleiter“ erst Mut haben muß, um Kritik an einem Ministerpräsidenten zu üben, scheint es mit der Verinnerlichung der eigenen Unabhängigkeit nicht weit her zu sein; insofern bestätigt Hochschild, LKV 1999, S. 14 (15). 193 In diesem Fall der CDU-Landtagsfraktion im Organstreit vor dem NWVerfGH, zu den prozessualen Einzelheiten ausführlich Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (124 f.). 194 Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (11 f.); vgl. auch BR-Drs. 186/03, Anlage, S. 5. 186

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Richtern. Wenn es aber um eine Entscheidung geht, die wenigstens mittelbar alle Richter betrifft, so kommt es systemimmanent zu einem unauflösbaren Widerspruch: Einerseits ist der Richter kein nichtbeteiligter Dritter, der er aber aufgrund der Richterdefinition des Bundesverfassungsgerichts sein müßte196; andererseits muß eine abschließende Entscheidung gefunden werden, die nur er als Richter und damit ex officio Betroffener fällen darf. Die in diesem Fall besondere Befangenheitsgefahr, die dadurch entstand, daß der Präsident des Verfassungsgerichtshofs als Präsident des OVG und die beiden anderen Mitglieder kraft Amtes als OLG-Präsidenten (vgl. § 2 NWVerfGHG) zuvor an der direkten Kritik der Organisationsentscheidung beteiligt waren197, verschärft die Situation in diesem Einzelfall, ist aber hinsichtlich der generellen Betroffenheit wiederum nichts Außergewöhnliches. Besonders brisant wird die Befangenheitsproblematik angesichts einer kurze Zeit später zu Tage getretenen bemerkenswerten Pointe, die gerade den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit vermissen läßt, der gerade noch lautstark gegenüber der Politik eingefordert worden war: Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes hat wenig später in seiner Eigenschaft als OVG-Präsident und damit als Exekutivorgan zusammen mit den VG-Präsidenten Nordrhein-Westfalens ein „Strategiepapier“ veröffentlicht, in dem er in bezug auf Proberichterbeurteilungen fordert, „Effizienz-Defizite klar und frühzeitig zu benennen, damit über konkrete Maßnahmen – bis hin zur Entlassung – zeitnah entschieden werden“ könne198. Man kommt an dieser Stelle um die Frage nicht umhin, wodurch der Proberichter X am VG Minden sich wohl mehr in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlt: Die oberste Dienstaufsicht durch den Justizminister, der auch 195

BVerfGE 103, 111 (139). Siehe nur BVerfGE 103, 111 (140 m. w. Nw.). 197 Sie hatten jeweils die Schreiben „ihrer“ Gerichtsbarkeiten (s. FN 179) an den Ministerpräsidenten unterzeichnet; s. diesbezüglich pointiert Sendler, NJW 1999, S. 1232 ff.; ihm zustimmend Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1113), mit deutlicher Kritik an der generellen richterlichen Handhabung der Befangenheitsproblematik auch durch das BVerfG in Fn. 2, das Sendler, ebd., hingegen als Vorbild für den NWVerfGH anmahnte; krit. auch Wieland, DVBl. 1999, S. 719 (719 f., 721: „autopoietischen System der Rechtsbildung“). Zu diesem strukturellen Problem mangelnder Objektivität generell auch Reinhardt, Jurisdiktion, S. 82; Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (163 f.); ausführlich jetzt ders., DRiZ 2004, S. 89 ff. 198 Siehe Abschnitt IV. des Strategiepapiers des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und der Präsidenten der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte vom 2.4.2001, abgdr. in BJ 2001, S. 223 (Hervorh. nicht im Original); mit Recht krit zu dieser exekutiven Drohung gegen Proberichter als „schwächste Glieder“ U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (147, Fn. 59); folgerichtig erscheint daher dann auch die Fragegestellung „Richterin und Richter auf Probe in Nordrhein-Westfalen. Traum oder Trauma?“, so der Titel in NRV-Info Nordrhein-Westfalen, Oktober 2002, S. 7 ff. Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (30), bezeichnet die Existenz atypischer Richterverhältnisse wie die des Richters auf Probe und kraft Auftrags als mehr als einen „Schönheitsfehler“. 196

III. Die defizitäre Problematisierung

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Innenminister ist und zu dem er wohl nie direkten Kontakt haben wird, oder „seinen“ Präsidenten, der ihn fortwährend direkt beobachten und beurteilen kann, in seinen Sitzungen anwesend ist und der Akkordarbeit von ihm verlangt und bei Nichterreichen mit Entlassung droht? Von dem daraus folgenden „bösen Schein“ ganz zu schweigen. Die Notwendigkeit des Rückgriffs auf abstrakte Verfassungsprinzipien ruft Kritik hervor. Methodisch gibt es jedoch für das entscheidende Gericht keine Alternative: Aufgrund des Schweigens des Grundgesetzes hinsichtlich der Organisation der Rechtsprechungsverwaltung können diesbezügliche Erkenntnisse nur durch Ableitung aus allgemeinen Prinzipien (richterliche Unabhängigkeit, Gewaltenteilung, Rechtsstaat) gewonnen werden. Wollte man dies grundsätzlich ablehnen, so verlöre die Verfassung letztlich jede Determinationskraft (für den Gesetzgeber) im Bereich der Rechtsprechungsorganisation. Der Rückgriff des NWVerfGH auf das vage Wesentlichkeitskriterium199 zum Beleg des erfolgten Übergangs vom „verfassungspolitisch Unerwünschten zur Verfassungswidrigkeit“200 spitzte diese Situation allerdings angesichts dessen rechtlicher Unklarheit201 und seines dezisionistischen Charakters202 noch einmal zu. Hieran setzte sogleich die Kritik der Fachöffentlichkeit an, die es leicht hat, da jede rechtliche Begründung, die nicht mehr als ein abstraktes Prinzips für ihre Position vorbringen kann, auf schwachen Füßen steht. Hinzu kommt der Umstand, daß die Wesentlichkeitstheorie zwar als solche bekannt, aber auf das Verhältnis Staatsgewalt – Grundrechtsträger beschränkt war203, so daß der NWVerfGH auch hinsichtlich des Anwendungsbereichs Neuland betreten mußte, um es auch auf die Staatsorganisation anwenden zu können. Das Gericht zeige sich daher „abstrakten Prinzipien verpflichtet, die ohne hinreichenden Grund ausdehnend interpretiert“ würden204. Die „harsche bis barsche Kritik“, die sich der „Machtspruch“205 „eingefangen“206 hat, braucht hier nicht in Einzelheiten nachgegangen zu werden207. Entscheidend ist allerdings, daß in der Fachöffentlichkeit kaum Verständnis für die 199

So Böckenförde, NJW 1999, S. 1235 (1236). So dies begrüßend C. Arndt, NordÖR 1999, S. 276 (277). 201 So im Hinblick auf die Entscheidung des NWVerfGH Hoog, NordÖR 1999, S. 277 (278 m. w. Nw.); s. a. Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1116: „Wortwolke“); Rupp, Liber Amicorum Häberle, S. 731 (737), nennt das Vorgehen des NWVerfGH denn auch „ein zur Willkür neigendes Verfahren“. 202 Siehe Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 44, und Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (132), beide im Anschluß an Kloepfer, JZ 1985, S. 685 (692: „Wesentlich ist, was das BVerfG dafür hält“); Pieroth, SZ v. 20.2.1999, S. 2 („Das Gericht hat seine Grenzen überschritten“), zustimmend Sendler, NJW 1999, S. 1232 (1233). 203 Siehe insbesondere Isensee, JZ 1999, S. 1113 ff. 204 So die Kritik Böckenfördes, NJW 1999, S. 1235 (1236), dem ausdrücklich zustimmend Hoog, NordÖR 1999, S. 277 (279); ebenso Aulehner, JA 2000, S. 23 (26). 205 Sendler, NJW 1999, S. 1232 (1232). 200

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Besorgnis des Gerichts zu finden ist, die (Ressortierung der) Gerichtsverwaltung könne Einfluß auf die Rechtsprechung und deren Unabhängigkeit haben208; im Gegenteil: Vielmehr wird die Entscheidung des NWVerfGH selbst als Fehlgebrauch der Unabhängigkeit gebranntmarkt209. Im Ergebnis ist daher der Eindruck prägend, daß in juristischen Fachkreisen, jedenfalls außerhalb der Richterschaft, die richterliche Unabhängigkeit weniger als Opfer, sondern mehr als Ursache rechtsstaatlicher Gefährdungen betrachtet wird210. Gänzlich fehlt auch das verfassungsrechtliche Verständnis für das, was für den NWVerfGH entscheidender Gesichtspunkt war: der Zusammenhang zwischen Rechtsprechung und Gerichtsverwaltung als der „Schnittstelle zweier Gewalten“. Entscheidungen im Bereich der Rechtsprechungsverwaltung berühren per se die Rechtsprechung und sind daher geeignet, auf deren Unabhängigkeit beeinflussend zu wirken211. Auf diesem Umstand, daß es bei der Frage der Ressortierung der Rechtsprechungsverwaltung um mehr geht als nur die Regierungs- oder Behördenorganisation, fußt die gesamte Argumentation des Gerichts, die zwangsläufig keine Gefolgschaft finden kann, wenn man die Bedeutung dieser Basis unterschätzt, jedenfalls aber anders bewertet212. Die Garantie des Art. 97 GG wird mit der Realität per se gleichgesetzt; Beeinträchtigungen 206 So Erbguth, NWVBl. 1999, S. 365 (365); ebenso Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (127: „herbe Kritik“). 207 Siehe deutlich schon vor der Entscheidung Sendler, NJW 1998, S. 3622 ff., und danach ders., NJW 1999, S. 1232 ff.; Brinktrine, Jura 2000, S. 123 ff.; Isensee, JZ 1999, S. 1113 ff.; Menzel, NWVBl. 1999, S. 201 ff.; Hoog, NordÖR 1999, S. 277 ff.; abwägend Rudolph, NJW 1998, S. 3094 ff.; zustimmend hingegen Erbguth, NWVBl. 1999, S. 365 ff.; v. Arnauld, AöR 124 (1999), S. 658 ff. 208 Exemplarisch Wieland, DVBl. 1999, S. 719 (720); s. a. Classen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG III, Art. 92 Rn. 56; idealtypisch auch die Äußerung von Thoma (s. FN 223); Ausnahme aber Erbguth, NWVBl. 1999, S. 365 (366), und wohl auch C. Arndt, NordÖR 1999, S. 272 (276 f.); abwägend Rudolph, NJW 1998, S. 3094 f. Ganz anders aus Sicht eines Gerichtspräsidenten van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 ff. 209 Zuspitzend Sendler, NJW 1999, S. 1232 (1235): „Sollte das Urteil ungewollt erkennen lassen, daß die Unabhängigkeit der Richter durch diese selbst gefährdet ist?“; auch Menzel, NWVBl. 1999, S. 201 (207), sieht in der Entscheidung selbst einen Beleg für die Beeinflußbarkeit des Richters; ebenso der unterlegene Ministerpräsident Clement, der den Richtern „berufsständischen Geist“ vorwarf, s. taz v. 13.2.1999, S. 12, und FAZ v. 12.2.1999, S. 3; s. a. nochmals Sendler, ebd., S. 1234: „im Interesse der eigenen Kaste“. Zur Einflußnahme Clements auf die Einzelfallrechtsprechung s. deutlich kritisch AG Duisburg, NZI 2002, S. 556 (559 f.); dazu zurückhaltend Uhlenbruck, NJW 2002, S. 3219 (3220). Freilich wird Clement (im Fall der Anklage gegen Mannesmann-Manager) auch zu wenig Einflußnahme vorgeworfen, vgl. Guttmann, DRiZ 2004, S. 139. 210 Nicht der Schutz oder die Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit wird als Problem hervorgehoben, sondern akuter scheint hier die Sorge um einen verfassungsrichterlichen „Einbruch in die Organisationsgewalt des Ministerpräsidenten“ zu sein, vgl. den Schlußsatz von Menzel, NWVBl. 1999, S. 201 (207); ebenso Wieland, DVBl. 1999, S. 719 (721). 211 NWVerfGH, NJW 1999, S. 1243 (1246).

III. Die defizitäre Problematisierung

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werden nicht erwogen, da sie ja verfassungsrechtlich verboten sind213; man nimmt das „Ideal für die Wirklichkeit“214. Dabei hat sogar der verfassungsändernde Gesetzgeber die Interdependenzen zwischen Ressortierung der Gerichtsverwaltung und den Richtern anerkannt und für so gewichtig gehalten, daß er für eine mögliche Wehrstrafgerichtsbarkeit die Zuordnung zum Bundesminister der Justiz ausdrücklich festgelegt hat (Art. 96 Abs. 2 S. 4 GG )215. Freilich darf nicht übersehen werden, daß es dabei nicht (nur) um die Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit ging, sondern insgesamt eine „Dominanz des Militärischen“216 in der Wehrstrafgerichtsbarkeit verhindert werden sollte. Gleichwohl unterstreicht die Kodifizierung das anerkannte Einflußpotential der Verwaltung auf die Rechtsprechung insgesamt217. Im Ergebnis lassen sich die „klassischen“ Charakteristika einer justizspezifischen Diskussion dahingehend zusammenfassen, daß sich die Richterschaft einerseits sowie Rechtsprechungsverwaltung andererseits, flankiert durch die rechtswissenschaftliche Literatur, gegenüberstehen. Gegenstand der inhaltlichen Auseinandersetzung sind die abstrakten Rechtsprinzipien der richterlichen Unabhängigkeit, der Gewaltenteilung und des Rechtsstaats, aus denen die Richterschaft mangels anderer, spezieller „Ressourcen“ im Grundgesetz konkrete Folgerungen im Sinne eines Veränderungsverbots ableitet, während die „Gegenseite“ diese Konkretisierungen als zu weitreichend ablehnt und damit konkludent den Spielraum der typischerweise aktiven Rechtsprechungsverwaltung erweitert. Dabei herrscht auf Seiten der fachkundigen „Nicht-Richter“ eine streng formale Betrachtung vor, die „verfassungsrechtlich blauäugig“218 und ohne Gespür für das Einflußpotential der Rechtsprechungsverwaltung aus der durch Art. 92, 97 GG grundgesetzverbürgt fehlenden Rechtsprechungskompetenz der exekutiven Gerichtsverwaltung auf deren generelle „Ungefährlichkeit“ für die Rechtsprechung schließt219. Die strukturell unvermeidliche (Teil-)Kongruenz des objektiven rechtsstaatlichen Interesses an einer unabhängigen Rechtsprechung und den subjektiven „Vorteilen“ für die Richterschaft erzeugt dabei 212 Vgl. etwa Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1115); Brinktrine, Jura 2000, S. 123 (128); Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, S. 673 (678), sprechen von „beschränkten Einflußmöglichkeiten der Exekutive“ (zur Realitätsferne dieser These s. unten § 2 V.); anders aber v. Arnauld, AöR 124 (1999), S. 658 (668 ff.). 213 Symptomatisch Isensee, JZ 1999, S. 1113 (1115), ebenso Wieland, DVBl. 1999, S. 719 (719); Schoch, Übungen, S. 350. Dagegen aber zutreffend W. Geiger, DÖV 1950, S. 519 (520), und ders., EhrenG Heusinger, S. 53 (53). 214 Was typischerweise eine richterliche Eigenschaft darstellt, vgl. Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (161). 215 Vgl. dazu Steinkamm, Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 304 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 96 Rn. 24. 216 So Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 96 Rn. 13. 217 Krit. speziell zum gemeinsamen Innen- und Justizminsiterium jüngst auch Eylmann/Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 56. 218 Erbguth, NWVBl. 1999, S. 365 (368).

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regelmäßig jedenfalls unterschwellig den Vorwurf des richterlichen Handelns (auch) zum eigenen Vorteil und damit einer Fehlinterpretation der richterlichen Unabhängigkeit zu eigenen Gunsten220. 1. Insbesondere: Entscheidende, aber spekulative Annahmen über die Gefährdung richterlicher Unabhängigkeit Letztlich wird die Debatte also von zwei grundsätzlich unterschiedlichen Positionen aus geführt, hinter denen eine diametral entgegengesetzte Bewertung der Realität steht: Werden richterliche Entscheidungen auch nach den Erwartungen der Dienstvorgesetzten bis hin zu den (Justiz-)Ministern getroffen oder spielen solche Erwägungen keine nennenswerte Rolle? Anders formuliert: Ist davon auszugehen, daß eine beachtenswerte Zahl von richterlichen Entscheidungen anders ausgegangen wäre, wenn es keine exekutive Rechtsprechungsverwaltung gäbe, weil der Richter sich als Beamter fühlt, der in „einem vorauseilenden Gehorsam“ mehr auf das Wohlwollen seiner Vorgesetzten achte, als seiner Unabhängigkeit lieb sein könne?221 Für den einen ist dies „evident“222, für den anderen „nicht nur nicht evident, sondern unwahrscheinlich“223. Das Dilemma jeder (potentiellen) Antwort ist ihre spekulative Basis. Weder das eine noch das andere läßt sich empirisch nachweisen. Objektiv kann nicht festgestellt werden, ob der Tenor eines Urteils oder sein Zustandekommen von „Verwaltungs- oder Präsidentenorientierung“ getragen ist. Aussagekräftig wäre nur eine Befragung der Richter über ihre subjektive Einschätzung, deren Ergebnis aber kaum eine brauchbare Aussage zuließe: Denn es blieben zum einen stets erhebliche Zweifel an der Ehrlichkeit in diesem höchstsensiblen Bereich des richterlichen Berufsethos224, zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich jeder im Einzelfall bewußt ist, welche Abhängigkeitsfaktoren 219 Daher wundert es nicht, wenn für den Beleg der „Gesundheit der Justiz“ als Zeugen fünf Professoren, aber kein Praktiker des Gerichtsalltags genannt werden, vgl. Neumann, DRiZ 1999, S. 414. 220 So jetzt auch in BR-Drs. 186/03, Anlage, S. 2, 5; dazu Wittreck, NJW 2004, S. 3011 3014 f.); vgl. aber unten § 3 II. 1. 221 So die Richterin des Bundesverfassungsgerichts, R. Jaeger, nach einem Bericht der SZ v. 19.11.2002, abgdr. in DRiZ 2003, S. 18, auf der Tagung des Goethe-Instituts Turin „Rechtsraum Europa. Zur europäischen Union der Justiz“ am 8./9.11.2002. 222 Van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 (55). 223 Thoma, Rechtsgutachten, JöR 6 (1957), S. 161 (191); s. auch jüngst Zimniok, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 172 (172), der berichtet, daß die Meinungsäußerungen in der Arbeitsgruppe zur Selbstverwaltung der Gerichte des Verwaltungsrichtertages 2001 dahin gegangen seien, daß im Bereich der Spruchtätigkeit der Gerichte eine Einflußnahme des Dienstherrn noch nicht erfahren worden sei (erwägenswert bleibt aber auch die Alternative, daß die Einflußnahme nicht bemerkt wurde). Im Ergebnis ebenso Schoch, Übungen, S. 347. 224 Ebenso T. Groß, ZRP 1999, S. 361 (361).

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im Moment der Entscheidung wirksam werden. Nicht jeder, der sich für unabhängig hält, ist es auch. Vielmehr ist hier von durchaus graduellen Unterschieden auszugehen, wie sie in der Erkenntnis zum Ausdruck kommen, daß ein Richter nur in dem Maße unabhängig sei, „wie er sich seiner Abhängigkeiten bewußt geworden ist“225. Die Justiz stellt sich daher als durchaus anonyme und kryptische Einrichtung dar. Nicht nur, daß kaum jemand außerhalb spezialisierter Fachkreise die Namen auch höchster Bundesrichter kennt; insgesamt ist das Geschehen hinter den Mauern eines Gerichts nach außen hin, trotz der so zentral thematisierten Öffentlichkeitsvorschriften der §§ 169 ff. GVG, deren Verletzung ohne jeglichen Kausalitätsnachweis jedes Urteil zu Fall bringt (s. nur § 138 Nr. 5 VwGO), weithin unbekannt. Die Rechtsprechung und ihre organisatorischen Einrichtungen, die Gerichte, erscheinen in der Tat als „autistische Gewalt“226: „Der Richter wünscht anonym zu sein. (. . .) Er setzt seinen Namen undeutlich unter sein Urteil, hat ein Schriftsteller gesagt, und er führt das nicht auf Nachlässigkeit zurück, sondern auf eine Scheu vor Verantwortung. Er irrte, aber nur zum Teil, denn allerdings: zur Rechenschaft will der Richter nicht gezogen werden. Deshalb hätte er nichts gegen die Streichung seines Namens im Sitzungsprotokoll, nichts gegen seine Auslöschung im Urteil.“227

Die Gerichtsorganisation kommt im Fächerkanon der universitären Juristenausbildung und dementsprechend in den Lehrbuchinhalten228 kaum vor; spezielle Lehrbücher zu diesem Thema haben augenscheinlich keinen wirklichen Markt229. Dies galt schon, als das Ausbildungsziel der Befähigung zum Richteramt auch inhaltlich noch gänzlich unangefochten und noch nicht durch anwaltsspezifische Besonderheiten alternativ ergänzt bzw. abgelöst war230. Symptom 225 Schmid, Unbehagen, S. 101, der dies jedoch hinsichtlich der bisher unzureichend erkannten „inneren“ Unabhängigkeit formuliert; sinngleich schon Kaufmann, FS Peters, S. 295 (306); wörtlich ders., NJW 1988, S. 2581 (2582); ihm folgend R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 5; H.-E. Böttcher, SchlHA 2003, S. 83 (84). 226 So Lamprecht, DRiZ 1992, S. 237. 227 Beradt, Der deutsche Richter, S. 7, 9; dies dürfte sich seit 1929 nicht geändert haben. 228 Siehe etwa jüngst Badura, Staatsrecht, der dem nicht einmal zwei Seiten (von 904; Kap. H Rn. 4–6) widmet und bei Lit.-Hinweisen in Kap. H Rn. 9 bzw. 12 die Neuauflagen von Kissel, GVG (zit. 2. Aufl. 1988 statt 3. Aufl. 2001), und SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG (zit. 4. Aufl. 1988 statt 5. Aufl. 1995) wohl mangels Interesse (sieben bzw. zwei Jahre lang) übersehen hat. 229 So harrt Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige, 6. Aufl. 1987, seit 17 Jahren einer Neuauflage, Fortführung oder Alternative im sonst so lückenlosen Beck-Verlagsprogramm; dessen einzige Parallele, Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, hat zwar kürzlich die 3. Aufl. erreicht, brauchte hierfür seit der zweiten immerhin neun Jahre und über 30 Änderungen des GVG (s. ebd., S. V). 230 Siehe dazu etwa Römermann/Paulus, Schlüsselqualifikation; Römermann/Hartung, Die Anwaltsstation.

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dieser mangelnden Kenntnisse, jedenfalls des diesbezüglichen nur rudimentären Bewußtseins und Interesses auch in der Wissenschaft231, ist die fehlende Differenzierung bezüglich der Justiz/Gerichte, die die Tatsache, daß in den Gerichtsgebäuden zum großen Teil exekutive Gewalt ausgeübt wird, kaum würdigt232. Nur so läßt sich auch erklären, daß Äußerungen der Wissenschaft das Gefährdungspotential und die (täglich realisierten) Einflußmöglichkeiten der Rechtsprechungsverwaltung nur oberflächlich berücksichtigen oder gar negieren233. Wie auch im Fehlen einer Justiz- oder Rechtsprechungslehre im Gegensatz zur Verwaltungs- und Gesetzgebungslehre zum Ausdruck kommt, ist das Innere der Gerichte für die Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft oder die empirische Sozialforschung weithin unbekanntes Terrain234: „Bis heute gibt es aber noch keinen Lehrstuhl, der sich mit dem Berufsrecht der Richter und der Organisation der rechtsprechenden Gewalt befaßt.“235 Die zum Teil erschreckenden Erkenntnisse bezüglich der Hierarchisierung der innergerichtlichen Strukturen der bisher wohl einzigartigen Untersuchung von Treuer u. a.236 sind zum 231 Krit. dazu auch Dury, DRiZ 2004, S. 239 (241). Gerade die Vertreter des Öffentlichen Rechts sehen in der forensischen Praxis wohl allzu sehr das Gegenteil von (höherwertiger) theoretisierender Wissenschaft, was etwa hinsichtlich des Anspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG auf Rechtsschutz in angemessener Frist zu deutlichen Defiziten geführt hat. Hierauf weist zutreffend Schmidt-Aßmann, FS Schmitt Glaeser, S. 317 (331), hin. Vgl. zur Praxisbezogenheit als Qualitätsmerkmal Schulze-Fielitz, JöR (n. F.) 50 (2002), S. 1 (13 ff.). Als professorale Ausnahme muß aber stellvertretend etwa Klaus F. Röhl genannt werden, dessen Kenntnis von den internen gerichtlichen Vorgängen zudem durch den vergleichenden Blick in die USA besondere Qualität gewinnt. 232 So zutreffend Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (413). 233 Weiteres Indiz für das Desinteresse (und ensprechende Kompentenzdefizite?) der Wissenschaft ist auch die personelle Struktur der Kommentatoren des GVG, die sich durchweg aus der Richterschaft und vor allem der Rechtsprechungsverwaltung rekrutieren: PräsBAG (a.D.) Kissel, GVG; PräsBGH (a.D.) Pfeiffer, KK-StPO; § 1–21 GVG; ders., StPO und GVG; VRiBGH (a.D.) Meyer-Goßner, StPO und GVG; PräsOVG (a.D.) Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 1 ff. GVG; PräsBayObLG Gummer, in: Zöller, ZPO, §§ 1 ff. GVG; VRiOLG (a.D.) Thomas und VPräsBayObLG (a.D.) Putzo, in: dies., ZPO23; RiOLG Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO25; MR im BMJ Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht; PräsOLG (a.D.) R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg, StPO, §§ 1 ff. GVG; gleiches gilt für das Dienstrecht der Richter, MD im BMJ (a.D.) Schmidt-Räntsch/RD im BMJ SchmidtRäntsch, DRiG; PräsBVerwG (a.D.) Fürst, GKÖD; ders., in: Fürst/Mühl/Arndt, DRiG; Kissel, ebd.; Albers, ebd., §§ 1 ff. DRiG. Ausnahmen finden sich lediglich in Person von Univ.-Prof. Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Band 5, § 1 ff. GVG; Univ.Prof. Wolf, in: MüKo-ZPO, § 1 ff. GVG. Aber selbst manche GG-Kommentare greifen für die Kommentierung des IX. GG-Abschnitts auf (ehemalige) Richter zurück, s. VRiBSG Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92, 97, 98; PräsOLG (a.D.) Wassermann, in: AK-GG, Art. 92, 97. 234 Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (9). 235 Bilda, JR 2001, S. 89 (93). 236 Treuer u. a., Arbeitsplatz Gericht.

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einen Indiz dafür, daß der von Georg August Zinn erhoffte Abschied vom Richter als kleinem Justizbeamten237 auch weit über 50 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes noch nicht eingetreten ist238. Sollten sich diese Befunde verallgemeinern lassen, dürfte dies nicht ohne Auswirkungen auf die Auslegung des Art. 97 GG bleiben. Denn dann reichten die jetzigen Sicherungen der richterlichen Unabhängigkeit offensichtlich nicht aus239. Die Fachzeitschriften sind voll von Urteilen zumeist der Ober- und Bundesgerichte, deren Entscheidungen aber nur unter der Perspektive der Anwendung des materiellen Rechts betrachtet werden. Die Hintergründe der Entstehung der Entscheidungen werden höchstens ansatzweise beleuchtet, was schon allein dadurch bedingt wird, daß diese Entstehungsbedingungen prinzipiell unbekannt bleiben und vor allem auch durch das Beratungsgeheimnis streng geschützt sind. Der Lamprechtsche Vorwurf, die Richter setzten ohne Selbstkritik entsprechend der deskriptiven Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG den Ist- per se mit dem Soll-Zustand gleich240, trifft so exakt auch die Vertreter der Wissenschaft: Weil die Richter nach dem Gesetz unabhängig sind, muß zwangsläufig auch automatisch jede ihrer Entscheidungen unabhängig ergangen sein, so daß es nur noch darauf ankommt, die Anwendung des Rechts in der Entscheidung als solche zu betrachten241. Indiz hierfür ist auch, daß typischerweise weder die Berufung selbst der höchsten Bundesrichter in der Öffentlichkeit thematisiert wird242 (mit Ausnahme von Einzelfällen am Bundesverfassungsgericht). Der von Beradt beschriebene Wunsch des deutschen Richters nach Anonymität243 ist – nicht zuletzt dank der Wissenschaft – längst Wirklichkeit geworden244. Die Fokussierung des rechtswissenschaftlichen Blickes auf das materiellrechtliche Ergebnis der Entscheidung scheint besonders mit der Ferne der 237

Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (58). Dies korrespondiert mit der verwunderten Erkenntnis Papiers, NJW 2001, S. 1089 (1094), daß man „offenbar selbst nach 50-jähriger Geltung des Grundgesetzes wieder“ darauf hinweisen müsse, daß richterliches Handeln nur durch Rechtssatz gesteuert werden dürfe. 239 Mit diesem Ergebnis und ähnlicher Herleitung auch R. Jaeger, ZRP 2003, S. 468 ff. 240 Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (161). 241 Kaupens Versuch, die Entstehung gerichtlicher Entscheidungen mit der gesellschaftlichen Sozialisation der Richterschaft zu verknüpfen, hat kaum Gefolgschaft gefunden; vgl. Kaupen, Hüter, passim. 242 Der Fall des BGH-Richters Nes ˆkovic´ (vgl. unten § 2 V. 3.) ist hier eindeutig die die Regel bestätigenden Ausnahme. 243 Siehe zuvor FN 227. 244 Obwohl die obersten Bundesgerichte dies etwa bei den neuerdings üblichen Veröffentlichungen von Entscheidungen im Internet gegenteiliges praktizieren und die beteiligten Richter nennen. Gleichwohl darf man davon ausgehen, daß fast kein Examenskandidat in der Lage wäre, die Mitglieder eines Senats des BVerfG vollständig aufzuzählen, geschweige denn eines BGH- oder BVerwG-Senats. 238

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Hochschullehrer von forensischer Praxis in Zusammenhang zu stehen245 und kommt auch in der regelmäßigen Beschränkung des Blickfeldes auf die obersten Bundesgerichte246 zum Ausdruck: Sie sind sämtlich Revisionsgerichte und daher nur mit als feststehend geltenden Tatsachen konfrontiert. Die im Entscheidungsalltag des durchschnittlichen Richters zentralen Probleme der Sachverhaltsfeststellung geraten so völlig aus dem Blickfeld, was auch durch die Zwecksetzung von (Rechts-)Wissenschaft, abstrahiert vom Einzelfall Systembildung zu betreiben247, zusätzlich gefördert wird. Denn Beweisfragen sind regelmäßig solche des konkreten Einzelfalls und daher für wissenschaftliche Strukturierung von geringem Erkenntnisinteresse248. Dies erzeugt augenscheinlich auch eine eingeschränkte Bewertung der NSM in den Gerichten. Wenn erst einmal klar ist, von welchem Sachverhalt man auszugehen hat, dann ist die materielle Entscheidung nur noch ein intellektueller Vorgang der Gesetzesanwendung. Die von den NSM zum Steuerungsobjekt erklärten Modi der Leistungserbringung erscheinen dann fast völlig rechtsprechungs- und damit unabhängigkeitsirrelevant. Der Richter muß dann nur noch etwas „schneller“ denken und das Erkannte zu Papier, in eine Datei oder auf das Tonband bringen. Dies vernachlässigt zunächst das notwendige Zeiterfordernis qualitativ guter geistiger Arbeitsleistung. Wesentlich bedeutsamer ist jedoch die darin liegende Verkennung verfahrensbezogener Determinanten der inhaltlichen Entscheidung. Der Weg zur zugrunde zu legenden „Wahrheit“ bestimmt das Ergebnis nahezu jeden Prozesses: Dies beginnt schon bei der Frage des Zugangs zum Gerichtsverfahren, wenn es sich um einen finanziell bedürftigen Kläger handelt: Hier ist zunächst die kostenträchtige Frage der PKH-Bewilligung zu entscheiden. Im Prozeß kommt es bei streitigen Sachverhalten auf die Beweiserhebung an, die – besonders in PKH-Fällen – einerseits Geld kostet, andererseits Zeitverluste249 und Verfahrensverzögerungen verursacht. In Prozessen mit Beibringungsgrund-

245 Von der zahlenmäßig aber beschränkten Wahrnehmung der Option des § 16 VwGO abgesehen. 246 Indiz hierfür ist auch die Veröffentlichungsdichte der verschiedenen Gerichte (für alle Gerichtsbarkeiten dokumentiert bei Walker, Publikation, S. 76 ff. Beispielhaft sei auf die Verwaltungsgerichte in 1993 verwiesen: In juris wurden hier 479 [0,88%] der streitigen VG-Urteile veröffentlicht, 1.272 [20,57%], der OVG/VGH-Urteile und 376 [75,98%] der BVerwG-Urteile); s. a. zsfssd. ders., FS juris, S. 197 ff. 247 Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 36 (2003), S. 421 (423 ff.); ders., JöR (n. F.) 50 (2002), S. 1 (13 ff.). 248 Vgl. oben FN 231. 249 Siehe hierzu P. Kirchhof, FS Doehring, S. 439 (439), der davon ausgeht, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör einer staatlichen Beschränkung des verfügbaren Zeitbudgets Grenzen setzt; einschränkend Eylmann/Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 39; zum Druck durch die Zeitvorgaben infolge Pebb§y nun Herrler, DRiZ 2004, S. 239 ff.

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satz bedarf es des Vortrags von Tatsachen: Hier besteht regelmäßig großer Spielraum, ob der Richter bei der „Auslegung von Anwaltsschriftsätzen“ bestimmte Dinge als vorgetragen interpretiert; verneint er dies, ergibt sich leicht die Unschlüssigkeit einer Klage oder die Unstreitigkeit einer Tatsache, was ohne weiteren Aufwand zur Klageabweisung oder jedenfalls zum Verzicht auf eine Beweisaufnahme führt. Auch im Verwaltungsprozeß mit dem noch geltenden Grundsatz der Amtsermittlung (§ 88 VwGO) finden sich entsprechende Situationen: Nach § 87b Abs. 1, 2 VwGO „können“ dem Kläger Fristen gesetzt werden zur Angabe von Tatsachen und Beweismitteln sowie der Abgabe von Erklärungen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist „kann“ das Gericht diese gem. § 87a Abs. 1 Nr. 1 VwGO zurückweisen, „wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde“. Auch hier stehen dem Gericht erhebliche Möglichkeiten offen, die Kosten eines Verfahrens und seine Dauer nach seinem gleich mehrfach eröffneten Ermessen zu steuern, indem es die Fristen setzt oder nicht, die Beweismittel zuläßt oder nicht. Geradezu ein Paradebeispiel war hier (anfangs) auch die Erfindung der Zulassungsberufung, bei der die völlig divergierende Handhabung der Zulassungspraxis der OVG/ VGH wie auch verschiedener Senate250 innerhalb eines Obergerichts in seltener Deutlichkeit belegt, welchen Spielraum der Gesetzgeber eingeräumt hat, der sodann nicht nur das Ergebnis des Verfahrens richterlichem Ermessen anheimgibt, sondern den Zugang zum (Berufungs-)Verfahren selbst. Diese Beispiele zeigen, daß das materielle Ergebnis eines Rechtsstreits (mit)bestimmt wird durch das Verfahren seiner Entstehung. Wer also auf den Modus der richterlichen Leistungserbringung Einfluß nimmt, steuert die Determinanten des Ergebnisses. Hier soll nun nicht eine unumstößliche Kausalität exekutiver Wünsche für richterliches Entscheiden behauptet werden – jedenfalls nicht als breitenwirksames Prinzip, auch wenn es zahlreiche Indizien dafür gibt wie etwa zuvor zitierte Mut-These des Gerichtspräsidenten251. Zu konstatieren ist jedoch, daß es diesbezüglich keine gesicherten Erkenntnisse gibt, auf deren Basis man rechtswissenschaftliche Bewertungen hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit treffen könnte. Jenseits überschwenglicher Lobeshymnen auf dieses rechtsstaat-

250 Siehe die eindringliche Beschreibung der Divergenzen bei M.-J. Seibert, NVwZ 1999, S. 113 (113 f.). Wie mißlich diese Situation gewesen sein muß, zeigt auch die Entscheidung des Gesetzgebers, sie mit einem Vorlageverfahren zum BVerwG zu beseitigen, s. § 124b VwGO i. d. F. des RmBereinVpG vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3987 ff.); Divergenzen zwischen verschiedenen Senaten desselben Gerichts finden sich aber auch infolge der ZPO-Reform beim BGH, vgl. Nasall, NJW 2003, S. 1345 (1345 ff.). 251 Siehe oben FN 192.

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liche Prinzip252 herrscht daher Unsicherheit über seine empirischen Grundlagen und Situationen, derer es Herr werden soll. 2. Die problematische Lückenhaftigkeit des Grundgesetzes und der geringe Grad an Wissen um die „notwendige“ Stellung des Richters Ausgangspunkt und Ursache der Kontroverse angesichts der anstehenden Reformen der Rechtsprechung(sorganisation) ist die Notwendigkeit, verfassungsrechtliche Schlußfolgerungen aus einer besonders „dünnen“ textlichen Unterlage zu ziehen. Die Lückenhaftigkeit des Grundgesetzes hinsichtlich der Rechtsprechung wird daran deutlich, daß sich weder eine Definition des Begriffs „Richter“ oder „Gericht“253 findet, noch eine erschöpfende Regelung ihres Verhältnisses zu den übrigen Staatsorganen oder eine konkrete Umschreibung oder Festlegung des Bereichs, in dem der Richter unabhängig ist254 (sein soll)255. Dies ändert jedoch nichts daran oder ist vielleicht sogar Voraussetzung dafür, daß über die rechtlichen Schlußfolgerungen aus dem Prinzip der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit mit besonderer Überzeugung von der ausschließlichen Richtigkeit der eigenen Position gestritten wird. Beredtes Beispiel sind etwa die zitierten Bewertungen bezüglich einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch die ministerielle Rechtsprechungsverwaltungskompetenz von „evident“ und „unwahrscheinlich“256. Allerdings erscheint diese umgekehrte Proportionalität von geringer Detailregelung zu hohem Grad der eigenen Überzeugung als strukturelles Problem der Rechtswissenschaft257. Insofern nährt auch die hier behandelte Thematik geradezu idealtypisch die schon vor mehr als 150 Jahren formulierte von Kirchmannsche Skepsis gegenüber der „Jurisprudenz als Wissenschaft“: „Setzt man die Vergleichung fort, so zeigt sich eine neue Eigentümlichkeit des Gegenstandes der Jurisprudenz darin, daß das Recht nicht bloß im Wissen, sondern auch im Fühlen ist, daß ihr Gegenstand nicht nur im Kopfe, sondern auch in der 252

Siehe unten bei § 3 II. 1. Vgl. Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, Vor § 1 GVG Rn. 7. 254 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (169). 255 Vgl. Kern, Geschichte, S. 292, der nach Aufzählung rechtsprechungsspezifischen Vorschriften lapidar feststellt: „Das ist recht wenig.“ 256 Vgl. oben FN 222, 223. 257 Eine Parallele bildet die Diskussion über den rechtlich äußerst komplexen Bereicherungsausgleich im Mehrpersonenverhältnis gem. dem hochabstrakt formulierten § 812 Abs. 1 BGB; hierzu stellt treffend Lieb, Jura 1990, S. 359 (359), fest, daß mit „hoher subjektiver Rechtsgewißheit“ gestritten werde. Insofern scheint gerade die Rechtswissenschaft die Richtigkeit eines Aphorismus’ von Ernst R. Hauschka zu belegen: „Je weniger der Mensch weiß, desto rascher und sicherer und endgültiger fällt er seine Urteile“. 253

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Brust des Menschen seinen Sitz hat. Die Objekte anderer Wissenschaften sind von diesem Zusatz frei. (. . .) Die eine oder die andere Antwort ist gleich willkommen, nur die Wahrheit wird verlangt. Im Recht dagegen, welche Erbitterung, welche Leidenschaften, welche Parteiungen mischen sich in die Aufsuchung der Wahrheit! Alle Fragen des öffentlichen Rechts sind davon durchzogen. (. . .) hier und beinahe überall im Recht hat das Gefühl sich schon für eine Antwort entschieden, ehe noch die wissenschaftliche Untersuchung begonnen hat.“258

Auch wenn das zitierte „öffentliche Recht“ hier besonders anfällig zu sein scheint259, ist auch die – insoweit allgemein weniger gefährdete Zivilrechtsdogmatik260 – nicht gänzlich frei davon, was etwa der BGH „mit erfrischend offener Deutlichkeit“261 belegt, wenn er – die Rechtslage für irrelevant erklärend – formuliert: „Wie auch immer der dem Streitfall zugrundeliegende Sachverhalt rechtsdogmatisch einzuordnen sein mag, so muß nach Auffassung des Senats das Ergebnis jedenfalls sein, daß der Kl. (. . .) den bekl. Rechtsanwalt auf Ersatz des ihm (. . .) entstandenen Schadens in Anspruch nehmen kann.“262

Da das Gefühl aber „nie und nirgends ein Kriterium der Wahrheit“ ist, muß sich deren Aufsuchung von ihm befreien263, was wohl am besten gelingen kann, 258 Von Kirchmann, Wertlosigkeit, S. 18 f. Vgl. auch Kaufmann, FS Peters, S. 295 (304), demzufolge dem Richter nicht genüge, was ihm „objektiv gegeben“ sei; er müsse vielmehr erst eine konkretisierte Norm und einen qualifizierten Sachverhalt „herstellen“. 259 Hierzu dürfte aktuell auch die biomedizinische Forschung und ihr (vermeintlicher?) Verstoß gegen die Würdegarantie des Grundgesetzes Beleg sein (dazu jüngst Schulze-Fielitz, Liber Amicorum Häberle, S. 355 [364 ff.]); vgl. das Zitat von Schuchardt, sogleich FN 260. S. jüngst auch treffend Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (118), der die zentrale Bedeutung des Vorverständnisses vom Staat für die Entscheidungen des Verwaltungsrichters betont. 260 Dazu V. Schmidt, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Grundrechte, S. 85 (87), der aus einem Kolloquium zum Thema Zivilrecht und Grundrechte die dortige Auffassung referiert, Zivilrecht sei in seiner Anwendung und Auslegung „politisch“ weniger anfällig, große Worte seien für den Zivilrechtler störend, sie lenkten von der fein gesponnenen Struktur dieses Rechts ab; gleichsinnig Schuchardt, in: Vierzig Jahre Dritte Gewalt, S. 25: „Die Lösung eines zivilrechtlichen Falles mittels sauberer rechtlicher Konstruktion bringt häufig ,weniger Unglück‘ als z. B. eine Fallösung über § 242 BGB i. V. m. Artikel 1 GG“. Vor dem „Unglück“ als Folge eines Rückgriffs auf die Verfassung wird auch im Hinblick auf das Straf(prozeß)recht gewarnt, vgl. H. Seibert, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Grundrechte, S. 206 (211); krit. zur „Dominanz der Grundrechte für die gesamte Rechtsordnung“ jüngst Rittner, JZ 2004, S. 293. 261 Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus, S. 104. 262 BGH, NJW 1977, S. 2073 (2074); aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts folgerichtig applaudierend Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus, S. 104. 263 von Kirchmann, Wertlosigkeit, S. 19; er fügt sodann allerdings hinzu, dies vermöge „bei den Untersuchungen des Rechts beinahe niemand“; Baur, Justizaufsicht, S. 17, meint denn auch speziell zum Verhältnis richterlicher Unabhängigkeit und Justizaufsicht: „Weil die Spannung so stark ist, fehlen auch unsachliche, von der Leidenschaft diktierte Argumente nicht“.

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

wenn man sich den Text des Grundgesetzes vor Augen hält264, wobei natürlich auch damit die „Vorverständnisabhängigkeit juristischer Wissenschaft“265 weder praktisch noch theoretisch überwunden werden kann. Zentraler Anknüpfungspunkt für die Auslegung des Unabhängigkeitsbegriffs im Sinne des Grundgesetzes ist Art. 97 Abs. 1 GG, der sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips266 darstellt. Er enthält drei inhaltliche Aussagen: 1. Den Richtern wird – allerdings ohne nähere Konkretisierung – Unabhängigkeit garantiert. 2. Der Richter wird „dem Gesetz unterworfen“, das somit – unbeschadet des richterlichen Prüfungsrechts – zum verbindlichen Handlungsmaßstab gemacht wird. 3. Durch die Ausschließlichkeit der Bindung („nur“) an das Gesetz werden konkludent sonstige Bindungen verboten. Dieses Verbot richtet sich vornehmlich an die Exekutive, aber auch an die Legislative, soweit sie nicht als Gesetzgeber die in Art. 97 Abs. 1 GG niederlegte Gesetzesbindung aktualisiert267. Diesen Regelungsgehalten kommt an dieser Stelle jedoch weithin nur deklaratorischer Charakter zu. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Garantie der Unabhängigkeit als solcher, da dem Begriff des „Richters“, der Rechtsprechung im Sinne des Art. 92, 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG ausübt268, schon per se Unabhängigkeit zukommt, ohne die Rechtsprechung im Sinne des Rechtsstaatsprinzips nicht denkbar wäre269. Wie die gern zitierte270 Antrittsrede Feuerbachs als Prä264 Speziell für die Rechtspflege fordert dies Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 1. 265 Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 149, Fn. 868. 266 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 92 (1971) Rn. 2, bezeichnet die Grundsätze in Art. 92 ff. GG als „Wiederaufnahme und Konkretisierung der Fundamentalnorm des Art. 20 II Satz 2“; Wank, Jura 1991, S. 623 (624). 267 Zur Bindung an „Rechtsprechung“ s. sogleich unten § 2 III. 268 Der „Richter“-Begriff ist in Art. 92 und 97 GG insoweit identisch, Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 18; Art. 92 Rn. 51. 269 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 14, Art. 92 Rn. 25; in diesem Sinne auch Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, Vor § 1 (1989) Rn. 2; anders aber Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 4, unter Bezugnahme auf Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (529). 270 Dies gilt vor allem für „Nachfolger“ im Präsidentenamt der (bayerischen) „Appellationsgerichte“, s. nur vom OLG Bamberg R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 1, Fn. 3; ders., in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 27 (27); vom OLG Nürnberg Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (644, Fn. 17), ders., in: Frank (Hrsg.), Unabhängigkeit und Bindungen, S. 27 (36); und vom BayVGH Wittmann, FS Schmitt Glaeser, S. 363 (363); sowie vom BGH Pfeiffer, FS Bengl, S. 85 (85); ebenso aber auch (Präsident des Bayerischen Landesjustizprüfungsamtes a.D. und Richter des BVerfG a.D.) Niebler, in: Frank, ebd., S. 13 (25); und schon Schiffer, Deutsche Justiz, S. 246.

III. Die defizitäre Problematisierung

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sident des Appellationsgerichts in Ansbach vom 21. April 1817 zeigt, hat die Unabhängigkeit (und Selbständigkeit) schon eine lange Tradition als konstitutives Wesensmerkmal des Richterseins als solchem271 und gewinnt daher auch für die Interpretation des Grundgesetzes Bedeutung, da der Parlamentarische Rat sich gerade im Abschnitt über die Rechtsprechung (weitgehend) von bestehenden Vorverständnissen leiten ließ272: Der Begriff des „unabhängigen Richters“ erweist sich daher auch unter Geltung des Grundgesetzes als Pleonasmus. Gleiches gilt aber auch für die Unterwerfung unter das Gesetz, da die Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz bereits durch Art. 20 Abs. 3 GG festgelegt ist273 und nach allgemeiner Auffassung die bloße Erwähnung des „Gesetzes“ in Art. 97 Abs. 1 GG gegenüber auch dem „Recht“ insoweit keine eigenständige Bedeutung zukommt274, insbesondere keine Befreiung von der Bindung an ersteres darstellt. Ebensowenig läßt sich dem bildhaften Begriff „unterworfen“ eine besondere Charakterisierung der bestehenden Bindungen des Richters entnehmen. Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Ausschließlichkeit, mit der die Gesetzesbindung ausgesprochen wird. Soweit bereits in Art. 20 Abs. 3 GG die Bindungen der Rechtsprechung formuliert sind, findet sich, jedenfalls im Wortlaut, keine Beschränkung auf diese Bindung. Insofern wären auch andere Einflüsse abstrakt möglich. Dies belegt auch die Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG selbst, die nicht nur die Unabhängigkeit des Richters postuliert, sondern – insofern konkretisierend – nur den Einfluß durch das Gesetz von dieser Unabhängigkeit ausnimmt. Diese Wortlautbetrachtung läßt somit auch die logische Schlußfolgerung zu, daß eine Unabhängigkeit im Sinne des ersten Halbsatzes 271 Feuerbach, Würde des Richteramts, S. 8: „Der Richter empfängt, gleich dem Manne der Verwaltung, aus des Königs Hand sein Amt – aber ein Amt, das die Pflicht auf sich hat, keinem anderen Herrn zu dienen als der Gerechtigkeit, keinem anderen Willen zu gehorchen als dem Willen des Gesetzes. Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Richteramtes sind schon im bloßen Begriff von einem Richter so wesentlich enthalten, daß ein Gesetz oder eine Verordnung, welche den Richtern jene Selbständigkeit und Unabhängigkeit ausdrücklich zusicherte, dem Richter Amte nichts beilegen würde, was es nicht schon in sich selbst besäße, und bloß als ausdrückliche Anerkennung der Schranken der höchsten Macht, von Seite dieser selbst, nicht ohne alle Bedeutung sein würde.“ Ebenso Schiffer, Deutsche Justiz, S. 246: „Unabhängigkeit war schon mitgedacht, wo immer Richter gesagt wurde; Unabhängigkeit und Richteramt wurden identische Begriffe.“ 272 So daß sich die Verfassungsordnung hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit als Wechselwirkung zwischen dem Verfassungstext und überkommenen konkreten politischen Praktiken darstellt, vgl. W. Weber, FS Niedermeyer, S. 261 (261 ff.), der allerdings das Selbstverständnis des beamteten Richterstandes überbetont. 273 AK-GG-Wassermann, Art. 97 Rn. 43; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 21 m. ausf. Nw. in Fn. 84; Meyer, in: v. Münch, GG III, Art. 97 Rn. 10 („durch das Unterwerfungsgebot vervollständigt“). 274 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 83 ff.

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

auch dann noch denkbar wäre, wenn andere Bindungen als bloß die an das Gesetz im Sinne des zweiten Halbsatzes bestünden, da andernfalls auf die Erwähnung der ausschließlichen Gesetzesbindung hätte verzichtet werden können, jedenfalls in Form der parenthetischen Verknüpfung275. Wären also auf der Basis des Rechtsstaatsprinzips, wie es sich in Art. 20 Abs. 3 GG findet, noch verschiedene Bindungen des Richters denkbar gewesen, verändert sich dies durch Art. 97 Abs. 1 GG276, der „das Gesetz zum Alleinherrscher über den Richter“277 macht. Man kommt sodann nicht mehr umhin, die Unabhängigkeit im Sinne dieser Vorschrift als vollumfänglich zu betrachten278. In einer virtuellen „Sekunde Null“, bevor der einfache oder verfassungsändernde Gesetzgeber dann zwangsläufig279 tätig geworden ist, kann der Richter tun und lassen, was er will. Diese – zunächst – absolut zu denkende Unabhängigkeit hat ihre Ursache auch darin, daß ihr Ursprung, nämlich der Gewaltenteilungsgrundsatz, in der modernen Verfassungsinterpretation praktisch bedeutlungslos geworden ist und einen eigenen, von seinen Spezifizierungen unabhängigen operationablen Inhalt verloren hat. „Mangels Masse“ kommt es daher (gleichwohl280) zum Konkurs des Gewaltenteilungsprinzips im Hinblick auf eine Interpretation seiner Konkretisierung; eine Begrenzung des Inhalts der richterlichen Unabhängigkeit durch ihren übergeordneten Grundsatz scheidet somit aus. Da andere Normen, die die eindeutige Unabhängigkeitsformulierung konkreten Einschränkungen unterwerfen könnte, fehlen, bleibt Art. 97 Abs. 1 GG zunächst schrankenlos281. In dieser Situation steht es nun allein dem einfachen Gesetzgeber frei, durch Schaffung formellen und materiellen Rechts, insbesondere mittels Vorschriften über die Organisation der Gerichte und Rechtswege sowie das Prozeßrecht, die durch Art. 97 Abs. 1 GG ermöglichte Bindung des Richters zu aktualisieren und zu konkretisieren. Er ist dabei natürlich an die Vorgaben der Verfassung gebunden, die seiner Gestaltungsbefugnis Grenzen setzen. Wegen der bereits 275 Anders aber Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 97 (1977) Rn. 1, der eine Degradierung des zweiten Satzteils zur bloßen Legaldefinition der richterlichen Unabhängigkeit ablehnt. Er kommt jedoch dann zu einer anderen Form der Degradierung, wenn er davon ausgeht, daß die Positivierung der Bindung an das Gesetz als unnötige Wiederholung im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG nur aus der Tradition, in der Art. 97 Abs. 1 GG stehe (§ 1 GVG), erfolgt sei. 276 So auch Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (534): „Mit dieser Ausschließlichkeit geht Art. 97 I über Art. 20 III hinaus“. 277 Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (534). 278 In diesem Sinne auch Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 2. 279 Vgl. Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 2. 280 Um im hier verwendeten Bild korrekt zu bleiben, da gem. § 107 KO a. F. „mangels Masse“ die Eröffnung des Konkursverfahrens gerade abgelehnt werden mußte. 281 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 84.

III. Die defizitäre Problematisierung

63

beschriebenen zurückhaltenden Ausgestaltung im Grundgesetz selbst lassen sich diese Grenzen nur sehr schwer bestimmen. Nur in Art. 97 Abs. 2 GG finden sich nähere Bestimmungen über die persönliche Unabhängigkeit der planmäßig endgültig angestellten Richtern, die für sich aber ebenfalls nicht erschöpfend sind und insbesondere Laienrichter sowie Richter auf Probe oder kraft Auftrags in ihrem Wortlaut gar nicht erfassen. Verbunden mit dem Gesetzgebungsauftrag in Art. 98 Abs. 1, 3 GG, der keinerlei inhaltliche Vorgabe enthält, sowie der bloß fakultativen Einrichtung von Richterwahlausschüssen in Abs. 4, vermittelt der IX. Abschnitt des Grundgesetzes die Erkenntnis, daß dem einfachen Gesetzgeber von Verfassungs wegen ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Organisation der Judikative zusteht. Der Wortlaut des Grundgesetzes legt letztlich nur folgende vier Vorgaben fest: 1. Es muß Organe der Rechtsprechung geben (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). 2. Diese Organe müssen – in nicht näher spezifizierter Form – von denen der Gesetzgebung und der Verwaltung getrennt sein („besondere“, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). 3. Die Organe der rechtsprechenden Gewalt sind die Richter, die diese Gewalt innerhalb von („durch“) Gerichten (des Bundes282 und der Länder)283 ausüben (Art. 92 GG). 4. Das richterliche Amt wird auf Bundesebene im Zusammenwirken zwischen dem jeweils zuständigen Minister und einem Richterwahlausschuß vergeben (Art. 95 Abs. 2 GG i. V. m. dem RWahlG); für die Länder besteht diese Möglichkeit der Einrichtung eines Richterwahlausschusses fakultativ. Mit diesem Minimalprogramm bleibt letztlich alles Wesentliche unbeantwortet. Weder wird definiert, was alles zur Rechtsprechung/rechtsprechenden Gewalt gehört, wie weit deren Trennung von den beiden anderen Gewalten zu gehen hat. Außerdem bleibt offen, wie ein Amt ausgestaltet sein muß, damit sein Inhaber als Richter in diesem Sinne angesehen werden kann; in diesem Zusammenhang ist lediglich klar, daß für die Richter ein besonderer Rechtsstatus geschaffen werden mußte, der sich von dem der Beamten unterscheidet. Dadurch wird der parlamentarische Gesetzgeber zum (zunächst) bestimmenden Akteur: Er hat den richterlichen Status zu definieren und damit auch die Reichweite seiner Unabhängigkeit. Zudem muß er die Grundsatzentscheidung fällen, wie die Trennung der Judikative von Exekutive und Legislative erfolgen soll.

282

Jedenfalls die in Art. 95 Abs. 1 GG festgelegten fünf obersten Gerichtshöfe. Insoweit ist Art. 92 Hs. 2 GG auch Ausdruck der Verteilung der Justizhoheit zwischen Ländern und Bund; dies war auch der einzige Zweck der insoweit fast wortgleichen Vorschrift des Art. 103 WRV, vgl. Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches, Art. 103 Anm. 2. 283

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§ 1 Problemaufriß und status-quo

IV. Fazit und daraus folgende Aufgabenstellung Diese aufgezeigte Entwicklung bestimmt auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die organisatorische Einordnung der Rechtsprechung und ihrer Organe. Rechtsprechung als selbständige („besondere“) Gewalt wird durch Richter als Einzelrichter oder in Kollegialspruchkörpern (Kammern, Senaten) ausgeübt, die diese Rechtsprechung in einem von der Exekutive allein verantworteten und entsprechend von ihr dominierten finanziell-sachlichen und personellen Umfeld ausüben. Für die Fokussierung des Problems der vorliegenden Arbeit bleibt folglich festzuhalten: Die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gleichrangig neben denen der beiden anderen Staatsgewalten, insbesondere der Exekutive, genannten „Organe (. . .) der rechtsprechenden Gewalt“ sind in ihrer praktischen Tätigkeit materiell und personell eingebettet in ein exekutives Umfeld. Rechtsprechung findet nur innerhalb exekutiver Behörden, den Gerichten im Sinne administrativer Einheiten, statt, so daß „unter dem Justiz-Ressort-Dach zwei Staatsgewalten miteinander auskommen müssen“284. Es gibt außer dem Bundesverfassungsgericht keine organisatorische Einrichtung der Judikative, die frei von unmittelbarer exekutiver Beeinflussung agieren kann285. Gleichzeitig weist das Grundgesetz nur eine geringe Regelungsdichte hinsichtlich der Organisation der Rechtsprechung und der Stellung der diesbezüglich verantwortlichen Richter (gegenüber den anderen Staatsgewalten) auf, die gerade in diesem Bereich zu einer sehr problematischen Unsicherheit führt. Es bleiben meist nur axiomatische Behauptungen über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit bestehender oder zukünftiger Organisationsstrukturen übrig. Daher kommt es zu einer Disproportionalität von normativem Rahmen und den rechtsstaatlichen Bedürfnissen aufgrund der empirischen Verhältnisse: Die Abhängigkeiten der Richter von der Exekutive treffen die richterliche Unabhängigkeit und damit einen Kerngehalt des Rechtsstaatsprinzips, ohne daß das Grundgesetz eine auch nur annähernd adäquate Regelungsdichte aufwiese. Daher bedürfte es dringend der Kompensation durch die Rechtswissenschaft, die aber bisher nahezu vollständig ausfällt: Eine brauchbare Dogmatik der richterlichen Unabhängigkeit fehlt ebenso wie der noch zuvor notwendige Schritt, das elementare Problem einer exekutiven Rechtsprechungsverwaltung als solches und in seinem tatsächlichen Umfang überhaupt wahrzunehmen. Daher verwundert es nicht, daß die NSM die Rechtsdogmatik unvorbereitet treffen und die 284

Piorreck, BJ 2003, S. 64 (64). Auch dessen „Selbstverwaltung“ war nicht selbstverständlich und mußte gegenüber der Regierung durch das Gericht selbst erst erstritten werden. Dokumentiert ist der Prozeß hin zur Unabhängigkeit vom Bundesjustizminister in JöR (n. F.) 6 (1957), S. 109 ff. mit einer Einleitung von Leibholz. 285

IV. Fazit und daraus folgende Aufgabenstellung

65

Wissenschaft kein Reservoir parat hat, aus dem sie eine Antwort schöpfen könnte. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der NSM in den Gerichten muß daher zunächst die besondere Gefährdungslage des Richters im (exekutivisch) hierarchisierten Umfeld seines Gerichts (§ 2) sowie die Defizite der bisher unzureichenden Schutzmechanismen (§ 3) herausarbeiten. Daran anknüpfend ist sodann die Rechtssprechung und insbesondere die richterliche Unabhängigkeit in das Gewalten(teilungs)gefüge des Grundgesetzes einzuordnen (§§ 4 und 5). Erst dann kann eine über pauschale Alles-oder-Nichts-Positionierungen hinausgehende Bewertung der NSM erfolgen (§ 6).

„Alle Arten der Hierarchie sind der Unabhängigkeit abträglich.“ Manfred Zuleeg

§ 2 Die empirische Ausgangssituation: Der Richterberuf als „gefahrgeneigte Arbeit“ I. Die grundgesetzlich unterstellte „Gefahr“ Das Bundesarbeitsgericht hatte unter dem Begriff der „gefahrgeneigten Arbeit“ eine Haftungseinschränkung des Arbeitnehmers entwickelt, „wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Arbeit es mit großer Wahrscheinlich mit sich bringt, daß auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die für sich allein betrachtet zwar jedesmal vermeidbar wären, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist“1.

Hält man sich diese Definition vor Augen, so könnte man meinen, sie sei geradezu am Richterberuf als Paradebeispiel entwickelt worden. Der Richter als „ein gütiger, ernster, reifer Mensch mit Staatsgefühl, Lebenserfahrung, Welt und Weisheit“2 soll im Prozeß der Rechtsfindung neutral3 und unabhängig, nur gebunden an das Gesetz (Art. 97 Abs. 1 GG) mit „Selbst- und Fremdverantwortung, Gestaltungswille[n] und Zukunftsorientierung“4 und „Fähigkeit zur Selbstkritik“5 entscheiden. Daß angesichts dieser hohen Anforderungen (erst recht,

1 Grundlegend BAGE 5, 1 (7), in Anknüpfung an die vom Reichsarbeitsgericht entwickelte und auch vom BGH übernommenen Lehre. Mittlerweile gilt die Haftungsbeschränkung für alle Tätigkeiten des Arbeitnehmers, eine Gefahrgeneigtheit ist nicht mehr erforderlich, nachdem auch der BGH auf Anfrage des GemSOGB einer entsprechenden Vorlage des Großen Senats des BAG (NZA 1993, S. 547 ff.) zugestimmt hat, s. BAG (Großer Senat), NZA 1994, S. 270 f.; zu Einzelheiten s. Richardi, NZA 1994, S. 241 ff., zsfssd. Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 100 ff. 2 Zweigert, FestG Schmid, S. 299 (301); dieses Richterbild soll hier ohne weitergehende Vertiefung beispielhaft für die möglichen hohen Erwartungen an das Idealbild eines Richters zitiert werden; s. aber auch prägnant bei Rasehorn, RuP 38 (2002), S. 29 (30). Gleiches gilt aus englischer Sicht, s. Kilmuir, Virginia Law Review 45 (1959), S. 621 (642). 3 Siehe nur BVerfGE 4, 331 (346); 87, 68 (85), für die Neutralität als konstitutives Merkmal des Richters. 4 Jäger, BJ 2004, S. 274 (276). 5 Quaas, DRiZ 2001, S. 79 (81).

I. Die grundgesetzlich unterstellte „Gefahr‘‘

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wenn man sie für den einzelnen als zu hoch ansieht6) mit einem „typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist“, bedarf keiner weiteren Erläuterung7, auch wenn „Richter kleine Brötchen“ backen und in bescheidener Tätigkeit nur ein verbindliches Schlußwort sprechen – nicht mehr und nicht weniger8. Dies liegt nicht nur darin begründet, daß auch Richter nur „Menschen und nicht die Inkarnation des richtigen Rechts“9 sind und wie alle Menschen Fehler machen10 – letzteres reichte auch für die Haftungsbeschränkung im Sinne der gefahrgeneigten Arbeit des BAG nicht aus. Vielmehr liegt es zum einen daran, daß distanzierte Neutralität11 und gesetzesgebundene Unabhängigkeit jedesmal wieder eine besondere Anstrengung erfordern, und der Richter zum anderen diese Leistung stets in einer permanenten Gefahrensituation erbringen muß. Diese dauernde Gefährdungslage entsteht durch die Einbindung der Richterschaft in ein weithin hierarchisch strukturiertes Umfeld, in dem er der Einflußnahme der Staatsgewalten ausgesetzt ist. Die grundsätzliche Existenz eines entsprechenden Einflußpotentials ist durch Art. 97 GG verfassungskräftig belegt: Die Unabhängigkeit und damit der Schutz vor insbesondere staatlicher12 Beeinflussung wird von vornherein und umfassend gewährt, womit der Verfassungsgeber auf entsprechend vielfältig mögliche Gefährdungen reagiert. In der Terminologie der Strafrechtsdogmatik läßt sich daher die ratio des Art. 97 GG dahingehend beschreiben, daß sie den Richter potentiell als permanentes Opfer eines „abstrakten Gefährdungsdelikts“13 durch Träger der Staatsgewalten ansieht, demgegenüber präventiv „Ge6 Siehe Koch, DRiZ 1956, S. 201 (202); Zweigert, FestG Schmid, S. 299 (299); in diese Richtung auch tendierend A. Arndt, Bild des Richters, S. 14, und D. Brüggemann, JJahrb. 7 (1966/67), S. 17 (17); ebenso Papsthart, DRiZ 1992, S. 297 (297); Menne, FS Schmid, S. 231 (231, Titelanm.); vgl. auch Simon, DRiZ 1980, S. 90 (91). Gerhart Hauptmann hat das Richteramt als „höchste menschliche Anmaßung“ bezeichnet (zit. nach Ostler, JR 1959, S. 121 [126]). H.-E. Böttcher, SchlHA 2003, S. 83 (84), fragt treffend: „Und da soll der Richter, der berühmte ,kleine Richter‘ unabhängig sein?“ Allerdings scheint der typische, mit „Weisheit“ (BGHZ 20, 355 [361]) ausgestattete „Vorsitzende Richter“ als Spruchkörpervorsitzender nach der Rechtsprechung des BGH solche übermenschlichen Fähigkeiten von Amts wegen zu besitzen, vgl. die instruktive Aufarbeitung der diesbezüglichen Rechtsprechung von Sangmeister, ZRP 1995, S. 297 ff.; s. aber auch Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 7: „Auch in einem Vorsitzenden Richter am Landgericht kann ein Dämon wohnen.“ 7 Vgl. speziell zur potentiellen Fehlerhaftigkeit der richterlichen Tätigkeit Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 ff.; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998) Rn. 24; ebenso wie hier Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 483 (489). 8 Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (162). 9 Louven, DRiZ 1981, S. 299 (300). 10 Hierauf weisen zutreffend auch Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 482 (489), hin; ebenso Louven, DRiZ 1981, S. 299 (300). 11 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 51. 12 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 15. 13 Zum Begriff s. statt aller Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 977, 950.

68

§ 2 Die empirische Ausgangssituation

fahrenabwehr“ betrieben werden muß. Die konkreten Erscheinungsformen dieser Unabhängigkeitsgefährdungen sollen im folgenden analysiert werden.

II. Der Richter im Einflußnahmegeflecht der Staatsgewalten Das nahezu unbegrenzte Unabhängigkeitsversprechen des Art. 97 GG wird von den tatsächlichen Gegebenheiten konterkariert. Wie auch immer man die richterliche Tätigkeit beschreibt und wie man ihren Kern definiert, sie ist in vielfältiger Weise eingebunden in die Organisation der Gerichtsbehörde, die den Alltag des Richters maßgeblich bestimmt. Sicherlich kommt ihm dabei ein hohes Maß an Freiheit bei der Gestaltung seines Arbeitstages zu, gleiches gilt letztlich auch für den Inhalt seiner Entscheidung. Bevor ein Richter jedoch mit seiner unabhängigen Tätigkeit beginnt, werden eine Vielzahl von ihn determinierenden Entscheidungen getroffen, auf die er letztlich keinen oder nur sehr begrenzten Einfluß hat. Dies kann an einer tabellarischen Darstellung verdeutlicht werden: Tabelle 1 Personelle Zuständigkeiten für die Arbeitsbedingungen der Richter Entscheidung

Entscheidungsträger

Einstellung

Minister (mit Richterwahlausschuß)

Zuweisung an Gericht

Minister (Anhörung Präsidialrat)

Räumliche Ausstattung des Gerichts

Ministerium/Präsident

Personalausstattung des Gesamtgerichts (richterl./nicht-richterl. Personal)

Haushaltsgesetzgeber/Ministerium/ Präsident

Zuordnung zu Spruchkörper (Kammer, Senat)

Präsidium

Geschäftverteilung an Spruchkörper

Präsidium

Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers

Spruchkörper

Ausstattung der Geschäftsstelle/ Serviceeinheit

Haushaltsgesetzgeber/Ministerium/ Präsident

Ausstattung des Arbeitsplatzes (PC etc.)

Haushaltsgesetzgeber/Ministerium/ Präsident

Anhand dieser Darstellung wird deutlich, daß selbst ohne Berücksichtigung der Gesetzesbindung eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden, die

II. Der Richter im Einflußnahmegeflecht der Staatsgewalten

69

dem einzelnen Richter entzogen sind, bevor letzterer von seiner Unabhängigkeit Gebrauch machen und entscheiden kann, wie er es nach seiner Arbeitsweise sowie inhaltlich für richtig hält. Selbst wenn man berücksichtigt, daß ein Richter durch Teilnahme an Wahlen zu einem etwaigen Richterwahlausschuß, zum Präsidialrat und zum Präsidium oder über die Richtervertretungen (mittelbar) mitwirken kann und er an der Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers unmittelbar beteiligt ist, so hat er doch bei keiner dieser Entscheidungen einen alleinigen Einfluß, erst recht nicht handelt er in richterlicher Unabhängigkeit – von der Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers abgesehen14. Der Freiraum, in dem sich der Richter in alleiniger Bindung an das Gesetz unabhängig bewegen kann, beginnt erst am Ende einer langen Kette von Vorentscheidungen. Da diese Vorentscheidungen von anderen Staatsgewalten getroffen werden, befindet sich der Richter somit in einem Geflecht von Fremdgewaltbeeinflussungen. Erst wenn die Verfahrensakte auf seinen Zutrag-Aktenbock gelangt ist, beginnt die richterliche Unabhängigkeit: Tendenziell erscheint sie tatsächlich als bloße „Aktenunabhängigkeit“, die sich eben allein in der selbständigen Bearbeitung der Akte auswirkt15. Hier ergibt sich eine Paradoxie der Gerichtsorganisation: Bevor der Richter „seine“ (im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) Akte auf den Tisch bekommt, ist (fast) alles erlaubt, z. B. eine beliebig kümmerliche sachliche und personelle Ausstattung des Gerichts, die in den Händen des Parlaments und der exekutiven Rechtsprechungsverwaltung liegt. Deren Folge für den Richter ist dann zwangsläufig ein Aufschub der Terminierung, richterliche Arbeit auch am Wochenende, Verzicht auf Fortbildung aus Zeitmangel etc. „Würden Parlament und Exekutive den Richter anweisen, die Urteile kürzer zu machen, sich nicht mehr fortzubilden oder den Sonntag und die Nacht hinzuzunehmen, so wäre jede dieser Anweisungen eine verfassungswidrige Beeinträchtigung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters.“16 Aber es geschieht eben nicht über den Weg der Anweisung, sondern durch Setzung von Rahmenvorgaben, bevor die richterliche Unabhängigkeit sich infolge der Zuweisung des individuellen Falles an einen Richter aktualisieren kann. Gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen allgemein kann man sich als Richter auch mit Art. 97 Abs. 1 GG im Rücken nicht wehren17. Vielmehr soll man laut gerichtlicher Auffassung die Sachen einfach liegen lassen18. Es erscheint aber in höchstem Maße widersprüchlich, die Ver14 Vgl. BVerfGE 18, 341 (352); Kissel, GVG, § 21g Rn. 57, mit Hinweis zum Rechtsschutz; ders., NJW 2000, S. 460 (462 f.); aber auch hier muß er sich einer etwaigen Mehrheit beugen. 15 So Dinslage, in: Bericht über die rechtspolitische Konferenz der SPD NRW 1966, hrsgg. vom SPD-Landesvorstand, S. 85 (zitiert nach Rasehorn, JZ 1970, S. 574 [574]). 16 So schon 1970 Joachim, in: Wassermann (Hrsg.), Justizreform, S. 68 (74). 17 Siehe jüngst Dienstgericht bei dem LG Berlin, DRiZ 2004, S. 81 f.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

einbarkeit von Beeinflussungen der richterlichen Tätigkeit mit Art. 97 Abs. 1 GG davon abhängig zu machen, auf welche Art und Weise sie zustande kommen. Dies mag vor dem Hintergrund der Schutzrichtung der richterlichen Unabhängigkeit gerade gegen Kabinettsjustiz, also dem gezielten Zugriff auf Einzelfallentscheidungen, durchaus nachvollziehbar sein. Von rechtshängigen Verfahren völlig losgelöste Rahmenbedingungen bilden in der Tat nicht das Gefährdungspotential einer Weisung, die in Ansehung eines oder mehrerer Prozesse erfolgt. Gleichwohl ändert dies nichts daran, daß die Handlungsfreiheit des Richters im Hinblick auf die zur Entscheidung anstehenden Fälle eingeschränkt ist durch die bewußten Entscheidungen anderer Gewalten. Zudem ist der unmittelbare Bezug zur Einzelentscheidung keine Voraussetzung für die Abwehrmöglichkeit gem. § 26 Abs. 3 DRiG, wie die Entscheidung zum Zugangsrecht zum Gerichtsgebäude zeigt, das wegen Art. 97 Abs. 1 GG unbeschränkt möglich sein soll19, obwohl es jenseits allen Fallbezugs eingeschränkt war. Es mag zwar zutreffen, daß das Bonner Grundgesetz „mit einer zuvor noch nicht erreichten Klarheit die rechtsprechende Gewalt von der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt als eine besondersartige Erscheinungsform der einheitlichen Staatsgewalt unterschieden und das Ausüben dieser rechtsprechenden Gewalt nach dem Grundsatz der Organtrennung den Richtern anvertraut hat“20. Insbesondere letzteres wird bestätigt durch die Hervorhebung des einzelnen Richters in Art. 92 GG sowie die dem Gesetzgeber auferlegte Pflicht, gemäß Art. 98 Abs. 1, 3 GG den Status des Richters durch besonderes Gesetz festzulegen und ihn von dem der Beamten deutlich zu unterscheiden. Insgesamt aber kommt man bei absoluter Betrachtung der Unabhängigkeit der Dritten Gewalt, vor allem im Vergleich zu den anderen postfaschistischen Staaten (Spanien21, Portugal, Italien22)23, aber auch sonstigen EU-Mitgliedern in neuerer Zeit24, zu dem Ergebnis, daß unter der Geltung des Grundgesetzes jedenfalls 18 VG Minden, DÖD 2001, S. 186 f.; bestätigt durch OVG NW, NJW 2002, S. 1592 f. 19 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 286 ff. 20 A. Arndt, Bild des Richters, S. 3; s. auch Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, Vor § 1 GVG (1989) Rn. 2. 21 Dazu Manzanares Samaniego, DRiZ 1999, S. 317 ff. 22 Mariuzzo, DRiZ 2001, S. 161 ff.; Kessler, SchlHA 1997, S. 225 ff. 23 Siehe hierzu im Überblick Häuser, BJ 2002, S. 340 ff.; ebenso die Darstellung von Oberto, ZRP 2004, S. 207 ff., die die exekutive Stellung gegenüber den Richtern und Gerichten in der Bundesrepublik als deutliche Ausnahme im europäischen Raum erscheinen läßt. 24 Zu Frankreich T. Groß, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 217 (224); für Belgien Storme, ZZPInt 4 (1999), S. 117 ff., Henkes, DRiZ 2002, S. 32 (35 ff.); für die Niederlande s. Loth/de Werd, DRiZ 2003, S. 315 ff.; zu Dänemark s. Evers-Vosgerau, DRiZ 2000, S. 299, Feige, DRiZ 2001, S. 436 ff.; zu Ungarn s. H. Küpper, DRiZ 2003, S. 309 ff. Selbst England scheint seine 1400 Jahre währende Tradition von Gewaltenverschränkung in der Person des Lord Chancellors

III. Das – bisher – geringe Gefährdungspotential der Legislative

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die organisatorische Trennung der Rechtsprechung von den übrigen Gewalten weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist25.

III. Das – bisher – geringe Gefährdungspotential der Legislative Art. 97 Abs. 1 GG gewährt auch gegenüber der Legislative Unabhängigkeit26, doch gilt dies angesichts der Gesetzesbindung der Rechtsprechung hier wie in Art. 20 Abs. 3 GG nur eingeschränkt. Denn zwischen richterlicher Unabhängigkeit und (parlamentarischer) Gesetzgebung kann deswegen grundsätzlich kein „Spannungsverhältnis“27 bestehen, sondern die Unabhängigkeitsgarantie dient gerade der möglichst neutralen Realisierung der Gesetzesbindung28 und beginnt folglich erst dort, wo die Reichweite gesetzgeberischen Handelns endet. Dies gilt jedenfalls solange, wie der Gesetzgeber materielles Recht als Maßstab für die inhaltliche Entscheidung des Richters und gerichtliches Verfahrensrecht wie etwa Bindungen der Richter an andere richterliche Entscheidungen (Tatbestandswirkungen29) oder an Verwaltungsentscheidungen30 sowie auch Beweisund Verwertungsverbote setzt31. Daher verletzen auch gesetzliche Fristen für als Mitglied aller drei Gewalten (s. dazu Stevens, Independence; krit. Woodhouse, Office) beenden und eine gewisse Selbständigkeit der Justiz einräumen zu wollen (bisher ähnelte es stark dem deutschen System: „The Courts Act of 1971 [. . .] emphasized that in the English system the judges control neither the administration of the courts nor their finances.“, so Stevens, ebd., S. 181). Das Lord Chancellor’s Department (LCD) wurde am 12.6.2003 in das Department for Constitutional Affairs (DCA) umbenannt und soll entscheidende Änderungen mit sich bringen (vgl. www.dca.gov.uk [1.9.2004]); zu den Kontroversen s. The Economist v. 13.3.2004, S. 29 f. 25 Siehe auch die Europäische Charta über das Richterstatut vom Juli 1998 (dt. Übersetzung unter www.betrifftjustiz.de [1.7.2004]); s. auch schon gleichsinnig die Minimum Standards of Judicial Independence (Jerusalem approved standards) vom 5.3.1982 der International Bar Association, abgdr. bei Wassermann/Wassermann, RuP 18 (1982), S. 78 (81 f.); Auflistung der einschlägigen internationalen Dokumente bei Oberto, ZRP 2004, S. 207 (207). 26 Vgl. BVerfGE 12, 67 (71); 38, 1 (21); ausf. Kissel, GVG, § 1 Rn. 101 ff. 27 So aber Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 (1977) Rn. 13 ff.; s. a. Schinkel, FS Remmers, S. 297 (301); BVerfGE 49, 304 (318). 28 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 21 m. w. Nw. 29 BGHZ 95, 212 (218); gleiches gilt für die Verwertung von in anderen Prozessen gewonnener Ergebnisse wie jetzt durch das Justizmodernisierungsgesetz (BGBl. I, 2004, S. 2198 ff.), vgl. dazu die unterschiedlichen Perspektiven, aufbereitet im Bericht über das 2. Hannoveraner ZPO-Symposion von Lange/Müller, ZRP 2003, S. 410 ff. 30 Die Tatbestands- und Gestaltungswirkung unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte (s. Berg, FS Maurer, S. 529 ff., zu deren Grenzen jüngst BGH, NZM 2004, S. 340 ff.) ist wegen des darin liegenden Vorrangs etwa des Umweltverwaltungsrechts vor allem im Strafprozeß bei den Straftaten gegen die Umwelt (§§ 324 ff. StGB) starken Bedenken ausgesetzt (s. zsffsd. Tröndle/Fischer, StGB, vor § 324 Rn. 6 ff.). 31 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 22.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

richterliche Amtshandlungen (etwa Art. 104 Abs. 3 S. 2 GG, §§ 229, 275 StPO, § 36 Abs. 3 S. 5 AsylVfG) trotz der aus Art. 97 Abs. 1 GG abgeleiteten Freiheit des Richters zur Bestimmung der Terminierung32 und der Reihenfolge der Bearbeitung seiner Dienstgeschäfte33 die richterliche Unabhängigkeit nicht. Gleiches gilt für Amnestien und Abolitionen sowie Entscheidungen hinsichtlich der Immunität von Abgeordneten34. Soweit Legislativorgane hingegen andere Handlungsformen als die der Gesetzgebung wählen, wirkt die Unabhängigkeitsgarantie unbeschränkt. Daher sind Einwirkungen auf den gesetzlichen Richter hinsichtlich seiner Entscheidung etwa in Form von Parlamentsbeschlüssen ebenso verfassungswidrig wie informelles Vorgehen, das ihn unter Druck setzt. Dabei muß stets berücksichtigt werden, daß auch Legislativorganen das Recht der Urteilskritik zusteht35, wobei die hier zu aktualisierenden Grenzen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden sollen36. Die wenigen denkbaren Konfliktkonstellationen habe bisher noch keine entscheidende Rolle gespielt37; jedoch wird grundsätzlich deutlich, daß auch durch gesetzgeberisches Handeln die richterliche Unabhängigkeit unzulässig beeinträchtigt werden kann, so daß die Unterwerfung des Richters unter das nicht näher spezifizierte Gesetz keine Blankovollmacht zugunsten der Legislative darstellt38. Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht nur nach Maßgabe der Gesetze garantiert39. Denn es wäre „doch geradezu widersinnig, wenn die Verfassung, die den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit aufstellt, gleichzeitig bestimmen und zulassen sollte, daß er durch ein Gesetz nicht etwa bloß sachlich eingeschränkt, sondern aufgehoben, beiseite geschoben, ausgelöscht werden könnte. Es müßte als ein Mißbrauch der Form des Gesetzes angesehen werden, wenn es dem Richter Befehle erteilen und seine Unabhängigkeit aufheben sollte“40.

32 BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. (die freilich nur gegenüber der Exekutive Geltung beanspruchen kann). 33 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1987, S. 1197 f. 34 Siehe Kissel, GVG, § 1 Rn. 102. 35 Siehe nur Kissel, GVG, § 1 Rn. 103; zu den Grenzen s. U. Berlit, KJ 32 (1999), S. 58 (61). 36 Siehe aber die Dokumentation von offensichtlichen Grenzüberschreitungen bei Lamprecht, Demontage, passim. 37 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 24; Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rn. 5. Dies gilt trotz der bei Lamprecht, Demontage, dargestellten Vorkommnisse gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, die letztlich keine dauerhaften Spuren hinterlassen haben, vgl. dazu auch Schulze-Fielitz, AöR 122 (1997), S. 1 ff. 38 Siehe etwa zweifelnd zur gesetzlichen Beeinflussung der Beweiswürdigung des Richters BGHSt 25, 24 (29). 39 Unklar insoweit Schuppert, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 215 (225). 40 Schiffer, Deutsche Justiz, S. 247.

IV. Hierarchisierung der Rechtsprechung – Einflußnahmestrukturen

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IV. Hierarchisierung der Rechtsprechung – der Tragödie erster Teil: Einflußnahmestrukturen innerhalb der Rechtsprechung Es wird zu zeigen sein, daß das Gefährdungspotential der Rechtsprechungsverwaltung für die richterliche Unabhängigkeit auf der mit ihr in die Gerichte getragenen (exekutiven) Hierarchie beruht (s. sogleich V.). „Erfolgsbedingung“ dieser hierarchischen Steuerung ist jedoch die Akzeptanz der entsprechenden Wirkungsmechanismen durch die Richterschaft. Diese wird zwar nicht zuletzt herbeigeführt durch die Zuteilung von Sanktionen und Gratifikationen, basiert aber auch auf einer gewissen Empfänglichkeit: Die Richterschaft als judikative Korporation ist trotz des Postulats der „Gleichheit aller Richterämter“ selbst informell hierarchisiert, so daß die Existenz von Über-/Unterordnung dem Richter nicht fremd ist und nur schwer ein allgemeines, anti-hierarchisches Selbstverständnis der Richterschaft entwickelt werden kann. 1. Begrenzte Gefährdung durch die Geschäftsverteilung Die Geschäftsverteilung ist funktional Gerichtsverwaltung, die jedoch vom Präsidium in richterlicher Unabhängigkeit wahrgenommen wird41. Dies schließt es aber nicht aus, daß auch durch die Geschäftsverteilung Verletzungen der richterlichen Unabhängigkeit vorkommen können. „Niemand kann den Richter härter treffen als das Präsidium, (. . .) das ihn unter Umständen ,kaltstellt‘ “42. Dies gilt jedoch vornehmlich für die persönliche Unabhängigkeit43. Inhaltliche Einflußnahmen kann das Präsidium nur indirekt ausüben, indem es Rechtssachen bestimmten Richtern zuteilt oder einen Richter überlastet und damit die Erledigung der Verfahren mittelbar zeitlich manipuliert. Auch die vom BVerwG bestätigte Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Präsidiums44 zeigt, daß auch durch das Präsidium Eingriffe in den Rechtsbereich des Richters erfolgen können, die Tätigkeit in richterlicher Unabhängigkeit also keineswegs eine Rechtsverletzung eines anderen Richters, auch seiner Unabhängigkeit, aus41 Siehe Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 25 Rn. 8; Eb. Schmidt, LehrK, Rn. 482; s. a. Grimm, Dienstaufsicht, S. 69 f.; Kissel, GVG, § 1 Rn. 181, § 21e Rn. 105 („keine Rspr.“, sondern „Selbstverwaltungsakt sui generis“). 42 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 33a; zu den Folgen Berkemann, FS Zehn Jahre VG Leipzig, S. 15 (25). 43 So auch der zentrale Fall, in dem BVerfGE 17, 252 ff., eine Verletzung des Art. 97 Abs. 2 GG festgestellt hat, weil ein Richter faktisch von jeder Entscheidungsmitwirkung entbunden worden war. 44 BVerwGE 50, 11 ff.; ebenso BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 90, 41 ff.; lt. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), DRiZ 1991, S. 100: „gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung“. Zu den faktischen Grenzen s. allerdings Sangmeister, DÖD 1986, S. 219 f.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

schließt45. „Die richterliche Unabhängigkeit kann – paradoxerweise – auch durch Träger der rsprGewalt beeinträchtigt werden.“46 2. Die ambivalente Kammer-/Senatsberatung mit Vorsitzendem In der Natur der Sache liegt die Beeinflussung eines auch als Kammer-/Senatsmitglied unabhängigen Richters durch die Diskussion in einem Kollegialspruchkörper. Dies ist gerade der Zweck einer Entscheidungsfindung durch ein Kollegium. Hier soll durch gegenseitige Überzeugungsarbeit und Argumentation die „richtige“ Entscheidung herbeigeführt werden. Auch die Einschränkungen in der zeitlichen Gestaltung der Fallbearbeitung ist hier systemimmanent eingeschränkt durch die Notwendigkeit einer gemeinsamen mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung. Hierbei kommt dem Vorsitzenden besondere Bedeutung zu, der die Termine selbständig zu bestimmen hat (§ 216 Abs. ZPO, § 213 StPO47). Die Pflicht der Beisitzer, sich danach zu richten, ist sodann ebenfalls unausweichliche Konsequenz aus dem Kollegialprinzip. Gleichwohl ist die Stellung des Vorsitzenden nicht gänzlich problemlos, wenn auch die insoweit heikle Geschäftsverteilung innerhalb der Spruchkörper48 nicht mehr der Alleinentscheidung des jeweiligen Vorsitzenden obliegt, sondern allen Berufsrichtern der Kammer/des Senats (§ 21g Abs. 1 S. 1 GVG49). Die rechtliche Position des Vorsitzenden zu seinen Beisitzern ist die eines primus inter pares50, insbesondere ist ein Dirimierungsrecht des Vorsitzenden durch Erhöhung seines Stimmenwerts oder die Hinzuziehung eines ansonsten nicht stimmberechtigten Vorsitzenden51 mit Ausnahme in § 196 Abs. 4 GVG52 nicht vorgesehen53. Sie ist faktisch jedoch nicht ohne Konfliktstoff. Auch gesetzliche Vorschriften, die 45 Zudem scheint die Geschäftsverteilung im weitesten Sinne ohnehin zumindest auch von erstaunlichen Faktoren abzuhängen: So soll der BGH vor der Einrichtung eines – wegen der „Springflut“ von Rechtsbeschwerden infolge des ZPO-RG eigentliche notwendigen – XIII. Zivilsenats zurückschrecken (so Büttner, BRAK-Mitt. 2003, S. 202 [203]), weil dann aufgrund eines Beschlusses der Föderalismuskommission vom 27.5.1992 ein bestehender Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig umziehen müßte (vgl. BT-Drs. 12/2853, S. 3). 46 Kissel, GVG, § 1 Rn. 107. 47 Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit s. Kopp/Schenke, § 102 Rn. 4. 48 Auch im Gesetzgebungsverfahren, das letztlich zu deren Reform führte (s. FN 49) war dies als Teil der Vorrechte des Vorsitzenden Gegenstand des parlamentarischen Streits, s. insbesondere BR-Drs. 602/1/99. 49 Die frühere Alleinentscheidungskompetenz des Vorsitzenden wurde abgeschafft durch das Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte vom 22.12.1999 (BGBl. I, S. 2598); zu den Einzelheiten s. Kissel, GVG, § 21g Rn. 22 f. 50 Kissel, GVG, § 1 Rn. 107; Papsthart, DRiZ 1992, S. 297 (298). Zur dadurch gleichwertigen Verantwortung aller Richter s. BVerfGE 26, 72 (76); verdeutlichend Barbey, HStR III, § 74 Rn. 56.

IV. Hierarchisierung der Rechtsprechung – Einflußnahmestrukturen

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den richtunggebenden Einfluß des Vorsitzenden formal beschränken (etwa die Pflicht des Vorsitzenden, in einer Abstimmung als letzter seine Stimme abzugeben, § 197 S. 4 GVG54), können das Problem nicht beseitigen. Der Vorsitzende ist zwar nicht der Vorgesetzte der Beisitzer, er wird aber für die Beurteilung der Richter durch den Gerichtspräsidenten als Dienstvorgesetztem die entscheidende Beurteilungsgrundlage liefern55. Eine tatsächliche informale Abhängigkeit vom Vorsitzenden ist daher nicht ausgeschlossen, gegen deren jedenfalls subtilen Mißbrauch die Dienstaufsicht letztlich wenig wird ausrichten können56. Die Forderung nach einer Möglichkeit des Rechtsschutzes auch gegen Maßnahmen des Vorsitzenden wegen dessen aus der Dienstherrengewalt abgeleiteten Organisationsbefugnis gegenüber den Beisitzern57 unterstreicht das Gefährdungspotential in der Person des Vorsitzenden. Sie verkennt aber die per se beschränkte tatsächliche Wirksamkeit eines solchen Instruments, weil die enge Beziehung 51 Siehe dazu T. I. Schmidt, JZ 2003, S. 133 (136); bedenkenswert erscheint etwa das System des § 139 GVG in seiner Ursprungsfassung (RGBl. 1877, S. 67), für Fälle der Stimmengleichheit das Stimmrecht des dienstjüngsten Mitglieds auszuschließen. 52 Etwa bei der denkbaren Stimmengleichheit im Strafprozeß [s. § 76 Abs. 2 GVG, s. dazu § 5 III. 1. c)], was aber dadurch in seiner Wirkung beschränkt wird, daß hier für wesentliche Entscheidungen zuungunsten des Angeklagten gem. § 263 Abs. 1 StPO eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist; krit. zum Stichentscheid des Vorsitzenden als „modifiziertes Einzelrichtersystem“ Schoen, DÖV 1958, S. 561 (562), ihm zustimmend Kühne, DRiZ 1960, S. 390 (391). Das VG Südwürttemberg-Hohenzollern, JZ 1959, S. 319 f., nannte das gleiche Stimmgewicht sogar einen hergebrachten Grundsatz der deutschen Rechtsüberlieferung und erkannte eine Würdeverletzung bei den Richtern mit nur einfachem Stimmrecht, hierzu krit. Kühne, ebd. Hinzuweisen ist allerdings auf das Entscheidungsrecht des jeweiligen Gerichtspräsidenten als Vorsitzender der (Vereinigten) Großen Senate der obersten Bundesgerichte (§ 132 Abs. 4 S. 4 GVG, § 11 Abs. 6 S. 4 VwGO, § 11 Abs. 6 S. 3 FGO, § 45 Abs. 6 S. 3 ArbGG, § 41 Abs. 6 S. 3 SGG). 53 Was freilich durch die typische Besetzung der Spruchkörper mit ungerader Mitgliederzahl von vornherein verhindert wird (zur diesbezügliche möglichen Vermeidungsstrategien s. T. I. Schmidt, JZ 2003, S. 133 [134]). Aber auch in Fällen mit möglicher Stimmengleichheit, insbesondere beim BVerfG, gibt es keinen Vorrang des Vorsitzenden bei der Entscheidung in der Sache, s. aber § 19 Abs. 1 Hs. 2 BVerfGG für die Frage der Befangenheit eines Richters; zu weiteren diesbezüglichen Fragen s. Benda/Klein, VerfPR, Rn. 301. 54 Die Reihenfolge der Abstimmung soll die Unabhängigkeit des Votums sichern, Kissel, GVG, § 197 Rn. 1. Es wird in einer Beratung vor Abstimmung allerdings kaum unklar bleiben, wie der Vorsitzende danach (wohl) abstimmen wird; diese Einschätzung teilt auch Hocks, FoR 1997, S. 40 (41). 55 Kissel, GVG, § 1 Rn. 107. 56 So aber die hinsichtlich der Geschäftsverteilung innerhalb der Spruchkörper von Baden-Württemberg zur nunmehrigen Fassung des § 21g Abs. 1 GVG vorgeschlagene Alternative, s. BR-Drs. 601/1/99, S. 2 a. E.; ausgenommen sind natürlich die Extremfälle wie der einer eigenmächtigen Urteilsabänderung in BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 ff. 57 In analoger Anwendung des § 26 Abs. 3 DRiG, s. Kissel, GVG, § 1 Rn. 185 (der hierfür auf die Kammerentscheidung des BVerfG [NJW 1996, S. 2149 ff.] verweist, die über diese Problematik aber keine Auskunft gibt).

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

zwischen Vorsitzendem und Beisitzern sich einer Reglementierung mit Hilfe eines Dienstgerichts entzieht. Ein offizielles Verfahren dürfte regelmäßig jegliche Vertrauensbasis innerhalb einer Kammer/eines Senats zerstören. Grundsätzlich ist das Beeinflussungspotential des Vorsitzenden zur Erhaltung von „Stetigkeit und Güte der Rechtsprechung“ trotz der genannten Einschränkungen gleichwohl rechtspolitisch gewollt, bedarf aber der Eingrenzung, um nicht in „Dirigismus oder Lenkung“ umzuschlagen58. 3. Die informelle Hierarchisierung der Rechtsprechung bei formaler Gleichordnung Die Kompetenzstruktur der Rechtsprechung ist prinzipiell egalitär ausgestaltet: Jeder Richter, auch ein ehrenamtlicher, hat das gleiche Stimmrecht. Schon das Fehlen von Weisungsbefugnissen (Weisungsfreiheit des Richters als Kern der Unabhängigkeitsgarantie) macht deutlich, daß es ein formelles Über-/Unterordnungsverhältnis innerhalb der Richterschaft nicht geben kann – das Fehlen von Rangabzeichen an richterlichen Baretten macht dies auch nach außen sichtbar59. Die Bindung an zurückverweisende Entscheidungen von Rechtsmittelgerichten (s. a. § 31 Abs. 1 BVerfGG) ändert hieran ebensowenig wie die Praxis von „Segelhinweisen“60. Eine instanzielle Überordnung des einen Gerichts und seiner Richter über das andere tangiert diese grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Richterämter als deren Eigenart61 nicht62. Diesem normtextlichen und theoretischen Befund steht jedoch eine konterkarierende Praxis gegenüber, die letztlich die Kritik an einer nur mangelhaften Umsetzung des grundgesetzlichen Auftrags aus Art. 98 Abs. 1, 3 GG63 unterstreicht. Denn neben die formale Gleichordnung aller Richterinnen und Richter bei der Rechtsprechung tritt eine teils formale, teils informelle Über-/Unterordnung in organisatorischer Hinsicht, die sich zwar in bezug auf die rechtsprechende Tätigkeit der formalen beamtenrechtlichen Hierarchie eines Vorgesetztenverhältnisses gem. § 3 BBG entzieht, aber auf mittelbarem Weg eine dem nicht unähnliche Situation einer „hierarchischen Wertordnung“64 mit „Quasi58

Vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2151). Diese (noch weitergehend) von der Kammer zitierte Passage stammt ursprünglich aus BGHZ 37, 210 (212 f.; aufgegriffen auch von Eser, FS Salger, S. 247 [267]). 59 Zu diesem „Zierat des Richters“ bis in die Zeit des GG s. J.-W. Berlit, DRiZ 1966, S. 303 ff., und Albers, DRiZ 1968, S. 373 f. 60 Zum Begriff der „Segelhinweise“ als „revisionsgerichtliche Hinweise an das Berufungsgericht für die weitere Behandlung der Rechtssache nach Zurückverweisung“, OVG NW, NVwZ 2000, S. 1430 ff. 61 Vgl. BVerfGE 32, 119 (215); vgl. auch BT-Drs. VI/2903, S. 2. 62 Siehe oben nach FN 40. 63 Siehe etwa Barbey, HStR III, § 74 Rn. 9 ff.; Krützmann, DRiZ 1985, S. 201 (206).

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Vorgesetzten“65 herbeiführt66. Diese Parallelhierarchie besteht einerseits in der weisungsgebundenen exekutiven Dienstaufsicht mittels der Gerichtsverwaltung innerhalb eines Gerichts, die symbolhaft kulminiert in der Kammer des Gerichtspräsidenten, in der bei der Beratung und Abstimmung über die gerichtliche Entscheidung Gleichheit herrscht (herrschen soll), zwischen dem Vorsitzenden und seinen Beisitzern aber ein deutliches Gefälle besteht, da er diese sodann zu beurteilen hat und damit über deren berufliches Schicksal entscheidet. Gesteigert wird diese potentielle atmosphärische Gleichgewichtsstörung dann, wenn einer der Beisitzer zur Gerichtsverwaltung herangezogen wird und etwa auf diese Weise Gleichordnung und Überordnung in personeller Identität zusammentreffen67. Insofern erscheint die traditionelle Ausnahme vom Inkompatibilitätsgrundsatz des § 4 Abs. 1 DRiG für die Gerichtsverwaltung als besonders prekär68, denn die Trennlinie zwischen zweiter und dritter Gewalt verläuft nicht etwa (nur) „innerhalb der Justiz als Gesamtorganisation“69, sondern innerhalb jedes Gerichts und damit unmittelbar in der „Nähe“ jedes Richters70. Andererseits ist mit der Beibehaltung der Besetzung von Kollegialspruchkörpern mit 64 So Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267), der allerdings auf den personellen Aspekt der Besetzung gerichtlicher Spitzenpositionen mit ministerial bewährten Beamten abstellt. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, der wohl auch der in Bayern obligatorischen Verwendung von Proberichtern als Staatsanwälte oder in der Verwaltung vor ihrer Lebenszeitanstellung zugrund liegt: Es soll zunächst eine Unterordnung in Weisungsketten erlernt werden. Dieser Aspekt kommt bei der positiven Bewertung dieser Praxis etwa durch Sendler, NJW 1999, S. 3622 (3623), zu kurz; schwankend Kirchberg, NVwZ 1998, S. 441 (444); zutr. krit. auch R. Jaeger, ZRP 2003, S. 468 (468), die gerade in dem „Laufbahnwechsel“ eine nicht zu befürwortende Förderung der Beamtenstruktur des Richterberufs sieht. 65 Wiebel, BB 1992, S. 573 (573); ebenso C. Seibert, JZ 1959, S. 349 (349). 66 Vgl. auch (PräsOLG) Rapp, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 141 (143): „(. . .) in hierarchischen Strukturen, die es – richterliche Unabhängigkeit hin oder her – auch in der Justiz faktisch gibt“; sinngleich Hocks, FoR 1997, S. 40 (40). Arndt/Fürst, FS Zeidler, S. 175 (181), erwägen gar die Anwendung des § 26 Abs. 3 DRiG auf Vorsitzender/Beisitzer-Streitigkeiten. 67 Ein entsprechender Fall wird dann auf die Spitze getrieben, wenn ein solcher Beisitzer sodann Mitglied eines Richterdienstgerichts ist, das in einem Prüfungsverfahren über die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Beurteilung gerade durch seinen vorsitzenden Präsidenten zu entscheiden hat, und der sich zudem aktuell um eine Beförderungsstelle bewirbt; so im Fall von HessDGH, DÖD 1992, S. 264 (nur Prozeßurteil), mit krit. Anm. und Erläuterung der erstaunlichen personellen Hintergründe Sangmeister, ebd., S. 264 ff. Zumindest vor diesem Hintergrund scheint BVerwG, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 184, die Gefahren zu unterschätzen. 68 Daher erscheint es geradezu als verkehrte Welt, etwa die Mitgliedschaft in kommunalen Gremien in formaler Betrachtungsweise pauschal als mit § 4 Abs. 1 DRiG unvereinbar anzusehen, vgl. zum Meinungsstand Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 4 Rn. 11. Welchen Einfluß hat schon die Tätigkeit eines Richters am Amtsgericht in einem Gemeinderat außerhalb des Gerichtsbezirks auf dessen Unabhängigkeit? Die Unterwerfung eines Richters unter seinen Präsidenten in der Gerichtsverwaltung dürfte – abstrakt – ein weitaus höheres Einflußpotential aufweisen. 69 So Steindorfner, GedS Keller, S. 271 (273).

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

vorsitzenden und sonstigen Richtern (s. nur §§ 21f Abs. 1, 59 Abs. 1 GVG) eine informelle Hierarchie verbunden, die entgegen Beteuerungen des Bundesverfassungsgerichts von der Gleichheit der Richterämter potentiell nicht viel übrig läßt, weil Machtgefälle und effektive Ungleichheit71 das Kollegialgericht des GVG beherrschen. Vor allem aber hat der BGH in Übersteigerung72 einer schon vom Reichsgericht in ihrer Tendenz vorweggenommenen Rechtsprechung73 den Vorsitzenden Richter zu einem solchen höherer Klasse hochstilisiert. Die herausgehobene Funktion des Vorsitzenden findet zweifelsohne ihre gesetzliche Fundierung in einer Vielzahl von Vorschriften, die ihm etwa die Prozeßleitung ausschließlich zuweisen (s. nur § 238 Abs. 1 StPO, § 194 Abs. 1 GVG)74, so daß die Aufgaben des Vorsitzenden tatsächlich durch ein Nebeneinander von Elementen der Über- und Gleichordnung geprägt sein mag75. Es handelt sich aber bei den gesetzlichen Sonderrechten des Vorsitzenden jeweils um Funktionen prozeduraler Art, die eine inhaltliche, materielle Sonderstellung im Hinblick auf die Rechtsfindung gerade nicht zum Gegenstand haben. Dies gilt unabhängig von dem Umstand, daß die Ausdehnung des Einzelrichterprinzips76 die praktische Erscheinung einer hervorgehobenen Position eines Richters unter mehreren zurückdrängt77 und die Präsidialreform des Jahres 1999 einen Haupteinflußfaktor und „Privilegierung“78 der Vorsitzenden in Form der alleinigen Geschäftsverteilungskompetenz innerhalb des Spruchkörpers79 sowie deren Dominanz im Präsidium80 beseitigt hat.

70 Dagegen erscheinen sonstige vieldiskutierte Problemfälle wie etwa die Mitgliedschaft eines Richters in einem Gemeindeparlament geradezu harmlos; zur diesbezüglichen Zulässigkeit gehen die Meinungen auseinander, vgl. Schmidt-Räntsch/SchmidtRäntsch, DRiG, § 4 Rn. 11; zu einem Pro-Aspekt s. Schütz, NVwZ 2003, S. 1469 (1471, Fn. 15); dagegen E. I. Schmidt, NordÖR 2003, S. 12 (13); umfassend und im Ergebnis strikt ablehnend Staats, DRiZ 2001, S. 103 (109 ff.); krit. Schmidt-Jortzig, Liber amicorum Voss, S. 161 (164). 71 Lautmann, ZRP 1972, S. 129 (130). 72 Dem allerdings zustimmend Schultz, MDR 1963, S. 369 (369 f.). 73 Siehe dazu ausführlich Sangmeister, ZRP 1995, S. 297 ff. 74 Insofern zutreffend Schorn/Stanicki, Präsidialverfassung, S. 122 f. 75 So mit Hinweisen auf weitere Sonderfunktionen des Vorsitzenden Kissel, GVG, § 59, Rn. 7; ebenso Eser, FS Salger, S. 247 (267). Besonders verdeutlichend etwa § 240 Abs. 1 StPO, wo eine Befragung der Zeugen durch Beisitzer von einer vorherigen, wenn auch zwingenden Gestattung des Vorsitzenden abhängig gemacht wird. 76 Siehe unten § 5 III. 1. c). 77 Deutlich in Fortsetzung der Ausführungen des BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 ff., jüngst auch der BGH zum Verbot der Vorsitzendeneinflußnahme auf Einzelrichterentscheidungen seiner Beisitzer, NJW-RR 2002, S. 929 (931 f.); freilich kann die Ausdehnung des Einzelrichterprinzips auch zu Fehlschlüssen seitens der Richter führen, s. nur § 1 II. 3. 78 So die Wortwahl etwa in BT-Drs. 14/597, S. 4; 14/1875, S. 9.

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Diesbezüglich legen die Normen über die Abstimmung – wie zuvor gezeigt – eher den Willen des Gesetzgebers zu einer gerade nicht hervorgehobenen Rolle des Vorsitzenden nahe81. Daher können sich die Judikate des BGH zur Stellung des Vorsitzenden nicht auf das Gesetz berufen. Wenn von ihm durch Mitwirkung in mindestens 75% aller Entscheidungen zusätzliche Gewähr für die Stetigkeit und Güte der Rechtsprechung des Spruchkörpers erwartet wird82, so kann dies nur aus der Tatsache der Besetzung von Kollegialgerichten mit einem Vorsitzenden als solcher geschlußfolgert werden, wie es der Bundesgerichtshof auch tut. Warum die bloße Existenz einer Vorsitzendenposition dessen Aufgabe über seine gesetzlich normierten, allein83 verfahrensrechtlichen Funktionen84 hinaus aber auch auf den Inhalt der Entscheidung begriffsnotwendig ausdehnen soll, bleibt unerfindlich; zumal das Konstrukt des BGH schon dann an seine empirischen Grenzen stößt, wenn ein gerade zum Vorsitzenden beförderter Richter in einen anderen Senat wechselt, dem ein älterer, seit langem dieses Rechtsgebiet bearbeitender Beisitzer angehört: Hier wird vor allem die Stetigkeit der Rechtsprechung kaum besser vom neuen Vorsitzenden gesichert werden können. Zudem widerspricht diese Hervorhebung des Vorsitzenden der eindeutigen Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts und geht – nach dessen Diktion – an der „Wahrheit“ vorbei: „Jedenfalls leisten die Senatspräsidenten nicht mehr als die Räte, ist ihre Verantwortung nicht größer, ist ihre Aufgabe nicht gewichtiger als die der Oberstlandesgerichtsräte. Es ist zwar eine gängige Formulierung, daß die Senatspräsidenten eine besondere Verantwortung für die Kontinuität und Einheitlichkeit der Rechtsprechung ihres Senats haben; in Wahrheit tragen dafür auch die übrigen Mitglieder des Senats die Verantwortung. Bei der Rechtsfindung im konkreten Fall ist die Aufgabe, Leistung und Verantwortung aller Mitglieder des erkennenden Gerichts völlig gleich.“85 79 Hierfür auch schon Eser, FS Salger, S. 247 (269 ff., Fn. 120), mit dem Hinweis auf eine frühere, aber am Bundesrat gescheiterte Initiative des Gesetzgebers, BT-Drs. 11/3621, Art. 2 Nr. 2; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 97 Rn. 4, hielt die frühere Rechtslage für verfassungswidrig (ihm insoweit tendientiell folgend SchulzeFielitz, in: Dreier [Hrsg.], GG III, Art. 97 Rn. 41), die jetzige für noch immer zweifelhaft wegen der Begrenzung auf bloße Grundsätze der Mirtwirkung in § 21g GVG n. F. 80 Zum Vorsitzendenquorum s. Kissel, GVG, § 21a Rn. 14. 81 In diesem Sinne auch BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2151). 82 Grundlegend die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen, BGHZ 37, 210 (212); dies soll sogar für den OLG-Präsidenten als Vorsitzenden gelten, s. BGHZ 88, S. 1 ff.; letztlich zustimmend Kissel, GVG, § 59 Rn. 7. 83 Dies konzediert auch Kern, DRiZ 1959, S. 142 (143). 84 Diese räumt auch BVerfGE 18, 34 (351 f.). 85 BVerfGE 27, 72 (76) – Hervorh. nicht im Original. Kissel, GVG, § 59 Rn. 9, meint zwar, wegen des Besoldungsbezugs der Entscheidung stehe diese mit der funktionalen Betrachtung der Aufgaben des Vorsitzenden nicht in Widerspruch; dies mag zutreffen. Bei der Rechtsprechung des BGH geht es aber nur vordergründig um Funktionen, tatsächlich aber um einen von Amts wegen besonderen, „richtunggebenden

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

Bereits zuvor hatte es den richtungsweisenden Einfluß des Vorsitzenden gegenüber dem BGH auf formelle Aspekte zu begrenzen versucht: „Er trägt die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Geschäftsablauf in seiner Kammer, insbesondere für die rechtzeitige und sachgemäße Erledigung der anfallenden Geschäfte. Das allein kann der Sinn des ,richtungsweisenden Einflusses des Vorsitzenden auf die Rechtsprechung seines Senates‘ sein, von dem der Bundesgerichtshof in seiner Stellungsnahme spricht.“86

Daß der Vorsitzende dies nicht durch Dirigismus oder Lenkung, sondern durch geistige Überzeugungskraft dank Sachkunde, Menschenkenntnis und Erfahrung87 und auch „Weisheit“88 erreichen soll, mildert zwar die Überbetonung der Vorsitzendenrolle bei der Entscheidungsfindung, hebt sie aber nicht auf. Geistige Überzeugungskraft ist bei aller Diskussion über die Merkmale eines „guten Richters“ sicherlich ein unbestreitbares Qualitätsmerkmal. Ihr Wirksamwerden und Zur-Geltung-Kommen ist zudem gerade Sinn und Zweck der Übertragung einer Entscheidung an ein Kollegium, das nicht nur abstimmen, sondern zuvor auch „beraten“ soll (vgl. § 193 GVG); das diskursive Aufeinandereinwirken ist daher begriffsnotwendig mit der Errichtung kollegialer Spruchkörper verbunden. Daraus läßt sich aber nicht per definitionem ableiten, daß ein etwaiger Vorsitzender mehr Einfluß haben soll oder gar haben muß als ein sonstiges Mitglied – andernfalls wäre die Institution eines primus inter pares89 nicht vorstellbar. Entsprechend umstritten ist auch unter rechts- und standespolitischen Gesichtspunkten die Stellung des Vorsitzenden90, die sogar zu der Feststellung nötigte, daß Beisitzer auch Richter seien91. Tatsächlich haben sich wohl die VerEinfluß auf die Rechtsprechung“, so BGHZ (Großer Senat für Zivilsachen) 37, 210 (216), also den Inhalt der kollegialen Entscheidung. Dies räumt Kissel, ebd., sogleich selbst ein, wenn er meint, angesichts des zunehmenden Einzelrichterprinzips im Zivilsachen sei der Einfluß des Vorsitzenden nicht mehr bei der „inhaltlichen Entscheidung“ gegeben. 86 BVerfGE 18, 345 (351 f.). 87 BGHZ (Großer Senat für Zivilsachen) 37, 210 (213); zustimmend Eser, FS Salger, S. 247 (267). 88 BGHZ 20, 355 (361). 89 Wie Kissel, GVG, § 1 Rn 107, den Vorsitzenden Richter ausdrücklich bezeichnet; ebenso Kern, DRiZ 1959, S. 142 (143); Papsthart, DRiZ 1992, S. 297 (298). 90 Instruktiv krit. die geschichtliche Aufarbeitung von Sangmeister, ZRP 1995, S. 297 ff.; s. auch Kissel, GVG, § 59 Rn. 9 m. w. Nw. 91 So der Titel bei Bull, DRiZ 1959, S. 84 f. Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese interne Situation auch von außen so wahrgenommen wird: In der (fach-) publizistischen Wahrnehmung tritt das Kollegium nicht selten hinter dem Vorsitzenden zurück und das Kollegialgericht schrumpft „zu einem Einmanngericht“, so Kühne, DRiZ 1960, S. 390 (390), mit empirischen Belegen. S. auch DIE ZEIT v. 3.4.2003, S. 28, zum Verfahren gegen die Haffa-Brüder vor der mit fünf Richtern besetzten Großen Wirtschaftsstrafkammer des LG München I mit dem Aufmacher: „Warum die Richterin die Exkönige des Neuen Marktes überraschend verurteilt hat“ – Hervorh.

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hältnisse aus früherer Zeit, die den Beisitzer als „Leicht- oder Vollmatrosen“92, „Adlatus“93 oder „Kammerdiener“94 des vorgesetzten Vorsitzenden beschrieben, der nicht überstimmt wird95 und von dem man ein „Kreuzchen“ als Belohnung für schnelles Arbeiten bekommt96, mancherorts kaum gewandelt. Das Über-/ Unterordnungsverhältnis reicht auch heute noch bis in das OLG97 und das OVG98 hinein. Dabei dürfte die unterdrückende Wirkung dieser hierarchischen Kontrolle im Hinblick auf neue, innovative Lösungsvorschläge99 in einer ohnehin gegenüber Neuerungen höchst abwehrenden Richterschaft100 noch das geringere Übel dieser Situation sein. Entscheidend im negativen Sinne ist vielmehr, wie anfällig augenscheinlich die Richterschaft für die Verinnerlichung auch und gerade nur informaler hierarchischer Strukturen ist und auch nach mehr als 50 Jahren der von Zinn angekündigte Abschied vom (kleinen) „Justizbeamten“ in nicht nennenswertem Maße gelungen ist. Plastisch (und entsprechend kritisch im Kollegenkreis aufgenommen101) erhellt die BGH-Innenansicht von Wiebel geradezu eine scheinbare Sehnsucht nach hierarchischer Struktur in deutschen Gerichten102, die im Hinblick auf den Vorsitzenden eine „déformation professionnelle“ diagnostiziert und die nach wie vor nicht überwundene Beamtenstruktur der deutschen Richterschaft103 deutlich macht: „Erstaunlich vielen Richtern sind die richterliche Freiheit und Gleichheit zutiefst zuwider. Kaum etwas wird unversucht gelassen, ein Oben und Unten, eine Hierarchie, eine Unterteilung in quasi-vorgesetzte Vorsitzende Richter mit Leitungsfunknicht im Original. Es erscheint nicht einmal mehr die „Vorsitzende“, was wenigstens noch den Rückschluß auf weitere Richter ermöglichen würde. 92 Lamprecht, DRiZ 1992, S. 237. 93 C. Seibert, JZ 1959, S. 349 (349). 94 So Papsthart, DRiZ 1992, S. 297 (298), der allerdings ein solches Selbstverständnis der Beisitzer mittlerweile verneint. 95 Berra, Paragraphenturm, S. 35 f.; Lautmann, ZRP 1972, S. 129 (130); bezeichnend ist hier der Umstand, daß nach „den Erfahrungswerten der Praxis“ in Kollegialgerichten „nur in den seltensten Fällen keine einstimmigen Abstimmungsergebnisse erzielt werden“ (so die Entwurfsbegründung zum 1. Justizbeschleunigungsgesetz, BTDrs. 15/999, S. 19 [zu § 348b ZPO-E]). 96 Vgl. den Erlebnisbericht von Lautmann, ZRP 1972, S. 129 (131), mit weiteren eindringlichen Beispielen. 97 Siehe die Erhebungen von Treuer u. a., Arbeitsplatz Gericht, S. 186 f., 194, 196, wo ein Beisitzer angab, er erstelle statt Voten „Devoten“. 98 SächsOVG, SächsVBl. 2004, S. 66 (68). 99 Lautmann, ZRP 1972, S. 129 (131). 100 Siehe Treuer u. a., Arbeitsplatz Gericht, S. 195. 101 Siehe dazu ausführlich Lamprecht, BB 1992, S. 2153 ff. 102 Wenngleich der Blick auf die Bundesrichter den Alltag an der „Basis“ nicht hinreichend zu erfassen vermag, so krit. Rasehorn, RuP 32 (1996), S. 111 (113 u. ö.): „Die Richter sind emanzipativer, moderner und demokratischer geworden.“ Mit gleicher Feststellung Bäumer, FS Schmid, S. 199 (204 ff.). 103 Siehe dazu R. Jaeger, ZRP 2003, S. 468 ff.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

tion und weitere Richter als ebenso arbeitsame wie gebogene Quasi-Sachbearbeiter herzustellen und diese im ursprünglichen Wortsinne Diskriminierung mit den absonderlichsten Gründen zu rechtfertigen. Solchen Absichten dienen mannigfaltige justizinterne Sozialisierungs- und Disziplinierungsmechanismen. Zu derlei Bestrebungen gehört der Kult um den Vorsitzenden.“104

Es kann an dieser Stelle keine empirische Untersuchung der tausendfachen Vorsitzenden-Beisitzer-Beziehungen geleistet werden – die sich zudem generationenbedingt im Wandel befindet105. Es bleibt aber die Erkenntnis, daß die Implementation (informeller) hierarchischer Strukturen in eine kraft Verfassung grundsätzlich egalitär ausgestaltete Organisation als Widerspruch erscheinen muß. Die Annahme, es sei unter diesen Bedingungen ein weitgehend „herrschaftsfreier Diskurs“ möglich, erscheint jedenfalls nicht unbedingt naheliegend106. Dabei ist es sinnlos, „die Integrität der Vorsitzenden zu betonen und Vertrauen in ihre Tätigkeit zu fordern“107, und auch die sicherlich unbestreitbare Tatsache, daß viele Spruchkörper fernab dieser beschriebenen Situationen verhandeln, kann das Problem als solches nicht beseitigen. Dabei teilt die Vorsitzendentätigkeit das Schicksal der inneren Unabhängigkeit: In sie spielt „vieles Nicht-Normierbare und nicht zwingend aus Verfassungsvorschriften Ableitbare“ hinein, wie etwa das Klima in einem Spruchkörper108. Indem der Umgang mit dieser widersprüchlichen Situation in konsequenter Fortführung des Art. 92 Hs. 1 GG allein dem einzelnen Richter „anvertraut“ wird, mag dahinter tatsächlich die Auffassung vom Vertrauen der „Verfassung in die zur Rechtsprechung ermächtigten Persönlichkeiten“109 stehen. Wenn aber die innergerichtliche, besonders aber spruchkörperinterne Hierarchie auch nur annähernd so wie beschrieben herrscht, hat die Richterpersönlichkeit wohl prinzipiell dieses Vertrauen „der Verfassung“ – korrekt wäre wohl: des den Art. 92 Hs. 1 GG so verstehenden Verfassungsinterpreten – enttäuscht. Wegen der Informalität der Beziehung zwischen Vorsitzendem und Beisitzer entzieht sie sich der formalisierten Kontrolle, wie sie das Verfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG gegen die Dienstaufsicht bietet, und macht sie daher besonders gefährlich. Das Menschenbild der Gewaltenteilung, das angesichts der Fehlsamkeit des Menschen, der aus „krummem Holz“110 geschnitzt ist, auf Kontrolle setzt111, verliert gerade innerhalb der Hauptkontrolleure des Grundgesetzes, den Gerichten, seine Geltungskraft. Auch wenn das Bemühen innerhalb der Gerichte 104 105 106 107 108 109 110 111

Wiebel, BB 1992, S. 573 (573). Vgl. Jäger, BJ 2004, S. 274 (276). So aber Eser, FS Salger, S. 247 (267 f.). Wiebel, BB 1992, S. 573 (574); ebenso Eser, FS Salger, S. 247 (268 f.). Kissel, DRiZ 1995, S. 125 (127). Kissel, DRiZ 1995, S. 125 (127). Depenheuer, Der Staat, S. 14. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 V (1980) Rn. 12.

V. Hierarchisierung der Rechtsprechung

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und Spruchkörper um die Verwirklichung der Idee einer unabhängigen Rechtsprechung im Regelfall ernorm sein sollte, so bleibt dennoch Kissels Erkenntnis richtig: „Menschliche Schwächen, wer wollte das leugnen, stehen dem oft genug entgegen, aber nicht nur Vorsitzende haben Schwächen.“112 Vor diesem Hintergrund erscheint die Idee einer mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzten Zivilkammer des LG im Entwurf eines 1. Justizbeschleunigungsgesetzes113 geradezu wirklichkeitsfremd. Augenscheinlich glauben die Entwurfsverfasser aber doch daran, daß dies möglich sein könnte und sehen für diesen Fall die Rückübertragung auf die Gesamtkammer, also die Hinzuziehung des zweiten Beisitzers, vor. Dies aber setzt voraus, daß es einen Beisitzer geben könnte, der seinem Vorsitzenden nicht nur inhaltlich widerspricht, sondern ihm, seinem bis dahin nicht beteiligten Kollegen und sich selbst, die allesamt ohnehin überlastet sind oder sich zumindest so fühlen, die zusätzliche Arbeit einer erneuten Beratung aufbürdet, ohne dafür eine weitere „Erledigung“ auf dem Weg zur Erfüllung des Pensenschlüssels zu bekommen. Solche Fälle mag es geben, dürften aber nicht eine wirklich relevante Größe darstellen; schon gar nicht die Option, daß der beigezogene zweite Beisitzer dann ebenfalls gegen den Vorsitzenden stimmt und damit Begehrlichkeiten dahingehend weckt, die Überstimmung des Vorsitzenden könnte ein dauerhaft möglicher Weg sein. Entsprechend führt der Entwurf dann in der Begründung auch aus, daß nach „den Erfahrungswerten der Praxis“ in Kollegialgerichten „nur in den seltensten Fällen keine einstimmigen Abstimmungsergebnisse erzielt“ würden114 (sic!). Nach den Gründen hierfür fragt die Entwurfsbegründung freilich nicht (mehr).

V. Hierarchisierung der Rechtsprechung – der Tragödie zweiter Teil: Die Richter unter der Kuratel der Exekutive 1. Keine Unabhängigkeit der „Gerichte“ Nähert man sich ohne tiefer gehende Vorkenntnisse dem deutschen Verständnis von richterlicher Unabhängigkeit, so fällt bereits bei der Lektüre ihrer verschiedenen Kodifikationen eine Besonderheit auf. Die älteste, noch in Kraft be-

112 Kissel, DRiZ 1995, S. 125 (127). Plastische Schwächenschilderung bei Beisitzern durch C. Seibert, JZ 1959, S. 349 (349). 113 Siehe Entwurf eines § 348b ZPO, BT-Drs. 15/999, S. 3, 18 f. 114 BT-Drs. 15/999, S. 19; zutreffend krit. die Stellungnahme des DRB vom Juli 2003 zu § 348b ZPO in der Fassung des Entwurfs (s. a. FN 95). Nebenbei setzt das Wissen um diese Erfahrungswerte der „Praxis“, wenn es denn eine repräsentative Grundlage hat, einen vielfachen Bruch des Beratungsgeheimnisses voraus.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

findliche Garantie der (sachlichen115) richterlichen Unabhängigkeit (für die ordentliche Gerichtsbarkeit116) findet sich in § 1 GVG, dessen Wortlaut bereits 1877 so gefaßt war117: „Die richterliche Gewalt wir durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt.“118

Ähnliche oder nahezu gleichlautende Formulierungen zur Einrichtung unabhängiger Gerichte finden sich auch in den Prozeßordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeiten (§ 1 VwGO, § 1 SGG, § 1 FGO), in denen zusätzlich besonders auf deren Trennung von den Verwaltungsbehörden hingewiesen wird119. Demgegenüber formulieren sowohl Art. 97 Abs. 1 GG wie auch (ihm folgend120) § 25 DRiG in Nachfolge von Art. 102 WRV personalisiert: Nicht die Gerichte, sondern der/die Richter werden für unabhängig erklärt121. Letzteres ist die deutlichere Alternative angesichts des historischen Hintergrunds der richterlichen Unabhängigkeit, der vorrangig den einzelnen Richter, weniger die organisatorischen Einheiten „Gerichte“ als Schutzgut der Unabhängigkeitsgarantie vor der Einflußnahme der Exekutive ausweist122.

115 § 8 GVG a. F. betraf die persönliche Unabhängigkeit, vgl. Kissel, § 1 GVG, Rn. 19. 116 Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (541). 117 Vgl. R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, Vor § 1 GVG (2002), Rn. 2; die Verfassung des Dt. Reiches vom 16. April 1871 enthielt keine Garantie der richterlichen Unabhängigkeit. Sie fand sich aber bereits in Art. 86 der Revidierten Preußischen Verfassung vom 31.1.1850 („Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner andere Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt.“) und in Art. 175 der Paulskirchenverfassung vom 29. März 1849, hierin allerdings noch in einer Formulierung, die den Gerichten nicht das Attribut „unabhängig“ beigab, sondern deren Tätigkeit adverbial als „selbständig“ beschrieb; ausführlich zur Geschichte der richterlichen Unabhängigkeit in Deutschland Kotulla, DRiZ 1992, S. 285 ff. 118 Zutreffend bemerkt Berkemann, FS Zehn Jahre VG Leipzig, S. 15 (22), daß die Fortgeltung des § 1 GVG in den verschiedenen politischen Systemen „eigentlich ein Beleg für ihre faktische Unwirksamkeit“ sei. 119 Etwa § 1 SGG: „Die Sozialgerichtsbarkeit wird durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte, besondere Verwaltungsgerichte ausgeübt.“ Der Entwurf der letzlich gescheiterten VwPO (s. Bundsminister der Justiz [Hrsg.], VwPO-Entwurf, S. 15, 115) verzichtete in Angleichung an § 1 GVG auf den Trennungshinweis, da sie ohnehin selbstverständlich war, vgl. Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner (Hrsg.), VwGO (1996), § 1 Rn. 4; ebenso auf die Gerichte abstellend die Verfassungen der Länder Berlin, Bremen und Hamburg. 120 Vgl. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 25 Rn. 1 f. 121 Gleiches gilt für die Verfassungen der Länder: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. 122 Für eine kollektive Zuweisung der Unabhängigkeit an die Gesamtheit der Amtswalter jedoch Reinhardt, Jurisdiktion, S. 115.

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Geht man diesem Unterschied nach, so findet sich zunächst eine communis opinio in der Literatur: Ein inhaltlicher Widerspruch werde durch die verschiedenen Formulierungen nicht verursacht123. „Gerichte“ in § 1 GVG umfasse „auch die personalen Träger der rechtsprechenden Gewalt“124 und betone (zudem) die „institutionelle Unabhängigkeit“125 der Gerichte126. Beide Formulierungen seien im Hinblick auf den Zweck der Unabhängigkeitsgarantie richtig, da sowohl „Behörden und sonstige Staatsorgane als auch deren Angehörige oder Mitglieder Weisungsadressaten sein könnten“127. Soweit also nicht eine inhaltliche (Teil-)Identität der beiden Begriffe angenommen wird128, ist von einer Komplementärfunktion auszugehen. Gerichtsentscheidungen, die aus dem Begrifflichkeitsunterschied Folgerungen gezogen hätten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. a) Keine institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte Da der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit gesetzlich nicht definiert wird129, begegnet man in Form der mit dem Gerichts-Begriff verbundenen „institutionelle Unabhängigkeit“ einer (ersten) interpretatorischen Konkretisierung, die zudem der Fundamentalnorm des Art. 20 Abs. 2 GG zur Wirksamkeit zu verhelfen scheint. Sie erfordere – so Kissel – als Ausfluß des Gewaltenteilungsgrundsatzes die „organisatorische Trennung der Dritten Gewalt von Legislative und Exekutive“130. Die Rechtsprechungsorgane (Richter und Gerichte131) müßten organisatorisch und personell hinreichend von Verwaltungsbehörden getrennt sein, auch wenn diese Trennung nicht absolut durchführbar sei132. Diese „organisatorische Selbständigkeit“133 der Gerichte soll zudem durch Art. 20 123 Ausdrücklich Kissel, Einleitung Rn. 161; § 1 GVG Rn. 4; Eb. Schmidt, LehrK I, Rn. 459; inzident (wohl) Kopp/Schenke, § 1 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 1 GVG Rn. 1; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 464. 124 Kissel, GVG, § 1 Rn. 28. 125 Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 464. 126 Diese Auffassung negiert damit freilich die Differenzierung, wie sie etwa noch dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee bewußt war, vgl. unten § 3 I. 4. a). 127 Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (540). 128 So etwa Kissel, Einleitung Rn. 161 („synonym“). 129 Kissel, GVG, § 1 Rn. 39; Fürst, in: GKÖD, § 25 DRiG (9/2000), Rn. 2; BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (169). 130 Kissel, § 1 GVG, Rn. 32. 131 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 55; Bettermann, in: ders./ Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (633). 132 Kissel, GVG, Einleitung, Rn. 164, 170. 133 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 97 (1977), Rn. 10, 45; ihm in dieser Terminologie folgend Fürst, in: GKÖD, § 25 DRiG (1/1998), Rn. 13; ebenso SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 69.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

Abs. 2 S. 2 GG „so gut wie lückenlos“ festgelegt134, jedenfalls aber „relativ strikt gewährleistet“135 sein, ihr Fehlen sogar die Gerichtsqualität beseitigen136. Auch das Bundesverfassungsgericht verlangt eine institutionelle Trennung der Gerichte von der Exekutive, hält aber Überschneidungen, etwa in Form der hergebrachten Betrauung von Richtern mit Aufgaben der „Justizverwaltung“, für unschädlich, andere unter Umständen für zweifelhaft137. Hält man sich dies vor Augen, so erzeugt ein Blick in die Realität Verwunderung. Denn nur das Bundesverfassungsgericht erfüllt diese soeben weitreichend formulierten Anforderungen der organisatorischen Selbständigkeit. Seine nicht-richterlichen Bediensteten unterstehen nicht der Personalhoheit eines Ministers, sondern allein dem Gerichtspräsidenten, die Richter unterstehen keiner Dienstaufsicht138 und werden nach einem eigenen Gesetz besoldet139. Außerdem stellt das Bundesverfassungsgericht seinen Haushaltsbedarf selbst fest140. Der unmittelbare Einfluß der anderen Gewalten endet nach der Wahl der Richterinnen und Richter gem. Art. 94 Abs. 2 GG. Nicht die Zugehörigkeit zur Dritten Gewalt, die in der Aufnahme in den IX. Abschnitt des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt141, ist jedoch hinreichender Grund dieser Selbständigkeit, sondern der Status des Bundesverfassungsgerichts als Gericht sui generis und Verfassungsorgan (§ 1 BVerfGG, insoweit aber nur deklaratorisch)142, der auch nicht von Anfang an bestand, sondern vom Gericht erst erstritten werden mußte143. Den übrigen Gerichten, auch den obersten Bundesgerichten gem. Art. 95 GG, fehlt eine Eigenständigkeit, jedenfalls eine solche, wie sie nach den zuvor aufgeführten Schlußfolgerungen aus der Garantie der Gewaltenteilung und der in134

Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 97 (1977), Rn. 45. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 69. 136 Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (637); Fürst, in: GKÖD, § 25 DRiG (1/1998), Rn. 13; Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, Vor § 1 GVG (1989) Rn. 8; AK-GG-Wassermann, Art. 97 Rn. 60. 137 BVerfGE 4, 331 (346 f.); s. a. BVerfGE 55, 372 (389). 138 § 105 BVerfGG, Schmidt-Ränsch/Schmidt-Ränsch, DRiG, § 69 Rn. 3. 139 Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts vom 28.2.1964 (BGBl. I, S. 133). 140 Siehe Benda/Klein, VerfPR, Rn. 104. 141 Vgl. Benda/Klein, VerfPR, Rn. 99. 142 Auf diese Eigenschaft führt auch Papier, NJW 2002, S. 2585 (2588), die weitergehende Autonomie des BVerfG zurück. Dies war auch die Auffassung des Plenums des BVerfG, das in seiner Statusdenkschrift vom 27. Juni 1952, abgdr. in JöR NF 6 (1957), S. 144 ff., einen materiellen Begriff des „Verfassungsorgans“ zugrunde legte. Hingegen faßte Thoma, Rechtsgutachten, S. 161 (166), den Verfassungsorganbegriff nur formal auf. 143 Zur Stellung des BVerfG als Verfassungsorgan und die daraus entstehenden Konsequenzen vgl. die Status-Denkschrift des BVerfG-Plenums, abgdr. in JöR NF 6 (1957), S. 144 ff.; dazu Faller, EuGRZ 2002, S. 306 f. 135

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stitutionellen Unabhängigkeit zu erwarten wäre144. Ihre gesamte Gerichtsverwaltung, die Mehrzahl des Personals sind exekutive Beamte, Angestellte und Arbeiter, und selbst der Richter, erst recht der Gerichtspräsident in seiner Eigenschaft als solcher, wird zur weisungsgebundenen Verwaltungsperson, wenn er gem. § 42 DRiG zu Tätigkeiten der Gerichtsverwaltung herangezogen wird145. Die Einstellung aller Beschäftigten, ihre Beurteilung und Beförderung liegt in den Händen der Exekutive. Dies gilt grundsätzlich auch für die Richter, wenn auch hier in den meisten Ländern die Mitwirkung eines Richterwahlausschusses für die Einstellung146 und Beförderung147 erforderlich ist; nur Bayern, Nordrhein-Westfalen und das Saarland sind „unberührt“ von der Institution eines Richterwahlausschusses148. Sieht man im Präsidenten des jeweiligen Obergerichts, dem „Chefpräsidenten“, zugleich eine Mittelbehörde149, so unterscheidet sich die Verwaltung der Gerichte in ihrem Aufbau nicht mehr von der klassischen inneren Verwaltung150: „Auch die Verwaltung der Gerichte ist Verwaltung.“151 Worin drückt sich nun die „institutionelle Sonderung“152 der Gerichte aus? Letztlich gar nicht; sie existiert nicht. Die Gerichte sind als Institutionen nicht von der Exekutive getrennt. Mit welcher Ungenauigkeit die Mär von der institu144 Anders aber Papier, NJW 2002, S. 2585 (2587), der der richterlichen Unabhängigkeit eine andere Schutzrichtung zuweist als der rechtspolitischen Idee einer Autonomie oder Selbständigkeit der Dritten Gewalt. 145 Statt aller Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 19. Wie wenig dies auch in der „Fachwelt“ bewußt ist, zeigt die Formulierung von Stürner, BRAKMitt. 2003, S. 214 (216), wonach es „nicht nur die Exekutive“ ist, „die Unabhängigkeit gefährden kann, es sind auch Gerichtspräsidenten (. . .)“; dies belegt die eingangs diagnostizierte unzulängliche Berücksichtigung der Gerichte als Schnittstelle zweier Gewalten (s. oben § 1 III.). 146 Art. 136 Abs. 1 BremVerf. i. V. m. § 8 RiG Bremen, Art. 127 Abs. 1 HessVerf. i. V. m. §§ 8 ff. RiG Hessen; §§ 13 ff. RiG Thüringen. 147 §§ 43 Abs. 5 RiG Baden-Württemberg; § 13 RiG Berlin, § 12 RiG Brandenburg, Art. 63 HambVerf i. V. m. §§ 14 ff. RiG Hamburg; §§ 10 ff RiG Schleswig-Holstein; Rheinland-Pfalz plant eine diesbezügliche Einführung, vgl LT-Drs. 14/2288. 148 Art. 76 Abs. 3 Verf. Mecklenburg-Vorpommern, Art. 51 Abs. 3 NdsVerf., Art. 79 Abs. 3 SächsVerf. und Art. 83 Abs. 4 Sachs-AnhVerf. sehen Ermächtigungen für die Einrichtung eines Richterwahlausschusses vor, von denen der jeweilige Gesetzgeber aber noch keinen Gebrauch gemacht hat; vgl. die umfassende Darstellung bei Mahrenholz, NdsVBl. 2003, S. 225 ff. 149 So auch die Terminologie bei H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 33. Dies kommt so auch außerhalb von Fachkreisen an, s. nur WamS vom 16.6.2002, abdgr. in BDVR-Rundschreiben 2002, S. 123 f., wo vom Präsidenten des HessVGH berichtet wird, er stehe „nun fünf Verwaltungsgerichten vor“. 150 So spricht auch Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 38 (1997) Rn. 15, vom „Behördenaufbau für die Gerichtsverwaltung“. 151 Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, S. 18 (24). 152 So U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (137, 144), der zudem noch allgemeiner und damit noch unzutreffender von einer Sonderung der „Justiz“ spricht.

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tionellen Unabhängigkeit perpetuiert wird, belegen beispielhaft folgende Ausführungen von Kissel: „Die vom Gewaltenteilungsgrundsatz gebotene institutionelle Unabhängigkeit erfordert die organisatorische Trennung der Dritten Gewalt von Legislative und Exekutive (. . .). Diese Trennung erschöpft sich nicht in der Selbständigkeit der Gerichte als Behörden, sondern hat auch eine personale Komponente: Ein (Berufs-) Richter, der Aufgaben der Rechtsprechung wahrnimmt, darf nicht gleichzeitig in der gesetzgebenden oder vollziehenden Gewalt tätig sein (Grundsatz der Inkompatibilität: . . .).“153

Demnach soll die Trennung von Judikative und Exekutive ihren Ausdruck finden in der Selbständigkeit der Gerichtsbehörden. Dies ist eine kaum nachvollziehbare Aussage, ist doch die Gerichtsbehörde eine administrative Einrichtung, die gegenüber der Exekutive keine Selbständigkeit besitzt, sondern direkt in sie eingegliedert154, also eine ihrer Teileinrichtungen ist. Wo andernorts von der organisatorischen Unabhängigkeit oder Selbständigkeit „der Gerichte“ gesprochen wird155, geschieht dies in der gewohnt undifferenzierten Wortwahl ohne die klarstellende Unterscheidung zwischen richterlichem Spruchkörper und administrativer Einheit, so daß evidente Widersprüche wie der eben zitierte nicht auftreten. Gleichwohl wird nicht deutlich, worin denn, selbst wenn – insoweit noch zutreffend – nur die Spruchkörper gemeint sein sollten, diese institutionelle Unabhängigkeit besteht. Soweit damit gemeint sein sollte, daß die Entscheidungen der Gerichte nicht von den anderen Staatsgewalten aufgehoben werden können156, ist dies nicht die Folge einer organisatorischen Trennung, sondern des den einzelnen Richtern vorbehaltenen Rechtsprechungsmonopols aus Art. 92 GG. Ebensowenig dokumentiert die Zuständigkeit des Präsidiums für die Geschäftsverteilung eine organisatorische Unabhängigkeit als zwingende Folge der Unabhängigkeitsgarantie157. Eine Lösung könnte eine sprachliche Genauigkeit bringen, wenn die institutionelle Trennung sich dann eben nicht auf die Gerichte als Behörden bezöge, sondern auf die jeweiligen Einzelrichter, Kammern und Senate, die als solche von der Exekutive organisatorisch getrennt sein müssen. Dies überzeugt letztlich jedoch nicht. Die Spruchkörper der jeweiligen Gerichte sind untrennbar mit ihren „administrativen Einheiten“ verbunden und lassen sich nicht als davon separate Institutionen begreifen, die als solche allein von den anderen Gewalten 153

Kissel, GVG, § 1 Rn. 32 (Hervorh. nicht im Original). So auch B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (283). 155 Siehe etwa Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 97 (1977) Rn. 45; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 69; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 47; Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 92 Rn. 61. 156 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 69. 157 So aber Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 47. 154

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getrennt sind158. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man als Gericht die „Gesamtheit aller Spruchkörper“159 definiert, denn auch diese ist organisatorisch untrennbar in die exekutive Gerichtsverwaltung eingebunden und zudem als abgrenzbare Kollektiveinheit rechtlich und faktisch nicht konstituiert160. Auch rechtlich ist eine trennende Betrachtung von Richter(n) und Gericht als Institution durch Art. 92 GG ausgeschlossen, da erst deren „spezifische Verschränkung (. . .) die Stellung der dritten Gewalt im Grundgesetz“161 ausmacht; „die rechtsprechende Gewalt ist (. . .) Gerichtsgewalt und richterliche Gewalt“162. b) Bloße Inkompatibilität statt organisatorische Unabhängigkeit Aber selbst wenn man darüber hinwegsehen und die Richter von „ihren“ Gerichten abstrahiert betrachten wollte, weil (nur) die Richter selbst als „verfassungsunmittelbare Organe“163 oder als Träger der rechtsprechenden Gewalt164 begriffen werden, bliebe die „organisatorische Unabhängigkeit“ auf niedrigstem Niveau. Sie beschränkte sich dann nämlich auf die Inkompatibilitäten des § 4 DRiG. Zwar dient diese Vorschrift tatsächlich der Durchführung des Gewaltenteilungsgrundsatzes165, reicht aber zur Konstituierung einer eigenen „institutionellen Unabhängigkeit“ nicht aus, wenn man bedenkt, in welchem Maße jeder Richter in die exekutive Gerichtsorganisation eingebunden ist. Dies gilt erst recht für den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG, wenn ein Richter zu Aufgaben der Gerichtsverwaltung herangezogen wird. Insoweit übt er weisungsgebunden166 exekutive Gewalt aus, wenn auch ohne seine Zustimmung167 nur im Nebenamt168, was aber immerhin bis fast 50% seiner Arbeitskraft ausmachen kann. Dies mag deutscher Tradition entsprechen169, erscheint aber als 158 Ausdrücklich Grimm, Dienstaufsicht, S. 49: „Die Richter sind also (. . .) die besonderen Organe im Sinne des Art. 20 II 2 GG.“ (Hervorh. im Original). 159 So für den Begriff in Art. 92 GG Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, 92 Rn. 61. 160 Auch ein Großer Senat eines Gerichts vereinigt nicht alle Senate als Plenum, sondern nur deren Repräsentanten; einzige Ausnahme bildet daher nur das Plenum des BVerfG (§§ 1 Abs. 3, 16 BVerfGG). 161 Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Einleitung (1996) Rn. 37. 162 Bettermann, HStR III, § 73 Rn. 4. 163 AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 36. 164 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 55. 165 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 4 Rn. 2. 166 Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 2. 167 Bei Richtern auf Probe bedarf es deren Zustimmung nicht, s. § 13 DRiG. 168 Vgl. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 42 Rn. 4 ff. 169 Vgl. BVerfGE 55, 372 (388 f.).

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äußerst widersprüchlich, weil gerade dort auf die personelle Sicherung der Gewaltenteilung verzichtet wird, wo sie besonders erforderlich wäre: Genau in der Situation, in der unabhängiger Richter und weisungsgebundenes Exekutivorgan in der Person des Gerichtspräsidenten direkt aufeinandertreffen und sich daher das Gefährdungspotential in größtem Maße konkretisiert, wird die Trennung beider Gewalten mittels Inkompatibilität aufgehoben170. c) Keine Konstitutionalisierung der Inkompatibilitäten Vor allem aber scheitert der Versuch einer Konstitutionalisierung der Inkompatibilitätsvorschriften des § 4 DRiG an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine verfassungsrechtlich induzierte institutionelle Unabhängigkeit im Sinne einer personalen Komponente171 im Umfang der Vorschriften des DRiG gibt es daher nicht172. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zu den Gemeindegerichten in Baden-Württemberg173 zwar im Hinblick auf Art 20 Abs. 2 GG „eine zu enge personelle Verzahnung zwischen den Organen der rechtsprechenden und der vollziehenden Gewalt“ und „grundsätzlich jede organisatorische Verschmelzung von Gerichten und Verwaltungsbehörden“ für unzulässig erklärt. Dies verbiete aber ebensowenig wie Art. 92 GG nicht, daß auch exekutive Amtsträger der (Gemeinde-)Verwaltung und ausdrücklich sogar der Bürgermeister (§ 2 Abs. 2 Gemeindegerichtsgesetz [GGG]) der jeweiligen Gemeinde als Richter tätig würden und rechtsprechende Gewalt ausübten174. Die Begründung, die dabei auf das Fehlen eines Pflichtenwider-

170 Hier kann eine Person – entgegen BVerfGE 4, 331 (346 f.) – doch „durch den Satz, er sei als Richter nicht weisungsgebunden, aus einem Repräsentanten der Exekutive für einzelne Geschäfte in einen Repräsentanten der Rechsprechung verwandelt werden“ (s. näher unten bei FN 185). Daher allzu unbedarft BVerwG, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 184: „Jedenfalls ist allen Beteiligten klar, dass der Präsident in diesem Falle weder als Dienstvorgesetzter noch als Richter, sondern als Behördenleiter tätig wird“. Welche rechtliche Unterscheidung der Differenzierung zwischen Behördenleiter und Dienstvorgesetztem zugrunde liegt, ist kaum nachvollziehbar: Die Dienstaufsicht ist gerade an die Funktion und Stellung des Präsidenten als „Behördenleiter“ geknüpft. 171 Kissel, GVG, § 1 Rn. 32. 172 Ebenso jüngst RhPfVerfGH, NVwZ-RR 2004, S. 233 (234 ff.); zu weitgehend daher Schaffer, BayVBl. 1991, S. 678 (678). 173 Nur das Land Baden-Württemberg hatte von der hergebrachten (s. Kern, Geschichte, S. 218) Möglichkeit des § 14 Nr. 2 GVG a. F. (außer Kraft seit dem 1.4. 1974, BGBl. I, S. 761) zur Errichtung besonderer Gerichte Gebrauch gemacht und Gemeindegerichte errichtet (GGG v. 7. März 1960, GBl. S. 73), diese Regelung aber zum 1. Januar 1972 aufgehoben, da das Vertrauen in die ortsnahen Gerichte geschwunden war, vgl. Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Humane Justiz, S. 91 (102); die bundesgesetzliche Regelung wurde sodann wegen Bedeutungslosigkeit gestrichen (vgl. BT-Drs. 7/1586, S. 3). 174 BVerfGE 14, 56 (69).

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streits in der Person des jeweiligen Beamten und Richters abstellte175, vermischt zwar den Aspekt von Neutralität und Unbefangenheit des Richters mit dem der Trennung der Gewalten und erscheint daher durchaus trotz deren teilweiser Überschneidung176 kritikwürdig177. Sie macht aber klar, daß die bloße Vereinigung von Richter- und Verwaltungsamt in einer Person als solche keinen Verstoß gegen die Gewaltenteilung darstellt178 und hierbei je nach Gerichtszweig zu differenzieren („zu enge personelle Verzahnung“179) sein wird180. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich das Erfordernis der hinreichenden181 organisatorischen Trennung von Rechtsprechungsorganen und Verwaltungsbehörden für alle Gerichtszweige postuliert, so fehlt es doch an einem einheitlichen Maßstab, dessen Mindestbedingungen noch den Begriff „Trennung“ im organisatorischen Sinne rechtfertigen würde und dabei zugleich einen anderen Bedeutungsgehalt als den der Sicherung der Neutralität des zur Entscheidung berufenen Richters aufwiese. Nimmt man die GemeindegerichtsEntscheidung182 ernst, ist eine materiale Trennung von Gericht und Verwaltungsbehörde kein Erfordernis der Gewaltenteilung. Sie ist nur und erst dort betroffen, wo das Neutralitätsgebot für den Richter oder dessen (persönliche) Unabhängigkeit (mit-)tangiert wird. Das bestätigt die Entscheidung zu den württemberg-badischen Friedensgerichten, in der das Bundesverfassungsgericht herausstellt, daß sich das „materielle Gewicht“ der Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung besonders da zeige, „wo die Gemeindefriedensgerichte in Übertretungssachen entscheiden“ und so Pflichtenkollisionen unausweichlich seien183. Ein verallgemeinerbares Prinzip institutioneller Unabhängigkeit der Gerichte, das über die Neutralität und die richterliche Unabhängigkeit hinaus-

175 Ebenso schon in BVerfGE 10, 200 ff., zu den württemberg-badischen „Friedensgerichten“ (gem. Gesetz Nr. 241 über die Gemeindefriedensgerichtsbarkeit des früheren Landes Württemberg-Baden v. 29. März 1949, RegBl. S. 47 [GFG]), wo die Nichtigkeit des Gesetzes nicht aus der gesetzlich sogar zwingenden Doppelfunktion als Beamter und Richter als solcher hergeleitet wurde, sondern aus der Tatsache, daß diese Beamten in strafrechtlichen Angelegenheiten ein eigenes Interesse am Ausgang der Entscheidungen hatten, da der Bürgermeister Ortspolizeibehörde und gegen Entscheidungen des Friedensgerichts rechtsmittelbefugt war. 176 Siehe a. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 486. 177 Ausführlich Betterman, AöR 92 (1968), S. 496 (514 ff.). 178 BVerfGE 10, 200 (216: „nicht jede Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung ausschließt“). 179 BVerfGE 14, 56 (68); 18, 241 (255 – Hervorh. nicht im Original). 180 So Bettermann, AöR 92 (1968), S. 496 (515); allerdings darf gerade im Hinblick auf die Gemeindegerichte nicht übersehen werden, daß ihre Abschaffung auch in einem gesunkenen Vertrauen in die Unparteilichkeit der Richter begründet lag, vgl. Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Humane Justiz, S. 91 (102). 181 BVerfGE 54, 159 (166). 182 BVerfGE 14, 56 ff. 183 BVerfGE 10, 200 (217).

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ginge, kann daher aus den Erfordernissen personeller Inkompatibilitäten nicht hergeleitet werden. Auch aus der Entscheidung zu den Soforthilfeausschüssen184 kann keine andere Schlußfolgerung abgeleitet werden. Zwar wird hier Art. 20 Abs. 2 GG neben Art. 97 Abs. 2 GG als Nichtigkeitsgrund hervorgehoben, aber ebenfalls nur im Hinblick auf das Neutralitätsgebot, das in der Person des jeweiligen „Richters“ verletzt wurde, der zugleich weisungsgebundener Beamter war und „nicht durch den Satz, er sei als Richter nicht weisungsgebunden, aus einem Repräsentanten der Exekutive für einzelne Geschäfte in einen Repräsentanten der Rechsprechung verwandelt werden“ konnte185. Soweit daneben oder darüber hinaus eine Trennung der „Gerichtsbehörden von den Verwaltungsbehörden“ als wesensnotwendiges Merkmal eines „Gerichts“ angesehen wird186, wird die deutsche Gerichtsverfassung diesem Postulat nicht gerecht. Die Trennung der Staatsgewalten hat eine ausschließlich187 personale Komponente, die auf die Gerichtsbehörden nicht übergreift. Die Gerichtsbehörden sind nicht getrennt von der Exekutive, sondern in sie eingegliedert; ihre rechtliche Weisungsgebundenheit gegenüber dem (Justiz-)Ministerium unterscheidet sich nicht von der einer sonstigen Behörde der Verwaltung. Richtig ist sicherlich, daß die Gerichte selbständige Behörden sind, die nicht etwa als eine „Rechtsprechungsabteilung“ der inneren Verwaltung auf Ebene des Landratsamtes in dieses eingegliedert sind. Dieser organisatorisch-formelle Befund hat aber keinerlei materielle Komponente in dem Sinne, daß mit der organisatorischen Eigenständigkeit als eine eigene administrative Einheit zugleich eine Ausgliederung aus der Verwaltung erfolgen und damit eine Verselbständigung gegenüber der Exekutive als Staatsgewalt eintreten würde. Mit der bloßen Eigenständigkeit als Behörde im zuvor beschriebenen Sinne ist aber im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz nichts gewonnen. Ebenso wenig gilt dies dann, wenn man meint, die Rechtsprechungsverwaltung sei von dem Trennungsgrundsatz nicht erfaßt oder sie sei auf die sächliche Ausstattung des Gerichts aufgrund eigener Haushaltstitel reduziert188, auch 184

Die Vorläufer der späteren Lastenausgleichsämter, BVerfGE 4, 331 ff. BVerfGE 4, 331 (346 f.). 186 Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (637); ebenso für eine Selbständigkeit der Gerichtsbehörden als Folge der institutionellen Unabhängigkeit Kissel, GVG, § 1 Rn. 32. 187 Nicht „auch“ eine personale Komponente, so aber Kissel, GVG, § 1 Rn. 32. 188 So Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 1 (1996) Rn. 30, 29, der aber einige Beispiele für unzulässige „Vermischungen“ nennt, die angesichts der Zugehörigkeit der Gerichtsverwaltung zur Exekutive eher harmlos erscheinen wie z. B. eine gemeinsame, von einer anderen Behörde verwaltete Bibliothek, da die Ausstattung der Bibliothek von entscheidender Bedeutung für die Rechtsfindung sei; s. hierzu trefflich OLG Hamm (DGH), DRiZ 1999, S. 222 ff. m. Anm. Schmiemann. 185

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wenn sich diese Auffassung auf das Bundesverfassungsgericht berufen kann189. Denn dieses Verständnis von organisatorischer Selbständigkeit ist zu beschränkt, als daß es eigenständige Bedeutung zur Abwehr gegenüber der Exekutive erlangen könnte. Vor allem aber richtet er sich nicht gegen die Exekutive insgesamt, und nur dann könnte man von einer Anwendung des Prinzips der Gewaltenteilung sprechen. Auch wenn das Gewaltenteilungsprinzip Überschneidungen zuläßt, so geht es deutlich zu weit, einen ganzen Bereich, noch dazu einen solchen mit so großem Einfluß wie die Gerichtsverwaltung, von diesem Grundsatz auszunehmen. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß für die Judikative insofern eine Sondersituation besteht, als „Rechtsprechung“190 ausschließlich von Richtern in ihren Gerichten ausgeübt werden darf, Art. 92 GG. Dagegen kann Gesetzgebung als eigentliche Aufgabe der Legislative auch durch die Exekutive erfolgen, Art. 80 GG, ebenso Verwaltung durch die Legislativorgane (etwa Bundestagspräsident191, s. a. § 176 BBG) oder auch die Richter (in den Grenzen des § 4 DRiG, z. B. FGG-Verfahren192). Ausgeschlossen ist hingegen die Ausübung von Rechtsprechung durch andere Organe als Richter193 innerhalb von Gerichten, also durch die Verwaltung194 oder die Legislative195. Dies ist aber keine Folge einer wie auch immer gearteten (institutionellen) Unabhängigkeit der Gerichte von den anderen Gewalten. Denn die Monopolisierung der Rechtsprechung bei den Richtern i. S. d. Art. 92 GG belegt lediglich, daß niemand sonst Rechtsprechung ausüben darf – sie besagt jedoch nichts darüber, welchen Grad an Unabhängigkeit diese Richter und „ihre“ Gerichte denn haben müssen. Nach der Prämisse von der institutionellen Unabhängigkeit müßten sich die „Gerichtsbehörden“ auch materiell von der Verwaltung unterscheiden. Kriterien für diese Abgrenzung fehlen jedoch. Die organisatorische Unabhängigkeit findet sich zwar stets als notwendige Bedingung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, es fehlen aber durchweg empirische Belege für deren Existenz. Dies kann nicht weiter verwundern, denn es gibt keine – außer dem wenig aussagekräftigen und daher als Nachweis kaum tauglichen Umstand, daß die Gerichte nicht in eine „klassische“ Verwaltungsbehörde integriert, sondern mit einem ei189

Vgl. BVerfGE 4, 331 (347). Was alles hierzu zählt, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt; der Begriff ist aber material, nicht bloß formal zu bestimmen, vgl. BVerfGE 103, 111 (137); Grimm, Dienstaufsicht, S. 65 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 24 ff.; A. Arndt, FestG Schmid, S. 9 ff. 191 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 40 (1999) Rn. 107. 192 Siehe näher Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 40 ff. 193 A. Arndt, FestG Schmid, S. 5 (9). 194 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 40; beispielhaft belegt in BVerfGE 22, 49 ff., zur Strafgewalt der Finanzämter. 195 BVerfGE 103, 111 ff. 190

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genen Präsidenten oder Direktor, der Richter sein muß, ausgestattet sind und als eigene Behörde existieren. Die Gerichtsverwaltung im übrigen unterscheidet sich von exekutivischen Behörde nicht. Sie besteht aus weisungsgebundenem, der Exekutive zugehörigem Personal mit Vorgesetzten und einer obersten Dienstbehörde wie die allgemeine Landesverwaltung auch. Beispielhaft sei auf die innere Organisation des Bayerischen Justizministeriums196 verwiesen. Hier findet sich etwa die Zuständigkeit für die Personalangelegenheiten der Richter inmitten derjenigen für die Staatsanwälte oder die Eingangsämter des höheren Verwaltungsdienstes (Abteilung A, Referat A3); ähnliches gilt für die Gerichtsorganisation, die in Abteilung B etwa zusammen mit der Raumplanung zur Zuständigkeit des Referats B2 gehört. Hieran läßt sich nur allzu deutlich die Eingliederung der Gerichtsverwaltung in die herkömmliche Staatsverwaltung ablesen. Nur das Justizprüfungsamt ist keiner der Abteilungen zugewiesen, sondern insoweit selbständig und den Gerichten „überlegen“. Man wird daher zu dem Ergebnis kommen müssen, daß es für einen bayerischen Beamten keinen Unterschied macht, ob er in einer staatlichen Abteilung des Landratsamtes Würzburg oder in der Verwaltung des dortigen Verwaltungsgerichts tätig ist. Sein oberster (Dienst-)Vorgesetzter ist in jedem Fall der bayerische Innenminister, seine Weisungsgebundenheit dieselbe. Im Verwaltungsgericht arbeiten lediglich noch Richter, die Unabhängigkeit genießen, die im Landratsamt niemand besitzt. Dies ist aber kein Merkmal organisatorischer Trennung oder institutioneller Unabhängigkeit des Gerichts, sondern Ausfluß der Art. 92, 97 GG. d) Kein Beleg einer organisatorischen Unabhängigkeit durch die Präsidialverfassung Das überkommene, unkritisch tradierte, gleichwohl fehlerhafte Verständnis von der Existenz einer institutionellen Unabhängigkeit der Gerichte läßt sich auch nicht durch Verweis auf die Präsidialverfassung (§ 21a ff. GVG) der Gerichte herleiten. Hiernach ist bei allen Gerichten197 ein Präsidium zu bilden, das sich aus dem jeweiligen Präsidenten oder aufsichtsführenden Richter als Vorsitzendem sowie weiteren von den jeweiligen Richtern aus ihrer Mitte unmittelbar und geheim (§ 21b Abs. 1, 3 GVG198) gewählten Richtern zusammensetzt. Die zentrale Aufgabe des Präsidiums besteht in der Zuweisung der am Gericht tätigen Richter zu den einzelnen Spruchkörpern und in der Festlegung der Ge196 Organigramm als Download unter http://www2.justiz.bayern.de/_organigramm/ organigramm.pdf (7.6.2004). 197 Vgl. Kissel, GVG, § 21a Rn. 5; § 2 EGGVG Rn. 19; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 364. 198 Zu den hier nicht interessierenden Einzelheiten der Größe des Präsidiums sowie des aktiven und passiven Wahlrechts s. Kissel, GVG, §§ 21a Rn. 13 f., 21b Rn. 1 ff., 8 ff.

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schäftsverteilung (vgl. § 21e Abs. 1 GVG). Die Tätigkeit des Präsidiums wird herkömmlich als richterliche Selbstverwaltung199 oder gerichtliche Selbstverwaltung200 bezeichnet. Selbst wenn hierin tatsächlich „Selbstverwaltung“ zu sehen sein sollte201, so beschränkt sie sich auf die Richter in ihren Angelegenheiten der Einzelfallentscheidung als Ausdruck von Rechtsprechung202. Sie hat keinerlei Bedeutung für die Organisation des Gerichts als organisatorischer Einheit in Trennung von der Exekutive. Insbesondere begründet sie letztere nicht, denn die in praktisch-organisatorischer Hinsicht äußerst beschränkte Wirkung der Geschäftsverteilung für die Organisation der Gesamtinstitution („das“ Landgericht X) reicht nicht aus, um daraus den Schluß einer institutionellen Unabhängigkeit zu begründen. Die gilt unabhängig davon, welcher Stellenwert der heutigen Präsidialverfassung im Hinblick auf die Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips auch immer zuzubilligen ist203. Insbesondere unter historischer Betrachtung wird deutlich, daß „die gängige Verbindung der Garantie des gesetzlichen Richters mit den Gewaltenteilungskonzeptionen“ als widerlegt gelten muß204. Zudem stellt die Geschäftsverteilung ausschließlich durch ein in Unabhängigkeit handelndes205 Richterkollegium (des betreffenden Gerichts) kein Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit, der Gewaltenteilung oder gar des Gebots des gesetzlichen Richters dar, wenn auch alle diese Garantien durch die Präsidialverfassung gestärkt werden206. Dies ergibt sich zum einen ebenfalls aus der Gemeindegerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der es die gesetzliche Regelung unbeanstandet gelassen hat, daß die Geschäftsverteilung in 199 Kissel, GVG, § 21a Rn. 7; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 364; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 136 (Geschäftsverteilung als „richterliche Selbstverwaltungsaufgabe“); BT-Drs. 15/557, S. 15. 200 Kopp/Schenke, VwGO, § 4 Rn. 1; Eb. Schmidt, LehrK I, Rn. 482; Schorn, Präsidialverfassung, S. 22: Präsidialverfassung als „stärkster Ausdruck“ der „Selbstverwaltung der Gerichte“. 201 Krit. schon Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (93 f.). 202 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 25. 203 Siehe die Bedeutung hervorhebend Eb. Schmidt, LehrK I, Rn. 482; Kissel, GVG, § 21a Rn.1; trotz der früher noch größeren Lücken in der Selbstverwaltung der Gerichte s. schon besonders betonend Schorn, Präsidialverfassung, S. 16 ff., 22 f.; zur historischen Gefährdung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung durch Einflußnahme auf den gesetzlichen Richter s. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, 2000, Art. 101 Rn. 1 ff.; Baur, Justizaufsicht, S. 11 f.; Kern, Geschichte, S. 222 ff. 204 So Seif, FS Musielak, S. 535 (555), mit ausführlicher Begründung („Demontage dieses Fehlschlusses“, ebd., S. 543, dann 544 ff.) und einem erhellenden Vergleich mit der englischen Tradition. 205 De lege lata unbestritten; s. statt aller Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 136; Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 1 (Geschäftsverteilung als „Rechsprechung im weiteren Sinn“); aus der Rspr. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 46, 147 (148 f.); BVerwGE 50, 11 (16). 206 Vgl. Schorn, Präsidialverfassung, S. 16 ff.

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den Gemeindegerichten durch den Gemeinderat, also ein Exekutivorgan, vorgenommen wurde207. Zum anderen ist Geschäftsverteilung materiell Verwaltung, jedenfalls nicht Rechtsprechung208. Dies wird auch deutlich durch § 14 BVerfGG, in dem der Gesetzgeber und nicht die Richter selbst die Geschäftsverteilung innerhalb des Bundesverfassungsgerichts geregelt hat209. Bis zum Jahre 1956 war diese Zuständigkeitsregelung ausschließlich, die dann eingeführte Abweichungsmöglichkeit durch das Plenum ist noch immer an Bedingungen geknüpft (§ 14 Abs. 4 BVerfGG210) und nicht der Normalfall. Die seit langem üblichen internen Geschäftsverteilungsbeschlüsse der Senate wurden erst erforderlich nach Einführung der Vorprüfungsausschüsse und heutigen Kammern211, da deren Zuständigkeit sich nach der des vorab zu bestimmenden, einzelnen212 Berichterstatters richtet (§ 15a Abs. 2 BVerfGG, § 20 Abs. 1 GOBVerfG). Sie sind also keineswegs der Tätigkeit eines Gerichts mit mehreren Spruchkörpern immanent. Gleiches gilt für den typischen Bestandteil eines Geschäftsverteilungsbeschlusses, nämlich die Bestimmung über die Zusammensetzung der Senate als Spruchkörper (§ 21e Abs. 1 S. 1 GVG), über die das Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht entscheiden kann, da die Richterinnen und Richter direkt in den jeweiligen Senat gewählt werden (vgl. § 5 BVerfGG)213. Vielmehr wäre die Festlegung des „gesetzlichen“ Richters in einem formellen Gesetz geradezu der Idealfall des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG214, denn es kommt entscheidend auf die abstrakte Vorausbestimmtheit des zuständigen Richters an215, um spätere Manipulationen in Ansehung anhängig werdender Einzelfälle auszuschließen. Im übrigen sichert auch die Zuweisung der Geschäftsverteilung an das Präsidium nicht gegen jede 207

So geregelt in § 3 Abs. 3 GGG, s. BVerfGE 14, 56 (59). Vgl. BGHZ 46, 147 (148 f.); Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 25 Rn. 10; Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 1; krit. Grimm, Dienstaufsicht, S. 70. Gerner/Decker/Kauffmann, DRiG, § 1 Rn. 6 f., sehen darin Rechtsprechung im formellen Sinn. 209 Deshalb sind zur Änderung der Geschäftsverteilung des BVerfG auch Parlamentsgesetze erforderlich, vgl. jüngst das Siebte BVerfGG-ÄndG vom 13.12.2003 (BGBl. I, S. 2546). 210 Erstes BVerfGG-ÄndG v. 21.7.1956 (BGBl. I, S. 662). 211 Siehe dazu Schorn/Stanicki, Präsidialverfassung, S. 4 ff.; Benda/Klein, VerfPR, Rn. 146 f. 212 Der mögliche, aber seltene „Mitberichterstatter“ gem. § 20 Abs. 2 GOBVerfG beeinflußt diese Geschäftsverteilung nicht. 213 Nicht einmal die Festlegung einer Vertretungsregel ist dem Gericht überlassen, denn hier hat ein Losentscheid zu erfolgen (s. §§ 15 Abs. 2, 19 Abs. 4 BVerfGG i. V. m. § 38 GOBVerfG). 214 Dies folgt aus BVerfGE 95, 322 (328: „Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt deshalb mit der Garantie des ,gesetzlichen‘ Richters nicht stets ein formelles, im parlamentarischen Verfahren beschlossenes Gesetz.“); insofern unzutreffend Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 3 (Nr. 3), wie hier aber ders., ebd., Art. 97 Rn. 4. 208

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Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters216 oder einen Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit217. Es werden lediglich die möglichen Urheber solcher Einflußnahmen ausgetauscht, wenn auch zuzugeben ist, daß die Richterschaft selbst noch die größte Gewähr gegen Manipulationen bietet. e) Fazit: Abschied vom Glauben an eine institutionelle Unabhängigkeit und die Folgen Der Begriff der organisatorischen Unabhängigkeit der Gerichte erscheint in Ermangelung einer von Richtern als solchen getragenen Verwaltung dieser Gerichte kaum gerechtfertigt, hierzu hätte es einer vergleichbaren Position eines von den anderen Gewalten unabhängigen Entscheidungsträgers z. B. für das Personal bedurft, wie sie etwa in der Person des Bundestags- und Bundesratspräsidenten und auch des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gem. § 176 BBG institutionalisiert ist. Parallel dazu steht den jeweiligen Verfassungsorganen die Organisationshoheit infolge ihrer jeweiligen Geschäftsordnungsautonomie218 zu. Wie die Gesetzgebungsorgane und das Bundesverfassungsgericht ihre Aufgaben erledigen und mit wem, ist ihrer Entscheidung überlassen – insoweit üben Gesetzgebungsorgane und das Bundesverfassungsgericht als Rechtsprechungsorgan materiell Verwaltung aus. Daher kann ihnen organisatorische Unabhängigkeit nicht abgesprochen werden – doch diese Entscheidungskompetenzen fehlen den (sonstigen) Gerichten. Alle Funktionen, die die Herrschaft über die Organisation gewährleisten und insoweit „Unabhängigkeit“ sichern könnten, sind nicht den Rechtsprechungsorganen zugewiesen, sondern der Exekutive. Wie und mit wem die Gerichte ihre Aufgaben erledigen, entscheiden also gerade nicht die Rechtsprechungsorgane für sich selbst, sondern wird ausschließlich von anderen Gewalten festgelegt. Die Gerichte verkörpern also genau das Gegenteil von organisatorischer Unabhängigkeit – wenn man einmal von der Geschäftsverteilung absieht. Letztlich bleibt also im Hinblick auf die Selbständigkeit der Rechtsprechung nur ein relativ strenges Inkompatibilitätsregime, das aber nicht einmal ausdrücklich Eingang in das Grundgesetz gefunden hat, sondern auf § 4 DRiG be215 Siehe nur BVerfGE 95, 322 (328 f.); auch H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 35, weist daraufhin, daß bei dem vollständig selbstverwalteten BVerfG gerade die Geschäftsverteilung grundsätzlich ausgenommen ist. 216 Belegt durch BVerfGE 95, 322 ff. 217 BVerfGE 17, 252 ff.; krit. Bettermann, AöR 92 (1968), 496 (530), der das Fehlen eines „Trottelparagraphen“ im DRiG bedauert und meint, das BVerfG hätte „nicht den Verfassungstext über den gesunden Menschenverstand triumphieren“ lassen sollen (!). Zu Planungen hinsichtlich eines „Trottelparagraphen“ s. befürwortend Rotberg, Richtergesetz, S. 35 f., dagegen Baur, Justizaufsicht, S. 79, Fn. 153; Schiffer, Deutsche Justiz, S. 248. 218 Für den Bundestag s. Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 40, Rn. 6, 22.

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schränkt ist. Konsequent ordnet Schmidt-Aßmann diesen Aspekt denn auch der „organisatorischen Gewaltenteilung“ unter. Die „rechtliche und (. . .) technischorganisatorische Selbständigkeit“ der Gewalten würde durch eben diese Inkompatibilitätsvorschriften gesichert219. Diese alleinige Sicherung wird aber entwertet, da sie ein paralleles Beeinflussungssystem einer anderen Gewalt ermöglicht, wie sie in Form der exekutiven Rechtsprechungsverwaltung einschließlich der Dienstaufsicht über Richter existiert. 2. Dienstaufsicht über Richter a) Zuständigkeit der Exekutive als gewohnheitsrechtliche Selbstverständlichkeit aa) Die rechtlichen Grundlagen „Der Richter untersteht einer Dienstaufsicht“220. Diese Fundamentalnorm des Deutschen Richtergesetzes bildet einen, wenn nicht den Grundstein der rechtlichen Beziehung zwischen Judikative und Exekutive221. Dies verwundert zunächst in nicht geringem Maße, denn zum einen bedeutet „Dienstaufsicht“, auch wenn es sich dabei um einen klassischen Begriff des hierarchisch gegliederten Beamtentums handelt, nicht per se eine Ausübung durch die Exekutive. Auch das Deutsche Richtergesetz und gerade § 26 DRiG geben keinen Hinweis auf die Kompetenz zur Ausübung der Dienstaufsicht222; erst recht nicht das Grundgesetz, das hinsichtlich solcher Fragen ohnehin von weitgehender Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Völlig unverständlich wird die Dienstaufsicht durch eine andere Gewalt als die Judikative, wenn man vom Grundsatz der Gleichordnung der drei Gewalten ausgeht – selbst wenn sie so nicht dem Grundgesetz zu entnehmen ist223. Aber selbst ohne diese Gleichordnung erzeugt sie Verwunderung, schien es doch noch manchem vor knapp 130 Jahren „ganz unfaßbar“, daß die Dienstaufsicht über Richter einem weisungsgebundenen Organ übertra219 Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 (1014); ebenso Schreiber, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 1 GVG Rn. 5. 220 So die Eingangsworte des § 26 Abs. 1 DRiG, die im Regierungsentwurf zum DRiG noch dahingehend formuliert waren, daß die Richter der Dienstaufsicht „unterliegen“, was im BT-Rechtsausschuß sodann zu dem sprachlich weniger unterwürfigen Unterstehen umformuliert wurde, s. BT-Drs. III/2785, S. 36. 221 Umfassende Darstellung der Dienstaufsicht über Richter bei Achterberg, NJW 1985, S. 3041 ff. 222 Unverständlich R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 21, der meint, § 26 DRiG habe sich für die „überkommene Lösung, die Dienstaufsicht der Justizverwaltung, in oberster Instanz dem zuständigen Minister, zu übertragen, entschieden“. 223 Röhl, JZ 2002, S. 838 (840), in bezug auf die generelle Fremdverwaltung der Gerichte; er teilt die hier formulierte Verwunderung ebenfalls.

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gen werden könnte224 (wobei es gleichzeitig sogar die Dienstaufsicht eines Staatsanwalts über einen Richter gab; seit Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes ausgeschlossen durch § 151 S. 2 GVG225). Gleichwohl ist sie weithin eine Selbstverständlichkeit, was angesichts ihres Bestehens seit „unvordenklichen Zeiten“ auch nicht weiter verwundert und zugleich die Schwierigkeiten erklärt, wenn man hierfür die Rechtsgrundlage sucht226. Kann man sogar noch einen gedanklichen Schritt zuvor auch noch fragen, ob Richter überhaupt eine Dienstaufsicht unterliegen sollen oder müssen227, so trifft man erneut auf eine Situation der Selbstverständlichkeit, die auch im eingangs nur unvollständig zitierten § 26 Abs. 1 DRiG letztlich zum Ausdruck kommt. Der Richter unterliegt der Dienstaufsicht „nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird.“ Die Vorschrift beginnt also nicht, wie noch der Regierungsentwurf von 1958228, damit, erst einmal den – augenscheinlich – an sich nicht selbstverständlichen Umstand festzulegen, daß der Richter überhaupt einer Dienstaufsicht unterliegt229. Vielmehr wird sogleich mit deren Einschränkung begonnen230, aus der sich – natürlich – im Umkehrschluß zwar auch das Bestehen als solches ergibt. Gleichwohl erscheint es als Ausdruck einer überdeutlichen Selbstverständlichkeit, wenn der Gesetzgeber in einem solch wichtigen Punkt es für nicht notwendig erachtet, erst einmal den wesentlichen Grundsatz zu normieren, bevor er an die Bestimmung der Einschränkung geht. 224 So Abg. Klotz in der 139. Kommissionssitzung des Reichstages vom 22.5.1876 (s. Hahn, Materialien, S. 829). Der äußere Anlaß zu dieser Bemerkung war gewesen, daß die verbündeten Regierungen hatten erklären lassen, sie möchten sich die Möglichkeit offenhalten, die Dienstaufsicht über Richter u. U. auch Staatsanwälten zu übertragen. 225 Ebenfalls erstaunlich wirkt in diesem Zusammenhang die diesbezügliche Kommentierung von Kissel, GVG, § 151 Rn. 2, der meint, dies sei auch verfassungsrechtlich zwingend, da anderes „gegen die Gewaltenteilung“ verstieße und zudem die „für die Dienstaufsicht über Richter zuständigen Instanzen (. . .) im DRiG abschließend geregelt“ seien – weder wird klar, worin hier der gewaltenteilungsspezifische Unterschied zur Aufsicht durch den Justizminister besteht, noch enthält das DRiG auch nur irgendeine Festlegung der Dienstaufsichtsinstanzen. 226 Röhl, JZ 2002, S. 838 (840); s. allerdings die „Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbeörden in der preußischen Monarchie“ vom 27.10.1810, wonach zum Geschäftsbereich des Justizministers gehörte: „Alles ohne Ausnahme, was die Oberaufsicht über die eigentliche Rechtspflege betrifft“ (zitiert nach W. Schütz, Einwirkungen, S. 4). 227 Vgl. bejahend Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 3; die Richter des BVerfG unterliegen keiner Dienstaufsicht, s. ebd. Rn. 9; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998) Rn. 9; Baur, Justizaufsicht, S. 58 f.; ablehnend Simon, DRiZ 1980, S. 90 ff. 228 BT-Drs. III/516, S. 5, Begründung S. 39 f. 229 Krit. in dieser Hinsicht auch Weist, DRiZ 1968, S. 223 (223 f.). 230 Infolge der entsprechenden, heute noch gültigen Formulierung im BT-Rechtsausschuß, vgl. BT-Drs. III/2785, S. 36.

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Diese Selbstverständlichkeit tritt nicht nur in der Entstehungsgeschichte, sondern auch bei der Einführung der optionalen Wehrstrafgerichtsbarkeit hervor: Diskutiert wird vom Verfassungsgeber nicht etwa die Frage des Ob der Dienstaufsicht über diese Richter, sondern nur die der jeweiligen Zuständigkeit231. Dasselbe Verständnis herrschte auch bei den Beratungen zum Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, wo ausgeführt wurde, daß die Richter der Dienstaufsicht des zuständen Ministers ganz von selbst unterlägen232. Dabei war dies gerade gegenüber dem BVerwG als oberstem Bundesgericht alles andere als „selbstverständlich“. Denn sowohl im Kaiserreich wie auch in der Weimarer Republik waren die Richter oberster Gerichte weithin keiner Dienstaufsicht unterstellt233, dies galt für die Richter des Reichsgerichts234, des Reichsarbeitsgerichts (als damaligem Teil des Reichsgerichts), des Reichsfinanzhofs, aber auch die Richter des Preußischen235 und Sächsischen236 Oberverwaltungsgerichts sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs237. Dies änderte sich erst infolge der GVVO 1935238 bzw. der Ersten Durchführungsverordnung zum Führer-Erlaß über die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts239, wodurch die Richter der Aufsicht des Reichsjustizministers bzw. des Reichsministers des Innern unterstellt wurden240. Nach Aufhebung der vorgenannten Ersten Durchführungsverordnung durch das Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952241 entfiel für die Richter des BVerwG die Dienstaufsicht und wurde erst durch die pauschale Unterstellung der Richter durch § 26 Abs. 1 DRiG wieder eingeführt. Im Ergebnis erweist sich die Regelung des Deutschen Richtergesetzes für die Richter der obersten Bundesgerichte als Fortsetzung bzw. Wiedereinführung des Justizaufsichtskonzepts des Dritten Reiches und als eine Abkehr von der vorhergehenden über sechzigjährigen242 Tradition. Ursache war aber sicher weniger eine bewußte Anknüpfung an ein faschistisches Verständnis 231

Siehe Steinkamm, Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 338 ff. So MdB Adolf Arndt in der Sitzung des Ausschusse für Rechtspflege und Verfassungsschutz, s. Ausschußbericht vom 29.5.1952, zitiert nach Weist, DRiZ 1968, S. 223 (224). 233 Übersichtlich zusammenfassend Weist, DRiZ 1968, S. 223 (223 ff.). 234 Baur Justizaufsicht, S. 59 f.; das galt auch schon zuvor für das Bundes- und dann Reichsoberhandelsgericht, s. Weist, DRiZ 1968, S. 223 (223); zur Stellung der Richter des Reichsgerichts s. Mende, HDStR II, S. 77 (85). 235 Seit seiner Gründung, s. §§ 20–25 des Gesetzes vom 3.7.1875 (PreußGS, S. 375). 236 §§ 4 ff. des Gesetzes vom 19.7.1900 (SächsGVBl., S. 369). 237 Art. 1 ff. des Gesetzes vom 8.8.1878 (BayGVBl., S. 486). 238 RGBl. I, S. 403 (s. sogleich bei FN 250). 239 Siehe § 7 Abs. 1 der Ersten DV vom 29.4.1941 (RGBl. I, S. 224) zum FührerErlaß vom 3.4.1941 (RGBl. I, S. 201). 240 Wobei (wohl) die Richter des Reichsfinanzhofs bis zum Inkrafttreten des DRiG durchweg keiner Dienstaufsicht unterstanden, vgl. Baur, Justizaufsicht, S. 62. 241 BGBl. I, S. 625. 232

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von richterlicher Unabhängigkeit243 als vielmehr Unsensibilität, „mangelnde Kenntnis der Geschichte der Dienstaufsicht“244 und der – während der Gesetzesberatungen – geltenden Rechtslage245. Die Verwunderung nimmt zu, wenn man sich die unvollständigen246, geradezu kümmerlichen247 Rechtsgrundlagen vergegenwärtigt, auf denen die Dienstaufsicht über Richter beruht248. Für die Fachgerichtsbarkeiten ist das Präsidentenprinzip bundesgesetzlich in den jeweiligen Verfahrensordnungen geregelt (vgl. § 15 Abs. 1 ArbGG, § 38 VwGO, § 31 FGO, §§ 9 Abs. 3, 30, 38 Abs. 3 SGG249); der jeweilige Gerichtspräsident übt die Dienstaufsicht über die Richter aus. Für die ordentliche Gerichtsbarkeit fehlt eine parlamentsgesetzliche Grundlage; das Präsidentenprinzip beruht hier auf dem fortgeltenden § 14 GVVO vom 20. März 1935250. Die Einrichtung einer darüber stehenden obersten Dienstaufsicht ist damit – jedenfalls außerhalb der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit251 – noch nicht geklärt: Erstaunlicherweise wird deren Existenz aber ebenfalls für per se notwendig und gegeben erachtet. Sie soll für das BVerwG und den BFH durch Organisationserlaß des Bundeskanzlers252 bestimmt worden sein253 oder erfolgt durch Landesrecht (s. etwa Art. 4 242 Informative Zusammenfassung der Verhältnisse vor Inkrafttreten des GVG bei Weist, DRiZ 1968, S. 223 (223 f.). 243 Dagegen spricht schon die Vertretung der – wenn auch rechtlich fehlerhaften – Position durch eine Person wie Adolf Arndt (s. FN 232). 244 Weist, DRiZ 1968, S. 223 (224). 245 So verkannte etwa der Entwurf des Gesetzes über das BVerwG (BT-Drs. I/1844, S. 26) die Unterstellung des BGH-Präsidenten unter die Dienstaufsicht des Bundesjustizministers (dazu Baur, Justizaufsicht, S. 58, Fn. 172). 246 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 8. 247 So Röhl, JZ 2002, S. 838 (840), für die Fremdverwaltung der Gerichte durch die Exekutive insgesamt. 248 Vgl. R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 21; Baur, Justizaufsicht, S. 15; ebenso schon Kade, Richter, S. 93. 249 Für die ArbGe und SGe ordnen die Prozeßordnungen die Dienstaufsicht durch die oberste Landesbehörde an, die sie auf die Gerichtspräsidenten übertragen können, was auch weithin geschehen ist. 250 RGBl. I, S. 403; abgedr. bei Kissel, GVG, Anhang, S. 1395 ff.; zur Fortgeltung s. BVerfGE 2, 307 (321 f.). Brunn, BJ 2003, S. 196 (196), nennt die GVVO nicht ganz unberechtigt den „Merkwürdigkeits-Höhepunkt“ des derzeit gültigen Gerichtsverfassungsrechts. 251 Für das BSG (§ 38 Abs. 3 SGG) und das BAG (§ 40 Abs. 2 ArbGG) übt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Dienstaufsicht aus. 252 BAnz Nr. 214 v. 15.11.1969, S. 4; dieser auf § 9 GO-BReg beruhende Erlaß erwähnt jedoch weder direkt noch indirekt die Dienstaufsicht, sondern spricht unter Nr. 6 von „Zuständigkeiten für die (. . .) Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich Gerichtsverfassung und des Verfahrens“ (unter Nr. 7 das gleiche für die Finanzgerichtsbarkeit). Allerdings soll die Dienstaufsicht vom Begriff der „Gerichtsverfassung“ mitumfaßt sein, vgl. Rozek, DÖV 2002, S. 103 (107 f.); unklar B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (286).

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BayAGVwGO, § 2 HessAGFGO i. V. m. der § 1 der AO über die Dienstaufsicht und die Verwaltung für das Hess. FG vom 28. September 1967254). Für den BGH gilt ebenfalls § 14 GVVO, der die Dienstaufsicht durch den Bundes(Reichs-)justizminister bestimmt; die Eigenschaft einer Landesbehörde als oberster Dienstaufsicht wird zudem auch für die ordentliche Gerichtsbarkeit in § 22 Abs. 3 GVG vorausgesetzt255 und durch Landesrecht festgelegt (s. Art. 20 BayAGGVG). Im Ergebnis läßt sich also festhalten, daß sowohl die Dienstaufsicht als solche wie auch die Zuständigkeit der Präsidenten im Bund nur teilweise auf einer parlamentsgesetzlichen Grundlage beruhen; hinsichtlich der quantitativ größten, ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es nur eine Verordnung aus Zeiten des Nationalsozialismus, die auch als Landesrecht grundsätzlich fortgilt, aber teilweise durch neuere Landesgesetze ersetzt worden ist (s. Art. 20 BayAGGVG). Selbst wenn man den Organisationserlaß des Bundeskanzlers für das BVerwG und den BFH als ausreichend erachten würde, wäre damit noch nicht die Zulässigkeit einer solchen obersten, exekutiven Dienstaufsicht belegt. Wie weit auch immer die Organisationskompetenz des jeweiligen Regierungschefs reichen mag256, sie kann nicht die grundsätzliche Entscheidung umfassen, ob überhaupt eine exekutive Aufsicht über die Richter existieren soll. bb) Die Zuständigkeit der Exekutive Hinzu kommt eine weitere, zunächst offene Frage: Beispielsweise wird für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus § 5 Abs. 1 GG klar, daß der VG-Präsident Richter des jeweiligen Gerichts sein muß257; gleiches gilt etwa für Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit wegen §§ 59 Abs. 1, 115, 124 GVG258. Es wäre also durchaus möglich, daß der Präsident die ihm obliegenden Dienstaufsicht in seiner Funktion als Richter und damit in Unabhängigkeit ausübt. Die Realität ist aber eine andere: Die Dienstaufsicht ist Ausübung exekutiver Gewalt, wie sich auch aus der Bestimmung des jeweiligen Ministers als oberster Dienstaufsichtsbehörde ergibt. Vor dem Hintergrund der Doppelstellung des Gerichtspräsidenten sowohl als Richter wie auch Organ der Gerichtsverwaltung liegt es damit 253 So etwa Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 38 (1997) Rn. 7. 254 Hess. GVBl. I, S. 183. 255 Vgl. Kissel, GVG, § 22 Rn. 47. 256 Vgl. VerfGH NW, NJW 1999, S. 1243 ff., und die unter § 1 IV. nachgewiesenen Positionen. 257 Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 38 (1997) Rn. 6. 258 Siehe nur für die Landgerichte Kissel, GVG, § 59 Rn. 4; für die Dienstaufsicht über die Amtsgerichte s. § 14 GVVO.

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nahe, daß die Ausübung der Dienstaufsicht Bestandteil der Gerichtsverwaltungsaufgaben259, nicht der richterlichen Aufgabe ist. Denn tatsächlich ist Dienstaufsicht keine Rechtsprechung – hieran dürfte kein Zweifel bestehen, wie auch immer man den Rechtsprechungsbegriff auffaßt. Sie ist im Kern also eine Verwaltungsaufgabe des Präsidenten, bei der er grundsätzlich der Weisung des Chefpräsidenten und des Ministers unterliegt. Daß die Gerichtsverwaltung allerdings eine solche Fremdverwaltung durch die Exekutive darstellt, ist außer in §§ 15, 34 ArbGG und andeutungsweise in § 39 VwGO, § 4 S. 2 EGGVG gesetzlich nicht belegt, sondern wird vorausgesetzt. Denn selbst wenn man zur Rechtfertigung der Dienstaufsicht den Justizgewährleistungsanspruch des Bürgers heranzieht, ist darin „weder denk- noch naturgesetzlich impliziert, daß als Garant der Justizgewährung die Exekutive auftritt“260. Dies belegt auch die Kommentarliteratur, die für die Zuordnung der Gerichtsverwaltung selbst zur Exekutive keine Begründung anführt, sondern nur die Ist-Situation beschreibt261. Die Gerichtsverwaltung durch die Exekutive wird daher ihre Grundlage nur in Gewohnheitsrecht finden können262. Die Fragestellung läßt sich aber noch vertiefen: Auch wenn die Dienstaufsicht Verwaltung ist, könnte sie gleichwohl in richterlicher Unabhängigkeit durch die Präsidenten ausgeübt werden. Am Beispiel der Geschäftsverteilung wird deutlich, daß auch Verwaltungsangelegenheiten, die also nicht Rechtsprechung sind263, in richterlicher Unabhängigkeit erledigt werden können264. In Betracht käme daher auch die Ausübung der Dienstaufsicht als Verwaltungsangelegenheit in richterlicher Unabhängigkeit durch den Präsidenten. Hiergegen spricht zwar zunächst, daß es sicherlich eines genaueren Hinweises im Gesetz bedürfte, um eine Ausnahme vom Grundsatz der Weisungsgebundenheit innerhalb der Gerichtsverwaltung zu begründen. Doch findet sich auch keine Norm, die deutlich macht, daß die Geschäftsverteilung eine weisungsfreie Verwal259 Vgl. Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998), Rn. 8: „Dienstaufsicht ist herkömmlich Angelegenheit der Gerichtsverwaltung“; Grimm, Dienstaufsicht, S. 49. 260 So trefflich Simon, DRiZ 1980, S. 90 (93). 261 Exemplarisch Thomas, Richterrecht, S. 18 ff. 262 So Röhl, JZ 2002, S. 838 (841). Neben der verfassungsrechtlichen Anerkennung der exekutiven Gerichtverwaltung in Art. 96 Abs. 2 S. 4 GG findet sich eine mittelbare Gerichtsverwaltungszuweisung an die Exekutive an „exotischer“ Stelle, nämlich in § 8 S. 2 RSprEinhG, durch den der Bundesminister der Justiz zur Bestimmung des Näheren über die Geschäftsstelle des GemSOGB ermächtigt wird, vgl. dazu kurz Katholnigg, Strafgerichtsverfassung, § 8 RSprEinhG Rn. 1. 263 Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (III/1982) Rn. 71; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rn. 364; Eb. Schmidt, LehrK, Rn. 482; widersprüchlich Kissel, GVG, § 21a Rn. 7 („Tätigkeit des Präsidiums Teil der Rechtsprechung“) einerseits, § 21e Rn. 20 („Tätigkeit im Präsidium ist richterliche Tätigkeit (. . .), wenn auch nicht RSpr.“) andererseits. 264 Auch die Unabhängigkeit des Präsidiums ist ein Fall nicht mehr näher untersuchter Selbstverständlichkeit, s. nur Kissel, GVG, § 21a Rn. 1 ff.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

tungsangelegenheit ist/sein soll. Ebenso wenig, wie sich dem Grundgesetz klar entnehmen läßt, was vom materiellen Rechtsprechungsbegriff265 erfaßt wird, ist dem Gerichtsverfassungsgesetz oder Deutschen Richtergesetz zu entnehmen, welcher Teil der Gerichtsverwaltung in richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt werden kann. Im Ergebnis ist die Fremdverwaltung der Gerichte durch die Exekutive einschließlich der Dienstaufsicht die Folge eines Zusammenspiels von einzelnen gesetzlichen Regelungen und überkommenen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Gerichtsverwaltungsstrukturen. Sowohl ihre Grundlagen wie auch ihre Ausnahmen entbehren einer deutlichen gesetzlichen Kodifikation. Dies ist umso mißlicher, als „das Verhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Justizaufsicht von einer Fülle schwer zu lösender Probleme beherrscht wird“; und weil „die Spannung so stark ist, fehlen auch unsachliche, von der Leidenschaft diktierte Argumente nicht. Häufig bleiben die Erwägungen in dem Bestreben, die Dinge zu vereinfachen, sehr an der Oberfläche“266. b) Inhalt und Grenzen der Dienstaufsicht als case law § 26 Abs. 1 DRiG ist eindeutig formuliert: keine Dienstaufsicht, wenn sie die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt. Doch ist die Gesetzesfassung „ein Beispiel für solche ,Kunst‘, die ihr Kind nicht beim Namen zu nennen weiß“267. Denn keiner der beiden gegenübergestellten Begriffe wird definiert – man erfährt weder, was richterliche Unabhängigkeit ist, noch den Inhalt der Dienstaufsicht. Sie werden im DRiG vorausgesetzt, ohne daß aber andernorts eine (gesetzliche) Definition zu finden wäre. Wegen der Unmöglichkeit einer genauen Abgrenzung im Gesetz wurde dieser „undankbare“ Auftrag268 durch § 26 Abs. 3 DRiG den Dienstgerichten des Bundes und der Länder erteilt. Bei erster Betrachtung scheint die Aufgabe nicht allzu schwierig: Man muß nur den Inhalt der richterlichen Unabhängigkeit kennen, da diese nach dem Wortlaut des Gesetzes für beeinträchtigungsfrei erklärt wird. Was auch immer Dienstaufsicht ist, sie darf hierin nicht eingreifen. Derart einfach hat es sich das Dienstgericht des Bundes dann aber doch nicht gemacht. Dies lag schon daran, daß die Zulässigkeit eines Antrags gem. § 26 Abs. 3 GG das Vorliegen einer „Maßnahme der Dienstaufsicht“ voraussetzt. Also muß zuerst entschieden werden, ob überhaupt ein dienstaufsichtlicher Prüfungsgegenstand vorliegt. Hier 265 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 92 Rn. 5, 7; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 24, 31; BVerfGE 103, 111 (137); s. a. A. Arndt, FS Schmid, S. 5 (9). 266 Baur, Justizaufsicht, S. 17. 267 Schröder, Vorwort, S. V. 268 Grimm, Dienstaufsicht, S. 2.

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wurde dann aber dennoch eine inhaltliche Definition umgangen, indem allein auf den Urheber einer Maßnahme abgestellt wird, nämlich ein Organ der Dienstaufsicht269. Was dieses dann gegenüber einem betroffenen Richter tut, ist irrelevant; es ist allemal eine „Maßnahme der Dienstaufsicht“ i. S. d. § 26 DRiG. Aber auch in der materiellen Prüfung der Zulässigkeit einer Maßnahme hat das Dienstgericht in komplexer Einzelfallrechtsprechung das Problem vergrößert. Dabei war der systematische Ansatz einer Unterscheidung zwischen geschütztem Kernbereich richterlicher Tätigkeit und einem der Dienstaufsicht zugänglichen äußeren Ordnungsbereichs durchaus brauchbar270. Er verschob allerdings zunächst nur das Problem, weil nunmehr zu klären war, welcher Bereich der richterlichen Tätigkeit dem einen oder dem anderen unterfällt. Hierbei beging der BGH schon frühzeitig den Kardinalfehler, in Gestalt der „offenbar unrichtigen Entscheidung“ auch inhaltliche Entscheidungen eines Richters zum äußeren Ordnungsbereich zu zählen und damit der Dienstaufsicht zu unterwerfen271. Wenn aber unmittelbar inhaltliche Sachentscheidungen nicht per se dem Kernbereich unterfallen, so wird dessen Definition unbrauchbar. Denn dann ist gar kein Bereich mehr denkbar, der vor einer Intervention der Dienstaufsicht geschützt sein könnte. Ist dies aber zutreffend, macht wiederum die Bereichssystematik keinen Sinn, da es dann ohnehin keinen Bereich mehr gibt, der absolut geschützt ist. Daran ändert auch die bisherige Seltenheit solcher Fälle nichts. Die Instrumente der Dienstaufsicht sind freilich begrenzt. Als einzige Mittel kommen gem. § 26 Abs. 2 DRiG Vorhalt und Ermahnung272 in Betracht. In beiden Fällen darf kein personenbezogenes Unwerturteil im Sinne eines Schuldvorwurfs über den Richter enthalten sein273, wobei inzident mit jeder Maßnahme der Dienstaufsicht die Feststellung des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Ordnungswidrigkeit verbunden ist, da andernfalls weder ein Vorhalt notwendig wäre noch der Richter ermahnt zu werden bräuchte274. Das inkriminierte Verhalten des Richters muß ihm vorwerfbar sein, setzt also auch Verschulden voraus, das zwar objektiv festgestellt, dem Richter jedoch nicht in tadelnder Form einer personenbezogenen Wertung vorgeworfen werden darf275. 269

Vgl. Schmidt-Ränsch/Schmidt-Ränsch, DRiG, § 26 Rn. 35. So im Ergebnis auch Grimm, Dienstaufsicht, S. 113; zu den Einzelheiten s. unten § 3 II. 271 Siehe Simon, DRiZ 1980, S. 90 (92: „schroffe Mißachtung der entwickelten Klassifikation“); ausdrücklich auch ablehnend Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 26 DRiG Rn. 8 (Grundsatz: „wehret den Anfängen“); ebenso Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (31): verfehlte Ansicht. 272 Zum Inhalt dieser Maßnahmen s. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 27 f.; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (9/1998) Rn. 32 ff. 273 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 47, 275 (285); denn dann handelte es sich um eine verbotene Mißbilligung. 274 Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998) Rn. 33. 270

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

Im Ergebnis entspricht die rechtliche Beurteilung der Dienstaufsicht über den Richter einer Gleichung mit vielen Unbekannten, sprich unbestimmten Rechtsbegriffen. Dies ist für die Rechtsprechung generell nichts Ungewöhnliches. Diese Situation wird bei der Subsumtion unter § 26 DRiG aber durch drei Umstände stark verschärft: Zum einen finden sich hier mehrere Begriffe, die nicht nur im Hinblick auf ihre Anwendung auf Richter besonders interpretiert, sondern auch in ihrer gegenseitigen Beziehung bestimmt werden müssen (der Begriff der Dienstaufsicht, der Maßnahmenbegriff, der zulässige Inhalt von Vorhalt und Ermahnung). Denn die Zulässigkeit einer Maßnahme wird hier – anders als im Beamtenrecht – nicht schon durch die Zulässigkeit der Dienstaufsicht als solche indiziert276. Zum anderen muß dies im Hinblick auf und in Abgrenzung zur richterlichen Unabhängigkeit erfolgen, ein Begriff, der nicht nur, wie die zuvor genannten, zunächst definiert werden muß, sondern darüber hinaus ein unmittelbar verfassungsrechtlicher Terminus ist – und dabei nicht einer unter vielen, sondern ein zentraler Begriff des Grundgesetzes, mit dessen Interpretation zugleich das Verständnis von Rechtsstaats und Gewaltenteilung mitbestimmt wird. Das Verhältnis von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht wird damit zum „heißesten Eisen“ des Richterrechts277, der „kritischste Punkt“278 im rechtlichen System der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt. Letztlich wird drittens die Abgrenzung durch die gemeinsame Grundlage von Unabhängigkeit und Dienstaufsicht erschwert, da beide Institutionen der Sicherstellung der Justizgewährleistungspflicht dienen279. Eine Auslegung auf der Basis von teleologischen Erwägungen scheidet daher aus. Angesichts der Zurückhaltung des Gesetzgebers in diesem Bereich kann die Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit der Einzelfallrechtsprechung des BGH nicht verwundern280. Die Aufgabe der Austarierung des Spannungsverhältnisses von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht läßt sich systematisch und in sich schlüssig nicht bewältigen, wohl auch nicht durch andere vorgeschlagene Systeme281, selbst wenn sie den einen oder anderen Nachteil der Recht275

Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998) Rn. 33. Grimm, Dienstausicht, S. 108. 277 Grimm, Dienstaufsicht, S. 1. 278 Gülland, Dienstaufsicht, S. 1. 279 BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 1978, S. 185 f.; NJW 2002, S. 359 (360); ausdrücklich auch Kissel, GVG, § 1 Rn. 43 f.; Achterberg, NJW 1985, S. 3041 (3042); Rudolph, DRiZ 1979, S. 97 (97); Schreiber, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 1 GVG Rn. 1 (für die richterliche Unabhängigkeit), 6 (für die Dienstaufsicht); R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 21; Schäfer, DRiZ 1970, S. 73 (73). 280 Kritik etwa bei Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1989 bzw. 2/1998) Rn. 19 ff.; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn 25 f.; Simon, DRiZ 1980, S. 90 (92). 276

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sprechung des BGH verhindern könnten. Sie werden aber den Konfliktherd nicht beseitigen und die widerstreitenden Rechtsprinzipien, die im Rahmen der Dienstaufsicht über Richter aufeinandertreffen, letztlich ebenfalls nicht widerspruchsfrei und systematisch bruchlos ausgleichen können282. Denn wenn dies möglich wäre, könnte auch der Gesetzgeber eine Abgrenzungsnorm formulieren und hätte nicht die gesamte Fragestellung auf die Dienstgerichte abwälzen müssen. Die Abgrenzung von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht ist nicht anders zu bewältigen als durch case law; die Kritik hieran geht deshalb fehl283. Dies bedeutet nicht, daß einzelne Entscheidungen deshalb nicht kritikwürdig sind284; nur ihre Unvereinbarkeit mit einer vorgegebenen Systematik als solche darf an der Rechtsprechung des BGH abprallen. Beispielhaft soll dies an der Einbeziehung der „offensichtlich fehlerhaften Entscheidung“ in den der Dienstaufsicht zugänglichen Bereich der äußeren Ordnung verdeutlicht werden285. Die hieran ansetzende Formalkritik ist berechtigt: Diese Rechtsprechung ist ein zweckbedingter286 Systembruch. Die Dienstaufsicht zielt hier auf den Inhalt der Entscheidung, nicht auf den äußeren Ordnungsbereich. Gleichwohl bleibt sie im Ergebnis richtig, weil eine fehlerhafte Entscheidung die Gesetzesbindung des Richters aufhebt; hierauf muß die Dienstaufsicht reagieren dürfen, wenn sie noch irgendeinen Sinn behalten soll – denn welchen Wert hat eine Aufsicht, die evidente Fehler unbeachtet lassen müßte287? Freilich ließe sich mit dem Argument, daß jede fehlerhafte Rechtsanwendung die Gesetzesbindung beseitigt, jeder – nach Einschätzung des Gerichtspräsidenten – Rechtsanwendungsfehler dientaufsichtlich behandeln, was von der Unabhängigkeit nichts mehr übrig ließe. Aber gerade das ist der Grund, warum der BGH einen adäquaten Mittelweg wählt und den Zugriff nur auf offensichtliche Fehler zuläßt288. Dies verdeutlicht, daß gerade die Beziehung richterliche Unabhängigkeit/Dienstaufsicht einer feinnervigen Differenzierung bedarf, die mit einem dogmatischen Korsett nicht zu leisten ist.

281

Siehe Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 94 ff., 111 ff. Ebenso Kissel, GVG, § 1 Rn. 60; Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 24. 283 In diesem Sinne auch Grimm, Dienstaufsicht, S. 3. 284 Dies dürfte wohl hinsichtlich der aus Art. 97 Abs. 1 GG abgeleiteten Freiheit von jeglichen atmosphärischen Störungen weithin unbestritten sein, s. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (40). 285 Erstmals BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 46, 147 ff.; s. a. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 100, 217 ff. 286 So Kissel, GVG, § 1 Rn. 60. 287 In diesem Sinne auch Pfeiffer, DRiZ 1979, S. 229 (229). 288 Dabei soll nicht die Problematik vernachlässigt werden, daß das Problem der Definition der Offensichtlichkeit bleibt. 282

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

Die Belastung eines Richters mit den konkret möglichen Maßnahmen der Dienstaufsicht ist denkbar gering und dürfte zunächst wohl (nur) in der psychisch belastenden Situation bestehen, Auge in Auge von einem Vorgesetzten ordnungswidriges Verhalten bescheinigt zu bekommen. Gleichwohl liegt aber gerade in der auf die Zukunft gerichteten Ermahnung eine Beeinflussung, zumindest aber ein Beeinflussungsversuch gegenüber dem Richter. Dies ist nicht nur faktisch unbestreitbar, sondern auch rechtlich gewollt289, denn darin liegt ja gerade der Sinn einer Ermahnung als Akt der Dienstaufsicht: Beaufsichtigung ist, anders als die bloße Beobachtung, „ein Hinsehen zu dem besonderen Zwecke, das Objekt der Beobachtung mit irgend einem Richtmaß in Übereinstimmung zu bringen oder zu erhalten“290. Dabei ist auf eine paradoxe Situation hinzuweisen: Nur eine Dienstaufsicht, die auf Beeinflussung ausgerichtet ist, kann rechtlich zulässig sein. Diese Behauptung verblüfft, wird aber plausibel, wenn man die herkömmliche Rechtfertigung von Dienstausicht gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit betrachtet. „Die Gewährleistung des Rechts aller Bürger, die ,Justizgewährleistungspflicht‘ des Staates“ erfordere eine Dienstaufsicht, „die den ordnungsgemäßen Ablauf der richterlichen Geschäfte überwacht und gegebenenfalls korrigiert“291. Die Justizgewährleistungspflicht des Staates ist es also, die die Dienstaufsicht rechtfertigt292. Eine Dienstaufsicht, die folglich nichts zur Sicherstellung der Justizgewährleistungspflicht täte, wäre ihrerseits wegen Ungeeignetheit verfassungswidrig. Beeinflussungspotential ist also die notwendige Bedingung einer Dienstaufsicht auch über Richter. Dieser potentielle Einfluß ist aber grundsätzlich beschränkt. Denn macht man sich klar, was aus Sicht des Bürgers letztlich als Ausprägung des Justizgewährleistungsanspruchs gelten soll, so stößt man vor allem auf die zügige Durchführung der Verfahren293, den Umgang des Richters mit den Parteien und natürlich den Inhalt der Entscheidung. Aber all dies ist jenseits der offensichtlich fehlerhaften Entscheidung dem Zugriff der Dienstaufsicht entzogen. Hierauf hat sie keinen direkten Einfluß. Die Terminierung des Richters, aber auch seine Nichtterminierung ist von außen nahezu unantastbar. Zwar ist die Befugnis der Dienstaufsicht, „zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen“ (§ 26 Abs. 2 DRiG), ausdrücklich als Kompetenz normiert. Gerade das Zeitelement der richterlichen Tätigkeit soll also dem Zugriff der Dienstaufsicht offen289 Siehe Rudolph, DRiZ 1979, S. 98 (98): „Dienstaufsicht hingegen bezweckt Einflußnahme“. 290 Triepel, Reichsaufsicht, S. 111. 291 Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998) Rn. 1; in diesem Sinne auch Kissel, GVG, § 1 Rn. 44; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 3. 292 H. Arndt, DRiZ 1978, S. 298 (299). 293 Siehe ausdrücklich K. Redeker, NJW 2000, S. 2796 ff.; und zuletzt erneut ders., NJW 2002, S. 2610 f.

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stehen, aber eben nur „vorbehaltlich des Absatzes 1“. Wenn aber gerade die Terminierung von der richterlichen Unabhängigkeit umfaßt wird – und dies ist in der Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes unbestritten294 –, dann bleibt für die Dienstaufsicht hinsichtlich der unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte nicht mehr viel zu tun. Und so wird die Dienstaufsicht ausgerechnet in dem Bereich, in dem sie vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet worden ist, zum stumpfen Schwert295. Das generelle Gefährdungspotential der Dienstaufsicht darf aber nicht vernachlässigt werden: Sie wirkt ununterbrochen. „Dienstaufsicht ist informell und diffus; sie ist da.“296 3. Beurteilung/Beförderung Als letztlich wohl einschneidendste Maßnahme der Dienstaufsicht297 muß die dienstliche Beurteilung eines Richters angesehen werden298. Sie ist nach kaum bestrittener Ansicht zur Durchsetzung des Leistungsprinzips des Art. 33 Abs. 2 GG299 unerläßlich, insbesondere angesichts der hohen Zahl tätiger Richter300. Solange es trotz Fehlens einer Richterlaufbahn Beförderungsämter innerhalb der Richterschaft gibt, sind Beurteilungen unvermeidbar, denn „woher anders als aus einem ,Zeugnis‘“ sollten „einigermaßen objektivierbare Qualitätskriterien (. . .) hergenommen werden können“301. Allerdings setzt dies die Richtigkeit der Prämisse voraus, daß die Beförderung wirklich durch die Qualifikation und deren korrekten Nachweis in der Beurteilung bestimmt wird, denn andernfalls wäre die Beurteilung nichts als ein „Disziplinierungs- und Unterdrückungs294 Siehe nur extensiv und kaum mehr nachvollziehbar BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. 295 Insofern wird die Mahnung K. Redekers gen Hessen (NJW 2002, S. 2610 [2611]; ebenso Schütz, NVwZ 2003, S. 1469 [1470]; Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 [121]) wohl vielleicht gehört, aber nicht umgesetzt werden (können) – allerdings werden aus Anwaltskreisen radikale Verkürzungstendenzen des HessVGH nach dem dortigen Präsidentenwechsel (s. BDVR-Rundschreiben 2002, S. 62) berichtet; zu dessen „Erfolgen“ am VG Karlsruhe und seinem fortdauernden Druck zur Verkürzung s. WamS vom 16.6.2002, abgdr. in BDVR-Rundschreiben 2002, S. 123 f. 296 W. Geiger, DRiZ 1979, S. 56 (68). 297 Beurteilungen sind Maßnahmen der Dienstaufsicht, s. nur BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 52, 287 (291); 95, 313 (320); ebenso Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1989) Rn. 43; Kissel, GVG, § 1 Rn. 91; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 31; Simon, Unabhängigkeit, S. 25; Pfeiffer, DRiZ 1979, S. 229 (229). 298 Ostermeyer, Zeitbombe, S. 113 f. 299 Siehe zu den richterlichen Beurteilungsparamentern Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 204 ff. 300 Kissel, GVG, § 1 Rn. 89; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1989) Rn. 42; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 30; Pfeiffer, DRiZ 1979, S. 229 (229). 301 Simon, Unabhängigkeit, S. 26.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

instrument“302. Man mag kritische Stellungnahmen gegen die Beurteilung als Ausdruck einer allgemeineren Überzeugung von der Unrichtigkeit der Prämisse werten303. Und in der Tat bieten gerade Anlaßbeurteilungen Gelegenheit, die Qualifikation des „erwünschten“ Kandidaten den Notwendigkeiten anzupassen. Überhaupt gibt es Anlaß, am Wert dienstlicher Beurteilungen zu zweifeln304. Gleichwohl wird es nicht gelingen, die letztlich unbestrittene Geltung des Art. 33 Abs. 2 GG auch für Richterämter als empirisch nicht wirksam zu bezeichnen. Der Einfluß etwa politischer Parteien auf die Besetzung von Richterämtern nach anderen Kriterien als Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist zwar ebenfalls nicht verkennbar, vor allem dann, wenn es um Führungspositionen geht wie etwa die Präsidentenämter der Obergerichte. Soweit dies nicht durch das Grundgesetz wie bei der Wahl der Bundesrichter gem. Art. 95 Abs. 2 GG legitimiert ist305, ist dies auch zweifelsfrei rechtswidrig. Gleichwohl wird daraus nicht die Schlußfolgerung ableitbar sein, das Leistungsprinzip sei generell trotz rechtlicher Geltung faktisch ausgeschaltet. Besonders problematisch wird aber gerade die Beurteilung/Beförderung durch die Zuständigkeit der Exekutive für die Dienstaufsicht und damit die Beurteilung und eben auch die Beförderung. Die Beteiligung eines Richterwahlausschusses verändert dieses Bild nur begrenzt, selbst wenn die Letztentscheidung des Ministers nicht erforderlich sein sollte (Art. 98 Abs. 4 GG306). Denn auch diese kann dann nur auf der Basis von Beurteilungen erfolgen, die allein von der Exekutive erstellt werden. Das Votum des Präsidialrats als Richtervertretung bindet ohnehin – zu Recht – nicht. Das Beeinflussungspotential ist beträchtlich307. Tiefe Eingriffe in die alles entscheidende innere Unabhängigkeit308 des Richters sind hier wie nirgends 302

Simon, Unabhängigkeit, S. 29. So Simon, Unabhängigkeit, S. 29. 304 Siehe für die (erstmalige) Wahl des BGH-Richters Nes ˆkovic´ (hierzu die Entscheidung des OVG Schleswig, JZ 2002, S. 140 ff.), dessen Qualifikation durch „seinen“ LG-Präsidenten mit „in höchstem Maße ausgezeichnet geeignet“, durch den Präsidialrat des BGH hingegen mit „nicht geeignet“ bewertet wurde; hierzu zutreffend krit. Schulze-Fielitz, JZ 2002, S. 144 (146, Fn. 23); bezeichnend allerdings die Zitatsammlung zu diesen Vorgängen bei Rasehorn, BJ 2001, S. 71 f. Noch radikaler das Zitat bei dems., RuP 38 (2002), S. 29 (30). Zur Verfassungswidrigkeit der Beurteilungspraxis in Niedersachsen mangels Differenzierung s. BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), BayVBl. 2004, S. 17 f.; s. auch den Beurteilungsspiegel für R1-Richter des Landes Nordrhein-Westfalen, abgdr. in RiStA 6/2003, S. 15. Vgl. umfassend Vultejus, DRiZ 1993, S. 177 ff. Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 256, formuliert zutreffend, bei der Exekutivbestellung des Richters werde „die Gefährdung von Eignung und Unabhängigkeit weiter zugespitzt“. 305 Siehe Schulze-Fielitz, JZ 2002, S. 144 ff. 306 So mit überzeugender Argumentation Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 98 Rn. 11 ff.; anders aber die wohl h. M., s. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 42 m. w. Nw. in Fn. 115; Ehlers, Richterwahl, S. 43 f., 54. 303

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sonst möglich; und das Problem läßt sich nicht „aus der Welt lügen“, denn die Charakterfestigkeit oder die Persönlichkeit des Richters ist die eines normalen Menschen309, der eben üblicherweise auch durch die Versagung von Gratifikationen zu steuern ist310. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht durch die Forderung, möglichst wenige Beförderungsämter für Richter zu schaffen311, und das Verbot einer vom Ermessen der Exekutive abhängigen Besoldung indirekt hingewiesen312. Es hat sogar ausdrücklich erklärt, es könne „nicht ausgeschlossen werden, daß die Justizverwaltung in den Fällen der Besetzung einer höheren Richterstelle, also bei Beförderungen Einflüssen Raum gibt, die eine Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit bedeuten können“, „solange der Richterstand – ebenso wie die Beamtenschaft – in der heutigen Form gegliedert“313 sei. Ein verfassungsrechtliches Verbot einer solchen Beförderung hat es dennoch auch später nicht erkennen können, weil der Gesetzgeber befugt sei, den herkömmlichen Gegebenheiten in Form der Zusammensetzung kollegialer Spruchkörper mit Vorsitzenden und sonstigen Richtern oder der Übertragung von Gerichtsverwaltungsfunktionen auch bei der Besoldung und der damit verbundenen Beförderung Rechnung zu tragen314. Die mit der Beförderung verbundene Einschaltung der Exekutive sei verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie sich im Rahmen des „unabdingbar Notwendigen“ halte315. Hinsichtlich des Beeinflussungspotentials, das in einer Beförderung liegt, besteht jedoch kein Zweifel. Das Problem insgesamt wäre nur durch vollständige Aufhebung der Ausgestaltung des Richterberufs als „Karriere“ zu verhindern316; Zwischenlösungen gibt es nicht. Denn die quantitative Beschränkung ist Charaktermerkmal von Beförderungsstellen, so daß nicht alle Karrierehoffnungen erfüllt werden können – es muß neben den „Häuptlingen ein paar Indianer“ geben317 – wobei die „paar“ Indianer wohl eher viele sein dürften318. Folglich ist die Konkurrenz un307 Vgl. jüngst M. Schneider, Performance-Controlling (i. E.), der als eine der drei zentralen Erfolgsdeterminanten für die Effizienz der Gerichte den Anreiz für die Richter nennt, in der Gerichtshierarchie Karriere zu machen. 308 Zu deren zentraler Bedeutung s. unten § 4 V. 5. und 6. 309 Auf diesen Umstand weist auch Ostermeyer, Zeitbombe, S. 113, hin. 310 Vgl. die treffender kaum zu formulierende Analyse bei Simon, Unabhängigkeit, S. 26. S. a. Schnellenbach, RiA 1999, S. 161 (162), der Versuche, die in der Beurteilung des Richters liegende Kollision von Verfassungsrechtsgütern zu eliminieren, als „untauglich“ bezeichnet. 311 BVerfGE 55, 372 (389). 312 BVerfGE 12, 81 (88); 26, 79 (93 f.). 313 BVerfGE 12, 81 (97 f.). 314 BVerfGE 55, 372 (388 f.). 315 BVerfGE 55, 372 (390). 316 Krit. gegenüber den Nachteilen einer Karriere Zweigert, FestG Schmid, S. 299 (306 f.); insgesamt Lautmann, FS Wassermann, S. 109 ff.; jüngst zu den Beförderungsabhängigkeiten Staats, DRiZ 2002, S. 338 ff.

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

ter Richtern stets ein Kampf um äußerst knappe Ressourcen, dem man jedoch nicht einfach mit „einem Hinweis auf anthropologische Unabänderlichkeiten“319 begegnen kann. Ein erfolgversprechender Weg führt nur über den Zuteiler320, dessen Gunst zu erwerben vielleicht nicht hinreichende, aber doch notwendige Bedingung ist321. Diese Gunst mag auch durch „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ zu erreichen sein. Doch sind solcherlei Maßstäbe durch das bloße Postulat des Art. 33 Abs. 2 GG als alleinige Kriterien nicht zu sichern. Zudem ist deren Bewertung eben dem Beurteiler im Rahmen seines Beurteilungsspielraums überlassen. Seit Adickes’ Erkenntnis, daß „ein in der richterlichen Karriere aufwärts Strebender so viele Hoffnungen und Wünsche hat, deren Erfüllung von seinen Vorgesetzten abhängt, solange er also ein persönliches Interesse an der guten Meinung dieser Vorgesetzten hat, die auch ihrerseits manchmal Wünsche haben, solange (. . .) offenbar Konflikte und Reibungen amtlicher und persönlicher Natur keineswegs ausgeschlossen“322

sind, hat sich daran nichts geändert. Es ist also weder mit einem Verzicht auf Beurteilungen getan. Denn dies würde an der Existenz einer Beförderungsentscheidung nichts ändern, die dann aber auf noch weniger kontrollierbaren oder wenigstens nachvollziehbaren Grundlagen beruhte. Noch reichte es aus, die Beförderung einem richterlichen Gremium zu überlassen. Denn auch dann blieben Beförderungsstellen rar und Auswahlentscheidungen notwendig, die eine Orientierung des Richters an den zur Entscheidung Berufenen nahelegen würde. Das Beeinflussungspotential läge dann zwar in den Händen eines nicht exekutiven Organs und würde daher dem Postulat der Unabhängigkeitsgarantie, „jede vermeidbare Einflußnahme der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt auszuschließen“323, näher kommen. Der im Hinblick auf Art. 97 GG gefährliche 317 So die ebenso banale wie zutreffende Erkenntnis von Roellecke, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 123 (130). 318 Und deshalb auch vorrangiges Einsparungsobjekt sind, vgl. Trogemann, RiA 1998, S. 14 (15 f.). 319 Simon, DRiZ 1980, S. 90 (91). 320 Hier mag die religiös-priesterliche Herkunft des Richteramtes (s. Zweigert, FestG Schmid, S. 299 [299 f.]; W. Geiger, DRiZ 1982, S. 321 [321]) letzte Spuren hinterlassen haben, vgl. Joh 14, 6: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ 321 Dies ignoriert BVerwG, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 184, wohl allzu unbedarft. 322 Adickes, Verständigung, S. 76 f., so wörtlich zustimmend zitiert von BVerfGE 12, 81 (97). 323 BVerfGE 55, 371 (389). Die hier zu findende Bezugnahme auf BVerfGE 26, 79 (92 ff.), gilt so aber nicht. Denn hier formulierte das Gericht, ebenso wie zuvor in BVerfGE 12, 81 (88); 38 1 (21), daß jeder vermeidbare Einfluß auf die „Rechtsstellung der Richter“ (E 38, 1 [21]) bzw. „des einzelnen Richters“ (E 12, 81 [88]) bzw. „des Richters“ (E 26, 79 [93]) verboten sei. Es ging also nicht um die Judikative insgesamt, sondern den Status des Richters.

VI. Fazit: Quod erat demonstrandum

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Kern der Situation bleibt unverändert, nämlich die Abhängigkeit von einer Person oder Institution, von der der zu beurteilende oder zu befördernde Richter eigentlich unabhängig sein soll(te). Man mag der Überzeugung sein, daß die Kriterien, die ein (reines) Richtergremium bei der Beförderung eines „Kollegen“ anlegen würde, rechtsstaatlich „bessere“ wären. Dies ist jedoch keineswegs gesichert, sondern Spekulation, die die nicht ernstlich fernliegende Option kollegialer Seilschaften unberücksichtigt läßt324. Vor allem wäre für die Unabhängigkeitsgarantie nichts gewonnen: Auch von einem Obersten Richterrat muß ein Verwaltungsrichter unabhängig sein, nicht nur von der Exekutive. Gleichwohl dürfte gelten: „Wir hätten eine andere Justiz, wenn wir ein anderes Beförderungssystem hätten.“325

VI. Fazit: Quod erat demonstrandum Von „beschränkten Einflußmöglichkeiten der Exekutive“326 zu sprechen, dürfte somit an der Realität (weit) vorbeigehen. Richterliche Tätigkeit ist gefahrgeneigt; ihr Ergebnis soll unabhängige Rechtsfindung sein. Diese Unabhängigkeit ist im Grundsatz garantiert, jedoch durch eine Vielzahl von Bindungen und Unterwerfungen des Richters Einflüssen ausgesetzt, die eben diese Unabhängigkeit in Frage stellen, denn „alle Arten der Hierarchie sind der Unabhängigkeit abträglich“327. Keines dieser Einflußpotentiale erreicht für sich allein oder auch mit anderen eine Konkretisierung, die den Begriff der „Weisung“ erfüllen könnte. Es sind immer nur Optionen, die es allein durch ihre Existenz möglich machen, daß der Richter sich auch an ihnen und nicht nur am Gesetz orientiert. Richterliche Beteiligung bei der Umsetzung dieser Beeinflussungsmaßnahmen oder deren nachträgliche Kontrolle mildert die möglichen Auswirkungen, beseitigt sie aber nicht. Trotz aller dieser Einflußnahmemöglichkeiten bleibt aber das Gebot der richterlichen Unabhängigkeit an den Richter gerichtet. Soweit der Schutz des Art. 97 GG dem Richter zur Verfügung steht, kann der deswegen unabhängig sein. Vor dem Hintergrund der Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit bleibt festzuhalten, daß der Richter trotzdem unabhängig sein soll und muß. Die deutschen Richter sind in eine „zentralistische Hierarchiestruktur“328 eingegliedert, die Rechtsprechungsverwaltung. Dieser stehen keine direkten Instru324 Vgl. Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), S. 377 (386); sie nennen die Beförderungspolitik treffend die „Achillesferse des bürokratischen Personalmanagements“. Hiervor warnt auch Hoffmann-Riem, DRiZ 2003, S. 284 (290 f.). 325 Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (396). Ähnlich die PräsOLG Frankfurt/Main: „Die Abschaffung der Beförderung hätte große Vorteile“, Tillmann, BJ 2004, S. 390 (391). 326 So Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, S. 673 (678). 327 Zuleeg, ZRP 2000, S. 483 (484).

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

mente zur unmittelbaren Beeinflussung der richterlichern Entscheidung zur Verfügung, wenn ein Verfahren den zuständigen, gesetzlichen Richter erst einmal erreicht hat. Die Steuerungsmacht der Verwaltung beschränkt sich sodann auf informelle Einflußnahmen im Umfeld der Richter. Deren lange Tradition, mit der weder durch das Grundgesetz noch das Deutsche Richtergesetz gebrochen worden ist, hat zu einer nach wie vor starken Verinnerlichung und Akzeptanz dieser Beeinflussungen in der Richterschaft geführt. Eine Entbeamtung der Richterschaft im Sinne einer bewußten Distanzierung von derlei exekutiven Handlungsanleitungen hat sich daher nicht durchgesetzt. Vielmehr wird selbst aus Sicht der Spitzen der Rechtsprechungsverwaltung ein eher vernichtendes Urteil über die (innere) Unabhängigkeit der Richter gesprochen: „Ich sehe den prioritären Bedarf nicht für Gesetzesänderungen, sondern für einen Wandel des Bewußtseins, des Denkens. (. . .) ich war, gelinde gesagt, erstaunt darüber, welche Obrigkeitsgläubigkeit mir in dem Geschäftsbereich Justiz entgegen geschlagen ist. Das habe ich an keiner anderen Stelle, an der ich bisher beruflich tätig war, so erlebt. Es ist frappierend, daß in einem öffentlichen Aufgabenbereich, in dem die richterliche Unabhängigkeit und das Denken und Entscheiden in Unabhängigkeit eine solch große Rolle spielen, die Strukturen, die Denkstrukturen vor allem, sehr ausgerichtet sind auf den Blick nach oben.“329

Aus diesem Grund erweisen sich auch bloß mittelbare Steuerungsinstrumente wie die der NSM als äußerst effektiv: Sie rangieren zwar aufgrund ihres informellen Charakters unterhalb der Weisung, dürften aber kaum eine geringere faktische Bindungswirkung erreichen, wenn sie mit dem entsprechenden Willen ihres Verwenders benutzt werden. Wer als Proberichter in der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit tätig ist, kann ebensowenig wie irgendein anderer deutscher Richter zur Erledigung in einer bestimmten Höhe angewiesen werden. Aber spätestens nach Lektüre des Strategiepapiers des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und der Präsidenten der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte vom 2. April 2001330 dürfte das Unterschreiten einer „informell“ verbreiteten Erwartungszahl oder gar eines offiziellen Pensenschlüssels331 nicht mehr ernsthaft in Betracht kommen. Vielmehr gilt auch hier Georg Jellineks „normative Kraft des Faktischen“332; die regelmäßige auch bloß informelle Übung gerät in die Nähe des Gewohnheitsrechts333 und erhält sodann Normcharakter oder jedenfalls normähnliche Bin328

Stelkens, in: Schmidt-Aßmann/Schoch/Pietzner, VwGO, § 5 (1996) Rn. 12. So der zeitweilige (vgl. oben § 1 III.) nordrhein-westfälische Innen- und Justizminister Behrens, BJ 1998, S. 254 (257). 330 Siehe oben § 1 III. 331 Erst recht, wenn er für viel Geld von einer Beraterfirma „errechnet“ worden ist. 332 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 341, 360, 371. 333 So zu den informalen Verfassungsregeln Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 124 f.; freilich fehlt der einseitigen Handhabung durch die Gerichtsverwaltung die für informale Verfassungsregeln charakteristische reziproke Tauschgerechtigkeit 329

VI. Fazit: Quod erat demonstrandum

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dungswirkung, wenn sie auf (widerspruchslose) Akzeptanz stößt. Die Tendenz der Rechtsprechungsverwaltung, unabhängigkeitsrelevante Rechtsfragen faktisch zu entscheiden, wird auch im Abschlußbericht der Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen deutlich, wenn dort die Ansicht einzelner Bundesländer referiert wird, „dass die Frage, ob die Abbildung einzelner Spruchkörper, Richter/Richterinnen, Staatsanwälte/Staatsanwältinnen mit den zugehörigen Service-Einheiten in der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung für behördeninterne Zwecke sinnvoll und zulässig ist, noch der Diskussion mit der Praxis“ bedürfe „und letztlich in der Praxis entschieden werden“ müsse334. Werden somit lange genug informelle Anforderungen durch die Exekutive formuliert und von den Betroffenen und auch dem Gesetzgeber toleriert, stehen sie faktisch einer Weisung nicht nach. Damit wird deutlich, daß die Exekutive in ihrer Erscheinungsform der Rechtsprechungsverwaltung aufgrund ihrer faktischen Entscheidungsmacht ein enormes Einflußpotential auf die Rechtsprechung besitzt, das sie, wenn sie es will, jederzeit gegenüber dem Richter einsetzen kann. Unter empirischer Betrachtung mag man angesichts der bisherigen Ausnahmesituationen von ernsthaften (versuchten oder vollendeten) Eingriffen der Exekutive dem gegenüber zur Beschwichtigung neigen und Behauptungen für übertrieben erachten, die die richterliche Unabhängigkeit als „eine verlogene Angelegenheit“335 qualifizieren. Doch wäre dies nur in einer rückschauenden Perspektive begründet und käme nicht umhin, als Grund für die bisher kaum aktualisierte Beeinflussungsoption in erster Linie die dem Grenzen setzende Verfassungskultur anzuerkennen. Die als „Leisetreterei“ 336 mit negativem Etikett versehene Zurückhaltung der Dienstaufsicht mag sicherlich auch Folge der Rechtsprechung der Richterdienstgerichte sein. Sie spiegelt aber auch einen rechtskulturellen Standard wider, der dort, wo der Schutz des § 26 Abs. 3 DRiG nicht wirkt, also gerade in den Bereichen subtiler und informeller Steuerung, zur alleinigen und damit unentbehrlichen Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit wird. Dieser Standard der Rechts- und Verfahrenskultur337 aber ist ebenso wie die Verfassungskultur eine äußerst „poröse Grenze“338; und angesichts der jederzeitigen Verformbarkeit kultureller Traditionen339 kann kein (Schulze-Fielitz, ebd., S. 88 ff.) – wenn man nicht die Gewährung von Lebenszeitanstellung oder Beförderung als Belohnung und entsprechend wertvolles Tauschobjekt ansieht. 334 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 14 (Hervorh. nicht im Original). 335 van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 (55). 336 Schmidt-Jortzig, NJW 1991, S. 2377 (2380); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 32. 337 Deren bei den NSM vernachlässigte Bedeutung betont mit Recht R. Böttcher, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 27 (32). 338 Diesbezüglich treffend Schulze-Fielitz, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg.), Sicherheit, S. 25 (38).

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§ 2 Die empirische Ausgangssituation

Rechtsstaat, erst recht nicht ein so junger und damit zwangsläufig von relativ kurzer rechtsstaatlicher Tradition geprägter wie die Bundesrepublik, allein hierauf als Schutz für die zur Freiheitssicherung unabdingbare richterliche Unabhängigkeit vertrauen. Gerade die hier zu untersuchende, ohne Zurückhaltung oder rationalisierenden Überlegungs- und Erörterungsprozeß, wie ihn etwa ein Gesetzgebungsverfahren geboten hätte, begonnene Einführung der NSM in die Gerichte, die insofern nahezu wie jedes beliebige Amt für Straßen- und Verkehrswesen behandelt werden, spricht gegen die Hoffnung, die bisher praktizierte Verfassungskultur könnte die Ausnutzung der bestehenden und in Zukunft deutlich erweiterten Spielräume bei der Einwirkung auf die Richter begrenzen340. Zumal keine Kulturnation gegen den Verlust ihrer Standards gefeit ist341. Es drängt sich gar die Frage auf, ob man seitens der Rechtsprechungsverwaltungen nicht gerade bewußt auf die „Umgehung der schwierigen, relativ transparenten und auf eine umfassende Rechtsprüfung angelegten förmlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren setzt“342. Die informellen Steuerungen mittels der Instrumente der NSM zeichnet damit eine ähnliche Rechtsrelevanz aus, wie sie informalen Verfassungsregeln eigen ist: „Sie sensibilisieren für verfassungsrechtliche Probleme.“343 Erst mit deren relativ ungenierter Handhabung gegenüber den Richtern wird klar, welche potentielle Steuerungsmacht die Rechtsprechungsverwaltung besitzt. Auch wenn dies schon zuvor mancherorts so gesehen worden ist344, dürfte es erst jetzt auch auf eine breitere Überzeugung treffen und auch zu belegen sein. Daher sind diejenigen, die mit diesen neuen Modellen nicht zufrieden sind, vielleicht auch die, die mit den früheren nichts anzufangen wußten345 – Kritikwürdiges kann daran aber nicht gefunden werden.

339

Losch, NJW 2003, S. 1911 (1912). Dies gilt vor allem dann, wenn man sich klar macht, daß der „Kulturwandel“ in der Justiz geradezu Ziel des NSM ist, so zum Benchmarking Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 (277). 341 Lamprecht, Vom Untertan, S. 347. 342 So für das Hamburger Projekt Justiz 2000 krit. M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (24). 343 Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 131 f. (Hervorh. im Original). Diese Funktion schreibt auch B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (303), den NSM in den Gerichten zu. Ebenso T. Groß, DRiZ 2003, S. 298 (298), hinsichtlich des Problems der organisatorischen Absicherung der richterlichen Unabhängigkeit. 344 Umfassend Van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 ff.; Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung (Hrsg.), Woran krankt die Justiz, passim. 345 Vgl. Wittmann, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 163 (164), zur Selbstverwaltungsdiskussion. 340

„Die richterliche Unabhängigkeit wird nicht schon dadurch verwirklicht und gewährleistet, daß eine entsprechende Rechtsgarantie im Gesetz ausgesprochen ist.“ Willi Geiger

§ 3 Die „Gefahrenabwehr“ zum Schutz des Richters I. Die Gewaltenteilung als überschätztes und zur (weiteren) Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit letztlich untaugliches Argument 1. Die richterliche Unabhängigkeit als Teilwiderspruch zur Gewaltenteilung Auch unter der Geltung des Grundgesetzes wurde das Gerichtsverfassungssystem des GVG von 1877 beibehalten. Innerhalb der Gerichte existieren nebeneinander einerseits der richterliche Dienst, dessen Angehörige bei ihrer richterlichen Tätigkeit unabhängig sind, und andererseits die Rechtsprechungsverwaltung, die alle Aufgaben und Tätigkeiten außerhalb der Rechtsprechung umfaßt, die zur Aufrechterhaltung des Rechtsprechungsbetriebs erforderlich sind, also die Verwaltung der Gebäude und die Bereitstellung des nichtrichterlichen Personals. Diese Gerichtsverwaltung bleibt jedoch der Exekutive zugeordnet und ihre Angehörigen damit weisungsgebunden. Eine Vermischung tritt dadurch ein, daß der Leiter der „Behörde“ Gerichtsverwaltung (Präsident/Direktor), der insoweit gegenüber dem Justizministerium weisungsgebunden ist, zugleich Inhaber eines richterlichen Amtes sein muß und daß weitere Richter zu Tätigkeiten in der Gerichtsverwaltung herangezogen werden. Daher existieren grundsätzlich in den Gerichten aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung drei Arten von Beschäftigten: rein richterlich Tätige, reine Exekutivebeamte/Angestellte/Arbeiter und solche mit gemischtem Status, die bei ihrer Entscheidungstätigkeit unabhängig sind, als Mitglieder der Gerichtsverwaltung aber weisungsgebunden innerhalb einer hierarchischen Organisation. Der Gesetzgeber ist also im Hinblick auf das Trennungsgebot aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG über die minimalen Anforderungen nicht hinausgegangen. Wenn es um die Verteidigung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, Gerichte oder Richter geht, gehört das Prinzip der Gewaltenteilung zum festen

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

Argumentationstopos. Auch und gerade Forderungen nach einer Selbstverwaltung der Justiz bauen hierauf auf. Dies ist zunächst naheliegend, werden doch insbesondere Art. 92 und 97 GG als konkretisierender Ausdruck der Gewaltenteilung und demzufolge die richterliche Unabhängigkeit als in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ebenfalls gewährleistet angesehen1. Dieser „sprachliche ,Kunstgriff‘“ des Bundesverfassungsgerichts in Form der Gleichsetzung von Rechtsprechung, Unabhängigkeit und Gewaltenteilung2 hat jeden eigenständigen Gehalt des Gewaltenteilungsprinzips gegenüber Art. 97 GG von vornherein ausgeschaltet, so daß heute allzu unreflektiert und jederzeit die Kontrolle von Richtern durch eine exekutive Dienstaufsicht als Verstoß gegen die Gewaltenteilung und nicht als deren Folge bewertet wird. Aber gerade vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Art. 92, 97 GG als Konkretisierung des (allgemeinen) Prinzips der Gewaltenteilung muß klar werden, daß letzteres als Argument für die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter nur sehr begrenzt tauglich ist, da es ihnen aus dogmatischen Gründen nicht mehr Unabhängigkeit verschaffen kann als seine Konkretisierungen. Denn die Gewaltenteilung ist im Grundgesetz „nicht rein verwirklicht“3 und hat unbeschadet ihrer Rationalisierungs- und Schutzfunktion4 hinsichtlich der Ausübung der Staatsgewalt auch eine Mäßigungs-5, allem voran aber eine zwischen den Staatsorganen gegenseitig wirkende Kontrollfunktion6. Nicht absolute Trennung gilt nach dem Gewaltenteilungsprinzip für die Rechtsprechung, sondern grundsätzlich das Gebot der „Kontrolle, Hemmung und Mäßigung“ durch Legislative und Exekutive mittels „Gewaltenverschränkung und -balancierung“7. Wenn sodann Art. 92, 97 GG den Trennungscharakter hinsichtlich der Rechtsprechung betonen, besitzen sie zwar hinsichtlich Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG konkretisierende Wirkung. Dies erfolgt jedoch nicht in einem das Gewaltenteilungsprinzip als Ganzes vertiefenden und spezifierenden Sinne, sondern geradezu als (Teil-)Ausnahme, indem die Mäßigungs- und Kontrollwirkungen der Gewaltenteilung ein Stück weit zurückgenommen und sogar aufgehoben werden. Nicht nur sind infolge Art. 92, 97 GG Akte der Rechtsprechung durch die beiden anderen staatlichen Gewalten ausgeschlossen, sondern auch deren Abänderung oder gar Kassation durch Organe der Exekutive oder Legislative wäre ausnahmslos verfassungswidrig. Die als selbstverständlich wahrgenommene 1 Statt aller Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 16, 97 Rn. 14 (jeweils m. w. Nw.); s. oben § 1 III. 2. 2 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 81 f. 3 BVerfGE 34, 52 (59). 4 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 63 m. w. Nw. 5 BVerfGE 9, 268 (279 f.); 67, 100 (130); 95, 1 (15). 6 BVerfGE 7, 183 (188); 95, 1 (15); Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 45 f.; w. Nw. bei Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 63. 7 BVerfGE 34, 52 (59).

I. Die Gewaltenteilung als überschätztes und untaugliches Argument

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Alltagstätigkeit jedes Verwaltungs- oder (in natürlich beschränkterem Maße) Verfassungsrichters, nämlich die Aufhebung von Akten einer anderen Gewalt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO; § 78 BVerfGG), kommt in umgekehrter Richtung von Verfassungs wegen nicht in Betracht. Denn eine laufende oder repressive „Kontrolle“ des nach Art. 92, 97 GG unabhängigen Handelns der Judikative im Rahmen der Gewaltenteilung existiert nicht; lediglich präventiv kann der Gesetzgeber durch Legislativakt die Rechtsprechung zu steuern und eine Entscheidung contra oder praeter legem zu verhindern versuchen, weil der Richter an das Gesetz gebunden ist. Mit der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt endet jedoch diese einzige Form der Kontrolle, und die richterliche Gewalt wird, wenn überhaupt (s. nur § 495a ZPO), nur noch innerhalb ihrer selbst kontrolliert; insofern ist die Kontrollkomponente der Gewaltenteilung aufgehoben, weil eine Intergewaltenkontrolle nicht (mehr) stattfinden kann. Dies gilt nicht nur in sachlicher, sondern gem. Art. 97 Abs. 2 GG auch in personeller Hinsicht jedenfalls für Richter auf (Lebens-)Zeit, die nur durch Judikativakt von der Rechtsprechung ausgeschlossen werden können. Denn das letzte Wort über das, „was im konkreten Fall rechtens ist“, hat immer ein Richter8. Die richterliche Unabhängigkeit ist damit zwar einerseits Ausdruck der Gewaltenteilung hinsichtlich der Trennung der Gewalten, indem die personalen Träger der anderen Gewalten – freilich mit der nicht ungewichtigen Ausnahme der Gerichtsverwaltung9 – von der Ausübung der Rechtsprechungsfunktion ausgeschlossen werden10. Sie steht aber gleichzeitig in Widerspruch zur Gewaltenteilung, soweit diese eine Kontrolle der Gewalten bezweckt. Damit verliert der Verweis auf das Prinzip der Gewaltenteilung als Argument für die (Vergrößerung der) Unabhängigkeit der Richter, aber auch der Gerichte, fast jede Überzeugungskraft, weil der Unabhängigkeitsaspekt nur einen Teil des Gesamtprinzips betrifft. Die Gewaltenteilung als Strukturprinzip des Rechtsstaats läßt sich aber auch für die Rechtsprechung nicht im Sinne der „Rosinentheorie“ verwerten. Wer Gewaltenteilung sagt, muß auch für die Judikative gegenseitige Kontrolle der Gewalten wollen. Mit Art. 92, 97 GG wird durchaus in besonderem Maße die Funktion der Gewaltentrennung für die Rechtsprechung betont, nur ist dies eben nicht (schon) dem Gewaltenteilungsprinzip immanent. Zwar besitzt die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 GG teilweise nur deklaratorischen Charakter11. Dies gilt aber nicht hinsichtlich ihres Kontrollausschlußcharakters gegenüber Legislative und Exekutive außerhalb der Gesetzesform. Dieser folgt noch nicht aus dem Wortlaut des Art. 20 GG, sondern ist erst Ausdruck der leges speciales im IX. Abschnitt des Grundgesetzes. Daher kann 8

BVerfGE 103, 111 (137) m. w. Nw. Siehe § 2 IV. 3. 10 Zu der allerdings nur beschränkten Konstitutionalisierung dieser Inkompatibilitäten durch das BVerfG s. oben § 2 V. 1. c). 11 Siehe oben § 1 III. 2. 9

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

die Gewaltenteilung als Prinzip den Richtern wie den Gerichten nicht mehr Unabhängigkeit geben, als ihnen nach Art. 92 und 97 GG zukommt. Rechtsfolgen zugunsten judikativer Unabhängigkeit, die sich nicht aus diesen Konkretisierungen herleiten lassen, können demnach auch nicht aus dem übergeordneten Prinzip gewonnen werden, sofern es überhaupt als solches existiert12. Dieser Befund läßt sich sogar noch zuspitzen: Art. 19 Abs. 4 GG und die konsequente Anwendung der darin zum Ausdruck kommenden Kontrollform gerichtlichen Rechtsschutzes und das „hohe Maß an systematischer Durchbildung“ hat zu einer „spezifisch gerichtsgeprägten Gewaltenteilung“13 und damit zu einem Übergewicht der Rechtsprechung gegenüber den anderen Gewalten und folglich zu einer Störung des Idealbildes eines Gleichgewichts der Gewalten geführt14. Dies ist nicht zwingend verfassungswidrig, weil letztlich nur „ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht“ einer Gewalt verboten sein soll15 und man dann in Art. 19 Abs. 4 GG eben eine entsprechende Rechtfertigung sehen kann. Jedoch bleibt das abstrakte Prinzip der Gewaltenteilung jenseits solch spezieller, einzelne Gewalten mit einem Vorrang versehender Normierungen eher ein Argument gegen als für die richterliche Unabhängigkeit und kann daher durchaus Rechtfertigung für gesetzgeberische Strukturentscheidungen zur Kontrolle der Rechtsprechung sein, wie sie etwa in der Zuweisung der Dienstaufsicht über Richter an die Exekutive ihren Ausdruck findet. Sie macht zwar speziell in den Verwaltungsgerichten die (eigentlich) kontrollierte Exekutive ihrerseits wiederum zum Kontrolleur der richterlichen Kontrolleure. Dieser Feststellung fehlt aber der etwa von van Husen beabsichtigte Vorwurfscharakter16, weil dieses Modell grundsätzlich die Idee des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in Form gegenseitiger Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten darstellt. Es ist – abstrakt betrachtet – nur schwer einzusehen, warum es jedem Verwaltungsrichter möglich sein soll, jeden Akt der Verwaltung aufzuheben, während die Exekutive umgekehrt nicht einmal zu Vorhalten und Ermahnungen berechtigt sein darf. Eine solche Auffassung setzt zwangsläufig einen so weitreichenden Vorrang und eine unantastbare Überordnung der richterlichen Entscheidung voraus, für die es im Grundgesetz keinen Anhaltspunkt gibt. Zwar mag dem Richter aufgrund des Justizgewährleistungsanspruchs17 und der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG stets das letzte Wort (in Rechtsstrei12 Prägnant Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 175: „Das Gewaltenteilungsprinzip ist dem Grundgesetz unbekannt.“ (Hervorh. im Original). 13 Schmidt-Aßmann, FS Schmitt Glaeser, S. 317 (318) – Hervorh. im Original. 14 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 67 u. ö. Dies gilt trotz aktueller „Gewichtsverluste im Verhältnis zur Exekutive“ etwa im Technikrecht, vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 19 IV Rn. 47. 15 BVerfGE 34, 52 (59); krit. dazu AK-GG2-Bäumlin/Ridder, Art. 20 1-3 III Rn. 57. 16 van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 ff. 17 Dazu jüngst (erweiternd) BVerfGE 107, 395 ff.

I. Die Gewaltenteilung als überschätztes und untaugliches Argument

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tigkeiten) zukommen. Daraus folgt aber nicht, daß damit auch eine völlige Freistellung von exekutiver Aufsicht verbunden sein soll oder gar muß. Sie darf nur nicht die Letztentscheidung des Richters ersetzen oder diese auch nur mittelbar determinieren, weil dann das absolute Monopol aus Art. 92 GG, innerhalb dessen der Richter nach Art. 97 GG unabhängig entscheiden darf und soll, umgangen würde. Solches folgt aber aus diesen Konkretisierungen, nicht aber dem allgemeinen Gewaltenteilungsprinzip. Unterhalb dieser Grenze existieren aber keine verfassungsgebotenen Absolutheiten, die einen entsprechend ausnahmslosen Ausschluß anderer Gewalten und ihrer personalen Träger von der Einflußnahme auf die Rechtsprechung im weitesten Sinne indizieren könnten. Folglich ist für diesen – durchaus breiten Bereich – tatsächlich ein Rückgriff auf das allgemeine Gewaltenteilungsprinzip unumgänglich18, der jedoch gerade nicht das in Art. 92, 97 GG zum Ausdruck kommenden Ausschließlichkeitspostulat zugunsten der Richter unter anderem dogmatischen Vorzeichen fortsetzen muß, sondern eben auch die Kontroll- und Mäßigungsfunktion der Gewaltenteilung aktualisieren kann. 2. Ein deutscher Justizminister ist keine Hummel Wenn im Hinblick auf mögliche Modelle richterlicher „Selbstverwaltung“19 rechtsvergleichende Hinweise auf andere europäische Staaten obligatorisch sind, bleibt England unerwähnt. Dies kommt – bisher20 – nicht von ungefähr: Denn hier ist eine noch weitergehende Verschränkung von legislativen, exekutiven und richterlichen Funktionen in der Person des Lord Chancellors zu finden, als es ein deutscher Justizminister oder ein Gerichtspräsident je sein könnte. Denn während ein deutscher Justizminister jederzeit absetzbar ist und keine Rechtsprechung ausüben darf, die Gerichtspräsidenten zwar Rechtsprechung ausüben, aber nicht absetzbar sind, so gilt dies seit exakt 1400 Jahren nicht für den Lord Chancellor: Er ist als Speaker des House of Lords an der Gesetzgebung beteiligt und als Lordrichter zugleich einer der höchsten Richter des Landes, dabei aber auch Chef der Gerichtsverwaltung und Mitglied der Regierung und als solches jederzeit durch den Premierminister abzuberufen, und hat maßgeblichen Einfluß auf die Besetzung der (höheren) Richterämter. Insofern vereint der Lord Chancellor legislative, exekutive und rechtsprechende Funktionen in seiner Person21, die nach dem Grundgedanken der Gewaltenteilung getrennt

18 Zur Funktion der Gewaltenteilung als „Auslegungstopos“ s. Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 49 f. 19 Siehe sogleich unten im Überblick III. 20 Zu den aktuellen Veränderungsbestrebungen vgl. oben § 2 II. 21 Vgl. Meador, Judicature 67 (1983), S. 16 (19); Lord Lane, in: Shetreet/Deschênes, S. 525 (525 f.); eindringlich Kilmuir, Virginia Law Review 45 (1959), S. 629

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

sein müßten22. Aus diesem Grund hat Lord Lane23 die Institution des Lord Chancellors mit einer Hummel verglichen, da jener eine ebensolche verfassungsrechtliche Unmöglichkeit („constitutional impossibility“) darstelle, wie die Hummel eine aerodynamische24 Unmöglichkeit25 ist. Bleibt man in diesem Bild und wirft die Frage auf, ob deutsche Justizminister (oder Gerichtspräsidenten) die Hummeln auf der grundgesetzlichen Blumenwiese sind, so wird man die Frage verneinen müssen. Richtig ist sicherlich, daß der Justizminister typischerweise auch Mitglied der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaften ist. Insofern ist dies aber durch das Grundgesetz nicht verboten, da eine rechtliche Inkompatibilität von Regierungsmitgliedschaft und Bundestags-/Landtagsmandat im parlamentarischen Regierungssystem nicht besteht26. Anders als dem englischen Lord Chancellor obliegt dem Justizminister aber keine Rechtsprechung, da diese nur von Richtern ausgeübt werden darf (Art. 92 Hs. 1 GG). Soweit die Präsidenten als Organe der Gerichtsverwaltung als Richter auch Rechtsprechung ausüben, sind sie von der Mitgliedschaft in sonstigen Organen der Exekutive oder Legislative ausgeschlossen (§ 4 DRiG). Insofern kommt eine Gewaltenvereinigung wie in England nicht in Betracht. Was bleibt, ist aber die Situation eines exekutiven Amtsträgers, der auf die Rechtsprechung insbesondere in personeller Hinsicht Einfluß ausüben kann. Dies allein führt aber nicht zu einer verfassungsrechtlichen Unmöglichkeit, weil die verfassungsrechtliche Monopolzuweisung in Art. 92 GG eben nur die „rechtsprechende Gewalt“ den Richtern vorbehält, nicht aber die Dienstaufsicht über diese richterlichen Monopolisten. Ebenso wenig gilt diese Ausschließlichkeit für den umgekehrten Fall des Art. 92 GG: Rechtsprechen dürfen nur Rich(642): „(. . .) the personified contradiction of Montesquieu’s theory of the separation of powers“. 22 Siehe auch die Nachweise oben in § 2 II. Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 293 ff. 23 Lord Lane war Englands Lord Chief Justice von 1980–1992. 24 Eine Hummelkönigin, etwa der Dunklen Erdhummeln, wiegt durchschnittlich ca. 0,48 g. Sie hat eine Flügelfläche von 1,45 cm bei einem Flächenwinkel von 6 Grad, was das Fliegen nach den Gesetzen der Aerodynamik unmöglich macht, vgl. v. Hagen, Hummeln, S. 44, der hinzufügt: „die Hummel weiß das aber nicht und kümmert sich offensichtlich auch nicht darum“. 25 Lord Lane, in: Shetreet/Deschênes (Ed.), S. 525 (526). Wobei er gleichwohl anmerkt, daß die jeweiligen Amtsinhaber während des letzten halben Jahrhunderts ihre Funktionen stets klar getrennt gehalten hätten und insofern nichts zu kritisieren sei, was allerdings nichts am Grundproblem ändere: „The independence of the judges depends upon the ability of the Lord Chancellor to perform this impressive balancing act without falling off the tightrope.“ In diesem Sinne auch Kilmuir, Lord Chancellor von 1954–1962, Virginia Law Review 45 (1959), S. 629 (642): „But the second and main reason is that by and large over 1364 years my predecessors have not abused these powers.“ 26 Vgl. statt aller Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 38 Rn. 135.

I. Die Gewaltenteilung als überschätztes und untaugliches Argument

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ter, Richter (Gerichtspräsidenten) dürfen aber mehr als rechtsprechen. Diesbezüglich ist es ohnehin bemerkenswert, daß die Inkompatibilitätsvorschriften sich nur auf der einfachgesetzlichen Ebene des DRiG finden, nicht aber schon verfassungsrechtlich verankert wurden. Dies führte vor Inkrafttreten des DRiG zu einer Vielzahl verschiedenster Inkompatibilitätsregelungen, die weit hinter dem rigorosen Ausschluß des § 4 DRiG zurückblieben27. Dieser Umstand belegt, daß aus verfassungsrechtlicher Tradition heraus die Unvereinbarkeit eines richterlichen Amtes mit sonstigen Funktionen in anderen Gewalten nicht zwingend ist28; jedenfalls die Betrauung von Richtern mit Aufgaben der Gerichtsverwaltung grundgesetzlich zulässig sein muß. Gleiches gilt auch für die Übertragung der Dienstaufsicht auf einen Justizminister29. Wie weit die Kompetenzen exekutiver Organe außerhalb des Rechtsprechungsmonopols reichen, unterliegt jedoch dem Entscheidungsvorbehalt des parlamentarischen Gesetzgebers. Dies muß schon deshalb gelten, weil die Ausgestaltung der Gewaltenteilung zentrale Fragen der rechtsstaatlichen Staatsstruktur betrifft, die aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung nur vom Parlament selbst beantwortet werden können. Gegenüber den Richtern gilt dies aber insbesondere deshalb, weil mit dieser Konkretisierung der Gewaltenteilung durch Aktivierung ihrer Kontrollfunktion zwangsläufig Einschränkungen der Unabhängigkeit verbunden sind, die auch im Bereich des „bloß“ allgemeinen Prinzips der Gewaltenteilung gem. Art. 97 Abs. 1 GG zumindest gesetzlicher Ermächtigung oder gar der Gesetzesform selbst bedürfen. Denn die Unterwerfung der Richter etwa unter eine exekutive Dienstaufsicht als Kontrollform betrifft unausweichlich die „Rechtsstellung der Richter“, die nach Art. 98 Abs. 1, 3 GG der alleinigen Definition des parlamentarischen Gesetzgebers vorbehalten ist30. Diesem Gesetzesvorbehalt korrespondiert zugleich eine entsprechende Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers: Er ist in weitem Rahmen befugt, das Verhältnis der Gewalten untereinander auszugestalten – dies gilt auch in bezug auf die Rechtsprechung. Denn der durch das Grundgesetz gezogene Rahmen ist auch diesbezüglich weitaus großzügiger, als vielfach angenommen wird. Ansätze, die aus der Verfassung für die Organisation der Rechtsprechungsverwaltung in größerem Umfang unmittelbare Handlungsparameter für den Gesetzgeber ableiten, mißverstehen die Gewaltenteilung als Prinzip.

27 Vgl. ausführlich Bettermann in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (616 ff.). 28 Vgl. nur die Position des BVerfG zu den Friedens- und Gemeindegerichten, zuvor unter § 2 VI. 1. c). 29 Siehe BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 (360). 30 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 24.

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3. Die richterlich mißverstandene Gewaltenteilung Neben der richterlichen Unabhängigkeit – auf die später zurückzukommen sein wird – steht das Prinzip der Gewaltenteilung im Mittelpunkt der Diskussion um die NSM und die vergrößerte Eigenverwaltung der Justiz. Hierbei wird vor allem auf den Trennungsaspekt der Gewaltenteilung abgestellt, der in der Tat in Art. 92 Hs. 1 GG als Teilkonkretisierung seinen besonderen Ausdruck findet. Es besteht ein Rechtsprechungsmonopol bei den Gerichten des Bundes und der Länder: Welche Überschneidungen zwischen den Gewalten und ihren Funktionen auch immer denkbar und vom Grundgesetz auch ausdrücklich vorgesehen sein mögen, Rechtsprechung kann nur durch Richter in Gerichten erfolgen. Kein staatlicher Akt, der von Nicht-Richtern oder von Richtern, aber außerhalb von Gerichten vorgenommen wird, kann unter Geltung des Grundgesetzes Rechtsprechung im funktionellen oder materiellen Sinn sein. Hält man sich vor Augen, daß ausnahmslos eine „letztverbindliche Entscheidung darüber (. . .), was im konkreten Fall rechtens ist“, „nur von unabhängigen staatlichen Gerichten im Sinne des IX. Abschnitts des Grundgesetzes herbeigeführt werden“31 kann, so wird die enorme Machtfülle der deutschen Richterschaft deutlich. „Die rechtsprechende Gewalt ist mit einer Machtfülle ihres Wächteramtes ohnegleichen inthronisiert“32. Spätestens mit der in Art. 100 Abs. 1 GG erfolgten Anerkennung des richterlichen Prüfungsrechts auch gegenüber Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers33 und der Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts ohne Kontrollmöglichkeit durch eine der anderen Gewalten ist die rechtsprechende Gewalt in eine Sonderstellung innerhalb des Gewaltenteilungssystems des Grundgesetzes eingerückt. Damit hat der textliche Befund (schon) sein Bewenden, belegt aber immerhin eine bedeutende Relativierung der Idee der Gewaltenteilung insgesamt. Denn diese beinhaltet begriffsimmanent auch den Aspekt einer Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Ausübung der Staatsgewalt um der Freiheit des Menschen willen. Dahinter steht das Bild eines Menschen, mit dem „Irrtumsfähigkeit und Fehlsamkeit“34 untrennbar verbunden sind und der deshalb der Kontrolle und Korrektur, im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung: durch andere Staatsgewalten bedarf. Der irrende Richter scheint aber in diesem System nicht vorzukommen35, denn weder gibt es irgendeine Kompetenz von Exekutive und 31

BVerfGE 103, 111 (139). D. Brüggemann, JJahrb. 7 (1966/67), S. 17 (20); sinnesgleich Henrichs, DRiZ 1990, S. 41 (41). 33 Dazu schon zur WRV v. Hippel, HDStR II, S. 546 ff. 34 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 V (1980) Rn. 12; ausführlich Reinhardt, Jurisdiktion, S. 39, 75 ff. 35 Obwohl es ihn – jedenfalls potentiell – auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gibt, vgl. BGH, NJW 1974, S. 1865 (1866); ähnlich schon zuvor BGH, NJW 32

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Legislative, einen irrenden und fehlsamen Richterspruch zu korrigieren36 oder einen hauptamtlich und planmäßig angestellten Richter abzuberufen, noch ist es nach dem verfassungsrechtlichen Dogma37 zu Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich, daß innerhalb der Judikative der stets potentiell irrende Richter kontrolliert wird, und sei es „nur“ ein immer mehr platzgreifender Einzelrichter38, der vielleicht in völliger Weltfremdheit und richterdienstgerichtlich verbriefter Freiheit von atmosphärischen Störungen39 und damit möglicherweise auch Realitätssinn in großem Maße irren kann – und irrt40. In Art. 92 GG (im Verein mit der richterlichen Unabhängigkeit) findet die Gewaltenteilung eine Form der Konkretisierung, die für die Beziehung der beiden anderen Gewalten zur Judikative allein auf den Trennungsaspekt abstellt41. Damit wird die gegenseitigen Hemmung und Kontrolle als Funktion des Gewaltenteilungsprinzips suspendiert, so daß es zu einer „Asymmetrie“ der gegenseitigen Überwachung der Gewalten kommt. Die zwar nicht theoretisch, aber praktisch begrenzte Aneinanderreihung von Kontrollinstanzen muß zwangsläufig den letzten Kontrolleur unkontrolliert lassen. Dabei ist es in der Tat ein typisches Merkmal eines Rechtsstaats, im Falle von Richtervorbehalten das sogar erste, grundsätzlich aber das letzte Wort einem Richter zu überlassen42. Damit ist allerdings noch nicht entschieden, ob nicht jenseits dieses Bekenntnisses zur Letztentscheidungskompetenz des Richters ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Gewalten geschaffen werden kann oder gar muß43. Vor allem aber erhalten Art. 92 und 97 GG damit im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip den Charakter von Ausnahmevorschriften, die daher nur restriktiv ausgelegt werden dürfen. Dies gilt selbst dann, wenn man von einem abstrakten „Vorrang des Trennungsaspekts“44 ausgeht, denn die verfassungsrechtliche Normallage bleibt die Kompetenzverschränkung und der deutlich beherrschende Zweck der Gewaltenmäßigung und -hemmung durch Zusammenwirken der Funktionenträger45. 1964, S. 2402 (2403); allerdings erfolgte diese Rechtsprechung nicht als Selbstkritik, sondern zur Begründung einer Anwaltshaftung. 36 Zutreffend analysiert von Reinhardt, Jurisdiktion, S. 82 f., insb. mit der in der Tat wohl zufälligen, aber doch symptomatischen Aufzählung der möglicherweise Irrenden bei Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 V (1980) Rn. 12. 37 Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 146 ff. 38 Siehe dazu unten § 5 III. 1. c). 39 Vgl. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (40). 40 Siehe nur Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 ff. Eser, FS Salger, S. 247 (267), geht hingegen von einem Richterbild aus, das „weitestgehender Kontrolle ihrer (der Richter, C. S.) Entscheidungsmacht“ verpflichtet ist. Dies wird freilich irrelevant, wenn man dem Richter ein „Grundrecht (. . .) auf Fehlen und Irren“ zuerkennen will, so Wipfelder, DRiZ 1982, S. 143 (147). 41 Sinngleich Reinhardt, Jurisdiktion, S. 68. 42 Siehe zuvor bei FN 31. 43 Vgl. Reinhardt, Jurisdiktion, S. 79. 44 So Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 (1011).

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Jedenfalls aber wird in besonderem Maße begründungsbedürftig, wenn über den Textbefund hinaus mehr an Unabhängigkeit gefordert wird als für die unmittelbare Rechtsprechung selbst. Soweit Richter in ihrer amtlichen Funktion für sich von Verfassung wegen beanspruchen, staatliche Funktionen außerhalb der Rechtsprechung wahrnehmen zu dürfen, können sie sich also nicht auf das Gewaltenteilungsprinzip oder Art. 92 GG berufen. Erst recht gilt dies, wenn Richter die Aufgabenerledigung exklusiv in Anspruch nehmen wollen oder gar ohne Kontrolle durch die anderen Staatsgewalten. Das Argument „Gewaltenteilung“ taugt also nicht zur Legitimation einer (weiteren) Verselbständigung irgendeiner, insbesondere nicht der Dritten Gewalt, weil Teilung im Sinne des Grundgesetzes stets (auch) das Ziel der Mäßigung der Staatsgewalt in sich trägt. Da aber die Rechtsprechung als solche keiner Kontrolle anderer Staatsgewalten unterliegt, ist diesbezüglich ohnehin schon eine starke Einschränkung gegeben, die durch eine „Eigenverwaltung der Gerichte“ auch auf das Handeln von Richtern außerhalb der Rechtsprechung selbst ausgedehnt würde. Da hierfür aber – anders als für die „kategoriale Zuweisung“46 der Rechtsprechung an die Gerichte und Richter in Art. 92 GG – eine grundgesetzliche Rechtfertigung fehlt, ist sie mit dem System der Gewaltenteilung unvereinbar. Ohnehin hat die Gewaltenteilung als Prinzip keine besondere praktische Steuerungskraft erlangt, was nicht zuletzt an der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts liegt, die ihm angesichts vielfacher Konkretisierungen und leges speciales kaum eigenständigen Bedeutungsgehalt zugeschrieben hat und mit der „Erfindung“ einer zweiten „Auslegungslehre“47 der Organadäquanz48 eher jenseits traditioneller Inhalte Wirkungen zuspricht49. Nur personelle Inkompatibilitäten wurden direkt aus ihm abgeleitet50. Ungeachtet seiner verbalen Hervorhebung als tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes51 hat es angesichts seiner vielfachen Konkretisierungen und vor allem vom Bundesverfassungsgericht erlaubten Durchbrechungen kaum eigenständige Bedeutung erhalten können52 und ist „zumindest praktisch nahezu bedeutungslos“53 geworden. Der Versuch, über eine Kernbereichslehre eine brauchbare Begrenzung dieser Gewaltenverschränkungen zu erreichen, mußte scheitern, da sie faktisch genau das 45

Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 (1011 f.). Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 (1015). 47 Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 (1012). 48 Siehe dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 66. 49 BVerfGE 68, 1 ff.; krit. Reinhardt, Jurisdiktion, S. 48. 50 BVerfGE 10, 200 (216 ff.); 14, 56 (68); 54, 159 (166 ff.). 51 BVerfGE 3, 225 (247); 67, 100 (130). 52 AK-GG2-Bäumlin/Ridder, Art. 20 Abs. 1–3 Rn. 57, sehen gar das Prinzip abgeschieden. 53 Reinhardt, Jurisdiktion, S. 49. 46

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Gegenteil bewirkt hat: Indem eine Vielzahl von Durchbrechungen ermöglicht wurde, erwies sich die Kernbereichslehre eher als deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung denn als Mittel zur Konturierung des eigentlichen (Kern-)Gehalts des Prinzips selbst54. Das Bundesverfassungsgericht konnte sich dies rechtsstaatlich „leisten“, weil die Wirkkraft der Gewaltenteilung als Prinzip in einem entscheidenden Punkt obsolet wurde55: Die historisch zentrale Funktion der Gewaltenteilung, durch Mäßigung der Staatsgewalt56 die Freiheit der Person zu sichern57. Dies übernahmen die gem. Art. 1 Abs. 3 GG ausnahmslos geltenden Grundrechte spätestens infolge des allumfassenden Freiheitsversprechens der Elfes-Entscheidung58 und des lückenlosen Verteidigungsmittels des Art. 19 Abs. 4 GG. Freiheitsschutz für das Individuum bedurfte daher nicht mehr notwendigerweise einer gegenseitigen Hemmung der Gewalten, da deren noch so freiheitsbeschränkendes, kollusives Zusammenwirken zulasten des Bürgers mittels der Grundrechte spätestens und insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht59 verhindert werden konnte. Dies wird wohl auch als das im Hinblick auf die Freiheitssicherung wirkungsvollere System angesehen werden müssen, da der Zugang des einzelnen zum Rechtsschutz über ein subjektives Recht einfacher zu erreichen ist als über das objektive Rechtsprinzip der Gewaltenteilung60, das vor allem durch die Gewaltenverschränkungen des Parteienstaats in horizontaler wie vertikaler Richtung61 wesentliche Teile seines freiheitssichernden Postulats eingebüßt haben dürfte. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, daß das Ausweichen auf die Grundrechte zur Freiheitssicherung zwangläufig eine Bedeutungserhöhung der Dritten Gewalt hervorrufen mußte. Denn die Durchsetzung der Grundrechte über Art. 19 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG führt automatisch zum Rechtsschutz (allein) durch Gerichte, denen somit die Aufgabe der Kompensation des dem Gewaltenteilungsprinzip verlorengegangenen Freiheitsschutzes zukommt. Auf diese Weise wird die Aufgabe der Freiheitssicherung, die unter 54

Reinhardt, Jurisdiktion, S. 45. Was aber nichts daran ändert, daß beide, Grundrechte und Gewaltenteilung, die „großen Teilsysteme grundgesetzlicher Rechtsstaatlichkeit“ (Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 987 [1023]), geblieben sind. 56 BVerfGE 67, 100 (130). 57 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 5, 63; diese Funktion lag auch insbesondere dem GG zugrunde, vgl. nur den Bericht an die Ministerpräsidentenkonferenz über den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, abgdr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 2, S. 504 (524). 58 BVerfGE 6, 32 ff. 59 Zur in diesem Sinne „Erfolgsgeschichte der Grundrechte“ s. Lamprecht, Vom Untertan, passim. 60 Siehe Reinhardt, Jurisdiktion, S. 71 f. 61 Zu beiden Richtungen der Gewaltenteilung s. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 72 f. 55

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dem Postulat der Gewaltenteilung allen Gewalten und ihrem gleichberechtigten Nebeneinander überantwortet ist, einer einzigen, nämlich der Rechtsprechung übertragen62. Daraus folgt aber noch nicht deren Sonderstellung im Rahmen der Gewaltenteilung, insbesondere nicht eine Freistellung von Kontrolle als zentralem Element unseres Verfassungsstaates63. a) Abschied von Charles de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu64 Montesquieu als Übervater der Idee der Gewaltenteilung fehlt auch über 250 Jahre65 nach dem Erscheinen seines Werks „Vom Geist der Gesetze“66 bei kaum einer Abhandlung über die Stellung der Judikative im Staatsaufbau. Insbesondere von Verteidigern der richterlichen Unabhängigkeit wird er zur Rechtfertigung ihrer absoluten Positionen zitiert. Dies geht – spätestens aus heutiger Sicht – fehl67, denn eine so machtvolle Justiz wie sie in Deutschland herrscht, war für Montesquieu nicht vorstellbar. Was auch immer die Richter heute sind – „en quelque façon nulle“68 sind sie jedenfalls nicht69. Vor allem aber kannte er – im wesentlichen ohnehin nur Strafgerichte vor Augen70 – nicht einmal ständige Gerichte71, und Art. 97 Abs. 2 GG wäre wohl von ihm ebenfalls nicht formuliert worden72. Statt dessen liest man: „Richterliche Befugnis darf nicht einem unabsetzbaren Senat verliehen werden, vielmehr muß sie von Personen ausgeübt werden, die nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Weise zu gewissen Zeiten im Jahr aus dem Volkskörper ausgesucht werden. Sie sollen ein Tribunal binden, das nur so lange besteht, wie die Notwendigkeit es verlangt.“73

62 So Reinhardt, Jurisdiktion, S. 72, Fn. 413 (die Formulierung dieses wichtigen Gedankens scheint in einer bloßen Fußnote allerdings unterbetont). 63 So der Titel bei Nolte, in: ders. (Hrsg.), Kontrolle im verfaßten Staat, S. 11 ff.; zur Vielgestaltigkeit der Kontrollen im Verfassungsstaat Schulze-Fielitz, in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, S. 291 ff. 64 Zur Namensherkunft s. Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (149, Fn. 2). 65 Zu diesem Jubiläum Montesquieu ebenfalls überbewertend Adomeit, ZEuP 1998, S. 849 ff. 66 De l’esprit de la loi, 1748; so der gebräuchliche Kurztitel, zum vollständigen Titel s. Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (149). 67 Von einer Überschätzung Montesquieus geht auch Henrichs, DRiZ 1990, S. 41 (47), aus. 68 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, XI. Kapitel, 6. Buch. 69 Und waren es auch nie, s. Reinhardt, Jurisdiktion, S. 21. 70 Die er als „schreckliche Gewalt“ betitelt, vgl. Wank, Jura 1991, S. 623 (626). 71 Dies betont ausdrücklich Seif, Der Staat 42 (2003), S. 110 (115). 72 Hierauf weisen auch ausdrücklich hin Henrichs, DRiZ 1990, S. 41 (46), und Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (49).

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Vor allem aber hat seit Montesquieu ein Übergang zur Demokratie stattgefunden, die seine Lehre in einen völlig neuen verfassungspolitischen Kontext stellt74, welche aufgrund ihrer Adelsnähe keine Urheberschaft für das rechtsstaatliche Gebot der Gewaltentrennung beanspruchen kann75. Hinzu tritt der Wandel des Staates und der veränderten Staatsfunktionen76, aber auch die verfassungsrechtliche Bedeutung der Parteien. Aber selbst ohne diese Verschiebungen der Bezugsebene wird Montesquieu mißverstanden, wenn man bei ihm mehr Gewaltentrennung als -hemmung zu finden meint. Die bei Montesquieu beschriebene Unterscheidung der Staatsgewalten beinhaltet eben keine funktionelle Zuweisung an besondere Staatsorgane77, sondern hält in Form der Mischverfassung im Gegensatz etwa zu Locke die Einheitlichkeit der souveränen Staatsgewalt bei. Ziel ist dabei die Sicherung politischer Freiheit, aber nicht durch eine institutionelle Gewaltenbalance der Staatsorgane, sondern durch ein Gleichgewicht der politischen Kräfte, nämlich Krone, Adel und Bürgertum allein in der Monarchie78 – also die Vorstellungswelt eines ins Normative gewendeten Sozialmodells79. Die sowohl auf der Grundlage der Mischverfassung als auch in der Idee der separation of powers als Ziel proklamierte „Gewaltenbalance“ mag den fundamentalen Unterschied zwischen beiden verwischt haben80. Mit dem System der „checks and balances“ des zweiten hat erstere gleichwohl nichts zu tun. Daher liegt der Inanspruchnahme Montesquieus für eine verselbständigte Judikative ein fundamentales Mißverständnis zugrunde, das der stark selektiven Zitierweise zweier Stellen aus dem 6. Buch des 11. Kapitels seines Werks „Vom Geist der Gesetze“, das insgesamt 31 Kapitel mit bis zu 27 Büchern enthält, die ohnehin beschränkte Überzeugungskraft nimmt. Für die Gewaltenteilungsdiskussion unter der Geltung des Grundgesetzes sollte man sich daher von ihm verabschieden – zumal ein Werk, das exakt 200 Jahre vor den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates entstanden ist, selbst unter verstärkter Bevorzugung historischer Auslegungsmethode im demokratischen Verfassungsstaat des 21. Jahrhunderts gegenüber dem Verfassungstext und der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts kaum mehr eine determinierende Rolle spielen dürfte, so 73 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, XI. Kapitel, 6. Buch. Dies erinnert eher an die Schwurgerichte vor deren Abschaffung durch die lex Emminger, s. Vormbaum, lex Emminger, S. 109 ff. 74 Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 20 V (1980) Rn. 20. 75 So ausdrücklich Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (165). 76 Siehe zsfssd. Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 20 V (1980) Rn. 21 ff. 77 Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (151); dies., Der Staat 42 (2003), S. 110 (117). 78 Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (157, 160 f.); zu diesem Unterschied von Gewaltenteilung im Grundgesetz und der Konzeption Montesquieus auch Böckenförde, Verfassungsfragen, S. 64. 79 Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 175. 80 So die Schlußfolgerung von Seif, ZNR 22 (2000), S. 149 (158).

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sehr auch die zugrundeliegenden Gedanken das staatsrechtliche Denken in Deutschland81 und gerade auch im Parlamentarischen Rat82 beeinflußt haben mögen. „Das Grundgesetz bringt nunmehr eine völlig andersartige Entwicklung zum Abschluß, eine Entwicklung, die einen anderen Weg gegangen ist, als noch Montesquieu ihn sah.“83 Die Gewaltenteilung ist kein Dogma von naturrechtlich-zeitloser Geltung, sondern muß vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichkonkreten staatlichen Ordnung und deren Voraussetzungen gesehen werden. Daher muß man sich bei seiner Interpretation von überkommenen Vorstellungen lösen84. b) Die von Richtern unterschätzte Macht der Rechtsprechung Die Forderungen nach einer Verselbständigung der Richterschaft und/oder der Gerichte vernachlässigt eine entscheidende Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, nämlich den fortwährenden Machtzuwachs der Rechtsprechung85. Wenn mancherorts von der Herabstufung des Art. 92 GG zu einer „dürren Garantie eines ,Rechtsprechungsmonopols‘“ gesprochen wird86, so ist dies beispielhaft für das fehlende Bewußtsein innerhalb der Richterschaft dafür, was dieses Monopol bedeutet und welche zuweilen dominante Stellung sie damit erreicht hat. Die Zunahme des Richterrechts87, das unbeschränkte richterliche Prüfungsrecht des Art. 100 Abs. 1 GG, die Tradition der Elfes-Rechtsprechung88, die hohe verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte in Anwendung des Art. 19 Abs. 4 GG89, die justiziable Unterwerfung auch des Gesetzgebers unter das Verhältnismäßigkeitsprinzip90 und die ausnahmslose Reservierung jeglicher 81 Vgl. dazu etwa Seif, Der Staat 42 (2003), S. 110 (112 ff., speziell für Deutschland 124 ff.); zu Hindernissen bei der Montesqieu-Rezeption in Deutschland jüngst dies., FS Musielak, S. 535 (546 ff.). 82 Vgl. Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (47): „Diese Gedankengänge haben das Werk von Bonn weitgehend beeinflußt.“ 83 Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (50) – Hervorh. im Original. 84 So Hesse, Grundzüge20, Rn. 482. 85 Nur durch diese Macht wird es möglich, daß eine Richterin an einem obersten Bundesgericht nach einem leistungsgewährenden Urteil gegen den Staat feststellen kann: „(. . .) das nimmt denen jetzt keiner mehr weg.“ (so das Zitat von Renate R. Jaeger im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Richterin am Bundessozialgericht im Magazin Brigitte Nr. 13/2004, S. 100). 86 So Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (413). 87 Siehe nur Hirsch, ZRP 2004, S. 29 (29). 88 BVerfGE 6, 32 ff. 89 Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 19 IV Rn. 116 ff.; trefflich jüngst Schmidt-Aßmann, FS Schmitt Glaeser, S. 317 (317: „Wie kaum eine andere Verfassungsbestimmung hat Art. 19 Abs. 4 GG die Rechtsentwicklung unter dem Grundgesetz geprägt.“), der zudem dessen „Sprengkraft“ selbst für Urgesteine des Prozeßrechts hervorhebt (ebd., S. 318). Geradezu untertrieben Dreier, DÖV 2002, S. 537 (538), wenn er nur „eine recht umfassende Kontrolle“ diagnostiziert.

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rechtsbezogener Letztentscheidung für (irgend)einen Richter91 sind Mosaiksteine des richterdominierten Rechtsstaats der Bundesrepublik92, die jeder für sich und erst recht kumulativ der Herrschaft des Volkswillens große Verluste zufügen93; die richterliche Unabhängigkeit „ist an sich keine demokratische Einrichtung“94. Dies mag trotz der Tatsache, daß in der Staatsdefinition der Bundesrepublik (Art. 20 Abs. 1 GG) zwar die Demokratie, nicht aber der Rechtsstaat erwähnt wird, noch hinnehmbar sein. Äußerst problematisch wird es jedoch dann, wenn man sieht, welch geringe demokratische Legitimation die Richterschaft besitzt95, und sich klar macht, daß das Volk als Souverän keinen seiner Richter selbst bei höchster Unzufriedenheit mit ihm wieder loswerden kann (Art. 97 Abs. 2 GG). Die unverbrüchliche Geltung dieser für den Rechtsstaat konstitutiven Bedingungen soll hier keinesfalls in Frage gestellt werden. Es muß jedoch auch deutlich gemacht werden, daß hierin ein – wenn auch notwendiges – so gleichwohl nicht wegzudiskutierendes antidemokratisches Element liegt, das eben nur soweit hingenommen werden kann, wie es zur Rechtsstaatssicherung erforderlich ist. Jedenfalls können zur volksfernen Richtermacht „gegenläufige“ Strukturentscheidungen, wie sie etwa in Form der Exekutivierung der Rechtsprechungsverwaltung getroffen worden sind und somit wenigstens deren personelle Rückkopplung an das Parlament sichern, nicht mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit belegt werden: Denn sie dienen dazu, die „Demokratieausnahme“, die in der Unabhängigkeit der Richter liegt, ihrerseits wieder zu beschränken. Im staatlichen Mikrokosmos „Gericht“ könnte man daher das Gegenüber, Mit- und Nebeneinander von Organen der Rechtsprechung und der Verwaltung als Subsystem von checks and balances bezeichnen. Daß dieses System, das hinsichtlich der Rechtsprechung selbst durch einen ausnahmslosen Vorrang der Richter gekennzeichnet ist, durchaus zulasten der richterlichen Unabhängigkeit in verfassungswidriger Weise gestört sein kann, ist dadurch nicht ausgeschlossen. Dies liegt jedoch – wie zu zeigen sein wird – nicht an der Fehlkonstruktion der 90 Weitestgehend das Apothekenurteil, BVerfGE 7, 377 ff.; krit. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 293 f.; demokratiefundierte radikale Absage hieran durch AK-GG2Bäumlin/Ridder, Art. 20 Abs. 1–3 III Rn. 64 ff. 91 BVerfGE 103, 111 (137). 92 W. Weber, FS Niedermeyer, S. 261 (269), spricht schon 1953 – jenseits aller Kenntnis der nachfolgenden 50 Jahre – von der rechtsprechenden Gewalt als einer „übergeordneten Dritten“. 93 Ungeachtet der Wertschätzung etwa der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch durch die Verwaltung, s. Schmidt-Aßmann, FS Schmitt Glaeser, S. 317 (317). Freilich kann diese Macht auch weniger Wohltat als Plage sein; nicht jeder Vormundschaftsrichter wird sich über den vom BGH, NJW 2003, S. 1588 ff., zugewiesenen „Machtzuwachs“ zur Entscheidung über das Lebensende Dritter freuen, vgl. nur Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 39a m. w. Nw. 94 Schiffer, Deutsche Justiz, S. 245. 95 Vgl. nur Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, S. 673 ff.

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Strukturen von Rechtsprechung und ihrer Verwaltung, sondern an der unzulänglichen Aufgabenerfüllung durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Die allzu oft kontrollfreie Macht des (Einzel-)Richters wird zunehmend registriert und kritisiert96. Ihr mit dem Argument der Gesetzesbindung des Richters als ausreichendem Steuerungsinstrument zu begegnen, kann nicht befriedigen, weil jeder Richter nicht zuletzt durch die Wahl der Methode den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehren und damit seine subjektiven Vorstellungen zu Gesetz gerinnen lassen kann97. Denn daß das „Subsumtionsdogma nicht stimmt, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Es stimmt aber nicht nur ausnahmsweise nicht, es stimmt überhaupt nicht. (. . .) Und auch die immer noch dreifach legalisierte Formel, daß der Richter ,nur dem Gesetz unterworfen‘ sei (Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG, § 1 GVG), dürfte nirgendwo mehr eine wortgetreue Interpretation erfahren“98. Dies gilt gerade auch für das richterliche Verfahrenshandeln99. Dieser Umstand wird nicht zuletzt auch dadurch bestätigt, daß die politischen Parteien allzu deutlich die Besetzung der Richterstellen an den obersten Gerichtshöfen, insbesondere dem Bundesverfassungsgericht, zu beherrschen suchen. Dies spricht als deutliches Indiz dafür, daß auch sie die Macht der Rechtsprechung erkannt haben und sich entsprechenden Einfluß über ihre richterlichen „Vertreter“ sichern wollen100. Dem stehen freilich Stimmen entgegen, die gerade in Formen der „Selbstverwaltung“ der Gerichte durch die Richterschaft einen Zugewinn an Demokratie sehen101. Dem liegt aber ein Verständnis von Demokratie zugrunde, das Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nur ungenügend berücksichtigt. Der Souverän dieses 96 Siehe nur Voßkuhle, Rechtsschutz, passim; Reinhard, Jurisdiktion, § 1 u. ö.; Rüthers, JZ 2002, S. 365 ff. Es gibt auch in der Rechtsprechung Indizien für eine Trendwende hin zur Begrenzung der richterlichen Kontrollfreiheit Schmidt-Aßmann, FS Schmitt Glaeser, S. 317 (333). Insofern wird die Frage nach den Ursachen der „Hypertrophie der Justizstaatlichkeit“ (Werner Weber) heute so wohl doch wieder gestellt, anders für 1990 protokolliert von Ogorek, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Der Richter, S. 21 (28). Vgl. aber Dahrendorf, DIE ZEIT v. 25.3.1988: „Wer insbesondere kontrolliert die Juristen und die, die Recht sprechen.“ 97 Vgl. Rüthers, JZ 2002, S. 365 (368), unter Bezugnahme auf Heck, AcP 112 (1914), S. 1 (62). 98 Kaufmann, FS Peters, S. 295 (299) – Hervorh. im Original; gleichsinnig auch Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, S. 673 (678); Classen, JZ 2003, S. 693 (696); dies gilt laut seinem Präsidenten auch für den BGH, s. nur Hirsch, ZRP 2004, S. 29 (30); eindringlich auch BVerfG (Vorlagebeschluß des Ersten Senats an das Plenum), NJW 1995, S. 2703 (2704): „Der Richter ist kein Rechtsprechungsautomat.“ Schon deshalb dürfte die Auffassung von Hochschild, BJ 2000, S. 258 (258), nicht zutreffen, es bedürfe „keiner Rechtskenntnisse, um den Inhalt von Art. 97 Abs. 1 GG verstehen zu können“. 99 Siehe U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (138, 141, 146 [Fn. 57]); s. a. die Darstellung unter § 5 III. 1. 100 So wohl zutreffend Rüthers, JZ 2002, S. 365 (369 ff.); ausf. Schmidt-Hieber/ Kiesswetter, NJW 1992, S. 1790 ff.

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Staates ist niemand anderes als das Volk, nicht aber die Richter in ihrer amtlichen Funktion – weder einzeln noch als Korporation. Soweit also Richter in Unabhängigkeit entscheiden, fehlt eine Rückkopplung an eben diesen einzig souveränen Demos. Dies kann man gleichwohl für „demokratischer“ halten; der Begriff ist weder urheberrechtlich noch auf andere Art und Weise geschützt. Dies setzt aber ein ganz bestimmtes Verständnis von Demokratie voraus, dessen Herleitung aus dem Grundgesetz Schwierigkeiten bereiten dürfte, auch wenn man nicht an die zwingende Notwendigkeit ununterbrochener Legitimationsketten102 glaubt. Dies soll hier nicht weiter untersucht werden. Entscheidend muß aber die Erkenntnis bleiben, daß die Macht der Richter durch ihr Monopol auf das letzte Wort zu groß ist, als daß sie in ihren Gerichten völlig „unbeaufsichtigt“ von außen agieren könne sollten. Man mag dies gleichwohl verfassungspolitisch befürworten, weil man im Richter den „besseren Politiker“ sieht; verfassungsrechtlich zwingend ist dies aber nicht. Grundlegend bleibt die Frage unbeantwortet, wie eine Verselbständigung der Gerichte, personell getragen von unabsetzbaren und weisungsfreien Richtern, ein Mehr an Durchsetzung des Volkswillens als Wesenselement der Demokratie hervorbringen soll. c) Die Steuerungsresistenz der selbstbetroffenen Richterschaft Mit der Überantwortung von Kompetenzen an unabhängige Richter ist ein Verlust an Steuerung verbunden: Da Weisungen ausgeschlossen sind, bleibt nur noch das Gesetz als Instrument zur Entscheidungsbeeinflussung, wodurch sich der Wille des demokratischen Souveräns artikulieren könnte. Daher setzt insbesondere hier die Entscheidung (des Volkes), Kompetenzen in die Hände unabhängiger Amtswalter zu legen, voraus, daß auf diese Entscheidungsträger dann auch „Verlaß“ ist. Hieran bestehen jedoch Zweifel gegenüber der Richterschaft, die auf der eben schon angedeuteten, nur beschränkten Steuerungswirkung des Gesetzes gegenüber richterlichen Entscheidungen beruhen: „Die dem Grunde nach funktionsnotwendige Steuerungsresistenz der Justiz erstreckt sich faktisch auch auf veränderte oder redefinierte normative Vorgaben: Allein durch Recht ist eine Änderung informell eingespielter Abläufe, eine Veränderung ,regionaler Justizkulturen‘ oder die Anpassung an veränderte Verfahrens,leitbilder‘ nicht zu erreichen“103. Die Richterschaft hat das Machtpotential, den Gesetzgeber auszuschalten; und sie besitzt insbesondere gerade dann auch den entsprechen Willen, wenn es um ihre eigene Rechtsstellung und ihre vom Gesetz gewordenen Willen 101 Etwa Weber-Grellet, ZRP 2003, S. 145 (146 f.); Häuser, in: Bundesvorstand der NRV (Hrsg.), Woran krankt, S. 55 ff. 102 Siehe nur BVerfGE 97, 37 (66); zuletzt mit Einschränkungen für funktionale Selbstverwaltung BVerfGE 107, 58 ff.; Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 16. 103 U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (146).

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des Volkes abweichenden Präferenzen geht. Es scheint tatsächlich eine „Unzugänglichkeit der Justiz für Steuerungsversuche des politischen Systems“104 zu existieren. Treffender, aber längst nicht bester Beleg hierfür ist das Beispiel105 der unterschiedlichen Handhabung der Einzelrichterübertragung gem. § 6 VwGO oder vor allem die praktizierten Umgehungen der §§ 348, 348a ZPO106. Hier darf sich der Gesetzgeber kaum wundern, daß die Richterschaft von den ihr formal eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch macht und den im Gesetz nur unzulänglich umgesetzten Willen konterkariert. Viel schwerer wiegt der Umgang der Richterschaft mit den wenigen Normen, die wenigstens die Extremfälle ihrer Verantwortlichkeit sicherstellen wollen. Hier ist sie bereit, (unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit) ihre Gesetzesbindung aufzuheben und/oder deren Verletzung sanktionsfrei zu stellen107, und rechtfertigt so den gegen sie gerichteten „Anomie“-Vorwurf108. Vor allem aber legt sie mit solchen Strategien den festbetonierten Grundstein für den Transfer der NSM in die Gerichte. Denn auf diese Weise wird auch für den Gesetzgeber ein Steuerungsdefizit gegenüber den Richtern bei seinen herkömmlichen Methoden deutlich, so daß er nur allzu gern bereit ist, die Rechtsprechungsverwaltung bei der NSM-Implementierung gewähren zu lassen109, anstatt sie zugunsten der Richterschaft zu beschränken110. aa) Die richterrechtliche „Abschaffung“ des Rechtsbeugungsdelikts Spezifisches Amtsdelikt des Richters, das richterliche „Standesdelikt“111, ist die Rechtsbeugung gem. § 339 StGB112. Ihre wechselvolle Geschichte reicht 104

Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (244). U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (146, Fn. 57). 106 I. d. F. des ZPO-RG vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887 ff.). Hierauf weist auch Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (248), hin. Völlig unterschiedlich auch die Situation der Einzelrichterübertragung bei den Oberlandesgerichten, vgl. Treuer u. a., Arbeitsplatz, S. 63 (Zahlen für 1998). 107 Hier sei auch auf die präventive Abwehr der Richteranklage (unten 4. d) hingewiesen. 108 Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 289; ders., AnwBl. 1999, S. 2 (2). 109 Die Einführung der NSM war letztlich auch verursacht durch die Erkenntnis eines Steuerungsdefizits der traditionellen Bürokratie, vgl. Scherer, in: ders./Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 3 (7). 110 Siehe dazu noch einmal das Zitat von M. Bertram oben § 2 VI. 111 LK-Spendel, § 339 Rn. 9 (Hervorh. dort). 112 § 336 StGB wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997 (BGBl. I, S. 2038 [2040]) zu nun § 339 StGB neu numeriert, sein Wortlaut aber nicht verändert. 105

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zurück bis auf das Preußische StGB von 1851113 und stellt neben Beamten vor allem Schiedsrichter und Berufsrichter, seit dem 1. StrRG vom 25. Juni 1969114 auch Laienrichter unter Strafe, die das Recht „beugen“. Die hierfür erforderliche Tathandlung ist weithin umstritten, und es findet sich diesbezüglich die für das Strafrecht geradezu klassische Dreiteilung in eine objektive, subjektive und gemischte Theorie, deren Bedeutung – eine konsequente Anwendung vorausgesetzt – nicht unterschätzt werden sollte115. Gleichwohl haben sie letzten Endes keine große Bedeutung erlangt, da die entscheidenden Weichenstellungen anderweitig getroffen wurden. Die Rechtsprechung (des BGH116) hat nach 1945 konsequent eine einschränkende Auslegung des § 336 StGB (alte Nr.) praktiziert, so daß er weitgehend unanwendbar wurde. Dies bezog sich zunächst auf den subjektiven Tatbestand, indem der BGH in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 1956 dolus directus zur Voraussetzung der Strafbarkeit machte117. Bedingter Vorsatz reichte von nun an nicht mehr aus, ohne daß sich entsprechend der Wortlaut118 geändert hätte oder sich überhaupt im Text der Norm ein Hinweis auf eine solche Einschränkung hätte finden lassen119. Zur Begründung führte der BGH lediglich aus, daß diese „Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Richters (. . .) ein Teilstück der Sicherung der Unabhängigkeit des Richters“ darstelle, und überbetont damit die Schutzwirkung dieser Gesetzesvorschrift. Eine solche besteht in der Tat, soweit § 339 StGB eine Sperrwirkung innewohnt, die die Bestrafung eines Richters nach anderen Vorschriften (etwa Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB120) dann ausschließt, wenn 113 LK-Spendel, § 339, S. 7 (Entstehungsgeschichte); erstmalige strafgesetzliche Verwendung des von Luther überlieferten Begriffs „Rechtsbeugung“ allerdings schon in Art. 439 des württembergischen Strafgesetzbuches von 1839, vgl. Seebode, JR 1994, S. 1 (2). 114 BGBl. I, S. 645. 115 Siehe die Darstellung bei LK-Spendel, § 339 Rn. 37 ff. 116 Siehe Schaefer, NJW 2002, S. 734 (734); deutlich Friedrichsen, DER SPIEGEL 1/2002, S. 60 (61). Vgl. auch R. Böttcher, NStZ 2002, S. 146 (148), der darlegt, daß an den Untergerichten das „Geflecht der Kollegialitätsbeziehungen“ eher zur Annahme der Rechtsbeugung neigt als der dem entrückte BGH (oder die Obergerichte, s. OLG Frankfurt/Main, NJW 2000, S. 2037 f., mit krit. Anm. von Schaefer, NJW 2000, S. 1996). 117 BGHSt 10, 294 (298), anders noch BGH MDR 1952, S. 693; ebenso zuvor per obiter dictum OLG Bamberg, SJZ 1949, S. 491 (491), dazu Sarstedt, FS Heinitz, S. 427 (437); s. a. Dellian, ZRP 1969, S. 51 (51 f.); Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 31 (Fn. 56), mit einer Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung des BGH hin zu BGHSt 10, 294 ff. 118 So auch Begemann, NJW 1968, S. 1361 (1362). 119 Dem Wandel der Rechtsprechung folgte auch Eb. Schmidt, LehrK I, Rn. 529. 120 Die Sperrwirkung ist derart unumstritten, das die Entstehung einer formellen, wenn auch letztlich erfolglosen Anklage wie in LG Mannheim, DRiZ 2004, S. 261 ff./ OLG Karlsruhe, NJW 2004, S. 1469 ff., verwundern muß; s. dazu Heise, nrv-aktuell 2/ 2004, S. 2 f.; Stuth, BJ 2004, S. 339; Albrecht, ZRP 2004, S. 259 ff.; Schütz, BJ 2005, Heft 82, i. E.; zu einem ähnlichen Fall in Hessen Schulte-Kellinghaus, BJ 2004, 343.

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nicht zugleich eine Strafbarkeit nach § 339 StGB gegeben ist; denn andernfalls drohten eine Umgehung der besonderen Voraussetzungen des seinen Regelungsbereich abschließenden Rechtsbeugungstatbestands (insbesondere das Erfordernis einer Vorsatztat)121 und unlösbare Widersprüche122. Damit aber findet der Schutzcharakter des § 339 StGB schon seine Grenze123. Sein wesentlicher Zweck liegt nicht in der Privilegierung des Richters, sondern vielmehr in der Sicherstellung seiner Gesetzesbindung. Aber gerade dies mag die Richterschaft immer wieder veranlaßt haben, die Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit durch die Strafdrohung wegen Rechtsbeugung zu betonen, insbesondere im Hinblick auf die Strafbarkeit schon bei bedingtem Vorsatz124. Diesem „befremdlichen Justizprivileg“125 ist vor allem Spendel immer wieder mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten126, indem er darlegt, daß die jeweils aufgeführten Beispiele angeblicher dolus-eventualis-Strafbarkeit verkennen, daß bedingter Vorsatz allein keine Strafbarkeit begründet, sondern „selbstverständlich“ die Verwirklichung des objektiven Tatbestands sowie die Rechtswidrigkeit und Schuld hinzutreten müssen. Die immer wieder aufgeworfene Problematik einer bewußten Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung oder die Entscheidung juristischer Zweifelsfragen hat 121 So schon Radbruch, SJZ 1946, S. 105 (108); sodann OLG Bamberg SJZ 1949, S. 491 (491); unter Bezugnahme hierauf dann BGHSt 10, 294 (298); aus neuerer Zeit s. etwa Tröndle/Fischer, § 339 Rn. 21; LK-Spendel, § 339 Rn. 129; BGHSt 40, 125 (136); dagegen etwa Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (575 ff.); krit. auch Dellian, ZRP 1969, S. 51 (51); ausführlich Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 19 ff., mit kritischer Stellungnahme zu den verschiedenen Begründungsansätzen des Haftungsprivilegs; zu seiner dogmatischen Einordnung Schroeder, GA 1993, S. 389 (395 ff.). 122 Siehe Schroeder, GA 1993, S. 389 (394 f.); über diese allein zutreffende und vor allem ausreichende Begründung hinaus wurde für das Haftungsprivileg unzutreffend (Begemann, NJW 1968, S. 1361 [1362 f.]) die richterliche Unabhängigkeit herangezogen, BGHSt 10, 294 (298), zur Kritik daran durch die Literatur s. Schroeder, GA 1993, S. 392 f. Über die Gründe für diese verfassungsrechtliche „Absicherung“ läßt sich nur spekulieren. Sie lag als vielseitig verwendbarer Argumentationstopos nahe und steht unter dem Auslegungsmonopol der damit sich selbst gegen Strafverfolgung schützenden Richterschaft (so auch Schaefer, NJW 2002, S. 734 [735]). 123 Vgl. Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 19 ff., mit der Darlegung der weiteren, hier aber nicht relevanten Beschränkungen des Haftungsprivilegs. Sie weist aber zutreffend darauf hin (S. 30), daß die Sperrwirkung erst in Verbindung mit dem Erfordernis des dolus directus dem Haftungsprivileg einen enormen Umfang verlieh, da nunmehr der Richter für bedingte Vorsatztaten straffrei blieb; zugespitzt: Ein JustizMord mit bedingtem Vorsatz mußte straffrei bleiben, ebenso auch schon Spendel, FS Heinitz, S. 445 (455). 124 Siehe etwa Beckenkamp, ZRP 1969, S. 168; Steffen, DRiZ 1969, S. 45; Sarstedt, FS Heinitz, S. 427 ff.; um Einschränkung bemüht auch Tröndle/Fischer, § 339, Rn. 2, 15. 125 Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/II, § 77 II Rn. 19. 126 Spendel, FS Peters, S. 163 ff.; ders., FS Heinitz, S. 445 ff.; LK-Spendel, § 339 Rn. 76 ff.

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eben mit der Beugung des Rechts nichts zu tun. Eine Schwächung der Verantwortungsfreiheit und damit der Unabhängigkeit der Urteilsfindung, wie sie etwa bei der Bestrafung der fahrlässigen Rechtsbeugung zu befürchten wäre127, ist also bei der Strafbarkeit auch des bedingten Vorsatzes in keiner Weise zu erwarten128. Vor allem ist es kaum nachvollziehbar, daß Rechtsblindheit bei Richtern, „die das Recht studiert haben und eine besondere Wachsamkeit für das Recht besitzen müssen“ im Gegensatz zu allen anderen Menschen zu entschuldigen sein soll: Es kann sich dabei nur um die „Proklamation eines Standesprivilegs“ handeln129. Nach nur drei entsprechenden Entscheidungen desselben (1.) Strafsenats des BGH130 ging auch der Gesetzgeber daran, das insoweit selbstgemachte Standesprivileg der Richterschaft abzusichern. Der Entwurf des EGStGB vom 4. April 1972131 sah vor, daß die Zufügung des Nachteils „absichtlich oder wissentlich“, also mit direktem Vorsatz erfolgen müsse. Hierzu kam es jedoch nicht, da der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform statt dessen klarstellte, daß bedingter Vorsatz zur Strafbarkeit der Rechtsbeugung ausreicht (§§ 336 [a. Nr.] i. V. m. 15 StGB)132. Entsprechend wurde der Wortlaut der Norm neu gefaßt133. War damit der „Ausweg“ über den subjektiven Tatbestand verschlossen134, ging der BGH – erneut contra legem135 – an eine Restriktion des objektiven Tatbestands136. Im Rahmen der Aburteilung der DDR-Justizverbrechen verlangte der BGH nunmehr einen schwerwiegenden Rechtsbruch als Voraussetzung der Rechtsbeugung. Die Tatbestandshandlung erfordert eine gesetzeswidrige Entscheidung im Sinne einer offensichtlich schweren Menschenrechtsverletzung137, eine „einfache“ Gesetzeswidrigkeit reicht demnach nicht mehr aus138. Vielmehr muß ein elementarer Rechtsverstoß gegen die Rechtspflege 127

LK-Spendel, § 339 Rn. 129. So auch der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, BT-Drs. 7/1261, S. 22; anders aber SK-Rudolphi, § 336 (1995) Rn. 20. 129 So Rasehorn, NJW 1969, S. 457 (459); „den Anschein der Schaffung eines Standesprivilegs“ sah auch Bauer, GedS Radbruch, S. 302 (306). 130 BGHSt 10, 294 ff.; BGH, NJW 1960, S. 253; 1971 S. 571 ff. 131 BT-Drs. 6/3250, S. 30. 132 Siehe BT-Drs. 7/1261, S. 22. 133 Art. 19 Nr. 188 EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I, S. 469 [478]). 134 Letztlich hat der BGH sich noch nicht dazu geäußert, s. aber BGHSt 40, 272 (276); (dolus eventualis ausdrücklich ausreichen läßt KG, NStZ 1988, S. 557), s. dazu Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 39. 135 So auch SK-Rudolphi, § 339 (1995) Rn. 11a. 136 Mit ausführlicher Darstellung Schöll, Rechtsbeugung, S. 131 ff.; krit. LK-Spendel, § 339 Rn. 8, 36 ff.; die Zustimmung in der Literatur blieb in der Minderheit, s. die Nachweise bei SK-Rudolphi/Stein, § 339 (2003) Rn. 11b. 137 BGHSt 40, 30 (41 ff.); 43, 183 (190). 138 BGHSt 41, 247 (251); 43, 183 (190). 128

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vorliegen, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert. Auf diese Weise wurde die Subsumtion unter die vom Gesetzgeber vorgegebenen Tatbestandsmerkmale der Norm weitgehend verdrängt139. Die Strafvorschrift der Rechtsbeugung in der Bundesrepublik ist sicherlich mit drei Hypotheken belastet, die ihre Anwendung unter erschwerte Bedingungen stellt: Sofort nach der Gründung der Bundesrepublik mußte die Rolle der NS-Justiz und mit ihr der einzelne Richter auch strafrechtlich beurteilt werden. Da das juristische Personal nicht ausgetauscht werden konnte, waren die Richter des Dritten Reiches zur Beurteilung der Taten ihrer Kollegen von einst aufgerufen. Neben der generell verweigerten Aufarbeitung der nationalsozialistischen Terror-Herrschaft trat damit speziell in der Justiz die Notwendigkeit, – abstrakt betrachtet – ein Urteil über sich selbst140 zu fällen. Eine unbefangene Betrachtung des § 336 StGB a. Nr. konnte unter diesen Bedingungen wohl nicht stattfinden. Die Stellung des Strafrichters zum Delikt der Rechtsbeugung ist eine doppelte, nämlich einmal als urteilendes Subjekt, zum anderen aber auch stets als potentieller Täter und damit Objekt der eigenen Entscheidung141. Parallel hierzu stand 40 Jahre später die strafrechtliche Abwicklung eines totalitären Regimes auf der Tagesordnung; und erneut standen auch die beteiligten Juristen vor den Schranken der Strafgerichte. Zwar mußten diesmal nicht wieder am zu beurteilenden System beteiligte Richter über ihre Kollegenschaft urteilen; die (richterliche) Verbundenheit mit den Berufskollegen blieb gleichwohl, so daß jedenfalls eine unmittelbare Selbstbetroffenheit auch diesmal nicht verneint werden konnte142. Hinzu kam die Gefahr, nunmehr als Siegerjustiz143 über das Rechtssystem der DDR zu Gericht zu sitzen, sowie das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, das letztlich eine Bestrafung hätte verhindern müssen144, aus politischen Gründen aber eine völlige Straffreiheit nicht verhindern durfte. Auch diese Situation verhinderte eine vorurteilsfreie Anwendung des Rechtsbeugungstatbestands. Weiterhin darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß es sich bei der Rechtsbeugung um einen Verbrechenstatbestand handelt, der im Mindestmaß eine einjährige Freiheitsstrafe vorsieht. Zwingende Folge einer Verurteilung ist damit gemäß § 45 Abs. 1 StGB der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Gleichzeitig endet mit Rechtskraft der Entscheidung das Beamten-/ 139

Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 483 (484, 490). Siehe ausführlich Wieners, Zeitgeistwandel, S. 69 ff. 141 Spendel, FS Peters, S. 163 (165). 142 So auch Wieners, Zeitgeistwandel, S. 5, unter Bezugnahme auf Spendel, ZRP 1997, S. 41 (41). 143 Andeutungsweise dahingehend BGHSt 40, 32 (40 f.). 144 Siehe hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 103 II Rn. 47 ff. 140

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Richterverhältnis des Betroffenen unter Wegfall des Anspruchs auf Dienstbezüge und Versorgung (§§ 48, 49 BBG, § 24 BRRG, § 24 Nr. 1 DRiG). Eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung hat für den Betroffenen daher weitreichende Folgen145, die mit (irgend)einer bloßen Rechtsverletzung kaum zu rechtfertigen sind146. Da diese Folgen aufgrund des Mindestmaßes der Strafe obligatorisch sind, kann ihnen letztlich nur durch einen Freispruch entgangen werden. Dieses Problem147 wird auch nicht dadurch abgemildert, daß die fehlerhafte Rechtsanwendung eindeutig sein muß, um von einer Rechtsbeugung ausgehen zu können148. Letzteres wird schnell einsichtig, wenn man sich die Aufhebungen von Urteilen in Verfassungsbeschwerdeverfahren durch das Bundesverfassungsgericht aufgrund eines Willkürverstoßes gem. Abs. 3 Abs. 1 GG vor Augen hält. Wenn auch hier regelmäßig formuliert wird, Willkür in diesem Sinne enthalte keinen subjektiven Schuldvorwurf gegenüber dem Richter, so wird stets die Unvertretbarkeit einer gesetzlichen Auslegung diagnostiziert. Die Rechtsanwendung oder das Verfahren darf „unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar“ sein und es muß sich daher der Schluß aufdrängen, daß die Entscheidung auf „sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht“149. Damit ist sodann regelmäßig der objektive Tatbestand der Rechtsbeugung verwirklicht150, was allein den Richter aber noch nicht in die „Strafanstalt“ bringt151. Berücksichtigt man zudem, daß sogar die Frist des Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG, die durch keinen Gesetzgeber klarer und eindeutiger formuliert werden könnte, vom Richter berechtigterweise soll verlängert werden können152, wird klar, daß (fast)

145 Diese wird ein Strafrichter seinem „Kollegen“ nur dann zumuten, wenn er diesen wegen dessen krimineller Tat schon gar nicht mehr als Kollegen wahrnimmt, so treffend Sowada, GA 1998, S. 177 (180), so daß die Rechtsfolgen der Bestrafung „psychologisch zu ihrer Voraussetzung“ werden. 146 S. a. Doller, NStZ 1988, S. 219 (219); kritisch hinsichtlich des Mindestmaßes und des zwingenden Amtsverlusts auch Scholderer, Rechtsbeugung, S. 275 ff. 147 Dessen Grundlage der Gesetzgeber angesichts entsprechender Überlegungen zur Einführung eines milderen Strafrahmens für minderschwere Fälle (BT-Drs. IV/650, S. 644) bewußt aufrecht erhalten hat; wie hier wertend auch Schaefer, NJW 2000, S. 1996. 148 LK-Spendel, § 339 Rn. 41; so schon ders., FS Peters, S. 163 (166); Schöll, Rechtsbeugung, S. 128. 149 Vgl. etwa BVerfGE 4, 1 (7); 62, 189 (192); 89, 1 (13); BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats) NVwZ-Beil. 1996, S. 74; NVwZ-Beil. I/1997, S. 10. 150 So auch Scholderer, Rechtsbeugung, S. 253. 151 Spendel, FS Peters, S. 173; dieser Umstand allein kann aber nicht zu einer Einschränkung der Strafbarkeit führen, vgl. zutreffend SK-Rudolphi/Stein (2003), § 339, Rn. 11a. 152 So OLG Frankfurt/Main, NJW 2000, S. 2037 f.; dagegen mit Recht Schaefer, NJW 2000, S. 1996; für eine strikte Einhaltung der Frist auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 104 Rn. 48.

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keine Gesetzesauslegung auch nur den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung wird erfüllen können. Diese Hintergründe rechtfertigen aber keinesfalls die dargestellten Restriktionen der Strafbarkeit gem. § 339 StGB, der letztlich zur „Papiervorschrift“153 verkommt, da „Rechtsbeugung [. . .] nicht selten, aber selten abgeurteilt“154 wird. Die vom BGH für seine „deftigen Restriktionen“155 angeführten Gründe sind an anderer Stelle überzeugend widerlegt worden156 und brauchen hier nicht weiter vertieft zu werden. Vor allem aber die Bezugnahme auf die richterliche Unabhängigkeit trägt die Erwägungen contra legem nicht, auch wenn die grundsätzliche Eignung einer Strafandrohung zur Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit nicht von der Hand zu weisen ist157. Eine Einschränkung der Strafbarkeit lockert jedoch die Gesetzesbindung, kann also schon rein logisch die Unabhängigkeit des Richters i. S. d. Art. 97 Abs. 1 GG nicht stärken, die als solche nur bei gleichzeitiger strikter Bindung an das Gesetz gewährt ist158. Eine gesetzeskonforme Entscheidung kann ihrerseits aber niemals den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen. Folglich stellt die Rechtsprechung des BGH Entscheidungen von Strafbarkeit frei, die mit dem Gesetz nicht vereinbar sind. Denn für die Straffreiheit gesetzesgemäßer Urteile hätte es der Restriktionen durch die Rechtsprechung nicht bedurft. Wie weit auch immer man die richterliche Unabhängigkeit meint auslegen zu können oder zu müssen, sie berechtigt in keinem Fall zum Erlaß einer gesetzeswidrigen Entscheidung, denn auch der unabhängige Richter bleibt dem Gesetz unterworfen. Die Unabhängigkeit hört da auf, wo die Rechtswidrigkeit beginnt; „noch nicht einmal soviel

153 So Schöll, Rechtsbeugung, S.137; s. auch Dellian, ZRP 1969, S. 51 (52); Blomeyer, NJW 1977, S. 557 (557: „praktisch nicht nachweisbare Rechtsbeugung“); s. vor allem auch Wieners, Zeitgeistwandel, S. 3 ff., der in den 77 Bänden der amtlichen Sammlung des Reichsgerichts (RGSt) nur elf Entscheidungen zählt, die in der Hauptsache von Rechtbeugung handeln (Sarstedt, FS Heinitz, S. 427, findet im RGSt-Register gar nur vier Stellen zu § 336 StGB; ebenso Rasehorn, NJW 1969, S. 457 [458], unter Bezugnahme auf Seebode, Rechtsbeugung, S. 1, Anm. 1). Von 1945 bis 1990 zählt Wieners nur acht Entscheidungen zur Rechtsbeugung in der Amtlichen Sammlung der BGH-Entscheidungen (bis einschließlich BGHSt 38, 381 ff.; hinzu kommen sodann sechs weitere in den Bänden 40 und 41). 154 So Seebode, JR 1994, S. 1 (1); ebenso LK-Spendel, § 339 Rn. 3; ebenso Schmid, Unbehagen, S. 105, nach dem eine Verfolgung wegen Rechtsbeugung durch die Rechtsprechung praktisch unmöglich gemacht worden ist. 155 Seebode, JR 1994, S. 1 (2). 156 Umfassend Schöll, Rechtsbeugung, S. 135 ff., sowie Seebode, JR 1994, S. 1 ff. 157 So zwar Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (577, 536), der aber die Schutzrichtung des Art. 97 Abs. 1 GG auch nach „innen“ verkennt; dagegen zu Recht neuerdings Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 25. 158 Siehe SK-Rudolphi, § 339 (1995) Rn. 11a, unter Bezugnahme auf Seebode, JR 1994, S. 1 (4); ebenso Bemmann, GedS Radbruch, S. 308 (310 f.), i. E. auch Tröndle/Fischer, StGB, § 339 Rn. 2.

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Sorgfalt aufbringen zu müssen, um Entscheidungen zu vermeiden, deren Unvertretbarkeit er selbst in Kauf nimmt, hat der Richter nicht“159. Vor allem aber verkennt diese Rechtsprechung den Zweck der Rechtsbeugung, die eben nicht die richterliche Unabhängigkeit sichern160, sondern als ihr Gegenstück161 durch Stärkung der richterlichen Verantwortung162 deren Mißbrauch verhindern163, die Bindung des Richters an das Gesetz sicherstellen und so den Bürger vor willkürlichen Entscheidungen schützen soll164. Schutzgüter der Rechtsbeugung sind daher die Rechtspflege insgesamt sowie der einzelne „Rechtsgenosse“165, die Unparteilichkeit der Rechtsprechung, die Herrschaft des Rechts166. Was auf den ersten Blick als ein effizientes Mittel zur Sicherung der Bindung des Richters an Recht und Gesetz sowie zur Selbstüberprüfung und Selbstreinigung167 der Richterschaft scheint und damit das Vertrauen des Bürgers in die Gesetzesbindung stärken könnte, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein weiterer Mosaikstein im System der Privilegierung der Richter gegenüber anderen Amtsträgern bzw. „normalen“ Gesetzesunterworfenen. Und wieder dient die richterliche Unabhängigkeit als Rechtfertigung für die Zuteilung von Sondervorteilen in Form von Standesprivilegien168, die nicht etwa durch den Gesetzgeber, sondern durch die Richterschaft für sich selbst bewirkt worden ist – nur Richter können so viel „Einfühlungsvermögen“ für ihre Kollegen aufbringen169. Die Unabhängigkeit des Richters wirkt auch bei der Rechtsbeugung wie König Midas’ Finger: Zwar wird nicht alles, was sie berührt, zu Gold. Aber alles, was mit ihr in Berührung kommt, wird zum Instrument ihres Schutzes. Die Strafvorschrift zur Rechtsbeugung ist ebenso wie die Bindung an Gesetz und Recht unmittelbar eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Letztere besteht nur im Rahmen der ersteren, und dies wird strafrechtlich sanktioniert. Das hindert aber die Richterschaft nicht daran, aus dieser Norm im Handumdrehen ein Mittel zum Schutz eben dieser richterlichen Unab159

Scholderer, Rechtsbeugung, S. 275. Bauer, GedS Radbruch, S. 302 (306); Schaefer, NJW 2002, S. 734 (735). 161 Seebode, JR 1994, S. 1 (4). 162 So die Entschließung des „Aktionskomitees Justizreform“, zitiert bei Rasehorn, NJW 1969, S. 457 (459). 163 Hupe, Rechtsbeugungsvorsatz, S. 19. 164 Schöll, Rechtsbeugung, S. 137; Bemmann, GedS Radbruch, S. 308 (310); treffend auch Sowada, GA 1998, S. 177 (196). 165 LK-Spendel, § 339 Rn. 7. 166 Schroeder, GA 1993, S. 389 (392); SK-Rudolphi, § 339 (1995) Rn. 2. 167 LK-Spendel, § 339 Rn. 11. 168 Dellian, ZRP 1969, S. 51 (52); Mauz, DER SPIEGEL 50/1968, S. 82, klassifiziert den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit als „Fetisch“. 169 Kruse, BJ 2002, S. 257. 160

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hängigkeit zu machen170, die aber gar nicht ihr Schutzgut ist171. § 339 StGB zeitigt eine „nicht unwesentliche Schutzwirkung für Richter“172, für deren Umfang sich keine Rechtfertigung finden läßt. Der Fall Schill173 aus Hamburg belegt als jüngstes Beispiel, daß die richterliche Krähe der anderen kein Auge aushackt174 – wenn auch der darin vertretene neue175 Ansatz des BGH eine Erweiterung der Rechtsbeugungsstrafbarkeit andeutet: nämlich durch die Überschreitung der lediglich inneren bei gleichzeitiger Einhaltung der äußeren Ermessensgrenzen176. Doch dieser ohnehin zweifelhafte177 Weg scheint kaum eine Wende zur Entprivilegierung der Richter zeitigen zu können, da das in der Natur der Sache liegende praktisch-forensische Problem des Nachweises nur innerer Tatsachen eine Verurteilung regelmäßig verhindern wird178. bb) Die zivilrechtliche Haftungsfreistellung Auch im Bereich des Amtshaftungsrechts nimmt die richterliche Tätigkeit eine Sonderstellung ein. Gemäß § 839 Abs. 2 BGB kommt die Haftung eines Spruchrichters für die Verletzung seiner Amtspflicht „bei dem Urteil in einer 170 Pointiert dazu Spendel, FS Heinitz, S. 449; zudem reagiert die Richterschaft auf Rechtsbeugungsvorwürfe ihrerseits empfindlich mit strafrechtlichen Sanktionen, vgl. BayObLG, BayVBl. 2002, S. 153 ff. 171 Schaefer, NJW 2002, S. 734 (735); anders aber R. Böttcher, NStZ 2002, S. 146 (148), der meint, daß die Eingrenzung der Rechtsbeugungsstrafbarkeit durch den BGH nicht zur Schonung der Richter, sondern aus seiner Mitverantwortung für eine unabhängige Rechtspflege erfolge. 172 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 1143. 173 BGHSt 57, 105 ff.; dazu krit. Schiemann, NJW 2002, S. 112 ff.; Schaefer, NJW 2002, S. 734 f.; Kruse, BJ 2003, S. 257; zustimmend R. Böttcher, NStZ 2002, S. 146 ff. 174 So Friedrichsen, DER SPIEGEL 1/2002, S. 60 f.; ebenso schon Rasehorn, NJW 1969, S. 457 (459), und neuerdings zur Krähentheorie bei der Rechtsbeugung Sowada, GA 1998, S. 177 (180), und Wieners, Zeitgeistwandel, S. 5; in diese Richtung auch W. Geiger, DRiZ 1982, S. 322 (325); vielleicht versieht die Rechtsprechung aber auch nur die unbekümmerte empirische Feststellung von Zweigert, FestG Schmid, S. 299 (301), mit Rechtskraft, der meinte: „Rechtsbeugung durch Richter, also eine vorsätzliche Mißachtung von Gesetz und Recht ereignet sich in unseren Breiten nicht.“ (ähnlich schon im Kaiserreich Kübel, DRiZ 1909, Sp. 235 [250]) Das „Krähenargument“ scheint traditionell mit der gegenseitigen Kontrolle der Richterschaft verbunden, s. bei der Diskussion des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates zur Richteranklage die ausdrückliche Erwähnung durch den Abg. Renner (24. Sitzung am 9.12.1948, Verhandlungen HptA, S. 291); auf diese Äußerung Bezug nehmend ebenso Abg. Schmid, 25. Sitzung am 9.12.1948, Verhandlungen HptA, S. 299). 175 Dazu ausführlich Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 483 ff. 176 BGHSt 47, 105 ff. 177 Krit. Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 483 ff. 178 Zutreffend Schiemann, NJW 2002, S. 112 (114: „Auf ein richterliches Bekenntnis wird man wohl lange warten müssen.“). Krit. zu dieser Problematik in der Entscheidung des BGH auch Wohlers/Gaede, GA 2002, S. 483 (492 f.).

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Rechtssache“ nur dann in Betracht, wenn diese Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Damit wird zunächst die bereits im Rahmen der strafrechtlichen Haftung dargestellte Privilegierung in das zivile Haftungsrecht übertragen. Erst wenn die Strafbarkeit eines Richters feststeht, kann er auch zivilrechtlich belangt werden. Die Rechtsbeugung wird auf diese Weise auch zur Barriere für den Zugang zur richterlichen Amtshaftung. Soweit auf mögliche Straftatbestände der Bestechlichkeit verwiesen wird179, so hat dies letztlich keine Konsequenzen. Denn es ist kaum denkbar, daß aus der bloßen Annahme eines Vorteils ein Schaden für eine Partei oder Dritte entstehen kann. Vielmehr wird dies erst dann anzunehmen sein, wenn eine gesetzeswidrige Entscheidung ergeht. Nur hieraus kann also dann ein Schaden entstehen180. Der Erlaß einer rechtswidrigen Entscheidung ist aber erst dann eine Straftat, wenn sie den hohen Anforderungen der Rechtsbeugung genügt181. Eine bloß fehlerhafte Rechtsanwendung löst keine Amtshaftung aus. Vor allem aber ist jegliche Haftung für Fahrlässigkeit ausgeschlossen, da Rechtsbeugung Vorsatz erfordert182. Über den Zweck dieses Richterprivilegs gehen die Meinungen auseinander. Vorherrschende Auffassung ist mittlerweile wohl, daß mit ihr die Rechtskraft einer richterlichen Entscheidung gesichert werden soll183. Es müsse verhindert werden, daß die Richtigkeit einer Entscheidung im Rahmen eines Haftungsprozesses inzident immer wieder neu aufgerollt werden kann184. Dies ist allerdings 179 Etwa Grunsky, FS Raiser, S. 141 (142); Ohlenburg, Fehlverhalten, S. 84; Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (92); Scholderer, Rechtsbeugung, S. 254; Staudinger13-Wurm, § 839 Rn. 320. S. aber auch Schaefer, NJW 1994, S. 428 (429). 180 Soergel-Vincke, § 839 Rn. 324. 181 Siehe zuvor aa); auf die Rechtsbeugung als Voraussetzung der Amtshaftung verwies schon der Abg. Haußmann in den Beratungen des Reichtags zum BGB, vgl. den Nachweis bei Mugdan, Band II, S. 1388. 182 Siehe Grunsky, FS Raiser, S. 141 (142, 146); Scholderer, Rechtsbeugung, S. 254 f., 271; für dieses Ergebnis schon G. Weber, ZSchrCivilRProz 7 (1834), S. 1 (7 ff.). 183 So auch Dombert, FS Brandenburgisches OLG, S. 301 (302). 184 BGHZ 64, 347 ff.; OLG Düsseldorf, NWJMBl. 1988, S. 119; MüKo-Papier, § 839 Rn. 323; Soergel-Vincke, § 839 Rn. 222 („Richterspruchprivileg“ statt „Spruchrichterprivileg“; ersteren Begriff verwendet auch OLG Düsseldorf, JMBl. 1988, S. 119; beide Begriffe verwendet nunmehr BGHZ 155, 306 ff. (sogar im LS); Windthorst, JuS 1995, S. 992 (995); Schoch, Jura 1988, S. 648 (649); auch schon Leipold, JZ 1967, S. 737 (739), sowie Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (238); diesen Befund teilt auch Tombrink, DRiZ 2002, S. 296 (297); anders aber etwa Smid, Jura 1990, S. 225 (227 f.); Grunsky, FS Raiser, S. 151; relativierend Merten, FS Wengler, S. 525 f.; krit. zu diesem „Rechtskrafttheorem“ Kniffka, Privilegierung, S. 144 ff. Die Gefahr einer „endlosen Reihe von Inzident-Überprüfungen gerichtlicher Entscheidungen“, wie sie Tombrink, NJW 2002, S. 1324 (1325), befürchtet, dürfte jedoch auch ohne § 839 Abs. 2 BGB eher gering sein (eine „Übertreibung“ des BGH in diesem Zusammenhang zitiert auch Hagen, NJW 1970, S. 1017 [1019]); ablehnend zum „Endlos-Argument“ auch Kniffka, ebd., S. 147 f. Gleichwohl war auch dieses Motiv schon bei der

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nicht gleichbedeutend mit einer Zweckbestimmung des Haftungsprivilegs, die die Entscheidung einer Rechtssache vor einer Kontrolle außerhalb des Instanzenzuges schützen will185. Denn zum einen gibt es keinen Beleg für eine uneinschränkbare Exklusivität der Kontrolle richterlicher Entscheidungen nur im Instanzenzug186. Zum anderen verkennt diese Auffassung die unterschiedlichen Folgen einer Rechtsmittelkontrolle und eines Amtshaftungsprozesses, denn eine Aufhebung der Entscheidung in der Sache, wie sie im Instanzenzug möglich ist, kommt im Amtshaftungsverfahren nicht in Betracht. Zwischen den Parteien des Erstprozesses bleibt es bei der rechtskräftigen Entscheidung. Der Unterlegene kann lediglich vom Staat, also von einem Dritten (!), Schadensersatz verlangen. Da dies aber nicht das Ausgangsverfahren als solches berührt, bedürfen die dortigen Entscheidungen des Richters auch keines Schutzes durch ein Haftungsprivileg187. Umstritten ist im Kern die Frage, inwieweit § 839 Abs. 2 BGB daneben dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit dient, wie dies ursprünglich auch das Motiv des Gesetzgebers war188, der damit die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals kodifizieren wollte189. Die Literatur hat hiervon mehr und mehr Abstand genommen mit dem Argument, daß in diesem Fall nicht erklärbar sei, warum nur die „Urteile in einer Rechtssache“, nicht aber jede der richterlichen Unabhängigkeit unterfallende Tätigkeit schlechthin von dem Haftungsprivileg erfaßt werde190. Entsprechend wurde auch im Rahmen des letztlich für nichtig erklärten191 StHG allein der Schutz der Rechtskraft zur Begründung für das Entstehung der Norm relevant, vgl. Mudgan, Bd. II, S. 1390 (Staatssekretär Nieberding im Rahmen der Debatte im Plenum des Reichstags); zur Entstehungsgeschichte zsfssd. v. Livonius, Vorstellungen, S. 11 ff. 185 So Tombrink, DRiZ 2002, S. 296 (299); seine Skepsis gegenüber der Funktion der Zivilgerichte als „Superinstanz“ der Fachgerichte ist zwar berechtigt, sie ist aber als eine Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen. 186 Entsprechend trifft man hier auch nur auf Behauptungen ohne Begründung, s. etwa Knöfel, AnwBl. 2004, S. 76 (81). 187 Dies übersieht etwa jüngst wieder Knöfel, AnwBl. 2004, S. 76 (81); zutreffend dagegen EuGH, NJW 2003, S. 3539 (3540 – Rn. 39). Anders aber zur Bestandskraft von Verwaltungsakten, s. dazu Stuttmann, NJW 2003, S. 1432 ff. (zur Kritik am BGH ebd., Fn. 7); von Danwitz, JZ 2004, S. 301 (302). 188 Vgl. den Bericht der Kommissionen sowie die Debatte im Reichstag bei Mugdan, S. 460, 1389 f. 189 Beginnend mit dem Beschluß vom 5.3.1838 (PrOT 3, 253 ff.); das gesetzgeberisch gewährte Privileg der beschränkten Richterhaftung geht damit letztlich auf eine richterliche Selbstprivilegierung zurück, s. dazu ausf. Dombert, FS Brandenburgisches OLG, S. 301 (304 ff.). 190 Soergel-Vincke, § 839 Rn. 222; MüKo-Papier, § 839 Rn. 322; Smid, Jura 1990, S. 225 (228); Windthorst, Jus 1995, S. 992 (995), „reflexhafte Begünstigung“, auf die auch schon Hagen, NJW 1970, S. 1017 (1019) hinweist; im Ergebnis ebenso Schoch, Jura 1988, S. 648 (649); vor allem ablehnend Merten, FS Wengler, S. 519 ff. 191 BVerfGE 61, 149 ff.

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Richterspruchprivileg herangezogen192. Gänzlich aufgegeben wurde der Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit jedoch nicht193. Dem BGH gelang es nicht, seine Rechtsprechung zur Amtshaftung auf eine eindeutige Grundlage zu stellen. Er stützte das Haftungsprivileg sowohl auf den Schutz der Rechtskraft als auch die richterliche Unabhängigkeit194 und geriet so in einen Zielkonflikt, da die vom Gesetzgeber erzeugte Diffusität aufrechterhalten blieb195. Weil die beiden Zwecke nichts gemeinsam haben, konnte eine konsistente Systematik nicht entstehen. Die Rechtsprechung blieb so zwangsläufig einzelfallorientiert196 und wurde den selbst aufgestellten Kriterien kaum gerecht, die der BGH entsprechend weit interpretieren mußte197. Dabei war er durchaus auch bemüht, die Haftungsbeschränkung nicht allzu extensiv auszulegen, sondern – unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte – auf das „unumgänglich Notwendige zu beschränken“198. Die Diskussion konzentrierte sich auf den zentralen Begriff „bei dem Urteil in einer Rechtssache“, der den Umfang des Haftungsprivilegs unmittelbar bestimmt. Hier kam es zu zwei Erweiterungen gegenüber der Rechtsprechung des RG: Einmal wurde das Verständnis des „Urteils“ im formellen Sinne199 ausgedehnt auf „urteilsvertretende Erkenntnisse“200, die „ihrem Wesen nach Urteile sind“201, also insbesondere Beschlüsse, wobei der BGH schon frühzeitig einen Katalog formeller und materieller Kriterien entwickelte202. 192 Vgl. Schäfer/Bonk, StHG, § 5 Rn. 20 ff.; ebenfalls allein auf den Schutz der Rechtskraft stellten ab die Bundesregierung in der Antwort auf eine schriftliche Anfrage eines MdB (BT-Prot. der 136. Sitzung v. 24.9.1971, S. 7981) sowie der BT-Petitionsausschuß in Erledigung einer Petition zur Beseitigung der Haftungsbeschränkung (BT-Drs. IV/1401, Nr. 35), beides dokumentiert in AnwBl. 1971, S. 306; diese Stimmen kommen jedoch um den Vorwurf eines Fehlverständnisses des Streitgegenstandsbegriffs nicht herum. 193 Siehe jüngst erneut BGHZ 155, 306 ff.; ebenso OLG Brandenburg, MDR 2002, S. 1192; auf sie stellen vor allem ab Grunsky, FS Raiser, S. 141 ff.; Leipold, JZ 1967, S. 737 (739); Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (238: „Schutzwall um den Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt“), und werden neuerdings unterstützt von Smid, Jura 1990, S. 225 (229), und Ohlenburg, Fehlverhalten, S. 32 ff.: Grundpfeiler richterliche Unabhängigkeit“, sowie Tombrink, NJW 2002, S. 1324 ff., die jedenfalls auch die richterliche Unabhängigkeit als Schutzgut des § 839 Abs. 2 BGB ansehen. 194 BGHZ 50, 14 ff.; BGH NJW 1957, S. 1277 (1278); 1954, S. 1283. 195 Kniffka, Privilegierung, S. 135, Fn. 33. 196 Eine Übersicht über die Einzelfälle bei Soergel-Vincke, § 839 Rn. 225 (Urteilscharakter) und 226 (kein Urteilscharakter). 197 Kniffka, Privilegierung, S. 132; weit auch jüngst OLG Dresden, OLGR Dresden 2001, S. 551 ff.; kritisch zur Inkonsequenz auch Ohlenburg, Fehlverhalten, S. 73 ff. 198 BGH, NJW 1957, S. 1277 (1278); Hinweise auf Zurückhaltung auch in BGHZ 46, 106 (106); ebenso in BGH, DRiZ 1983, S. 102 (103). 199 So das RG in ständiger Rechtsprechung, RGZ 62, 367 (369 ff.); 90, 228 (230); 116, 90 (91 f.); zumindest mißverständlich allerdings RGZ 156, 34 ff., dazu BGH (NJW 1953, S. 1298 [1300]; 1954, S. 1283). Die Beschränkung entsprach jedoch den Motiven des Gesetzgebers, vgl. Merten, FS Wengler, S. 528. 200 BGH, NJW 1954, S. 1283; BGHZ 46, 106 (106).

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Dem ist die Literatur angesichts der Tatsache, daß Reformen des Prozeßrechts immer mehr gerichtliche Entscheidungen der Urteilsform im technischen Sinne entzogen haben, durchgängig gefolgt203. Gleiches gilt für die zweite Auslegungsrichtung, die unter Hinweis auf den Wortlaut („bei dem Urteil“) den error in procedendo dem error in iudicando gleichstellt204. Kritisch hingegen blieb die Literatur, als der BGH die Schutzrichtung des Privilegs auch auf am Ausgangsverfahren nicht beteiligte Dritte erweiterte205. Grundsätzlich war es für den BGH im Bereich der Amtshaftung einfacher, auch zurückhaltende bzw. nicht so extensive Positionen im Hinblick auf die Privilegierung der Richterschaft einzunehmen. Es stand weitaus weniger auf dem Spiel als im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Zum einen drohten keine disziplinarischen Konsequenzen wie im Falle der Rechtsbeugung, zum anderen stellt die Amtshaftung aufgrund des Art. 34 GG letztlich eine Staatshaftung dar, so daß die Bejahung eines Schadensersatzes noch keine Entscheidung über den möglichen Rückgriff beinhaltet206. Nachteile für den Richter selbst waren also mit der Nichtanwendbarkeit des Haftungsprivilegs nicht unmittelbar verbunden. Denn der dann zwar zwingend angeordnete Rückgriff (§ 78 Abs. 1 BBG, § 46 Abs. 1 BRRG) erfordert stets Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, der nur in den seltensten Fällen wird nachgewiesen werden können207. Vor allem aber ist hier, also bei der Frage, unter welchen Voraussetzun201 BGH, NJW 1957, S. 1277 (1277); Scholderer, Rechtsbeugung, S. 260, Fn. 1040, bescheinigt diesem Kriterium Inhaltslosigkeit. 202 BGH NJW 1953, S. 1298 (1299); zu dessen Inkonsistenz s. Grunsky, FS Raiser, S. 142 f. 203 Siehe nur etwa MüKo-Papier, § 839 Rn. 325; Soergel-Vincke, § 839 Rn 224 ff.; Staudinger13-Wurm, § 839 Rn. 328; Windthorst, JuS 1995, S. 992 (995); R. Groß, RiA 1963, S. 101 f.; Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (238); krit. Röhl, in: Schulze-Fielitz/ Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (92 ff.). Zutreffend Scholderer, Rechtsbeugung, S. 261, unter Bezugnahme auf Grunsky, FS Raiser, S. 141 (155); krit. zur Ausdehnung E. Schneider, MDR 1996, S. 865 (868). 204 BGHZ 50, 14 (16); OLG Bremen NJW-RR 2001, S. 1036 (1038 ff.), und hierzu Ohlenburg, Fehlverhalten, S. 79; Soergel-Vincke, § 839 Rn. 323; MüKo-Papier, § 839 Rn. 327; Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (238); Tombrink, DRiZ 2002, S. 296 (299); s. a. Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (578 f.). 205 BGHZ 50, 14 ff; hinsichtlich der Klage eines Zeugen; s. hierzu nur SoergelVincke, § 839 Rn. 323 f.; diese Kritik hatte Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (239), bereits vorausgesehen und war ihr, den BGH rechtfertigend, entgegengetreten, da es „für die Unabhängigkeit des Richters und die Autorität des Richterspruchs“ (!) „gleichgültig“ sei, wer „das Urteil zur Nachprüfung“ stellt. 206 Daher fehlerhaft Hakenberg, DRiZ 2004, S. 113 (113), die meint, die Entscheidung des EuGH, NJW 2003, S. 3539 ff., betreffe „nichts Geringeres als die Amtshaftung nationaler Gerichte“. 207 Weiter relativiert wird dieses Argument durch die treffende Feststellung von Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (93), daß sich das Rückgriffsrisiko mit einer Haftpflichtversicherung für 55 Euro (im Jahr) abwenden lasse.

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gen ein staatlicher Rückgriff gegen den Richter überhaupt nur erfolgen kann, der entscheidende Ort, an dem sich die richterliche Unabhängigkeit zur Geltung zu bringen hat. Denn nicht die Haftung des Staates beeinträchtigt die richterliche Unabhängigkeit, sondern nur die Gefahr einer nachträglichen Inanspruchnahme des Richters. Wer dennoch auf diese Weise argumentiert, kann dies nur tun, wenn er die Existenz des Art. 34 GG ignoriert. Trotzdem ist auch die Frage der zivilrechtlichen Haftung des Richters ein Politikum. Sie ist nicht die Haftung einer beliebigen gesellschaftlichen Gruppe, sondern gleichzeitig die Haftung einer der drei Staatsgewalten. Nur so läßt sich die Intensität erklären, mit der in Literatur und Rechtsprechung kontrovers über die richterliche Amtshaftung diskutiert wird. Denn ihre rechtstatsächliche Bedeutung ist äußerst gering208. Wenn auch vielfach die Bewertungen der Rechtsprechung Unterstützung in der Literatur gefunden haben, so ist nicht zu übersehen, daß auch hinsichtlich der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit angesichts der großzügigen Einbeziehung in das Richterprivileg209 kritische Töne zur Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit als Zweck des Richterspruchprivilegs laut geworden sind. Dies mag erleichtert worden sein durch die dogmatische Inkonsistenz der Rechtsprechung des BGH, die bei gleichzeitigem Abstellen auf den Schutz der Rechtskraft als ratio des § 839 Abs. 2 BGB zwangsläufig Wertungswidersprüche produzieren mußte. Gleichwohl bleibt festzuhalten: Durch die Bezugnahme auf die richterliche Unabhängigkeit wurde das Haftungsprivileg des Richters verfassungsfest gemacht. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich weiten Auslegung des Art. 97 Abs. 1 GG blieb dem BGH stets die Möglichkeit, seine Entscheidungen dem Einzelfall anzupassen. Allerdings ist ihm zuzugeben, daß sich die zivilrechtlichen „Abteilungen“ im Ergebnis nicht der extensiven Strategie der Strafsenate angepaßt haben, was insbesondere hinsichtlich der PKH-Verfahren210 und weithin der gesamten Freiwilligen Gerichtsbarkeit211 deutlich wird, die vom Haftungsprivileg ausgenommen sind, aber selbstverständlich unter dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit stehen212. 208 Kniffka, Privilegierung, S. 8 f.; was auch das Fehlen von Prozessen wegen des Rückgriffs gegen die Amtsträger erklären könnte, vgl. dazu die Feststellung von Thode (FN 234). 209 MüKo-Papier, § 839 Rn. 327; im Ergebnis ebenso Sorgel-Vincke, § 839 Rn. 323. 210 Etwa BGH, DRiZ 1983, S. 102 (104); jüngst bestätigend OLG Frankfurt/Main (zu einer Entscheidung eines anderen Senats des eigenen Gerichts!), NJW 2001, S. 3270 ff.; hierzu Tombrink, NJW 2002, S. 1324 f., der die Vernachlässigung der richterlichen Unabhängigkeit kritisiert. 211 Aktuell OLG Naumburg, Urt. v. 11.1.2000 – 1 U 151/99 – nur in Juris veröffentlicht. 212 Herausragend etwa Arrest und einstweilige Verfügung im Beschlußwege (§§ 916 ff., 935 ff. ZPO; s. BGHZ 10, 55 [60], der diese Position nun aufgegeben hat, s. NJW 2005, S. 436 f.), die wegen des unbefristet möglichen Widerspruchs (§ 924 ZPO) keiner Rechtskraft fähig sind (zweifelnd Staudinger13-Wurm, § 839 Rn. 336);

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Gleichwohl muß im Ergebnis auch die Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Amtshaftung als Beleg gewertet werden, daß es der Richterschaft nicht gelingt, eine ihr vom Gesetzgeber gewährte Sonderstellung maßvoll und mit Gespür für die aus der Selbstbetroffenheit folgende Befangenheit zu handhaben. Dies wirkt um so frappierender, als die ausdehnende Haftungsprivilegierung vor dem Hintergrund einer „entgleisenden‘ Rechtsprechung“213 zur Rechtsanwaltshaftung erfolgt: Diese überbürdet als „Stachel im Fleisch‘ der Anwaltschaft“214 ohne verfassungsrechtliche Legitimation den Anwälten die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung des Gerichts215 und konstituiert infolgedessen deren Subsidiärhaftung für gerichtliche Fehler216, ohne das Problem der schadensersatzrechtlichen Kausalität oder des wegen § 839 Abs. 2 BGB gestörten Gesamtschuldnerausgleichs217 zu berücksichtigen. Symptomatisch ist auch hier, daß die Richterschaft218 erst eines Hinweises des BVerfG219 bedarf, bis sie ihre „bisherige Rechtsprechung unter verfassungsrechtlichen Aspekten“ überdenkt220. die vorläufige Unterbringung, vgl. BGH 155, 306 ff.; auch die richterliche Tätigkeit bei der Protokollführung fällt nicht darunter, so OLG Frankfurt/Main, OLGR 2002, S. 301 (301); auch die richterliche Anordnung von Abhörmaßnahmen, so jüngst BGH, JZ 2004, S. 454 (456); weitere Beispiele bei Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (94). Mit gegenteiliger Tendenz wurde – aus anwaltlicher Sicht – sogar die Einbeziehung der Mitglieder der Vergabekammern gem. § 104 GWB in das „Spruchrichterprivileg“ gefordert, auch wenn diese Kammern keine Gerichte und ihre Mitglieder keine Richter seien, so Horn/Graef, NZBau 2002, S. 142 ff. 213 Kirchberg, BRAK-Mitt. 2002, S. 202; s. etwa BGH, NJW 2002, S. 1048 ff., und Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, Rn. 58 ff. m. w. Nw.; krit. auch Kerscher, SZ v. 10.6.2002, S. 10. 214 Grams, BRAK-Mitt. 2002, S. 211 (211). 215 So ausdrücklich BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), JZ 2003, S. 419 (420), allerdings nur, aber immerhin deutlich in einem obiter dictum zu BGH, NJW 2002, S. 1048 ff. Schon Ostler, JR 1959, S. 121 (122), hatte für den Strafprozeß bemerkt, daß der Verteidiger „jedenfalls nicht Gehilfe des Gerichts“ sei „und alle Versuche, ihn dazu zu machen“, sich „nicht bewährt“ hätten. In die gegenteilige Richtung weist zudem der EGMR, NJW 2003, S. 1229 ff., der auf der Basis von Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 lit. c EMRK eine, wenn auch ausnahmsweise, Haftung des Staates für Fehler einer Pflichtverteidigerin annimmt. 216 Kurzer Überblick bei Mäsch, JZ 2003, S. 420 (420); s. a. Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, Rn. 58 ff. m. w. Nw. Aus mancher Richtersicht wird dies als „beschämend“ empfunden, s. etwa R. Jaeger, NJW 2004, S. 1 (5). 217 Dazu Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 928 ff.; speziell zur hier thematisierten Konstellation Mäsch, JZ 2003, S. 420 (421); dagegen und zudem mit umfassender Darstellung und Bewertung der Problematik Zugehör, NJW 2003, S. 3225 (3232). 218 Hier wieder der zuständige IX. Zivilsenat des BGH, der auch schon in bezug auf seine Bürgschaftsrechtsprechung des sozialstaatlich-grundrechtlichen „Nachhilfeunterrichts“ durch das BVerfG (BVerfGE 89, 214 ff.) bedurfte. Gerade in diesem Senat könnte sich die vom Präsidialrat des BGH zu verhindern gesuchte Wahl des Richters Nesˆkovic´ (dazu statt aller Rasehorn, BJ 2001, S. 71 f.) als das dringend notwendige „frische Blut“ erweisen; er war gemäß Beschluß des BGH-Präsidiums vom 13.12.2002 (s. BAnz 51/2003 v. 14.3.2003, S. 4582 und Beilage) im Geschäftsjahr 2003 auch tatsächlich dem IX. Zivilsenat zugewiesen und hatte zuvor durch die von ihm mitgetragene konkrete Normenkontrolle des LG Lübeck gegen die Cannabis-

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Neben den bereits dargestellten Ursachen sind insbesondere drei Gründe für diese Wertung maßgeblich: Erstens fehlt es an der Bereitschaft, bei Unanwendbarkeit des Haftungsprivilegs den Grundsatz des § 839 Abs. 1 BGB konsequent zur Geltung kommen zu lassen. Der gewöhnliche Verschuldensmaßstab, dem jeder Amtsträger unterliegt, gilt für Richter auch ohne das Privileg des § 839 Abs. 2 BGB nicht. Vielmehr soll es die richterliche Unabhängigkeit erfordern, daß nur für grobes Verschulden („bei besonders groben Verstößen“221) zu haften ist222; eine Begründung, die über die Verwendung des Begriffs „richterliche Unabhängigkeit“ hinausgeht, sucht man vergeblich. Der Hinweis auf zwei Kommentarstellen223 reicht für eine solche Privilegierung nicht aus. Diese Rechtsprechung kann sich allerdings auf eine noch rigidere frühere Rechtsprechung berufen, die um des Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit willen jegliche außerdeliktische Haftung aus Aufopferung, wie sie für sonstiges Staatshandeln mit expansiver Kraft224 vom BGH entwickelt worden ist, ablehnte, da es kein „Sonderopfer“ darstelle, von einem fehlerhaften Urteil betroffen zu werden. Diese Gefahrenlage bestehe Strafbarkeit (AZ: Jz. – 713 Js 16817/90 StA Lübeck – 2 Ns [Kl. 167/90]) die Durchsetzung der Grundrechte infolge BVerfGE 90, 145 ff., erst möglich gemacht. Eine entgegen der Berufungsentscheidung allerdings zutreffende Haftungsinanspruchnahme eines Anwalts findet sich in BGH, NJW 2003, S. 2022 ff.; in ihren Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht nicht mehr nachvollziehbar BGH, BB 2004, S. 1189 f. 219 BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), JZ 2003, S. 419 f.; allerdings wurde eine erste Chance (BGH, NJW-RR 2003, S. 850 ff.) hierzu vom IX. Zivilsenat (noch) nicht genutzt, krit. dazu Jungk, BRAK-Mitt. 2003, S. 120 f. 220 Siehe die Hoffnung von Grams, BRAK-Mitt. 2002, S. 226; s. aber hierzu den Vorwurf von Knöfel, AnwBl. 2004, S. 76 (80), das BVerfG mache sich „zum Komplizen des alten anwaltlichen Neides auf das Richterprivileg“. Unvergleichbar zur eigenen Privilegierung auch die Bereitschaft des BGH, eine enorm weite Sorgfaltspflicht des Arztes zu konstatieren, s. BGH, NJW 2003, S. 2309, mit krit. Anm. Laufs, NJW 2003, S. 2288 f.; zur anwaltlicher Haftung für gerichtliche Fehler s. krit. R. Jaeger, NJW 2004, S. 1 (5); perfekte Darstellung der Gesamtproblematik Medicus, AnwBl. 2004, S. 257 ff. 221 BGH, BGH-DAT Zivil, Beschl. v. 26.4.1990 – III ZR 182/89 –, allerdings lediglich unter Berufung auf zwei Kommentarstellen; auf diese vorherige Entscheidung bezieht sich sodann BGH NJW-RR 1992, S. 919 (919); diesen Entscheidungen wiederum folgt jüngst OLG Frankfurt/M., NJW 2001, S. 3270 (3271), ohne weitere Begründung (im Ergebnis das grobe Verschulden bejahend) zuletzt BGHZ 155, 306 ff. 222 Dies läuft nach Staudinger13-Wurm, § 839 Rn. 316, auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit hinaus. 223 Staudinger12-Schäfer und Kreft, in: BGB-RGRK; Schlaeger, NJW 2001, S. 3244, meint denn auch, der BGH habe sich noch nicht eindeutig auf das grobe Verschulden als Haftungsvoraussetzung festgelegt; Tombrink, NJW 2002, S. 1324 (1325), findet diese Haftungseinschränkung auch nicht in den „gängigen Kommentaren“. 224 Hagen, NJW 1970, S. 1017 (1018). Diese Ausweitung richtete sich – systemwidrig – auch auf die für BGHZ 50, 14 ff., relevanten immateriellen Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 GG, ohne diesen grundrechtlichen Bezug aber so kenntlich zu machen, vgl. dazu Röder, Haftungsfunktion, S. 37 ff.

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vielmehr für jeden Staatsbürger225. Insoweit ist die Haftung wegen grober Fahrlässigkeit schon ein Fortschritt. Medicus hat jüngst auf einen weiteren Aspekt der mit dem Haftungsprivileg verbundenen Diskriminierung für den betroffenen Bürger hingewiesen226: Die einheitliche Staatsgewalt macht es sich allzu leicht: Sie stattet „ihre“ Gerichte mit oft nur kärglichen Mitteln aus und belastet sie mit immer neuen Aufgaben; gleichzeitig wird mittels der „Entlastungsgesetze zunehmend die Korrektur fehlerhafter Entscheidungen verhindert227. Daher hätte der Staat nach allgemeinen Haftungsregeln wenigstens für sein „Organisationsverschulden“ zu haften, schützt sich aber selbst durch das selbstgewährte Schutzschild des § 839 Abs. 2 GG. Gleichzeitig belohnt dies das staatliche Desinteresse an der Qualität der richterlichen Tätigkeit, weil er hieraus keine finanziellen Folgen zu fürchten hat228. Zweitens läuft die Beschränkung des Privilegs in § 839 Abs. 2 S. 2 BGB völlig leer229 angesichts der Zugehörigkeit der Terminierung und zeitlichen Behandlung des Verfahrens zum absolut geschützten Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit230. Es verbleibt also in Verfahren, die unter das Richterspruchprivileg fallen, stets bei § 839 Abs. 2 S. 1 BGB231. Dies wird zwar vom Gesetzeswortlaut so nicht unmittelbar gedeckt, da die Ausnahme vom Haftungsprivileg trotz hinlänglich bekannter richterlicher Unabhängigkeit die Rückkehr zur „normalen“ Haftung anordnet. Trotzdem ist dieses Ergebnis letztlich konsequent. Wenn die zeitliche Behandlung des einzelnen Verfahrens im alleinigen Ermessen des Richters steht, sind Verzögerungen innerhalb des Verfahrens kaum mehr pflichtwidrig denkbar. Dies wird aber nicht erst durch die Einbezie225 BGHZ 36, 379 (393); warum es aber keine allgemeine Gefahrenlage darstellt, von rechtswidrigem und dann aber ausgleichspflichtigem Verwaltungshandeln betroffen zu werden, wird nicht erläutert; zustimmend allerdings Steffen, DRiZ 1968, S. 237 (239), der meint, daß die nachteiligen Folgen dieser Beschränkung im Einzelfall „Ausfluß eines mit dem Leben in der Gemeinschaft notwendig verbundenen Risikos“ sei – keine Gemeinschaft ohne Richterprivilegien? Eine Rechtsverletzung durch Fehlurteile sehen allerdings auch Pache/Knauff, BayVBl. 2004, S. 385 (387), als „Verwirklichung des spezifischen Risikos bei der Einschaltung von Gerichten“. 226 Medicus, AnwBl. 2004, S. 257 (261). 227 Hinzu kommt noch die Beseitigung kollegialer Selbstkontrolle im Spruchkörper, s. oben § 5 III. 1. c). 228 So trefflich R. Jaeger, NJW 2004, S. 1 (5). 229 Vgl. Blomeyer, NJW 1977, S. 557 (558). 230 So im Ergebnis auch Lansnicker/Schwirtzek, NJW 2001, S. 1969 (1973). Die Vefassungsbeschwerde wird hier nur wenig helfen können, so aber Staudinger13-Wurm, § 839 Rn. 343. 231 So ausdrücklich Palandt-Thomas, § 839 Rn. 72; die Bedeutungslosigkeit der Rückausnahme zeigt sich auch daran, daß in den (Groß-)Kommentaren kein Hinweis auf eine erfolgte Anwendung des § 839 Abs. 2 S. 2 BGB zu finden ist; zutreffend anders aber Blomeyer, NJW 1977, S. 557 ff.

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hung des error in procedendo in das Haftungsprivileg verschärft. Denn wie groß auch immer dessen Anwendungsbereich sein mag, er endet bei der pflichtwidrigen Verzögerung. Insofern „harmonieren“ die beiden Sätze des Abs. 2 sehr wohl232. Ursache der Problematik ist allein die Bezugnahme auf den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit. § 839 Abs. 2 S. 2 BGB könnte nur dann zur Geltung gelangen, wenn man sich auf den Schutz der Rechtskraft als ratio des Richterspruchprivilegs beschränkte233. Die eigentliche crux der Beschränkung der Amtshaftung besteht drittens aber aus Sicht des betroffenen Bürgers im Ergebnis darin, daß sie die Restriktionen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Richters im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht fortsetzt. Die strafrechtliche Freistellung des Richters und damit einer ganzen Staatsgewalt müßte vielmehr kompensiert werden durch eine funktionierende zivilrechtliche Haftung des Staates – und nur um diese geht es angesichts des Art. 34 GG, dessen Rückgriffsoption gegen Richter geradezu ausfällt234. Statt dessen aber kommt es zu einer „Bürgerdiskriminierung“235 infolge der Kumulation beider Haftungsbeschränkungen. Zwischen dem rechtswidrig handelnden Richter und der deswegen rechtswidrig unterlegenen Partei wird der Schaden gerade demjenigen auferlegt, der unverschuldet gehandelt hat; der schuldhaft handelnde und sein Dienstherr gehen dagegen lastenfrei aus. Daran ändert sich nur dann etwas, wenn ein Verschulden eines Anwalts hinzutritt, denn dann hat der zu Unrecht unterlegene Beteiligte wenigstens einen Dritten, an den er sich halten kann – an der Haftungsfreistellung des Richters ändert sich freilich nichts. Die Richterschaft bleibt großzügig236, solange sie nur nicht selbst dadurch belastet wird. Die hier diskutierten Topoi zur Amtshaftung der Richter waren jüngst auch Gegenstand einer Entscheidung des EuGH237, der sich dabei zwangsläufig auch mit den hier referierten Bedenken gegen eine Amtshaftung des Staates für richterliche Akte auseinanderzusetzen hatte. Dabei hat er zwar – insofern die Haftung einschränkend – klargestellt, daß im Hinblick auf die hierfür notwendige Voraussetzung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes „unter Berücksichtung der Besonderheit der richterlichen Funktion“ zu prüfen sei, „ob dieser Verstoß offenkundig“ ist238; dies tendiert etwa in Richtung des besonders groben Ver232

Anders aber Blomeyer, NJW 1977, S. 557 (560). So dann auch Blomeyer, NJW 1977, S. 557 (560 f.). 234 Vgl. die Darstellung der – allerdings schon älteren – Rückgriffspraxis bei v. Livonius, Vorstellungen, S. 47 ff. Daß sich dies heute kaum verändert hat, belegt Thode, DRiZ 2002, S. 417 (424); auf die hohen Voraussetzungen des Rückgriffs verweist auch Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (93). 235 Scholderer, Rechtsbeugung, S. 262. 236 Siehe zuvor bei FN 213. 237 EuGH, NJW 2003, S. 3539 ff. 233

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stoßes im Sinne des BGH239. Im übrigen aber wurden die herkömmlichen Privilegienrechtfertigungen mit ebenso überzeugenden wie lapidaren Worten für nicht durchschlagend erklärt: Mit der Rechtskraft des fehlerhaften Urteils habe der Haftungsprozeß insofern nichts zu tun, als diese nicht in Frage gestellt werde, denn die beiden Verfahren beträfen weder „denselben Gegenstand“, noch seien „zwangsläufig dieselben Parteien“ beteiligt240. Zudem sei „nicht ersichtlich, daß die Unabhängigkeit eines letztinstanzlichen Gerichts durch die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen die Haftung des Staates für gemeinschaftswidrige Gerichtsentscheidungen feststellen zu lassen, gefährdet würde“241. Zum Argument der Gefährdung der Autorität des letztinstanzlichen Gerichts im Falle einer Inzidentüberprüfung im Haftungsprozeß verweist der EuGH sodann darauf, daß die Möglichkeit einer Wiedergutmachung eines gerichtlich verursachten Schadens gerade „als Bekräftigung der Qualität einer Rechtsordnung und damit schließlich auch der Autorität der Judikative angesehen werden“ könne242. Der Europäische Gerichtshof hat damit nahezu allen zentralen Argumenten, mit denen in der Bundesrepublik das richterliche, letztlich aber staatliche Haftungsprivileg verteidigt wird, eine Absage erteilt. Jenseits aller Inhalte belegt dies, wie sehr auch die Frage der zivilrechtlichen Haftung von Vorverständnissen und Wertungen abhängig ist, die mit der gesetzlichen Grundlage letztlich nichts zu tun haben. d) Fazit: Der notwendige Beitrag der Exekutive im System der gerichts- und richterbezogenen Gewaltenteilung Nunmehr wird deutlich, warum das traditionelle Konzept der Gewaltenteilung drei Gewalten „benötigt“: Zwei von ihnen reichen zur wirksamen Kontrolle, aber auch aus demokratischen Erwägungen, nicht aus243. Wie Dreier zutreffend 238 EuGH, NJW 2003, S. 3539 (3541 – Rn. 59); hier hat der EuGH dann die Offenkundigkeit entgegen des Votums des Generalanwalts Léger verneint und damit „ungewohnte Milde walten lassen“ (so krit. Obwexer, EuZW 2003, S. 726 [728], der sodann als Ursache mutmaßt, der EuGH habe die Zusammenarbeit mit den mitgliedstaatlichen Gerichten nicht gefährden wollen; ebenso Cremer, NJW 2004, S. 480 [480]); tendenziell in diese Richtung auch Hakenberg, DRiZ 2004, S. 113 (117); krit. gegenüber dem Generalanwalt und (schon vor dem EuGH-Urteil) für Zurückhaltung bei der Bejahung dieses Merkmals unter Verweis auf die insoweit sehr restriktiven Regelungen der Mitgliedstaaten Breuer, BayVBl. 2003, S. 586 (588, Fn. 30). 239 Vgl. oben bei FN 221. 240 EuGH, NJW 2003, S. 3539 (3540 – Rn. 39); problematisch Cremer, NJW 2004, S. 480 (481). Warnung vor einem Rechtsschutz ad infinitum bei Breuer, BayVBl. 2003, S. 586 (589). 241 EuGH, NJW 2003, S. 3539 (3540 – Rn. 42); zu krit. hierzu Hakenberg, DRiZ 2004, S. 113 (115). 242 EuGH, NJW 2003, S. 3539 (3540 – Rn. 43).

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hervorgehoben hat, ist gerade die hierarchische Verwaltung ein Garant der Durchsetzung des Willens des Gesetzgebers und damit ein „Funktionserfordernis demokratischer Staatlichkeit“244. Um der Freiheit des Menschen willen findet die demokratische Mehrheitsherrschaft jedoch ihre Grenzen am Gesetz und an der Verfassung, deren Durchsetzung von der Rechtsprechung sichergestellt wird. In der Person des Richters kulminiert daher der notwendige Vorrang des Rechtsstaats vor der Demokratie. Wie die – zugegeben extremen, aber dementsprechend auch aussagekräftigen – Beispiele der Rechtsbeugung und der Amtshaftung belegen, verschafft dies der Richterschaft aber gleichzeitig die Macht, den gesetzgeberischen Willen zu umgehen und die eigenen Interessen zu bevorzugen. Die Steuerungsmacht des Gesetzes als ausdrucksstärkste Form des Volkswillens findet demnach ihre faktische Schranke in dem entgegenstehenden Willen des Richters. Dieser darf zwar durch die Exekutive nicht gebrochen werden; hiergegen spricht der schon erwähnte, notwendige Freiheitsschutz des einzelnen und die zu seiner Durchsetzung geschaffenen Art. 92, 97 GG. Gleichwohl ist das bipolare Verhältnis Gesetzgeber/Richterschaft wegen der verfassungsrechtlich verbürgten Letztentscheidungskompetenz des Richters ein einseitig dominiertes. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Unabhängigkeit des Richters nicht nur ihre Grenze, sondern auch ihre Rechtfertigung in der (strikten) Gesetzesbindung findet. Wenn aber das Subsumtionsdogma schon nicht stimmt245, gesetzgeberische Entscheidungen von den Richtern nur unzulänglich und hinsichtlich ihrer Verantwortlichkeit gar nicht umgesetzt werden, dann belegt dies eine faktische Absage an die Wirksamkeit eben dieser Gesetzesbindung und damit an die Rechtfertigung der richterlichen Unabhängigkeit überhaupt. Soll letztere also gleichwohl Geltung beanspruchen, bedarf es der Institutionalisierung einer Drittkontrolle, die zumindest das Verhalten der Dritten Gewalt beobachtet und die Durchsetzung gesetzgeberischer Entscheidungen zu sichern versucht, jedenfalls aber fördert. Hierfür steht sodann nur noch die Exekutive zur Verfügung, die in bezug auf das Verhältnis Legislative/Judikative – jedenfalls partiell – die Rolle einnimmt, die der Rechtsprechung hinsichtlich der Beziehung zwischen Gesetzgeber und Verwaltung zukommt: Sie kontrolliert die ordnungsgemäße Führung der Amtsgeschäfte, also auch die Gesetzesbindung. Freilich bleibt die Wirksamkeit der Kontrolle durch die Rechtsprechungsverwaltung – verfassungsrechtlich notwendig – weit hinter der Verwaltungskontrolle durch die Richter zurück. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Entsprechung der jeweiligen Funktion. Die exekutive Verwaltung der Rechtsprechung einschließlich der Dienstaufsicht ist daher – in den noch aufzuzeigenden 243 244 245

Vgl. Wank, Jura 1991, S. 623 (623 f.). Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 125. Vgl. oben nach FN 96.

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Grenzen – ein verfassungsrechtlich zulässiges und gebotenes Mittel zur Durchsetzung des Willens des demokratischen Gesetzgebers gegenüber der Richterschaft – an ihr ist daher festzuhalten246. Selbst wenn man also aus demokratie-theoretischen Gründen trotz des Dogmas von den personellen Legitimationsketten davon ausgehen könnte, daß auch die Ausübung unmittelbarer Staatsgewalt247 in Form von Rechtsprechung bis zu einem gewissen Grad „selbstverwaltet“ erfolgen könnte, bleibt die Gewaltenteilungsproblematik. Diese wird wegen der von Reinhardt aufgezeigten Ausschaltung der Gewaltenteilung als Prinzip insbesondere gegenüber der Rechtsprechung sowie der Gleichsetzung von richterlicher Unabhängigkeit mit Gewaltenteilung248 als solches kaum wahrgenommen. Gewaltenteilung als Problem mit Rechtsprechungsbezug taucht immer nur auf, wenn es darum geht, den Einfluß anderer Gewalten auf die Richter abzuwehren. In umgekehrter Richtung wird es nicht thematisiert. So formuliert auch Berlit, daß der Gewaltenteilungsgrundsatz zumindest kein Argument gegen Selbstverwaltung der Rechtsprechung sei, weil die herkömmlichen Bedenken gegen eine Vermischung von Richterschaft und Justizverwaltung an die „Bindung an Weisungen der Exekutive“ anknüpften, die es in einer selbstverwalteten Justiz nicht (mehr) gebe249. Dies ist Ausdruck der zuvor kritisierten einseitigen Sichtweise, die die Funktion von Gewaltenteilung nur als Rechtfertigung, nicht aber als Grenze einer institutionellen/organisatorischen Unabhängigkeit der Rechtsprechungsorgane in Betracht zieht. Mit gleicher Tendenz geht Groß davon aus, das Gewaltenteilungsprinzip streite „für eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive“250. Dies kann ebenfalls nur unter der Prämisse gelten, daß es jenseits der konkretisierenden Inhalte der Art. 92, 97 GG keine eigenständigen Gehalte der Gewaltenteilung im Sinne einer gegenseitigen Kontrolle der Gewalten mehr gibt. Auf diese Weise wird „das Gewaltenteilungsprinzip mit der Fixierung auf den Aspekt der Trennung und der wechselseitigen Hemmung nur einseitig und verzerrt erfasst“251. Auch bei einer verselbständigten Rechtsprechung mag ein „hinreichendes Legitimationsniveau“252 erreichbar sein. Gleichwohl wäre dann die Gewaltentei246

Im Ergebnis ebenso Francken, NZA 2003, S. 457 (460). Der Charakter der Rechtsprechung als unmittelbare Staatsgewalt schließt eine Übertragung der partiellen Rücknahme des Leistungsketten-Dogmas für die funktionale Selbstverwaltung in BVerfGE 107, 58 ff., aus. 248 Reinhardt, Jurisdiktion, § 2. 249 U. Berlit, DRiZ 2003, S. 292 (295). 250 T. Groß, DRiZ 2003, S. 298 (300). 251 Papier, NJW 2002, S. 2585 (2587). 252 Siehe dazu U. Berlit, DRiZ 2003, S. 292 (294). 247

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lung im Bereich der Rechtsprechungsorganisation auf das alleinige Verhältnis von Gesetzgeber zu Richtern reduziert. Angesichts der Machtfülle der Richterschaft durch die Herrschaft über die Wirkung des Gesetzes bedeutete dies eine enorme Kontrollfreistellung für den Bereich der Rechtsprechungsverwaltung gemäß der Erkenntnis des späteren US Supreme Court Chief-Justice Charles Evans Hughes: „We are under a Constitution, but the Constitution is what the judges say it is.“253 Dies wird sodann auf die Spitze getrieben, wenn man wie der Deutsche Richterbund einen Justizverwaltungsrat favorisiert, dessen Zusammensetzung und Stellung ein „hierarchisches, auf die Präsidenten der oberen Landesgerichte und der Generalstaatsanwälte fixiertes Modell“ darstellt254. Die Entscheidungsmacht wird damit auf Personen übertragen, die unversetzbar auf Lebenszeit ihr Amt innehaben und daher für Beeinflussung durch den Souverän potentiell unzugänglich sind255. Wenn es richtig ist, daß „Modernisierungsbereitschaft und -fähigkeit in der Justiz nur durch politisch-gesellschaftlichen Druck ,von außen‘ bewirkt werden kann“256, dann muß es einen Beauftragten „vor Ort“ geben, der – eingebunden in formalisierte rechtliche Regelungen – diesen demokratisch legitimierten „Druck“ verkörpert und weitergibt. Hier bedarf es dann statt einer Berufsgruppe unversetzbarer Amtsträger einer Rückkopplung an das Volk durch im klassischen Sinne exekutiver Herrschaft „auf Zeit“. 4. Exkurs gegen eine Legendenbildung zur Entstehungsgeschichte des grundgesetzlichen Rechtsprechungsabschnitts Wenn es um die (richterliche) Kritik des institutionellen Verhältnisses von Exekutive und Judikative geht, so wird stets auch auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes verwiesen und allem voran auf den Bericht des Hauptausschusses für das Plenum zum Abschnitt „Rechtsprechung“ durch den Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege257, Georg August Zinn258. Dies erfolgt nicht ohne Berechtigung, denn tatsächlich 253

Hughes, in: ders., Autobiographical Notes, S. 144. So zutreffend Hoffmann-Riem, DRiZ 2003, S. 284 (287). Zu beachten bleibt aber auch das Alternativmodell des DRB, vgl. Mackenroth/Teetzmann, ZRP 2002, S. 337 (340); überzeugender dagegen aber das NRV-Modell „Strukturen einer unabhängigen und demokratischen Justiz“ vom 1.3.2003, abgdr. in BJ 2003, S. 60, und dazu das Interview mit Häuser/Koch, ebd., S. 61 f. 255 Krit. auch Mertin, ZRP 2002, S. 332 (335). 256 U. Berlit, KJ 32 (1999), S. 58 (58). 257 Im weiteren „Rechtspflegeausschuß“. 258 Zur 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates am 6.5.1949; der Bericht ist dem stenographischen Protokoll dieser Sitzung als Anlage beigefügt (Drs. 850/854; zur nachträglichen, aus einzelnen Teilen zusammenstellenden Entstehung dieser Anlage zum Protokoll s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 433, Fn. 254

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kommt darin die gestärkte Stellung zum Ausdruck, die die Rechtsprechung und auch die Richter im Vergleich zur WRV erhalten sollten. Insbesondere der Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee hatte hierzu nichts weiter bestimmt, sondern in Art. 132 HChE nur die tradierte Form der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit übernommen, allerdings mit dem wegen seiner Doppeldeutigkeit259 dann aber gestrichenen Zusatz, daß der Richter neben dem Gesetz auch seinem Gewissen unterworfen sein sollte. Dies reichte dem Parlamentarischen Rat aber gerade nicht260. Diese grundsätzliche Entscheidung zum „Mehr“ gegenüber der bisherigen Garantie der WRV ist jedoch nur ein Aspekt der Diskussionen im Parlamentarischen Rat, der für sich allein schon in nur eingeschränktem Maße belegen könnte, daß die augenblickliche Zuordnung der Gerichtsverwaltung zur Exekutive und auch die Richterwahl hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte hinter den Anforderungen des Grundgesetzes zurückbleiben. Weitaus mehr an Überzeugungskraft verliert der Hinweis auf die Genesis der Rechtsprechungsartikel, wenn man die konkrete, insgesamt etwa 24stündige261 Arbeit des Rechtspflegeausschusses berücksichtigt262. Richtig ist zunächst, daß – nunmehr gem. Art. 98 Abs. 1, 3 GG – separate Bundes- und Landesgesetze „die Rechtstellung der Richter regeln und damit, unter Heraushebung aus der übrigen Beamtenschaft, der Besonderheit des Richteramtes gerecht werden“ sollten, dies aber nicht, ohne gleichzeitig dagegen Vorsorge zu tragen, „daß die Richter die ihnen anvertraute Macht und das besondere Vertrauen das ihnen vom Volke durch die Berufung in das Richteramt entgegengebracht wird, gegenüber dem Volk selbst mißbrauchen“. Hierzu sollte die Richteranklage gem. Art. 98 Abs. 2 GG dienen263. Daraus läßt sich schon erkennen, daß von einer absoluten Unabhängigkeit der Richter auch nach Auffassung des Parlamentarischen Rates nicht gesprochen werden kann.

14); deswegen darf die Bedeutung des Berichts nicht überschätzt werden, da seine Beziehung zu dieser Sitzung wegen der Nachträglichkeit eher als „künstlich“ (Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, ebd.) bezeichnet werden muß (zu weitgehend daher Häuser, BJ 2001, S. 92 [94]). Vgl. auch nahezu inhaltsgleich Zinn, DÖV 1949 S. 278 ff. Eckdaten zur Biographie Zinns s. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XXIX. 259 Vgl. unten FN 331, 332. 260 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CIX, insbes. Fn. 616. 261 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCIII. 262 Die nicht selten wesentlichen Entscheidungen gerade für die Rechtsprechungsartikel (vgl. Utz, Preuße, S. 259 f.) des Allgemeinen Redaktionsausschusses können mangels Aufzeichnungen nicht nachvollzogen werden, s. Wrobel, Verurteilt, S. 295. 263 Zinn, in: v. Mangoldt u. a., Schriftlicher Bericht, S. 49.

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a) Die (geringe) Beteiligung der Richterschaft im Parlamentarischen Rat und die fehlende Problematisierung der Rechtsprechungsverwaltung Die formelle Beteiligung der Richterschaft am Entstehen des IX. Abschnitts des Grundgesetzes innerhalb des Parlamentarischen Rates war gering. Nur Thomas Dehler, der erst ab der 7. Sitzung des Fachausschusses „Rechtspflege“ als Gast, in den restlichen drei Sitzungen als stimmberechtigtes Mitglied teilnahm264, war 1948/49 als Präsident des OLG Bamberg aktiver Richter, der jedoch ebenfalls keine Justizkarriere hinter sich hatte, sondern zuvor als Anwalt tätig war265. Zwar setzte sich der Ausschuß mit einer Ausnahme266 nur aus Juristen zusammen267 und sein Vorsitzender Zinn war hessischer Justizminister, sein Stellvertreter Walter Strauß Stellvertretender Leiter des Rechtsamts des Vereinigten Wirtschaftsgebiets268. Gleichwohl meinte einer der beiden Sachverständigen des Rechtspflegeausschusses, Herbert Ruscheweyh269, daß „die eigentliche Justiz (. . .) im Parlamentarischen Rat in Bonn schwach vertreten“ sei270. Trotz der allgemeinen juristischen Kompetenz waren also die Interessen der Richterschaft nur begrenzt repräsentiert271. Sie konnten sich nur auf die Beteiligung zweier richterlicher Sachverständiger, neben dem zuvor erwähnten 264 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XXXVIII. 265 Dehler sagte am 13.1.1949 in der 38. Sitzung des Hauptausschusses (Verhandlungen HptA, S. 476): „Ich bin der einzige aktive Richter in Ihrem Kreis. Kein geborener und kein gewachsener Richter, sondern ein Anwalt, der in dieser Notzeit die Verpflichtung gefühlt hat, ein Richteramt zu übernehmen.“ Wrobel, Verurteilt, S. 306, meint denn auch, Dehler habe nur unter dem Titel „Richter firmiert“. 266 Abg. Wilhelm Heile (DP), der in Hannover Schiffsbau studiert hatte und von 1946–51 Mitglied des Niedersächsischen Landtags war. Er trat aber nicht in Erscheinung und nahm auch nur an der vierten und fünften Sitzung des Ausschusses teil, vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CIII. 267 Was angesichts der Tatsache, daß 47 der 77 Mitglieder des Parlamentarischen Rates (= 61%, Ersatzmitglieder eingerechnet) Juristen waren, kaum verwundert, vgl. AK-GG2-Denninger, Einl. I, Rn. 22. 268 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CIII; zur Person ausführlich jüngst Utz, Preuße, S. 11 ff. und passim. 269 Seit April 1948 Präsident des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1222, Fn. 22 mit Eckdaten zur Biographie; s. a. unten FN 301. 270 Zitiert nach Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCIX, Fn. 551. Die Äußerung fiel auf der Zusammenkunft der OLG-Präsidenten der Britischen Zone in Damme am 5./6. Oktober 1948. 271 So auch Wrobel, Verurteilt, S. 305 f.

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Ruscheweyh noch der Präsident des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Köln, Ernst Wolff 272, und parallel dazu auf Versuche der Einflußnahme von außen stützen. Diese waren vielfältig und entsprachen dem kritischen Interesse der Richterschaft an der Arbeit des Parlamentarischen Rates. Schon nach dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee kam es zwischen führenden Juristen zu einer „Aussprache über die Abschnitte ,Bundesverfassungsgericht‘ und ,Rechtspflege‘ in dem Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee“ (darunter Ruscheweyh) am 30. September 1948; bereits am 18. Oktober 1948 folgte eine Zusammenkunft aller OLG-Präsidenten der drei Westzonen – „mit Ausnahme der bayerischen Herren“273. Hier kam es zu einer „Entschließung“274, die dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates übersandt wurde sowie auch dem Rechtspflegeausschuß als Eingabe vorlag275 und als eine der wenigen gewertet werden muß, die nennenswerten Einfluß auf das Ergebnis der Ausschußarbeit hatten276. Insgesamt aber blieben die Eingaben von Interessengruppen277 und eben auch der Richterschaft im Rechtspflegeausschuß weithin ohne großen Einfluß. Insbe272 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCVIII; zu seiner Biographie s. Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1272 Fn. 9 (er war auch Referendarausbilder des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Strauß gewesen, s. Utz, Preuße, S. 258). Die Sachverständigenbeteiligung entsprach dem Wunsch „führender Repräsentanten der Rechtsprechung“, Büttner/Wettengel, ebd., S. XCIX; krit. zur auch durch die Sachverständigen vertretenen richterlichen Sicht der „entpolitisierten“ Justiz Wrobel, Verurteilt, S. 298 ff. 273 So die Formulierung des Sachverständigen Wolff (s. FN 272) in der Fünften Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 10.11.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1303. Auch der Bamberger OLG-Präsident und Mitglied des Parlamentarischen Rates Dehler konnte nicht teilnehmen, weil der bayerische Justizminister der Auffassung war, „daß die Behandlung der mit dem Grundgesetz zusammenhängenden Fragen der Rechtspflege Angelegenheiten der Justizverwaltung und nicht der amtierenden Richter sei“, vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ebd., Fn. 84. Richter hatten auch später in Deutschland hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit wenig Kompetenz: Auf der Tagung der International Bar Association im März 1982 zur Formulierung von Mindeststandards richterlicher Unabhängigkeit fehlten Richter in der Vertretung der Bundesrepublik, vgl. (krit.) Wassermann/Wassermann, RuP 18 (1982), S. 78 (78 f.). 274 Text abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1297 Fn. 65. 275 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCIX f. Die Entschließung wurde behandelt unter TOP 1 der Sechsten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 16.11.1948; Prot. abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1332 ff. 276 Siehe Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCIII, XCVIII. 277 Siehe etwa die Entschließung der Dekane der westdeutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, abgdr. in MDR 1949, S. 252 f.

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sondere der Vorsitzende Zinn wandte sich teils vehement gegen deren Berücksichtigung278. Etwa lehnte er, durchaus mit Unterstützung des Ausschusses279, die Anhörung eines Vertreters der Richter und Staatsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen280 scharf ab mit den Worten: „Ich möchte nur wissen, wozu die gehört werden sollen“281. (. . .) „Ich frage mich nur, was die Herren sagen wollen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist keine Angelegenheit, mit der sich der Richterverein zu beschäftigen hat. Die Frage der Unabhängigkeit der Justiz wird wohl auch kein Anlaß sein, sie zu hören. Diese wird ja ohne Sachverständigenzuziehung 282 sogar in der Volksrats-Verfassung (Entwurf für die DDR-Verfassung, C. S.) anerkannt und wird – das werden die Herren wohl nicht bezweifeln – sicher auch hier nicht angetastet werden. Es kann sich also höchstens – wir wollen einmal ganz offen sprechen – um die Frage handeln – das ist wohl der Hintergrund –, ob ihre Beamtenrechte, die sie in der Nazizeit erworben haben, gefährdet sind oder nicht. In dem ganzen Abschnitt ,Rechtspflege‘ ist nur festgelegt, daß es keine Sondergerichtsbarkeit geben soll und daß die Richter unabhängig sind, weiter, daß die Richter283 auf Lebenszeit angestellt werden sollen und schließlich, daß die Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich sein sollen. Damit hört es dann aber auf.“284

Man kann also von einer gewissen „Hemdsärmeligkeit“ ausgehen, mit der auch der ansonsten immer wieder als Galionsfigur für eine größere Unabhängigkeit der Richter zitierte Zinn die Interessen der richterlichen Unabhängigkeit 278 Mit Ausnahme des Engagements von Ruscheweyh, ohne daß die Gründe hierfür geklärt werden könnten. 279 So lehnte auch der Abg. Greve in der Neunten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 17.12.1948, unter Hinweis auf einen Beschluß des Ausschusses, ausschließlich die beiden Präsidenten Ruscheweyh und Wolff (s. oben bei FN 272) zu hören, eine Anhörung weiterer Richter(verbände) ab, die der Abg. de Chapeaurouge anregen wollte; s. Prot. der Neunten Sitzung, abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1511. Ebenso der stellvertretende Vorsitzende des Rechtspflegeausschusses, Strauß, s. Prot. der Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948, abgedr. ebd., S. 1398. 280 Vgl. Schultz, MDR 1948, S. 391 (392 f.). 281 Dann korrigiert zu: „wozu die Vereinigung gehört werden soll“, vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1223, Fn. 24. 282 Später gestrichen: „ohne Sachverständigenzuziehung“, vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1223, Fn. 27. 283 Es folgte ursprünglich, dann aber gestrichen: „meinetwegen“, vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1223, Fn. 31. 284 Prot. der Vierten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 27.10.1948; abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1223; s. auch A. Arndt, FestG Wiesbadener Juristentagung, S. 28 (33), der Beteuerungen aus Richterkreisen zitiert, man sei in nationalsozialistische Organisationen eingetreten, um berufliche Interessen bis hin zur Sterbegeldversicherung wahren zu können.

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und der Richter insgesamt behandelt hat, selbst wenn er dem Engagement von Ruscheweyh positiv gegenüberstand, der es zur Stärkung der Dritten Gewalt für erforderlich hielt, daß „auch der Richter beim Entstehen des Grundgesetzes zu Gehör“ komme285. Jedenfalls findet sich hier alles andere als ein Beleg für eine unbeschränkte Unabhängigkeit der Richter. Dies belegen auch die Ausführungen in seinem Referat im Jahre 1950 auf dem 37. DJT, in dem er mehrfach auf das notwendige Mißtrauen hinweist, das gegenüber der Richterschaft angesichts ihrer Macht auch bestehen müsse286. Zutreffend ist allerdings, daß gerade auch Zinn die Richter aus dem Beamtentum herausgestellt sehen wollte, denn es sei „ja das Unglück, daß sie (sc. die Richter, C. S.) überall zu Beamten gemacht worden sind und die Beamtenmentalität angenommen haben“287. Dabei wird er aber – wie nicht zuletzt das zitierte Mißtrauen belegt – wohl mißverstanden, wenn man dies als Ausdruck der Forderung nach einer auch organisatorischen Verselbständigung der Gerichtsverwaltung oder einer noch weiteren Entkopplung von den anderen Gewalten bewertete. Zinn ging es vielmehr darum, die innere Einstellung, das Bewußtsein der Richter zu ändern, „die Mentalität, nur ein kleiner Justizbeamter zu sein“, und damit „seine innere Unabhängigkeit zu stärken“288. Denn man sah den Grund für das Versagen der Richter nach 1933 „in der systembedingten Subalternität des deutschen Richters, dessen Mangel an persönlichem, politischem und geistigem Format“289. Auch seine Betonung des Instruments der Richteranklage290 zeigt deutlich, daß es ihm um die innere demokratische Überzeugung ging und er mehr den Pflichtenkreis der Richter als deren (politische) Verantwortungsfreistellung betont wissen wollte. Trotz der prinzipiellen Zurückweisung insbesondere der Richter(verbände) nahmen noch nach der dritten Lesung im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates die Einflußversuche zu291, konnten aber nichts mehr bewirken292. Für die Interessen der Richter stritt dabei weniger der (richterliche) Abg. Dehler als 285 Zitiert nach Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XCIX, Fn. 551 (s. FN 270). 286 Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (50, 57 f., 61 ff.). 287 So Zinn in der Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948, abgedr. in Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1396; ebenso Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (57). 288 Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (58). 289 Vgl. Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (23), auch bei der Herausnahme der Richter aus der Beamtenschaft ging es vor allem um die „bewußtseinsprägende Wirkung“, ebd., S. 25 f. 290 Zinn, Vhdlg. d. 37. DJT, S. 46 (61 f.); ebenso ders., DÖV 1949, S. 278 (281); s. auch unten sein Zitat bei FN 367. 291 Siehe Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CX. 292 Vgl. Rüping, FS Rieß, S. 983 (992). Allerdings soll die – heute als so folgenreich angesehene – Einfügung des Art. 92 Hs. 1 GG infolge eines Antrags des Abg. Strauß auf eine über den Allgemeinen Redaktionsausschuß vermittelte Anregung von

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vielmehr der Abg. de Chapeaurouge293, der mehrfach, sogar noch nach Ende der Beratungen, eine Wiederaufnahme der Tätigkeit des Ausschusses hinsichtlich der Rechtsstellung der Richter zu initiieren versuchte („Es ist doch so, daß die Richter sich in einer besonders schwierigen Lage befinden“294), aber am Widerstand Zinns scheiterte295. Es blieb also bei der Traurigkeit der deutschen Richter296 aufgrund ihrer geringen Beteiligung. Insbesondere konnte von ihnen kein Schritt in Richtung einer Herauslösung der Gerichtsverwaltung aus der Exekutive herbeigeführt werden, was auch gar nicht als Ansinnen der Richterschaft an den Ausschuß dokumentiert wurde. Statt dessen muß vielmehr auf den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee verwiesen werden: Dessen Unterausschuß III hatte ausdrücklich einen (später auch nicht wieder aufgegriffenen) Antrag fallen gelassen, im HChE die Fassung des Art. 87 der Verfassung von Württemberg-Baden zu übernehmen, nach dem die „richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt“ werde. Denn, so die entscheidende Begründung, es sei „unbestritten (. . .), daß die Richter lediglich hinsichtlich der Ausübung der richterlichen Gewalt, nicht hinsichtlich ihrer sonstigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Justizverwaltung unabhängig sein sollen“297. Der Verfassungskonvent ging also bewußt davon aus, daß es eine Unabhängigkeit der Institution Gericht nicht geben werde. Auch die bereits zitierte Entschließung der OLG-Präsidenten der Westzonen298 zielte nicht in diese Richtung, sondern verlangte vor allem die Einrichtung von Richterwahlausschüssen unter Beteiligung von Vertretern der Richterschaft und der Rechtsanwälte, die Anstellung der Richter auf Lebenszeit sowie der Einrichtung eines einheitlichen Obersten Bundesgerichts. Letzteres Thema war ohnehin ein, wenn nicht das Streitthema des Rechtspflegeausschusses Richterorganisationen zurückgehen, so BK-Achterberg, Art. 92 (Zweitbearbeitung April 1981) Rn. 44; vgl. dazu auch FN 336. 293 Zur Biographie s. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XXVII. 294 So de Chapeaurouge in der Vierten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 27.10.1948; vgl. Stenographisches Prot., abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1222. 295 Vgl. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CII, Fn. 567. 296 So sagte der Abg. de Chapeaurouge in der Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948: „Die deutschen Richter sind sowieso schon sehr traurig, daß sie nicht gehört werden.“ Vgl. Stenographisches Prot., abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1398. 297 Bericht des Unterausschusses III des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee an das Plenum, abgdr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 2, S. 279 (334). 298 Siehe oben bei FN 274.

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schlechthin, das in einer Vielzahl von Diskussionen behandelt wurde299. Die Frage eines einheitlichen Obersten Bundesgerichts für alle Gerichtszweige wurde vor allem von den stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses, Strauß, immer wieder problematisiert, der schon vor der Ausschußarbeit in Form einer Denkschrift hierauf hingearbeitet hatte300. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß beim Rechtspflegeausschuß auch eine Denkschrift von Paulus van Husen301, zu dieser Zeit Oberrichter beim Obergericht des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, eingegangen war und in der Vierten Sitzung auch vom Vorsitzenden Zinn erwähnt wurde, allerdings ohne inhaltlichen Hinweis, da er sie nach eigenen Angaben noch nicht selbst gelesen hatte302. Der Inhalt der Denkschrift läßt sich allerdings nicht mehr rekonstruieren. Sie sollte in Umlauf gesetzt werden, wobei der Abg. de Chapeaurouge laut Kurzprotokoll darüber referieren sollte, was aber wohl ebensowenig geschah wie der Umlauf der Denkschrift303. Aber selbst wenn man davon ausgehen sollte, daß sie dieselben Forderungen nach einer Unabhängigkeit mindestens der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Exekutive enthielt wie van Husens Beitrag „Die Entfesselung der Dritten Gewalt“304, so haben diese jedenfalls keine Berücksichtigung in den Entscheidungen des Ausschusses oder des Parlamentarischen Rates insgesamt gefunden. Auch insoweit fehlt es an einer diesbezüglichen Meinungsbildung innerhalb des Rechtspflegeausschusses. Jedenfalls eine Abkehr von der Tradition der Rechtsprechungsverwaltung ist in keiner Weise angeklungen. b) Rechtsstellung und Wahl der Richter in der Diskussion des Parlamentarischen Rates Die Frage der Richterwahl war äußerst umstritten und wurde auf der Grundlage eines Vorschlags von Zinn, der sich insoweit stark an der bereits seit 1. Dezember 1946 in Kraft befindlichen Hessischen Verfassung orientierte, diskutiert. Er sah zur vorläufigen und endgültigen Anstellung aller Bundes- und Landesrichter305 jeweils die gemeinsame Entscheidung der obersten Justizbehörde 299 Siehe Strauß, SJZ 1949, S. 523 (528); auf der Basis der Straußschen Denkschrift (s. FN 300), vgl. Utz, Preuße, S. 249. 300 Strauß veröffentlichte die Denkschrift sodann 1949 in überarbeiteter Form unter dem Titel „Die oberste Bundesgerichtsbarkeit“. 301 Zu biograph. Eckdaten s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1217, Fn. 6; Frenzel, Selbstverständnis, S. 155 f., Fn. 550. 302 Vgl. Prot. der Vierten Sitzung vom 27.10.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1217. 303 Vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1217, Fn. 7. 304 van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 ff.

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und eines Richterwahlausschusses vor306. Dies verlangten auch die OLG-Präsidenten der Westzonen in ihrer Entschließung am 18. Oktober 1948307 und schon zuvor der richterliche Sachverständige des Rechtspflegeausschusses Ruscheweyh in einer Veröffentlichung308. Hiergegen formierte sich vor allem bayerischer Widerstand, der durch den bayerischen CSU-Landtagsabgeordneten Laforet309 in seiner kompromißlosen, bayerisch-zentrierten Art310 artikuliert wurde. Er erklärte die Frage der Richterwahl zur „Existenzfrage“ für Bayern und den Vorschlag Zinns als „Bruch der Justizhoheit“311. Unterstützung bekam er von Seiten des badischen Justizministers, Abg. Fecht312, und dem Abg. Becker, die beide die alleinige Verantwortlichkeit des Justizministers gegenüber dem Parlament für die Einstellung der Richter betonten. Diese würde bei einer Mitbestimmung durch einen Ausschuß verwischt, was undemokratisch sei313. Gleiches vertrat der Abg. Dehler im Hauptausschuß314, wo der Abg. Katz sodann den 305 Die Einheitlichkeit war für Zinn besonders wichtig, s. seine Äußerung in der Achten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 7.12.1948, Prot. abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1482. 306 Vgl. Vorschlag Zinn vom 3.11.1948, abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1265, 1268. 307 Siehe oben zu FN 274. 308 Ruscheweyh, in: Zentral-Justizamt für die Britische Zone (Hrsg.), Justiz und Verfassung, S. 11 ff. 309 Zur Biographie des Inhabers des Lehrstuhls für Verfassungs- und Verwaltungsrecht der Universität Würzburg s. Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. XXVII f. 310 Diese mangelnde Kompromißfähigkeit war wohl auch die Ursache seines allgemein geringen Einflusses im Ausschuß, vgl. die Kurzbeurteilung des britischen Verbindungsoffiziers Rolland Alfred Aimé Chaput de Saintonge, wiedergegeben bei Pommerin, VfZ 36 (1988), S. 557 (574): „ Laforet was the acknowledged spokesman of the extreme Federalists. He considered any question first in its relation to the rights of the individual Laender, by which term he only really understood ,Land Bavaria‘. (. . .) The lack of sense of proportion (. . .) and his inability to agree to any sort of compromise prevented him having any great influence in committee“. Gleichwohl zollte ihm Schmid, Erinnerungen, S. 407, durchaus Anerkennung, da er eine kluger Jurist und erfahrener Praktiker gewesen sei, der den Parlamentarischen Rat „vor mancher Simplifizierung“ bewahrt habe. 311 So seine Äußerungen in der Achten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 7.12.1948, Prot. abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1483 f. 312 Siehe die Äußerung des Abg. de Chapeaurouge in der Achten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 7.12.1948, Prot. abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1482. 313 Siehe Prot. der Achten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 7.12.1948, abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1483; die Auffassung von Fecht wird lediglich von de Chapeaurouge sinngemäß aus einer Unterredung wiedergegeben, ebd. S. 1482. 314 In der 24. Sitzung des Hauptausschusses vom 9.12.1948. s. Verhandlungen HptA, S. 287.

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Vorschlag der Umwandlung in eine Kann-Vorschrift für die Länder machte315, die in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dezember 1948316 letztlich als Art. 98 Abs. 4 GG Gesetz wurde. Die Rechtsstellung der Richter war im Rechtspflegeausschuß nur in begrenztem Maße Gegenstand der Debatte. Klar, wie bereits mehrfach betont, war die Heraushebung aus der allgemeinen Beamtenschaft. Sie wurde an verschiedenen Stellen angedeutet, ohne daß hierzu nähere Einzelheiten, was damit gemeint sein soll, deutlich geworden wären. Dabei wurde der Bereich der Rechtsstellung der Richter mit dem der Wahl verknüpft und auf die Wahlausschuß-Konzeptionen von Strauß in seiner Denkschrift317 und von Ruscheweyh in seiner bereits zitierten Veröffentlichung318 Bezug genommen319; einen selbständigen Inhalt erhielt der Rechtsstellungsbegriff insoweit also nicht. Die diesbezüglich ausführlichste Diskussion entstand zum Hauptthema „Oberstes Bundesgericht“, als es um die Ernennung seiner Richter ging. Der Vorsitzende Zinn machte deutlich, daß der Bundespräsident verpflichtet sei, die Gewählten, „Bundesrichter und Bundesbeamten“320 zu ernennen, worauf der Abg. Laforet sich zunächst wunderte, daß diese Differenzierung auf Verfassungsebene und nicht erst im Beamtenrecht selbst erfolgen soll, und es dann für „interessant“ sowie „von großer Tragweite“ hielt, daß „hier eine neue Kategorie von Beamten geschaffen“ werde321. Allerdings erfolgten auch hier keinerlei Ausführungen, worin sich diese besondere Rechtsstellung denn ausdrücken sollte. Es wurde lediglich die Möglichkeit einer anderen Besoldung als die der Beamten ausdrücklich erwähnt. Die Abg. Selbert meinte zudem, der Richter habe „ja auch sonst eine andere Stellung“, er sei „zum Beispiel unversetzbar“, woraufhin Laforet anmerkte, dies sei „wieder eine ganz andere Sache, reines 315 In der 24. Sitzung des Hauptausschusses vom 9.12.1948, s. Verhandlungen HptA, S. 292, was H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 16, als „Konstruktionsfehler“ des GG bewertet. 316 Siehe Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1495. 317 Siehe FN 300. 318 Siehe FN 308. 319 Vgl. Prot. der Fünften Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 10.11.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1275 f. 320 Diese Formulierung, heute sinngemäß Art. 60 Abs. 1 GG, war so noch nicht in den damaligen Entwürfen (Art. 82 des dem Ausschuß zu dieser Zeit vorliegenden Entwurfs) enthalten. 321 Zur weithin erfolglosen Verfassungsbeschwerde gegen die Abschaffung der hergebrachten beamtenähnlichen Richtertitel durch § 19a DRiG (BVerfGE 38, 1 ff.) s. die Äußerung des stellvertretenden Ausschußvorsitzenden Strauß in dieser Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1396: „Es heißt auch nicht mehr Amtsgerichts- oder Landgerichtsrat, sondern Richter an dem und dem Gericht“.

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Beamtenrecht, Versorgungsrecht“322. Es zeigt sich also, daß ein klares Verständnis von dem Inhalt der Rechtsstellung unter den Mitgliedern des Rechtspflegeausschusses keineswegs vorhanden war323, würde man doch aus heutiger Sicht die Unversetzbarkeit als eines der klassischen Merkmale der richterlichen Rechtsstellung ansehen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß Art. 98 Abs. 1 GG neben dem Gebot der Unversetzbarkeit in Art. 97 Abs. 2 GG steht. Insofern liegt es ebenfalls nahe, daß die Frage der Rechtsstellung der Bundesrichter ein aliud zur Inamovibilität darstellt, denn diese ist ohnehin schon mit Verfassungsrang verbürgt und bedarf keines besonderen Richtergesetzes. Den beschränkten inhaltlichen Vorstellungen der Mitglieder des Rates entspricht auch die Äußerung von Zinn bei der Dritten Lesung der Vorschrift im Hauptausschuß324, Art. 129a (heute Art. 98 Abs. 3 GG) sage „im Grunde weiter nichts, als daß die Rechtsstellung der Richter genau wie diejenige der Bundesrichter nicht mehr in den üblichen Beamtengesetzen geregelt werden soll, sondern in besonderen Richtergesetzen, um die besondere Stellung des Richters gegenüber den sonstigen Beamten hervorzuheben“. Es liegt gar die Auffassung nahe, daß die separaten Richtergesetze mehr eine symbolische als inhaltliche Bedeutung haben sollten, um dem Gesetzgeber wie auch gerade der Verwaltung das Besondere des Richters als Repräsentant einer eigenen, von ihnen getrennten Staatsgewalt zu verdeutlichen und stets im Bewußtsein zu halten und gleichzeitig auch das Selbstverständnis der Richter in dieser Hinsicht mitzuverändern325. c) Aus dem Westen nichts Neues zur richterlichen Unabhängigkeit Auch zur Frage der richterlichen Unabhängigkeit lassen sich keine klaren Schlußfolgerungen aus den Bonner Beratungen ziehen. Wenn überhaupt, so liegen erneut zurückhaltende Wertungen nahe. In der grundlegenden Diskussion im Rechtspflegeausschuß betonte der stellvertretende Vorsitzende Strauß, man solle an dem alten Begriff „Die Unabhängigkeit der Richter“, wie er in allen Verfassungen der Welt vorkomme, festhalten und „ihm wieder einen guten Sinn 322 Siehe Prot. der Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1397 (Hervorh. nicht im Original). 323 Es war auch später nicht einmal überall klar, daß die Richter keine „richterlichen Beamten“ mehr sein sollten, s. etwa BayVerfGHE 13, 182 (185 ff.). 324 Zinn in der 50. Sitzung am 10.2.1949, s. Verhandlungen HptA, S. 668; ähnlich ders., in: v. Mangoldt u. a., Schriftlicher Bericht, S. 50: „Nunmehr sollen ein besonderes Bundesgesetz bezw. besondere Landesgesetze die Rechtstellung der Richter regeln und damit, unter Heraushebung aus der übrigen Beamtenschaft, der Besonderheit des Richteramtes gerecht werden.“ 325 Es erscheint als eine Art „Zitiergebot“ an den Gesetzgeber, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 19 I Rn. 18.

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verleihen“. Man sollte keine neuen Worte verwenden, denn er habe „Scheu, Begriffe, die wirklich feststehen, zu verändern“. Hingegen vertraten die Abg. Löwenthal und Greve die Ansicht, daß es besser und deutlicher sei, wenn man statt „unabhängig“ formuliere „von keinen Weisungen abhängig“, denn kein Mensch könne allgemein unabhängig sein, sondern nur „von Weisungen unabhängig“. Greve widerrief sodann allerdings seinen eigen Formulierungsvorschlag, der beides enthalten hatte. Denn wenn man sage, „sind unabhängig und an Weisungen nicht gebunden“, dann bedeute „unabhängig“ etwas anderes als „an Weisungen nicht gebunden“. „Dann könnte etwa hineininterpretiert werden, was wir gar nicht meinen.“326 Insofern kann das restriktive Verständnis des Bundesverfassungsgerichts von der richterlichen Unabhängigkeit als „Weisungsfreiheit“ die Entstehungsgeschichte durchaus für sich in Anspruch nehmen. Im übrigen war die richterliche Unabhängigkeit nicht Gegenstand nennenswerter Diskussion, da ihre Verankerung (wohl) als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde327. In den Beratungen des Hauptausschusses waren vor allem sprachliche Aspekte in der Diskussion, die nicht über drei Wortmeldungen hinausging. Letztlich wurden sowohl die vom Rechtspflegeausschuß noch vorgeschlagene Aufzählung328 „Richter, Geschworene, Schöffen und andere Laienrichter“ auf „Richter“ beschränkt329 wie auch die bei der ersten Lesung eingefügte ausdrückliche Unterwerfung auch unter das Grundgesetz gestrichen330. Lediglich die Einfügung der Unterwerfung des Richters auch unter sein „Gewissen“ wurde auf Anregung des Abg. Walter noch einmal kurz im Hauptausschuß diskutiert331, aber nach Wortmeldungen von Zinn und Dehler einstimmig 326 Vgl. Prot. der Siebten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 6.12.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1417 f.; zur Ablehnung einer „Unabhängigkeit (. . .) Freiheit ,an sich‘“ auch A. Arndt, FestG Wiesbadener Juristentagung, S. 28 (31). 327 So auch Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (19 f.). 328 So der Stand nach der Achten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1488. 329 Dies geht auf einen Antrag von Zinn in der 50. Sitzung des Hauptausschusses 10.2.1949 (Dritte Lesung) zurück, der meinte, dies sei zur sprachlichen Einheit mit dem bloßen Begriff „Richter“ in Art. 92 Hs. 1 GG (im damaligen Entwurf Art. 128) sinnvoll, vgl. Verhandlungen HptA, S. 669. 330 Auf Antrag des Abg. Renner eingefügt in der 25. Sitzung des Hauptausschusses vom 9.12.1948, vgl. Verhandlungen HptA, S. 297; gestrichen wurde die besondere Erwähnung des Grundgesetzes auf eine Initiative des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16.12.1948, da mit „Gesetz“ jedes Gesetz im materiellen Sinne gemeint sei, „Grundgesetz, Gesetz, Rechtsverordnung und Gewohnheitsrecht“, vgl. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1496 (Anm. 1 zu Art. 132). Diese Fassung lag dann der Zweiten Lesung des Hauptausschusses in dessen 38. Sitzung am 13.1.1949 vor, ohne daß die Streichung im Hauptausschuß als solche thematisiert worden wäre, vgl. Verhandlungen HptA, S. 481.

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abgelehnt332. Im Ergebnis war man also wieder zur Fassung von Art. 102 WRV zurückgekehrt. Soweit die Forderung einer vergrößerten Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive aktuell auch an Art. 92 GG festgemacht wird, läßt sich dies ebenfalls nicht mit der Entstehungsgeschichte gerade dieser Vorschrift belegen. Sie entspricht im zweiten Halbsatz dem Wortlaut von Art. 103 WRV, der keinerlei Bedeutung für die richterliche Unabhängigkeit hatte, sondern vor allem die Justizhoheit der Länder gegen einfache Reichsgesetzgebung sichern sollte333. Dies war auch der Gedanke, der der Übernahme durch den HChE zugrunde lag334; für eine darüber hinausgehende Zielrichtung ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Der erste Halbsatz kam „überraschend“335 ins Grundgesetz, den der Abg. Strauß in der Dritten Lesung im Hauptausschuß – nach seinen Worten – als „eine kleine Ergänzung“ vorschlug336. Die Gerichte seien nur die Institutionen, durch die die Richter sprechen, ausgeübt werde die rechtsprechende Gewalt durch die Richter. Dies komme mit der neuen Formulierung „plastischer

331 Dies war bereits im HChE enthalten gewesen, aber von Zinn in seinem Formulierungsvorschlag vom 3.11.1948, der der weiteren Arbeit des Rechtspflegeausschusses zugrunde lag, gestrichen worden, weil andernfalls der „grundfalsche Anschein erweckt würde, als ob das Gewissen des Richters eine dem Gesetz gleich- oder übergeordnete Rechtsquelle wäre“, s. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1267; vehement ablehnend gegenüber dem Gewissen als Maßstab auch Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (534); anders jüngst – wohl aber ohne Bewußtsein für die Bedeutung der Frage – BVerfGE 107, 254 (275). 332 Vgl. Verhandlungen HptA, S. 481 (38. Sitzung vom 13.1.1949); s. a. die Ausführungen von Zinn, in: v. Mangoldt u. a., Schriftlicher Bericht, S. 48: „Damit wäre in dem Grundgesetz selbst das überaus schwierige Problem des Verhältnisses von positivem zu überpositivem bezw. gegebenenfalls von staatlichem zu ungeschriebenem vorstaatlichem Recht, das Problem von Recht und Gesetz in seiner Gesamtheit, aufgerollt worden, ohne daß darauf gleichzeitig eine befriedigende Antwort hätte gegeben werden können.“ Dies scheint aber für das BVerfG weniger problematisch, das jüngst die richterliche Entscheidung hinsichtlich Art. 97 GG lapidar als „unabhängig nach Gesetz und Gewissen“ ergehend charakterisierte, so BVerfGE 107, 257 ff. 333 Vgl. Anschütz, WRV, Art. 103 Anm. 2; auf diese Bedeutung des Art. 92 Hs. 2 GG weist auch heute Detterbeck, in: Sachs, GG, § 92 Rn. 1, 31, hin. 334 „An die Spitze des Abschnitts ist in Art. 111 (entspricht heute Art. 92 Hs. 2 GG, C. S.) das Prinzip gestellt, daß die Gerichtshoheit grundsätzlich den Ländern zusteht.“, so der Bericht des Unterausschusses III des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee an das Plenum, abgdr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 2, S. 279 (309, 330); dies wurde bestätigt im Bericht des Verfassungsausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen, abgdr. ebd., S. 504 (573). 335 So H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 17; s. hierzu auch FN 292. 336 Der Abg. Strauß (zu seiner Person ausführlich nun Utz, Preuße, passim) hatte über den Allgemeinen Redaktionsausschuß wesenlichen Einfluß auf die Formulierungen des Rechtsprechungsabschnitts, vgl. Utz, ebd., S. 259 f.

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heraus“ und mache wohl „auch einen wirksameren Eindruck“. Diskutiert wurde der Antrag nicht, sondern mit einer Gegenstimme angenommen337. Auch im Plenum des Parlamentarischen Rates kam es zu keiner Diskussion. Lediglich der Abg. Menzel sprach im Hinblick auf die Vorarbeiten und Entwürfe vor dem Hintergrund über die Gewaltenteilung die richterliche Unabhängigkeit an und plädierte zur Sicherung der Freiheit und des Rechts für eine Generalklausel zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs gegen „jeden Staatsverwaltungsakt“. Dies dürfe aber nicht erfolgen, ohne Garantien zu errichten, „daß diese richterliche Gewalt, über der keine andere Macht steht als das Gewissen des einzelnen Richters, nicht mißbraucht wird, wie wir es in der Zeit zwischen 1918 und 1933 (. . .) erleben mußten, mißbraucht wird zur Unterhöhlung des demokratischen Staats“; von der Zeit nachher wolle er gar nicht reden338. Über diesen eher restriktiven Hinweis hinaus, gab es keine Diskussion zum Thema der Unabhängigkeit. Die Rechtspflege insgesamt wurde ohnehin im Plenum kurz behandelt: Diskussionen kamen nur zum schon vorher umstrittenen Obersten Bundesgericht auf sowie zur vom Abg. de Chapeaurouge überraschend noch einmal thematisierten Abschaffung der Todesstrafe339. In der Dritten Lesung vermerkt das Protokoll zu „IX. Die Rechtsprechung“ lapidar die Äußerung des Präsidenten Adenauer: „Ich darf sie beide (gemeint war noch der VIII. Abschnitt, C. S.) für angenommen erklären.“340 d) Die Richteranklage als Symbol des Verfassungsgebers für die Verantwortlichkeit des Richters Mangels praktisch gewordener Anwendung341 spielt die (politische) Richteranklage gemäß Art. 98 Abs. 2, 5 GG nur eine symbolische Rolle342 mit Präventivwirkung343. Dies mag zum einen an den hohen verfahrensrechtlichen Anforderungen, insbesondere der bei den gesetzgebenden Körperschaften344 monopolisierten Antragsberechtigung liegen. Zum anderen aber dient dieses Verfahren 337 Vgl. Prot. der 50. Sitzung am 10.2.1949, s. Verhandlungen HptA, S. 665; der Abg. Dehler lenkte durch einen Antrag auf Streichung des Obersten Bundesgerichts in diesem Artikel die Aufmerksamkeit sogleich von dem Straußschen Antrag ab. 338 So Menzel in der Dritten Sitzung des Parlamentarischen Rates am 9.9.1948; vgl. Prot., abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 78. 339 Siehe Prot. der Neunten Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 6.5.1949, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 474 ff., 478 ff. 340 Siehe Prot. der Zehnten Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 8.5.1949, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 593. 341 AK-GG-Wassermann, Art. 98 Rn. 50; Lamprecht, DRiZ 1995, S. 333 (333). 342 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 39. 343 BK-Holtkotten, Art. 98 Anm. C.1.d)e). 344 Die Entsprechensklausel in Art. 98 Abs. 5 GG läßt wohl auch für das Landesrecht nur die Parlamente als antragsberechtigt zu, vgl. mit überzeugender Argumenta-

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nicht der Abwehr unvertretbarer, unhaltbarer oder in der Öffentlichkeit skandalisierter gerichtlicher Entscheidungen345 oder gar allgemeiner Rechts- oder Amtspflichtverletzungen, sondern reagiert ausschließlich auf Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und dient damit dem Schutz der objektiven Rechtsordnung346. Gleichwohl gerät die Richteranklage mit der Unabhängigkeitsgarantie – abstrakt betrachtet – in eine besondere Beziehung, da sie die einzige gesetzeskonforme Möglichkeit darstellt, seitens der Legislative unmittelbar auf die Stellung eines Richters einzuwirken. Gerade auch letzteres wird das Parlament nur in grundsätzlich bedeutsamen Ausnahmefälle zu einem entsprechenden Vorgehen veranlassen können347, zumal eine restriktive Auslegung und Handhabung der Richteranklage auch deshalb geboten ist, weil sie als Instrument politischer Disziplinierung gerade die Entwicklung jenes „freiheitlich-demokratischen Bewußtseins unter den Richtern verhindern würde, die das Ziel ihrer Hineinnahme in das GG war“348. Letztlich bestand wohl mit Ausnahme des Falles Orlet349 auch noch kein Anlaß für die Einleitung eines solchen Verfahrens350, der, wenn er tion Burmeister, DRiZ 1998, S. 518 (522 ff.); im Ergebnis ebenso Benda/Klein, VerfProzR, Rn. 1166; a. A. Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 98 (1977) Rn. 29. 345 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 37. 346 H. H. Klein, JZ 1963, S. 591 (591). Hier wird man (entgegen Schulze-Fielitz, in: Dreier [Hrsg.], GG III, Art. 98 Rn. 37 m. w. Nw. für diese Auffassung; Detterbeck, in: Sachs, GG, § 98 Rn. 14; Herzog, in: Maunz/Dürig [Begr.], GG, Art. 98 [1977] Rn. 26) nicht zwingend eine aggressiv-kämpferische Haltung verlangen können, denn dann wären zum einen die abgestuften Sanktionen (Versetzung in anderes Amt oder Ruhestand, Entlassung) kaum mehr verständlich (so im Ergebnis auch Lamprecht, DRiZ 1995, S. 333 [334 in Anknüpfung an Benda]). Denn ein aggressives Vorgehen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung schließt das Verbleiben in einem auch nicht-richterlichen Amt aus (so tendenziell auch Wrobel, DRiZ 1995, S. 199 [203]). S. a. Mahrenholz, ZRP 1997, S. 129 (133). 347 Benda/Klein, VerfProzR, Rn. 1158, die dem Verfahren der Richteranklage eher subsidiären Charakter beimessen gegenüber Disziplinarmaßnahmen oder dem Instanzenzug (Rn. 1157). Letzteres verkennt natürlich, daß es bei der Richteranklage nicht darum geht, eine ergangene Entscheidung aufzuheben oder zu korrigieren. 348 AK-GG-Wassermann, Art. 98 Rn. 41. 349 Einem Richter am LG Mannheim, der einer wegen Kritik an einer Entscheidung seiner Kammer (NJW 1994, S. 2494 ff. [sog. Deckert-Urteil]: Verurteilung wegen Volksverhetzung wegen Leugnung von NS-Verbrechen) drohenden Anklage zuvorkam, indem er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand ging, vgl. Benda/ Klein, VerfProzR, Rn. 1157, Fn. 1; ausführlich Lansnicker, Richteramt, S. 271 ff.; Falk, in: Gouron u. a. (Hrsg.), Error iudicis, S. 103 (108 ff.); dazu auch Limbach, NJ 1995, S. 281 (281 f.); Reissenberger, DRiZ 1995, S. 74; Marqua, DRiZ 1995, S. 70; Wassermann, NJW 1995, S. 303 f.; Lamprecht, DRiZ 1995, S. 333 ff.; Wrobel, DRiZ 1995, S. 199 ff. Wenige weitere Anlässe beschreiben Schultz, MDR 1972, S. 112, sowie Wassermann, NJW 1995, S. 303 (303). 350 Entsprechend marginal (Burmeister, DRiZ 1998, S. 518 [519]) ist auch die literarische Behandlung, die an der schon 1975 von Benda/Klein, DRiZ 1975, S. 166 (170), festgestellten Unklarheit letztlich nichts geändert hat.

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bestünde, niemals Zeichen eines Einzelfalles sein könnte, sondern als Symptom einer fundamentalen Krise gewertet werden müßte351. Die Existenz der Richteranklage macht jedoch zwei wesentliche Bezugspunkte für das Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit deutlich: Sie manifestiert zum einen die politisch-rechtliche Verantwortlichkeit der Richter352 und stellte damit klar, daß die Richterschaft weder unpolitisch noch gegenüber der demokratischen Verfassung neutral sein darf353. Zum anderen erteilt sie eine Absage an die Vorstellung, der Richter sei nur sich selbst oder innerhalb der Judikative der Richterschaft als Korporation verantwortlich354. An diesem grundsätzlichen Befund ändern weder die Beschränkung auf die elementaren Verstöße gegen die Grundsätze des Grundgesetzes355 noch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, insbesondere die Zweidrittelmehrheit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (§ 14 Abs. 2 BVerfGG, Art. 98 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 GG356) etwas, die die Aktualisierung dieser Verantwortlichkeit zum seltenen und bisher ausgeschlossenen Ausnahmefall machen. Hierdurch wird zunächst die praktische Möglichkeit der anderen Gewalten bestätigt, die Verantwortlichkeit des Richters geltend zu machen und deren Aktualisierung durch verfahrensrechtliche Sicherungen wirksam und unabhängigkeitsschonend zu begrenzen357. Dies diskreditiert die bei Einführung der Richteranklage358 bestehende weit überhöhte Empfindlichkeit359 der Richterschaft 351 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 39; in diese Richtung auch Benda/Klein, VerfProzR, Rn. 1159. 352 AK-GG-Wassermann, Art. 98 Rn. 37; Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 (585), verneint den politischen Charakter der Kontrolle, da ein Verfassungs- und damit ein Rechtsverstoß vorausgesetzt werde und die (gerichtliche) Zuständigkeit des BVerfG begründet sei. BK-Holtkotten, Art. 98 Anm. C.1.c), betont hingegen den Zweck der Richteranklage, gerade die politische Verantwortlichkeit des Richters geltend zu machen. 353 Lamprecht, DRiZ 1995, S. 333 (333). 354 AK-GG-Wassermann, Art. 98 Rn. 37, unter Bezugnahme auf Jahrreiß, Verh. d. 37. DJT, S. 26 (40). 355 Zu deren Begriff Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 37; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 98 (1977) Rn. 23 f.; AK-GG-Wassermann, Art. 98 Rn. 38 f. 356 Eine einzigartige verfahrensrechtliche Sicherung: Neben der Monopolisierung des Verfahrens auch für Landesrichter (Art. 98 Abs. 5 S. 3 GG) beim Bundesverfassungsgericht, von der der „eigentliche Schutz vor übertriebener Auslegung und Anwendung der Ermächtigungsbestimmungen ausgeht“ (Herzog, in: Maunz/Dürig [Begr.], GG, Art. 98 [1977] Rn. 27; ebenso Türpe, Staatsorganschaft, S. 106, der in der Zuständigkeit des BVerfG die Garantie für die richterliche Unabhängigkeit sieht), erfordert sie für eine dem Richter nachteilige Entscheidung im Verfahren nach Art. 98 Abs. 2 GG von Verfassungs wegen eine Zweidrittelmehrheit. 357 Siehe schon im Parlamentarischen Rat den [nichtjuristischen] Abg. Brockmann in der 38. Sitzung des Hauptausschusses (Verhandlungen HptA, S. 477). 358 Die Richteranklage war eines, wenn nicht das „Feindbild“ der von vielfacher Seite unterstützen Richterschaft, s. etwa die Stellungnahme der Dekane der westdeut-

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und von Teilen der Literatur360 ebenso wie heutige Pauschalurteile, die in jeder Form der Geltendmachung richterlicher Verantwortung die Beseitigung der richterlichen Unabhängigkeit zu erkennen glauben oder schon den „bösen Schein“ als verfassungswidrig ansehen361. Denn dies verabsolutiert die eigene richterliche Freiheit und mißachtet deren Bindungen362. Denn selbst dann, wenn der Anlaß der Anklageerhebung in einem gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßenden Urteil bestehen sollte, ist die Richteranklage kein Rechtsmittel, das zu dessen Aufhebung führt. Das Verfahren nach Art. 98 Abs. 2 GG ist Ausdruck des gerade auch im Rechtsstaat zu wahrenden Grundsatzes der Verfassungsmäßigkeit der Justiz363, d.h. des Handelns ihrer persönlichen Träger. Ein Richter aber, der die Grundsätze des Grundgesetzes nicht (mehr) achtet, entledigt sich seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist damit nicht mehr Richter im Sinne des Art. 92, 97 GG. Denn zur Befreiung von der Gesetzesbindung ermächtigt auch die richterliche Unabhängigkeit nicht364. schen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten vom 14.3.1949, abgdr. in MDR 1949, S. 252 f.; Eb. Schmidt, in: Zentral-Justizamt für die Britische Zone (Hrsg.), Justiz und Verfassung, S. 55 ff.; Ruscheweyh, MDR 1949, S. 258 ff.; Erdsiek, MDR 1948, S. 398 ff.; weitere Nachweise bei Burmeister, DRiZ 1998, S. 518 (518 f.). Eine weitere Fassung des Parlamentarischen Rat scheiterte an einem Memorandum der Militärgouverneure, vgl. Doemming u. a., JöR 1 n. F. (1951), S. 718, Fn. 22; s. hierzu Wrobel, Verurteilt, S. 336 ff.; s. a. Kern, Geschichte, S. 296, 301 f. 359 Wobei Empfindlichkeit im Sinne von erhöhter Sensibilität ein Markenzeichen deutschen Umgangs mit der richterlichen Unabhängigkeit zu sein scheint. Die Reaktion des Hessischen Justizministers auf das Frankfurter „Behindertenurteil“ (AG Frankfurt, NJW 1980, S. 1169), in englicher Übersetzung auszugsweise wiedergegeben bei Schlosser/Habscheid, in: Shetreet/Dechênes (Ed.), Judicial Independence, S. 78 (78), wurde vom Hessischen Dienstgericht als Verstoß gegen richterliche Unabhängigkeit gewertet (HessDG beim LG Frankfurt, NJW 1981, S. 930 ff.); dazu Schlosser/ Habscheid, in: Shetreet/Dechênes (Ed.), Judicial Independence, S. 78 (78 f.): „The judgement reflects the extreme sensitivity of the legal profession and of the judicial office itself toward anything that even slightly touches the independence of the third power.“ 360 Bis hin zu der Behauptung, mit der Richteranklage sei die richterliche Unabhängigkeit beseitigt, so Dahs, NJW 1949, S. 688 (692); s. dazu auch Kleinrahm, DRZ 1949, S. 496. 361 Die hier vertretene unabhängigkeitskritische Sicht und Befürwortung der Richteranklage darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade der Fall Orlet international kritisch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit aufgenommen wurde, s. Kommers, in: Russel/O’Brien (Ed.), Judicial Independence, S. 131 (133); Russel, in: ders./ O’Brien (Ed.), Judicial Independence, S. 1 (15). 362 Die Reaktionen aus Anlaß des Falles Orlet haben sich kaum in literarischen Äußerungen niedergeschlagen (Ansätze hierzu nur bei Limbach, NJ 1995, S. 281 [281.f], sowie allgemein bei Burmeister, DRiZ 1998, S. 518 [518 ff.], und G. Bertram, MHR 3/95, S. 9 f., explizit gegen Wrobel, DRiZ 1995, S. 199 ff.) und können daher nicht nachgewiesen werden. Lamprecht, DRiZ 1995, S. 333 ff., registrierte aber einen „Aufschrei“ aus der Justiz mit einem Unisono-Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit und kritisiert den „Automatismus dieser Reaktion“; s. a. Sangmeister, ZRP 1995, S. 297 (300, Fn. 48). 363 Benda/Klein, DRiZ 1975, S. 166 (170).

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Im Parlamentarischen Rat wurde heftig um die Richteranklage und ein mögliches Verschuldenserfordernis gestritten365. Auch hier wurde bereits das Argument des potentiellen Drucks auf den einzelnen Richter erwähnt, den die bloße Existenz der Richteranklage auslösen könne366. Wie auch der Parlamentarische Rat letztlich zu einer anderen Entscheidung kam, so überzeugend sind die Gegenargumente, die eine Richteranklage trotz potentieller Friktionen mit der richterlichen Unabhängigkeit als erforderlich erscheinen lassen. „Durch die Verfassung wird die Unabhängigkeit des Richters in sachlicher Hinsicht garantiert, durch die Gerichtesverfassungsgesetze wird die persönliche Unabhängigkeit garantiert. Mit der sachlichen Unabhängigkeit erlangt der Richter eine Macht, wie sie sonst keinem Organ des Staates, selbst nicht dem höchsten Repräsentanten dieses Staates, dem Bundespräsidenten, verliehen ist. Wer eine solche Macht in Händen hat, muß es sich gefallen lassen, daß er unter Umständen wegen Mißbrauchs dieser Macht zur Verantwortung gezogen wird. Der wahre Richter, der eine Richterpersönlichkeit ist, wird nicht so schwächlich sein, der Entscheidung eines höchsten Gerichtshofs, wenn er zur Verantwortung gezogen wird, auszuweichen. Auf die schwächlichen Charaktere brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen“367.

„Im Ergebnis bestärkt so das Institut die richterliche Unabhängigkeit mehr, als es sie angreift“368. e) Ergebnis: Keine historischen Belege für eine weitreichende Reform der Rechtsprechungsorganisation durch das Grundgesetz Insgesamt ist die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes im Hinblick auf die Organisation der Rechtsprechung für die heute aktuelle Diskussion wenig ertragreich und stützt Reformbestrebungen hinsichtlich einer größeren Unabhängigkeit der Rechtsprechung von der Verwaltung nicht. Es läßt sich als Ergebnis festhalten: 1. Die Frage einer Herauslösung der Gerichtsverwaltung aus der Exekutive war nicht Thema des Parlamentarischen Rates, schon gar nicht die Frage der Dienstaufsicht über Richter. 364 Im Zusammenhang mit der Richteranklage und dem Fall Orlet weist daraufhin auch Marqua, DRiZ 1995, S. 70; s. aber Eb. Schmidt, Die Sache der Justiz, S. 9. 365 Siehe Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CXI f.; beispielhaft für die Debatte im Hauptausschuß s. Verhandlungen HptA, S. 475 ff. 366 So der Abg. Dehler in der 38. Sitzung des Hauptausschusses, Verhandlungen HptA, S. 476 f. 367 So Abg. Zinn in der 38. Sitzung des Hauptausschusses, Verhandlungen HptA, S. 479. 368 So zutreffend W. Weber, FS Niedermeyer, S. 261 (264), wenn auch mit anderer Begründung.

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2. Die Möglichkeit der alleinigen Entscheidung der Exekutive über die Anstellung der Richter in den Ländern wird nicht nur durch den Wortlaut des Art. 98 Abs. 4 GG belegt, sondern ist die bewußte Entscheidung des Parlamentarischen Rates gegen einen Pflichtwahlausschuß in den Ländern. 3. Die Rechtsstellung der Richter sollte nach dem Willen des Parlamentarischen Rates in einem eigenen Gesetz geregelt werden. Inwieweit und ob überhaupt ein inhaltlicher Unterschied zu den Beamten gesetzlich festgelegt werden sollte, läßt sich nicht nachvollziehen. Denn es fehlen jegliche Hinweise darauf, worin diese Sonderstellung bestehen und auf welche Weise sie zum Ausdruck kommen soll. 4. Gerade der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit hat keinerlei neues, weitergehendes Verständnis im Parlamentarischen Rat gewonnen. Sofern, insbesondere im Bericht des Vorsitzenden des Rechtspflegeausschusses, Zinn, an den Hauptausschuß369, Anklänge an eine generelle Hervorhebung der Rechtsprechung gegenüber den beiden anderen Gewalten zum Ausdruck kommt370, bleibt dies abstrakt und findet keine Unterstützung in einzelnen Erwägungen des Parlamentarischen Rates oder seiner Ausschüsse, die gesicherte konkretisierende Folgerungen für die Gerichtsorganisation und -verwaltung zuließen. Daher ist der lapidaren Feststellung des Bundesverfassungsgerichts aus Sicht der Grundgesetzentstehung durchaus zuzustimmen, daß es keinen Verfassungsauftrag zur Änderung der überkommenen Gerichtsorganisation gibt371. Dieses historische Ergebnis bleibt festzuhalten, auch wenn es ein deutliches Maß an Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit offenbart: Denn wenn es richtig ist, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates „die Prägung der Richter durch ihre Eingliederung in hierarchische Behördenapparate“ als „Hindernis zur Entwicklung eines neuen, demokratischen Richtertums“372 erkannt und den Grund für das Versagen der Richter nach 1933 „in der systembedingten Subalternität des deutschen Richters, dessen Mangel an persönlichem, politischem und geistigem Format“373 gesehen und „eine Veränderung der rechtlichen und sozialen Situation der Richter verlangt“374 hatten, dann hätte doch nichts näher gelegen, als einen eindeutigen Schlußstrich unter die exekutive Rechtsprechungsverwaltung zu ziehen – und dies dann auch entsprechend im Text des 369

Zu dessen beschränkter Aussagekraft s. FN 258. Vgl. Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (21), der betont, Zinn habe oft – literarisch wie im persönlichen Gespräch – auf diese Dimension des verfassungspolitischen Justizprogramms hingewiesen. 371 BVerfGE 55, 372 (388). 372 Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (26) – Hervorh. nicht im Original. 373 Vgl. Wassermann, oben FN 289. 374 Häuser, BJ 2001, S. 92 (93). 370

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Grundgesetzes deutlich auszusprechen. So wäre doch der „kleine Justizbeamte“ am leichtesten zu beseitigen gewesen. Aber nichts dergleichen geschah375; und über die Gründe für das vollständige Fehlen einer diesbezüglichen Diskussion läßt sich denn nur spekulieren. Statt dessen diskutierte man stundenlang über die Themen Oberstes Bundesgericht376 und Richteranklage377, von denen ersteres niemals eingerichtet und letztere zwar institutionalisiert, aber niemals angewandt wurde. Die Prioritätensetzung des Rechtspflegeausschusses ging also an den nachfolgenden Bedürfnissen der Bundesrepublik vorbei. Jedenfalls können die entsprechenden Vertreter dieses neuen „verfassungspolitischen Justizprogramms“378 einem Vorwurf nicht entgehen: Genau ihre verbale Überhöhung der zukünftigen Richter wie der Rechtsprechung, dieser „nebelspendende Wortzauber“379 ist es, der heute noch entsprechend weitgehende Interpretationen und Forderungen aus den Reihen der Richterschaft auslöst und diese dann im harten Alltag der Rechtsdogmatik im Regen stehen läßt, weil er den – letztlich durchaus überzeugenden – verfassungspolitischen Argumenten die verfassungsrechtliche Grundlage vorenthalten hat. Im übrigen kann sich die in kritischen Richteräußerungen heutiger Zeit – als Fortführung einer Diskussion schon zur Entstehungszeit des Grundgesetzes380 – mitschwingende Tendenz zur verabsolutierenden Gegenüberstellung von dem allein dem Recht verpflichteten, insofern „guten“ Richter einerseits und der – welchen Prinzipien auch immer nachstrebenden, jedenfalls aber dem Recht gegenüber minderwertigen – „schlechten“ Politik der Exekutive andererseits381 nicht auf den Parlamentarischen Rat berufen382. Dies verbietet sich schon in normativer Hinsicht, weil die Bindung von Rechtsprechung und Verwaltung in Art. 20 Abs. 3 GG dieselbe, nämlich „Recht und Gesetz“ ist und man eine a priori geringere Orientierung am Gesetz durch die Verwaltung nicht annehmen 375 Laut Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (39), fand das Justizbild der Verfassungsschöpfer durchaus seinen Ausdruck im GG, „wenn auch gebrochen und in Bruchstücken“. Es erscheint doch sehr fraglich, wo denn diese „Bruckstücke“ zu finden sein sollen (der inhaltsleere Auftrag aus Art. 98 Abs. 1, 3 GG? Art. 92 Hs. 1 GG, der im Rechtspflegeausschuß noch gar nicht existierte?). Was hielt den Parlamentarischen Rat von einem diesbezüglichen „Mehr“ ab?! 376 Siehe oben bei FN 299. 377 Die sogar explizit die Besatzungsmächte auf den Plan rief, vgl. oben Fn. 358. 378 Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (21). 379 Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (108). 380 Siehe Jahrreiß, in: ders., Mensch und Staat, S. 113 (118). 381 Tendenziell in diese Richtung Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (487), der der Exekutive – dies negativ wertend – „sehr viel mehr“ strategisches Denken unterstellt als Richtern. Eine „Macht“ der Richter auch verneinend Leisner, Letztes Wort, S. 135 ff., insb. 153 ff. S. a. Schulze-Fielitz, JZ 2002, S. 144 (146); Landau/Köbler, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 125 (125). 382 Jahrreiß, in: ders., Mensch und Staat, S. 113 (118), lokalisiert diese Diskussion denn auch „außerhalb von Bonn“.

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kann383, selbst wenn man der Exekutive im Gegensatz zu den Richtern grundsätzlich „strategisches Denken“ unterstellen darf384. Sie wird auch durch die Entscheidung in Art. 95 Abs. 2 GG widerlegt, das „politische Element bei der Auswahl des Richterpersonals“ anzuerkennen und die „Richterwahlen den Eigengesetzlichkeiten politischer Entscheidungsfindung anzuvertrauen“385. Die Antithese von „gutem Recht“ und „böser Politik“386 entsprach zudem nicht dem Meinungsbild der Grundgesetz-Verfasser387. So sah der ursprüngliche Formulierungsvorschlag von Zinn388 ein Verbot der Mitgliedschaft aller Richter in politischen Parteien und auch einer Betätigung für diese vor, das aber bei der Diskussion über die richterliche Unabhängigkeit in der Siebten Sitzung des Rechtspflegeausschusses schon nicht mehr zur Debatte stand389. Schon in der Fünften Sitzung des Ausschusses hatte die Abg. Selbert gerade das Gegeneinander von Politik und Recht, wie es auch bei dem Sachverständigen des Ausschusses Wolff, angeklungen war, zurückgewiesen: „Vergessen Sie doch nicht, daß in der Vergangenheit die starke Diskrepanz zwischen dem politischen Leben und der Rechtspflege auch dadurch entstanden ist, daß die Vertreter der Justiz in etwa das Politische immer in Parenthese setzen. Ich glaube auch, daß – gerade aus dem Gedanken des rechtsstaatlichen Wesens der Demokratie heraus – (. . .) die Justiz endlich aufhören sollte, das politische Leben als etwas Inferiores anzusehen, aus dem man sich herauslassen sollte. Ein Staatsleben ist ohne politisches Leben gar nicht zu denken, und die Träger der Staatsidee sind heute mehr denn je die politischen Parteien. Die Richter sollten Träger dieser Staatsidee sein. Sie sollen nicht über den Wolken schweben, sondern sie sollen im politischen Leben unserer Zeit stehen.“390

383 Auch die Akzeptanzkrise treffe Politik und Juristen gleichermaßen, so Maier, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Dritte Gewalt, S. 9 (15). 384 Schulte-Kellinghaus, NJW 2004, S. 477 (478). 385 So zutreffend Schulze-Fielitz, JZ 2002, S. 144 (145). 386 Vgl. Jahrreiß, in: ders., Mensch und Staat, S. 113 (118): „Politik ist nun einmal das Böse!“ (Hervorh. im Original). 387 Anders aber Ogorek, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Der Richter, S. 21 (25), die meint, „Recht versus Politik“ sei die „Devise“ des Parlamentarischen Rates gewesen. Ihr in Bezug genommenes Zitat des Abg. Süsterhenn (vgl. Prot. der Zweiten Sitzung des Plenums, abgdr. in Deutscher Bundestag/Bundesarchiv [Hrsg.], ParlR, Bd. 9, S. 18 [67]), belegt ihre pauschale Wertung jedoch nicht, weil er sich speziell auf die materielle Normprüfungskompetenz des BVerfG, nicht aber auf die gesamte Rechtsprechung bezog. Für einen „Primat der dritten Gewalt“ aber (wohl) der Abg. Strauß, vgl. Utz, Preuße, S. 257. 388 Vgl. FN 306. 389 Vgl. die insoweit ausdrücklich zustimmende Äußerung des Abg. de Chapeaurouge in dieser Sitzung, vgl. Prot., abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1416; daher zutreffend das Fazit von H.-E. Böttcher, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Vor Art. 92 ff. Rn. 18, „daß die Vorstellung vom politisch in jeglicher Hinsicht enthaltsamen Richter keine Aufnahme im Sinne restriktiver Vorschriften in das GG gefunden hat“.

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

Diese Äußerung läßt sich nicht verallgemeinern im Sinne einer repräsentativen Auffassung des Parlamentarischen Rates. Sie macht aber auch und gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Richterwahl und die Richteranklage als politischem Instrument und dem, was letztlich Grundgesetz geworden ist, deutlich, daß der Parlamentarische Rat keinesfalls die Richter als die besseren Verteidiger des Rechts angesehen hat. Hiergegen sprach schon allein die Tatsache, daß vornehmlich auch Politiker im Parlamentarischen Rat saßen, aber keine Richter. Vor allem aber war das Mißtrauen gegenüber den Richtern angesichts deren Verstrickung in die nationalsozialistische Diktatur, die soeben erst beendet war, viel zu groß und präsent391. Selbst im Hauptausschuß392 kam es noch zu einer politischen Grundsatzdebatte über die Richterschaft393, an der sich Vertreter aller Fraktionen beteiligten und in der „im Eifer des Gefechts“ von der Abgeordneten Selbert sogar der „politische Richter“ gefordert wurde394. Die „alte Kampfstellung“ Recht gegen Politik galt 1949 „fast unwidersprochen“395 womöglich in Richterkreisen, unterstützt auch durch die Wissenschaft396, aber nicht im Parlamentarischen Rat397; und auch heute läßt sich ein (pauschaler) „Sympathie- und Prestigevorsprung der Gerichte vor den Parla390 Fünfte Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 10.11.1948, s. Prot., abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1327. Die Stellungnahmen Selberts im Hinblick auf eine demokratische Verankerung der Rechtsprechung hervorhebend auch Wrobel, Verurteilt, S. 301 ff. 391 Beispielhaft die Äußerung des Abg. Greve: „Und das Mißtrauen, das wir als Politiker gegenüber einem großen Teil der Richter haben, trifft sich mit dem Mißtrauen, das die Richter uns gegenüber haben. Nur glaube ich, unser Mißtrauen ist berechtigter als das Mißtrauen, das die Richter uns gegenüber haben.“ S. Prot. der Fünften Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege vom 10.11.1948, abgdr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, S. 1329. Vgl. auch etwa die richterkritischen Ausführungen des Abg. Schmid in der Zweiten Sitzung des Plenums, Prot. abgdr. in Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 9, S. 18 (37), und Menzel in der Dritten Sitzung, Prot. abgdr. ebd, S. 70 (78 ff.). Hierzu zsfssd. Jahrreiß, in: ders., Mensch und Staat, S. 113 (118). Zur Kritik an der Richterschaft unmittelbar nach Ende des 2. Weltkrieges s. Wrobel, Verurteilt, S. 253 ff.; s. a. den Nw. in FN 286. Vgl. auch jüngst RhPfVerfGH, NVwZ-RR, S. 233 (234). 392 24. Sitzung vom 9.12.1948, Verhandlungen HptA, S. 287 ff. 393 So Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CX. 394 So der Bericht der Außenstelle Bad Godesberg, zit. nach Büttner/Wettengel, Einleitung, in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/I, S. CX, Fn. 631; zur entsprechenden Position Zinns s. auch Frenzel, Selbstverständnis, S. 116 ff. 395 So generell Maier, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Dritte Gewalt, S. 9 (14 f.). 396 Siehe etwa Eb. Schmidt, JZ 1953 S. 321 (324 ff.); gegen ihn zutreffend Kaufmann, FS Peters, S. 295 (297 ff.). 397 Zutreffend aber die Wertung von Ogorek, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Der Richter, S. 21 (27), die in den enormen Kompetenzen des BVerfG „eine Art Mißtrauensvotum“ der Volkssouveränität gegen sich selbst erkennt.

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menten, der Richter vor den Politikern in der Öffentlichkeit“ höchstens noch angesichts des extremen Ausmaßes aktueller Politik(er)verdrossenheit annehmen398.

II. Die richterliche Unabhängigkeit als entscheidender Topos Wie sich gezeigt hat, taugt das allgemeine Prinzip der Gewaltenteilung nicht zur Rechtfertigung verstärkter judikativer Unabhängigkeit. Gewaltenteilung meint auch Kontrolle und kann daher nicht gegen solche Strukturen argumentativ in Stellung gebracht werden, die eben diese Kontrolle sicherstellen. Kontrollfreiheit ist das Gegenteil von Gewaltenteilung. Daher kann zugunsten der Unabhängigkeit von Richtern und Gerichten nur eine lex specialis zur Gewaltenteilung streiten, nämlich die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 GG in Verbindung mit dem Rechtsprechungsmonopol des Art. 92 Hs. 1 GG. Sie, aber auch nur sie, kann die Rechtfertigung dafür liefern, warum die in der lex generalis enthaltene Hemmungs- und Kontrollfunktion gegenüber Richtern und Gerichten eine nur beschränkte Wirkung zeitigen oder gar suspendiert werden darf. 1. Richterliche Unabhängigkeit zwischen normativer und faktischer Bedeutung Die richterliche Unabhängigkeit existiert in einem Spannungsfeld zwischen der abstrakten Bedeutung für den Rechtsstaat und praktischer Anwendung im richterlichen Alltag399. Sie ist einerseits die Grundbedingung jeglicher rechtsstaatlichen Ordnung, die nur mit ihr in der Lage ist, die Freiheit des einzelnen zu sichern. In den über 50 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland ist diese Rolle der Unabhängigkeitsgarantie jedoch zu keiner Zeit wirklich 398 Vgl. Maier, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Dritte Gewalt, S. 9 (15), allerdings ohne den Hinweis auf das Phänomen der Politikverdrossenheit. Zum alarmierend gesunkenen Vertrauen der Bevölkerung in Richter und Staatsanwälte vgl. Boehncke, BJ 2003, S. 118 ff. S. a. schon Flotho, DRiZ 1988, S. 167 (167). Jedoch kommt wohl die Justiz in den Medien besser weg als die Politik, vgl. Arenhövel, ZRP 2004, S. 61 f. Vgl. aber die positiven Ergebnisse einer „Kunden“-Befragung an Gerichten in Nordrhein-Westfalen, s. im Überblick Schubmann-Wagner, ZRP 2003, S. 408 ff. Zu Gründen für die größere Sympathie des Volkes für die Gerichte im Vergleich zur Politik s. a. Ogorek, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Der Richter, S. 21 (37 f.). Die jüngsten Entgleisungen der BILD-Zeitung gegenüber dem BGH (vgl. Bommarius, DRiZ 2004, S. 108) dürften hier eine radikale Ausnahme darstellen. S. aber Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (41), und schon oben § 1 II. 3. 399 Entsprechend formuliert Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (19), über die Stellung des Richter müsse die Entwicklung der Rechtsprechung seit 1945 nachgezeichnet werden, da andernfalls die „Diskrepanz zwischen Sollen und Sein nicht beachtet“ werde.

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

in Frage gestellt oder angegriffen worden. Einzelne herausragende Fälle vermögen dieses Gesamturteil nicht zu widerlegen. Übergriffe der kontrollierten Kontrolleure auf die Rechtsprechung hat es in einer Art und Weise, die die Unabhängigkeit als Verfassungsprinzip ernsthaft hätte gefährden können, nicht gegeben400. Die Dritte Gewalt als solche ist nicht insgesamt unter Druck geraten, wenn man das Bundesverfassungsgericht in der Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts außen vorläßt401. Die Problematik der richterlichen Unabhängigkeit liegt in der breiten Differenz zwischen ihrer empirischen Gefährdungslage und dem diesbezüglich nur unzulänglich reagierenden normativen Inhalt. Diese Diskrepanz ist zudem die Ursache für das Unverständnis, das so manche Entscheidung etwa des Dienstgerichts des Bundes ausgelöst hat. Denn „daß das Recht nicht bloß im Wissen, sondern auch im Fühlen ist“402, wird hier besonders deutlich. Dies gilt einerseits, wenn das Dienstgericht sogar den Zugriff der Dienstaufsicht auf den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit zuläßt403. Denn trotz Kernbereich erscheint es kaum nachvollziehbar, daß ein Gerichtspräsident eine evidente (Grund-)Rechtsverletzung durch einen Richter sehenden Auges ohne jeglichen Kommentar soll hinnehmen müssen. Vor allem aber wird dies auf der anderen Seite der Skala deutlich, wenn es etwa um eine Terminierungsbitte des LG-Präsidenten wegen ansonsten drohender Überschreitung der ohnehin schon verlängerten Frist des § 121 StPO404, die Freiheit von allgemein festgesetzten Dienststunden405 oder den zeitlich unbeschränkten Zugang zum Gerichtsgebäude406 geht. Auf die Frage nach einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch diese jeweils zugunsten des betroffenen Richters entschiedenen Fälle wird eine große Mehrheit der Befragten – so ist zu spekulieren – mit Unverständnis reagieren407. Denn es entspricht der empirischen Alltagserfahrung, daß die Vorbereitung eines Termins objektiv ebenso gut am Freitag wie am Sonntag und gleichermaßen am heimischen Schreibtisch408 wie im Dienstzimmer409 geleistet werden kann und subjektive Präferenzen der Arbeitsgestaltung und die konkrete Gestaltung des Fami400 Siehe etwa beispielhaft das persönliche Resümee des Berliner OVG-Präsidenten Wilke, LKV 2001, S. 111 (113); Fenge, in: Gilles (Hrsg.), Anwaltsberuf und Richterberuf, S. 81 (93). 401 Vgl. statt aller Lamprecht, Demontage. 402 von Kirchmann, Wertlosigkeit, S. 18. 403 Erstmals BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 67, 184 ff., nach andeutenden obiter dicta in BGHZ 46, 147 (150); 275 (287); w. Nw. bei Kissel, GVG, § 1 Rn. 57. 404 BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. 405 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff. 406 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 286 ff. 407 Zutreffend nennt Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 2 (5), die aktuellen Streitfälle „Minimalia“. Zustimmend Limbach, Liber amicorum Voss, S. 117 (118).

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lienlebens eines Richters nur schwerlich als von der funktionalen Garantie410 des Art. 97 Abs. 1 GG geschützt bewertet werden411. Gleichzeitig fehlt nahezu jedem anderen Beruf eine vergleichbare Freiheit, so daß das Richterdasein faktisch ein einzigartiges Privileg und somit die Abwehrhaltung der Richter (auch) Privilegienverteidigung darstellt, die generell Kritik auf sich zieht412. Das Grundgesetz ist „richterfreundlich wie keine Verfassung zuvor“413. Es ist verständlich, daß die Richter selbst an diesem Ideal mit Zähigkeit hängen und eifersüchtig über seiner Wahrung wachen; freilich gehen sie dabei hier und da auch zu weit. (. . .) Ebenso verfehlt ist es, an sich angemessenen Weisungen der Justizverwaltung gegenüber sich ablehnend zu verhalten, bloß weil es denkbar wäre, in ihnen eine Überschreitung der ihr gegenüber dem Richter gezogenen Grenzen zu erblicken. Aus dieser etwas geschwollenen Betonung der Unabhängigkeit ist viel Ärgerliches und Lächerliches hervorgegangen. Immerhin sind unbequeme besser als zu bequeme Richter.“414

Diese Inkongruenz von tatsächlichem und rechtlichem Verständnis führt zu zweierlei Folgen: Zum einen tritt durch die Trivialisierung – parallel zur aktuellen Entwicklung des Menschenwürdeschutzes415 – eine Diskreditierung der richterlichen Unabhängigkeit ein, weil das wertende Verständnis des Durchschnittsbetrachters die herrschende rechtsdogmatische Auslegung der Unabhängigkeitsgarantie und ihre praktische Anwendung als Privilegienverteidigung interpretiert (interpretieren muß?)416. Dies wird verstärkt durch den Umstand, daß es der Richterschaft nicht gelingt, diesen Eindruck zu widerlegen: Beispielhaft

408 Für den die Richterschaft regelmäßig gerne steuerliche Vorteile in Anspruch nimmt. 409 Dessen allgemein als miserabel beklagter Zustand (s. nur unten § 5 III.) ohnehin eher für Heimarbeit spricht. 410 Hier wird der von Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 2 (6), mit Recht kritisierte Wandel vom funktionalen zum persönlichen Privileg besonders deutlich. 411 Sinngleich Limbach, Liber amicorum Voss, S. 117 (121); zutreffend differenzierend zwischen normativer und faktischer Bedeutung (PräsVG) E. I. Schmidt, NordÖR 2003, S. 12 (12 f.); anders Wippenhohn-Rötzheim, RiStA 6/2003, S. 11. Aber auch bei rein dienstlichen Angelegenheiten fällt es schwer, einen Bezug zur richterlichen Unabhängigkeit zu finden, wenn „von einem Richter verlangt wird, seine Beschlüsse selbst zu schreiben, auszufertigen und/oder (etwa per Fax) zu verschicken“ (so aber Edinger, DRiZ 2004, S. 162). 412 Auch wenn diese Entscheidungen im Hinblick auf das vom Dienstgericht des Bundes entwickelte normative Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG geradezu zwingend sind. 413 Flotho, DRiZ 1988, S. 167 (168). 414 Schiffer, Deutsche Justiz, S. 249, 250; letzteres sehen Landau/Christ, NJW 2003, S. 1648 f., freilich anders. 415 Siehe dazu Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 I Rn. 47 m. plastischen Beispielen. 416 Vgl. B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (300 f.), die daher zur Zurückhaltung beim Gebrauch des Unabhängigkeitsarguments hinsichtlich der NSM rät.

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sei noch einmal auf das Bereitschaftsdienst-Problem verwiesen, bei dem man durchaus nachvollziehbare rechtsstaatliche Bedenken erheben kann417, die aber stets flankiert werden von fehlendem Bewußtsein von der Einseitigkeit der eigenen Position, deren Besonderheit sich eben nicht schon dadurch ergibt, daß man Richter ist: Die Störung des familiären Tagesablaufs durch ungünstige Dienstzeiten infolge des Bereitschaftsdienstes ist die Alltagsbelastung jedes Arztes und Krankenpflegers; daß Richterfamilien von Verfassungs wegen hiervon verschont bleiben sollen, kann rechtsdogmatisch letztlich nicht ernsthaft begründet werden. Symptomatisch ist der Fall, in dem ein Richter gegen die Heranziehung zu einer „Rufbereitschaft“ durch den Gerichtspräsidenten vor dem Dienstgericht des Bundes erfolgreich mit dem rechtsstaatlich überzeugenden Argument durchdringt, daß diese Rufbereitschaft eine Form der Geschäftsverteilung darstellt, die nur dem Präsidium nach §§ 21a ff. GVG, nicht aber dem Präsidenten allein zusteht. Doch auch hier kommt der Antragsteller nicht umhin, die Unzulässigkeit in unkritischer Selbstüberschätzung auch damit zu begründen, die Tätigkeit einer Rufbereitschaft sei für ihn als Richter „unterwertig“418. Dabei darf selbstverständlich nicht vergessen werden, daß nicht die Gerichte, sondern der einzelne Richter Träger der Rechtsprechung ist. Soll daher auf eine Entscheidung Einfluß genommen werden, so ist nicht das Gericht, die Gerichtsleitung oder das Präsidium der richtige Adressat von Einmischungsaktionen, sondern der jeweils allein oder im Spruchkörper zuständige, gesetzliche Richter. Daher liegt es in der Natur der Sache, daß Eingriffe in die Rechtsprechung sich nicht in „großem Stil“ vollziehen, sondern Einzelfälle bleiben. Somit kann auch oder gar nur die Summe von vielen Einzelfällen den Nachweis einer strukturellen Beeinflussung der Judikative erbringen. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, daß eine globale Betrachtung der Rechtsprechung keine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit festzustellen vermag, sie sogar ohne jeden Zweifel verneint, dabei aber wesentliche Eingriffe übersieht419. Sprichwörtlich verdeckt der Wald die Bäume.

417

Wie etwa Schulte-Kellinghaus, BJ 2003, S. 170 ff. BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1987, S. 1198 ff., mit zutreffender Kritik am Unterwertigkeitsargument, ebd. S. 1200; die kritisierte Hybris teilt jedoch – in obiter dictum – das VG Berlin, DRiZ 2002, S. 93 (96), wenn es meint, es sei eine degradierend wirkende Verselbständigung einer mechanischen Tätigkeit, „wenn der Richter unausweichlich zum Boten seiner eigenen Aktenstücke würde und damit auf die Entfaltung eines erheblichen Kraftaufwandes oder gar auf mechanische Hilfsmittel wie Aktenwagen angewiesen wäre. Dies könnte sogar ansehensschädigend wirken, wenn der Richter vor den Augen des rechtsuchenden Publikums als Aktentransporteur aufzutreten hätte, etwa wenn es gälte, umfangreiches Aktenmaterial in den Verhandlungssaal zu schaffen oder nur noch mit Aktenwagen zu befördernde ,Aktenstöße‘ auf den öffentlich zugänglichen Gerichtsfluren fortzubewegen“. 419 Vgl. etwa Mattik, DRiZ 1994, S. 350. 418

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Dennoch dürfte festzuhalten sein, daß es der Richterschaft nicht gelungen ist, bei der Auslegung des Unabhängigkeitsbegriffs dessen funktionalen Zweck und insbesondere Abwehrgehalt zu berücksichtigen. Statt dessen hat sie Art. 97 Abs. 1 GG von seinem Telos gelöst und damit den notwendigen Mechanismus ausgeschaltet, der die Überbetonung der „Privilegien-Seite“ der Unabhängigkeitsgarantie hätte verhindern können und sollen. Dies wiegt um so schwerer, als sich jedes Richterdienstgericht hätte in besonderer Weise bewußt sein müssen, daß jede Feststellung einer Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit zugleich die Erweiterung der privilegierten Stellung des einzelnen Richters zur Folge hat. Daher hätte es insoweit einer restriktiven Auslegungspraxis bedurft. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß ein weites Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit grundsätzlich auch deren Sicherungswirkung zugunsten des Bürgers verstärkt – insbesondere in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dies gilt aber eben nur prinzipiell und versagt als Rechtfertigung schon und immer dann, wenn die richterliche Unabhängigkeit mit der Justizgewährleistungspflicht in Konflikt420 gerät. Die (privilegierte) Freiheit des Richters ist eben nicht immer deckungsgleich mit dem Anspruch und Recht des Bürgers, auch wenn zwischen beiden entscheidende Parallelen bestehen. Dieses „Versagen“ der Richterschaft dürfte nicht zuletzt auch die Folge einer strukturellen Schwäche der unvermeidlichen Letztentscheidungskompetenz der Richterschaft über die Reichweite ihrer eigenen Unabhängigkeit sein: Denn sie beinhaltet etwa im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit dienstaufsichtlicher Maßnahmen eine (generalisierte) Entscheidung „in eigener Sache“, was ungeachtet aller Bemühungen um professionelle Distanz leicht zu selektiver Wahrnehmung führen kann421. Hinzu kommt die Tatsache, daß Richter nur schwer von hergebrachten Zuständen Abstand nehmen422, so daß angesichts der Gewöhnung „an die Letztverbindlichkeit ihrer eigenständig getroffenenen Entscheidungen“ und die nur von den übergeordneten Instanzgerichten ausgehende Kontrolle und Kritikberechtigung423 Alternativen auch zu diesem status-quo nicht in Betracht gezogen werden.

420

Siehe nur beispielhaft K. Redeker, NJW 2000, S. 2796 ff. Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (11 f.); vgl. auch BR-Drs. 186/03, Anlage, S. 5, tendenziell dementiert dann aber von (fast) allen BT-Fraktionen im Gesetzgebungsverfahren, vgl. BT-Drs. 15/ 2676, S. 3; mit Recht krit. zur darin liegenden Scheinheiligkeit Wittreck, NJW 2003, S. 3011 (3014). S. auch von der Heydte, GedS Jellinek, S. 495 (502). 422 Vgl. Treuer u. a., Arbeitsplatz, S. 180 ff. 423 T. Franz, in: Schulze-Fielitz (Hrsg.), Finanzkontrolle, S. 75 (75). 421

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2. Der Stellenwert der richterlichen Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit des Richters ist ein, wenn nicht der Baustein in der Architektur des (deutschen424) Rechtsstaates, „Glaubenssatz und Mythos zugleich“425, eine „heilige Kuh“426: Es gibt keinen Rechtsstaat ohne eine rechtsprechende Gewalt durch unbeteiligte Dritte als Richter (Neutralität der Rechtsprechung)427; es „gibt nur dort Recht, wo es unabhängige Richter gibt.“428 Die besondere Bedeutung des „zentralen Justizgrundrechts“ der richterlichen Unabhängigkeit als „Kardinalgrundsatz jeder rechtsstaatlichen Rechtsprechung“429 tritt – jedenfalls bei festlichen Anlässen430 – hervor, wenn sich die „im allgemeinen einer trockenen Sprache befleißigenden Juristen (. . .) nachgerade ins Schwärmen“ geraten, „wenn es darum geht, diese Garantie auszuzeichnen. Sie erscheint ihnen als sicherstes Palladium (schützendes Heiligtum) der Freiheit“431; keine „festlichen Anlässe“432, „keine Justizministerrede, in der vor ihr nicht das Weihrauchfaß geschwungen wird“433. „Eine selbständige und unabhängige Rechtspflege ist die erhabenste aller menschlichen Einrichtungen.“434 Die Idee des Rechtsstaates feiert ihren höchsten Triumph in der Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung435; sie „ist eine Grundvoraussetzung jeder menschlichen Konfliktbewältigung durch Verfahren“436. Insofern wird sie im 424 Die besondere Bedeutung in der deutschen Rechtsordnung wird auch im Ausland als solche registriert, s. Kommers, in: Russel/O’Brien (Ed.), Judicial Independence, S. 131 (133): „(. . .) judicial independence is taken seriously in Germany. It is a major linchpin of Germany’s written constitution.“ 425 Berra, Paragraphenturm, S. 31. 426 Zimmermann, BJ 2000, S. 252 (252). 427 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 14, Art. 92, Rn. 25; daher wird die richterliche Unabhängigkeit als Teil des Schutzguts des Art. 79 Abs. 3 GG anzusehen sein, s. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 III Rn. 41; Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 97 (1977) Rn. 3; Stüer/Hermanns, DÖV 2001, S. 505 (509); bereits BVerfGE 4, 341 (346), hielt die Neutralität für einen immanenten Bestandteil der Begriffe „Richter“ und „Gericht“. 428 Louven, DRiZ 1980, S. 429 (429). 429 Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 2; ihm folgend Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 (67). 430 Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267); jüngeres Beispiel: (der Thüringer Justizminister) Gasser, ThürVBl. 2003, S. 97 (99), während des Festakts zum zehnjährigen Bestehen der Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit am 11.12.2002. 431 Limbach, NJ 1995, S. 281 (281); das Freiheitspalladium erscheint auch schon bei Wach, DJZ 1919, S. 3 (3). Auch Kissel, DRiZ 1995, S. 125 (127), thematisiert das Pathetische des Richtereids gegenüber den „normalerweise um nüchterne Formulierungen“ bemühten Richter. 432 Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267). 433 Berra, Paragraphenturm, S. 31. 434 Heinrich Simon (1805–1860), zitiert nach Kusserow (Hrsg.), Richter, S. 8. 435 Grünhut, MschrKrimPsych, Beiheft 3, S. 1 (1). 436 Mittenzwei, FS Schneider, S. 361 (361).

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Gegensatz zu ihrer Herkunft, dem Rechtsstaatsprinzip, durchaus auch heute noch „gefeiert“437. Ihre verfassungsrechtliche Tradition in Deutschland geht zurück auf den süddeutschen Frühkonstitutionalismus438; ihre heute (noch) geltende Kodifikation in Art. 97 Abs. 1 GG439 fand sich so bereits in Art. 102 WRV oder auch Art. 126 Abs. 1 der Hessischen Verfassung440 und unterstreicht in ihrer lapidaren, deskriptiven und damit beeindruckenden Fassung der (natürlich) präskriptiv gemeinten441 Aussage die Bedeutung des Unabhängigkeitspostulats442. Diese Bedeutung spiegelt sich auch in der Vielzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen wieder443, und das Bundesverfassungsgericht hat diesen Stellenwert ebenfalls hervorgehoben. Hier ist die Rede davon, daß der richterlichen Unabhängigkeit „als einem der wesentlichen Grundsätze unseres Staatsaufbaus“ angesichts der Erfahrungen während des Nationalsozialismus’ „erhöhte Bedeutung“ zukomme444. Das Grundgesetz habe die rechtsprechende Gewalt „mit Betonen neben die Exekutive“ gestellt und die Richter hervorgehoben, indem es ihnen die rechtsprechende Gewalt vorbehalte445. Diese herausgehobene Position als solche steht im Rahmen der „Modernisierung“ der Justiz auch in keiner Weise zur Debatte oder gar Disposition der Entscheidungsträger. Vielmehr bestätigt die Frage im Raum, welchen Schutzumfang diese überragende Garantie besitzt. So bedeutend sie ist, so vielschichtig sind die Deutungen ihres Inhalts: Mit dieser richterlichen Unabhängigkeit werden aber auch „recht unterschiedliche Vorstellungen“ verbunden446, die weit über die klassische Unterscheidung zwischen sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit hinausgehen. Die Richterschaft selbst unterscheidet augenscheinlich 437

Anders zum Rechtsstaatsprinzip resümierend Sobota, Prinzip, S. 1. Siehe Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 3; K. Kramer, BJ 1998, S. 263 (263); zur Geschichte ausführlich Simon, Unabhängigkeit, S. 1 ff., und Kotulla, DRiZ 1992, S. 285 ff. 439 Kaufmann, FS Peters, S. 295 (299), spricht im Hinblick auch auf § 25 DRiG, § 1 GVG von der „sogar dreifach legalisierten Formel“. 440 Vom 1.12.1946 (GVBl. I, S. 229 ff.). 441 Dieser Unterschied scheint nicht bei allen Richtern angekommen zu sein, vgl. die Erkenntnis von Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (161), „daß Richter (. . .) nicht willens oder nicht fähig sind, die Sollens- und Seinskategorien ihres Berufes auseinanderzuhalten. Sie nehmen das Ideal für die Wirklichkeit.“ Ebenfalls den Unterschied betonend H.-E. Böttcher, SchlHA 2003, S. 83 (84). 442 Siehe hierzu Simon, Unabhängigkeit, S. 1. 443 Simon, Unabhängigkeit, S. IX, hatte 1975 bereits 800 Titel in seiner Kartei, und auch im 21. Jahrhundert ist die richterliche Unabhängigkeit ein „unerschöpfliches Thema“, dem man auf „Schritt und Tritt“ begegnet, so Sendler, NJW 2001, S. 1909 (1909). Die Vielzahl der Thematisierungen taugt aber nicht unmittelbar als Beleg eines gravierenden Problems, vgl. Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 1 (5). 444 BVerfGE 2, 307 (320). 445 BVerfGE 32, 199 (213); krit. zur sprachlichen Überhöhung Reinhardt, Jurisdiktion, S. 102 f., insb. Fn. 96. 446 R. Werle, Justizorganisation, S. 229. 438

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vier Dimensionen ihrer Unabhängigkeit: die innerorganisatorische, die institutionelle, die wirtschaftliche und die arbeitsmäßige447. Sie hat somit für die Richterinnen und Richter Syndromcharakter, was sie zu einer für die Analyse „außerordentlich problematischen Kategorie“ macht448. Freilich darf nicht übersehen werden, daß der aktuelle Befund in deutlichem Kontrast hierzu in eine andere Richtung deutet: „Als Richter sollte man sich (. . .) bewußt machen, daß man mit Hinweisen auf seine Unabhängigkeit in der derzeitigen politischen Landschaft auf nicht ganz unberechtigte Vorurteile stößt“449. Die aber – jedenfalls bisher – unumstrittene Gewißheit hinsichtlich der überragenden Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit hat zu einer rechtskulturellen Unantastbarkeit der Unabhängigkeitsgarantie geführt. Die Selbstverständlichkeit ihrer Existenz450 hat zwar nicht ihre Thematisierung insgesamt verhindert451, aber doch eine dogmatische Aufarbeitung und Einordnung in das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes. Wie bereits gezeigt worden ist452, bestehen selbst rechtswissenschaftliche Wertungen im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit weithin aus Behauptungen. Auch das Bundesverfassungsgericht453 und das Dienstgericht des Bundes454 arbeiten mit einer apodiktischen Methode. Entweder man hält die Unabhängigkeit für betroffen bzw. verletzt oder nicht. Argumentative Belege, warum dies unter Geltung des Grundgesetzes so sein soll oder sein muß, gibt es nicht. Hierfür beispielhaft jüngst ein badenwürttembergischer Justizminister: „Die richterliche Unabhängigkeit wird durch die fachliche Auseinandersetzung in Qualitätszirkeln nicht berührt und braucht deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht mit hehren Verfassungsgrundsätzen thematisiert zu werden. Denn sie wird sicherlich nicht dadurch gefährdet, dass der Modus der Aufgabenbewältigung unter den Richtern selbst diskutiert wird oder dass einzelne Richter durch den Diskurs veranlasst werden, von anderen bei der effizienten Aufgabenerfüllung und Schwerpunktsetzung zu lernen. Die richterliche Unabhängigkeit hindert nicht daran, das eigene Handeln einmal am Handeln anderer zu spiegeln und dadurch selbstbestimmt verbessern zu können.“455 447 So die Schlußfolgerung von R. Werle, Justizorganisation, S. 265, aufgrund seiner empirischen Untersuchung im Jahr 1977. Dies dürfte sich heute aber kaum geändert haben. 448 So Görlitz, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 184; ihm zustimmend R. Werle, Justizorganisation, S. 267. 449 B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (300); ebenso Voss, DRiZ 1998, S. 379 (381 f.). 450 Vgl. nur das Zinnsche Zitat aus dem Parlamentarischen Rat oben FN 284. 451 Vgl. nur die oben bereits aufgeführte Vielzahl einschlägiger Publikationen FN 443. 452 Siehe oben § 1 III. 1. 453 Vgl. das Zitat unten § 4 I. 454 Vgl. unten § 4 V. 4.; der Zirkelschluß des Dienstgerichts des Bundes verlangt ohnehin nach „Behauptungen“, s. sogleich bei FN 492.

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Auch der Nordrhein-Westfälische Verfassungsgerichtshof konnte nicht umhin, mit der Übertragung der Wesentlichkeitsrechtsprechung dogmatisches Neuland zu betreten, weil für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Beziehung zwischen der Organisation der Rechtsprechungsverwaltung und der Rechtsprechung keine Erkenntnisse bestanden, auf die man hätte zurückgreifen können. Insofern ist es erstaunlich, wie beziehungslos doch ein so elementarer Grundsatz des Rechtsstaats innerhalb des Grundgesetzes 50 Jahre nach seinem Inkrafttreten existieren kann. Daher dürfte auch heute noch die Feststellung zutreffen, daß über die richterliche Unabhängigkeit „viel geschrieben worden“ ist, „aber eine echte wissenschaftliche Diskussion hat es eigentlich kaum gegeben. (. . .) Unser Grundverständnis der richterlichen Unabhängigkeit (. . .) wurde – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht ernsthaft zur Diskussion gestellt.“456 Entsprechend schwierig, weil „hilflos“, sind daher auch die aktuellen Diskussionen angesichts der NSM. Man mag insgesamt zwar der Überzeugung sein, daß sich die Konzepte der Verwaltung nicht unbesehen auf die Gerichte übertragen lassen457. Was das aber im einzelnen für Konsequenzen hat und insbesondere warum dies so sein muß, bleibt unbeantwortet. 3. Die fehlende (grund)gesetzliche Definition der richterlichen Unabhängigkeit und die Zurückhaltung des Gesetzgebers Der Gesetzgeber blieb zurückhaltend bei der inhaltlichen Ausgestaltung der richterlichen Unabhängigkeit. Er verzichtete auf jede Konkretisierung des Begriffs458 vor allem in sachlicher Hinsicht, wo man etwa an die Normierung eines Mindestbestandes von unbestrittenen Garantien, wie etwa der Weisungsfreiheit, hätte denken können. Das DRiG umfaßt im Vierten Abschnitt zur Unabhängigkeit des Richters 13 Paragraphen, von denen elf die Einzelheiten der Amtsenthebung, der Versetzung (in den Ruhestand) oder der Abordnung, mithin 455 Goll, FS 200 Jahre Badisches Oberhofgericht, S. 277 (302 f.); diese von Alltagserfahrungen und -wertungen getragene Überzeugung ist (auch) rechtlich korrekt; es fehlt aber jegliche Begründung dafür. Anders aber scheinbar Pitschas, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 175 (182). Die Gollsche Position scheint repräsentativ für die baden-württembergische Position, wie sich auch aus der von hier kommenden Entwurfsbegründung zur Mitgliedschaft von Rechtsanwälten in den Richterdienstgerichten ergibt, vgl. BR-Drs. 186/03, Anlage, S. 2, 5 (nunmehr als Öffnungsklausel für die Länder in § 77 Abs. 4 DRiG durch Gesetz vom 7.6.2004 [BGBl. I, S. 1054] Realität geworden); s. hiergegen etwa die Stellungsnahme des PräsHessVGH, abgdr. in BDVR-Rundschreiben 2003, S. 100. Krit. Analyse bei Wittreck, NJW 2004, S. 3011 ff. 456 So vor 30 Jahren Kaufmann, FS Peters, S. 295 (295). 457 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 12. 458 Mittenzwei, FS Schneider, S. 361 (367).

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also die Anwendung des Art. 97 Abs. 2 GG regeln. Zur sachlichen Unabhängigkeit hat es in § 25 DRiG mit der bloßen Wiederholung des Wortlauts des Art. 97 Abs. 1 GG in singularisierter Form („Der Richter ist [. . .].“459) und in § 26 DRiG mit der Konstituierung der Dienstaufsicht sein Bewenden. Das DRiG „hilft“ folglich nur wenig weiter bei der Feststellung der Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit unter der Geltung des Grundgesetzes. Im bejahenden Sinne entschieden wird allerdings die durch den Verfassungstext noch offene Frage, ob auch Richter trotz ihrer besonderen Rechtsstellung im Vergleich zu Beamten einer Dienstaufsicht unterliegen460. Der wesentliche Unterschied zu den Beamten besteht jedoch in dem Fehlen jeglicher Fachaufsicht durch weisungsbefugte Vorgesetzte im Sinne des § 3 Abs. 2 S. 2 BBG, soweit die Richter nicht innerhalb der Justiz- oder Gerichtsverwaltung (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG) tätig sind461. Die Einführung (oder besser: Beibehaltung462) einer Dienstaufsicht in der Form des § 26 DRiG ist beispielhaft für die Methode des Gesetzgebers im Umgang mit der richterlichen Unabhängigkeit: Er führt Institutionen (im weitesten Sinne) ein, die ihrem Zweck, jedenfalls aber ihrem Charakter nach Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit darstellen oder hierzu in ein Spannungsverhältnis treten (können)463, ohne aber gleichzeitig inhaltliche Vorgaben für die Auflösung der dadurch entstehenden Konflikte zu machen. Verstärkt werden die sich daraus ergebenden Konsequenzen dadurch, daß jede genauere Spezifizierung oder jedenfalls Formulierung einer absoluten Grenze des einen oder anderen Prinzips fehlt. Zwar geht die Beschränkung auf den „Vorhalt“ und die „Ermahnung“ in § 26 Abs. 2 DRiG in diese Richtung, indem die möglichen dienstaufsichtlichen Maßnahmen abschließend464 festgelegt werden. Diese singuläre Regelung kann jedoch das Bedürfnis nach klaren Anhaltspunkten bei der 459 Gem. Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 1, biete sich die Einzahl-Version an „in einem Gesetz (. . .), das die Rechtsstellung der einzelnen Richter regeln will.“. 460 Mit Ausnahme der Richter des Bundesverfassungsgerichts, vgl. SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 9. 461 Kissel, GVG, § 1 Rn. 41. 462 Eine solche existierte auch schon in unter Geltung der WRV und auch schon vor Erlaß der Verordnung vom 20. März 1935; ausführlich Gülland, Dienstaufsicht, passim. 463 Vgl. nur die Titel bei Staats, FS Rieß, S. 1017 ff.: „Richterbeförderung und richterliche Unabhängigkeit in Deutschland: ein systemimmanenter, aber reduzierbarer Konflikt“, und (aus österreichischer Sicht) bei Reissner, in: Weinzierl u. a. (Hrsg.), Richter und Gesellschaftspolitik, S. 90 ff.: „Rechtsprechung Justizverwaltung – ein ständiges Spannungsverhältnis“. 464 Genau genommen handelt es sich dabei um die Definition des höchsten erlaubten Grades von Dienstaufsichtsmaßnahmen, da geringere Mittel möglich bleiben, BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 47, 275 (285); mögliche Maßnahmen unterhalb dieser Schwelle nennt etwa Louven, DRiZ 1981, S. 299 (300): „klärendes Gespräch unter vier Augen, Rat oder Belehrung“.

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Ausgestaltung des für den Rechtsstaat so wichtigen Verhältnisses zwischen Exekutive und Judikative in keiner Weise befriedigen. Ebenso untauglich ist die Formulierung in § 26 Abs. 1 DRiG, in dem die Dienstaufsicht nur soweit reicht, wie nicht die Unabhängigkeit des einzelnen Richters „beeinträchtigt“ wird. Dies legt zwar einen Vorrang der Unabhängigkeit nahe, wie ihn etwa das Dienstgericht des Bundes in Zweifelsfällen zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit einer dienstaufsichtlichen Maßnahme zutreffend stets annimmt465. Diese Erkenntnis bleibt jedoch wertlos, wenn der Inhalt, jedenfalls aber die absolute Grenze innerhalb dieser vorrangigen Unabhängigkeit offen und unbestimmt bleibt. Als weiteres zentrales Spannungselement gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit wirkt die Einrichtung von Beförderungsrichterämtern mit unterschiedlich hoher Besoldung auch im Richterdienst durch das BBesG und seine Anlagen III und IV (R 1 bis R 10466) sowie die Unterscheidung in der Besetzung der Gerichte zwischen „Präsidenten“, „Vorsitzenden“ und „weiteren“ (Berufs-)Richtern (§§ 59 Abs. 1, 115, 124 GVG, § 5 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 VwGO, §§ 30 Abs. 1, 38 Abs. 2 SGG, §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 FGO). Welche Bedeutung der Besoldung und ihrer jeweiligen Höhe für die Unabhängigkeit zukommt, läßt sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, das nicht nur hinsichtlich der Mindesthöhe eine direkte Verbindung zur persönlichen Unabhängigkeit formuliert467, sondern auch die Abhängigkeit der Besoldungshöhe innerhalb derselben Funktion von einer Ermessens-Entscheidung der Exekutive als mit der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar angesehen hat468. Selbst wenn man eine Abstufung der Richterämter für sich genommen noch unabhängigkeitsneutral werten wollte, so muß sich diese Bewertung dann ändern, wenn man sich vergegenwärtigt, daß unter der insoweit unbestrittenen Geltung des Art. 33 Abs. 2 GG der Zugang zum Beförderungsamt von der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des Bewerbers abhängt, die ihrer vorherigen Feststellung bedarf469. Somit kann auf eine Beurteilung nicht verzichtet werden, die sich auch mit der „fachlichen Leistung“ und damit der Ausübung des Richteramts, also der Rechtsfindung auseinandersetzen muß, die 465

BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 67, 184 (188); 76, 288 (291). Was einer absoluten Grundgehaltsspanne von 3.032,98 Euro im Eingangsamt (R1-West), über 5.937,43 Euro als Vorsitzender eines Obergerichts (R3-West), 7.064,51 Euro als Richter an einem der in Art. 95 Abs. 1 GG genannten Bundesgerichte (R6-West) bis hin zu 10.189,96 Euro als deren Präsident (R10-West) entspricht. 467 Vgl. BVerfGE 26, 79 (92); 55, 372 (389). 468 BVerfGE 12, 81 (88); 26, 79 (93 f.). 469 Dies gilt auch für Wahlrichterämter, s. statt aller Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 95 Rn. 27, allerdings mit Einschränkungen durch das demokratische Prinzip, ders., JZ 2002, S. 144 ff.; diesbezüglich allgemein einschränkend auch Lübbe-Wolff, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 33 Rn. 39. 466

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vollständig dem Bereich der Unabhängigkeit unterfällt. Das Beurteilungswesen stellt daher das verbindende Element zwischen Dienstaufsicht und Beförderungswesen dar und bringt letzteres (spätestens unter diesem Gesichtspunkt) in unmittelbare Konkurrenz zur richterlichen Unabhängigkeit. Auch das Beförderungs- und Besoldungssystem folgt also dem unzulänglichen gesetzlichen System, das schon bei der Regelung der Dienstaufsicht beschrieben worden ist. Es werden der richterlichen Unabhängigkeit konträre oder zumindest sie einschränkend berührende Entscheidungen getroffen, das Bedürfnis nach Auflösung der so potentiell möglichen Konflikte aber nicht zur Kenntnis genommen oder auf andere abgewälzt. Sicherlich muß beachtet werden, daß es dem einfachen Gesetzgeber nicht zukommt, den Inhalt von Verfassungsnormen zu bestimmen, zumal in einem Bereich, der für die Gewaltenteilung und die Sicherung der Freiheit des Bürgers von so großer Bedeutung ist wie die richterliche Unabhängigkeit. Insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Judikative vor allem vor dem Einfluß der Exekutive geschützt werden muß, von der traditionell die Bedrohung der Unabhängigkeit des Richters ausging, wäre es gleichwohl Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, deren Verhältnis deutlicher und klarer zu definieren. Dies gilt erst recht für den bundesdeutschen Gesetzgeber, der durch Einschaltung eines Systems exekutiver Gerichtsverwaltung eine besondere Gefährdung der Dritten Gewalt verursacht hat. Daher hätte schon aus Ingerenz eine solche Pflicht des Gesetzgebers bestanden. Vor allem aber verstößt die Zurückhaltung des Gesetzgebers gegen den „zwingenden Gesetzgebungsauftrag“470 des Art. 98 Abs. 1, 3 GG, der die Rechtsstellung des Richters gerade parlamentsgesetzlicher Definition überlassen hat. Angesichts der – jedenfalls in dieser Hinsicht – relativ eindeutig nachweisbaren Absichten des Parlamentarischen Rates zur Entbeamtung des Richters muß die Schaffung des DRiG als kaum der Verfassung entsprechend bezeichnet werden. Damit ist noch nicht eine bestimmte Tendenz der inhaltlichen Ausgestaltung der Richtergesetze im Sinne eines bestimmten Richterbildes471 intendiert. Vielmehr leidet das DRiG an einer zu geringen Regelungsdichte und überläßt daher einen zu großen Anteil an notwendiger Konkretisierung den beiden anderen Gewalten in Form der Rechtsprechungsverwaltung und den (Richterdienst-)Gerichten des Bundes und der Länder. In seiner Problematik verschärft wird dieser Mangelzustand durch die Eindeutigkeit der Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG, wonach die „Unterwerfung“ des Richters sich („nur“) auf das „Gesetz“ beschränkt, Verwaltungshandeln also gerade nicht Steuerungsinstrument richterlichen Handelns sein soll.

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Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 23. Krit. hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 98 Rn. 20 („ideologieanfällige[n] Formel“). 471

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4. Bisherige Verfahren zur Bestimmung des Inhalts richterlicher Unabhängigkeit und ihr Ergebnis Die Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Normierung der Unabhängigkeitsgarantie ändert nichts an der objektiven Notwendigkeit, deren Inhalt festlegen zu müssen. Verzichtet man auf eine abstrakte Definition, die nur auf der Ebene der Verfassung hätte durchgeführt werden können, bleibt als Alternative nur die Inhaltsbestimmung mittels Einzelfallentscheidungen, aus denen sich bei entsprechender konsequenter Praxis allgemeine Grundsätze ableiten lassen können. Hierfür kann allein die Rechtsprechung selbst zuständig sein, da die Exekutive als „Hauptgegner“ der Unabhängigkeitsgarantie nicht gleichzeitig die diesbezügliche Definitionsmacht besitzen kann. Die Zuweisung dieser Aufgabe an die Rechtsprechung erfolgt auf zweierlei Weise: Indem die Unabhängigkeit des Richters zu seinem durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Amtsrecht gehört, erlangt sie für den einzelnen Richter den Status eines grundrechtsgleichen Rechts im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG472. Somit kommt zum einen dem Bundesverfassungsgericht die Aufgabe zu, im Rahmen von Verfassungsbeschwerden oder konkreten Normenkontrollen die Reichweite des Art. 97 Abs. 1 GG, der selbst jedoch kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht darstellt, zu bestimmen. Zum anderen hat der Gesetzgeber durch § 26 Abs. 3 DRiG – quasi als Ersatz für die fehlende eigene Definition – die Rechtsprechung in Gestalt der Richterdienstgerichte nach §§ 61 ff., 77 ff. DRiG473 vollumfänglich für zuständig erklärt, den Inhalt der Unabhängigkeitsgarantie im sogenannten „Prüfungsverfahren“ zu präzisieren, soweit es sich um „Maßnahmen der Dienstaufsicht“ handelt. Damit wird ein richterlicher Überprüfungsmechanismus zwar nur für den Bereich der Dienstaufsicht institutionalisiert, der längst nicht alle denkbaren Einflußnahmen auf den Richter abdeckt, auch wenn dieser Begriff weit auszu472 Vgl. etwa BVerfGE 12, 81 ff.; 26, 71 (93 f.); 55, 372 (383, 391 f.); SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 16, 56; Lübbe-Wolff, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 33 Rn. 68 m. umf. Nw.; Rühmann, FS Steinberger, S. 551 (553). Anders, jedenfalls unklar jüngst aber BVerfGE 107, 254 (274 f.). 473 Der Umfang der Prüfungsbefugnis der Dienstgerichte ist auf Verstöße gegen die Unabhängigkeit beschränkt, nachdem der BGH seine vorherige Auffassung, Maßnahmen der Dienstaufsicht vollständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, auf Divergenzanfrage des BVerwG sowie im Urteil vom 31.1.1984 (NJW 1984, S. 2531 ff.) aufgegeben hat (in NJW 2002, S. 359 [LS 2], nunmehr als „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet); zu Einzelheiten s. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 31 f.; krit. Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267); ebenso VG Karlsruhe, NJW-RR 2001, S. 353 (357 ff.); s. a. Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 26 DRiG Rn. 16 m. w. Nw. In beiden Rechtswegen erfolgreich war aber etwa der Kläger/Antragsteller in VG Frankfurt, NJW 2000, S. 3730 f., einerseits und BGH, NJW 2003, S. 286 ff., andererseits.

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legen ist474. Dennoch handelt es sich bei der Dienstaufsicht um die Einbruchstelle für die Exekutive in die richterliche Unabhängigkeit475, was umso deutlicher wird, wenn man berücksichtigt, daß zur Dienstaufsicht auch die Erstellung einer dienstlichen Beurteilung gehört476. Gemäß § 26 Abs. 3 DRiG wird jedes Handeln oder Unterlassen einer Dienstaufsichtsbehörde, das einen konkreten Bezug zur Tätigkeit eines bestimmten Richters oder einer bestimmten Gruppe von Richtern und zu deren richterlicher Tätigkeit hat477, auf die bloße Behauptung des Betroffenen, seine Unabhängigkeit sei beeinträchtigt 478, richterlicher Kontrolle unterworfen. Sobald die Rechtsprechungsverwaltung aktiv wird, sind die Dienstgerichte zu ihrer Kontrolle berufen. Der BGH als Dienstgericht des Bundes, unmittelbar zuständig für Bundesrichter (§ 61 Abs. 1 DRiG), als stets zur Entscheidung berufene479 Revisionsinstanz zuständig für Landesrichter (§§ 79 Abs. 2, 80, 78 Nr. 4 lit. e DRiG), hat in seiner Rechtsprechung, beginnend mit Urteil vom 23. Oktober 1963480, der auch die Dienstgerichte der Länder gefolgt sind, folgende Systematik entwickelt, um zulässige von unzulässigen Maßnahmen der Dienstaufsicht abzugrenzen481: 1. Die richterliche Tätigkeit umfaßt zwei Bereiche: den Kernbereich und den Bereich äußerer Ordnung. 2. Zum Kernbereich gehören der Rechtsspruch selbst und alle ihm unmittelbar dienenden Entscheidungen, die ihn vorbereiten oder ihm nachfolgen.

474 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (38), Kissel, GVG, § 1 Rn. 165; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 35; Fürst/Mühl/Arndt, DRiG, § 26 Rn. 7, 76; krit. gegen diese weite Auslegung dezidiert VG Karlsruhe, NJW-RR 2001, S. 353 (357 ff.); krit. zur Zuständigkeit der Dienstgerichte für die Anfechtung auch außerdienstlicher Mißbilligung gem. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 90, 32 ff., Kissel, GVG, § 1 Rn. 174. 475 Baur, Justizaufsicht, S. 21; allzu zurückhaltend wirkt da das BVerwG, wenn es meint, daß die Dienstaufsicht über Richter mit der „Gefahr behaftet“ sei, daß die richterliche Unabhängigkeit „berührt“ werde, BVerwGE 11, 195 (291). 476 Kissel, GVG, § 1 Rn. 91; angesichts dessen wird die Formulierung des BVerwG (FN 475) kaum mehr verständlich. Wie es eine solche Dienstaufsicht ohne „Berührung“ der richterlichen Unabhängigkeit geben soll, scheint kaum vorstellbar. 477 Kissel, GVG, § 1 Rn. 166. 478 Kissel, GVG, § 1 Rn. 168. 479 Die Revision ist gem. §§ 80 Abs. 2, 79 Abs. 2 DRiG stets zuzulassen, BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 144, 123 (128 ff.). 480 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 ff. (jüngst mit ausführlicher Begründung bestätigt in NJW 2002, S. 359 [359 f.]); dem sind durchgehend die Dienstgerichte der Länder gefolgt, so daß von dieser Seite keine selbständige Konzeption entwickelt wurde; insoweit erübrigt sich eine separate Darstellung, vgl. SchmidtRäntsch, Dienstaufsicht, S. 33, dazu insbesondere Fn. 3. 481 Vgl. ausführlich Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 33 ff.

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3. Zum Bereich der äußeren Ordnung gehören alle Tätigkeiten, die „dem Kernbereich der richterlichen Tätigkeit soweit entrückt sind, daß für sie der Schutz des Art. 97 Abs. 1 GG nicht mehr in Anspruch genommen werden kann“482. Im Hinblick auf den unmittelbaren Zusammenhang mit der Dienstaufsicht ist diese Abgrenzung, die im einzelnen noch Ausnahmen erfährt, weithin auf – wenn auch unreflektierte483 – Zustimmung in der Literatur gestoßen, hat aber auch dezidiert Kritik erfahren484. Für die von der Problematik der Dienstaufsicht hier zunächst noch abgehobene Fragestellung ist dieser Streit nicht relevant. Entscheidend ist jedoch zum einen, daß das Dienstgericht des Bundes im zuvor beschriebenen Kernbereich Maßnahmen der Dienstaufsicht für generell unzulässig erklärt, jedenfalls insoweit, als sie sich auf den Inhalt der Entscheidung beziehen. Innerhalb dieses – untechnisch gesprochen – „Schutzbereichs“ der Unabhängigkeitsgarantie ist das richterliche Handeln absolut gegen Einflußnahme gesichert. Einzige Ausnahme hiervon bildet der Fall der offensichtlich fehlerhaften Amtsausübung, d.h. bei sich jedem Zweifel entziehenden Fehlgriffen485. Zum anderen ist die dem zugrunde liegende Begründung von Bedeutung: Der äußere Ordnungsbereich gehört gar nicht erst zum von Art. 97 Abs. 1 GG umfaßten Terrain. Das Dienstgericht versteht damit die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit so, wie man sie im Wortlaut des Grundgesetzes vorfindet: Sie ist gegenüber der Exekutive absolut gewährleistet. Dies wird auch durch § 26 Abs. 1 DRiG bestätigt, demzufolge (auch) die Dienstaufsicht vor der richterlichen Unabhängigkeit Halt zu machen hat und nicht etwa im Einzelfall als verhältnismäßige Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit angesehen werden kann. Damit ist diese Rechtsprechung fruchtbar zu machen für eine abstraktere Definition der Unabhängigkeitsgarantie insgesamt, nicht nur gegenüber der Dienstaufsicht. Im Ergebnis läßt sich also für die Interpretation des Art. 97 Abs. 1 GG folgendes festhalten: Die richterliche Unabhängigkeit schützt486 1. die unmittelbare Spruchtätigkeit, also die Verhandlung und Entscheidungsfindung, und 482 Diese Definition hat ihre Mängel und beruht auf einem Zirkelschluß: Zur Unabhängigkeit gehört nicht, was nicht zu ihr gehört; hierauf soll aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zutreffend kritisch: Mayer, DRiZ 1978, S. 313: „nichtssagende Definition“; ihm folgend Rudolph, DRiZ 1979, S. 97 (97). 483 Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 52. 484 Ebenfalls ausführlich dargestellt und kritisch betrachtet von Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 52 ff., 94 ff., und ihre eigene Kritik und Gegenkonzeption S. 61 ff., 111 ff. 485 Diese Ausnahmeregelung wurde erstmals entwickelt und bejaht im Fall trotz generellem Verbot ausgeübter Sitzungspolizei gem. §§ 176 ff. GVG gegen einen Strafverteidiger, BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 67, 184 ff. 486 So die hier übernommene Zusammenfassung bei Kissel, GVG, § 1 Rn. 54.

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2. die den richterlichen Spruch vorbereitenden, ihn zustande bringenden und ihm nachfolgenden Maßnahmen wie etwa Terminbestimmung, Einzelrichterbestellung, prozeßleitende und -fördernde Verfügungen, Ladungen, Ausübung der Sitzungspolizei, Beweisanordnung und Beweisaufnahme487. Die Reichweite des Art. 97 Abs. 1 GG wird auf der Basis der Konzeption des Dienstgerichts des Bundes somit bestimmt durch die jeweilige Abgrenzung von Kernbereich und Bereich äußerer Ordnung, für die er und auch die Dienstgerichte der Länder allerdings keine gesicherten Kriterien entwickelt haben488. Die dazu entwickelte Kasuistik ist entsprechend der vom Dienstgericht des Bundes schon zu Anfang zutreffend konstatierten Unmöglichkeit, eine allgemeine Abgrenzungsformel aufzustellen489, folgerichtig vielfältig490 und – wie stets bei Einzelfallrechtsprechung – teils widersprüchlich. Die von ihm angebotene „Faustregel“491 einer Möglichkeit, einen Auslegungsstreit dem Bereich äußerer Ordnung um so eher zuzuweisen, als er dem Kernbereich richterlicher Aufgaben entrückt sei492, ist zunächst ein Zirkelschluß und hilft vor allem bei der generellen Frage nach dem Umfang der Unabhängigkeitsgarantie nicht weiter493. Im Rahmen der Beurteilung gilt die Kernbereichstheorie nicht. Im Hinblick auf ihre Funktion, eine Entscheidung über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG) etwa in Beförderungsverfahren zu ermöglichen, muß eine dienstliche Beurteilung auch den Inhalt der richterlichen Tätigkeit in ihrem Kernbereich thematisieren und kann sich nicht nur im äußeren Ordnungsbereich aufhalten. Allerdings stellt auch die Beurteilung eine Maßnahme der Dienstaufsicht dar, so daß sie sich im Rahmen des § 26 DRiG halten muß, im negativen Sinne also nicht über Vorhalt und Ermahnung hinaus gehen darf. Vor allem aber muß der Dienstvorgesetzte seine Wertungen losgelöst vom Einzelfall 487 So die Aufzählung bei AK-GG-Wassermann, Art. 97 (2001) Rn. 28; umfassender Nachweis der Einzelfälle bei Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 24, Kissel, GVG, § 1 Rn. 63, und Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 15, die hier auf den Inhalt des Begriffs „Rechtsprechung“ Bezug nehmen; im Ergebnis ebenso R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 1; KKPfeiffer, § 1 GVG Rn. 6. 488 Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 52. 489 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (172). 490 Schlosser/Habscheid, in: Shetreet/Dechênes (Ed.), Judicial Independence, S. 78 (79): „In Germany, the judges are as prone to go to court as the German public, generally. There exists in the German Federal Republic, therefore, a very extensive ,case law‘ for judicial independence.“; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 30 („detaillierten Judikatur“). 491 Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht, S. 36. 492 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (172). 493 Dies mag im Bereich der Dienstaufsicht anders sein, da dort auch im an sich geschützten Kernbereich die Art und Weise der Amtsführung vom BGH unter den Begriff der äußeren Ordnung subsumiert wird, so etwa BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 51, 280 (288).

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treffen und dabei verhindern, daß seine Formulierungen unmittelbar oder mittelbar zu einer Weisung in Form einer psychologischen Beeinflussung werden494. Eine weitergehende oder widersprechende Konzeption des Bundesverfassungsgerichts ist nicht entwickelt worden. Hierfür bestand weder Anlaß noch Gelegenheit, denn der rechtliche Charakter des Art. 97 Abs. 1 GG läßt kaum Konstellationen zu, in denen Bürger, für die er ebenfalls kein Grundrecht darstellt, ihn inzident zum Prüfungsmaßstab einer Verfassungsbeschwerde machen könnten. In dieser Hinsicht sind letztlich nur die Richter direkt betroffen, denen aber über § 26 Abs. 3 DRiG ein direktes und effektives Mittel zur Verfügung steht. Dem BGH als Dienstgericht des Bundes kommt auf diese Weise faktisch die Aufgabe zu495, die letztverbindliche Auslegung des unmittelbaren Verfassungssatzes von der Unabhängigkeit des Richters zu ermitteln – eine Aufgabe, die ansonsten eigentlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist. 5. Fazit der dienstgerichtlichen Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes zur Dienstaufsicht ist von verschiedenen Seiten kritisiert worden. Sie wird entweder als zu einschneidend für die richterliche Unabhängigkeit gewertet oder aber als zu großzügig und zu weitgehend. Daneben zielt die Kritik aber auch auf die Methode der Kernbereichstheorie, da die Abgrenzung zwischen Bereich äußerer Ordnung und dem Kernbereich kaum befriedigend möglich sei. Statt dessen wurden Alternativen angeboten, die aber angesichts der gesetzlichen Zulassung der Dienstaufsicht um das Problem einer Abgrenzung, wie sie die Kernbereichstheorie versucht, nicht herumkommen. Damit leiden sie strukturell am selben Mangel notwendiger Differenzierung, so daß es nur zu einer Problemverschiebung kommt. Man mag die eine oder andere Entscheidung des Dienstgerichts für zu weitgehend halten wie etwa die Auffassung, daß die Entscheidung über die Aufnahme des Protokolls auf Tonträger anstelle der Inanspruchnahme einer Protokollführerin Teil des Kernbereich richterliche Tätigkeit und damit der Einflußnahme der Dienstaufsicht entzogen sei496. Gleiches gilt auch für die grundsätzliche Entscheidung, daß ein Richter zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden nicht verpflichtet sei497. Kritisch wird auch zu würdigen sein, daß das Dienst494

Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 32. In diese Richtung auch Lerch, DRiZ 1993, S. 225 (226). 496 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1988, S. 417; krit. hierzu Kissel, GVG, § 1 Rn. 75. 497 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff.; dazu krit. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 33. Letztlich trifft wohl die Auffassung von U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (170), den Kern der Problematik, daß die Freistellung von Arbeitszeitordnungen keine Frage der richterlichen Unabhängigkeit, sondern „einer bloß sinnvollen, flexiblen Arbeitsorgani495

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

gericht des Bundes den durch die Unabhängigkeit vermittelten Freiraum äußerst weit zieht und schon jede psychologische Einflußnahme, also schon eine bloße Nachfrage498, verbietet. Im Ergebnis wird man dieser Linie jedoch zustimmen müssen, die wohl auch auf der Erkenntnis beruht, daß die Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit nicht durch unmittelbare Weisungen bedroht ist, sondern vielmehr durch informelle Abhängigkeiten und Rücksichtnahme gerade gegenüber dem Dienstvorgesetzten. Dabei darf auch nie die hypothetische Betrachtung vernachlässigt werden, wie es um die Unabhängigkeit aussähe, wenn das Dienstgericht einen weniger rigorosen Weg eingeschlagen hätte. Vielleicht neigt die Dienstaufsicht an mancher Stelle unnötig zur Leisetreterei499; verdienstvoll ist es gleichwohl, daß ihr die Zähne gezogen worden sind500. Denn letztlich darf auch bei aller zutreffenden Kritik nicht vergessen werden, daß die massivsten Gefährdungen der Unabhängigkeit des Richters auch vom Dienstgericht des Bundes und auch vom Bundesverfassungsgericht501 nicht in Abrede gestellt werden: das Recht zur dienstlichen Beurteilung und die Entscheidung über eine Beförderung durch die Exekutive. Man braucht nicht erst die in diesem Zusammenhang stets zitierte502 (angebliche503) Äußerung des preußischen Justizministers Leonhardt504 zu bemühen, daß er gerne zum Zugeständnis richterlicher Unabhängigkeit bereit sei, solange er über die Beförderung zu entscheisation“ darstellt; ebenso Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 299. Wie sehr dieses Privileg richterlicher Tätigkeit bei anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf sensible Abneigung stößt, mag folgender Umstand verdeutlichen: In einer ersten Rezension von Band 3 des von Dreier herausgegebenen GG-Kommentars griff der Rezensent, (Ministerialrat) H. Günther, HessStAnz 2001, S. 339, als eine von zwei Kommentarstellen (aus dem aus insgesamt fast 7000 Wörtern bestehenden Kommentierung zu Art. 97 GG) ausgerechnet die zuvor zitierte Kritik von Schulze-Fielitz an dieser Rechtsprechung lobend-zustimmend heraus; dazu auch schon Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 60 f. 498 Wie etwa BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. 499 In diesem Sinne Schmidt-Jortzig, NJW 1991, S. 2377 (2380), und ihm folgend Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 32; ähnlich (und weitergehend) Fenge, in: Gilles (Hrsg.), Anwaltsberuf und Richterberuf, S. 81 (97 f.): auftauchende Probleme würden „im allgemeinen behutsam angefaßt“; Einflußnahmen im Kernbereich seien „vollständig tabuisiert“. 500 Sendler, NJW 1983, S. 1449 (1450); zutreffend differenzierend auch Eylmann/ Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 28. 501 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 130, 304 (308); BVerfGE 12, 81 (97 f.); DRiZ 1975, S. 284. 502 Etwa Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (122); Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 98 Rn. 14; Bilda, JR 2001, S. 89 (91); Burmeister, DRiZ 1998, S. 518, (519); D. Brüggemann, Rechtsprechende Gewalt, S. 167; Piorreck, DRiZ 1993, S. 109 (110); Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (647); Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 (70); Schreiber, FS Jescheck, S. 757 (770); W. Geiger, DRiZ 1982, S. 321 (321); Simon, Unabhängigkeit, S. 31; Ostermeyer, Zeitbombe, S. 114; Schiffer, Deutsche Justiz, S. 253; wegen der Bekanntheit des Zitats nur andeutend Henrichs, DRiZ 1990, S. 41 (44 f.). 503 Kissel, GVG, § 1 Rn. 152, bestreitet die Urheberschaft Leonhardts.

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den habe505, um sich klarzumachen, daß eine Aussage nicht in Form der Weisung zu erfolgen braucht, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, wenn sie von dem zur Beurteilung Berufenen stammt. Insofern muß es als legitimes Anliegen der Rechtsprechung bewertet werden, wenn sie sich um eine möglichst weit vorverlagerte „Abwehr“ von Beeinflussungen bemüht. Kehrseite dessen ist sodann zwangsläufig eine Zunahme der – jedenfalls von außen so wahrzunehmenden – Privilegien für Richter und der Eindruck einer gewissen mimosenhaften Kritikempfindlichkeit506. Die richterliche Unabhängigkeit ist nach einhelliger Auffassung kein (Standes-)Privileg der Richterschaft507. Sie wird nur als notwendige Voraussetzung des Justizgewährleistungsanspruchs garantiert, den nur unabhängige Richter befriedigen können. Ihr Gegenstück, die Dienstaufsicht über Richter, soll allerdings dem gleichen Zweck dienen. Dies macht eine gegenseitige Abgrenzung im Hinblick auf die jeweilige Zielsetzung äußerst komplex. In den typischen Fällen der Abwägung treffen verschiedene Rechtsgüter mit unterschiedlichen Zwecksetzungen aufeinander; beispielhaft sei die Versammlungsfreiheit im Gegensatz zu einem Versammlungsverbot genannt. Hier läßt sich das Recht zur Teilnahme am politischen Meinungsbildungsprozeß gegenüber dem gänzlich anderen Ziel des Schutzes der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abwägen. Anders verhält es sich zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht: Wird der Unabhängigkeit zur Durchsetzung verholfen, dient dies dem Justizgewährleistungsanspruch; kommt es zu einem zulässigen Tätigwerden der Dienst504 Gerhard Adolph Wilhelm Leonhardt (* 6.6.1815, y 7.5.1880), 1865/66 hannoveraner Justizminister, 5.1.1867 bis 29.10.1879 preußischer Justizminister; vgl. auch zu seinem besonderen Beitrag für die Reichsjustizgesetze jüngst Kristen/Borrmann, in: Rückert/Vortmann (Hrsg.), Niedersächsische Juristen, S. 196 ff. 505 Ähnlich auch in jüngerer Zeit noch in „Preußen“: Der Berliner Senatsdirektor v. Stahl meinte zur Zeitungsanzeige von 148 Westberliner Richtern gegen die NatoNachrüstung 1981: „Ich kann mir ja die Anzeige mit den Unterschriften neben mein Stehpult hängen und immer wieder mal draufgucken, wenn Beförderungen anstehen.“ (zitiert nach Kusserow, in: ders. [Hrsg.], Richter, S. 65 [73]). 506 So auch Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (96). Der Anschein groben Mißständnisses über die Verantwortung des richterlichen Amtes erzeugt der Fall in BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. (verkürzt wiedergegeben in DRiZ 2002, S. 226), zutreffend krit. Kirchhoff, BJ 2002, S. 253, der allerdings meint, der „faule Richter“ handele „noch nicht pflichtwidrig“. Zutreffend Nordmann, NordÖR 2002, S. 187 (188): „Die richterliche Unabhängigkeit (. . .) beinhaltet somit vor allem auch kein Recht auf Müßiggang“. 507 Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (645); Faller, FS Zeidler, S. 81 (82); Pfeiffer, FS Bengl, S. 85 und 87; ders., DRiZ 1979, S. 229 (229); W. Geiger, DRiZ 1979, S. 66 (67); U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (149); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 54; Schäfer, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg24, § 1 GVG (1989) Rn. 3; Fürst/Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 14; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 21; Kissel, GVG, § 1 Rn. 43; BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 1978, S. 185 f.; NJW 2002, S. 359 (360); so auch schon unter Geltung der WRV, s. Gülland, Dienstaufsicht, S. 61.

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aufsicht, ist ebenfalls diesem Ziel gedient. Es reicht folglich nicht aus, im Spannungsfeld zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht ein Über-/ Unterordnungsverhältnis verschiedener Zwecke zu definieren, wie es etwa im allgemeinen beim Vorrang der Versammlungsfreiheit gegenüber dem Schutz etwa der Leichtigkeit des Verkehrs (als Schutzgut der öffentlichen Ordnung) der Fall ist508, um anhand dieser Zweckhierarchie zu einer Entscheidung zu gelangen. Die identische Zweckrichtung von Unabhängigkeit und Dienstaufsicht verschiebt die Abwägungsebene von teleologischen Erwägungen weg hin zu einer graduellen Betrachtungsweise, die einer diesbezüglich zu treffenden Entscheidung einen verstärkten politischen Charakter zuweist. Wieviel Dienstaufsicht und wie wenig richterliche Unabhängigkeit (oder umgekehrt) generell oder im Einzelfall sinnvoll ist, läßt sich kaum verfassungsrechtlich ableiten. Ansätze zur prinzipiellen Maßstabsbildung sind zwar erkennbar, wenn es etwa heißt, daß im Zweifel der richterlichen Unabhängigkeit der Vorrang zu geben sei509; ebenso hat der Gesetzgeber durch die Beschränkung zulässiger Maßnahmen auf Vorhalt und Ermahnung in § 26 Abs. 2 DRiG den Einfluß der Dienstaufsicht (verfassungsgeboten510) reduziert. Darüber hinaus bleibt es aber angesichts der Vielzahl von Richtern in der Bundesrepublik Deutschland ein unerreichbares Ideal, die damit verbundene quantitative wie qualitative Vielfalt des Aufeinandertreffens von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht gesetzlich für jeden Einzelfall im voraus gesetzlich zu steuern. Mehr als die aufgezeigten (dürftigen) Grenzen ist gesetzlich nicht möglich, wenn man nicht eine Dienstaufsicht gänzlich ausschließen will. Statt dessen muß die richterliche Unabhängigkeit prozedural gesichert werden, was dem Gesetzgeber durchaus gelungen sein dürfte. Die Vorhand der dienstaufsichtlichen Exekutive wird richterlich domestiziert durch die Richterdienstgerichte, die jeder Richter ohne wirklich spürbare Zulässigkeitsbarriere anrufen kann. Dies bürdet freilich den Richtern die „Last“ auf, selbst die Überprüfung in Gang zu setzen und sich so individualisiert gegen den (später) beurteilenden Dienstvorgesetzten zu stellen511. Dabei darf die 508 Vgl. Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier (Hrsg,), Versammlungsrecht, § 15 Rn. 103 ff. 509 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 67, 184 (188); Kissel, GVG, § 1 Rn. 61; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 23 a. E.; ebenso Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 26 DRiG Rn. 3. 510 BVerfGE 38, 139 (151 f.); BVerfG, DRiZ 1975, S. 284, formulieren, daß die Dienstaufsicht zulässig sei, solange sie sich im Rahmen des § 26 DRiG halte. Hieraus eine Konstitutionalisierung dieser gesetzgeberischen Entscheidung als einzig verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung der Dienstaufsicht abzuleiten, ginge angesichts der jeweils nur kurzen Ausführungen des BVerfG wohl zu weit. 511 Diese „Last“ ist in ihrem Gewicht schwer zu bemessen, bedarf aber wohl des nicht geringen Mutes, s. Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (267); vgl. etwa den Fall einer Entlassung eines Richters auf Probe in BGH (Dienstgericht des Bundes), Urt. v. 25.8.1992 – Az: RiZ (R) 2/92 – (nur in iuris veröff.). Die Problematik ist aber als solche nicht neu: Vgl. bereits v. d. Nahmer, AcP 11 (1828), S. 298 (318): „(. . .) während sich der ganze Stolz der Dicasterien gegen solche richtet, die einen Widerspruch,

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„psychisch besonders schwierige Entscheidung zwischen Anpassung und Aufbegehren, zwischen Opportunität und Karriere“512 nicht als Lappalie abgetan werden – gleichwohl bleibt wohl keine Alternative. Denn hier wäre nur denkbar gewesen, jegliche dienstaufsichtliche Maßnahme einem Richtervorbehalt zu unterwerfen – etwa auf Antrag des Dienstvorgesetzten, was dann zu einer Parallele zum gerichtlichen Disziplinarverfahren geführt hätte. Es erscheint jedoch gänzlich unpraktikabel, jede noch so geringe Maßnahme einem Richter zu überantworten. Die Vielzahl von möglichen Gegenständen der Dienstaufsicht lassen sich rein praktisch nicht in einem Antragsverfahren in einem gerichtlichen Verfahren erledigen, das dann dessen Förmlichkeiten unterliegen müßte und allzu aufwendig wäre. Es widerspräche grundsätzlich auch dem Anliegen des betroffenen Richters, der nicht selten kein Interesse daran haben wird, mögliche Vorhalte oder Ermahnungen in einem größeren Verfahren unter Beteiligung von Kollegen als dann entscheidende Richter thematisiert zu sehen513. 6. Die Gefährdung der Unabhängigkeit durch Struktur und Einzelfall Unabhängigkeitstangierende Einflußnahmen auf den Richter lassen sich in zwei Gruppen teilen: Auf der einen Seite stehen solche, die nur im Einzelfall ihrer konkreten Anwendung problematisch sind, auf der anderen solche, die generell und unabhängig von ihrer punktuellen Aktualisierung mit dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar sind. Beispielhaft läßt sich diese Klassifizierung auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verdeutlichen: Die besoldungsrechtliche Einstufung eines Richters im Ermessen der Exekutive außerhalb einer formellen Beförderung ist generell eine unzulässige Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit, ohne daß es dabei auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. Auch keine noch so rechtsstaatliche und willkürfreie Praxis der Rechtsprechungsverwaltung kann hier den Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG heilen514. Anderes gilt jedoch für die Unterwerfung der Richter unter eine exekutive Dienstaufsicht, diese soll keine allgemeine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit darstellen, solange sie die Grenzen des § 26 DRiG einhält: „Es gibt also nur das verfassungsrechtliche Problem, daß konkrete Maßnahmen der Dienstaufsicht, die die Spitze der Exekutive gegen Richter trifft, wegen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit verfassungswidrig sind.“515 eine Zurückweisung in die gesetzlichen Schranken wagen. Nicht eher wird (. . .) aufgehört, bis der Muth und das Selbstgefühl des angeblich renitirenden, anmaßenden Individuums erdrückt, und es dahin gebracht wird, das Unvermeidliche mit muthloser Gleichgültigkeit zu ertragen“. 512 Simon, DRiZ 1980, S. 90 (92). 513 Diese Erwägung gilt auch für den Verbleib der Disziplinarbefugnis des Dienstvorgesetzten im Falle eines Verweises (vgl. § 63 Abs. 1 DRiG). 514 Vgl. BVerfGE 12, 81 ff.

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„Es besteht deshalb kein Grund für die Annahme, das Grundgesetz habe eine ,umfassende‘ Garantie für jede richterliche Tätigkeit gewähren und damit die überlieferte Auffassung verlassen wollen, wonach die richterliche Unabhängigkeit ihrem Wesen nach nicht so weit reicht, daß sie auch Maßnahmen der Justizverwaltung zur Sicherung eines ordnungsmäßigen Geschäftsablauf schlechthin ausschlösse.“516

Diese Unterscheidung ist nicht nur akademischer Natur, sondern hat weitreichende Konsequenzen für die Stellung des Richters, insbesondere gegenüber den anderen Staatsgewalten, da mit ihr eine bestimmte Lastenverteilung verbunden ist. Wird eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit als generell unzulässig angesehen, entlastet dies den einzelnen Richter – er wird völlig von solchen Einflüssen freigestellt. Ganz anders verhält es sich in Fällen wie der Dienstaufsicht: Hier wird dem Richter die Verpflichtung auferlegt, trotz seines Wissens etwa um die (permanente) Beobachtung und Beurteilung durch einen Vorsitzenden oder Gerichtspräsidenten diesem Umstand bei seiner Entscheidung keinen Einfluß einzuräumen. Schon dies ist eine doppelte Anstrengung, verlangt sie doch zunächst, sich bewußt zu machen, daß es diese Faktoren gibt und sie Beeinflussungspotential besitzen: Hinzutreten muß dann als der noch schwierigere zweite Schritt die bewußte Ausschaltung dieser möglichen Manipulation in der konkreten Entscheidungsfindung. „Unabhängig (. . .) ist ein Richter in dem Maße, in dem er sich seiner Abhängigkeiten bewußt geworden ist.“517 Es tritt noch weiteres hinzu: Wie stets, wenn es keinen absoluten Maßstab gibt, bedarf es der (abwägenden) Entscheidung des konkreten Einzelfalls, was zu Folgeproblemen führt: Es muß ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden, das eine Überprüfung der konkreten Maßnahme ermöglicht, und ein Entscheider bestimmt werden (vgl. §§ 26 Abs. 3, 62 DRiG). Entscheidend für den Richter ist aber, daß ihm allein die Entscheidung übertragen wird, ob er eine Maßnahme anfechten soll, da die Gerichtsverwaltung stets in der Vorhand ist und dem Richter nur eine ex post Kontrolle verbleiben kann. Diese persönliche Verantwortung darf nicht unterschätzt werden, ist doch der Weg zum Querulantenetikett nicht weit518 und der Angriff gegen den eigenen Präsidenten, der die nächste Beurteilung anfertigen wird, nicht per se unproblematisch. Jede Hinnahme der grundsätzlichen Zulässigkeit einer die richterliche Unabhängigkeit tangierenden Organisationsstruktur trägt daher den Charakter einer Belastung des Richters im Sinne einer mehrfachen Verantwortungszuweisung: nämlich für die Aufrechterhaltung seiner inneren Unabhängigkeit trotz Abhängigkeiten wie 515

BVerfGE 38, 139 (152) – Hervorh. im Original. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (169). 517 Schmid, Unbehagen, S. 101 (vgl. auch oben § 1 III. 1.); jüngst wieder Lamprecht, DRiZ 2004, S. 89 ff. 518 Weist, DRiZ 1968, S. 223 (226), weist zudem auf das – wohl jedoch erträgliche – Kostenrisiko hin. 516

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Beurteilung, Geschäftverteilung etc. sowie für die Abwehr von unabhängigkeitsbeeinträchtigenden Maßnahmen und die möglicherweise belastenden informellen Folgen519 eines solchen – erfolgreichen oder erfolglosen – Vorgehens. Dieser Befund wird dadurch noch negativ gesteigert, daß sich der Richter in einer strukturell unterlegenen Position befindet. Er steht immer als einzelner der Rechtsprechungsverwaltung bis hin zum Minister, also einem großen Apparat gegenüber, selbst wenn er sich der Unterstützung der Kollegen oder der Verbände sicher sein könnte. Aber auch wenn man dies als unproblematisch ansieht, so kann auch ein perfektes Prüfungsverfahren wie § 26 Abs. 3 DRiG in keinem Fall die vielen informellen Einflußnahmeoptionen neutralisieren, die sich infolge der grundsätzlichen Zulassung von Einflußkanälen ergeben, die sich die Dienstaufsicht bewußt nutzbar macht oder die der betroffene Richter von sich aus als vermeintlich oder tatsächlich für effektiv in diesem Sinne hält520. Solange also eine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit einer strukturellen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit verneint wird, sind folgende vier Konsequenzen nicht zu verhindern: 1. Je mehr an Beeinflussung strukturell zulässig ist, desto größer ist die Belastung des Richters hinsichtlich der Aufrechterhaltung seiner inneren Unabhängigkeit. 2. In Einzelfällen kann es zu verfassungswidrigen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit kommen, zu deren Abwehr ein Verfahren, vergleichbar dem des § 26 Abs. 3 DRiG, zur Verfügung gestellt werden muß. 3. Die Verantwortung für die Verhinderung der Unabhängigkeitsverletzungen obliegt allein dem einzelnen Richter. 4. Kein Verfahren kann die mit dem strukturellen Einflußpotential einhergehenden informellen Einflußnahmen auf die richterliche Arbeit verhindern; allein jeder Richter selbst kann diese für sich neutralisieren.

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Vgl. oben FN 511. Diese ungleiche Lastenverteilung gewinnt zudem dadurch an Brisanz, daß die richterliche Unabhängigkeit kein subjektives Recht des Richters darstellt, sondern eine Konkretisierung des objektiven Gewaltenteilungsprinzips. Die Verhinderung von verfassungswidrigen Unabhängigkeitseingriffen durch den sich wehrenden Richter dient daher dem Schutz der objektiven Rechtsordnung; § 26 Abs. 3 DRiG ist eine Mobilisierung des Richters für die Durchsetzung des Rechts. Den Schutz des grundlegenden Prinzips der richterlichen Unabhängigkeit in die Hände der Richter zu legen, erscheint durchaus sinnvoll. Widersprüchlich aber muß es erscheinen, wenn man zugleich dessen Durchsetzung für den einzelnen derart erschwert. 520

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7. Die mangelnde Beachtung struktureller Gefährdungen durch das Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat bisher zur Dogmatik der richterlichen Unabhängigkeit nur wenig beigetragen und bei der Bildung eines Obersatzes zur Subsumtion unter Art. 97 Abs. 1 GG wenig Weitergehendes kreiert. Dies beginnt zunächst bei der Definition der sachlichen Unabhängigkeit, die es in ständiger Rechtsprechung mit „Weisungsfreiheit“ gleichsetzt. Dadurch wird die für die so wichtige Abgrenzung zwischen Richter und Gerichtsverwaltung schmerzlich geringe Aussagekraft des Grundgesetzes perpetuiert, auch wenn diese Rechtsprechung sich auf die Entstehungsgeschichte berufen kann521. Die zurückhaltende Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ist aber auch insofern für die organisatorischen Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit besonders schädlich, weil nur dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zukommen kann, institutionelle Gegebenheiten der aktuellen Gerichtsverwaltung wegen ihrer unabhängigkeitsgefährdenden Wirkungen zu beanstanden. Die Rechtsprechung der Dienstgerichte kann nur danach ansetzen. Sie greift etwa erst dann ein, wenn man schon die Unterordnung der Richter unter eine exekutive Aufsicht anerkannt hat. Hierfür erweist sich das Bundesverfassungsgericht allerdings als zu unsensibel, um eine differenzierte Betrachtung organisatorischer Gegebenheiten und deren Wirkung auf die richterliche Unabhängigkeit vorzunehmen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht durchaus Ansätze zu einer weitergehenden Interpretation aufgezeigt: „Die dem Richter vom Grundgesetz garantierte sachliche und persönliche Unabhängigkeit bedeutet nicht nur, daß der Richter keinerlei Weisungen unterworfen und nicht wider seinen Willen aus seinem Amt entfernt werden darf. Ein wirksamer Schutz der richterlichen Unabhängigkeit erfordert mehr.“522

Dies hat es auch in Ansätzen für den Bereich der persönlichen Unabhängigkeit durchgesetzt. Dies zeigt sich etwa in den Besoldungsentscheidungen523 oder auch bei der Ausschaltung eines Richters durch die Geschäftsverteilung des Präsidiums, die als einer Versetzung i. S. d. Art. 97 Abs. 2 GG gleichkommende Maßnahme interpretiert wurde524. Für die sachliche Unabhängigkeit fehlen solche konkretisierenden Schlußfolgerungen. Die Banalisierung der sachlichen Unabhängigkeit als „Weisungsfreiheit“ dominiert die Rechtsprechung des Gerichts bis heute, ohne daß inhaltliche Beeinflussungen unterhalb der „Weisung“ die notwendige Beachtung gefunden hätten. Zuzugeben ist freilich, daß eben diese Weisung eine entscheidende 521

Vgl. oben bei FN 326. BVerfGE 12, 81 (88), nämlich jedenfalls eine feste Besoldung. 523 Insbesondere BVerfGE 12, 81 ff., mit einer klaren Absage an die unzureichende Interpretation des Reichtsgerichts (ebd., 96 f.). 524 BVerfGE 17, 252 ff. 522

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Grenzlinie markiert, nämlich die der Formalität und damit der Justitiabilität. Der Einfluß verschiedener Faktoren auf das Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens läßt sich unterhalb der Weisung nicht verifizieren; er bleibt im Bereich der Spekulation, was nicht zuletzt dem Fehlen einer Rechtsprechungslehre anzulasten ist. Allerdings könnte auch eine solche nur strukturelle Bedingungen aufzeigen, niemals aber jeweils im Einzelfall entscheidende Bedingungszusammenhänge offenlegen. Anders wäre dies im Falle von Weisungen, die per se und ohne weitere Umstände die richterliche Unabhängigkeit und die Garantie des gesetzlichen Richters verletzen. Hinzu kommt, daß die Weisung einzelfallbezogen ausgerichtet ist, während alle anderen Beeinflussungsfaktoren Gefährdungen erzeugen, die das Ergebnis struktureller, gerade nicht fallindividueller Bedingungen sind, unter denen Rechtsprechung stattfindet. Verfassungsrichterliches Eingreifen im Hinblick auf die sachliche Unabhängigkeit bliebe daher nicht lediglich auf Randkorrekturen oder einzelfallbezogene Steine des Unabhängigkeitsmosaiks beschränkt – wie jeweils bei Entscheidungen der Richterdienstgerichte 525. ielmehr müßte ein grundsätzlicher Wandel der Organisation der Rechtsprechung als Staatsgewalt durch das Verfassungsgericht „verordnet“ werden, dessen Einführung als staatsorganisatorische Grundentscheidung nur dem (wohl Vverfassungsändernden) parlamentarischen Gesetzgeber zukommen könnte. Daher mag das recht pauschale verfassungsgerichtliche Placet gegenüber einer exekutiven Dienstaufsicht über Richter526 einerseits mangelndes Problembewußtsein dokumentieren. Es ist aber andererseits Ausdruck der Tatsache, daß (auch) die Dienstaufsicht über Richter durch Präsidenten und Minister ein Wesensmerkmal der deutschen Rechtsprechungsverwaltung darstellt, das weder vor 1933 noch nach dem 23. Mai 1945 durch den demokratischen Gesetzgeber, vor allem aber auch nicht durch den Grundgesetzgeber grundsätzlich in Frage gestellt worden ist527. Dies belegt nicht die rechtsstaatliche Perfektion oder „Richtigkeit“ dieser Grundentscheidung, aber es dokumentiert eben den Charakter eines Strukturmerkmals der deutschen Staatsorganisation, dessen Reform nicht (allein) dem Verfassungsgericht am Gesetzgeber vorbei überlassen sein kann. Allerdings war die Bereitschaft des Bundesverfassungsgerichts zum Eingriff in gesetzgeberische Entscheidungen im Hinblick auf die persönliche Unabhängigkeit ungleich größer. Sie haben aber nicht die grundsätzliche Bedeutung, wie sie einer Änderung der Rechtsprechungsverwaltung zukommen würde. Die Frage einer richterlichen Besoldungshöhe im Ermessen der Exekutive betrifft zwar auch die Grundlage des Verhältnisses von Exekutive und Judikative und 525 Auch wenn deren Aussagen durchaus systemgestaltenden Charakter annehmen können, wie etwa das Verbot von Arbeitszeitregelungen. 526 BVerfGE 38, 139 (151 f.). 527 Zu den Ausnahmen s. oben § 2 V. 2. a) aa).

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birgt die Möglichkeit einer Abhängigkeit des Richters von der Exekutive528. Die Entscheidung über ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit529 beinhaltet jedoch nicht das Veränderungspotential von Eingriffen in die Struktur der Rechtsprechungsverwaltung. Gleiches gilt etwa für den Umstand, daß „Vizepräsidenten des Amtsgerichts“, „Amtsgerichtsdirektoren“ oder „Oberamtsrichtern“ der so einmal erworbene Titel auch nicht durch den Gesetzgeber wieder entzogen werden kann530. Gleichwohl bleibt eine Diskrepanz zwischen dem im Obersatz formulierten „Anspruch“ des Bundesverfassungsgerichts und seinem dann folgenden Subsumtionsergebnis. Vor allem aber die mehrfach zitierte Formulierung, die richterliche Unabhängigkeit verbiete „jede vermeidbare Einflußnahme“ wird ihrem vielversprechenden Inhalt nicht gerecht. Dies gilt um so mehr, als sie zunächst auf den „Status des einzelnen Richters“531 bzw. „die Rechtsstellung des Richters“532 bzw. „der Richter“533 bezogen war, dann aber unter Bezugnahme auch auf diese früheren Verwendungen als Verbot jeder vermeidbaren „Einflußnahme auf die rechtsprechende Gewalt“534 insgesamt ausgedehnt wurde. Eine Differenzierung danach, ob dies eine Folge der sachlichen oder persönlichen Unabhängigkeit darstellt, erfolgt nicht535. Die Kommentarliteratur hat den Vermeidbarkeitsbegriff in neuerer Zeit übernommen536, ohne aber Konsequenzen daraus zu ziehen. Jedenfalls müßten, wenn der Begriff wirklich brauchbar sein soll, Kriterien dafür gefunden werden, an welchem Maßstab die Vermeidbarkeit denn festzumachen ist. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat mittelbar im Rahmen eines Subsumtionsvorgangs eine Definition des Vermeidbarkeitsbegriffs geliefert: Eine Regelung sei „deshalb vermeidbar“, weil sie „zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte aus ihrer Verfassung und Organisation heraus nicht nötig“ sei537. Allerdings ließen sich von den zuvor aufgezeigten Beeinflussungspotentialen gerade der Exekutive sicherlich einige beseitigen, ohne daß es zu einem funktionswidrigen Zustand der Rechtsprechung käme. Die aktuelle Diskussion um die Selbstverwal528

So die Einschätzung von BVerfGE 26, 79 (94). BVerfGE 12, 81 ff.; 26, 79 ff. 530 BVerfGE 38, 1 ff. 531 BVerfGE 12, 81 (88). 532 BVerfGE 26, 79 (93). 533 BVerfGE 38, 1 (21). 534 BVerfE 55, 372 (389). 535 In BVerfGE 26, 79 (93); 38, 1 (21), wird Art. 97 Abs. 1 GG als Rechtsgrundlage genannt. 536 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 19; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 18; Bernsdorff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 97 Rn. 14; Jarass/Pieroth, GG, Art. 97, Rn. 3. 537 BVerfGE 26, 79 (94); vgl. auch Bernsdorff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 97 Rn. 14, Fn. 20. 529

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tung der Gerichte kann hierfür als gutes Beispiel dienen. Die Beförderung oder auch die Dienstaufsicht durch die Exekutive ist keine Notwendigkeit, selbst wenn man eine Dienstaufsicht als solche für unentbehrlich und damit „unvermeidbar“ im Hinblick auf den Justizgewährleistungsanspruch ansieht538. Das Vermeidbarkeitskriterium ist im Ergebnis daher nichtssagend und weckt Erwartungen, die es nicht zu erfüllen in der Lage ist. Denn die Frage der Notwendigkeit für die Funktionsfähigkeit der Gerichte setzt eine Prognose voraus, die aufgrund des Grundgesetzes selbst nicht geleistet werden kann. Daher bedarf es der politischen Wertung, die kaum justiziabel sein dürfte und daher als „soft law“ für die bedeutende Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Verwaltung und Richtern nutzlos wird. Keinesfalls aber wird sie in der Lage sein, dem Gesetzgeber Grenzen zu setzen, wenn dieser etwas ausdrücklich als notwendig für die Funktionsfähigkeit der Gerichte deklarieren sollte. Einen Vorrang der Verfassung gegenüber dem einfachen Gesetzgeber wird es daher in diesem Bereich nicht geben können. Das bloße Vermeidbarkeitskriterium mit der angebotenen Definition nimmt der Unabhängigkeitsgarantie (fast) jedes Steuerungspotential gegenüber dem Parlament. Daher beginnt seine Wirkung frühestens dort, wo die Tradition der deutschen Rechtsprechungsverwaltung endet, der die aktuelle Organisation der Gerichte nach wie vor folgt. Ausdrücklich hat dies das Bundesverfassungsgericht in wenigen Zeilen vor der Verwendung der Vermeidbarkeitsformulierung „vorweg“ bemerkt und damit klar gemacht, daß mögliche Anforderungen das Grundgesetz an die gesetzgeberische Ausgestaltung des Status des Richters und die Gerichtsverfassung insgesamt die überkommenen Modelle als solche nicht antasten: „Die Bestimmungen des IX. Abschnitts des Grundgesetzes über ,die Rechtsprechung‘, Art. 92 ff. GG, enthalten keinen Verfassungsauftrag an den für die Regelung der Gerichtsverfassung (vgl. Art. 74 Nr. 1 GG) zuständigen Bundesgesetzgeber, die im Zeitpunkt der Schaffung des Grundgesetzes vorhandene, in ihren Grundzügen und in ihrem Aufbau überkommene Gerichtsorganisation wesentlich zu ändern.“539

Die inhaltlich hinter dem Begriff stehenden Erwägungen sind freilich nicht ohne Konsequenzen geblieben und haben zu einer festen, von der Einstufung durch die Exekutive unabhängigen Besoldung geführt. Völlige Folgenlosigkeit kann daher nicht festgestellt werden. Dennoch bleibt als Resümee, daß das Bundesverfassungsgericht einen Bruch mit der Tradition ausdrücklich nicht vorgenommen hat. Läßt man die Frage der Besoldung einmal außen vor, so muß man feststellen, daß das strukturelle Gefährdungspotential der herkömmlichen Rechtsprechungsverwaltung zwar erkannt, der logische Schluß von der abstrakten Gefährdung zum daraus resultierenden verfassungsrechtlichen Verdikt je538 539

Siehe oben § 2 V. 2. b). BVerfGE 55, 372 (388).

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doch nicht gezogen wird. Dahinter steht ein über das Bundesverfassungsgericht hinaus verbreitetes Grundverständnis, das den Zusammenhang von Organisation der Rechtsprechungsverwaltung und Unabhängigkeit der Richter nur zurückhaltend berücksichtigt, ihm jedenfalls aber keine besondere Bedeutung für die Unabhängigkeitssicherung beimißt. Dies läßt sich an Äußerungen ablesen, die die Frage der ministerialen Ressortierung der Gerichtsverwaltung etwa im Hinblick auf Art. 92 GG für unbeachtlich halten, da die Gerichte „ohnehin seitens der Exekutive verwaltet würden“540. Diese neueren Äußerungen setzen eine Tradition fort, die es schon im Streit um die Status-Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts als „unwahrscheinlich“ bezeichnete, „daß durch die ministeriellen Verwaltungskompetenzen die Unabhängigkeit der Gerichte gefährdet“541 werde. Weiteres Indiz ist die heute mangels empirischer Grundlage allerdings kaum noch geführte Debatte um öffentliche Äußerungen von Richtern zu tagespolitischen Themen, die Disziplinarverfahren wegen Verstoßes gegen § 39 DRiG ausgelöst haben542. Die darum geführten Diskussionen hinsichtlich einer Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit stehen in keinem Verhältnis zur Bedeutung und geringen Zahl der beteiligten Richter543, während „kein Wort über die von einer Mehrheit der Richterschaft alltäglich erfahrenen Beschränkungen ihrer inneren Autonomie“544 verloren wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte zudem bereits zu Beginn seiner Tätigkeit mittels seiner Status-Denkschrift vom 27. Juni 1952545 eine theoretische Barriere aufgebaut, die die Ableitung einer Herauslösung der (gesamten) Dritten Gewalt aus der exekutiven Verwaltung aus dem Grundgesetz heraus letztlich unmöglich macht, auch wenn dies als solches kein Motiv des Gerichts gewesen sein wird. Denn die (heute selbstverständliche) „Selbstverwaltung“ des Gerichts546 ohne Unterstellung unter ein Ministerium und dessen Dienstaufsicht sowie der selbst aufgestellte, eigene Einzelplan im Bundeshaushalt wurden hier nicht etwa aus der Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Gericht und damit Teil der von der Exekutive „besonderen“ rechtsprechenden Gewalt abgelei540 Schoch, Übungen, S. 347; ihm folgend Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 59. 541 So Thoma, Rechtsgutachten, JöR 6 (1957), S. 161 (191), ausdrücklich gegen van Husen, AöR 78 (1952/53), S. 49 (55), der diese Unabhängigkeitsgefährdung im Gegensatz dazu für „evident“ hielt. 542 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 39 Rn. 14 ff.; einen beachtenswerten Extremfall schildert Kusserow, in: ders. (Hrsg.), Richter, S. 65 (74). 543 Siehe etwa Sendler, NJW 1984, S. 689 ff.; hierzu mit Recht krit. Bäumer, FS Schmid, S. 199 (209). 544 So Lautmann, FS Wassermann, S. 109 (113). 545 Abgdr. in JöR (n. F.) 6 (1957), S. 144 ff. 546 Durch Plenum und Präsident, was ebenfalls einen deutlichen Unterschied zu allen anderen Gerichten darstellt, die keine Verwaltung durch das gesamte Richterkollegium kennen; zu Einzelheiten s. Benda/Klein, VerfProzR, Rn. 155 ff.

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tet, sondern (nur) aus dem Status als Verfassungsorgan. Dies bedeutet im logischen Umkehrschluß, daß alle anderen Nicht-Verfassungsorgane eine solche Selbständigkeit jedenfalls nicht als verfassungsrechtlich zwingend beanspruchen können. Ausdrücklich geht das Gericht dann auch auf die Stellung der Bundesverfassungsrichter im Gegensatz zu den „übrigen“ Richtern ein, deren Organqualifikation „immer nur eine mittelbar abgeleitete sein“ könne, „während die des Richters am Bundesverfassungsgericht eine unmittelbar auf die Verfassung selbst begründetet, echte repräsentative Organstellung“547 sei. Gemäß dem Grundsatz quod licet Iovi, non licet bovi kann auf der Basis dieser Argumentation aus dem Grundgesetz ein Anspruch auf Unabhängigkeit von ministerieller Verwaltung nicht hergeleitet werden. Allerdings wird hier wegen der Betonung der Verfassungsorganqualität als Grund für die Sonderstellung vom Bundesverfassungsgericht kein Konnex zwischen der verwaltungspraktischen Organisation der Rechtsprechung und ihrer Unabhängigkeit hergestellt. Einzige Ausnahme von der Ausblendung der Organisationsbedeutung bildet (wohl) die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs zur Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium548 durch bloßen Organisationserlaß des Ministerpräsidenten des Landes. Die Feststellung, daß die Organisation der Regierung jedenfalls dann nicht einen rein internen, bürokratischen Akt darstellt, wenn davon auch die Rechtsprechung als selbständige Gewalt betroffen ist, kann als erstmalige verfassungsgerichtliche, wenn nicht gar überhaupt „amtliche“ Anerkennung der objektiven Bedeutung der Rechtsprechungsverwaltung für die dritte Gewalt bezeichnet werden. Der Verfassungsgerichtshof hat keineswegs – auch wenn diesbezüglich ein kritischer Unterton erkennbar wird – behauptet, die gewählte Auflösung eines selbständigen Justizressorts oder seine Zusammenlegung gerade mit dem Innenministerium sei materiell mit der Landesverfassung unvereinbar. Vielmehr wurde lediglich klar gemacht, daß die Organisation der Rechtsprechungsverwaltung von wesentlicher Bedeutung für die Rechtsprechung und damit die Staatsorganisation insgesamt ist, so daß diesbezügliche Entscheidungen dem Parlament vorbehalten bleiben müßten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Welches geringe Problembewußtsein diesbezüglich gerade in der Fachöffentlichkeit vorhanden ist, zeigen die heftigen ablehnenden Reaktionen, die die Entscheidungen ausgelöst hat549. Auch wenn aus verfassungsrichterlichem Munde manch (selbst)kritisches Wort zum vordemokratischen Charakter der Justizstrukturen zu hören sein mag550, so ist doch die verfassungsrechtliche Kritik an den bestehenden Struk547 Status-Denkschrift, Abschn. B.II.7., abgdr. in JöR (n. F.) 6 (1957), S. 144 (147) – Hervorh. im Original. 548 VerfGH NW, NJW 1999, S. 1243 ff.; s. o. ausführlich § 1 IV. 549 Siehe oben § 1 III. 550 So wird die Richterin des Bundesverfassungsgerichts, R. Jaeger, auf der Tagung des Goethe-Instituts Turin „Rechtsraum Europa. Zur europäischen Union der Justiz“

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turen kein Gemeinplatz innerhalb der Richterschaft oder anderswo. Erst neuerdings ist angesichts der NSM auch die Abhängigkeit der Richter von der exekutiven Rechtsprechungsverwaltungszuständigkeit (wieder) in die verbreitete aktuelle Diskussion eingegangen, nachdem auch der Deutsche Richterbund die Problematik einer Selbstverwaltung der Justiz für sich entdeckt und hierzu Beschlüsse hin zu einem „Justizverwaltungsrat“551 gefaßt hat. Doch auch dies ist sogleich auf kritische Gegenfragen etwa des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter gestoßen552. 8. Die Konsequenz: Personalisierung und Überhöhung der richterlichen Unabhängigkeit Die den Rechtsstaat im allgemeinen553 und die freiheitliche demokratische Grundordnung554 im besonderen charakterisierende „Unabhängigkeit der Gerichte“ oder der „Rechtspflege“555 insgesamt hat in der Bundesrepublik eine fast ausschließliche Personalisierung erfahren556. Man kann dies als Konsequenz der Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates sehen, den Richter aus der allgemeinen Beamtenschaft herauszuheben und ihn in eine besonders verantwortliche Position zu rücken557, auch wenn man den Begriff des Anvertrautseins in Art. 92 Hs. 1 GG entgegen mancher Interpretationsansätze558 nicht überbewerten sollte559. (8./9.11.2002) mit den Worten zitiert, die deutschen Rechtsstrukturen seien „ein Relikt aus vordemokratischer Zeit. Der Richter fühle sich als Staatsdiener, als Beamter, der in ,einem vorauseilenden Gehorsam‘ mehr auf das Wohlwollen seiner Vorgesetzten achte, als seiner Unabhängigkeit lieb sein kann“, s. „Alles, was Recht ist“, SZ v. 19.11.2002, abgdr. in DRiZ 2003, S. 18; gleichsinnig und vertiefend dies., ZRP 2003, S. 468 ff. 551 Beschluß der DRB-Bundesvertreterversammlung „Selbstverwaltung der Justiz“ vom 15.11.2002, abgedr. in DRiZ 2003, S. 13. 552 Siehe Positionspapier des BDVR laut Beschluß der Mitgliederversammlung vom 11.7.2002, abgdr. in BDVR-Rundschreiben 2002, S. 143 ff., insbes. S. 145: „Es ist auch nicht ohne weiteres einsichtig, welche Fortschritte damit verbunden wären, wenn statt eines Ministeriums ein selbständiger Justizverwaltungsrat oder ein ähnliches Gremium entscheidungsbefugt wäre.“ 553 Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 79; Sobota, Prinzip, S. 190 f., 509; Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (108). 554 Siehe BVerfGE 2, 1 (12 und Leitsatz 2), unter Anlehnung an den Entwurf des 1. StRÄndG. 555 Siehe Eb. Schmidt, LehrK I, S. Rn. 457 ff. 556 Lamprecht, Liber amicorum Voss, S. 103 (103), spricht von einer unauflösbaren Symbiose zwischen der Absicherung der Justiz als ganzer und der einzelnen Richter. 557 Siehe AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 33; Eb. Schmidt, LehrK I, Rn. 461. 558 Siehe etwa AK-GG-Wassermann, Art. 92 (2001) Rn. 34; ebenso H.-E. Böttcher, SchlHA 2003, S. 83 (83); andeutend auch Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (413).

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Da jede Rechtsordnung aber auf ihre Durchsetzung angewiesen ist, ist die bloße Existenz einer Rechtsnorm keine hinreichende Bedingung ihrer umfassenden Wirksamkeit560. Sie bedarf vielmehr auch eines effektiven Verfahrens zur Geltendmachung561, wie dies für die richterliche Unabhängigkeit in Form des Zugangs zu den Richterdienstgerichten gem. § 26 Abs. 3 GG zur Verfügung steht562. Die Vielzahl von Entscheidungen des BGH als Dienstgericht des Bundes und der Dienstgerichte der Länder haben der (formalen) Dienstaufsicht die Zähne gezogen563; kritisch könnte man formulieren, sie neige zu ängstlicher Leisetreterei564. Dies ist sicherlich auch ein Verdienst der Richterinnen und Richter, die die Entscheidungen herbeigeführt haben, statt sich in ihr Schicksal zu ergeben565. Begünstigt wurde diese breite Entscheidungspraxis auch durch die geringen Zulässigkeitsanforderungen, die ein Antrag zu erfüllen hat. Es genügt die bloße Behauptung des Richters, seine Unabhängigkeit sei beeinträchtigt566, wenn es sich um eine „Maßnahme der Dienstaufsicht“ handelt567. Dieser Begriff ist „im Interesse eines wirkungsvollen Schutzes der richterlichen 559 Zutreffend Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (108 ff.: „nebelspendender Wortzauber“); unmißverständlich A. Arndt, FestG Schmid, S. 9, Fn. 3: „Dagegen ist es abwegig, daraus auf einen Vertrauensanspruch des Richters schließen zu wollen.“ Anders aber Reinhardt, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 179 (179, Fn. 3); für daraus folgende besondere Anforderungen an das Berufsethos Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (120). Gleichwohl läßt die Entstehungsgeschichte gerade des Art. 92 Hs. 1 GG Schlußfolgerungen nicht zu, vgl. zuvor I. 4. e). Überhaupt ist Art. 92 GG Anknüpfungspunkt weitgehender Interpretationen, s. etwa D. Brüggemann, JJahrb. 7 (1966/67), S. 17 (17); Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (20 f.). 560 Exemplarisch für die richterliche Unabhängigkeit W. Geiger, DÖV 1950, S. 519 (520). 561 Besonders eindrücklich wird die Notwendigkeit prozessualer Durchsetzung für jedes materielle Recht am Beispiel des Strafrechts herausgehoben von Paulus, in: FS 600 Würzburger Juristenfakultät, S. 683 (683): „nullum crimen, nulla poena sine processu“, und einem Verweis auf Mommsen, Römisches Strafrecht, S. VII: „Strafrecht ohne Strafprozeß (. . .) ein Messergriff ohne Klinge“. 562 Grimm, Dienstaufsicht, S. 3, spricht von „einer für den Richter otimalen Auslegung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen“ durch den BGH; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998), Rn. 7, mißt Abs. 3 sogar materiell-rechtliche Bedeutung bei. 563 Dieses Fazit von Sendler, NJW 1983, S. 1449 (1450), wird man trotz sicherlich aufzählbarer Gegenbeispiele letztlich für zutreffend erachten müssen. 564 So Schmidt-Jortzig, NJW 1991, S. 2377 (2380); zustimmend Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 33. 565 Wobei eine der abstrakt weitestgehenden Entscheidungen des BGH von Mitgliedern des Bundesrechnungshofes veranlaßt worden war, BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff. 566 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 66 (68); Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (III/1982), Rn. 74; Grimm, Dienstaufsicht, S. 32; zu andeutungsweisen, letztlich aber nicht einschneidenden Einschränkungen dieser weiten Auffassung s. SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 35b. 567 Treffend L. Schäfer, DRiZ 1970, S. 73 (74): „Ein weitergehender Rechtsschutz kann wohl kaum noch gewährt werden.“

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Unabhängigkeit“568 grundsätzlich weit auszulegen und umfaßt alle Maßnahmen einer dienstaufsichtsführenden Stelle, die gegen einen Richter mittelbar oder unmittelbar verfügt werden, und infolge dessen ein Konflikt zwischen der Dienstaufsicht und dem Richter besteht569. Es muß sich also nicht um eine Maßnahme der Dienstaufsicht im engeren Sinne handeln, sondern es reicht irgendeine Maßnahme der Gerichtsverwaltung wie etwa eine Regelung über den Zugang zum Dienstgebäude570. Die Identität von Organen der Gerichtsverwaltung und Inhaber der Dienstaufsicht in der Person der Gerichtspräsidenten und des (Justiz-)Ministers machen unter der von den Dienstgerichten gesetzten Prämisse einer weiten Auslegung jegliche gerichtsverwaltende Tätigkeit zum möglichen Gegenstand eines Verfahrens gem. § 26 Abs. 3 DRiG. Mit den beiden Bereichen der Dienstaufsicht, der Beobachtungsfunktion und der Berichtigungsfunktion, hat dies nicht mehr notwendig etwas zu tun. Das Prüfverfahren ist so faktisch eine Art Organstreit zwischen denen der Rechtsprechung (Richter) und denen der Exekutive (Gerichtspräsident, Minister) geworden. Es erfüllt – wenn es etwa um den Antrag eines Bundesrichters ginge – die Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, da es sich letztlich um eine Streitigkeit „über die Auslegung dieses Grundgesetzes (. . .) über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz (. . .) mit eigenen Rechten ausgestattet sind“, handelt. Denn jeweils geht es um die Reichweite (Auslegung) des Art. 97 GG im Hinblick auf die Rechte des Richters und des Gerichtspräsidenten. Soweit damit der Zugang zu den Dienstgerichten eröffnet ist, so individualisiert sind auch die Sachverhalte, über die sodann entschieden wird. Folglich ist auch der Blickwinkel der daraus erwachsenden Rechtsprechungstradition verengt, die sich nur auf die Situation des individuellen Richters in seinem Tätigkeitsumfeld bezieht und den Inhalt der richterlichen Unabhängigkeit anhand dieser singulären Situation bestimmt. Soweit sich aus dem über Jahrzehnte entstandenen case-law eine konsistente Dogmatik hat entwickeln können, ist sie dementsprechend vor dem Hintergrund des individualistischen Szenarios zu beurteilen, das den jeweiligen Entscheidungen zugrunde lag. Es ist also nicht verwunderlich, daß das Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit einen hochindividualisierten Inhalt gewonnen hat, der den Richter zum absoluten Herrscher über seinen Tagesablauf und das ihm übertragene Verfahren macht.

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BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (38). Vgl. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 35, 20; von BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (38), als „st. Rspr“ bezeichnet. 570 So im Falle von HessDGH, NJW 2001, S. 2640 ff., bestätigt von BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 286 ff. 569

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Hinzu treten zwei weitere strukturelle Gründe, die der Ausweitung der richterlichen Unabhängigkeit ihre enormen Reichweite verholfen haben: Zum einen ist jede Entscheidung eines zwangsläufig mit Richtern besetzten Dienstgerichts mittelbar ein Urteil über die eigene, weil generell richterliche Unabhängigkeit; dies führt zu selektiver Wahrnehmung und der sicherlich hier und da realisierten Gefahr einer Überbetonung der Schutzwirkungen571. Das Bemühen um „professionalisierte Distanz“ der Dienstgerichte gerade auch in dieser Hinsicht kann nicht bestritten werden, hat aber eine ideelle Last zu tragen. Denn auch für die Richter der Dienstgerichte ist ihre unbeteiligte Neutralität der Normalfall und Kern ihres Selbstverständnisses. In ihrer nicht in gewohntem Maße undistanzierten Tätigkeit als Mitglied eines Dienstgerichts bewegen sie sich folglich insoweit auf ungewohntem Terrain572. Zum anderen ist das effektive Verfahren gem. § 26 Abs. 3 GG in seiner inhaltlichen Reichweite begrenzt, als es die Prüfungsbefugnis der Dienstgerichte auf Verletzungen der richterlichen Unabhängigkeit beschränkt573. Hält ein Dienstgericht eine angegriffene Maßnahme im Ergebnis für rechtswidrig, so bleibt ihm nur der Unabhängigkeitsverstoß als hierfür zulässige Begründung, da andere Rechtswidrigkeitsgründe mangels Zuständigkeit unsanktioniert bleiben müßten. Soll am Ende die Unzulässigkeit einer Maßnahme festgestellt werden, bleibt nur der Weg, sowohl Maßnahmebegriff und „Dienstaufsicht“, vor allem aber die richterliche Unabhängigkeit weit auszulegen, wie es ja auch tatsächlich geschieht574. Der die Durchsetzung der richterlichen Unabhängigkeit begünstigende Effekt des unproblematischen Zugangs zu den Dienstgerichten wird auf diese Weise nochmals zugunsten der Reichweite der Unabhängigkeit gesteigert575. 571 Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (11 f.); eine besondere kollegiale Milde (die hier freilich in ihrer Kehrseite als besondere Fürsorgepflicht erscheint) wurde auch schon in der Debatte des Reichstages zum Entwurf des BGB erahnt, die die Schaffung einer relativ strengen zivilrechtlichen Amtshaftung auch des Richters im Gesetz als zulässig erscheinen ließ, s. die Ausführungen des Abg. Haußmann, Mugdan, Band II, S. 1388; ebenso fragt Schröder, Vorwort, S. V (VI): „Kann der Richter in diesem Prozeß ,neutral bleiben‘?“. 572 Diesen kaum lösbaren Widerspruch zwischen Parteinahme und sachlicher Neutralität erkennt auch Stein, NJW 1966, S. 2105 (2106), in einer Besprechung von Rasehorns Schrift „Im Paragraphenturm“, die dieser unter dem Pseudonym Xaver Berra veröffentlich hat. Stein vermutet als Motiv für die anonyme Veröffentlichung eben diesen Widerspruch, da Berra „leidenschaftlich und streitend“ sei, ein Richter jedoch „objektiv-sachlich“ und distanziert“ sein müsse. 573 So oben FN 473. 574 Für die weite Auslegung des Maßnahmebegriffs s. Schmidt-Räntsch/SchmidtRäntsch, DRiG, § 26 Rn. 35, unter Verweis auf die Begr. des DRiG-Entwurfs; Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998), Rn. 7 („alle denkbaren Maßnahmen“), unter dem teleologischen Aspekt des Schutzes vor allen Eingriffen der Exekutive; für die Weite des Dienstaufsichtsbegriffs BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 47, 275 (282); Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 35; eingehend Grimm, Dienstaufsicht, S. 4 ff.

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Berücksichtigt man nun die beschränkten Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Unabhängigkeit, wird klar, daß der heute geltende Inhalt der richterlichen Unabhängigkeit in der Bundesrepublik Deutschland allein das Produkt einer Rechtsprechung darstellt, die als Dienstaufsichtsabwehr fungiert. Die richterliche Unabhängigkeit hat ihre praktische Gestalt gewonnen nicht in abstrakter Interpretation des Art. 97 GG oder gar des Gewaltenteilungsprinzips, sondern in konkreten Konfliktfällen zwischen Richtern und ihren Dienstvorgesetzten (§ 46 DRiG i. V. m. § 3 Abs. 2 S. 1 BBG), also dem Präsidenten, Chefpräsidenten und zuständigen Ressortminister oder ihren Vertretern im Amt576. Wer die richterliche Unabhängigkeit in praxi zum Thema macht, zitiert kaum Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, vielmehr aber solche des BGH als Dienstgericht. Nun liegt es in der Natur der Sache, daß richterrechtliche Systembildung anhand von Einzelfällen erfolgt577, da abstrakte Rechtsfragen einem Gericht – außerhalb von Vorlagesituationen (etwa § 11 Abs. 7 S. 1 VwGO) – nicht vorgelegt werden. Im Falle der Verfahren nach § 26 Abs. 3 GG hat Einzelfall-Rechtsprechung aber noch andere Konsequenzen als üblich, denn sie führt zu einer individualisierten Konzentration der Schutzperspektive auf die Situation des einzelnen Richters gegen eine vermeintliche oder tatsächliche Übermacht in Gestalt der exekutivischen Dienstaufsicht im Sinne der gesamten Gerichtsverwaltung. Hierfür ist ganz entscheidend, daß die Richterdienstgerichte insofern systemgebunden sind, als sie die tradierte Gerichtsorganisation vorfinden, die nicht zu ihrer Disposition steht. Der Schutzmechanismus des § 26 DRiG beginnt erst dort, wo die Grundsatzentscheidungen über die strukturelle Beeinflussung der Richter durch die Exekutive bereits getroffen sind. Die äußerst beschränkte organisatorische Selbständigkeit der Gerichte578 und die Dienstaufsicht durch die Exekutive sind Beschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit, die als solche ihre Wirkungen bereits entfaltet haben, wenn es zur Anrufung des Dienstgerichts kommt. Die strukturellen Abhängigkeiten, in denen die Dritte Gewalt existiert, sind Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit, die die Rechtsprechung der Dienstgerichte dann zwar nicht kompensieren kann. Sie nimmt aber zu Recht die Aufgabe wahr, die Unabhängigkeit des einzelnen Richters zu sichern. Wenn die Dritte Gewalt schon nicht organisatorisch-institutionell unabhängig ist, so müssen es eben die personalen Träger der Rechtsprechung in ihrem individuellen Tätigkeitsumfeld sein – und dies um so verstärkter, je weiter die institutionelle Abhängigkeit reicht.

575 Und bestätigt somit zumindest mittelbar die materiell-rechtliche These von Fürst (s. FN 562). 576 Vgl. Fürst, in: GKÖD, § 26 DRiG (2/1998), Rn. 9. 577 Vgl. Grimm, Dienstaufsicht, S. 3; s. a. Schröder, Vorwort, S. V. 578 Siehe oben § 2 V. 1.

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Die vielmals und zu Recht kritisierte Ausdehnung der richterlichen Unabhängigkeit für den einzelnen Richter läßt sich so auch als logische Konsequenz aus der zuvor entsprechend beschränkten Unabhängigkeit der Rechtsprechung als Staatsgewalt insgesamt begreifen. Die Personalisierung der Unabhängigkeit war somit zwangsläufig, weil ihre Gefährdungen anders kaum abzuwenden waren. Strukturelle Beschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit können daher weder von den Dienstgerichten beseitigt werden noch die richterliche Unabhängigkeit überhaupt verletzten. Distanz im Sinne von unbeeinflußter Amtsausübung zwischen Rechtsprechung und Exekutive läßt sich infolgedessen unter der Geltung des Grundgesetzes nur dadurch verwirklichen, daß die Individualsphäre des einzelnen Richters von der Exekutive abgeschirmt wird. Diese faktische Bedingung mußte zwangsläufig zu einem Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit führen, das im Hinblick auf den einzelnen Richter einem subjektiven Abwehrrecht gleicht, das zwar nicht an die Person des Richters, aber an sein individuelles Amt und seine organschaftliche Stellung anknüpft579. Gleichzeitig mußte der Geltungsanspruch der Unabhängigkeitsgarantie entsprechend absolut gesetzt werden, um gegenüber den strukturellen Einschränkungen, gegen die man sich als solche nicht wehren konnte – allem voran die exekutive Dienstaufsicht – ein wirksames Gegengewicht zu schaffen580. Die aktuelle, letztlich zwar nicht de iure, aber de facto überaus privilegierte Stellung des Lebenszeitrichters auch in solchen Bereichen, deren Bedeutung für die Durchsetzung des Rechtsstaats sich nicht ohne weiteres erschließt, macht die richterliche Tätigkeit zum „Rührmichnichtan“581. Dieser Umstand kann aber nicht der Rechtsprechung der Richterdienstgerichte angelastet werden, sondern ist der Preis für den Umstand, daß die Richter ansonsten strukturell „unter der Kuratel der Regierung stehen“582. Sie sowohl in organisatorischer Abhängigkeit von Exekutive und Legislative zu halten als auch ihre individuelle Stellung im Einzelfall der Bestimmung der anderen Gewalten anheim zu geben, hätte von einer unabhängigen Rechtsprechung als eigenständiger Gewalt letztlich nichts mehr übrig gelassen.

579 So war der von Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 2 (6), mit Recht kritisierte „Wandel eines funktionalen Privilegs zum persönlichen“ unausweichlich. 580 Das individualistische Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit folgt also – entgegen Francken, NZA 2003, S. 457 (459) – nicht aus (wenigen) richterlichen Fehlinterpretationen, sondern ist durchaus das de lege lata bestehende „gängige Verfassungsverständnis“. 581 So schon Gülland, Dienstaufsicht, S. 2; eine „mimosenhafte Kritikempfindlichkeit der Justiz“ konstatiert auch Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 (96), hierzu wiederum krit. Wassermann, RuP 38 (2002), S. 241 (243), zustimmend hingegen Sendler, DVBl. 2003, S. 43 (43); ebenso W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (66). 582 So Röhl, JZ 2002, S. 838 (840).

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§ 3 Die „Gefahrenabwehr‘‘ zum Schutz des Richters

Vor diesem Hintergrund scheint die von Berlit mit Recht erhobene Forderung einer Zurückdrängung der richterlichen Unabhängigkeit zugunsten einer Organisationsgebundenheit583 der Richter zunächst systemkonform nicht möglich. Denn der Personalisierungsgrad, den die individuelle Unabhängigkeit der Richter erreicht hat, scheint angesichts seiner ausschließlich verfassungsrechtlichen Fundierung in Art. 97 GG konstitutionalisiert. Unter Überbetonung des ersten und partieller Mißachtung des zweiten Halbsatzes von Art. 92 GG wurden die individuellen Richter zu Organen der Rechtsprechung584, nicht die Gerichte585, obwohl letztere die Instrumente („durch“) der Ausübung der rechtsprechenden Gewalt sein sollen. Vor allem aber schied auf diese Weise eine Einbindung des einzelnen Richters in die Organisation „seines“ Gerichts aus. Der Richter ist nicht verantwortlich für den Ablauf der Geschäfte im Gericht. Er hat nur seine Akte zu bearbeiten, wann586 und wo587 er will, und kann dies auch mit dienstgerichtlicher Hilfe durchsetzen. § 26 Abs. 3 DRiG gibt jedem Richter die Möglichkeit, von organisatorischen Fragen des Gerichtsablaufs unbehelligt zu bleiben – wenn die Gerichtsverwaltung rein faktisch keinen Protokollführer zur Verfügung hat, kann der Richter seine Arbeit einstellen588, auch wenn damit die Aufgabe des Gerichts, nämlich Recht zu sprechen, blockiert und damit die Durchsetzung des Justizgewährleistungsanspruchs der Parteien gehemmt wird. Ohne eine politisch völlig undurchsetzbare, aber auch nicht wünschenswerte Änderung des Art. 97 GG wäre demzufolge eine Beschränkung des erreichten Schutzstandards im Sinne einer Entindividualisierung nicht möglich. Denn das „Grundgesetz kennt keine korporative Autonomie der Justiz, sondern gewährleistet lediglich die Unabhängigkeit des Richters“589 – also des individuellen Amtsträgers590. 583 U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (149 ff.). 584 So auch R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, Vor § 1 GVG (2002) Rn. 3. 585 Anders aber etwa ausdrücklich Böckenförde, Verfassungsfragen, S. 68. 586 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff. 587 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 286 ff. 588 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1978, S. 2509 f.; 1988, S. 417 f.; ebenso Dienstgericht bei dem LG Düsseldorf, BDVR-Rundschreiben 1999, S. 69 ff., mit kritischer Anmerkung von H. Walther, ebd., S. 74, der aber weniger rechtlich als politisch argumentiert. Mahnend zur Diktiergerätbenutzung gegen Überlastung Winters, DRiZ 1985, S. 34. 589 Wassermann, RuP 38 (2002), S. 241 (244) – Hervorh. nicht im Original; auch dezidiert AK-GG3-ders., Art. 92 (2001) Rn. 13 ff. 590 Auf diese Weise wendet sich das gegen einen Anspruch auf gerichtliche Selbstverwaltung gerichtete Argument zugleich zu einem solchen gegen eine Beschränkung der (individuellen) Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit nach heute herrschender Auffassung. Das Grundgesetz garantiert also nicht „lediglich“ die Unabhängigkeit des einzelnen Richters, sondern „allemal“ und in jedem Fall.

II. Die richterliche Unabhängigkeit als entscheidender Topos

213

Das Fehlen einer realen Unabhängigkeit der Gerichte als Institutionen der Rechtsprechung konnte, wenn die Rechtsprechung unabhängig sein sollte, nur die Überbetonung der individuellen Freiheit des Richters hervorbringen, was zwangsläufig eine Vernachlässigung seiner Organisationsgebundenheit mit sich bringen mußte591. Erneut drängt sich eine Parallele zur Wissenschaftsfreiheit auf, wo es zu vergleichbaren In-Sich-Konflikten kommt: Die Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG durch Bundesverfassungsgericht592 und insbesondere auch des BVerwG593 betonen „generell sehr stark den Charakter eines subjektiven Individualrechts des einzelnen Wissenschaftlers zu Lasten des – ergänzenden – objektiv-rechtlichen Charakters der Wissenschaftsfreiheit. Diesen objektiven Dimensionen lassen sich zwar anerkanntermaßen Direktiven für eine freiheitliche Organisation des Wissenschaftssystems entnehmen, doch hat dieser objektivrechtliche Gehalt grundsätzlich eine die subjektive Rechtsstellung ergänzende und stärkende Funktion und ist dieser gegenüber tendenziell nachrangig, obwohl Wissenschaft ihre Leistungen letztlich nur als soziales System erbringen kann. Eine einseitige Betonung des subjektiv-rechtlichen Charakters führt zu Unausgewogenheiten und verleitet überdies dazu, sehr weitreichende, oft auch standespolitisch geprägte Folgerungen zu Lasten der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers abzuleiten“594. Dies läßt sich nahtlos auf die Gerichte übertragen und noch zuspitzen, schon unter formalen Gesichtspunkten: Denn während Art. 5 Abs. 3 GG dem einzelnen Wissenschaftler ein subjektives Individualrecht garantiert, fehlt ein solches für den Richter. Zudem wird dessen Amtsausübung – wie weit auch immer seine Unabhängigkeit reichen mag – durch Art. 92 Hs. 2 GG ausdrücklich eingeordnet und eingebunden in die Gerichte als Organisation (soziales System), ohne die der Richter letztlich nicht Richter sein kann. Ein pauschales „Ausspielen“ der individuellen richterlichen Unabhängigkeit gegen Erfordernisse des Gesamtsystems „Gericht“, wenn nicht gar die Rechtsprechungsorganisation insgesamt, ist daher unzulässig. Wie zu zeigen sein wird, kann die Organisationsgebundenheit des Richters auch ohne Verfassungsänderung zur Geltung gebracht werden.

591 Zimmermann, BJ 2000, S. 252 (253), nennt dies bei dem jeweiligen Richter Ausdruck eines „die Eignung zum Richteramt nicht unbedingt postiv tangierenden persönlichen Defizits“. 592 BVerfGE 35, 79 (121, 123 f., 127 u. ö.); 90, 1 (11). 593 BVerwGE 102, 304 ff. 594 Vgl. Schulze-Fielitz, Ombudsverfahren, WissR 37 (2004), S. 100 (102 f.).

„Wenn wir auf allen Ebenen Reformen vorantreiben, kann der Richterstand nicht ausgenommen bleiben.“ Brigitte Zypries

§ 4 Die notwendige Neupositionierung der richterlichen Unabhängigkeit I. Defizite der richterlichen Unabhängigkeitsdogmatik Die herkömmliche Dogmatik der richterlichen Unabhängigkeit, wie sie soeben deutlich geworden ist, hat vielfach Kritik auf sich gezogen1, die hier nicht wiederholt zu werden braucht; denn letztlich können auch alternative Konzeptionen wohl keine widerspruchsfreie Systematik entwickeln und die diffizilen Abgrenzungsprobleme lösen: Zum case law dienstgerichtlicher Prägung gibt es keine Alternative. Entscheidendes Merkmal richterlichen Handelns ist die Formalisierung des Prozeßrechts, die zu einer engen Verbindung von Verfahren und Inhalt richterlichen Entscheidens führt. Dies macht eine klare Unterscheidung beider Bereiche und in deren Folge eine jeweils unterschiedliche Unabhängigkeitsgewährleistung kaum möglich. Daher sind Konzepte, die auf den Bezug zum Entscheidungsinhalt einer Tätigkeit abstellen2, nicht konsequent durchführbar. Das BGH-Konzept erscheint im Ergebnis durchaus praktikabel und für das Verhältnis Dienstaufsicht zu richterlicher Unabhängigkeit, auf das es primär zugeschnitten ist, zu letztlich ausgewogenen Ergebnissen zu kommen3. Rechtsdogmatische Erkenntnisse darüber hinaus kann das Dienstgericht des Bundes jedoch nicht liefern, was zu zentralen Defiziten führt: Die Kernbereichslehre des Dienstgerichts des Bundes hat einen wesentlichen Schwachpunkt, der in ihrer Alles-oder-Nichts-Struktur begründet ist. Kommt es zu einer Zuordnung eines richterlichen Tätigkeitsbereichs zum Kernbereich, so schließt dies jedes Wirken der Dienstaufsicht aus – mit Ausnahme der kaum vorkommenden offensichtlichen Fehlentscheidung. Die richterliche Unabhängigkeit gilt mit absolutem Charakter, dem gegenüber kein anderes Rechtsgut zur Geltung

1 Vgl. zusammenfassend Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 25; Kissel, GVG, § 1 Rn. 59 ff. 2 So Schmidt-Räntsch, Unabhängigkeit, S. 61 ff., 111 ff. 3 Die hier schon mehrfach zitierten „Ausreißer“ ändern an diesem Grundsatz nichts.

I. Defizite der richterlichen Unabhängigkeitsdogmatik

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kommen kann. Denn dessen Berücksichtigung könnte nur in Form einer gegenüberstellenden Abwägung erfolgen; aber gerade diese ist ausgeschlossen4. Einem Dienstvorgesetzten fehlt jeglicher Rechtfertigungsgrund. Als deutliches Beispiel kann hier die Entscheidung des Dienstgerichts des Bundes herangezogen werden, in der es um die Terminierung einer Strafsache eines sich wegen des Vorwurfs des achtfachen Mordes in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten ging5. Wegen eines bevorstehenden Haftprüfungstermins – die Untersuchungshaft war ohnehin schon über die Sechs-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 StPO nur unter besonderen Hinweisen zur Beschleunigung durch das OLG verlängert worden – fragte der LG-Präsident bei der Kammer an, ob im Hinblick darauf nicht eine frühere Terminierung möglich sei. Das Dienstgericht des Bundes erklärte dies als Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit für unzulässig, denn – insoweit selbstverständlich im Sinne der ständigen Rechtsprechung – gehört die Terminierung zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit. Daher ist die Entscheidung nur folgerichtig. Aber dennoch bleibt hier deutliches Unbehagen, das sich aber wegen der überkommenen verabsolutierenden Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes nicht beseitigen läßt. Grundsätzlich naheliegend wäre es doch gewesen, die drohende Freilassung des Angeklagten und die damit verbundene Fluchtgefahr als durchaus rechtfertigenden Grund für die Terminierungsanfrage – mehr war es letztlich nicht – des LGPräsidenten anzusehen. Hierzu kommt das Gericht aber gar nicht, weil Kernbereichseingriffe nicht rechtfertigungsfähig sind. Erst wenn die Grenze zur Pflichtwidrigkeit überschritten sei (vgl. § 26 Abs. 2 DRiG), komme entsprechendes in Betracht6, wofür im vorliegenden Fall aber die Voraussetzungen fehlten. Diese Absolutheitsrechtsprechung kommt dann – will sie in sich konsequent sein – nicht um Entscheidungen umhin, die außerhalb des richterlichen Selbstverständnisses kaum mehr nachvollzogen werden können, wie etwa das Recht des jederzeitigen Zugangs zum Gerichtsgebäude7. Umgekehrt ist richterliches Handeln außerhalb des Kernbereichs der Dienstaufsicht preisgegeben, ohne daß hier im Einzelfall die Möglichkeit offenstünde, wegen der besonderen Lage die Unabhängigkeit zur Geltung kommen zu lassen. Aber nicht nur der praktische Umstand, daß eher ein des achtfachen Mordes hinreichend Verdächtiger (vgl. § 203 StPO) auf freien Fuß gesetzt wird, als ein LG-Präsident die betroffenen Richter um frühere Terminierung bitten (!) darf, ist die negative Konsequenz aus dieser Rechtsprechung, sondern auch die dar4 Daher zutreffend die Kritik von Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 2 (6), an der fehlenden Abwägung mit Gegengründen – dies ist jedoch systembedingt. 5 BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 f. 6 So ebenfalls in traditioneller Rechtsprechung BGH (Dienstgericht des Bundes), BJ 2002, S. 252 (253). 7 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 282 ff.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

aus folgende rechtsdogmatische Lücke, die über die Verortung der richterlichen Unabhängigkeit im Verfassungsgefüge keinerlei Auskunft geben kann. Dies ist um so mißlicher, als seit jeher eine gesetzgeberische Definition der Unabhängigkeitsgarantie fehlt und sie daher allein den Richterdienstgerichten sowie aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Ranges auch dem Bundesverfassungsgericht aufgegeben ist. Beide Gerichtsbarkeiten versagen aber bisher an dieser ihnen gestellten Aufgabe. Apodiktische Erkenntnisse, deren Herleitung im Dunkeln bleibt, beherrschen die Entscheidungen8. Selbst in Entscheidungen, in denen wenigstens eine historische Herleitung betrieben wird, bleibt dann doch das Ergebnis für heute unbelegt: „Der grundgesetzlichen Ordnung entspricht nur die ältere, aber unseren rechtsstaatlichen Vorstellungen allein genügende Auffassung des Preußischen Abgeordnetenhauses im Falle des Kreisrichters Riel.“9

Es gibt zwar Ansätze für Abwägungen, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht formuliert, der Gesetzgeber sei bei der Wahrung der persönlichen Unabhängigkeit jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen Minimums „– abgesehen von rechtsstaatlichen Grenzen (Willkürverbot und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) –“10 frei. Eine weitergehende Systematik hat sich daraus aber nicht entwickelt, mit der man die richterliche Unabhängigkeit gegenüber anderen Verfassungsprinzipien positionieren könnte. Ob etwa die richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 GG wirklich nicht schützenswerter ist als die Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG11 mag eine politische Wertung sein. Sollte hierüber eine rechtliche Entscheidung gefordert werden, stünde man vor dogmatischem Niemandsland, weil es keinerlei Bestimmung eines Wertigkeitsverhältnisses von richterlicher Unabhängigkeit zu anderen Rechtsgütern gibt. Innerhalb des Kernbereichs ist ohnehin alle Beschränkung verboten und außerhalb kann die Dienstaufsicht allemal zugreifen, egal um welches Rechtsgut es geht. Die bereits zitierten sprachlichen Überhöhungen der richterlichen Unabhängigkeit in Festreden12 können die Lücke nicht schließen. Daher treffen auch die NSM die Rechtsdogmatik weithin unvorbereitet. Der hinter ihnen stehende Impetus zur Kosteneinsparung und Effizienzsteigerung – in welchem Sinne dies auch immer gemeint sein mag – steht zwangsläufig beziehungslos der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber, weil letztere gar keine Beziehungen nach außen hin pflegt. Das Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit als ökonomieresistent, wie es etwa Reinhardt13 formuliert hat, oder auch dessen Gegenteil ist eine Art von Konzeption, wie sie in der Rechtsprechung 8

Siehe oben die Zitate in § 3 II. 7. BVerfGE 12, 81 (96 f.). 10 BVerfGE 38, 139 (151). 11 So Sodan, NJW 2003, S. 1494 (1496). 12 Siehe oben § 3 II. 2. 9

II. Die „herkömmliche‘‘ richterliche Unabhängigkeit als Rahmenbedingung 217

der Dienstgerichte und des Bundesverfassungsgerichts bisher fehlt. Denn diese fragt nicht nach den Motiven oder Gründen einer Regelung, die die Unabhängigkeit tangiert. Die beste Rechtfertigung nützt nichts, wenn sie den Kernbereich betrifft, genauso wie jede Maßnahme zulässig wird, wenn sie nur den äußeren Ordnungsbereich richterlicher Tätigkeit berührt. Entsprechend hilflos sind die Äußerungen zur Zulässigkeit der Übertragung der NSM auf die Gerichte. Man ist sich mittlerweile wohl einig, daß das für die Verwaltung entwickelte Modell nicht „unbesehen“ oder unmodifiziert auf die Gerichte übertragen werden kann – soweit so gut. Weiter ist man aber nicht gekommen14, weil die bisherige Dogmatik dafür wegen der aufgezeigten Defizite nichts hergibt15. Ob die richterliche Unabhängigkeit tatsächlich „ökonomieresistent“ ist oder wie weit etwa Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden können, spielte bisher ebenso wenig wie andere konkurrierende Rechtsgüter eine Rolle16. Die Frage nach dem Motiv hat nach herkömmlichem Unabhängigkeitsverständnis keine Bedeutung für die Unzulässigkeit etwa einer „Maßnahme der Dienstaufsicht“.

II. Die „herkömmliche“ richterliche Unabhängigkeit als notwendige, aber nicht hinreichende Rahmenbedingung Wie bereits angedeutet, ist die richterliche Unabhängigkeit nicht schon dann verwirklicht, wenn ihre Garantie im Grundgesetz verankert ist17. Sie bedarf auch der praktischen Umsetzung, und ihre Garantie ist insofern an andere staatliche Stellen adressiert, als diese Eingriffe in die Unabhängigkeit zu vermeiden haben. Art. 97 Abs. 1 GG ist aber auch ein Sollens-Gebot an jeden Richter, der stets für sich selbst diese Unabhängigkeit wahren muß. Aufgrund der Autonomie jedes Richters im Rahmen seiner Entscheidungstätigkeit steht ihm rein tatsächlich die Möglichkeit offen, sich an beliebigen Maßstäben zu orientieren: seinen Vorurteilen, Ideologien, Launen, seinen Dienstvorgesetzten, seinem Vorsitzenden in der Kammer – die Aufzählung ließe sich beliebig verlängern. Hein13 Reinhardt, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 179 (186 ff.). 14 Piorreck, BJ 2001, S. 22 (24), erkennt ebenfalls die mangelhafte Konkretisierung der gerichtlichen Besonderheiten, die durch „Freizeichnungsklauseln wie „Die richterliche Unabhängigkeit bleibt unberührt.“ umgangen würden. Sinngleich U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (143), der einen entsprechenden „Common sense“ feststellt, diesen aber mit „zumindest verbal“ zutreffend relativiert; krit. auch M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (23). 15 Hier rächt sich erneut das von Kaufmann mit Recht beklagte Defizit wissenschaftlicher Dogmatik der richterlichen Unabhängigkeit, vgl. oben § 3 II. 2. 16 Dies hat auch die bisherige allgemeine Modernisierungsdiskussion nach wie vor offen gelassen, so zutreffend Piorreck, BJ 2003, S. 64 (69). 17 W. Geiger, DÖV 1950, S. 519 (520).

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

rich Manns „Untertan“ hätte sich auch als Richter am Willen Wilhelms II. orientiert, wie sehr auch immer die richterliche Unabhängigkeit gesichert gewesen wäre. Dies alles kann auch eine noch so ausgeweitete Verfassungsnorm zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit nicht verhindern. Sie kann nur rechtlich-theoretische Rahmenbedingungen schaffen, in denen die richterliche Unabhängigkeit möglichst auch faktisch zur Geltung kommt. Pointiert hat dies Mende unter Geltung der WRV zum Ausdruck gebracht: „Nach den bestehenden Gesetzen ist der Richter in der Lage, den seiner Entscheidung anvertrauten Streit ,unabhängig‘ zu entscheiden. Ob er subjektiv dazu nicht imstande ist, ist rechtlich unerheblich.“18

Er wandte sich damit gegen Ausführungen von Staffs, in denen dieser die Geltung des Art. 102 WRV etwa für Richter der Kreis- und Bezirksausschüsse mangels innerer Unabhängigkeit ablehnte, weil diese auch Verwaltungsgeschäfte wahrnähmen und sich dann nicht plötzlich Unabhängigkeit einstellen könne, wenn sie als Richter tätig würden19. In diesen beiden gegenübergestellten Aussagen kulminiert die praktische Auseinandersetzung mit der richterlichen Unabhängigkeit, und sie machen damit ein Grundproblem deutlich, das die besondere Struktur der richterlichen Unabhängigkeit hervorhebt: Sie läßt sich mit rechtlichen Mitteln im tatsächlichen nicht erzwingen, da der Richter in seiner in Art. 101 I 2 GG garantierten Alleinzuständigkeit eben auch subjektiv und ohne jegliche Kontrolle entscheiden kann, selbst wenn die Person des Richters – symbolisiert20 durch die samtbesetzte21 Robe – hinter dem Amt zurücktreten mag22. Böckenfördes (in Variationen) vielzitierte Aussage, daß der freiheitlich-säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann23, trifft daher in besonderer Weise

18

Mende, HDStR II, S. 77 (79). Sie könnten zwar „den Rock und das Zimmer wechseln, aber unmöglich die gesamte Auffassung“, v. Staff, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten I, S. 54 (61 f.); die Kritik von Mende (FN 18) trifft insoweit durchaus zu, weil die Realität sich nach dem Gesetz zu richten hat, nicht umgekehrt (vgl. Zippelius, Methodenlehre, S. 30). Vgl. aber die sprachliche Parallele zu BVerfGE 4, 331 (347). 20 Zur Bedeutung der (auch) durch die Robe erzeugten Förmlichkeit des Verfahren s. kurz Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 15; eingehend die „Robologie“ von J.-W. Berlit, in: Wassermann (Hrsg.), Justizreform, S. 144 ff. 21 Vgl. J.-W. Berlit, in: Wassermann (Hrsg.), Justizreform, S. 144 (147 f.): Der Samtbesatz geht auf eine Verfügung des preußischen Justizministers von 1879 in Ausführung des § 89 AGGVG zurück: Der Besatz der Richter sollte „schwarzen Sammets“ sein, der der Anwälte nur aus Seide; J.-W. Berlit, ebd., S. 148, 146; s. a. Ostler, JR 1959, S. 121 (124); Menne, FS Schmid, S. 231 ff. 22 Positiv zum Zweck der Robe als Zeichen der Unparteilichkeit Strauch, ThürVBl. 2003, S. 101 (102). 23 So erstmals Böckenförde, in: Buve (Hrsg.), Säkularisation, S. 75 (93); weitere Nachweise bei Schulze-Fielitz, JöR 50 (2002), S. 1 (45, Fn. 201). 19

II. Die „herkömmliche‘‘ richterliche Unabhängigkeit als Rahmenbedingung 219

auf die Rechtsprechung zu: Die richterliche Unabhängigkeit kann der Staat nicht garantieren – er kann sie nur (bestmöglich) fördern24. Daher muß verdeutlicht werden, daß es im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen der richterlichen Unabhängigkeit, aber auch bezüglich ihrer realen Rahmenbedingungen eines Perspektivwechsels bedarf. Eine (verfassungs-) rechtliche Debatte um die Unabhängigkeit des Richters kann nicht von der Fragestellung aus geführt werden, welche Mittel erforderlich sind, um die richterliche Unabhängigkeit zu sichern. Denn eine Sicherstellung als solche ist angesichts der autonomen Entscheidung jedes Richters ausgeschlossen. Insofern ist jeder Richter im Sinne des Art. 97 Abs. 2 GG eine „juristische Zeitbombe“25, als er – einmal in eine Planstelle eingewiesen – hier nicht mehr wegzubekommen ist26 und nur durch die Geschäftsverteilung des Präsidiums „entschärft“ werden kann27. Was und wie ein Richter entscheidet, ist ihm rein tatsächlich allein überlassen und kann vielleicht im Rechtsmittelzug – wenn es ihn überhaupt gibt – geändert werden. Die einmal getroffene und verkündete Entscheidung durch den gesetzlichen Richter selbst unterliegt keiner Veränderung mehr. Gleichzeitig kann nicht bestritten werden, daß das Rechtsprechungsmonopol in Art. 92 GG unbestrittene Geltung in der Bundesrepublik besitzt. Rechtsprechungsakte mit der ihnen innewohnenden Vollstreckbarkeit und Rechtskraft werden nicht von anderen Stellen als Richtern erlassen – Exekutive und Legislative haben niemals das letzte Wort. Mangels einer Weisungsbefugnis eines Dritten und unmittelbaren Zwangs zu ihrer Durchsetzung durch Richterkollegen oder Vorgesetzte und angesichts der fehlenden Möglichkeit des willkürlichen 24 In diesem Sinne auch ausdrücklich Barbey, HStR III, § 74 Rn. 40, Fn. 93; B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (284). Hier liegt eine der von den Befürwortern einer „entfesselten“ Gewalt per se vorausgesetzten, aber nicht ausdrücklich erwähnten Voraussetzungen, die keineswegs so selbstverständlich ist, wie sie a priori angenommen wird: Nämlich die Tatsache, daß alle Richter „gute“ Richter sind, die immer die richtige, unabhängige Entscheidung träfen, wenn sie nur seitens der Gerichtsverwaltung gelassen würden. Hiergegen schon Ostermeyer, Zeitbombe, S. 113. 25 Der Begriff ist dem Titel von Ostermeyer, Zeitbombe, entlehnt, der aber mit diesem Begriff nicht den Richter als solchen meint. 26 Daher trefflich der Titel bei Debusmann, DRiZ 2003, S. 263 ff.: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ (zum Einstellungs-Assessmentcenter für Richter im OLG-Bezirk Hamm; entgegen Rasehorn, RuP 32 [1996], S. 111 [115], dürfte die „Blütezeit“ dieser Methoden noch nicht vorbei sein); vgl. auch das Pro & Contra der „Chefpräsidenten“ H. Kramer und Meisenberg, DRiZ 2003, S. 226 f. 27 In den Grenzen von BVerfGE 17, 252 ff. An dieser Stelle wird die sprachliche Fassung des Art. 92 Hs. 1 GG wohl am ehesten auf eine tatsächliche Bedeutung treffen, denn letztlich ist die Einsetzung eines Menschen in eine solche Stellung Zeichen eines enormen Vertrauensvorschusses des Volkes in die jeweilige Person, auch wenn dies durch die Übergabe einer Urkunde (§ 17 Abs. 1 DRiG) kaum wirklich zum Ausdruck gebracht werden kann. Die Vertrauensfrage in Form der Richteranklage jedenfalls hinsichtlich der Grundsätze der Verfassung stellen zu dürfen, ist daher wohl das mindeste, was der Vertrauensgeber beanspruchen darf. Daher wird der Kampf der Richterschaft gegen die Richteranklage [s. oben § 3 I. 4. d)] um so unverständlicher.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Entzugs einer einem Richter laut Geschäftsverteilung zugeteilten Sache muß folglich auch innerhalb der Judikative von der tatsächlichen Möglichkeit einer völlig freien Entscheidung jedes Richters (in Bindung an das Gesetz) ausgegangen werden. Mendes erster zuvor zitierter Satz behält auch unter dem Grundgesetz Geltungskraft: Nach den bestehenden Gesetzen ist jeder Richter objektiv in der Lage, den seiner Entscheidung anvertrauten Streit unabhängig zu entscheiden. Anders verhält es sich mit seinem zweiten Diktum: Kann es rechtlich unerheblich sein, ob er subjektiv dazu imstande ist? In solcher Pauschalität kann dies nicht bejaht werden. Denn dann könnte auch der Richter in einem diktatorischen Regime wenigstens einmal unabhängig entscheiden; er müßte eben danach nur mit der Entfernung aus dem Amt und weiteren Sanktionen rechnen. Die freie Entscheidung wäre ihm dadurch zunächst aber nicht verwehrt. Auch das Kammergericht konnte im Fall des Müllers Arnold frei entscheiden, mußte dann aber die von Friedrich dem Großen veranlaßte Verhaftung über sich entgehen lassen28. Die rein tatsächliche Entscheidungsfreiheit und -möglichkeit ist selbstverständliche Voraussetzung eines unabhängigen richterlichen Urteils. Aber damit ist es nicht getan, weil nicht gewährleistet ist, daß von dieser tatsächlich gegebenen Option wirklich Gebrauch gemacht wird. Angesichts des zuvor schon festgestellten Umstands, daß eine diesbezügliche Sicherheit ohnehin von außen nicht erzeugt werden kann, muß klarstellend formuliert werden: Bei bloß physischer Möglichkeit einer unabhängigen Entscheidung ist die Wahrscheinlichkeit zu groß, daß sie nicht wahrgenommen wird, weil psychologische Hindernisse keine Berücksichtigung finden, obwohl ihnen wesentliche Bedeutung zukommen kann und in jedem Einzelfall auch zukommen. Bei der Frage des notwendigen Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit geht es also letztlich um Wahrscheinlichkeiten und hypothetische Kausalitäten29: In allen westlichen Verfassungsstaaten sind Kabinettsjustiz und der Machtsprüche eines absoluten Herrschers unbestrittenen abgeschafft und damit eine letztverbindliche Entscheidung durch einen anderen als den gesetzlichen Richter ausgeschlossen30. Daher liegt das Problem der richterlichen Unabhängigkeit nur sekundär im Tatsächlichen (Verbot von Weisungen), sondern wird in erster Linie zu einer psychologischen Kategorie, so daß die innere Unabhängigkeit in das Zentrum jeder Betrachtung rücken muß.

28

Siehe zu diesem Fall Sendler, JuS 1986, S. 759 ff. Dieser Aspekt stellt schon erste Verbindungen mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip her, s. Starck, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Vierzig Jahre Grundrechte, S. 9 (31), unter Bezugnahme auf BVerfGE 7, 377 (412). 30 Für die Bundesrepublik i. E. ebenso Dury, DRiZ 2004, S. 239 (240). 29

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt der richterlichen Unabhängigkeit Die richterliche Unabhängigkeit gem. Art. 97 GG ist kein Grundrecht und auch kein grundrechtsgleiches Recht31, „kein Standesprivileg einer juristischen Elite“32. Es dient zwar dem Schutz des individuellen Richters vor der Einflußnahme von außen, vermittelt ihm aber kein subjektiv-öffentliches Recht33. Die Garantie der Unabhängigkeit schützt damit als objektives Recht die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege34 insgesamt, kommt aber dennoch um die Bezugnahme auf den einzelnen Richter nicht herum, da die Manifestation der Unabhängigkeit in Form der Einzelfallentscheidung nicht durch die Gesamtinstitution Gericht als solche, sondern durch einen oder mehrere Richter erfolgt. Dies darf nicht vernachlässigt werden, auch wenn die rechtsprechende Gewalt insgesamt „durch die Gerichte (. . .) ausgeübt wird“ (Art. 92 Hs. 2 GG). Aufgrund der funktionellen Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit wird jedoch klargestellt, daß sie kein „Privileg“ des Richters ist, das ihm um seinetwillen zuerkannt worden ist. Wenn überhaupt Individualrechte geschützt würden, dann die des Bürgers, der ein Recht auf eine unabhängige Entscheidung habe35. 1. Subjektiv-rechtliche Weiterungen der objektiven Intention Normativ betrachtet, trifft dies zu. Faktisch blendet diese Auffassung die Realitäten aus, jedenfalls die Kehrseite der Medaille „Unabhängigkeit“, und verstellt so den Blick auf wesentliche Probleme. Denn zum einen generiert die richterliche Unabhängigkeit faktisch Privilegien für die Richterschaft, wie sie mit keinem anderen Amt der Bundesrepublik oder irgendeiner anderen Tätigkeit verbunden sind. Niemand sonst ist unabsetzbar oder unversetzbar, an keine Arbeitszeiten gebunden. Kein Amt ist frei von unmittelbaren Weisungen bei gleichzeitig solcher Machtfülle. Sie ist – faktisch – nicht „ein“ Privileg des Richters, sondern umfaßt einen Strauß von Privilegien. Doch ist dies zunächst 31

Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 16. Limbach, NJ 1995, S. 281 (282); so im Ergebnis auch AK-GG-Wassermann, Art. 97 (2001) Rn. 17; Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (645); Faller, FS Zeidler, S. 81 (82); KK-Pfeiffer, § 1 GVG Rn. 3; ders., FS Bengl, S. 85 (87); ders., DRiZ 1979, S. 229 (229); W. Geiger, DRiZ 1979, S. 66 (67); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 15, 54; Zöller-Gummer, § 1 GVG Rn. 4. 33 Siehe etwa jüngst BVerfGE 107, 257 (274 f.): kein „mit der Verfassungsbeschwerde rügefähiges Recht“; anders aber etwa Krützmann, DRiZ 1985, S. 201 (202): „subjektiv-öffentliches (Abwehr-)Recht“. 34 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 17. 35 Vgl. Limbach, NJ 1995, S. 281 (282); ähnlich Prantl, Liber amicorum Voss, S. 155 (159). 32

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

kein Vorwurf an die Richterschaft; das rechtsstaatliche Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit erfordert ihre Privilegierung. Es wirft aber zugleich die Frage nach der Grenze auf, bei der das jeweilige Privileg seine funktionelle Basis der Sicherung der Rechtspflege im weitesten Sinne verläßt und nur noch Privileg als solches bleibt. Die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit kann also nur in Verbindung mit der Funktion der Rechtsprechung sachlich erörtert werden, da sich das Unabhängigkeitspostulat sonst als blinder Traditionalismus enthüllt36. Zum anderen wirkt die richterliche Unabhängigkeit rechtlich wie ein subjektives Recht, weil dem Richter mit § 26 Abs. 3 DRiG ein Rechtsschutzverfahren zur Abwehr staatlicher Eingriffe (der Exekutive) eröffnet ist37, wie es typisch für die Verteidigung subjektiver Rechte gem. Art. 19 Abs. 4 GG existiert38 und angesichts der geringen Zulässigkeitserfordernisse sogar darüber hinausgeht39. Verstärkt wird dies zudem noch durch die mittlerweile gesicherte Option des Rechtsschutzes gegen das Präsidium, also ein in richterlicher Unabhängigkeit handelndes Kollegialorgan40. Berücksichtigt man sodann noch die aufgezeigte Personalisierung der richterlichen Unabhängigkeit, so fällt es schwer, einen Unterschied etwa zur Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG zu finden. Beide Rechte sind dem individuellen Inhaber abwehrfähig garantiert. Zum tatsächlich subjektiven Recht wird die Unabhängigkeit zudem dann, wenn sie als Bestandteil des hergebrachten Amtsrechts in Rahmen der Garantie des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 5 GG aktiviert wird41. Art. 97 GG verleiht dem Richter dadurch eine Abwehrposition, mittels derer er „seine“ Unabhängigkeit und damit seine Privilegien verteidigen kann. Wenn es dann dazu kommt, daß die Unabhängigkeit aus ihrem genetischen Zusammenhang mit der allgemeinen Funktion der Rechtsprechung losgelöst wird, gerät sie in Gefahr, zur anspruchsvollen Verbrämung standespolitischer Anliegen der Rich36

So Simon, Unabhängigkeit, S. 167. Meyer, DRiZ 1981, S. 22 (24), spricht vom „staatsunabhängigen Richter“. 38 Die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG auch auf den Rechtsschutz gegen die Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit anwendbar ist, hat BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 10.4.1990 – 2 BvR 249/90 (nur in juris veröff.) – nicht per se verneint, sondern ausdrücklich offen gelassen. 39 Aber selbst dies hielt eine beschwerdeführerende Richterin noch für eine unzumutbare Zugangserschwernis hinsichtlich des Rechtsschutzes, vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 10.4.1990 – 2 BvR 249/90 (nur in juris veröff.) – die Abwegigkeit dieser Annahme zog denn auch folgerichtig eine Mißbrauchsgebühr gem. § 34 Abs. 2 BVerfGG nach sich. 40 Siehe Kissel, GVG, § 1 Rn. 181 ff. Der Rechtsschutz des Richters bestand also auch schon vor der Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 395 ff.) nicht nur durch den Richter, sondern auch gegen den Richter. 41 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 16; daraus soll auch folgen, daß der Richter seine Arbeit „selbständig organisiert“, so Herrmann, DRiZ 2004, S. 316 (317). 37

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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ter zu werden42. Die Mitglieder der Justiz benutzen die richterliche Unabhängigkeit dann nicht in dem zuvor beschriebenen, von der Verfassung gemeinten Sinn. „Vielmehr tendieren Sie dazu, das Konzept der Unabhängigkeit auch als ein Vehikel zur Artikulation aller möglichen Probleme zu benutzen, die sie in und mit der Arbeitsorganisation haben“43. Die Anwendung grundrechtlicher Kategorien auf die richterliche Unabhängigkeit beinhaltet demnach durchaus Gefahren, die sich als Parallele zur bereits oben aufgezeigten Personalisierung darstellen und diese Tendenz bestätigen oder sogar noch vertiefen können. 2. Grundrechtliche und grundrechtsdogmatische Affinitäten Gleichwohl weisen Grundrechte und richterliche Unabhängigkeit Gemeinsamkeiten auf, die gemeinsame Lösungsstrategien nahelegen können. Abstrakt läßt sich dies mit der fundamentalen Bedeutung beider Garantien belegen: Ebenso wie die Rolle der Grundrechte für die Freiheitsgewährung des westlichen Verfassungsstaates unzweifelhaft ist, wird die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für den Rechtsstaat durchweg betont, wie die zuvor referierten Zitate belegen44. Ihre Herleitung aus dem entsprechenden Rechtsstaatsprinzip ist infolge dessen auch kaum bestritten, ebensowenig ihre Funktion als Konkretisierung des Gewaltenteilungsgrundsatzes45. In Fortführung dessen ebenfalls erkannt, aber nicht konsequent weiterverfolgt, ist die Eigenschaft der richterlichen Unabhängigkeit als conditio-sine-qua-non des Justizgewährleistungsanspruchs46, die einen weiteren Konnex zu grundrechtlichen Garantien herstellt. Hieran kann und muß eine weiterführende Dogmatik ansetzen. Der Justizgewährleistungsanspruch47 wird herkömmlich definiert als „Anspruch auf Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte“48 und folgt unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip oder seinen spezifischen Konkretisierungen etwa in Art. 14 Abs. 3 GG oder prominent (gegen die exekutive öffentliche Gewalt) in Art. 19 Abs. 4 GG49. Spätestens im Hinblick hierauf wird deutlich, daß die richterliche Unabhängigkeit in besonderer Beziehung zur Grundrechtsverwirk42 So Simon, Unabhängigkeit, S. 47, der diese letztere standespolitische Funktion der Unabhängigkeit für die Zeit um 1910 als gegeben annimmt und – 1975 – als nach wie vor fortdauernd ansieht. Dies dürfte sich bis heute nicht geändert haben. 43 R. Werle, Justizorganisation, S. 268. 44 Vgl. oben die Nachweise § 3 II. 2. 45 Vgl. statt aller nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 14; aber auch Reinhardt, Jurisdiktion, S. 81 ff., der gar eher von einer „Erhöhung“ als Konkretisierung des Gewaltenteilungsgrundsatzes spricht. 46 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 14. 47 Dieser firmiert ohne unterschiedlichen Inhalt auch als Justizgewährungsanspruch (so etwa K. Redeker, NJW 2003, S. 2956 [2957]; BGH [Dienstgericht des Bundes], NJW 2002, S. 359 [369]). 48 Statt aller Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 197.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

lichung des Bürgers steht: Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG läuft leer, wenn das zuständige Verwaltungsgericht nicht mit unabhängigen Richtern besetzt ist; fehlt die Unabhängigkeit, soll sogar die Gerichtseigenschaft entfallen50. Zwar wird die richterliche Unabhängigkeit dadurch nicht selbst zum Grundrecht, da sie als Garantie nicht dem Bürger, sondern einem staatlichen Amtsträger zusteht, der seinerseits nicht grundrechtsberechtigt, sondern -verpflichtet ist (Art. 1 Abs. 3 GG). Aber dennoch entsteht ein besonderes Näheverhältnis zwischen der Grundrechtsgewährleistung für den Bürger und der richterlichen Unabhängigkeit, indem letztere zur Existenzvoraussetzung der ersteren wird. Berücksichtigt man sodann noch, daß allein die (gerichtliche) Durchsetzbarkeit eines Grundrechts dessen Effektivität zu sichern vermag, wird nicht nur der Bezug zum Justizgewährleistungsanspruch, sondern zur Gewährleistung aller grundrechtlichen Freiheiten deutlich: „Every member of the public has an inalienable right that our courts shall be left free to administer justice without obstruction or interference from whatever quarter it may come. (. . .) for in the long run it is the courts of justice which are the last bastion of individual liberty.“51

Der so verstandene Grundrechtsbezug der richterlichen Unabhängigkeit hat sodann zur Kehrseite, daß ihre Gefährdungen und Einschränkungen zumindest mittelbar auf die Grundrechte selbst durchgreifen und so die Freiheit des der staatlichen Gewalt Unterworfenen ebenfalls gefährden oder beeinträchtigen. Dies muß Rückwirkungen auf die Beurteilung von Unabhängigkeitsgefährdungen haben: Deren Grundrechtsrelevanz macht deutlich, daß es bei ihrer „Abwehr“ stets auch um den „dahinter“ stehenden Betroffenen geht, der sich wegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG „seinen“ Richter nicht aussuchen kann. Zur Sicherung der Neutralität stehen zwar Möglichkeiten der Richterablehnung zur Verfügung; als Mechanismus zur (generellen) Verteidigung der Unabhängigkeit taugt dieses Rechtsinstitut jedoch nicht – zumal strukturelle Betroffenheiten keine Berücksichtigung finden. Setzen Einschränkungen der Geltung und Durchsetzung der Grundrechte bestimmte Bedingungen voraus, so gilt dies grundsätzlich ebenso für die richterliche Unabhängigkeit als insoweit unverzichtbarer, dienender Voraussetzung der Grundrechtsverwirklichung. Dabei darf das Unabhängigkeitspostulat nicht als „Mutter“ der Grundrechtsdurchsetzung glorifiziert werden. Vielmehr geht es allein um die Erkenntnis, daß jedes prozessuale Verfahrensgrundrecht – angefangen von der Garantie eines Zugangs zu einem Gericht im Sinne des Art. 92 GG bis hin zu den einzelnen Gewährleistungen innerhalb des jeweiligen Verfahrens 49 BVerfGE 107, 395 (401); K. Redeker, NJW 2003, S. 2956 (2957); Sobota, Prinzip, S. 188 ff. 50 Vgl. oben § 2 V. 1. a). 51 So kaum zu übertreffen der englische Lord Justice Salmon in Morris and Others v. The Crown Office, 1970, zit. nach Schweizer, Rechtsverwirklichung, S. 2.

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wie Art. 103 Abs. 1 GG – überhaupt nur gewährleistet ist, wenn gleichzeitig richterliche Unabhängigkeit herrscht. Geht es bei einem gerichtlichen Verfahren inhaltlich um Fragen materieller Grundrechte, so wird auch deren Durchsetzung von der richterlichen Unabhängigkeit abhängig. Insofern hat die Verteidigung der richterlichen Unabhängigkeit durch die Richterschaft grundsätzlich auch einen altruistischen Aspekt, weil jenseits der individualisierten Richtersituation regelmäßig auch generalisiert die Grundrechtsgarantien des Bürgers (mit-)geschützt werden. Daß auch Richter an Grundrechte gebunden sind und sie verletzen (können), steht dem nicht entgegen. Dies führt zu einem weiteren Aspekt, der den Nutzen grundrechtlicher Dogmatik für die inhaltliche Bestimmung der Unabhängigkeitsgarantie unterstreicht: die vergleichbare Konstellation in den Fällen der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Für die „kanonisierte ,Ausnahmetrias‘“52 (Universitäten und Fakultäten53, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten bezüglich der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 I 2 GG54, Kirchen und Religionsgesellschaften55) hat das Bundesverfassungsgericht seine grundsätzlich ablehnende Position aufgegeben, nach der es infolge des Fehlens eines personalen Substrats und mit Hilfe des Wesens- und Konfusionsarguments in prinzipieller Weise die Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts verneint. Maßgebend für diesen Grundsatz sei, daß die Freiheits- und Gleichheitsrechte des Grundgesetzes ihrer verfassungs- und ideengeschichtlichen Herkunft wie auch ihrer funktionalen Eigenart nach dem Schutz natürlicher Personen gegenüber der Staatsgewalt56 dienten. Mit dem „primären Sinn der Grundrechte, den Schutz des Einzelnen vor Eingriffen der staatlichen Gewalt zu gewährleisten“, sei eine Ausdehnung der Grundrechtsfähigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht zu vereinbaren57. Grund für die Ausnahmen soll dann die im Gegensatz dazu distanzierte Stellung der drei genannten „Personen“ zum Staat sein sowie die Zuordnung zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich des Bürgers, in dem die öffentlich-rechtlichen Personen die Wahrnehmung der Grundrechte erst möglich machen58.

52

Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 19 III Rn. 59. BVerfGE 15, 256 (261 f.); 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 35. 54 BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254); 74, 297 (317 f.). Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 5 I, II Rn. 120. 55 BVerfGE 19, 1 (5); 30, 112 (119 f.); 42, 312 (321 f.); 53, 366 (387); 70, 138 (160 f.). Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 4 Rn. 100; ders., in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 140/137 WRV Rn. 77. 56 Siehe statt aller zsfssd. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 19 III Rn. 57. 57 BVerfGE 59, 231 (255). 58 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 158 f. 53

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Zwar sind Richter nicht vom „Staat“ distanziert, sondern in Gerichten als unmittelbaren staatlichen Einrichtungen (Art. 92 GG) tätig. Aber dennoch kommt gerade in der Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG eine Distanziertheit von staatlichen Stellen der Exekutive (generell) und Legislative (jenseits des Gesetzes) zum Ausdruck. Zum anderen ermöglicht erst ihr Handeln in Unabhängigkeit die Inanspruchnahme des Justizgewährleistungsanspruchs bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG durch den einzelnen, so daß die Richter bei der Erhaltung und Verteidigung der Unabhängigkeit als „Sachwalter“ des Bürgers auftreten, wie es das Bundesverfassungsgericht für die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts gefordert hat59. Nach alledem bleibt es gleichwohl dabei, daß die richterliche Unabhängigkeit kein Grundrecht ist. Ihr Inhaber ist ein staatlicher Amtsträger, der durch Art. 1 Abs. 3 GG ausschließlich verpflichtet, aber nicht berechtigt wird. Entscheidend aber ist, daß die Funktion der richterlichen Unabhängigkeit eng verknüpft ist mit der Grundrechtsverwirklichung des Bürgers, die nur so weit reicht, wie auch die richterliche Unabhängigkeit faktisch wirksam werden kann. Daher ist letztere als notwendige Bedingung des Grundrechtsschutzes den gleichen Schutzmechanismen zu unterwerfen wie die Grundrechte selbst. Das Schutzregime der Grundrechtsdogmatik behält dann aber ebenso seine Grenzen, die es zu aktualisieren gilt, wenn es zum Widerstreit mit anderen Rechtsgütern kommt. Eben diese Grenzziehung aber ist es, die bisher weithin im Dunkeln liegt und letztlich nur im Rahmen des Verhältnisses zwischen individuellen dienstaufsichtlichen Maßnahmen und dem einzelnen Richter kasuistisch erfolgt ist. Denn die dabei zugrunde gelegte Verabsolutierung der richterlichen Unabhängigkeit hat zu den bereits aufgezeigten Konsequenzen des Allesoder-Nichts geführt. Eine Austarierung des Prinzips gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern kommt nicht in Betracht. Es fehlt die rechtsdogmatische Option, wie sie typisch für ein Grundrecht ist: Die Bestimmung seiner Reichweite durch Abwägung mit anderen Grundrechten oder sonstigen Verfassungsrechtsgütern. Gerade die Einführung der NSM in der Justiz erfordert in besonderer Weise die Möglichkeit, verschiedenste Faktoren bei der Entscheidung über deren (verfassungs)rechtliche Zulässigkeit zu berücksichtigen. In dem Beziehungsgeflecht von Richtern und Rechtsprechungsverwaltung sind die gegenseitigen Abhängigkeiten und Einflußsphären potentiell derart vielgestaltig, daß auch nur ansatzweise pauschale Positionierungen keinerlei befriedigende Lösung geben können. Etwa der Verweis auf die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Richtervertretungen (Richterräte) zeigt, wie differenziert die Bewertung von Entscheidungen der Gerichtsverwaltung etwa 59

BVerfGE 62, 81 (103).

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im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz betrachtet werden müssen60; nicht weniger gilt dies im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit. Daher erscheint die Problematik eher mit der Situation in der Fachplanung und der darin enthaltenen Berücksichtigung und dem Ausgleich verschiedenster Belange vergleichbar als mit der der Kompromißlosigkeit des absoluten Würdeschutzes. Vor diesem Hintergrund wird erneut deutlich, wie sehr auch das Aufeinandertreffen der NSM und der richterlichen Unabhängigkeit von sehr unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen bestimmt wird und sich daher einer undifferenzierten Betrachtung entzieht. Daher liegt es nahe, die für die Einschränkung von (vorbehaltlosen) Grundrechten entwickelte Systematik auch auf Art. 97 GG zu übertragen, um auf diese Weise den Entweder-Oder-Charakter der Garantie zu überwinden. Damit würde einerseits eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit um zumindest rechtlich gleichwertiger Rechtsgüter willen rechtfertigungsfähig, was bisher nicht möglich war. Wird eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit festgestellt, ist die zugrunde liegende Maßnahme bisher zweifelsohne unzulässig. Mit der Rechtfertigungsfähigkeit entstünde zugleich eine Rechtfertigungsbedürftigkeit, die etwa die Rechtsprechungsverwaltung, aber auch den Gesetzgeber dazu zwingen würde, Rechenschaft über Unabhängigkeitsbeschränkungen abzulegen. Gleichzeitig würde die längst überfällige Anerkennung von Unabhängigkeitsgefährdungen ermöglicht, die bisher als solche nicht klassifiziert werden konnten, weil man die damit verbundene Rechtsfolge ihrer Unzulässigkeit vermeiden wollte. Wer nicht die exekutive Dienstaufsicht über Richter gänzlich beseitigen will, muß ihre rechtliche Unbedenklichkeit gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit behaupten und damit die Realität negieren. Von dieser Last wäre man befreit, wenn man den Gehalt der richterlichen Unabhängigkeit als völlige Entscheidungsfreiheit in Bindung nur an das Gesetz zum „Schutzbereich“ im Sinne grundrechtlicher Dogmatik erklärte. Denn dann wäre mit der Feststellung seiner Betroffenheit – anders als bisher – keineswegs die Entscheidung über die Zulässigkeit des „Eingriffs“ getroffen. Dies bliebe vielmehr der Schrankenprüfung überlassen, die es ermöglichen würde, Abwägungsentscheidungen im Einzelfall zu treffen. Zudem muß der von der Unabhängigkeitsgarantie umfaßte Tätigkeits- und Entscheidungsbereich als ausschließliche Kompetenzzuweisung an die Richter begriffen werden, der ähnlich einer Gesetzgebungskompetenz dem jeweiligen Träger wie eine subjektive Rechtsposition zugewiesen ist. Ein solches Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit wäre dann eine konsequente Fortführung 60 Diesen Konnex gewichtet auch die NRV, wenn sie in ihrem Konzept zur Selbstverwaltung der Justiz die Richterräte abschaffen will, weil sie in einer ohnehin von Richtern bestimmten Entscheidungsstruktur nicht mehr notwendig seien, vgl. Häuser/ Koch, BJ 2003, S. 61 (61 f.).

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

der im Altenpflegegesetz-Urteil61 des Bundesverfassungsgerichts angelegten Dogmatik zur Neufassung der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG. Zwar erscheint auch hier eine solche „begriffliche Zuordnung auf den ersten Blick unüblich“62. Ausgangspunkt der Überlegungen ist insoweit, daß die Kompetenzzuordnung an die Richter eine verfassungsrechtliche „Grundentscheidung“ enthält, die dem politischem Gestaltungsraum vorgegeben ist. Sie weist die strukturelle Konstellation eines Gewährleistungs- oder Schutzbereichs zu Gunsten des Rechtsträgers auf, dem die Kompetenzen zugeordnet wurden. Denn die Zuweisung einer Kompetenz beinhaltet stets auch den Ausschluß anderer Rechtsträger, was für die Rechtsprechung wie an keiner anderen Stelle ausdrücklich in Art. 92 GG zum Ausdruck kommt. Die damit verbürgte Gewährleistung schützt zwar keinen Freiraum, wie die individualbezogenen Grundrechtsverbürgungen dies tun. Den Trägern der öffentlichen Gewalt steht eine derartige Freiheitssphäre nicht zu, sie sind vielmehr dem öffentlichen Wohl und der Erfüllung der zugeordneten Aufgaben verpflichtet. Der Gewährleistungsbereich schützt aber einen Zuständigkeits- und Kompetenzbereich, den die Verfassung dem Träger zwar nicht als Selbstzweck, aber zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugeordnet hat. Daß die Verfassung mit diesen Verantwortungsbereichen eigenständige Rechtspositionen zugewiesen hat, wird insbesondere an den rechtlichen Schutzmöglichkeiten deutlich. Denn dem Rechtsträger sind damit Verteidigungsmöglichkeiten an die Hand gegeben worden, seinen Aufgabenraum gegen Beeinträchtigungen zu schützen. Verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen gewährleisten folglich nicht nur individuelle Freiheitsräume, sie schützen ebenso die verfassungsrechtlich zugeordneten Kompetenz- und Verantwortungsbereiche. Insofern liegt durchaus eine strukturelle Parallelität zur Grundrechtsdogmatik vor, denn die unnötige oder unangemessene Beschränkung dieser Rechtsposition widerspricht hier wie dort den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Konzeptionell erscheinen die den Gewalten zugewiesenen Kompetenzen daher als subjektive Rechtspositionen der Kompetenzträger, was auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kernbereichslehre zum Ausdruck kommt. Daraus aber folgt auch die Anwendbarkeit des Übermaßverbotes, denn nicht nur die grundrechtlich geschützten Positionen des Bürgers, sondern alle verfassungsrechtlich eingeräumten subjektiven Rechtspositionen sind der gesetzgeberischen und erst recht der exekutiven Beliebigkeit entzogen. Ein Eingriff in diese subjektiven Rechte, deren Einräumung Ausfluß verfassungsrechtlicher Wertentscheidung ist, ist daher nur bei qualifizierter Rechtfertigung möglich 61

BVerfGE 106, 62 ff. So für den Bereich der Gesetzgebungskompetenz Kenntner, NVwZ 2003, S. 821 (823); es folgt nachstehend eine Paraphrasierung seiner Ausführungen, ebd., S. 823 f., die exakt die im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit zutreffenden Erwägungen wiedergeben. 62

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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und auf das erforderliche Maß zu beschränken. Eine übermäßige und unnötige Beeinträchtigung subjektiver Rechtspositionen dagegen negiert die mit der Kompetenzzuweisung getroffene Grundentscheidung und entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Sofern sich dennoch Beeinträchtigungen rechtfertigen lassen, sind diese auf das notwendige Maß zu beschränken63. Dies widerspricht zwar früheren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip „eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion“ zukomme, so daß „das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff (. . .) weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden“64 könne. Auch hat das Bundesverfassungsgericht darauf verzichtet, das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Ausgestaltungsaufträgen des Grundgesetzes konsequent anzuwenden65. Allerdings deuten die Formulierungen in der Altenpflegegesetz-Entscheidung zu Art. 72 Abs. 2 GG n. F. in eine neue Richtung und werden gerade auch durch eine besondere Form der Rezeption des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Recht der Europäischen Gemeinschaft durch den EuGH gestützt: Hier fungiert es gerade auch als Maßstab für die Austarierung der Kompetenzallokation zwischen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft66. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip taugt also durchaus auch zur Regulierung von Kompetenzkonkurrenzen. Ansätze zu einer solchen Dogmatik sind auch bereits teilweise erkennbar, jedoch ohne dabei als solche kenntlich gemacht worden zu sein und zudem mit hierzu in Widerspruch stehenden Ausführungen. So hat das Dienstgericht des Bundes formuliert: „Art. 97 GG hindert den Landesgesetzgeber nicht daran, der obersten Landesbehörde als Spitze der Exekutive dienstaufsichtliche Befugnisse gegenüber den Richtern einzuräumen (. . .). Die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit der Richter zwingt nicht zu deren Freistellung von jeglicher Dienstaufsicht der Exekutive. Die in Art. 97 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit ist kein Grundrecht oder Privileg der Richter (. . .). Art. 97 Abs. 1 GG fordert sie nicht im Interesse des einzelnen Richters, sondern um dem rechtssuchenden Bürger zu gewährleisten, dass sein Rechtsstreit neutral und ohne eine andere Bindung als die an Gesetz und Recht entschieden wird. Die Dienstaufsicht trägt zur Sicherung des Justizgewährungsan63

Ende des paraphrasierten Textes (vgl. FN 62). Ausdrücklich BVerfGE 81, 310 (337 f.), für die Ausübung einer Weisungskompetenz durch den Bund im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung; s. a. BVerfGE 61, 256 (289). 65 Keine Berufung auf die Verhältnismäßigkeit jetzt in BVerfGE 107, 395 ff., zu Art. 19 Abs. 4 GG; anders aber in BVerfGE 101, 106 (124 f.), unter Hinweis auf E 60, 253 (268 f.); 88, 118 (123 ff.); vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 19 IV Rn. 140. 66 Knill/Becker, Die Verwaltung 36 (2003), S. 447 (464). 64

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

spruchs des Bürgers bei. Sie soll eine den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechende, geordnete Rechtspflege gewährleisten und sicherstellen, dass die richterlichen Dienstpflichten eingehalten werden. Dazu ist auch bei Richtern ungeachtet der verfassungsrechtlichen Garantie ihrer Unabhängigkeit eine Dienstaufsicht (. . .) zulässig. Die Dienstaufsicht der zuständigen obersten Landesbehörden berührt als solche die richterliche Unabhängigkeit nicht, solange sie sich im Rahmen des § 26 DRiG hält (vgl. BVerfGE 38, 139 [151 f.])“67.

Hier scheint das Dienstgericht mit dem Hinweis auf die Justizgewährleistungspflicht des Staates eine Rechtfertigung für die Dienstaufsicht zu geben, was darauf hindeutet, daß es zunächst konkludent eine Form der Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch eben diese Dienstaufsicht voraussetzt. Denn andernfalls bedürfte es gar keiner Rechtfertigung. Allerdings bleibt hier unklar, ob es tatsächlich um eine Beschreibung von „Schranken“ geht oder nicht vielmehr schon eine „Schutzbereichs“-Einschränkung erfolgt, wie etwa der Verweis auf das Bundesverfassungsgericht am Ende des Zitats nahelegt, das schon eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch exekutive Dienstaufsicht als solche grundsätzlich verneint hat. Für letzteres spricht auch die ständige Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes hinsichtlich der Abgrenzung von Kernbereich richterlicher Tätigkeit und dem nur äußeren Ordnungsbereich. Zu letzterem gehören danach Tätigkeiten, „die dem Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung soweit entrückt sind, daß für sie die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG nicht in Anspruch genommen werden kann“68.

Hier wird erneut deutlich, daß Art. 97 GG in diesem Bereich erst gar nicht gelten soll und nicht etwa nur hinter anderen Rechtsgütern zurückstehen muß69. Gleichwohl spricht gerade diese Grundkonzeption des Dienstgerichts in Form der Unterscheidung zwischen Kernbereich und dem Bereich der äußeren Ordnung sowie der trotz Kernbereichszugehörigkeit der Dienstaufsicht zugängliche offensichtliche Fehlentscheidung auch für eine abwägend-differenzierende Sichtweise – ohne dies allerdings auch sprachlich deutlich zu machen. Zwar fehlt in § 26 DRiG für dieses Konzept jede Grundlage70; es erscheint jedoch als Ausdruck der notwendigen Erkenntnis, daß es in bezug auf die richterliche Tätigkeit Abstufungen im Schutz (gegen die Dienstaufsicht) geben muß, weil es Gründe gibt, die ein Einschreiten rechtfertigen können oder gar erforderlich machen, so daß ein durchgängig absoluter Schutz um anderer Rechtsgüter willen 67 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 (360) – die Auslassungen beziehen sich ausschließlich auf Rechtsprechungsverweise des BVerfG/BGH. 68 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 42, 163 (169); krit. zu diesem Zirkelschluß s. Kissel, GVG, § 1 Rn. 59 f. 69 Siehe ebenso BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW-RR 2001, S. 498 ff. 70 In diesem Sinne zutreffend Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 25.

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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nicht gewährt werden kann. Wenn etwa ein Richter bewußt gesetzwidrig handelt oder eine über zehn Jahre zurückliegende Gesetzesänderung (noch immer) nicht zur Kenntnis genommen hat, so ist dies einerseits Willkür71. Wegen der Gesetzesbindung aus Art. 97 Abs. 1 GG sowie des Justizgewährleistungsanspruchs des Bürgers muß es aber auch möglich sein, den Richter hierauf durch Organe der Dienstaufsicht mittels Vorhalt oder Ermahnung hinzuweisen. Den Richter einfach „weitermachen“ und seine Gesetzesbindung offensichtlich umgehen zu lassen, kann auch dann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, wenn die Entscheidung den Kernbereich richterlicher Tätigkeit betrifft72. Gestützt wird die Anwendung von Verhältnismäßigkeitserwägungen auf die richterliche Unabhängigkeit auch durch die allerdings letztlich praktisch nicht sehr ergiebige Formel des Bundesverfassungsgerichts, die richterliche Unabhängigkeit verbiete „jede vermeidbare Einflußnahme“ auf den „Status des einzelnen Richters“73 bzw. „die Rechtsstellung des Richters“74 bzw. „der Richter“75 oder „die rechtsprechende Gewalt“76 insgesamt. Ernstgenommen, ist das Vermeidbarkeitskriterium letztlich nichts anderes als eine Form der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. w. S.77 Und letztlich hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich diese Grenze auch in bezug auf die richterliche Unabhängigkeit genannt78 – ohne aber daraus weitergehende Konzepte zu entwickeln. Die bisher gebräuchliche Terminologie erweist sich letztlich als uneinheitlich; eine klare dogmatische Konzeption ist nicht erkennbar. Im Ergebnis kann daher jedenfalls nicht von einem grundrechtsähnlich differenzierten Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit im vorgenannten Sinne ausgegangen werden. Es wird grundsätzlich ein verengtes Verständnis richterlicher Unabhängigkeit praktiziert, das dem Gesetzgeber und der Exekutive weiten Spielraum zu ihrer Einengung überläßt, solange sie sich unterhalb der Weisungsebene oder auch der mittelbaren psychologischen Beeinflussung dahingehend bewegen, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. Durch den Ausschluß dieses Spielraums schon aus dem Gewährleistungsbereich der richterlichen Unabhän71 So der BGH in bezug auf die eben beschriebene Situation, NJW 2002, S. 3634 ff.; zweifelnd Tombrink, NJW 2003, S. 2364 (2366). 72 In diesem Sinne auch Louven, DRiZ 1980, S. 429 f.; ebenso und sich gegen die vehemente Kritik von Meyer, DRiZ 1981 S. 22 ff., verteidigend ders., DRiZ 1981, S. 299 f., insbesondere Fn. 6. Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 97 Rn. 35, bleibt aber bis in die jüngste Zeit bei seiner Kritik („erschreckend verfassungsfremd“). 73 BVerfGE 12, 81 (88). 74 BVerfGE 26, 79 (93). 75 BVerfGE 38, 1 (21). 76 BVerfGE 55, 372 (389). 77 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 285 ff. 78 BVerfGE 38, 139 (151); s. oben bei FN 10.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

gigkeit werden Gesetzgeber und Exekutive zudem von der rationalisierenden Pflicht zur Rechtfertigung dieser Beschränkungen entbunden79. 3. Die notwendige Herstellung bisher fehlenden Abhängigkeitsbewußtseins Neben diese Erleichterung für die anderen Staatsgewalten tritt aber noch eine weitere unabhängigkeitsverkürzende psychologische Wirkung innerhalb der Judikative, die nicht unterschätzt werden darf. Indem merkliche Beeinflussungen durch Hierarchie und Organisationsstrukturen als von Verfassungs wegen unbedenklich, weil gar nicht erfaßt eingestuft werden, muß dies auf Seiten der Richter zwangsläufig als positiv, jedenfalls nicht als negativ im Sinne einer jederzeit zu gewärtigenden Gefahrensituation wahrgenommen werden. Evident leuchtet dies bei der dargestellten Rechtsprechung zum richtunggebenden Einfluß des Vorsitzenden80 ein, die von jedem (jungen) Beisitzer letztlich nur als höchstrichterliche Anweisung zum Befolgen von Vorsitzenden-„Weisungen“ verstanden werden kann. Es kann aber auch ansonsten keine „zuchtvolle Anstrengung“81 zur Distanz gegenüber subtilen Einflüssen der Exekutive oder nicht-gesetzlicher Richter erwartet werden, wenn immer wieder rechtskräftig festgestellt wird, daß deren Beeinflussungspotential in Form der Dienstaufsicht einschließlich der Beurteilungsfunktion gar nichts mit Art. 97 GG zu tun hat. Ist aber die richterliche Unabhängigkeit ohnehin nicht betroffen, so kann es auch nicht die Aufgabe des Richters sein, sich diesbezüglich stets seiner Unabhängigkeit zu vergewissern. Denn was er nicht besitzt oder besitzen soll, kann und braucht er sich auch nicht erarbeiten. Der „umgekehrte“ Fall, der den herkömmlichen Bereich der inneren Unabhängigkeit betrifft, mag dies verdeutlichen: Das Mäßigungsgebot des § 39 DRiG ist allen Richtern bekannt und bewußt. Spätestens seit dem Protest der 35 Lübecker Richter und Staatsanwälte gegen die Atomraketenstationierung und seinem höchstrichterlichen „Nachspiel“82 sowie der Berücksichtigung der Problematik in den Standardkommentaren83 ist allen Richtern klar, daß richterliche Meinungsäußerung auch außerhalb Amtes von Zurückhaltung gekennzeichnet sein muß84. Jeder weiß, daß eine exponierte öffentliche Äußerung wohl überlegt sein muß und man sich in diesem Bereich besonderer sachlicher Distanz zum Zweck der Aufrechterhaltung der Unabhän-

79 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg.), Sicherheit, S. 25 (30); zur Rationalität in der Gesetzgebung s. ders., Theorie und Praxis, S. 454 ff. 80 Siehe oben § 3 II. 7. 81 W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (66). 82 BVerwGE 78, S. 216 ff. 83 Kissel, GVG, § 1 Rn. 161; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 39. 84 Siehe Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 39, passim.

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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gigkeit auch nach außen hin gewiß sein muß. Denn der Pflichtenkreis des Richters umfaßt „Neutralität, Unparteilichkeit und Distanz“, mit denen „Voreingenommenheit, Vorurteile und auch Abhängigkeiten von nichtstaatlichen Institutionen und Kräften (u. a. von Verbänden, der Presse, den Parteien und Kirchen)“ unvereinbar sind85. Der Deutsche Richterbund hat für öffentliche Äußerungen von Richtern sogar Richtlinien beschlossen86. Das Problem liegt daher offen und ist bewußt. Eine vergleichbare Sensibilisierung für Gefahren, die innerhalb der Gerichte mit gleicher Wirkung für „Neutralität, Unparteilichkeit und Distanz“ bestehen, fehlt87. Unabhängigkeitsbeschränkende Mechanismen, wie sie etwa von der Arbeitsgruppe II am VG Hamburg zu den NSM prognostiziert worden sind, werden im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit typischerweise gar nicht thematisiert88. Selbst wenn man die im Abschlußbericht der Arbeitsgruppe89 dargestellten innergerichtlichen Folgen für zu weitgehend hält, so kann das zugrunde liegende Problem als solches nicht geleugnet werden. Es gibt auch innergerichtlich – sei es ausgehend von exekutiven Gerichtsverwaltungsstellen oder auch von „bloßen“ (Vorsitzenden) Richtern – Barrieren für neutrales, unparteiliches und distanziertes Entscheiden des einzelnen Richters; dies gilt selbst dann, wenn dieser als Einzelrichter tätig ist. Wie selbstverständlich und scheinbar ohne jedes Unrechtsbewußtsein dieses interne Beeinflussungspotential auch mit handfester Methode genutzt wird, zeigt der Fall des daraufhin suspendierten Präsidenten des VG Freiburg, der sich sogar vor dem Bundesverfassungsgericht damit zu verteidigen suchte, daß es Teil seiner richterlichen Unabhängigkeit sei, Entscheidungen anderer Einzelrichter abzuändern und diese unter Druck zu setzen90. Gleiches belegt der Fall einer Vorsitzenden Richterin am (selben) VG, die sich – letztlich vergeblich – gegen die „Erklärung des Justizministeriums Baden-Württemberg zur Stellung des Kammervorsitzenden bei Einzelrichterentscheidungen“ vom April 1995 als unabhängigkeitsverletzend gewandt hatte91, mit der gerade die unbeeinflußte Entscheidung des gesetzlichen (Einzel-)Richters sichergestellt werden sollte92. Diese – zuge85 BVerwGE 78, 216 (220); Zuck (ZRP-Rechtsgespräch), ZRP 2003, S. 420 (422), beschreibt diese Entscheidung und die nachfolgende des BVerfG als „schallende Ohrfeige“ gegen sich als Vertreter eines unterlegenen Richters, so eindeutig gegen die Zulässigkeit der Meinungsäußerung sei die Positionierung der Gerichte gewesen. 86 Vom Februar 1984, DRiZ 1984, S. 116 (wieder abgdr. in DRiZ 1999, S. 389). 87 Siehe nur das beschränkte Verständnis selbst der Fachwelt oben unter § 1 III. Nach Dury, DRiZ 2004, S. 239 (240), fehlt auch bei Richtern das nötige Bewußtsein aufgrund des „ständigen Gewöhnungseffekts“. 88 Daher bilden Beiträge zur Subjektivität des Richtens wie der von Lamprecht, DRiZ 2004, S. 89 ff., eine krasse Ausnahme. 89 Bertram u. a., Das Neue Steuerungsmodell. 90 Vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2151). 91 Siehe BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 144, 123 ff.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

geben extremen – Beispiele mögen nicht der Standard sein. Sie belegen aber die Existenz eines latenten Problems, bei dem man sich nicht mit der Erkenntnis zufrieden geben kann, daß es in diesen Fällen erkannt worden ist und ihm entgegengewirkt wurde. Denn es waren eben offensichtliche Fälle, die registriert wurden, von denen aus sich aber nicht auf die Fälle schließen läßt, die sich unterhalb solcher massiven Einflußnahme und aufgrund struktureller Rahmenbedingungen alltäglich abspielen. Daher bedarf es auch und gerade für solche Situationen, in denen Beeinflussungen stattfinden, die durch die amtliche Position des Beeinflussenden erst ermöglicht oder jedenfalls verstärkt werden, einer besonderen Aufmerksamkeit und Sensibilisierung. Diese wird aber verhindert, solange entsprechende Wirkungsmechanismen gar nicht als Problem der richterlichen Unabhängigkeit bewertet werden. Denn in diesem Fall werden sie entweder unkritisch als zulässige Orientierungspunkte indifferent hingenommen oder gar positiv bewußt zum Maßstab des eigenen Handelns gemacht. Der mit staatlicher Autorität versehenen Maßstabgebung durch Organe der Gerichtsverwaltung oder nicht-gesetzliche Richter kann dann am wirksamsten entgegengewirkt werden, wenn mit gleicher offizieller Autorität dienstgerichtlich die unabhängigkeitsbeeinträchtigende Wirkung solcher Strukturen zumindest anerkannt würde. Folglich muß der beschränkte Unabhängigkeitsbegriff der Rechtsprechung abgelöst werden durch eine umfassende Garantie gänzlich unbeeinflußten Handelns des einzelnen Richters. Nur auf diese Weise kann das Gefährdungspotential exekutiver Dienstaufsicht und Gerichtsverwaltung anerkannt und bewußt gemacht werden93. Einschränkungen dieser Form erweiterter Unabhängigkeit sind zwar rechtfertigungsfähig, aber eben auch rechtfertigungsbedürftig. Damit kann jedem Richter deutlich gemacht werden, daß Orientierung an Dienstvorgesetzten oder Vorsitzenden Richtern als solche kein zulässiger Maßstab für eigenes Entscheiden sein kann, sondern nur das Gesetz selbst. Dies schließt nicht aus, daß etwa die Interpretation des entscheidungserheblichen Gesetzes auch und gerade von den Argumenten des Vorsitzenden Richters geleitet werden kann. Keinesfalls darf aber die eigene Erkenntnis des Richters von der richtigen Anwendung des Gesetzes im Einzelfall durch bloßes Nachvollziehen der vorherigen 92 Ihr selbst waren vom VGH-Präsidenten als höherer Dienstaufsichtsbehörde (vgl. § 38 Abs. 2 VwGO) Eingriffe in abgeschlossene Einzelrichterentscheidungen vorgehalten worden; dies wurde vom Dienstgericht für Richter beim LG Karlsruhe wegen formeller Unzuständigkeit des VGH-Präsidenten rechtskräftig für unzulässig erklärt (Urteil vom 23.4.1998, – RDG 8/95 – unveröffentlicht); s. zur datenschutzrechtlichen Unzulässigkeit der Vorlage von Verfahrensakten an den Chefpräsidenten beispiellos deutlich die Beanstandung des sächsischen Datenschutzbeauftragten, abgdr. in BDVRRundschreiben 2004, S. 6 ff. Zu einer früheren Auseinandersetzung zum selben Problem siehe Hennemann, BJ 2000, S. 212 ff. Zum Verstoß einer Durchgriffsaufsicht des Chefpräsidenten gegen § 38 VwGO s. Rozek, DÖV 2002, S. 103 (109). 93 Für eine entsprechende Notwendigkeit Dury, DRiZ 2004, S. 239 (240).

III. Der subjektiv-rechtliche Gehalt

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Entscheidung des Vorsitzenden verdrängt werden94 (vgl. nur § 197 S. 4 GVG). Gleiches gilt natürlich und erst recht für im Vorfeld einer Entscheidung formulierte Erwartungen eines Justizministers. Dies wirft sogleich die Frage auf, wie es dem einzelnen gelingen kann, zwischen den Motivationen für seine Entscheidung zu differenzieren. Ist es die Überzeugungskraft des Arguments oder das Amt des faktisch mitbeurteilenden Vorsitzenden Richters, das den Ausschlag gibt. Dies wird dem Richter weder generell noch im Einzelfall möglich sein, und trotzdem kann nur ersteres der Amtspflicht des Richters zur unabhängigen Entscheidung entsprechen. Wie dargestellt, ist die richterliche eine „gefahrgeneigte“ Tätigkeit, deren hauptsächliche Gefährdung auf die strukturelle Einbindung in exekutiv-hierarchische Strukturen zurückzuführen ist. Diesen Umstand als solchen blendet das herkömmliche Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit sowohl auf der Basis der Rechtsprechung der Richterdienstgerichte als auch des Bundesverfassungsgerichts aus. Denn beide fußen auf dem engen Weisungsbegriff als Grundlage des Unabhängigkeitsverständnisses, der subtile Beeinflussungsmechanismen mit durchaus weisungsgleicher Wirkung nicht zur Kenntnis nimmt. Dies kann zu einer Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des einzelnen Richters und der diesbezüglichen Rechtsprechung führen: Wer die Beeinflussung durch Dienstvorgesetzte oder auch Vorsitzende Richter als solche empfindet und sich dagegen wehrt, erfährt, daß er zwar unabhängig sei, aber eben nicht von solchen Faktoren, die sich aus der hierarchischen Struktur und der Zusammensetzung eines kollegialen Spruchkörpers mit beförderten, die Beurteilung beeinflussenden Richtern und nichtbeförderten, zu beurteilenden Richtern ergeben. Der Richter erfährt Unabhängigkeit in einem Bereich, der ihn im Zweifel gar nicht interessiert, wie etwa den beliebigen Zugang zum Gerichtsgebäude; im zentralen alltäglichen Erlebnis aber wirkt die Unabhängigkeit gar nicht. Art. 97 GG ist also gerade dort, „wo es darauf ankommt“, wirkungslos. Freilich ist diese pointierte Gegenüberstellung plakativ. Es darf nicht unterschätzt werden, daß die Rechtsprechung der Dienstgerichte prophylaktisch gegen eine ausgreifende Dienstaufsicht wirkt, die sich gerade deshalb kaum (mehr) offiziell in weisungsverdächtige Positionen begibt. Dennoch bleibt als notwendige Erkenntnis, daß in einem höchst sensiblen Bereich nach höchstrichterlicher Feststellung die Abwehrfunktion der richterlichen Unabhängigkeit gerade nicht wirkt.

94 Beispielhaft schildert einen solchen Fall Sangmeister, DÖD 1992, S. 264 (265 f.), in dem ein Richter erklärte, er bleibe bei seiner (gegenüber dem Vorsitzenden gegenteiligen) Auffassung, wolle aber dem Vorsitzenden nicht widersprechen; zur „Moral des Anklammerns“ an den Vorgesetzten als typische Taktik des Beamten zwecks Karriereförderung s. Quambusch, JA 1991, S. 183 (188).

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

IV. Parallele und deshalb taugliches Vorbild: Die allgemeine Handlungsfreiheit Der textliche Befund des ersten Halbsatzes der Unabhängigkeitsgarantie in Art. 97 Abs. 1 GG suggeriert eine grenzenlose und unbedingte Freiheit des Richters95, der sogleich aber ebenso bedingungslos jeglichem „Gesetz“ unterworfen wird. Dieses Gesetz wiederum muß natürlich aus allgemeinen normhierarchischen Prinzipien heraus sowohl formell wie materiell verfassungsgemäß sein. Eine solche Situationsbeschreibung klingt in bezug auf die richterliche Unabhängigkeit äußerst ungewöhnlich, wirkt aber in ihrer Struktur gleichwohl vertraut, denn sie entspricht dem Verhältnis von Schutzbereich und Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Diese schützt im Gefolge der Elfes-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts96 „menschliches Verhalten in umfassendem, nicht durch qualitativ-wertende Merkmale eingegrenztem Sinne. (. . .) Betätigungen jedweder Art und Güte, (. . .) eine letztlich endlose Reihe sonstiger Betätigungen und Verhaltensweisen“97. Dieser hinsichtlich menschlicher Handlungen grenzenlose Grundrechtsschutz wird aber in Form der „verfassungsmäßigen Ordnung“ stante pede durch einen „allgemeinen Rechtsvorbehalt“98 eingeschränkt. Die strukturelle Parallele von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 97 Abs. 1 GG ist unverkennbar: Einer extensiven Freiheitsgewährleistung steht eine ebenso weite Beschränkungsoption gegenüber. Die analogen Charakteristika ließen sich fortsetzen, etwa mit dem Hinweis auf absolute Grenzen, den unbeschränkbaren Kern der Freiheitsbetätigung im Sinn der allgemeinen Handlungsfreiheit99 einerseits und das Rechtsprechungsmonopol der Richter in Art. 92 Hs. 1 GG andererseits, das auch durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben oder umgangen werden kann. Diese Erkenntnis bestätigt zunächst die zuvor aufgestellte These einer wegen Situationsgleichheit naheliegenden und praktikablen Anwendung grundrechtlicher Kategorien auf die nicht-grundrechtliche Garantie der richterlichen Unabhängigkeit. Weitaus wichtiger aber erscheint die damit eröffnete Perspektive, durch Anleihen aus der Dogmatik zu Art. 2 Abs. 1 GG trotz der scheinbaren Allmacht des Gesetzgebers handhabbare Grenzen der Beschränkbarkeit der richterlichen Unabhängigkeit festzulegen und damit deren „Leerlauf“100 im Sinne 95 Restriktionen legt allerdings schon die Entstehungsgeschichte nahe, vgl. oben die in FN 326 nachgewiesenen Zitate. 96 Beginnend mit BVerfGE 6, 32 ff. 97 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 2 I Rn. 27, so die weithin dominierende Auslegung; zu Alternativpositionen s. ebd., Rn. 29. 98 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 2 I Rn. 54. 99 Der als „letzter Bereich unantastbarer menschlicher Freiheit“ verfassungskräftig gesichert sei, vgl. BVerfGE 6, 32 (40 f.).

IV. Die allgemeine Handlungsfreiheit

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einer Unabhängigkeit nur nach Maßgabe der Gesetze zu verhindern. Dies erweist sich als deshalb besonders bedeutsam, weil speziell Art. 97 Abs. 1 GG, aber auch der insgesamt lückenhafte IX. Abschnitt des Grundgesetzes101, keinerlei materielle Kriterien für den Inhalt des den Richter unterwerfenden Gesetzes enthalten, aus denen sich Grenzen für die Einschränkbarkeit der Unabhängigkeit destillieren ließen. Erkennbar ist lediglich, daß das richterliche Rechtsprechungsmonopol nicht beseitigt und die Stellung des Richters nicht der eines Beamten gleichgestellt werden dürfen. Dabei kann freilich nicht übersehen werden, daß die „Schranken-Schranken“ der allgemeinen Handlungsfreiheit für sich kein besonders differenziertes oder gar ausgefeiltes dogmatisches Konstrukt darstellen, etwa vergleichbar der DreiStufen-Theorie zur Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Vielmehr gewinnt bezüglich Art. 2 Abs. 1 GG in praxi allein das Verhältnismäßigkeitsprinzip Bedeutung102. Für die richterliche Unabhängigkeit bedeutet dies folglich: Von der allgemeinen Handlungsfreiheit lernen, heißt Verhältnismäßigkeit lernen. Geltung wie Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch für die Staatsorganisation hat jüngst Heusch dargelegt. Die diesbezügliche Analyse stellt ungeachtet der verschiedenen sonstigen Herleitungen treffend den Zweck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes heraus, den Vorrang der Verfassung zu sichern, soweit eben im Grundgesetz Kompetenzzuweisungen an unterschiedliche Adressaten erfolgen103. Denn die daraus entstehende Notwendigkeit einer Abgrenzung muß die Interessen aller Kompetenzinhaber zum Ausgleich bringen, ohne den jeweiligen Kompetenzkreis vollständig zu beseitigen. Dabei dürfte an der unmittelbaren und ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Richter hinsichtlich der Rechtsprechung nicht ernsthaft zu zweifeln sein104. Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Staatsorganisationsrecht läßt das Bundesverfassungsgericht keinen klaren Kurs erkennen, scheint aber zuletzt im Altenpflegegesetz-Urteil105 eine diesbezüglich offene Position einzunehmen. Gerade aber zur richterlichen Unabhängigkeit hat es, wenn auch weit ab eines umfassenden Konzepts, auf die Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen rekurriert106 und das Verbot jeder vermeidbaren Einflußnahme aus Richtung 100 Diesbezügliche Befürchtungen hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 GG haben sich letztlich nicht bewahrheitet, vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 2 I Rn. 61 m. w. Nw. 101 Siehe schon oben § 1 III. 2. 102 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Vorb. Rn. 145, Art. 2 I Rn. 62, spricht ihm (schlechthin) „überragende Bedeutung“ zu. 103 Heusch, Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 233. 104 Wie wenig die Rechtsprechung als eigenständige Gewalt mit ausschließlicher Kompetenz im Bewußtsein ist, zeigt auch die Tatsache, daß Heusch sie in seiner Untersuchung nicht erwähnt. 105 BVerfGE 106, 62 ff. 106 Siehe BVerfGE 38, 139 (151), zitiert oben bei 10.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Exekutive107 – also letztliche das Erforderlichkeitskriterium der Verhältnismäßigkeit i. w. S. – herausgestellt. Somit ist im Ergebnis kein Grund erkennbar, Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit nicht an den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu messen. Somit hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip nun auch noch die richterliche Unabhängigkeit in ihren Bann gezogen. Wenn es zutrifft, daß im totalen Rechtsstaat das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine „aufhaltsame Epiphanie“108 darstellt, dann wäre dies kritisch zu betrachten. Und in der Tat scheint die in der Verhältnismäßigkeit liegende Beliebigkeit gerade für die Beziehung der Rechtsprechung zu den andern Staatsgewalten äußerst mißlich. Ihre Anwendung erscheint jedoch trotz berechtigter Bedenken geboten, weil der status quo von unangemessenen Absolutheiten beherrscht wird, die dringend aufgelöst werden müssen. Es „gehört zu den selbstverständlichen Eigenarten juristischen Denkens, für die unübersehbare Vielzahl sozialer Konflikte möglichst eindeutige rechtliche Regeln zur Verfügung zu stellen bzw. anzuwenden.“109 Es gibt jedoch Normen und Rechtsgebiete, „die sich gegen eine solche Formalisierung und Dogmatisierung stärker als andere sperren“. Wegen des hohen Abstraktionsgrades verfassungsrechtlicher Begriffe und insbesondere vor dem Hintergrund der geringen Regelungsdichte des Grundgesetzes hinsichtlich der Rechtsprechungsorganisation muß gerade hier eine „Berufung auf die Formalität (auch) des (Verfassungs-)Rechts“ und der Versuch einer Minimierung von „Abwägung“ scheitern, weil diese „unhintergehbar erscheint“110. Angesichts der enormen Informalität der Beziehung von Richtern zur Rechtsprechungsverwaltung dürften demgegenüber sogar die Kategorien des Verhältnismäßigkeitsprinzips ohnehin einen Formalitätsgewinn verursachen. Zudem können mit der Parallelisierung zur allgemeinen Handlungsfreiheit die mit der bewußten111 Absage an eine organisatorische und korporative Unabhängigkeit der Richter als „Judikative“ verbundenen Personalisierungsfolgen abgemildert werden, ohne das individualisierte System als solches aufgeben zu müssen. Berlits berechtigte Forderung nach einer „Rejustierung“ des Unabhängigkeitsverständnisses hin zu einer (verstärkten) Aktualisierung der Organisationsgebundenheit des Richters zulasten seiner individuellen Gestaltungsfreiheit112 ließe sich auf diese Weise dogmatisch untermauert erreichen. Jedenfalls wäre die bisher über Art. 97 Abs. 1 GG erreichbare und letztlich kaum zu

107

Die einzelnen Formulierungen sind zitiert unter § 2 V. 3. AK-GG2-Bäumlin/Ridder, Art. 20 I–III Rn. 64. 109 Schulze-Fielitz, FS Vogel, S. 311 (312). 110 Schulze-Fielitz, FS Vogel, S. 311 (313). 111 Vgl. AK-GG-Wassermann, Art 92 (2001) Rn. 13 ff. 112 U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (149 ff.). 108

IV. Die allgemeine Handlungsfreiheit

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rechtfertigende Vetoposition des einzelnen Richters gegen die Bedürfnisse der Gesamtorganisation „Gericht“ und den in der Entscheidung der Rechtsprechungsverwaltung und des (Haushalts-)Gesetzgebers verkörperten Willen des Volkes als Souverän aufgehoben. Denn wie auch gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG steht es dann dem Gesetzgeber113 in bezug auf Art. 97 Abs. 1 GG frei, der (individuellen) richterlichen Unabhängigkeit Grenzen mittels formell-gesetzlicher Positivierung zu ziehen, indem Rechtsgüter oder Ziele benannt werden, die bei und trotz Inanspruchnahme der Unabhängigkeit erreicht werden sollen. Beispielhaft sei hier noch einmal die Problematik der Arbeitszeitregelungen für Richter genannt: Wenn der Gesetzgeber die Anwesenheit jedes Richters im Gericht von morgens 8 Uhr bis nachmittags um 15.30 Uhr für notwendig erachtet, weil er damit die Erreichbarkeit für die Parteien und Anwälte sicherstellen will und dies in einem Parlamentsgesetz niederlegt, dann hat dies zunächst jeder Richter zu respektieren. Die bisher entgegenstehende Rechtsprechung der Dienstgerichte114 ist insoweit bedeutungslos, weil deren Reichweite eben nur das Verhältnis des Richters zur Dienstaufsicht/Rechtsprechungsverwaltung betrifft, nicht aber zum formellen Gesetzgeber115. Es wäre allein eine Frage der Schranken-Schranken, ob die gesetzliche Regelung in concreto die Grenzen der Beschränkbarkeit der richterlichen Unabhängigkeit einhält. Eine pauschale Zurückweisung der Anwesenheitspflicht als verfassungswidrig käme jedoch genauso wenig in Betracht wie die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung, die Erreichbarkeit im Gericht als Grenze der richterlichen Unabhängigkeit zur Arbeitszeit- und Arbeitsortswahl zu etablieren. Diese gesetzgeberische Grundkompetenz dürfte hier noch unbestrittener bestehen als hinsichtlich der allgemeinen Handlungsfreiheit, denn um es plakativ und zugespitzt zu formulieren: Der einzelne Grundrechtsträger mag sich im Einzelfall gegen die Gesetz gewordene Gemeinwohlkonkretisierung unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG durchsetzen dürfen und angesichts des Freiheitsversprechens in Art. 1 Abs. 3 GG sogar müssen. Wenn hingegen das Volk durch seine Vertreter (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) fordert, daß die Richter, denen es seine Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) zur Ausübung in Form von Rechtsprechung „anvertraut“ hat (Art. 92 Hs. 1 GG), täglich acht Stunden im Gerichtsgebäude sein sollen, dann hat dies jeder dieser Richter genau so hinzunehmen. Denn anders als einem Menschen kommt dem Richter in seiner Eigenschaft als Amtsträger, in der allein ihm Unabhängigkeit gewährt wird, keinerlei Rechtsposition zu, die ihm das Recht verleihen würde, sich gegen den Willen 113

Zu dessen alleiniger Kompetenz s. sogleich unten § 5. Prominent BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff. 115 Daß dieser Umstand weithin vernachlässigt wird, liegt nicht zuletzt an der Substitution des BVerfG durch das Dienstgericht des Bundes hinsichtlich der praktischen Anwendung des Art. 97 Abs. 1 GG, vgl. oben § 3 II. 4.; inzident zutreffend jedoch Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 60 f. (zitiert unten bei § 5 V.). 114

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

der Mehrheit durchzusetzen. Dies liegt nicht nur daran, daß der Richter ausdrücklich dem demokratisch konstituierten Mehrheitswillen in Gesetzesform „unterworfen“ ist, sondern vor allem daran, daß seiner Unabhängigkeit ein Vorrang fehlt, wie er den Grundrechten in Art. 1 Abs. 3 GG auch und gerade gegenüber der Mehrheit unabänderlich garantiert ist. Daher fehlt der richterlichen Unabhängigkeit letztlich jeglicher Selbstzweck, sie ist allein eine dienende Freiheit zugunsten anderer Rechtsgüter, allem voran natürlich des Justizgewährleistungsanspruchs. Dies wird zu berücksichtigen sein, wenn es im folgenden um die Grenzen der Einschränkbarkeit der richterlichen Unabhängigkeit geht.

V. Die „Schranken-Schranken“ der richterlichen Unabhängigkeit Die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG ist ein rechtsstaatliches Schwergewicht; mit dem bloßen Verweis auf diese besondere Bedeutung lassen sich aber gegen sie gerichtete Einschränkungen nicht pauschal und mit absoluter Wirkung abwehren. Gleichwohl bestehen neben solchen Gewährleistungsinhalten, die einem steuernden Zugriff des Gesetzgebers offenstehen, Grenzen, die auch durch den (einfachen) Gesetzgeber nicht überwunden werden können. 1. Nicht durch gesetzgeberische Abwägung überwindbare Barrieren (der richterlichen Unabhängigkeit) Wegen der strukturellen Besonderheiten der richterlichen Unabhängigkeit muß es Bereiche geben, die auch durch Abwägung mit gleichrangigen Rechtsgütern keiner gesetzgeberischen Einflußnahme zugänglich sein können. Hierfür spricht einerseits die gewaltenteilungsbezogene Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts, andererseits aber vor allem die Monopolisierung der Rechtsprechung bei den Richtern und Gerichten in Art. 92 GG sowie natürlich die Unabhängigkeitsgarantie in Art. 97 GG selbst. Daher gilt zunächst, daß jegliche Entscheidung, die faktisch die Kompetenz zu materieller Rechtsprechung einem anderen Organ als einem unabhängigen, allein mit Richtern besetzten Gericht zuweist, verfassungswidrig, weil nicht rechtfertigungsfähig ist. Exemplarisch zeigt dies die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur hessischen Wahlprüfung116: Die Regelungen des Hessischen Wahlprüfungsgesetzes hatten keinerlei Bezug zur Rechtsprechungsorganisation oder stellten etwa die Unabhängigkeit der Richter in den Gerichten in Frage. Allerdings war darin die gesetzgeberische Entscheidung enthalten, ein Gremium namens „Wahlprüfungsgericht“, das jedoch kein Gericht im Sinne des Art. 92 GG war, zum Erlaß 116

BVerfGE 103, 111 ff.

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

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solcher Hoheitsakte zu ermächtigen, die Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG darstellten. Ein solches „Anvertrauen“ von Rechtsprechung an andere Organe als Richter, steht auch dem (Landesverfassungs-)Gesetzgeber nicht zu117. Sodann als unüberwindliche Grenzen zu nennen sind Garantien, die sich zur Sicherstellung des Justizgewährleistungsanspruchs notwendig erweisen wie etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter, also alle Verfahrensgrundrechte. Zu ihrer Mißachtung und Umgehung darf auch der Gesetzgeber den Richter wegen Art. 1 Abs. 3 GG nicht ermächtigen, selbst wenn er dadurch ein anderes (grund)gesetzlich definiertes Ziel fördern würde: Auch der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 EMRK) kann in verfassungsgemäßer Weise nicht durch die gesetzgeberische Erlaubnis zum Verzicht auf die Gewährung rechtlichen Gehörs erzwungen werden, denn die ausdrückliche Normierung dieses grundrechtsgleichen Rechts trägt die verfassungsrechtliche Abwägung zu seinen Gunsten bereits in sich. Vor allem aber darf wegen des zentralen und unbestrittenen Kerngehalts der Unabhängigkeitsgarantie als „in erster Linie Weisungsfreiheit“ dem Richter keine inhaltliche Entscheidung im herkömmlichen „Kernbereich“ im Sinne der Rechtsprechung des Dienstgerichtes des Bundes118 aufgedrängt werden. Er darf nicht in eine Situation geraten, die hier ein Abweichen von durch Dritte festgestellten oder vorgegebenen Standards unmöglich macht. Dies schließt rechtliche Bindungen entsprechend § 55 BBG ebenso aus wie solche rein faktischer Natur: Man kann sich diesbezüglich an der lex specialis des Art. 97 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund des Müller-Arnold-Falles orientieren: Eine unabhängige Entscheidung eines Richters ist zunächst nicht rechtlich, aber faktisch ausgeschlossen, wenn er um die Sanktion der Verhaftung bei einem bestimmten Urteilstenor weiß. Dem widerspricht der vom Dienstgericht des Bundes ausnahmsweise erlaubte Zugriff der Dienstaufsicht in den Kernbereich119 nicht, denn auch und gerade sind deren Eingriffsmittel gem. § 26 Abs. 2 DRiG auf „Vorhalt und Ermahnung“ beschränkt. Diese Maßnahmen sind aber als solche nicht geeignet, weisungsgleiche Bindungen zu erzeugen. Dies gilt de iure auch angesichts der oben aufgezeigten Hierarchisierung der Rechtsprechung. Sie ist zwar ein Gefährdungspotential für die unabhängige Entscheidung eines Richters. Die Verknüpfung einer Äußerung mit ihrer im Sinne der Dienstaufsicht übergeordneten „Quelle“ ist in der Lage, das Einflußnahme-Potential quantitativ und damit die Äußerung qualitativ zu verändern. Dies aktualisiert sich aber nicht allein durch die bloße Äußerung einer Auffassung, insbesondere, wenn sie sich nicht auf 117 Wieder scheint eine Bezugnahme auf die religiös-priesterliche Herkunft des Richteramtes durchzuscheinen, vgl. Exodus 30, 10: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ 118 Siehe oben § 2 IV., zusammengefaßt bei Kissel, GVG, § 1 Rn. 54. 119 Siehe zuerst BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 46, 147 ff.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Einzelfallentscheidungen bezieht. Daher kann auch hier differenziert werden, so daß ein pauschales Verbot sich als nicht erforderlich erweist. Diese Feststellung klingt allzu klar, vernachlässigt aber doch eine entscheidende Prämisse, die keineswegs als gesichert vorausgesetzt werden kann, nämlich die eindeutige Kenntnis der konstitutiven Merkmale der „Weisung“, vor allem aber ihres bloß faktischen Pendants. Die Definition der beamtenrechtlichen Weisung und ihre Sanktionierung durch Disziplinarrecht läßt sich leicht jedem Kommentar zu § 55 BBG entnehmen; dies ist problemlos und wäre auch leicht zu erkennen, würde der Gesetzgeber Entsprechendes etwa im DRiG normieren. Äußerst problematisch wird es aber dann, wenn rechtliche Regelungen unterhalb dieser formalisierten Ebene bleiben, aber einzeln oder in ihrer Gesamtheit faktisch die Bindungswirkung einer Weisung erreichen. Auf einer diesbezüglichen Position beruht die Gegnerschaft jeglicher Dienstaufsicht aus Rechtsgründen: Wenn in einem hierarchischen Umfeld wie der Rechtsprechungsverwaltung ein Gerichtspräsident einem karrierebewußten Richter120 einen „Rat“ gibt oder gar eine Ermahnung erteilt, bedarf es letztlich keiner rechtlichen Verbindlichkeit, um sicher zu sein, daß der Ermahnte sich daran hält121. Die zentrale Fragestellung dreht sich also um eine Parallele zu dem, was der Europäische Gerichtshof auf der Basis des Art. 28 EG in der Dassonville-Rechtsprechung als Maßnahme gleicher Wirkung beschreibt. Die Problemlage ist in beiden Fällen identisch: Weil der freie Warenverkehr auch durch im Vergleich zu mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen „weniger sichtbare, gleichwohl aber sehr ,wirkungsvolle‘ Maßnahmen beschränkt werden kann“, wurde das Verbot der ersteren auf „Maßnahmen gleicher Wirkung“ erweitert122. Eine solche liegt dann vor, wenn sie „geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“123. Entsprechendes gilt auch für die richterliche Unabhängigkeit: Weil sie im Vergleich zu Weisungen auch durch weniger sichtbare, aber mindestens ebenso wirksame Maßnahmen eingeschränkt werden kann124, muß ihre Abwehrwirkung auch schon im Vorfeld einer Weisung einsetzen. Dies findet seinen Ausdruck 120 Dessen Existenz kaum bestritten, sondern mit dem BVerfG ausdrücklich bejaht werden dürfte. 121 Anders allerdings, wenn es sich um den Fall eines „als besonders renitent bekannten“ Amtsrichters handelt, „der gesagt hatte: er pfeife sowohl dem Gerichtspräsidenten als auch der Anwaltskammer was. Freilich war jener Amtsrichter in einer besseren Situation. Er hatte eine reiche Frau und spielte – wie gemunkelt wurde – Golf.“ (Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 13). Das Problem wurde aber auch schon ernsthaft erörtert, so von Adickes, Grundlinien, S. 127: „(. . .), aber es gibt ja genug junge Leute mit einigem eigenen oder erheirateten Vermögen, für welche der sichere Posten eines unabsetzbaren Richters als eine begehrenswerte Stellung erscheint.“ 122 Vgl. Epiney, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Art. 28 EG-Vertrag, Rn. 13. 123 EuGH, Slg. 1974, 837 Rn. 5 (Dassonville).

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

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darin, daß sich die Dienstaufsicht auch einer nur mittelbaren psychologischen Einflußnahme enthalten muß, wie der Richter zukünftig entscheiden soll125. Führt man dies konsequent fort, so gelangt man zwangsläufig zu der kritischen „Totschlagswirkung“ des Arguments „richterliche Unabhängigkeit“, das partiell der gegenwärtigen Dogmatik anhaftet, Art. 97 Abs. 1 GG verabsolutiert und damit andere Belange „chancenlos“ zurücktreten läßt. Absolute Verbotswirkungen sind durchaus der richterlichen Unabhängigkeit nicht fremd, wie ihr unbestrittener Charakter als striktes Weisungsverbot und der kategorischen Ausschluß der anderen Staatsgewalten von der Rechtsprechung in Art. 92 Hs. 1 GG zeigen. Darüberhinausgehend aber können solche Radikalpositionen nicht gehalten werden, wie auch ein erneuter Blick auf Art. 28 EG zeigt: Auch der Europäische Gerichtshof konnte nicht umhin, die weitreichenden Folgen seiner Interpretation der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ wegen der Notwendigkeit des Ausgleichs unterschiedlicher Interessenlagen über die Cassis de Dijon-126 und Keck127-Rechtsprechung abzumildern. 2. Die zulässige Formalisierung der Absolutheitsgrenze Im Ergebnis wird man daher die absoluten Verbotswirkungen des IX. Abschnitts des Grundgesetzes auf die Sachverhalte der rechtlich-formalen Weisung im beamtenrechtlichen Sinne und die Ausübung von Rechtsprechung mit der ihr eigenen Rechtswirkung128 zu begrenzen haben. Dies hilft zunächst, die absolute Wirkungsgrenze der richterlichen Unabhängigkeit zu formalisieren und damit leicht bestimmbar zu machen; die – auch für den Gesetzgeber – unüberwindbaren Grenzen liegen deutlich offen. Vor allem aber verschiebt dieser Ansatz den Ort der zentralen Auseinandersetzung über die Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit zutreffend in die „verfassungsrechtliche Rechtfertigung“ der Beschränkung. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil das Kritikwürdige der bisherigen Dogmatik gerade in dem Allesoder-Nichts-Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit liegt, das es aufzugeben gilt. Hier wirkt die für Grundrechte gebotene Prämisse, die jeweiligen Schutzbereiche stets weit auszulegen, um die Freiheitssicherung des einzelnen zu verstärken und mittels Abwägung im Einzelfall einen schonenden Ausgleich der unterschiedlichen Positionen ermöglichen129, in umgekehrter Richtung: Nicht 124 Hierauf weist bezüglich der NSM neuerdings auch R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 5, hin. 125 So jedenfalls bei dienstlichen Beurteilungen, BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 350 (361), st. Rspr. 126 EuGH, Slg. 1979, 649 ff. (Cassis de Dijon). 127 EuGH, Slg. 1993, I-6097 ff. (Keck). 128 Vgl. BVerfGE 103, 111 (137).

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ein weites Tatbestandsverständnis der uneinschränkbaren richterlichen Unabhängigkeit eröffnet die Option eines Ausgleichs verschiedener Verfassungsrechtsgüter, sondern ein engeres. Dies schließt dabei nicht aus, in den jeweiligen Einzelfällen zu tatsächlichen Verboten der Maßnahmen der Dienstaufsicht zu gelangen, wie es auch bei der Grundrechtsprüfung zum Standard gehört, die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines staatlichen Aktes gänzlich zu verneinen und ihn für nichtig zu erklären. Das Schutzpotential der richterlichen Unabhängigkeit ändert sich im Ergebnis somit nicht; es muß sich der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Willen des Gesetzgebers und dem „Rest der Verfassung“ stellen. 3. Das weite Feld der sonstigen Einschränkungsoptionen Ist somit die absolute Wirkung der Art. 92, 97 GG auf das Weisungsverbot und die Unverbrüchlichkeit des Rechtsprechungsmonopols der Richter beschränkt, eröffnet sich unterhalb dieser Schwellen ein letztlich doch weites Feld von Möglichkeiten zur Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Dies ist, wie dargelegt, auch Sinn und Zweck dieses dogmatischen Verständnisses. Würde man es bei dieser Umorientierung belassen, wäre rechtsstaatliche Kritik unausweichlich und auch berechtigt, denn dann bestünde das hier vertretene Konzept aus nichts anderem als einer „Einbahnstraße“ zur Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Von dem Grundanliegen des schonenden Ausgleichs verfassungsrechtlicher Positionen gegenüber und mit der richterlichen Unabhängigkeit bliebe nicht viel übrig. Deshalb muß die hier eröffnete Zugriffsoption auf die Unabhängigkeit kompensiert werden, was auf drei Wegen zu geschehen hat: Zum einen mittels eines nunmehr weiten „Schutzbereich“-Verständnisses der richterlichen Unabhängigkeit, natürlich ohne die zuvor begrenzten Absolutheitswirkungen (sogleich 4. und 5.) bei gleichzeitiger strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung (dann 6.) sowie durch ein striktes Verständnis der ausschließlichen Gesetzesunterworfenheit des Richters gem. Art. 97 Abs. 1 GG (sodann § 5). 4. Die „innere“ Unabhängigkeit als entscheidender Maßstab Die sogenannte „innere“ Unabhängigkeit130 tritt bei der Betrachtung der richterlichen Unabhängigkeit herkömmlich neben die Unterscheidung in persönli129

Vgl. unten bei FN 185. Kissel, GVG, § 1 Rn. 157; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 18; B. Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (283 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 37; AK-GG-Wassermann, Art. 97 (2001) Rn. 77 ff. GG; Fürst/ 130

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cher und sachlicher Hinsicht131 als dritte Kategorie132. Sie wird jedoch nicht als Recht oder Garantie für den Richter, sondern vielmehr als seine Pflicht bzw. Aufgabe133 zur geistigen, ethischen, willentlichen, zuchtvollen Anstrengung134 verstanden und damit primär zum Problem der Richterpersönlichkeit135 gemacht und in die individuellen Verantwortung abgeschoben136. Man wird zutreffend sagen können, daß die sachliche und insbesondere die persönliche Unabhängigkeit die Rahmenbedingungen dafür herstellen, „daß sich die innere Unabhängigkeit als eigentlicher Garant für die ausschließliche Bindung des Richters an Gesetz und Recht entfalten kann“137. Sie „bleibt zwar eine Frage der Persönlichkeit und des Charakters des einzelnen Richters. Ihre Gewinnung und Erhaltung wird jedoch durch deren institutionelle Sicherung gefördert.“138 Ist dies aber richtig, so kommt der inneren Unabhängigkeit ein überragender Stellenwert zu, der in seiner praktischen Bedeutung weit über die Garantien aus Art. 97 GG nach herkömmlichem Verständnis hinausgeht und den zentralen Ausgangspunkt der Betrachtung über die richterliche Unabhängigkeit bilden muß. Denn sachliche und persönliche Unabhängigkeit erscheinen dann (nur) als Hilfsmittel zur Erreichung eines höheren Ziels, das sich außerhalb aller rechtlichen Regelungen und Normierungsmöglichkeiten bewegt139. Dieses Ziel der inneren Unabhängigkeit, (jedenfalls auch) verstanden als Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ausschließlicher Bindung an das Gesetz140, ist konstitutiv für eine rechtsstaatliche Rechtsprechung. Das Wirkungsfeld der inneren Unabhängigkeit ist damit partiell kongruent mit dem der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit, da natürlich insbesondere im Rahmen der Entscheidungsfindung ein neutrales und vorurteilsfreies Handeln des Richters unumgänglich ist. Ihre eigentliche Bewährungsprobe beginnt aber letztlich erst dort, wo und wenn die sachliche und persönliche Unabhängigkeit enden, weil dann Mühl/Arndt, Richtergesetz, § 25 Rn. 9 ff.; Faller, FS Zeidler, S. 81 (83 ff.); ausführlich Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 ff. 131 So schon die Terminologie in Parlamentarischen Rat und im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, vgl. Doemming u. a., JöR 1 n. F. (1951), S. 1 (716). 132 Siehe etwa U. Berlit, KJ 32 (1999), S. 58 (60). 133 Kissel, GVG, § 1 Rn. 157; B. Kramer, ZZP 114 (2001), 267 (283 f.); Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 (71). 134 W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (66). 135 Rudolph, DRiZ 1962, S. 135 (141). 136 So mit kritischer Tendenz Lautmann, FS Wassermann, S. 109 ff. 137 Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 (71); i. E. so auch Bertram u. a., Das Neue Steuerungsmodell, C. II. 2. a) aa); Schneider, Performance-Controlling, S. 40. 138 BGHZ 130, 304 (308). 139 In diesem Sinne A. Arndt, Bild des Richters, S. 4, und ihm folgend Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 (71 f.); für die fehlende Reglementierbarkeit auch Lansnicker, Richteramt, S. 98. 140 Siehe etwa BVerfGE 21, 139 (146); 103, 111 (140).

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die beschriebene Pflicht zur inneren Unabhängigkeit für den Richtern zwar weiterhin bestehen bleibt, ihm aber der Schutz der Verfassung nicht mehr zur Seite steht. Der Richter muß trotz Beobachtung, Vorhalt und Ermahnung durch die Dienstaufsicht141, trotz Beurteilung und ihrer Bedeutung für die Lebenszeitanstellung und Beförderung Distanz wahren und darf eine Steuerung allein durch das Gesetz zulassen. Die innere Unabhängigkeit ist folglich das Kriterium, das erst die Entscheidung ermöglicht, die mittels der Garantien aus Art. 97 GG herbeigeführt werden soll. Dies wird etwa deutlich, wenn das Bundesverfassungsgericht die Unbedenklichkeit der Besetzung der baden-württembergischen Gemeindegerichte im Hinblick auf die sachliche Unabhängigkeit bescheinigt. Denn Bürgermeister oder Gemeinderatsmitglieder und damit Vertreter einer Partei mögen zwar bei der Amtsführung als Gemeinderichter „in gewissem Ausmaß auf das Urteil ihrer zukünftigen Wähler Bedacht nehmen“, sie würden dadurch aber „nicht etwa subjektiv so stark von ihrer Umgebung abhängig, daß ihre richterliche Objektivität als ernsthaft gefährdet angesehen werden könnte.“142 Die innere Entscheidung, sich von äußeren Einflüssen frei zu machen, ist daher die eigentliche Voraussetzung einer unabhängigen Entscheidung, nicht schon die Garantie sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit gegenüber Exekutive und Legislative. Dies bleibt wirkungslos, wenn der einzelne Richter nicht bereit ist, sich nur dem Gesetz, nicht aber den Erwartungen des Justizministers oder der Interessenverbände zu unterwerfen. Auf der Basis dieser Erkenntnis fußt auch die Richteranklage, in der die Einsicht zum Ausdruck kommt, daß durch Verabschiedung von Verfassungsgrundsätzen und der Garantie richterlicher Unabhängigkeit noch nicht sichergestellt ist, daß der dann amtierende Richter sich auch daran hält143. Die richterliche Unabhängigkeit ist daher tatsächlich (auch) eine Frage der Persönlichkeit. Bei der Bestimmung der Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit ist darum stets zu prüfen, ob die Rahmenbedingungen, wie sie rechtlich und auf dieser Grundlage dann praktisch herrschen, eine unabhängige Entscheidung des Richters typischerweise erwarten lassen oder ob sie sich so gestalten, daß sie strukturelle Beeinflussungen auf psychologischer Ebene hervorrufen, die von einer Entscheidung nur am Maßstab des Gesetzes ablenken (und als solche und in ihrem Ausmaß nicht durch andere Gründe gerechtfertigt sind). Hierbei trägt die weitgehende Reduzierung der sachlichen Unabhängigkeit auf bloße „Weisungsfreiheit“ zur bisher ungenügenden Berücksichtigung dieser Problematik 141 Welche bewußte Einflußnahme die Dienstaufsicht jenseits von Weisungen für tunlich erachtet, erhellt ein Blick auf das „Strategiepapier“ der Präs(O)VG NW, s. oben § 1 III. 142 BVerfGE 14, 56 (69); dies haben die Bürger wohl de facto anders gesehen, vgl. Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Humane Justiz, S. 91 (102). 143 Vgl. oben § 1 III.

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bei: Sie ist zwar Ausdruck des eben dargestellten Grundsatzes, daß hier gesetzliche Regelungen jenseits der Freistellung von hierarchischen Befehlsketten keine Steuerungskraft entfalten können, wenn der betroffene Richter es nicht will. Gleichwohl werden auf diese Weise subtilere Beeinflussungsmechanismen und Abhängigkeitsverhältnisse unterhalb der Weisungsebene von den Schutzwirkungen nicht erfaßt und können nicht abgewehrt werden. Die Versuche der Dienstgerichte, den Schutzwall mittels eines Verbots auch mittelbarer psychologischer Einflußnahmen darauf, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll144, zu erhöhen, bleibt dabei halbherzig, solange am beschränkten Charakter der richterlichen Unabhängigkeit als „in erster Linie Weisungsfreiheit“145 festgehalten wird. Zumal die Hervorhebung der Rechtsprechung in Art. 92, 97 GG „nur wegen der Weisungsunabhängigkeit im Einzelfall“ wäre kaum erforderlich gewesen146. Dabei darf nicht übersehen werden, daß das Bundesverfassungsgericht auch mittelbare Beeinflussungen durchaus als Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit anerkannt hat, der etwa dann vorliegt, wenn das Gehalt eines Richters vom Ermessen der Exekutive ohne Übertragung einer höheren Richterstelle abhängt147. Dieser Fall ist aber vereinzelt geblieben und knüpft zudem ausdrücklich an tradiertes preußisches Unabhängigkeitsverständnis148 im Hinblick auf eine feste Besoldung an. Es hat darüber hinaus in keinem zweiten Fall jenseits einer Weisungssituation eine prinzipielle Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit festgestellt, sondern höchstens den Einzelfall als eventuell problematisch angesehen149 und mit dieser zurückhaltenden Grundsatzposition die Lösung möglicher Konflikte in die Hand des einzelnen Richters gelegt und somit ihm allein die Verteidigung der richterlichen Unabhängigkeit überantwortet. Diese generelle Verschiebung zu Lasten des betroffenen Richters unterstreicht noch einmal die zentrale Problematik psychologischer Beeinflussungen des einzelnen und deckt zugleich die äußerst beschränkte Schutzgewähr durch das Bundesverfassungsgericht auf. Seine auffällige Ausblendung mittelbarer Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit wirkt um so deutlicher, wenn man etwa die sensible Gefahrenwahrnehmung im 8. Rundfunkurteil liest150. Die hier 144

Vgl. BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 90, 41 (44). Etwa BVerfGE 31, 137 (140 m. zahlr. Nw.); BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 (361). 146 So trefflich Hochschild, BJ 2000, S. 258 (260). 147 Siehe BVerfGE 12, 81 (97 f.). 148 Dokumentiert am Fall des Kreisrichters Riel (ausführlich dargestellt in BVerfGE 12, 81 [88 ff.]; zu diesem Fall s. a. W. Schütz, Einwirkungen, S. 145 ff.) und unter Ablehnung der Position des RG zu Art. 102 WRV (JR 1927, Bd. II [Rechtsprechung], Sp. 616; zuvor schon, aber unter Bezug auf § 7 GVG a. F., RG, JR 1926, Bd. II [Rechtsprechung], Sp. 244 f.); zur heutigen „preußischen“ Sichtweise vgl. unten FN 173. 149 „Klassisch“ zur Dienstaufsicht BVerfGE 38, 139 (151 f.). 150 BVerfGE 90, 60 (88 ff.). 145

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zur Beziehung von Staat/Gesetzgeber und Rundfunk gemachten Ausführungen sind es wert, einmal auf das Verhältnis von Exekutive/Gesetzgeber zur richterlichen Gewalt übertragen zu werden151: So unverzichtbar die Exekutive damit als Garant einer umfassend zu verstehenden richterlichen Unabhängigkeit ist, so sehr sind ihre Repräsentanten doch selber in Gefahr, die richterliche Unabhängigkeit ihren Interessen unterzuordnen. Gegen die Gängelung der Richter durch die Exekutive haben sich die Unabhängigkeitsgarantien ursprünglich gerichtet, und in der Abwehr exekutiver Kontrolle der Rechtsprechung findet sie auch heute ihr wichtigstes Anwendungsfeld. Art. 92, 97 Abs. 1 GG schließen es aus, daß die Exekutive unmittelbar oder mittelbar eine Einrichtung beherrscht, die Rechtsprechung betreibt. In dem Weisungsverbot erschöpft sich die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive aber nicht. Vielmehr soll jede politische Instrumentalisierung der Rechtsprechung ausgeschlossen werden. Dieser Schutz bezieht sich nicht nur auf die manifesten Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der Rechtsprechung. Er umfaßt vielmehr auch die subtileren Mittel indirekter Einwirkung, mit denen sich exekutive Organe Einfluß auf die Rechtsprechung verschaffen oder Druck auf die in der Rechtsprechung Tätigen ausüben können. Die Exekutive besitzt solche Mittel, weil sie es ist, der im Interesse effektiver Rechtsprechungsorganisation die Gerichte organisiert, mit materiellen und personellen Kapazitäten versieht, beaufsichtigt und mittels Zuteilung von Budgets finanziert. Die damit zwangsläufig eröffneten Einflußmöglichkeiten auf die rechtsprechende Tätigkeit sollen indessen so weit wie möglich ausgeschaltet werden. Mehr noch als für die einmaligen Ausgestaltungs- und Einrichtungsakte gilt das für die wiederkehrenden Maßnahmen der Ausstattung und Beaufsichtigung. (. . .) Daher sind Ermessenstatbestände oder Beurteilungsspielräume, die eine inhaltliche Bewertung der Rechtsprechung notwendig machen oder deren Ausfüllung mittelbar Auswirkungen auf den Rechtsprechungsinhalt hat, mit Art. 92, 97 GG unvereinbar. (. . .) Dem Schutzbedürfnis ist auch nicht schon durch die Einschaltung des Gesetzgebers genügt. Zwar wird der Gesetzgeber zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit vor außergesetzlichen Interessen Dritter in Pflicht genommen und muß jene positive Ordnung schaffen, die die Erreichung des Normziels von Art. 97 GG gewährleistet. Dessen ungeachtet bildet er aber selber eine Gefahrenquelle für die Unabhängigkeit der Richter, weil die Neigung zur Instrumentalisierung der Rechtsprechung nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei den im Parlament vertretenen Parteien bestehen kann. Als Teil der Staatsgewalt unterliegt auch das Parlament gerichtlicher Kontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG). Da diese wesentlich von der Unabhängigkeit der Richter abhängt, darf dem Parlament über die funktionssichernden gesetzlichen Prozeßordnungen hinaus ebenfalls kein Einfluß auf Inhalt und Form der Tätigkeit der Richter eingeräumt werden. Diese Grundsätze sind auch bei der Finanzierung der Justiz zu beachten. (. . .) 151 Hierzu wurde der Begriff Rundfunk durch richterliche Unabhängigkeit, Staat durch Exekutive ersetzt. Soweit nicht kursiv, entspricht es dem Original; Verweise des Originals auf frühere Rechtsprechung wurden weggelassen.

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Zwar schreiben Art. 92, 97 GG eine bestimmte Finanzierungsregelung für die Gerichte nicht vor. Doch ergibt sich aus dem Gesagten, daß eine Finanzierung erforderlich ist, die die Rechtsprechung in den Stand setzt, die ihr zukommende Funktion im Staat zu erfüllen, und die sie zugleich wirksam davor schützt, daß die Entscheidung über die Finanzausstattung zu politischen Einflußnahmen auf die Rechtsprechung benutzt wird.

Man wird auch dieser Version kaum widersprechen können152, nur findet sie sich eben nicht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; und mit diesen Ausführungen fehlt auch eine entsprechende Schutzgewähr gegen unterschwellige Einflußnahmen auf die Rechtsprechung. Nun darf natürlich nicht übersehen werden, daß es im Hinblick auf den Rundfunk um die Sicherung von Freiheit vom Staat insgesamt als alius gegenüber dem Rundfunkveranstalter geht, während die Tätigkeit von Richtern stets selbst unmittelbare Staatstätigkeit bleibt und damit mögliche Einwirkungen der Exekutive innerhalb der insgesamt vom Volk ausgehenden einheitlichen Staatsgewalt erfolgen. Gleichwohl verlangen Art. 92, 97 GG Exekutivfreiheit bei der richterlichen Entscheidungsfindung und zwar auch mittelbar und unter Ausschluß auch bloß subtiler Methoden. Dieses Postulat verkennt jede Unabhängigkeitsdefinition, die sich auf die Garantien des Art. 97 GG einschließlich ihrer abgeschwächten Form für Richter außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 97 Abs. 2 GG beschränkt, statt deren dienenden Charakter für die innere Unabhängigkeit in den Blick zu nehmen. An der Notwendigkeit zur Schwerpunktsetzung hin zur inneren Unabhängigkeit ändert sich nichts, wenn man berücksichtigt, daß die Rechtsprechungspraxis der Dienstgerichte nach wie vor auch rein „äußerliche Zwänge“ wie Dienststundenregelungen153 oder den Zugang zum Gerichtsgebäude154 zu behandeln hat. 152 Freilich anders und wohl allzu realitätsfern Schoch, Übungen, S. 347, der apodiktisch die Realisierung solcher Gefährdungen verneint: „Ein mit der Justizverwaltung betrautes Ministerium darf keine Rechtsprechungsaufgaben wahrnehmen und tut dies auch nicht. Dasselbe gilt hinsichtlich denkbarer Einflußnahmen auf die Rechtsprechung.“ Diese Auffassung ist in zweierlei Richtungen falsch: Gegen einen per se gegebenen Nicht-Beeinflussungswillen der Rechtsprechungsverwaltung spricht schon die Entscheidung des Gesetzgebers, der Art. 97 Abs. 2 GG und § 26 Abs. 1 DRiG formuliert hat: Was sollen Unversetzbarkeit und das Prüfungsverfahren, wenn ohnhin klar ist, daß die Exekutive keinen Einfluß auf die Rechtsprechung ausübt?! Auch die kategorische Gleichsetzung der (Un-)Gefährlichkeit ministerialer Aufsicht unabhängig vom Ressort widerspricht den vom Verfassungsgeber angenommenen Grundsätzen: Denn das Verbot der Ressortierung der Verwaltung der optionalen Wehrstrafgerichtsbarkeit beim Bundesverteidigungsministerium in Art. 96 Abs. 2 GG (vgl. oben § 1 III.) macht nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, daß je nach Zuordnung unterschiedliche Folgen für die jeweiligen Gerichte eintreten (können). Und die Empfänglichkeit seitens des Richters wird höchstrichterlich belegt, vgl. BGHZ 130, 304 (308: „Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß nicht planmäßige Richter sich bei ihren Entscheidungen von dem Gedanken an die Zustimmung der vorgesetzten Dienststelle beeinflussen lassen.“), und BVerfGE 12, 81 (97).

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Zum einen sind diese Fälle äußerst selten (geworden), zum anderen betreffen sie nicht gerade die Kernproblematiken richterlicher Unabhängigkeitsgefährdung155. Der Bereich möglicher und ernstzunehmender Beeinträchtigungen der richterlichen Unabhängigkeit wird definiert durch die Begriffe Dienstaufsicht, Beurteilung und Beförderung (und dazu gehörend die Besoldung), die allesamt keine äußeren Einwirkungen auf eine Einzelfall-Entscheidung, schon gar nicht in deren Vorfeld, darstellen, sondern nur die innere Entscheidungsfreiheit des Richters generell und pro futuro beeinflussen können. Die Entdeckung der inneren Unabhängigkeit als zu berücksichtigender Faktor bei der Frage nach der richterlichen Unabhängigkeit ist für sich kein innovativer Akt. So gehört zur ständigen Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes das Verbot einer auch nur mittelbaren, psychologischen und damit inneren Beeinflussung durch dienstliche Beurteilungen156. Seit jeher ist sie Thema literarischer Betrachtung157; ihre Bedeutung ist auch nicht etwa unterschätzt worden, wenn etwa Geiger zutreffend deutlich macht, daß die Verfassungsgarantie der richterlichen Unabhängigkeit „nichts mehr als eine rechtliche Sicherung einer anderweit bestehenden und zu begründenden Unabhängigkeit des Richters“158 darstellt. Allerdings erscheint es zu apodiktisch, wenn im Hinblick auf den Richter festgestellt wird: „Richterliche Unabhängigkeit hat er, oder er hat sie nicht“, und dies von dem Umstand abhängig gemacht wird, daß der Richter „sie sich abverlangt hat, weil er sie sich angeeignet hat, weil er sie vielleicht mühsam erlernt, entwickelt und gepflegt hat“159. Denn dies schiebt letztlich das Problem in die „individuelle Verantwortung“160 des einzelnen Richters ab und überlastet 153 BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 (40); dieser Fall läßt sich ohnehin nicht zu den klassischen Richterstreitigkeiten zählen, da er von einem Mitglied des Bundesrechnungshofs vor die Dienstgerichte gebracht worden ist, die wegen Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG auch für BRH-Mitglieder zuständig sind. 154 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 286 ff. 155 Gerade an der Freiheit von Dienststunden reibt sich die Kritik der Literatur, vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 33, 54 m. w. Nw. Die nichtevidente Bedeutung des 24-stündigen Zugangs zum Gerichtsgebäude für die richterliche Unabhängigkeit wird auch daran deutlich, daß das Dienstgericht bei dem LG Frankfurt als in erster Instanz noch eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit verneint hatte (NJW 2001, S. 977 f.), was freilich gegen die hergebrachte Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes zur freien Wahl des Arbeitsortes verstieß und daher im Instanzenzug der Aufhebung anheim fallen mußte (daher Erfolg des Antragstellers schon in der Berufungsinstanz: HessDGH, NJW 2001, S. 2640 ff.). 156 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 (361). 157 Siehe nur Zweigert, FS v. Hippel, S. 711 ff.; Pfeiffer, FS Zeidler, S. 67 ff.; W. Geiger, EhrenG Heusinger, S. 53 (54 f.); ders., DRiZ 1997, S. 65 ff.; Eichenberger, Unabhängigkeit, S. 50 ff. 158 W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (66) – Hervorh. im Original. 159 W. Geiger, jeweils DRiZ 1979, S. 65 (66); in diesem Sinne auch Kissel, GVG, § 1 Rn. 158.

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ihn zwangsläufig. Selbst wenn es richtig ist, daß die richterliche Unabhängigkeit „weniger eine Frage des Rechts als eine Leistung der Richter“161 darstellt, so spricht schon die unbestrittene Bedeutung auch einer verfassungsrechtlichen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit als Grundlage des Rechtsstaats dagegen, eben diese rechtlichen Grundlagen geringzuschätzen. Rein empirisch ist, wie bereits oben festgestellt, die rechtliche Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nicht gleichbedeutend mit ihrer praktischen Umsetzung, weil es des zu ihr bereiten Richters bedarf. Insofern muß zu der Garantie im Gesetz stets auch eine „Leistung“ des Richters hinzutreten. Allerdings gilt auch hier der Satz: Nemo ultra posse obligatur. Sind die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen derart, daß von einem durchschnittlichen Richter die von ihm zur Unabhängigkeit erforderliche Leistung nicht erbracht, jedenfalls aber nicht mehr erwartet werden kann, dann geht es eben nicht mehr um die „zuchtvolle Anstrengung“162 und damit die Leistung des einzelnen Richters, sondern um eine Frage des Rechts. Die innere Unabhängigkeit ist daher der letztlich zentrale Bezugspunkt bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung struktureller Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es geht nicht mehr darum, überhaupt erst einmal die freie und rechtlich allein- und letztverbindliche Entscheidung eines Richters zu erkämpfen; dies ist erreicht. Der einmal durch die Geschäftsverteilung für zuständig erklärte Richter kann faktisch entscheiden, wie er es für richtig hält. Mögliche Einflüsse „sowohl aus dem Bereich der Staatsgewalten als auch der Öffentlichkeit“163 können jedoch diese Freiheit beschränken oder genauer: deren Ausübung lenken und tun dies auch: Schon allein die Einbindung des Richters in die gerichtliche Organisation bringt zwangsläufig Beschränkungen dieser Freiheit mit sich, insbesondere auch die Mitgliedschaft in einem kollegialen Spruchkörper. Als solche sind sie zunächst grundsätzlich mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar, denn diese Einbindung ist verfassungsrechtlich vorgegeben, weil Art. 92 Hs. 2 GG die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch die Richter nur in den Gerichten des Bundes und der Länder zuläßt164. Hierbei soll nicht auf rein praktische Beschränkungen abgestellt werden wie etwa die begrenzte Verfügbarkeit von Sitzungssälen, die eine völlig freie Terminierung jedes Richters ausschließt. Es geht vielmehr um die Einbindung in kollegiale und behördenkulturelle Strukturen, in die sich jedes Organisationsmitglied zwangsläufig integrieren muß, und dabei ganz besonders etwa das Verhältnis eines (jungen) Beisitzers zum (erfahrenen) Vorsitzenden des Spruchkörpers.

160 161 162 163 164

Lautmann, FS Wassermann, S. 109 (114). W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (69). W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (66); ihm folgend Kissel, GVG, § 1 Rn. 157. Kissel, GVG, § 1 Rn. 157. Hierauf weist insbesondere hin Barbey, HStR III, § 74 Rn. 19 ff.

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Diese Einflüsse bilden ein enormes Lenkungspotential im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit eines Richters im Alltag trotz seiner rechtlichen Ungebundenheit an gerade diese Faktoren. Soweit sie, wie angedeutet, angesichts der Einbindung der Richter in eine Gerichtsorganisation unvermeidlich sind, bleibt angesichts der gleichwohl in Art. 97 Abs. 1 GG enthaltenen Verpflichtung des Richters, in alleiniger Bindung nur an das Gesetz zu entscheiden, nur Kissels klare Erkenntnis: „Der Richter hat diesen Einflüssen standzuhalten.“165 Hinter dieser Erkenntnis steht inzident eine Art „Lastenverteilung“ zwischen Richter und Gesetzgeber. Man wird daher als abstraktes Prinzip formulieren können: Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit verpflichtet den Gesetzgeber und die Exekutive, jeden Richter bis zu einem gewissen Grad von Beeinflussungen auf seine Entscheidung freizuhalten. Soweit diese Schutzpflicht nicht greift, wechselt die „Unabhängigkeitslast“ auf die Seite des Richters, und er muß sodann alleine für seine (innere) Unabhängigkeit sorgen und verbleibende Einflüsse selbst abwehren, ohne staatliche Hilfe (etwa durch Richterdienstgerichte) in Anspruch nehmen zu können. Wie diese Verteilung der Verantwortung für die Unabhängigkeit im Einzelfall aussehen kann, muß sich daran orientieren, welchen Grad an Belastung von einem Richter ertragen werden kann. Hierfür sind rechtliche Maßstäbe angesichts der nur fragmentarischen Regelungen des Richterstatus im Grundgesetz166 kaum greifbar. Dieser Umstand läßt sich ebenso wie die These eines Systems der Lastenverteilung zwischen Richtern und Gesetzgeber an der ersten Besoldungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts167 exemplarisch verdeutlichen: Nach dem baden-württembergischen Landesbesoldungsgesetz vom 27. Januar 1958168 oblag es einer Ermessensentscheidung der Finanz- und Justizminister, ob ein Richteramt der Eingangsstufe mit A 13 oder A 14 besoldet wurde. Dies wurde als unvereinbar mit Art. 33 Abs. 5 GG angesehen, da das Aufrücken eines Richters in der Besoldung gesetzlich normiert sein müsse. Zur Begründung referiert das Gericht in einem historischen Abriß einzelne Entwicklungsstufen der Richterbesoldung seit 1848 und kommt zu dem Schluß, daß – wenn auch in der Reichsverfassung von 1871 eine Garantie der richterlichen Unabhängigkeit fehlte – im Kaiserreich und (konkludent) im GVG die allein gesetzliche Richterbesoldung als zulässig angesehen worden sei. Dies war auch durch das Reichsgericht für Preußen bestätigt worden169.

165 166 167 168 169

Kissel, GVG, § 1 Rn. 157. So Barbey, HStR III, § 74 Rn. 3. BVerfGE 12, 81 ff. GBl. Ba.-Wü., S. 17. RGZ 11, 289 ff.; 15, 274 ff.

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Gleichwohl gab es in einzelnen Ländern hiervon abweichende Regelungen zugunsten eines Ermessens der Exekutive. Vor allem aber hatte später das Reichsgericht unter Geltung der WRV festgestellt, daß das Aufrücken in der Besoldung in Abhängigkeit exekutivischen Ermessens mit Art. 102 WRV, der identisch mit Art. 97 Abs. 1 GG war, vereinbar sei170. Daher hätte, ausgehend von dem verfassungsgerichtlichen Obersatz zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums als „Kernbestand von Strukturprinzipien (. . .), die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“171, wohl die Zulässigkeit der baden-württembergischen Regelung nahegelegen. Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch anders. Dabei ist weniger die Auslegung des Art. 33 Abs. 5 GG in diesem Fall bedeutsam als vielmehr die Begründung für die gegenüber dem Reichsgericht gegenteilige Auffassung zum identischen Gesetzeswortlaut: „Wenn das Reichsgericht (. . .) die Ansicht vertreten hat, (. . .) eine landesrechtliche (mecklenburg-schwerinische) Vorschrift, die das Aufrücken der Richter in eine höhere Gehaltsstufe von einer Ermessensentscheidung des Justizministers abhängig macht, verletze den Art. 102 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 nicht, so kann einer solchen Ansicht heute nicht mehr gefolgt werden. Der grundgesetzlichen Ordnung entspricht nur die ältere, aber unseren rechtsstaatlichen Vorstellungen allein genügende Auffassung des Preußischen Abgeordnetenhauses im Falle des Kreisrichters Riel.“172

Worauf sich „unsere“173 rechtsstaatlichen Vorstellungen – anders als zur Zeit der WRV – gründen, läßt das Gericht nicht erkennen. Sie sind eben so, wie sie sind174, und haben vor allem keine positivierte Rechtsgrundlage, denn diese war wortgleich mit der zur gegenteiligen Auffassung führenden175. Damit offenbart 170

RG, JR 1927, Bd. II (Rechtsprechung), Sp. 616. BVerfGE 8, 332 (343); 15, 167 (195 f.); 46, 97 (117); 58, 68 (76 f.). 172 BVerfGE 12, 81 (96 f.). 173 Allerdings scheint sich „unsere“ Tradition gerade in Preußen nicht verewigt zu haben, da der Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs meint, die leistungsabhängige Besoldung der Professoren gem. § 33 BBesG n. F. könne so auch auf die Richter übertragen werden, da die Wissenschaftsfreiheit nicht weniger schützenswert sein könne als die richterliche Unabhängigkeit, vgl. Sodan, NJW 2003, S. 1494 (1496); Grundlage sollten die dienstlichen Beurteilungen sein. Diese werden aber von der Exekutive erstellt, womit eine solche Besoldung das genaue Gegenteil von BVerfGE 12, 86 ff., wäre. Hingegen zulässig, weil unabhängig von der Exekutive, das Konzept von Weth, FS Lüke, S. 961 ff.; dem diesbezüglichen Ideengeber Lüke zustimmend Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (249). 174 Allerdings urteilte das RG, JR 1927, Bd. II (Rechtsprechung), Sp. 616, 44 Jahre zuvor letztlich ebenso begründungsarm und apodiktisch. Zudem nahm es dabei Bezug auf seine vorherige Entscheidung (JR 1926, Bd. II [Rechtsprechung], Sp. 244 f.), die jedoch statt des Art. 102 WRV eine Auslegung des § 7 GVG a. F. zum Gegenstand hatte und diesbezüglich allein mit dem Willen des historischen Gesetzgebers argumentierte, das Richterbesoldungswesen den Ländern zu überlassen. 171

254

§ 4 Die notwendige Neupositionierung

diese Entscheidung die Schwierigkeiten einer gesetzlich fundierten Grenzziehung zwischen richterlicher Unabhängigkeit und zulässiger Einflußnahme durch die anderen Gewalten, die eben weithin von (subjektiven) Rechtsstaatsvorstellungen, nicht aber von Gesetzesinterpretation geprägt wird176. Daneben dokumentiert das Bundesverfassungsgericht die zuvor dargelegte Lastenverteilungsthese, indem es nach Ablehnung der Ermessensbesoldung ausführt: „Solange der Richterstand – ebenso wie die Beamtenschaft – in der heutigen Form gegliedert ist, kann freilich nicht ausgeschlossen werden, daß die Justizverwaltung in den Fällen der Besetzung einer höheren Richterstelle, also bei Beförderungen Einflüssen Raum gibt, die eine Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit bedeuten können. Indessen ist es aber zweierlei, ob die Justizverwaltung aus dem sachbezogenen Anlaß, eine höhere Richterstelle zu besetzen, eine Auswahl unter den in Betracht kommenden Bewerbern treffen muß, oder ob sie – ohne Wechsel der Planstelle und ohne Beförderung – prüft, ob der Richter einer Gehaltserhöhung ,würdig‘ erscheint.“177

Die Bundesverfassungsrichter sehen also sowohl in der Ermessenseinstufung als auch in einer von der Exekutive vorzunehmenden Beförderung eine potentielle Gefährdung für die richterliche Unabhängigkeit. Während jedoch das eine vom Richter hinzunehmen ist, hat er im anderen Fall Anspruch darauf, daß der Gesetzgeber ihn vor diesem Einflußpotential der Exekutive in Schutz nimmt. Art. 97 Abs. 1 GG gilt jedoch für beide Fälle: Der Richter muß stets unabhängig entscheiden, aber im einen Fall wird es ihm zugemutet, exekutivem Einfluß alleine zu widerstehen, im anderen Fall braucht er diese Selbstdisziplin nicht aufzubringen, denn die Beeinflussung(smöglichkeit) wird gar nicht erst zugelassen. In der rechtlichen und tatsächlichen Zulassung eines Beeinflussungspotentials auf den Richter liegt also nicht stets die Bewertung als mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar, weil etwa die abstrakte oder konkrete Lenkungsmacht einer Maßnahme verneint würde. Es bedeutet lediglich, daß es de iure dem einzelnen Richter zugemutet wird, dem Einfluß standzuhalten. In dieser Situation behält Mende dann doch Recht: „Ob er subjektiv dazu nicht imstande ist, ist rechtlich unerheblich“178.

175 Dies ist um so erstaunlicher, als im Kaiserreich eine verfassungsrechtliche Garantie der richterlichen Unabhängigkeit gerade fehlte. Insofern bewirkte ihre Kodifikation in der WRV eher einen Rückschritt als einen Fortschritt. 176 Ähnlich auch BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1988, S. 417 (418), das eine Unabhängigkeitsverletzung ohne Begründung verneint mit dem lapidaren Satz: „All das hat aber mit der richterlichen Unabhängigkeit und der vom Richter verlangten Tätigkeit nichts zu tun.“ 177 BVerfGE 12, 81 (97 f.). 178 Siehe oben FN 18.

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

255

5. Die perspektivenerweiternde Funktion der inneren Unabhängigkeit Vor diesem Hintergrund wird die prozedurale Funktion der Hervorhebung der inneren Komponente als zentrale Kategorie der richterlichen Unabhängigkeit deutlich. Die Fokussierung hierauf macht es überhaupt erst möglich, Gefährdungen der Unabhängigkeit unterhalb der Weisungsschwelle als rechtlich relevant wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Solange unter der Überschrift „Innere Unabhängigkeit“ nur die Begriffe „Klassenjustiz“, „politische Richter“, „Verhältnis des Richters zum Sachverständigen“, „§ 39 DRiG“, Mitgliedschaft in einer (. . .) Partei“ und „Nebentätigkeit“ thematisiert werden179, kann die Sensibilisierung für die staatsinternen Einflüsse noch nicht als ausreichend angesehen werden. Diese Perspektivenbeschränkung verkennt die Notwendigkeit einer inneren Unabhängigkeit auch und gerade gegen staatliche Einflußnahme180. Deren Berücksichtigung „nur“ unter dem Topos „sachliche Unabhängigkeit“ muß auf halbem Weg stehen bleiben, weil deren tradiert engeres Verständnis auf der Basis bloßer Weisungsfreiheit nur Schutz im herkömmlichen Umfang vermittelt und dabei insbesondere etwa die Kumulation von Gefährdungen, die in Anbetracht quantitativer Zunahmen in eine qualitative Kategorie umzuschlagen vermag, nicht berücksichtigen kann. Ähnlich wie die rechtsdogmatische Neupositionierung des Art. 19 Abs. 4 GG als Unterfall des Justizgewährleistungsanspruchs statt dessen verwaltungsgerichtlichen Pendants181 durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts182 bedarf es eines neuen Verständnisses der sachlichen als Unterfall der inneren Unabhängigkeit statt eines Nebeneinanders der beiden. Gleiches gilt natürlich auch für die persönliche Unabhängigkeit, deren dienende Komponente im Hinblick auf die sachliche Garantie ohnehin schon anerkannt ist183. Auf diese Art und Weise wird es möglich, der inneren Unabhängigkeit über die bisher nur nach „innen“ zielende Tendenz auch eine gegen staatliche Einflußnahme gerichtete Stoßrichtung zu verleihen, die es ermöglicht, auch solche Beeinflussungen etwa der Exekutive als Unabhängigkeitsverletzung zu werten, die nach herkömmlicher Interpretation mit der sachlichen oder persönlichen Unabhängigkeit durch-

179 So die bei Kissel, GVG, § 1, behandelten Thematiken unter „9. Innere Unabhängigkeit“. 180 Erstmals – soweit ersichtlich – nun aber zutreffend im hiesigen Sinne anders in bezug auf die NSM R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 5. 181 Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 197. 182 BVerfGE 107, 395 ff. 183 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 45; Schiffer, Deutsche Justiz, S. 248.

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

aus vereinbar sind, weil sie die Sphäre der „Weisung“ oder der „mittelbaren psychologischen Beeinflussung“184 nicht erreichen. Daneben verhilft der Blick auf die innere Unabhängigkeit dazu, bestimmte Gefährdungen für unabhängiges Entscheiden überhaupt erst einmal auch rechtlich als Problem richterlicher Unabhängigkeit zu erkennen. Dies erscheint dringend erforderlich, um Pauschalbewertungen zu vermeiden und zu einem rationalisierenden Umgang mit bisher vernachlässigten Einflußfaktoren zu kommen. Ungeachtet des fehlenden Grundrechtscharakters der richterlichen Unabhängigkeit kommt Art. 97 GG (zumindest über den Umweg des Art. 33 Abs. 5 GG, aber vor allem durch die Klagemöglichkeit des § 26 Abs. 3 DRiG) eine vergleichbare Wirkung, aber auch eine ebenso große rechtsstaatliche Bedeutung zu. Angesichts dessen gilt hier derselbe Grundsatz wie auch für die Definition des Schutzbereichs von Grundrechten: Ein weites Tatbestandsverständnis stellt Gesetzgeber und Verwaltung vor Rechtfertigungslasten, die generell zur Rationalisierung und Transparenz verfassungsstaatlichen Handelns führen185. Gerade diese Rechtfertigungspflicht tut Not insbesondere gegenüber der Dienstaufsicht, deren Existenz „scheinbar so gut begründbar ist, daher selbstverständlich dünkt, und sich demgemäß als über alle Zweifel erhaben darstellt“186. Vor allem kann auf diese Weise das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Hinblick auf Art. 97 GG, das auch in § 26 Abs. 1 DRiG zum Ausdruck kommt, überwunden werden. Denn der strukturelle status quo zeichnet sich dadurch aus, daß mit der Zuordnung eines Bereichs zur richterlichen Unabhängigkeit sogleich die Unzulässigkeit einer diesbezüglichen exekutiven oder legislativen Maßnahme festgestellt ist (vgl. nur § 26 Abs. 1 Hs. 2 DRiG: „soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird“). Im Kernbereich richterlicher Tätigkeit gibt es – mit Ausnahme der nahezu nicht vorkommenden offensichtlichen Fehlerhaftigkeit – keine Dienstaufsicht. Die richterliche Unabhängigkeit erhält insofern beinahe Würde-Qualität, denn es ist ein Wesensmerkmal des Art. 1 Abs. 1 GG, daß die Berührung des Schutzbereichs zugleich eine Verletzung bedeutet187. Dieser Absolutheitsanspruch macht differenzierte Lösungen schwierig und verhindert eine ebensolche Positionierung der richterlichen Unabhängigkeit im Verfassungsgefüge188. Hinzu kommt eine psychologische Folge der zwangsläu184

BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2003, S. 359 (361). So für Art. 2 Abs. 2 GG Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG I, Art. 2 II Rn. 50. 186 Simon, DRiZ 1980, S. 90 (91). 187 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 365; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 I Rn. 132. 188 Daher deutlich zu weitgehend Kleinknecht, Liber amicorum Voss, S. 95 (100 f.), der meint, die Unabhängigkeit sei wesensimmanent unteilbar; eine eingeschränkte Unabhängigkeit sei „substanziell keine Unabhängigkeit“ mehr. 185

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

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figen Entweder-Oder-Entscheidungen, wie sie etwa auch durch die Beschränkung des Prüfungsrechts der Richterdienstgerichte gegenüber den Verwaltungsgerichten auf Verstöße gegen die richterliche Unabhängigkeit189 verursacht worden ist: Es kommt einerseits zu einer kaum mehr nachvollziehbaren Ausweitung der richterlichen Unabhängigkeit, die außerhalb der Richterschaft auf Unverständnis stößt und letztlich dieses rechtsstaatliche Institut auf Dauer zu diskreditieren droht190. Auf der anderen Seite werden bei der Richterschaft ähnliche Effekte erzeugt, weil mit der Zulässigkeit einer dienstaufsichtlichen Maßnahme pauschal die Feststellung verbunden ist, die Unabhängigkeit sei nicht verletzt. Tertium non datur: Denn die Situation, daß eine Maßnahme die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt, diese Einschränkung aber durch ein anderes Rechtsgut (mit Verfassungsrang) gerechtfertigt ist, kommt in der gegenwärtigen Systematik nicht vor. Der Richter, der sehr wohl psychologischen Druck infolge einer negativen dienstlichen Beurteilung empfindet, muß sich vom Urteil des Dienstgerichts zwangsläufig allein gelassen fühlen. Denn die Einschränkung seiner Entscheidungsfreiheit und damit Unabhängigkeit ist für ihn real, wird aber vom Dienstgericht als – rechtlich – nicht existent behandelt. Es entscheidet – aus Sicht des Betroffenen – über einen Sachverhalt, den es nicht gibt. Ganz anders wäre es für ihn, würde die von ihm wahrgenommene Beschränkung als solche vom Gericht akzeptiert, ihm sodann aber erläutert, warum er sie um eines anderen Rechtsguts willen hinnehmen muß. Statt – aus seiner Sicht – kränkend191 die Realität zu negieren, würde er vom Gericht als „vernünftiger Mensch“ behandelt, dem man eine Begründung für die Einschränkung seiner Rechtsposition gibt. Ein Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes192 mag dies näher verdeutlichen: Eine Richterin am LG verlangte die Entfernung des folgenden Satzes aus einer dienstlichen Beurteilung: „Frau Richterin Dr. S. ist sich des Werts ihrer Fähigkeiten und Leistungen bewusst und versteht es, darauf bei sich ergebenden Gelegenheiten hinzuweisen.“

Dies empfindet die Richterin dahingehend, daß sie veranlaßt werden solle, sich im Richterkollegium bei der Aussprache über die richtige Entscheidung einer Rechtssache Zurückhaltung aufzuerlegen; damit solle sie gehindert werden, ihre Überzeugung zur Geltung zu bringen193. Wenn der Eindruck der Richterin zutreffend ist, dann beeinträchtigt der Satz in der Tat ihre Unabhängigkeit. Denn er betrifft den Kern richterlicher Tätigkeit, die Entscheidungsfindung (im 189 190 191 192 193

Siehe oben § 3 II. 4. Als Indiz für eine solche bereits eingetretene Entwicklung vgl. oben § 1 II. 3. Zur Kränkung durch Dienstaufsicht schon Simon, DRiZ 1980, S. 90 (92). BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW-RR 2003, S. 492 ff. BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW-RR 2003, S. 492 (493).

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Kollegium), in dem Sinne, daß die Betroffene nicht mehr in dem bisherigen Maße auf die Entscheidung einwirken soll. Hält man den Satz gleichwohl für zulässig, so gibt es hierfür zwei mögliche Begründungen: Entweder man lehnt die Deutung der Richterin als unzutreffend ab, so daß das Problem als solches nach außen hin beseitigt ist – für sie selbst bleibt es aber weiterhin bestehen. Oder aber man konzediert die Einschränkung der inneren richterlichen Unabhängigkeit, erklärt sie aber aus anderen Gründen wie etwa der Notwendigkeit und der Funktion dienstlicher Beurteilungen für gerechtfertigt. Daß das Dienstgericht des Bundes den ersten Weg gewählt hat194, darf nicht erstaunen, denn den zweiten gibt es in seiner Rechtsprechung gar nicht. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein „Totschlagsargument“, das auf diese Weise nach beiden Seiten „ausfranst“: Indem es gegen Kleinigkeiten in Stellung gebracht wird (etwa den Zugang zum Gerichtsgebäude oder den Anspruch auf eine Protokollführerin), kommt es – erneut eine Parallele zur Menschenwürde – zu einer Trivialisierung und damit infolge der Inflationierung der Gefahr der Entwertung195 dieses rechtsstaatlichen Schwergewichts. Gleichzeitig wird sie aber in Fällen, die ein deutliches Beeinflussungspotential aufweisen und daher unmittelbar für die Unabhängigkeit relevant werden (können), allem voran Dienstaufsicht und Beförderung, als nicht beeinträchtigt eingestuft196. Es kommt zu einer gänzlich disproportionalen Schwerpunktsetzung: Einerseits wird mit rechtsstaatlichen Kanonen auf zwar exekutive, aber dennoch insoweit bedeutungslose Spatzen geschossen; andererseits schweigen die richterlichen Waffen, obwohl das Weiße im Auge des exekutiven „Feindes“ deutlich sichtbar ist197. 6. Die Parameter der Verhältnismäßigkeitsprüfung Die Verhältnismäßigkeitsprüfung behält auch in bezug auf die richterliche (innere) Unabhängigkeit ihre hergebrachte Struktur mit den Fragen nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit)198. Dabei brauchen hinsichtlich der ersten beiden Kriterien keine Besonderheiten berücksichtigt zu werden. Jedoch sind spezielle Anforderungen so194 Und praktiziert damit, was Ostermeyer, Zeitbombe, S. 113, als mit „aus der Welt lügen“ charakterisiert hat. 195 Siehe dazu erneut Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 I Rn. 47 m. w. Beispielen. 196 Daher treffend die Mahnung Lamprechts, Liber amicorum Voss, S. 103 (107), mit Augemaß das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. 197 Diese Reformnotwendigkeit an beiden „Enden“ des Unabhängigkeitsbereichs konstatiert auch U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (144), wenn er von einer doppelten „Frontstellung“ einer Rejustierung der richterlichen Unabhängigkeit spricht. 198 Statt aller Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 279 ff.

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

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wohl an die Angemessenheitsprüfung wie auch an den zulässigen Zweck der Unabhängigkeitsbeschränkung zu stellen. a) Zulässige Zwecke von Unabhängigkeitsbeschränkungen Wegen der konstitutiven Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für den Rechtsstaat und ihrer Teilhabe an der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG müssen der denkbar unbegrenzten Zahl möglicher Zwecksetzungen bei der Beschränkung Grenzen gesetzt werden. Dies gilt umso mehr, als Art. 97 Abs. 1 GG wegen des Vorrangs der Verfassung auch gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber und jenseits absoluter Verbote wirksam sein muß. Andernfalls wäre die richterliche Unabhängigkeit nur nach Maßgabe der Gesetze garantiert. Dies bedeutet zunächst für die hier zu diskutierende Frage der legitimen Zwecksetzung, daß gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit überhaupt nur solche Ziele ihre Einschränkung rechtfertigen können, die wie Art. 97 Abs. 1 GG auf Verfassungsebene eine Positivierung erfahren haben199. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen kommen daher ebenso wenig in Betracht wie Rechtsgüter, die ausschließlich auf einfachgesetzlicher Ebene normiert sind. Hingegen erweisen sich aber etwa Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit in Form dienstaufsichtlicher Befugnisse bei „unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte“ (§ 26 Abs. 2 DRiG) oder die zivilrechtliche Amtshaftung für „pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Amtsgeschäfte“ (§ 839 Abs. 2 S. 2 BGB) durchaus als zulässig, dienen sie doch der Sicherstellung des grundrechtlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist (Art. 19 Abs. 4 GG). b) Die Besonderheiten der Angemessenheitsprüfung Bei der Angemessenheitsprüfung bietet sich eine Anleihe aus der Konzeption der im Apotheken-Urteil200 entwickelten Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts an, ist diese doch „das Ergebnis strikter Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit bei den vom Gemeinwohl her gebotenen Eingriffen in die Berufsfreiheit“201; und genau diese konsequente Anwendung soll nach der hier vertretenen Prämisse auch bezüglich der richterlichen Unabhängigkeit erreicht werden. Deshalb geht mit zunehmender Eingriffsintensität eine Verringerung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und in dessen Folge auch der Rechtsprechungsverwaltung einher. Hier läßt sich sodann auf die Kernbereichslehre des 199 200 201

Ebenso Meyer, DRiZ 1981, S. 22 (24). BVerfGE 7, 377 ff. BVerfGE 13, 97 (104).

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§ 4 Die notwendige Neupositionierung

Dienstgerichts des Bundes zurückgreifen, was freilich nicht zu einer stufenweisen, sondern vielmehr graduellen Abschichtung führt: Je näher eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit an den Rechtsspruch selbst und alle ihm unmittelbar dienenden, vorbereitenden oder nachfolgenden Entscheidungen heranreicht, desto strenger werden die Anforderungen an den dies rechtfertigenden Zweck. Dies betrifft somit die Differenzierung in bezug auf das generelle Ob der Zulässigkeit einer unabhängigkeitsbeschränkenden Maßnahme. Parallel hierzu muß entsprechendes gelten hinsichtlich des Wie, also den Modus der Einschränkung. Hier sind die absoluten Grenzen, insbesondere also das Weisungsverbot, als Indikator zu berücksichtigen: Je näher eine Beschränkung in ihrer Wirkung faktisch einer Weisung gleichkommt, desto größer muß die verfassungsrechtliche Bedeutung des damit verfolgten Ziels sein. Letztlich ist es wohl genau die hinter dieser Systematik stehende Wertung, die das Dienstgericht des Bundes dazu veranlaßt hat, auch die offensichtlich fehlerhafte Entscheidung der Dienstaufsicht im Rahmen des § 26 Abs. 2 DRiG zugänglich zu machen: Weil eine Dienstaufsicht, die selbst evidente Verstöße gegen die Gesetzesbindung jedes Richters unbeanstandet lassen müßte, zur Farce würde, konnte man nicht umhin, wenigstens diesbezügliche Ausnahmen vom Kernbereichsverbot zuzulassen. Fundamentale Prinzipien des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 Hs. 2 GG) rechtfertigen als zu erreichender Zweck ein solches Vorgehen. Dies ist auch nicht wegen weisungsgleicher Wirkungen hinsichtlich der dienstaufsichtlichen Methode verfassungswidrig, weil auch hier die Begrenzung der Maßnahme auf Vorhalt und Ermahnung Geltung beansprucht; beides ist für sich betrachtet, erst recht aber in bezug auf das Ziel der Sicherung der richterlichen Gesetzesbindung, hinreichend weit von einer Weisung entfernt, um nicht als unverhältnismäßig angesehen werden zu müssen. Letzterer Aspekt bedarf jedoch einer konkretisierenden Relativierung, um nicht mißverstanden zu werden: Eine pauschale Zulässigkeitserklärung dienstaufsichtlicher Maßnahmen wegen deren genereller Beschränkung auf Vorhalt und Ermahnung kann nicht hingenommen werden; vielmehr können auch sie im Einzelfall verfassungswidrig sein202. Dies gilt insbesondere deshalb, weil selbst schon bloße Erwartungen der Dienstaufsicht maßstabsetzend sein können und ihr aufgrund der Hierarchisierung der Rechtsprechung auch die organisatorischen Strukturen zur Verfügung stehen, diese Erwartungen durchzusetzen. Gleichzeitig ist aber ein wesentlicher Umstand zulasten der richterlichen Unabhängigkeit und zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei ihrer Beschränkung zu berücksichtigen: Die richterliche Unabhängigkeit dient letztlich der Freiheitssicherung des Bürgers, der aus dem Justizgewährleistungsanspruch heraus Rechtsschutz in Form unabhängiger richterlicher Entscheidungen 202

Ebenso BVerfGE 38, 139 (151 f.).

V. Die „Schranken-Schranken‘‘ der richterlichen Unabhängigkeit

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verlangen kann. Dieser Anspruch richtet sich gegen die Staatsgewalt insgesamt, also auch gegen die Organe der Rechtsprechung. Die Richter bleiben auch bei noch so weitgehender Anwendung grundrechtlicher Dogmatik auf die Unabhängigkeitsgarantie Staatsorgane und damit Verpflichtete, nicht aber Berechtigte aus Art. 1 Abs. 3 GG. Daher trägt auch der gesetzliche Richter die verfassungsrechtlich begründete Verantwortung dafür, daß seine Entscheidung „unabhängig“ ergeht. Er kann sich im Falle einer Entscheidung, die er unter vorsätzlichem oder fahrlässigem Verzicht auf seine innere Unabhängigkeit, statt an ihr orientiert, entsprechend den tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungen der Rechtsprechungsverwaltung getroffen hat, grundsätzlich nicht mit der Begründung exkulpieren, er sei durch die Einflußnahmestrukturen der Exekutive hierzu „gezwungen“ gewesen. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, auch dem Richter einen Teil der Verantwortung für das Bestehen der inneren Unabhängigkeit in jedem Einzelfall aufzubürden, etwa indem er wie de lege lata verpflichtet wird, trotzt exekutiver Rechtsprechungsverwaltung stets unabhängig zu entscheiden. Tut er dies nicht, dann liegt darin ein vom Richter begangener Verfassungsbruch, weil er den grundrechtlichen Anspruch der Prozeßbeteiligten auf eine unabhängige Entscheidung verletzt hat. Diese Verantwortungszuteilung an den Richter, die umso größer wird, je weniger der Gesetzgeber bereit ist, schon strukturelle Unabhängigkeitsgefährdungen zu verhindern203, muß allerdings ihre Grenze haben: In Art. 97 Abs. 2 GG findet sich eine solche, indem von einem hauptamtlich und planmäßig angestellten Richter nicht verlangt werden darf, selbst bei drohender Entlassung noch seine innere Unabhängigkeit zu bewahren. Aber auch unterhalb dieser ausdrücklich normierten Verbote sind Faktoren denkbar, die eine unabhängige Entscheidung durch einen Richter nicht mehr erwarten lassen, auch wenn es nicht um Entfernung aus dem Amt geht. Solche zu identifizieren und für verfassungswidrig zu erklären, ist Aufgabe des wie hier verstandenen Verhältnismäßigkeitsprinzips am Maßstab der generellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Richters zum Erhalt seiner inneren Unabhängigkeit.

203

Zu dieser Kategorie im Vergleich zu Gefährdungen im Einzelfall s. oben § 3 II. 6.

„In keinem Gesetz steht, wann ich zum Dienst kommen muß, und mein Gewissen befiehlt mir für heute, daß halb elf Uhr früh genug ist. Und weil Sie so dumm daherreden, komme ich morgen überhaupt nicht.“ Herbert Rosendorfer Ballmanns Leiden

§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit I. Die ausschließliche Kompetenz des (formellen) Gesetzgebers Setzt man den eingeschlagenen Weg eines Verständnisses der richterlichen Unabhängigkeit unter Anwendung grundrechtsdogmatischer Kategorien fort, so beantwortet sich die Frage nach der Kompetenz zu deren Einschränkung relativ eindeutig. Denn Art. 97 Abs. 1 GG enthält auf lapidare Weise einen (einfachen) Gesetzesvorbehalt, der jedoch anders als etwa Art. 2 Abs. 2 GG eine Beschränkung nur durch das Gesetz selbst, nicht aber „auf Grund“ eines Gesetzes zuläßt. Dies kreiert zunächst einen besonderen „Rechtsformenvorbehalt“ für die Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit dergestalt, daß im Umkehrschluß jedenfalls – um im sprachlichen Bild des Grundgesetzes zu bleiben – die Unterwerfung des Richters unter exekutive Maßstäbe unterhalb des materiellen Gesetzes von Verfassungs wegen ausgeschlossen ist. Nur funktionelle Gesetzgebung taugt daher zur verfassungsgemäßen Einschränkung der Unabhängigkeit; und wegen der Notwendigkeit einer formellgesetzlichen Ermächtigung für die exekutive Rechtssetzung bedeutet dies zugleich einen Parlamentsvorbehalt zugunsten der richterlichen Unabhängigkeit. Insofern trifft Papiers eindeutige Feststellung, die entsprechend aus der Richterperspektive stets gerne in Bezug genommen wird1, durchaus zu: „Es ist ein schwer begreifliches und leicht, weil durch einen Blick in den knapp und klar formulierten Art. 97 I GG vermeidbares Missverständnis, richterliche Tätigkeit könnte durch etwa anderes ,gesteuert‘ werden als durch den Rechtssatz, den formellen ebenso wie den materiellen.“ 2

1 2

Siehe nur Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (414). Papier, NJW 2001, S. 1089 (1094).

I. Die Kompetenz des Gesetzgebers

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Weniger zu teilen ist allerdings seine dann folgende Einschätzung, daß es „bemerkenswert“ sei, hierauf „offenbar selbst nach 50-jähriger Geltung des Grundgesetzes wieder (. . .) hinweisen“ zu müssen. Denn dies ist alles andere als „bemerkenswert“, sondern vielmehr die logische Konsequenz aus der Tatsache, daß es der Parlamentarische Rat versäumt hat, der Exekutive die untergesetzliche Steuerungsmacht gegenüber richterlichem Handeln aus der Hand zu nehmen, als er den IX. Abschnitt des Grundgesetzes schuf. Aber auch der Gesetzgeber des GVG und DRiG hat dem in der Folge nicht entgegengewirkt. Daher ist Steuerung von Rechtsprechung auch durch etwas anderes als den formellen oder materiellen Rechtssatz selbst nach mehr als fünf Jahrzehnten seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nichts Ungewöhnliches, sondern vielmehr nach wie vor deutsche Tradition. Solange die Exekutive autonom über die Rahmenbedingungen der Ausübung von Rechtsprechung entscheidet, solange besitzt sie Steuerungsmacht gegenüber den Richtern als personalen Trägern der Rechtsprechung. Diese Erkenntnis ist spätestens unter Berücksichtigung der zuvor ausführlich dargestellten Einbindung des Richters in die hierarchische Struktur der Gerichtsverwaltung unumgänglich. Dies führt nicht zwangsläufig zu einer „Selbstverwaltung“ der Justiz, insbesondere nicht zu einer von der Richterschaft verantworteten Personalauswahl und -bestellung. Denn auch dann gäbe es Dritte, die über das berufliche Fortkommen entscheiden müßten und deren Gunst es sich zu sichern gälte3. Es geht vielmehr darum, das Ausmaß der Steuerungsmacht und den Grad der Autonomie, mit dem die Exekutive in diesem Bereich handeln kann, zu begrenzen. Diese Problematik taucht im übrigen auch dann auf, wenn man dem hier vertretenen Modell einer Subjektivierung der richterlichen Unabhängigkeit nicht folgt. Denn in jedem Fall ist die Frage der Organisation der Rechtsprechung sowie der Stellung der Richter eine staatsorganisatorische Frage, die in ihrer Bedeutung dem Topos des Verwaltungsorganisationsrechts mindestens gleichkommt, wegen des fundamentalen Charakters der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Rechtsprechung aber letztlich sogar noch weit darüber hinaus geht. Aber schon für die Verwaltungsorganisation kommt man spätestens im Gefolge der Wesentlichkeitstheorie nicht mehr um die Bestimmung der Reichweite eines institutionellen Gesetzesvorbehalts auch jenseits ausdrücklicher Erwähnungen im Grundgesetz (etwa Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG) herum4. Erst recht muß diese Frage also auch für die Organisation der Rechtsprechungsverwaltung beantwortet werden, bei der es nicht nur um reine gewalteninterne Angelegenheiten geht, sondern um die für den Rechtsstaat so entscheidende Beziehung von Exekutive und Judika3 Insofern folgerichtig auch die – wenn auch nicht konsequent durchgesetzte – vom Justizorganisationsmodell unabhängige Forderung des BVerfG, möglichst wenige Beförderungsämter zu schaffen, BVerfGE 55, 372 (389). 4 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 112 ff.; ausf. Burmeister, Herkunft, S. 29 ff.; Krebs, HStR III, § 69 Rn. 58 f.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

tive. Es handelt sich auch nicht nur um ein zweipoliges Verhältnis von Regierung und Parlament, sondern betrifft auch die Dritte Gewalt, die, wie in Art. 97 GG zum Ausdruck kommt, besonderer Unabhängigkeit und diesbezüglichen Schutzes (durch den Gesetzgeber und vor der Exekutive) bedarf. Auch wenn sich die verfassungspolitische Funktion des Gesetzesvorbehalts im Laufe der Entwicklung auch für die Gerichtsverwaltung in demokratischem Sinne umgekehrt haben mag5, bleibt seine rechtsstaatliche Ausrichtung gegen die Exekutive gerade für die Rechtsprechungsverwaltung in besonderem Maße aktuell. Im Ergebnis läßt sich also festhalten, daß auch in bezug auf die Organisation der Rechtsprechung und ihrer Verwaltung die allgemeinen Grundfragen des Gesetzesvorbehalts im Hinblick auf den Begriff des Parlamentsvorbehalts und das Ausmaß eines mit ihm verbundenen Delegationsverbots aktuell werden. Es sind auch hier voneinander abzuschichten ausschließliche und übertragbare Parlamentskompetenzen und originäre Exekutivkompetenzen6; letztere existieren allerdings, wie zu zeigen sein wird, für den Bereich der Rechtsprechung nahezu nicht. 1. Fast keine originären Kompetenzen der Exekutive im Bereich der Rechtsprechung und ihrer Verwaltung Tatsächlich zeigt der Rechtspflege-Abschnitt des Grundgesetzes nur geringe Kompetenzen der Exekutive auf: 1. Die zwingende Mitbestimmung des Ressortministers gem. Art. 95 Abs. 2 GG sowie in den Ländern gem. Art. 98 Abs. 4 GG7; 2. Die Zuständigkeit des Geschäftsbereichs des Bundesjustizministers hinsichtlich der optionalen Wehrstrafgerichte des Bundes, allerdings ohne Befugnisdefinition; 3. Versetzung gem. Art. 97 Abs. 2 S. 3 GG i. V. m. §§ 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 32 f. DRiG (Veränderung der Gerichtsorganisation, die jedoch ihrerseits einer formellgesetzlichen Grundlage bedarf8); 4. Potentielle Antragsbefugnisse für eine Richteranklage in den Ländern, soweit eine entsprechende Regelung auf Landesebene bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bestand (vgl. Art. 98 Abs. 5 S. 2 GG; beispielhaft: Art. 127 Abs. 4 S. 2 HessVerf.; ansonsten nur Parlamentsbefugnisse9); 5. Polizeibefugnisse gem. Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG. 5

So Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 38. Vgl. Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 9. 7 Zur Abweichungsoption in den Ländern von der zwingenden Ministermitwirkung s. oben § 3 V. 3. 8 BVerfGE 2, 307 (313 f., 320); s. a. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 55 m. w. Nw. 9 Vgl. oben § 3 I. 4. d). 6

I. Die Kompetenz des Gesetzgebers

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Dagegen wird eine Vielzahl von Entscheidungskompetenzen ausdrücklich dem parlamentarischen Gesetzgeber zugewiesen: Art. 93 Abs. 2, 94 Abs. 2, 95 Abs. 3, 96 Abs. 2, 98 Abs. 1 und 3, 99, 101 Abs. 2, 104 Abs. 1 und 2 GG. Hinzu tritt natürlich zentral Art. 97 Abs. 1 GG, der Kompetenzen zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit allein dem (formellen und mit seiner Ermächtigung [Art. 80 GG] auch dem bloß materiellen) Gesetzgeber zuweist; gleiches gilt für Art. 97 Abs. 2 GG mit Ausnahme der genannten Veränderung der Gerichtsorganisation (s. zuvor Nr. 3). Diese erste formale Analyse zeigt, daß eine eigenständige Exekutivkompetenz im Bereich der Rechtspflege im Grundgesetz nur rudimentär existiert. Läßt man die für die Richter irrelevanten Polizeibefugnisse (Nr. 5) und die hier mangels Anwendung vernachlässigenswerte Richteranklage (Nr. 4) und Wehrstrafgerichtsbarkeit (Nr. 2) sowie die kaum bedeutsame Änderung der Gerichtsbezirke (Nr. 3) außen vor, bleibt letztlich nur die konstitutive Mitwirkung des jeweiligen Ressortministers bei der Richterberufung als Kompetenzzuweisung an die Exekutive übrig. Das ist zwar bedeutsam10, aber zugleich doch erstaunlich wenig. Man kommt nicht um die Erkenntnis herum, daß die Regierung im IX. (Rechtssprechungs-)Abschnitt des Grundgesetzes allein mit der Vermittlung personell-demokratischer Legitimation an die Bundesrichter beauftragt und ähnliches auch den Ländern verordnet wird, wenn sie denn einen Richterwahlausschuß einrichten. Vor diesem Hintergrund wird die Positionierung der Richter unter der Kuratel der Regierung um so unverständlicher11. Denn Wesentliches bleibt ungesagt: Weder wird die Zuständigkeit für die Rechtsprechungsverwaltung geregelt, noch die Kompetenz für die Richterernennung, wenn in den Ländern ein Richterwahlausschuß nicht existiert. Wie die Realität diese Lücke schließt, ist oben ausführlich dargestellt worden: Beides steht allein der Exekutive zu. Doch in dem Maße selbstverständlich, wie es weithin angenommen wird12, ist dies letztlich nicht. Denn wie auch immer das „Hausgut“ der Exekutive zu definieren sein sollte, die Organisation und Verwaltung der Rechtspflege kann sie nicht umfassen. Dem stehen entscheidende Gründe entgegen: Die Rechtsprechungsverwaltung ist, wie zuvor ausführlich belegt worden ist13, alles andere als eine rein dienende Organisation. Sie implantiert der Rechtsprechung ihre hierarchische Struktur, die jederzeit dazu gebraucht werden kann und wird, steuernd Einfluß zu nehmen. Sie ist daher in der Lage, auch für die an sich unabhängige richterliche Entscheidung maßstabsetzend zu werden. Eine solche (originäre) Kompetenz zur Steuerung ist mit dem Grundge10 11 12 13

Vgl. nur die Leonhardtsche Prämisse, oben § 3 II. 5. Siehe oben § 2 V. Siehe nur Mahrenholz, NdsVBl. 2003, S. 225 (226); und oben § 1 III. Siehe oben § 2.

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setz unvereinbar, weil mit der ausdrücklich ausnahmslosen Unterwerfung des Richters allein unter das „Gesetz“ in Art. 97 Abs. 1, 92 GG jede exekutive Begrenzung der richterlichen Unabhängigkeit außerhalb der Gesetzesform für verfassungswidrig erklärt wird. Hierin liegt auch die zentrale Konsequenz aus der ansonsten weithin überschätzten Entstehungsgeschichte, nämlich die in der „Entbeamtung“ zum Ausdruck kommende grundsätzlichen „Entexekutivierung“ des Richters, die nur durch den Gesetzgeber (begrenzt) zurückgenommen werden kann. Das zentrale am „Beamtentum“ ist letztlich die bedingungslose Einbindung in eine hierarchisch-exekutive Organisation, verbunden mit der Pflicht zu Gehorsam und der Beachtung von Vorgesetztenweisungen (§ 55 BBG). Eine solche Bindung gab es für die richterlichen Beamten auch vor 1933 nicht, so daß die Differenzierung zwischen Beamten und Richtern mehr als nur eine Freistellung von bindenden Weisungen beinhalten muß: Auch die „Unterwerfung“ der Richter unter bloß exekutive Wünsche und Erwartungen sollte daher am 24. Mai 1949 ihr Ende finden. Daher unterliegen Beschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit einem strikten Parlamentsvorbehalt, weil eben die Setzung von originär aus der Exekutive stammenden Handlungsorientierungen verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht, am Beispiel der Veränderung der Gerichtsbezirke, bereits 1953 ausgeführt: „Die Maßnahmen, durch die Gerichte errichtet oder verändert werden, unterscheiden sich ihrem Wesen nach von allen anderen Maßnahmen der Behördenorganisation dadurch, daß sie die Wirkungsmöglichkeit der Rechtsprechung unmittelbar berühren und damit mittelbar in die vom Grundgesetz sorgfältig gehütete sachliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt eingreifen. Solche Eingriffe gehören nicht kraft allgemeiner, den funktionenteilenden Verfassungen immanenter Rechtsnormen zu dem Zuständigkeitskomplex, den man das ,Hausgut der Verwaltung‘ (Thoma in HdbDStR II, 228) nennen könnte; sie sind diesem Zuständigkeitsbereich auch nicht durch ausdrückliche Zuweisung zugeordnet. Sie gehören daher zum Bereich der Legislative“.14

Die Rechtsprechungsverwaltung berührt ob ihrer Struktur und Entscheidungsreichweite als solcher „die Wirkungsmöglichkeit der Rechtsprechung unmittelbar (. . .) und damit mittelbar (. . .) die vom Grundgesetz sorgfältig gehütete sachliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt“ und scheidet daher ebenso wie die Errichtung von Gerichten als „Hausgut“ der Exekutive aus15. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, inwieweit es dem formellen Gesetzgeber erlaubt ist, die Rechtsprechungsverwaltung dem Zuständigkeits14

BVerfGE 2, 307 (319). Vgl. auch Schoch, Übungen, S. 340 f., der selbst für die Organisation der Verwaltung unabhängig von der Rechtsprechungsverwaltung eine pauschale Kompetenzzuordnung zugunsten der Exekutive im Sinne eines Hausguts verneint. 15

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bereich der Exekutive zuzuweisen und sie zu Begrenzungen der richterlichen Unabhängigkeit zu ermächtigen. Vielmehr ist eine solche Delegationsbefugnis etwa im Rahmen des Art. 80 GG grundsätzlich zu bejahen: „Die oben dargelegte Bedeutung der Gerichtsorganisation für die Unabhängigkeit der Rechtspflege zwingt nicht zu dem Schluß, daß eine Übertragung der Befugnis zur Änderung der Grenzen von Gerichtsbezirken auf die Exekutive schlechthin ausgeschlossen sei und daß deshalb jede solche Ermächtigung gegen das Grundgesetz verstoße. Zwar sind die Errichtung von Gerichten und die Bestimmung ihrer Bezirke als Akte der Rechtsetzung anzusprechen und daher grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Hieraus folgt jedoch nicht, daß es der Legislative verwehrt wäre, ihre Befugnis zu solchen Maßnahmen innerhalb der vom Grundgesetz für die Übertragung rechtsetzender Gewalt bestimmten Grenzen der Exekutive zu übertragen. Ermächtigungen zur Änderung von Gerichtsgrenzen im Verordnungswege sind daher durch das Grundgesetz nicht schlechthin ausgeschlossen (. . .).“16

Eine solche Ermächtigung bliebe sogar noch im Strukturbereich des Art. 97 Abs. 1 GG, weil im Falle ihrer Inanspruchnahme nach wie vor das „Gesetz“, wenn auch „nur“ das materielle, Mittel der Unterwerfung wäre. Als insofern weitergehend erweist sich aber die Ermächtigung zur Dienstaufsicht etwa in § 38 VwGO i. V. m. § 26 Abs. 1 DRiG, deren Ausübung nicht mehr in Gesetzesform erfolgt: Beobachtung, Ermahnung, Vorhalt und dienstliche Beurteilung sind keine Form der Rechtsetzung. Doch kommt man nicht umhin, mit der Zuweisung einer Aufgabe und Befugnis zugleich deren Vollzug als erlaubt anzusehen, auch wenn er sich der Natur der Sache nach nicht anders als durch „NichtGesetzgebung“ erledigen läßt. 2. Die zulässige Zuweisung der Aufgabe „Rechtsprechungsverwaltung“ an die Exekutive Die Rechtsgrundlagen der deutschen Rechtsprechungsverwaltung sind oben ausführlich dargelegt worden17. Letztlich kann sich die Zuständigkeit der Exekutive zumindest auf Gewohnheitsrecht berufen. An dessen Existenz wie auch seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und entsprechender ausdrücklicher gesetzgeberischer Entscheidung besteht letztlich kein Zweifel. Denn hierfür sprechen drei entscheidende Gründe: Erstens entspricht es der staatsrechtlichen Tradition in Deutschland, von der abzurücken im Rahmen der Verfassungsgebung nicht einmal im Ansatz erwogen wurde. Dieses Argument wird verstärkt durch den systematischen Umstand, daß eine Abkehr hiervon angesichts des darin liegenden fundamentalen Bruchs mit der überkommenden Rechtsprechungsorganisation im Text des Grundgesetzes in irgendeiner Weise ausdrücklichen Niederschlag gefunden hätte. Das 16 17

BVerfGE 2, 307 (320). Siehe oben § 2 V. 2.

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Fehlen eines solchen ist daher starkes Indiz für die Beibehaltung der exekutiv beherrschten Verwaltung. Zweitens scheidet wegen der notwendigen personell-demokratischen Legitimation18 auch der Richterschaft eine vom Parlament abgekoppelte Personalauswahl aus. Eine Übertragung an die unabhängige und unabsetzbare Richterschaft würde wohl eine weithin als verfassungswidrig beurteilte Kooptation bedeuten19. Letztlich ist die Gerichtsverwaltung nicht (materielle) Rechtsprechung, so daß sie nicht dem Monopol des Art. 92 GG unterfällt und die diesbezügliche Kompetenz von Verfassungs wegen offen bleibt. Folglich steht es dem parlamentarischen Gesetzgeber zu und frei, die notwendige Entscheidung zu treffen. Dies hat er partiell zugunsten der Exekutive getan, im übrigen jedenfalls außer der Präsidialverfassung und den Befugnissen der Präsidialräte keinerlei Zuweisungsentscheidung zugunsten von Richter(gremien) getroffen. Vor dem Hintergrund der historischen Selbstverständlichkeit20 kann das gesetzgeberische Schweigen nicht anders denn als Bestätigung der hergebrachten Strukturen gewertet werden. Dem kann man nur entgegentreten, wenn man im Regelungsgehalt des Art. 92 GG weit mehr sieht als den einer bloß „dürren Garantie“ des Rechtsprechungsmonopols21. Dies steht in der offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten (Peter Häberle) jedem zu, ist aber ungeheuer voraussetzungsvoll und wird mit rechtlichen Argumenten nicht belegbar sein. Auch die Entstehungsgeschichte gibt dafür letztlich nichts her22, auch nicht der Verweis auf Zinns Bericht an den Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates23. Jedenfalls fehlen aber valide Belege, die in der Lage wären, den Inhalt des Art. 92 GG derart eindeutig zu bestimmen, daß diesbezügliche Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers zugunsten der Exekutive als verfassungswidrig deklariert werden könnten24. 18

Dazu nun umfassend Tschentscher, Demokratische Legitimation. Dieser herrschenden Meinung tritt freilich Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 257 ff., neuerdings mit überzeugender Argumentation entgegen. Insbesondere der Hinweis auf die mit der Kooptation verbundene Förderung der Gesetzesbindung (ebd., S. 262) läßt sich hören, setzt aber wohl mehr an Verwirklichung des Subsumtionsdogmas voraus, als tatsächlich existiert. 20 Für das Vorverständnis des Parlamentarischen Rates als Auslegungsmaßstab für Art. 92 GG auch Detterbeck, in: Sachs, GG, § 92 Rn. 2, unter Bezugnahme auf BVerfGE 64, 175 (179); 76, 100 (106), wo von „traditionellen (. . .) Qualifizierungen“ von Aufgabenwahrnehmungen als „Rechtsprechung“ gesprochen wird. 21 So offensichtlich Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (413); s. sogleich noch FN 24. 22 Siehe oben § 3 I. 4. und speziell zu Art. 92 Hs. 1 GG s. oben § 3 I. 4. a) und c). 23 Wie bei Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (413, Fn. 4), zumal es sich letztlich nicht um eine wirklich „amtliche“ Begründung handeln dürfte, die den Parlamentarischen Rat tatsächlich geleitet hat, vgl. oben § 3 I. 4. 24 Letztlich sollte auch nicht vergessen werden, daß das Rechtsprechungsmonopol alles andere als eine „dürre Garantie“ darstellt, sondern für jede Entscheidung im Gel19

II. Status quo: Das Steuerungsdefizit des Gesetzgebers

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II. Status quo: Das Steuerungsdefizit des Gesetzgebers im Bereich der Rechtsprechung Wie gezeigt, ist der Kontrollaspekt der Gewaltenteilung bezüglich der Rechtsprechung durch Art. 92, 97 GG weithin eingeschränkt bzw. aufgehoben: Inhaltliche Kontrolle findet nur durch und damit innerhalb der Rechtsprechung statt. Den übrigen Gewalten ist eine Kontrolle im engeren Sinn wegen Art. 92 GG versagt. Der einzelne Richter als Amtsträger untersteht jenseits der Inhalte seiner Rechtsprechungstätigkeit der Kontrolle einer eingeschränkten Dienstaufsicht, die von der Exekutive ausgeübt wird. Zudem ist er hinsichtlich der personellen und materiellen Rahmenbedingungen auf exekutive Zuteilung angewiesen. Diese Gerichtsverwaltung ist aber kein Kontrollinstrument gegenüber dem Richter, sondern unerläßliche Voraussetzung für die Ausübung der Rechtsprechung durch den Richter, wie es auch in Art. 92 GG zum Ausdruck kommt: Für die Rechtsprechungstätigkeit müssen Gerichte mit Personal und Sachmitteln geschaffen werden25. Wegen dieses conditio-sine-qua-non-Charakters der Gerichtsverwaltung beeinflußt sie, ohne Kontrolle zu sein, trotzdem notwendig die Rechtsprechungstätigkeit der Richter. Diese beiden Einflußfaktoren, Kontrolle durch Dienstaufsicht und Herrschaft über die Rahmenbedingungen richterlichen Handelns, unterliegen als Ausübung staatlicher (exekutiver) Gewalt auch dem Gewaltenteilungsprinzip und bedürfen der Kontrolle durch die anderen Gewalten. Dieser Kontrolle stehen jedoch besondere Hindernisse im Weg, die sie in ihrer Wirksamkeit von der ansonsten typischen Verwaltungskontrolle im Rahmen der Gewaltenteilung unterscheiden: zum einen die Zurückhaltung des parlamentarischen Gesetzgebers, die die Wirkmacht des Vorbehalts des Gesetzes, wie er in Art. 20 Abs. 3 GG im allgemeinen und in Art. 97, 98 GG für die Richter im besonderen zum Ausdruck kommt, in starkem Maße einschränkt (sogleich 1.); zum anderen die im Vergleich zur Konsequenz eines lückenlosen und effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG26 in ihrer faktischen Wirksamkeit beschränkte gerichtliche Kontrolle der Gerichtsverwaltung im wesentlichen über § 26 Abs. 3 DRiG (sogleich 2.).

tungsbereich des GG einem Richter das letzte Wort zuweist; es gibt keine Rechtsfrage, über die letztlich nicht doch noch ein Richter entscheiden dürfte; er steht insoweit auch über einem unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament, vgl. nur BVerfGE 103, S. 111 (139). 25 Vgl Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 92 Rn. 57. 26 Zur Problematik des Rechtsschutzes für apersonale Rechtsstellungen von verwaltungsinternen Einheiten s. Krebs, HStR III, § 69 Rn. 46 ff.

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1. Das unzulängliche Handeln des Gesetzgebers Das Deutsche Richtergesetz wie auch ihm folgend die Landesrichtergesetze zeichnen sich durch enorme Zurückhaltung aus hinsichtlich ihrer Regelungstiefe und dem seitens der Entwurfsverfasser selbst gesetzten Anspruch, sich nicht darauf zu beschränken, „das bereits geltende Recht zu kodifizieren und zu bestätigen“; denn vielmehr sei „der Auftrag das Grundgesetzes dahin zu verstehen, daß für die Richter eine Regelung von substantiellem, eigenem Gewicht getroffen werden soll“27. Dem folgt sogleich aber eine besondere Selbstbeschränkung: „Der Entwurf unternimmt allerdings noch keine strukturändernde Reform und keine umfassende Hebung des Richterstandes. Diese Aufgabe kann erst angegriffen werden, wenn eine Große Justizreform durchgeführt ist. Diese Reform wird noch eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen. So weit kann der Erlaß des Richtergesetzes nicht hinausgeschoben werden. Die Bundesregierung ist zu der Auffassung gelangt, daß zwar die Zeit noch nicht reif ist für eine grundlegende Reform der Stellung der Richter, daß jedoch der Erlaß eines Richtergesetzes nicht hinausgeschoben werden darf. Die Bundesregierung legt deshalb einen Entwurf vor, der von der Gerichtsverfassung, der Richterzahl und den organisatorischen Gegebenheiten des Jahres 1958 ausgeht. Neue Lösungen und echte Reformen führt der Entwurf vor allem an vier Stellen ein: – Rechtsstellung und Verwendung der Hilfsrichter (§§ 13, 25), – Mitwirkung in Personalangelegenheiten (§§ 54, 74), – Wahrung der richterlichen Unvoreingenommenheit (§§ 38 bis 40), – Nachprüfung der Dienstaufsicht und Einführung einer besonderen Dienstgerichtsbarkeit (§§ 22, 60, 77). Im übrigen bemüht sich der Entwurf, das überkommene Recht zu sichern und auszugestalten und den Weg frei zu machen für eine selbständige, freiheitliche Entfaltung der rechtsprechenden Gewalt.“28

Hält man sich vor Augen, daß die Rechtsstellung der Hilfsrichter einerseits nur einen kleinen Kreis von Richtern betrifft und nach wie vor die Unversetzbarkeit hierzu nicht gehört, „Wahrung der Unvoreingenommenheit“ ausschließlich Richterpflichten und Beschränkungen richterlicher Freiheit enthalten und die Mitwirkung in Personalangelegenheiten zwar neu ist, aber deutlich hinter derjenigen der Beamten zurückbleibt (§§ 52, 74 DRiG29), so kann von einer besonderen Regelung zugunsten des Richterstatus kaum gesprochen werden. Nicht 27

So der Regierungsentwurf aus 1958, BT-Drs. III/516, S. 30. BT-Drs. III/516, S. 31. 29 Entsprechendes gilt weithin für die Richtergesetze der Länder, Ausnahme aber etwa § 36 Schlw.-Holst RiG, durch den die Beamtenmitbestimmung für vollständig 28

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einmal die Einführung der Richterdienstgerichtsbarkeit ist für sich etwas „Besonderes“30, sondern allein das weite Prüfverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG erweist sich als eine, wenn auch in der Tat folgenreiche, Neuerung31 und Besonderheit zugunsten des Richters und seiner Rechtsstellung gegenüber den Beamten. Entsprechend „bescheiden“ fällt dann die Zusammenfassung im Bericht des BT-Rechtsausschusses aus: „Das Richtergesetz ist im allgemeinen kaum mehr als die Kodifizierung des für die Rechtsstellung der Berufsrichter geltenden Rechts. Die hauptsächlichen Grundsätze für die Rechtsstellung der Richter haben sich im Dienstrecht der Berufsrichter der ordentlichen Gerichtsbarkeit entwickelt. Darum ist auch der erste Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 a1s Grundlage des Richtergesetzes nicht zu verkennen. Neu sind im wesentlichen die Dienstgerichte, der Rechtsweg gegen Maßnahmen der Dienstaufsicht und die Richtervertretungen.“32

Die „Hebung des Richterstandes“ infolge einer Großen Justizreform ist noch immer ausgeblieben, wenn man einmal von der separaten Besoldungsordnung33 und der – von Richtern freilich bekämpften34 – Abschaffung der beamtengleichen Amtsbezeichnungen absieht. Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers, die sich auch in der erst 13 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgten Verabschiedung des Deutschen Richtergesetzes zeigte35, erscheint einerseits verwunderlich angesichts der ideellen Zwecksetzung der richterlichen Unabhängigkeit, den gesetzgeberischen Willen möglichst unverfälscht zur Geltung zu bringen36: Im Hinblick hierauf müßte jedes Parlament ein besonderes Interesse daran haben, die Exekutive hinsichtlich des Einflusses auf die Richter möglichst weitgehend „auszuschalten“. Jedoch geht die Realität an dieser idealtypischen Konstellation vorbei; dies gilt schon allein deshalb, weil im Parteienstaat der parlamentarischen Demokratie angesichts der politischen Interessenparallelität zwischen Parlamentsmehrheit und von ihr getragener Regierung ein Gegeneinander zwischen diesen beiden fehlt, bei dem das Parlament die Rechtsprechung für sich als Instrument gegen die Exekutive in Anschlag bringen müßte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß im „oligarchischen Richterstaat“37 auch anwendbar erklärt wird; s. ausf. Mackenroth/Wilke, DRiZ 2001, S. 148 ff.; krit. auch Marqua, DRiZ 1988, S. 386. 30 BT-Drs. III/2785, S. 5. 31 Vgl. Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (31): „wirkungsvollste Neuerung in bezug auf die Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit“. 32 BT-Drs. III/2785, S. 5. Insbesondere der Regelungsgehalt des § 26 Abs. 2 DRiG entspricht dem status quo der Weimarer Republik, vgl. Ebling, StuW 72 (1995), S. 294 (297). 33 Erstmals 1970 in Hessen, vgl. BVerfGE 32, 199 ff. 34 BVerfGE 38, 1 ff. – wenn man dies als „Hebung“ ansehen will. 35 Krit. Marqua, DRiZ 1988, S. 386. 36 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 21. 37 Rüthers, JZ 2002, S. 365 ff.

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das Parlament davon ausgeht, daß seine politischen Interessen um so mehr gewahrt sind, je mehr die Regierung Einfluß auf die Richter besitzt38; jedenfalls aber scheint es in den Parlamenten kein Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Sonderbehandlung der Gerichte und einer (besonderen) Bindung der Rechtsprechungsverwaltung zu geben39. Verfassungsrechtlich problematisch wird die gesetzgeberische Zurückhaltung allerdings dann, wenn sie zu einer grundgesetzwidrigen Kompetenzverschiebung führt. Eine diesbezügliche Gefahr besteht dann, wenn das formell-gesetzliche Normgerüst Spielräume für autonomes Handeln der Exekutive läßt, die es nach dem Grundgesetz nicht geben dürfte. Solche verfassungswidrigen Folgen hat Meyer deutlich herausgestellt: „Die Stellung des Richters ist bislang hingegen nicht in dem gebotenen Maße aus traditionell beamtenrechtlich geprägten Organisationsstrukturen gelöst worden. (. . .) Die normativen Konsequenzen des Art. 92 GG scheinen noch nicht vollzogen zu sein.“40

Auch Art. 98 GG habe sich insoweit als „keine hinreichende dienst- und organisationsrechtliche Komplementierung der funktionen- und organrechtlich neuartigen Stellung des Richters (Art. 20 II 2, Art. 92) im GG erwiesen. Er hat keine hinreichende Vorsorge dagegen getroffen, daß die Organe der Gesetzgebung, die der vollziehenden Gewalt und die der sog. richterlichen Selbstverwaltung auf ungesetzlichen Wegen die Inhalte der Richterentscheidungen (mit-)bestimmen und sanktionieren“41.

38 Die (angeblich) in den Verwaltungsgerichten geortete „Ansammlung von Besserwisserei“ und „machtausübender Überheblichkeit“ sollen zudem (jedenfalls auch) Ursache der Rechtsmittelbeschränkungen und Verfahrenseinschnitte im Verwaltungsprozeßrecht durch den Gesetzgeber gewesen sein, so die Vermutung von Schinkel, BDVRRundschreiben 1999, S. 79 (80). 39 Indiz hierfür ist auch der Umstand, daß der Schleswig-Holsteinische Richterbund auf wenig Verständnis traf, als er die Prüfung der „Effizienz richterlicher Tätigkeit“ durch den Landesrechnungshof mittels Lobbyarbeit bei den Parlamentariern verhindern wollte: Bis hin zu den Fraktionsspitzen des Landtags wurde das Vorhaben des Rechnungshofs „uneingeschränkt begrüßt“, vgl. Martins, Mitteilungsblatt des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes 1/2002, S. 1 (2); freilich wurde das Vorhaben anderweitig eingeschränkt, s. ebd. Steht der Gesetzgeber der Macht der Richter wirklich kritisch gegenüber, so könnte man noch weitergehend sein Verhalten als schizophren bezeichnen angesichts der qua Gesetz erfolgten Entfesselung der Richterschaft (s. sogleich III.). Jedoch löste sich dieser Widerspruch auf, wenn man darin eine bewußte Strategie sähe: Denn mit jeder Vergrößerung richterlicher Handlungsspielräume wird zugleich der Einflußbereich der Rechtsprechungsverwaltung erweitert. Je weiter der Gesetzgeber also die Gesetzesbindung des Richters lockert, desto mehr politischer Einfluß wird möglich. Für ein solches „Komplott“ fehlen aber doch jegliche Hinweise. Allerdings glaubt Schinkel, BDVR-Rundschreiben 1999, S. 79 (80), eine „gegen die Verwaltungsrechtsprechung gerichtete Gegenoffensive aus dem öffentlichen Raum“ erkennen zu können. 40 Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 92 Rn. 20. 41 Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG III, Art. 98 Rn. 14; dies erscheint dann als weiterer [s. schon § 3 I. a b)] „Konstruktionsfehler“ des GG; Wassermann, FS 10 Jahre

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Für die verfassungswidrigen Unterlassungen gibt es auch keine Rechtfertigung; sie werden vielmehr durch die hierarchische Struktur der Rechtsprechungsverwaltung noch unerträglicher. Zwar könnte die Implantation von Hierarchie in die Gerichte durchaus demokratische Legitimität für sich in Anspruch nehmen, wenn man die hierarchische Verwaltung als „Funktionserfordernis demokratischer Staatlichkeit“ ansieht42. Sie wird aber dann zum Paradoxon, wenn sie das Ziel, „den Willen des demokratischen Gesetzgebers möglichst unverfälscht zu realisieren“43, von vornherein nicht erreichen kann. Eine solche Situation herrscht in den Gerichten, und zwar aus formellen und materiellen Gründen: Denn zum einen hat der Verfassungsgeber in Art. 97 Abs. 1 GG entschieden, im Falle der Rechtsprechung die möglichst unverfälschte Gesetzesanwendung eben durch unabhängige Richter erreichen zu wollen, nicht aber durch hierarchische Bürokratie. Zum anderen fehlt es – wie zu zeigen sein wird – an einer entsprechenden Willensäußerung des Gesetzgebers, deren getreue Umsetzung die Hierarchie bewirken könnte. Die Rechtsprechungsverwaltung ist gesetzlich äußerst unterbestimmt und erhält dadurch enorme Handlungsfreiräume, die sie weithin autonom ausfüllen kann und die weit über das unvermeidliche Maß exekutiver Handlungsfreiräume bei dem stets notwendigen Vollzug eines Gesetzes44 hinausgehen. Beispielhaft sei auf die Formulierung von Anforderungsprofilen für Richterämter durch die Rechtsprechungsverwaltung verwiesen. Deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit scheint äußerst fragwürdig, weil einem auf Beförderung bedachten Richter nichts anderes übrig bleibt, als sich statt dem Gesetz den Bedingungen der Rechtsprechungsverwaltung zu „unterwerfen“. Denn nicht die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen, sondern exekutiver Erwartungen führt zu einer Beförderung oder Lebenszeitanstellung45.

Richterakademie, S. 19 (32): „Voll erfüllt ist der Verfassungsauftrag allerdings (. . .) nicht“. 42 So zutreffend Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 125. 43 So Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 126, als Zwecksetzung der hierarchischen Verwaltung. 44 Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 127 ff. 45 Siehe nur etwa den gescheiterten Versuch des Präsidenten des LSG NW, für das Amt des dortigen Vorsitzenden Richters die Tätigkeit in der Gerichtsverwaltung als Eignungsmerkmal festzulegen, vgl. NRV-Info NW Oktober 2002, S. 17; dagegen zutreffend das VG Gelsenkirchen (Beschl. v. 4.12.2001 – 12 K 1546/99 – insoweit dort abgedr.): „(. . .) die Begründung für die weniger gute Eignungsnote, nämlich der Vorwurf mangelnder Flexibilität, insbesondere, dass sich der Kläger nicht um einen Wechsel in einen anderen Senat bemüht hat, aber auch, dass er sich nicht um Verwaltungsaufgaben bemüht hat, verkennt den Begriff der Eignung zum Senatsvorsitzenden.“

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2. Die unterbestimmte Rechtsprechungsverwaltung Der vorstehende Befund führt zu der Erkenntnis, daß der Gesetzgeber sich seinem grundgesetzlichen Auftrag bisher in weitem Ausmaß entzogen hat. Die Rechtsprechungsverwaltung besitzt keinerlei gesetzgeberisches Korsett für ihr Handeln. Die formale Dienstaufsicht in ihrem erweiterten Verständnis46 des Maßnahmebegriffs in § 26 Abs. 3 DRiG durch das Dienstgericht des Bundes bildet hiervon die einzige Ausnahme, durch die manches erreicht wurde, die aber für eine gesetzgeberische Steuerung der Verwaltung unzulänglich ist. Denn sie leidet an zwei strukturellen Problemen: 1. Sie ist zwar in ihren Mitteln beschränkt, nicht aber hinsichtlich der Gegenstände des richterlichen Handelns, auf die sie sich beziehen darf. Das ist durchaus entscheidend, denn auch Vorhalt und Ermahnung haben psychologisch steuernde Wirkung. Dies hat zwar die „Erfindung“ des Kernbereichs durch das Dienstgerichts des Bundes nachgeholt47, wäre aber nicht nur funktionell-rechtlich im Sinne der Organadäquanz besser beim Gesetzgeber aufgehoben gewesen, dessen Steuerungsmacht ungleich größer ist. Denn die Dienstgerichtsbarkeit wirkt nur ex-post. Zwar darf man die präventive Wirkung ihrer Entscheidungen nicht unterschätzen, doch ist die gerichtliche expost-Kontrolle niemals so lückenlos, wie es die gesetzliche ex-ante-Bindung wäre. Die Vorhand der Dienstaufsicht bleibt. 2. Die gegenüber einer gesetzgeberischen Regelung bestehende Lückenhaftigkeit des Rechtsschutzes nach § 26 Abs. 3 DRiG wird durch die spezifische Situation seiner streitgegenständlichen Grundlagen hinsichtlich der „Waffengleichheit“ gegenüber dem „normalen“ Rechtsschutz etwa nach Art. 19 Abs. 4 GG noch vergrößert, wodurch die gesetzgeberische Zurückhaltung ungleich gravierender wird. Denn im Prüfverfahren treten zwei Parteien einander gegenüber, die in ihrer gegenseitigen Stellung gänzlich ungleich sind und die nach dem Verfahren sodann noch weiter in dieser Position der Über-/Unterordnung weiterarbeiten müssen. Dies erhöht die psychologischen Barrieren gegenüber einer Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch den Unterlegenen und macht ihn auf diese Weise zur deutlichen Ausnahme. Ist damit die Dienstaufsicht zumindest überhaupt geregelt und kontrollierbar, so hat der Gesetzgeber gegenüber den restlichen Rahmenbedingungen, die die Rechtsprechungsverwaltung für die Richter setzt, auf jegliche Steuerung und Kontrolle verzichtet, und, soweit überhaupt, es bei der Normierung der exekutiven Zuständigkeit belassen. Die Exekutive handelt daher in den Gerichten 46 Die demgegenüber beschränkte Sicht des historischen Gesetzgebers beleuchtet detailliert ebenso VG Karlsruhe, NJW-RR 2001, S. 353 ff. 47 Siehe oben § 3 II. 4.

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mit der gleichen organisatorischen Freiheit wie in jeder sonstigen Behörde48. Dies ist augenscheinlich auch deren Selbstverständnis, wie es etwa in dem diesbezüglich gepflegten Sprachgebrauch zu Ausdruck kommt, wenn etwa die (ministeriale) Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen hinsichtlich der Gerichte von „behördenintern“ und -extern49 sowie von Gerichtspräsidenten und -direktoren als Behördenleitern50 spricht51. Besonders plastisch wird die – jedenfalls subjektiv als solche augenscheinlich wahrgenommene – bindungslose Freiheit der Rechtsprechungsverwaltung gegenüber den Richtern in praxi am Beispiel der wohl in allen Bundesländern obligatorischen Praxis der Chefpräsidenten zur (turnusmäßigen) Geschäftsprüfung auch bei einzelnen Richtern durch Vorlage der Verfahrensakten. Wegen des darin liegenden Verstoßes gegen das Landesdatenschutzgesetz hat dies jüngst der sächsische Datenschutzbeauftragte mit deutlichen Worten beanstandet52 und dürfte damit – so steht zu vermuten – auf reichlich Unverständnis gestoßen sein. Man wird seitens der Dienstaufsichtsstellen bisher kaum entsprechende Bedenken gehabt haben. Daran kann man ablesen, daß die Frage nach den gesetzlichen Bindungen der Dienstaufsicht kaum gestellt wird. Die Vielzahl von Berührungspunkten zwischen Exekutive und Richtern im Alltag bleibt daher gesetzgeberisch ungesteuert. Dies bedeutet nicht nur eine Einschränkung der gegenseitigen Kontrolle im Sinne des Gewaltenteilungsprinzips, weil der Einfluß der Gerichtsverwaltung auf die Richter in weitem Maße unkontrolliert bleibt: Denn das gesetzgeberische Versagen kann nicht durch die Rechtsprechung selbst vollständig kompensiert werden. Gleichzeitig bedeutet dies auch eine partielle Suspendierung des institutionellen Gesetzesvorbehalts für die Rechtsprechungsverwaltung, bei der es nicht nur um gewalteninterne Organisationsfragen geht, sondern auch um gewaltenübergreifende Einflüsse auf die Rechtsprechung, deren Steuerungspotential oben umfassend dargestellt worden ist. Die darin liegenden Einflußoptionen können (fast) schrankenlos ausgeübt werden, weil der Gesetzgeber auf die Setzung der notwendigen Grenzen weithin verzichtet hat. Die Zurückhaltung des Verfassungsgebers setzt sich auf der einfachgesetzlichen Ebene fort. Die Handlungsfreiheit der Rechtsprechungsverwaltung kennt keine gesetzlichen Grenzen außer 48

Krit. auch etwa Hochschild, BJ 2000, S. 258 (261). Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 14 (Hervorh. nicht im Original); ebenso Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 ff., der für Gerichte weithin den Begriff „Behörde“ verwendet; krit. zum Behördenverständnis der Justizverwaltung auch Bilsdorfer, NJW 1999, S. 3096. 50 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 15; ebenso Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (11); Landau/Christ, NJW 2003, S. 1648 ff. Dies kommt auch außen so an, s. sogleich FN 61. 51 Krit. hierzu auch Piorreck, BJ 2001, S. 22 (23); ders., BJ 2003, S. 64 (64). 52 Die Beanstandung ist abgdr. in BDVR-Rundschreiben 2004, S. 6 ff. 49

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

§ 26 DRiG. Alles andere bleibt der Rechtsprechung der Dienstgerichte überlassen. Soweit diese nicht einschreiten (können oder wollen), handelt die Exekutive nach Gutdünken. 3. Auch kein Haltmachen der Exekutive vor der richterlichen Entscheidung(sfindung) Das damit verbundene Gefahrenpotential verlöre jedoch, wie die NSM auch, insoweit an Brisanz, wenn die damit potentiell zu erreichende Einflußnahme auf die Inhalte der Entscheidung(sfindung) durch deren gesetzliche Determinierung mittels materiellem und Verfahrensrecht begrenzt würde: Wo der Richter keine Wahl hat, kann ihn auch die Rechtsprechungsverwaltung nicht beeinflussen; die „Rechtsrichtigkeit“ als Grenze jeder Steuerung der Exekutive dürfte nicht ernsthaft bestritten werden, so daß die Gesetzesbindung des Richters nicht nur als Schranke seiner Handlungsfreiheit wirkt, sondern auch den Einfluß der Rechtsprechungsverwaltung begrenzt. Allerdings werden unter der Ägide der NSM für die Verwaltung „Rechtmäßigkeit“ und „Vorschriftentreue“ nur als Modi, nicht als Ziel des Handelns angesehen. Dies sei vielmehr die „Verwirklichung künftiger erwünschter gesellschaftlicher Zustände, die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse“53. Hieran wird deutlich, wie sehr sich die Idee der NSM von dem Selbstverständnis richterlichen Handelns unterscheidet54. Allerdings muß man nicht auf die Position von Kirchmanns55 rekurrieren, um festzustellen, daß diese Grenze ebenso abstrakt wie potentiell wertlos ist. Die einzig richtige Entscheidung eines Falles und auch der Richter als bloßer Mund des Gesetzes nach Montesquieu existieren nicht. Wegen der Widerlegung des Subsumtionsdogmas56 gibt es folglich keine richterliche Entscheidung, die nicht potentiell Objekt erfolgreicher exekutiver Beeinflussung sein könnte, denn letztlich ist in jedem Fall jede richterliche Entscheidung möglich57. Aber auch dieser Befund scheint auf den ersten Blick bezüglich der NSM nur begrenzt zu „beunruhigen“, weil das steuernde Zugriffsziel der Rechtspre53

Freudenberg, in: Damkowski/Precht (Hrsg.), Moderne Verwaltung, S. 88 (95). Daher stellt Freudenberg, in: Damkowski/Precht (Hrsg.), Moderne Verwaltung, S. 88 (95), das Verwaltungshandeln ausdrücklich in den Gegensatz zum Verwaltungrichter und zur Dominanz juristischer Kultur, der das Denken in Zahlen fremd sei. 55 Siehe oben § 1 III. 2. 56 Vgl. oben § 3 I. 3. b). 57 Wenn etwa U. Berlit, KJ 32 (1999), S. 58 (66), darauf hinweist, daß die Budgetierung nur im Rahmen der „zwingend zu beachtenden Verfahrensgrundsätze“ wie dem Amtsermittlungsgrundsatz der öffentlich-rechtlichen Gerichsbarkeiten und dem Offizialprinzip des Strafprozesses erfolgen darf, wird dies besonders deutlich: Diese Prinzipien sind derart abstrakt, daß eine wirksame Begrenzung von Budgetsteuerung durch sie nicht erreicht werden kann. 54

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chungsverwaltung nachweislich nicht konkrete Inhalte von Prozessen betrifft; es geht um den „Modus der Leistungserbringung“58. Aber auch und gerade dies ist Teil der Unabhängigkeit des Richters, der hier ebenfalls dem Gesetz in Form des Verfahrensrechts unterworfen bleibt. Der Einfluß auf das Verfahren der Entscheidungsfindung (billiger, schneller) ist daher im Hinblick auf Art. 97 Abs. 1 GG keineswegs weniger problematisch als etwa die exekutiv formulierte Erwartung, beamtenrechtliche Konkurrentenstreitverfahren sollten regelmäßig zu Lasten des Antragstellers entschieden werden. Folglich kann an dieser Stelle hinsichtlich der NSM keinerlei rechtsstaatliche Entwarnung gegeben werden. Gerade verfahrensrechtlich ist die „richtige“ Entscheidung noch weniger existent als materiellrechtlich und taugt hier als aktualisierbare Grenze exekutiver Steuerung umso weniger. Gleichwohl wird man aber konstatieren dürfen, daß es jedenfalls unterschiedliche Grade an Entscheidungsdeterminierung gibt: Ein unbestimmter Rechtsbegriff oder gar eine Ermessensnorm (s. etwa § 87b VwGO) eröffnet dem Richter mehr Freiheit als eine eindeutige Fristbestimmung (s. nur § 275 StPO). Entsprechend graduell unterschiedlich sind auch die Wirkungen exekutiver Einflußnahmen, so daß sich eine klar erkennbare umgekehrte Proportionalität ergibt: Je größer das Maß der gesetzlichen Entscheidungsdeterminierung für den Richter, desto geringer die Steuerungsoption der Rechtsprechungsverwaltung. Doch genau diese gesetzliche Vorherbestimmung der für die NSM gerade steuerungsrelevanten verfahrensrechtlichen Entscheidungen des Richters hat der Gesetzgeber in den zurückliegenden Jahrzehnten konsequent gelockert und zudem von rechtsprechungsinterner Kontrolle freigestellt. Damit potenziert der Gesetzgeber die negativen Konsequenzen seiner unzureichenden Tätigkeit im Bereich der Rechtsprechungsverwaltung, indem er dem damit erreichten Einflußpotential auf die richterliche Entscheidung gesteigerte Wirkungsmöglichkeiten bietet. Je mehr aber die Bindung des Richters insbesondere an das Verfahrensrecht gelöst wird, desto undeutlicher wird die Kategorie der Gesetzmäßigkeit und damit Rechtsrichtigkeit einer Entscheidung, weil sie dem Richter in eigener (autonomer) Entscheidung (rechtsmittelfrei oder -fest) überlassen bleibt; und mit ihr verschwimmt die zuvor genannte absolute Grenze der Steuerungswirkungen der Exekutive. Welches Ausmaß dies in den vergangenen Jahren erreicht hat, wird nunmehr aufzuzeigen sein, um die der exekutiven Steuerung offenstehenden Bereiche richterlichen Handelns dokumentieren. Dabei zeugt das Ergebnis von einer „Entfesselung der Dritten Gewalt“, allerdings in einem anderen Sinne, als sie von van Husen in seinem gleichnamigen Beitrag verstanden worden ist.

58

Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (81).

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt durch den Gesetzgeber Die zurückliegenden Reformen des Verfahrensrechts reagierten allesamt auf eine quantitative Belastung der Gerichte vor dem Hintergrund eines eindeutigen Befundes: Die Zahl unerledigter Verfahren bei den Gerichten ist zu hoch, die Dauer der Gerichtsverfahren zu lang. Die Frage der Kosten der Justiz war nur mittelbar ein Thema. Einsparungsprogramme ließen die Justiz weithin verschont, was auch nicht weiter verwunderte: Die Gerichte waren lange Zeit eine in bezug auf ihre Ausstattung vernachlässigte Staatsgewalt – und sind es weithin noch immer. Das „ungeliebte Kind“ Justiz59, zuweilen als „ungeliebte, ja unheimliche Dame“60 Justitia erwachsen geworden, wirke als der „am ärmlichsten ausgestattete Teil der öffentlichen Verwaltung“61, „mitleiderregend arm“62, außerhalb spricht man vom „Museum Gericht“63, „die billigste, veraltetste Ausstattung ist für Staatsanwaltschaften und Gerichte immer noch gut genug; die Zimmerchen der deutschen Richter und Staatsanwälte in den Gerichtsneubauten haben fatale Ähnlichkeiten mit einer Legebatterie“64. Das Ambiente ist demotivierend und destruktiv: Gerichtsgebäude mit abblätternden Fassaden, miefige Flure, schäbige Arbeitszimmer65. Ebenso wenig war die innere Organisation der Gerichte Gegenstand der Betrachtung von Reformvorhaben. Die Gründe hierfür waren sicherlich vielschichtig. Der abwehrende Einfluß der richterlichen Berufsverbände, aber vor allem die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit haben wohl stets verhindert, auch das „Innere“ der Gerichte zum Gegenstand von Veränderungen zu machen, die von „außerhalb“, also nicht durch die Richterschaft, die sich oft selbst genügt66, initiiert waren67. Gleichzeitig ist die Innovation seitens der Richterschaft be59 Siehe den Titel von Weth, NJW 1996, S. 2467 ff.; zuvor schon Boysen, DuR 19 (1991), S. 381 (381). 60 Lamprecht, Mythos, S. 104. 61 Koetz/Frühauf, Amtsgerichte, S. 42 (krit. zur unternehmensberaterischen Gleichsetzung von Gerichten und Verwaltung Schaefer, NJW 1994, S. 428 [428]); von „struktureller Armut“ und äußerer Ärmlichkeit“ spricht auch Hoffmann-Riem, AnwBl. 1999, S. 1 (7); auf die äußere „Erbärmlichkeit“ des größten Gerichts Europas (AG Berlin-Moabit) weist Bilda, JR 2001, S. 89 (91), hin. 62 Schaefer, NJW 1994, S. 428 (428). 63 So der Titel des Kommentars von Huff, DRiZ 1995, S. 282; krit. gegenüber den Veralterungsthesen hingegen aus aktueller Sicht Strauch, ThürVBl. 2003, S. 101 (103). 64 Prantl, DRiZ 1999, S. 145 (149); s. dazu auch BVerfGE 101, 1 ff. 65 Lamprecht, Mythos, S. 103; zur Gebäudesituation s. eindrücklich Günter, RiStA 6/2001, S. 20, der berichtet, daß er bei Beginn seines Referendariats bei der Staatsanwaltschaft Aachen am 9.3.1959 vom damaligen LOStA die Pläne des neuen Justizgebäudes gezeigt bekommen habe, das aber bisher noch immer nicht errichtet worden sei. 66 Schaefer, NJW 1994, S. 428 (429).

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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schränkt. Dies liegt wohl zum einen an deren Perspektive und Status: Ihre Unabhängigkeit sichert einen großen Freiraum bei der Gestaltung des Arbeitsalltags, der es ermöglicht, die sachliche Ausstattung in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen; man arbeitet eben zu Hause. Zum anderen darf im Bereich der Justiz der Stellenwert der „Tradition“ nicht vernachlässigt werden, der mit der zunehmenden Dauer einer Handlungspraxis zugleich die Überzeugung von deren Richtigkeit erhöht68. Letztlich wird man auch das Rollenverständnis des Richters nicht gänzlich vernachlässigen dürfen: Er ist neutraler Entscheider zwischen streitenden Parteien, die ihre Position einseitig vertreten. Er vermittelt, sucht den Vergleich, eine ausgewogene Lösung. Aber selbst bei eindeutiger Entscheidung für die eine Seite hat er zuvor andere zur Kenntnis genommen und berücksichtigt. Dem Richter als solchem fehlt daher wohl die „Übung“ im Vortragen und Beharren auf einer einseitigen Position, was sich nicht ändert, wenn es um seine Situation geht. Widerstand gegen die Rechtsprechungsverwaltung setzte aber eine eindeutige Parteinahme, nämlich für sich selbst, voraus: Eine dem Richter prinzipiell fremde Rolle. Ob die Richter also letztlich aus Bescheidenheit, preußischer Pflichterfüllung oder Unfähigkeit zu jeglicher Solidarität das Ungemach ertragen, ist kaum festzustellen; jedenfalls hielten sie seit langem still und bereiteten den Politikern keinen Ärger69. Gleichwohl mußte die Arbeitslast der Gerichte gesenkt werden, das war für jedermann einsichtig, denn nur so konnte auch der quantitative Output der Gerichte erhöht werden. Da man den Zugang zur staatlichen Rechtsprechung allgemein nicht steuern zu können glaubte70, blieben für die erstinstanzlichen Gerichte nur zwei Strategien71: Einerseits bestand die Möglichkeit, das Personal zu erhöhen, um der Eingangszahlen Herr werden zu können. Dies war die herge67 Bei Richtern dürfte besonders die von Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), S. 377 (387), beschriebene Tatsache zu beobachten sein, daß „tendenziell auf Sicherheit bedachte, risikoscheue Personen im öffentlichen Sektor tätig sind“. 68 Siehe Treuer u. a., Arbeitsplatz Gericht, S. 196. 69 Lamprecht, Mythos, S. 104; ein erster Ansatz zur Umkehr war die Klage des Berliner Familienrichters Reddemann gegen seinen Dienstherrn, der seine Unabhängigkeit wegen zu geringen Personals beeinträchtigt sieht, vgl. Berliner Zeitung vom 14.2.2002; allerdings konnte er in erster und letzter Instanz keinen Erfolg erzielen, s. Dienstgericht bei dem LG Berlin, DRiZ 2004, S. 81 f.; BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2005, S. 905 f., das den Kläger an das BVerfG verweist. 70 Zutreffend weist zwar Baudenbacher, Rechtsverwirklichung, S. 33 f., daraufhin, daß mittels der Gerichtsgebühren eine Nachfragebeschränkung und damit Zugangssteuerung erfolgt. Wirklich spürbare Entlastungen oder auch nur Reduzierungen des Anstiegs des Geschäftsanfalls sind dadurch aber nicht nachweisbar, zumal die Erhöhung von Gerichtsgebühren unter sozialen Gesichtspunkten kaum als akzeptables Instrument angesehen werden kann. 71 Siehe hierzu auch Baudenbacher, Rechtsverwirklichung, S. 28 ff., der die im folgenden dargestellten Entwicklungen parallel auch für die Schweiz beschreibt.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

brachte Reaktionsweise auf erhöhten Arbeitsanfall in der Justiz, die durch die exzessive Arbeitsteilung in den Gerichten begünstigt wurde: Gab es Defizite in einem Bereich (Richterdienst, Schreibdienst, Geschäftsstelle, Wachtmeisterei), so wurde dort einfach mehr Personal eingesetzt72. Die Frage nach möglichen Organisationsmängeln wurde nicht gestellt, insbesondere nicht von den anderen „Personalgruppen“, die ohnehin keinen Einblick in die jeweilige andere hatten. Diese Option war jedoch aufgrund mangelnder finanzieller Kapazitäten und allgemeinen Spardrucks spätestens Ende der 80er Jahre ausgeschlossen. Es blieb also nur der zweite Weg: Der Gesetzgeber mußte die Behandlung der Verfahren vereinfachen, insbesondere verkürzen, um auf diese Weise in der gleichen Zeit mehr Verfahren abschließen zu können (1.). Parallel hierzu nutzte man die Freiheit zur Steuerung der Arbeitslast der Rechtsmittelgerichte und beschränkte den Zugang zu Rechtsmitteln oder schaffte sie ab (2.). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört die Judikative nicht zur „öffentlichen Gewalt“ i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG, so daß Rechtsschutz gegen richterliche Entscheidungen und damit ein Instanzenzug verfassungsrechtlich nicht erforderlich ist73. 1. Entformalisierung des Verfahrens Zur Vereinfachung der gerichtlichen Verfahren war der nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuständige Bundesgesetzgeber aufgerufen, der hierzu in einer Mehrzahl von Gesetzen tätig wurde, angefangen vom 1. Gesetz zur Reform des Strafverfahrens vom 11. Dezember 197474 sowie der großen Vereinfachungsnovelle zur ZPO zum 1. Juli 197775, über das mehrfach verlängerte Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 5. April 197876, die beiden Gesetze zur Beschleunigung des Asylverfahrens vom 31. Juli 197877 und vom 22. August 198078, das Rechtspflege-Vereinfachungs72

Koetz/Frühauf, Amtsgerichte, S. 42. BVerfGE 92, 365 (410), st. Rspr.; s. aber die Ergänzung hierzu durch BVerfGE 107, S. 395 ff.; zur Kritik s. Voßkuhle, Rechtsschutz, passim; Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (306 f.). 74 Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts, BGBl. I, S. 3393 ff. 75 Gesetz vom 3.12.1976, BGBl. I, 1976, S. 3281 ff. 76 BGBl. I, S. 446 ff., befristet bis zum 31.12.1983; es folgten insgesamt drei Verlängerungen, zunächst bis zum 31.12.1985 (BGBl. I, 1983, S. 1515), dann – mit Erweiterungen – bis zum 31.12.1990 (BGBl. I, 1985, S. 1275 f.), sowie zuletzt nur für die Finanzgerichtsbarkeit bis zum 31.12.1992 (BGBl. I, 1999, S. 2587). Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden die Sondervorschriften mit Wirkung vom 1.1.1991 aufgehoben und in die VwGO integriert durch das 4. VwGOÄndG vom 17.12.1990 (BGBl. I, S. 2809 ff.). 77 BGBl. I, S. 1108 ff. 78 BGBl. I, S. 1437 ff.; beide mündeten sodann in das Gesetz zur Regelung des Asylverfahrens (AsylVfG 1982) vom 21.7.1982 (BGBl. I, S. 946 ff.). 73

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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gesetz und das 4. VwGO-ÄndG79, beide vom 17. Dezember 199080, das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 199381 sowie das 6. VwGOÄndG vom 1. November 199682 bis hin zum Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG)83, das zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Es lassen sich vier gemeinsame Grundtendenzen dieser Neuregelungen erkennen: Vergrößerung der Handlungsspielräume für die Richter84 (a), Optionen zur Aktivierung (sanktionsbewehrte) Mitwirkungspflichten der Beteiligten (b), Verkleinerung der Richterbank (c) sowie den Abbau von Begründungpflichten (d). a) Vergrößerte richterliche Handlungsspielräume Hier ist zum einen herausragend die erneute Wiedereinführung85 eines Bagatellverfahrens gem. § 495a ZPO86 zu nennen, der für Verfahren bis zu einem 79

BGBl. I, S. 2809 ff. BGBl. I, S. 2847 ff. 81 BGBl. I, S. 50 ff. 82 Vom 1.11.1996 (BGBl. I, S. 1626 ff.). 83 Vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887 ff.), das allerdings auf mehreren Ebenen reformerisch vorgeht und daher nur teilweise die bisherige engere Strategie fortsetzt. 84 Auf die daraus folgenden Widerspruch zum „Postulat einer gleichen Justizgewähr“ weist zutreffend Rottleuthner, Jahrhundertgesetze, S. 86 (88), hin. 85 Die Institution eines Bagatellverfahrens in der ZPO ist symptomatisch für gesetzgeberisches Hin und Her: In der Urfassung der CPO als sogenanntes „Schiedsurteil“ enthalten (erst § 471, dann § 510 [c], s. zum Inhalt StJ19-Schumann/Leipold, § 510c, zur Aufhebungsgeschichte StJ20-Leipold, § 510c), wurde es durch die auf das Ermächtigungsgesetz vom 8.12.1923 (RGBl. I, S. 1179) gestützte Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13.2.1924 (RGBl. I, S. 135 [141]) zur Kostenersparnis abgeschafft. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.8.1950 (BGBl. I, S. 455) erlebte es eine Renaissance, bis es im Zuge der Vereinfachungsnovelle zur ZPO zum 1. Juli 1977 (Gesetz vom 3.12.1976, BGBl. I, S. 3281) erneut abgeschafft wurde, weil es ohnehin typischerweise wie das Regelverfahren geführt werde und sein besonderes Anfechtungsverfahren gem. § 579 Abs. 3 ZPO a. F. zu aufwendig und systemfremd sei. Erleichterungen für die Parteien könnten nun über das schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 3 ZPO erreicht werden, vgl. Entwurfsbegründung, BT-Drs. 7/2729, S. 85 f. Zur Wiedererstehung und einem weiteren historischen Wechselspiel des Gesetzgebers sogleich FN 86. 86 Eingefügt durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990 (BGBl. I, S. 2847 ff.); zur rechtstatsächlichen Anwendung s. Rottleuthner, Entformalisierung, S. 1 ff.; zur Kritik s. etwa Huff, DRiZ 1996, S. 346; Ernst, BRAK-Mitt. 1991, S. 128 f.; E. Schneider, ZIP 1992, S. 895; Stollmann, NJW 1991, S. 1719 ff., der Verfassungswidrigkeit annimmt; Hennrichs, NJW 1991, S. 2815 f.; zutreffend auch Kunze, NJW 1997, S. 2154 f., der auf die Folgen für das BVerfG hinweist, die wegen des möglichen Abhilfeverfahrens gem. § 321a ZPO n. F. nunmehr aber abgeschwächt sein dürften. Für eine jedenfalls mögliche verfassungskonforme Auslegung aus Sicht der amtsgerichtlichen Praxis Fischer, MDR 1994, S. 978 ff., mit praktischen Hinweisen auf eine mögliche Handhabung der Vorschrift. Ebenso Bartels, DRiZ 1992, 80

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Streitwert von 600 Euro die Handhabung des Verfahrens in das „billige Ermessen“ des Amtsrichters stellt87, der sodann also nur noch an die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien (rechtliches Gehör, Neutralität88) gebunden ist; und selbst dieser Rest scheint dann nicht mehr beachtenswert, wenn entgegen § 495a Abs. 1 S. 2 ZPO eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt wird89. Zum anderen wurden die Richter im Strafprozeß für den Falle der Ablehnung der Beweisanträge von den Bindungen der §§ 244 Abs. 3 bis 5, 245 StPO gem. § 411 Abs. 2 StPO90 befreit, wenn es sich um das beschleunigte Verfahren (§ 420 Abs. 4 StPO) oder aber um ein Strafverfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl handelt (§ 411 Abs. 2 S. 2 StPO). Hier bewendet es sich also

S. 106, mit Bericht über eine eigene „Verfahrensordnung für Bagatellsachen (BaBagVfO)“ des AG Nordenham – hier werden Parallelen zu den Court-Rules amerikanischer Gerichte (vgl. Röhl, Gerichtsverwaltung und Courtmanagement, S. 44 ff.; ders., ZfRSoz 12 [1991], S. 217 [224 f.]) offenbar, hierzu weitere Hinweise bei Voßkuhle, in: Schulze-Fielitz/Schütz, Ökonomisierungsdruck, S. 35 (42 f., Fn. 40); zur „Rule-making power“ der Gerichte unter dem GG s. schon Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (101, Fn. 29). Historisch interessant ist, daß durch die auf das Ermächtigungsgesetz vom 8.12. 1923 (RGBl. I, 1179) gestützte Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13.2.1924 (RGBl. I, 135 [141]) schon einmal ein § 495a ZPO eingeführt worden war, der ein obligatorisches Güteverfahren vor Klageerhebung zum AG vorsah. Er wurde aufgehoben durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.8.1950 (BGBl. I, S. 455 [473]), zu den Gründen s. StJ19-Schumann/Leipold19, vor § 495 Anm. II. Wiedererstanden ist diese Institution in Form des § 278 Abs. 2 ZPO durch das ZPO-RG vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887), s. dazu systematisch und detailliert Huber, JuS 2002, S. 483 (485 ff.); die erneute Abschaffung ist allerdings von den Ländern bereits vorbereitet, vgl. Beschluß zu TOP 1.7 der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister am vom 14.11.2002; ein entsprechender Gesetzentwurf wurde beim Bundesrat durch Hessen bereits eingebracht, s. BR-Drs. 911/02; zum obligatorischen Erörterungstermin in der Verwaltungsgerichtsbarkeit s. die Stellungnahmen in BDVR-Rundschreiben 2002, S. 27 ff., sowie die Stellungnahme des BDVR gegen eine Pflicht zur Erörterung, ebd., S. 64. 87 Was dabei herauskommen kann, beschreibt eindrucksvoll Sendler, NJW 1998, S. 1282 ff.; vgl. auch umfassend die rechtstatsächliche Untersuchung im Auftrag der BRAK zur Handhabung des § 495a ZPO von Rottleuthner, Entformalisierung, S. 1 ff. 88 Vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo25, ZPO, § 495a, Rn. 2; Fischer, MDR 1994, S. 978 (980). 89 Rottleuthner, Enformalisierung, S. 58; zutreffend deutlich Grenzen aufzeigend jüngst LG München I, NJR-RR 2004, S. 353 f. 90 Diese Verkürzung elementarer Verteidigungsmöglichkeiten ist Teil des durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I, S. 3186) völlig neu gestalteten „beschleunigten Verfahrens“, die gleichzeitig auf das „normale“ Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ausgedehnt wurde (vgl. § 411 Abs. 2 S. 2 StPO); krit. zur Ausgestaltung des beschleunigten Verfahrens Meyer-Goßner, StPO, vor § 417 Rn. 3 ff. Die Neufassung soll das Schnellverfahren aus seinem bisherigen Schattendasein herausführen, da es nur in ca. 4% der amtsgerichtlichen Verfahren angewandt wurde, s. BT-Drs. 12/6853, S. 34.

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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bei der allgemeinen, wegen des darin liegenden Beurteilungsspielraums revisionsrechtlich kaum zu überprüfenden91 Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO. Auch generell wurde das Beweisantragsrecht des Angeklagten eingeschränkt, so im Hinblick auf die Vernehmung eines Auslandszeugen, die nunmehr im Ermessen des Gerichts steht92. Vor dem Hintergrund der (menschenrechtlichen) Bedeutung des Beweisantragsrechts93 (s. nur Art. 6 Abs. 3d EMRK) gerade im noch immer von der Inquisitionsmaxime stark beherrschten deutschen Strafprozeßrecht94 wird die Tragweite dieser Gesetzgebung deutlich auf dem Weg hin zu einer Entlastung der Gerichte und der Beschleunigung der Verfahren. Auch in der VwGO wurde das Verfahren der Beweiserhebung von seinen formalen Bindungen befreit, indem die Beweiserhebung auch dem Vorsitzenden/Berichterstatter alleine, also ohne die anderen an der Entscheidung mitwirkenden (gesetzlichen) Richter ermöglicht wurde95; gleiches gilt für den Zivilprozeß96. Zudem kam es generell zu einer Erweiterung der Alleinentscheidungskompetenz des Vorsitzenden/Berichterstatters97. Im Bereich der allgemeine Verwaltungs- sowie der Sozialgerichtsbarkeit wurde der einem Urteil gleichstehende Gerichtsbescheid als alternative Entscheidungsform und damit ein „Verfahren 2. Klasse“98 eingeführt99, der dem 91

Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 246. Vgl. § 244 Abs. 5 S. 2 StPO i. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I, 1993, S. 50 [51]); Schulz, StV 1991, S. 354 (356), wertet dies als Beleg dafür, daß der Gesetzgeber das Beweisantragsrecht als „überflüssigen Luxus“ ansieht. 93 Vgl. nur Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 246. 94 Schulz, StV 1991, S. 354 (358 ff.), weist zutreffend die Korrektivfunktion des Beweisantragsrechts nach und belegt damit die weitreichenden Folgen der Neuregelung. 95 Vgl. § 87 Abs. Abs. 3 VwGO i. d. F. des 4. VwGOÄnG (BGBl. I, 1990, S. 2809 [2812]). 96 § 375 Abs. 1a ZPO i. d. F. des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12. 1990 (BGBl. I, S. 2847 ff.). 97 Vgl. § 87a f. VwGO i. d. F. des 4. VwGOÄndG (BGBl. I, 1990, S. 2809 [2812]); s. hierzu ausführlich Stelkens, NVwZ 1991, S. 209 (214 f.), der darin die Chance einer Kombination der Vorteile des Kammerprinzips mit denen der selbständigen Arbeitsweise des Richters sieht, sofern die Regeln „richtig angewandt“ würden. 98 So Kopp, NVwZ 1991, S. 521 (523); keine verfassungsrechtlichen, jedoch rechtspolitische Bedenken hinsichtlich der Regelung für die Sozialgerichtsbarkeit äußert Meyer-Ladewig, SGG, § 105 Rn. 3 f. 99 Damit wurde der sogenannte, praktisch kaum genutzte Vorbescheid nach § 84 VwGO a. F. und § 105 SGG a. F. abgelöst; allerdings hat der Gerichtsbescheid, entgegen der positiven Würdigung von Meyer-Ladewig, SGG, § 105 Rn. 1a, sowie des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 12/1217, S. 71) jedenfalls in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit auch keine größere Bedeutung erlangt. Meier, NVwZ 1998, S. 688 (691), führt dies auf die gesetzgeberische Fehlentscheidung zurück, gegen den Gerichtsbescheid gem. § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den bloßen Antrag auf mündliche Verhandlung statt der Berufungszulassung zu ermöglichen, was den Gerichtsbescheid nach Abs. 3 92

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Gericht nach Anhörung der Beteiligten den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ermöglicht, sofern „die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist“ (§ 84 Abs. 1 VwGO100, § 105 Abs. 1 SGG101). Das richterliche Handlungsfeld wurde im Verwaltungsprozeß zwischenzeitlich an einer bedeutenden Stelle erweitert, indem das Gericht gem. § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 VwGO der Behörde die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern ermöglichen und hierzu das Verfahren gem. § 94 S. 2 VwGO102 aussetzen konnte103. In den Fällen, in denen der Erfolg des Klägers von eben diesen Fehlern abhing, stand es dem Richter frei, mittelbar aus einer begründeten eine unbegründete Klage zu machen. Beides wurde – wohl mangels praktischer Relevanz104 – dann auch wieder mit Wirkung zum 1. Januar 2002 abgeschafft durch das RmBereinVpG105. Allerdings steht die Heilungsmöglichkeit gem. § 45 Abs. 2 VwVfG106 der Behörde auch ohne richterliche Unterstützung weiterhin offen.

gegenstandslos mache. Daher sei die Entlastungsfunktion für das Gericht gering oder werde in ihr Gegenteil verkehrt, da die Richter sich u. U. mehrfach in den Fall einarbeiten müßten und daher gar nicht erst vom Gerichtsbescheid Gebrauch machten; die gleiche (Mit-)Ursache für den Bedeutungsverlust des Gerichtsbescheids sieht Heydemann, BDVR-Rundschreiben 2002, S. 27 (28), meint aber gleichzeitig, eine „neue Wertschätzung des mündlichen Verhandelns“ zu erkennen, dessen Sinn aber in der Praxis noch nicht richtig bewußt geworden zu sein scheint, vgl. K. Redeker, NJW 2002, S. 192 f. 100 I. d. F. des 4. VwGOÄnG vom 17.12.1990 (BGBl. I, S. 2809 [2811]). 101 I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I, 1993, S. 50 [53]), die zunächst befristet galt (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, § 105 Rn. 1), dann aber unbefristet eingeführt wurde durch das 5. SGG-ÄndG vom 30.3.1998 (BGBl. I, S. 638). 102 Beide Vorschriften wurden eingeführt durch das 6. VwGOÄndG vom 1.1.1996 (BGBl. I, S. 1626 ff.). 103 An diesem – abstrakt betrachtet – herausragenden Einschnitt in die Waffengleichheit der Beteiligten des Verwaltungsprozesses ändert auch die Tatsache nichts, daß die Gerichte jedenfalls anfangs von der Möglichkeit in nur sehr geringen Gebrauch machten, vgl. Meier, NVwZ 1998, S. 688 (690), demzufolge im Jahr 1997 in Rheinland-Pfalz 86% der Spruchkörper von § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 VwGO noch gar keinen Gebrauch gemacht haben und § 94 S. 2 VwGO überhaupt nur von einer Kammer angewandt wurde. Kritisch zur aus seiner Sicht wohl nur beschränkten Nutzung der Entlastungsmöglichkeiten Freitag, Handlungspflichten, S. 21. 104 Siehe FN 103. 105 Vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. S. 3987 ff.); die Streichung geht auf eine Initiative des BT-Rechtsausschusses zurück und wurde „lakonisch“ (so M. Redeker, NordÖR 2002, S. 183 [184]) damit begründet, die Regelung habe „sich in der Praxis nicht bewährt“ und solle „deshalb entfallen“, s. BT-Drs. 14/7474, S. 15; anders der Bundesrat, der im Vermittlungsausschuß die Beibehaltung verlangte, da die Streichung einen „entscheidenden Fortschritt des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze rückgängig machen“ würde (vgl. BT-Drs. 14/7744, S. 1). Auch hier zeigt sich eine erstaunliche Unsicherheit über die empirischen Grundlagen des Prozeßrechts.

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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b) Sanktionsbewehrte Mitwirkungspflichten Schon der zum 1. Juli 1977 in Kraft getretenen ZPO-Vereinfachungsnovelle107 war das Ziel der „Beschleunigung“ vorangestellt, das durch fristgebundene Pflichten der Parteien gesichert werden soll. Dies gilt insbesondere für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, das der strengen gesetzlichen oder richterlichen Fristbindung der § 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 S. 2, § 277, 282 Abs. 1, 2 ZPO, nunmehr ergänzt für das Beschwerdeverfahren in § 571 Abs. 3 ZPO n. F.108, unterliegt. Unentschuldigte Fristversäumnisse, die zu einer Verzögerung des Verfahrens führen können, haben den Ausschluß dieser Angriffs- und Verteidigungsmittel zu Folge (§§ 296 f. ZPO). Sogar ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren kann seitdem bei bloßer Fristversäumnis des Beklagten ergehen (§§ 331 Abs. 3, 276 Abs. 1 S. 1 ZPO). Hinzu kommt die Fristbindung auch der Anschlußberufung109 sowie aller Beschwerden nach dem ZPO-RG und vor allem die mit dem Ziel der Verfahrenskonzentration auf die erste Instanz gesetzlich angeordnete Präklusion neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz, die nur noch wenige, sehr beschränkte Ausnahmen zuläßt (§ 531 Abs. 2 ZPO n. F.)110. Das Druckmittel der drohenden Präklusion111 wurde ebenfalls für das verwaltungsgerichtliche Verfahren112 in § 87b VwGO verankert113, das trotz des

106 Eingefügt durch das GenBeschlG vom 12.9.1996 (BGBl. I, S. 1354 ff.); s. zur Kritik nur Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 45 Rn. 33 ff., der den Preis für das gesetzgeberische Ziel für „eindeutig zu hoch“ hält, aber letztlich die Verfassungswidrigkeit verneint (ebd., Rn. 35). Geändert wurde § 45 Abs. 2 durch Art. 1 Nr. 15 des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21.8.2002 (BGBl. I, S. S. 3325), indem nun die Heilungsmöglichkeit zeitlich ausdrücklich auf den Abschluß der letzten Tatsacheninstanz beschränkt wurde, da die frühere Fassung „nicht hinreichend die Strukturen des Verwaltungsprozesses“ berücksichtigte (vgl. BTDrs. 14/9000, S. 34). Denn letztlich bedeutete die alte Fassung eine – wohl nicht gewollte – Änderung des Revisionsrechts (§ 137 Abs. 2 VwGO), was auch schon im Gesetzgebungsverfahren (auch vom Bundesrat) kritisiert, aber nicht berücksichtigt wurde (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 117 ff.). Teilweise wurde aber auch schon unter der alten Fassung die jetzt im Gesetz vorgenommene Beschränkung vertreten, etwa Kopp/Ramsauer, ebd., Rn. 37. 107 Gesetz vom 3.12.1976 (BGBl. I, S. 3281 ff.). 108 Eingeführt durch das ZPO-RG vom 27.7.2001, BGBl. I, S. 1887 ff. 109 Auf einen Monat gem. § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO n. F. ohne Verlängerungsmöglichkeit; s. dazu und dem damit entstandenen Widerspruch zur Fristverlängerungsoption für die Berufungserwiderung sowie die Begründung der Berufung gem. §§ 224 Abs. 2, 520 Abs. 2, 521 Abs. 2 S. 1 ZPO Liesching, NJW 2003, S. 1224 f.; die Anschlußberufung ist nun ein stumpfes Schwert, so Doms, NJW 2004, S. 189 ff. Nach wie vor ungeklärt ist aber das bisher geradezu übersehene Problem („Terra incognita“) des Rechtsmittelfristenlaufs für den Nebenintervenienten gem. § 66 ZPO, s. instruktiv Deckenbrock/Dötsch, JR 2004, S. 6 ff. 110 Einschränkend aber BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 2003, S. 2524; krit. dazu Greger, NJW 2003, S. 2882 f.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Amtsermittlungsgrundsatzes114 zur Fristsetzung und nachfolgenden Zurückweisung von Beweismitteln und Erklärungen berechtigt, wenn auch nicht verpflichtet115. Ebenso wie im Zivilprozeß bleibt ein zulässiger Ausschluß von Erklärungen und Beweismitteln im ersten Rechtszug auch in der Berufungsinstanz wirksam (§ 528 Abs. 3 ZPO116, § 128a Abs. 2 VwGO117). Eine Verschärfung solcher Sanktionierung von Fristversäumnissen findet sich sodann in Form der den Richtern ermöglichten fingierten Klagerücknahme (§ 92 Abs. 2 VwGO118), die damit die Bestandskraft eines Verwaltungsakts herbeiführt und jeden weiteren Rechtsschutz beseitigt. c) Verkleinerung der Richterbank Art. 19 Abs. 4 GG garantiert ebenso wie die sonstigen Richtervorbehalte (z. B. Art. 104 GG) den Weg zu den Gerichten bzw. eine Entscheidung durch (irgend)einen Richter119. Eine verfassungsrechtlich geforderte Zuständigkeit nur eines Kollegialgericht findet sich mit ausdrücklicher Ausnahme in Art. 13 Abs. 3 S. 3 GG und der inzidenten Voraussetzung in Art. 94 Abs. 1, 95 Abs. 3 GG nicht. Eine aus dem Grundgesetz abgeleitete Pflicht des Gesetzgebers zur Hinzuziehung von ehrenamtlichen Richtern (Schöffen) besteht nach der Recht-

111 Die Strategie zur Rechtsschutzabwehr mittels (materieller) Präklusionen findet sich parallel auch in den allgemeinen Verwaltungsverfahrens- und den speziellen Planungsgesetzen (vgl. etwa § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG, § 10 Abs. 3 S. 3 BImSchG, § 20 Abs. 2 S. 1 AEG). 112 Dies gilt über § 122 VwGO hinaus sowohl für das Urteils- wie das Beschlußverfahren, vgl. Stelkens, NVwZ 1991, S. 209 (214); ebenso Kopp/Schenke, VwGO, § 87b Rn. 2. 113 Durch das 4. VwGOÄnG (BGBl. I, 1990, S. 2809 [2812]). 114 Im Hinblick hierauf krit. Kopp, NJW 1991, S. 521 (524 f.), der darauf hinweist, daß eine Anwendung der seit langem bestehenden Regelungen der ZPO im Verwaltungsprozeß über § 173 VwGO gerade abgelehnt wurde. 115 Stelkens, NVwZ 1991, S. 209 (213 f.), unter Hinweis auf die Reg.-Begr. in BTDrs. 11/7030, S. 28. 116 I. d. F. der Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 (BGBl. I, S. 3281 ff.). 117 I. d. F. des 4. VwGOÄndG (BGBl. I, 1990, S. 2809 [2812]). 118 Ursprünglich eine „Erfindung“ des Asylprozeßrechts (zuerst § 33 AsylVfG 1982, dann § 81 AsylVfG 1992), wurde sie für das allgemeine Verwaltungsprozeßrecht eingeführt durch das 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996 (BGBl. I, S. 1626). Aufgrund restriktiver Handhabung durch die Obergerichte blieb die gewollte Entlastung der Eingangsgerichte aus, da die Richter nun (doch) nicht so nebenbei im „Stoßgeschäft“ des Alltags die Voraussetzungen der Klagerücknahme herbeiführen können, vgl. Millgramm, SächsVBl. 2003, S. 104 (104 f.), der schon die volle Unterschrift des Richters statt nur der Paraphe für ein diesbezügliches Hindernis zu halten scheint. Die ursprüngliche Dreimonatsfrist ist der Verkürzung durch das Justizmodernisierungsgesetz zum Opfer fallen, s. BGBl. I, 2004, S. 2198 (2204: zwei Monate). 119 Krit. Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (307 f.).

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sprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls nicht120, so daß auch nicht auf diese Weise mittelbar ein mit mehreren Richtern besetzter Spruchkörper erforderlich werden könnte121. Die damit verbundene Möglichkeit, die Zahl der an einer Entscheidung mitwirkenden Richter bis hin zum Alleinentscheider zu reduzieren, hat der Gesetzgeber genutzt. Der Einzelrichter beherrscht weithin das Geschehen122, wo früher, jedenfalls grundsätzlich, ein Kollegium entscheiden mußte. Dabei wurde auch die Beteiligung ehrenamtlicher Richter umfassend reduziert123, indem vermehrt Entscheidungen dem Berufs-Einzelrichter übertragen oder ohne mündliche Verhandlung – wie etwa per Gerichtsbescheid – ermöglicht wurden, bei denen Laienrichter regelmäßig nicht mitwirken124. Im Prozeß vor dem Verwaltungsgericht ist der „Soll-in-der-Regel“-Einzelrichter zuständig (§ 6 Abs. 1 VwGO125), dies gilt auch für den Asylprozeß, wobei hier im Eilverfahren sogar der originäre Einzelrichter zuständig ist126. Für den Zivilprozeß vor dem Landgericht hat die ZPO-Reform zum 1. Januar 2002127 ebenfalls die Einzelrichterentscheidung zum (verbindlichen) Normalfall erklärt128, indem sie die Zuständigkeit des „originären“ sowie des „obligatori120 Vielmehr steht die Hinzuziehung im Ermessen des Gesetzgebers, s. etwa BVerfGE 14, 56 (74). 121 Dezidierte kritische Auseinandersetzung mit dem um sich greifenden Verzicht auf die Mitwirkung der Laienrichter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO (1996), § 5 Rn. 17, § 19 Rn. 1, 12. 122 Was freilich nicht nur Nachteile hat; andeutend Lamprecht, DRiZ 1988, S. 161 (161), der den Einzelrichter als Person wahrnimmt, während der Spruchkörper „kafkaeske Züge“ trage. 123 Vgl. Meissner, FS 100 Jahre Sächs. OVG, S. 337 (356, Fn. 58), der berichtet, im Jahr 2000 hätten die VG-Kammern in Baden-Württemberg ihre ehrenamtlichen Mitglieder nur einmal zu Gesicht bekommen; ähnlich Millgramm, SächsVBl. 2003, S. 104 (107): manche Kammern verhandeln seit Jahren nicht mehr in voller Besetzung, konsequent daher die Befürwortung einer Abschaffung durch den Präsidenten des HessVGH, vgl. BDVR-Rundschreiben 2003, S. 176 (176 f.); J. Schmidt, VBlBW 2000, S. 53 (55), spricht von einer berufsrichterlichen „Flucht in die Einzelrichterentscheidung“, um die Arbeit in Form der Beteiligung ehrenamtlicher Richter zu ersparen. 124 Vgl. § 5 Abs. 3 VwGO, §§ 12 Abs. 1 S. 2, 40 i. V. m. 33 S. 2 SGG (krit. Fichte, SGb 1994, S. 264 [265 f.]), s. a. § 76 Abs. 1 S. 2 StPO. 125 I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I, 1993, S. 50 [55]). 126 Vgl. § 76 Abs. 3, 4 AsylVfG. Dezidiert krit. zum allgemein vermehrten Einzelrichtereinsatz, worauf die Erfahrungen und Notwendigkeiten aus den Asylverfahrensgesetz nicht übertragen werden könnten, J. Schmidt, VBlBW 2000, S. 53 (53 ff.); den Einzelrichter in der Berufungsinstanz gibt es nur im Bereich des § 87a VwGO, steht jedoch auch hier (als obligatorischer) „seit langem auf der Wunschliste der Justizminister“, ebenso wird er seit langem von den rechtsanwendenden Berufen abgelehnt“, so K. Redeker, NJW 2003, S. 496 (497). 127 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG) vom 27.7.2001, BGBl. I, S. 1887 ff. 128 Insofern setzte der Gesetzgeber hier seine Linie fort, während er ansonsten in diesem Gesetz bereit war, neue Wege zu gehen; s. ausf. sogleich 3.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

schen“ Einzelrichters (§§ 348, 348a ZPO) begründet und damit den Unterschied des Landgerichts zum Amtsgericht weiter eingeebnet hat129. Auch in der Berufungsinstanz ist der Kann-Einzelrichter zuständig (§ 526 ZPO130), für die Beschwerde sogar der „originäre“ (§ 568 ZPO131). Soweit die Übertragung auf den Einzelrichter oder die (Rück-)Übertragung von diesem auf die Kammer/den Senat im (gebundenen) Ermessen des Gerichts steht, wird dessen Handhabung rechtsmittelfest gemacht132 (§§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3, 526 Abs. 3, 568 S. 3133 ZPO), wie dies im Verwaltungsprozeß schon zuvor galt (§ 6 Abs. 4 S. 2 VwGO134); so bleibt als Rechtsmittel ledig129 Das Landgericht erscheint daher als „sinkendes Schiff“ (so Boysen, DuR 19 [1991], 381 [384]) angesichts dessen, daß der „vierstufige“ Gerichtsaufbau mehr denn je in Rechtfertigungszwang gerät (vgl. nur jüngst wieder die Pläne der Justizministerkonferenz, s. SZ v. 8.9.2004, S. 1, sowie Eylmann/Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 45 ff.) Die Methode des ZPO-RG erscheint allerdings im Hinblick auf den Einzelrichtereinsatz durchaus „ehrlicher“ als die fortschreitende (vgl. E. Schneider, MDR 1996, S. 865 [865]) Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts für das Amtsgericht in § 23 Nr. 1 GVG (so von 5.000 auf 6.000 DM durch das Gesetz zur Vereinfachung der Rechtspflege vom 17.12.1990 [BGBl. I, S. 2847 ff.] und bereits drei Jahre später durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege [BGBl. I, 1993, S. 50 ff.] auf 10.000 DM), die „versteckt“ zu einem vermehrten Einsatz des (Einzel-) Amtsrichters geführt hatte. Hierzu schon kritisch Drucker, JW 1924, S. 241 (243): „(. . .) die in Riesengröße modellierte Gestalt des künftigen Amtsrichters (. . .)“ zur lex Emminger vom 4.1.1924 (RGBl. I, 15 ff.). „Die Amtsrichter sind die Prügelknaben der Entlastungsgesetzgeber“, so E. Schneider, ebd. Die Folgen für die Unterscheidung von Vorsitzenden Richtern und beruflichen Beisitzern am LG thematisiert der Vorlagebeschluß des LG Frankfurt/Main an das BVerfG, NJW-RR 2003, S. 215 f. (s. hierzu oben § 1 II. 3.). 130 Wenn erstinstanzlich durch Einzelrichter entschieden wurde; dezidiert krit. hierzu Deutsch, NJW 2004, S. 1150 f. (ebd., S. 1151: „(. . .) nach der neuen Prozessgestaltung in Zivilverfahren der Rechtsstaat nicht mehr gewährleistet“). 131 Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen ist nach BGH, WM 2004, S. 348 ff., nicht Einzelrichter in diesem Sinne, so daß gegen seine Entscheidung der Beschwerdesenat als Kollegium zuständig ist; dagegen krit. und allgemein zur unklaren Vielzahl möglicher „Einzelrichter“ im Sinne dieser Vorschrift s. Feskorn, NJW 2003, S. 856 ff. Beschwerde-Einzelrichter kann auch der Proberichter am Tag seines Dienstantritts sein, da die Wartefrist des § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO hier nicht gelten soll, so BGH, NJW 2003, S. 1875 ff.; zu den Folgen für den BGH durch den Einsatz unerfahrener Proberichter in der Beschwerdeinstanz s. Kreft, NJW 2003, S. 77 f. Andererseits finden sich noch absurdere Widersprüche in den gesetzlichen Vorschriften zum Proberichtereinsatz, worauf pointiert Loos, BayVBl. 2002, S. 397 (397), hinweist: Während ein Proberichter nach sechs Monaten Amtszeit entscheiden und verantworten darf und muß, ob ein türkischer Asylbewerber mit Folter zu rechnen hat (vgl. § 76 Abs. 5 AsylVfG), dürfen zwei Proberichter nach zwei Jahren Dienstzeit nicht gemeinsam mit ihrem Vorsitzenden in der Kammer entscheiden, ob es einem Sozialhilfeempfänger zuzumuten ist, für die bargeldlose Überweisung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt ein Girokonto einzurichten (vgl. § 29 DRiG); zur übergangsweisen Abweichung von § 29 DRiG im Beitrittsgebiet s. BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), DtZ 1996, S. 175 f.; s. dazu, auch im besonderen Hinblick auf die Oberlandesgerichte, Gutjahr, FS 10 Jahre OLG Brandenburg, S. 329 ff. 132 Krit. hierzu in bezug auf das ZPO-RG Deutsch, NJW 2004, S. 1150 f.

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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lich die kaum erfolgreiche Gegenvorstellung135 oder zuletzt die Verfassungsbeschwerde136. Die gänzlich uneinheitliche Übertragungspraxis in Deutschland zeigt, wie die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) zur (begrenzten) Disposition des Gerichts steht und nähert sich damit europäischen Maßstäben an, die die Strenge der spezifisch deutschen, auf geschichtlichen Erfahrungen beruhenden Auslegung nicht kennen137. Wie sehr der Richterschaft augenscheinlich an der Vermeidung einer Kollegialentscheidung gelegen ist, zeigt der Versuch, sich der Pflicht zur Übertragung auf die Kammer durch – freilich höchstgerichtlich nicht akzeptierte – Eigenkreation eines Anfrageverfahrens entsprechend § 132 Abs. 3 GVG, § 14 RsprEinhG zu entledigen138. Dabei wird allzu leicht übersehen, daß ein Kollegium seine Unabhängigkeit gegenüber der Rechtsprechungsverwaltung leichter wahren kann als ein Einzelrichter139. Auch im Strafprozeß setzte der Gesetzgeber die Reduzierungsstrategie ein140. So wurde durch den erhöhten Strafbann des Strafrichters und des Schöffengerichts (§§ 25, 24 Nr. 2, 74 Abs. 1 S. 2 GVG141) die größere (berufsrichterliche) 133 Vgl. aber BGHZ 154, 200 ff., der die Rüge der fehlerhaften Besetzung gleichwohl zulassen will, wenn der Einzelrichter zwar die Übertragung gem. § 569 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die Kammer unterläßt, dann aber die Rechtsbeschwerde wegen rechtsgrundsätzliche Bedeutung zuläßt; dazu Haentjens, NJW 2003, S. 2884 f.; dies soll auch für die Zulassungfälle wegen Divergenz oder Rechtsfortbildung gelten, s. BGH, NJW 2003, S. 3712; 2004, S. 448 f. 134 I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I, 1993, S. 50 [55]); s. Kopp/Schenke, VwGO, § 6 Rn. 26 ff. 135 Aber selbst diese sollte im Revisionsrechts vor dem ZPO-RG und trotz BVerfGE 107, 395 ff., ausgeschlossen sein, so BGH, NJW-RR 2004, S. 574 f.; gleiches gilt auch nach der ZPO-Reform, so BGH, NJW 2004, S. 1531 f. 136 Dies gilt insbesondere nach Abschaffung der außerordentlichen Beschwerde durch BGH und BVerwG (s. bei FN 195), vgl. insgesamt Duhme, VR 2003, S. 37 (42 ff.), der allerdings die außerordentliche Beschwerde zum OVG/VGH noch für möglich hält; dem erteilen freilich BayVGH, NVwZ-RR 2003, S. 72, sowie SächsOVG, SächsVbl. 2003, S. 297 f., eine Absage; zweifelnd zur Übertragbarkeit der Grundsätze der obersten Bundesgerichte auf die Instanzgerichte Kutsch, NVwZ 2003, S. 956 f. 137 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 101 Rn. 10 f. 138 Vgl. BGH, NJW 2004, S. 223. 139 Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2004, S. 213 (215). 140 Und setzte damit die Linie der Verkleinerung der Richterbank von der lex Emminger vom 4.1.1924 (RGBl. I, S. 15 ff.), die das eigentliche „Schwurgericht“ zugunsten eines Schöffengerichts abschaffte, über das 1. StVRG vom 11.12.1974 (BGBl. I, 1974, S. 3393 ff.) fort. Letzteres wird von Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 39, als der Beginn zunehmender Beschleunigungs- und Entlastungsgesetzgebung bezeichnet. Schulz, StV 1991, S. 354 (354), mißt demgemäß jedenfalls dem Entwurf des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege die gleiche Bedeutung bei wie der Emminger-Reform. Zur Geschichte und enormen aktuellen Bedeutung dieser (bloßen) Verordnung der Reichsregierung, fußend auf dem Ermächtigungsgesetz vom 8.12.1923 (RGBl. I, S. 1179), für das strafprozessuale Verfahren der Gegenwart s. ausführlich Vormbaum, Lex Emminger, S. 172 ff. und passim. Zur Bedeutung des Schwurgerichts für die Freiheitssicherung auch in heutiger Zeit s. Ekardt, Jura 1998, S. 121 ff. (127 f.).

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Richterbank der Strafkammern des LG entlastet. Die großen Strafkammern blieben zwar grundsätzlich mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt, entscheiden jedoch auf eigenen Beschluß hin nur mit zwei Berufsrichtern (und den Schöffen), soweit sie nicht als sogenanntes „Schwurgericht“142 (§ 74 Abs. 1 GVG) zuständig sind oder der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache die Vollbesetzung erfordern (§ 76 Abs. 2 GVG143). Als Berufungsgericht fungieren seitdem ausschließlich die kleinen Strafkammern mit nur noch einem144 statt drei Berufsrichtern und zwei Schöffen (§ 76 Abs. 1 GVG)145. Auch wenn eine

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I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BGBl. I, 1993, S. 50 (52). Zur Begriffsherkunft s. Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 175; s. a. FN 140. 143 I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BGBl. I, 1993, S. 50 (52) – ebenso schon für die Bezirksgerichte in den Beitrittsländern gem. Art. 8 EinV i. V. m. Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1j, dazu BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), NStZ 1994, S. 45 m. krit. Anm. Nix, NStZ 1994, S. 45 f., zuvor schon ebenso ders., NJ 1992, S. 451. Diese Vorschrift ist symptomatisch für die Entlastungsgesetzgebung: Sie wurde befristet eingeführt (vgl. Art. 15 Abs. 2 des vorgenannten Gesetzes) bis zum 28.2.1998. Mit dieser Befristung wurde zugleich durch den Gesetzgeber entgegenstehenden Bedenken Rechnung getragen, s. BT-Drs. 12/1217, S. 47 („Gefahren für die Qualität der Entscheidungen“). Wie Hettinger, Entwicklungen, S. 105, es bereits im Februar 1997 vorausgesehen hatte, mehrten sich Ende 1997 „Stimmen“, die für eine Verlängerungen dieses von Seiten der Strafkammervorsitzenden so angekündigten (vgl. Nix, ebd.) quantitativen „Erfolgsprodukts“ des Gesetzgebers (in Hessen wurde 1998 in 72,4% aller Verfahren von der Reduzierung Gebrauch gemacht, vgl. BT-Drs. 14/2777, S. 5; trotzdem soll die verkleinerte Besetzung – jedenfalls außerhalb der Hauptverhandlung, ansonsten offen lassend – nicht die Regelbesetzung sein, so BGH, NJW 2004, S. 1118) eintraten und diese auch durchsetzten, vgl. Art. 3 des 3. VerjG vom 22.12.1997 (BGBl. I, S. 3223) mit einer Verlängerung bis 31.12.2000. Die diesbezüglichen Zweifel an der Aufrechterhaltung dieser Befristung (die Parallelvorschrift für das OLG [§ 122 Abs. 2 GVG] wurde ohnehin unbefristet in Kraft gesetzt) von Katholnigg, Strafgerichtsverfassung, § 76 Rn. 4, wurden bestätigt: Ein Antrag Baden-Württembergs auf unbefristete Verlängerung (BR-Drs. 203/00) wurde zunächst dadurch erledigt, daß durch das Gesetz zur Verlängerung der Besetzungsreduktion bei Strafkammern vom 19.12.2000 (BGBl. I, S. 1756) eine weitere Verlängerung bis zum 31.12.2002 in Kraft trat. An versteckter Stelle, nämlich Art. 24 des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.2002 (BGBl. I, S. 2856), wurde die Besetzungsreduktion auf Vorschlag des BT-Rechtsausschusses erneut verlängert bis zum 31.12.2004, da sich die Reduktion „bewährt“ habe (so die Meinung des BT-Rechtsausschusses im Anschluß an den Bericht der Bundesregierung vom 21.2.2000, BT-Drs. 14/2777), vgl. BT-Drs. 14/ 9266, S. 36, s. auch S. 42, wo die erneute Befristung damit begründet wird, daß die bewährten Vorschriften später im Rahmen einer „möglichen Reform des Strafverfahrens in ein schlüssiges Gesamtkonzept“ eingepaßt werden sollen. Nunmehr gilt die Regelung bis zum 31.12.2006 gem. Art. 12g Abs. 20 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.8.2004 (BGBl. I, S. 2198 [2209]). Zur Revisibilität einer fehlerhaften Verkleinerung der Richterbank gem. § 76 Abs. 2 StPO s. nun BGH, NJW 2003, S. 3644 ff., entgegen der Literaturauffassung, die kaum mit dem Gebot des gesetzlichen Richters vereinbar war (s. nur Katholnigg, ebd., Rn. 6). 144 Für den Ausnahmefall des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 Abs. 2 GVG) ist ein zweiter Berufsrichter zuzuziehen, um die Richterbank nicht „schlechter“ zu besetzen als in der 1. Instanz. 142

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, ist hier mit Ausnahme der Willkür eine fehlerhafte Besetzungsentscheidung durch das Gericht nicht revisibel146. Zur Verkleinerung der Richterbank im weiteren Sinne muß auch die Aufhebung des Erfordernisses einer Zwei-Drittel-Mehrheit zur Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gem. § 554 b Abs. 2 ZPO a. F., die immerhin das einheitliche Votum von vier der fünf Richter erforderte, gezählt werden. Nun reicht auch hier die einfache Mehrheit der Stimmen (vgl. § 196 Abs. 1 GVG)147. d) Abschaffung von Begründungspflichten Eine weitere Erleichterung für die Richterschaft war eine Entbindung von der Pflicht zur Begründung ihrer Entscheidungen, so schon in der ZPO-Vereinfachungsnovelle148 in Form der §§ 313a, 313b ZPO149, die den Verzicht auf den Tatbestand150 und die Entscheidungsgründe erlauben; letztere jedenfalls dann, wenn der wesentliche Inhalt im Protokoll festgehalten ist151. Andernfalls setzt die Arbeitserleichterung einen Verzicht der rechtsmittelbefugten Partei(en) voraus, der mit der Ersparnis von zwei Gerichtsgebühren „belohnt“ wird152 – rechtsstaatliche153 Leistungen nur noch für Rechtsschutzversicherte oder wohl145 Ähnliche (erneute) Pläne zur Reduzierung von drei auf einen dann Einzel-Berufsrichter gab es bereits in der 14. Wahlperiode für die Bußgeldsenate des OLG (vgl. BT-Drs. 14/3204), weil ein entsprechender Versuch des Gesetzgebers in der OWiGNovelle 1998 am Veto des BGH in BGHZ 44, 145 ff., gescheitert war. Eine Neuauflage diese Richterreduzierung findet sich nun in BR-Drs. 889/02, im Gegensatz zur Reduzierung nach § 76 Abs. 2 GVG aber mit der Möglichkeit der Rückübertragung auf den größeren Spruchkörper. 146 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 74 GVG Rn. 10 und § 76 GVG Rn. 8. 147 Pointe des Gesetzgebungsverfahrens: Hierzu fehlte jeder Hinweis in der Gesetzesbegründung, so daß dies bei den Beratungen in DAV und BRAK gänzlich unerkannt blieb (s. Büttner, BRAK-Mitt. 2003, S. 202 [209, Fn. 76]). 148 Gesetz vom 3.12.1976 (BGBl. I, S. 3281 ff.). 149 § 313a ZPO wurde leicht modifiziert durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege, BGBl. I, 1993, S. 50 (50), und jüngst durch das ZPO-RG (s. diesbezüglich auch Fn. 151). 150 Krit. hierzu, weil dadurch die Rechtsausführungen nicht mehr verständlich seien, zutreffend Huff, ZRP 2004, S. 32. 151 Diese Regelung fand ihr Vorbild in § 495a Abs. 2 ZPO a. F. und ist nunmehr für alle Urteile verallgemeinert eingeführt in § 313a Abs. 1 ZPO n. F. durch das ZPORG. Wegen des Wegfalls des Tatbestands für Verfassungswidrigkeit des früheren § 459a Abs. 2 ZPO Stollmann, NJW 1991, S. 1719 ff.; dagegen ausdrücklich Hennrichs, NJW 1991, S. 2815 f., der vielmehr die fehlenden Entscheidungsgründe als rechtsstaatliches Problem ansah in Zusammenhang mit dem generellen Berufungsausschluß bei Bagatellsachen mangels Erreichen der Berufungssumme gem. § 511a ZPO a. F. 152 Gem. §§ 34, 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1211 Nr. 2 des Kostenverzeichnisses in der seit 1.7.2004 (s. BGBl. I, 2004, S. 720) geltenden Fassung

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

habende Beteiligte. Gem. § 540 ZPO wird nunmehr in Berufungsurteilen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet154. Auch schon zuvor hatte das Gesetz zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen vom 8. Juli 1975155 die Annahmerevision für Verfahren unterhalb der Streitwertgrenze156 eingeführt und gleichzeitig die Begründung der Nichtannahme für nicht erforderlich erklärt (§ 554b Abs. 2 ZPO a. F.157). Gleiches gilt für die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das BVerwG (§ 133 Abs. 3 S. 2 VwGO). Auch die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht bedarf keiner Begründung (vgl. § 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG158), sondern erlaubt die „Höchststrafe“ des leeren Blattes159. Zutreffend weist die Kritik an dieser Arbeitserleichterung für die Richterschaft darauf hin, daß die Orientierungslosigkeit über die Gründe aktueller Entscheidungen zu erheblicher Rechts- und Handlungsunsicherheit führt160. Gleichzeitig gerät die Entbindung von der Begründungspflicht in Widerspruch zu der Wertschätzung, die das Prozeßrecht ansonsten der Begründung von Entscheidungen entgegenbringt, indem es ihr Fehlen zum absoluten Revisionsgrund erhebt (etwa § 138 Nr. 6 VwGO, § 551 Nr. 7 ZPO)161. Zu weit geht aber wohl 153 E. Schneider, MDR 1996, S. 865 (865), bezeichnet den Begründungszwang als „eine der wichtigsten rechtsstaatlichen Garantien“; s. Lücke, Begründungszwang, passim, insbes. S. 37 ff. 154 Dazu abwägend Seitz, NJW 2003, S. 566 ff. 155 BGBl. I, S. 1863 ff. 156 Von damals 40.000 DM, erhöht auf 60.000 DM durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990, BGBl. I, S. 2847 (2851). 157 Aufgehoben durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG) vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887 ff.); ein Verzicht auf eine Begründung ist nur noch insoweit möglich, soweit die Rüge von Verfahrensmängel außerhalb der absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO n. F. nicht für durchgreifend erachtet werden, § 564 ZPO n. F. 158 Eingeführt durch das Fünfte BVerfGG-Änderungsgesetz vom 2. August 1993 (BGBl. I, S. 1442 ff.); allerdings bestand seit jeher eine eingeschränkte Begründungspflicht im Falle der Nichtannahme, vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer (Hrsg.), § 93d (2001) Rn. 5. 159 Zuck, NJW 1997, S. 29 (30); gar für eine Rechtsstaatswidrigkeit des § 93d BVerfGG ders., BVerfGG, § 93d Rn. 9; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer (Hrsg.), Art. 93d (2001) Rn. 10, sieht hingegen die mögliche Nichtbegründung als von § 94 Abs. 2 GG gedeckt an und verweist zudem darauf, daß von der fakultativen Möglichkeit der Begründung durch die Senate „in beachtlichem Ausmaß“ Gebrauch gemacht werde (1. Senat: 36%, 2. Senat: 30% aller Nichtannahmebeschlüsse im Jahr 2000); zur Spezialfrage der Begründung von Entscheidungen des Sechser-Ausschusses nach § 14 Abs. 4 BVerfGG ausf. H. H. Klein, FS Steinberger, S. 505 ff. 160 Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (399); s. a. FN 151. 161 Siehe ausführlich J. Brüggemann, Begründungspflicht, S. 157 ff., der insbesondere aus Art. 103 Abs. 1 GG eine Begründungs- und Bescheidungspflicht des Gerichts herleitet sogar gegenüber dem Rechtsausführungen der Beteiligten, da anderenfalls das Grundrecht auf rechtliches Gehör „leerliefe“.

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die Auffassung, die im Wegfall der Begründungspflicht(en) einen „Wandel der Staatsform der Bundesrepublik“ zu erkennen glaubt162, wenn auch zutreffend die demokratische und rechtsstaatliche Bedeutung der Begründungspflicht für eine Selbstkontrolle der Gerichte, die Akzeptanz und Transparenz ihrer Entscheidungen, gerade der letztinstanzlichen, sowie die Ermöglichung einer Kontrolle durch die Wissenschaft betont wird163. 2. Die Beschränkung von Rechtsmitteln Der deutsche Gerichtsaufbau ist durch eine weitgehende Differenzierung der Rechtswege und Gerichtsbarkeiten gekennzeichnet, in denen jeweils – mit Ausnahme der Finanzgerichtsbarkeit164 – ein dreistufiger Instanzenzug mit zwei Tatsacheninstanzen und einer auf Rechtsfragen beschränkten Revisionsinstanz existiert. Dieser Grundsatz ist jedoch seit jeher durchbrochen: Neben den generellen gesetzlichen (§§ 543 ZPO165, 132 VwGO; 72 ArbGG, 160 SGG, 115 FGO) wie richterrechtlich geschaffenen166 Beschränkungen des Zugangs zu den Revisionsinstanzen bestand seit Inkrafttreten der ZPO und des GVG am 1. Oktober 1879167 bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des AG nur das Rechtsmittel der Berufung zum LG168 in Abhängigkeit vom Erreichen einer Berufungssumme (§ 72 GVG, § 511a ZPO), eine Revision war nicht zulässig (vgl. § 545 Abs. 1 ZPO a. F.). In der Strafgerichtsbarkeit ist bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des LG nur die Revision gegeben (§ 333 StPO), eine Berufung findet nicht statt (§ 312 StPO); letztere ist also nur gegen Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts gegeben, die zudem bei geringen Strafen der Zulassung bedarf 162 So der Titel des Beitrags von Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff.; kritisch aus Rechtsstaatsperspektive auch E. Schneider, ZIP 1996, S. 487; dagegen aus Sicht der praktischen Handhabung durch die Zivilsenate des BGH Schimansky, NJW 1994, S. 1774 f. War die Nichtbegründung anfangs noch die Ausnahme, auch wegen der gesetzlichen Erfordernisse und der vorherigen Mitteilung an den Beschwerdeführer (§ 132 Abs. 5 S. 2 VwGO a. F.), vgl. Weyreuther, Revisionszulassung, Rn. 251, so ist sie nun die Regel. 163 Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff.; ebenso Baudenbacher, Rechtsverwirklichung, S. 44 f. 164 Diesbezüglich forderte die Bundessteuerberaterkammer freilich gegen den hier dargestellten Trend eine zweite Tatsacheninstanz, s. Pressemitteilung, abgdr. in DStR 1987, S. 314. 165 Als reine Zulassungsrevision ausgestaltet und vom Streitwert abgekoppelt durch das ZPO-RG vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887 [1899]). 166 Siehe hierzu nur Dahs/Dahs, Revision, S. V: „Kein anderes Rechtsgebiet ist so sehr richterlich geprägt wie das Revisionsrecht. (. . .) Die Meßlatte für eine erfolgreiche Revision liegt auf fast olympischer Höhe. Bei nicht wenigen Praktikern der Strafrechtspflege erzeugt dieser Zustand, je nach Disposition, Resignation, ,Frust‘ oder Fatalismus.“ 167 RGBl. I, 1877, S. 41 ff., 83 ff. 168 Zur Neuregelung im ZPO-RG s. sogleich unten bei FN 189.

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(§ 313 StPO169). Klassische Dreistufigkeit bestand also seit ehedem nur, aber jedenfalls im Bereich der erst unter Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Prozeßordnungen für die Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit. Der Zugriff auf das Rechtsmittelrecht stand dem Gesetzgeber aus den genannten Gründen unbeschränkt offen, jedenfalls bei der Frage des „Ob“ eines Rechtsmittels. Soweit aber ein Rechtsmittel eröffnet ist, darf der Zugang nicht unzumutbar erschwert werden170. Eine Beschränkung oder Abschaffung von Rechtsmitteln gegen richterliche Entscheidungen war also generell möglich und wurde auch entsprechend genutzt. Dabei wählte man im wesentlichen das Instrument des Erfordernisses der Rechtsmittelzulassung, die dem Richter die notwendige Flexibilität zur Steuerung der Rechtsmittelquote und der dadurch entstehenden Belastung ermöglicht. In jeder gerichtlichen Verfahrensordnung finden sich mittlerweile solche Zulassungserfordernisse, jedoch in völlig unterschiedlicher Form. Während im Strafprozeß eine dort sogenannte „Annahme“ durch das LG171 als Berufungsgericht nur für Verurteilungen zu geringer Geldstrafe bzw. Freispruch bei entsprechend niedrigem Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich ist (§ 313 StPO172) und die Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) zulassungsfrei möglich bleibt173, bedarf es der Zulassung der Berufung durch die erstinstanzlichen Sozialgerichte (§ 144 SGG174) und das Arbeitsgericht nur bei geringen Streitwerten (§ 64 ArbGG); gleiches galt seit 1978 modifiziert durch das Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit175 und sodann das 4. VwGOÄndG176 auch für die Berufung im Verwaltungsprozeß (§ 131 VwGO a. F.). 169 Eingefügt durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (BGBl. I, 1993, S. 50 [51]). 170 BVerfGE 78, 88 (99), st. Rspr. 171 Die LG lehnen die Annahme in 90% aller Fälle ab, wobei die Erfolgsquote bei Anträgen der Staatsanwaltschaft immerhin 20% beträgt, s. Rieß, FS Kaiser, S. 1461 (1468, Fn. 39, 40). 172 Eingeführt durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I, S. 50 [51]). G. Werle, JZ 1991, S. 789 (791 f.), wertet dies als Radikalisierung der Tendenz zur „Entformalisierung des Strafverfahrens“, die zudem die Antragsteller zu „Bittstellern“ mache; Rieß, FS Kaiser, S. 1461 (1479), spricht bilanzierend von „gravierenden Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen Annahmeberufung“; zur rechtstatsächlichen Anwendung des § 313 StPO s. Rottleuthner, Entformalisierung, S. 101 ff. 173 Welche absurden prozeßrechtlichen Situationen dies im Falle gleichzeitiger Berufung eines anderen Rechtsmittelführers zeitigen kann, belegt eindrücklich MeyerGoßner, NJW 2003, S. 1369 ff., was eindeutig an der Unzulänglichkeit der Arbeit des Gesetzgebers liegt, der Beschleunigung als oberstes Ziel setzt und dabei selbst dokumentiert, daß schnelles Arbeiten zu handwerklichen Fehlern führt. 174 I. d. F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I, S. 50 [53]); s. auch Fn. 176. 175 Vom 5.4.1978, BGBl. I, S. 446 ff.

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Als besonders einschneidend erwies sich alsdann die radikale Rechtsmittelreform in der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das 6. VwGOÄndG177, die ab 1. Januar 1997 für jede Berufung und Beschwerde178 das Erfordernis ihrer vorherigen Zulassung einführte (§§ 124 f., 146 VwGO)179. Hier hatte das Asylprozeßrecht, das die Berufungszulassung bereits seit dem Jahr 1982 kennt (§ 32 AsylVfG 1982180, jetzt § 78 Abs. 2 S. AsylVfG 1992181) Pate gestanden – wie so oft, wenn es um Rechtsverkürzungen des Klägers geht182. Wie wirksam im Sinne einer Verfahrensreduzierung dieser Einschnitt in das hergebrachte Rechtsmittelsystem der VwGO war, belegt der radikale Rückgang der Berufungen183. Mittlerweile hat das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozeß (RmBereinVpG)184 die Beschwerde wieder zulassungsfrei ausgestaltet, jedoch mit einem verschärften Begründungserfordernis versehen185 und insoweit § 86 Abs. 1 VwGO außer Kraft gesetzt. Das Instrument der Zulassungserfordernisse hielt auch verstärkt Einzug in die ZPO durch das ZPO-RG. Wurde es bis dahin nur für die Revision unterhalb der dort geltenden Streitwertgrenze angewandt, ist seine Anwendung erweitert. Die „kapitalistische“ Streitwertrevision gegen Berufungsurteile entfällt, hingegen wird die Zulassung an das Erfordernis einer Grundsatzentscheidung, der Rechts176 Vom 17.12.1990, BGBl. I, S. 2809 ff.; die Nichtzulassung konnte hier gem. § 131 Abs. 5 VwGO angefochten werden, gleiches gilt noch heute gem. § 145 SGG in der Sozialgerichtsbarkeit. 177 Vom 1.11.1996 (BGBl. I, S. 1626 ff.); laut Meissner, FS 100 Jahre Sächs. OVG, S. 337 (347), die „schwerwiegendsten Eingriffe in das Verwaltungsprozessrecht seit dem Inkrafttreten der VwGO“. 178 Auch in bezug auf die Gewährung von Prozeßkostenhilfe, was auf besondere Kritik stieß und auch vom Gesetzgeber zur Kenntnis genommen wurde, vgl. BT-Drs. 14/7744, S. 3; zur allgemeinen Kritik etwa Mayer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, § 146 (1997) Rn. 21. 179 Bertrams, NWVBl. 1999, S. 245 (246 f.), spricht von einer „Rechtswegsperre“. 180 I. d. F. des Gesetzes zur Regelung des Asylverfahrens (AsylVfG) vom 21.7.1982 (BGBl. I, S. 946 [951]). Damals war über die Zulassung noch vom iudex a quo zu entscheiden mit der Möglichkeit einer NZB zum OVG/VGH. 181 Noch knapp sechs Jahre zuvor gab der damalige Präsident des BVerwG „Brief und Siegel“, daß eine Zulassungsberufung, für die er eintrete, nicht zu erreichen sei, vgl. Sendler, DRiZ 1991, S. 111 (111). 182 Siehe auch oben FN 118. 183 Wobei die hierfür ursächliche rigide Zulassungspraxis der OVG/VGH diesen die personellen Konsequenzen in Form von Stellenkürzungen als notwendige und „verdiente“ Folge brachte, vgl. Millgramm, SächsVBl. 2003, S. 104 (106); zur „Verabschiedung“ des XI. Zivilsenats des BGH aus der Rechtspraxis durch seine Zulassungsrechtsprechung s. Nasall, NJW 2003, S. 1345 (1347 f.). 184 Vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3987 ff.); mit diesem „Abkürzungsungetüm“ scheint der Konkurrenzkampf zwischen BMJ und BMVg endgültig entbrannt zu sein, s. hierzu Buhrow, FestG Rieß, S. 11 (12 f., Fn. 8, 11, 12); ein nicht-amtlicher Versuch in diese Richtung ist zu finden bei Peters, VÄndVVÄndVVV, JZ 2003, S. 90. 185 Siehe M.-J. Seibert, NVwZ 2002, S. 265 (268 f.).

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

fortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsordnung186 geknüpft; gleiches gilt für die Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO n. F.). Insgesamt wurde der Zugang zur Rechtmittelinstanz verstärkt an bestimmte materielle Voraussetzungen mit Bezug zu den Erfolgsaussichten geknüpft. Diese wurden gleichzeitig nur durch Generalklauseln umschrieben, deren Ausfüllung dann den (Rechtsmittel-)Gerichten obliegt. Daher entscheidet vermehrt nicht mehr der Gesetzgeber über das Rechtsmittelrecht, sondern die Richter selbst187. 3. Trotz Indizien keine Trendwende Ein erster Blick in das ZPO-RG oder auch das RmBereinVpG legt den Eindruck nahe, der Gesetzgeber habe seine Beschränkungsstrategie geändert. Dies ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, wenn man etwa die erweiterten Hinweis- und Dokumentationspflichten des Zivilrichters in § 139 ZPO n. F.188 oder auch die neu eingeführte Verfahrensrüge in § 321a ZPO berücksichtigt. Erst recht gilt dies für die Beseitigung des „kleinen Reichsgerichts“ durch Einführung der Revision auch gegen Berufungsurteile des LG (§ 542 ZPO)189, über dem sich mehr als 120 Jahre nur der „blaue Himmel“ wölbte, und die (allerdings nicht mit Rechtsmitteln erzwingbare) Möglichkeit der Berufungszulassung selbst bei Nichterreichen der zudem abgesenkten Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Diese gesetzgeberischen Entscheidungen laufen den zuvor dargestellten Strategien ebenso entgegen wie die Erleichterung der Beschwerde im Verwaltungsprozeß durch die Abschaffung des diesbezüglichen Zulassungserfordernisses (Wegfall des § 146a VwGO) und der – jedoch ohnehin kaum genutzten – Aussetzungsbefugnis des Gerichts zur Heilung von Verfahrensmän-

186 Worunter auch die Korrektur grob fehlerhafter Entscheidungen fallen soll, vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/4722, S. 104; in diese Richtung im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG jetzt auch BGH, NJW 2002, S. 1389 und S. 2957; allgemein zur Auslegung der Zulassungsgründe s. BGH, NJW 2002, S. 3029 ff.; NJW 2003, S. 65 ff., krit. zu dieser restriktiven Interpretation des XI. Senats, der ansonsten eher als „menschenfreundlich“ bekannt war (vgl. Knieper, KJ 25 [1992], S. 337 [342 f.]), Scheuch/ Lindner, NJW 2003, S. 728 ff.; gar eine Änderung der Rechtskultur durch diese Entscheidung sieht Schlosser, JZ 2003, S. 266 ff. Krit. zur Zulassungspraxis in einem analysierenden Überblick Nasall, NJW 2003, S. 1345 ff.; v. Gierke/Seiler, JZ 2003, S. 403 ff. 187 So die zutreffende Analyse von Nasall, ZRP 2004, S. 164 (169). 188 Deren Abschaffung allerdings schon von den Ländern geplant wird, vgl. Beschluß zu TOP 1.7 der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister am vom 14.11.2002; zum Gesetzentwurf s. BR-Drs. 911/02. 189 Noch 1910 meinte das OLG Bamberg (JW 1910, S. 688 [689]) eher belustigt angesichts des Einwands einer Partei gegen die Zulassung einer außerordentlichen Anfechtung eines Urteils, „dies eröffne die Perspektive“ der Revisibiliät von AG-Urteilen (vgl. dazu Wax, FS Lüke, S. 941 [941 ff.]): dies sei „wohl nicht ernst gemeint“. Immerhin dauerte es über 90 Jahre, bis es „ernst“ wurde.

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geln durch die Verwaltung oder auch die dem Bedürfnis der Praxis entsprechende190 Verlängerung der zuvor stark verkürzten Begründungsfristen. Dennoch kann von einer gesetzgeberischen Trendwende auch in neuerer Zeit nicht gesprochen werden. Zum einen setzt das ZPO-RG die bisherige Strategie in allen aufgezeigten Feldern fort oder verstärkt sie noch, indem bisherige punktuelle Einschränkungen auf das allgemeine Prozeßrecht ausgedehnt werden (s. etwa den Wegfall der Begründungspflicht des bisherigen § 495 Abs. 2 ZPO a. F. oder das bisherig nur auf die Revision unterhalb des Streitwerts beschränkte Zulassungserfordernis bei Rechtsmitteln191). Zum anderen sind die gegenläufigen Entscheidungen zu marginal, um eine Umorientierung des Gesetzgebers zu belegen oder den Charakter des Gesetzes zu bestimmen. Dies gilt vor allem deshalb, weil sie in ihrer erweiternden Tendenz nicht konsequent genug erscheinen. So ist die Wirkung der Revisibilität auch von AG-Urteilen durch das Zulassungserfordernis beschränkt, ebenso die nicht überprüfbare Berufungsoption unterhalb der Streitwertgrenze. Ambivalent ist auch die Verfahrensrüge gem. § 321a ZPO192, die – augenscheinlich bisher verfassungswidrig193 – das Ende der (wenn auch ohnehin sehr beschränkten) außerordentlichen Beschwerde für den Bereich der ZPO194, dann im Verwaltungsprozeß195 sowie 190

M. Redeker, NordÖR 2002, S. 183 (185). Der mit der Abschaffung der kapitalistischen Streitwertrevision verbundene sozialpolitische Aspekt, daß nicht nur vermögende Revisionskläger, deren aufgeworfene Rechtsfrage zumeist keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat, Zugang zum BGH eröffnet wird, soll hier nicht unterbewertet werden, vgl. hierzu die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 14/4722, S. 65 ff. 192 Deren Ausdehnung auf alle Verfahrensordnungen infolge BVerfGE 107, 395 ff., durch das „Anhörungsrügengesetz“ vom 9.12.2004 (BGBl. I, S. 3220; dazu etwa Treber, NJW 2005, S. 97 ff.; Guckelberger, NVwZ 2005, S. 11 ff.) erfolgt ist. Krit. dazu mit überzeugendem Hinweis auf den damit verbundenen Schaden für das Grundrecht auf rechtliches Gehör Nasall, ZRP 2004, S. 164 (167 f.). 193 Denn der Plenarbeschluß in BVerfGE 107, 395 ff., sowie in seiner Folge BVerfGE 108, 341 (350), hatten in der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung spätestens zum 31.12.2004 die „bisherige Rechtslage“ nur „unter Einschluß der von der Rechtsprechung entwickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe hingenommen“ (Hervorh. nicht im Original). 194 BGHZ 150, 133 ff.; dazu Lipp, NJW 2002, S. 1700 (1701); konsequent fortgeführt auch für greifbar gesetzwidrige Entscheidungen in PKH-Verfahren mit ausdrücklichem Verweis auf die Option der Gegenvorstellung BGH, NJW 2003, S. 3137 f. Die Obergerichte der Zivilgerichtsbarkeit sind dem weithin gefolgt, vgl. die umfass. Nw. bei Kutsch, NVwZ 2003, S. 956 (956, Fn. 6); zumindest offenlassend aber noch OLG Zweibrücken, NJW 2002, S. 2722; zu den VGH/OVG s. FN 136. Sogar die eigenmächtige „Protokollberichtigung“ gem. § 164 ZPO durch das Gericht soll gänzlich unanfechtbar sein, selbst wenn damit ein protokollierter Vergleich zwischen den Parteien inhaltlich verändert wird, so zu weitgehend BGH, FamRZ 2004, S. 1637 (nur LS). 195 BVerwG, NJW 2002, S. 2657, im Anschluß an BGHZ 150, 133 ff.; s. hierzu unter Berücksichtigung der ZPO-Reform, aber noch ohne Berücksichtigung der BVerwG-Entscheidung Kopp/Schenke, Vorb § 124 Rn. 8a f.; informativ, aber überholt nunmehr auch die Systematisierung von Kraheberger, DÖV 2002, S. 19 ff.; ebenso, 191

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im finanzgerichtlichen Verfahren196 herbeigeführt hat. Hinzu kommt, daß neue (Revision gegen AG-Urteil) oder umgestaltete (Rechtsbeschwerde) Rechtsmittel im Ergebnis zugangshemmend beim BGH konzentriert worden sind, wozu es der Beauftragung eines Anwalts beim BGH bedarf197. Der Gesetzgeber ist folglich auch in neuerer Zeit seinen Grundsätzen treu geblieben. 4. Summe der Gesetzesänderung Die vorstehende Zusammenfassung erweckt den Eindruck „einer gewissen Wildwüchsigkeit der Entwicklung“198 und verdeutlicht trotz der erkennbaren Gemeinsamkeiten in den einzelnen Vorschriften, daß dem Gesetzgeber eine einheitliche Strategie fehlt und er die Wirksamkeit seiner jeweiligen aktuellen Konzepte überschätzt, aber auch die Realitäten falsch beurteilt hat199. Er war nicht einmal daran interessiert, ob die eingeführten Beschleunigungsinstrumente in dieser Hinsicht Wirkung zeigten200. Kaum war eine Vereinfachung oder Beschleunigung verabschiedet, stand schon die nächste auf der Tagesordnung, weil die vorherige – angeblich – nicht ausreichte201. Dies gilt vor allem für das beaber noch tiefergehend T. I. Schmidt, NVwZ 2003, S. 425 ff., der die neueste Entwicklung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch unerwähnt läßt (dazu mit Recht krit. Kutsch, NVwZ 2003, S. 956 f.); nicht mehr aktuell auch Wax, FS Lüke, S. 941 (941), der allerdings noch meinte, es mache keinen Sinn, die Eliminierung der außerordentlichen Beschwerde aus der forensischen Praxis zu fordern, da jeder Versuch, sie aus dem Gesamtsystem der Rechtsmittel zu entfernen, so wenig erfolgversprechend sei, daß sich die Mühe nicht lohne (ebd., S. 943). Neben der Sendlerschen (oben FN 181) eine weitere „Fehleinschätzung“, die in ihrem widerlegten Grad an sicherer Überzeugung belegt, daß hinsichtlich Justiz und Verfahrensrecht nichts mehr sicher ist (s. a. FN 189). 196 BFH, NJW 2003, S. 919 f., ebenfalls ausdrücklich im Anschluß an BGHZ 150, 133 ff., und BVerwG, NJW 2002, S. 2657; einschränkend jüngst aber BFH, NJW 2004, S. 2854 (2855). Allerdings erscheint die Erhöhung des § 321a ZPO zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz überzogen (zutr. krit. daher Deubner, JuS 2002, S. 899 [902]); vgl. aber zur Kreation eines diesbezüglichen Rechtsgrundsatzes BVerfGE 107, 395 (410 f.), und in dessen Folge die Vorbildlichkeit des § 321a ZPO für alle Verfahrensordnungen im Rahmen des Anhörungsrügengesetzes vom 9.12.2004 (BGBl. I, S. 3220 ff.), dazu Treber, NJW 2005, S. 97 ff.; Guckelberger, NVwZ 2005, S. 11 ff. 197 Siehe für die Rechtsbeschwerde BGH, NJW 2002, S. 2181 f. 198 So pointiert Baudenbacher, Rechtsverwirklichung, S. 37. 199 So wurde der „außerordentliche Entlastungsbedarf“ der Sozialgerichtsbarkeit am 27.9.1991 noch als nur „vorrübergehend“ qualifiziert (s. BT-Drs. 12/1217, S. 71) und entsprechend der Gerichtsbescheid nur befristet, dann aber auf Dauer eingeführt (vgl. oben FN 101). Im Bereich des Zivilprozeßrechts fehlte es bei fast allen Änderungen an einer genügenden Begründung des Handlungsbedarfs in Form einer klaren Analyse der Realitäten, vgl. Köster, Beschleunigung II, S. 839 ff. 200 So die Erkenntnis von Rottleuthner, Jahrhundertgesetze, S. 86 (88), zur ZPOVereinfachungsnovelle von 1977; ebenso Köster, Beschleunigung II, S. 861 ff. („Erfolgskontrolle als Ausnahme“). 201 So auch E. Schneider, MDR 1996, S. 865 (865).

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sondere202 und allgemeine Verwaltungs-203 sowie das Strafprozeßrecht204, aber auch die ZPO205: Man stellte nach kurzer Zeit fest, daß die gewünschte „Entlastung“ nicht eingetreten ist206 – im Gegensteil: Etwa die durch das ZPO-RG eingeführte Rechtsbeschwerde zum BGH hat hier zu einem „Missstand“207 im Sinne einer „unerträglichen Belastung“208 statt der gewollten Entlastung209 geführt, so daß in 2003 weitere finanzielle Mittel für den BGH bereitgestellt werden mußten210. Soweit darin nicht einfach eine völlig Unkenntnis des Gesetzgebers von den empirischen Grundlage der Rechtsprechungstätigkeit zu sehen ist, scheinen Änderungen der Verfahrensgesetze ungeeignet, Beschleunigungen der Verfahren zu erreichen211 – jedenfalls instanzenintern. Die Abschaffung von Rechtsmitteln oder die Behinderung des Zugangs zu ihnen ist insofern natürlich erfolgreich, weil so die Endgültigkeit der Entscheidung eher herbeigeführt werden kann, was die Gesamtverfahrenslänge als solche verkürzt. Vor allem aber zeigt sich eine Gemeinsamkeit, die die Einseitigkeit des Vorgehens belegt: Alle Initiativen des Gesetzgebers richteten sich gegen die Betei202 Siehe Felix, NJW 1992, S. 217 (219): spezielle und stetige „BFH-EntlastungsGesetzgebung“. 203 Besonders deutlich wird dies an den beiden Gesetzen zur Beschleunigung des Asylverfahrens: das eine trat am 1.8.1978 in Kraft, der erste Entwurf eines zweiten datiert vom 16.11.1979 (s. o. FN 77, 78); entsprechend wirkt das 4. zum 6. VwGOÄndG: Lehnte die Reg.-Begr. des ersteren eine allgemeine Zulassungsberufung zum 1.1.1991 noch als mit nur einem allenfalls sehr geringen Entlastungseffekt verbunden ab (s. BT-Drs. 11/7030, S. 19), hielt sie es in der Begründung zum zweiten am 19.1.1996 (BR-Drs. 30/96, S. 33 f.) für das richtige Mittel. 204 Hierauf weist ausdrücklich Meyer-Goßner, NJW 1993, S. 498 (501), hin, der noch in seiner Besprechung zum StrafverfahrensänderungsG 1987 (NJW 1987, S. 1161 [1169]), für die nächsten Jahre keine weiteren erheblichen Änderungen erwartet hatte und sich durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993 (und wohl auch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz) eines Besseren belehrt sehen mußte. 205 Vgl. Rudolph, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 151 ff.; und hier mit „demselben, seit hundert Jahren erfolglosen Muster“, so E. Schneider, MDR 1996, S. 865 (865). 206 So für den Strafprozeß ausdrücklich Laufhütte, DRiZ 1995, S. 141 (141), unter Bezugnahme auf die gleichsinnige Entschließung der OLG-Präsidenten und des BGHPräsidenten, abgedr. in DRiZ 1994, S. 320; für die Annahmeberufung im Strafprozeß so Rieß, FS Kaiser, S. 1461 (1479); Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 19, geht immerhin davon aus, daß die Beschleunigungsgesetze wenigstens „Ärgeres verhütet“ hätten. 207 Kreft, ZRP 2003, S. 77 (78); krit. dagegen Kreß, ZRP 2003, S. 425 f. 208 Büttner, BRAK-Mitt. 2003, S. 202 (203); ebenso krit. Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 19. 209 Vgl. nur BT-Drs. 14/4722, S. 66. 210 Vgl. Antwort des Parl. Staatssekretärs im BMJ, BT-Drs. 15/512,14 f.: 2,055 Mio. Euro mehr Personalansätze als in 2002, die kw-Vermerke zweier R6-Stellen wurden auf den 31.12.2004 verschoben, zudem wurde ein IXa-Senat zusätzlich geschaffen; auch die Revisionen einschließlich Nichtzulassungsbeschwerden stiegen um 7,7%. 211 Weth, FS Lüke, S. 960 (960); Leisner, Letztes Wort, S. 259 ff.

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ligten, insbesondere die Kläger, Antragsteller oder Angeklagten und ließen die Gerichte und ihre Richter bei den „Belastungen“ – unbeabsichtigte Ausnahme aber augenscheinlich der BGH212 – außen vor213. Letzteren wurden hingegen weitere Handlungsspielräume gewährt und Verpflichtungen genommen214. Sieht man im 1. StVRG von 1974 den Beginn einer Vereinfachungs- und Beschleunigungsgesetzgebung215 vor dem Hintergrund des eben aufgezeigten Charakters dieser legislativen Tätigkeit, läßt sich eine fast dreißigjährige Tradition des Rechts(schutz)abbaus in der Bundesrepublik diagnostizieren. Doch das hat deutsche Tradition: ZPO und GVG wurden bis zum Jahr 1993 mittels 62 Gesetzen geändert mit dem Ziel, die Zivilprozesse zu beschleunigen und die Zivilgerichte zu entlasten216. Für die VwGO und das Strafverfahrensrecht gilt ähnliches: Bis 1980 erfuhr die VwGO 30 Änderungen217; von 1984 und 1997 ergingen über 30 ändernde Gesetze bezüglich der StPO und mehr als 20 das Strafprozeßrecht des GVG betreffende Änderungen218; das GVG wurde von 1994 bis 2003 über 30 Mal verändert219. Nahezu alles geschah mit dem Ziel der Verkürzung gerichtlicher Verfahren und der Verringerung der Belastung der Gerichte und damit der Richter. Die Rechtsprechung sollte funktionsfähig erhalten werden auf Kosten dessen, für den sie existiert. In gewisser Weise grotesk wirkt daher die in nahezu jedem Gesetzentwurf enthaltene Behauptung, die jeweils vorgeschlagene Reform verbessere den Rechtsschutz des Bürgers220. Richtig ist dabei sicherlich, daß nur eine funktionsfähige Justiz überhaupt in der Lage ist, Rechtsschutz zu gewährleisten; und je besser sie funktioniert, desto besser er212

Siehe FN 210. Ebenso H.-G. Kirchhof, BRAK-Mitt. 2000, S. 14 (15); E. Schneider, MDR 1996, S. 865 (869); auch J. Schmidt, VBlBW 2000, S. 53 (54), sieht eine Belastung des Rechtssuchenden durch den Gesetzgeber, die noch durch die Oberwaltungsgerichte durch die restriktive Praxis der Berufungszulassung verschärft werde. 214 So auch Rottleuthner, Jahrhundertgesetze, S. 86 (87), angesichts der ZPO-Vereinfachungsnovelle von 1977. Entsprechend hoch ist auch die Zustimmung der Richterschaft zu den Gesetzesänderungen, insbesondere im Hinblick auf die Einführung der Zulassungsberufung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dies gilt laut Meier, NVwZ 1998, S. 689 (691), auch die für Richter der ersten Instanz, die gar eine „restriktive Zulassungspraxis“ favorisieren; entgegen seiner Auffassung dürfte die Ursache hierfür nicht (nur) darin liegen, daß damit dem gesetzgeberischen Willen entsprochen wird. Vielmehr sinkt damit die Kontrolle und Aufhebungsquote ihrer eigenen Entscheidungen. 215 So Schroeder, Strafprozeßrecht, Rn. 39, für das Strafprozeßrecht; wie gezeigt, gilt dies auch für die übrigen Verfahrensordnungen. 216 Einschließlich des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I, S. 50), vgl. Köster, Beschleunigung I, S. 46–66, mit einer Auflistung. 217 Meissner, FS 100 Jahre Sächs. OVG, S. 337 (338). 218 Hettinger, Entwicklungen, S. 2. 219 So Schilken, Gerichtsverfassung, S. V, zur Entwicklung zwischen der zweiten und dritten Auflage seines Lehrbuches. 220 So etwa für das 6. VwGO-ÄndG, vgl. BT-Drs. 13/3993. S. 2, 9. 213

III. Die Entfesselung der Dritten Gewalt

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weist sich auch der Rechtsschutz. Gleichwohl darf nicht vergessen werden, daß es für guten oder „besseren“ Rechtsschutz nicht ausreicht, in irgendeiner Form und in einem irgendwie ausgestalteten Verfahren ein Gericht anrufen zu können. Entscheidend kommt es darauf an, seine „Sache“ zu Gehör bringen und seine Rechtsansprüche, um die es jeweils geht, durchsetzen zu können. Fehlt es hieran, „funktioniert“ vielleicht der Gerichtsapparat in formaler Hinsicht. Rechtsschutz findet jedoch nicht statt221. Angesichts der erzielten, bescheidenen Ergebnisse222 steht der Gesetzgeber vor der erfolglosen „unendlichen Geschichte‘ der Entlastungsgesetze“223. Er hat fast 30 Jahre lang224 reformiert, entlastet und beschleunigt, ohne daß sich spürbare Verbesserungen bilanzieren ließen. „Änderungen des Verfahrensrechts, der Gerichtsorganisation und der Personalvermehrung haben bisher keine durchschlagenden Erfolge gebracht“ – diese Erkenntnis stammt aus dem Jahr 1977225, hat aber weitere erfolglose Jahrzehnte nicht verhindern können. Aus alledem lassen sich zwei entscheidende Schlußfolgerungen ziehen: 1. Der Gesetzgeber hat die Richter zu Lasten der Rechtssuchenden schrittweise von Bindungen befreit und die Verfahrensgestaltung in ihr Ermessen gestellt. Damit wurde der Bereich der absolut bestimmten Rechtsrichtigkeit als greifbare Grenze exekutiver Richterbeeinflussung fortwährend verkleinert. 2. Entscheidende, bisher ungenutzte Potentiale zur Justizentlastung liegen (allein) in der „Modernisierung“ der inneren Organisation der Gerichte226. 221 Dies bestätigt im Ergebnis die Kritik von Ostermeyer, Zeitbombe, S. 113: „Der Apparat muß funktionieren, möglichst glatt und schnell, mit möglichst wenig Aufwand muß möglichst viel erreicht werden. (. . .) Nicht der gewissenhafte kritische Richter ist ein guter Richter, sondern der schnelle, der den größten Urteilsausstoß hat. (. . .) Der Apparat braucht ihn nicht, er braucht eine auswechselbare Justizameise. Und die hat er, denn es gibt kaum einen Richter, der nicht ständig seine Urteile zählt.“ (Hervorh. im Original); ähnlich Dinslage, NJW 1966, S. 1254 (1255): „(. . .) drängen den Richter in die Rolle eines Objekts mit der einzigen Aufgabe zu funktionieren.“ Bäumer, FS Schmid, S. 199 (203), berichtet, daß er als Richter gleich zu Beginn seiner Tätigkeit „mit der überragenden Bedeutung der Erledigungsziffern bekannt gemacht“ worden sei. Ebenso Bilsdorfer, NJW 1999, S. 3096: „Wo der ,Output‘ stimmt, verliert alles andere an Bedeutung.“ 222 Ebenso Boysen, DuR 19 (1991), S. 381 (381). 223 O. Verf., DRiZ 1997, S. 133 (133). 224 Vgl. zum ursprünglichen Provisorium VwGO Schmieszek, FestG Rieß, S. 56 (56), der seit 1968 die identischen Schwerpunkte der Diskussion, insbesondere die Überlastung, ab 1991 aber eine Akzentverschiebung in den Zielen der Reformen ausmacht von den tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Bedürfnissen der Gerichtsbarkeit (sic!) hin zu aktuellen Einspargesichtspunkten und der sogenannten Standortdiskussion. 225 Dotterweich/Weihermüller, DSWR 1977, S. 343 (343); zum inhaltlich selben Resümee kommt 23 Jahre später auch Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (451).

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Diese zu nutzen, bevor weitere Einschränkungen des Rechtsschutzes als verfassungsrechtlichem Zielwert vorgenommen werden, ist mehr als eine politische Pflicht227, sondern verfassungsrechtlich geboten. Denn die richterliche „Amtspflicht zur effektiven Justizgewähr besteht auch unter Bedingungen des Mangels.“228 Daher folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG der Anspruch des Bürgers, solange von der Einschränkung prozessualer Rechte verschont zu bleiben, bis die (Verwaltungs-)Richterschaft ihre eigenen Reserven ausgeschöpft hat229. Zudem hat die Richterschaft „ihre Mitverantwortung für den Zustand ihrer Überlastung“ zu erkennen und zu akzeptieren230.

IV. Der notwendig umgekehrt proportionale Bestimmtheitsgrad von richterlicher Freiheit und Einflußermächtigungen der Rechtsprechungsverwaltung Die Rechtsrichtigkeit als Schranke exekutiver Rechtsprechungssteuerung wurde schon unter abstrakter Betrachtung in Frage gestellt. Dieser Befund ist nun auch konkret belegt und damit bestätigt worden durch die Systematik der Prozeßrechtsgesetzgebung der letzten Jahrzehnte, so daß man nicht umhin kommt festzustellen, daß die Durchführung und Entscheidung jedes Gerichtsverfahrens potentiell in weitem Umfang dem (mittelbaren) Zugriff der Exekutive offensteht. Die Freiheit des Richters bestimmt zugleich das „Operationsfeld“ der Rechtsprechungsverwaltung. Dieses Ergebnis ist zunächst bezüglich der Richter unproblematisch: Die Lockerung ihrer Gesetzesbindung ist im Hinblick auf Art. 92, 97 GG jederzeit zulässig; wo kein Gesetz, da eben Unabhängigkeit. Bezüglich der damit verbundenen Macht der Exekutive bietet sich jedoch ein gänzlich anderes Bild; von rechtsstaatlicher Problemlosigkeit kann hier keine Rede sein, was spätestens mit der oben getroffenen Feststellung der extremen gesetzlichen Unterbestimmtheit der Rechtsprechungsverwaltung nicht mehr bestritten werden kann. Zugespitzt ergibt sich nämlich folgende Situation:

226 Dies ist das Ergebnis der Strukturanalysen der Rechtspflege, vgl. LeutheusserSchnarrenberger, NJW 1995, S. 2441 (2447). 227 So tendenziell auch Hoffmann-Riem, JZ 1997, S. 1 (8). 228 U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (148); sinngleich Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (120). 229 Hoffmann-Riem, JZ 1997, S. 1 (8); ders., SchlHA 1998, S. 125 (127), bezieht dies auch auf das Verhältnis von Richtern/Gerichten zum Haushaltsgesetzgeber: Forderungen nach mehr Geld erst nach Ausschöpfung der Binnenresourcen legitim. Auch individuell scheint bei Richtern noch Spielraum für Mehrleistung zu sein, erwies sich doch deren Burnout-Syndrom als relativ niedrig, vgl. Wegener u. a., MedReview 1/ 2000, S. 17 ff. Dazu mit Relativierungsversuchen Hirth, MHR 2/2000, S. 23 f. 230 Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (247).

IV. Der Bestimmtheitsgrad richterlicher Freiheit und Einflußermächtigungen 303

1. Die vergrößerte Entscheidungsfreiheit des Richters reduziert seine Gesetzesbindung. 2. Die Rechtsprechungsverwaltung basiert auf einer ohnehin schon schwachen gesetzlichen Determinierung. 3. Dem infolge der ersten beiden Komponenten wachsenden Einfluß der Exekutive auf die Rechtsprechung fehlt nahezu jede gesetzliche Grundlage. So kommt es zu einer Kumulation von drei gleichgerichteten Komponenten, deren Ergebnis die weitgehende Freistellung der Rechtsprechungsorganisation vom Einfluß des Gesetzgebers darstellt. Man wird nicht so weit gehen können, das Innere der Gerichte als gesetzesfreien Raum zu bezeichnen. Gleichwohl erschreckt das dort vorherrschende Maß an gesetzesungebundener Handlungsfreiheit der Akteure. Während dies hinsichtlich der Richter aus demokratischen Erwägungen heraus nur schwerlich hinnehmbar erscheint, muß es aus rechtsstaatlichen Gründen als verfassungsrechtlich unannehmbar bezeichnet werden. Denn selbst dann, wenn man für den Bereich der Staatsorganisation die Geltung des Gesetzesvorbehalts ablehnen sollte, kann der Befund angesichts des Art. 97 Abs. 1 GG nur die Verfassungswidrigkeit sein. Denn die mangels ausreichender gesetzlicher Bindung bestehende Handlungsfreiheit der Exekutive in den Gerichten, verbunden mit den Durchsetzungsmitteln der hier bestehenden Hierarchiestruktur, unterwirft den Richter zwangsläufig auch den Wünschen und Forderungen der Exekutive anstelle des (fehlenden) Gesetzes oder zumindest zusätzlich zum Gesetz. Genau dies aber ist es, was durch Art. 97 Abs. 1 GG verhindert werden soll. Diese weitgehende Gesetzesungebundenheit geht in ihrer rechtsstaatlichen Bedeutung aber weit über den Bereich der Staatsorganisation hinaus. Denn hinter der gesamten Gerichtsorganisation und ihren rechtsdogmatischen Grundlagen stehen letztlich die Grundrechtsträger des Art. 19 Abs. 4 GG bzw. des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs; dessen Erfüllung steht und fällt mit dem von der Exekutive unabhängigen Richter. Wo kein unabhängiger Richter existiert, gibt es auch kein Gericht; und wo kein Gericht besteht, bleibt der Anspruch auf Rechtsschutz unerfüllt. Daher schlägt die kumulierte Freistellung von der Gesetzesbindung der innergerichtlichen Handlungen direkt auf den einzelnen Grundrechtsträger durch und verschärft das rechtsstaatswidrige Urteil des Betrachters. Die Konsequenz kann daher nur eine sein: Der Gesetzgeber muß sein defizitäres Vorgehen beenden und die Akteure an die Kandare nehmen. Rein konstruktiv ließen sich zwei Wege beschreiten: Es könnte erwogen werden, die gesetzliche Bestimmtheit richterlichen Handelns (wieder) zu erhöhen, womit die Grenze der Rechtsrichtigkeit auch für die richterliche Entscheidung greifbarer gemacht würde. Doch ist dies letztlich mehr als unrealistisch. Denn zum einen hat sich die gegenläufige Entwicklung der vergangenen 30 Jahre als derart mas-

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

siv erwiesen, daß eine wirksame Umkehr politisch keinesfalls zu erwarten sein wird. Zum anderen blieben selbst dann die abstrakten Einwände gegen die Effektivität dieser Grenze übrig angesichts der Widerlegung des Subsumtionsdogmas. Daher kann der rechtsstaatswidrige status quo nur durch eine Erhöhung der gesetzlichen Determinierung der Rechtsprechungsverwaltung beseitigt werden. Spricht hierfür schon der Zustand ihrer mangelnden Bestimmtheit, gemessen am Maßstab der Art. 97 Abs. 1, 98 Abs. 1, 3 GG, so gilt dies erst recht infolge zunehmender Freiheit des Richters bei der Entscheidung(sfindung). Je mehr der Gesetzgeber die Gesetzesbindung der Richter lockert und ihre Handlungen damit potentiell dem Einfluß der Rechtsprechungsverwaltung preisgibt, desto größer sind die Anforderungen an die Aktualisierung des Gesetzesvorbehalts für deren Einflußmöglichkeiten. Und weil die Richter in solch großem Maß freigestellt worden sind, verdichten sich die Bestimmheitserfordernisse hinsichtlich der Gerichtsorganisation zu einem strikten Vorbehalt des formellen Gesetzes für das Handeln der Rechtsprechungsverwaltung, die jede Maßstabssetzung durch die Exekutive für die Richter verfassungswidrig macht, solange eine ausdrückliche Ermächtigung des formellen Gesetzgebers fehlt.

V. Die Erforderlichkeit einer „begrenzten Einzelermächtigung“ Mit der Zuweisung der Aufgabe „Rechtsprechungsverwaltung“ an die Exekutive ist – in Anlehnung an polizeirechtliche Dogmatik – ein Schluß auf die Befugnis nicht automatisch zulässig231. Die Rechtsposition des Richters bleibt angesichts der lex specialis Art. 97 Abs. 1 GG gegen exekutive Eingriffe abgeschirmt und kann nur mit gesetzgeberischer Ermächtigung eingeschränkt werden. Dies gilt auch dann, wenn man in der Rechtsprechungsverwaltung die Schaffung der unverzichtbaren Voraussetzungen von Rechtsprechung sieht. Dann könnte man zwar meinen, daß derjenige, der für die Verwaltung zuständig ist, auch die damit notwendig verbundenen Beschränkungen für die Richter erzeugen dürfte. Gleichwohl kann dies ebenso wenig gelten wie die Zulässigkeit einer materiellen Aufwertung bloß formeller Kompetenztitel des Grundgesetzes zu Eingriffsermächtigungen in Grundrechte232. Zumal die Kompetenzzuweisung der Rechtsprechungsverwaltung im Gegensatz zu den Katalogen der Art. 73 ff. GG auf einfachgesetzlicher Ebene erfolgt und damit der Exekutiv-Ausschlußklausel des Art. 97 Abs. 1 GG ohnehin nicht auf normhierarchischer „Augenhöhe“ entgegentreten kann, so daß hier auch nicht der Topos der „Einheit der 231

Vgl. Gusy, PolR, Rn. 11 ff., 168. Vgl. krit. dazu Selk, JuS 1990, S. 895 ff.; das BVerfG hat dies freilich partiell angenommen, vgl. etwa BVerfGE 28, 243 (261). 232

V. Die Erforderlichkeit einer „begrenzten Einzelermächtigung‘‘

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Verfassung“233 der Aufgabenzuweisung zugleich die Befugnisgrundlage „mitgeben“ könnte. Dabei wird man einen der Exekutive gesetzgeberisch gewährten Spielraum für diese Maßstabsetzung nur ausnahmsweise und in engen Grenzen zulassen dürfen. Im wesentlichen muß die Exekutive auf den reinen Vollzug des verfassungsrechtlich notwendig (Art. 98 Abs. 1, 3; 97 Abs. 1 GG) detaillierten gesetzgeberischen Willens beschränkt bleiben. Die bloße Funktion als Mund des Gesetzes, wie sie Montesquieu den Richtern zugedacht hat, gebührt unter dem Grundgesetz der Rechtsprechungsverwaltung. Die Notwenigkeit hierzu wird an den NSM in besonderer Klarheit deutlich: Das Grundgesetz, das DRiG, das GVG haben in bezug auf die Gerichtsverwaltung und die NSM seit deren „Erfindung“ keinerlei diesbezüglicher Änderungen erfahren. Lediglich die BHO hat als § 7 Abs. 3 GG die Ermächtigungsnorm erhalten234, in „geeigneten Bereichen eine Kosten- und Leistungsrechnung“ einzuführen. Daß die NSM wie aktuell aber dennoch ohne Beteiligung der Legislative aus angeblich eigener Machtvollkommenheit durch die Exekutive eingeführt werden können, ohne hierzu durch parlamentarische Entscheidung legitimiert zu sein, dürfte mit der Unabhängigkeit der Richter und deren ausschließlicher Bindung an das Gesetz kaum zu vereinbaren sein. Gleiches gilt für die Verpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers gem. Art. 98 Abs. 1, 3 GG, selbst und durch besonderes Gesetz die Rechtsstellung der Richter zu bestimmen, was im Umkehrschluß den Richter dagegen schützt, in seiner Stellung durch die Exekutive beeinflußt zu werden. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man sich noch einen anderen Widerspruch vor Augen hält, der mit der gegenwärtigen Situation verbunden ist: Erließe etwa eine Landesregierung eine Rechtsverordnung des Inhalts, daß jeder Richter am Amtsgericht eine Zahl von 700 Erledigungen pro Kalenderjahr zu erbringen hätte, wäre dies ein materielles Gesetz und damit gem. Art. 97 Abs. 1 GG ungeachtet des richterlichen Prüfungsrechts für den Richter bindend und ein zulässiges „Steuerungsinstrument“ für seine Entscheidung. Da einer solchen Rechtsverordnung aber die Ermächtigungsgrundlage im Sinne des Art. 80 GG fehlte235, würde niemand die Nichtigkeit der Verordnung in Zweifel ziehen und die Bindung des Richters an diese nichtige Verordnung vertreten. Die Exekutive 233

Siehe hierzu m. w. Nw. Selk, JuS 1990, S. 598 (898 f.). Durch das Haushaltsrechts-FortentwicklungsG vom 22.12.1997 (BGBl. I, S. 3251). 235 Wie sie etwa in Art. 80 Abs. 1 BayBG ausdrücklich nur für die Beamten besteht. Zur Geltung zumindest entsprechender Inhalte des (unmittelbar) nur für die Gesetzgebung des Bundes geltenden Art. 80 GG für die Verordnungsermächtigungen in den Ländern s. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 80 Rn. 17 m. w. Nw. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Ermächtigung sei hier einmal unterstellt. 234

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hätte dann zwar ein grundsätzlich taugliches, weil verfassungsrechtlich ausdrücklich für zulässig erklärtes Instrument, nämlich einen materiellen Rechtssatz, zur Steuerung der richterlichen Tätigkeit gewählt; sie wäre aber wegen der konkreten Umständen des Einzelfalls nicht zum Erfolg gekommen. Entscheidet nunmehr aber dieselbe Landesregierung, mittels neuer Steuerungsinstrumente, also nicht des „altmodischen“ Rechtssatzes, dieselbe Situation über subtilere Methoden wie kollegialen Druck und Mittelzuweisungen oder -kürzungen zu erreichen236, fragt niemand mehr, wo denn die parlamentsgesetzliche Grundlage hierfür zu finden sei. Dies hat aber zur Folge, daß die Exekutive freier und autonomer auf das richterliche Handeln einwirken kann, wenn sie von vornherein auf die vorgeschriebene Form verzichtet und sich gerade nicht des im Grundgesetz vorgesehenen Rechtssatzes als Steuerungsinstrument bedient – ein Ergebnis, dessen rechtsstaatliche Widersprüchlichkeit mehr als verwundert. Daß die Exekutive mittels der NSM „steuern“ will, ergibt sich nicht nur aus deren Begriff und der betriebswirtschaftlichen Herkunft der Instrumente237, sondern wird fortwährend von der Rechtsprechungsverwaltung selbst betont. Tatsächlich erweist sich die Rechtsprechungsverwaltung in der herkömmlichen Form als geradezu institutionalisierte Verneinung von Machtaufteilung und -hemmung, wie sie als Idee der Gewaltenteilung zugrunde liegen; und dies wird mittels der NSM nun noch einmal extensiviert und in besonderer Weise verdeutlicht: 1. Die Exekutive formuliert Erwartungshorizonte an richterliches Handeln etwa mittels Zielvorgaben im Rahmen eines Controllings oder Benchmarkings oder auch in Form von Anforderungsprofilen. 2. Die Exekutive überwacht diese Vorgaben durch KLR und Controlling. 3. Die Exekutive sanktioniert Abweichungen durch Mittelkürzungen oder schlechte dienstliche Beurteilungen und deren Umsetzung in Nichtbeförderungen oder Entlassung238. Die Legislative ist an keinem dieser Vorgänge beteiligt. Soweit die Judikative an all dem teilhaben kann, beschränkt sich dies auf die ohnehin begrenzten Mitwirkungs-, nicht aber Mitbestimmungsrechte oder aber die Rechtskontrolle der Verwaltungs- und Dienstgerichte vor allem im Bereich Beurteilung und Konkurrentenstreit, die dabei aber stets nur blockieren, nicht aber eigene Entscheidungen gegen die Rechtsprechungsverwaltung durchsetzen können. Selbst wenn 236 Auf „sublimere Formen der Einwirkung“ weist im Zusammenhang mit den NSM neuerdings zutreffend R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 5, hin. 237 Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (8). 238 Siehe oben § 1 III.

V. Die Erforderlichkeit einer „begrenzten Einzelermächtigung‘‘

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man diese ausreichen läßt, um nicht von einem Gewaltenmonismus zu sprechen, so bleiben gleichwohl nur zwei mit Staatsgewalt versehene Organe und damit eines weniger, als nach der Idee der Gewaltenteilung zur wirksamen Freiheitssicherung erforderlich sind. Betrachtet man das Beziehungsgeflecht zwischen Richtern und Rechtsprechungsverwaltung einmal als isoliertes Subsystem, so übernimmt darin die Exekutive sowohl die Aufgabe des Gesetzgebers als auch der vollziehenden Gewalt, was noch dadurch gesteigert wird, daß ohne ihre Zustimmung gar nicht erst der Zugang zu diesem Subsystem möglich ist. Gleichzeitig ist eine Kontrolle durch Rechtsprechung kaum möglich oder zumindest offen. Denn er ist keineswegs geklärt, ob und wie Maßnahmen der Rechtsprechungsverwaltung im Rahmen eins Controllings und daraus folgender Ressourcenverknappung der richterlichen Überprüfung, etwa im Verfahren gem. § 26 Abs. 3 DRiG, zugänglich sein werden239. Wie schon Fuß in Kritik am früheren weiten Verständnis der staatlichen Schulaufsicht zutreffend dargelegt hat, setzt Aufsicht, verstanden als in Übereinstimmung bringen mit einem vorgegebenen Maßstab, eben diesen Maßstab voraus. Aufsicht kann nicht zugleich selbst maßstabsetzend sein240. Sie ist vielmehr allein ein Mittel, ein Modus zur Herstellung von Kongruenz zwischen einem von dritter Seite definierten (rechtlichem) Soll- und (tatsächlichem) IstZustand. Dies gilt in gleichem Maße für die (Dienst-)Aufsicht über Richter: Sie kann nicht selbst das Maß richterlichen Handelns bestimmen, sondern allein prüfen, ob das richterliche Handeln mit anderweitig gesetzten Maßstäben übereinstimmt. Auch die bewußte Formulierung des § 26 Abs. 2 DRiG macht dies deutlich, nach der der Dienstaufsicht eine Ermahnung nur zur ordnungsgemäßen, nicht aber auch sachgemäßen Erledigung der Amtsgeschäfte erlaubt ist241. Denn eine Einwirkung auf den Richter durch Nichtrechtsprechungsorgane kann erst bei einem Verstoß gegen eine bereits errichtete „Ordnung“, etwa eine Prozeßordnung, überhaupt nur in Betracht kommen242; und durch Art. 97 Abs. 1, 98 Abs. 1, 3 GG ist festgelegt, daß diese „Ordnung“ allein durch den Gesetzgeber errichtet werden kann: den formellen oder mit dessen (zulässiger) Ermächtigung auch den materiellen. Daß der Exekutive gegenüber der richterlichen Tätigkeit ein Steuerungsrecht zukommt, läßt sich keiner Rechtsnorm im Geltungsbereich des Grundgesetzes entnehmen. Lediglich die Dienstaufsicht und die Organisation der Gerichtsverwaltung sind ihr übertragen. Soweit hier239 Die ersten richterlichen Versuche, widrige Arbeitsbedingungen mit gerichtlicher Hilfe auch nur feststellen zu lassen, sind durchweg ohne Erfolg geblieben, s. VG Minden, DÖD 2001, S. 186 f.; bestätigt durch OVG NW, NJW 2002, S. 1592 f.; BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2005, S. 905 f.; VG Saarlouis, DRiZ 2004, S. 80 f. 240 Fuß, VVDStRL 23 (1966), S. 199 (207 ff.); auch Anschütz, FestG Gierke, S. 209 (228), betonte die Fehlerhaftigkeit des so verwandten Aufsichtsgegriffs. 241 Vgl. die DRiG-Entwurfsbegründung BT-Drs. III/516, S. 39. 242 Und hat dann immer noch das Rechtsprechungsmonopol aus Art. 92 GG und die richterliche Unabhängigkeit zu beachten.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

aus die faktische Macht zur Steuerung erwächst, kann dies nur eine solche in der Rolle eines Steuermanns sein, der niemals selbst den Kurs festsetzt, sondern ihn vom Kapitän, dem Gesetzgeber, vorgegeben bekommt und durch Drehen am Ruder durchsetzt. Jeder Richter untersteht einer Dienstaufsicht, er muß sich ihr aber nur unterwerfen, wenn darin zugleich eine Unterwerfung unter das Gesetz liegt. Eine exekutive Maßstabsetzung für den Richter, die sich nicht zugleich aus einem Parlamentsgesetz ergibt, ist verfassungswidrig. Daher mag man den – jedenfalls bisher243 – dienstgerichtlich bestätigten Anspruch des Richters auf einen Protokollführer zwar für zu extensiv halten244; er ist aber allein folgerichtig, weil §§ 159 Abs. 1 a. F., 160a Abs. 1 ZPO den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als Protokollanten zum Regelfall erklär(t)en und ein Absehen davon aufgrund einer reinen Kann-Vorschrift dem Vorsitzenden anheimstell(t)en. Würde die Gerichtsverwaltung vor diesem Hintergrund faktisch oder rechtlich zur Tonbandaufzeichnung verpflichten, wäre ihr Handeln contra legem, weil der Gesetzgeber gerade keine solche Verpflichtung ausgesprochen hat. Zur eigenständigen Kreation richterlicher Pflichten ist die Exekutive aber außerhalb der Gesetzesform nicht befugt245. Pointiert, aber letztlich zutreffend hat es Herbert Rosendorfer am viel diskutierten „Problem“ richterlicher Dienstzeitregelungen246 deutlich gemacht: „Aus dieser konstitutionell verankerten Unabhängigkeit haben nun die Richter in seltener, so stiller wie starker Einmütigkeit messerscharf geschlossen, daß ihnen niemand irgend etwas vorschreiben kann, kein Minister und kein Vorgesetzter, ja, daß sie nicht einmal einen Vorgesetzten haben. Insbesondere aber haben sie keine feste Dienstzeit. Dem Richter kann auch niemand vorschreiben, wann er in der Früh kommt und wann er nachmittags geht. ,Nur dem Gesetz und dem Gewissen unterworfen . . .‘. Wollte ein Frevler wagen, einen Richter zu fragen, warum er erst um halb elf ins Büro kommt und um zwei Uhr schon wieder geht, wird der Richter mit eiserner Stirn entgegenhalten – selbst der verklemmte Landgerichtsrat Mittag würde das tun –: ,In keinem Gesetz steht, wann ich zum Dienst kommen muß, und mein

243 Wie die Neufassung des § 159 Abs. 1 S. 2 ZPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz (BGBl. I, 2004, S. 2198) die Lage verändern wird, ist noch nicht absehbar. Über das Vorliegen der nunmehr festgelegten Voraussetzungen einer Protokollführer-Hinzuziehung dürfte aber weiterhin allein der Richter ohne dienstaufsichtliche Intervention zu entscheiden haben. 244 Vgl. § 3 II. 8. 245 Auch hier verdeutlicht eine Alternativerwägung das Problem (vgl. § 6 III. 2.): Eine Rechtsverordnung einer Landesregierung zur Verpflichtung zur Diktiergerät-Verwendung wäre bisher (zur Änderung s. zuvor FN 243) evident verfassungswidrig gewesen, weil ihr nicht nur die Ermächtigungsgrundlage fehlte, sondern eine solche auch dem klaren Votum des Gesetzgebers zuwiderliefe (§ 159 Abs. 1 a. F. ZPO: „ist ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle zuzuziehen“; s. zum entsprechenden Ergebnis im strukturellen Parallelfall der bayerischen Biergartenverordnung BVerwG, JZ 1999, S. 787 ff.). 246 Vgl. oben § 3 II. 5.

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Gewissen befiehlt mir für heute, daß halb elf Uhr früh genug ist. Und weil Sie so dumm daherreden, komme ich morgen überhaupt nicht.“247

Die Problematik, wie weit die Delegationsbefugnis des Gesetzgebers zugunsten der Exekutive zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit inhaltlich reicht, ist letztlich in drei aufeinander aufbauenden Stufen zu untersuchen: 1. Zunächst muß geklärt werden, welchen Schranken der parlamentarische Gesetzgeber selbst bei der Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit unterliegt, weil diese zugleich auch die absolute Grenze der Delegationsbefugnis bilden (nemo plus iuris ad alium transferre possit quam ipse habet); 2. Unterhalb dieser absoluten Grenze sind von den danach generell delegationsfähigen Materien diejenigen auszusondern, die wegen der diesbezüglichen Reichweite des Wesentlichkeitsvorbehalts einer unmittelbaren Entscheidung durch den formellen Gesetzgeber vorbehalten sind. 3. Letztlich ist dann zu klären, zu welchen Handlungsformen der Gesetzgeber die Exekutive ermächtigen darf. Die Anwendung dieses Stufenmodells läßt sich am Beispiel der Dienstaufsicht über Richter durch die Exekutive verdeutlichen, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit auf diese Weise plastisch belegt werden kann (wegen des bloßen Beispielcharakters soll hier nicht eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten erfolgen, sondern nur das methodische Vorgehen erläutert werden): Nach dem zuvor unter (1.) Gesagten müßte zunächst eine Dienstaufsicht für Richter durch die Legislative verfassungsrechtlich zulässig sein. Dies könnte zunächst daran scheitern, daß Richter von Verfassungs wegen von jeglicher Dienstaufsicht freigestellt werden müßten. Dies ist jedoch nicht der Fall; hiergegen spricht schon der Justizgewährleistungsanspruch des Bürgers248. Sodann wäre eine legislative Dienstaufsicht verfassungswidrig, wenn eine solche Kompetenz einer anderen Staatsgewalt vorbehalten wäre, was wiederum in Betracht käme, wenn die Dienstaufsicht über Richter dem Kernbereich der Exekutive zugeordnet werden müßte oder Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 GG darstellte. Da die Dienstaufsicht nicht weniger eingreifend ist als die Festlegung der Gerichtsbezirke, scheidet ein exekutiver Vorbehalt in Konsequenz der zitierten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aus. Weiterhin gehört die Dienstaufsicht offensichtlich nicht zur Rechtsprechung, wie auch immer der materielle Rechtsprechungsbegriff des Grundgesetzes zu verstehen sein mag. Somit wäre eine durch das Parlament auszuübende Dienstaufsicht zulässig und damit insofern generell an die Exekutive delegierbar.

247 248

Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 60 f. BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 (360).

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Im Hinblick auf die nächste Stufe (zuvor 2.) muß untersucht werden, ob die Dienstaufsicht wegen ihrer besonderen Bedeutung nicht direkt von der Legislative ausgeübt werden müßte oder, wenn schon nicht wegen ihres Charakters als Rechtsprechung, wohl aber wegen des denkbar weitreichenden Einflusses auf die richterliche Unabhängigkeit, von richterlichen Organen auszuüben wäre. Beides ist jedoch nicht der Fall: Einerseits ist es für 17 Parlamente gänzlich ausgeschlossen, mehr als 20.000 Richter zu beaufsichtigen, so daß schon das Prinzip der Organadäquanz249 gegen eine diesbezügliche Zuordnung zur Legislative spricht. Zum anderen ist es zwar verfassungsrechtlich problematisch, der Exekutive den enormen Einfluß einer Dienstaufsicht einzuräumen; dies schließt aber nicht aus, daß durch Begrenzung der Aufsichtsmittel, wie in § 26 Abs. 2 DRiG geschehen, und durch die unbeschränkte Justiziabilität solchen Aufsichtshandelns (wie in § 26 Abs. 3 DRiG angeordnet) eine Einschränkung der Dienstaufsicht herbeigeführt wird, die auch den exekutiven Einfluß als verhältnismäßig erscheinen lassen250. Allerdings wird an dieser Stelle zugleich problematisch, ob die Bestimmung der dienstaufsichtführenden Stelle ebenfalls durch den Gesetzgeber selbst zu erfolgen hat oder jedenfalls die generelle Zuordnung zur Exekutive formellgesetzlich normiert werden muß. Dies ist mit dem Nordrhein-Westfälischen Verfassungsgerichtshof und dem Dienstgericht des Bundes251 zu bejahen. Dem genügen auch weithin die gesetzlichen Grundlagen der Dienstaufsicht (s. etwa Art. 4 BayAGVwGO), wobei sich aber die Dienstaufsicht des Bundesjustizministers über die Präsidenten des BVerwG und des BFH als verfassungswidrig erweist, weil für die Bundesregierung oder auch den Bundeskanzler keine gesetzliche Ermächtigung zur Errichtung einer diesbezüglichen Dienstaufsicht existiert, dem diesbezüglichen Organisationserlaß252 somit die Rechtsgrundlage fehlt253. Anderes gilt freilich für die Präsidenten der anderen obersten Bundesgerichte, für die die exekutive Dienstaufsicht in § 14 GVVO254, § 38 Abs. 3 SGG, § 40 Abs. 2 ArbGG normiert ist. Bleibt letztlich noch (gemäß zuvor 3.) zu erörtern, ob die erlaubten Handlungsformen der Exekutive beschränkt sein könnten, was vor dem Hintergrund 249

Siehe Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 65. In diesem Sinne BVerfGE 38, 139 (151 f.). 251 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 359 ff. 252 BAnz Nr. 214 v. 15.11.1969, S. 4. 253 Vgl. oben § 2 V. 2. a. aa). 254 Diese muß aufgrund der umfassenden Ermächtigung des Reichsjustizministers in Art. 5 des Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934 (RGBl. I, S. 91) als „gesetzesvertretende Verordnung“ angesehen werden, die gem. Art. 123 GG im Rang eines förmlichen Gesetzes fortgilt (vgl. BVerfGE 22, 1 [12]; 51, 1 [16 f.]); zum Begriff der „gesetzesvertretenden Verordnung“ s. Jacobi, HDStR II, S. 236 (240 f.). 250

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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denkbar wäre, daß allein eine Unterwerfung unter das „Gesetz“ gem. Art. 97 Abs. 1 GG angeordnet wird. Jedoch sind auch andere Handlungsformen jedenfalls dann zulässig, wenn sie zur Erfüllung einer ihrerseits verfassungsrechtlich zulässigen oder gar gebotenen Aufgabe unabdingbar sind. Dies gilt etwa für die Maßnahmen der Dienstaufsicht, die aus der Natur der Sache heraus keine Rechtsetzung sein können. Dieses klar strukturierte Schema, das auf der Grundannahme eines von Verfassungs wegen geltenden Verbots der exekutiven Beeinflussung richterlichen Handelns beruht, ermöglicht es, Maßnahmen mit Wirkungen auf die Rechtssprechung systematischer als bisher am Grundgesetz zu messen.

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen In bezug auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranken-Schranke der Grundrechte dürfte unbestritten sein, daß der parlamentarische Gesetzgeber – ungeachtet der auch für ihn bestehenden Geltung des Prinzips – bei der Frage, welche Zwecke er verfolgen und welche Mittel er dabei einsetzen will, „wesentlich freier ist als die Verwaltung“255. Diese gewaltenspezifische Differenzierung je nach Verursacher eines Eingriffs muß ebenso für die Beschränkungskompetenz gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit gelten. Daher müssen die soeben exekutiv-spezifisch entwickelten strikten Anforderungen in bezug auf Gesetzgeber und Richter (in weitem Umfang) zurückgenommen werden. 1. Die nahezu unbeschränkte Herrschaft des Gesetzgebers über den Richter Wie bereits dargelegt256, fehlt es zwischen Parlament und Richter an einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis. Wem – um im Bild zu bleiben – durch die Verfassung die Macht zugewiesen wird, einen Dritten zu unterwerfen (Art. 97 Abs. 1 GG), dem wird der Unterworfene kaum rechtliche Grenzen aufzeigen können. Daher erscheint der Gesetzgeber tatsächlich als Herr über die Unabhängigkeit des Richters, allerdings mit der zentralen Einschränkung, daß auch er die Grenzen der absoluten Unabhängigkeitswirkungen257 nicht überschreiten darf: Er darf sich weder zum Richter des Einzelfalls machen, indem er den gesetzlichen Richter etwa durch öffentlichen Druck zu einer bestimmten Entscheidung zwingt258; noch darf er sich überhaupt in eine Position bringen, 255 256 257

Statt aller Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 280. Siehe oben § 2 III. Siehe oben § 4 V. 1. und 2.

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die ihm eine Letztentscheidungsbefugnis ohne (weitere) Rechtsschutzmöglichkeit durch einen Richter i. S. des IX. Grundgesetzabschnitts verleiht. Denn im ersten Fall bedeutete dies einen Verstoß gegen das absolute Weisungsverbot, im zweiten Fall maßte er sich die Kompetenz zur Rechtsprechung an, was zwangsläufig das Richtermonopol des Art. 92 GG verletzen würde259; letzteres wird auch bestätigt durch das Verbot der Einzelfallgesetzgebung in Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, das ungeachtet seiner nur beschränkten Reichweite jedenfalls „Einzelpersonengesetze“ verbietet260, um die es sich bei Einzelfallrechtsprechung in Gesetzesform zwangsläufig handeln würde. Diese negative Abgrenzungswirkung wird durch die darin liegende positive Zuweisung der Rechtsprechungsaufgabe an die Richter ergänzt, die es dem Gesetzgeber verbietet, den Richtern die zur Ausübung dieser Kompetenz notwendigen Befugnisse zu entziehen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn ihm die zur Sachverhaltserforschung erforderlichen Instrumente etwa durch Beweiserhebungs- oder Beweismittelverbote entzogen würden261. Daher sind auch gesetzlich angeordnete Bindungen eines Richters an die Tatbestandswirkungen von Verwaltungsakten ebenso äußersten verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt262 wie ein Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung für Beweisaufnahmen im Ausland263. Gleiches gilt für Beschränkungen des möglichen Rechtsfolgenausspruchs. Einem angerufenen Richter muß jede Maßnahme anzuordnen möglich sein, die für die Durchsetzung der gewonnenen Rechtserkenntnis und zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist264, weil ansonsten die letztverbindliche, der Rechtskraft fähige Feststellung und der Ausspruch dessen, was im konkreten Fall rechtens ist265, sinnlos wären.

258 Erneut sei hier auf die politische Kampagne gegen das BVerfG in der Folge etwa das Kruzifix-Beschlusses hingewiesen (protokolliert von Lamprecht, Demontage, passim); zu der dabei überschrittenen Grenze der Verfassungswidrigkeit s. Schulze-Fielitz, AöR 122 (1997), S. 1 (27 ff.). 259 Klassisch die Hessische Wahlprüfung, vgl. BVerfGE 103, 111 ff. 260 Siehe Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 19 I Rn. 14, mit dem hier einschlägigen Beispiel der „Abweisung einer Klage durch Gesetz“. 261 Daher lag in § 99 VwGO a. F. bis zu seiner Neufassung durch das RmBereinVpG vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3987) nicht nur ein Verstoß gegen § 19 Abs. 4 GG (so BVerfGE 101, 106 ff.), sondern auch gegen Art. 92, 97 Abs. 1 GG. 262 Vgl. oben § 1 III. 2. 263 So aber BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 71, 9 ff.; BVerfG, DRiZ 1979, S. 219; zustimmend Kissel, GVG, § 1 Rn. 74, § 22 Rn. 32; krit. H. Arndt, DRiZ 1978, S. 298 (300); Rudolph, DRiZ 1979, S. 97 (98). 264 Daher verstößt die Rechtsauffassung der Senatsmehrheit in BVerfGE 94, 166 ff., nicht nur, wie im Sondervotum Limbach, Böckenförde, Sommer dargelegt, gegen Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG, sondern auch gegen Art. 92 GG, weil den Richtern des BVerfG die Möglichkeit genommen wurde, die zur Wirksamkeit ihrer Entscheidung notwendige Vollstreckbarkeit herbeizuführen. 265 BVerfGE 103, 111 (137) m. w. Nw.

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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Bei Einhaltung dieser letztlich weiten Grenzen ist der Gesetzgeber im übrigen frei, jedem Richter durch Gesetz beliebige Pflichten aufzuerlegen oder seine Entscheidungsfreiheit zu beschneiden, wenn er dies zur Sicherung eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang für erforderlich hält. Daher wäre der Gesetzgeber, ungeachtet eines diesbezüglichen Verbots für die Exekutive266, natürlich auch befugt, selbst Dienstzeiten für Richter festzulegen oder deren Amtsführung Fristen zu setzen, wenn er damit dem Gebot des Rechtsschutzes in angemessener Frist zur Durchsetzung verhelfen wollte. 2. Die fast unbegrenzte Befugnis des Gesetzgebers zur Ermächtigung der „Richter“ a) Art. 97 Abs. 1 GG: Die Unabhängigkeit nur des „gesetzlichen“ Richters Art. 97 Abs. 1 GG garantiert Unabhängigkeit, ohne deren Schutzrichtung zu nennen. Historische Abwehrnotwendigkeiten ergaben sich vornehmlich gegenüber der Exekutive (Kabinettsjustiz), aber auch der Legislative. Der Schutz gegenüber den Einflüssen anderer „Richter“ fand mangels praktischer Bedeutung keine besondere Beachtung. Insofern konsequent konnte das Bundesverfassungsgericht auch im Leitsatz sowie in der Begründung seines Beschlusses vom 17. Januar 1961 formulieren, Art. 97 (Abs. 1) GG267 betreffe „nur das Verhältnis der Richter zu den Trägern nichtrichterlicher Gewalt“268. Freilich scheint dies – allerdings nur auf den ersten Blick – zu pauschal und wird von der Literatur auch – vermeintlich – anders gesehen269. Schon mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 266

BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 113, 36 ff. BVerfGE 12, 67 (71); im Leitsatz wird dies auf Abs. 1 der Norm beschränkt, in den Entscheidungsgründen wird nur „Art. 97 GG“ zitiert. 268 BVerfGE 12, 67 (67, 71); wiederholt in BVerfGE 31, 137 (140). 269 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97 (1977) Rn. 34; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 39; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 18, 22 (der von ihm in Fn. 81 behauptete quantitative Schwerpunkt der Konflikte innerhalb der Judikative im Zusammenhang mit der Dienstaufsicht trifft allerdings nicht den Kern, da Dienstaufsicht eben exekutive Tätigkeit ist und gerade keine der Dritten Gewalt [hier werden auch die Folgen eines unklaren Begriffs der „Judikative“ deutlich]. Dies verunklart auch der in Bezug genommene Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, S. 18 [26], der dies als „funktional innergerichtliche Maßnahme“ ansieht. Rein äußerlich mag dies zutreffen, aber aus der Tatsache, daß etwas als „innergerichtlich“ zu qualifizieren ist, lassen sich keine diesbezüglichen Konsequenzen ableiten. Dies liegt daran, daß „Gerichte“ eben keine organisatorisch unabhängigen Organe sind, sondern exekutiv verwaltete, in denen auch Mitglieder der richterlichen Gewalt tätig sind. Daher läßt die Erkenntnis, daß etwas in einem Gericht geschieht, gerade nicht den Schluß zu, daß dies deshalb funktional Rechtsprechung oder überhaupt eine bestimmte Gewalt sei; Jarass/Pieroth, GG, Art. 97 Rn. 5; Schilken, Gerichtsverfassung, Rn. 465; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 186 f.; Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 [645 f.], der 267

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GG, der jegliche „Eingriffe Unbefugter in die Rechtspflege verhindern“ soll und sich zu diesem Zweck auch gegen „Maßnahmen innerhalb der Gerichtsorganisation“ richtet270, scheint dies nur schwer vereinbar. Wenn es darauf ankommt, die alleinige Verantwortung des gesetzlichen Richters für „seinen“ Fall sicherzustellen, dann kann es keinen Unterschied machen, von wem die Beeinflussung ausgeht. „Es ist nicht nur die Exekutive, die Unabhängigkeit gefährden kann, es sind auch die Gerichtspräsidenten, Vorsitzenden und Richter selbst.“271 Dennoch erweist sich die Position des Bundesverfassungsgerichts als zutreffend: Die Unabhängigkeit des Art. 97 Abs. 1 GG ist einzelfallbezogen und allein die Unabhängigkeit des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Dabei ergibt sich die Einzelfallbezogenheit schon aus der Zuständigkeitsverteilung, die den unabhängigen Richter erst am Ende einer Kette von Vorentscheidungen fallbezogen für zuständig erklärt, wenn er die Akte auf den Tisch bekommt272. Vor dieser individuellen Zuordnung eines Verfahrens zum bestimmten Richter(kollegium) stehen noch gar keine Entscheidungen an, die in sachlicher Unabhängigkeit zu treffen wären. Die Zuständigkeitsbestimmung durch Präsidium und Spruchkörper erfolgt zwar auch in richterlicher Unabhängigkeit, ist insofern jedoch gerade eine gänzlich atypische Ausnahme, da die Festlegung der Geschäftsverteilung materiell (Gericht-)Verwaltungstätigkeit und nicht Rechtsprechung darstellt273. Daß Art. 97 Abs. 1 GG nur und gerade allein die Unabhängigkeit des konkret zuständigen, einzelnen Richters schützt, ist denknotwendige Voraussetzung der mittlerweile wohl anerkannten Schutzrichtung der richterlichen Unabhängigkeit auch gegen Einflußnahmen innerhalb der Judikative. Wenn mancherorts die pauschale Schlußfolgerung gezogen wird, die richterliche Unabhängigkeit solle nach (der älteren) Auffassung des Bundesverfassungsgerichts generell nicht gegenüber der rechtsprechenden Gewalt gelten274, wird dies der verfassungsgehier die gegenteilige Auffassung auch in der Literatur wohl nicht [mehr] zutreffend als h. M. bezeichnet). 270 So BVerfGE 4, 412 (416). 271 Stürner, BRAK-Mitt. 2003, S. 214 (216); zur Kritik dieser Aussage s. § 2 V. 1. a). 272 Vgl. oben Tab. 1 unter § 2 II. 273 Der negative Ausschluß des Geschäftsverteilungsplans aus der „Rechtsprechung“ scheint letztlich unstreitig; eine eindeutige positive Definition ist aber kaum zu finden, so daß mit „einem Anflug von Resignation“ nur angenommen werden kann, es sei ein „multifunktionaler gerichtlicher Selbstverwaltungsakt ,sui generis‘ zur Bestimmung des gesetzlichen Richters nach außen und der Aufgabenzuweisung nach innen“, so Kissel, GVG, § 21e Rn. 105. 274 Siehe etwa Detterbeck, in: Sachs, GG, § 97 Rn. 14, Fn 47; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 39, Fn. 170, die die vorgenannte Entscheidung des BVerfG als „a. A.“ zitieren. Die von Detterbeck, ebd., zitierte Entscheidung BVerfGE 31, 137 (140), wiederholt zwar die Formulierung von BVerfGE 12, 67 (71), doch steht die Stoßrichtung des Art. 97 GG gegen die richterliche Gewalt in keinem Zusammenhang mit den Rechtsfragen des Verfahrens.

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richtlichen Rechtsprechung nicht gerecht. Obwohl die Formulierungen aufgrund ihrer Pauschalität dahin tendieren, trifft es in dieser Form nicht zu, wie in einem allerdings erst 35 Jahre später ergangenen Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats zutreffend klargestellt worden ist. Dessen Begründung beruht entscheidend auf der Zuweisung der einzelfallbezogenen richterlichen Unabhängigkeit allein an den gesetzlichen Richter275; und allein ihm gegenüber gilt die richterliche Unabhängigkeit des Art. 97 Abs. 1 GG nicht. Daher konnte ein Gerichtspräsident nicht in die Entscheidungen des gesetzlichen Einzelrichters (auf Probe) eingreifen, da er insoweit (bezüglich dieses Falles) nicht Träger richterlicher Gewalt war, so daß er sich zum einen hinsichtlich der Manipulation des Urteils selbst nicht auf Art. 97 Abs. 1 GG berufen konnte, sondern gegen seine Dienstpflicht verstieß276, und zum anderen damit gleichzeitig die richterliche Unabhängigkeit des gesetzlichen Einzelrichters verletzte277. Dieses Verständnis lag bei genauer Betrachtung auch schon der Senatsentscheidung des Jahres 1961 zugrunde: Ein Amtsgericht verweigerte die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 3 GG, obwohl das nach §§ 10, 16 RHG278 zuständige OLG München die Durchführung des Verfahrens mit Bindungswirkung für „alle Gerichte und Behörden“ für zulässig erklärt hatte. Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle sah das Amtsgericht in dieser gesetzlich angeordneten Bindungswirkung einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Dem schloß sich das Bundesverfassungsgericht aus den vorgenannten Erwägungen nicht an und führte ergänzend aus: „Das gilt auch für den Richter, den § 16 RHG an die Entscheidung des Oberlandesgerichts gemäß §§ 11, 10 Abs. 2 RHG bindet. Das bei ihm anhängige neue Strafverfahren weist die Besonderheit auf, daß die Entscheidung über die Zulässigkeit des Verfahrens dem Oberlandesgericht anvertraut ist. Dem mit der Sache befaßten Strafrichter ist also die Entscheidungsbefugnis darüber genommen, ob die Voraussetzungen des § 11 RHG vorliegen. Die Entscheidung über die Frage ist einem Vorverfahren vorbehalten, für das gesetzlicher Richter das Oberlandesgericht ist. Eine solche Aufteilung der Zuständigkeit unter verschiedene Gerichte beeinträchtigt die sachliche Unabhängigkeit des Richters, dem das Gesetz die Entscheidung in der Sache selbst überträgt, jedoch nicht.“279

Zentraler Gesichtspunkt für das Bundesverfassungsgericht war folglich die Tatsache, daß für die Frage der Zulässigkeit des (neuen) Strafverfahrens nicht – wie gem. § 199 Abs. 1 StPO die Regel – das für die Hauptverhandlung zustän-

275

BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 ff. So ausdrücklich BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2151). 277 BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2150). 278 Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 11.5.1953 (BGBl. I, S. 161), insoweit abgedruckt in BVerfGE 12, 67 (68 f.). 279 BVerfGE 12, 67 (72) – Hervorh. nicht im Original. 276

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dige Strafgericht, sondern für diesen speziellen Aspekt an dessen Stelle das Oberlandesgericht der gesetzliche Richter war. Daher war auch die spätere Entscheidung der 3. Kammer des Zweiten Senats kein Widerspruch zu dieser Senatsentscheidung, sondern deren konsequente Anwendung und Fortsetzung. Die bloße Tatsache, daß jemand „Richter“ ist, stattet ihn nicht bezüglich jedes Rechtsstreits mit Zuständigkeit und richterlicher Unabhängigkeit aus. Vielmehr wird deutlich, daß die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit untrennbar mit der Zuständigkeit des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verbunden ist. Nur er ist von den Schutzwirkungen des Art. 97 Abs. 1 GG erfaßt, die sich dann auch gegen jeden Dritten, der nicht gesetzlicher Richter ist, erstrecken. „Dem steht nicht entgegen, daß das BVerfG ausgeführt hat, die Vorschrift diene dem Schutz der rechtsprechenden Gewalt vor Eingriffen durch die Legislative und der Exekutive und betreffe nur das Verhältnis der Richter zu den Trägern nichtrichterlicher Gewalt (vgl. BVerfGE 12, 67 [71] = NJW 1961, 655). (. . .) Denn sicher ist, daß die sachliche Unabhängigkeit jedenfalls vor solchen internen Eingriffen schützt, für die es an einer Ermächtigung zur Wahrnehmung richterlicher Funktionen nach jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt fehlt. (. . .) Kann sich der Eingriff von vornherein auf eine solche richterliche Gewalt nicht stützen, die durch Gesetz oder den Geschäftsverteilungsplan vermittelt wird, kann es keinen Unterschied machen, wo die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit ihren Ausgang nimmt.“280

Umgekehrt wirkt die richterliche Unabhängigkeit nicht gegen andere gesetzliche Richter desselben Streitgegenstandes oder eines seiner Teilaspekte, wie sich etwa an der Bindungswirkung von Entscheidungen im Instanzenzug ablesen läßt. Diese gehören zwar auch „zu den typischen und herkömmlichen Funktionsbedingungen der rechtsprechenden Gewalt“281, sind aber nicht deswegen vom Richter der unteren Instanz hinzunehmen, sondern weil Art. 97 Abs. 1 GG nicht gegenüber dem gesetzlichen Berufungs- oder Revisionsrichter gilt282. Grundsätzlich sind Richter wegen Art. 97 Abs. 1 GG nicht an die Rechtsauffassungen selbst übergeordneter, erst recht gleichgeordneter Gerichte oder Präjudizien gebunden283. Dies ändert sich aber dann, wenn es sich um den gesetzlichen Rechtsmittelrichter oder den iudex ad quem im Rahmen eines Vorlegungsverfahrens handelt. Dieser entscheidet mit bindender Wirkung (vgl. etwa § 563 Abs. 2 ZPO284, § 144 Abs. 6 VwGO; § 138 Abs. 1 S. 3 GVG, § 11 Abs. 7 S. 3

280 BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2150 f.) – Hervorh. nicht im Original. 281 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 40. 282 So auch Reinhardt, Jurisdiktion, S. 116. 283 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 39, 41; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 11 m. w. Nw. 284 Diese Bindungswirkung greift bei Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht auch auf das dann etwaig angerufene Berufungsgericht durch, vgl. § 566 Abs. 8

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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VwGO), wogegen dann, aber auch nur dann, die Unabhängigkeit Art. 97 GG nicht eingewandt werden kann285. Einflußnahmen auf die Entscheidung des gesetzlichen Richters sind daher nur durch einen für das Verfahren desselben Einzelfalls ebenfalls gesetzlichen Richter zulässig, und nur ihm gegenüber wirkt die Unabhängigkeitsgarantie nicht. Daher bedürfen auch Einflußnahmen anderer Richter einer gesetzlichen Grundlage hinsichtlich der Zuständigkeit – insoweit ergänzt durch die Geschäftsverteilungsentscheidungen des Präsidiums und der Kollegialspruchkörper – wie auch hinsichtlich der Reichweite ihrer Einflußnahme oder gar Bindungswirkung. Formen solcher Reichweitenbeschränkungen finden sich stets bei Vorlageverfahren, wenn gesetzlich klargestellt wird, daß die Großen Senate nur über die Rechtsfrage entscheiden (etwa § 138 Abs. 1 S. 1 GVG, § 11 Abs. 7 S. 1 VwGO). Gleiches gilt, wenn das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Tatrichters oder die Auslegung irrevisiblen Rechts gebunden wird und daher auch diesbezüglich keine seinerseits bindenden Entscheidungen treffen kann (vgl. § 137 Abs. 1, 2 VwGO; §§ 559 f. ZPO)286. Daher zeigt auch der Topos der Schutzrichtung der richterlichen Unabhängigkeit innerhalb der Gerichte die absolute Wirkung des Art. 97 Abs. 1 GG zugunsten des (gesetzlichen) Richters gegen jede Form irgendeiner Einflußnahme eines beliebigen Dritten innerhalb oder außerhalb eines Gerichts (against „obstruction or interference from whatever quarter it may come“287). Dabei muß sich die Abwehrfunktion gerade im Inneren eines Gerichts bewähren, wo das Einflußpotential auf den Richter am größten und die Nähe der Exekutive am intensivsten ist. Diese kann jedoch sehr wohl, aber eben auch nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber eingeschränkt und bei Übertragung von entsprechenden (Rechtsprechungs-)Befugnissen auf einen anderen Richter sogar (partiell) aufgehoben bzw. vorenthalten werden. Daher ist die Einflußnahme auch eines VorsitZPO; zur beschränkten Bindung des Berufungsgerichts an seine eigene aufhebende und zurückverweisende Entscheidung s. OLG Naumburg, NJW-RR 2004, S. 144. 285 Die Bindung an Entscheidungen nur des gesetzlichen Richters gilt natürlich auch für Art. 97 Abs. 2 GG, weil die dort ermöglichen Eingriffe in die persönliche Unabhängigkeit nur durch den diesbezüglich gesetzlichen Richter erfolgen dürfen. Fehl geht daher auch die Auffassung von Gimbel, ZRP 2004, S. 35 (37), eine Untätigkeitsbeschwerde (vgl. unten bei § 6 V. 1.) mit Devolutiveffekt verletze Art. 97 Abs. 1 GG, weil davon auch die Verfahrensterminierung umfaßt sei. Denn bei Einlegung einer solchen Beschwerde wird der iudex ad quem zum gesetzlichen Richter über die Terminierung, die damit zugleich der Unabhängigkeit des iudex a quo entzogen ist; vgl. als Beispielsfall unten in FN 299. 286 Auch der BVerfGE 12, 67 ff., zugrunde liegende § 10 Abs. 2 RHG (vgl. FN 278) ist insofern idealtypisch, als er sowohl die besondere Ausnahmezuständigkeit des OLG als auch deren inhaltliche Reichweite (nur die Zulässigkeit eines neuen Strafverfahrens) nannte. 287 Vgl. § 4 III. 2.

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zenden Richters in der Beratung des Spruchkörpers zulässig, weil dies mit der gesetzgeberische Entscheidung, solche kollegialen Spruchkörper mit einem Verfahren interner Beratung (§§ 193 f. GVG) einzurichten, untrennbar verbunden ist. Dieses Recht zur Einflußnahme und die damit korrespondierende Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit reichen aber nur so weit wie die gesetzgeberische Ermächtigung. Daher bleibt auch in der Kammer- oder Senatsberatung die Gleichheit der Richterämter gewahrt, weil zum einen alle Richter an der Beratung und damit diesbezüglichen gegenseitigen Beeinflussung teilnehmen können und zum anderen Weisungen etwa des Vorsitzenden an die Beisitzer oder ehrenamtlichen Richter hinsichtlich der Abstimmung unzulässig sind. Denn die Ermächtigung des Gesetzgebers erlaubt nur Einflußnahme durch Diskussion und Überzeugungskraft innerhalb der Beratung, nicht aber irgendwie gearteten Zwang zur Abstimmung in einem bestimmten Sinne (Verbot von „Dirigismus oder Lenkung“288). Der entscheidende Unterschied hinsichtlich der Abwehrrichtung der richterlichen Unabhängigkeit wird allein im Hinblick auf die Delegationsbefugnis des parlamentarischen Gesetzgebers zu sehen sein: Weil Art. 97 Abs. 1 GG gegen Akte der Rechtsprechung nicht „schützt“, kann das Parlament jede richterliche Entscheidung ohne Verfassungsverstoß durch die eines anderen, dann diesbezüglich gesetzlichen Richters substituieren (lassen) oder an diese binden; insofern kann man die Delegationsbefugnis des Gesetzgebers als unbeschränkt bezeichnen. Demgegenüber gilt dies nicht bezüglich der Exekutive: Hier dürfte der Gesetzgeber – was wohl unstreitig ist – keine Bindungswirkungen für den Richter anordnen oder eine richterliche Entscheidung durch die eines Beamten ersetzen lassen. b) Grundsätzlich keine Bindungswirkung anderer gerichtlicher Entscheidungen Nach dem zuvor Gesagten kann es eine generelle Bindung an Präjudizien nicht geben289. Zuvor in anderer Sache ergangene Entscheidungen wurden von Richtern getroffen, die in dem aktuellen Verfahren nicht der gesetzliche Richter sind. Dabei kommt es nicht auf eine Überordnung des anderen Gerichts im Instanzenzug (oder einem anderen Rechtsweg) oder aber eine Gleich- oder Unterordnung an. Im neu zu entscheidenden Fall ist nur der dann entscheidende Spruchkörper der unabhängige „gesetzliche Richter“. Soll in Abweichung von diesem Grundsatz die inhaltliche Bindung des entscheidenden an die eines anderen Richters erfolgen, so muß dieser andere Rich288 289

BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1996, S. 2149 (2151). Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 22.

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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ter (ebenfalls) zum gesetzlichen Richter erklärt werden. Dies kann nicht durch das Instrument des Geschäftsverteilungsplans erfolgen, denn dieser wirkt stets nur innerhalb eines Gerichts. Folglich bleibt nur die Bestimmung eines anderen Richters oder Spruchkörpers zum gesetzlichen Richter durch Gesetz oder Gericht (s. etwa § 36 ZPO). Die Zulässigkeit solcher Bindungen folgt auch aus der historischen Situation, die auch der Grundgesetzgeber bei Verabschiedung des Art. 97 Abs. 1 GG vorfand und stillschweigend gebilligt hat290. Zu nennen wären hier einmal die Vorschriften der Prozeßordnungen, in denen im Falle von Zurückverweisungen an untere Instanzen die dort folgende Entscheidung an die Rechtsauffassung des zurückverweisenden Gerichts gebunden wird (§ 563 Abs. 2 ZPO, § 358 Abs. 1 StPO, § 144 Abs. 6 VwGO)291, und die Fälle von Vorlagepflichten, deren Kehrseite eine notwendige Bindung des vorlegenden Gerichts an die eingeholte Entscheidung ist (bei Außendivergenz z. B. § 16 RsprEinhG292, § 124b VwGO293, bei Innendivergenz etwa § 11 Abs. 7 S. 2 VwGO); aber auch die Vorlagepflichten an den EuGH (Art. 234 EG) oder in den Fällen des Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht, dessen Entscheidungen infolge seiner Sonderstellung294 aber gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG ohnehin jedes Gericht binden oder gar in Gesetzeskraft erwachsen, § 31 Abs. 2 BVerfGG. Gleiches gilt für die traditionell bestehenden Bindungen auch des Richters an die Rechtskraft früherer Entscheidungen und deren Gestaltungswirkung295, die nicht explizit durch Gesetz normiert sind. Daneben darf die faktische Bindungswirkung ober- und höchstrichterlicher Entscheidungen nicht vernachlässigt werden. Die aus der sachlichen Unabhängigkeit folgende Option, von ihnen abzuweichen, besteht zwar und macht Rechtsprechung „konstitutionell uneinheitlich“296. Ihre tatsächliche Wahrnehmung ist aber gleichwohl nicht unproblematisch und eher selten oder kann trotz

290

Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (646). Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 22 f.; s. nunmehr die weitreichenden Bindungen an frühere Entscheidungen im Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes, BT-Drs. 15/1508. 292 Diese Bindung findet in Art. 95 Abs. 3 GG sogar eine verfassungsrechtliche Fundierung. 293 I. d. F. des RmBerVpG vom 20.12.2002 (BGBl. I, S. 3987); er trat gem. Art. 6, 7 Abs. 2 RmBerVpG am 1.1.2005 außer Kraft. 294 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 97 Rn. 22. 295 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 97 Rn. 40; Schaffer, BayVBl. 1991, S. 641 (646). 296 So BVerfGE 78, 123 (126); 87, 273 (278); s. auch BVerfGE 98, 17 (48); Dürig, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 3 I (1973) Rn. 410. Allerdings wirken die Entscheidungen der Obergerichte für die Untergerichte „praktisch (. . .) wie allgemeine Rechtssätze“, was auch von den Rechtssuchenden erwartet wird, so wohl zutreffend Roellecke, in: ders. (Hrsg.), Höchstrichterliche Entscheidung, S. 1 (16 f.). 291

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

entsprechender Überzeugung des abweichenden Gerichts durch gegenläufige verfassungsrechtliche Praxis ausgeschaltet werden297. c) Der gesetzlich beauftragte Richter als personifizierte Grenze der richterlichen Unabhängigkeit Im Ergebnis können also „richterliche“ Handlungen nicht gegen Art. 97 Abs. 1 GG verstoßen. Selbst der vollständige Entzug dessen, was zum Kernbereich von Rechtsprechung gehört, kann verfassungsgemäß einem anderen Richter erlaubt werden. Hierfür müssen jedoch zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen darf der Eingriff nur durch einen „Richter“ im Sinne des Art. 92 GG erfolgen, und zum anderen muß dieser Richter der „gesetzliche“ in dem Sinne sein, daß seine Befugnis zum Eingriff in den „Schutzbereich“ der Unabhängigkeit eines anderen Richters auf Gesetz, Geschäftsverteilungsplan oder einem entsprechenden Rechtsgrund, der letztlich auf ein Parlamentsgesetz zurückgeht, beruht. Denn nur dann kann es sich bei dem Eingriff um „richterliche“ Gewalt handeln, gegenüber der die Schutzwirkungen des Art. 97 Abs. 1 GG nicht eintreten298. Soweit folglich durch Gesetz einem Richter bestimmte (Teil-)Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden, berührt dies weder Art. 97 Abs. 1 GG noch Art. 92 GG299. Da solches sogar für den Kerngehalt von Rechtsprechung zulässig ist300, gilt dies – a maiore ad minus – auch dann, wenn einem Drittrichter oder einem richterlichen Kollegium nicht die weitergehende Befugnis zur (teilweisen) abschließenden Entscheidungsfindung übertragen wird, sondern nur die Kompetenz zur mittelbaren Einscheidungsbeeinflussung (ohne Rechtsprechungscharakter). Allerdings ist dann die nunmehr noch wirksame Unabhängigkeit des gesetzlichen Richters für die eigentliche Rechtsprechung zu wahren. Jedoch reduziert sich deren Abwehrgehalt gegenüber den unabhängigen „Mitrichtern“: Welche Gegenstände einer solchen kollegialen Beeinflussung ausgesetzt werden, kann der Gesetzgeber jenseits des Willkürverbots frei bestimmen. Werden also durch den Gesetzgeber etwa einem unabhängigen richterlichen Kollegialorgan Aufgaben zur Formulie297 Plastisches Beispiel ist HessVGH, AuAS 1997, S. 160 f., in dem der 12. Senat seine nach wie vor für richtig erachtete Auffassung mit der Begründung aufgab, daß dieses aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte naheliegende Verständnis durch „gegenläufige verfassungsrechtliche Praxis quasi ins Unrecht gesetzt“ worden sei. 298 Vgl. zuvor a). 299 Eindeutig und daher verfassungsgemäß etwa § 36 Abs. 3 S. 6 AsylVfG. Entsprechend geht die Behauptung der Verfassungswidrigkeit der Norm (VG Stuttgart, NVwZ-Beil. 1/1994, S. 7 f.) fehl, weil der Gesetzgber nicht den Einzelrichter, sondern die Kammer, der er angehört, zum gesetzlichen Richter über die Fristverlängerung und damit die Terminierung erklärt hat. 300 Siehe den Fall in BVerfGE 12, 67 ff.

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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rung von Qualitätsstandards, Richtlinien zur Terminierung oder Verhandlungsführung übertragen, bedeutet dies zwar eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Diese wird jedoch grundsätzlich schon durch die gesetzgeberische Anordnung gerechtfertigt. Allerdings bedarf dies einer Ergänzung zur Sicherung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG: Soweit ein Richter der „gesetzliche“ ist, muß er – und nur er – auch Richter des ihm zugewiesenen Rechtsstreits oder der jeweiligen diesbezüglichen Teilentscheidung sein können. Einem Dritten, der nicht gesetzlicher Richter ist, dürfen auch durch Parlamentsgesetz keine solchen Einflußinstrumente zugewiesen werden, die den „gesetzlichen“ Richter in eine Zwangssituation bringen würden, in der für ihn eine unabhängige Entscheidung rechtlich oder faktisch ausgeschlossen wäre. Welchem Maß an so verstandenem „rein kollegialen“ Druck ein Richter typischerweise ausgesetzt werden kann, ohne ihm seine Entscheidungsfreiheit zu nehmen, muß der Gesetzgeber am Maßstab der Verhältnismäßigkeit bestimmen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, ob sich die im zuvor beschriebenen Sinne (abstrakt) standardsetzenden Richterkollegen in einer rechtsprechungshierarchisch übergeordneten Position befinden: Der gemeinsame Erwartungskatalog der Vorsitzenden Richter und/oder des Präsidenten in richterlicher Funktion dürfte hierbei anders zu beurteilen sein, als ein Thesenpapier des gesamten Richterkollegiums ohne Beteiligung aufsichtsführender Richter. Ersterer wäre zwar nicht völlig ausgeschlossen, bedarf aber besonderer Würdigung, wobei dem Gesetzgeber diesbezüglich ein großer Spielraum auch zu weitreichenden „Zumutungen“ gegenüber dem einzelnen R1-Richter zustehen dürfte. Denn mit der durch das Grundgesetz zugelassenen Errichtung von Kollegialspruchkörpern einschließlich eines Vorsitzenden301 ist immanent die verfassungsrechtliche Verpflichtung jedes Richters verbunden, trotz kollegialen Drucks seine für richtig erachtete Entscheidung auch bei der Entscheidungsfindung gegenüber den für ihn beruflich potentiell einflußreichen „Mitrichtern“ zu vertreten. Gleichzeitig liegt darin natürlich auch die Wertung des Verfassungsgebers, daß dies jedem Richter zumutbar und von ihm auch zu leisten ist. Soweit der Gesetzgeber diese Verpflichtung auch außerhalb des Kollegialspruchkörpers im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aktualisiert, dürfte aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern sein. Die praktische Relevanz dieser Problematik läßt sich am Beispiel der jüngst entwickelten Konzeption einer Übertragung zivilrechtlicher Rechtsstreitigkeiten von der Gesamtkammer des Landgerichts auf eine mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzte „Spruchgruppe“302 zeigen, die daher auch stärk301

BVerfGE 55, 372 (388 f.). So § 348b ZPO im Entwurf eines 1. Justizbeschleunigungsgesetzes der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 15/999, S. 3. 302

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

sten verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Weil dabei formaliter das paritätische Stimmrecht des Beisitzers und des Vorsitzenden erhalten bleibt, sind beide gemeinsam und gleichberechtigt „der“ gesetzliche Richter. Dies verunklart das Spruchgruppenkonzept angesichts des Beeinflussungspotentials des Vorsitzenden, weil die bei Zweierbesetzungen denkbare Pattsituation nicht nur das Beharren des Beisitzers auf Widerspruch gegenüber dem an der dienstlichen Beurteilung mitwirkenden Vorsitzenden voraussetzt, sondern zu ihrer Auflösung notwendig die Beiziehung des bis dato unbeteiligten zweiten Beisitzers303 erfordert. Dies aber bedeutet nicht nur eine für die Statistik negative Verfahrensverzögerung sowie gesteigerte Belastung für die ohnehin schon beteiligten beiden Richter, sondern zusätzlich für einen dritten. Eine solche Situation herbeizuführen, wird faktisch nur eine seltene Ausnahme sein können, will man nicht den entlastenden Effekt der Übertragung auf die „Spruchgruppe“ zunichte machen oder gar in sein Gegenteil verkehren304. Daher wird zwangsläufig für den Vorsitzenden, vor allem aber den Beisitzer nicht nur die Gesetzlichkeit, sondern auch die (möglichst rasche) Herbeiführung der Einstimmigkeit entscheidungsführend sein. Es entsteht auf diese Weise eine Drucksituation, die jedenfalls eine alleinige Entscheidung am Gesetz strukturell in der Mehrzahl der Fälle zugunsten der Vermeidung von zusätzlicher Arbeitslast und Verzögerung verhindern dürfte. Zumindest aber würde durch die vorgeschlagene Methode ein so großes Ablenkungspotential geschaffen, daß die daraus folgende Gefährdung einer unabhängigen Entscheidung kaum mehr zulässig sein dürfte305. 303

So dementsprechend auch der Gesetzentwurf für § 348 b Abs. 2 ZPO (FN 302). Dies gilt erst recht, wenn die Beschreibung des Beisitzers, der nicht zugleich Berichterstatter ist, durch Rosendorfer, Ballmanns Leiden, S. 47, zutreffen sollte: „Den anderen Beisitzer interessiert die Sache nicht, es ist ja keine von seinen Sachen, also schläft er. Daher der Name Beischläfer.“ Vielleicht deshalb führt der schlafende Richter nicht zwingend zur Aufhebung seines Urteils, vgl. nur BGHSt 2, S. 14 (15 f.). 305 Die Entwurfsbegründung des Gesetzes (FN 302), BT-Drs. 15/999, S. 18, erscheint dem gegenüber unbedarft und argumentiert zudem unredlich, wenn sie meint, die „Besetzung eines Spruchkörpers mit nur zwei Mitgliedern“ habe „sich bei den Strafkammern schon seit Jahren bewährt“. Einen solchen Spruchkörper kennt das Strafprozeßrecht jedoch nicht. Diese Ausführungen können sich sinnvoller Weise nur auf § 76 Abs. 2 StPO beziehen (zur Kritik hieran s. oben bei FN 143), bei dem aber das Gericht in der Hauptverhandlung nach wie vor mit insgesamt vier Richtern, nämlich neben den beiden Berufsrichtern mit zwei Schöffen besetzt ist. Die Nicht-Mitwirkung der Schöffen außerhalb der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 1 S. 2 GVG) ändert daran nichts, denn dann bleibt es immer bei der Besetzung mit drei Berufsrichtern (vgl. Katholnigg, Strafgerichtsverfassung, § 76 Rn. 3 m. w. Nw.; BGH, NJW 2004, S. 1118). Vor allem aber hat der Gesetzgeber konsequent die letztlich absurde Zweierbesetzung vermieden, s. nur § 76 Abs. 3 S. 2 GVG, infolge dessen bei zwei Berufsrichtern und Nichtteilnahme der Schöffen der Vorsitzende alleine entscheidet. Sofern die Entwurfsbegründung nicht einfach ein Versehen oder Unwissenheit seiner Verfasser widerspiegelt, spricht sie Bände über die Geringschätzung, die der Rolle und Bedeutung des Laienrichterelements im deutschen Strafprozeß entgegen gebracht 304

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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3. Die ausnahmslos engen Grenzen der Exekutivermächtigung Völlig anderes muß für die Fälle einer gesetzgeberischen Ermächtigung an die Exekutive gelten306. Das zuvor entwickelte Anwendungsschema des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit, verbunden mit einem absolut strikten Vorbehalt des Gesetzes für Einschränkungen des Art. 97 Abs. 1 GG, beansprucht ohne Abstriche Geltung für die Exekutive. Für eine auch nur partielle Rücknahme der strengen Erfordernisse besteht weder erkennbarer Grund noch Rechtfertigung. a) Noch einmal: Das Steuerungsmonopol des „Rechtssatzes“ Noch einmal soll Bezug genommen werden auf die Papiersche Mißverständnisthese und ihre Betonung der Ausschließlichkeit des Steuerungsinstruments „Rechtssatz“307. Ihm ist nach wie vor zuzustimmen, allerdings mit einer Klarwird. Faktisch mögen die Schöffen von den Berufsrichtern bis zur Bedeutungslosigkeit dominiert werden – dies kann angesichts des Beratungsgeheimnisses kaum je empirisch festgestellt werden (s. aber Görlitz, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 144: „die Laienrichter beeinflussen die Entscheidung in der Regel nicht“; detailliert ebd., S. 304 ff.). Diesen evident verfassungswidrigen Zustand aber zur Grundlage eines Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag zu machen, erscheint befremdlich. Die Erläuterungen hierzu von Röttgen, ZRP 2003, S. 345 (347) [vernichtende Kritik an seinen Ausführungen durch Meyer-Goßner, ZRP 2004, S. 128 f.], sprechen eher gegen ein Versehen und für einen Rechtsirrtum und mangelnde Kenntnis der empirischen Grundlagen des Prozeßrechts auf Seiten der Entwurfsverfasser, zumal er meint, die Zivilkammer solle wie im Strafprozeß „bis zur Verhandlung im Haupttermin“ mit zwei Richtern besetzt sein. Denn weder gibt es im Strafprozeß zwei Richter, noch treten im Zivilprozeß dann weitere hinzu. Siehe jüngst schlaglichtartig zur Problematik der Schöffenbeteiligung insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Auswahl und Überforderung DER SPIEGEL 4/2004, S. 54 („Nur ein dummer Schöffe ist ein guter Schöffe“); krit. zur Herabwürdigung der Schöffen schon J.-W. Berlit, DRiZ 1966, S. 183 ff. Krit. auch bereits Beradt, Der deutsche Richter, S. 99 f.: „Die heutigen Schwurgerichte sind keine Schwurgerichte, sie sind vergrößerte Schöffengerichte, ihre Sprüche sind die Sprüche von drei gelehrten Richtern und die Geschworenen nur der antike Chor: er wiederholt das Urteil, das drei Chorführer vorsprechen.“ Zu Pro & Contra Schöffenbeteiligung jüngst Vultejus vs. Volk, ZRP 2004, S. 63. Zur Laienrichterbeteiligung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit s. Stellungnahme des hessischen VGH-Präsidenten, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 176 (176 f.); Pitschas, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 175 (182); Stelkens, in: Schmidt-Aßmann/Schoch/Pietzner, VwGO, § 19 (1998) Rn. 2. Zur Vereinheitlichung der Wahl und Amtsdauer der ehrenamtlichen Richter Wendt, ZRP 2003, S. 286 f., und das Gesetz vom 21.12.2004 (BGBl. I, S. 3599 ff.). 306 Für eine solch deutliche Unterscheidung auch ausdrücklich T. Groß, ZRP 1999, S. 361 (361). 307 Papier, NJW 2001, S. 1089 (1094).

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

stellung: Der notwendig abstrakte Rechtssatz als Sollensgebot ist nicht self-executing. Genausowenig, wie die richterliche Unabhängigkeit durch bloße Verkündung des Art. 97 Abs. 1 Hs. 1 GG im Bundesgesetzblatt zur Realität wird, ist schon allein dadurch die Bindung des Richters an Gesetz (und Recht) in Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 Hs. 2 GG sichergestellt – andernfalls brauchte man weder Art. 19 Abs. 4 GG gegen die ebenfalls an Gesetz und Recht gebundene Exekutive noch irgendwelche Formen von Rechtsmitteln. Daher muß differenziert werden: Nicht die Instrumente der Steuerung sind auf den Rechtssatz beschränkt, sondern allein die Zweck- und Zieldefinition, also die Maßstabsetzung für den Einsatz sonstiger Steuerungsinstrumente. Idealbeispiel ist die Dienstaufsicht: Sie handelt nicht durch Rechtssätze, steuert aber trotzdem – das ist ihr Sinn. Sie darf aber nur die Ziele ansteuern, die der Gesetzgeber zuvor als solche definiert hat, weshalb das Dienstgericht des Bundes auch jegliche weitergehenden oder abweichenden Zieldefinitionen der Rechtsprechungsverwaltung verbietet. Solange der Gesetzgeber keine Dienstzeiten vorschreibt oder Terminierungsfristen festlegt, fehlt es an einer Zielvorgabe in Gesetzesform. Daher kann auch die Rechtsprechungsverwaltung solche ersatzweise definieren. Wenn und soweit es folglich entsprechende Maßstäbe richterlichen Handelns in Gesetzesform gibt, so können zu ihrer Sicherstellung auch „Neue“ Steuerungsinstrumente benutzt werden. Allerdings ist dabei auf eine streng formalisierte Betrachtung Wert zu legen, die kompromißlos zwischen Maßstabsetzung und deren (bloßer) Anwendung im Einzelfall differenziert. Für erstere gilt das Rechtsatzmonopol, für letztere nicht. Entscheidend für die verfassungsrechtliche Beurteilung der NSM in den Gerichten ist daher deren abstrakte Eignung oder konkrete Anwendung zur Maßstabsetzung für die Richterschaft. b) Das „Marionettentheorem“ und seine Verfassungswidrigkeit Die Rechtsprechungsverwaltung ist mächtig und einflußreich. Die fehlende institutionelle Sonderung der Gerichte als organisatorische Einrichtungen und die damit in die Gerichte eingeführte Hierarchie stellen der Exekutive ein enormes Druckpotential zur Verfügung. Daher muß davon ausgegangen werden, daß die Rechtsprechungsverwaltung faktisch in der Lage ist, ihre Ziele und Interessen auch gegenüber den Richtern durchzusetzen. Dieser Umstand allein ist es, der die richterliche Forderung nach weiter Ausdehnung der Unabhängigkeitswirkungen schon in das Vorfeld einer Weisungssituation jedenfalls bis zu einem gewissen Grade rechtfertigt und in der ständigen Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes zum Ausdruck kommt, die Dienstaufsicht habe sich auch einer mittelbaren, psychologischen Einflußnahme zu enthalten308. Denn etwa „auch eine allgemeine Bekanntmachung der Rechtsauffassung des Justizministe308

Siehe nur BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 2002, S. 350 (361).

VI. Gewaltenspezifische Reichweiten der Einschränkungsermächtigungen

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riums“ kann „je nach Form und Inhalt auf die einzelnen Richter wie eine Weisung oder Mahnung wirken.“309 Soweit daraus aber der Schluß gezogen wird, die Unabhängigkeitsgarantie werde schon dadurch verletzt, daß richterliches Handeln von einem exekutiven Organ oder gar von nichtstaatlicher Seite kritisch thematisiert wird310, kommt darin ein grob fehlerhaftes Verständnis der Verfassung zum Ausdruck, weil es Unabhängigkeit mit Kritikfreiheit gleichsetzt. Denn dahinter steht zwangsläufig ein (Selbst-)Verständnis, das den Richter als „Marionette“ der Rechtsprechungsverwaltung begreifen muß, die willenlos nach dem Gutdünken der Exekutive zu tanzen bereit ist, sobald diese auch nur verbal an den Spielfäden zieht. Dieses „Marionettentheorem“ und der mit ihm angenommene Automatismus richterlicher Hörigkeit dürfte – so bleibt wenigstens zu hoffen – schon an der Empirie weithin vorbeigehen und nur auf wenige Richter zutreffen, auch wenn „Sicherheit“ zur Unabhängigkeit nicht mehr ausreichen, sondern diese sogar eher gefährden sollte311. Aber selbst wenn sie weithin richtig wäre, könnte man es nicht dabei belassen, den betroffenen „Marionettenrichtern“ zu raten, sich Pinocchio zum Vorbild zu nehmen und ihre Fäden zu durchtrennen. Vielmehr müßte man dann das Amtsverständnis der Richterschaft als verfassungswidrig qualifizieren, weil es die jenseits aller Schutzansprüche gegen die anderen Gewalten jedenfalls auch bestehende Verpflichtung der Richter selbst zu tagtäglich unabhängiger Entscheidung verletzte. Es kann hier offen bleiben, ob man als Folge daraus die betroffene Richterschaft mittels der Richteranklage aus dem Amt entfernen müßte, weil sie einen Kerngehalt des Rechtsstaatsprinzips und damit einen Grundsatz des Grundgesetzes mißachten312. Jedenfalls kann unge309

BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 2004, S. 144 (146). Bezeichnend mag hier folgendes sein: Kaminski, BJ 2004, S. 212 f., berichtet über die letztlich vorbildhafte Richterevaluation in New Hampshire, bei der im Dreijahresrhythmus Anwälte, Parteien, Zeugen, Jury-Mitglieder, Gerichtsmitarbeiter und andere, die dienstlich mit den Richtern zu tun hatten, mittels eines Fragebogens befragt werden. Im Editorial der BJ-Ausgabe vermeldet Engelfried, ebd., S. 209, die Redaktion werde sich hüten, „die Übernahme von derartigen Fragebögen zu befürworten, gewiß bräche von rechts bis links ein Sturm los.“ Was zu erwartende Kritik von „links“ angeht, so erscheint in diesem Zusammenhang interessant, daß Anschütz, WRV, Art. 102 Anm. 2, ausdrücklich deshalb daraufhin weist, daß andere Parlamentsbeschlüsse als Gesetze zur Beeinflussung der Rechtspflege verfassungswidrig und unbeachtlich seien, weil in der Weimarer Nationalversammlung bei der Beratung zu Art. 102 WRV „von linkssozialistischer Seite der Versuch gemacht wurde, dem Reichstage (. . .) eine Art von parlamentarischer Kabinettsjustiz zu übertragen“. Auch für die SPD war die Unabsetzbarkeit der Richter in der WRV ein „schwerer Geburtsfehler“, vgl. K. Kramer, BJ 1998, S. 263 (264). Für die Sinnhaftigkeit einer Betroffenen-Befragung Kaminski, BJ 2001, S. 136 ff., mit kritischer Haltung zu einem Richterranking (ebd., S. 138). 311 So R. Jaeger, ZRP 2003, S. 468 (468); Gegenbeispiel etwa der von Rosendorfer zitierte „renitente“ Amtsrichter, vgl. oben § 4 V. 1. 312 Dies könnte sogar den Fall des Art. 98 Abs. 2 GG praktisch werden lassen, der kein Verschulden voraussetzt, wenn man nämlich angesichts der Macht der Exekutive 310

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

achtet dessen ein solch verfassungswidriger Zustand nicht zur Grundlage der Grundgesetzinterpretation gemacht werden. Daher darf (und muß) auch die Interpretation des Art. 97 Abs. 1 GG von einem Richter ausgehen, der in der Lage ist, auch angesichts einer für ihn so machtvollen Exekutive deren Determinanten für sich auszublenden bzw. überzudeterminieren. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesetzgeber entsprechende Defizite der Richterschaft erkannt haben und zur Sicherung der Unabhängigkeit statt wie bei Anwälten auf „Charakterstärke (. . .) beim Richter auf Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit sowie auf Freizeichnung von Haftung gesetzt haben sollte“313. Die „Mimose“ ist „nicht das richterliche Leitbild“314 – weder der NSM noch des Grundgesetzes. Vor allem bleibt zu berücksichtigen, daß dem durch die Unabhängigkeitsgarantie geschaffenen Freiraum des Richters – erst recht wenn man wie hier die innere Unabhängigkeit zu ihrem umfassenden Schutzgut erklärt – „ein hohes Maß an Verantwortung (und Verantwortlichkeit)“ auch dort korrespondiert, „wo der inneren Verantwortung keine Möglichkeiten entsprechen, diese gezielt und systematisch einzufordern“315. Diese Verantwortung ist auch auf eine unabhängige Entscheidung trotz exekutiver Rechtsprechungsverwaltung bezogen: „In freier Paraphrase zu Kant heißt dies: Unabhängigkeit des Richters ist der Ausgang aus seiner selbst verschuldeten oder doch bestehenden Abhängigkeit. Abhängigkeit ist das Unvermögen des Richters, sich seiner richterlichen Fähigkeiten ohne Einfluß anderer zu bedienen. Selbstverschuldet ist die Abhängigkeit dann, wenn die Ursachen derselben nicht am Mangel der Fähigkeiten, sondern der Entschließung und des Mutes liegen, sich ihrer ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Und so lautet der Wahlspruch: Habe Mut, Dich Deiner eigenen richterlichen Unabhängigkeit zu bedienen, indem Du gerecht und weise, verständig und erfahren und tapfer bist.“316

VII. Die Folgen für die prozedurale Durchsetzung der „Schranken-Schranken“ Die in der hier vertretenen Konzeption liegende Aufwertung und Betonung von Aufgaben und Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers für den Schutz, aber auch die Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit führt notwendig zu einer Modifizierung ihrer prozeduralen Durchsetzung. Ist bisher aufgrund der Zurückhaltung des Gesetzgebers und der damit verbundenen Handlungsfreiheit der Exekutive das Verhältnis zwischen Richter und Rechtspreüber den Richter dessen „Versagen“ als nicht vorwerfbar qualifizierte. Vgl. hierzu das Zitat von Zinn, oben FN 367. 313 R. Jaeger, NJW 2004, S. 1 (5). 314 Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, S. 18 (27). 315 U. Berlit, KJ 32 (1999), S. 58 (61). 316 Berkemann, FS Zehn Jahre VG Leipzig, S. 15 (26).

VII. Die Folgen für die Durchsetzung der „Schranken-Schranken‘‘

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chungsverwaltung zentraler Schauplatz der Spannungen und Auseinandersetzungen, so würde diesbezüglich eine Aktivierung des Gesetzgebers zu einer partiellen Verschiebung und Erweiterung führen. Die damit verbundenen Veränderungen sind jedoch auch für den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit hinnehmbar. Zur Klärung jeglichen Streits zwischen Richtern und Rechtsprechungsverwaltung hat bisher das Prüfverfahren nach § 26 Abs. 3 DRiG die zentrale Rolle gespielt. Ohne diese Klagemöglichkeit jedes Richters hätte es niemals zu der aktuellen weitreichenden Sicherung der Unabhängigkeit kommen können317. Diese prozedurale Bedingung darf auch unter Geltung der vorgenannten Konzeption nicht in Frage gestellt werden. Dies steht auch nicht zu befürchten, wird sich aber in seiner Struktur wandeln müssen. Zunächst ändert sich die herkömmliche Situation im Hinblick auf § 26 Abs. 3 DRiG nicht, denn die Rechtsprechungsverwaltung wird weiter Maßnahmen der Dienstaufsicht erlassen, die von jedem Richter einer rechtlichen Überprüfung durch die Dienstgerichte zugeführt werden können. Soweit es dabei um Ausfüllung von Handlungsspielräumen der Rechtsprechungsverwaltung geht, bleibt es bei der bisherigen Situation, daß die Dienstgerichte die Entscheidungen der dienstaufsichtführenden Stelle für unzulässig erklären. Der de lege lata breite Zugriff der Dienstgerichte auf nahezu alle Akte der Gerichtsverwaltung war und ist natürlich nur deshalb möglich, weil die Normierungstiefe des Verhältnisses von Rechtsprechungsverwaltung zu Richtern so gering ist. Daher wird die Praxis allein von untergesetzlichen Maßnahmen ausgestaltet, die der Kassation durch ein „normales“ Gericht unterliegen, ohne daß das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet werden mußte. Dies ist letztlich auch die entscheidende Ursache dafür, daß das rechtsdogmatische Verständnis des unmittelbaren Verfassungsbegriffs der richterlichen Unabhängigkeit im wesentlichen vom Dienstgericht des Bundes, nicht aber vom Bundesverfassungsgericht geprägt worden ist. Geht der parlamentarische Gesetzgeber aber dazu über, selbst verstärkt und zunehmend Schranken der richterlichen Unabhängigkeit zu definieren, die von der Rechtsprechungsverwaltung nur noch im Einzelfall gleichsam als „os legis“ exekutiert werden müssen, so stößt das „Abwehrpotential“ der Richterdienstgerichte an seine Grenzen, weil Unabhängigkeitsbeschränkungen in formeller Gesetzesform dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts unterliegen. In solchen Fällen käme auch das Dienstgericht des Bundes nicht umhin, den Weg einer konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 GG zu beschreiten oder mit einer diesbezüglich ablehnenden Entscheidung dem antragstellenden Richter den Weg zur Verfassungsbeschwerde freizumachen. 317

Siehe oben § 5 II. 1.

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§ 5 Die Kompetenz zur Einschränkung

Zuzugeben ist dementsprechend, daß eine verstärkte Aktivität des Gesetzgebers den für die Richter einfachen und effektiven Weg über § 26 Abs. 3 GG ein gutes Stück weit entwerten würde. Dies ist jedoch hinnehmbar, weil die ratio des Prüfverfahrens ebenso wie die Rechtfertigung des barrierefreien Zugangs hierzu in der rechtsstaatlichen Notwendigkeit wirksamer Exekutivabwehr des Richters besteht. Für eine vergleichbare prozedurale Legislativabwehr besteht hingegen wegen Art. 97 Abs. 1 Hs. 2 GG kein Bedürfnis. Zum anderen wird damit der verfassungsideelle Vorteil erzielt, die Bestimmung des zentralen verfassungsrechtlichen Begriffs der richterlichen Unabhängigkeit mehr als bisher dem hierfür besonders berufenen Bundesverfassungsgericht zu überantworten318. Entscheidend in Hinblick auf die Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit ist jedoch – und dies gilt erst recht dann, wenn man sich auf die Verhältnismäßigkeit als entscheidendes, aber auch extrem wertungsabhängiges Kriterium einläßt –, daß in jedem Fall ein Richter letztlich die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit trifft. Diesbezüglich hat sich das Prüfverfahren gem. § 26 Abs. 3 DRiG als geradezu ideal erwiesen. Aber auch die verfahrensrechtliche Einschränkung und Erschwernis durch den Zwang zur konkreten Normenkontrolle oder die Verfassungsbeschwerde ändert an der Beibehaltung des „letzten Wortes“ eines Richters nichts. Und angesichts des kaum zu überschätzenden Verdienstes des Bundesverfassungsgerichts für die Freiheitssicherung des Bürgers dürfte nicht zu erwarten sein, daß es der hierfür notwendigen richterlichen Unabhängigkeit weniger Wertschätzung zuteil werden läßt als das Dienstgericht des Bundes. Als zutreffend erweist sich insoweit die Position des Dienstgerichts des Bundes, das die Klage eines Richters gegen unzureichende Ausstattung seines Gerichts durch den Haushaltsgesetzgeber an das Bundesverfassungsgericht verwiesen hat319.

318 Dies gilt auch dann, wenn man mit Peter Häberle alle Gerichte, also auch die Richterdienstgerichte, als „kleine Verfassungsgerichte“ ansieht. 319 BGH (Dienstgericht des Bundes), Urteil vom 3.11.2004 – RiZ (R) 2/03 –.

Die richterliche Unabhängigkeit hat sich (. . .) gegenüber jeder anderen staatlichen und nicht weniger auch nichtstaatlichen Macht zu bewähren; (. . .) so auch vor dem Geldsack. Eugen Schiffer

§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle und die richterliche Unabhängigkeit I. Die bisherigen Erkenntnisse als Maßstab für die verfassungsrechtliche Bewertung der NSM Die bisherige Untersuchung hat einen klaren Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung der NSM am Maßstab der richterlichen Unabhängigkeit geliefert, der noch einmal komprimiert der folgenden Untersuchung vorangestellt werden soll: 1. Die richterliche Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG garantiert die gesamte richterliche Handlungs-, Erkenntnis und Entscheidungsfreiheit des gesetzlichen Richters frei von jeglicher staatlichen Einflußnahme und kann durch jedes Gesetz, das formell und materiell mit der Verfassungs in Einklang steht, beschränkt werden. 2. Für die Grenzen der Einschränkbarkeit gilt folgendes: a) Wegen des Rechtsprechungsmonopols der Richter aus Art. 92 GG dürfen Unabhängigkeitsbeschränkungen durch Legislative und Exekutive selbst keine Rechtsprechung darstellen oder ihr in ihren Wirkungen gleichkommen. Letzteres ist insbesondere auch dann der Fall, wenn auf den gesetzlichen Richter ein solcher Einfluß ausgeübt wird, der ihm faktisch keine Entscheidungsfreiheit läßt. Dies verstieße zugleich gegen das Gebot der „Weisungsfreiheit“ als absolutem Kerngehalt der richterlichen Unabhängigkeit. Daneben gelten in persönlicher Hinsicht die absoluten Grenzen des Art. 97 Abs. 2 GG sowie die entsprechenden Mindestgarantien für „atypische“ Richter. b) Werden die zuvor unter a) genannten Bedingungen eingehalten, so ist der Gesetzgeber, sofern er sich des Rechtssatzes als Handlungsinstrument bedient, berechtigt, verbindliche Handlungsanleitungen für richterliches Handeln zu setzen.

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

c) Wegen des Rechtssatzvorbehalts in Art. 97 Abs. 1 Hs. 2 GG dürfen Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit ausschließlich durch Gesetz, nicht aber aufgrund Gesetzes erfolgen. Dies bedeutet, daß exekutivisches Handeln keine Maßstabsetzung für richterliche Entscheidungen betreiben darf. Soweit es die richterliche Unabhängigkeit einschränkt, ist die Rechtsprechungsverwaltung daher nur zur reinen Vollstreckung gesetzgeberischer Vorgaben befugt. d) Sollen Richtern Kompetenzen zur unabhängigen Wahrnehmung mit maßstabsetzender Wirkung auch für andere Richter zugewiesen werden, die keine Rechtsprechung darstellen, ist hinsichtlich des „Ob“ nur der allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz der Willkürfreiheit zu beachten. e) Im Rahmen der sich aus a) ergebenden Einschränkbarkeit der richterlichen Unabhängigkeit kann der Gesetzgeber jegliche Handlungsparameter für die Richter schaffen, etwa durch Organisationsentscheidungen in den Gerichten. Dabei hat er jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit am Maßstab der auch gegen staatliche Einflußnahmen gerichteten inneren Unabhängigkeit des Richters zu beachten. Dies gilt in striktem Maße dann, wenn er die Exekutive zur Um- und Durchsetzung von Handlungsmaßstäben gegenüber dem Richter ermächtigt (zuvor b). Es ist daher neben Geeignetheit und Erforderlichkeit insbesondere auch zu prüfen, ob vom durchschnittlichen Richter erwartet werden kann, trotz der staatlich gesetzten Handlungsparameter eine unabhängige Entscheidung in alleiniger Unterwerfung unter das Gesetz zu treffen. f) Weil die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nicht vor Einflußnahmen durch „Rechtsprechung“ schützt, kann der Gesetzgeber jeden Richter für den Einzelfall zum „gesetzlichen“ erklären und seinen Entscheidungen unbeschränkte Bindungswirkung für andere Richter – unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichheit aller Richterämter – beimessen.

II. Notwendiger, aber kritischer Verzicht auf eine begriffliche Ideologisierung der NSM-Diskussion Ökonomisierungsstrategien kommen nicht umhin, Anleihen bei wirtschaftlich orientierten Systemen zu machen. Wenn Effizienzdefizite abgebaut werden sollen, dann ist es folgerichtig und seinerseits „effizient“, sich an bestehenden Konzepten und Organisationsformen zu orientieren, die eine Effizienzsteigerung oder gar -maximierung erreicht haben. Dem folgt dann natürlicherweise auch die Terminologie; es wäre Ressourcenverschwendung, wollte man das Rad neu erfinden, indem man für als sinnvoll erkannte Dinge neue Namen kreiert, statt auf altgekannte Begriffe zurückzugreifen, deren Bedeutung zumindest grund-

II. Verzicht auf eine Ideologisierung der NSM-Diskussion

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sätzlich geklärt ist. Dies würde unweigerlich zu Verwirrung und Rezeptionsschwierigkeiten führen1. Wenn also die KGSt zur Konzeption der NSM Anfang der 90er Jahre auf betriebswirtschaftliche Erkenntnisse zurückgriff, dann übernahm sie folgerichtig die dort gebräuchliche Terminologie; ihr folgten dann auch alle weiteren „professionellen“ Reformer. Dies mag modernistisch klingen2; und in der Tat lassen sich nicht jegliche Zweifel leugnen, ob das Verhältnis Staat-Bürger sinnvoll mit Begriffen besetzt werden kann und soll, die traditionell die Beziehung zwischen gleichgeordneten Wirtschaftsunternehmen und ihren Gegenüber kennzeichnen. Soweit die öffentliche Gewalt mittels der Eingriffsverwaltung tätig wird, ist der Bürger alles andere als der „König Kunde“. Er muß Rechtsverluste hinnehmen, empfängt weder ein Produkt noch eine Dienstleistung; vielmehr muß er selbst „leisten“ in Form einer Handlung, Duldung oder Unterlassung. Höchstens im Rahmen der Leistungsverwaltung tritt der Bürger als Kunde auf, der eine Dienstleistung in Anspruch nimmt und im Einzelfall dafür auch eine Gebühr entrichtet. Aber selbst dann beruht das staatliche Handeln regelmäßig auf einem gesetzlichen Auftrag, der Anspruch des Bürgers ist normativ definiert und begrenzt. Ein freies Aushandeln im Sinne eines Vertragsschlusses in Privatautonomie kommt – wenn überhaupt – nur in engsten Grenzen vor. Aber gerade die freie Wahl des Vertragspartners sowie des Inhalts des Rechtsgeschäfts kennzeichnen die Situation des privatwirtschaftlichen Systems. Gleichwohl steht auch ein Kläger den Gerichten als Organisationen gegenüber, deren spezifische Fähigkeiten er in Anspruch nehmen will. Er begehrt eine Leistung, die ihm gesetzlich garantiert ist. Aus Sicht des Gerichts und seiner Richter bedeutet dies, daß sie eine Leistung zu erbringen haben, die nicht in ihr Belieben gestellt ist, sie erfüllen daher einen Anspruch, nämlich „das Recht“ (des Klägers), „von einem Dritten“ (dem Gericht), „ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ (vgl. § 194 BGB). Angesichts der für gerichtliche Verfahren weithin bestehenden Fristen, könnte man gar davon sprechen, daß dieser Anspruch – untechnisch ausgedrückt – der Verjährung unterliegt. Damit aber wird genau das, was im Zentrum einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden steht, zum Kern des Verhältnisses Gericht – Bürger: die Erfüllung von (gegenseitigen) Ansprüchen. Lediglich der Entstehungsgrund ist unterschiedlich: hier Rechtsgeschäft, dort das Gesetz (Prozeßordnung, Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG). Der Bürger/Kläger wird zum „Kunden“.

1 Siehe Schulze-Fielitz, JöR (n. F.) 50 (2001), S. 1 (29, Fn. 121); speziell für die NSM-Diskussion Hoffmann-Riem, in: ders. (Hrsg.), Reform, S. 243 (271 f.). 2 Insbesondere der „Modernisierungs“-Begriff selbst ist letztlich modisch und inhaltsleer; vgl. nur § 1 III.

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

In der Rechtsprechung kommt der (NSM-)Begrifflichkeit allerdings große Bedeutung zu. Die Jurisprudenz denkt (primär) in rechtsdogmatischen Kategorien3 und wendet sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Entscheidungsfindung nur begrenzt, auf sich selbst aber gar nicht an. Daher fällt es ihr schwer, mit den „BWL-Bezeichnungen“ als solchen etwas anzufangen. Zudem sind die dahinter stehenden Inhalte den Richtern aufgrund ihrer Unabhängigkeitstradition und ihrer spezifischen Rechtmäßigkeitsorientierung fremd. „Die Dominanz der juristischen Kultur hat auch mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber dem Denken in Zahlen zur Folge. ,Judex non calculat‘ “4. Die Bindung an Gesetz und Recht und der Auftrag zur Gewährung von Rechtsschutz vertragen sich gut mit der über Recht gesteuerten Ausübung legaler Herrschaft im Weberianischen Sinne, aber nur sehr schwer mit einer ökonomisch definierten Rolle von Staat und Verwaltung im Sinne des NPM5. Aus Richtersicht haben „Wahrheit und Gerechtigkeit keine Schnittstelle zu ökonomisch-finanziellen Zielgrößen“6. Verschärfend tritt hinzu, daß die Einführung der neuen Modelle und Begriffe kein Akt der Selbstorganisation der Richterschaft ist, sondern von der Rechtsprechungsverwaltung als Exekutive eingeführt wird. Eine Staatsgewalt, die zudem noch verfassungsrechtlich mit besonderer Unanhängigkeit (gegenüber den anderen Gewalten) ausgestattet ist, wird durch eine andere maßgeblich bestimmt. Dies verschärft die Konfrontationssituation beträchtlich und mit ihr die Abwehrhaltung der Betroffenen jenseits aller rechtlichen Kategorien. Dies beginnt schon angesichts des Oberbegriffs des Neuen Steuerungsmodells und setzt sich über das Controlling, verkürzend mißverstanden als (reine) „Kontrolle“, fort bis hin zum Qualitätsmanagement, das aus richterlicher Sicht nur etwas zum Gegenstand haben kann, was es nicht haben darf, nämlich das Ergebnis richterlicher Tätigkeit. Denn das soll aufgrund der Unabhängigkeitsgarantie gerade einer Qualitätsbetrachtung 7 und erst recht einem entsprechenden „Management“ entzogen sein. Auch hier „fürchten die Inhaber von Organrechten zur politischen Gestaltung, von Selbstverwaltungs- oder Grundrechten, die staatliche Kontrolle könne im Gewande der Kritik des Finanzgebarens die Autonomie der Sachentscheidungen beeinträchtigen“ 8. 3

Diese vornehmlich rechtsdogmatische Sicht hat bisher auch eine Betrachtung der Justiz als Organisation im Sinne einer Justizlehre verhindert, vgl. Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (9 f.). 4 So schon für die Verwaltung Freudenberg, in: Damkowski/Precht (Hrsg.), Moderne Verwaltung, S. 88 (95). 5 Vgl. zu diesem Paradigmenwechsel infolge der NSM Budäus, in: Baum u. a. (Hrsg.), Controlling, S. 43 (44); Scherer, in: ders./Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 3 (6 ff.). 6 Hoffmann-Riem, JZ 1997, S. 1 (4). 7 Siehe Spindler, DRiZ 2002, S. 78. 8 Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (253); diese Gefahr bestätigt im Ergebnis auch Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (399).

II. Verzicht auf eine Ideologisierung der NSM-Diskussion

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Sicherlich meinen die Begriffe das, was sie aussagen: „Steuerungsmodelle“ dienen der Steuerung. Und sie kommt für die Richterschaft aus einer externen Position; gleichwohl sagt dies noch nichts über die Art und Weise sowie mögliche Modifikationen. Eine justizspezifische Anpassung ist nicht per se ausgeschlossen, so daß die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit erst auf den zweiten Blick beurteilt werden kann. Dabei sind die Instrumente der Verwaltungsmodernisierung zweifellos einem System entnommen, das für und von privaten, stets auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen entwickelt worden ist. Sie sind insofern mit einer schweren Hypothek belastet, als sie diese Herkunft nicht verleugnen können und daher zunächst von ihrer finanziellen Fokussierung als nicht abstrahierbar erscheinen. Dies ist jedoch ein Trugschluß, dessen Überwindung zwar „anstrengend“, weil aufwendig, nichts desto trotz aber möglich ist. Generell läßt sich dabei schnell zeigen, daß die NSM trotz ihrer ursprünglichen Anwendung zur Erzeugung von Gewinnen durch Konzentration auf finanzielle Parameter „lediglich“ Methoden darstellen, denen ihr Ziel nicht schon innewohnt, sondern das separat davon definiert werden kann: Daß ein Controlling der Gewinnmaximierung dient, ist ihm keineswegs begriffsnotwendig inhärent. Zwar bleibt nach wie vor Skepsis angezeigt, ob nicht die Fachtermini für die gerichtlichen/richterlichen Tätigkeiten so „umdefiniert“ werden müssen, daß der betriebswirtschaftliche Rationalitätsgewinn der Begriffsbildung verloren geht9. Doch besteht selbst dann (immerhin) noch die Chance auf einen „Rationalitätsgewinn“ jenseits ökonomischer Parameter für eine „Qualitäts“-Verbesserung der Rechtsprechung trotz sinkender finanzieller Ressourcen. Dabei darf die Mahnung von Voßkuhle hinsichtlich der „Gefährlichkeit“ von Staatsbildern ebenso wenig unbeachtet bleiben10 wie die substantiierte Warnung von Bertram11. Und bei unbefangener Betrachtung sind die Konnotationen, die sich mit einem Gericht als Organ der Strafgewalt des Staates verbinden, kaum mit denen vereinbar, die sich herkömmlich hinter einem Dienstleistungszentrum verbergen. Dies kann bei mangelnder Sensibilität unbewußt zu der einen oder anderen Seite ausschlagen und sich so verselbständigen. Dies gilt um so mehr dann, wenn im Einzelfall kein Korrektiv zur Verfügung steht oder gar der Gesetzgeber dies unterstützt: Dies zeigt zum einen die Abhängigkeit der Berufungsmöglichkeit im Zivilprozeß vom Wert der Beschwer (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Darin kommt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, daß in Fällen geringen Streitwerts fehlerhafte Entscheidungen des Amtsrichters von der zu Unrecht unterlegenen Partei hingenommen werden sollen und müssen; sie soll kein Recht (mehr) zur Durchsetzung ihrer Ansprüche haben. Ist dabei der 9

Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (117). Voßkuhle, Der Staat 40 (2001), S. 495 ff. 11 G. Bertram, NJW 1998, S. 1842 ff. 10

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

Streitwert insgesamt nicht höher als 600 Euro, so verlieren beide Parteien des Rechtsstreits Teile ihrer ansonsten garantierten Verfahrensrechte, weil dann der Richter gem. § 495a ZPO das Verfahren nach seinem billigen Ermessen bestimmt. Wertet man dies als Ausdruck des „Dienstleistungsstaates“ und führt es konsequent weiter oder setzt man (von hier ab) mit diesem Staatsbild an, so muß tendenziell jeder „Service“ und Aufwand für den Kläger möglichst gering gehalten werden, denn die zu erwartenden Gerichtsgebühren können die hierfür aufzuwendenden gerichtsinternen Kosten nicht aufwiegen. Dies gilt zwar generell bei allen niedrigen Streitwerten, wird aber angesichts des richterlichen Spielraums im Rahmen des § 495a ZPO besonders deutlich. Richterliche „Schnellschüsse“ mit Ungenauigkeiten infolge Verzichts auf zeitintensive Gründlichkeit sind dann keine Anlässe für Kritik mehr, sondern systemkonforme Kollateralschäden. Nur angedeutet sei hier, daß die Zeiterfassung und deren direkte Umrechnung in richterliche Personalkosten es ermöglicht, gerade auch transparent zu machen, daß etwa ein Amtsrichter für 100 Euro erzielte Gerichtsgebühren Arbeitskraft im Wert von 300 Euro verursacht hat. Typische Reaktion eines Controllers wäre in diesem Fall der Hinweis, nicht mehr Zeit und damit Personalkosten für einen Fall aufzuwenden, als letztlich durch die zu erhebenden Gerichtsgebühren erzielt werden wird. Dies muß gar nicht fallweise geschehen, sondern kann durchaus auch quartalsweise abgerechnet werden: Wenn eine Kammer einen Millionenstreitwert in einer Stunde erledigt hat, kann sie sich dann jede Zeit der Welt für die 20 nächsten geringen Streitwerte nehmen. Der Kläger in der Rolle eines „Kunden“ könnte sich hierüber nicht einmal beschweren, denn schließlich bezahlt er nicht mehr, als er als Gegenleistung bekommt. Wer mehr möchte, muß auch mehr zahlen – Dienstleistung eben. Dies ließe sich sicher auch unter Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen, weil die unterschiedliche Gebührenzahlung als zulässiges Differenzierungskriterium angesehen werden könnte. Erfolgt Rechtsprechung aber im Rechtswege- und Justizstaat nach dem Leitbild des Justizgewährleistungsanspruchs und der effektiven Rechtsschutzgewähr, so wird auch ein Verfahren mit einem Streitwert von 200 Euro keinen Richter daran hindern, auch hierfür die notwendige Zeit zur Gewinnung des gesetzmäßigen Ergebnisses zu verbrauchen; was auch immer es kostet. Unbestreitbar schießt auch die Reformeuphorie12 der Rechtsprechungsverwaltung über das Ziel hinaus, was sich etwa an einem Beitrag zum „Qualitätsmanagement an den Gerichten“ ablesen läßt, der den Begriff des Managements (einschließlich seiner Komposita) 114 Mal, die richterliche Unabhängigkeit aber nur neun Mal nennt13. Dabei muß klar sein, daß Fachtermini zunächst stets Zu12 Ausdrücklich warnt etwa Gläser, in: Weber/Tylkowski (Hrsg.), Konzepte und Instrumente, S. 316 (323), vor einer Controlling-Euphorie.

III. Die Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung

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gangs- und Verständnisbarrieren aufbauen14, auch wenn eine diesbezügliche besondere Abwehrhaltung unter Richtern, die als Juristen seit dem ersten Studiensemester den Gebrauch einer Fachsprache praktizieren, eher überraschend ist15 und mangelndes Gespür für die Relativität der eigenen Position indiziert. Dabei wird vor allem aber vernachlässigt, was ansonsten nicht besonders wahrgenommener Inhalt des juristischen Alltagsgeschäfts und zugleich konstitutives Merkmal der Machtposition aller Juristen darstellt und etwa den Richter vom Subsumtionsautomaten unterscheidet: Die Herrschaft über die Begrifflichkeiten durch Auslegung, die die Offenheit dieser Begriffe zur notwendigen Voraussetzung hat. Die ideellen und letztlich auch nicht fernliegenden Vorbehalte gegenüber „Produkten der Justiz“ u. ä. müssen daher überwunden werden, weil die Alternative einer Blockadehaltung schon bei der Terminologie nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann. Sie stellte sich selbst in Abseits und würde letztlich die – auch verfassungsrechtlich notwendige – inhaltliche Kritik an den NSM in den Gerichten formal diskreditieren und weitgehend schwächen. Doch auch hier gibt es Grenzen, die im folgenden trotz der akzeptierten Begrifflichkeiten stets zwischen den Zeilen mitzulesen sind: „Hinter Worten steckt oft weniger, als sie vorgeben: So liegt im uferlosen Gebrauch des Dienstleistungsvokabulars viel angestrengte, aber harmlose Schaumschlägerei. Diese Erkenntnis indessen ist nicht erschöpfend: Es gibt auch hier zuweilen „Kleingedrucktes“, das unversehens die Substanz einer Sache erfaßt – Fallstricke und Fußangeln! Die Justiz jedenfalls wäre gut beraten, die schnurrende Katze nicht voreilig und gar zu beflissen im Sack zu kaufen.“16

III. Die Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung 1. Die Funktion der Kosten-/Leistungsrechnung Bei allen favorisierten Reformen steht das Haushaltsrecht im Zentrum der Betrachtung. Entsprechend zentrale Bedeutung kommt daher der Kosten-/Leistungsrechnung (KLR) zu, mit der die Mittelverwendung auch in den Gerichten offen gelegt werden soll. Sie ist der „Schlüssel zum Neuen Steuerungsmo-

13

So bei Goll, in: 200 Jahre Oberhofgericht, S. 277 ff. Krit. etwa Häuser, BJ 2000, S. 255 (255): abstrakte Begriffe, theoretische Beschreibung „in Amtsdeutsch und BWL-Englisch“; ebenso M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (22); jüngst auch Hien, BDVR-Rundschreiben 2004, S. 117 (117): „mit ihrem betriebswirtschaftlichen Kauderwelsch“. 15 So zutreffend Hoffmann-Riem, in: ders. (Hrsg.), Reform, S. 243 (271); ähnlich Mackenroth, ZRP 2003 S. 24 (25 f.). 16 G. Bertram, NJW 1998, S. 1842 (1844) – Hervorh. im Original. Krit. zur Verdeckungsabsicht durch die Begriffe auch Steinbeis, DRiZ 1999, S. 463. 14

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

dell“17. Dies erscheint aus Sicht des Haushaltsgesetzgebers legitim, da in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen eine diesbezügliche Kenntnis für eine zukunftsweisende Planung unerläßlich ist. „Die Kosten- und Leistungsrechnung dient der Dokumentation, der Planung, der Steuerung und der Kontrolle“18, damit „die Verwaltung genau weiß, was die einzelnen Produkte kosten“19. Nimmt man diese Zweckbeschreibung als Grundlage und berücksichtigt, daß die Dokumentation zuvor eine Ermittlung der zu dokumentierenden Inhalte voraussetzt20, lassen sich die Aufgaben der KLR für die hier relevanten Fragen in zwei Gruppen teilen: einerseits solche zur Informationsgewinnung und Aufbereitung (Wissenserweiterung), andererseits solche zur aktiven Gestaltung zukünftigen Handelns – hier kommt sodann das Controlling als untrennbares Führungsinstrument zur KLR hinzu. Als „Basis jedes Kostenrechnungssystems“21 gliedert sich die Kostenrechnung sodann in Kostenartenrechung, Kostenstellenrechnung und die Kostenträgerrechnung22, die jeweils eine eigene Aussage über den Kostenverbrauch geben, nämlich die Art der Kosten (etwa Personalkosten, Sachkosten, kalkulatorische Kosten etc.), die Aufgabenbereiche, in denen die Kosten entstehen (etwa Serviceeinheit, Wachtmeisterei, Richter) sowie die „Produkte“, für die die Kosten verbraucht worden sind (Urteilsabfassung, Ladungen zum Termin etc.). Parallel dazu besteht die Leistungsrechnung, die Aufschluß darüber gibt, „welche Arten von Leistungen in welcher Menge und/oder Zeit zu welchem Wert erbracht worden sind, und welche Stellen mit welchen Kapazitäten und welchem Umfang daran mitgewirkt haben“23. Die Leistungsrechnung enthält daher sowohl eine Mengen- als auch eine Wertkomponente, wobei die Leistungsarten die Produkte der Leistungserbringer und damit die Kostenträger darstellen24. Diese knappe Zusammenfassung reicht aus, um den Kern klarzumachen, daß die KLR in einem hier zu betrachtenden ersten Schritt der Informationsgewinnung dient und je nach Grad ihrer Differenzierung und Genauigkeit einen entsprechenden Grad an Transparenz in der jeweilig betrachteten Einheit (sei es das Gericht, der Spruchkörper, die Geschäftsstelle) schafft: „Ziel der Kostenund Leistungsrechnung ist die Herstellung von Kosten- und Leistungstransparenz“25, wobei die „Informationstiefe“ und der daraus folgende Grad an eben 17

Kappius, in: Damkowski/Precht (Hrsg.), Moderne Verwaltung, S. 136 (136). J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit, S. 167; gleichsinnig Preißler, Controlling, S. 140 f. 19 Schmid, ThürVBl. 1998, S. 52 (53). 20 Vgl. Preißler, Controlling, S. 140 f. 21 Preißler, Controlling, S. 144. 22 Zu diesen Begriffen s. statt aller J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit, S. 170 ff.; Hans, Kostenrechnung, S. 7 ff.; Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 50 ff. 23 J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit, S. 177. 24 J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit, S. 177; s. Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 53 f. 18

III. Die Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung

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dieser Transparenz über den „Produktplan“ gesteuert wird26. Je differenzierter die Produktdefinition, desto größer die Durchsichtigkeit. Die mit der KLR verbundene „Kostentransparenz gewährt Parlament und Exekutive aus betriebswirtschaftlicher Sicht tiefe Einblicke in das Innenleben der 3. Gewalt“27. Diese Transparenz betrifft jedoch allein quantitative, finanzielle Aspekte und wirkt zudem einseitig. Wegen des in der öffentlichen Verwaltung und ebenso in den Gerichten kaum ausgebildeten Systems der finanziellen Bewertung und Bewertbarkeit ihrer Leistungen stellt die KLR hier vornehmlich eine Ressourcenverbrauchsrechnung dar28. Daher ist die mit ihr zu erzielende Transparenz ausschließlich kostenbezogen, während auf der Leistungsseite keine neuen Erkenntnisse gegenüber der herkömmlichen Zählkartenstatistik gewonnen werden (können). Hier wird es weiter bei der „Maßeinheit“ Erledigungszahl bleiben29, ohne daß ihr mittels der KLR eine realistische, verwertbare finanzielle Größe zugeordnet werden könnte. Dies gilt in den Gerichten insbesondere auch deshalb, weil der zentrale Kostenträger, das Produkt30, definiert wird als „Verfahrensabschluß nach ordnungsgemäßer Verfahrenserledigung“31. Denn insbesondere die Verfahrensdurchführung, die dementsprechend auch und notwendig vom Produktbegriff erfaßt wird, führt zu einem Outcome, der sich in Geld nicht messen läßt. Dies führt denn auch zu einer skeptischen Betrachtung der KLR. 2. Berechtigung zur Skepsis: Die Defizite der Kosten-/Leistungsrechnung Jenseits inhaltlicher Kritik besteht zunächst eine formale Problemlage: Die bisherige, strukturbedingte Dominanz der Kostenrechnung als zentralem Element ist „eine Fehleinschätzung“, die zu einer kostenintensiven Einführung von entsprechenden Systemen geführt hat, ohne daß sich dadurch das Verwaltungshandeln geändert hätte. Die KLR-Systeme sind dabei viel zu komplex und erzeugen daher Akzeptanzprobleme32. Gleichwohl ist die KLR auch im Bereich der 25

Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 8. Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 19. 27 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321). 28 Vgl. Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (78 f.); zu der in der Tat wesentlichen Unterscheidung zwischen Ressourcen- und bloßem Geldverbrauch s. kurz dens., in: Baum u. a. (Hrsg.), Controlling, S. 43 (46 f.). 29 Dies bestätigt auch Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (10): „Leistungskriterium im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung ist mithin in der Regel die Zahl der Erledigungen.“ 30 Vgl. etwa Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (79). 31 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 20 f.; vgl. auch B. Kramer, NJW 2001, S. 3449 (3450). Dies entspricht auch der Praxis in der übrigen Verwaltung, in der das Produkt aus einer Abfolge vorher definierter Aktivitäten (Arbeitsschritte) besteht, s. Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (79). 26

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

NSM Dreh- und Angelpunkt: „Wenn Sie ihre Funktion nicht erfüllt, funktioniert das ganze System nicht“33. Sie wirft aber, im Gegensatz zu ihrem erfolgreichen Einsatz in Wirtschaftsunternehmen, in der öffentlichen Verwaltung entscheidende Probleme auf. Diese ergeben sich allerdings weniger auf der Kostenseite, weil auch in den Einrichtungen des Staates ein fortwährender Ressourcenverbrauch stattfindet, sondern auf der Leistungsseite, „da öffentliche Leistungen häufig nicht im Austauschverhältnis stehen, insofern keine Erlöse einbringen und in der Regel kaum mit Geld zu bewerten sind. Hier begnügt man sich zur Abbildung der Leistungsseite daher oft mit den Mengengerüsten der erstellten Güter oder Dienstleistungen. Dagegen bleiben andere, nicht monetarisierbare Aspekte der Leistung, z. B. Wirkungen und Qualitäten des Verwaltungshandelns in der Regel ausgespart. Soweit dieses Defizit überhaupt gesehen wird, verweist man auf Nebenrechnungen, die in Zukunft noch zu entwickeln sind. Aus diesem Grund besitzen die meisten KLR-Projekte ihre besondere Stärke bei der Darstellung der Kostenseite, sie bleiben also im wahrsten Sinne ,Ressourcenverbrauchskonzepte‘, während die Leistungsseite, vor allem die Wirkungs- und Qualitätskomponenten zu kurz kommen.“34

Diese Beschreibung bildet geradezu idealtypisch die Situation in den Gerichten ab, deren „Produkte“, von den Gerichtsgebühren einmal abgesehen, keinen Marktwert haben und in Sachen Rechtsfrieden, Rechtsrichtigkeit keinen meßbaren Geldwert besitzen35. Aber selbst die Gerichtsgebühren sind keineswegs Ausdruck eines produktspezifischen Werts, weil sie sich nach dem Streitwert richten (§ 3 Abs. 1 GKG36), der aber nichts über den quantitativen oder qualitativen Wert der von Gerichtsverwaltung und Richtern erbrachten Leistung aussagt. Insofern konsequent richtet sich der Streitwert in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten nicht nach dem Wert der innerhalb des Gerichts erbrachten Leistung, sondern grundsätzlich „nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache“ (§ 52 Abs. 1 GKG37). Diese Entwicklung ist zwangsläufig, weil dem öffentlichen Sektor und insbesondere den Gerichten ein entscheidendes Kriterium für das Funktionieren der KLR fehlt: der systematische Verbund im Markt, der als Filter wirkt und durch den Indikator der Absatzfähigkeit eines Produkts eine leicht meßbare Größe in Form des erzielten Erlöses hervorbringt, die die Leistungsseite finanziell voll32

Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (84). Adamaschek, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 347 (348). 34 Adamaschek, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 347 (349); s. a. Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 53 f. 35 Nur fiktive Preise können überhaupt möglich sein, grdl. Luhmann, VerwArch 51 (1960), S. 97 (99 ff.). 36 In seit 1.7.2004 gültiger Fassung, s. BGBl. I, 2004, S. 720. 37 In der seit 1.7.2004 gültigen Fassung, s. BGBl. I, 2004, S. 727. 33

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ständig abbildet und entsprechende Rückschlüsse auch auf die Qualität zuläßt38. Die KLR erscheint somit im öffentlichen Sektor – also auch in den Gerichten – als reine Kosten- ohne Leistungsrechnung39. Es erscheint äußerst fraglich, ob das in der Praxis angestrebte Produktkonzept diesem Problem in Zukunft hinreichend Rechnung tragen kann. Aktuell jedenfalls ist die „Leistungsseite“ in den öffentlichen Verwaltungen wenig entwickelt40, selbst wenn die Leistungsrechnung der „siamesische Zwilling“ der Kostenrechnung sein sollte41. Dies ist besonders mißlich, weil infolge dessen die erhobenen Daten ihre Steuerungswirkung jenseits von banalen Einsparungsforderungen verlieren, da es ihnen an Aussagekraft für die Zukunft mangelt. Sie lassen lediglich erkennen, ob man ein etwaiges Budget erreicht oder verfehlt hat. Gründe hierfür werden nicht erkannt, vor allem nicht die Bereiche kenntlich gemacht, in denen eine Organisation verbesserungswürdig und -fähig ist. Hat die KLR die Erkenntnis gebracht, daß ein „Produkt“ Haftpflichtprozeß am Amtsgericht X bis zur Urteilszustellung durchschnittlich 1000 Euro an Kosten verursacht, läßt sich daraus nicht erkennen, ob es sich dabei um einen angemessenen oder zu hohen Betrag handelt. Daher geben solche Kennzahlen keine Hilfestellung für zukünftiges Handeln. Es kommt zu einer strategischen Unter- und einer operativen Übersteuerung, die nicht nur die wichtigen nicht quantitativen Ziele aus dem Auge verliert, sondern vor allem eine Verweigerungshaltung der Mitarbeiter gegenüber dem neuen Rechnungssystem zur Folge hat, weil sie die Vernachlässigung der Qualität ihrer Arbeit erkennen42. Letztlich wird nur noch danach gefragt, wieviel Geld man verbraucht hat43. Ob damit auch eine besonders gute Leistung erbracht worden ist, läßt die KLR-Software nicht erkennen. Neben der Qualitätsbetrachtung zum Zweck einer „ganzheitlichen“, nicht nur quantitativen Betrachtung müssen jedoch noch zwei weitere ergänzende Funktionen sichergestellt werden, die im privatwirtschaftlichen System der Markt erzeugt: Wenn ein Produkt Absatzschwierigkeiten hat, so läßt sich daraus klar erkennen, daß der Kunde einem Konkurrenzangebot den Vorrang einräumt, dieses folglich im Vergleich mit dem eigenen Produkt „besser“ ist. Gleichzeitig 38 Vgl. Adamaschek, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 347 (352); Pfiffner, FS König, S. 443 (451). 39 Ausdrücklich Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (10): „Die Kosten- und Leistungsrechnung dient mithin auch nur der rein monetären Darstellung des Personal- und Sachmittelaufwands für die Erledigung der zugewiesenen Aufgaben.“ – Hervorh. nicht im Original. 40 So Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (85); dies dürfte umso mehr in den Gerichten gelten. 41 Mundhenke, Controlling/KLR, S. 70. 42 Adamaschek, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 347 (353). 43 Hier zeigt sich schon eine erste Parallele zur Problematik der Budgetierung, vgl. unten bei FN 355.

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wird damit ein Optimierungsanreiz gesetzt, weil nur durch Verbesserung des Produkts der erstrebte wirtschaftliche Erfolg erreicht werden kann. Diese durch den Markt generierten Informations- und Anreizwirkungen müssen folglich in Non-Profit-Organisationen (NPO) wie den Gerichten kompensiert werden, indem zum einen ein Leistungsvergleich auch ohne Marktbedingungen ermöglicht und zum anderen sonstige Anreize zur Optimierung der eigenen Leistungen erzeugt werden44. Diese Problematik hat auch Eifert klar erkannt, wenn er durchweg Anreizfunktionen etwa der Budgetierung herausstellt45. Wie finanzielle Anreize im Sinne von Marktmechanismen die Rechtsprechung beeinflussen können, zeigt das Beispiel des Markenrechts: Hier kommt es nur in seltenen Fällen zur Übertragung auf den Einzelrichter. Wegen der stets hohen Streitwerte und den daraus erwachsenden lukrativen Gebühren sind alle Rechtsprechungsverwaltungen aus Einnahmegesichtspunkten heraus an solchen Markenrechtsstreitigkeiten in besonderem Maße interessiert. Gleichzeitig stehen bei Markenverletzungen wegen regelmäßig bundesweiter Verbreitung der markenverletzenden Produkte „fliegende“ Gerichtsstände zur Verfügung, so daß man sich die qualitativ „besten“ Spruchkörper aussuchen und zu seinem gesetzlichen Richter erklären kann. Zugespitzt: (Nur) qualitativ gute Rechtsprechung sichert Gebühreneinnahmen. Dies führt dazu, daß die jeweiligen LG-Kammern keine Einzelrichterübertragungen vornehmen, weil sie das damit verbundene Risiko einer Absenkung der Qualität etwa durch noch unerfahrene Richter ausschließen wollen. Denn dann wäre zu besorgen, daß die einnahmeträchtigen Markenprozesse „abwandern“. Die in den Gerichten wegen der einseitigen Kostenbetrachtung zu erwartenden Fehlentwicklungen sind auch deshalb strukturell unausweichlich, weil sich hier die Gefahren einer effizienzorientierten Output-Steuerung geradezu idealtypisch zu realisieren drohen. Dies liegt an der notwendigen Unterscheidung zwischen Output und Outcome und deren potentiellen Gegensätzen. Eine Dienstleistung oder auch die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe durchläuft verschiedene Stufen, die mit Input (Ressourceneinsatz), Output (die erbrachte Leistung) und Outcome (die mit der Leistung erzielte Wirkung) erfaßt werden können. Effizienz und Effektivität sind sodann die Bewertungsmaßstäbe, die sich auf die Beziehungen zwischen Input und Output, Zielen und Outcome/Output richten46. Die Rechtsprechungsaufgabe der Gerichte ist dabei durch eine Vielzahl von Outcome-Größen gekennzeichnet, die vom meßbaren Output, insbesondere dem „Produkt“ Verfahrenserledigung, nicht erfaßt werden, sondern als dessen „we44 Adamaschek, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 347 (353 ff.); dazu sogleich VI. 3. 45 Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 ff., passim. 46 Nullmeier, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 357 (359).

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sentliches Nebenprodukt“ erscheinen. Zu nennen sind etwa materielle Rechtsrichtigkeit, Rechtsfrieden, Rechtssicherheit47. Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos; vielmehr lassen sich Korrelationen zwischen Output und Outcome finden: Wenn etwa der Verfahrensabschluß durch Vergleich statt streitigem Urteil als Indikator für die Schaffung von Rechtsfrieden als sicherlich gesellschaftlichem Outcome von Rechtsprechung interpretiert wird, so läßt sich über die Vergleichsquote als Output mittelbar auch der entsprechende Outcome in Form des Rechtsfriedens bestimmen48. Dennoch gilt: Da Verwaltungen in besonderem Maße mit der Differenz zwischen Output und Outcome zu rechnen haben, lassen sich Erkenntnisse bezüglich des einen nicht auf das andere übertragen. Wegen der typischen Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit, Outcome-Erfolge zu messen, liegt es gleichzeitig nahe, sich auf Output-Betrachtungen zu beschränken, was aber zu kurz greift: „Dass allein mit mehr Dienstleistungen, mehr Transfers, mehr Beratung und mehr Antragsbearbeitungen effektive staatliche Politik gemacht werde, kann jedoch nicht guten Gewissens behauptet werden.“49 Die gilt auch und erst recht50 für Gerichte: Ein möglichst schneller Verfahrensabschluß und das in möglichst hoher Zahl gibt keinerlei Auskunft über die vorgenannten Outcome-Parameter. Vielmehr gerät die Verfahrenserledigung als solche allzu leicht in Gegensatz zum Outcome, jedenfalls ist gerade hier die Beziehung zwischen Outcome und Output äußerst komplex und uneinheitlich, so daß sich kaum systematisierbare Zusammenhänge analysieren lassen51. Diese Situation ist sodann fatal, denn generaliter dürfte folgende Tendenz existieren: „Je stärker Outcome-Ziele und Outputs auseinander klaffen und je uneindeutiger wird, ob eine Outputsteigerung den Outcome-Zielen dient, desto eher besteht die Gefahr, daß effektivitätsorientierte Reformen zu Gunsten rein effizienzorientierter Veränderungen zurückgestellt werden.“52

47 Allerdings scheinen diese Ziele aktuell hinter anderen Ansprüchen wie Akzeptanz, Effektivität und Verbilligung zurückzutreten, vgl. Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (393). 48 Schneider, Performance-Controlling, S. 57. 49 Nullmeier, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 357 (359). Dies gilt vor allem deshalb, weil einfache Output/Input-Koeffizienten zur Schätzung von Effizienz in den praxistypischen Fällen, in denen – wie in Gerichten – Inputs und Outputs jeweils nicht zu einer (monetären) Größe verschmelzbar sind, so Schefczyk, Die Betriebswirtschaft 1996, S. 167 (168). 50 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321), sieht in der Justiz eine „ausgeprägte Distanz zwischen Outcome und Output“. 51 Zumal sich die Erledigungszahlen richterlich leicht und effektiv manipulieren lassen, vgl. nur (VRi’inVG) Romberg, BDVR-Rundschreiben 2001, S. 102; ebenso zwangsläufig wie postwendend die Dementi der Kollegen und der Gerichtspräsidentin, Meier und Sünner, beide BDVR-Rundschreiben 2001, S. 126. 52 Nullmeier, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 357 (362).

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Daher muß die daraus folgende Effizienzdominanz durch eine reflektierte, an Outcome-Größen ausgerichtete Effektivitätsdebatte beseitigt werden. Dabei ist im Hinblick auf die KLR in den Gerichten zu berücksichtigen, daß mangels Beachtung der Teilschritte auf dem Weg zum Verfahrensabschluß diese konstituierenden Mosaiksteine des „Produkts“ nicht in der Verfahrenserledigung als solcher auftauchen und daher als kostenlos erbracht gelten, während das „Produkt“ selbst als zu teuer erscheint. Wer sich als Richter für die mündliche Verhandlung ausreichend Zeit nimmt, um etwa die Parteien anzuhören und die Tatsachen wie auch Rechtslage zu erörtern, dessen Verfahrenserledigung ist teuer. Die damit aber erreichte Effektivität hinsichtlich der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Schaffung von Rechtsfrieden bleibt unberücksichtigt53. Wer nun durch Kostendruck den Verzicht auf zeitraubende und kostenintensive Sitzungstage erreicht, wird zweifelsohne finanzielle Effizienzsteigerungen erreichen, trifft damit jedoch zugleich die im vorgenannten Sinne „kostenlosen“, aber für das grundrechtlich definierte Ziel des Art. 103 Abs. 1 GG notwendigen Leistungen. Effizienz wird zum Gegensatz von Effektivität54. Zumal die Fokussierung auf die Erledigung des Einzelfalles den Nutzen des Funktionierens der Justiz als solchen, aber auch den Vorteil der Gesellschaft an der Entscheidung über den Einzelfall hinaus nicht berücksichtigt55. 3. Die KLR als Steuerungsinstrument und die verfassungsrechtlichen Folgen a) Die Steuerungswirkung der KLR Hinzu kommt eine rein praktische Problematik: Die Anwendung einer KLR kann in einer Großorganisation wie der öffentlichen Verwaltung und auch den Gerichten nur computergestützt erfolgen. Auf deren Geldverzehr wurde zuvor schon hingewiesen. Sie hat aber auch einen nicht-monetären Aspekt: Wegen der Abhängigkeit von einer einmal erworbenen KLR-Software besteht die Gefahr, daß die KLR nicht an dem Bedarf des jeweiligen Gerichts und der dortigen Verfahren ausgerichtet wird, sondern „softwaredeterminiert“56 durchgeführt wird. Gemessen wird das, was das System messen kann. Gesteuert wird dorthin, 53 Dies gilt etwa dann, wenn es dem Richter gelingt, die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen, denn ein „Mensch, der anderen hilft, den Ausgleich zu finden, kann nicht irren“, so Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 73; entsprechend zutreffend wertet M. Schneider, Die Betriebswirtschaft 2004, S. 28 (32 f.), die Erledigungen durch Vergleich als Qualitätskennzahl. 54 Vgl. Nullmeier, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 357 (359). 55 Vgl. Eschenbach/Sarnighausen, BDVR-Rundschreiben 2002, S. 109 (109). 56 Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (85).

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wohin sich etwa die Module von SAP/R3 lenken lassen57. Letztlich wird Rechtsprechung nicht einmal mehr von der Rechtsprechungsverwaltung beeinflußt – vom altmodischen Rechtssatz einmal ganz zu schweigen –, sondern von den Fähigkeiten und Entscheidungen von Informatikern eines Walldorfer Weltkonzerns58. Dieses Szenario erscheint drastisch, macht aber deutlich, daß die KLR für jede Einrichtung, die sie verwendet, handlungsbestimmend sein kann, regelmäßig auch ist und sogar die Gefahr der Verselbständigung in sich trägt. Die Auffassung, die KLR sei (nur) „ein Instrument der systematisierten Informationsversorgung, hingegen selbst kein Steuerungsinstrument“59, ist daher falsch. Sie trifft vielleicht dort zu, wo es letztlich ohnehin nur „um Geld geht“, also in Wirtschaftsunternehmen, weil dort jeder nach Geld fragt und Geld (auf der Leistungsseite) auch Qualität anzeigt. In Gerichten aber steuert die KLR als solche, weil sie finanziellen Ressourcenverbrauch einer Kostenstelle, also einem Verwaltungsangestellten, Richter, Spruchkörper, Gericht zuordnet, die damit zumindest mittelbar für ihre Kostenverursachung verantwortlich gemacht und damit rechenschaftspflichtig werden (können). Da der Geldverbrauch aber nur durch Menge, nicht durch Qualität gerechtfertigt werden kann, ist schon allein das Wissen darum, daß man nach seinem Geldverbrauch pro Stück, nicht aber nach der damit erzielten und ohnehin kaum meßbaren Qualität gefragt werden wird, steuernd und kontrollierend – und zwar hin zur Bevorzugung von Quantität gegenüber Qualität. Denn immer dann, wenn sich eine Instanz vor einer anderen rechtfertigen muß, findet auch Kontrolle statt60. Damit werden – noch unabhängig von der Problematik der richterlichen Unabhängigkeit – erste Reibungspunkte der KLR mit der Verfassung deutlich: Nach wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis und insbesondere nach der empirischen Erfahrung in staatlichen Einrichtungen61 führen reine finanzbezogene Kennzahlensysteme, wie sie die KLR in der Verwaltung zwangsläufig und in 57 Zutreffend krit. zur Einführung von SAP/R3 in den hessischen Gerichten wegen der unvertretbar hohen Kosten der Hessische Richterbund, die NRV und ver.di in einem gemeinsamen Offenen Brief, abgdr. in BJ 2002, S. 425. SAP/R3 findet auch Anwendung in den Gerichten Baden-Württembergs, vgl. Francken, NZA 2003, S. 457 (457). 58 Der mit dem Slogan wirbt: „Unternehmen, die sofort Resultate wollen, nutzen SAP.“ So etwa in DER SPIEGEL 21/2004, S. 41. Freilich ist dies im 21. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches, s. nur G. Bertram, NJW 1998, S. 1842 (1843): „Justiz ohne Unternehmensberatung ist schon seit geraumer Zeit so unvorstellbar geworden wie das Leben eines Eingeborenen in einsamer Wildnis ohne jeweils drei teilnehmend-beobachtende Ethnologen“. 59 Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (10); ebenso die Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, s. unten bei FN 110. 60 Bäumlin, RuMSJV 100 (1966), S. 166 (247). 61 Wobei hier eine deutliche Lücke in der empirischen Forschung besteht, s. Jann, in: ders. u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 9 (14).

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verschärfter Form darstellt, zu Entwicklungen, die nicht-monetäre Zielsetzungen der KLR-gesteuerten Einrichtungen vernachlässigen. Finanzielle Parameter können selbst bei noch so hohem Stellenwert infolge einer evidenten Krise staatlicher Haushalte niemals eigentlicher Zweck, sondern immer nur notwendig zu beachtender (Neben-)Faktor staatlichen Handelns sein62, der die „eigentlichen“ Zielsetzungen staatlicher Einrichtungen wegen seiner beschränkenden Wirkung prinzipiell beeinträchtigt63. Vor dem Hintergrund dieser prinzipiell nicht-ökonomischen Zielsetzungen von öffentlichen Einrichtungen muß die Wirkung einer reinen KLR grundsätzlich als Fehlsteuerung gegenüber dem (zumeist) sogar gesetzlich determinierten Auftrag staatlicher Einrichtungen gewertet werden. Die Implementierung eines Kennzahlensystems, das wie das Neue Haushaltswesen rein auf Finanzkennzahlen gestützt wird, gerät strukturell unausweichlich in Konflikt mit dem Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, was in den Gerichten wegen der dortigen besonderen Gesetzesfixiertheit in Art. 97 Abs. 1 GG noch verschärft wird. Wenn es heute nicht mehr um das „Ob“ der Einführung Neuer Steuerungsmodelle, sondern nur noch um das „Wie“ geht64, dann gilt dies auch für die Gesetzwidrigkeit der KLR: Wird sie ohne flankierende Maßnahmen zur Zurückdrängung der reinen Finanzkennzahlen als Steuerungsinstrument eingeführt, ist die gesetzwidrige Fehlsteuerung nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern nur noch des „Wie weit“. Für die Gerichte zugespitzt: Die Fehlsteuerung nimmt das Ausmaß an, das der einzelne Richter für sich selbst und im Spruchkörper zuläßt. b) Der Zugang zur KLR-Information Für die im folgenden vorzunehmende Bewertung vor dem Hintergrund der richterlichen Unabhängigkeit wird an dieser Stelle auch die „für die Praxis so wichtige Frage“ nach den Informationsquellen der KLR relevant, da mit ihnen und der von ihnen abhängenden Richtigkeit der erfaßten Daten die Verwendbarkeit der KLR steht und fällt65. Denn wenn die Leistungen und „Produkte“ der Gerichte im Sinne der KLR ermittelt werden sollen, insbesondere wenn man als 62 Mit Ausnahme eigener wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand, die hier aber nicht interessiert. 63 So schon Kaplan/Norton, Balanced Scorecard, S. 173; mit ähnlicher Stoßrichtung Piorreck, BJ 2003, S. 64 (69); s. a. unten bei FN 201. 64 Vgl. Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, S. 18 (28); das Zitat von Steindorfner bei Schiller, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 200 (201); U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (320); Trogemann, RiA 1998, S. 17 (18), sieht insgesamt für die öffentliche Verwaltung kein „Zurück von dem jetzt beschrittenen Weg“ der NSM. Gleiches gilt für den Einsatz der EDV-Technik in den Gerichten, s. Behrens, jur-pc 1996, S. 123 (123 f.). 65 Preißler, Controlling, S. 144 f.

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Produkt den Verfahrensabschluß nach ordnungsgemäßem Verfahren definiert, kann dies nicht ohne Erhebung von quantitätsbezogenen Daten bei und vor allem durch die Richter etwa in Form von Zeitaufschreibungen geschehen66. Folglich tritt sodann ein weiterer Problemtopos hinzu, nämlich die Frage nach dem Subjekt der Informationsgewinnung und dem Verwendungszweck der gewonnen Daten. Dies wird etwa deutlich, wenn die KLR als „ein Instrument zur Entscheidungsunterstützung des Gesetzgebers, der Landesregierung und der Justizverwaltung im Bereich des Haushalts“ beschrieben wird, das „Informationen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit sowie für Maßnahmen im rechtspolitischen und organisatorischen Bereich“ zur Verfügung stellt67. Legislative und Exekutive erscheinen somit als Empfänger der erhobenen KLR-Daten. c) Grenzen einer Datenerhebung bei den Richtern Richterliche Tätigkeit kann von Verfassungs wegen kontrollfrei bleiben. Dies ist die Folge des traditionellen Dogmas zu Art. 19 Abs. 4 GG, das Rechtschutz gegen den Richter für verfassungsrechtlich nicht geboten erachtet. Die Erweiterung des Justizgewährleistungsanspruchs gem. Art. 20 Abs. 3 GG darüber hinaus durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts68 hat dies zwar partiell verändert69, aber nicht gänzlich aufgehoben. Die Reduzierung der kollegialen Kontrolle durch Ausdehnung des Einzelrichterprinzips70 oder die Abschaffung oder Erschwerung von Rechtsmitteln71 nutzt dieses Postulat einfachgesetzlich aus. Der Extremfall des nach § 495a ZPO agierenden Amtsrichters statuiert symbolhaft eine weithin regellos und faktisch kontrollfrei handelnde Staatsgewalt. Hier ist die „die in Riesengröße modellierte Gestalt des (. . .) Amtsrichters“72 Wirklichkeit geworden73. Akte der Rechtsprechung lassen sich nur durch Rechtsprechung korrigieren – das ist die unhintergehbare Konsequenz aus Art. 92 GG. Einmal getroffene rechtskräftige Entscheidungen sind ex post nicht korrigierbar, die Wiederauf66 Allerdings stehen hierfür wohl auch Unternehmensberater zur Verfügung, vgl. B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (294, Fn. 200); dies bestätigte die Feststellung von Bertram (oben FN 58). 67 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 8 f. (Hervorh. so nicht im Original). 68 BVerfGE 107, 395 ff. 69 Siehe hierzu Voßkuhle, NJW 2003, S. 2193 ff. 70 Siehe zuvor § 5 III. 1. c). 71 Siehe zuvor § 5 III. 2. 72 So schon kritisch Drucker, JW 1924, S. 241 (243). 73 Freilich darf die besonders einseitige Belastung der Amtsrichter durch die Veränderungen der jüngsten Zeit nicht übersehen werden, vgl. Grotkopp, DRiZ 2004, S. 244 ff.

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nahme ist die krasse Ausnahme; selbst die Nichtigkeitserklärung einer zugrunde liegenden Norm führt nicht per se zur Aufhebung der gerichtlichen Entscheidungen oder überhaupt einer Pflicht zur Korrektur; nur die Ausnahme des § 79 Abs. 1 BVerfGG ermöglicht eine Wiederaufnahme von Strafverfahren74. Rechtsprechung erweist sich daher als Ausübung von Staatsgewalt, die anders als Exekutive und Legislative weithin kontrollfrei gestellt wird; letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen sind per definitionem unkontrolliert; außerhalb spezifischen Verfassungsrechts vollständig, im Hinblick darauf nur unter den Zulässigkeitsrestriktionen des Verfassungsbeschwerderechts. Trotz der im Dogma zu Art. 19 Abs. 4 GG zum Ausdruck kommenden Privilegierung durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unkontrolliertes Handeln der Staatsgewalt eine Ausnahme in der grundgesetzlichen Ordnung. Dies hat Voßkuhle gerade in bezug auf die Rechtsprechung überzeugend dargelegt75. Daher führt die rechtsstaatliche Notwendigkeit einer unabhängigen Rechtsprechung zwar zur Unabhängigkeit der Richter und damit zur Monopolisierung von Rechtsprechung bei den Gerichten mit der daraus folgenden Kontrollbeschränkung. Dies hat aber auch zur Folge, daß es jedenfalls dem Gesetzgeber freistehen muß, andere kontrollähnliche Formen etwa einer beobachtenden Aufsicht einzuführen. Aus der verfassungsrechtlich vorgegebenen Entscheidungsfreiheit des Richters kann daher nicht zwingend geschlossen werden, daß die Kenntnisnahme von eben diesen insoweit einflußfreien Tätigkeiten denselben Restriktionen unterliegt. aa) Die Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch Datenerhebung Die Frage nach Art und Umfang der zu erhebenden Informationen bei den Gerichten muß in bezug auf die richterliche Unabhängigkeit aus umgekehrter Perspektive betrachtet werden: Da die Unabhängigkeitsgarantie als Abwehrrecht fungiert, können sich aus ihr nur Grenzen eines Datenerhebungsrechts ergeben76. Solche wiederum sind überhaupt nur denkbar, wenn es richterliches Handeln gibt, in bezug auf das schon die bloße Kenntnisnahme durch die Exekutive (oder Legislative) eine Unabhängigkeitseinschränkung bedeuten könnte. Dies erscheint zunächst jedoch sehr zweifelhaft. „Wissen ist Macht“ – diese Redensart unterstellt eine direkte Korrelation zwischen Tatsachenkenntnis und Einflußmöglichkeiten des Kenntnisinhabers. Angewendet auf das Verhältnis von Richter und Gerichtsverwaltung erhält auch 74

Vgl. Benda/Klein, VerfProzR, Rn. 1253 ff. Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 255 ff. 76 Zu Datenschutz und NSM in der Verwaltung s. Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 218 ff. 75

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die bloße Beobachtung richterlicher Tätigkeit Unabhängigkeitsrelevanz. Die Auffassung, eine reine Beobachtung der richterlichen Tätigkeit sei für die Dienstaufsicht „uneingeschränkt zulässig“77, erscheint vor diesem Hintergrund (zunächst) allzu vereinfachend. Sie verkennt die Rolle des Wissens als unabdingbare Voraussetzung für bewußtes Handeln auch einer Dienstaufsicht78. Bloßes „ungefährliches“ Wissen einer in irgendwelcher Form übergeordneten Ebene gibt es daher für den „Untergebenen“ prima facie nicht. Hierbei muß freilich beachtet werden, daß das Wissen über richterliches Handeln angesichts der bereits bestehenden Zählkartenstatistik äußerst weitreichend ist. Kaum eine innerstaatliche Statistik dürfte so detailliert sein wie die über die Gerichte79. Soweit diese Statistiken, wie etwa die Fachserien des Statistischen Bundesamtes, nur bis auf die Ebene des Gerichts reichen, erscheinen sie freilich zunächst unbedenklich. Problematisch ist dies erst dann, wenn es richterindividuellen Zuschnitt erhält, wie es die Zählkartenstatistik ermöglicht. Die damit bewirkte informelle Steuerung ist nicht zu leugnen, wenn etwa in politisch brisanten Prozessen die Ergebnisse von der Gerichtsverwaltung registriert werden. Gemeint sind dabei nicht Ausnahmeverfahren wie Verkehrswegeplanung oder Industrieansiedlung, sondern vielmehr Alltagsprozesse wie etwa Asylverfahren, die unter genauer Beobachtung stehen, in denen die Anerkennungsquote von entscheidender Bedeutung ist und bei der jeder Richter weiß und (nur) hinter vorgehaltener Hand bestätigt, daß sie nicht zu hoch werden darf. Aber auch abstrakt von den Inhalten bleibt z. B. die Erledigungszahl im Hinblick auf den Vergleich mit dem Pensenschlüssel oder der Erledigungszahl anderer Richter, aber auch eine bestimmte Art der Erledigung klassisches Interessengebiet der Dienstaufsicht80. Gleiches gilt natürlich auch für die Dauer der jeweiligen Verfahren eines Richters. Folglich gewinnt das „Wissen“ der Gerichtsverwaltung entscheidenden Bedeutung. Erledigungszahlen vergleichen kann nur der, der sie kennt. Die ökonomischen Parameter der jeweiligen richterlichen Arbeit(sweise) kann nur gegenüberstellen, wer deren Kosten ermitteln kann. Aus dieser Konnexität erwächst zugleich die Unabhängigkeitsrelevanz der „bloßen“ Beobachtung des Richters.

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Kissel, GVG, § 1 Rn. 62. Daher zutreffend krit. zur Beobachtung durch Inanspruchnahme der technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitungsmodernisierung Piorreck, BJ 2001, S. 218 (220 f.). 79 Sinngleich Piorreck, BJ 2003, S. 64 (68); Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), S. 377 (394), halten angesichts des Detaillierungsgrades der Zählkartenstatistik den „gläsernen Richter“ bereits für gegeben. Der ist per se aber kein „Anschlag“ auf die Unabhängigkeit, so wohl zutreffend Voss, DRiZ 1998, S. 379 (385). 80 Siehe etwa BGH (Dienstgericht des Bundes), BGHZ 69, 309 ff.; Kissel, GVG, § 1 Rn. 94. 78

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Diese Erkenntnis liegt auch der Differenzierung der staatlichen (Dienst-)Aufsicht in Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion seit Triepel81 zugrunde, die auch heute noch gelten soll82. Dabei ist die Beobachtungsfunktion die unentbehrliche Voraussetzung der Berichtigungsfunktion und zudem wertlos, wenn sie nicht im Hinblick auf eben dies Berichtigung erfolgt83. Letzteres Kriterium, der Bezug zur Berichtigung, soll aber nur notwendiges, nicht hinreichendes Kriterium für die Rechtserheblichkeit der Beobachtung als „Aufsicht“ sein. Daher verneint Triepel zunächst den Aufsichtscharakter einer reinen Beobachtung zum alleinigen Zweck der Tatsachenfeststellung, etwa in Form der statistischen Erhebung84, und spricht erst dann von Aufsicht im rechtlich relevanten Sinn, „wenn die staatliche Behörde, um sich über das Wohlverhalten einer Person Gewißheit zu schaffen, irgendwie in ihre Freiheit eingreift, also Auskünfte verlangt oder Untersuchungen an ihr oder bei ihr anstellt“85. Nach traditioneller Auffassung kommt es an dieser Stelle zu keinem Konflikt: Die Beobachtung sei uneingeschränkt zulässig, „soweit sie sich auf eben die Beobachtung beschränkt und diese auch nicht den Anschein eines Einwirkungsversuchs erweckt“86. Hieran bestehen jedoch Zweifel, denn auch an dieser Stelle bietet sich eine weitere „Anleihe“ aus den Erkenntnissen der Grundrechtslehre, zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, an: Nach den „unverlierbaren Einsichten des Volkszählungsurteils“87 können unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitungstechniken – etwa einer perfektionierten Verwaltungssoftware wie SAP/R3 – an und für sich scheinbar belanglose Daten in ihrer gezielten Verknüpfung mit anderen Sachzusammenhängen bedeutsam werden88. „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“89 81

Triepel, Reichsaufsicht, S. 108 ff., 120. Vgl. Kissel, GVG, § 1 Rn. 44; vgl. Arndt/Fürst, FS Zeidler, S. 175 (175): „Gemeinhin wird angenommen (. . .)“. 83 Triepel, Reichsaufsicht, S. 120. 84 Triepel, Reichsaufsicht, S. 116 f. 85 Triepel, Reichsaufsicht, S. 117. 86 Kissel, GVG, § 1 Rn. 62. 87 Schulze-Fielitz, in: Adolf-Arndt-Kreis (Hrsg.), Sicherheit, S. 25 (30). 88 BVerfGE 65, 1 (45). 82

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Überträgt man die hier zum Ausdruck kommenden empirischen Annahmen auf die Situation der richterlichen Unabhängigkeit, so wird man kaum mehr leugnen können, daß das Wissen des Richters um ständige Beobachtung auch sein Verhalten beeinflussen kann und wird90. Er könnte jedenfalls in einem abstrakt kaum näher bestimmbaren Bereich auf die Möglichkeiten zur freien Entscheidung, die ihm Art. 97 Abs. 1 GG gewährt, verzichten, um jedenfalls gegenüber seinen Dienstvorgesetzten nicht negativ aufzufallen. Es wird so entschieden, wie „man“ in solchen Fällen eben entscheidet und wie es den Anforderungen der verordneten Mitteleinsparungen entspricht. So aber schrumpft nicht nur die Freiheit des einzelnen Richters, sondern auch die damit verbundene Existenzbedingung des freiheitsichernden Rechtsstaates. „Die Dienstaufsicht begleitet beobachtend das gesamte Verhalten des Richters im Amt und außerhalb des Amtes, natürlich mehr oder weniger intensiv, aber theoretisch ununterbrochen. Dienstaufsicht ist informell und diffus; sie ist da. Sie existiert auch zu Zeiten, in denen sie unsichtbar und nicht spürbar ist, weil sie bei der Beobachtung keinen Anlaß findet, aktiv zu werden.“91

Dies mag, isoliert betrachtet, in nur beschränktem Maße gefährlich erscheinen, weil die „Abweichung“ per definitionem erst zur solchen wird, wenn auch ein Maßstab, von dem abgewichen werden kann, besteht. Vorgaben für richterliches Handeln sind aber doch eher eine Seltenheit und existieren dann in Gesetzesform (etwa eine Fristenbindung wie §§ 229, 26892, 275 StPO) oder werden innerhalb der Judikative selbst festgesetzt (wie etwa die absolute Fünf-Monats-Frist zur Urteilsunterzeichnung nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes93), so daß eine Divergenz hiervon zugleich eine Gesetzesverletzung darstellt. Zudem ist die Orientierung an höchstrichterlicher Rechtsprechung angesichts der damit erreichten Rechtseinheit und -sicherheit nicht schon für sich ein Manko. Eine andere Qualität der Beeinflussung wird aber erreicht, wenn die Exekutive in zunehmendem Maße beginnt, Anforderungen und Erwartungen an die Richter zu formulieren, die sich jedenfalls in ihrer Eindeutigkeit nicht dem Gesetz entnehmen lassen oder gar von Gesetzes wegen allein einer Entscheidung in richterlicher Unabhängigkeit vorbehalten sind. Zu denken wäre hier etwa an die Formulierung eines Musterentwurfs für den amtsgerichtlichen Bereitschaftsdienst durch eine Versammlung der Gerichtspräsidenten94, obwohl über die Geschäftsverteilung und auch die Frage der Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes allein das Präsidium in richterlicher Unabhängigkeit zu entscheiden hat95. In 89

BVerfGE 65, 1 (43). Für eine Unabhängigkeitsrelevanz bei dauernder Beobachtung auch Bernsdorff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 97 Rn. 33. 91 W. Geiger, DRiZ 1979, S. 65 (68). 92 Hierzu konsequent streng jüngst BGH, NStZ 2004, S. 52. 93 GemSOGB, BVerwGE 92, 367 ff. 90

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dem Maße, wie die Exekutive außer- oder jedenfalls untergesetzliche Maßstäbe formuliert, macht sie überhaupt erst abweichendes Verhalten als solches logisch denkbar, auf das sie dann – den Gedankengang zu Ende geführt – sanktionierend reagieren könnte. Und gerade diese Option, abweichendes Verhalten – in welcher Form auch immer – zu sanktionieren, macht sodann die Beobachtung des richterlichen Handelns unabhängigkeitsrelevant. Wie sehr schon die bloße Formulierung von Erwartungen faktisch maßstabsetzend sein kann, ist jüngst eindringlich am Beispiel von „Richterleitbildern“ belegt worden96. Bei dieser Beurteilung kommt in besonderem Maße die Fokussierung auf die innere Unabhängigkeit des Richters als entscheidendem Bezugspunkt zum Tragen: Beobachtung und Erfassung mittels KLR ist weit entfernt von dem Regelungsgegenstand des Art. 97 Abs. 2 GG oder einer nach Art. 97 Abs. 1 GG verbotenen Weisung. Schafft sie im Verbund mit einem zuvor formulierten Maßstab jedoch eine Situation des Anpassungsdrucks in Form der Vermeidung abweichenden Verhaltens, so kann eben dieser Maßstab, auch (und gerade) wenn er „nur“ von der Exekutive gesetzt worden ist, zum handlungsleitenden Gesichtspunkt für den Richter werden, der damit faktisch nicht mehr „nur dem Gesetz unterworfen“ ist, sondern zumindest auch den Wünschen der Exekutive. Dabei ist es nicht einmal erforderlich, daß ex ante oder separat ein besonderer Maßstab zur Orientierung errichtet wird, vielmehr liegt schon allein in der Auswahl der etwa mittels der KLR erhobenen Daten selbst die Setzung eines Maßstabs. „Denn das, wonach gefragt wird, ist relevant; das, wonach nicht gefragt wird, wird unwichtig.“97 Der Richter ist sachlich und persönlich unabhängig im Sinne beider Absätze des Art. 97 GG, nicht jedoch innerlich. Ersteres ist aber ohne letzteres bedeutungslos. In Fortführung des Volkszählungsurteils läßt sich daher ebenso unschwer wie zutreffend formulieren: Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen und Entscheidungen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa eine andere oder weniger als seitens des Justizministers oder von den Gerichtspräsidenten erwartete Entscheidung(en) dienstaufsichtlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken im Hinblick auf die Lebenszeitanstellung, die Beförderung, Geschäftsverteilung oder die Zuteilung von Arbeitsmitteln entstehen können, wird möglicherweise auf eine unabhängige Entscheidung (Art. 20 Abs. 3, 97 GG) verzichten: Die 94 So in OLG-Bezirk Stuttgart geschehen und dann auch zudem noch im OLG-Bezirk Karlsruhe den dortigen Präsidenten übersandt, vgl. Schulte-Kellinghaus, BJ 2003, S. 170 (173). 95 Siehe statt aller nur Kissel, GVG, § 21e Rn. 20; bezüglich des Bereitschaftsdienstes s. BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1987, S. 1198 ff. 96 Siehe die empirische Untersuchung von Kauffmann, Konstruktion, passim. 97 Bertram u. a., Das Neue Steuerungsmodell, Teil C unter 2. d) cc) bbb) (2).

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Liste potentieller Negativentwicklungen infolge einer dauernden Leistungsmessung ist lang98. Dies würde nicht nur die individuelle Unabhängigkeit des einzelnen Richters beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung in alleiniger Bindung an das Gesetz eine elementare Funktionsbedingung eines freiheitlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesens ist. Dem mag man entgegenhalten, daß dies bereits längst Realität ist. Die rechtsstaatlichen Gefährdungen, die damit einhergehen, wurden auch bereits oben ausführlich belegt und entsprechende Abhilfe verlangt. Mit der KLR kommt hier jedoch noch eine weitere Kategorie und Qualität hinzu. Denn nunmehr werden die bisherigen Bereiche dienstaufsichtlichen Zugriffs, und sei es nur in Form der Beobachtung, erweitert um die Kostenquantität und dies nicht zur teilweise und stichprobenartig, sondern systematisch mit softwaregestützter Perfektion und Lückenlosigkeit. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil der Rechtsprechungsverwaltung für die Anknüpfung an den Ressourcenverbrauch jeglicher Maßstab fehlt. Soll demnach auf „schlechte“ KLR-Daten steuernd oder gar sanktionierend reagiert werden, muß sich die Rechtsprechungsverwaltung gleichzeitig oder zuvor einen Maßstab „zurechtlegen“, an dem sie ihre Reaktionen ausrichtet. Maßstabsetzung mit Wirkung für die Rechtsprechung ist der Exekutive aber außerhalb der Gesetzesform untersagt. Der zutreffenden Feststellung, zu dem Begriff „Kostenbewusstsein“ lasse sich den Gesetzen nichts entnehmen99, kann man dabei nicht entgegenhalten, dies liege daran, daß der Gesetzgeber nicht auf die Idee gekommen sei, „dass eine Amtsperson, die mit Steuergeldern wirtschaftet, nicht kostenbewußt vorgehen“ müsse100. Denn letzteres wäre nur dann ein Gegenargument, wenn der Inhalt von „kostenbewußt“ feststeht. Dies ist aber gerade nicht der Fall, sondern setzt eine Bezugsgröße voraus101. Sind dessen Grenzen überschritten, wenn in einem Verfahren mit PKH-Bewilligung für den Kläger seinem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Preis von 5000 Euro entsprochen wird oder gilt dies nur bis zu 4000 Euro? Verbieten sich nicht von vornherein mündliche Verhandlungen bei einem Streitwert von 300 Euro, weil schon die Kosten der Sitzungssaalnutzung die Gebühreneinnahmen übersteigen? Die Liste von Fragen zum Inhalt von „Kostenbewußtsein“ ließe sich beliebig verlängern, ohne daß man auch nur im Ansatz einen gesetzlichen Hinweis fände. Vor allem finden sich keine konkretisierten Angaben zur Kosteneinspa98

Siehe Schneider, Performance-Controlling, S. 47 f., insb. Tab. 3. So Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (414). 100 So aber von Keyserlingk, DRiZ 2004, S. 141. 101 Dies ist Charaktermerkmal aller Fragen, die mit Wirtschaftlichkeit zusammenhängen. 99

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rung, dagegen viele zur prinzipiellen Kostenerhöhung wie der Anspruch auch einer unterbemittelten Partei auf rechtliches Gehör und damit auf Sachverständige, Zeugenvernehmungen und mündliche Verhandlung. Dies ist auch nichts anderes als strukturell zwingend, weil – wie oben festgestellt – „Geld“ in öffentlichen Verwaltungen, Gerichten und NPOs immer nur Grenze, niemals aber Zweck der Aufgabenerfüllung ist102. Deshalb finden sich notwendigerweise viele Kostenverursachungsgründe in den Gesetzen, die eben diese staatlichen Aufgaben definieren, aber keine „Geldausgabeverbote“. Letztere aber müßte es geben, wenn man dem „Kostenbewußtsein“ mehr entnehmen wollte als ein vom gesetzlichen Richter im Einzelfall zu konkretisierendes Prinzip, das in seinem Inhalt so allgemein gehalten ist, daß es für eine verfassungsrechtlich zulässige Steuerung der rechtsprechenden Tätigkeit durch die Exekutive keinerlei handhabbare Anknüpfungspunkte hergibt. Daher kann nur noch tatsächlich, aber nicht mehr rechtlich im Hinblick auf die richterliche Tätigkeit zwischen der („reinen“) Beobachtung und einem Rechtseingriff im Triepelschen Sinne unterschieden werden. Auch die Beobachtung ist ein Rechtseingriff103, weil sie nicht von einer sanktionierenden Verwendung der dabei gewonnenen Kenntnisse getrennt werden kann und damit die innere Unabhängigkeit gefährdet, weil sie die alleinige Bindung des Richters an das Gesetz in Frage stellt. Die (wissenschaftliche) Beurteilung der Dienstaufsicht über Richter kann sich am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr „auf Quellen aus dem Kaiserreich“ stützen104, zumal Triepel bei der abstrakten Unterscheidung an der jeweils zitierten Stelle105 nicht die Besonderheiten des damaligen „richterlichen Beamten“ in den Blick nahm, geschweige denn die Situation der ausdrücklichen Unterscheidung von Richtern und Beamten durch das Grundgesetz106. Mit der Qualifikation der Beobachtung der richterlichen Tätigkeit als Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit teilt auch und gerade die KLR diesen Eingriffscharakter und wird somit rechtfertigungsbedürftig gegenüber Art. 97 Abs. 1 GG. Die Grenze für die KLR besteht folglich dort, wo ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung endet. 102 Scherer, in: ders./Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 3 (10); nach Alt, ebd., S. 43 (53), herrscht hierüber „weitgehend Einigkeit“; speziell für die Gerichte betont Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (400), ökonomische Gegebenheiten müßten berücksichtigt, dürften aber „nicht zum Ausgangspunkt und zum Leitstern“ gemacht werden. 103 Zurückhaltend hierzu allerdings Arndt/Fürst, FS Zeidler, S. 175 (176). 104 Siehe die pointierte Kritik von Francken, NZA 2003, S. 458 (459 mit Fn. 52), an der Bezugnahme der aktuellen Kommentarliteratur (Kissel zum GVG; SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch zum DRiG) auf Triepel, Reichsaufsicht. 105 Triepel, Reichsaufsicht, S. 111 ff. 106 Dies folgt an anderer Stelle, s. Triepel, Reichsaufsicht, S. 494 ff., der aber auch diesbezüglich die Beobachtung für unbegrenzt zulässig erklärt (S. 498) und die Thematik – dem Titel des Werkes entsprechend –, vorrangig im Hinblick auf das Problem der Reichsaufsicht über die Gerichte der Länder behandelt.

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bb) Die Rechtfertigung für Datenerhebungen beim Richter Nach dem Abschlußbericht der Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen sollen durch die (controllingorientierte) KLR 1. „bereits im Rahmen der Haushaltsaufstellung die Informationsbasis für eine bedarfsgerechte Mittelveranschlagung sowohl für die einzelnen budgetierten Einheiten als auch für den Justizhaushalt insgesamt verbessert werden“; 2. „der Nachweis über eine kostenbewußte Mittelverwendung geführt werden“; 3. „die Bereitstellung von Informationen über die Vermögenssituation ermöglicht werden“; 4. „das Kosten- und Leistungsbewußtsein sowohl justiz-intern als auch justiz-extern geschärft werden“; 5. „die Bildung von Kosten-Leistungs-Relationen ermöglicht werden, z. B. zur Ermittlung von Kostendeckungsgraden auch als Grundlage für Gebühren- und Entgeltkalkulationen, für Kosten- und Leistungsvergleiche (. . .) und organisatorische Verbesserungen (. . .)“; 6. „Informationen für Maßnahmen im rechtspolitischen und organisatorischen Bereich (. . .) zur Verfügung“ gestellt werden, „insbesondere zur Vorbereitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen justitieller Aufgaben (. . .) sowie zur Entscheidungsunterstützung des Gesetzgebers, der Landesregierung und der Justizverwaltung außerhalb des Bereichs des Haushalts“107.

Dabei sollen alle diese KLR-Daten anonymisiert erhoben werden, was aber in evidenten Widerspruch zu der Überlegung (einer Minderheit) der Bundesländer gerät, mittels der gewonnen Daten einzelne Spruchkörper (mit den zugehörigen Service-Einheiten) in der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung für behördeninterne Zwecke abzubilden108. Denn letzteres setzte zwingend die individuelle Zuordnung der Daten voraus, was die Anonymität der Daten ausschließt109. Neben dieser Unklarheit, die die Anonymisierung der Daten zwar ausnahmslos vorgibt, daraus aber keine konsequenten Folgerungen zieht, tritt eine Verkennung von Zusammenhängen, wenn die Arbeitsgruppe die controllingorientierte KLR nicht selbst als ein Steuerungsinstrument ansieht, sondern nur als „ein Instrument der kontinuierlichen und systematisierten Informationsversorgung zur Vorbereitung sachzielorientierter Entscheidungen“110. Diese Ansicht verkennt die bereits lenkende Wirkung der Auswahl der abgefragten Daten111, 107

Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 9 ff. Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 14. 109 Hierauf wies sodann auch etwa Bayern hin, wenn es die Eignung der anonymen KLR-Daten für die Geschäftsverteilung durch die Präsidien verneinte, s. Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 16. 110 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 15. 111 Bertram u. a., Das Neue Steuerungsmodell, Teil C I. 2. d) cc) bbb) (2). 108

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denn „bereits die Tatsache, daß beobachtet wird, hält zur Pflichterfüllung an, ohne daß es immer eines Tätigwerdens des Aufsichtsorgans bedarf.“112 Wird aber nur in bestimmter Hinsicht beobachtet, wird auch nur das Objekt dieser Beobachtung als relevant für die Pflichterfüllung deklariert und entsprechend bewertet werden. Besonders deutlich wird dies an dem formulierten Zweck des Nachweises über eine kostenbewußte Mittelverwendung und der Schärfung des justiz-internen und justiz-externen Kosten- und Leistungsbewußtseins: Wer den „Nachweis“ für Kostenbewußtsein erbringen soll, wird zwangsläufig – ungeachtet des Problems seiner Definition – kostenintensive Entscheidung jedenfalls in größerer Zahl vermeiden. Trotz dieser realen Kausalitätsmißachtung ist die Erhebung von Daten etwa mittels Zeitaufschreibungen auch durch den Richter zu den zuvor genannten Zielen zulässig. Dies ergibt sich zum einen aus der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Kenntnis der Daten und zum anderen aus der Angemessenheit der Datenerfassung, die aus der zwar vorhandenen, aber beschränkten Determinierungskraft jedenfalls bloßer anonymisierter Datenerhebungen folgt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die richterliche Unabhängigkeit im Gegensatz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht die Befugnis umfassen kann, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen113, was die Voraussetzung für ein Informationserhebungsverbot der anderen Staatsgewalten wäre. Denn richterliche Tätigkeit ist als amtliche Tätigkeit Ausübung von Staatsgewalt und kann schon wegen der diesbezüglich stets notwendigen Kontrolle nicht einer Geheimhaltung unterliegen. Was ein Amtsträger in amtlicher Eigenschaft tut, muß stets offengelegt werden können. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil es dem Gesetzgeber möglich sein muß, kostenintensive Aufgaben der Richter zu beschränken und etwa auf das verfassungsrechtliche Minimum zu reduzieren. Hierzu ist die Kenntnis der Kostenverursachung auch beim Richter erforderlich. Diese Erwägung macht die zentrale Frage deutlich, zu welchen Zwecken die gewonnen Daten verwendet werden dürfen bzw. welchen Detaillierungsgrad sie aufweisen. Hierzu bedarf es zum einen einer strikten Zweckbindung der Daten, die im Hinblick auf den Abwehrcharakter der richterlichen Unabhängigkeit auch durch einen Negativkatalog im Sinne von enumerativ aufzuführenden Verwendungsverboten definiert werden kann. Gleichzeitig besteht zwischen den Parametern der Intensität der festgesetzten Zweckbindung und der Individualisierbarkeit der Datenerhebung sowie dem Grad der erforderlicher Rechtfertigung 112 So richterspezifisch, aber ohne speziellen Bezug zu den NSM Schmidt-Räntsch/ Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 5. 113 Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); entsprechend zutreffend nennt v. Zezschwitz, BJ 2002, S. 240 (240), die richterliche Arbeit am PC „Dienstausübung ohne Grundrechtsschutz“ und damit ohne persönliche informationelle Abwehrrechte.

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eine direkte Relation: Je weniger die Daten einem einzelnen Richter oder Spruchkörper zugeordnet werden können, desto breiter darf das Spektrum der Verwendungszwecke sein. In Parallelität hierzu sinkt mit höherem Maß an Aggregation der Daten die Verpflichtung, die Erhebung gegenüber Art. 97 Abs. 1 GG als für den angestrebten Zweck erforderlich zu rechtfertigen. Denn mit der Entindividualisierung der Datenerhebung und der Vergröberung der Auswertung sinkt die Zuordnungs- und infolge dessen die Sanktionierungsmöglichkeit abweichenden Verhaltens. Letzteres aber ist das entscheidende Steuerungsmittel, mit dem auf die innere Unabhängigkeit des Richters eingewirkt werden kann. Wer aber weiß, daß die Folgen seiner Entscheidungen ihm nicht zugeordnet werden können, kann sich (leichter) einem Konformitätsdruck entziehen. Die hierfür notwendig werdende Grenzziehung ist diejenige, die zuvor als Alternative zwischen Struktur und Einzelfall beschrieben worden ist114. Welches Maß an Fähigkeit zu abweichendem Verhalten einem einzelnen Richter gegenüber dem Kostendruck der Gerichtsverwaltung zuzumuten ist, kann nicht normativ aus der Verfassung abgeleitet werden. Es geht dabei um die Zuweisung von Verantwortung für die Unabhängigkeit im Sinne der Verpflichtung, trotz Beeinflussungswirkungen unabhängig zu entscheiden. Dabei wird der Betroffene um so mehr belastet werden können, je weniger seine Entscheidung für individuelle Reaktionen der Rechtsprechungsverwaltung kausal werden kann. Daher bedarf es einer strikten Abwägung der Zumutbarkeit für den einzelnen Richter und insbesondere seiner Freistellung von Sanktionen. Sobald und soweit nicht ausgeschlossen werden kann, daß der durchschnittliche einzelne Richter einer Quantitätsdominanz unterworfen wird, muß ein struktureller Schutz greifen und der Richter schon von der Möglichkeit einer Beeinflussung abgeschirmt werden. 4. Pflicht und Macht des parlamentarischen Gesetzgebers Wie auch immer die Gewichte und Verantwortlichkeiten zu verteilen sind, eine solche Entscheidung kann nur durch den Gesetzgeber selbst erfolgen. Weder die Richterdienstgerichte sind in der Lage, solche Grundsatzentscheidungen durch case-law zu treffen; hier sind faktisch die funktionellen Grenzen von Rechtsprechung überschritten. Erst recht kann es nicht der Exekutive überlassen bleiben, die kraft Verfassung von solchen Entscheidungen gem. Art. 97, 98 Abs. 1, 3 GG ausgeschlossen ist. Diese Erkenntnis zeigt zunächst die Pflichten des parlamentarischen Gesetzgebers auf, deren Erfüllung zur Verfassungsmäßigkeit einer KLR mit Bezug zur richterlichen Tätigkeit erforderlich ist. Wegen der faktischen Steuerungswirkung, die schon aus der bloßen Einführung der KLR in den Gerichten entsteht, bedarf es hierzu einer gesetzlichen Ermächtigung an die 114

Vgl. oben § 3 II. 6.

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Rechtsprechungsverwaltung. Hierzu reichen allgemeine Ermächtigungen in den Landeshaushaltsordnungen nicht aus115, weil ihnen die für die Beschränkung der Verwaltungsmacht gegenüber der Rechtsprechung erforderliche Bestimmtheit fehlt. So darf es keinesfalls den Rechtsprechungsverwaltungen überlassen bleiben, ob die KLR-Daten anonymisiert erhoben werden sollen. Sodann sind Detaillierungsgrad und Verwendungsverbote für die KLR-Informationen zu normieren, um die richterliche Mitwirkungspflicht bei der Datenerhebung zu determinieren und eine vom gesetzgeberischen Willen nicht gedeckte Verwendung der Daten zulasten der Richter zu verhindern. Bei der Definition zulässiger Verwendungszwecke hat der Gesetzgeber jedoch einen weiten Spielraum. Dies gilt insbesondere, soweit er die Daten für seine eigene Aufgabenerfüllung auch und gerade als Haushaltsgesetzgeber verwenden möchte. Hierbei wird er jedoch nur eine anonymisierte Datenerhebung verlangen können, weil für gesetzgeberische Zwecke das Handeln des individuellen Richters bedeutungslos ist. Vielmehr sind hier hoch-aggregierte Daten erforderlich. Soweit der Gesetzgeber die Verwendung der Daten durch die Rechtsprechungsverwaltung freigibt, wird er die damit zu verfolgenden Ziele zu definieren haben. Soweit er es dabei zuläßt, auf richterliche Kostenverursachung mit Einschänkungen der richterlichen Unabhängigkeit zu reagieren, müssen die Parameter sanktionierbaren Ressourcenverbrauchs klar definiert sein. Die bloße Feststellung fehlenden „Kostenbewußtseins“ reicht hierfür keinesfalls aus. Eine richterbezogene Individualisierung der KLR-Daten kommt letztlich kaum in Betracht, weil eine entsprechende Verwendung zwecks Steuerung durch die Rechtsprechungsverwaltung ausgeschlossen ist. Es ist kein rechtfertigender Grund erkennbar, warum etwa die Gerichtsverwaltung den speziellen Ressourcenverbrauch eines bestimmten Richters kennen sollte. Für eine allgemeine Gesamtplanung etwa im Rahmen des Haushaltsplanentwurfs spielen Einzelfälle keine Rolle; und da es diesbezüglich an einer konkretisierten Dienstpflicht im Sinne einer „ordnungsgemäßen“ Amtsführung durch den Richter fehlt (vgl. § 26 Abs. 2 DRiG), kommen auch entsprechende individuelle Anknüpfungen der Dienstaufsicht nicht in Betracht (etwa eine Ermahnung, zukünftig billiger zu arbeiten). Gleiches gilt für dienstliche Beurteilungen: Hier ist nicht einsichtig, inwiefern über den Vergleich mit Erledigungszahlen hinaus quantitative Feststellungen über den Ressourcenverbrauch zum Beleg der Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG erforderlich sein sollten. Vor allem wäre solches nur in eine Richtung denkbar, nämlich im Sinne von „möglichst billig“116.

115

Anders aber U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321); s. ausf. unten § 6 VII. U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (322), sieht bei Vernachlässigung der Qualitätsparameter der Rechtsprechung die Tendenz zur „cheapest practice“. 116

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Selbst wenn man hierfür einen abstrakten Nutzen für denkbar hielte, dürfte der über den herkömmlichen Erledigungsdruck noch hinausreichende Zwang zur Verbilligung bei personalisierter KLR im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit nicht mehr verhältnismäßig sein. Dies gilt auch deshalb, weil der Richter hinsichtlich der Erledigungszahl als solcher die Option hat, den bei ihm – gegenüber seinen Kollegen – erhöhten Zeitbedarf pro Verfahren durch Mehrarbeit zu kompensieren. Einmal durch seinen persönlichen Zeitaufwand oder „teure“ Verfahrensentscheidungen verursachte Ausgaben lassen sich nicht wieder allein durch richterliche Anstrengung „hereinholen“. Vielmehr müßten zum Ausgleich andere Verfahren unterdurchschnittlich „billig“ durchgeführt werden, was dann notwendig nicht nur in der Person des Richters, sondern auch bei den Betroffenen der „Kompensations“-Prozesse Folgen zeitigen würden. Wer schon drei kostenträchtige Verfahren im Monat hatte, wird versuchen, weitere zu vermeiden und etwa diejenige Rechtsmeinung seiner Fallentscheidung zugrunde zu legen, die den Verzicht auf eine Beweiserhebung ermöglicht. Alternativ bleibt natürlich noch, bei entsprechendem Spielraum den Streitwert höher anzusetzen, um die Gebühreneinnahmen zu steigern oder den nächsten „teueren“ Prozeß oder Beweisbeschluß auf das kommende Jahr verschieben. Gleiches gilt im Ergebnis für die Geschäftsverteilung; hier könnten Erkenntnisse bezüglich des Ressourcenverbrauchs je Richter vor dem Hintergrund der Budgetierung durchaus zusätzlich verwendbare Steuerungsinformationen liefern. Denn das Präsidium wäre dann in der Lage, durch Verringerung von Fallzahlen für „teure“ Erlediger den Ressourcenverbrauch pro Gericht zu senken und damit die Einhaltung des Budgets zu sichern; dies könnte etwa einen Richter treffen, der bei jedem Sitzungstermin eine Protokollkraft verlangt. Würde man dessen Fallzahlen halbieren, könnte die Hälfte der von ihm verursachten Personalkosten bei der Kostenstelle Protokollführer eingespart werden. Daher ist das Vorhaben von Bundesländern, die KLR-Daten zur Geschäftsverteilung zu nutzen117, durchaus nachvollziehbar. Dabei ist der richterliche Ressourcenverbrauch als Maßstab der Geschäftsverteilung nicht per se verfassungswidrig, weil seiner Mitberücksichtigung der Willkürcharakter fehlt und ihm auch nicht von vornherein ein disziplinarischer oder mißbilligender Charakter beizumessen wäre118. Gleichwohl wäre zwangsläufig der Grundsatz der Anonymisierung der KLRDaten durchbrochen. Die richterindividuellen Daten wären somit „in der Welt“, was die Gefahr ihrer informellen Berücksichtigung auch an anderer Stelle mit sich brächte. Die Steuerungsqualität der KLR müßte als fundamental erhöht betrachtet werden, weil jeder Richter um die konkrete Zuordnung der Kosten wüßte. Dies muß zu Verhaltensänderungen führen, und zwar unabhängig davon, welche Verwendungszwecke am Ende offiziell in Aussicht stehen. 117

Vgl. Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 16. Zum Verbot versteckter Disziplinarmaßnahmen in Form der Geschäftsverteilung vgl. Kissel, GVG, § 21e Rn. 82. 118

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Daher sind die in der Entanonymisierung der KLR-Daten enthaltenen Gewinne für die Geschäftsverteilung viel zu marginal, als daß der damit für den Richter erzeugte Handlungsdruck verhältnismäßig sein könnte. Schon die Erforderlichkeit hierfür ist starkem Zweifel ausgesetzt, weil nicht angenommen werden kann, daß die bisherigen Statistiken zu einer sachangemessenen Geschäftsverteilung nicht ausgereicht hätten. 5. Ergebnis: Die rechtliche Bedingungsabhängigkeit der KLR in den Gerichten Entgegen einer verharmlosenden Bewertung durch die Rechtsprechungsverwaltung ist die KLR schon als solche und auch ohne entsprechendes Controlling ein Steuerungsinstrument, weil sie wegen der mit ihr verbundenen Datenerhebung indirekt Rechtfertigungsdruck für Ressourcenverbrauch erzeugt und damit letzteren zum handlungsanleitenden Maßstab erklärt. Die mit ihr verbundene Wissenserweiterung vergrößert die Macht der Rechtsprechungsverwaltung119. Hieraus folgt zweierlei: Wegen des Steuerungsmonopols des Rechtssatzes (Art. 97 Abs. 1 GG) darf die Rechtsprechungsverwaltung solche Handlungsmaßstäbe für Richter nicht selbst kreieren, sondern braucht für die Einführung der KLR in den Gerichten eine spezialgesetzliche (vgl. Art. 98 Abs. 1, 3) Ermächtigung. Eine solche wäre materiell aber nur verfassungsgemäß, solange die Möglichkeit der Zuordnung des individuellen Ressourcenverbrauchs zum gesetzlichen Richter (Einzelrichter/Spruchkörper) ausgeschlossen bleibt. Denn die andernfalls erreichbare individuelle Kostentransparenz wäre weder für Zwecke des Gesetzgebers noch für die Rechtsprechungsverwaltung (Dienstaufsicht) erforderlich und daher unverhältnismäßig.

IV. Controlling – das alte der Neuen Steuerungsmodelle 1. Controlling – Planung und doch auch Kontrolle a) Die Notwendigkeit eines Controllings auch in den Gerichten „Obwohl Controlling in Deutschland schon über 20 Jahre bekannt ist, haftet dem Begriff Controlling noch immer etwas Schillerndes an“120. Daher gehört die Begriffserläuterung und -klärung, also „etwas Semantik“, zum Standard der 119

So im Ergebnis auch U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (322). Preißler, Controlling, S. 12; freilich dürfte den Beruf des Controllers „vor 20 Jahren bei Robert Lembkes heiterem Beruferaten kaum jemand erraten“ haben, so wohl zutreffend DER SPIEGEL 2/2002, S. 84 (85). 120

IV. Controlling – das alte der Neuen Steuerungsmodelle

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wissenschaftlichen Controlling-Literatur121. Statt der verschiedenen materiellen Definitionsansätze122 sollen hier die zentralen Kernstücke des Controlling-Begriffs und die daraus resultierenden Aufgaben und Kompetenzen des Controllers aufgezeigt werden. Grundsätzlich kann zunächst festgehalten werden, daß die vom Wortklang naheliegende Übersetzung von „Controlling“ mit „Kontrolle“ fehlgeht123. Dies wäre schon insbesondere deshalb verfehlt, weil die Kontrollperspektive zeitlich stets nur rückwärts gerichtet ist, während das zentrale Anliegen des Controllings in der Planung für die Zukunft besteht: Die Mitwirkung an der ergebniszielorientierten Planung („prospektives Denkhandeln“) und der Koordination steht an erster Stelle im Aufgabenkatalog des Controllers124. „Das Controlling unterstützt Entscheidungsprozesse durch eine umfassende Sammlung, Aufbereitung und Analyse von Informationen sowie deren Vernetzung und Aggregation“125. Die Nützlichkeit, aber auch Notwendigkeit des Controllings auch für Gerichte wird deutlich, wenn man sich die Auslöser für die Entwicklung des Controllings vergegenwärtigt, die aktuell große Bedeutung gewinnen. Mancherorts wurde das Jahr 2002 zum „Jahr der Controller“ erklärt, auch wenn sie als „Erbsenzähler“ gelten126, die zwar stets einen schlechten Ruf haben, aber in Unternehmen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu den zentralen Personen gehören. Denn sie verbringen den Tag „auf der Suche nach Einsparungen“127 und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen Überleben des Unternehmens. Die entscheidende Rechtfertigung des Controllings ist aber nicht sein ökonomisierter Blickwinkel, sondern die Erkenntnis, daß sich jedes Unternehmen mit zwei interdependenten Problembereichen auseinanderzusetzen hat: nämlich einerseits die Dynamik und Komplexität der Unternehmungsumwelt und andererseits in Reaktion hierauf die Differenziertheit der Unternehmungen128. Diese werden verstärkt durch die Zunahme abrupter 121 Horváth, Controlling, S. 21 ff. (hier findet sich das Semantik-Zitat); Preißler, Controlling, S. 11 ff.; Bähr, Controlling in der öffentlichen Verwaltung, S. 9 ff.; Vollmuth, Controlling, S. 9 ff.; Scherer, in: ders./Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 3 (9 f.); Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 69 ff. 122 Aufzählung etwa bei Bähr, Controlling in der öffentlichen Verwaltung, S. 10. 123 Statt aller Horváth, Controlling, S. 22; Piontek, Controlling, S. 17; für die Gerichte Voss, DRiZ 1998, S. 379 (379); s. aber sogleich nach FN 143, insbes. 146. 124 Horváth, Controlling, S. 167, 168; ausf. H.-U. Küpper, Controlling, S. 13 ff. 125 Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (8); Gläser, in: Weber/Tylkowski (Hrsg.), Konzepte und Instrumente, S. 316 (320), spricht von „bereichsübergreifender ,Querschnittsfunktion‘“. 126 So DER SPIEGEL 2/2002, S. 84 f. 127 DER SPIEGEL 2/2002, S. 84 (84), zitiert einen Controller mit den Worten: „Man hat ständig damit zu kämpfen, Arsch der Firma zu sein.“ 128 Dies ist im übrigen auch im öffentlichen Sektor zu beobachten, vgl. nur etwa Derlien/Frank, Die Verwaltung 37 (2004), S. 295 (296): „Dieser gesteigerten Umweltkomplexität wird das Gewerkschaftssystem mit erhöhter Eigenkomplexität begegnen

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Änderungen (Diskontinuitäten)129, wie sie sich auf vielen Bereichen auch und gerade für die Wirtschaft auswirken: Deutsche Einheit, Zusammenbruch alter Bündnisse, Europäische Einigung, die Öffnung osteuropäischer Märkte, Umweltkatastrophen, Entwicklung des Pentium Prozessors130. Ein Paradebeispiel für Dynamik und Diskontinuität ist auch das Aufkommen der New Economy131 und als Megatrend die Globalisierung132. Hierauf müssen Unternehmen schnell, flexibel und vor allem vorausschauend reagieren können, was sich, wie die Praxis gezeigt hat, mit Hilfe des Controllings und der mit ihm zu erzielenden Komplexitätsreduktion realisieren läßt: Controlling ist daher die Folge eines wachsenden Anpassungs- und Koordinationsproblems vieler Unternehmen133. Insofern ist Controlling als bloße Methode zur Planung der Zukunftsgestaltung inhaltsneutral. Wie der Plan für die Zukunft aussieht, ist mit der Entscheidung für die Einführung des Controllings – abstrakt betrachtet – in keiner Weise vorgegeben. Daher ist die Anwendung von Controlling in Gerichten als solche für die richterliche Unabhängigkeit zunächst irrelevant. Rechtlich problematisch wird es erst dort, wo es um die Inhalte der Zukunftsplanung und die Zuständigkeitsverteilung hierfür, also die „Ernennung“ des Controllers und seine Kompetenzen, geht. Daß dies von außen anders, nämlich per se ökonomiefixiert wahrgenommen wird, liegt daran, daß der modale Charakter des Controllings in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich nicht in der hier beschriebenen Offenheit eingesetzt wird und daher nie in reiner Form zu Tage treten kann. Denn in einem Wirtschaftsunternehmen ist die primäre Zielvorgabe unumstößlich vorgegeben: der finanzielle Gewinn134. Liegt diese Form ökonomischer Fixiertheit der überkommenen Controlling-Anwendung aber allein an diesem zentralen Definitionsmerkmal des Wirtschaftsunternehmens, muß klar werden, daß der Einsatz des Controllings in NPOs nicht zwingend ökonomisch determiniert wird. Im Gegenteil: Es ist auch von seiner Idee her nicht ein „vom Rechnungswesen dominiertes“ Konzept im Sinne einer „Rechenmaschine“, sondern muß über den Tellerrand der quantitativ-monetären Daten hinausblicken135. müssen.“ Alt, in: Scherer/ders. (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 43 (51 f.); Mundhenke, Controlling/KLR, S. 3. Speziell für die Gerichte s. Behrens, RuP 32 (1996), S. 1 (1); zur notwendigen Eigenkomplexität der Gerichte schon Görlitz, JuS 1970, S. 267 (269). 129 Horváth, Controlling, S. 3 f. mit ausf. Nw.; so ausdrücklich auch bezogen auf die Notwendigkeit einer Veränderung der Justiz Behrens, ZRP 1998, S. 386 (386). 130 Aus dem „Diskontinuitätenkatalog“ von Macharzina, Unternehmensführung, S. 492. 131 Horváth, Controlling, S. 4. 132 Zu ihr und den Folgen auch für die Rechtsprechung kurz und krit. Hartwieg, AnwBl. 1999, S. 93 ff. 133 Horváth, Controlling, S. 10; Müller, controller magazin 2004, S. 33 (35). 134 Rau, Mit Benchmarking, S. 21.

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Die jüngste Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts136 erweist sich in diesem Sinne als pures Controlling: Statt der unternehmenstypischen Gewinnerzielungsabsicht hat das Gericht durch Interpretation des Grundgesetzes die Notwendigkeit der Abhilfe gegen Gehörsverletzungen in Gerichtsverfahren als (ein) Soll-Ziel des gerichtlichen Rechtsschutzes festgesetzt. Durch kontrollierenden Soll-Ist-Vergleich wurde sodann festgestellt, daß dieses Ziel mit dem kategorischen Ausschluß des Rechtsschutzes „gegen den Richter“ infolge der herkömmlichen Interpretation des Art. 19 Abs. 4 GG bzw. des Justizgewährleistungsanspruches aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht erreichbar ist. Daher wurde für die Zukunft „geplant“ und eine dem § 321a ZPO137 entsprechende Gehörsrüge als Ausweg „vorgeschlagen“138, um die Erreichung des Zieles für die Zukunft sicherzustellen. Man mag sich am Inhalt der Entscheidung stören – wie wahrscheinlich die sechs Verfassungsrichter, die in der Minderheit blieben. An der Tatsache, daß die Entscheidung in dieser Form über die initiierende Verfassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil und eine abschlägig entschiedene Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, in dem Verfahren des Plenums sowie durch die Zuständigkeit dieser konkreten 16 Entscheidungsträger rechtlich korrekt zustande kam, wird man angesichts der Determination dieser jeweiligen Parameter durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 ff., 16 BVerfGG nicht zweifeln können. Daher läßt sich an diesem banalen Beispiel eines – das darf unterstellt werden – allseits akzeptierten „justizspezifischen Controllings“ durch das Bundesverfassungsgericht ein entscheidender Umstand ablesen: Für Gerichte und ihre Richter ist Controlling als solches eine Selbstverständlichkeit und in der Erscheinungsform des Instanzenzugs und auch des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde systemimmanente Tradition – dies gilt im Tatsächlichen wie in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Daher ist die entscheidende Problematik nicht die, ob es einen controllingfreien Bereich namens Gerichte/Richter/Rechtsprechung geben soll oder von Verfassungs wegen sogar geben muß, sondern allein die Frage, wer die Kompetenz zum Controlling besitzt und in welcher Form und in welchem Verfahren es ausgeübt wird. Controlling ist nicht selbst Führung, sondern Führungsunterstützung139, die auch einem allein führungsbzw. entscheidungskompetenten Richter zugute kommen kann.

135

Gläser, in: Weber/Tylkowski (Hrsg.), Konzepte und Instrumente, S. 316 (320). BVerfGE 107, 395 ff. 137 In der Fassung des ZPO-RG vom 27.7.2001 (BGBl. I, S. 1887 ff.). 138 Hier soll vorerst nicht näher auf die im Falle von BVerfG-Entscheidungen eintretenden Bindungswirkung gem. § 31 BVerfGG eingegangen werden, die den typischerweise bloß beratenden „Vorschlägen“ des Controllers nicht zukommt („the controller neither makes nor enforces management decisions“, so Cohen/Robbins/Young, Financial Manager, S. 27); s. sogleich bei FN 147. 139 Gläser, in: Weber/Tylkowski (Hrsg.), Konzepte und Instrumente, S. 316 (319). 136

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b) Das Controlling als primäres Kompetenzproblem Die Frage nach der Zulässigkeit eines Controllings in Gerichten ist daher im wesentlichen als Kompetenzfrage zu begreifen, die auf der Ebene des Grundgesetzes keineswegs abschließend geklärt ist. Denn Art. 92, 97 Abs. 1 GG geben nur zwei sehr begrenzte Antworten: Soweit Controlling in Form von Rechtsprechung stattfindet, kann es nur in der Zuständigkeit eines mit unabhängigen Richtern besetzten Gerichts liegen (Art. 92 GG); soweit es, ohne Rechtsprechung zu sein, die richterliche Tätigkeit betrifft, kann Controlling nur durch den Gesetzgeber selbst erfolgen oder muß von ihm angeordnet werden (Art. 97 Abs. 1 GG). Sobald also anstatt „Rechtsprechung“ andere Formen des Controllings gewählt werden, fehlt es an einer Art. 92 GG vergleichbaren ausschließenden Wirkung für die anderen Staatsgewalten; dem Parlament, und mit dessen Ermächtigung auch der Regierung, steht es dann frei, den Richter einem ControllingGesetz und den darin bestimmten, auch nicht-richterlichen Controllern zu „unterwerfen“. Freilich darf dies nicht so weit gehen, daß die Unterwerfung einem einzelfallbezogenen Handlungszwang für den Richter gleichkommt. Denn dann wäre er nur noch „Werkzeug“, weil die eigentliche Entscheidung aber dem Controlling-Gesetzgeber oder dem Exekutiv-Controlling überlassen bliebe. Dies bedeutete eine Umgehung des Rechtsprechungsverbots aus Art. 92 GG. Ein Beispiel hierfür findet sich etwa in Art. 26 DRiG i. V. m. § 38 VwGO, die sich damit als Controlling-Gesetze im soeben beschriebenen Sinn erweisen: Die Gerichtspräsidenten als Exekutivorgane führen Soll-/Ist-Vergleich zwischen richterlichem Verhalten und dem gesetzlichen Ordnungsrahmen für richterliches Handeln durch. Auf die gewonnenen Erkenntnisse reagieren sie mit den zulässigen Controllinginstrumenten, die ihrerseits aber auf Vorhalt und Ermahnung beschränkt und im Kernbereich ganz ausgeschlossen sind, weil weitergehende Maßnahmen den Richter in eine Zwangssituation bringen könnten. Die Dienstaufsicht besitzt jedoch keinen verfassungsrechtlichen Exklusivstatus. Sie ist, vor allem unter Einbeziehung der dienstlichen Beurteilung, zwar die einzig bisher praktizierte und traditionelle Form eines richterspezifischen Controllings, doch darf daraus nicht der Schluß auf ihre alleinige Zulässigkeit gezogen werden. Dies folgt schon daraus, daß sie als solche keinerlei Erwähnung im Grundgesetz findet, woraus dann mittels systematischer oder teleologischer Erwägungen ein Rückschluß auf die spezielle Ermächtigung des Gesetzgebers nur zur Einrichtung einer Dienstaufsicht über Richter als einzig zulässiger „Controlling-Form“ neben dem selbstverständlich gegebenen Instanzenzug möglich wäre. Vielmehr rechtfertigt sich die Dienstaufsicht aus der staatlichen Pflicht zur Justizgewähr; sollte der Gesetzgeber der Auffassung sein, dieses Ziel anders und auf zusätzlichen Wegen erreichen zu wollen, so steht ihm dies frei.

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c) Das Verfahrensproblem des gerichtsinternen Controllings Diese Erkenntnis macht zudem deutlich, daß der Aspekt der ControllingKompetenz zwar die zentrale „Einstiegsproblematik“ darstellt, aber in Abhängigkeit hiervon sogleich die Fragen nach der Form und dem Verfahren des Controllings aufgeworfen werden. Denn die Begrenzung der zulässigen Maßnahmen der Dienstaufsicht auf Vorhalt und Ermahnung in § 26 Abs. 2 DRiG sind die notwendige Folge (auch) aus der Zuweisung der Dienstaufsicht an die Exekutive. Soweit Controlling im Rahmen des gerichtlichen Instanzenzugs stattfindet, entfallen alle Begrenzungen. Zwar kommen auch hier Handlungsverbote in Betracht, wenn etwa das Revisionsgericht an die Sachverhaltsfeststellung des Berufungsgerichts gebunden wird und daher keine eigene Beweisaufnahme mehr durchführen darf. Doch ist der inhaltliche Controlling-„Extremfall“ in Form der Kassation eines Urteils gerade Sinn eines Rechtsmittels (mit Devolutiveffekt). Aber auch Maßnahmen unterhalb der Urteilsaufhebung wie „Segelhinweise“140 oder sachbezogene obiter dicta141 sind denkbar und zulässig. Daran läßt sich erkennen, daß je nach organbezogener Kompetenzzuweisung deren Inhalte verschieden und mit unterschiedlicher Reichweite gegenüber dem Richter ausgestaltet sein können. Daher hat die Zuweisung von Kompetenzen an einen ausschließlich richterlichen Qualitätszirkel andere Grenzen einzuhalten als etwa die eines laufbahnübergreifenden142 oder einen solchen unter Beteiligung des Gerichtspräsidenten. Der Beispielsfall der jüngsten Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts leitet über zu einem Aspekt, der auch dem Charakter des Controllings als bloßem Modus anhaftet: Selbst wenn Controlling nicht mit Kontrolle gleichzusetzen ist, so kommt es ohne sie letztlich nicht aus. Dieser Kontrollaspekt darf aber nicht als repressives Sanktionssystem mißverstanden werden, das fortwährend „Abweichler bestraft“. Vielmehr besteht die Kontrollaufgabe des Controllers „vorrangig im Aufbau eines Meßinstrumentariums und der Bereitstellung von Informationen über Soll-Ist-Abweichungen“143. Dies soll die in der wirtschaftswissenschaftlichen Praxis bedeutende Diskussion um die Abgrenzung zwischen Controlling und Kontrolle nicht herunterspielen, die zwischen der Gleichsetzung von Controlling mit Kontrolle und der These „Der Controller kontrolliert nicht!“ variiert144. Gleichwohl muß klar unterschieden werden zwischen den verschiedenen Phasen des Controllingprozesses, zu denen unbestritten

140 141 142

Siehe dazu FN 60. Siehe etwa BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 2003, S. 3468 ff. Für deren Notwendigkeit auch Spindler, FS 50 Jahre Anwaltsinstitut, S. 145

(151). 143 144

Horváth, Controlling, S. 167. Siehe H.-U. Küpper, Controlling, S. 180.

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auch Soll-Ist-Vergleiche und Abweichungsanalysen im Sinne von Kontrolle gehören145: „Aussagen über das Controlling beginnen regelmäßig mit der beruhigend gemeinten Erklärung, Controlling sei keine Kontrolle. Das ist ein gut gepflegtes Gerücht. Ich habe es selbst einmal geglaubt. Controlling ist Kontrolle, und zwar eine sehr raffinierte.“146

Denn mit der informalen Überzeugungskraft der bekannt gemachten Zahlen lassen sich durch sanften Druck formale Entscheidungszuständigkeiten allzu leicht überspielen. Doch muß stets klar getrennt werden zwischen diesen Kontrollmechanismen des Controllings in Form der Soll-/Ist-Analysen und der zuvor zu treffenden Zieldefinition sowie der nachherigen Entscheidung, ob und wie auf eine festgestellte Abweichung reagiert werden soll. Entsprechend sind für die jeweiligen Controllingphasen auch unterschiedliche Zuständigkeiten zu beachten147. Dies mag in Anlehnung an einen Controller-Bonmot verdeutlicht werden: Während ein Optimist ein Glas für „halb voll“ hält, erklärt ein Pessimist es für „halb leer“; ein Controller hingegen wird es als „für seinen Zweck 100 Prozent zu groß“ bezeichnen148. Diese im Gegensatz zu den beiden ersteren zielbezogene Analyse des Controllers ist aber nur dann brauchbar, wenn zuvor als Sollgröße für das Glas „randvolle Befüllung durch die vorgegebene Menge Flüssigkeit“ definiert worden ist. Dies mag für den Anwendungsfall einer dann luftdicht zu verschließenden Konserve zutreffend sein; der Scotch-WhiskyLiebhaber wird dagegen schon einen fünfzigprozentigen Füllstand seines Glases als unakzeptabel ansehen. Ob letzterer sodann das Umschütten in ein Glas mit größerem Volumen verlangt oder gar einen ganz neuen Whisky oder das Servierte doch widerwillig zu sich nimmt, ist durch die Feststellung des Controllers ebenfalls noch nicht entschieden.

145 Horváth, Controlling, S. 168; H.-U. Küpper, Controlling, S. 180 f. („Der Zusammenhang von Planung und Kontrolle wird oft als so selbstverständlich angesehen, daß der eigenständige Charakter der Kontrolle fast verloren geht.“). 146 So pointiert Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (449) – Hervorh. im Original. 147 Insoweit ist die im Beispiel der BVerfG-Plenarentscheidung anzutreffende Kompetenzkonzentration, die alle erwähnten Phasen im Plenum des BVerfG vereinigt, eher controllinguntypisch, wenn auch die Einordnung des Controllings als Linienfunktion (vgl. Bähr, Controlling, S. 23; Vollmuth, Führungsinstrument, S. 22) dem schon sehr nahe kommen dürfte. 148 Aus DER SPIEGEL 2/2002, S. 84 (84).

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d) Entökonomisiertes Controlling als Notwendigkeit in den Gerichten Nach diesem Überblick über die Struktur des Controllings wird klar, daß es trotz seiner ökonomiefixierten Herkunft hiervon losgelöst und zur Durchsetzung auch nicht-finanzieller Zielvorgaben verwendet werden kann. Immer dann, wenn Planung und Koordination zukünftigen Handelns vor dem Hintergrund sich (schnell) verändernder Handlungsparameter bei steigender Komplexität und Interdependenz unterschiedlicher Faktoren erforderlich ist, wird Controlling als System unumgänglich, soll die Zielerreichung (etwa Rechtsschutzgewähr) nicht dem Zufall überlassen bleiben. Denn Robert Nefs eindringlicher Aphorismus trifft auch hier den Kern: „Planung ist die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum. Dem Zufall sind wir schutzlos ausgeliefert, während wir als Planende immerhin die Möglichkeit haben, vom größeren zum kleineren Irrtum fortzuschreiten.“149

Vor dem Hintergrund dieses entökonomisierten Verständnisses von Controlling erscheint es geradezu prädestiniert für die Gerichte. Dies gilt nicht nur, weil dort Controlling ohnehin seit jeher stattfindet, wie nicht nur das Beispiel des Bundesverfassungsgerichts zeigt; auch jede Aufstellung und Anpassung eines Geschäftsverteilungsplans wie auch die spruchkörperinterne Zuständigkeitsverteilung ist Controlling. „Bereits heute verfügt die Justiz über eine Vielzahl entscheidungsorientiert aufbereiteter Informationen; zu nennen sind insbesondere die Geschäftsstatistiken, die Personalübersichten und die Geschäftsberichte. Diese sind bereits in der Vergangenheit anhand von Kennzahlen (z. B. Eingänge je Richter, Verfahrensdauer) sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch im Vergleich der Länder zueinander analysiert und im Hinblick auf sich daraus ergebenden Veränderungsmöglichkeiten erörtert worden“150. Ebenso trifft das Phänomen der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Handlungsbedingungen sowie der Diskontinuitäten auch und gerade die Gerichte: Fortwährende Gesetzesänderungen im materiellen und vor allem auch prozessualen Recht, der Einfluß der Europäisierung der Rechtsordnung, die unsichere und schwankende Ausstattung der Gerichte in finanzieller und personeller Hinsicht151 und der Reformdruck als Ausfluß bewußt gesetzter politischer Programme152. Aber auch jenseits solcher kurzfristigen Veränderungen unterliegt das Justizsystem insgesamt einem grundsätzlichen Wandel. Denn die „Separie149

Nef, Sprüche, S. 28. So zutreffend Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 34. 151 Voss, DRiZ 1998, S. 379 (382). Insofern bietet Strempel, ThürVBl. 1998, S. 30 (33), eine brauchbare Definition der „modernen Justiz“, die „eine auf die wichtigen Problemlagen der Gegenwart angemessen reagierende Justiz“ sei. Zu den veränderten Rahmenbedingungen in finanzieller Hinsicht und in bezug auf die Erwartungen der Bürger s. auch Hoffmann-Riem, NordÖR 1998, S. 324 (324 f.); Caesar, RuP 30 (1994), S. 131 ff.; Schäuble, ebd., S. 134 ff. 150

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rung der Konfliktlösung aus dem allgemeinen Herrschaftspotential, ihre Zuweisung an die Justiz (. . .) stand unter der seinerzeit plausiblen Prämisse, daß die Zahl der Konflikte überschaubar bleiben werde. (. . .) Die inzwischen eingetretene gesellschaftliche Komplexitätssteigerung hat aber den justiziellen Entscheidungsbedarf derart anschwellen lassen, daß die Leistungsfähigkeit dieses Instrumentes problematisch geworden ist.“153 Dieser langfristigen fundamentalen Veränderung fehlt zwar die Dynamik, Anpassung braucht sie gleichwohl, die ihrerseits wiederum der Planung und Umsetzung bedarf. Denn „mit Kaisers Justiz ins dritte Jahrtausend“154 zu gehen, scheint ausgeschlossen. 2. Die alten Grenzen des neuen Controllings Betrachtet man dies vor dem Hintergrund der „alten“ Steuerungsinstrumente, so fällt zunächst auf, daß deren Katalog durch ein einzuführendes, justizspezifisches Controlling nicht erweitert wird. Weder sind zusätzliche Maßnahmen der Dienstaufsicht erlaubt, noch werden etwa neue Rechtsinstitute geschaffen, die eine zusätzliche Beeinflussungsoption gegenüber den Richtern eröffnen. Und doch ist Controlling ausdrücklich auch „Steuerung“, die ihrem Namen nach wie auch dem Willen ihrer Protagonisten entsprechend aktiv eingesetzt werden, also Entscheidungen beeinflussen bzw. determinieren soll155. Dabei hängt die (verfassungs)rechtliche Zulässigkeit eines exekutiven Controllings jedoch vom Schicksal der herkömmlichen Exekutivmaßnahmen in bezug auf die Rechtsprechung ab. Dies bedeutet insbesondere, daß sich Maßnahmen gegenüber einem Richter, auch wenn sie unter dem Begriff des Controllings erfolgen, im Rahmen des § 26 DRiG halten müssen und dann auch von den Richterdienstgerichten überprüft werden können. Damit ist zugleich deutlich gemacht, daß das in § 26 DRiG enthaltene gesetzgeberische System mit der Entdeckung des Controllings auch für die Gerichte nicht beseitigt ist und wird. Exekutive Maßnahmen gegen einen Richter dürfen daher nicht über Vorhalt und Ermahnung hinausgehen und auch nur von entsprechend vom Gesetzgeber ermächtigten Organen vorgenommen werden. Als Controller mit (Eingriffs-)Befugnissen gegenüber Richtern kommen daher de lege lata nur die Organe der Dienstaufsicht in Betracht, also die Gerichtspräsidenten156. Jede andere Controllingstelle kann nur

152 B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (270); dieser Druck ist allerdings staatlicherseits selbst erzeugt, so daß die Exekutive auf diese Weise selbst die Bedingungen für die Veränderungen in den Gerichten setzt. 153 Simon, in: Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, S. 229 (232). 154 So der Titel bei H.-E. Böttcher, SchlHA 1997, S. 101 ff. 155 Und zwangsläufig auch in bezug auf die richterliche Tätigkeit, vgl. unten bei FN 392. 156 Im Ergebnis ebenso Dieckmann, RuP 36 (2002), S. 7 (9 f.), für die KLR.

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eine Stabsfunktion erfüllen. Solange sich Controlling in diesem zulässigen Rahmen hält, ist aus rechtlicher Sicht nichts zu erinnern. 3. Zentrale Gefahr: Ein ökonomiefixiertes Controlling auch in den Gerichten Da das Controlling nicht aus seinem gesetzlichen Korsett ausbrechen kann, besteht die entscheidende Gefahr darin, daß mittels der Schwerpunktsetzung im Rahmen der gesetzlichen Grenzen eine steuernde Wirkung eintritt. Die Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen versteht das Controlling in umfassendem Sinn157. Sie zeichnet zunächst mittels Zielbeschreibung ein Idealbild, dessen Realisierung aber äußerst voraussetzungsvoll sein dürfte. Dies ist für sich genommen kein Gegenargument, weil sonst alle Vorhaben, die zur Durchführung besonderer Anstrengung bedürften, ausgeschlossen wären. Gleichwohl muß dies mitbedacht werden, weil die Erfüllung der notwendigen Bedingungen geleistet werden muß, zwangsläufig aber nicht ohne die Richterschaft in den Gerichten erfolgen kann. Daher ist eine wirksame Beteiligung der Richterschaft erforderlich158. Vor allem aber wird die Kompetenzfrage zentral werden, weil auch und gerade bei der Planung, die den Zufall und das unkoordinierte Nebeneinanderher beenden will, Entscheidungen mit Bindungswirkung für das Personal getroffen werden müssen. Das Sammeln und Vernetzen von (aggregierten) planungsrelevanten Informationen als elementarem Teil des Controllings unter Einbeziehung der herkömmlichen Informationen etwa aus der Zählkartenstatistik und der nunmehr neuen Zahlen aus der KLR159 ist eine Sache. Doch dann wird es letztlich erst problematisch, worauf die Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen jedoch lapidar reagiert: „Die Verantwortlichen müssen über alle relevanten Geschäftsentwicklungen informiert sein, insbesondere über solche Entwicklungen, die wesentliche personelle und finanzielle Auswirkungen haben. Auf Basis der Informationen, die das Controlling bereit stellt, treffen die jeweiligen Verantwortlichen (z. B. Behördenleiter/Behördenleiterinnen) dann ihre Entscheidungen.“160

Die „Entscheidung“ als Ziel des Controllings wird erkannt und den „Verantwortlichen“ zugewiesen; als Beispiel für solche Verantwortlichen werden aber nur die „Behördenleiter/Behördenleiterinnen“ (gemeint sind dabei auch die Leiter von Gerichten) genannt. Dies dürfte nicht nur bezeichnend, sondern auch zwingend sein, weil in Gerichten andere Stellen mit Entscheidungskompetenz 157

Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 33 ff. Vgl. Mackenrodt/Wilke, DRiZ 2001, S. 148 ff. 159 Vgl. Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 34 f. 160 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 39 – Hervorh. im Original. 158

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für Controllingobjekte nicht existieren161. Es verdeutlicht auch, daß das geplante Controlling durchaus quantitativ-ökonomische Schwerpunkte haben soll, was auch bei Betrachtung prozeduraler Parameter klar wird. Denn die Informationsbehandlung kann nur EDV-basiert erfolgen, weil anders eine solch große Menge an Daten, wie sie anfallen und gebraucht wird, nicht anders verarbeitet werden. IT-Systeme in den Gerichten sind aber unausweichlich der Rechtsprechungsverwaltung unterstellt. Neben dieser konkludenten Fixierung auf die Organe der Rechtsprechungsverwaltung162 als Entscheidungsträger fällt zudem auf, daß besondere Wertschätzung solchen Informationen entgegengebracht wird, „die wesentliche personelle und finanzielle Auswirkungen haben“. Qualitätsbezogene Entwicklungen, sofern sie überhaupt in Kennzahlen erfaßt und damit im Rahmen eines Controllings verwertbar sind163, erhalten keine besondere Aufmerksamkeit. Dies liegt aber nicht (nur) in einer insoweit desinteressierten Qualitätsindifferenz der Rechtsprechungsverwaltung begründet, sondern hat (auch) systembedingte Ursachen. Eine von ihnen ist die sich allgemein in Deutschland realisierende Gefahr einer kurzfristigen Instrumentalisierung aller (innovativen) NSMInstrumente ausschließlich zur Bewältigung der aktuellen Haushaltskrise164. Doch kommen hier noch weitere gerichtsspezifische Gründe hinzu. 4. Die strukturelle Unausweichlichkeit der exekutiven Quantitätsfixierung Hinter den NSM steht die Idee, im Sinne des AKV-Prinzips165 Aufgabe, Kompetenz und vor allem die Verantwortlichkeit in den Gerichten zusammenzuführen und zu dezentralisieren, um damit gegenseitige Schuldzuweisungen zu verhindern. Dies gelingt im Bereich der Gerichtsbarkeit nicht dadurch, daß man „die Gerichte“ zu Adressaten dieser Dezentralisierung macht. Denn in der „Brust“ jedes Gerichts schlagen zwei Seelen, eine judikative und eine exekutive. Deshalb kann hier die gegenseitige Verantwortungszuteilung für Negativentwicklungen weiter funktionieren, auch wenn an die Gerichte dezentralisiert worden ist.

161 Das Präsidium verteilt nur Eingänge auf Richter, und diese bearbeiten die so zugewiesenen Fälle; mehr haben sie nicht „zu sagen“. 162 Was sich freilich nahtlos in die kritische strukturelle Entwicklung der Reformen in Deutschland einpaßt, die Politik durch Verwaltung substituiert, vgl. Budäus, in: Baum u. a. (Hrsg.), Controlling, S. 43 (53). 163 Beispiele für z. T. auch in Gerichten brauchbare Qualitätskennzahlen bei Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 74 f. 164 Vgl. Budäus, in: Baum u. a. (Hrsg.), Controlling, S. 43 (53). 165 Siehe dazu etwa Hoffmann-Riem, Modernisierung, S. 233 ff.

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Dies gilt weniger wegen der Vorbehalte der Verwaltung als der der Richter: Denn während Richter durchaus auch Gerichtsverwaltung ausüben dürf(t)en, schließt das Richtermonopol konsequent alle anderen denkbaren Entscheidungsträger von der Mitwirkung an den jeweiligen Entscheidungen aus. Nimmt man als Beispiel das rechtliche Gehör im Verfahren als zentralen Gegenstand unabhängiger richterlicher Tätigkeit, so kann folglich ein diesbezügliches Controlling nur durch Richter praktiziert werden. Dies bedeutet insbesondere, daß etwaige Unterziele oder Strategien, wie die Gewährung rechtlichen Gehörs gesichert werden kann (und sollte), nur von Richtern außerhalb eines Weisungsverhältnisses, wie es innerhalb der Gerichtsverwaltung existiert, definiert werden dürfen. Gleiches gilt auch schon für die Durchführung einer diesbezüglichen Abweichungsanalyse als Kontrollform und untrennbarer Bestandteil des Controllings166. Die durch das Grundgesetz beibehaltene Kompetenzzuweisung bezüglich der Gerichtsverwaltung an die Exekutive bei deren gleichzeitigem Ausschluß von der Rechtsprechung verursacht weitere Komplikationen: Die damit hervorgerufene direkte Konfrontation beider Gewalten in einer Einrichtung, den Gerichten, erzeugt Reibungsverluste und Spannungen. Vor allem aber kann es wegen der rechtsstaatlich notwendigen Trennung der Bereiche Rechtsprechung und Rechtsprechungsverwaltung kein verbindendes Glied geben, das im Konfliktfalle verbindlich für beide Seiten eine Entscheidung trifft. Dieses besteht insbesondere nicht in der Person des Gerichtspräsidenten, der zwar beide Funktionen innehat, aber bei seiner richterlichen Tätigkeit keine andere, größere Kompetenz als jeder andere Richter besitzt und damit für den Rechtsprechungsbereich keine bindende Entscheidung treffen kann. Es gilt aber auch nicht für die Richterdienstgerichte, die zwar bei Konflikten zwischen beiden Gewalten letztverbindlich entscheiden, aber eben nur repressiv im Falle der Dienstaufsicht gegenüber Richtern in konkreten Einzelfällen. In dieser Situation wird ein Dilemma besonders deutlich, das alle Komponenten der NSM charakterisiert: Die durch Art. 92, 97 Abs. 1 GG gestützte Abwehrposition der Richterschaft kehrt sich gegen sie selbst um, weil das kompromißlose Pochen auf das für die Exekutive geltende Verbot der Beschäftigung mit der Qualität richterlicher Tätigkeit der Rechtsprechungsverwaltung hierzu zwar das Recht nimmt, aber eben auch die Pflicht. Wenn sie sich in der Folge sodann auf reine Quantitätskriterien beschränkt167, verliert der hiergegen erhobene Vorwurf einseitiger Betrachtungsweise seine Rechtfertigung: Der Exekutive kann nicht ernstlich vorgeworfen werden, daß sie etwas nicht tut, was ihr verboten ist. 166

So auch Spindler, FS 50 Jahre Anwaltsinstitut, S. 145 (150). Siehe Brand, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 99 (105); ausdrücklich Mäurer, DRiZ 2000, S. 65 (68). 167

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Die Folge daraus ist, daß Rechtsprechungsorgane und Gerichtsverwaltung nebeneinander und jeweils als separate Systeme agieren. Dies führt nicht nur dazu, daß immer wieder Personal der Serviceeinheiten durch den Gerichtspräsidenten ausgetauscht wird, ohne daß die betroffenen Richter hierauf vorbereitet, geschweige denn gefragt würden168. Entscheidungen ohne Rücksicht auf etwa effizient zusammenarbeitende Richter/Verwaltungs-Teams liegen in der Natur der Sache paralleler Kompetenzsysteme169. Geradezu alarmierend klingt in dieser Hinsicht ein Erfahrungsbericht aus einem in jüngerer Zeit etablierten laufbahnübergreifenden Qualitätszirkel des LG Kleve, nach dem es erst im Jahr 2000 – also mehr als 120 Jahre nach Inkrafttreten des GVG – dazu gekommen ist, daß Kräfte der Serviceeinheiten erfahren, warum Richter dies oder jenes tun etc170. Dies beruht sicherlich auch auf Unzulänglichkeiten der Richterschaft171, kann aber in seinem Ausmaß nur durch strukturelle Gründe, eben die Trennung und das Nebeneinander von Exekutive und Judikative, verursacht werden. Aber schwerwiegender als solche „Alltagsunzulänglichkeiten“ sind die hiervon zu abstrahierenden strukturellen Fehlentwicklungen, wie sie durch die Einführung der NSM in besonderem Maße zu Tage treten. Mit der Kompetenzzuweisung geht parallel auch die politische und rechtliche Verantwortung der Exekutive für das Funktionieren und die Mittelverwendung durch die Gerichtsverwaltung einher. Nimmt sie diese ernst und will hier zu politisch definierten Verbesserungen gelangen, bleibt sie notwendig hierauf beschränkt: Eine wie auch immer geartete „Verbesserung“ der Rechtsprechung steht ihr nicht zu, weil sie diesbezüglich keinerlei Kompetenz (aber auch keine Verantwortung172) hat. Folglich kommt es systemimmanent zu einer „Verwaltungsfixierung“ der Rechtsprechungsverwaltung, die dort zu Problemen führt, wo die Interessen der Gerichtsverwaltung und der Rechtsprechung nicht parallel verlaufen oder sich gar entgegenstehen. Einmal zugespitzt formuliert: Wie soll ein Justizminister bei seiner Überlegung, wie er die Gerichtsverwaltung reformieren könnte, für die er gegenüber dem Volk verantwortlich ist, die Erfordernisse für die Qualität der Rechtsprechung berücksichtigen, wenn er die Qualitätsmerkmale der Rechtsprechung gar nicht diskutieren und erst recht nicht definieren darf? Die pauschalen, immer Konsens sichernden Entscheidungen für mehr Planstellen und bessere finanzielle Ausstattung sind seiner Entscheidungsmacht entzogen. Vielmehr

168

Siehe nur Rasehorn, RuP 32 (1996), S. 111 (114). Erste Verbesserungsansätze aber auch hier, etwa der „Richter als ORGA-Leiter“, s. o. Verf., RiStA 2/2004, S. 13. 170 Vgl. Hillgärtner/van Bentum/Werth, RiStA 5/2003, S. 16 f. 171 Siehe nur die bei Treuer u. a., Arbeitsplatz Gericht, S. 187, wiedergegebene richterliche Aussage: „Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle? Die gehört doch nur zur Weihnachtsfeier dazu.“ Mit gleicher Tendenz für den BFH Jäger, BJ 2004, S. 274 (274 f.). 172 Piorreck, BJ 2003, S. 64 (65 f.). 169

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muß ein Weniger gegenüber früheren Jahren ausreichen, so daß Umstrukturierungen und Einsparungen notwendig werden. Zwingende Folge hieraus ist sodann, daß Veränderungen eintreten, auf die sich auch die Richterschaft einzustellen hat173. 5. Noch einmal und erst recht: Das Versagen des Gesetzgebers Diese Erkenntnisse unterstreichen noch einmal die Mißlichkeit der zuvor erkannten Verweigerungshaltung des parlamentarischen Gesetzgebers: Die parallelen Zuständigkeiten von Richtern als Rechtsprechungsorganen und der exekutiven Gerichtsverwaltung führen zwangsläufig zu einer Konzentration auf die jeweils eigenen Kompetenzkreise. Dies gilt wohl vor allem für die Richterschaft, deren selbstverordneter „Autismus“ bereits andernorts unterstrichen worden ist174, dürfte aber nicht anders für die Rechtsprechungsverwaltung zutreffen. Selbst wenn ihr hierzu jegliche intrinsische Motivation fehlen dürfte, wird ihr spätestens von den Dienstgerichten die Beschränkung auf ihre eigenen Aufgaben „empfohlen“. Der einzig potentielle Akteur mit Allzuständigkeit ist dabei der Gesetzgeber, der – wie in Art. 20 Abs. 3 GG sprachlich nur allzu deutlich zum Ausdruck kommt – „die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ an sein Gesetz binden kann; beide sind ihm gleichermaßen „unterworfen“. Er kann daher hinsichtlich der Qualität richterlicher Tätigkeit genauso aktiv werden wie zur Reglementierung der Rechtsprechungsverwaltung. Ihm steht es frei, das Dilemma zu überwinden, wozu jedoch aktuell kaum Anzeichen zu finden sind: Während er nach wie vor die Rechtsprechungsverwaltung unbehelligt läßt, hat er die bestehenden intrajudikativen, prozeduralen Sicherungen richterlicher Qualität ohne Kompensation sogar noch eingeschränkt175. Das gesetzgeberische Desinteresse an einer aktiven Gestaltung der Rechtsprechungsorganisation ist deshalb besonders kritikwürdig, weil die Parlamente sich der Defizite in den Gerichten sehr wohl bewußt sind. Ihr zuvor dokumentierter Aktionismus bei der Reform der Verfahrensgesetze beweist, daß diesbezüglicher Handlungsbedarf erkannt worden ist. Nur das Innere der Gerichte scheint insoweit als terra incognita für den Gesetzgeber, der es der Rechtsprechungsverwaltung überläßt in der Hoffnung, sie werde es schon richten. Dies ist in neuerer 173 Insoweit zutreffend jüngst von Keyserlingk, DRiZ 2004, S. 141; dezidiert U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (148): „Die Amtspflicht zur effektiven Justizgewähr besteht auch unter Bedingungen des Mangels.“ Unter abstrakter Betrachtung im Ergebnis ebenso Roellecke, in: Schulze-Fielitz/ Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 123 ff. 174 Lamprecht, DRiZ 1992, S. 237. 175 Vgl. oben § 5 III.

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Zeit nicht mehr ganz falsch, wie die Reformbemühungen zeigen – die Exekutive ist aktiv. Diese Strategie widerspricht jedoch der Verfassung, weil sie der Rechtsprechungsverwaltung einen Handlungs- und Determinierungsspielraum gegenüber den Richtern einräumt, der ihr gem. Art. 97 Abs. 1 GG nicht zukommt, womit die grundgesetzliche Kompetenzordnung außer Kraft gesetzt wird. Auf der anderen Seite bleibt so auch ein vorhandenes, über § 26 Abs. 3 DRiG aktualisierbares Blockadepotential der Richterschaft unangetastet. Aber selbst wenn die Rechtsprechungsverwaltung ihren auch durch das Grundgesetz gedeckten Handlungsrahmen einhielte, blieben ihre Maßnahmen – wie dargelegt – zwangsläufig quantitätsdominiert. Dabei wird sich dieser Primat des Quantitativen bei den aktuell herrschenden Bedingungen auf Dauer stets durchsetzen, wofür drei Gründe ausschlaggebend sind: 1. Die hierarchischen Strukturen der Rechtsprechungsverwaltung wirken auch auf die Richter ein und verleihen ihren Forderungen enorme Durchsetzungskraft. 2. Quantitative Größen lassen sich – aus der Natur der Sache heraus – im Gegensatz zu qualitativen Parametern äußerst leicht erfassen sowie aussagekräftig aufbereiten. Die damit erreichbare Überzeugungskraft, zumal in Zeiten knapper finanzieller staatlicher Ressourcen, übertrifft diejenige der Qualitätskennzahlen von Rechtsprechung bei weitem – wenn es letztere überhaupt gibt. 3. Dem aus der Effektivität der hierarchischen Struktur und ihrer Homogenität erwachsenden Durchsetzungsdruck der (einheitlichen) Rechtsprechungsverwaltung stehen ca. 21.000 „Einzel(richter)kämpfer“ gegenüber, denen es trotz ihrer gemeinsamen Standesvertretung in Form des Deutschen Richterbundes kaum gelingt, als einheitliche Gewalt aufzutreten, und die den Qualitätsaspekt zum Problem jedes einzelnen Richters in jedem einzelnen Fall erklären. Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach der strukturellen Überlegenheit nur rhetorischer Natur sein. Zudem beinhaltet dies ein rechtspolitisches Defizit, das zwangsläufig die Effektivität von Reformen in den Gerichten nachhaltig mindert. Denn die richterliche Unabhängigkeit besitzt zwar Abwehrcharakter, verleiht der Richterschaft aber kein Gestaltungsrecht176. Daher kann Art. 97 GG zwar als Instrument zur Verhinderung von Reformen, nicht aber zu deren aktiver Gestaltung gebraucht werden. Daher sind (zukünftig) Beschränkungen des Blockadepotentials der Unabhängigkeitsgarantie ebenso erforderlich wie Ermächtigungen und Verpflichtungen der Richterschaft, als (korporative) Gewalt „Judikative“ in ihrem Monopolbereich aktiv „Verbesserungen“ herbeizuführen. Zu beiden Maßnahmen ist allein der parlamentarische Gesetzgeber befugt; und er ist es auch, der die not176

Wipfelder, DRiZ 1982, S. 143 (145).

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wendigen finanziellen Mittel für organisatorische Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Rechtsprechung mit Unterstützung etwa der Wissenschaft bereitstellen müßte und könnte. 6. Nur eine zulässige von drei denkbaren Handlungsoptionen Auf die zuletzt gewonnenen Ergebnisse läßt sich – abstrakt betrachtet – auf drei Wegen reagieren: Entweder man erlaubt der Exekutive ein Controlling der Rechtsprechung – dies ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Oder aber man verzichtet auf die Einführung aller NSM und ihrer Instrumente, womit die Ursache zu erwartender Quantitätsdominanz beseitigt wäre. Dies ist nicht ernsthaft vorstellbar, weil damit der Exekutive verwehrt würde, den von ihr zu verantwortenden Bereich der Rechtsprechungsverwaltung entsprechend auszugestalten. Eine solche Reichweite hat weder Art. 92 GG noch Art. 97 GG. Bleibt als dritte Alternative allein die richtergetragene Institutionalisierung einer Qualitätssicherung auch für die Rechtsprechung bei gleichzeitiger substantieller Beschränkung des Handlungsfreiraums der Rechtsprechungsverwaltung bei der Umsetzung der NSM. Beides kann durch den Gesetzgeber geleistet werden; Art. 20 Abs. 3 GG verleiht ihm dazu die rechtliche Macht. Aber auch faktisch ist es möglich, den Vorrang des Quantitativen zu brechen – wie am Beispiel des aktuell unverzichtbar scheinenden Controlling-Instruments der „Balanced Scorecard“ gezeigt werden kann. 7. Balanced Scorecard Die „Balanced Scorecard“, zu deutsch etwa „ausgewogener Berichtsbogen“177 oder „Anzeigetafel“ 178, wurde zu Beginn der neunziger Jahre179 des 20. Jahrhunderts von Roger S. Kaplan und David P. Norton an der Harvard Business School in Zusammenarbeit mit amerikanischen Unternehmen entwickelt und im Jahr 1996 in monographischer Form des „Klassikers“ „The Balanced Scorecard – Translating Strategy into Action“180 dokumentiert. Zwischenzeitlich gar als „Wunderwaffe“ tituliert, gehört sie mittlerweile auch in Europa zum festen Bestandteil des Controllings in Unternehmen181; „in nahezu jedem 177 Krey, controller magazin 2003, S. 325 (325); Steindorfner, GedS Keller, S. 271 (280, Fn. 16.). 178 Lange/Lampe, Kostenrechnungspraxis 46 (2002), S. 101 (101). 179 Siehe bereits Kaplan/Norton, Harvard Business Review (January–February) 1992, S. 71 ff.; dies., Harvard Business Review (September–October) 1993, S. 135. 180 Kaplan/Norton, Balanced Scorecard, deutsch 1997; die Klassiker-Qualifizierung findet sich bei Krey, controller magazin 2003, S. 325 (325).

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,Controller Magazin‘“ findet sich ein Artikel zu diesem Thema182. Zentraler Aspekt der Balanced Scorecard ist es, eine Methode zur Umsetzung der Unternehmensstrategie zu entwickeln, indem diese in operationale Ziele transformiert und der Grad der bereits erfolgten Umsetzung durch Kennzahlen meßbar gemacht wird183. Entscheidend ist, daß darin eine Abkehr von rein monetären Kennzahlen und Betrachtungen vollzogen wird184, indem der Finanzperspektive als weitere die Kunden-, die interne sowie die Lern- und Entwicklungsperspektive hinzugefügt werden185, deren jeweilige Zielgrößen miteinander verbunden werden. „Die Balanced Scorecard ist eine spezielle Art der Konkretisierung, Darstellung und Verfolgung von Strategien. Sie dient dazu, die Umsetzungswahrscheinlichkeit beabsichtigter Strategien zu erhöhen“186, und erlaubt es, auf der Basis eine „Hypothesensystems“187 Kausalitäten zwischen Input und Erfolg zu erkennen und entsprechend einzusetzen188. Für die Gerichte muß die Balanced Scorecard wie generell für Non-ProfitOrganisationen modifiziert werden189, was ganz entscheidend an der umzusetzenden Strategie liegt, die die Balanced Scorecard nicht vorgibt. Denn sie ist kein Instrument zur Strategiefindung190. Die typische Unternehmensstrategie der Schaffung „einer einzigartigen und werthaltigen Marktposition unter Einschluß einer Reihe differenzierender Geschäftstätigkeiten“191 hat mit der öffent181 40% der DAX 100-Unternehmen setzten bereits 2001 die Balanced Scorecard ein, das gleiche galt 2000 für die Gruppe der Fortune-1000-Unternehmen, s. Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 2; allerdings bestehen augenscheinlich auch gerade in Wirtschaftsunternehmen noch Mißverständnisse, die die Balanced Scorecard als herkömmliches Kennzahlensystem zur bloß parallelen Abbildung monetärer und nicht-monetärer Parameter begreifen, vgl. Beyer, in: Scherer/Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 73 (74: „unechte Balanced Scorecard“). 182 Krey, controller magazin 2003, S. 325 (325), die ebd., S. 332, noch weitere Indizien der Bedeutung der Balanced Scorecard nennt wie etwa Umsatz im Bereich Schulung, Beratung, Software, Buchhandel von 61,2 Mio. Euro. 183 Krey, controller magazin 2003, S. 325 (325). 184 Die Kritik an den finanziellen Daten als alleinigem Meßgrößensystem und die Dominanz finanzieller Steuerungsgrößen waren zwei der acht Managementprobleme, die die Auslöser für die Balanced Scorecard waren, s. Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 9, 3, 5. Im Hinblibk auf die Beziehungen zur Budgetierung vgl. auch Pack/Dörr, controller magazin 2004, S. 4 (4). 185 Kaplan/Norton, Balanced Scorecard, S. 23 ff. 186 Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 9; J. Müller, controller magazin 2004, S. 33 (33). 187 Kunz/Pfeiffer, „Balanced Scorecard“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 101 (101); im Hypothesencharakter liegt denn auch eine Kritik an der Balanced Scorecard, vgl. ebd., Sp. 107 f. 188 Müller, controller magazin 2004, S. 33 (34). 189 Dazu etwa Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 386 ff. 190 Morganski, Klassiker, S. IX. 191 So Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 21, unter Bezugnahme auf Porter, Harvard Business Manager 3/1997, S. 42 (48).

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lichen Verwaltung ebensowenig wie mit Gerichten etwas zu tun „angesichts hoheitlicher Aufgabenerfüllung, eines nur begrenzten Wettbewerbs und einer eben nicht primär finanzorientierten Ausrichtung“192. Das macht aber die Balanced Scorecard für den öffentlichen Sektor und auch für die Gerichte193 nicht untauglich, sondern setzt nur die Implementation einer anderen Strategie, etwa in Form eines Plans „zur Ausrichtung einer Einheit auf die Erzielung nachhaltiger und anhaltender Effekte“ voraus, zumal die acht Auslöser der Balanced Scorecard sich prinzipiell als Probleme auch in der öffentlichen Verwaltung und den Gerichten finden194. Dies gilt erst recht nach Einführung der KLR und einem allein auf ihr aufgebauten Controlling, die die besondere und bezüglich des damit gewonnen Kennzahlensystems ausschließliche Finanzfixierung auch in den Gerichten überhaupt erst hervorrufen. Daß die Balanced Scorecard auch in NPOs äußerst sinnvoll eingesetzt werden kann, zeigt eine Vielzahl von entsprechenden Berichten etwa für einen Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes195 oder in Krankenhäusern; gerade letztere können für die Gerichte sehr vorbildhaft sein, weil sie ebenfalls unter einem Dach zwei Bereiche, nämlich die Organisationsverwaltung und die fachliche, ärztliche Leitung beherbergen196. Die Liste ließe sich beliebig verlängern etwa um das Heer der Bundeswehr, die Jugendhilfe, stationäre Pflegedienste, Sportvereine oder auch Kirchen und erst recht die Kommunalverwaltung197 und selbst den organisierten Karneval198. Unter bestimmter Betrachtung ist sie geradezu das Instrument gerade für Einrichtungen, die wie Gerichte keine oder wie sonstige NPOs keine primäre finanz- und erst recht nicht gewinnorientierte Existenzgrundlage haben, weil sie die etwa bei reiner KLR-Nutzung eintretende Dominanz der Finanzbetrachtung durch Hinzuziehen weiterer nicht-finanzieller Dimensionen kompensiert. Betont nämlich die NPO „zu stark den ökonomischen Gedanken, droht ein Verfall der Identität mit zunehmendem Verlust von Ehrenamtlichen und Spendern. Werden andererseits nur verbands-politische Werte berücksichtigt, kann die Organisation ihre Leistungen auf Dauer nicht mehr finanzieren“199. 192

Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 386. Vgl. Francken, NZA 2003, S. 457 (462). 194 Horváth und Partner (Hrsg.), Balanced Scorecard umsetzen, S. 377 ff., 386. 195 Lange/Lampe, Kostenrechnungspraxis 46 (2002), S. 101 ff. 196 Vgl. Roth, in: Scherer/Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 239 ff.; zur besonderen Nutzen der Balanced Scorecard gerade auch für den fachlich-ärztliche Klinikleitung s. Dick u. a., Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2002, S. 166 ff. Zur Parallelität von Krankenhäusern und Gerichten wegen der jeweiligen Existenz einer Gruppe von „Professionals“ s. Röhl, ZfRSoz 12 (1991), S. 217 (218 u. ö.). 197 Sämtlichst beschrieben in den Beiträgen bei Scherer/Alt (Hrsg.), Balanced Scorecard in Verwaltung, S. 93 ff. 198 von Chiari/Kipker, controller magazin 2004, S. 36 ff. 199 Lange/Lampe, Kostenrechnungspraxis 46 (2002), S. 101 (101). 193

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Diese für Wohlfahrtsverbände geltende Erkenntnis läßt sich äquivalent auf die Gerichte200 übertragen: Eine Mißachtung der finanziellen Parameter des Staates allgemein sowie der haushaltsrechtlichen Festlegungen der politischen Entscheidungsträger im besonderen durch Gerichtsleitung und Richterschaft wird auf Dauer die notwendigen rechtsstaatlichen Leistungen der Rechtsprechung in Mitleidenschaft ziehen. Gleichzeitig droht, wie auch die Richterschaft zutreffend anmahnt, ein Verfall der Identität im Sinne der gerichtlichen/rechtsstaatlichen Kultur, wenn man, wie es die Rechtsprechungsverwaltung vorantreibt, einseitig ökonomische Parameter betont und damit zu entscheidenden Kriterien deklariert. Dieses Vorgehen negiert nicht nur die in der Wirtschaftswissenschaft selbst für rein gewinnorientierte Unternehmen als Selbstverständlichkeit angesehene Unzulänglichkeit rein finanzieller Betrachtungen und Kennzahlensysteme, wie sie gerade Anlaß für die Entwicklung der Balanced Scorecard war und in deren Entwicklung wie auch Erfolgsgeschichte zum Ausdruck kommt. Erst recht muß dies also für NPOs wie die Gerichte gelten: Denn die finanzielle Perspektive liefert für gewinnorientierte Unternehmen schon für sich klare Ziele, ist also wenigstens in dieser Hinsicht eindeutig hilfreich und sinnvoll. Dagegen stellt sie für staatliche Einrichtungen und NPOs von ihren (gesetzlichen) Aufgaben her keinen Zielfaktor, sondern vielmehr eine Einschränkung dar, weil sich ihr Erfolg nicht daran messen läßt, wie genau sie ihre Ausgaben dem Budget anpassen. „Es sagt z. B. nichts über den effektiven und effizienten Betrieb einer staatlichen Stelle aus, ob die tatsächlichen Ausgaben innerhalb von 0,1% des vorgegebenen Budgets lagen“201. Daher gerät die einseitige Kostenbetrachtung auch mit dem Grundgesetz in Konflikt, und dies selbst dann, wenn man anders als etwa Reinhardt die richterliche Unabhängigkeit nicht als ökonomieresistent ansehen wollte202. Denn einen Vorrang von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gegenüber dem Justizgewährleistungsanspruch, als dessen Grundbedingung die richterliche Unabhängigkeit angesehen werden muß, kann es angesichts des Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG in keinem Fall geben: Der Rechtsstaat kann sehr wohl mit einer kostenträchtigen, nicht aber ohne eine unabhängige Rechtsprechung existieren. Daher können ökonomische Kriterien allerhöchstens gleichrangig handlungsanleitend neben die richterliche Unabhängigkeit und weitere unabdingbare Maßstäbe der Rechtsprechung wie etwa den Anspruch auf rechtliches Gehör treten. Dies wird aber solange verkannt, wie es einseitig bei der Einführung kostenorientierter (Kontroll-)Systeme bleibt, wie sie in der Einführung einer KLR und 200 Daher wird die Balanced Scorecard auch in verschiedenen Landesjustizverwaltungen favorisiert, vgl. Steindorfner, GedS Keller, S. 271 (280). 201 So schon die Erkenntnis bei der Entwicklung der Balanced Scorecard, s. Kaplan/Norton, Balanced Scorecard, S. 173. 202 Reinhardt, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 179 ff.

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einem allein hierauf gestützten Controlling zum Ausdruck kommt. Ein solches Vorgehen indiziert die innere Überzeugung der hierfür Verantwortlichen, daß sie den soeben skizzierten Vorrang des Finanziellen auch für die Rechtsprechung für zulässig erachten oder gar bewußt herbeiführen wollen, ihn jedenfalls aber im Sinne eines dolus eventualis billigend in Kauf nehmen. Vor dem Hintergrund dieser Korrelation erhält die Balanced Scorecard, hier stellvertretend für vergleichbare Systeme betrachtet und verstanden, rechtliche Qualität: Denn die mit ihr als Instrument beabsichtigte Wirkung, nämlich die Zurückdrängung und Kompensation der (rein) finanziellen Steuerungsgrößen zugunsten sonstiger Ziele, ist in den Gerichten angesichts der zuvor genannten, durch das Grundgesetz als verbindliche Maßstäbe festgesetzten Garantien (richterliche Unabhängigkeit, Justizgewährleistungsanspruch, rechtliches Gehör etc.) eine mit Verfassungsrang ausgestattete Notwendigkeit. Erst mit ihr kann etwa bei Budgetverhandlungen die Effizienz von Arbeitsgerichten belegt werden, die durch die KLR nicht „annähernd“ wiedergegeben wird203. Hinzu kommt noch ein weiteres, nämlich die reine Kontrollfunktion der ihrer Struktur nach nur rückwärts gewandten KLR. „Kontrolle“ der Richterschaft kann jedoch für die Exekutive ohnehin nur die absolute Ausnahme sein; auch hiergegen wirkt die Balanced Scorecard: „Probably because traditional measurement systems have sprung from the finance function, the systems have a control bias. (. . .) In that way, the systems try to control behaviour. Such measurement systems fit with the engineering mentality of the Industrial Age. The balanced scorecard, on the other hand, is well suited to the kind of organization many companies are trying to become. The scorecard puts strategy and vision, not control, at the center.“204

Die in der Grundkonzeption der Balanced Scorecard beibehaltene Finanzperspektive widerspricht dem nicht, sondern ist (lediglich) die Folge daraus, daß die Erzielung von Gewinn trotz der notwendigen Berücksichtigung anderer Belange (Haupt-)Ziel jedes Wirtschaftsunternehmens bleibt und daher die reine Fokussierung auf nichtmonetäre Kennzahlen letztlich nicht sinnvoll sein kann. Wer etwa die Produktqualität als selbstverständlich notwendiges Ziel eines Produktionsunternehmens zum Hauptziel erklärt und diesbezüglich Marktführer wird, kann trotzdem wirtschaftlich scheitern, wenn die Erzielung dieser Qualität zu hohe Kosten verursacht, die am Markt nicht in Form des Verkaufspreises erzielt werden können. Kaplan/Norton selbst problematisierten die Möglichkeit, finanzielle Kennzahlen in ihrem Konzept wegzulassen, verwarfen dies aber 203

Francken, NZA 2003, S. 457 (462). Kaplan/Norton, Harvard Business Review (January–February) 1992, S. 71 (79); auch das NPM soll eine Abkehr von den Strukturen der Industrialisierung sein, vgl. Pfiffner, FS König, S. 443 (447). 204

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(nur) vor dem soeben beschriebenen Hintergrund. Für die Richterschaft belegt dies jedoch, daß mit der Balanced Scorecard strukturell die Finanzperspektive auch gänzlich ausgeschaltet werden kann. Ob es allerdings sinnvoll erscheint, muß in den Gerichten ebenfalls stark bezweifelt werden205. Denn die Rechtsprechung kann nicht völlig aus ihren finanziellen Rahmenbedingungen ausbrechen206 und wird daher mit ihrem Rechtsschutzauftrag scheitern, wenn sie diese nicht berücksichtigt. Dabei sind Qualitätsparameter richterlichen Handelns meßbar, wie jüngst Schneider belegt hat, auch wenn Richter eine „komplexe und mehrdimensionale Leistung“ erbringen207. Die Methode der Data-Envelopment-Analyse (DEA)208 scheint hierzu durchaus tauglich, weil sie einen „Leistungsvergleich bei Wahrung des professionellen Ermessensspielraums“209 ermöglicht. Die Gerichte können ihr Dasein als „kennzahlenfreie Räume“210 daher beenden. Dabei kann man die Auswahl der Qualitätskriterien wie etwa Vergleichsquote, Veröffentlichungsgrad der Entscheidungen, Quote im Rechtsmittelzug bestätigter Entscheidungen, aber auch in bestimmter Frist erledigte Verfahren211 natürlich kritisch sehen und insbesondere für unvollständig halten212. Dies kann aber durch Gewichtung der einzelnen Kriterien schon in der Modellwahl und erst recht bei der Aufstellung der Balanced Scorecard berücksichtigt werden. Vor allem aber vermeidet die DEA durch die Möglichkeit zur Berücksichtigung mehrerer Outputs und der Effizienzmessung ohne ex ante Festlegung eines Funktionstyps der Input/Output-Beziehung213 genau die einseitige „Erfolgsmessung“, die die Quantitätsdominanz der KLR und eines allein hierauf gestützten Controllings hervorruft214. Vor allem paßt sie sich gut in das Benchmarking ein, weil die DEA dem einzelnen Richter Leistungsunterschiede offenlegt und ihm dadurch die Kompetenz verleiht, seine Tätigkeit bewußt auch nach anderen Parametern auszurichten als der naiven Erledigung (um jeden Preis).

205 Zur Forderung der Ausschaltung der Finanzperspektive bei NPOs s. von Chiari/ Kipker, controller magazin 2004, S. 36 (36 f.). 206 Sinngleich H. Kramer, RuP 38 (2002), S. 127 (128). 207 M. Schneider, Performance-Controlling, S. 20. 208 Zum Begriff s. Schefczyk, Die Betriebswirtschaft 1996, S. 167 ff. 209 M. Schneider, Die Betriebswirtschaft 2004, S. 28 (30); ders., PerformanceControlling, S. 105 ff., mit einem überzeugenden Beispiel einer DEA bei Landesarbeitsgerichten. 210 Burr/Seidlmeier, in: Budäus u. a. (Hrsg.), NPM, S. 55 (85). 211 So die Output-Größen bei M. Schneider, Die Betriebswirtschaft 2004, S. 28 ff. 212 Dies berücksichtigt aber, daß Effektivität sich eben einfacher auf einem „microlevel“ messen läßt, vgl. Pfiffner, FS König, S. 443 (451). 213 Vgl. Schefczyk, Die Betriebswirtschaft 1996, S. 167 (179). 214 M. Schneider, Die Betriebswirtschaft 2004, S. 28 (35 f.).

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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8. Ergebnis der Controllingbetrachtung Die Betrachtung des Controllings hat deutlich gemacht, daß mit ihm keine materiellen Vorgaben verknüpft sind. Es stellt vielmehr ein inhaltsunabhängiges Instrument zur Erreichung anderweitig gesetzter Ziele dar. Zuspitzend formuliert: Mittels Controlling lassen sich nicht nur Stelleneinsparungen verwirklichen, sondern auch das Fundamentalrecht des Menschen auf rechtliches Gehör vor Gericht verbessern. Daher ist Controlling als solches keiner verfassungsrechtlichen Bewertung im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit zugänglich, weil es als bloße Methode unabhängigkeitsirrelevant ist. Vielmehr wird das Problem der Verfassungsmäßigkeit danach entschieden, welches Ziel mittels des Controllings erreicht werden soll und wer zum Controller bestimmt wird.

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz Die entscheidende Frage ist demnach, welche Ziele mittels des Controllings erreicht werden sollen und wer die Kompetenz zum entsprechenden Controlling besitzt. Hierbei setzt das exekutive Controlling in praxi die schon bei der KLR aufgezeigte Tendenz einseitiger Ausrichtung und Steuerung fort. Es bedarf zu seiner Durchführung der erforderlichen Informationen (Kennzahlen) sowie entsprechende Steuerungsmacht, die aus dem Datenmaterial gewonnenen Strategien umzusetzen. Beides existiert bis dato nur auf Seiten der Rechtsprechungsverwaltung und in quantitativer Hinsicht. Soweit qualitätsbezogene Projekte existieren, können solche nicht die Steuerungsmacht der KLR-Daten erreichen, die zur Abbildung von Leistungen generell kaum tauglich sind und die die zentrale „Leistung“ von Rechtsprechung, die im wesentlichen im Outcome, nicht aber im Output besteht, ohnehin nicht messen können. Hinzu kommt noch ein weitaus schwerwiegenderer Umstand: Wegen der Unabhängigkeit jedes gesetzlichen Richters auch von anderen, nicht gesetzlichen Richtern sind nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch ihre Qualität und die hierfür geltenden Maßstäbe „konstitutionell uneinheitlich“ 215. Daher muß zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Kompensation der praktischen Quantitätsdominanz von KLR und Controlling schon daran scheitern, daß ein zur Qualitätsbetonung meßbares Objekt fehlt, weil die Meßbarkeit in jedem Fall einen gemeinsamen Maßstab voraussetzt. Der Druck seitens des KLR-orientierten Controllings auf eine kostengünstigere Erledigung wird solange unentkräftet bleiben (müssen), wie nicht deutlich gemacht werden kann, daß eine praktizierte „teurere“ Erledigungsart qualitative Vorteile bringt, deren Leistungswert/Outcome die erhöhten Ausgaben „wert“ sind. Letzteres setzt aber voraus, daß man sich 215

So für die Rechtsprechung BVerfGE 78, 123 (126); 87, 273 (278).

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seitens der durch das Grundgesetz für die Rechtsprechung berufenen Qualitätscontroller, also der Richter, auf einheitliche Qualitätsstandards einigt, deren Erfüllung als honorierungswerte Leistung anzusehen ist. Werden sodann hierdurch höhere Kosten verursacht, als es den Wünschen der Rechtsprechungsverwaltung entspricht, kann dies den KLR-Daten entgegengehalten werden. Dies klingt banal, ist aber äußerst schwer zu lösen. Das Meßproblem kann wohl letztlich auch mit der Balanced Scorecard und der Data-EnvelopmentAnalyse als Methoden überwunden werden. Es bleibt aber dennoch die zuvor zu beantwortende Frage nach den Standards. Die Qualitätsdiskussion im Deutschen Richterbund216 ist hier ein erster Schritt, macht aber auch sogleich das Problem deutlich: Jedem Richter können die Beschlüsse jedes Richtervereins gleichgültig sein. Sie haben keinerlei Bindungswirkung. Es gibt folglich neben den Standards und der Meßbarkeit noch ein drittes Problem: die Verbindlichkeit der Bewertungsgrundlagen. 1. Der Qualitätsbegriff und seine Definition Die an der Etymologie des Begriffs der „Qualität“ (lat.: qualitas = Beschaffenheit einer Sache) ansetzende Auffassung mußte ursprünglich, insbesondere vor dem Hintergrund der handwerklich geprägten Wirtschaftsstruktur und der beginnenden Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts, zu einem objektiven Qualitätsbegriff führen: Ein Produkt hatte gewisse Eigenschaften, woraus sich ein allgemein gültiges Maß an Qualität ableiten ließ. Infolge der Marktsättigung und des Wettbewerbsdruck mußte dieser objektive Qualitätsbegriff ebenso zwangsläufig von einem subjektiven Verständnis abgelöst werden, das die Erwartungen des Kunden in den Mittelpunkt stellte, den es für sich und sein Produkt zu gewinnen galt217. Mit dem objektiven Qualitätsbegriff verbunden war das entsprechende Qualitätssicherungssystem in Form bloßer Fehlersuche und -beseitigung (ex-post Kontrolle), die jedoch zwei wesentliche Nachteile aufweist: Können Fehler gefunden werden, so ist im Falle einer Beseitigungsmöglichkeit zumindest kostenverursachende Nacharbeit nötig; andernfalls entsteht Ausschuß, was der Nacharbeit kaum an Schaden nachstehen dürfte. Werden die Fehler nicht in interner Prüfung entdeckt, so gelangen sie an den externen Kunden, woraus Unzufriedenheit, Beschwerden, Gewährleistungsschäden und damit Gewinnreduzierung eintritt. Daraus entstand sodann die Strategie, Fehler durch entsprechende Mechanismen von vornherein zu vermeiden. Daher ist Qualitätssicherung einer 216 Siehe Beschluß der Bundesvertreterversammlung vom 15.11.2002, abgdr. in DRiZ 2003, S. 8 ff. 217 Siehe K.-P. Franz, „Qualitätsmanagement“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 1651 (1651 f.).

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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Qualitätsprüfung gegenüber deutlich überlegen218. Für die Gerichte lassen sich diesbezüglich für die gegenwärtige Situation Feststellungen treffen: Der Rechtsprechung ist ein subjektiver, an „Kunden“-Wünschen orientierter Qualitätsbegriff fremd219, zumal bei streitigen Urteilen notwendig der Wunsch eines „Kunden“ (nach Obsiegen) enttäuscht werden muß. Die „Produkte“ sind gesetzlich definiert, so daß hier als Ausgangspunkt ein objektiver Qualitätsbegriff näherliegt. Qualitätssicherung als institutionalisierter, vor allem aber dauerhafter Prozeß, der einer ex post im Rechtsmittelzug wirkenden Qualitätsprüfung vorausginge, fehlt. Hier existiert allein das System hoher theoretisch-wissenschaftlicher Prüfungsstandards als Voraussetzung der „Befähigung zum Richteramt“ (§§ 5 ff. DRiG)220 sowie eine gerichtsinterne Nachwuchs„ausbildung“ auf der Basis rudimentärer Praxiskenntnisse aus einem immer weiter verkürzten und weithin gerichtsfernen Referendariat221 in Form eines „learning on the job“ als Einzelkämpfer oder wenigstens in Kollegialspruchkörpern222 und einem „Dritten Staatsexamen“223. Die kollegiale Kontrolle ist auch bei Lebenszeitrichtern wohl das entscheidende Qualitätssicherungsinstrument, verliert jedoch zunehmend an Bedeutung durch Reduzierung und Abschaffung der Zuständigkeit von

218 K.-P. Franz, „Qualitätsmanagement“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 1651 (1653). 219 Obwohl damit die Notwendigkeit auch der Gerichte zur Produktion von „Akzeptanz“ mißachtet wird, vgl. Boehncke, BJ 2003, S. 118 (121); deren Bedeutung betont auch Lamprecht, Liber amicorum Voss, S. 103 (106); die (zeitgeistbedingte) Notwendigkeit einer guten „Court-Performance“ unterstreicht auch Francken, NZA 2003, S. 457 (460). 220 Die richterliche Qualifikation wird auch von M. Schneider, Performance-Controlling, als eine der drei zentralen Erfolgsdeterminanten für die Effizienz der Gerichte belegt. 221 Die bezüglich der gerichtsspezifischen Ausbildung kaum mehr der Rede wert sind: Mit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11.7.2002 (BGBl. I, S. 2592 ff.) wurde es ermöglicht, (zukünftig) die „Befähigung zum Richteramt“ (!) zu erwerben, ohne auch nur länger als drei Monate in einem Gericht tätig gewesen zu sein (vgl. § 5b Abs. 2, 4 S. 1 DRiG n. F.). In Bayern sind es zumindest noch fünf Monate, s. § 48 Abs. 2 Nr. 1 lit. a BayJAPO 2003. Krit. zur mangelhaften Referendarausbildung auch H. Kramer, RuP 38 (2002), S. 127 (128); Eylmann/Kirchner/Knieper/ Kramer/Mayen, Zukunftsfähige Justiz, Rn. 84. 222 Als solches anerkannt in der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verwendung von nicht ausreichend unabhängigen Richtern auf Probe, die mit der Notwendigkeit der Nachwuchsausbildung gerechtfertigt wird, vgl. KK-Pfeiffer, § 1 GVG Rn. 5 m. w. Nw. 223 Zu dessen Zulässigkeit als Auswahlkriterium für richterliche Beförderungsstellen s. OVG NW, DRiZ 1998, S. 377 f.; zu den Argumenten Pro & Contra einer Erprobung an einem Obergericht s. Debusmann einerseits und Gummer andererseits, DRiZ 2002, S. 400 f.; pro auch Rasehorn, RuP 32 (1996), S. 111 (115). Zutreffend krit. aber im Hinblick auf im 3. Staatsexamen liegende strukturelle Benachteiligung von familiär oder auch durch gesellschaftliches Engagement in Vereinen o. ä. ortsgebundenen Richtern K.-U. Schütz, DRiZ 2003, S. 105.

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Kollegialspruchkörpern und wirkt beim originären Einzelrichtereinsatz von vornherein nicht. Qualitätssicherung im vorbezeichneten Sinne kommt in Gerichten demnach bisher nicht oder nur in beschränktem und abnehmendem Maße vor. Soll es nunmehr in Angriff genommen werden, so kommt man nicht umhin, institutionelles wie methodisches Neuland zu betreten. Dies wird auch daran deutlich, wie schwer man sich seitens des Deutschen Richterbundes getan hat, überhaupt inhaltliche Qualitätskriterien richterlicher Tätigkeit als Diskussionsgrundlage224 zu definieren. Dies lag nicht zuletzt daran, daß bisher keinerlei prozedurale Mechanismen existierten, die entsprechende Kriterien diskutiert oder katalogisiert hätten, auf die man hätte zurückgreifen können225. Diese Notwendigkeit zur völligen Neukreation von Qualitätssicherungsinstrumenten und auch der „Subjektivierung“ des Qualitätsbegriffs im Sinne einer Frage nach den Erwartungen der Bevölkerung diskrimiert in sonst kaum vergleichbarem Grad jedes Gegenargument, das sich strukturell auf Tradition beruft oder ins Feld führt, man habe dies nie so gemacht, und auf den Instanzenzug als Qualitätssicherungsinstrument verweist226. Denn während letzterer ebenso wie das Kollegialsystem in Auflösung begriffen ist227, kann Qualität, wie auch immer sie inhaltlich definiert sein mag, eben nur mit Qualitätssicherung im zuvor beschriebenen Sinne als permanenter, laufender und ex ante wirkender Prozeß erreicht werden. Da ein solcher Mechanismus bisher fehlt, können entsprechende Neuerungen nur mit dem Argument abgewehrt werden, richterliche Arbeit sei per se qualitativ gut. Dies widerspricht jedoch jeder Alltagserfahrung228 insbesondere von Rechtsanwälten, wäre aber auch erneut die Hybris, vor der sich gerade Richter hüten sollten und die letztlich auf die fehlerhafte Gleichsetzung von Unabhängigkeit und Unfehlbarkeit hinausliefe.

224 Siehe Diskussionspapier des DRB „Qualität in der Justiz“ (abgdr. in MHR 1/ 2002, S. 8 ff., mit krit. Kommentar von M. Bertram, ebd., S. 13 ff.; erläuternd Kleinknecht, DRiZ 2002, S. 77 ff.), aus dem dann der Beschluß der Bundesvertreterversammlung des DRB vom 15.11.2002 zur „Qualität in der Justiz“ hervorgegangen ist, abgdr. in DRiZ 2003, S. 8 ff. 225 Das fehlende Problembewußtsein der Richterschaft wird auch daran deutlich, daß von Spindler, DRiZ 2002, S. 78, ernsthaft die Frage aufgeworfen (aber letztlich wenigstens verneint) worden ist, ob es nicht „drängendere“ und „aktuellere“ Fragen gebe. 226 Allerdings taugt die Rechtsmittelfestigkeit trotz mancher Bedenken als Indikator für Qualitätsmessung richterlichen Handelns, s. M. Schneider, Performance-Controlling, S. 76 f. 227 Vgl. oben § 5 III. 1. c). 228 Vgl. nur Beradt, Der deutsche Richter, S. 87: „Wer viele Richter kennt, ist auch vieler Mittelmäßigkeit begegnet.“ Hier dürfte sich der Richterberuf von keinem anderen unterscheiden, wobei jedoch die fehlende Konkurrenz, die geringe Kontrolle sowie die Unabhängigkeit besonderen Freiraum für Mittelmäßigkeit schaffen dürften.

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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In erneuter Parallele zur Wissenschaftsfreiheit ist die Annäherung an den Qualitätsbegriff von Rechtsprechung von strukturellen Schwierigkeiten geprägt, die sich mit „Vagheit der materiellen Beurteilungsmaßstäbe“ sowie den „Schwierigkeiten der Konkretisierung“229 schlagwortartig beschreiben lassen. Selbst wenn es etwa mit dem Deutschen Richterbund gelänge, Qualitätsmaßstäbe zu definieren, so lassen sich innerhalb dieser Maßstäbe Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte keinesfalls verhindern; genannt sei nur Schnelligkeit der Entscheidung versus Gründlichkeit/Gewährung rechtlichen Gehörs230. Der Ausgleich dieser widerstreitenden Prinzipien ist daher ebenso ein permanent notwendiger Konkretisierungsakt wie die Anwendung jedes der Qualitätskriterien für sich auf den Einzelfall. Aber allein dieser Einzelfall ist es, an dem als Maßstab die Bewertung getroffen werden kann, ob die praktische Umsetzung der Qualitätskriterien durch den Richter qualitativ gut war oder nicht. Radikale Ausnahmefälle und entsprechend klare Bewertungen wie die Dauer eines zivilgerichtlichen Verfahrens von über 26 Jahren231 oder eines PKH-Verfahrens von fünfeinhalb Jahren232 können darüber nicht hinwegtäuschen. Plastisches Beispiel hierfür sind Überlegungen zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde (im Verwaltungsprozeß233), die letztlich scheitern müssen, selbst wenn nur „schnelles Recht gutes Recht“ wäre. Denn zum einen läßt sich der „faule Richter“ dadurch ohnehin nicht beeindrucken234, zum anderen kann die Nichterledigung eines Verfahrens auch vertretbare Gründe haben235, so daß zur Bevorzugung des konkret als zu lang kritisierten Verfahrens infolge eines Rechtsmittels stets diese möglichen Gründe eruiert werden müßten, was letzt229 So die Analyse bei Schulze-Fielitz, Ombudsverfahren, WissR 37 (2004), S. 100 (103 f., 105 f.). 230 Weitere plastische Konfliktbeispiele bei Hochschild/Schulte-Kellinghaus, DRiZ 2003, S. 413 (415). 231 So der zugrunde liegende Fall der Verfassungsbeschwerde in BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 2001, S. 314 ff. 232 So der BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 2004, S. 334 ff., zugrunde liegende Fall, den das OVG als Beschwerdegericht dann noch auf unlautere und vom BVerfG nicht akzeptierte Weise „totzumachen“ versuchte. 233 Diesbezüglich tendenziell favorisierend K. Redeker, NJW 2003, S. 488 f.; hierauf Bezug nehmend entstand ein hessischer Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in gerichtlichen Verfahren, der als § 17c GVG die Möglichkeit vorsieht, nach 12 Monaten Beschwerde zu erheben, falls „notwendige“ Verfahrenshandlungen „ohne zureichenden Grund“ durch das Gericht nicht erfolgt seien (zitiert bei Gimbel, ZRP 2004, S. 35 [35], und Vorwerk, JZ 2004, S. 553 [554 f.]). Gegen K. Redeker zutreffend H. Geiger, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 65; deutlich ablehnend Vorwerk, ebd., S. 553 ff. Für die Entbehrlichkeit der Untätigkeitsbeschwerde im Strafprozeß Gimbel, ebd., S. 35 f.; gelungene Übersicht über die Beschleunigungsbeschwerde bei G. M. Jaeger, VBlBW 2004, S. 128 ff. Ablehnend zur Zulässigkeit der Beschleunigungsbeschwerde de lege lata OVG NW, NVwZ-RR 1998, S. 340; die Zulässigkeit bejahend allerdings BayVGH, NVwZ 2000, S. 693 f. 234 So zutreffend H. Geiger, BDVR-Rundschreiben 2003, S. 65; im Ergebnis ebenso schon Simon, DRiZ 1980, S. 90 (92).

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lich nichts anderes bedeutet, als daß das Rechtsmittelgericht das gesamte Dezernat des Spruchkörpers zu überprüfen hätte, um eine ungerechtfertigte Nichterledigung gerade dieses Verfahrens236 feststellen zu können. Auf diese strukturellen Probleme kann es daher nur eine Antwort geben: Prozeduralisierung. Denn „immer dann, wenn die Maßstäbe sehr offen und vage und für den Einzelfall stark konkretisierungsbedürftig sind, reagiert die Rechtsordnung durch Bereitstellung von rechtlichen Institutionen, Verfahren und Regeln zur einzelfallbezogenen Gewinnung materieller Maßstäbe oder auch nur zu verantwortender Entscheidungen in einem kommunikativen Prozeß“237. 2. Die Prozeduralisierung der Qualitätsdefinition a) Die allein richterliche Zuständigkeit für das Qualitätscontrolling Controlling dient der Steuerung. Für die Rechtsprechung können daher wegen Art. 92 GG nur Richter zu Controllern „ernannt“ werden, von denen es im Moment ca. 21.000 gibt: Dies gilt für jeden Richter, der für sich die Qualität seiner täglichen Arbeit prüft und sicherstellt, insbesondere aber für Richter in Rechtsmittelinstanzen, die die „Vorarbeit“ ihrer Kollegen überprüfen. Sollen diese Formen von Qualitätssicherung nunmehr ergänzt werden, bleibt das Rechtsprechungsmonopol bestehen und daher zu beachten. Wie auch immer Controlling zur Steuerung und Durchsetzung von Qualität aussehen soll, es kann nur von Richtern durchgeführt werden. Vor dem Hintergrund der zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz erforderlichen Entindividualisierung von Qualitätsstandards führt dies zwangsläufig zu Richterkollegien als Controlling-Organen für die Qualität der Rechtsprechung. Diese müssen exekutiv-frei arbeiten, so daß die Beteiligung von Gerichtspräsidenten ausgeschlossen ist. Denkbar und naheliegend ist daher eine entsprechende Aufgabenzuweisung an die Richterräte238. Formulierte Qualitätsstandards, zumal wenn sie in formalisierten Gremien und Verfahren verabschiedet werden, entfalten unabhängig von ihrer rechtlichen Bindung Steuerungswirkung, die exekutiven Organen nicht zukommt. 235 Siehe nur einerseits BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), BDVR-Rundschreiben 2004, S. 29, andererseits BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), NStZ 2004, S. 49 f. 236 Die Unterschiedlichkeit verfassungsrechtlich hinnehmbarer Verfahrensdauer je nach Gegenstand des Verfahrens betont auch BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), BDVR-Rundschreiben 2004, S. 29. 237 So am Beispiel der Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens SchulzeFielitz, Ombudsverfahren, WissR 37 (2004), S. 100 (106). 238 Bei denen die Mitgliedschaft des Präsidenten oder seines Stellvertreters ausgeschlossen ist, vgl. etwa § 50 Abs. 3 DRiG, Art. 23 Abs. 2 S. 2 BayRiG.

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Gleichzeitig sind zusätzlich „Qualitätszirkel“ zur Institutionalisierung der Beteiligung aller Richter zu bilden; dies ist wegen der verfassungsrechtlichen Zuweisung der Qualitätssicherung an alle potentiellen „gesetzlichen Richter“ erforderlich. Aus dem gleichen Grund muß die Teilnahme an solchen Qualitätssicherungsinstitutionen zur Dienstpflicht erklärt werden, weil dem Recht jedes Richters zur Qualitätsdefinition und -sicherstellung auch die diesbezügliche Pflicht korrespondiert. Dies erscheint vor allem deshalb unumgänglich, weil angesichts des Richtermonopols für die Rechtsprechung ein Qualitätsmanagement allein durch richterliche Qualitätszirkel realisierbar erscheint239. Dabei bietet sich auch die Einrichtung spezieller Qualitätszirkel für bestimmte Materien an wie etwa das Betreuungsrecht, um so der KLR-Spezifizierung für bestimmte Verfahren entsprechend konkrete Qualitätsstandards entgegensetzen zu können. Offen bleibt die Frage, auf welchen Ebenen der Gerichtsorganisation entsprechende Controlling-Kollegien eingerichtet werden müssen. Die Betrauung der Richterräte mit dem Controlling legt eine Einrichtung bei jedem Gericht nahe. Dies erscheint auch sinnvoll, weil der Konsens über Qualitätsbegriffe umso schwieriger zu erreichen sein wird, je mehr Richter an der Diskussion beteiligt würden, zumal die dann entstehenden Kompromisse so abstrakte Kriterien hervorbringen müßten, daß sie kaum mehr brauchbar wären. Ferner kann bei gerichtsinterner Zuständigkeit am ehesten verhindert werden, daß die betroffenen Richter sich „von außen“ gelenkt fühlen. Zudem dürften nicht zuletzt auch rechtskulturelle Gründe regional unterschiedliche Präferenzen bezüglich der Qualitätsmerkmale erzeugen, die gerichtsspezifisch besser berücksichtigt werden können. Dies schließt nicht aus, daß auch auf Landes- oder OLG-Ebene parallel zu den Haupt- und Bezirksrichterräten Controlling-Organe eingerichtet werden. Hierbei bedürfte es dann aber einer klaren Zuständigkeitsabgrenzung. b) Qualitätsmanagement Diese Erkenntnis führt geradewegs zur Problematik des Qualitätsmanagements, das neben den Selbstverständlichkeiten wie Fortbildung, d.h. dem fortwährenden „Dazulernen“, in der aktuellen Situation allein mittels Benchmarking im weitesten Sinne praktiziert werden kann. Traditionelles und einziges Qualitätssicherungsinstrument der Rechtsprechung ist bislang das Rechtsmittelsystem mit Devolutiveffekt bei gleichzeitigem Verbot der Mitwirkung des Richters der Ausgangs- in der Rechmittelinstanz (§ 41 Nr. 6 ZPO). Dies hat der Gesetzgeber weithin ausgehöhlt oder gar aufgehoben, indem er Rechtsmittel beseitigt oder den Zugang zu ihnen erschwert hat. Gleiches gilt für Eröffnung von Handlungsspielräumen des Richters durch Lockerung seiner Gesetzesbindung im Prozeßrecht (s. nur § 495a ZPO). Besonders augenfällig wird der Verzicht 239

Spindler, FS 50 Jahre Anwaltsinstitut, S. 145 (152).

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auf Qualität durch den Gesetzgeber, wenn er Regelungen schafft, die ausdrücklich der Aufrechterhaltung von Fehlentscheidungen dienen (so § 17a Abs. 2 S. 3 GVG240, § 281 Abs. 2 S. 2, 4 ZPO241). Da aber mit der Abschaffung von Bindung und Kontrolle nicht zugleich die Fehlerhaftigkeit (auch) richterlicher Tätigkeit entfallen ist, ergibt sich zwangsläufig ein steigendes Qualitätsdefizit durch irreversible Fehlentscheidungen. Gegenläufige Einzelfälle wie die Schaffung des § 321a ZPO und die jüngste Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz gegen Gehörsverletzungen stellen dies insgesamt nicht in Frage, zumal der darin ermöglichte Verzicht auf den Devolutiveffekt eines entsprechenden Rechtsbehelfs die Kontrollwirkung stark einschränken dürfte242. Dies gilt insbesondere bei einer Verletzung von Verfahrensvorschriften, „deren Auslegung gerade den Gegenstand der Entscheidung bildet. Insoweit kann eine Gegenvorstellung beim Ausgangsgericht keinen wirksamen Rechtsschutz gewährleisten, weil sich das Gericht bereits ausdrücklich eine Überzeugung von der Rechtmäßigkeit seines Verfahrens gebildet hat. Vielmehr erfordert effektiver Rechtsschutz in einem solchen Fall eine Entscheidung des BeschwGer.“243 Das besondere an der fortschreitenden Freistellung des Richters von richterlicher (Außen-)Kontrolle liegt darin, daß damit letztlich vollständige Kontrollfreiheit eintritt, weil wegen des Rechtsprechungsmonopols aus Art. 92 GG die Kontrolle von Rechtsprechung ihrerseits auch nur Rechtsprechung sein darf und damit dem Richter vorbehalten ist. Die Abschaffung von richterlicher Rechtsmittelkontrolle kann daher durch keine andere Kontrollform kompensiert werden. Zwar könnte auch die Rechtswissenschaft durch Entwicklung einer Fehlerlehre244 Kontrolle ausüben; oder die Rechtsanwaltschaft wie in Form des von Egon Schneider betreuten Justizspiegels in der Zeitschrift für die Anwaltspra240 Siehe etwa jüngst BGH, NJW-RR 2004, S. 645 (646): Bindungswirkung auch bei „einem schwerwiegenden Rechtsfehler“. 241 Siehe BGH, NJW-RR 1992, S. 902 f.; Kissel, GVG, § 17 Rn. 39. 242 BVerfGE 107, 395 (411 f.); zutreffend krit. dazu auch Voßkuhle, NJW 2003, S. 2193 (2197); abwägend Pache/Knauff, BayVBl. 2004, S. 385 (388), die allerdings wohl zu Unrecht in der fachlichen Qualifikation des Richters ein Indiz für die charakterliche Fähigkeit zur selbstkritischen Überprüfung sehen. Wie hier auch äußerst krit. zu der Option einer Selbstkorrektur des iudex a quo Nasall, ZRP 2004, S. 164 (167). Zu den diesbezüglichen Aussichten sei – zuspitzend – auf einen Fall verwiesen, in dem ein Journalist im Bericht über die Freilassung eines Angeklagten aus der U-Haft den Satz formulierte: „Wiederholungsgefahr ist laut Strafprozessordnung (§ 112a) auch ein Haftgrund.“ Hierauf reagiert der Haftrichter mit einer Anzeige wegen Beleidigung, für die sich auch noch eine Staatsanwaltschaft zur Anklage bereit fand, die zudem noch auf einen Richter traf, der für diesen Satz eine Geldstrafe von 1200 DM verhängte (vgl. DIE ZEIT v. 26.5.2000, S. 23). Wer demnach eine Gehörsverletzung mit dem Hinweis auf eine Rechtsnorm rügt, erhält potentiell statt einer Entscheidungskorrektur eine Kriminalstrafe. Zweifelnd zum Zusammenhang zwischen fachlicher Qualifikation und Charaktermerkmalen auch Seidel, AnwBl. 2002, S. 325 (328). 243 BFH, NJW 2004, S. 2854 (2855).

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xis245. Doch würde eine dem Rechtsmittelzug vergleichbare Kontrolldichte schon aus Kapazitätsgründen scheitern und hätte ein entscheidendes Wirksamkeitsdefizit: Die Kassation von Urteilen kann sie nie erreichen, so daß dem rechtswidrig unterlegenen Beteiligten diese Form der Kontrolle nichts nützt. Daher muß das durch Reduzierung der Rechtsmittelkontrolle verursachte Qualitätsdefizit soweit wie möglich kompensiert werden. Hierbei sind zwei strukturelle Bedingungen zu berücksichtigen: 1. Da eine Urteilsaufhebung nur durch Rechtsmittelgerichte in Form des gesetzlichen Richters möglich ist, kann es diesbezüglich nur um ein minus gehen. 2. Weil die Entscheidung des Einzelfalls allein dem gesetzlichen Richter vorbehalten ist, darf eine Qualitätssicherung keine Entscheidungsmacht auf einen nicht-gesetzlichen Richter verlagern. Nimmt man beides zusammen, so wird schnell klar, daß Qualitätsmanagement für die richterliche Tätigkeit Einflußnahmestrukturen, wie sie typischerweise in Hierarchien auftreten, vermeiden muß. Folglich darf Qualitätsmanagement nur ohne die Rechtsprechungsverwaltung stattfinden. Die Richter müssen sich selbst um diese Aufgabe kümmern246, was nunmehr in einer Drucksituation zu erfolgen hat. Die Richterschaft bangt angesichts der „Ökonomielastigkeit der derzeit laufenden Reformprojekte“247 um die Qualitätsaspekte der Rechtsprechung; dies ist nachvollziehbar und angesichts der oben als unausweichlich aufgezeigten Fehlsteuerungen einer solchen Einseitigkeit auch berechtigt. Jedoch mahnte Röhl bereits 1993, daß es der Überlegung wert sei, ob die Justiz nicht von sich aus eine Qualitätskontrolle in Gang setzen sollte, „bevor sie ihr von außen aufgezwungen“ werde248. Dies verhallte ungehört und führt nun zu der strukturell geradezu aussichtlosen Situation, daß den Richtern aktuell nichts weiter verbleibt, als die ohnehin von Rechtsprechungsverwaltung und Politik tendenziell (nur noch) als bloße Privilegienverteidigung verstandene richterliche Unabhängigkeit ins Feld zu führen und damit die Unabhängigkeitsgarantie noch weiter in Mißkredit zu bringen und als Argument zu entwerten. Könnten die Richter schon heute ein selbstorganisiertes, vor allem aber bereits praktiziertes Qualitätssicherungssystem vorweisen, wäre ihre Position weitaus besser249. So 244 Erste Schritte bei Röhl, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 67 ff. 245 Siehe die lesenswerte Zusammenstellung in E. Schneider, Justizspiegel, passim. 246 Vgl. Schiller, in: Dt. Verwaltungsrichtertag e. V. (Hrsg.), Dokumentation, S. 200 (201). 247 H. Klein, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 55 (58). 248 Röhl, DRiZ 1993, S. 301 (310). 249 Dies bestätigt letztlich die These von Zimmermann, BJ 2000, S. 252 (254), daß „Qualitätsmanagement“ ein Beitrag zur Absicherung der richterlichen Unabhängigkeit

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aber hat man nichts Greifbares, auf das man verweisen könnte250, um der Quantitätsbetonung, die der Exekutive nicht vorwerfbar ist251, entgegenzutreten; man kann nur (aussichtslos) darauf beharren, von Verfassungs wegen das (vermeintliche) Recht zu haben, in Ruhe gelassen zu werden. Der Richterschaft fehlt die aufgrund der Personalisierung der Unabhängigkeitsgarantie verhinderte professionelle Einbindung in das „Gericht“ als Gesamtorgan. Dies hat wohl auch verhindert, daß die Richter bisher als korporative soziale Ordnung zu der kollektiven Erkenntnis gelangt sind, daß sie ständig und permanent wie alle Menschen mit eigenen Fehlern zu rechnen haben, „gewissermaßen fehlerfreundlich sind“ und „deshalb Wege der Fehlerbereinigung kennen“252. Aktuell dürfte den meisten dazu nur das Modell des Instanzenzugs einfallen. Dieser argumentativen Zwickmühle kann man theoretisch leicht entgehen, indem man daraus die Konsequenz zieht, daß mangels rechtlich zulässiger Einbeziehung von Qualitätsparametern gar keine Veränderung durch die Exekutive etwa durch Leistungsvergleich herbeigeführt werden darf. Doch griffe dies deutlich zu kurz, postuliert eine solche Position doch eine Veränderungssperre für die Gerichte, die dann letztendlich aus Art. 97 GG doch das Schutzschild gegen jede Form von Veränderungen machen würde, das er keinesfalls ist253. Die Untätigkeit der Richterschaft zur eigenverantwortlichen Sicherung der Qualität der eigenen Leistung rächt sich nun. Denn wird die Frage nach der Qualität lediglich mit dem Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit beantwortet, so liegt darin eine konkludente Gleichsetzung dieser beiden Kategorien: Die unabhängige ist zugleich die qualitativ gute oder gar beste Entscheidung. Hiervon sind die deutschen Richter jedoch ebenso weit entfernt wie alle Menschen; dies zu bestreiten, wäre mit dem Begriff Hybris nur unzureichend beschrieben254. Zwar dürfte angesichts von Art. 92, 97 GG nicht bestreitbar sein, daß Unabhängigkeit ein konstitutives Charakteristikum von Rechtsprechung ist. Allerdings belegt schon jede Aufhebung eines Urteils im Instanzenzug, daß Unabhängigkeit höchstens notwendige, niemals aber hinreichende Bedingung von Qualität richterlichen Handelns ist. Man wird sogar noch weitergehen können: Die Unabhängigkeit macht zwar eine getroffene Entscheidung überhaupt erst sei. Sinngleich Spindler, FS 50 Jahre Anwaltsinstitut, S. 145 (1147 f.), der zutreffend darlegt, daß eine Verselbständigung der Gerichte erst dann politisch verantwortbar sei, wenn die Justiz verbindliche Qualitätsvorstellungen definiert habe. 250 Hoffmann-Riem, DRiZ 2003, S. 284 (286), nennt dies treffend eine „politische Hypothek“ der Richterschaft. 251 Vgl. oben bei FN 167. 252 Hoffmann-Riem, DRiZ 2000, S. 18 (20). 253 Pointiert selbstkritisch (RiVG) H. Walther, BDVR-Rundschreiben 1999, S. 74: „Ausgerechnet die Justiz selbst vermag unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 1 GG die Zeit anzuhalten.“ 254 Wobei Hybris eine nicht selten mit Richtern in Verbindung gebrachte Vokabel zu sein scheint, s. oben FN 107.

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zum Rechtsprechungsakt, weil sie zum Wesensmerkmal des rechtsprechenden Richters gehört255. Mit inhaltlicher oder organisatorischer Qualität256 hat dies aber (noch) nichts zu tun: Ein unabhängiger Richter kann sowohl die Verfahrensdurchführung wie auch die Entscheidung auf dem untersten Qualitätsniveau praktizieren. Man kann sogar sagen: Nur ein unabhängiger Richter kann beliebig schlechte Arbeit (oberhalb der Gesetzwidrigkeit257) leisten258, weil es niemanden gibt, der eingreifen dürfte. Daher hat Unabhängigkeit nichts mit Qualität zu tun; im Gegenteil: Sie läßt sich sogar allzu leicht als Instrument zur Vernachlässigung von Qualität ge- oder mißbrauchen, weil mit der Unabhängigkeit zugleich die Freistellung von Verantwortlichkeit verbunden ist259. Hieran hat die Richterschaft selbst großen Anteil, so daß ihr gegenüber nicht nur der Vorwurf der mangelnden Qualitätssicherung erhoben werden muß, sondern auch die Selbstbefreiung von Verantwortung. Sogar die einzige Bindung, der ein Richter unterworfen ist, nämlich die an das Gesetz, versucht die Richterschaft fortwährend durch Verantwortungsfreistellung für Zuwiderhandlungen zu lockern260. c) Die Reichweite der Bindungswirkung Die in den richterlichen Controlling-Organen zu erarbeitenden Standards können nicht die Rechtsprechung des Einzelfalls ersetzen. Sie dürfen daher nicht die Anwendung durch den gesetzlichen Richter substituieren. Dieser muß vielmehr weiterhin weisungsfrei und unabhängig entscheiden können, so daß von Verfassungs wegen eine Bindung des gesetzlichen Richters an „drittrichterformulierte“ Qualitätsstandards, auf deren Verletzung mittels Sanktionen reagiert werden dürfte, ausgeschlossen ist261. Vielmehr wird hinsichtlich der Richterschaft die informale Steuerung, die mit der Standardisierung verbunden ist, ausreichen müssen. Wegen der enthierarchisierten Struktur der Qualitätszirkel wie der Richterräte ist sichergestellt, daß die subjektiven Belastungen abweichenden Verhaltens gering bleiben und dies somit dem einzelnen Richter möglich ist. Erhalten bleibt dabei womöglich das informale hierarchische Element zwischen 255

Siehe oben § 1 III. 2. Zu diesen Begriffen H. Klein, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 55 (59 ff.). 257 Zur von den Richtern selbst ermöglichten Option des sanktionsfreien Unterschreitens selbst dieser Grenze s. oben § 3 I. 3. c). 258 Ähnlich Prantl, Liber amicorum Voss, S. 155 (159). 259 Bei Richtern besteht daher in besonderem Maße die Gefahr der Verwirklichung des „moralischen Risikos“, zu diesem Begriff s. Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), S. 377 (381). 260 Siehe oben § 3 III. 3. c). 261 Bindende Entscheidungen sind der Tätigkeit eines Controllers ohnehin fremd, vgl. nur das Zitat oben FN 138. 256

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Vorsitzenden und Beisitzern262; dies dürfte aber in den pluralisierten RichterControllinggremien, in denen die Vorsitzenden Richter schon aufgrund ihrer geringen Zahl weit in der Minderheit sein werden, einen Großteil seines Gefährdungspotentials verlieren. Anderes muß gegenüber der Rechtsprechungsverwaltung gelten. Sie wird zur Respektierung der richterlich definierten Standards verpflichtet werden müssen, da es ihr andernfalls möglich wäre, die richterliche Qualitätsdefinition zu unterlaufen und ihren quantitätszentrierten Maßstäben den Vorrang einzuräumen. Dies zu verhindern, ist aber gerade der zentrale Zweck institutionalisierter Qualitätssicherung durch die Richterkollegien. Wo auch immer die Rechtsprechungsverwaltung auf richterliche Tätigkeit reagiert, sei es sanktionierend oder durch Vorenthalten von Gratifikationen oder Ressourcen, darf dies nicht an die Erfüllung der formulierten Qualitätsstandards geknüpft werden, auch wenn sie in erhöhtem Maße Ressourcenverbrauch verursachen sollten oder Zeit kosten. d) Die Qualitätsmessung Die Formulierung von Qualitätsstandards ist nur ein (wesentlicher) Baustein eines Controllings. Entscheidend ist die Sammlung und Aufbereitung des Datenmaterials zwecks (verbessernder) Steuerung. Hier wird man kaum auf eine fortwährende Evaluierungen der richterlicher Tätigkeit vor allem durch Rechtsanwälte263 verzichten können264, auch wenn dann „von rechts bis links ein Sturm“ losbräche265. Ohne ein rechtsprechungsbezogenes Benchmarking innerhalb der Richterschaft266, auch verbunden mit einer Peer-Review267, wird es ebenfalls nicht gehen können268. Daran wird deutlich, daß eine Institutionalisierung der Sicherstellung von Qualität – als Selbstzweck oder zur Kompensation eines Quantitätsprimats – nicht nur eine mentale Umorientierung innerhalb der Richterschaft erfordert, sondern auch eines organisatorischen Unterbaus bedarf, den die Richter selbst 262

Vgl. oben § 2 IV. Als den permanenten „Kunden“ der Gerichte mit entsprechendem Erfahrungsschatz, s. nur Haas, BRAK-Mitt. 192, S. 117 (117); erster erfolgversprechender Ansatz in Nordrhein-Westfalen, vgl. Schubmann-Wagner, ZRP 2003, S. 408 ff. Für eine Evaluierung durch richterliche Evaluierungskommissionen Seidel, AnwBl. 2002, S. 325 (330). 264 Zu deren Selbstverständlichkeit als Teil der Qualitätssicherung in den USA s. nur Röhl, ZfRSoz 12 (1991), S. 217 (223 f.); Kaminski, BJ 2003, S. 106 f. Zur Methode eingehend Feeney, The Justice System Journal 12 (1987), S. 148 ff. 265 Vgl. oben § 5 VI. 3. 266 Zum Benchmarking s. sogleich unter 4. 267 In diesem Sinne auch Seidel, AnwBl. 2002, S. 325 (330). 268 Zur Mitbestimmung der Betroffenen bei Nutzerbefragungen s. Frehse, DRiZ 2002, S. 141 ff. 263

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zu leisten haben werden. Dies erfordert nicht nur deren Engagement, sondern auch die Bereitstellung der hierfür notwendigen finanziellen und personellen Mittel, die letztlich auch die Freistellung269 von Richterratsmitgliedern einschließen muß, die über diejenige von Personalratsmitgliedern gem. § 46 BPersVG hinausgehen. 3. Die anstehenden Aufgaben des Gesetzgebers Die soeben dargestellten Erfordernisse unterstreichen erneut die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns bezüglich der Rechtsprechungsorganisation. Sowohl die Institutionalisierung des Qualitätscontrollings durch Richterkollegien bedarf der gesetzgeberischen Legitimation, weil die dabei formulierten Standards zwangsläufig informal steuernd wirken werden und damit in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen. Vor allem auch die hier favorisierte dienstliche Teilnahmepflicht aller Richter an Qualitätszirkeln oder ähnlichen kollegialen Gremien verlangt wegen Art. 97 Abs. 1 Hs. 2, 98 Abs. 1, 3 GG eine gesetzliche Anordnung. Erst recht folgt die Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens aus dem Erfordernis, den richterlich formulierten Qualitätsstandards bindende, jedenfalls aber lenkende Wirkung für die Rechtsprechungsverwaltung zu verleihen. Deren Existenz und Reichweite muß parlamentsgesetzlich definiert werden, um mittels des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Umgehung auszuschließen und im Konfliktfall justitiabel zu sein. Ein Modell findet sich de lege lata bereits in §§ 135a bis 137d SGB V; auch hier hat der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur Organisation von Qualitätssicherung normiert, dessen Grundsatz sich unproblematisch auch für die Richterschaft eignet270. Der Gesetzgeber kann dabei die Organisation der Qualitätssicherung den bestehenden oder zu schaffenden richterlichen Gremien überlassen oder diesbezügliche Mindestan269 Zu deren Bedeutung bei Richtern wegen deren fehlender Dienstzeitfestsetzung s. Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG, § 58 Rn. 18. 270 „§ 135a SGB V (Verpflichtung zur Qualitätssicherung) (1) Die Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. (2) Vertragsärzte, medizinische Versorgungszentren, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer von Vorsorgeleistungen oder Rehabilitationsmaßnahmen und Einrichtungen, mit denen ein Versorgungsvertrag nach § 111a besteht, sind nach Maßgabe der §§ 136a, 136b, 137 und 137d verpflichtet, 1. sich an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen, die insbesondere zum Ziel haben, die Ergebnisqualität zu verbessern und 2. einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwikkeln.“

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forderungen formulieren. Letzteres erscheint sinnvoll, um die zu erwartenden Vorbehalte aus der Richterschaft gegen bestimmte, etwa seitens des Richterrats entwickelte Organisationsformen von vornherein zu diskriminieren. Gleichzeitig wird der Haushaltsgesetzgeber auch für die Inanspruchnahme etwa wissenschaftlicher Beratung ausreichende Mittel bereitzustellen haben. Letzteres ist zwingend erforderlich, weil die Trägerschaft der Reformen zwangsläufig in den Händen von Juristen liegen wird, deren Qualifikation durch die Ausbildung zum (deutschen) Einheitsjuristen bestimmt wird. Wie sehr man auch immer von diesem System und den darin vermittelten Fähigkeiten überzeugt sein mag, die Kompetenz zur Verbesserung von Rechtsprechung und ihrer Organisation wird keinesfalls vermittelt271. Hierfür bedarf es des Erwerbs von spezifischen Kenntnissen, Fortbildungen272 und wissenschaftlicher Unterstützung, die unausweichlich hohen finanziellen Aufwand erfordern. Von Ehrenamtlichen eines Richterrats oder sonstigen Gremiums kann dies nicht erbracht werden. Auch die Richterakademien in Trier und Wustrau dürften damit schon quantitativ überfordert sein273. Eine entsprechende professionelle Organisation, vergleichbar dem amerikanischen Institute for Court Management als Teil des National Center for State Courts274, ist folglich unverzichtbar, wenn das Projekt „Qualitätsverbesserung“ nicht von vornherein scheitern soll. Denn andernfalls wird die Reformorganisation zu sehr personen- und damit subjektiv geprägt sein, was deren dauerhafte Wirkung ausschließen dürfte275. Vor allem werden die bei einer unkoordinierten Reform zu erwartenden „Autonomiekosten“ letztlich unvertretbare Größenordnungen erreichen276.

271 Zumal nicht zu erwarten ist, daß entsprechende Inhalte in das Jahresprogramm der Repetitoren aufgenommen werden wird. Letztlich wären entsprechende Ausbildungsinhalte für alle Studierenden auch kaum sinnvoll angesichts des geringen zukünftigen Richteranteils der Absolventen. Das Fehlen jeglicher Vorlesungsangebote im Fächerkanon der Universitäten unterstreicht gleichwohl die Existenz einer enormen Distanz zwischen den Bedürfnissen der Praxis und der (theoretisch) auf das Richteramt zugeschnittenen Ausbildung; gleiches gilt natürlich für die Interessensdefizite seitens des Lehrpersonals. Insoweit zutreffend der DRB NW: „Auch Richter können nicht alles“ (Presseerklärung zur Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten, abgdr. in RiStA 6/2003, S. 7), auch wenn diese Erkenntnis zur Unterstützung von richterlichen Forderungen benutzt wird, nicht aber als Mahnung gegen die eigene Hybris. Daher besteht zur Professionalisierung der Gerichtsleitung keine Alternative, mit Recht daher Hoffmann-Riem, DRiZ 1997, S. 290 ff. Auch über einen „Gerichtsmanager“ sollte man – abhängig von der Kompetenzfrage – sorgfältig nachdenken, dagegen ausdrücklich H. Leeb, DRiZ 1997, S. 287 ff. 272 Zu einem ersten Schritt s. etwa o. Verf., RiStA 2/2004, S. 13. 273 Erster (bescheidener) Ansatz durch die Tagung „Anforderungsprofile im Wandel: Richter als Führungskräfte“ in Trier, vgl. den Bericht von Haiß, DRiZ 2004, S. 140. 274 Siehe www.ncsconline.org (1.7.2004). 275 Dies belastet aktuell die gesamte Verwaltungsreform, vgl. Jann, in: ders. u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 9 (21).

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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Neben diesen rechtlichen Erwägungen ist das gesetzgeberische Tätigwerden auch rechtspolitisch erforderlich, um die Notwendigkeit eines solchen „Qualitätsmanagements“ zu unterstreichen. Dies gilt einerseits für die Richterschaft, deren Abwehrpotential diesbezüglich nicht unterschätzt werden darf. Mit einer entsprechenden „Forderung“ nach Qualitätsmanagement in Gesetzesform wäre auch das verfassungsrechtliche Gewicht etwaiger Berufungen auf die richterliche Unabhängigkeit beseitigt. Vor allem aber besteht die Chance, mit einer Institutionalisierung von Qualitätssicherung die Erfüllung der dabei gewonnen Standards als „Leistung“ des einzelnen Richter herauszuheben und für ihn als bewußtes Leistungsziel anstelle von Verbilligung zu etablieren. Diese psychologische Kategorie darf nicht unterschätzt werden, denn es geht gerade bei einem richterlichen Qualitätsmanagement auch darum, die psychologischen Wirkungen quantitativer Parameter einzuschränken, wie sie durch die KLR und auch die jährliche Veröffentlichung von Statistiken über die Verfahrensdauer und den Vergleich von Erledigungszahlen und Pensenerfüllung zwangsweise hervorgerufen werden277. Am Ende eines Großprojekts wie etwa Pebb§y278 stehen Ergebnisse, deren steuernder Einfluß allein durch ihre Existenz eintritt, ohne daß es rechtlicher Sanktionierung bedarf. Daher ist besonders ein Qualitätsmanagement jenseits rechtlicher Bindung auch mit allein psychologischem Einfluß unabdingbar. 4. Benchmarking „Auf Vergleichen läßt sich wohl alles Erkennen, Wissen zurückführen“279. Trifft dies zu, muß das Benchmarking als das Instrument des NSM schlechthin bezeichnet werden, erlaubt es doch, „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“280. Daher hat es sich auch in den vergangenen 20 Jahren zum immer beliebteren Instrument entwickelt, um die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen zu vergleichen. Dabei werden die Kostenpositionen zweier Unternehmen gegenüberge276 So aktuell schon beim Haushalts- und Rechnungswesen, vgl. Budäus, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 75 (85). Im übrigen fehlt es bisher aber an ernsthaften Programmen, die vermutlich ohnehin die mit den NSM verfolgten Einsparungen aufzehren und daher nur eine geringe Umsetzungswahrscheinlichkeit besitzen dürften. 277 Vgl. nur das insoweit sicherlich treffende Zitat oben § 5 III. 4. (FN 221). 278 Ein von dem Beratungsunternehmen Arthur Andersen entwickeltes System der Personalbedarfsberechnung für den richterlichen, staats-(amts-)anwaltlichen und Rechtspflegerdienst in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, s. die Ergebnisse in Justizministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Pebb§y I; s. jüngst zu den Ergebnissen Herrler, DRiZ 2004, S. 229 ff., sowie Müller-Piepenkötter, ebd., S. 237 f. 279 Novalis, zit. nach Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. V. Eindringlich ist etwa der Umstand, daß die von Henry Ford entwickelte Fließbandproduktion der Automobilindustrie das Ergebnis eines Vergleichs mit den Methoden einer Großschlachterei war, vgl. Siebert/Kempf, Benchmarking, S. 10. 280 So Campenhausen, controller magazin 2003, S. 310 (310).

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stellt, wobei es nicht auf einen absoluten Kostenvergleich ankommt, weil dann das Ergebnis nur sein könnte, daß die Kosten unterschiedlich sind. Tatsächlich ist aber wichtig, die Kostenhebel und ihre jeweilige Wirkung zu identifizieren, um festzustellen, warum die Kosten unterschiedlich sind281. Dies setzt Vergleichbarkeit der Daten voraus, so daß Differenzierungen notwendig werden, die am Produkt als Kostenträger ansetzen müssen. Hierbei greift das Benchmarking auf die Daten der KLR zurück und vergleicht auf den hier vorhandenen, unterschiedlichen Ebenen die Kostenstellen, besser aber Kostenarten. Der Vergleich zwischen den gerichtlichen Leistungen ist gegenüber den Produkten von Wirtschaftsunternehmen erleichtert. Denn eine Standardisierung von Produktparametern ist nicht mehr erforderlich, weil diese einerseits gesetzlich vorgegeben sind und andererseits wegen der weitestgehend einheitlichen Gerichtsorganisation ohnehin schon vergleichbar vorliegen. Jedoch verbleibt die Notwendigkeit, die mittels der KLR erhobenen Daten vergleichbar zu machen. Ziel des Benchmarking ist es, „Lücken“ zum Best-Performer zu erkennen und zu schließen282. Es darf nicht mit „Ranking“ verwechselt werden283, weshalb auch der Begriff des „Leistungsvergleichs“ ungenau erscheint. Denn er suggeriert die Existenz eines typisch quantitativen Wettbewerbs im Sinne eines „künstlichen Marktes“284. Dies ist jedoch keineswegs notwendig. Vielmehr können auch Qualitätslücken erkannt werden. Dabei geht es auch nicht um die Suche nach konkreten Maßnahmen, die zwangsweise durchgesetzt werden sollen, sondern um Darstellung von „Prozessalternativen“285. Hieran wird erkennbar, daß auch das Benchmarking voraussetzungsvoll ist: Der Best-Performer unter den Verglichenen muß erst einmal identifiziert werden, was wiederum voraussetzt, daß die Definitionsmerkmale des „Besten“ bekannt sind. Erneut taucht das Problem der Qualitätsmessung auf wie auch die Gefahr, quantitativen (besonders finanziellen) Parametern wegen ihrer einfachen Meßbarkeit und der diesbezüglich vorliegenden KLR-Daten den Vorrang zu geben. Wegen des Qualitätsmerkmals der „zeitnahen“ Entscheidung mag es in der Tat zulässig sein, auch quantitative Erhebungen im Bereich der Qualität durchzuführen286. Gleichwohl ist allzu vereinfachend dann der Beste eben immer der jeweils Schnellste und Billigste.

281 Campenhausen, controller magazin 2003, S. 310 (310); Horváth, Controlling, S. 414 f.; so auch für das Benchmarking-Projekt der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit Brand, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 99 (101 f.). 282 Campenhausen, controller magazin 2003, S. 310 (310); ebenso für die Justiz Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 (277). 283 H. Kramer, RuP 38 (2002), S. 127 (134). 284 So krit. Philippi, BJ 1998, S. 357. 285 Siebert/Kempf, Benchmarking, S. 23.

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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Die Gerichte bieten für ein Benchmarking-Projekt zunächst eine insofern gute Grundlage, als sie – bisher – untereinander nicht im Wettbewerb stehen. Benchmarking mit direkten Konkurrenten hat nämlich den entscheidenden Nachteil, daß Primärinformationen wegen des gegenseitigen Mißtrauens und der Existenz von Betriebsgeheimnissen nur schwer erhältlich sind287. Insbesondere letztere fehlen als solche in den staatlichen Gerichten, wobei natürlich die Vertraulichkeit der gewonnen Informationen als Bestandteil des Verhaltenskodexes selbstverständlich sein muß288. Letztlich wird man das Benchmarking als das entscheidende Instrument der NSM für die Rechtsprechung bezeichnen müssen. Hierfür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist allein das Benchmarking dazu geeignet, die etwa mittels KLR gewonnen Informationen zu anderen Zwecken als der Durchsetzung von Sparprogrammen zu verwenden289. Denn die Kenntnis des Ressourcenverbrauchs, den die Produktherstellung verursacht, ist für sich genommen ohne jegliche Aussagekraft. Sie beschreibt allein einen Ist-Zustand, den zu kennen zwar „interessant“ sein kann, für die Zukunft aber keinerlei Hinweise gibt. Man kann die Zahlen zwar zum Maßstab für künftiges Handeln machen; ob und in welche Richtung eine Veränderung stattfinden soll, muß aber dann aus sonstigen Motivationen gewonnen werden (etwa das politische Programm, jährlich weniger Ressourcen verbrauchen zu wollen als im Vorjahr). Erst mit der ergänzenden Information, ob die entstandenen Kosten niedrig, hoch oder im Durchschnitt liegen, kann aus der vorhandenen Information selbst ein zukunftsgerichtetes Handlungsprogramm abgeleitet werden. Daher kommt der Vergleichbarkeit der durch die KLR gewonnen Informationen erhöhte Bedeutung zu. „Im Benchmarking geht es um das Vorausdenken, nicht um das Nachrechnen! Das ist die elementare Botschaft!“290 Zum anderen liegt die verfassungsrechtliche Problematik der richterlichen Unabhängigkeit in der Beeinflussung der richterlichen Tätigkeit (durch den nicht-gesetzlichen Richter). Diesbezüglich ergeben sich zwei Problemkreise: einerseits das informelle Druckpotential, mit dem die Rechtsprechungsverwaltung ihre Interessen gegenüber den Richtern durchzusetzen in der Lage ist; andererseits die Kontrollierbarkeit als notwendige Bedingung der Verhinderung solchen 286

So Brand, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 99

(105). 287 Vgl. Horváth, Controlling, S. 413 f.; daher werden Vergleiche mit Nichtkonkurrenten gerade in der Wirtschaft bevorzugt; vgl. aber auch Reichardt, Geht nicht, S. 183 ff., der auf die Schwierigkeit hinweist, Vergleichspartner für das Benchmarking zu finden. 288 So zutreffend Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 (276), der jedoch auch hier von „öffentlicher Verwaltung“ statt Gerichten spricht. 289 Allerdings sieht Bilsdorf, NJW 1999, S. 3096, hierin auch den letztendlichen Zweck des Benchmarkings. 290 Rau, Mit Benchmarking, S. 64.

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Vorgehens. Beides kann durch Benchmarking im Sinne der richterlichen Unabhängigkeit erreicht werden. Der Vergleich (von Daten, Handlungsweisen etc.) hat eine rationalisierende Funktion, weil sie systemimmanentes Argumentationspotential zur Verfügung stellt. Gegen den politischen Willen, die Rechtsprechung fortwährend „billiger“ zu machen, lassen sich zunächst rechtskulturelle Erwägungen in Stellung bringen. Der (vermeintlichen) Kosteneinsparung durch Schließung kleiner Amtsgerichte etwa kann man deren ideelle Bedeutung entgegensetzen291. Das Argument ist aber infolge Inkompatibilität wirkungslos, weil der Entschluß zur Änderung von Gerichtsbezirken aus Einsparungserwägungen konkludent die Absage, zumindest aber die Zurückstellung aller anderen Abwägungskriterien beinhaltet. Überhaupt eine „Chance“ gegen Kostendruck haben nur Kostenargumente. Nur wenn die Nachteile einer Schließung kleiner Amtsgerichte auch finanziell die damit erhofften Einsparungen überwiegen, besteht die Aussicht auf ein Umdenken. Daher ist der Verweis des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die mit seiner Abschaffung verbundenen Kompensationskosten an den drei bayerischen Oberlandesgerichten – im Gegensatz zu den Hinweisen auf die Tradition, das Ansehen oder den besonderen Rechtsfrieden infolge seiner Tätigkeit292 – ein jedenfalls grundsätzlich taugliches Argument. Auf derselben Ebene argumentieren zudem die Justizminister, wenn sie die Einführung der KLR für erforderlich erklären, weil die Justiz im Verteilungskampf der Ressorts nur mit ihrer Hilfe nachvollziehbar ihren Finanzbedarf begründen und durchsetzen könne293. Daß die „Justiz“ der Garant des Rechtsstaats und der Freiheitssicherung ist, spielt hier keine Rolle, zumal aus der Wählerschaft keine auch nur im Ansatz wahrnehmbare Artikulation eines Willens zur Stärkung der Gerichte kommt. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß Richter und Gerichte mehr als 50 Jahre nach Ridders Mahnung, ihre „public relations“ zu verbessern294, noch immer keine wirkliche Verbindung zum Volk, in dessen Namen sie täglich Urteile fällen, gesucht oder gar gefunden haben295, die sie nunmehr aktivieren könnten296.

291

Vultejus, DRiZ 2003, S. 10 ff., und Rasehorn, JZ 1969, S. 651 ff. Alle anderen Bundesländer mit mehreren OLGs kommen auch ohne ein Oberstes Landesgericht aus, s. zu diesem Argument und zu allen Argumentationsebenen übersichtlich Kruis, NJW 2004, S. 640 ff. 293 Behrens, ZRP 1998, S. 386 (387); Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (9); diesen Befund bestätigt grundsätzlich auch Kissel, GVG, § 22 Rn. 19, für den Pensenschlüssel. 294 Ridder, Verh. d. 40. DJT, Bd. I, S. 93 (133); zur Notwendigkeit des „Reputation Management“ auf für Gerichte s. instruktiv Boehncke, BJ 2003, S. 118 ff. 295 Nach R. Jaeger, NJW 2003, S. 1 (3), stellt die „mündliche Verhandlung schon das Äußerste an Öffentlichkeitsarbeit“ der Richter dar, „gerne vermieden mit Entscheidungen im schriftlichen Verfahren“. 296 Krit. auch Voss, DRiZ 1999, S. 435 (440); jetzt allerdings erste Ansätze etwa bei Dury, DRiZ 2004, S. 239 f. 292

V. Qualitätsbetonung zur Durchbrechung der Quantitätsdominanz

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Seinen Landrat kennt nahezu jeder; aber wer weiß schon, wie der LG-Präsident „seines“ Bezirks heißt? Selten dürfte ein Vertretener so sehr von seinem Vertreter distanziert gewesen sein wie das Volk von „seinen“ Richtern. „Ohne Frage: Kaum ein Bereich des öffentlichen Lebens ist dem Bürger so fremd wie der der Justiz.“297 Die Gerichte und die Richter stehen unter enormem Druck seitens der Rechtsprechungsverwaltung, dem gegenüber sie weithin hilflos agieren. Das fortwährende Pochen auf die richterliche Unabhängigkeit als einziges Argument ist – jedenfalls gegenüber der Exekutive, aber auch der Rechtswissenschaft – verbraucht. Über die Gründe braucht hier nicht weiter spekuliert zu werden. Entscheidend ist jedoch, daß die Rechtsprechungsverwaltung nur mit ihren eigenen „Waffen“ geschlagen werden kann. Hierfür gibt es einen spezifischen Grund: Die NSM-Einführung in den Gerichten ist ein „Zweikampf“, bei dem ein (unbeteiligter) Schiedsrichter fehlt. Über den rechtspolitischen Sinn der NSM in den Gerichten wie auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit mag man streiten und wird gestritten. Ein Streitschlichtungsmechanismus fehlt jedoch, weil ein Mediator oder ein „Richter“ für diesen Streit fehlt. Wie oben aufgezeigt, hat sich der Gesetzgeber durch Passivität selbst ausgeschaltet; gleiches gilt für die Wissenschaft, die sich vom Innern der Gerichte weithin fernhält und eher dazu neigt, bei den Richtern das zu kritisieren, was sie unter Berufung auf Art. 5 Abs. 3 GG selbst allzu gern praktiziert298. Die soeben angesprochene Ferne der Bevölkerung zu „seinen“ Gerichten schließt auch „das Volk“ als Entscheider aus. Daher bleibt der Richterschaft nur eine Option: Sie muß der Rechtsprechungsverwaltung die Handlungsgrundlage entziehen, indem sie ihre eigene Leistung anhand der von der Exekutive als gültig postulierten Parameter dokumentiert. Dies gelingt nur mittels Benchmarking, weil nur auf diese Weise valides Überzeugungspotential gewonnen werden kann. Erst wenn klar ist, daß ein deutscher Amtsrichter durchschnittlich kein höheres Pensum als X Fälle erledigt, oder belegt werden kann, daß ab der Erledigungszahl X klare Qualitätsmängel auftreten, kann das Verlangen der Rechtsprechungsverwaltung nach X+1 Erledigungen mit Aussicht auf Erfolg zurückgewiesen werden299. Einem solchen Vergleich haben sich Richter auch zu stellen, gerade weil ihnen allein 297 Wassermann, FS 10 Jahre Richterakademie, S. 19 (40); Die richterlich betonte Distanz zum Volk belegt indizienhaft die Fallschilderung von J.-M. Günther, BJ 2001, S. 146 f. 298 So schon tendenziell Schütz/Schulze-Fielitz, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 9 (11). 299 Dies entspricht einer Urform der Data-Envelopment-Analyse für Fälle, in denen – wie bei Gerichten – die wahre oder theoretische Effizienz unbekannt ist: Dann muß mit einer relativen Effizienz gearbeitet werden, die zu 100% erreicht ist, wenn Vergleiche mit anderen keine Anhaltspunkte für Ineffizienz liefern, s. Schefczyk, Die Betriebswirtschaft 1996, S. 167 (169).

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täglich die Aufgabe zukommt, das Spannungsverhältnis von Quantität und Qualität auszugleichen. Denn auch dieser Ausgleich unterliegt für sich Qualitätsunterschieden und ist nicht beliebig und allemal gut oder nicht verbesserungsfähig/-bedürftig, egal wie der einzelne Richter ihn praktiziert. Grundvoraussetzung dafür, die eigene Handlungspraxis unter Qualitätsmaßstäben überprüfen zu können, ist jedoch, Alternativen zu kennen. Genau dies aber gelingt nur mittels eines Benchmarkings. Trotzdem trifft auch Benchmarking bei Richtern wohl doch zwangsläufig auf Vorbehalte, die nicht zuletzt aus deren Selbstverständnis erwachsen (müssen), denn: „Wer Benchmarking betreibt, blickt über den Tellerrand, verläßt Elfenbeintürme und beraubt sich damit gleichzeitig jeder Sicherheit.“300 Solches Vorgehen dürfte eher richteruntypisch zu nennen sein301; dies gilt für die beiden ersten Aspekte302, vor allem aber für den der Sicherheit, der angesichts Art. 97 Abs. 2 GG wohl bisher zentrales Wesensmerkmal richterlichen Daseins sein dürfte. Bezeichnend ist auch die „ehrliche“ Frage, was es einem bayerischen Kollegen schade, wenn er langsamer und weniger gut als sein Flensburger Kollege urteile303. Dem Richter schadet es nicht, dem Bürger, der seinem gesetzlichen Richter in Bayern „ausgeliefert“ ist, trifft es sehr wohl. Vor allem verkennt diese Kritik das Wesensmerkmal des Benchmarking, nicht bloß Unterschiede zu diagnostizieren, sondern die entsprechenden Gründe zu analysieren, um die richterliche Pflicht zur Gewährung von Rechtsschutz besser erfüllen zu können. Dennoch wird es zu einem systematischen Vergleich der Arbeitsweisen der Richter(schaft) und den Arbeitsbedingungen in den Gerichten keine Alternativen geben. Die bloße Behauptung, die eigene Arbeitsweise sei (für sich) die beste und müsse daher von Dritten akzeptiert werden, ist ein untaugliches Argument, das kein Gehör finden kann und darf. Denn jenseits aller darin enthaltenen unberechtigten Ansprüche auf Kritikfreiheit beinhaltet dies auch die Absage an fortwährendes Lernen und Verbessern; und dies kann kein Amtsträger für sich beanspruchen. Daher besteht eine Dienstpflicht jedes Richters, sich in ein Benchmarking-System einzuordnen, das fortwährend seine Leistungen mit denen seiner Kollegen evaluierend vergleicht. Dabei kann der Grad der Veröffentlichung der Daten variieren304; entscheidend ist aber, daß die Betroffenen aus den zur Verfügung gestellten Daten ihre Position im Gericht und im Vergleich zu anderen Richtern und die Gründe hierfür ablesen können. 300

Rau, Mit Benchmarking, S. 65. Daher auch die Skepsis der betroffenen Richter, vgl. Mackenroth, DRiZ 2003, S. 70; ablehnend auch das offizielle Positionspapier des DRB, abgdr. in DRiZ 1999, S. 457 (461). 302 Vgl. nur oben § 5 VI. 3. b). 303 So Bilsdorfer, NJW 1999, S. 3096. 304 Siehe etwa für New Hampshire Kaminski, BJ 2004, S. 212 f. 301

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin

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Benchmarking ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht das Qualitätssicherungsinstrument: Denn es informiert und schafft erst die Grundlage für die rationale Entscheidung jedes Richters, ob die eigene Praxis als gut gelten kann und/oder verbesserungswürdig ist. Nur so kann die „Initiierung von Reflexionsund Lernprozessen durch Information“305 gelingen. Vor allem kann die Konfrontion mit den Methoden anderer unabhängiger Richter wegen der Exekutivfreiheit der darin liegenden Maßstabsetzung als nur in geringem Maße unabhängigkeitsgefährdend eingestuft werden. Dies dürfte sogar verhältnismäßig sein und erst recht dem hier vertretenen Maßstab der Willkürfreiheit genügen. Denn es stellt keine Sanktion dar, mit einer Gegenansicht konfrontiert zu werden und die ökonomischen oder auch gesellschaftlichen Konsequenzen der eigenen Entscheidung- und Verfahrenspraxis aufgezeigt zu bekommen. An Novalis’ Erkenntnis ist daher auch und gerade für Richter mit Nachdruck festzuhalten.

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin 1. Inhalt und Funktionen der Budgetierung Ein zentrales Instrument der neuartigen Form der Haushaltssteuerung stellt die Budgetierung dar. Sie ist „unverzichtbares Element“ des NSM; „wo die Modernisierung der Verwaltung fortschreitet, kommt früher oder später auch die Budgetierung“, die sich sogar als besonders guter Einstieg erweist, „weil sie Anreize schafft und relativ schnell zu Änderungen im Verhalten und zu höherer Motivation führt“306. Sie gehört auch in Wirtschaftsunternehmen zu den wichtigsten Instrumenten dezentraler Steuerung und beschreibt den Prozeß der Aufstellung, Verabschiedung und Kontrolle von Vorgabegrößen für Entscheidungseinheiten in einer bestimmten Periode307. „Dezentrale Finanzverantwortung durch Budgetierung gilt als Synonym für eine Ökonomisierung der Justiz“308. Sie wird durch drei wesentliche Strukturmerkmale charakterisiert: 1. Eigenverantwortliche Mittelverwendung der Gerichte: Den Gerichten als „dezentralisierten Einheiten“ wird ein festgelegter Geldbetrag, das „Budget“, zur eigenverantwortlichen Verwendung und Bewirtschaftung zugewiesen. Die Gerichte entscheiden selbständig ohne Einmischung der Justizministerien, wofür sie die zugeteilten Finanzmittel verwenden. 2. Festlegung des Budgets nach Produktmengen: Bei der Bemessung der Höhe des Budgets kommt die zentrale Funktion des „Produkts“ wie auch der 305

U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (325). Wewer, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 322 (327). 307 Pfaff, „Budgetierung“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 231 (232). 308 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (323). 306

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Grundpfeiler der NSM, die „outputorientiert“ Steuerung, am deutlichsten zum Tragen. Denn der Budgetumfang bemißt sich nach der Anzahl der zu erbringenden Produkte, für deren Erstellung die Durchschnittskosten zugrunde gelegt und mit der Produktzahl multipliziert werden. 3. Gerichtsbezogene Sanktionen für Über- und Unterschreitungen des Budgets: Reicht das zugeteilte Budget nicht aus, so sind die Defizite innerhalb des Gerichts zu kompensieren und können nicht durch nachträgliche ergänzende Zuweisung aus dem Haushalt ausgeglichen werden. Überschüsse dürfen – mit Ausnahmen – in den Gerichten als Guthaben verbleiben und in der kommenden Rechnungsperiode zusätzlich zum dann neuen Budget verwendet werden. Die Sanktions- oder Gratifikationsmechanismen bei Über- oder Unterschreiten des Budgets sind dabei relativ variabel309, wobei klar sein muß, daß grundsätzlich jede Überschreitung des Budgets nur kreditfinanziert sein kann und dementsprechend eine Budgetkürzung im Folgejahr mit sich bringt. Die eigenverantwortliche Mittelverwendung ist aus richterlicher Sicht nicht zu beanstanden. Im Gegenteil: Nunmehr kann innergerichtlich individueller und bedarfsgerechter auf Notwendigkeiten und Mängel reagiert werden310 ohne umständlichen Weg über ein Ministerium, das erst noch von den Erfordernissen vor Ort überzeugt werden muß311. Außerdem ordnet es nach dem Grundprinzip „AKV“ Verantwortlichkeiten klar zu, die nicht mehr zwischen Ministerium und Gerichtsleitung hin- und hergeschoben werden können312. Verbunden mit der Kompetenz vor Ort ist allerdings auch ein Aufgabenzuwachs insofern, als nun jede Gerichtsleitung selbst die Entscheidung für die Verwendung treffen und hiefür eine Prioritätenliste erstellen und intern verantworten und die eigenen Angelegenheiten selbst organisieren muß313. Hierzu bedarf es des nötigen Know-hows vor Ort im Sinne einer professionalisierteren Gerichtsleitung314. Gleiches gilt hinsichtlich der Budgetbemessung nach „Produkt“-Zahlen. Schon bisher stehen Gelder in einer durch den Haushaltsplan festgesetzten Höhe zur Verfügung, auf die die Richter keinen Einfluß haben, sondern von ihnen hinzunehmen sind, deren Zustandekommen jedoch eher im Dunkeln 309 Vgl. nur die verschiedenen diesbezüglichen Erwägungen bei Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 ff. 310 Häuser, BJ 2000, S. 255 (256); krit. M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (22), der darin nur ein Durchgangsstadium der Reformen sieht. 311 Vgl. Weber-Hassemer, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 149 (154). 312 Vgl. B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (308 f.). 313 Nach Dieckmann, RuP 36 (2000), S. 7 (11), hat der Behörden(!)leiter bei der Verwendung von KLR-Daten eigenverantwortlich sicherzustellen, daß die richterliche Unabhängigkeit und das Legalitätsprinzip nicht tangiert werden“. 314 Vgl. B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (309 ff.); ein bisheriges know-howDefizit vermutet auch Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (83).

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin

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bleibt. Legt die Rechtsprechungsverwaltung nunmehr eine Produktmenge zugrunde, wirkt dies auf die Bemessung der finanziellen Mittel rationalisierend – die Höhe des Budgets wird, jedenfalls grundsätzlich, nachvollziehbar und kritisierbar, wenn etwa die Verfahrensflut infolge des neuen Verbraucherinsolvenzrechts keinen oder unzureichenden Niederschlag im Budget findet315. Entscheidend und entsprechend problematisch ist allein der Bereich der positiven wie negativen Sanktionen, die an eine Über- oder Unterschreitung des festgesetzten Budgets anknüpfen. Dies kann allein bei den im folgenden noch besonders zu betrachtenden Verfahrenskosten enorme Größenordnungen erreichen: Im Jahre 1996 etwa wurde der diesbezügliche Haushaltsansatz in Hessen bei den Ausgaben um 25 Millionen DM überschritten, bei den Einnahmen blieb die Realität um 30 Millionen DM hinter den Erwartungen des Haushalts zurück316. Vor dem Hintergrund des generellen Einsparungszwecks des Neuen Haushaltswesens wird deutlich, daß gerade eine gerichtsinterne Kostenreduzierung das zentrale Veränderungsziel sein soll und muß. Dies trifft zunächst auf ein grundsätzliches Dilemma: Die Kosten einer Einrichtung werden im wesentlichen bestimmt durch Zahl und Inhalt der von ihr zu erfüllenden Aufgaben sowie die Art und Weise der Aufgabenerfüllung einschließlich der hierzu verwendeten sachlichen und personellen Mittel. Diese Faktoren sind aber für die Gerichte als dezentrale Einheiten nicht beeinflußbar: 1. Die Anzahl und Definition der verschiedenen generellen Aufgaben eines Gerichts wird durch den Zuständigkeitskatalog des Gesetzgebers bestimmt. 2. Die Anzahl der jeweils pro generell gestellter Aufgabe zu leistenden „Fälle“ bestimmt die Eingangszahl, die allein durch die Zahl von Antragstellern und Klägern definiert wird. 3. Die Art und Weise der Aufgabenerfüllung ist grundsätzlich definiert durch die Verfahrensgesetze und die diesbezüglichen Grundrechtsgarantien wie etwa den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daraus ergibt sich eine Beschränkung des gerichtlichen wie richterlichen Handlungsspielraums und somit eine Reduzierung von Verantwortungsbereichen, in denen Abweichungen selbst vorwerfbar und damit etwa negativ sanktionierbar werden. Art und Anzahl der Aufgaben sind insoweit kein zulässiger Anknüpfungspunkt. Daher reduziert sich das Dispositionspotential eines Gerichts allein auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung, und entsprechend folgerichtig setzen die NSM auch („nur“) am „Modus der Leistungserbringung“317 an.

315 316 317

In diesem Sinne zutreffend Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (85). Weber-Hassemer, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform, S. 149 (155). Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (81).

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Diese Erkenntnis trägt jedoch keineswegs die Lösung in sich, sondern führt statt dessen zum nächsten Dilemma, das in der besonderen Situation der Rechtsprechung begründet liegt und sie von der Verwaltung unterscheidet: Die rechtlich wie faktisch untrennbare Einheit von Inhalt und Verfahren richterlicher Aufgabenerledigung und deren monopolisierte Zuweisung an die allein richterliche Kompetenz, die noch dadurch verschärft wird, daß für die Art und Weise der Durchführung etwa eines konkreten Rechtsstreits nicht „die Richterschaft“ zuständig ist, sondern ausschließlich „der“ gesetzliche Richter. Daher ist eine Beeinflussung auch (und gerade) des Modus’ der Leistungserbringung durch einen anderen als den gesetzlichen Richter verfassungsrechtlich höchst problematisch. Sofern also die NSM allgemein und die Budgetierung im besonderen hierauf steuernd Zugriff nehmen wollen, gerät dies in Konflikt mit Art. 92, 97 GG318. Diese verfassungsrechtliche Situation stellt damit das gesamte System in Frage, das (notwendig) auf der Durchführbarkeit der Trennung zwischen richterlichem Entscheidungsinhalt und dessen Entstehung als „Modus“ der Leistungserbringung aufbaut319. Denn zum seitens der Exekutive nicht antastbaren Kernbereich richterlicher Tätigkeit gehören der Rechtsspruch selbst und alle ihm unmittelbar dienenden Entscheidungen, die ihn vorbereiten oder ihm nachfolgen320. Die Existenz einer „Vielzahl prozessbezogener Qualitätsaspekte, die die Güte und Art der Leistungserbringung betreffen und insoweit den Kerngehalt der Unabhängigkeit nicht tangieren“, scheint daher ausgeschlossen321. Folglich stößt auch ein Neues Steuerungsmodell, das nur die „organisatorische Effizienz“322 richterlichen, rechtsprechenden Handelns aus der Exekutive heraus steuern will, an die Grenzen des Art. 97 GG323. Zutreffend formuliert Eifert, daß das Neue Steuerungsmodell angesichts „der exekutivischen Unverfügbarkeit der relevanten Produktparameter (. . .) nicht recht auf die Justiz paßt“, so daß es nur um die „Förderung von (Organisations- und Verfahrens-)Strukturen“ gehen könne, „die eine effiziente Erfüllung der vollständig eigenverantworteten Aufgaben ermöglichen“. Daher müsse vorrangiges Ziel die Effizienzsteigerung im Bereich der (Gerichts-)Verwaltung sein; soweit darüber hinaus „eine über den Verwaltungsbereich hinausgehende Effizienzsteigerung (z. B. für 318

Sinngleich B. Kramer, ZZP 114 (2001), S. 267 (308). So etwa die Konzeption bei Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 ff. 320 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1984, S. 2535 (2536); BGHZ 90, 41 (45); zsfssd. Kissel, GVG, § 1 Rn. 54. 321 Anders aber, wie zitiert, Steindorfner, DRiZ 2003, S. 273 (273), der jedoch keinen solchen Aspekt aufzählt. Korrekt ist allerdings seine Klarstellung (ebd.), daß Unabhängigkeit nicht mit „Unfehlbarkeit“ gleichgesetzt werden darf. 322 Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (86). 323 Dies gilt aber nicht per se für die Leistungsmessung in diesem Bereich, s. Schneider, Performance-Controlling, S. 27. 319

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die Verfahrensausgestaltung) erzielt wird, folgen aus der richterlichen Unabhängigkeit hohe instrumentelle Schranken und müssen die Zielkonflikte (z. B. Beschleunigung vs. ,Wahrheitsfindung‘ oder Zugangsfreundlichkeit) sehr genau analysiert, austariert und ggf. durch Gesetzesänderungen neujustiert werden“324. Dies trifft den entscheidenden Punkt der Budgetierungsproblematik, nämlich die Freiheit des gesetzlichen Richters von exekutivischer Beeinflussung bei der Verfahrensgestaltung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, so daß ein durch die Rechtsprechungsverwaltung festgelegtes Budget richterliches Handeln weder in der einen noch in der anderen Richtung beeinflussen darf. Erst recht gilt dies, wenn Maßnahmen der Gerichtsverwaltung über eine Beeinflussung hinausgehen und faktische Zwangswirkung entfalten, wie es evident der Fall wäre, wenn eine Beweisaufnahme oder die Gewährung von Prozeßkostenhilfe im November eines Jahres wegen des bereits aufgebrauchten Budgets abgelehnt werden müßten325. Der Anspruch eines Klägers auf Beweiserhebung aus Art. 103 Abs. 1 GG und die rechts- und sozialstaatlich über Art. 20 Abs. 1, 3 GG konstitutionalisierten Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe bei Bedürftigkeit und entsprechenden Erfolgsaussichten können nicht durch die exekutive Bemessung eines Budgets derogiert werden. Hierzu wäre nicht einmal der (einfache) Gesetzgeber befugt326. Dies wird verdeutlicht durch den Zweck der Budgetierung, nämlich die Steuerung von Entscheidungseinheiten oder Verantwortungsbereichen einer Organisation auf deren Ziele hin. Dies ist für sich zwar zunächst kompatibel mit dem Konzept des Art. 92 GG von Rechtsprechung der einzelnen Richter in Gerichten als organisatorischen Einheiten, so daß eine grundsätzliche Zielparallelität von einzelnem Richter und „seiner“ Organisation angenommen werden kann. Doch kann an den drei herkömmlichen Funktionen der Budgetierung, der Motivations-, der Koordinations- und der Orientierungsfunktion schon die rechtliche Problematik abgelesen werden327. Die Motivationsfunktion soll unter Anreizgesichtspunkten die Unternehmensziele durchsetzen. Doch werden diese Ziele „top down“ von der Unternehmensführung vorgegeben. Schon dies scheint bedenklich, wenn man hier die budgetierende Exekutive als zieldefinierende Ebene annehmen wollte. Vor allem aber wird dies an der Funktion der Budgetierung deutlich, die von (zumindest) „partiellen Interessendivergenzen“ unter den Entscheidungsträgern ausgeht und 324

Eifert, Die Verwaltung 30 (1997), S. 75 (81). Siehe als abschreckendes Beispiel etwa NZZ v. 19.3.2003, S. 48, wonach einem Veteran des zweiten Golfkrieges vor einem US-amerikanischen Gericht eine zur Beweisführung in einem Strafprozeß notwendige Computertomographie aus Kostengründen verweigert wurde. 326 Vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 2000, S. 1936 (1937). 327 Vgl. hierzu und das folgende Pfaff, „Budgetierung“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 231 ff. 325

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genau dazu dient, diese Divergenzen im Sinne der Unternehmensführung zu beseitigen328. Auf Gerichte angewandt: Die Budgetierung soll den Erwartungen der Rechtsprechungsverwaltung zur Durchsetzung verhelfen. Dieser negative Befund wird zudem dadurch gesteigert, daß sich der positive Aspekt dieser Funktion, die Steigerung der intrinsischen Motivation der Mitarbeiter durch Vergrößerung der Entscheidungs- und Handlungsspielräume, gegenüber Richtern in das Gegenteil verkehrt: Deren Freiräume haben ihr Maximum schon erreicht und werden durch Budgetierung unausweichlich verkleinert. Im Rahmen der Orientierungsfunktion fällt der Budgetierung die Aufgabe zu, die dezentralen Unternehmenseinheiten darüber zu informieren, was die Geschäftsleitung von ihnen erwartet329. Dies läßt sich zwar auch in Gerichten umsetzen, stößt aber an Art. 97 GG, wonach Erwartungen der Rechtsprechungsverwaltung (als Äquivalent der Geschäftsleitung) für Richter gerade kein Handlungsmaßstab sein sollen und dürfen (Verbot auch psychologischer Einflußnahmen). Lediglich der Gesetzgeber darf zu befolgende Erwartungen äußern. Lediglich die Koordinierungsfunktion kann auch in Gerichten vorhandenen Bedarf decken etwa im Sinne einer Aktualisierung der Organisationsgebundenheit auch der Richter330, wobei hier aber starke Vorbehalte bestehen müssen, weil angesichts der nur geringen Charakterisierung der richterlichen Tätigkeit durch „Geld“ der Steuerungsmodus Budgetierung entweder wirkungslos sein oder in Konflikt mit der richterlichen Unabhängigkeit geraten dürfte: Wenn die Budgetierung zu einer Reduzierung von Personal für die Protokollführung führt und damit die Hinzuziehung eines Protokollführers für die Richter unmöglich wird, dann dürfte dies mit der (bisherigen) Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes und auch § 159 ZPO a. F.331 kaum vereinbar sein332. Dies bedeutet zwar zunächst nur die auch von Vertretern der NSM nicht bestrittene Tatsache, daß kein Neues Steuerungsmodell die Gesetzesbindung des Richters zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aufheben kann. Die Folgen gehen aber darüber hinaus: Eine insoweit verfassungswidrige faktische Zwangswirkung tritt nämlich auch dann ein, wenn von Gesetzes wegen 328 Pfaff, „Budgetierung“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 231 (233). 329 Pfaff, „Budgetierung“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 231 (232). 330 Hierauf weist U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (158), hin. 331 Zutreffend verweist Röhl, JZ 2002, S. 838 (843), auf den bestehenden Druck der Gerichtsverwaltung auf die Richter, damit diese entgegen der Regel des § 159 ZPO a. F. und ihrer entsprechenden Befugnis auf die Zuziehung eines Protokollführers verzichten. Allerdings hat das 1. Justizmodernisierungsgesetz die Zuziehung nunmehr von der Regel zur Ausnahme erklärt (BGBl. I 2004, S. 2198). 332 Vgl. die Nachweise oben § 3 II. 8. (FN 588); krit. infolge neuer Bürotechnik (wohl) zutreffend Kissel, GVG, § 1 Rn. 75.

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eine Entscheidung in das Ermessen des Richters gestellt ist, dieses Ermessen sich aber aus Budgetgründen auf Null reduziert, er also nicht frei, sondern wegen exekutiv gesetzter Bedingungen nur für die Ablehnung eines kostenintensiven Parteiantrags entscheiden kann. Dann würde zwar durch die exekutive Budgetbegrenzung nicht die Gesetzesbindung aufgehoben, aber der aufgrund gesetzlicher Anordnung allein durch den gesetzlichen Richter auszufüllende Spielraum exekutiv beseitigt. Darin läge sodann nicht nur ein Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit, sondern auch gegen den Vorbehalt des Gesetzes, weil die Exekutive nicht befugt ist, den vom Gesetzgeber dem (gesetzlichen) Richter eingeräumten Entscheidungsfreiraum zu beschränken. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn ein Verwaltungsgericht zum Zwecke hoher Einnahmen den für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Streitwert möglichst hoch festsetzt, weil die damit erreichten Gerichtskosten zur Deckung anderweitiger, gerichtsinterner Budgetdefizite unbedingt gebraucht werden. Insofern konsequent, aber auch verfassungsrechtlich zwingend, erweist sich vor diesem Hintergrund die allerdings nur mehrheitliche Auffassung der Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, folgende Einnahmen und Ausgaben aus den für die einzelnen Gerichte zu bildenden Budgets herauszunehmen: Gebühren und tarifliche Entgelte, Geldstrafen, Geldbußen und Gerichtskosten, Entschädigung ehrenamtlicher Richter, Auslagen in Rechtssachen, einschließlich Prozeßkostenhilfe und Leistungen nach dem Beratungshilfegesetz, Schadensersatzleistungen, Billigkeitsentschädigungen, einschließlich Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung bei Strafverfolgungsmaßnahmen, Aufwandsentschädigungen, Vergütungen an Vormünder, Pfleger und Betreuer, Zinsen hinterlegter Gelder und Auslagen in Hinterlegungssachen333. Hiermit wird deutlich, daß das entscheidende Problem der Budgetierung nicht an der Anknüpfung an Produkte und damit Verfahrenszahlen liegt. Die Begrenztheit der staatlichen Mittel ist seit jeher gegeben, ob bei herkömmlicher Kameralistik oder Budgetierung. Letztere bringt zunächst Vorteile und verstärkt die Autonomie der Gerichte. Verfassungsrechtlich problematisch ist allein die Frage der Sanktionierung von Budgetverfehlungen, die sich vor allem vor dem Hintergrund stellen, daß klassische Verwaltungen und vor allem auch Gerichte einen extrem großen Anteil von Personalkosten aufweisen334 und angesichts der gesetzlich determinierten und daher nicht zur Disposition der Budgetverantwortlichen stehenden Aufgaben auf Budgetprobleme kaum mit spürbaren Maßnahmen reagieren können335. Die vorgeblich mit der Dezentralisierung verknüpften 333

Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen, Abschlußbericht, S. 13. Im Jahr 2000 betruf der Personalkostenanteil im Bereich „Rechtswesens“ 62,4% der Gesamtausgaben bei 193.974 Beschäftigen (einschl. Strafvollzug), vgl. Derlien/ Frank, Die Verwaltung 37 (2004), S. 295 (302). 335 Vgl. Wewer, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 322 (328). 334

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Freiheiten der Mittelverwendung unter dem Stichwort Globalhaushalt sind daher stark begrenzt. Wegen der sanktionsbewehrten Verpflichtung zur Budgeteinhaltung bei gleichzeitig geringem Verwendungsspielraum wird daher deutlich, daß die Budgetierung die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben zu beeinträchtigen droht. Denn mangels Beeinflußbarkeit des großen Anteils an Fixkosten (insbesondere Personal336) muß umso mehr im variablen Anteil eingespart werden. Als solcher steht aber nur die Erfüllung der laufenden Aufgaben zur Verfügung. Die Art und Weise der Rechtsschutzgewähr wird daher zum zentralen Ort von Einsparungsanstrengungen. 2. Die Strukturen der aktuellen Budgetierungskritik Den disfunktionalen Vorrang der Budgetierung vor allen anderen Planungen, der kurzfristig orientiertes Gewinndenken zulasten langfristiger Ziele fördert337, haben auch Kaplan/Norton als zentralen Problempunkt in den Unternehmen ausgemacht: „Gegenwärtig sind in den meisten Organisationen separate Prozesse und separate Organisationseinheiten für die strategische Planung und für die Budgetierung zuständig. Der strategische Planungsprozeß, wie z. B. der oben dargestellte Prozeß zur Aufstellung langfristiger Pläne, Vorgaben und strategischer Maßnahmen, hat einen Jahreszyklus. (. . .) Normalerweise werden diese Erwartungen dann in Dokumenten festgehalten, die für die nächsten zwölf Monate in den Regalen der Führungskräfte stehen bleiben. Über das gesamte Jahr erstreckt sich ein separater Budgetierungsprozeß, der vom Controller geleitet wird, um die Vorgaben für Umsätze, Kosten, Gewinne und Investitionen für das nächste Geschäftsjahr festzulegen. Dieser Prozeß gipfelt im Oktober oder November des Jahres im genehmigten Budget für das kommende Jahr. Das Budget besteht fast ausschließlich aus Zahlen des Rechnungswesens, die gewöhnlich wenig mit den Fünfjahreszielen gemeinsam haben, die jetzt in den Strategiepapieren ihren Winterschlaf halten. Welches von beiden Papieren wird während des folgenden Jahres besprochen, wenn sich die Manager der Geschäftseinheiten und des Unternehmens monatlich oder vierteljährlich treffen? Gewöhnlich nur das Budget, da die periodischen Reviews sich auf den Vergleich der tatsächlichen mit den geplanten Ergebnissen konzentrieren, die Punkt für Punkt durchgesprochen werden, wobei Erklärungen für alle größeren Abweichungen verlangt werden. Wann wird das Strategiepapier besprochen? Vielleicht beim nächsten jährlichen Strategieplanungstreffen, wenn neue Drei-, Fünf, oder Zehnjahrespläne formuliert werden.“338 336 Nach Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (445), belaufen sich die Personalkosten auf ca. zwei Drittel der Justizausgaben. 337 Wewer, in: Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch der Verwaltungsreform, S. 322 (327); dies gilt allgemein auch für die Leistungsmessung in den Gerichten, s. Schneider, Performance-Controlling, S. 48. 338 Kaplan/Norton, Balanced Scorecard, S. 238 f.

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Die auf die Zukunft gerichtete Strategie kollidiert mit der vergangenheitsorientierten Budgetierung, die sich regelmäßig aufgrund des grundsätzlich bewahrenden Charakters menschlichen Handelns und der Überzeugungskraft valider KLR-Zahlen der Vergangenheit durchsetzt339 – ökonomische Behauptungen werden leicht akzeptiert, weil ihre Plausibilität allzu hoch erscheint340. Wie zahlreiche Modelle des heutigen Controllings ist auch die Methode der Budgetierung in Pionierarbeit des amerikanischen Unternehmens Dupont de Nemour Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden und nach der Übernahme von General Motors durch die Dupont-Familie auch dort praktiziert worden. Entscheidend für die Möglichkeit, solch große Unternehmen überhaupt führen zu können, ist die Delegation von Management-Verantwortung. Als wichtigstes Instrument hierfür wurde die „Budgetary Control“ (Budgetsteuerung) entwikkelt341. Das schon zuvor im Sinne des Taylorismus bekannte „Scientific Management“342, das sich auf die Optimierung der operativen Arbeitsabläufe aus technischer Sicht bezog, wurde auf diese Weise durch eine wirtschaftliche Steuerung ergänzt. Aber erst ab den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kann Budgetary Control als allgemein in Europa akzeptiertes Unternehmenssteuerungsmodell angesehen werden343. Diese relativ späte Verbreitung in Europa ist ein Indiz für den Zusammenhang von Unternehmenskultur bzw. des gesamten regionalen Kulturkreises und der darin brauchbaren Managementwerkzeuge und -techniken. Die europäische Skepsis als Ursache der verzögerten Rezeption gegenüber der so verstandenen reinen Managementtechnik der Budgetierung beruhte wohl auf der damit verbundenen Nichtberücksichtigung sozialer Kontrollstrukturen in Form etwa von mitarbeiterorientierten, partizipativen Führungskonzepten. Derselbe kulturelle Hintergrund scheint nun auch der Grund für zunehmende Kritik am Budgeting Control344 zu sein, deren geographische Herkunft nicht zufällig in den für ihre Sozialorientierung bekannten skandinavischen Staaten345 zu verorten ist und als System des „Beyond Budgeting“ bezeichnet wird346: 339 Morganski, Klassiker, S. 44 f.; gleichsinnig Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (441). 340 So krit. Hassemer, DRiZ 1998, S. 391 (400). 341 Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (78). 342 Taylor, The Principles of Scientific Management. 343 Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (78). 344 Vgl. Weber/Linder, controller magazin 2004, s. 224 (224); zur Notwendigkeit der Berücksichtigung des Sozialgefüges Gläser, in: Weber/Tylkowski (Hrsg.), Konzepte und Instrumente, S. 316 (323), der vor einer „Controlling-Euphorie“ warnt. 345 Das erste Unternehmen mit einer systematischen Absage an Budgets und vorgegebene Finanzziele war Svenska Handelsbanken unter Führung von Jan Wallander, die über Jahrzehnte hinweg Erfolgsgeschichte schrieb, s. zssfsd. o.Verf., Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 75; Francke, ebd., S. 91 ff.

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„The Time Has Come to Abandon the Budget“347. Im Zentrum der Kritik steht die mit der Budgetierung einhergehende ausschließliche Konzentration auf die Kostenbetrachtung, die insbesondere das „Humankapital“, die Geschäftsbeziehungen etc. außen vorläßt und ein stark bürokratisches Element in das Unternehmen einbringt, das regelmäßig Innovation verhindert348: „Die starre Budgetplanung, die auf dem tayloristischen Modell rein zentraler Steuerung und Kontrolle und der Entmündigung der operativ Aktiven im Unternehmen basiert, wird dabei zum Hindernis und droht deshalb für Geschäftsführer und Vorstände zum Misserfolgsfaktor zu werden. (. . .) In der Praxis wurde dieses System über die Jahre in vielen Organisationen allerdings regelrecht pervertiert – vor allem dadurch, dass die Budgetplanung zu einem Prozeß des politischen Taktierens und Handelns mutiert ist, bei dem es nicht um den Unternehmenserfolg und schon gar nicht um das Wohl der Kunden geht, sondern um rein interne meist persönliche Ziele der Akteure.“349

An dieser Stelle kann es nicht um die Umsetzung des Beyond Budgeting in den Unternehmen gehen. Deren Detailkenntnis liegt außerhalb des hier relevanten Erkenntnisinteresses. Entscheidend sind vielmehr die dahinter stehenden Gründe, die zur tendenziellen Absage an feste Budgets geführt haben. Insgesamt läßt sich diesbezüglich feststellen, daß das Beyond Budgeting auf dieselben Umweltveränderungen reagiert, wie sie Ursache für die Entwicklung der Balanced Scorecard waren, nämlich die schnelle Änderung der Erfolgsbedingungen für die Unternehmen und die eingetretenen Fehlsteuerungen durch einseitige Finanzbetrachtung350, die strukturell nicht in der Lage ist, die Organisationsabhängigkeit des Unternehmenserfolges auch unter kulturellen und sozialen Aspekten zu erfassen351. Dies soll durch neue Formen der „Selbstabstimmung“ verändert werden352. 346 Vgl. Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (79), der als Ursache formuliert, der „Leidensdruck“ in den Unternehmen habe einen Punkt erreicht, an dem eine „kritische Masse der betroffenen Akteure glaubt, handeln zu müssen.“ Ähnlich Hope/Fraser, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 71 (71), über das Budget: „CFO’s (Chief Financial Officers, C. S.) place is at the top of their list of urgently needed reforms“. „Leidensdruck“ als Ursache für BenchmarkingErfolge sieht auch Rau, Mit Benchmarking, S. 71 ff. Modernisierung der Gerichtsverwaltung als Folge von „Problemdruck“ erkennt auch Hoffmann-Riem, NordÖR 1998, S. 324 (324). 347 So der Titel bei Hope/Fraser, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 71 ff.; Robin Fraser und Jeremy Hope sind gemeinsam mit Peter Bunce die Initiatoren des „Beyond Budgeting Round Table“ (BRRT), ausf. Hintergründe unter www.bbrt.org. 348 Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (79 f.). 349 Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (80). 350 Vgl. Hope/Fraser, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 71 (71): Budgeting „can lead to dysfunctional behaviour“. 351 Siehe dazu Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (81). 352 Vgl. Weber/Linder, controller magazin 2004, s. 224 (224 u. ö.).

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Entscheidend im Hinblick auf die Gerichte ist vor allem letzteres, daß nämlich auch und gerade die Budgetierung Fehlentwicklungen hervorruft, die Faktoren und Ziele, die außerhalb der finanziellen Größen liegen, systematisch ausblenden und in den Hintergrund drängen. Weil aber niemals nur das Budget den alleinigen oder allein entscheidenden Faktor des Erfolges darstellt, muß die Einseitigkeit der Betrachtung die Zerstörung des Erfolges bedeuten. Daher trifft hier das Beyond Budgeting das zentrale Anliegen in Gerichten, nämlich die dezentrale Leistungs- und Ressourcenverantwortung unter Verzicht auf Budgets im klassischen Sinn353. Wenn dies schon bei Wirtschaftsunternehmen eintritt, deren Primärziel immer der Gewinn ist und bei denen somit Geld- und Ressourcenverbrauch zumindest mittelbar mit dem als primär definierten finanziellen Erfolg in Zusammenhang steht, so muß dies erst recht für die Gerichte gelten, deren verfassungsrechtlicher Auftrag allerlei sein mag, aber nicht und schon gar nicht primär der finanzielle Erfolg in Form von Gewinn oder möglichst niedrigem Ressourcenverbrauch354. Unter dieser Betrachtung läßt sich zuspitzen: Die Budgetierung erweist sich (ebenfalls) als institutionalisierter Widerspruch zur Verfassung, weil sie das strukturelle Potential zur Zurückdrängung und Beseitigung der vom Grundgesetz vorgegebenen Ziele wie effektiver Rechtsschutz und rechtliches Gehör besitzt. Dieses Fazit ist unumgänglich, wenn man die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften aus der Praxis nicht völlig ignorieren will: „People know that if they follow the plan and meet their target they will survive. Conversely, if they fail to meet their contracted numbers they will be punished. (. . .) One large survey of U.S. companies concluded that managers either did not accept the budgetary targets and opted to beat the system, or they felt pressured to achieve the targets at any cost. This pressure is squeezing the life and spirit out of many organizations and their people. It’s the mentality that says, ,Do what I say or your future is at risk.‘ It is driven by greed and a need for instant gratification and immediate results.“355

353

Pack/Dörr, controller magazin 2004, S. 4 (4). Daher erscheint es geradezu verwunderlich, daß die Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 6.11.2003 eine Verbesserung des Kostendekkungsgrades in der Justiz durch Änderung von ZPO- und PKH-Vorschriften fordert (vgl. Beschluß zu TPO C.II.2.). Diese Forderung hätte man eher aus der Konferenz der Länderfinanzminister erwartet. Dieser Interessenberücksichtigung fehlt allerdings die Reziprozität: „Bei den Haushaltsberatungen werden die Meinungen der Justizministerkonferenz nicht besonders zur Kenntnis genommen.“, so Mäurer, DRiZ 2000, S. 65 (67). S. H.-B. Schäfer, DRiZ 1995, S. 461 (464): „Es wäre verfehlt, in der Kostendekkung der Justiz ein erstrebenswertes Ziel zu sehen.“ 355 Hope/Fraser, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 71 (71). Insbesondere die „immediate results“ passen gut zur SAP-Software, die sofortige Resultate verspricht, s. oben FN 58. Hinzu kommt opportunistisches Verhalten wie etwa „budget wasting“, vgl. Pack/Dörr, controller magazin 2004, S. 4 (5). 354

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

Demnach scheint die Einhaltung von Budgetzielen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung und Verfolgung von (verfassungsrechtlich vorgegebenen) Zielen ausgeschlossen. Entweder die Budgetierung wird mißachtet oder die sonstigen Ziele bleiben unerreicht. Vor diesem Hintergrund muß der soeben aufgezeigte Erst-recht-Schluß von Fehlentwicklungen in den Gerichten gegenüber den Wirtschaftsunternehmen nochmals verschärft werden, weil den Gerichten das in den gewinnorientierten Unternehmen wirkende Korrektiv, eine dauerhaft erfolgreiche Stellung am Markt erlangen zu müssen, fehlt. Wie die kritische Sichtweise des Beyond Budgeting und auch die Entwicklung der Balanced Scorecard belegen, entstand Handlungsbedarf deshalb, weil das bisherige Modell vordergründig und eben nur kurzfristig (im operativen Bereich) funktionierte, während es langfristig (strategisch) das Primärziel der dauerhaften Gewinnerzielung verfehlte. Budgets „lead to dysfunktional behaviour“356. Das Scheitern stabilisierter Gewinnerzielung kann aber in Wirtschaftsunternehmen sehr leicht abgelesen werden an den jährlichen Bilanzen. Wegen der geradezu trivialen Erfolgskriterien des Gewinns, der Kreditbelastung oder auch – vor dem Hintergrund des stets relevanten Shareholder-Values – der Ausschüttung an die Aktionäre, ist die Feststellung dieser Zielerreichung jedem schnell klar. Zur Frage der Dauerhaftigkeit braucht es dann nur noch einen Mehrjahresvergleich. Die Budgetierung kann daher insofern als kompatibel angesehen werden, als sie mit dem Unternehmensziel dieselben Bezugspunkte aufweist, nämlich finanzielle Parameter. Fehlentwicklungen durch finanzielle Budgetierung wirken sich auch am Ende finanziell im Ausbleiben dauerhafter Gewinne aus. Gänzlich anders liegt es in Gerichten: Hier ist nicht einmal klar, welchen Katalog von Zielen eigentlich die Rechtsprechung erreichen soll und in welchem Verhältnis diese Ziele zueinander stehen. Man wird sich angesichts Art. 19 Abs. 4 GG sehr schnell auf den subjektiven Rechtschutz als einem Ziel einigen können; doch bleibt dann unbeantwortet, ob hier eine schnelle, eine gründliche oder vor allem eine billige Entscheidung anzustreben ist. Eine Qualitätsdefinition richterlicher Tätigkeit steckt gerade einmal in den Kinderschuhen. Daher fehlt für die Gerichte ein der dauerhaften Gewinnerzielung in Wirtschaftsunternehmen vergleichbares, absolutes Kriterium, bei dessen Verfehlung unbestreitbar feststehen würde, daß gegengesteuert werden muß. Die systemimmanente, in der langfristigen (strategischen) Gewinnorientierung liegende (Selbst-)Begrenzung aller kurzfristigen (operativen) Steuerungsmethoden fehlt der Budgetierung in den Gerichten, weil es für die Verfehlung anderer Ziele keinen (absoluten) Indikator gibt. Aber selbst wenn es ihn gäbe, würde seine Registrierung angesichts der dargestellten fortschreitenden Freistellung der richterlichen Entscheidung von Kontrolle, sowohl intern im Kollegialspruchkörper wie extern im Instanzenzug, immer unwahrscheinlicher. Die Rechtsprechungsverwaltung 356

Hope/Fraser, Beyond Budgeting, S. XVIII.

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besitzt ebenso wie der Gesetzgeber, der ja diese Kontrollfreistellung systematisch betrieben hat, augenscheinlich kein Eigeninteresse der Sicherstellung der nicht-ressourcenrelevanten Ziele der Rechtsprechung, so daß auch von hier aus keine Begrenzung des ansonsten unbegrenzten Budgetprimats zu erwarten ist. Auch das „Volk“ als Gesamtheit der letztlich Betroffenen scheidet als eigentlich berufener Korrektor aus, weil ihm die Vorgänge und Zusammenhänge hinter den Gerichtsportalen kaum zugänglich sind. Die (Rechts-)Wissenschaft taugt ebenfalls nicht als Kontrollorgan, da sich – wie oben aufgezeigt357 – ihr Desinteresse an der Verfahrenswirklichkeit mit der Fokussierung auf die Obergerichte und obersten Bundesgerichte paart. Die millionenfachen Alltagsverfahren, in denen sich die Budgetierung am deutlichsten auswirken dürfte, liegen – schon aus Quantitätsgründen – jenseits des wissenschaftlichen Blickfeldes. Zudem fehlt die zuvor als Kompatibilität charakterisierte Übereinstimmung des Bezugspunkts von Budgetierung und (sonstigen) Organisationszielen. Dies ist nicht nur ein systematisches Problem: Denn die Budgetierung hat zwar auch zur Konsequenz, daß die budgetierten Einheiten größeren Spielraum bei der Mittelverwendung erhalten. Welchen Gebrauch sie davon machen, ist letztlich aber für die das Budget zuteilende Stelle irrelevant, sie fragt auch nicht danach, sondern allein, ob das Budget eingehalten worden ist. Die verlangte Rückmeldung hat daher allein Finanzbezug. Ob mit der Überschreitung des Budgets aber auch gründlichere oder „bessere“ Gerichtsentscheidungen erzielt wurden, ist daher ohne Bedeutung und kann auch die Budgetüberschreitung nicht rechtfertigen, weil dieses Argument nicht in den allein finanzorientierten Bezugsrahmen paßt. Eine Systemsteuerung, die wie die Budgetierung den Geld- und Ressourcenverbrauch zum allein relevanten Kriterium erhebt, kann auch nur auf der finanzorientierten Argumentationsebene widerlegt werden, weil Argumente einer anderen Ebene nicht gehört werden. Wer gegen den Vorwurf der Budgetüberschreitung einwenden kann, er habe mit dem erhöhten Verbrauch proportional weitaus größere Einnahmen erzielt und eine auf Jahre garantierte Kundenbindung erreicht, hat die Aussicht, sanktionsfrei gestellt oder gar belohnt zu werden. Wer dagegen „nur“ vorbringen kann, qualitativ „bessere“ Urteile gefällt und es den Beteiligten ermöglicht zu haben, nicht nur eine Nummer gewesen, sondern wirklich gehört worden zu sein, dem wird der, gemessen am Budget, unerlaubte Ressourcenverbrauch kaum „verziehen“ werden. Denn der vorgebrachten Rechtfertigung fehlt mangels Systemkonformität die Überzeugungskraft. Längere und gründlichere Verfahren, längere und auch für Laien verständliche Urteilsbegründungen bringen aber trotz erhöhten Ressourcenverbrauchs (Arbeitszeit von Richtern, Schreibkräften, Sachverständigenkosten, Auslagen 357

Vgl. oben § 1 III. 1.

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

von Zeugen, Benutzung von Gerichtssälen) keine höheren Gebühren. Ein Urteil im ersten Rechtszug bei einem Streitwert von 300 Euro führt gem. §§ 3 Abs. 1, 34 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1210 des Kostenverzeichnisses358 zu Gerichtskosten von 75 Euro, unabhängig davon, wieviel Ressourcen es gekostet hat. Daß man als Richter zwischen den Beteiligten besonders großen Rechtsfrieden gestiftet hat, spielt keine Rolle. Und an einer dauerhaften Kundenbindung ist man ohnehin nicht interessiert, weil das zutreffende Ziel möglichst geringe Eingangszahlen sind, und das nicht nur im Bereich des Strafprozesses. Während sich also die Fehlerfolgen der Budgetierung in Wirtschaftsunternehmen auch finanziell negativ niederschlagen und damit gegenüber der Unternehmensführung überzeugend dargestellt werden können, ist dies bei Gerichten nicht der Fall. Negative Konsequenzen einer hier praktizierten Budgetierung haben – von einer breitenwirksamen Demotivation des Personals einmal abgesehen359 – niemals auch negative finanzielle Auswirkungen, weil die richterliche Tätigkeit keine Einnahmekomponente in dem Sinne aufweist, daß mit einem bestimmten Ressourcenverbrauch eine geldwerte Folgewirkung zur Kompensation erzielt werden kann. Wie die KLR in der Verwaltung eine reine Ressourcenverbrauchsrechnung darstellt360, so ist auch die Budgetierung eine reine Ressourcenverbrauchsbegrenzung. Die Budgetierung ist daher aus Sicht der Rechtsprechungsverwaltung ein „unschlagbares“ Instrument, weil ihm innerhalb seiner Funktionslogik nichts entgegengesetzt werden kann361. All das, was mit der Balanced Scorecard oder den Begriffen des „Better“ oder „Beyond Budgeting“ verbunden ist, wäre niemals thematisiert worden, wenn die Fehlentwicklungen der Budgetierung oder der reinen KLR dauerhaft nicht auch den finanziellen Niedergang von Unternehmen bedeutet hätte. Die soziale Unternehmenskultur oder die drei im Konzept der Balanced Scorecard ergänzten Perspektiven362 wären – so die sich aufdrängende und wohl nicht widerlegbare Hypothese – rein akademischer Beschäftigung der empirischen Sozialwissenschaften ohne Interesse für Wirtschaftsmanager vorbehalten geblieben, wenn sie nicht zugleich einen dauerhaften Geldwert besäßen.

358

In der seit 1.7.2004 gültigen Fassung, BGBl. I, 2004, S. 724, 736. Siehe zur miesen Stimmung in der Justiz Mackenroth, ZRP 2003, S. 24 ff. 360 Siehe oben FN 28. 361 Dem fehlt nicht eine gewisse Widersprüchlichkeit, weil sich die Spitzen der Rechtsprechungsverwaltung zwar – jedenfalls noch teilweise – als Interessenvertreter der Rechtsprechung verstehen, vgl. etwa Dästner, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 201 (207 f.), dem aber kaum gerecht werden, sondern vielmehr vorauseilenden Gehorsam bei der Verknappung der Finanzmittel praktizieren. Zum Beleg siehe etwa zuvor FN 354, aber auch die ausdrückliche Absage des nordrhein-westfälische Justizministers an seine Aufgabe zur Interessenvertretung der Richter, vgl. Niewerth, RiStA 1/2004, S. 13. 362 Siehe oben bei FN 185. 359

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Da aber die Merkmale richterlicher Tätigkeit, soweit sie nicht rein quantitätsbezogen sind, ihrerseits keinen positiven Geldwert haben, spielen sie für die Finanzperspektive keine Rolle. Sie werden daher auch nicht „nachgefragt“, so daß eine Rechtfertigung des Richters nicht (mehr) für qualitative Inhalte gefordert wird, sondern nur noch für den quantitativen „Output“363. Alles, was ein Richter in amtlicher Eigenschaft tut, kostete Geld und Ressourcen; zumindest verbraucht er seine geldwerte Arbeitszeit. Er kann die Einnahmen nur durch Erhöhung des Streitwertes steigern, der weithin seinem Einfluß entzogen ist. In den Bereichen, wo dies (in den Grenzen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und des Willkürverbots364) dem Richter überlassen bleibt (etwa in der Verwaltungsgerichtsbarkeit365), gehört die Streitwertfestsetzung (§§ 24 f. GKG) natürlich zum Bereich der richterlichen Unabhängigkeit und darf ebenfalls nicht durch Budgets gesteuert werden. Der Richter kann daher nur dadurch budgetwirksam handeln, indem er den Ressourcenverbrauch pro Fall einschränkt: 1. Er muß mehr arbeiten (Arbeitszeitverlängerung). 2. Er muß seine eigene Arbeitszeit pro Fall verkürzen, um mehr Fälle bearbeiten zu können (effektiv möglich etwa durch Verzicht auf mündliche Verhandlung). 3. Er muß die Inanspruchnahme von Personal der Serviceeinheiten verringern (Verzicht auf Protokollführer, Schreibkräfte). 4. Er muß Auslagen wie Zustellungsgebühren, Zeugen- und Sachverständigenkosten möglichst gering halten, soweit sie nicht vom kostenpflichtigen Beteiligten zu tragen sind (hohe Relevanz bei PKH-Gewährung!). 5. Die Beschluß-/Urteilsabfassung muß kurz ausfallen: Verzicht auf Bestandteile, soweit gesetzlich erlaubt (Tatbestand und Gründe entfallen lassen). Diese kurze und nicht abschließende Aufzählung belegt, welche qualitativen Abstriche mit budgetsichernden Entscheidungen eines Richters verbunden sind. Nimmt man die zuvor dargestellte „Entfesselung der Dritten Gewalt“ durch den Gesetzgeber hinzu, so bleibt als Resumée: Nachdem die Qualitätssicherung durch Rechtsprechung weithin aufgehoben worden ist, wird sie nunmehr durch eine reine Quantitätssicherung der Exekutive ersetzt. Daher gilt nicht für die Gerichte: „That the budget is past its sell-by-date is not in dispute“366. Gerade dann, wenn die Wirtschaft längst die Nachteile der Budgetierung als „tool of repression rather than innovation“, „unnecessary evil“ 363

Gleichsinnig Bilsdorfer, NJW 1999, S. 3096. Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164 Rn. 6 m. w. Nw. 365 Vgl. den nicht verbindlichen (BVerfG, [3. Kammer des Zweiten Senats], BayVBl. 1994, S. 47 [49]) Streitwertkatalog, abgdr. in NVwZ 1991, S. 1156 ff., und bei Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 164 Rn. 14. 366 Hope/Fraser, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 71 (71). 364

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

und „figures of hate“367 erkannt hat und sich langsam von ihr verabschiedet, beginnt die Rechtsprechungsverwaltung mit ihrer Einführung368: ein weiterer Beleg für die Dritte als der „verspäteten“ Gewalt in der Wettbewerbsgesellschaft369. Freilich ist auch hier Differenzierung nötig. Das zuvor gezeichnete Bild kann keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Die Budgetierung wird nach wie vor „zu den wichtigsten Instrumenten dezentraler Steuerung von Organisationen“ gezählt370. Klar muß jedoch sein, daß die herkömmliche Budgetierung nunmehr über 100 Jahre alt ist371 und keine Zukunft mehr hat372, da sie eine stark auf „command and control“ ausgerichtete, bürokratische und detaillierte Jahresplanung mit Kontrollen für alle Organisationseinheiten einer Unternehmung darstellt373. Aber selbst wenn man von einem „better budgeting“374 ausgeht, lassen sich die disfunktionalen Wirkungen der Budgetierung in den Gerichten nicht beseitigen. Denn sie bleibt zentral mit der Profiterzielung verbunden, was besonders plastisch in der Verwendung des Begriffs „Profit Planning“ zum Ausdruck kommt, der sich in der englischsprachigen Literatur anstelle von Budgeting findet375. Insbesondere die Orientierungsfunktion376 der Budgetierung erscheint im Hinblick auf die exekutive Festsetzung des Budgets in den Gerichten verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Hierauf braucht aber hinsichtlich der Funktionalität der Budgetierung nicht abgestellt zu werden, denn entscheidendes Problem sind die disfunktionalen Wirkungen opportunistischen Verhaltens377, für die eine Kompensationsmöglichkeit äußerst fraglich ist. Wie auch immer diese auszusehen hat, sie kann und muß bisher allein durch den einzelnen gesetzlichen Richter geleistet werden. Dessen Einzelkämpferposition bestand auch bisher 367 Nachweise der Zitate bei Hope/Fraser, Beyond Budgeting, S. XVII; Horváth, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 4 (4). 368 Dies gilt generell für den öffentlichen Sektor, vgl. nur Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), Heft 3 (i. E.), unter I.: „Die ,managerialistischen‘ Beratungskonzepte werden im öffentlichen Sektor oft erst umgesetzt, wenn sie im privaten Sektor schon wieder auf dem Rückzug sind“. 369 Ritter, NJW 2001, S. 3440 ff. 370 Pfaff, „Budgetierung“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 231 (231). Krit. zur Abschaffung jeglicher Budgetplanung auch Pack/Dörr, controller magazin 2004, S. 4 (5). 371 Daum, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 77 (79); Horváth, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 4 (7). 372 Horváth, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 4 (8). 373 Horváth, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 4 (4). 374 Horváth, Controlling & Management, Sonderheft 1/2003, S. 4 (7 f.). 375 Vgl. nur den Titel bei Welsch/Hilton/Gordon, Budgeting. Profit Planning and Control; Ewert/Wagenhofer, Unternehmensrechnung, S. 464. 376 Vgl. oben bei FN 329. 377 Ewert/Wagenhofer, Unternehmensrechnung, S. 466 f.

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schon gegenüber der Rechtsprechungsverwaltung, hatte aber mit dem Abwehrmechanismus des § 26 Abs. 3 DRiG zumindest eine wirksame Verteidigungsoption. Gegenüber den systematischen Wirkungsweisen der Budgetierung kann es ein vergleichbares Schutzinstrumentarium nicht geben. Er wird für sich allein gestellt bleiben und damit überfordert werden: „One of the most important jobs ahead for top management will be to balance the conflicting demands on business being made by the need for both short-term and long-term results, and by the corporation’s various constituencies: customers, shareholder, knowledge, employees and communities.“378

Die Balance zwischen den Erfordernissen von kurz- und langfristigen Ergebnissen wird dem einzelnen Richter zugewiesen, der damit die Eigenschaften eines Top-Managers besitzen und dessen Aufgabe erfüllen muß. Diese Situation wird noch erschwert, indem er noch einen Ausgleich innerhalb der kurzfristigen Ziele in jedem einzelnen Verfahren finden muß zwischen Schnelligkeit, Gründlichkeit und ökonomischen Parametern. 3. Budgetierung als verfassungswidriges Anreizsystem Noch einmal: Ziel der Budgetierung ist es, einer dezentralen Einheit Finanzmittel zu eigener, autonomer Verwendung zuzuteilen, die ihre Aufgaben sodann mit diesen nicht mehr vermehrbaren Mitteln in einem bestimmten Zeitraum (Haushaltsjahr) zu erfüllen hat. Faktisch bedeutet dies eine Begrenzung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, die typischerweise ergänzt wird durch die Möglichkeit, überplanmäßige Einnahmen oder durch Unterschreiten des Budgets erwirtschaftete Reserven nicht an die Zentraleinheit abführen zu müssen, sondern im kommenden Jahr zusätzlich zum dann erneut zugeteilten Budget verwenden zu dürfen. Ein solches System ist für die richterliche Tätigkeit in der Rechtsprechung ausgeschlossen, weil es die durch die richterliche Unabhängigkeit gesicherte Entscheidungsfreiheit und (damit) den Justizgewährleistungsanspruch des Bürgers beseitigen würde. Dies ergibt sich zunächst zwingend für die Situationen, in denen es einer finanzielle Aufwendungen erfordernden Entscheidung des Richters bedarf, wie sie typischerweise eine Beweisaufnahme, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens, darstellt. Sind die hierfür dem zuständigen Einzelrichter oder Spruchkörper zugeteilten Budgets aufgebraucht, müßte die Beweisaufnahme unterbleiben oder verschoben werden. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wäre ebenso evident wie die der richterlichen Unabhängigkeit379, denn es käme einer verdeckten Weisung 378

Drucker, FAZ v. 9.11.2002, S. 61. Im Ergebnis auch Haberland, DRiZ 2002, S. 301 (309); Bernsdorff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG II, Art. 97 Rn. 35 ff. 379

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

gleich, eine bestimmte Entscheidung, nämlich die Erhebung des Beweises, nicht zu treffen380. Im Hinblick auf die Honorierung richterlicher Tätigkeit (allein) in der Gerichtsverwaltung stellte Piorreck fest: Das „Anreiz- und Belohnungssystem funktioniert“381. Dieser Befund klingt zunächst unproblematisch. Gleichwohl ist mit der Feststellung deutliche Kritik verbunden, und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen weil Beförderungen des Richters nicht oder kaum wegen ihrer rechtsprechenden Tätigkeit und entsprechender Fähigkeiten erfolgen, sondern wegen Verwaltungsarbeit382. Zum anderen, weil die damit verbundenen Anreizwirkungen von der Exekutive zugeteilt werden. Vor diesem Hintergrund ist das Funktionieren, sogar schon die Existenz eines Anreizsystems im Hinblick auf Art. 97 Abs. 1 GG fragwürdig und wird durch die Budgetierung noch verstärkt. Anknüpfend an die zuvor beschriebene Motivations- und Koordinationsfunktion der Budgetierung ist die Setzung von Anreizen ein zentrales Steuerungsinstrument, weil das bloße Vorhandensein von Budgets noch keine verhaltenssteuernde Wirkung hat. Vielmehr müssen sie in Anreizsysteme eingebunden werden, die gerade das Einhalten des Budgets als für den Betroffenen vorteilhaft darstellen und Überschreitungen sanktionieren383. Daher ist auch das von der Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen geplante, (nur) KLR-gestützte Controlling, das Steuerung aufgrund von Rechnungsgrößen zum Inhalt hat, solange unwirksam, wie es keine Anreize schafft. Die Wirkungsweise von (etwa KLRerzeugten) Daten läßt sich zudem auch nur analysieren, wenn man dabei die zugrunde liegende Organisationsstruktur in Verbindung mit den konkreten Modalitäten der Anreizsysteme berücksichtigt384. Die Instrumente der NSM dienen somit der Steuerung und einer Veränderung von Verhaltensweisen; und sie gehen von der Exekutive aus. Dies ist per se äußerst bedenklich, weil es dem Grundsatz entgegensteht, daß exekutives Handeln (der Rechtsprechungsverwaltung) weder Weisungscharakter noch eine mittelbare psychologische Einflußnahme auf den Richter besitzen darf, eine Entscheidung in einem bestimmten Sinne zu treffen. Die Entwicklung von Anreizsystemen ist aber begriffsnotwendig (sogar) systematische psychologische Einflußnahme, die 380

So i. E. auch Dury, DRiZ 2004, S. 239 (242). So Piorreck, DRiZ 1993, S. 109 (111). 382 Vgl. nur oben § 5 II. 1. (FN 45). 383 Fehlende Anreize können auch den Erfolg einer Balanced Scorecard einschränken, vgl. von Chiari/Kipker, controller magazin 2004, S. 36 (40). 384 Ewert/Wagenhofer, Unternehmensrechnung, S. 467; dies entspricht der „Personalökonomie“, die davon ausgeht, daß Organisationsmitglieder nicht nur ihre Pflicht tun, sondern im Eingeninteresse handeln und daher auf Anreize des Personalmanagements reagieren, vgl. Schneider/Sadowski, Die Verwaltung 37 (2004), S. 377 (379). 381

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin

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sich demnach von richterlicher Tätigkeit fernhalten muß. Weil aber Budgetierung und Controlling insgesamt nicht ohne Anreizsteuerung auskommen385, ist der Konflikt besonders dieser Managementinstrumente mit Art. 97 GG unausweichlich. Dies gilt in besonderem Maße: Die der Budgetierung innewohnende Koordinationsfunktion ist am effektivsten umgesetzt in einem top-down-System, das durch bottom-up-Budgetierung beseitigt oder durch Budgetierung im Gegenstromverfahren abgemildert werden kann386. Die beiden letzteren Alternativen scheiden jedoch weithin aus. Denn die Bestimmung des Ressourcenverbrauchs von „unten“, also vom Richter aus, ist der status quo, der ja gerade beseitigt werden soll. Ein Gegenstromverfahren ist zwar denkbar und auch die ideelle Grundidee der Budgetierung auf der Basis eines Kontraktmanagements, scheitert aber im Hinblick auf Art. 97 GG an einem fundamentalen faktischen Hindernis: der Zahl von über 21.000 „gesetzlichen“ Richtern in der Bundesrepublik, die in ihrer Gesamtheit niemand an der Budgetierung beteiligen kann. Aber selbst wenn dies gelänge, wäre jede bindende Vereinbarung mit dem Justizgewährleistungsanspruch des Bürgers unvereinbar, weil selbst das „knappe Gut Rechtsgewähr“387 vielleicht faktischer Begrenzung durch Organisation, Richterzahl etc. unterliegt388, keinesfalls aber unter Kontraktvorbehalt zwischen Richter und Rechtsprechungsverwaltung steht. Allenfalls rechtlich unverbindliche Dokumentationen einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage sind denkbar389. Daher ist der Einführung eines Anreizsystems auch in Form oder in Verbindung mit der Budgetierung inhärent, die Abweichung individueller Ziele zwischen Unternehmensmitarbeitern (hier: Richtern) und Unternehmensführung (hier: Rechtsprechungsverwaltung) zugunsten letzterer einzuschränken oder zu beseitigen390. Denn die NSM sind auch und gerade ihrer Herkunft nach als Steuerungsinstrumente für die Verwaltungsspitze, aber nicht primär für die Freiheitsvermehrung der einzelnen Abteilungen gedacht. Letztere wird zwar als notwendiges Durchgangsstadium mittels Dezentralisierung der Mittelbewirtschaftung erreicht, aber nur als Mittel zum Zweck391, nicht aber um ihrer selbst willen, weil sie nicht ohne entsprechendes KLR-gestütztes Controlling erfolgt. Die Entscheidungsfreiheit der dezentralisierten Einheit wird mit Verantwortlichkeit 385 Vgl. C. Hofmann, „Anreizsysteme“, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 69 (69). 386 Zu den Begriffen s. Ewert/Wagenhofer, Unternehmensrechnung, S. 484 ff. 387 Vgl. Zöller-Gummer, Einl GVG Rn. 19. 388 Aber sich selbst aus diesen Grenzen keine Nachteile für den betroffenen Bürger ergeben dürfen, vgl. nur BVerfGE 36, 264 (275). 389 So zutreffend U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (323). 390 Vgl. C. Hofmann, Stichwort Anreizsysteme, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 69 (69). 391 Ebenso M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (22 f.).

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

erkauft, die ihrerseits mit Sanktionsmechanismen Anreize setzend aktualisiert wird; und dieses System erfaßt notwendig auch die Richter. Denn deren Arbeit steht im Mittelpunkt der Justiz, so daß jede Reform, die sie aussparte, ihr Ziel verfehlen müßte392. Gleichzeitig muß bezüglich der Richter klar sein, daß Anreizarten zur Steigerung intrinsischer Arbeitsmotive ausscheiden: Der herkömmliche Freiraum für Richter und ihre autonome Arbeit ist bereits am Limit393. Folglich kann es nur um extrinsische Motivationen gehen, die durch die Folgen der Arbeitsleistung aktiviert werden394. Hier aber scheidet der klassische Anreiz in Unternehmen, das variable Gehalt oder die Provision, aus: Das feste, von exekutiver Entscheidung unabhängige Gehalt des Richters ist verfassungsrechtlich determiniert395. Aber selbst wenn man sonstige Anreize fände, so bleibt das für Anreizsysteme typische Problem bestehen, nämlich die Wahl der Bemessungsgrundlage und der Entlohnungsfunktionen396. Sie müßte in jedem Fall fehlerfrei und objektiv meßbar sein, um Interpretationsnotwendigkeiten auszuschließen. Denn diese wären jederzeit einer Manipulation zugänglich und könnten nicht ohne die Exekutive erfolgen, was wieder eine psychologische Einflußnahme auslösen würde. Es käme auch hier zu „Tänzen um das Wohlwollen von Dienstvorgesetzten“397 oder eben Budgetverwaltern. Denkbar wäre die Erledigungszahl als objektive Größe. Diese liegt aber im absoluten Kernbereich richterlicher Tätigkeit und darf zwar festgestellt und verglichen werden, aber niemals Grundlage für Belohnungen oder Sanktionen durch die Exekutive sein398. Freilich ist auch der Richterberuf nicht frei von Anreizsystemen. Die Beförderung ist das zentralste von ihnen, die nur über die exekutive Beurteilung führt. Selbst wenn man es sich nicht so einfach machen will wie das Bundesverfassungsgericht399, so kann die Zulässigkeit einer Beförderung eines Richters, die zur Sicherstellung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 392

So trefflich Röhl, JZ 2002, S. 838 (843). Ebenso Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (446), der daher zu dem Schluß kommt, daß die NSM insoweit „eigentlich nur kontraproduktiv wirken“ können. 394 C. Hofmann, Stichwort Anreizsysteme, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 69 (71). 395 BVerfGE 12, 81 ff.; evident verfassungswidrig daher die Option von Sodan, NJW 2003, S. 1494 (1496), die Richter nach den exekutiven Beurteilungen zu bezahlen. Erwägenswert erscheint es, Prämien für besonders häufig von den Parteien im Einzelfall per Gerichtsstandsvereinbarung bestimmte Richter zu gewähren, s. Weth, FS Lüke, S. 961 ff.; ihm tendenziell folgend Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (448). 396 C. Hofmann, Stichwort Anreizsysteme, in: Küpper/Wagenhofer (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensrechnung, Sp. 69 (73). 397 Siehe Prantl, SZ vom 20./21.5.1989. 398 Vgl. Kissel, GVG, § 1 Rn. 66, 96 m. w. Nw. 393

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin

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GG400 auf der Basis dienstlicher Beurteilungen erfolgen kann, nicht bestritten werden. Sie ist zudem durch die Ämterstruktur in § 19a DRiG i. V. m. dem Bundesbesoldungsgesetz gesetzlich determiniert. Genau dies unterscheidet jede Form einer in ein Anreizsystem integrierten Budgetierung von einer formalen „Übertragung eines Amtes mit einem höheren Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamts“ (§ 75 Abs. 1 DRiG), was auch eine Ermächtigung zu solcher Budgetierung durch den Gesetzgeber nicht beseitigen könnte. Letztlich bleibt nur die Erkenntnis, daß sich richterliches Verhalten einer organisierten exekutiv beeinflußten Anreizsteuerung entzieht. Die richterliche Unabhängigkeit verbietet es jenseits aller praktischen Schwierigkeiten von Rechts wegen, rechtsprechende Tätigkeit durch außergesetzlich beeinflußte Belohnung oder Sanktion zu steuern. Mit dieser Absage an die Etablierung von Anreizsystemen gegenüber Richtern gerät das Konzept der Budgetierung und des Controllings der Rechtsprechung insgesamt ins Wanken. Das gleiche gilt für die sogenannte „Druckhypothese“ als einem augenscheinlich gemeinsamen Grundmechanismus der laufenden Reformen in den OECDStaaten zur Steigerung der administrativen Leistungsfähigkeit: Danach führt steigender Druck zu erhöhter Leistungsfähigkeit401. Dies dürfte nicht nur der menschlichen Alltagserfahrung entsprechen, sondern gilt auch für den Rechtsstaat grundgesetzlicher Prägung: Die aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Kontrolldichte erhöht zwangsläufig den Rechtmäßigkeitsdruck auf die Verwaltung. Dabei läßt sich differenzieren nach internem Druck durch gezieltes Management etwa mittels Controlling und Budgetierung, aber auch die vorgenannten Anreize402, und externem Druck, etwa durch marktähnliche Mechanismen. Letzterer dürfte in den Gerichten angesichts des bisherigen Fehlens jeglicher Konkurrenz zum staatlichen Gerichtsmonopol403 kaum wirksam sein. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der Erhöhung internen Drucks mittels Budgetierung und Rechnungslegung. Dieser aktuelle, generell zu beobachtende Entwicklungstrend hat in der Verwaltung zu einer Ersetzung der klassischen Verwaltungshierarchie im Weberianischen Sinne durch eine andere Form der Hierarchie geführt, die auf Managementfunktionen basiert404, vor allem „harte‘ BWL-An399 Das lapidar behauptet, die Beförderung des Richters sei hinsichtlich des Einflußpotentials der Exekutive etwas anderes als die Zuweisung unterschiedlicher Besoldungsstufen innerhalb der gleichen richterlichen Tätigkeitsebene, BVerfGE 12, 81 (97 f.). Warum? 400 Siehe R. Böttcher, in: Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg25, § 1 GVG (2002) Rn. 31, der auch noch die Justizgewährleistungspflicht des Staates als Rechtfertigung der dienstlichen Beurteilung anführt, weil damit auch die Verpfichtung verbunden sei, die „unterschiedlichen Richterämter bestmöglich zu besetzen“. 401 Bouckaert, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 22 (25). 402 „Es geht daher nicht nur um Druck, sondern auch um ,Zug‘“, so Bouckaert, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 22 (26). 403 Diesbezüglich aber warnend Ritter, NJW 2001, S. 3440 ff.

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

sätze“ zum Einsatz bringt und „weiche“, enthierarchisierende Elemente zurückstellt405. Damit verbunden ist eine Schwerpunktverlagerung von der Verantwortung hin zu Effizienz406. Mag man diese Entwicklung in der Verwaltung als bloßen Methodenwechsel ansehen, gewinnt sie in den Gerichten doch verfassungsrechtliche Brisanz. Denn wenn es zutrifft, daß auch die NSM eine Form der Hierarchie erzeugen oder darstellen, so geraten sie in Widerspruch zur egalitär angelegten, unabhängigen Rechtsprechung allein durch den „gesetzlichen Richter“. Während also in der Verwaltung die Frage entscheidend wird, wann Druck dysfunktional wird407, muß die Problematisierung in den Gerichten noch früher ansetzen: Schon die Stoßrichtung des Drucks ist von verfassungsrechtlicher Bedeutung. Doch auch hier gilt die Antwort aus Art. 97 Abs. 1 GG: Nur die Gesetzmäßigkeit seiner Entscheidung ist zulässiges Ziel internen wie externen Drucks auf den gesetzlichen Richter, nicht aber die „Wirtschaftlichkeit“ oder das „Kostenbewußtsein“ der richterlichen Tätigkeit. 4. Insbesondere die „Wirtschaftlichkeit“ als unzulässiges Ziel von Anreizsystemen Die Wirtschaftlichkeitsprüfung als solche ist ein Dilemma, denn „Wirtschaftlichkeit ist ein formales, inhalts- und konturenarmes, offenes Gebot zur Optimierung einer Relation von Mittel und Zweck“. Nur der zusätzliche Bezugspunkt eines bestimmten Zweckes gibt ihm inhaltliche Aussagekraft. Optimierungsgebote können stets in unterschiedlichem Ausmaß erfüllt werden, so daß es keine diesbezüglich einzig richtige Entscheidung gibt408. Vor allem in Gerichten ist die Entscheidungsfindung aber keinesfalls und schon gar nicht primär durch ein monetäres Verhältnis von Zweck und Mittel definiert. Soll demnach die Wirtschaftlichkeit richterlichen Handelns als Ziel proklamiert werden, kann dies nur als abstraktes Prinzip erfolgen. Sobald dies konkretisiert und damit überprüfbar gemacht werden soll, bedarf es der Benennung von Bezugsgrößen. Wer demnach auf die Erreichung von Wirtschaftlichkeit zusteuern will, muß das Ziel und damit die einzig richtige Entscheidung im Einzelfall kennen. Solches existiert: Gesetzliche Regeln ohne Ausgabenspielraum, Verwaltungsvorschriften, klar definierte Zahlungszwecke oder Maßnahmen geringer Komplexität sind eindeutig, Kostenalternativen leicht quantifizierbar. Daher bevor404 Bouckaert, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 22 (26 f.); Dahm, Das Neue Steuerungsmodell, S. 95 ff. 405 Reichard, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 87 (95). 406 Vgl. Pfiffner, FS König, S. 443 (453). 407 Bouckaert, in: Jann u. a. (Hrsg.), Status-Report, S. 22 (28). 408 So Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (256) m. umf. Nw.

VI. Budgetierung als Steuerungsinstrument schlechthin

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zugt etwa die Praxis der Rechnungshofkontrolle solche Sparsamkeitsprüfungen409. Aber dies alles hat mit dem Alltag der rechtsprechenden Tätigkeit nichts zu tun410. Rechtsprechung zeichnet sich schon faktisch durch einen enormen Entscheidungsspielraum des Richters aus. Dies gilt aber auch rechtlich, da die Rechtsprechungsentscheidungen wegen Art. 92 GG allein dem Richter überantwortet sind und insbesondere einfachgesetzlich durch die Prozeßordnungen kaum determiniert werden411. Wer demnach einen Richter zu wirtschaftlichem Handeln anreizen will, muß – zumindest abstrakt – festlegen, welche Entscheidung er im Einzelfall treffen soll. Denn ansonsten fehlt ein Maßstab, an dem man das Erreichen oder Verfehlen von Wirtschaftlichkeit festmachen könnte412. Die Vorgabe von Entscheidungen für Richter ist aber wegen des absoluten Weisungsverbots ausgeschlossen. Daher scheiden auch Maßstabsmodifikationen aus, wie sie bei der Rechnungshofkontrolle denkbar wären, denn auch diese setzen Konkretisierung und damit eindeutige Ziele (Soll-Werte) voraus; nur dann kann ihre wirtschaftlich angemessene Realisierung geprüft werden413. Letztlich bleibt somit nur die Sparsamkeit im Sinne möglichst billiger Erledigung414, wie sie etwa durch den Blick auf die Erledigungszahlen der Richter praktiziert wird: Wer für sein R1-Gehalt viele Fälle erledigt, reduziert die Richterpersonalkosten pro Fall. Ein Mehr an Wirtschaftlichkeit, dessen Feststellung man sogar noch als zulässig ansehen kann, weil die Parameter dieses Wirtschaftlichkeitsurteils feststehen415. Damit wird deutlich, daß die Steuerung hin zur Wirtschaftlichkeit richterlichen Handelns ohne Festlegung von Rechtsprechungs(verfahrens)inhalten nicht auskommt. Wer die wirtschaftlichere Entscheidung herbeiführen will, muß diese Entscheidung als Handlungsziel definieren. Die Determinierung von Handlungszielen rechtsprechender Tätigkeit ist jedoch entweder selbst Rechtsprechung und damit dem richterlichen Monopol unterworfen oder Gesetzgebung. Exekutive Anreize ohne gesetzliche Ermächtigung für wirtschaftliches Handeln eines Richters sind daher ausgeschlossen.

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Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (257). Auch wenn das „Sparsamkeitsdiktat“ für die Gerichte „schon immer“ bestand, so Piorreck, BJ 2003, S. 64 (68 f.). 411 Siehe nochmals oben § 5 III. 1. 412 Zur „Mehrdeutigkeit“ des Rechtsbegriffs „wirtschaftlich“ s. K. Walther, BayVBl. 2004, S. 167 ff. 413 Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (260). 414 Siehe etwa Behrens, RuP 32 (1996), S. 1 (3). 415 Welchen Stellenwert dies dann etwa im Rahmen einer dienstlichen Beurteilung einnimmt, ist damit freilich noch nicht geklärt. 410

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

5. Lösung durch Entpersonalisierung und Kollektivierung der Anreize und Sanktionen? Hierauf reagiert die Praxis zum Teil durch Distanzierung vom einzelnen Richter. Budgetierung und KLR sowie das darauf aufbauende Controlling sollen vom einzelnen Spruchkörper abstrahiert werden und nur das Gericht als Gesamtheit betreffen. Zunehmende Aggregierung der gewonnenen Daten soll so die Entscheidung des Einzelfalls als zentrales Problemfeld der richterlichen Unabhängigkeit aus dem Fokus der Betrachtung der Rechtsprechungsverwaltung heraushalten. Hierin liegt ein grundsätzlich gangbarer Weg. Zwar muß auch dann beachtet werden, daß die von der richterlichen Unabhängigkeit geschützten Inhalte richterlicher Tätigkeit nicht durch Kollektivierung dem Zugriff der anderen Staatsgewalten anheim gegeben werden können. Gleichwohl müssen diesbezüglich andere Maßstäbe gelten, weil auch die Rechtsprechungsabteilungen der Gerichte mit verfassungsrechtlicher Rückendeckung in Art. 92 Hs. 2 GG in die organisatorische Einheit „Gericht“ eingebunden sind. Daher kann es zulässig sein, Maßstäbe zur Aktualisierung dieser Organisationsgebundenheit des Richters zu setzen, soweit sie vom Einzelfall abstrahiert sind und dessen Entscheidung nicht mitdeterminieren. Dem einzelnen Richter muß jederzeit die repressions- und sanktionsfreie Option verbleiben, dem Einzelfall gerecht zu werden und damit die infolge der Budgetierung begrenzten Ressourcen des Gerichts über den zugrunde gelegten Durchschnitt zu belasten. Dies ist nicht nur eine Frage der Unabhängigkeit des Richters, sondern auch des Justizgewährleistungsanspruchs des Bürgers, dessen Einschränkung nicht mit unzulänglicher Organisation der Gerichte oder Geldmangel gerechtfertigt werden kann416. Hierbei besteht zwar die Gefahr kollegialen Drucks, der die Freiheit des einzelnen Richters unter Umständen nicht unerheblich einzuschränken vermag, weil man sich einem entsprechenden schleichenden Druck nur schwer entziehen kann417. Hier zeigt sich sodann erneut die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung, weil mit der systematischen Zulassung kollegialer Mit„Entscheidung“ eine Einschränkung des Freiraums des einzelnen Richters verbunden ist, zumindest sein kann, und auf diese Weise eine partielle Kollektivierung der Ausübung der richterlichen Unabhängigkeit eintritt418. Dies stellt aber einen deutlichen Systemwechsel im Vergleich zur bisher rein individuell verstandenen Unabhängigkeitsgarantie dar, die jeden anderen als den gesetzlichen Richter von der Entscheidungsbeeinflussung ausschließt. Dies wird mit der Zulassung auch nur mittelbarer Konsequenzen für das Gesamtgericht infolge von 416 417 418

BVerfGE 36, 264 (275); jüngst BbgVerfG, NVwZ 2003, S. 1379 f. Vgl. Nordmann, NordÖR 2002, S. 187 (189). Ähnlich Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (245).

VII. Die NSM unter Gesetzesvorbehalt

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Entscheidungen des einzelnen Richters anders. Auf Dauer wird sich kaum ein Richter dem daraus resultierenden Anpassungsdruck entziehen und sich konsequent einer verstärkt ressourcenverbrauchenden Arbeitsweise bedienen können. Dies dürfte punktuell auch bisher schon der Fall sein419, aber keinesfalls ein mit der Budgetierung potentiell eintretendes Ausmaß erreichen. Daher bedarf ein solcher Systemwechsel der gesetzgeberischen Legitimation, die ausdrücklich auch die erlaubten Budgetierungsebenen (unter Ausschluß der einzelnen Richter und Spruchkörper) sowie die Sanktionsmechanismen der Budgetierung festlegt. Ein sich daraus ergebender Gruppendruck wäre als notwendige Konsequenz einer solchen Regelung von der Entscheidung des Gesetzgebers mitumfaßt und daher zulässig. Die darin liegende Verantwortungsverschiebung zu Lasten des Richters, indem seine Unabhängigkeit von strukturellem Schutz entbunden würde und die Wahrung der Unabhängigkeit im Einzelfall von ihm allein sichergestellt werden müßte, könnte kaum als unverhältnismäßig angesehen werden. Entscheidend ist aber, daß die Auslagen in Rechtssachen420 von jeglicher Begrenzung auch und gerade durch Budgetierung unberührt bleiben. Dabei muß auch den Gerichten als budgetierten Einheiten die Möglichkeit eröffnet werden, Vergütungen für besondere Leistungsverbesserungen zu erhalten, mit denen etwa ein erhöhter Ressourcenverbrauch ausgeglichen werden kann. Diese dürfen aber nicht erst aufgrund meßbar eingetretener, tatsächlicher Qualitätsverbesserungen erfolgen, sondern müssen schon allein aufgrund des Nachweises besonderer prozeduraler Anstrengungen gewährt werden. So wäre beispielsweise das dokumentierte Bemühen um Leistungsverbesserungen (etwa hohe Fortbildungsquote, Organisation von Qualitätszirkeln etc.) bereits zu „belohnen“. Dies würde auch die Inhaltsneutralität der exekutiv gewährten Mittel sicherstellen.

VII. Die NSM unter notwendigem, aber nicht hinreichendem Gesetzesvorbehalt Soweit ersichtlich kommt bisher einzig Berlit das Verdienst zu, die so zentrale Frage eines Gesetzesvorbehalts für die NSM in den Gerichten thematisiert zu haben421. Er kommt zu dem Ergebnis, es bestehe „kein besonderer Gesetzesoder Parlamentsvorbehalt für die Einführung von Elementen neuer Steuerungsmodelle“. Ihm ist jedoch auf der Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse zu 419

Vgl. nur den Hinweis von Röhl (oben FN 331). Vgl. oben vor FN 333. 421 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321 f.); allerdings fragten schon Häuser, BJ 2000, S. 255 (257), und M. Bertram, MHR 2/1998, S. 22 (24) – allerdings ohne Spezifizierung – nach den Rechtsgrundlagen der NSM. 420

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

widersprechen. Zudem tragen seine – zum Teil widersprüchlichen – Argumente das Ergebnis nicht, was nicht zuletzt daran liegt, daß er unzureichende Konsequenzen aus den auch von ihm anerkannten Gefahren der NSM für die richterliche Unabhängigkeit zieht. Berlit vernachlässigt die zwingende Beteiligung der Exekutive als Rechtsprechungsverwaltung an allen Instrumenten der NSM, wofür diese gegenüber den Richtern gesetzlicher Ermächtigung bedarf. Er selbst betont zutreffend, daß die „Kompetenz zur ,Standardsetzung‘ bei der Rechtsprechung (. . .) weder der ministerialen Justizverwaltung noch dem Haushaltsgesetzgeber“ zusteht422. Steuerung, wohin auch immer, erst recht in Richtung eines Ziels mit notwendigem Drittbezug wie die „Wirtschaftlichkeit“423, kommt aber ohne Standardsetzung nicht aus. Die Teilziele der NSM wie Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und betriebswirtschaftlichen Effizienz der Justiz durch mehr Kostentransparenz das Kostenbewußtsein in der Justiz zu stärken und letztlich Einsparungen zu erzielen, seien legitim, so Berlit424. Dagegen ist nichts zu erinnern, wobei der unklare „Justiz“Begriff425 hier besonders die Nachteile seiner Undifferenziertheit deutlich werden läßt. Jedoch beantwortet dies noch nicht die Frage, wer befugt ist, diese Ziele und ihre zu konkretisierenden Inhalte vorzugeben. Es fehlt an einer klaren Unterscheidung der fundamentalen Kategorien von formeller und materieller Verfassungsmäßigkeit. Tatsächlich richten sich die NSM „auf Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Gesetze, nicht gegen das Gesetz“426. Aber es ist doch gerade das Wesen der richterlichen Unabhängigkeit, daß bei der Rechtsprechung ausschließlich die Richter den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen autonom, weil unabhängig (von der Exekutive) ausfüllen. Sobald jemand anderes als der gesetzliche Richter damit beginnt, den Inhalt dieses Rahmens (mit) zu determinieren, braucht der dazu eine gesetzgeberische Ermächtigung, die ihrerseits die Grenze des Art. 92 Hs. 1 GG zu beachten hat. Wahrheit und Gerechtigkeit mögen einer Relativierung durch ökonomische Erwägungen zugänglich sein427 – ob es aber hierzu kommt, darf nicht die Exekutive entscheiden. Zudem scheint die von Berlit angeführte normative Rechtfertigung für den Wissenszuwachs der „2. Gewalt“, die er zutreffend auch als „Machtzuwachs“ interpretiert, allzu unspezifisch: Nicht deren – schon ohnehin sehr abstrakte – „Parlamentsverantwortlichkeit oder ihre Kontrollfunktion“ soll es sein, sondern aus der „Mitwirkung an der Haushaltsaufstellung“ und ihrer „politischen An422 423 424 425 426 427

U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (322). Vgl. oben nach FN 408. U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321). Vgl. § 1 I. U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321). So die Tendenz bei Hoffmann-Riem, JZ 1997, S. 1 (7).

VII. Die NSM unter Gesetzesvorbehalt

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stoß- und Initiativfunktion“428 folgen. Hierin liegt zum einen ein unzulässiger Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis. Vor allem aber ignoriert diese Position, daß der Machtgewinn der Rechtsprechungsverwaltung sich zwangsläufig auch und gerade gegenüber dem Richter auswirken und damit dessen Rechtsstellung hinsichtlich der Exekutive (negativ) beeinflussen wird429: Wer Macht über einen anderen hat, beschränkt dessen Freiheit, deren Reichweite die Stellung des Richters elementar bestimmt. Damit aber unterliegen die „Machtursachen“ dem ausdrücklichen Parlamentsvorbehalt des Art. 98 Abs. 1, 3 GG, der als lex specialis nicht durch allgemeine Kompetenzen wie die zur Haushaltsaufstellung oder das Gesetzesinitiativrecht derogiert werden kann, die gerade kein „besonderes Gesetz“ darstellen. Vor allem aber perpetuiert der Verzicht auf einen Gesetzesvorbehalt eine zentrale crux der deutschen Gerichtsorganisation, nämlich die aus ihrer unzulänglichen Kodifikation folgende weithin informelle Struktur der Beziehung von Richtern und Exekutive. Dies sorgt hier aber wie überall dort, wo rechtliche Regeln fehlen, für die Herrschaft des Stärkeren; und wer diese Rolle besetzt, kann bei Betrachtung des Gegenübers von Rechtsprechungsverwaltung und einzelnem Richter unschwer erkannt werden. Daher ist es gerade das Informelle und Faktische, das die unabhängigkeitsgefährdende Realität in den Gerichten bestimmt. Wenn man vor diesem Hintergrund davon ausgeht, daß „Art. 97 GG die Handlungs- und Steuerungsimpulse, die in Kostentransparenz angelegt sind, normativ wirksam begrenzt“ und diese deshalb „trotz des faktischen Druckpotentials (. . .) bei richterlicher Aufgabenerledigung normativ keiner zusätzlichen Rechtfertigung“ bedarf430, so kann dem nicht gefolgt werden. Die normative Kraft des Art. 97 Abs. 1 GG endet gerade dort, wo die Informalität des Faktischen beginnt431. Daher ist die rechtliche Garantie der richterlichen Unabhängigkeit gerade kein wirksames Abwehrmittel gegen („bloß“) faktischen Druck. Insofern ist es auch unzureichend, wenn Berlit durchaus zutreffend hervorhebt, daß „Haushaltsvorgaben oder -annahmen, die an Kostentransparenz anknüpfen, Entscheidungskompetenz und -verantwortung bei den RichterInnen“ belassen, „formelle Weisungs- und Kontrollrechte, welche die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, (. . .) nicht geschaffen“ und „bundesgesetzlich eröffnete richterliche Handlungsspielräume, etwa im Prozessrecht, (. . .) formell nicht 428

U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (322). Mit Recht hebt er (zustimmend) hervor, daß die NSM – anders als die Organisationsuntersuchungen der 70er und 80er Jahre – nicht mehr vor der richterlichen Tätigkeit halt machen, U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (143); dies halten Röhl, DRiZ 1998, S. 241 (243), und Mehmel, BJ 2000, S. 324 (325), auch für erforderlich. 430 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (321). 431 Das jedenfalls hier – entgegen Jellinek (§ 2 VI.) – keine „normative Kraft“ zur Derogation der richterlichen Unabhängigkeit hervorbringen kann. 429

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§ 6 Die Neuen Steuerungsmodelle

eingeschränkt“ werden432. Diese Auffassung setzt voraus, daß jeder Richter sich beliebig gegen allen faktischen Druck im Einzelfall wehren kann, solange es an formellen Eingriffen fehlt. Dies dürfte trotz der Verfassungswidrigkeit des „Marionettentheorems“ und der damit verbundenen Verantwortungszuweisung433 kaum der Realität entsprechen434 und daher als Grundlage einer rechtlichen Bewertung untauglich sein. Richtig ist allerdings: „Kostentransparenz soll und darf durch Information RichterInnen kraft eigener Einsicht zu – im Idealfall – qualitätsneutralen Verhaltensänderungen ,anreizen‘. (. . .) Individuelles Kostenbewusstsein bei der autonomen Entscheidung ist als solche keine ökonomisierende Verdrängung des Rechts und normativ gerechtfertigt: Eine Sperrwirkung, zumindest nachrangig Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit – etwa bei der Ausübung prozessrechtlich eröffneter Handlungsspielräume – zu beachten, ist dem (Bundes)Prozessrecht nicht zu entnehmen.“435 Dies bestätigt zunächst die hier betonte Zulässigkeit und Notwendigkeit eines auch rechtsprechungsbezogenen Benchmarkings, das durch Information der Richter erst eine rationale Entscheidung ermöglicht. Es ist dann aber eine autonome Entscheidung des gesetzlichen Richters, die mit den NSM und der dabei notwendigen und letztlich auch gewollten „steuernden“ Mitwirkung der Rechtsprechungsverwaltung nichts zu tun hat, und wäre daher auch ohne gesetzliche Ermächtigung zulässig. Solches wird es aber in dieser exekutivfreien Form praktisch nicht gegeben können, weil die Herstellung der Kostentransparenz ohne Beteiligung der Gerichtsverwaltungen aufgrund deren Herrschaft über den notwendigen Apparat nicht durchführbar ist. Zudem wird kein Haushaltsgesetzgeber die finanziellen Mittel hierfür bereitstellen, wenn er die gewonnenen Ergebnisse nicht auch für sich und die Rechtsprechungsverwaltung nutzen dürfte. Daher besteht auch diesbezüglich die Notwendigkeit einer gesetzliche Ermächtigung. Letztlich bestätigt auch die von Berlit als basso continuo mitschwingende, nachdrücklich zu bekräftigende Hervorhebung der richterlichen Pflicht zur Qualitätssicherung für ihre Arbeit und ihrer „Verantwortung für die Systemleistung“ die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns unter Einbeziehung der quantitativen Seite in Form der NSM. Denn hierzu bedarf es gesetzgeberischer Ermächtigungen, um alle Richter zu dieser Qualitätssicherung und Verantwortungs432

U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (322) – Hervorh. nicht im Original. Siehe oben § 5 VI. 3. b). 434 Vgl. nur das Zitat von Behrens (oben § 2 VI.). Wobei es bei besonderen Richterpersönlichkeiten wie U. Berlit durchaus zutreffen mag, der insofern aber nicht als Maßstab einer Regelung für 21.000 Richter dienen kann, es sei denn, man folgt Zinns Position im Hinblick auf die Richteranklage und nimmt auf „schwächliche Charaktere“ keine Rücksicht (vgl. oben § 3 I. 4. d)) oder erklärt deren Inneres – wie Mende (vgl. § 4 II.) – für unbeachtlich. 435 U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (323). 433

VIII. Fazit: Die formelle wie materielle Verfassungswidrigkeit der NSM

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wahrnehmung verpflichten zu können. Denn ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung entsprechender Dienstpflichten wird sich die Richterschaft mit Hilfe der Dienstgerichte dem allzu leicht entziehen können. Zudem wird es zwangläufig zu einer Entindividualisierung der richterlichen Unabhängigkeit kommen müssen, um einige ihrer Teilaspekte einer kollektiven Wahrnehmung gerade auch bei der Qualitätsdefinition zu überantworten. Denn das „unaufhebbare Spannungsfeld von professioneller Autonomie und Organisation schließt (entgegen dem bestehenden status quo, C. S.) trotz der mittelbaren, subjektiv-öffentlichrechtlichen Dimension eine ausschließlich individualistische Interpretation und Bezugsgröße richterlicher Unabhängigkeit aus“436. Hierzu ist aber allein der parlamentarische Gesetzgeber befugt. Daher bedarf die Kompensation der Quantitätsdominanz durch Qualitätsbetonung innerhalb der Richterschaft im Hinblick auf ihre Wirksamkeit der gesetzgeberischen Vorarbeit. Und weil die NSM ohne die richterliche Qualitätssicherung verfassungswidrig sind437, stehen sie auch aus dieser Perspektive unter Gesetzesvorbehalt. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit der NSM in den Gerichten tritt auf diese Weise noch eine materielle hinzu. Vor allem aber muß der Gesetzgeber handeln, um die Rechtsprechungsverwaltung dazu zu verpflichten, die Qualitätsbemühungen der Richterschaft bei der Durchsetzung der NSM zu akzeptieren und zu „honorieren“. Ansonsten bleibt ihr die faktische Vorhand, die es ihr ermöglicht, ihre quantitativen Interessen auch gegen und trotz einer verbesserten, aber nach wie vor ressourcenverbrauchenden Qualität der Rechtsprechung durchzusetzen438. Letztlich bestätigt auch Berlit die Notwendigkeit eines auch gesetzgeberischen Gesamtkonzepts, wenn er gegen die in den NSM liegenden Risiken „flankierende institutionelle und verfahrensrechtliche Sicherungen“ fordert439.

VIII. Fazit: Die formelle wie materielle Verfassungswidrigkeit der NSM in den Gerichten Die NSM führen ihrer Struktur entsprechend zu einer systemimmanenten Dominanz quantitativer Handlungsmaßstäbe. Dies ist als solches nicht verhinderbar, sondern kann nur durch zusätzliche, parallele Maßnahmen zur Sicherstellung qualitativer Ziele kompensiert und abgemildert werden. Der einzelne gesetzliche Richter als alleiniger Inhaber der richterlichen Unabhängigkeit ist 436

U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (324); ebenso schon ders., BJ 32 (1999), S. 58 (61). So auch durchgängig U. Berlit, BJ 2002, S. 319 ff. 438 Dies sieht auch U. Berlit, BJ 2002, S. 319 (325), wenn er für die „Managementverantwortung“ der einzelnen Richter einen gerichtsinternen Ort verlangt, damit diese nicht ein „einseitiger und damit potentiell folgenloser Appell“ bleibt. 439 U. Berlit, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Hrsg.), Ökonomisierungsdruck, S. 135 (147), die ja letztlich nur der Gesetzgeber einführen kann. 437

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gegenüber der Rechtsprechungsverwaltung nicht in der Lage, den strukturellen Vorrang der „monetär orientierten Mengensteuerung“440 zu brechen. Hieraus ergeben sich rechtliche Schlußfolgerungen aus Art. 92, 97 GG: Die Instrumente der NSM wirken psychologisch maßstabsetzend für richterliches Handeln. Weil sie aber durch die exekutive (Rechtsprechungs-)Verwaltung initiiert und durchgesetzt werden, bedürfen sie einer speziellen parlamentsgesetzlichen Ermächtigung, die Gegenstand und Reichweite der exekutiven Steuerung durch die NSM bestimmt. Denn die selbständige Formulierung von Handlungsmaßstäben für richterliches Entscheiden ist der Exekutive durch Art. 97 Abs. 1 GG untersagt. Die Einführung einer KLR wie auch der Budgetierung in Gerichten ist daher solange formell verfassungswidrig, wie es an einer spezialgesetzlichen Grundlage fehlt. Jedoch sind mit einer gesetzgeberischen Ermächtigung nicht alle verfassungsrechtlichen Probleme gelöst. Denn die Quantitätsdominanz gerät zwangsläufig in Konflikt mit den qualitativen Zielvorgaben des Grundgesetzes wie auch der Verfahrensgesetze. Wirksame Maßnahmen zur Eindämmung dieses Vorrangs des Quantitativen sind daher auch aus materiellen verfassungsrechtlichen Gründen unverzichtbar. Da qualitative Parameter von Rechtsprechung allein der Definitionsmacht der Richter überantwortet sind, kommt nur ihnen die Kompensationsaufgabe zu, die auf zwei Wegen erfüllt werden kann: entweder durch eine entexekutivierte Eigenverwaltung der Gerichte oder ein prozedurales Qualitätssicherungssystem441. Dabei würden jegliche Modelle einer „Selbstverwaltung“ der Gerichte einerseits die in der Rechtsprechung unumgänglich liegende Demokratieeinschränkung weiter vergrößern. Andererseits käme es zu einer weiteren Zurückdrängung des Gewaltenteilungsprinzips zugunsten der ohnehin schon übermächtigen Stellung der Dritten Gewalt. Daher ist einem allein richterlich organisierten Qualitätsmanagement der Vorrang einzuräumen. Dies könnte auch relativ kurzfristig realisiert werden im Gegensatz zu dem verfassungspolitischen „Langfristprojekt“442 einer Selbstverwaltung der Gerichte. Doch auch hierzu bedarf es des Tätigwerdens des parlamentarischen Gesetzgebers, der sowohl die diesbezüglichen Rahmenbedingungen wie auch die Bindung der Rechtsprechungsverwaltung an die Ergebnisse der richterlichen Qualitätssicherung festzulegen hätte. Gleichzeitg muß die Exekutive verpflichtet werden, Leistungen der Richterschaft zur Qualitätssicherung quantitativ zu honorieren. Solange es hieran fehlt, erweisen sich die NSM in den Gerichten nicht nur als formell, sondern auch materiell verfassungswidrig.

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Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (451). So auch Röhl, in: Hill/Hof (Hrsg.), Wirkungsforschung, S. 437 (450 f.). U. Berlit, DRiZ 2003, S. 292 (297).

„Die Justiz betriebswirtschaftlich zu betrachten, ist ein Rückfall in die Vormoderne.“ Gerd Roellecke

Schlußbemerkung Die NSM werden jenseits aller denkbaren Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit oder richterliches Handeln überhaupt einen fundamentalen Wandel der Kultur in den Gerichten verursachen. Dieser Prozeß wird allerdings – so ist zu prognostizieren – sehr langsam verlaufen. Dies liegt zum einen an der nur schrittweisen Umsetzung der Instrumente, vor allem aber auch an dem grundsätzlich bewahrenden Charakter richterlichen Selbstverständnisses. Die zuvor kritisierte Steuerungsresistenz der Richterschaft wird hier eine – so meine ich – positive Rationalisierungswirkung entfalten. Die aktuell alle Bereiche der Gesellschaft wie auch des Staates erfassende Ökonomisierung im Sinne eines zumindest steten Mitbedenkens finanzieller Auswirkungen bei der Entscheidungsfindung muß zwangsläufig auch die Rechtsprechung erfassen. Wie weit dies reicht, ist jenseits nicht zur Debatte stehender Radikalisierungen weniger eine verfassungsrechtliche als vielmehr eine rechtspolitische Frage. Als solche ist sie kaum durch Subsumtion, sondern vielmehr durch politische Prioritätensetzung zu beantworten. Dabei sollte sich die Richterschaft durchaus auch der entlastenden Wirkung des Demokratieprinzips bewußt werden. Wenn es „der Bürger“ vorzieht, lieber mit einer billigeren Justiz als bisher zu leben, dann steht ihm dies frei; die Folgen muß er dann auch selbst tragen. Gleiches gilt, wenn er eine Beschleunigung der Gerichtsverfahren verlangt. Für die damit verbundenen Defizite sind die Richter nicht verantwortlich. Unterstellt, die NSM beseitigten tatsächlich wesentliche Elemente der rechtsstaatlichen Tradition der Bundesrepublik, dann ist dies als Entscheidung der vom souveränen Volk beauftragten Mandatsträger von jedem Richter hinzunehmen. Ihm steht nicht das Recht zu, unter Berufung auf die eigene Unabhängigkeit demokratische Entscheidungen zu konterkarieren. Diese Erkenntnis macht abschließend deutlich: Im Hinblick auch und gerade auf ein so abstraktes Prinzip wie die richterliche Unabhängigkeit muß sorgfältig differenziert werden zwischen Verfassungspolitik und Verfassungsrecht: Letzteres erlaubt wie so oft mehr, als erstere zuzugeben bereit ist.

Zusammenfassung in Thesen I. 1. Die Ökonomisierung des Staates hat inzwischen auch die Justiz erreicht: Die von der und für die Verwaltung entwickelten Instrumente der Neuen Steuerungsmodelle (NSM) halten Einzug in die Gerichte und treffen hier auf die von Verfassungs wegen „unabhängigen“ Richter. Da die NSM von der Exekutive angewandt und gesteuert werden, geraten sie in den Verdacht, deren ohnehin schon bestehenden Einfluß auf die Richter (Gerichtsverwaltung einschließlich Dienstaufsicht, Richterernennung/Beförderung) quantitativ wie qualitativ zu steigern. 2. Diese Gefahr ist deshalb besonders akut, weil die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gleichrangig neben denen der beiden anderen Staatsgewalten, insbesondere der Exekutive, genannten „Organe (. . .) der rechtsprechenden Gewalt“ (die Richter) in ihrer praktischen Tätigkeit materiell und personell in ein exekutives Umfeld eingebettet sind. Rechtsprechung findet nur innerhalb exekutiver Behörden, den Gerichten im Sinne administrativer Einheiten, statt, so daß „unter dem Justiz-Ressort-Dach zwei Staatsgewalten miteinander auskommen müssen“. Es gibt außer dem Bundesverfassungsgericht keine organisatorische Einrichtung der Judikative, die frei von unmittelbarer exekutiver Beeinflussung agieren kann. 3. Gleichzeitig weist das Grundgesetz nur eine geringe Regelungsdichte hinsichtlich der Organisation der Rechtsprechung und der Stellung der diesbezüglich verantwortlichen Richter (gegenüber den anderen Staatsgewalten) auf, die gerade in diesem Bereich zu einer sehr problematischen Unsicherheit führt. Es bleiben meist nur axiomatische Behauptungen über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit bestehender oder geplanter Organisationsstrukturen übrig. Als spekulativ erweisen sich insbesondere die Einschätzungen darüber, ob die exekutive Rechtsprechungsverwaltung die richterliche Rechtsfindung beeinflußt oder nicht. Entsprechend wird die Diskussion um die NSM von einer ideologischen Grundambivalenz beherrscht, bei der sich Richter und Verwaltung gegenüberstehen. 4. Daher kommt es zu einer Disproportionalität von normativem Rahmen und den rechtsstaatlichen Bedürfnissen aufgrund der empirischen Verhältnisse: Die Abhängigkeiten der Richter von der Exekutive treffen die richterliche Unabhängigkeit und damit einen Kerngehalt des Rechtsstaatsprinzips, ohne daß das

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Grundgesetz eine auch nur annähernd adäquate Regelungsdichte aufwiese. Daher bedürfte es dringend der Kompensation durch die Rechtswissenschaft, die aber bisher nahezu vollständig ausfällt: Eine brauchbare Dogmatik der richterlichen Unabhängigkeit fehlt ebenso wie der noch zuvor notwendige Schritt, das elementare Problem einer exekutiven Rechtsprechungsverwaltung als solches und in seinem tatsächlichen Umfang überhaupt wahrzunehmen. Daher verwundert es nicht, daß die NSM die Rechtsdogmatik unvorbereitet treffen und die Wissenschaft kein Reservoir parat hat, aus dem sie eine Antwort schöpfen könnte. 5. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der NSM in den Gerichten muß daher zunächst die besondere Gefährdungslage des Richters im (exekutivisch) hierarchisierten Umfeld seines Gerichts sowie die Defizite der bisher unzureichenden Schutzmechanismen herausarbeiten. Erst nach einer Einordnung der richterlichen Unabhängigkeit in das Gewalten(teilungs)gefüge des Grundgesetzes kann eine über pauschale Alles-oder-Nichts-Positionierungen hinausgehende Bewertung der NSM erfolgen.

II. 1. Die richterliche Tätigkeit erweist sich als „gefahrgeneigt“, weil die Erfüllung ihrer zentralen Aufgabe, nämlich die unabhängige Entscheidung durch einen unbeteiligten und neutralen Dritten, angesichts potentieller Fremdeinflüsse stets gefährdet erscheint. Dieses Gefährdungspotential geht insbesondere von der Staatsgewalt aus und wird durch Art. 97 GG anerkannt, indem die Richter von vornherein und gerade wegen der historischen Erfahrungen staatlicher Ingerenzen gegenüber staatlicher Beeinflussung für „unabhängig“ erklärt werden. 2. Dabei erweist sich die gefährdende Einflußnahme durch den Gesetzgeber (bisher) als gering: Dies gilt in verfassungsrechtlicher Hinsicht insbesondere deshalb, weil der richterlichen Unabhängigkeit eine unbedingte Bindung an das Gesetz gegenübersteht, so daß erstere dort endet, wo der Gesetzgeber tätig wird. Fälle möglicher Spannungen zwischen Parlament und Richter sind daher kaum denkbar. 3. Hinsichtlich der anderen beiden Staatsgewalten, also aus der Rechtsprechung selbst heraus und vor allem seitens der Exekutive, kann ein solch unproblematisches Fazit nicht gezogen werden. Vielmehr existieren in beiden Gewalten hierarchische Strukturen, die eine gezielte Einwirkung auf die Rechtsprechung möglich machen. a) Dabei ist zunächst zu betonen, daß Unabhängigkeitsgefährdungen und -verletzungen auch durch Richter erfolgen können. Denn die Unabhängigkeit des Art. 97 Abs. 1 GG ist in bezug auf den zu entscheidenden Einzelfall nur

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dem hierfür zuständigen „gesetzlichen Richter“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 GG garantiert. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der fehlenden Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen für sonstige Verfahren. Daraus folgt aber auch, daß sonstige, nicht-gesetzliche Richter (auch Vorsitzende oder gar der Gerichtspräsident als Richter) keinen Einfluß auf die Entscheidung des gesetzlichen Richters nehmen dürfen. b) Dem widerspricht die faktisch übergeordnete Stellung des Vorsitzenden Richters, wie sie in der Rechtsprechung des BGH zu dessen „richtunggebenden Einfluß“ zum Ausdruck kommt. Sie wird verstärkt durch die faktische Beteiligung des Vorsitzenden Richters an der dienstlichen Beurteilung seiner Beisitzer. Damit tritt eine informelle Hierarchisierung der an sich egalitär ausgestalteten Richterschaft („Gleichheit der Richterämter“) ein. Sie ermöglicht oder verstärkt die Empfänglichkeit des Richters für hierarchie-basierte Einflußnahmen. c) Besondere Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit ergeben sich jedoch aus der Zuständigkeit der Exekutive für die gesamte Rechtsprechungsverwaltung einschließlich der für die Beförderung ausschlaggebenden dienstlichen Beurteilung. Denn mit der Exekutive wird den Gerichten mit direkter Auswirkung für die Richter eine hierarchische Struktur implantiert. aa) Dabei gilt es zunächst, von der nahezu ausnahmslos verbreiteten Vorstellung einer „institutionellen“ oder „organisatorischen“ Unabhängigkeit der Gerichte Abschied zu nehmen: eine solche existiert nicht. Sie bilden vielmehr Einrichtungen der Exekutive („administrative Einheiten“, „Gerichtsbehörden“) und werden seitens der Rechtsprechungsverwaltung auch so behandelt, wie nicht zuletzt der herkömmlichen Bezeichnung der Gerichtspräsidenten als „Behördenleiter“ zu entnehmen ist. Innerhalb dieser administrativen Einheit „Gericht“ sind auch Richter als unabhängige Entscheider tätig, die dem Gericht selbst jedoch nicht zu eigener Unabhängigkeit verhelfen. bb) Die Unabhängigkeit der Richter als Organe von Rechtsprechung und ihre Trennung von den anderen Gewalten im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird allein durch Inkompatibilitätsvorschriften (§ 4 DRiG) herzustellen versucht, allerdings mit der traditionell gewichtigen Ausnahme der Gerichtsverwaltung. Diese haben aber nach der allerdings schon älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Verfassungsrang. Auch die bestehende Form der gerichtlichen „Selbstverwaltung“ in Form der Präsidialverfassung vermag einem Gericht insgesamt keine organisatorische Unabhängigkeit zu vermitteln. cc) Zentrales Instrument der exekutiven Einflußnahme auf die Richter stellt die „Dienstaufsicht“ dar. Durch sie wird die ordnungsgemäße Amtsführung der Richter mittels Beobachtung und Kritik bis hin zu Vorhalt und Ermahnung überwacht; sie findet ihre formale Grenze in der Unabhängigkeit des Richters

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(§ 26 Abs. 1, 2 DRiG). Einen wesentlichen Teil der Dienstaufsicht stellt die dienstliche Beurteilung dar, die die entscheidende Grundlage für Beförderungsentscheidungen bildet. dd) Die positivierten rechtlichen Grundlagen der Dienstaufsicht sind dürftig; insbesondere die Zuständigkeit der Exekutive beruht weithin auf Gewohnheitsrecht im Sinne der traditionellen deutschen Gerichtsorganisation, die den Richter nur als richterlichen „Beamten“ kannte. Entsprechend fehlen auch gesetzgeberische Definitionen von Aufgaben und Umfang der Dienstaufsicht. Insbesondere ihr spannungsreiches Verhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit entbehrt jeglicher gesetzgeberischen Konkretisierung. Die Abgrenzung obliegt daher in Einzelfällen allein den gem. § 26 Abs. 3 DRiG zuständigen Richterdienstgerichten.

III. 1. Den zuvor genannten Gefahren für die richterliche Tätigkeit stehen herkömmlich zwei argumentative Instrumente zur „Gefahrenabwehr“ gegenüber: zum einen das allgemeine Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und zum anderen die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG). 2. Allerdings kann die Gewaltenteilung als allgemeiner Grundsatz nicht zur Stärkung richterlicher Unabhängigkeit und insbesondere nicht gegen eine exekutive Rechtsprechungsverwaltung eingewandt werden. Denn die Unabhängigkeit des Richters erweist sich zwar einerseits als Konkretisierung des Gewaltenteilungsprinzips, andererseits aber auch als Teilwiderspruch zu ihm. Dies folgt aus der Zwecksetzung des Gewaltenteilungsprinzips, gegenseitige „Kontrolle, Hemmung und Mäßigung“ der Staatsgewalten mittels „Gewaltenverschränkung und -balancierung“ sicherzustellen. Unabhängiges Agieren, vor allem aber Kontrollfreiheit, wie sie mit einer vergrößerten Unabhängigkeit von den anderen Staatsgewalten verbunden wären, sind daher gerade nicht Ziel des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Daher kann dieses allgemeine Prinzip dem Richter nicht mehr an Unabhängigkeit verschaffen als die Konkretisierungen der Art. 92, 97 GG. a) Dies wird – insbesondere aus Sicht der Richterschaft – nicht selten übersehen, jedenfalls aber unzureichend berücksichtigt. Vor allem aber vernachlässigt das Verlangen nach größerer Unabhängigkeit die enorme Macht der Rechtsprechung in der Bundesrepublik, die über Art. 92 GG das Monopol „der letztverbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und des Ausspruchs dessen, was im konkreten Fall rechtens ist“ besitzt. Dieses Machtpotential kann von außen nicht völlig unkontrolliert, jedenfalls nicht unbeobachtet gelassen werden. Daher kann auch der Standard-Verweis auf Montesquieu nichts zugunsten der Richterschaft belegen: Denn die bundesdeutsche Rechtsprechung ist alles

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andere als „en quelque façon nulle“ und ein Richter nicht nur der bloße „Mund des Gesetzes“. b) Ebensowenig reicht das Steuerungspotential des Gesetzgebers zur Kontrolle der Rechtsprechung aus: Denn zum einen muß das „Subsumtionsdogma“ als widerlegt gelten. Zum anderen zeigt sich die Richterschaft nicht selten gerade dann als „steuerungsresistent“, wenn sie als Selbstbetroffene entscheiden muß. Wie die Rechtsprechung zum Rechtsbeugungsdelikt und der richterlichen Amtshaftung belegt, gilt dies insbesondere dann, wenn es um die Sicherung der Gesetzesbindung des Richters geht. c) Daher erweist sich die Exekutive als notwendiger Faktor bei der Intergewaltenkontrolle der Rechtsprechung, auch und gerade deshalb, weil sie von der Rechtsprechung selbst ausgeschlossen bleibt (Art. 92 GG). Eine „Selbstverwaltung“ der Gerichte ist daher kein Gebot des Grundgesetzes. d) Hiergegen kann auch nicht die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in Stellung gebracht werden. Denn auch sie wird allzu oft im Sinne einer vergrößerten Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Gerichte und Richter fehloder überinterpretiert. Zwar betonte der Parlamentarische Rat die kategoriale Trennung von Richtern und Beamten (vgl. Art. 98 Abs. 1, 3 GG), knüpfte aber ohne jeglichen Widerspruch nahtlos an das traditionelle deutsche System der Gerichtsorganisation unter Einbindung der Exekutive an. Insbesondere die gerichtliche Selbstverwaltung war angesichts des im Parlamentarischen Rat präsenten Mißtrauens gegenüber der Richterschaft kein Thema. Aber auch der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit als Recht des Richters konnte und sollte keine neue Bedeutung erlangen. Demgegenüber muß der vielfach postulierte Abschied vom „kleinen Justizbeamten“ (G. A. Zinn) mehr als Verpflichtung und Auftrag der Richterpersönlichkeit verstanden werden. 3. Somit wird allein die richterliche Unabhängigkeit zum entscheidenden Schutzinstrument des Richters vor Drittbeeinflussung. Allerdings bestehen hier zahlreiche Defizite: a) Zunächst geht gerade die dienstgerichtliche Rechtsprechung an den ernsthaften Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit vorbei und gerät so weithin in den Verdacht von Privilegienverteidigung. Dabei kam es zu einer rechtskulturellen Unantastbarkeit der Unabhängigkeitsgarantie, die zwar nicht deren Thematisierung, wohl aber eine dogmatische Einordnung in das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes verhindert hat. Vor diesem Hintergrund erweist sich die weitgehende Zurückhaltung des Gesetzgebers hinsichtlich der Rechtsprechungsverwaltung als besonders mißlich, insbesondere das Fehlen jeglicher gesetzlichen Definition der richterlichen Unabhängigkeit. b) Zwar hat die Rechtsprechung der Dienstgerichte reagiert und unterscheidet in bezug auf die richterliche Tätigkeit einen „Kernbereich“ und einen „Bereich

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äußerer Ordnung“. Während Eingriffe der Dienstaufsicht in den Kernbereich mit der seltenen Ausnahme der offensichtlich fehlerhaften Entscheidung kategorisch verboten sind, steht der äußere Ordnungsbereich dem Zugriff der Dienstaufsicht offen. Diese Einzelfallrechtsprechung ist jedoch ein nur unzureichender Schutz der richterlichen Unabhängigkeit, weil sie ein Tätigwerden des Richters gegen seinen Dienstherrn und vor allem seinen Dienstvorgesetzten voraussetzt. Vor allem aber kann das Dienstgericht eben nur Einzelfälle sanktionieren, nicht aber strukturelle Gefährdungen ausschließen. Gerade letztere aber werden seitens des Bundesverfassungsgerichts nur unzulänglich berücksichtigt, da es Art. 97 Abs. 1 GG weithin auf eine bloße „Weisungsfreiheit“ reduziert. c) Als Konsequenz daraus folgt, daß der Inhalt der grundgesetzlichen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit nur mittels des „case law“ der Richterdienstgerichte bestimmt wird. Deren Entscheidungen liegen Konfliktfälle zwischen Richtern und ihren Dienstvorgesetzten bis hin zum Minister zugrunde, also ein Gegeneinander von einzelnen gegen „die Exekutive“. Jede Entscheidung gegen die Rechtsprechungsverwaltung bedeutet somit einen individuellen Vorteil für den klagenden Richter. Daher kommt es zwangsläufig zu einer Personalisierung und in deren Folge zu einer individualisierten Überhöhung der Unabhängigkeitsgarantie.

IV. 1. Wie bereits angedeutet, fehlt es bisher an einer verfassungsrechtlichen Dogmatik zu Art. 97 GG, die über eine Unterscheidung zwischen sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit kaum hinausgekommen ist und insbesondere das Einflußpotential der Exekutive in Gestalt der Rechtsprechungsverwaltung nicht wirksam genug zu begrenzen vermag. Denn letztlich bilden die beiden Kategorien von sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit lediglich notwendige, aber keinesfalls hinreichende Rahmenbedingungen für eine unabhängige Entscheidung. Denn auch bei äußerlicher Einflußfreiheit – von der in westlichen Verfassungsstaaten auszugehen ist – kann psychologischer Druck von innen heraus die Entscheidungsfreiheit des Richters beseitigen. Daher betrifft die heute aktuelle Frage der richterlichen Unabhängigkeit vor allem psychologische Kategorien. 2. Die richterliche Unabhängigkeit ist kein Grundrecht und auch kein grundrechtgleiches Recht. Sie kann lediglich über Art. 33 Abs. 5 GG als richterliches Amtsrecht geltend gemacht werden. Gleichwohl finden sich Parallelen zwischen Grundrechtsdogmatik und richterlicher Unabhängigkeit: a) Infolge der Personalisierung der Unabhängigkeitsgarantie kommt es zu subjektiv-rechtlichen Weiterungen des objektiven Verfassungsprinzips der Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Art. 97 GG vermittelt dem Richter Rechtsposi-

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tionen, die er gem. § 26 Abs. 3 DRiG wie subjektive Rechte gerichtlich gegen den Staat geltend machen kann. b) Die faktische Wirksamkeit subjektiver Rechte des einzelnen Grundrechtsträgers setzt deren Durchsetzbarkeit voraus. Insbesondere der Justizgewährleistungsanspruch, noch mehr die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG machen dies deutlich. Da beide nur durch Richter i. S. d. Art. 92, 97 GG erfüllt werden können, wird die Unabhängigkeit des Richters zur conditio-sine-quanon des Grundrechtsschutzes. 3. Wegen dieser Parallelen liegt es nahe, die Erkenntnisse der Grundrechtsdogmatik auch für eine Neupositionierung der richterlichen Unabhängigkeit fruchtbar zu machen und so die Fragen nach Unabhängigkeitsverletzungen von ihren bisher allein möglichen Alles-oder-Nichts-Antworten zu befreien. Dies gelingt dadurch, daß der richterlichen Unabhängigkeit ihre Unantastbarkeit entzogen wird, indem „Eingriffe“ in ihren „Schutzbereich“ für rechtfertigungsfähig erklärt werden. Mit dieser Rechtfertigungsfähigkeit entsteht zugleich eine Rechtfertigungsbedürftigkeit, die der Rechtsprechungsverwaltung Begründungslasten auferlegt und damit die Abgrenzung von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht rationalisiert. 4. Da Art. 97 Abs. 1 GG keinerlei Einschränkungen kennt, aber in jedem Fall nur in den Grenzen des Gesetzes ausgeübt werden kann, weist die Unabhängigkeit des Richters deutliche Ähnlichkeiten mit der herkömmlichen Struktur der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG auf: Einem unbegrenzten „Schutzbereich“ steht eine weitreichende Kompetenz des Gesetzgebers zur Einschränkung durch jedes Gesetz, das formell und materiell verfassungsmäßig ist, gegenüber. Im Ergebnis läuft dies auf die aus der Grundrechtsdogmatik bekannte Verhältnismäßigkeitsprüfung hinaus. 5. Für die Verhältnismäßigkeit als „Schranken-Schranke“ gelten folgende Parameter: a) Wegen des absoluten Rechtsprechungsmonopols der Richter in Art. 92 GG kann die Ausübung von Rechtsprechung als solche einem Richter nicht entzogen werden. b) Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit dürfen nicht die Sicherstellung des Justizgewährleistungsanspruchs vereiteln, also insbesondere die freie Entscheidung des Richters zur Gewährung des rechtlichen Gehörs oder sonstiger Verfahrensgrundrechte. c) Vor allem aber darf der Richter wegen des Kerngehalts der richterlichen Unabhängigkeit als „Weisungsfreiheit“ weder rechtlich noch faktisch in eine Lage gebracht werden, in der er zu einer bestimmten Entscheidung gezwungen wird. Daher sind nicht nur Weisungen im engeren Sinne des § 55 BBG verboten, sondern ebenso „Maßnahmen gleicher Wirkung“.

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d) Im Ergebnis werden die absoluten Verbotswirkungen des IX. Abschnitts des Grundgesetzes auf die rechtlich-formale Weisung im beamtenrechtlichen Sinne und die Ausübung von Rechtsprechung mit der ihr eigenen Rechtswirkung begrenzt. Das in dieser Formalisierung der Absolutheitsgrenze liegende enge(re) Verständnis gegenüber der gegenwärtig herrschenden Interpretation ist gerechtfertigt durch das Erfordernis, die unangemessene Dominanz der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern zu brechen. e) Im übrigen sind Einschränkungen grundsätzlich zulässig, unterliegen jedoch einer strengen Begründungspflicht. 6. Als Maßstab für die letztlich entscheidende Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit reichen die traditionellen Kategorien der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit nicht aus. Denn diese sind allein als „Hilfsmittel“ für die entscheidende Bedingung einer unabhängigen und neutralen richterlichen Entscheidung anzusehen, nämlich die innere Unabhängigkeit des Richters. a) Diese innere Unabhängigkeit als dritte Kategorie ist zwar auch bisher schon thematisiert worden, aber lediglich als Pflicht des einzelnen Richters zur Distanzierung von seinen Vorverständnissen. Dies ist jedoch gänzlich unzureichend, weil auf diese Weise der notwendige Abwehrgehalt auch der inneren Unabhängigkeit gegenüber staatlicher Einflußnahme ausgeblendet wird. Denn nicht nur durch Weisungen lassen sich richterliche Entscheidungen determinieren, sondern auch und vor allem durch informellen psychologischen Druck. b) Daher ist die innere Unabhängigkeit zum zentralen Entscheidungskriterium bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit zu erklären. Demnach sind nur solche Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit verfassungsgemäß, die es trotz ihres Steuerungspotentials erwarten lassen, daß der durchschnittliche Richter seine Entscheidung unabhängig von ihnen zu treffen in der Lage ist. 7. Mit dieser Fokussierung auf die innere Unabhängigkeit ist gleichzeitig ein notwendiger Perspektivwechsel verbunden. Denn zum einen wird damit ermöglicht, auch solche Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit rechtlich zur Geltung zu bringen, die trotz ihres Einflußpotentials bisher unter den Kategorien der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit keine Relevanz besaßen. Zum anderen kann so die die Rechtsprechung der Richterdienstgerichte beherrschende Entweder-Oder-Dogmatik zugunsten abgestufter Differenzierungen umgangen werden. Daneben kann gleichzeitig auf Seiten der Richter das Bewußtsein geschärft werden, daß jegliche Einflußnahme auf ihre Entscheidung, auch mittelbarer Druck, Unabhängigkeitsrelevanz besitzt und damit kritischer Würdigung bedarf und zurückgewiesen werden muß. 8. Bei den möglichen Zwecksetzungen für Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit ist deren konstitutive Bedeutung für den Rechtsstaat ebenso zu be-

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rücksichtigen wie die Tatsache, daß Art. 97 GG auch gegenüber dem Gesetzgeber wirksam sein muß. Daher kommen als Rechtfertigung für Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit nur Rechtsgüter mit Verfassungsrang, insbesondere also Grundrechte, in Betracht.

V. 1. Letztlich ist die Kompetenz zur Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit im zuvor beschriebenen Sinne klärungsbedürftig. Hierzu ist als zentraler Befund festzuhalten: Es bestehen von Verfassungs wegen fast keine originären Kompetenzen der Exekutive im Bereich der Rechtsprechungsorganisation. 2. Zwar erscheint die grundsätzliche Zuweisung der Aufgabe „Rechtsprechungsverwaltung“ durch den Gesetzgeber an die Exekutive zulässig; allerdings zeigt sich ein enormes Steuerungsdefizit des Gesetzgebers im Bereich der Rechtsprechung(sorganisation). Die Exekutive kann im Bereich der Gerichte weithin ohne konkretisierende gesetzgeberische Vorgaben agieren, so daß ein weites Feld informeller Einflußnahmeoptionen entsteht. 3. Gleichzeitig kam es im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte zu einer „Entfesselung der Dritten Gewalt“: Der Prozeßrechtsgesetzgeber hat insbesondere durch die Vergrößerung richterlicher Handlungsspielräume, die Verkleinerung der Richterbank und die Beschränkung von Rechtsmitteln die Gesetzesbindung und Kontrolle der Richter deutlich gelockert und die Ausfüllung des so geschaffenen Freiraums richterlichem Ermessen anheimgegeben. 4. Die Kumulation von gesetzgeberischem Steuerungsdefizit und richterlicher Entscheidungsfreiheit führt zu der fatalen Konsequenz zunehmender exekutiver Einflußnahmemöglichkeiten: Denn deren rechtliche, aber auch faktische Grenze ist in jedem Fall die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung des Richters. Wird aber dessen Handlungsfreiraum wie beschrieben erweitert, verschwimmt zugleich die genannte Grenze der Gesetzmäßigkeit und damit die absolute Schranke der informellen Steuerung der Rechtsprechungsverwaltung. 5. Einem vergrößerten richterlichen Handlungsspielraum korrespondiert somit stets ein erweitertes Wirkungsfeld der Exekutive, so daß die Gesetzesbindung der Rechtsprechungsverwaltung um so strikter sein muß, je mehr die Gesetzesbindung des Richters gelockert wird. Daher bedarf es für jede Kompetenz zur Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit einer konkreten gesetzlichen Ermächtigung. 6. Insgesamt ist in bezug auf die Einschränkungskompetenz gegenüber der richterlichen Unabhängigkeit zu differenzieren: a) Im Rahmen der zulässigen Zwecksetzungen [zuvor IV. 5. d) und 8.] ist der Gesetzgeber frei, selbst unmittelbare Schranken der richterlichen Unabhängigkeit zu formulieren.

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b) Gleichzeitig steht es dem Gesetzgeber weithin zu, Richter(kollegien) im Rahmen unabhängiger Entscheidungsfindung zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit zu ermächtigen. c) Hingegen unterliegt die Exekutive einem strengen Gesetzesvorbehalt. Zwar kann auch die Rechtsprechungsverwaltung zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit ermächtigt werden. Ihr kommt dabei aber allein die Funktion als „Mund des Gesetzes“ zu: Sie darf also bei ihrem Tätigwerden selbst keinerlei Maßstabsetzung für richterliches Handeln betreiben, sondern allein durchsetzen, was der Gesetzgeber zuvor selbst als Maßstab richterlichen Handelns formuliert hat.

VI. 1. Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der NSM ist auf eine begriffliche Ideologisierung zu verzichten. Betriebswirtschaftliche Termini erscheinen traditionell unpassend für die Beschreibung rechtsprechender Tätigkeit, sind aber – bei ausreichend kritischer Verwendung – geeignet, die Sachverhalte innerhalb der NSM systemkonform unzweideutig zu beschreiben und damit überhaupt erst eine rationale Diskussion zu ermöglichen. 2. Die NSM werden vor allem über ein neues Haushaltswesen und darin mittels einer Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) in die Gerichte getragen. Wegen der enormen Schwierigkeiten, die Leistungen der Verwaltung und ebenso der Gerichte in finanziellen Größen auszudrücken, kommt es zu starken Defiziten auf der Leistungsseite der KLR und damit zu einer Kosten- ohne Leistungsrechnung. Letztlich dient sie vor allem der Herstellung von Kostentransparenz und damit der Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung über den Ressourcenverbrauch in den Gerichten. a) Dabei ist die KLR nicht nur ein inhaltsneutrales Instrument zur Informationsbeschaffung, sondern entfaltet selbst elementare Steuerungswirkung. Wegen ihrer strukturimmanenten Betonung der Kostenseite erzeugt sie allein durch ihre Existenz und potentiell drohende Rechtfertigungspflichten Handlungsdruck zu möglichst geringem Ressourcenverbrauch. b) Die Anwendung der KLR auch auf die richterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtsprechung ist jedoch grundsätzlich zulässig. Zwar bedeutet die mit ihr verbundene Beobachtung des Richters einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Sie kann jedoch durch die Bedürfnisse des Haushaltsgesetzgebers, aber auch die erforderliche Planung gerichtsorganisatorischer Maßnahmen gerechtfertigt werden. c) Letztlich kommt aber nur eine anonymisierte und entindividualisierte Erhebung der KLR-Daten in Betracht, die aggregiert weiterzugeben sind. Eine

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Differenzierung unterhalb der Ebene des Gesamtgerichts, also etwa Spruchkörper, ist nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. Umfang der KLRDurchführung sowie die zulässige Verwendung der Daten mit Richterbezug sind durch Gesetz ausdrücklich festzulegen. 3. Auch Formen eines Controllings, verstanden als Planung und Kontrolle, sind innerhalb der Gerichte und auch mit Bezug zur richterlichen Tätigkeit nicht per se verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Vielmehr ist Controlling seit jeher auch in der Rechtsprechung üblich, wie sich nicht zuletzt am Instanzenzug zeigt. a) Gerade das Beispiel des Rechtsmittelzuges belegt, daß sich Controlling in Gerichten primär als Kompetenz- und Verfahrensproblem darstellt. Es besteht also kein Anlaß, das Controlling als solches für richterliches Handeln als unzulässig zu verwerfen. Vielmehr kommt es allein darauf an, (auch) eine entökonomisierte Anwendung sicherzustellen. b) Es bleibt jedoch zu beachten, daß ein (allein) von der Rechtsprechungsverwaltung betriebenes Controlling zwangsläufig quantitätsfixiert erfolgen muß. Denn die Bestimmung oder Bewertung der Qualität richterlichen Handelns ist der Exekutive verboten. c) Soweit also mengenbezogene Planungen und Kontrollen der Rechtsprechungsverwaltung zulässig sein sollen, setzt dies voraus, daß diese Quantitätsdominanz durch ein parallel dazu praktiziertes, allein richtergetragenes Qualitätscontrolling gebrochen wird. Dies ist nicht zuletzt mittels einer „Balanced Scorecard“ oder der „Data-Envelopment-Analyse“ möglich. d) Letztlich wird aber sowohl zur Begrenzung der Quantitätsbetonung wie auch zur Ermöglichung der richterlichen Qualitätssicherung der Gesetzgeber aktiv werden müssen, was noch einmal dessen bisherige Passivität in das Zentrum der Kritik rückt. 4. Die Qualitätssicherung für die Rechtsprechung obliegt allein den Richtern und erfolgte bisher nur durch kollegiale Kontrolle in Spruchkörpern oder im Instanzenzug: Beide Methoden und damit die Qualitätssicherung sind aber aktuell in Auflösung begriffen und bedürfen dringend der Kompensation durch andere Formen des „Qualitätsmanagements“. a) Daher müssen neue und vor allem permanent wirkende Prozesse der Qualitätssicherung eingeführt werden, die aber um die Formulierung von Qualitätsstandards auch für die Rechtsprechung selbst nicht umhin kommen. Diese Qualitätsdefinition ist jedoch äußerst schwierig und läßt sich schlagwortartig mit den Begriffen „Vagheit der materiellen Beurteilungsmaßstäbe“ sowie „Schwierigkeiten der Konkretisierung“ beschreiben. b) Daher kommt nur eine Prozeduralisierung der Qualitätsdefinition bei gleichzeitiger Beibehaltung des exekutivfreien Richtermonopols auch hierfür in

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Betracht: Dabei muß die Qualitätsdefinition durch die Arbeit von allen Betroffenen offenstehenden Richterkollegien (etwa Qualitätszirkel) entindividualisiert werden. Die Teilnahme sollte als richterliche Dienstpflicht institutionalisiert werden und auf Gerichtsebene erfolgen, um regionalen Besonderheiten Rechnung tragen zu können und den Eindruck einer „Außensteuerung“ zu verhindern. c) Die in den richterlichen Controlling-Organen zu erarbeitenden Standards können nicht die Rechtsprechung des Einzelfalls ersetzen. Sie dürfen daher nicht die Anwendung durch den gesetzlichen Richter substituieren. Dieser muß vielmehr weiterhin weisungsfrei und unabhängig entscheiden können, so daß von Verfassungs wegen eine Bindung des gesetzlichen Richters an „drittrichterformulierte“ Qualitätsstandards, auf deren Verletzung mittels Sanktionen reagiert werden dürfte, ausgeschlossen ist. Vielmehr wird hinsichtlich der Richterschaft die informale Steuerung, die mit der Standardisierung verbunden ist, ausreichen müssen. d) Der Gesetzgeber muß für das richterliche „Qualitätsmanagement“ die Voraussetzungen schaffen: Sowohl die Kompetenz zur Standardformulierung durch Qualitätszirkel oder Richterräte wie auch eine etwaige Teilnahmepflicht bedürfen der gesetzlichen Grundlage. Gleichzeitig sind seitens des Haushaltsgesetzgebers die notwendigen finanziellen Mittel auch etwa für wissenschaftliche Beratung bereitzustellen. Daneben könnte die gesetzgeberische Aktivität auch der psychologischen Unterstützung des Qualitätssicherungsprozesses dienen und entsprechende Aktivitäten der engagierten Richter neben oder statt nur hoher Erledigungszahlen zu deren honorierungswürdigen Leistung erklären. e) Das Richtermonopol in Sinne der Exekutivfreiheit der Qualitätssicherung kann dabei nicht durch den Hinweis auf ein Einwirken auf den bloßen „Modus der Leistungserbringung“ eingeschränkt werden. Wegen der in gerichtlichen Prozessen strukturellen Einheit von (End-)Ergebnis und den vorhergehenden kausalen Verfahrensentscheidungen läßt sich eine Trennung von Modus und Inhalt rechtsprechender Tätigkeit nicht durchführen. Einflußnahme auf die Art und Weise der richterlichen Verfahrensdurchführung wirken immer auch auf das Ergebnis ein. 5. Vor allem aber wird ein umfassendes System des qualitätsorientierten Benchmarkings auch für die Rechtsprechung und auf der Basis von Evaluationen einzuführen sein. Dies muß zum zentralen Qualitätssicherungsinstrument der Rechtsprechung werden. Denn „auf Vergleichen läßt sich wohl alles Erkennen, Wissen zurückführen“. Gleichzeitig erweist sich das bloße Nebeneinander von (aggregierten) Qualitäts- und Quantitätsdaten als am geringsten individuell steuernd und damit nur wenig unabhängigkeitsgefährdend. 6. Zentrales Instrument der neuen Haushaltssteuerung im Rahmen der NSM ist die Budgetierung. Sie wird auch in den Gerichten durch eigenverantwortli-

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che, dezentrale Mittelverwendung, Festlegung der Budgets nach Produktmengen sowie die Sanktionierung von Budgetüberschreiten und Belohnung von Budgetunterschreitungen charakterisiert. Die beiden ersten Bestandteile erscheinen für die Rechtsprechung unproblematisch; äußerst „gefährlich“ für die richterliche Unabhängigkeit wirken jedoch potentielle Sanktionen auf ressourcenverbrauchende richterliche Entscheidungen vor allem vor dem Hintergrund des bestehenden Drucks zur Kosteneinsparung. a) Die Steuerungswirkung der Budgetierung ist rein mengenzentriert und auf kurzfristige Ressourcenschonung nahezu um jeden Preis fixiert. Auf diesem Umstand beruht auch die aktuelle wirtschaftswissenschaftliche Budgetierungskritik unter den Stichworten „Beyond Budgeting“ oder „Better Budgeting“. Die Budgetierung und die auf ihr aufbauenden Sanktionierungen wirken als striktes „Anreizsystem“ unmittelbar steuernd auf das Verhalten der Betroffenen ein. b) Dieses Anreizsystem ist geldorientiert, auf Verringerung des Ressourcenverbrauchs gerichtet und – vor allem – exekutiv organisiert. Daher dient es als direktes Einflußinstrument der Rechtsprechungsverwaltung auf richterliches Handeln und ist insbesondere verfassungswidrig, soweit es die rechtsprechende Tätigkeit betrifft. Daher ist die Budgetierung von Auslagen in Rechtssachen ausnahmslos unzulässig. c) Vor allem „Wirtschaftlichkeit“ als Ziel von (exekutiv bestimmten) Anreizsystemen wie der Budgetierung ist grundgesetzlich ausgeschlossen. Denn Wirtschaftlichkeit ist ein formales, inhalts- und konturenarmes, offenes Gebot zur Optimierung einer Relation von Mittel und Zweck. Nur der zusätzliche Bezugspunkt eines bestimmten Zweckes gibt ihm inhaltliche Aussagekraft, so daß entsprechende Forderungen nicht umhin kommen, konkrete Ziele richterlichen Handelns festzulegen. Erst dann läßt sich überhaupt das Erreichen oder Verfehlen von Wirtschaftlichkeit feststellen. Zieldefinitionen für die Rechtsprechung sind aber unter Beteiligung der Exekutive ausgeschlossen. d) Eine Lösung kann in der Entpersonalisierung und Kollektivierung der Anreize und Sanktionen durch Wahl des Gesamtgerichts als Bezugsobjekt liegen, (auch) um dadurch die in Art. 92 GG zum Ausdruck kommende Organisationsgebundenheit des Richters zu aktualisieren. Allerdings muß hier ebenfalls die sanktionsfreie Entscheidung des einzelnen gesetzlichen Richters erhalten bleiben und daher auch der potentielle kollegiale Druck beschränkt werden. Hierzu bedarf es erneut der gesetzgeberischen Legitimierung und Fixierung der steuernden Anreize. 7. Nach alledem stehen die NSM und ihre Teilinstrumente unter einem strikten Gesetzesvorbehalt. Nur der parlamentarische Gesetzgeber kann die mit den NSM zwangsläufig verbundene Steuerungsmacht der Exekutive gegenüber den Richtern legitimieren und begrenzen. Gleichzeitig kommt nur ihm die Aufgabe und Kompetenz zu, die notwendige Institutionalisierung einer richterlich getra-

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genen Qualitätssicherung zur Beschränkung der strukturell in den NSM angelegten Quantitätsdominanz vorzunehmen.

VII. 1. Die NSM werden jenseits aller denkbaren Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit oder richterliches Handeln einen fundamentalen Wandel der Kultur in den Gerichten verursachen. Hier kann die zuvor kritisierte Steuerungsresistenz der Richterschaft eine positive Rationalisierungswirkung gegenüber dem (allzu) beschleunigten Voranschreiten der Rechtsprechungsverwaltung entfalten. 2. Dabei ist jedoch im Hinblick auch und gerade auf ein so abstraktes Prinzip wie die richterliche Unabhängigkeit sorgfältig zu differenzieren zwischen und Verfassungspolitik und Verfassungsrecht: Letzteres erlaubt wie so oft mehr, als erstere zuzugeben bereit ist.

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Sachverzeichnis Abwägung 215, 238 – und richterliche Unabhängigkeit 226 Amtshaftung 42, 143 – als Staatshaftung 146 – BGH-Rechtsprechung 145 – EuGH-Rechtsprechung 151 – und richterliche Unabhängigkeit 144 – Verschuldensgrad 149 Angemessenheitsprüfung, Besonderheiten 259 Anreizsystem 415, 416, 418 – Beförderung 418 – Entpersonalisierung 422 Arbeitsbedingungen der Richter 38, 68, 69, 398 Arbeitsgruppe Neues Haushaltswesen 353, 367 Ausschließlichkeit der Gesetzesbindung 60, 61 Balanced Scorecard 373 – in NPOs 375 – und Beyond Budgeting 408 Beamtenstatus 30 Beförderung 26, 87, 109, 111 Begründungpflichten, Abschaffung 291 Benchmarking 385, 390, 393 – Zweck 394 Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion 348 Bereitschaftsdienst 40, 43, 180, 349 Besoldung 111, 187, 254 – und Parlamentarischer Rat 164 – Verbesserung 43 Better Budgeting 414 Beurteilung 26, 87, 109 – als Controlling 362

– Notwendigkeit 187 – und Kernbereich 192 – und Vorsitzende Richter 75 Beyond Budgeting 407, 408 Bindungswirkung exekutiver Einflußnahmen 114 Bindungswirkung richterlicher Entscheidungen 315, 316, 318, 380, 389 Budgetierung – als Anreizsystem 415, 418 – als Steuerungsintrument 399 – als Steuerungsmodus 404 – Better Budgeting 414 – Beyond Budgeting 408 – Fehlerfolgen 412 – Funktionen 403 – Inhalt und Funktionen 399 – Kritik 406 – Nachteile 413 – Sanktionsmechanismen 423 – zentrales Problem 405 Bundesverfassungsgerichts, Status 86 Controlling 336, 358, 384, 385, 389 – als Methode 360 – als Modus 363 – als primäre Kompetenzproblem 362 – durch Rechtsprechung 361 – Entökonomisierung 365 – Kompetenz 379 – Notwendigkeit 358 – Ökonomiefixierung 360 – Ökonomiefixierung als Problem 367 – und Koordination 360 – Verfahrensprobleme 363 Court Management 392

492

Sachverzeichnis

Data-Envelopment-Analyse (DEA) 378 Datenerhebung – Anonymisierung 356 – Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit 345, 346, 354 – Grenzen 345 – Grenzen der 346, 354, 356 – und Gesetzesvorbehalt 356 Delegationsbefugnis des Gesetzgebers 309 Dienstaufsicht 26 – als case law 104 – als Hierarchie 77 – als Verwaltungsaufgabe 103 – Beobachtung 347 – bzgl. Bundesverfassungsgericht 86 – durch Präsidenten 102 – offensichtlich fehlerhafte Entscheidung 107 – Rechtfertigung 108, 153, 230 – rechtliche Beurteilung 106 – Rechtsgrundlagen 101, 102 – subtiler Mißbrauch 75 – über Richter 98 – und dienstliche Beurteilung 109 – und gesetzgeberische Methode 186 – und Kontrolle 123 – und Rechtsprechungsmonopol 122 – zulässige Mittel 105 Dienstgericht des Bundes – Alles-Oder-Nichts-Rechtsprechung 258 – Definition der richterlichen Unabhängigkeit 104 Doppelstellung des Gerichtspräsidenten 26, 102 Druckhypothese 419 Eildienst 41 empirische Sozialforschung und Justiz 54 Entfesselung der Dritten Gewalt 162, 277, 413

Entformalisierung des gerichtlichen Verfahrens 280 Entstehungsgeschichte des GG-Rechtsprechungsabschnitts 100, 155 – Bedeutung des Art. 92 GG 167 – Resümee 172 – und richterliche Unabhängigkeit 166 Erledigungszahlen 36, 39, 393 Exekutive 388 – als Dienstaufsicht 26 – als Initiator der NSM 20 – begrenzte Ermächtigungsoptionen 323 – Einflußinstrumente 25 – Einschränkungskompetenzen 264 – Gleichordnung mit Judikative 32 – Handlungsfreiheit 303 – Maßstabsetzungsverbot 266 – und Gewaltenteilung 152 – Verantwortungsfreistellung 41 – Verbot der Einflußnahme auf Richter 60 – Zuständigkeit als Dienstaufsicht 98 – Zuständigkeit für Dienstaufsicht 102 Finanzbedarf 23 Fremdverwaltung der Gerichte 103 Gericht – als administrative Einheit 31 – als Exekutivbehörde 92 Gerichtsbegriff 29, 58, 89, 385, 386, 388 Geschäftsverteilung 26, 95 – als Verwaltungsaufgabe 28, 73 – durch Gesetzgeber 96 – Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit 73 – innerhalb der Spruchkörper 74 – und Gewaltenteilung 95 – und KLR 357 – und richterliche Unabhängigkeit 95 Gesetzesvorbehalt 123, 262, 423, 427 Gesetzgeber 269, 391 – Delegationsbefugnis 309, 318

Sachverzeichnis – Entscheidungsvorbehalt über Exekutivkompetenzen 123 – Ermächtigungsbefugnis der Richter 313 – Gestaltungsfreiheit 259 – Herrschaft über den Richter 311 – Kompetenz 123 – Pflichten 371 – Pflichten hinsichtlich der NSM 355 – Statusdefinition des Richters 63 – und Richtermacht 132 – Unzulänglichkeiten 270 – Zurückhaltung 185, 271 – Zurückhaltung des 106 gesetzlicher Richter, Allmacht 320 gesetzlicher Richter, Unabhängigkeit nur des 316, 321 Gewaltenteilung 21, 23, 50, 91, 93, 117, 124 – als Prinzip 123 – Ausgestaltung durch Gesetz 123 – Gerichtsgeprägtheit 120 – Konkretisierung durch Art. 92 GG 125 – Kontroll- und Mäßigungsfunktion 121 – Kontrolle 21, 269 – Montesquieu 128 – Relativierung durch Art. 92, 97 GG 124 – Selbstverwaltung der Gerichte 154 – Steuerungskraft 126 – Trennungsaspekt 124 – und Geschäftsverteilung 95 – und Inkompatibilität 90, 91 – und Kontrolle 118 – und Menschenbild 82 – und Verantwortungsbereiche 35 Gewohnheitsrecht, exekutive Gerichtsverwaltung als 31, 103 Handlungsspielräume, richterliche 281 Hierarchie 27, 73, 76, 81, 113, 273 Hierarchisierung 54 – durch exekutive Rechtsprechungsverwaltung 83

493

– informelle der Rechtsprechung 76 – innerhalb der Rechtsprechung 73 Ideologisierung, begriffliche 330 informationelle Selbstbestimmung 348 Inkompatibilität 88, 89, 92, 122, 126 innere Unabhängigkeit 47, 82, 160, 198, 220, 232, 244, 249, 261 – als zentraler Bezugspunkt 251 – besonderer Stellenwert 245 – notwendige Perspektivenerweiterung 255 – Sensibilisierung 256 – und Beurteilung/Beförderung 110 – und KLR 352 institutionelle (organisatorische) Unabhängigkeit 85, 88, 89, 93, 97 – keine Konstitutionalisierung 90 Juristenausbildung 53 Justizbeamter 30, 52 – kleiner 30 Justizbeamter, kleiner 55, 81, 160 Justizgewährleistungsanspruch 103, 223 – und Wirtschaftlichkeit 376 Justizminister 47, 121, 123 – als oberste Dienstaufsicht 48 – Institutionalisierung durch das Grundgesetz 51 – und Qualität der Rechtsprechung 370 Justizreform 25, 271 Justizverwaltungsrat 206 Kammer-/Senatsberatung 74 Karriere und Richterberuf 111, 197 Kompetenz 378 – der Exekutive 124 – zur Ausübung der Dienstaufsicht 98 Kontrolle 125, 380, 381, 386 – durch Controlling 358 – durch exekutive Dienstaufsicht 120 – durch KLR 336

494

Sachverzeichnis

– hierarchische innerhalb der Rechtsprechung 81 – und Amtshaftung 144 – und Gewaltenteilung 118, 124 Kosten-/Leistungsrechnung 385 – als Eingriff in die richterlicher Unabhängigkeit 352 – als Ressourcenverbrauchsrechnung 337 – als Steuerungsinstrument 353 – Anonymisierung 353 – Bedingungsabhängigkeit 358 – Defizite 337 – fehlender Markt 338 – Fehlsteuerung 344 – Funktion 335 – Individualisierung der Daten 356 – Informationszugang 344 – Komponenten 336 – Softwareabhängigkeit 342 – Steuerungswirkung 339, 342, 355, 384 – und Erledigungszahlen 356 – und Geschäftsverteilung 357 – Verfassungsrechtliche Reibungspunkte 343 – Zwecke 336 Kumulation von Gefährdungen 255

Montesquieu 128 – und Demokratie 129 – und Parlamentarischer Rat 129 – und Richtermacht 128 Neue Steuerungsinstrumente 20 New Public Management 18 NSM – Begriff 20, 24 – Determinanten der Bewertung 37, 39 – Motive der Kritiker 34 – und Budgetierung 399 – und fehlende Unabhängigkeitsdogmatik 185 – und fehlender Gesetzgeber 397 – und Gesetzesvorbehalt 116 – und Gewaltenteilung 124 – und informelle Steuerung 116 – und Modus der Leistungserbringung 401 – und Rechtsdogmatik 216 – unter Gesetzesvorbehalt 423 – verfassungsrechtliche Beurteilung 21 – Verfassungswidrigkeit de lege lata 427 – Widerspruch zur Gewaltenteilung 306

Legislative, Gefährdungspotential 71 Leistungsvergleich 340, 378, 388 Lord Chancellor 121 Lückenhaftigkeit des Grundgesetzes 58

Organisationsgebundenheit des Richters 212, 213, 238, 404, 422 Outcome 337, 340, 379 Output 340, 379 Output/Outcome-Differenz 341

Macht der Rechtsprechung 130, 132 Macht der Richter 133 Marionettentheorem 324 Maßnahme der Dienstaufsicht 189 Mitwirkungspflichten 285 Modernisierung 17, 34, 35, 183 Modus der Leistungserbringung 39 – Inhaltsbezug 277 – und Ergebnissteuerung 57 – und NSM 401

Parlamentarischer Rat – Mißtrauen gegen Richter 174 – Plenum 168 – Richterbeteiligung 157 – Richterwahl 162 – Selbstverwaltung der Gerichte 160 – und Rechtsprechungsverwaltung 157 – und Richteranklage 172 – und richterliche Unabhängigkeit 165 Pensen 38

Sachverzeichnis Personalisierung der richterlichen Unabhängigkeit 206, 211, 388 Präsidialverfassung 94, 95, 268 Präsidium 26, 73 – als Selbstverwaltungsorgan 95 – Aufgabe 94 – und Bereitschaftsdienst 180 – und institutionelle Unabhängigkeit 88 Privilegien 43, 195, 221 Prüfverfahren (§ 26 Abs. 3 DRiG) 208, 271, 274, 327 Qualitätsbegriff 380, 381, 383 Qualitätscontrolling 384 Qualitätsdefinition 39, 384, 385, 390, 410 Qualitätsmanagement 385, 387, 428 Qualitätsmessung 390, 394 Qualitätssicherung 36, 373, 380, 381, 382, 384, 385, 387, 389, 390, 391, 393, 426 Quantitätsdominanz 355, 379, 384 – Durchbrechung 379 – Kompensation 427 – und Balanced Scorecard 378 Quantitätsdruck 39 Quantitätsfixierung der Exekutive 368 Rechtsbeugung 42, 134 – als Amtshaftungsbarriere 143 – Restriktion des objektiven Tatbestands 137 – und Amtsverlust 138 – und ihre Hypotheken 138 – und Sperrwirkung 135 – Vorsatz 137 – Zweck 141 Rechtsmittelbeschränkung 293 Rechtsprechung, Charakterzüge der 44 Rechtsprechungslehre 54 Rechtsprechungsmonopol 21, 28, 93, 124, 237, 240, 384 – und Dienstaufsicht 122

495

Rechtsprechungsverwaltung 27, 162, 370, 387, 390, 391 – als zulässige Aufgabe der Exekutive 267 – Bedeutung des Wissens 347 – begrenzte Einzelermächtigung 304 – Bestimmtheitsgrad 302 – Einflußpotential 54 – Gefährdungspotential 73 – Gesetzesvorbehalt 275 – Machtkumulation der 306 – Operationsfeld der 302 – Organisationsvorgaben 123 – Rechtfertigung der Exekutivierung 131 – Schweigen des Grundgesetzes 49 – und Rechtsprechung 50 – und Trennungsgrundsatz 92 – Unterbestimmtheit 274 – Verbot der Maßstabsetzung 324 – Verflechtung mit Rechtsprechung 44 – Wahrnehmung als Problem 64 Rechtssatzmonopol 306, 323 Rechtswissenschaft 43, 45, 58, 64, 386 – Defizite der 57 Richter – Abhängigkeit von der Exekutive 64 – Begriff 58 – Status des 70 Richteranklage 23, 168 – im Parlamentarischen Rat 172 – und richterliche Empfindlichkeit 170 – und richterliche Unabhängigkeit 169 richterliche Unabhängigkeit – absolute Eingriffsgrenzen 240 – Abwägung 226 – als Aktenunabhängigkeit 69 – als Exekutivfreiheit 249 – als funktionale Garantie 179 – als Grundrecht 189 – Begrenzung durch Gewaltenteilung 62 – Bereich äußerer Ordnung 105, 190 – Einschränkungskompetenz der Exekutive 265

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Sachverzeichnis

– – – –

Einschränkungsoptionen 244 fehlende Definition 185 grundrechtliche Parallelen 223 Inhalt als Ergebnis von Konfliktlösungen 210 – Kernbereich 105, 190 – notwendiger Perspektivwechsel 219 – Schranken-Schranken 240 – Schutzgut 191 – subjektiv rechtlicher Gehalt 221 – und allgemeine Handlungsfreiheit 236 – und Amtshaftung 144 – und Besoldung/Beförderung 187 – und Bundesverfassungsgericht 200 – und Datenerhebung 346 – und Demokratie 131 – und Distanzierung vom Staat 226 – und Geschäftsverteilung 73, 95 – und Grundrechte 181 – und Grundrechtsdogmatik 227 – und Justizgewährleistungsanspruch 195 – und Legislative 71 – und Organisationsgebundenheit des Richters 212 – und Rechtsbeugung 136 – und Richteranklage 170 – und Verhältnismäßigkeitsprinzip 237 – und § 26 Abs. 3 DRiG 207 – verfassungsrechtlicher Stellenwert 182 – Widerspruch zur Gewaltenteilung 117 – Wirkung innerhalb der Rechtsprechung 314 Richterspruchprivileg 142 Richtervertretungen 69 Richterwahl, und Parlamentarischer Rat 162 Rufbereitschaft 40 SAP 343, 348 Schutzschild, richterliche Unabhängigkeit als 388 Selbstverwaltung der Gerichte 26, 95, 121, 124

– und Demokratie 132 – und Deutscher Richterbund 206 – und Gewaltenteilung 118, 154 Spruchgruppe 321 Status des Bundesverfassungsgerichts 24, 204 Stellung des Richters 22 Steuerungsdefizit des Gesetzgebers 134, 269 Steuerungsresistenz der Richter 133 Steuerungswirkung des Gesetzes 133 Strukturelle Gefährdungen 355 Terminierung 69, 72, 108 – und Amtshaftung 150 Unabhängigkeit der Gerichte 32 Unabhängigkeit der Gerichte, fehlende 91, 93, 94, 97, 213 Unabhängigkeitsbeschränkungen – Rechenschaftspflicht 227 – zulässige Zwecke 259 Unabhängigkeitsgarantie – (rechtsstaatliche) Bedeutung 34 – Überhöhung 42, 44, 179, 181, 387 – Weisungsfreiheit als Kern 76 – Zweck 85 Verantwortungsbereiche 35, 228 Verbot vermeidbarer Einflußnahme 202 Verbot vermeidbarer Einflußnahme und Verhältnismäßigkeitsprinzip 231 Verhältnismäßigkeit 216, 321 – Besonderheiten der Angemessenheitsprüfung 259 – und richterliche Unabhängigkeit 238 Verhältnismäßigkeitsprüfung, Parameter 258 Verkleinerung der Richterbank 286 Vorrang der Unabhängigkeit 187 Vorsitzender, Gleichordnung des 79 Vorsitzender Richter 80

Sachverzeichnis – und Beisitzer 81, 82 Vorsitzender; richtunggebender Einfluß 75 Wehrstrafgerichtsbarkeit 51, 100 Weisungsfreiheit 76, 166, 200, 241 Wirtschaftlichkeit 345 – als Steuerungsziel 421, 424 – als Ziel von Anreizsystemen 420, 424

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– Vorrang 376 Wissenserweiterung der Rechtsprechungsverwaltung 335, 336

Zeiterfordernis der Rechtsprechung 36, 342, 390 Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium 45, 205