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German Pages 346 [347] Year 2023
Beiträge zum Wirtschaftsstrafrecht Band 7
Der Irrtum im Außenwirtschaftsstrafrecht Von
Theresa Röttger
Duncker & Humblot · Berlin
THERESA RÖTTGER
Der Irrtum im Außenwirtschaftsstrafrecht
Beiträge zum Wirtschaftsstrafrecht Herausgegeben von Nikolaus Bosch und Nina Nestler
Band 7
Der Irrtum im Außenwirtschaftsstrafrecht Von
Theresa Röttger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.
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Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2022 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 30. März 2023 statt. Rechtsprechung und Literatur konnten bis November 2022 berücksichtigt werden. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bernd Heinrich, den ich über eine mandatsbezogene Zusammenarbeit während meiner Anwaltstätigkeit im Strafrecht kennenlernen durfte. Hieraus entsprang das Thema meiner Dissertation. Die Betreuung der Arbeit durch Herrn Professor Dr. Bernd Heinrich war mit viel persönlichem Kontakt verbunden, sodass ich mit den fachlichen Problemen nie allein dastand. Weiterhin danke ich Herrn Professor Dr. Bernd Hecker herzlich für das zügige Zweitgutachten. Mein Dank gilt darüber hinaus der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung in Hamburg, insbesondere Herrn Notar Dr. Axel Pfeifer, für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Herrn Professor Dr. Nikolaus Bosch und Frau Professorin Dr. Nina Nestler danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zum Wirtschaftsstrafrecht“. Schließlich möchte ich all denjenigen danken, die mich während der Zeit meiner Promotion unterstützt haben und ohne die die Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Dies sind allen voran meine Eltern, Maria del Sol ScholdeiRöttger und Dr. Robert Röttger, mein Freund Pascal Speier sowie mein Onkel Dr. Wolfgang Röttger, der für fachliche Gespräche stets bereitstand. Hamburg, im Juni 2023
Theresa Röttger
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Aktualität des außenwirtschaftsrechtlichen Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Kern der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Berechtigung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 IV. Modernes Strafrecht als Präventionsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Kapitel 1 Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht 28 A. Begriff und allgemeine Bedeutung des Außenwirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. AWG-Reform 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Die Strafvorschriften des AWG als Blanketttatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Exkurs: Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IV. Die Strafvorschriften des AWG im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Verwaltungsakzessorietät: Genehmigungsabhängige Normen . . . . . . . . . . . . . 35 3. Unionsrechtsakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. § 17 AWG: Verstöße gegen nationale Waffenembargos . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5. § 18 AWG: sonstige Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht . . . . . . . . . . 43 a) Absatz 1: Verstöße gegen unmittelbar geltende EU-Rechtsakte und gegen Genehmigungserfordernisse eines EU-Rechtsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Abs. 1a: Verstöße gegen eine vollziehbare Anordnung durch Einzeleingriff 45 c) Abs. 1b: Verstöße gegen Handlungsverbote bei Investitionsprüfung . . . . . 46 d) Abs. 2: Verstöße gegen nationale Entscheidungs- und Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 e) Abs. 3: Verstöße gegen die Kimberley-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 f) Abs. 4, Abs. 5a: Verstöße gegen die Anti-Folter-Verordnung . . . . . . . . . . . 48 g) Abs. 5: Verstöße gegen die Dual-Use-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 6. Zusammenfassung und Bedeutung für den weiteren Verlauf der Untersuchung 50 V. Parallelen zum KrWaffG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Das Blankettstrafgesetz
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A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Historie und Grund der Existenz von Blankettstrafgesetzen im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Zweck von Blankettstrafgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Gesetzestechnische Vereinfachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Wirtschaftsstrafrecht als „Strafrecht für Not- und Krisenzeiten“ . . . . . . . . 59 3. Heutige Bedeutung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Verweisungstypen im Außenwirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Terminologie im Zusammenhang mit Blankettstrafgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Echte vs. unechte Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Außenverweisung vs. Binnenverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Statische vs. dynamische Blankettverweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. Voll ergänzungsbedürftige vs. teilweise ergänzungsbedürftige Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Ausdrückliche vs. konkludente Blankette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 6. Qualifizierte Blankettnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 7. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. Der Blankettcharakter der Strafvorschriften des AWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand . . . . . . 76 I. Begriff und Funktion des Tatbestands im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Unterschiedliche Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Der gesetzliche Tatbestand als Beschreibung von Rechtsguts- und Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Arten von Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Deskriptive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Berechtigung der Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Befürwortung der Abgrenzung deskriptiver von normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Ablehnung der Unterscheidung deskriptiver von normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Gesamttatbewertende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Blankettmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Inhaltsverzeichnis
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III. Die Durchführung der Abgrenzung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen und deren Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Relevanz der Unterscheidung insbesondere für Vorsatz und Irrtum . . . . . . . . 91 2. Formelle Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Instanzverschiedenheit bei der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Verweisung ausdrücklich vs. konkludent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Materielle Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Ausfüllungsbedürftigkeit vs. Auslegungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Konstitutive Begründung der Strafbarkeit durch Ausfüllungsnorm vs. beschreibende Natur der in Bezug genommenen Rechtsquellen . . . . . . . . . . 95 c) Weitere Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Zweifel an der Berechtigung der Abgrenzung nach Teilen des Schrifttums 99 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6. Konkrete Anwendung auf das Außenwirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Kapitel 3 Die Einordnung der behördlichen Genehmigung in den strafrechtlichen Deliktsaufbau 103 A. Bedeutung der behördlichen Genehmigung im Hinblick auf die Verwaltungsakzessorietät des Außenwirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Gründe für Verstöße gegen Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Die Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund . . 104 II. Relevanz der Einordnung insbesondere für Vorsatz und Irrtum . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Abgrenzungskriterien bei genehmigungsabhängigen Straftatbeständen . . . . . 107 a) Unterscheidung zwischen negativem Tatbestandsmerkmal und Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Abgrenzung auf der Grundlage verwaltungsrechtlicher Kriterien nach der h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Präventive vs. repressive Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Einordnung bei den genehmigungsabhängigen Normen im Außenwirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (3) Einordnung bei den genehmigungsabhängigen Normen des § 22a KrWaffG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (4) Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (5) Weitere Abgrenzungshilfen von Teilen der Literatur . . . . . . . . . . . 112 bb) Strafrechtsspezifische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 cc) Wortlautauslegung des Straftatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
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Inhaltsverzeichnis dd) Sinn und Zweck der Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Vorgebrachte Kritik: Keine Unterscheidung nötig und möglich . . . . . . . . . 119 aa) Generelle Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . 122 bb) Generelle Einordnung als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 cc) Generelle Einordnung als objektive Straflosigkeitsbedingung . . . . . . . 126
III. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 D. Tatbestandsausschließende Genehmigung: negatives normatives Tatbestandsmerkmal oder Blankettmerkmal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Einordnung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Relevanz der Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Erarbeitung der eigenen Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Kapitel 4 Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
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A. Bestimmung des Untersuchungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 B. Irrtumslehre als Kehrseite der Lehre von Vorsatz und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 C. Historischer Kontext der Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Tatirrtum und strafrechtlicher bzw. außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum . . . . . 142 2. Irrtum über Blankettnormen grundsätzlich als außerstrafrechtlicher Irrtum 144 3. Kritik: willkürliche Abgrenzung und Verstoß gegen Schuldprinzip . . . . . . . . 146 II. Schrifttum: Vorsatztheorie vs. Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Vorsatztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Aufgabe der reichsgerichtlichen Irrtumsrechtsprechung in BGHSt 2, 194 . . . 154 a) Kernaussagen der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Bewertung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Historische Entscheidungen des BGH zu Blankettstrafgesetzen . . . . . . . . . . . 157 D. Geltende Gesetzeslage zum Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Entscheidung des Gesetzgebers für die Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Privilegierte Behandlung des im Tatumstandsirrtum befindlichen Täters gegenüber dem im Verbotsirrtum befindlichen Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Irrtum über Tatumstände, § 16 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Umstand des gesetzlichen Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Kenntnis und Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Inhaltsverzeichnis
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4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Verbotsirrtum, § 17 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Gegenstand des Unrechtsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Einsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Vermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 E. Weitere durch Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannte Irrtumsarten . . . . . . . . 168 I. Umgekehrte Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 II. Erlaubnistatumstandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 F. Problematik der strafrechtlichen Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 G. Behandlung des Irrtums bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen 176 I. Bedeutung der Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen für Vorsatz und Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Der Vorsatz bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Der Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Herrschende Auffassung: Parallelwertung in der Laiensphäre . . . . . . . . . . . . 177 2. Umgekehrter Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. An der herrschenden Auffassung geübte Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Undurchführbarkeit der Abgrenzung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Vagheit des Konstrukts „Parallelwertung in der Laiensphäre“ . . . . . . . . . . 181 c) Unlogische Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt . . . . 184 H. Behandlung des Irrtums bei Blanketttatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Irrtum über die Voraussetzungen der Ausfüllungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Kontroverse zwischen Lange und Welzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Herrschende Auffassung: Irrtum über Existenz der Ausfüllungsnorm als Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Zusammenlesen von Blankettnorm und Ausfüllungsnorm . . . . . . . . . . . . . 189 b) Konsequenz Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Umgekehrter Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Alternative Modelle zur Irrtumslehre im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Erste alternative Auffassung: Gleichbehandlung von normativen Merkmalen und Blankettmerkmalen bei Irrtumskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Bedeutungskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Weitere Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Doppelter Vorsatzbezug nach Kuhli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
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Inhaltsverzeichnis bb) Abgrenzung von präzisen bzw. unpräzisen Blankettvorschriften nach Lauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Restriktive Anwendung der Schuldtheorie nach Walter . . . . . . . . . . . . 201 2. Zweite alternative Auffassung: Rechtliche Wertungen nicht Teil des Vorsatzes 202 II. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. in Bezug auf Blankettnormen im Detail . . . 207 1. Kritik an der Durchführung des Zusammenlesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Semantische Bedenken: Veränderung von Wortlaut und Sinn . . . . . . . . . . 207 b) Verfassungsrechtliche Bedenken: Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz und Verstoß gegen die Garantiefunktion des Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Ausnahmen in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Konkrete Einzelanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Ausnahmsweise positive Verbotskenntnis erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Steueranspruchstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Parallele Struktur von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4. Keine stringente Anwendung der Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5. Keine Unrechtsvertypung des Tatbestands; Verstoß gegen den Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Argumente gegen die h. M. und deren Validität im Hinblick auf die Blankettnormen des Nebenstrafrechts allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Argumente gegen die h. M. und deren Validität im Hinblick auf die Blankettnormen des Außenwirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Problematik der Abgrenzung zu § 17 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
J. Behandlung des Irrtums bei Genehmigungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Irrige Annahme des Vorliegens einer wirksamen Genehmigung . . . . . . . . . . . . . 231 II. Irrtum über das Genehmigungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Herrschende Auffassung: Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Kritik im Schrifttum an h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Differenzierung praktisch unmöglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Keine konsequente Anwendung der Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Keine konsequente Durchführung der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Alternative Modelle zur Handhabung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Irrtum über Genehmigungspflicht stets Tatumstandsirrtum . . . . . . . . . . . . 236 b) Irrtum über Genehmigungspflicht stets Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Einhaltung der Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 K. Eigene Irrtumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Inhaltsverzeichnis
15
Kapitel 5 Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
251
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Irrtümer im Rahmen des Strafanwendungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Aktives Personalitätsprinzip des Außenwirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Stellung des Strafanwendungsrechts im Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Anwendung auf das Außenwirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der §§ 3 – 7 StGB (Tatort) . . . 253 2. Irrtum über Reichweite des deutschen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 C. Irrtümer über die Tauglichkeit als Tatsubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Irrtum über die tatsächliche Beschaffenheit des Gegenstands . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Irrtum über die rechtliche Einordnung des Gegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. §§ 17, 18 AWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. § 22a KrWaffG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 III. Weitere Irrtümer in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Irrtum über Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Irrtum über das Merkmal „besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Irrtum im Zusammenhang mit der Bausatztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Irrtum im Zusammenhang mit Catch-All-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5. Umgekehrte Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 I. Irrtümer im Zusammenhang mit der Tathandlung allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . 282 II. Irrtümer bezogen auf die Existenz der Ausfüllungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Irrtum über die Existenz der Verbotsnorm, z. B. eines Embargobeschlusses, der Kimberley-VO, der Anti-Folter-VO, der Dual-Use-VO . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Irrtum über die Reichweite der blankettausfüllenden Verbotsnorm . . . . . . . . . 285 3. Irrtum über die Listung von Personen, Organisationen etc. . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Umgekehrte Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 III. Irrtümer im Zusammenhang mit Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Unkenntnis der Allgemeinverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Unkenntnis der Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . 293 IV. Irrtümer im Zusammenhang mit Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Irrtum über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der notwendigen Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Irrtum im tatsächlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Irrtum im rechtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c) Umgekehrter Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Irrtum über das Genehmigungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
16
Inhaltsverzeichnis 3. Irrtum im Zusammenhang mit einer rechtsmissbräuchlich erwirkten Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 V. Doppelirrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 I. Irrtum im Zusammenhang mit dem Handeln für einen Geheimdienst einer fremden Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 II. Irrtum über die gewerbsmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 III. Irrtum über die bandenmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IV. Irrtum über Handlungen bezogen auf Trägertechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 G. Irrtümer im Bereich der Tatbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. abl. Abs. a. E. AE AEUV a. F. AG AL Anl. AöR Art. AT Aufl. AWG AW-Prax AWV BAFA BB Bd. BeckOK BeckRS Beschl. BFH BGB BGBl. BGH BMWK BRD BR-Drucks. BT BT-Drucks. BtMG BVerfG BVerfGE bzw. CWÜAG ders. d. h. dies.
andere/-r Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz am Ende Alternativentwurf Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht Ausfuhrliste Anlage Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftliche Praxis Außenwirtschaftsverordnung Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Betriebsberater Band Beck’scher Onlinekommentar Beck-Rechtsprechung Beschluss Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblätter Bundesgerichtshof Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Bundesrepublik Deutschland Bundesrat-Drucksache Besonderer Teil Bundestag-Drucksache Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen derselbe das heißt dieselbe
18 DÖV DRZ DSchG EG EGStGB EL ESG etc. EU EuGH EuR EUV f./ff. FG FS HRRS GA GASP gem. GG ggf. grdl. GS h. L. h. M. i. e. S. i. S. d. i. S. v. IWRZ JR Jura JuS JZ KG KK KriPoZ KrWaffG KWG KWKG KWL LG lit. LK MDR Müko m. w. N. NJW NK
Abkürzungsverzeichnis Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Denkmalschutzgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Ergänzungslieferung Ernährungssicherstellungsgesetz et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht Vertrag über die Europäische Union folgende Finanzgericht Festschrift Höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Grundgesetz gegebenenfalls grundlegend Gedächtnisschrift herrschende Lehre herrschende Meinung im engeren Sinne im Sinne des/der im Sinne von Zeitschrift für internationales Wirtschaftsrecht Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Karlsruher Kommentar Kriminalpolitische Zeitschrift Kriegswaffenkontrollgesetz Kreditwesengesetz Kriegswaffenkontrollgesetz Kriegswaffenliste Landgericht littera Leipziger Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar
Abkürzungsverzeichnis Nr. NStZ NStZ-RR NZS NZV NZWiSt OLG OWiG Pkw RGBl. RGSt RIW Rn. Rspr. RW s. S. SchwarzArbG SGB SJZ s. o. sog. Sp. StGB str. StrRG StV StVG s. u. u. a. UPR UrhG Urt. USA usw. v. Var. VereinsG Verf. VerkSiG vgl. VN VO VvVfG WaffG WasSiG WiSiG WiStG
Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Personenkraftwagen Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtsprechung Rechtswissenschaft siehe Seite Schwarzarbeitbekämpfungsgesetz Sozialgesetzbuch Süddeutsche Juristenzeitung siehe oben sogenannt/-e/-er Spalte Strafgesetzbuch streitig Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz siehe unten unter anderem Umwelt- und Planungsrecht Urhebergesetz Urteil United States of America und so weiter von/vom Variante(n) Vereinsgesetz Verfasserin Verkehrssicherstellungsgesetz vergleiche Vereinte Nationen Verordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Waffengesetz Wassersicherstellungsgesetz Wirtschaftssicherstellungsgesetz Wirtschaftsstrafgesetz
19
20 Wistra z. B. Ziff. ZIS ZRP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einleitung I. Aktualität des außenwirtschaftsrechtlichen Themas Mit aller Wucht hat zuletzt die militärische Invasion Russlands in die Ukraine das Außenwirtschaftsrecht mit seinem Instrument der Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Länder, Personen und Organisationen in das Bewusstsein der Allgemeinheit gebracht. Nachdem bereits im Zuge der Invasion der Krim durch die Russische Föderation im Jahre 2014 vom Rat der Europäischen Union (EU) im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach Art. 29 EUV u. a. ein Waffenembargo sowie Handelsbeschränkungen für Dual-Use-Güter1 und bestimmte Güter für die Erdölindustrie sowie Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt der EU beschlossen worden waren, wurden diese Maßnahmen aufgrund der aktuellen Situation nunmehr ausgeweitet und verschärft.2 Hierdurch ist der Bereich des Außenwirtschafts(straf)rechts wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
II. Kern der Arbeit Um den Kern der vorliegenden Arbeit zu verstehen, die sich ausweislich ihres Titels der Behandlung des Irrtums im Bereich des Außenwirtschaftsstrafrechts widmet, muss man sich zunächst den Mechanismus von Wirtschafts- und Finanzsanktionen vor Augen führen. Solche Sanktionsmaßnahmen, ob sie nun wie im Falle Russlands auf Beschlüssen des Rates der EU beruhen oder in anderen Fällen, etwa bezogen auf Nordkorea, auf Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN) – jeweils im Rahmen der GASP –, sind zwar völkerrechtlich für die Mitgliedsstaaten verbindlich, müssen jedoch durch EU-Verordnungen oder nationale Rechtsakte umgesetzt werden, damit sie zu unmittelbar geltendem Recht werden. Letzteres, also die Umsetzung durch nationales Recht, gilt aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen der EU und deren Mitgliedsstaaten für Waffenembargos.3 Neben Embargos, die sich auf ganze Länder beziehen, gibt es auch solche, die nur bestimmte Personen betreffen, etwa wenn es um Maßnahmen gegen bestimmte Terrororganisationen geht. Hier werden im Anhang der jeweiligen EU-Verordnung 1
Zum Begriff des Dual-Use-Guts siehe noch Kapitel 1 B. IV. 5. g) Fn. 144. https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/Russland/russ land_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:10 Uhr. 3 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 24. 2
22
Einleitung
diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen in einer Liste (sog. Namensliste) aufgezählt, die vom Embargo betroffen sind. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Ahndung von Verstößen gegen angeordnete Sanktionsmaßnahmen schafft hierzulande das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) mit seinen Strafnormen § 17 und § 18 AWG.4 Dabei fällt auf, dass beide Strafnormen auf andere Rechtsakte verweisen; im Falle von § 17 AWG, der den Verstoß gegen Waffenembargos regelt, auf eine nationale Rechtsverordnung (und zwar die Außenwirtschaftsverordnung), im Falle von § 18 AWG, der alle sonstigen vom Gesetzgeber für strafwürdig befundenen Verstöße gegen europäisches oder nationales Außenwirtschaftsrecht betrifft, v. a. auf EU-Verordnungen und auf die Außenwirtschaftsverordnung (AWV).5 Diese Form von sog. Blankettgesetzgebung findet ihren Grund vor allem darin, dass hierdurch eine flexible und kurzfristige Anpassung auf eingetretene außenwirtschaftliche Erfordernisse möglich ist – indem (nur) die Verordnung angepasst, aber kein langwieriges Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden muss, können rechtsverbindliche Änderungen schnell vorgenommen werden.6 Durch die Unionsrechtsakzessorietät bzw. Verwaltungsakzessorietät der Strafvorschriften des AWG kann das strafbare Verhalten jedoch erst ausgemacht werden, wenn die Rechtsakte, auf die §§ 17, 18 AWG verweisen – die sog. Ausfüllungsnormen –, eingesehen werden. Teilweise bestehen hier regelrechte „Verweisungsketten“, indem etwa in der Ausfüllungsnorm, die das verbotene Handeln umschreibt, auf eine Namensliste oder eine Liste von Gegenständen weiterverwiesen wird, sodass das verbotene Handeln nur in Bezug auf die dort genannten Personen oder Organisationen bzw. Gegenstände gilt. Genau diese Tatsache, nämlich dass das vollständige strafbare Verhalten nicht aus den Tatbeständen der §§ 17, 18 AWG allein ersichtlich ist, wird von zahlreichen Stimmen in der Literatur zum Anlass für eine von den üblichen Grundsätzen der §§ 16, 17 StGB abweichenden Vorsatz- und Irrtumsdogmatik genommen. So wie die allgemeine Irrtumslehre ein nach wie vor stark umstrittenes Feld des allgemeinen Strafrechts ist, reicht auch der Streit um die irrtumsrechtliche Behandlung von Blankettnormen schon weit über hundert Jahre zurück7 und hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Während die herrschende Meinung die verweisende Blankettnorm und die ausfüllende(n) Norm(en) „zusammenliest“ und auf den so gebil-
4
Zur Kompetenzverteilung zwischen VN bzw. EU und dem nationalen Gesetzgeber siehe noch Kapitel 1 B. IV. 4. und 5. a). 5 Vgl. BT-Drucks. 17/11127, S. 26. 6 Vgl. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5. 7 Siehe dazu etwa schon Kohlrausch, S. 118 ff., 180 f., wobei der Begriff „Blankett“ noch nicht erwähnt wird.
Einleitung
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deten Gesamttatbestand die allgemeinen Irrtumsregeln anwendet,8 möchte eine in den letzten Jahren an Anhängern gewinnende Auffassung anders vorgehen. Bei Blankettnormen wie denen des Außenwirtschaftsstrafrechts müsse der Täter, so die gängige Begründung, um die Existenz des durch die Ausfüllungsnorm statuierten Gebots oder Verbots wissen – ansonsten könne von vorsätzlichem Handeln nicht die Rede sein.9 Kenne der Täter beispielsweise eine sein Handeln verbietende Embargoverordnung nicht oder wisse er nicht, dass eine bestimmte von ihm ausgeführte Ware in einem Anhang einer solchen Verordnung genannt werde, müsse ihm ein vorsatzausschließender Irrtum zugestanden werden. Begründet wird dies vor allem damit, dass, anders als bei den Straftatbeständen des Kernstrafrechts, die durch das Nebenstrafrecht sanktionierten Verhaltensweisen nicht allein durch die Sozialisierung für jeden als Unrecht erkennbar, teilweise sogar „unrechtsneutral“ seien.10 Hier wird oft der Begriff des mangelnden „Unrechtsappells“ genannt, der von der Tatbestandsverwirklichung ausgehe.11 Anders als etwa ein Dieb, der schon durch die Verwirklichung seiner Handlung einen sog. Unrechtsimpuls erfahre und daher die Möglichkeit habe, sich auch gegen seine Tat zu entscheiden, soll derjenige, der etwa entgegen einer EU-Verordnung einer gelisteten Person wirtschaftliche Güter zur Verfügung stellt, nur mit einer „unrechtsneutralen“ oder sogar „sozialadäquaten“ Pflicht konfrontiert sein,12 von der kein Impuls ausgehe, das Handeln zu unterlassen. Einige Tatbestände der §§ 17, 18 AWG sowie § 22a Abs. 1 KrWaffG, der in dieser Arbeit aufgrund der thematischen Nähe ebenfalls mitbehandelt wird, stellen auch den Verstoß gegen Genehmigungspflichten für teilweise in anderen Normen näher ausgeführte Handlungen unter Strafe. So verbietet etwa § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG, „ohne Genehmigung nach § 8 Abs. 1 AWV dort genannte Güter auszuführen“. Während schon keine Einigkeit darüber besteht, ob das Genehmigungsmerkmal als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund einzustufen ist13 8 BVerfGE 153, 310 (351 f.); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); Backes, S. 43; BeckOK-StGBKudlich, 54. Ed., § 16 Rn. 16; Fischer, § 1 Rn. 10; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 101; Schuster, S. 157 ff.; von der Heide, S. 39; Walter, S. 360; Warda, S. 36 ff. 9 Bülte, JuS 2015, 769 (776); Enderle, S. 332 ff., 339 ff., 352 f.; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 41; Müller-Magdeburg, S. 200, 206, 224; Papathanasiou, S. 119, 278 f., 281; Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (381); ders., Neumann-FS 2017, 1023 (1033 ff.); Schlüchter, S. 105, 116; dies., wistra 1985, 43 (44 f.); Tiedemann, S. 388; vgl. auch ders., Geerds-FS 1995, S. 95 (108). 10 NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 90. 11 Vgl. Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 1; Platzgummer, S. 63; Samson, Strafverfolgung, S. 99 (100, 104); Tischler, S. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 364. 12 Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). 13 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NJW 1996, 1604 (1605); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); BGH NStZ 2007, 644; BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Celle NStZ 2005, 412; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Brauer, S. 46 ff.; KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 71d; Lenckner, PfeifferFS 1988, S. 27; Löw, S. 112; Matt/Renzikowski-Rettenmaier/Gehrmann, Vor § 324 Rn. 6 f.;
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und bei der Annahme von ersterem, ob ein normatives Tatbestands- oder ein Blankettmerkmal vorliegt,14 ist auch die Behandlung vor allem eines Irrtums über die Genehmigungspflichtigkeit einer Handlung an sich umstritten.15 Auch hier wird – diesmal allerdings durch die herrschende Meinung – auf die „Sozialwidrigkeit“ einer Verhaltensweise abgestellt. Stelle die beschriebene Handlung „per se“, also bereits ohne die fehlende Genehmigung Unrecht dar, sei die Genehmigung bloßer Rechtfertigungsgrund und ein Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit lediglich (indirekter) Verbotsirrtum; andernfalls, also bei „Sozialadäquanz“ des Verhaltens, müsse das Merkmal „ohne Genehmigung“ ein Tatbestandsmerkmal sein, da erst die fehlende Genehmigung den Unrechtscharakter der Tat begründe, weshalb hier der Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit Tatumstandsirrtum sei. Das Ziel dieser Arbeit ist, zu demonstrieren, warum einerseits die erstarkende Meinung mit ihrer Behandlung eines Irrtums über die Existenz der blankettausfüllenden Norm als Tatumstandsirrtum allgemein und speziell in Bezug auf das Außenwirtschaftsstrafrecht abzulehnen und andererseits entgegen der herrschenden Meinung der Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Handlung stets Verbotsirrtum ist – ganz unabhängig von der Einstufung der Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund. Das Merkmal „ohne Genehmigung“ ist nämlich, wie noch zu zeigen sein wird, im Hinblick auf die Frage, ob bzw. wann eine Genehmigung eingeholt werden muss, Blankettmerkmal, sodass auch hier die Behandlung des Irrtums nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen muss. Erst bei der Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Genehmigung kommt man zur Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund, wobei, das sei an dieser Stelle ebenfalls schon vorweggenommen, nach hier vertretener Auffassung die Genehmigung stets Rechtfertigungsgrund ist – die Straftatbestände, die das Nicht-Einholen einer Genehmigung sanktionieren, umschreiben nämlich alle ausreichendes Unrecht.
III. Berechtigung der Untersuchung In der strafrechtlichen Wissenschaft finden sich bereits zahlreiche monographische Abhandlungen zur Behandlung des Irrtums bei Blanketttatbeständen.16 Da die Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 27; Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 235; Rengier, ZStW 101 (1989), 874; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61; Winkelbauer, S. 18 ff. 14 Enderle, S. 50 f., 249; Fortun, S. 75; Löw, S. 116 f.; Pfeiffer, S. 41. 15 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003, 55; BayObLG BeckRS 1993, 6086 Rn. 29; BayObLG NJW 1997, 1319 (1320); OLG Celle NStZ 2005, 412; Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53, 56; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 117; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 70; Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (884); Sch/Sch-SternbergLieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61. 16 Vgl. etwa Dietmeier, S. 1 ff.; Enderle, S. 1 ff.; Lauer, S. 1 ff.; Müller-Magdeburg, S. 1 ff.; Warda, S. 1 ff.; vgl. auch Kuhli, S. 215 ff.; Schuster, S. 157 ff.; Wolf, S. 166 ff.
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Meinungen, nach denen die Existenz des Verbots oder Gebots von blankettausfüllenden Normen vom Tätervorsatz umfasst werden muss, in den letzten Jahren zahlreicher werden, unternimmt die vorliegende Arbeit den Versuch, den „Trend umzukehren“, was am Beispiel der §§ 17, 18 AWG besonders anschaulich gelingen kann. Hinsichtlich des Irrtums bei Genehmigungstatbeständen gibt es zwar ebenfalls einiges an Literatur,17 es erstaunt jedoch, dass die Frage, ob das Merkmal „ohne Genehmigung“ Blankettmerkmal oder normatives Tatbestandsmerkmal ist, bislang wenig Beachtung gefunden hat.18 Dass diese Unterscheidung sogar vor einer Einordnung der Genehmigungspflicht als negativem Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund vorzunehmen ist, wurde, soweit ersichtlich, noch nicht grundlegend diskutiert. Dies nachzuholen, ist ebenfalls das Bestreben dieser Arbeit.
IV. Modernes Strafrecht als Präventionsstrafrecht Vorweg sind noch einige kurze Ausführungen zur heutigen Funktion des Strafrechts zu tätigen, auf die im Laufe der Arbeit vor allem im Rahmen der Auseinandersetzung mit der sog. Appellfunktion des Tatbestandes noch zurückzukommen sein wird. Während das Strafrecht ehemals rein repressiv wirkte und ausschließlich die Vergeltung der Schuld bezweckte, soll es heute im Sinne der Prävention auch Straftaten verhindern und somit Gemeinschafts- oder Individualrechtsgüter und -interessen zu schützen suchen.19 Durch die in den letzten Jahrzehnten eingetretenen gesellschaftlichen und technischen Veränderungen bzw. Entwicklungen sind neue Gefahren und Risiken entstanden, an die bei Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs am 1. Januar 1872 noch nicht zu denken war. Hier geht es vor allem um drohende „kollektive“ Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die teils in höchstem Maße abstrakt sind, wie etwa den „Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt und dessen Funktionsfähigkeit“20 oder im Falle des Außenwirtschaftsstrafrechts die „Verteidigungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland“ sowie das „Staatsinteresse am Bestand und der Erhaltung der Wirtschaftsordnung und der Position im Bündnissystem“21. Das moderne Strafrecht soll daher nicht nur für die Prävention von Rechtsgutsverletzungen Sorge tragen, sondern auch hinsichtlich bloßer Rechtsgutsgefährdungen präventiv wirken.22 So lässt sich gerade im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht die „Einführung neuer und Ausweitung bestehender Verbote“ 17 Dazu Heghmanns, S. 272 ff.; Jedwab, S. 131 ff.; Lenk, S. 163 ff.; Matejko, S. 33 ff.; Schuster, S. 196 ff.; Wolf, S. 195 ff. 18 Dazu nur Enderle, S. 50 f., 249; Fortun, S. 75; Löw, S. 116 f.; Pfeiffer, S. 41. 19 Albrecht, Diskurs 1995, 15; kritisch dazu Hassemer, Strafrecht, S. 222 ff. 20 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 31 WpHG in BR-Drucks. 793/93, S. 174. 21 BVerfG NJW 1999, 3325. 22 Albrecht, Diskurs 1995, 15 (18).
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beobachten, indem eine Zunahme abstrakter Gefährdungsdelikte zu verzeichnen ist.23 Mit der Einführung neuer Strafnormen gerade im Bereich der Wirtschafts- und Umweltkriminalität steigt indes die Befürchtung vor einer Ausuferung des Strafrechts.24 Unter dem Stichwort des „symbolischen Strafrechts“ wird kritisiert, das moderne Strafrechtssystem erstrecke sich auf „neue Lebensbereiche im Sinne von ,aktuellen Großproblemen‘“ und messe der verhaltenssteuernden Wirkung des Strafrechts eine zu große Bedeutung bei.25 Es setze sich eine „polizeiliche Logik durch, die das zuvor prägende Konzept von Schuld und Sühne überlagert und den Blick umkehrt, ihn auf zukünftiges Geschehen richtet.“26 Dass hierbei der Gesetzgebung bislang keine klare Grenzziehung zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht gelungen sei, wird ebenfalls hervorgehoben; so komme es vor, dass gleichschwere Rechtsverstöße teilweise mit Kriminalstrafe und teilweise nur mit Buße bedroht würden.27 Während der Kritik an dieser Erweiterung des Strafrechts ihre Berechtigung zumindest nicht ganz abgesprochen werden soll, kann die Lösung nicht darin liegen, bei den (Blankett-)Tatbeständen des Nebenstrafrechts eine abweichende Vorsatzund Irrtumsdogmatik anzuwenden und damit im Endeffekt die Kenntnis des Verbots zum Bezugspunkt des Vorsatzes zu machen. Ferner ist im Bereich des Nebenstrafrechts oftmals ein anderer, zum Teil hochspezialisierter Tätertypus zu verzeichnen, als dies vielleicht im „klassischen“ Strafrecht der Fall ist, was eine abweichende Irrtumslehre gerade nicht rechtfertigt. Das Strafrecht hat heutzutage aber ersichtlich eine andere Ausrichtung als noch vor 150 Jahren – dies mag man begrüßen oder ablehnen, an der Sache ändert dies jedoch nichts. Statt an den Vorsatzanforderungen zu „schrauben“, um ein für den Täter „gerechtes“ Ergebnis zu erzielen, müsste man vielmehr vorher ansetzen – und zwar bei der Frage, welche Verhaltensweisen überhaupt als kriminelles Unrecht anzusehen und welche nicht viel mehr eher dem Ordnungswidrigkeitenrecht zuzuweisen sind.28 Während dem Strafrecht die Aufgabe subsidiären Rechtsgüterschutzes zukommt, ist es zunächst dem Gesetzgeber überlassen, festzulegen, was vom Strafrecht umfasst werden soll, und ob Verstößen gegen Verhaltensnormen mit weniger bzw. anders eingreifenden Mitteln des Zivilrechts oder Öffentlichen Rechts begegnet werden kann. Der Gesetzgeber ist „bei der Entscheidung, ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts 23
Kaspar, Präventionsstaat, S. 61. Vgl. Müko-StGB-Radke, Vorbemerkung zu § 38 Rn. 4. 25 Amelung, ZStW 92 (1980), 19 (54); Hassemer, Rechtsstaat, S. 171; Müko-StGB-Radke, Vorbemerkung zu § 38 Rn. 6. 26 Singelnstein, Präventionsstaat, S. 41 (48 f.). 27 Sch/Sch-Kinzig, Vorbemerkungen zu den §§ 38 ff. Rn. 37. 28 Zur Abgrenzung von kriminellem und nicht kriminellem Unrecht vgl. Wolff, Strafrechtspolitik, S. 137 ff. 24
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verteidigen und wie er dies gegebenenfalls tun will, grundsätzlich frei“.29 Ob ein strafrechtliches Verbotsgesetz gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig ist, ist dann nicht zuletzt der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterworfen – kann das in Frage stehende Gesetz den Schutz wichtiger Güter und Interessen nicht sinnvoll (mit)bewirken, muss das Bundesverfassungsgericht korrigierend einschreiten.30 Es bleibt – zumindest theoretisch – darüber hinaus auch noch die Möglichkeit empirischer Überprüfung, ob die Aufstellung von mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrten Verhaltensnormen tatsächlich wirksam ist.31 Insgesamt ist daher festzuhalten, dass das Strafrecht in seiner heutigen Form den Fokus von Repression auf (jedenfalls auch) Prävention geändert hat. Dies ist zumindest im Falle des Außenwirtschaftsstrafrechts gerechtfertigt, wo es meist um die professionelle Abwicklung von außenwirtschaftlichen Geschäften mit Rüstungsgütern geht und es tatsächlich auch vielversprechend erscheint, durch Strafbewehrung entsprechender Verhaltensweisen potentielle Täter zur Einhaltung der Vorschriften und zur Erlangung notwendiger Rechtskenntnis zu motivieren.32 Würde man, wie von einem Teil der Literatur befürwortet, bei Unkenntnis des durch die blankettausfüllende Norm statuierten Verbots stets einen Vorsatzausschluss annehmen, so entfiele auch der Anreiz, sich um Rechtskenntnis zu bemühen und die präventive Wirkung wäre mindestens geschmälert.
V. Gang der Untersuchung Bevor die bereits knapp umrissene Irrtumsthematik ausführlich dargestellt und evaluiert wird, ist zum grundlegenden Verständnis im Folgenden zunächst die Systematik des Außenwirtschaftsstrafrechts mit seinen Blankett- und Genehmigungstatbeständen umfassend darzustellen (Kapitel 1). Sodann ist auf die verschiedenen Arten von Tatbestandsmerkmalen, insbesondere Blankettmerkmale, und deren Abgrenzung (Kapitel 2) einzugehen sowie auf die deliktssystematische Einordnung des Merkmals der (fehlenden) behördlichen Genehmigung (Kapitel 3), was dann wiederum bei der Behandlung der Irrtumsdogmatik und Darstellung der „eigenen“ Irrtumslehre (Kapitel 4) Bedeutung erlangt. Die daran anschließenden Ausführungen widmen sich den konkreten Irrtumsfällen im Außenwirtschaftsstrafrecht anhand von Beispielen (Kapitel 5), bevor abschließend ein Resümee gezogen wird.
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BVerfGE 120, 224 (240). – Zur Grenzziehung zwischen dem Strafrecht und dem Bereich der Ordnungswidrigkeit BVerfGE 27, 18 (28 ff.). 30 Kaspar, Präventionsstaat, S. 61 (66). 31 BVerfGE 88, 203 (262, 265). 32 Bei nicht-professionellen „Zufallstätern“ kann man dann immer noch mit der Vermeidbarkeit i. S. d. § 17 Satz 1 StGB arbeiten, dazu noch Kapitel 4 I. II. 5. a).
Kapitel 1
Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht A. Begriff und allgemeine Bedeutung des Außenwirtschaftsrechts Für die Bundesrepublik Deutschland als Exportnation ist das Außenwirtschaftsrecht von besonderer Bedeutung. Dessen vorrangiger Zweck ist – neben der Förderung der deutschen Außenwirtschaft durch weitgehende Liberalisierung – die Statuierung rechtlicher Vorgaben zur Erhaltung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts durch die „Kontrolle des sicherheitspolitisch relevanten grenzüberschreitenden Austausches von Waren und Dienstleistungen“.1 Hinzu kommt die Durchsetzung humanitärer, sicherheits- und außenpolitischer Interessen. Unter dem Begriff des Außenwirtschaftsrechts ist daher im weitesten Sinne das Instrument zur Regelung des Wirtschaftsverkehrs mit dem Ausland zu verstehen.2 Die maßgeblichen nationalen Vorschriften zur Regelung des Außenwirtschaftsverkehrs stellen dabei das Außenwirtschaftsgesetz (AWG), die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) und die Ein- und Ausfuhrliste (AL) als Anlage der AWV dar, wobei nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AWG grundsätzlich gilt, dass der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland sowie der Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Inländern, insgesamt also der Außenwirtschaftsverkehr, frei sind. Dies stellt eine Ausprägung der Freiheitsgrundrechte der Art. 12, 14, 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG dar, durch welche die Freiheit des wirtschaftlichen Handelns verfassungsrechtlich abgesichert wird.3 Dieser Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit ist allerdings durch Verbots- und Genehmigungsvorschriften eingeschränkt.4 Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AWG sind solche Beschränkungen durch das AWG oder durch Rechtsverordnung aufgrund des AWG möglich.5 Da etwa der Export von Rüstungsgütern und Dual-Use-Gütern6 die 1 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 5; Schmidt-Bryde, BT 2, § 14 Rn. 5; Schmidt/Wollenschläger-Schmidt, § 5 Rn. 40; Stein/Thoms, § 1 AWG Rn. 2. 2 Bieneck-Wolffgang, § 4 Rn. 2; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 2; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 2; vgl. auch BT-Drucks. 3/ 1285, S. 232. 3 Epping, S. 66 ff.; Lehner, S. 28; Stein/Thoms, § 1 AWG Rn. 3. 4 BT-Drucks. 17/11127, S. 19. 5 Vgl. Epping, S. 288 ff. 6 Zum Begriff siehe unter B. IV. 5. g) Fn. 144.
A. Begriff und allgemeine Bedeutung des Außenwirtschaftsrechts
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in den §§ 4, 5 AWG genannten Rechtsgüter wie z. B. die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland, das friedliche Zusammenleben der Völker, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden kann, unterliegt er einer Kontrolle bzw. einer Reglementierung.7 Konnte die Bundesrepublik Deutschland bei Erlass des AWG im Jahre 1961 ihr Außenwirtschaftsrecht noch selbständig bestimmen, so liegen die außenwirtschaftlichen Kompetenzen im Verhältnis zu anderen EU-Mitglieds- und Drittstaaten mittlerweile weitgehend bei der Europäischen Union.8 Daher fallen auch die Umsetzung bzw. Durchführung von EU-Embargomaßnahmen9 sowie Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen unter die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 2 AWG.10 Ferner kann die Außenwirtschaftsfreiheit nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AWG durch andere nationale Gesetze und Rechtsverordnungen eingeschränkt werden, wie beispielsweise durch das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffG), nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AWG durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, denen die gesetzgebenden Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes zugestimmt haben, oder nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 AWG durch Rechtsvorschriften der Organe zwischenstaatlicher Einrichtungen, denen die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsrechte übertragen hat, wobei hier insbesondere die unmittelbar geltenden EU-Verordnungen von Bedeutung sind. Die Einschränkung der Außenwirtschaftsfreiheit erfolgt damit aus dem übergeordneten Interesse des Gemeinwohls und des Staatsschutzes.11 Durch das Außenwirtschaftsgesetz sollen die Verteidigungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland sowie das „Staatsinteresse am Bestand und der Erhaltung der Wirtschaftsordnung und der Position im Bündnissystem“ geschützt werden.12 Vor allem die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (sog. Proliferation13) und konventionellen Rüstungsgütern ist Ziel der Verbots- und Genehmigungsvor7
Hocke/Sachs/Pelz-Sachs, § 1 AWG Rn. 14; Lehner, S. 29. Schmidt/Wollenschläger-Schmidt, § 5 Rn. 40. 9 Nach heutigem Verständnis werden unter dem Begriff des Embargos „hoheitliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Außenhandels bezeichnet, durch die ein Staat den Handel mit einem anderen Staat teilweise oder vollständig unterbricht, um letzteren durch den hierdurch erzeugten Druck zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen“; vgl. Krenzler/Herrmann/ Niestedt-Niestedt, 19. EL, Kap. V Rn. 1; vgl. zum Begriff auch Lindemeyer, S. 183 ff. und Ress, S. 7 f. 10 Hocke/Sachs/Pelz-Sachs, § 1 AWG Rn. 14. 11 Epping, S. 1 f.; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 3. 12 BVerfG NJW 1999, 3325. 13 Zum Begriff vgl. Grützner/Jakob, „Proliferation“: „Mit Proliferation wird die Weiterverbreitung von ABC-Waffen, deren Rohstoffen und Komponenten und den zugehörigen Raketensystemen bezeichnet, insbesondere an Staaten, die nicht über diese Waffen oder Raketen verfügen. Dabei geht es nicht nur um die Weitergabe von Waffen und Raketensysteme als solche, sondern auch um die Weiterverbreitung von Technologie für die Entwicklung oder Herstellung von ABC-Waffen. Es ist eines der wichtigsten Ziele des Exportkontrollrechts, Proliferation zu verhindern“. 8
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
schriften.14 Im Interesse einer effektiven Kontrolle sind auch einzelne Komponenten sowie Ausrüstung, Technologie und Know-How zur Herstellung von Rüstungsgütern von den Einschränkungen des freien Warenverkehrs betroffen.15 Darüberhinaus werden aus demselben Grund auch Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können, sog. Dual-Use-Güter, einer außenwirtschaftlichen Kontrolle unterworfen. Die Umsetzung des Ziels, diese mit dem Außenwirtschaftsverkehr verbundenen Gefahren unter Kontrolle zu bringen, geschieht nicht zuletzt durch die in dieser Arbeit behandelten Strafvorschriften des Außenwirtschaftsstrafrechts, §§ 17 und 18 AWG. Als durch diese Straftatbestände geschützte Rechtsgüter können folglich die wesentlichen Sicherheitsinteressen der BRD, das friedliche Zusammenleben der Völker und die auswärtigen Beziehungen der BRD ausgemacht werden, wobei auch die durch die Genehmigungsvorbehalte strafbewehrten Beschränkungsmöglichkeiten des freien Wirtschaftsverkehrs mit dem Ausland den übergeordneten Interessen des Gemeinwohls und folglich dem Schutz des Allgemeinwohls dienen.16 Ferner ist bei den Genehmigungstatbeständen weiteres, aber gerade nicht ausschließliches Schutzgut der formale Geltungsanspruch des staatlichen Genehmigungsvorbehalts.17 Diese Unterscheidung wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch an Bedeutung gewinnen.18
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts I. AWG-Reform 2013 Das AWG von 196119 wurde im Jahr 2013 vollständig neu gefasst, inklusive einer grundlegenden Überarbeitung der Außenwirtschaftsstraftatbestände.20 Ziel war es, 14
Ehlers/Fehling/Pünder-Wolffgang, Bd. 1, § 21 Rn. 43; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 5; vgl. auch Lehner, S. 29 und Ehlers/Wolffgang-Merz/ Witte, S. 432 f. 15 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 5. 16 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 8 ff.; Graf/Jäger/WittigCornelius, § 17 AWG Rn. 5, § 18 AWG Rn. 4; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn 18 f. 17 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 2; Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 17 AWG Rn. 5, § 18 AWG Rn. 4; Wolffgang/Rogmann/ Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn 18 f.; a. A. aber Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 2; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 23; Lübbig, S. 195. 18 Siehe dazu noch Kapitel 3. 19 BGBl. 1961 I, S. 481 ff. 20 Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vom 6. 6. 2013, BGBl. I, S. 1482, mit Ausnahme der §§ 4, 5 und 11 in Kraft getreten am 1. 9. 2013. Die §§ 4, 5 und 11 traten am 14. 6. 2013 in Kraft; vgl. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen AWG Rn. 6 und Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 9.
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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das AWG unter Beibehaltung der Grundstrukturen des deutschen Außenwirtschaftsrechts, vor allem des Grundsatzes der Außenwirtschaftsfreiheit, zu vereinfachen und deutsche Sondervorschriften aufzuheben, die zu einer Benachteiligung deutscher Exporteure gegenüber der europäischen Konkurrenz geführt hatten.21 Das AWG wurde insgesamt gestrafft und übersichtlicher gestaltet, „jedenfalls im Hinblick auf die Neustrukturierung der Straftatbestände“22. Zugunsten einer etwas einfacheren Tatbestandsstruktur in den §§ 17, 18 AWG wurden die „teilweise ,kaskadenartigen Verweisungsketten‘“23 des § 34 AWG a. F. umstrukturiert. Es erfolgte eine grundlegende Neuordnung der Straf- und Bußgeldbewehrungen anhand der §§ 17 bis 19 AWG. Hiernach sind nur noch vorsätzliche Verstöße gegen die in den §§ 17 und 18 AWG bezeichneten Verbote und Genehmigungserfordernisse „im Interesse einer wirkungsvollen Prävention von bewussten, mit hoher krimineller Energie ausgeführten Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht“ strafbewehrt.24 Fahrlässige Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht, die bislang nach § 34 Abs. 7 AWG a. F. regelmäßig als Straftaten verfolgt wurden, sind demgegenüber, abgesehen vom leichtfertigen Verstoß gegen ein Waffenembargo nach § 17 Abs. 5 AWG, nur noch gemäß § 19 AWG bußgeldbewehrt.25 Dadurch wollte der Gesetzgeber erreichen, dass „Arbeitsfehler“ von „grundsätzlich rechtstreu“ Handelnden, die diesen bei der Abwicklung von Vorgängen mit außenwirtschaftsrechtlicher Relevanz trotz eines eingerichteten Compliance-Management-Systems unterlaufen können, nicht mehr kriminalisiert werden.26 Durch die grundsätzliche Herausnahme der fahrlässigen Tatbegehung aus der Strafbarkeit hat die Abgrenzung zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln und damit auch die in dieser Arbeit zu thematisierende Einordnung eines möglichen Irrtums als vorsatz- oder lediglich (in engen Grenzen) schuldausschließend an Bedeutung gewonnen.
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Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/11127, S. 19. Oehmichen, NZWiSt 2013, 339 (345). 23 Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 9. 24 Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/11127, S. 25. – Eine Gegenüberstellung der §§ 17 bis 19 AWG und der a. F. der Straftat- und Ordnungswidrigkeitentatbestände findet sich bei Kollmann, AW-Prax 2013, 267 (275 ff.). 25 Der einfach fahrlässige Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWG ist allerdings nicht strafbewehrt, auch nicht als Ordnungswidrigkeit nach § 19 AWG; vgl. Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 45 und Oehmichen, NZWiSt 2013, 339 (342). 26 BT-Drucks. 17/11127, S. 25; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, Vorbemerkungen AWG/AWV Rn. 11. 22
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
II. Die Strafvorschriften des AWG als Blanketttatbestände Die Strafvorschriften des AWG sind als Blanketttatbestände ausgestaltet.27 Ohne dass an dieser Stelle die unten28 noch vorzunehmende umfassende Erörterung und Auslegung des Begriffs des Blankettstrafgesetzes vorweggenommen werden soll, kann vereinfachend gesagt werden, dass sich bei Blankettnormen wie §§ 17, 18 AWG die strafrechtliche Relevanz einer Handlung erst im Zusammenhang mit der jeweiligen Ausfüllungsvorschrift ergibt – vorliegend entweder einer Vorschrift der AWV oder einer unmittelbar geltenden EU-Verordnung, im Falle des § 18 Abs. 1a AWG auch erst durch einen Einzeleingriff in Form eines Verwaltungsakts und bei § 18 Abs. 1b AWG durch eine Ausfüllungsvorschrift innerhalb des AWG, die wiederum in Form einer Kettenverweisung auf die AWV Bezug nimmt.29 Erst Blankettnorm und ausfüllende Norm zusammen lassen das strafbare Verhalten erkennen.30 Auch nach der Gesetzesreform besteht das AWG zum Teil aus „Blankettkaskaden“, indem die Ausfüllungsnorm ihrerseits auf weitere Regelungen oder Rechtsakte verweist, etwa auf Anhänge mit Listen, in denen die für die Ausfuhr oder andere Handlung verbotenen oder unter Genehmigungsvorbehalt gestellten Güter über viele Seiten hinweg aufgeführt werden. Vor allem zu nennen sind die Anlage zur AWV,31 der Anhang zur EU-Verordnung Nr. 2021/821 (im Folgenden: Dual-UseVO)32 oder die entsprechenden Personenlisten zu einzelnen Terrorismus-Embargos.33 Beispielsweise heißt es in § 18 Abs. 5 Nr. 1 Var. 1 AWG: „Ebenso wird bestraft, wer gegen die Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend die Güter mit doppeltem Verwendungszweck (ABl. L 206 vom 11. 6. 2021, S. 1) verstößt, indem er ohne Genehmigung nach Artikel 3 Absatz 1 Güter mit doppeltem Verwendungszweck ausführt“.
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Vgl. BGH NStZ-RR 2003, 55; BGH NStZ 2007, 644; BGH NZWiSt 2013, 113; OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 8969; Andrzejewski, S. 112; Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 47; Erbs/ Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5; Hocke/Sachs/PelzPelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 3; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, Vorbemerkungen AWG/AWV Rn. 12; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 33; Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 5. 28 Siehe dazu Kapitel 2. 29 Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 6. 30 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 3. 31 BGBl. 2013 I, S. 2898. 32 VO (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Neufassung), ABl. EU Nr. L 206 vom 11. 6. 2021, S. 1. 33 Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 13.
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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Jener Art. 3 Abs. 1 der Dual-Use-VO lautet: „Die Ausfuhr der in Anhang I aufgeführten Güter mit doppeltem Verwendungszweck ist genehmigungspflichtig“. Im genannten Anhang I zur Dual-Use-VO wiederum werden verschiedene Dual-UseGüter aufgezählt. Um bei diesem Beispiel zu erkennen, welche Handlung in § 18 Abs. 5 Nr. 1 Var. 1 AWG konkret mit Strafe bedroht ist, muss man also auch die DualUse-VO und ihren Anhang I in den Blick nehmen. Die extensive Aufzählung von Produktbezeichnungen in den Güterlisten macht den Abgleich mit der jeweiligen betroffenen Ware indes schwer, da dieser in der Praxis häufig einer eingehenden technischen und rechtlichen Prüfung bedarf, nach der zudem noch Zweifel verbleiben können.34 Die Verwendung von Blankettnormen hat für den Gesetzgeber den Vorteil, dass flexibel auf eine Veränderung der außen- und sicherheitspolitischen Lage reagiert werden kann.35 So können im Falle des § 17 AWG international beschlossene Sanktionsmaßnahmen gegen bestimmte Länder, die keine unmittelbare Wirkung im deutschen Strafrecht entfalten,36 durch bloße Änderung der AWV in das nationale Strafrecht übernommen werden.37 Dies kann durch Aufnahme des betreffenden Landes in eine in §§ 74, 75 oder 77 AWV aufgeführte Liste erreicht werden. Über § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG wiederum erlangen entsprechende EU-Embargos38 durch ihre Veröffentlichung im Amtsblatt der EU unmittelbare Geltung.39 Da die EU über keine Befugnis zur Setzung kriminalstrafrechtlicher Normen verfügt, der nationale Gesetzgeber allerdings als Gemeinschaftsmitglied verpflichtet ist, Verstöße gegen das Unionsrecht zu verfolgen, obliegt es der Bundesrepublik, unionsrechtsakzessorische Blankettstrafgesetze zu schaffen.40 Diese strukturelle Verknüpfung des AWG mit der AWV und dem Unionsrecht wird sogleich unten unter IV. dargestellt werden. Die Behandlung von Irrtumskonstellationen bei Verwendung der Blanketttechnik führt allerdings zu beachtlichen Schwierigkeiten und stellt bis heute eines der umstrittensten Probleme des Strafrechts dar.41 34
Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 13. Bieneck, wistra 1994, 173; Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 47; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, Vorbemerkungen AWG/AWV Rn. 12; Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 5; Trouet, Krause-FS 1990, S. 407 (418). 36 In diesem Falle Waffenembargos, dazu unter B. IV. 3. 37 Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 4. 38 Unter dem Begriff des EU-Embargos werden hier solche Embargos verstanden, die durch die EU ausgesprochen werden. 39 Ein ständig aktualisierter Überblick über die geltenden Embargos findet sich auf den Internetseiten des Bundesamtes für Ausfuhrkontrolle (https://www.bafa.de/DE/Aussenwirt schaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/embargos_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:11 Uhr). 40 Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 16. 41 Siehe dazu Kapitel 4 H. und I. 35
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
III. Exkurs: Bestimmtheit Da im Zusammenhang mit Blankettnormen auch stets die Frage der Bestimmtheit i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG aufgeworfen wird, soll zunächst noch kurz hierauf eingegangen werden. Grundsätzlich ist eine Strafnorm verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie „die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreibt, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Der Wortlaut ist so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht“42.
Jeder soll also erkennen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.43 Im Falle von Blankettstrafgesetzen bedeutet das, dass diese ausreichend deutlich erkennen lassen müssen, worauf sich die Verweisung bezieht.44 Die Blankettstrafnorm muss die ausfüllenden Regelungen und ihren möglichen Inhalt und Gegenstand klar genug bezeichnen und abgrenzen, und zwar auch dann, wenn auf Unionsrecht verwiesen wird.45 Wird die Blankettstrafnorm durch eine nationale Rechtsverordnung ausgefüllt, wie dies z. B. in § 18 Abs. 2 AWG mit Verweis auf die AWV geschieht, müssen neben der Verweisung auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Strafart bzw. das Strafmaß im Blankettstrafgesetz oder in einer anderen gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden.46 Dies gilt gleichermaßen bei Verweisungen auf Unionsrecht.47 Die Diskussion, ob die Blankettstrafvorschriften der §§ 17, 18 AWG i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ausreichend bestimmt sind, ist indes nicht Thema dieser Arbeit. Soweit ersichtlich, werden jedenfalls überwiegend keine „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“48 gegen die Blankettstraftatbestände des AWG vorgebracht.49 42 BGH NJW 2014, 1029; vgl. auch BVerfGE 48, 48 (56); BVerfGE 75, 329 (341); BVerfGE 126, 170 (195). 43 BVerfGE 75, 329 (341). 44 BVerfGE 51, 60 (74); BVerfGE 143, 38 (56). 45 BVerfGE 143, 38 (56 f.). 46 BVerfGE 14, 254 (257); BVerfGE 143, 38 (57 f.). 47 BVerfGE 143, 38 (57). 48 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 35. 49 Vgl. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, Vorbemerkungen AWG/AWV Rn. 12; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 35; kritisch hinsichtlich der sog. Rückverweisungsklauseln Bülte, BB 2016, 3075 (3080); Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 6 f.; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 11 und § 17 AWG Rn. 2; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 45, 58 f.
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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IV. Die Strafvorschriften des AWG im Überblick Da das Außenwirtschaftsrecht von einem Ineinandergreifen verschiedener nationaler und europäischer Normen geprägt ist, die wiederum teilweise auf völkerrechtliche Verträge, Rüstungskontrollabkommen und Resolutionen der Vereinten Nationen Bezug nehmen,50 ist für das allgemeine Verständnis der Materie ein Überblick über die etwas unübersichtliche Systematik des Außenwirtschaftsstrafrechts unerlässlich. Dabei soll nach einer Einführung (1.) und einer kurzen Erläuterung der Verwaltungs- und Unionsrechtsakzessorietät (2. und 3.) eine Darstellung der beiden Strafvorschriften des AWG, §§ 17 und 18 AWG, unter Erwähnung der Anknüpfungspunkte innerhalb der Strafnormen für die Behandlung der Irrtumsproblematik bei Blankett- und Genehmigungstatbeständen – dem Gegenstand dieser Arbeit – erfolgen (4., 5. und 6.). 1. Grundsätzliches Die Strafvorschriften des AWG umfassen den Verbrechenstatbestand des § 17 AWG und den Vergehenstatbestand des § 18 AWG. § 17 AWG erfasst dabei Verstöße gegen nationale Waffenembargos, § 18 AWG alle anderen zu sanktionierenden Verstöße gegen europäisches oder nationales Außenwirtschaftsrecht, die nicht schon unter § 17 AWG fallen.51 Verstoßen werden kann dabei gegen Handlungsverbote oder Verbote, bestimmte Handlungen nicht ohne die erforderliche Genehmigung bzw. ohne die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Genehmigung vorzunehmen. Anhand des unterschiedlichen Bezugs der Normen kann eine grundsätzliche Einteilung in warenbezogene Vorschriften, also solche, die an eine abstrakte Gefährlichkeit bestimmter Waren, etwa Rüstungsgüter oder Dual-Use-Güter, anknüpfen, und personen-, organisations- oder staatenbezogene Vorschriften vorgenommen werden, die eine eingegrenzte Gruppe, wie etwa eine Terrororganisation, betreffen.52 Auch eine Kombination von beidem ist möglich. 2. Verwaltungsakzessorietät: Genehmigungsabhängige Normen Mit dem Begriff der Verwaltungsakzessorietät ist die Verknüpfung von Strafrecht und Verwaltungsrecht gemeint.53 Die strafrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts, insbesondere im sog. Nebenstrafrecht, kann in bestimmten Fällen von verwal-
50
Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 9. Kollmann, AW-Prax 2013, 267 (279); Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 39 f.; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 46. 52 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 7 ff. 53 Löw, S. 103; Müko-StGB-Schmitz, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 324 Rn. 42. 51
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
tungsrechtlichen Vorfragen abhängig sein.54 So machen auch einige Straftatbestände des Außenwirtschaftsstrafrechts die Strafbarkeit vom Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht, genauer von einem behördlichen Genehmigungserfordernis55 abhängig und sind damit verwaltungsakzessorisch.56 Hängt die strafrechtliche Beurteilung, wie in diesen Fällen, von konkreten Einzelakten der Verwaltung wie etwa einzelnen Genehmigungen ab, spricht man von Verwaltungsaktsakzessorietät.57 Neben dem Schutz der Sicherheitsinteressen und der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland sowie dem Völkerfrieden werden durch die Genehmigungstatbestände58 die Einhaltung eben dieses Genehmigungsverfahrens und damit die Funktionsfähigkeit der staatlichen Exportkontrolle geschützt.59 Für die Erteilung von außenwirtschaftsrechtlichen Genehmigungen ist nach § 13 Abs. 1 AWG in erster Linie das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig. Im Falle des AWG sind die Genehmigungserfordernisse überwiegend in der Strafnorm selbst genannt, z. B. bei § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG („Mit Freiheitsstrafe […] wird bestraft, wer gegen eine Genehmigungspflicht […] verstößt“). Teilweise hingegen wird die nicht vorhandene oder unwirksame Genehmigung nicht ausdrücklich in der Strafnorm aufgeführt, folgt aber aus der Verweisung: In § 17 Abs. 1 AWG etwa wird auf § 80 AWV Bezug genommen, der wiederum auf § 76 Abs. 1 AWV verweist, nach dem bestimmte Tathandlungen unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise genehmigt werden können.60 Die Möglichkeit des Verstoßes gegen eine Genehmigungspflicht ergibt sich erst aus der Verweisungskette.61 Generell umstritten ist, wie die Genehmigung dogmatisch einzuordnen ist, d. h. ob die behördliche Genehmigung bereits den Tatbestand ausschließt oder lediglich rechtfertigend wirkt.62 Dieses Problem tritt bei allen Straftatbeständen auf, in denen 54
Fortun, S. 19; Heinrich, ZAR 2005, 309; Löw, S. 103. Der im Gesetz z. B. in § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG verwendete Begriff der Genehmigungspflicht ist missverständlich bzw. wird in verkürzter Weise verwendet. Eine Genehmigungspflicht kann höchstens für die Behörde bestehen, in der Weise, dass ein gestellter Exportantrag zu genehmigen ist. Demgegenüber kann der Exporteur nur die Pflicht haben, vor einer bestimmten Ausfuhr eine Genehmigung zu beantragen. Gleichwohl wird auch im Folgenden von einer Genehmigungspflicht des Exporteurs gesprochen, womit die Verpflichtung gemeint ist, vor einer bestimmten Ausfuhr eine Genehmigung einzuholen. 56 Vgl. Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 58; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 33. 57 Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 58; Heinrich, ZAR 2005, 309; Hundt, S. 16 f., 19 f.; Lübbing, S. 176. 58 Mit dem Begriff der Genehmigungstatbestände sind im Folgenden solche Straftatbestände gemeint, die den Verstoß gegen das Erfordernis der Einholung einer Genehmigung sanktionieren. 59 Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 34. – Lübbing, S. 175 f., S. 177, sieht dagegen nur den staatlichen Genehmigungsvorbehalt als Schutzgut an. 60 Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 41. 61 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 25. 62 Vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 25; Fortun, S. 27 ff.; Heghmanns, S. 147 ff.; KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15; Löw, 55
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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ein Handeln ohne behördliche Genehmigung pönalisiert wird, wobei sich die Rechtswissenschaft insbesondere im Bereich des Umweltstrafrechts bereits mit der Thematik befasst hat.63 Für das Thema dieser Arbeit ist die Frage der dogmatischen Einordnung der behördlichen Genehmigung deshalb von Relevanz, weil die Einordnung – zumindest wird dies von der Rechtsprechung und dem größeren Teil der Literatur so gesehen64 – die Weichen stellt für die Behandlung von Irrtümern. Ohne an dieser Stelle diese im Verlauf der Arbeit noch zu diskutierende Problematik vertieft zu behandeln, sei bereits hier darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich zwei Sachverhaltskonstellationen zu unterscheiden gilt: Im ersten Fall geht der Täter irrtümlich vom Vorliegen einer (wirksamen) Genehmigung aus, im zweiten Fall unterliegt er der Fehlvorstellung, für das betreffende Verhalten keiner Genehmigung zu bedürfen, wobei dies auch in der Form möglich ist, dass er sich keinerlei Gedanken über eine mögliche Genehmigungspflicht macht.65 3. Unionsrechtsakzessorietät Das nationale Außenwirtschaftsstrafrecht ist größtenteils unionsrechtsakzessorisch. In diesem Zusammenhang erfolgen Verweisungen entweder auf EU-Verordnungen oder auf das europäische Recht umsetzende nationale Vorschriften. Die Straftatbestände des AWG unterscheiden zunächst zwischen Verstößen gegen Waffenembargos in § 17 Abs. 1 AWG und Verstößen gegen sonstige Embargos in § 18 Abs. 1 AWG. Embargos beschränken die Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs in Bezug auf bestimmte Länder oder, im Falle der Terrorismusbekämpfung, bezogen auf bestimmte Personen, Einrichtungen oder Organisationen und werden aus außen- oder sicherheitspolitischen Gründen angeordnet.66 Aufgrund der Kompetenzverteilung im Rahmen der Europäischen Union sind nationale Embargos nicht mehr zulässig.67 Die Wirtschaftsembargos, die Gegenstand des § 18 Abs. 1 AWG sind, finden sich daher in Verordnungen des Rates, die dieser nach Art. 215 AEUV erlässt und die nach Art. 288 AEUV in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar gelten.68 Waffenembargos der EU sind dagegen in Beschlüssen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach Art. 23 ff. EUV geregelt.69 Die BeS. 110; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43; Rengier, ZStW 101 (1989), 878 ff.; vgl. zur parallelen Problematik im Kriegswaffenkontrollrecht MükoStGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 27 und Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 9 – 11. 63 Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 9 – 11; vgl. auch Jedwab, S. 1 ff.; Jünemann, S. 27 ff.; Saliger, UmweltStR, Rn. 95 ff.; Winkelbauer, S. 16 ff. 64 Siehe dazu Kapitel 4 J. II. 1. 65 Vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 25; KK-OWiGRengier, § 11 Rn. 38 ff.; Schuster, S. 199 ff. 66 Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, Vor §§ 17 – 20 AWG Rn. 21. 67 Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 41. 68 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, 3. Kap. Teil 4 Rn. 13. 69 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, 3. Kap. Teil 4 Rn. 13.
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
schlüsse des Rates der EU im Rahmen der GASP sind völkerrechtlich für die Mitgliedsstaaten zwar verbindlich, müssen aber erst in nationales Recht umgesetzt werden, um auch gegenüber dem einzelnen Bürger Geltung zu entfalten.70 Gleiches gilt für Embargomaßnahmen der Vereinten Nationen nach Art. 41 der UN-Charta in Bezug auf Waffen.71 Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt durch entsprechende Regelungen in der AWV; Verstöße hiergegen werden durch den Straftatbestand des § 17 Abs. 1 AWG sanktioniert. Oftmals dient ein Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen als Embargogrundlage.72 Ein Beispiel für das genannte Zusammenspiel ist die Resolution 1390 (2002) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 16. 1. 2002, die durch die VO (EG) Nr. 881/200273 umgesetzt wurde und Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen betrifft, die mit dem Al-Qaida-Netzwerk in Verbindung stehen. Die Resolution sieht die Anordnung bestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vor und richtet sich gegen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die in der Namensliste des Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen74 und entsprechend auch in der Namensliste, die als Anhang I Bestandteil der VO (EG) Nr. 881/2002 ist, enthalten sind.75 National ergibt sich die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen das Al-Qaida-Embargo wiederum aus § 17 AWG i. V. m. §§ 80 Nr. 1, 74 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 AWV (Verstoß gegen Waffenembargos) bzw. aus § 18 Abs. 1 AWG i. V. m. der VO (EG) Nr. 881/2002 (sonstige Verstöße gegen Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs). In § 18 Abs. 3 – 5a AWG werden weitere Verstöße gegen EU-Verordnungen mit Strafe bewehrt. So wird etwa der Wirtschaftsverkehr der EU-Mitgliedsstaaten, also auch jener der Bundesrepublik Deutschland, mit Drittländern hinsichtlich solcher Waren und Technologien, die sowohl einer zivilen als auch einer militärischen Nutzung zugeführt werden können, durch die Dual-Use-VO beschränkt;76 Verstöße gegen die unmittelbar geltende Dual-Use-VO werden durch § 18 Abs. 5 AWG sanktioniert.
70 Cornelius, S. 258; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 24; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 5. 71 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, 3. Kap. Teil 4 Rn. 13. 72 Cornelius, S. 258. 73 VO des Rates vom 27. 5. 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen ISIL (Da’esh)- und Al-Qaida und der mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, ABl. EU Nr. L 139 vom 29. 5. 2002, S. 9, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/873 der Kommission vom 2. 6. 2022, ABl. EU Nr. L 152 vom 3. 6. 2022, S. 184. 74 https://www.un.org/securitycouncil/content/un-sc-consolidated-list, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:12 Uhr. 75 Cornelius, S. 258. 76 Cornelius, S. 258; Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, Vor §§ 17 – 20 AWG Rn. 16.
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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4. § 17 AWG: Verstöße gegen nationale Waffenembargos Der als Blankettstrafnorm ausgestaltete Verbrechenstatbestand des § 17 AWG pönalisiert Verstöße gegen Waffenembargos, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder vom Rat der Europäischen Union auf dem Gebiet der GASP beschlossen und durch Rechtsverordnung in das nationale Außenwirtschaftsrecht übernommen wurden.77 Trotz der internationalen Vorgaben wird in diesem Zusammenhang von „nationalen“ Waffenembargos gesprochen, weil die international beschlossenen Waffenembargos im Gegensatz zu sonstigen Embargos (insbesondere Wirtschaftsembargos) in nationales Recht umgesetzt werden müssen.78 Sowohl bei UN-Sanktionen als auch bei GASP-Beschlüssen der EU, die Verbote von Rüstungsgeschäften enthalten, fehlt es an einer unmittelbaren Wirkung im nationalen Recht; bei Rüstungsgeschäften gilt insoweit ein nationaler Vorbehalt der Mitgliedsstaaten.79 Der Verweis des § 17 Abs. 1 AWG auf die Güter des Teils I Abschnitt A der Anlage zur AWV stellt dabei klar, dass sich die Vorschrift lediglich auf Waffenembargos bezieht; sonstige Verstöße gegen Embargovorschriften können aber nach § 18 Abs. 1 AWG strafbar sein.80 Tatbestandsvoraussetzung nach § 17 Abs. 1 AWG ist die Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 1 AWG.81 Die durch den Blanketttatbestand des § 17 AWG in Bezug genommene Rechtsverordnung wird dabei durch die AWV, konkret § 80 AWV, ausgefüllt.82 § 80 AWV wiederum ist ebenfalls als Blanketttatbestand ausgestaltet und verweist auf die Embargobestimmungen der §§ 74, 75 und 77 AWV. § 80 Nr. 1 AWV in Verbindung mit § 74 AWV verbietet den Verkauf, die Ausfuhr und Durchfuhr von in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV bezeichneten Güter in die in § 74 Abs. 1 AWV genannten Länder bzw. an natürliche oder juristische Personen, Gruppen, Organisationen oder Einrichtungen, die in den Listen bzw. Maßnahmen gemäß der in § 74 Abs. 2 AWV genannten Rechtsakte aufgeführt sind; § 80 Nr. 2 AWV i. V. m. § 75 AWV statuiert ausnahmslos geltende Verbote von 77
Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 17 AWG Rn. 1; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 1; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 11. 78 Siehe dazu schon IV. 3. 79 Müko-StGB-Wagner, Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 14 und 24; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 5; vgl. auch Art. 346 Abs. 1b AEUV: „Jeder Mitgliedsstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen“. – Werden die internationalen Vorgaben nicht umgesetzt, besteht lediglich eine Haftung der BRD gegenüber der internationalen Gemeinschaft, jedoch mangels einer unmittelbaren Wirkung keine Strafbarkeit desjenigen, der gegen ein international beschlossenes Waffenembargo verstößt. 80 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 1; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 2. 81 Stein/Thoms, § 17 Rn. 8. 82 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 7; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 8.
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
Handels- und Vermittlungsgeschäften bezogen auf die in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV bezeichneten Güter, die unmittelbar oder mittelbar für Personen, Organisationen oder Einrichtungen oder zur Verwendung in den dort genannten Ländern bestimmt sind; § 80 Nr. 3 AWV i. V. m. § 77 AWV enthält Einfuhr-, Erwerbs- und Beförderungsverbote für die in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV genannten Waren, die aus den dort genannten Ländern stammen.83 Tatgegenstand können nur die in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV genannten Güter sein, d. h. Waffen, Munition oder Rüstungsmaterial.84 Damit wird der abstrakten Gefährlichkeit dieser Waren und der Sensibilität des Handels mit ihnen Rechnung getragen.85 Bestandteile und Zubehör für Rüstungsgüter sind nur mit umfasst, wenn sie in der entsprechenden Listenposition ausdrücklich benannt werden.86 Bei Gütern oder Bestandteilen von Gütern mit nicht eindeutig militärischem Bezug enthält die Anlage zur AWV bei einigen Listenpositionen, z. B. bei Landfahrzeugen im Sinne der Listenposition 0006, das einschränkende Merkmal, dass die Güter „besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ sein müssen.87 Anhand dieser Einschränkung sollen „Rüstungsgüter, deren militärische Eigenschaft nicht offen auf der Hand liegt, von Dual-Use-Gütern, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke Verwendung finden können“, abgegrenzt werden.88 Nach neuerer Rechtsprechung muss sich die Zweckbestimmung der nicht eindeutig militärischen Güter, d. h. ihre besondere Konstruktion oder Änderung für militärische Zwecke, anhand der Anlage zur AWV selbst und den Anmerkungen zu dieser sowie aus objektiven Merkmalen ergeben.89 Letzteres erfordert, dass die Ware neben dem subjektiven militärischen Verwendungszweck des Herstellers – der freilich nur als „sekundäres Kriterium“ im Sinne einer Auslegungshilfe dienen kann –90 objektive militärische Konstruktionsmerkmale, etwa durch technische Details, aufweist.91 83
Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 16. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 19. 85 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 56. – Zur Konkurrenz zu den Vorschriften des KrWaffG noch unter V. 86 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 17. 87 Bieneck, wistra 2008, 451 (452); Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 20; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 17; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 27; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 15. 88 BGHSt 55, 11 (26); vgl. dazu noch Kapitel 5 D. III. 2. 89 BGHSt 51, 262 (266 f.); BGHSt 55, 11 (27 ff.); Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 8; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 20; anders noch BGHSt 41, 348 (350), wo auf den Zweck, „dem eine Anlage nach den Vorstellungen ihres Erbauers dienen soll“, abgestellt wurde. – Zu dieser ehemals vertretenen sog. subjektiven Theorie vgl. auch Bieneck, wistra 2008, 451 (452 ff.) und ders., wistra 2010, 10 (15 f.). 90 Bieneck, wistra 2008, 451 (455). 91 BGHSt 51, 262 (266 f.); BGHSt 55, 11 (27 ff.); VGH Kassel BeckRS 2009, 42056; vgl. auch Bieneck, wistra 2008, 451 (455); ders., wistra 2010, 10 (17); Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 17 AWG Rn. 13; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 27. – Esser/Rübenstahl/ 84
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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Ebenfalls findet sich bei einigen Positionen der Anlage zur AWV die Formulierung „besonders konstruiert hierfür“, so etwa bei Position 0004, „Bomben, Torpedos, Raketen, Flugkörper, andere Sprengkörper und Sprengladungen sowie zugehörige Ausrüstung und Zubehör wie folgt und besonders konstruierte Bestandteile hierfür“. Hier wird keine besondere Konstruktion für „militärische Zwecke“ gefordert; es reicht eine besondere Konstruktion für den „Einsatz in der als Rüstungsgut erfassten Hauptsache“ aus, um diese Bestandteile ebenfalls als Rüstungsgut zu qualifizieren.92 Die unterschiedlichen Formulierungen liegen darin begründet, dass im Hinblick auf die durch die Listenpositionen geschützten Rechtsgüter der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, des Völkerfriedens und der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland bei Gütern mit offensichtlicher militärischer Ausrichtung eine weite Erfassungsvariante für Bestandteile für vertretbar, bei weniger militärisch ausgerichteten Gütern eine engere Erfassung der Bestandteile für geboten gehalten wurde.93 Damit die Ware bzw. der Warenbestandteil „besonders konstruiert“ i. S. d. Anlage zur AWV ist, soll nicht jede geringfügige Modifikation eines zivilen Gutes ausreichen, es sollen vielmehr konstruktive Änderungen an wesentlichen Funktionsmerkmalen der Ware erforderlich sein.94 Als Beispiel für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWG kann etwa das Waffenembargo gegen die Russische Föderation genannt werden, das angesichts der „Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, insbesondere die ausbleibenden Schritte Russlands, den Zustrom von Waffen, Ausrüstung und Kombattanten über die russisch-ukrainische Grenze zu stoppen“95, vom Rat der Europäischen Union im Bereich der GASP beschlossen wurde.96 Die Verbote des beschlossenen Waffenembargos wurden in den §§ 74 ff. AWV in nationales Recht umgesetzt. Aufgrund des so ins nationale Recht übernommenen Waffenembargos sind Verkauf, Lieferung, Verbringung und Ausfuhr von Rüstungsgütern und zugehörigen Gütern aller Art, einschließlich Waffen und Munition, Militärfahrzeugen und -ausrüstung, paramilitärischer Ausrüstung und entsprechender Ersatzteile nach Russland durch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten oder vom Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten aus sowie durch Schiffe oder Flugzeuge unter ihrer Flagge, unabhängig davon, ob diese Güter ihren Ursprung in der EU haben oder nicht,
Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 20, stellt auf ein „ausschließlich objektives Begriffsverständnis“ ab, wobei sich dies im Ergebnis praktisch nicht auswirken dürfte. 92 BGHSt 55, 11 (28). 93 BGHSt 55, 11 (29); Bieneck, wistra 2008, 451 (456). 94 BGHSt 55, 11 (28); Bieneck-Bieneck, § 28 Rn. 20; ders., wistra 2008, 451 (455). 95 https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/Russland/russ land_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:12 Uhr. 96 Aufgrund Art. 2 des Beschlusses des Rates der EU 2014/512/GASP vom 31. 7. 2014, ABl. EU Nr. L 229 vom 31. 7. 2014, S. 13.
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
verboten.97 Von dem Verbot sind weiterhin Einfuhr, Kauf und Beförderung der genannten Güter durch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten oder Schiffe oder Flugzeuge unter ihrer Flagge umfasst.98 Ein weiteres Beispiel ist das Waffenembargo gegen den Iran, das ebenfalls durch die §§ 74 ff. AWV in nationales Recht umgesetzt wurde und aufgrund dessen u. a. Verkauf, Ausfuhr, Durchfuhr, Einfuhr und Erwerb von Rüstungsgütern und Wehrmaterial jeglicher Art in den Iran bzw. aus dem Iran sowie damit in Verbindung stehende Handels- und Vermittlungsgeschäfte verboten sind.99 Irrtümer im Zusammenhang mit der Blanketteigenschaft des § 17 Abs. 1 AWG können sich nun daraus ergeben, dass der Täter bei seiner Handlung entweder nichts von der Existenz des nationalen Waffenembargos weiß, dass ihm also die Listung eines bestimmten Landes oder einer bestimmten Person, Organisation oder Einrichtung unbekannt ist, oder dass er keine Kenntnis von der Listung eines bestimmten Guts in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV hat. Wie solche Irrtümer in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft behandelt werden und richtigerweise behandelt werden müssen, soll vorrangiger Gegenstand dieser Arbeit sein. Darüber hinaus sind auch andere Irrtümer unabhängig von der Blankettform des Tatbestands denkbar, etwa im Zusammenhang mit der Eigenschaft als Rüstungsgut. An dieser Stelle zu erwähnen ist noch die Formulierung des § 17 Abs. 6 AWG, nach dem „in den Fällen des Absatzes 1“ ein Handeln mit einer rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigung dem Handeln ohne Genehmigung gleichgestellt wird. Zwar wird in § 17 Abs. 1 AWG kein „Handeln ohne Genehmigung“ genannt. Die Ausfüllungsnorm des § 17 AWG, § 80 AWV, verweist zunächst auch nur auf §§ 74, 75, und 77 AWV, die selbst ausschließlich Verbote enthalten. Allerdings sind in § 76 Abs. 1 AWV „abweichend von § 74 Absatz 1 und § 75“ Genehmigungsvorbehalte für einzelne Verhaltensweisen vorgesehen. Diese Art der Verweisungskette wird noch im Zusammenhang mit den in Kapitel 3 und 4 zu diskutierenden Genehmigungstatbeständen und der damit einhergehenden Irrtumsbehandlung Bedeutung erlangen.
97 Vgl. https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/Russland/Re striktive_Massnahmen_Russland/restriktive_massnahmen_russland_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:12 Uhr. 98 Vgl. https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/Russland/Re striktive_Massnahmen_Russland/restriktive_massnahmen_russland_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:12 Uhr. 99 Aufgrund Art. 1c des Beschlusses des Rates der EU 2010/314/GASP vom 26. 7. 2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran, ABl. EU Nr. L 195 vom 27. 7. 2010, S. 39; vgl. auch BAFA, Merkblatt zu den Entwicklungen des Iran-Embargos, Stand 2017, S. 11.
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5. § 18 AWG: sonstige Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht Bei dem als Vergehenstatbestand ausgestalteten § 18 AWG handelt es sich, wie bei § 17 AWG, um eine Blankettvorschrift, die zur Ausfüllung auf andere Vorschriften des AWG, der AWV oder auf Unionsrecht verweist.100 Erfasst werden „sonstige strafwürdige [vorsätzliche] Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht“101, d. h. solche gegen Sanktionsmaßnahmen und Genehmigungsvorbehalte, die keine von § 17 AWG geregelten Verstöße gegen Waffenembargos darstellen.102 In den Absätzen 1 bis 5a wird jeweils ein ausfüllendes materielles Gesetz in Bezug genommen und werden Verstöße oder Zuwiderhandlungen gegen sich hieraus ergebende Beschränkungen mit Strafe bedroht.103 Die Ausfüllungsnormen sind EUWirtschaftsembargos in Abs. 1, andere Vorschriften des AWG in Abs. 1a und 1b, die AWV in Abs. 2, die Kimberley-VO in Abs. 3, die Anti-Folter-VO in Abs. 4 und Abs. 5a sowie die Dual-Use-VO in Abs. 5.104 Auch hier soll zum besseren Verständnis ein kurzer Überblick über die einzelnen Tatbestände gegeben werden. a) Absatz 1: Verstöße gegen unmittelbar geltende EU-Rechtsakte und gegen Genehmigungserfordernisse eines EU-Rechtsakts Abs. 1 des § 18 AWG sanktioniert Zuwiderhandlungen gegen Verbote aufgrund von unmittelbar geltenden105 wirtschaftlichen Sanktionsverordnungen (Embargos) der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union, die keine Rüstungsgüter nach Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste als Anlage zur AWV106 betreffen107 und der Durchführung einer wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme im Bereich der GASP dienen.108 Im Gegensatz zu § 17 AWG handelt es sich hier um reine Wirtschaftsembargos.109 Diese unmittelbar geltenden Rechtsakte bedürfen keiner Umsetzung in nationales Recht, sondern lediglich einer Veröffentlichung im
100
Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 1. Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/11127, S. 26. 102 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 18 AWG Rn. 1. 103 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 46. 104 Vgl. Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 46. 105 Unmittelbar geltende Rechtsakte sind nur EU-Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 S. 1 AEUV; vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 4 und Leitner/ Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 3. 106 Bei Waffenembargos geht § 17 AWG als lex specialis vor, siehe dazu schon IV. 3. und 4. 107 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 1; Graf/Jäger/WittigCornelius, § 18 AWG Rn. 14; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 4. 108 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, Teil 4 Kap. 3 Rn. 33; Graf/Jäger/ Wittig-Cornelius, § 18 AWG Rn. 15; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 5. 109 Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 53. 101
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Amtsblatt der EU.110 Bestraft werden können Verstöße gegen EU-Verordnungen aber nur nach nationalem Recht, denn der Union kommt keine Befugnis zum Erlass strafrechtlicher Sanktionen zu.111 Bei § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG besteht die Tathandlung im Zuwiderhandeln gegen ein Verbot; dies betrifft bei Nr. 1 lit. a Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Erwerbs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs- und Investitionsverbote sowie bei Nr. 1 lit. b Verfügungsverbote über eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen. § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG regelt Verstöße gegen Genehmigungspflichten für die soeben genannten Handlungen. Ohne Genehmigung handelt dabei, wer im Zeitpunkt der Tathandlung keine wirksame Genehmigung hat, obwohl die Handlung einer solchen bedurft hätte.112 Beispiele für Sanktionsmaßnahmen im Sinne des § 18 Abs. 1 AWG finden sich z. B. in der Iran-Embargo-Verordnung.113 Mit dem Ziel der Verhinderung der Herstellung nuklearer Waffen114 sieht diese unter anderem Genehmigungsvorbehalte für Verkauf, Ausfuhr, Lieferung oder Weitergabe für Systeme, Ausrüstung und Bestandteile i. S. d. Dual-Use-VO115 (Art. 2a Abs. 1a i. V. m. Anhang I der Iran-Embargo-VO) oder für Güter und Technologien vor, die etwa „zu Tätigkeiten im Zusammenhang mit Anreicherung, Wiederaufbereitung oder Schwerwasser“ beitragen können (Art. 3a Abs. 1a i. V. m. Anhang II der Iran-Embargo-VO) und enthält auch Verbote, wie beispielsweise Verkaufs-, Ausfuhr-, Lieferungs- und Weitergabeverbote für Güter und Technologien, die „zur Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen“ beitragen können (Art. 4a Abs. 1 i. V. m. Anhang III der Iran-EmbargoVO).116 EU-Wirtschaftsembargos sind nicht nur auf ganze Länder, sondern gerade bei finanziellen Sanktionsmaßnahmen oft auch nur auf bestimmte Personen und Unternehmen bezogen, wobei diese in den Anhängen, den Sanktionslisten,117 aufgeführt werden, auf die in den Verordnungen verwiesen wird.118 Dadurch soll die Zivilbe110 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, Teil 4 Kap. 3 Rn. 32; Leitner/ Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 3. 111 BGHSt 41, 127 (131 f.); vgl. auch Dannecker/Freitag, ZStW 116 (2004), 797 (799). 112 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 18 AWG Rn. 24; zur Bedeutung der Genehmigung im strafrechtlichen Deliktsaufbau und für die Irrtumsproblematik siehe noch Kapitel 3 und Kapitel 4 J. 113 VO (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. 3. 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran, ABl. EU Nr. L 88 vom 24. 3. 2012, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1010 des Rates vom 27. 6. 2022, ABl. EU Nr. L 170 vom 28. 6. 2022, S. 17, mit Ausnahme des Waffenembargos, das von § 17 Abs. 1 AWG erfasst wird. 114 Vgl. OLG Frankfurt, BeckRS 2011, 16032. 115 Zur Dual-Use-VO siehe noch IV. 5. g). 116 Da diese Güter keine Rüstungsgüter i. S. v. Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (AL) zur AWV darstellen, ist hier § 17 AWG nicht einschlägig. 117 Ehlers/Fehling/Pünder-Wolffgang, Bd. 1, § 21 Rn. 43. 118 Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 8.
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völkerung der betroffenen Staaten vor den Folgen von Totalsanktionen geschützt und eine zielgerichtetere Bekämpfung der für die Gefahr bzw. Bedrohung Verantwortlichen erreicht werden.119 So sehen etwa die Embargomaßnahmen gegen das AlQaida-Netzwerk und den ISIL (Islamischer Staat)120 u. a. vor, dass alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Mitgliedern dieser Organisationen gehören oder in deren Eigentum stehen oder von ihnen verwahrt werden, eingefroren werden. Die Namen und Personalien der Betroffenen werden im Anhang I der Verordnung aufgeführt. Auch bei § 18 Abs. 1 AWG ist ein Irrtum über die Existenz des jeweiligen Embargos oder, falls nicht alle Güter vom Embargo betroffen sind, über die Listung eines bestimmten Gutes im jeweiligen Anhang des Rechtsaktes möglich. Bei personenbezogenen Embargos kann sich der Irrtum darüber hinaus auch auf die Nennung einer bestimmten Person bzw. Organisation in der Namensliste beziehen. Bei § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG ist ferner jedwede Art von Irrtum im Zusammenhang mit Genehmigungen denkbar, wobei insbesondere der Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit als solche in seiner dogmatischen Behandlung umstritten und daher Thema dieser Arbeit ist.121 b) Abs. 1a: Verstöße gegen eine vollziehbare Anordnung durch Einzeleingriff Der durch Art. 17 des Gesetzes vom 12. 12. 2019122 eingefügte Abs. 1a erstreckt die Strafbarkeit auf Zuwiderhandlungen gegen die mit einem Einzeleingriff nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG angeordneten Beschränkungen bezogen auf Verfügungen und Bereitstellungen von Geldern. § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG bezweckt dabei die Klarstellung, dass auch mit Sanktionen gegen natürliche oder juristische Personen, Gruppen oder Organisationen verbundene Listungen, die durch eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen123 oder von den Nebenorganen des Sicherheitsrates (insbesondere den Sanktionsausschüssen) auf der Grundlage solcher Resolutionen beschlossen werden, nicht nur im Wege einer Rechtsverordnung, sondern auch im Wege eines Einzeleingriffs nach § 6 AWG unverzüglich umgesetzt 119
Sog. „smart sanctions“ oder „targeted sanctions“; vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 17; vgl. zum Begriff auch Ehlers/Fehling/PünderWolffgang, Bd. 1, § 21 Rn. 43; Ganguli, S. 43; Ohler, EuR 2006, 848 (849 f.); Schlarmann/ Spiegel, NJW 2007, 870; Schmalenbach, JZ 2006, 349 (350). 120 VO (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. 5. 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen ISIL (Da’esh) und Al-Qaida und der mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, ABl. EU Nr. L 139 vom 29. 5. 2002, S. 9, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/873 der Kommission vom 2. 6. 2022, ABl. EU Nr. L 152 vom 3. 6. 2022, S. 184. 121 Siehe dazu noch v. a. Kapitel 4 J. 122 BGBl. 2019 I, S. 2602. 123 Gemäß Kapitel VII der Charta der VN.
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werden können; dies dient der Überbrückung der Zeitspanne bis zur Listung in einer unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung.124 Ein solcher Einzeleingriff erfolgt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) entweder durch einen Einzelverwaltungsakt, der regelmäßig nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG individuell bekannt gegeben wird, oder durch Allgemeinverfügung, deren Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 VwVfG öffentlich vonstatten geht. Hier kann sich ein Irrtum über die Existenz und den Inhalt eines solchen Verwaltungsaktes ergeben; aber auch der Irrtum über die Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes ist grundsätzlich denkbar. c) Abs. 1b: Verstöße gegen Handlungsverbote bei Investitionsprüfung Der durch das 1. ÄndG mit Wirkung vom 17. 7. 2020 eingefügte Abs. 1b sanktioniert Verstöße gegen Handlungsverbote des § 15 Abs. 4 AWG sowie die Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder Satz 2 Nr. 1 und 2 oder eine vollziehbare Anordnung aufgrund einer solchen Rechtsverordnung. § 15 Abs. 4 AWG enthält spezifische Verbotstatbestände „in den Fällen, in denen ein Rechtsgeschäft nach Absatz 3 schwebend unwirksam ist“, um den faktischen Vollzug des Erwerbs eines inländischen Unternehmens oder einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einem inländischen Unternehmen, soweit dadurch Sinn und Zweck der Investitionsprüfung unterlaufen werden, zu verhindern.125 Verboten nach § 15 Abs. 4 AWG ist u. a., dem Unternehmenserwerber sowohl die Ausübung von Stimmrechten zu ermöglichen als auch den Bezug von Gewinnauszahlungsansprüchen zu gewähren und unter bestimmten Voraussetzungen unternehmensbezogene Informationen zu überlassen. Der in § 15 Abs. 4 AWG genannte Absatz 3 nimmt wiederum hinsichtlich der schwebenden Unwirksamkeit auf die AWV Bezug, sodass sich letztendlich eine Kettenverweisung ergibt. Hier ist ein Irrtum über die Existenz der in § 15 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 und der AWV genannten Handlungsverbote möglich. d) Abs. 2: Verstöße gegen nationale Entscheidungsund Genehmigungsvorbehalte Anders als in § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG, der den Verstoß gegen eine in einer EUVerordnung geregelte Genehmigungspflicht bewehrt, werden durch § 18 Abs. 2 AWG vorsätzliche Verstöße gegen nationale Genehmigungserfordernisse und Entscheidungsvorbehalte unter Strafe gestellt.126 Erfasst werden „die ungenehmigte 124 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 6 AWG Rn. 2; vgl. auch amtl. Begr. BT-Drs. 19/ 15196, S. 57. 125 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 15 AWG Rn. 3; vgl. auch amtl. Begr. BT-Drucks. 19/18700, S. 20. 126 BT-Drucks. 17/11127, S. 27; vgl. auch Oehmichen, NZWiSt 2013, 339 (343) und Stein/ Thoms, § 18 AWG Rn. 34.
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Ausfuhr von oder ungenehmigte Handels- und Vermittlungsgeschäfte über Güter, die von der Ausfuhrliste erfasst sind“ sowie „Verstöße gegen Catch-all-Vorschriften127 in Bezug auf technische Unterstützung“.128 Die einstufige, d. h. auf nur eine Ausfüllungsnorm verweisende Blankettnorm129 des § 18 Abs. 2 AWG ist Ausdruck der Verwaltungsakzessorietät des Außenwirtschaftsstrafrechts;130 die verschiedenen Genehmigungs- und Entscheidungsvorbehalte werden mitsamt den Tathandlungen in den Nrn. 1 bis 8 des Abs. 2 unter Verweis auf die entsprechende Vorschrift der AWV aufgeführt.131 Zusammengefasst betreffen die Tathandlungen des § 18 Abs. 2 AWG die ungenehmigte Ausfuhr oder Verbringung von oder ungenehmigte Handels- und Vermittlungsgeschäfte mit gelisteten132 und nicht gelisteten Gütern sowie die verbotsoder pflichtwidrige technische Unterstützung.133 Die Genehmigungspflichten für nicht gelistete Güter stellen dabei auf einen bestimmten oder potentiell kritischen Verwendungszweck – etwa die Relevanz für ABC-Waffen oder militärische bzw. kerntechnische Zwecke – und/oder auf bestimmte sensitive Empfängerländer ab.134 Diese sog. Catch-All-Klauseln setzen die Kenntnis oder Unterrichtung des Täters durch das BAFA von diesem Bestimmungszweck und bzw. oder Bestimmungsland voraus.135 Bei Kenntnis des Täters von einem solchen Zweck muss er das BAFA über die von ihm geplante Handlung unterrichten, welches dann darüber entscheidet, ob die beabsichtigte Ausfuhr genehmigungspflichtig ist. Die Güter dürfen erst dann ausgeführt werden, wenn die Ausfuhr genehmigt oder entschieden wurde, dass keine Genehmigung nötig ist.136 Eine Strafbarkeit ergibt sich beispielsweise dann, wenn der Ausführer im Falle des § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 1 AWV von einem bestimmten Verwendungszweck und Bestimmungsland unterrichtet wurde und trotzdem keine Einholung einer Genehmigung für die Ausfuhr erfolgt ist. Bei § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 AWV ist die Strafbarkeit gegeben, wenn der Ausführer das BAFA über den ihm bekannten Zweck und das ihm bekannte Bestimmungsland unterrichtet, die Entscheidung des BAFA über eine mögliche Genehmigungspflicht aber nicht abwartet oder bei positiver Entscheidung auf Ge127
Zum Begriff sogleich unten. BT-Drucks. 17/11127, S. 27. 129 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 49. 130 Siehe dazu schon B. IV. 2.; vgl. ferner Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 34. 131 Vgl. Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 35. 132 Die Vorschrift erfasst damit Fälle, in denen § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 74 f. AWV nicht eingreifen, weil der Bezug zu einem dort genannten Embargoland fehlt; vgl. Esser/ Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 24. 133 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 18 AWG Rn. 27. 134 Vgl. § 9 Abs. 1 AWV; Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, Teil 4 Kap. 3 Rn. 47. 135 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, Teil 4 Kap. 3 Rn. 47; vgl. auch Bieneck, wistra 2008, 208 (210). 136 Vgl. § 9 Abs. 2 AWV. 128
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nehmigungsbedürftigkeit die Ausfuhr trotz nicht eingeholter oder nicht erteilter Genehmigung durchführt. Dies gilt aber auch, wenn der Ausführer trotz Kenntnis die Ware ausführt und seiner Meldepflicht von vornherein nicht nachkommt.137 Ebenso wie bei Abs. 1 sind hier wieder Irrtümer aus dem Bereich des Strafblanketts – namentlich über die Listung von Gütern in der Anlage zur AWV – und aus dem Bereich der Genehmigungstatbestände bzw. bei den Catch-All-Klauseln der entsprechenden Unterrichtungstatbestände möglich. Weiterhin ergeben sich Anknüpfungspunkte für Irrtümer bei den betreffenden Gütern bezüglich ihrer jeweiligen Eigenschaft als Tatobjekt sowie hinsichtlich einer möglichen Sonderdeliktseigenschaft bei den Catch-All-Klauseln.138 Auch ein Irrtum über die Tathandlung ist hier denkbar, etwa wenn unzutreffenderweise von einem Durchführen statt eines Ausführens ausgegangen wird und daher keine Genehmigung eingeholt wurde. e) Abs. 3: Verstöße gegen die Kimberley-Verordnung Durch § 18 Abs. 3 AWG werden Verstöße gegen die Ein- und Ausfuhrverbote der in der Vorschrift genannten Artikel der Kimberley-Verordnung139 strafbewehrt, deren Zweck die Verhinderung des „Eindringen[s] von Konfliktdiamanten in den rechtmäßigen Handel“ ist.140 Die Ein- und Ausfuhr von Rohdiamanten ist nach der Verordnung nur zulässig, wenn diese sich in einem verschlossenen, versiegelten Behältnis befinden und von einem Kimberley-Zertifikat begleitet werden, aus dem sich ihre Herkunft ergibt.141 Ein Irrtum kann sich bei § 18 Abs. 3 AWG vor allem auf die Existenz der Kimberley-VO beziehen, aber auch ein Irrtum über die Tathandlung kann wie bei § 18 Abs. 2 AWG vorliegen. f) Abs. 4, Abs. 5a: Verstöße gegen die Anti-Folter-Verordnung § 18 Abs. 4 und Abs. 5a AWG pönalisieren den Verstoß gegen die in ihren Nrn. 1 bis 10 respektive Nrn. 1 und 2 aufgezählten Vorschriften der Anti-Folter-Verordnung,142 die den Handel mit bestimmten Gütern beschränkt, die zur Vollstreckung der
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Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 30. Siehe dazu noch Kapitel 5 C. und D. 139 VO (EG) Nr. 2368/2002 des Rates vom 20. 12. 2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses für den internationalen Handel mit Rohdiamanten, ABl. EU Nr. L 358 vom 31. 12. 2002, S. 28, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1359 vom 27. 7. 2022, ABl. EU Nr. L 205 vom 5. 8. 2022, S. 99. 140 Abs. 1 der Gründe der VO (EG) Nr. 2368/2002. 141 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 51; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 99. 142 VO (EU) 2019/125 Nr. 1236/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 1. 2019 über den Handel mit bestimmten Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder 138
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
49
Todesstrafe, zur Folter oder zu einer vergleichbaren Behandlung eingesetzt werden können.143 Die betreffenden Güter werden in den Anhängen der Verordnung aufgelistet. Erfasst werden Verstöße gegen Verbote und Genehmigungsvorbehalte, wobei diese sich jeweils auf unterschiedliche, in verschiedenen Anhängen genannte Güter beziehen. Auch hier kann der Täter einem Irrtum über die Existenz der Anti-Folter-VO unterliegen oder sich über die Genehmigungspflichtigkeit seines Handelns irren. Ferner kann er irrig davon ausgehen, das betreffende Gut werde nicht im jeweiligen Anhang aufgeführt. g) Abs. 5: Verstöße gegen die Dual-Use-Verordnung In § 18 Abs. 5 AWG werden Verstöße gegen in der Dual-Use-VO vorgeschriebene Genehmigungspflichten für die Ausfuhr von bestimmten Gütern oder für bestimmte Vermittlungstätigkeiten mit Strafe bewehrt. Erfasst sind die ungenehmigte Ausfuhr von in Anhang I der Verordnung gelisteten Gütern mit doppeltem Verwendungszweck144 und von nicht gelisteten Dual-Use-Gütern mit sensiblem Verwendungszweck,145 wobei bei Letzteren der Ausführer entweder diesbezüglich durch das BAFA unterrichtet worden sein oder positive Kenntnis vom feststehenden Verwendungszweck haben muss.146 Dabei sieht § 18 Abs. 5 Satz 3 AWG bei Verstößen gegen § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Dual-Use-VO vor, dass dem Ausführer eine Person gleichsteht, die die Ausfuhr durch einen anderen begeht, wenn der Person der bestimmte Verwendungszweck bekannt ist.147 Für Vermittlungstätigkeiten in Bezug auf Güter mit doppeltem Verwendungszweck ist Strafe verwendet werden könnten, ABl. EU Nr. L 30 vom 31. 1. 2019, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2021/139 vom 4. 12. 2020, ABl. EU Nr. L 43 vom 8. 2. 2021, S. 5. 143 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 107. 144 Güter mit doppeltem Verwendungszweck sind gem. Art. 2 Nr. 1 der Dual-Use-VO solche, einschließlich Datenverarbeitungsprogrammen und Technologien, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können, einschließlich aller Waren, die sowohl für nichtexplosive Zwecke als auch für jedwede Form der Unterstützung bei der Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden können. 145 Ein solcher Verwendungszweck ist dabei gem. Art 4 Abs. 1 lit. a der Dual-Use-VO die (mögliche) Bestimmung zur Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung, der Herstellung, der Handhabung, dem Betrieb, der Wartung, der Lagerung, der Ortung, der Identifizierung oder der Verbreitung von chemischen, biologischen oder Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern oder zur Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung von Flugkörpern für derartige Waffen, gem. Abs. 1 lit. b die (mögliche) Bestimmung zur militärischen Endverwendung in einem Waffenembargoland oder gem. Abs. 1 lit. c die (mögliche) Bestimmung als Bestandteil für zuvor aus dem betreffenden EU-Mitgliedstaat illegal ausgeführte Rüstungsgüter. 146 Vgl. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, Teil 4 Kap. 3 Rn. 69; Erbs/ Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 18 AWG Rn. 41. 147 Dies entfaltet Relevanz im Hinblick auf eine Sonderdeliktseigenschaft, siehe dazu noch Kapitel 5 C.
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
ebenfalls die Unterrichtung oder positive Kenntnis vom sensiblen Verwendungszweck notwendig. Im Falle der Kenntnis besteht wieder ein Entscheidungsvorbehalt des BAFA.148 Der Irrtum des Täters kann wiederum die Existenz der Verordnung, die Listung von Gütern, die Genehmigungspflichtigkeit des Handelns oder seine Mitteilungspflicht i. S. d. § 9 Abs. 2 AWV, aber auch die Gleichstellung nach § 18 Abs. 5 Satz 3 AWG umfassen. 6. Zusammenfassung und Bedeutung für den weiteren Verlauf der Untersuchung Anhand der kurzen Darstellung der Straftatbestände des AWG kann die Feststellung getroffen werden, dass sich die Struktur der §§ 17, 18 AWG im Wesentlichen auf zwei Typen von Tatbeständen beschränken lässt: Verstöße gegen unmittelbare Handlungsverbote und Verstöße gegen Genehmigungserfordernisse bzw. Entscheidungsvorbehalte. In der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur wird bei der Behandlung der Irrtümer zwischen dem Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsnorm des Blankettmerkmals bzw. des durch diese statuierten Verbots und dem Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Handlung unterschieden.149 Für den weiteren Verlauf der Arbeit ist diese Differenzierung insofern von Bedeutung, als dass Verstöße gegen Handlungsverbote des Außenwirtschaftsstrafrechts die Irrtumsproblematik bei Blanketttatbeständen, Verstöße gegen Genehmigungserfordernisse bzw. Entscheidungsvorbehalte des Außenwirtschaftsstrafrechts hingegen die Irrtumsproblematik im Zusammenhang mit Genehmigungspflichten betreffen. Daher bietet es sich an, beide Irrtumskonstellationen zunächst getrennt zu behandeln. Dabei wird allerdings noch die Frage aufkommen und zu beantworten sein, ob nicht das Genehmigungserfordernis an sich selbst ein ausfüllungsbedürftiges Blankettmerkmal darstellt. Weitere Irrtümer, die nicht im Zusammenhang mit der Eigenschaft der jeweiligen Strafnormen als Blankett- oder Genehmigungstatbestand stehen, sind etwa solche über tatsächliche Umstände, z. B. über das Empfängerland, oder über die konkrete Tathandlung. Diese sollen der Vollständigkeit halber ebenfalls aufgeführt und im letzten Kapitel der Arbeit behandelt werden, das sich den verschiedenen Irrtumskonstellationen im Außenwirtschaftsstrafrecht widmet.
148
Vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 64. Vgl. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 41 f.; Wabnitz/Janovsky/SchmittHoffmann, 24. Kap. Rn. 153. 149
B. Aktuelle Ausgestaltung des Außenwirtschaftsstrafrechts
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V. Parallelen zum KrWaffG Da das AWG nicht zuletzt die Exportkontrolle von Rüstungsgütern regelt, von denen einige auch gleichzeitig Kriegswaffen sind,150 besteht in diesem Bereich ein enger Zusammenhang mit dem KrWaffG. Dieses erfasst den Verkehr mit sämtlichen Kriegswaffen und deren Bestandteilen, die in der Kriegswaffenliste (KWL) aufgeführt sind, wozu neben den in Teil A der KWL näher bezeichneten atomaren, biologischen und chemischen Waffen auch sonstige in Teil B der Liste benannte Kriegswaffen wie Kampfflugzeuge und -fahrzeuge, Rohrwaffen, Streumunition und Antipersonenminen gehören.151 Dabei stellt die Kriegswaffenliste einen Ausschnitt der in Teil I Abschnitt A der Anlage zur AWV erfassten Güter dar.152 Kriegswaffen unterliegen weitergehenden Beschränkungen im Vergleich zu sog. „sonstigen Rüstungsgütern“, wie Rüstungsgüter bezeichnet werden, die keine Kriegswaffen sind.153 So ist bereits die Herstellung und Beförderung innerhalb des Bundesgebiets genehmigungspflichtig. In den §§ 19 ff. KrWaffG werden bestimmte Handlungen sanktioniert, wobei der für diese Arbeit relevante § 22a KrWaffG den Verstoß gegen Genehmigungspflichten für die Herstellung, die Beförderung und das Inverkehrbringen von Kriegswaffen unter Strafe stellt.154 Schutzzweck dieser Genehmigungstatbestände ist die Friedenssicherung und Verhinderung von Kriegen, das deutsche Ansehen im Ausland durch das Unterbleiben „aggressiver Tendenzen“ sowie die innere Sicherheit.155 Überschneidungen zwischen AWG und KrWaffG ergeben sich, wenn Kriegswaffen, die sowohl in der Kriegswaffenliste als auch in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste gelistet sind, ohne Genehmigung ein-, aus- oder durchgeführt werden.156 Nach überwiegender Auffassung gehen die Regelungen des KrWaffG nicht als lex specialis vor;157 aus § 6 Abs. 4 KrWaffG i. V. m. § 1 Abs. 2 AWG, in denen ausdrücklich bestimmt wird, dass Vorschriften in anderen Gesetzen unberührt bleiben, ist ersichtlich, dass die nach einem Gesetz erteilte Genehmigung die nach 150
Vgl. BGH NStZ 2006, 161 (162). Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, Vor §§ 17 – 20 AWG Rn. 12; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Einführung AWG Rn. 65. 152 https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Verbote-Beschraenkungen/Schutz-der-oeffentli chen-Ordnung/Kriegswaffen/Allgemeines-Kriegswaffen/allgemeines-kriegswaffen_node.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:13 Uhr. 153 https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/FAQ/Aussenwirtschaft/faq-ruestungsexporte.html, zuletzt aufgerufen am 04. 12. 2022, 15:14 Uhr. 154 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, Vor §§ 17 – 20 AWG Rn. 13. 155 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 1 KrWaffG Rn. 3 f.; Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 73 Rn. 5; Steindorf-Heinrich, Vor KWKG Rn. 12. 156 Bieneck-Pathe/Wagner, § 34 Rn. 47; Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 1 KrWaffG Rn. 26; Steindorf-Heinrich, Vor KWKG Rn. 7; vgl. auch Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 13 und Pottmeyer, Einl. KrWaffG Rn. 186. 157 Vgl. zur Gegenauffassung OLG München NStZ 1993, 243. 151
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Kap. 1: Überblick über das Außenwirtschaftsstrafrecht
dem anderen Gesetz vorgeschriebene Genehmigung nicht ersetzt.158 Sofern die betreffenden Gegenstände sowohl unter die Ausfuhr- als auch unter die Kriegswaffenliste fallen, müssen daher beide Genehmigungen nebeneinander vorliegen.159 Fehlt eine der erforderlichen Genehmigungen, kann eine Strafbarkeit nach dem entsprechenden Gesetz gegeben sein; fehlen beide Genehmigungen, kann ein tateinheitlicher Verstoß sowohl gegen das KrWaffG als auch gegen das AWG vorliegen.160 Damit gibt es in der vorliegenden Untersuchung Parallelen zwischen AWG und KrWaffG: Die Frage der Behandlung des Irrtums im Zusammenhang mit Genehmigungen und der Listung eines Guts stellt sich in beiden Fällen. Aufgrund dessen bietet es sich an, im weiteren Verlauf auch stets an den entsprechenden Stellen auf das KrWaffG einzugehen.
158
Erbs/Kohlhaas-Lampe, 242. EL, Vorbemerkungen KrWaffG Rn. 5; Hohmann/JohnPietsch, Einf. KrWaffG Rn. 38; Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 1 KrWaffG Rn. 26. 159 BGHSt 41, 348 (356 f.). 160 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 1 KrWaffG Rn. 26.
Kapitel 2
Das Blankettstrafgesetz Wie im ersten Kapitel ausgeführt, sind die Strafnormen des Außenwirtschaftsstrafrechts, §§ 17 und 18 AWG, als sog. Blankettstraftatbestände ausgestaltet. Bei diesen Blankettstraftatbeständen bereitet seit jeher die Beantwortung der Frage Schwierigkeiten, inwieweit der Verweis auf die Ausfüllungsnorm und damit die Existenz des in der Ausfüllungsnorm enthaltenen Ver- bzw. Gebots zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen zählen und damit vom Vorsatz mit umfasst werden müssen, was wiederum auf die Irrtumsthematik und die Abgrenzung zwischen Tatumstandsund Verbotsirrtum Einfluss nimmt.1 Nicht zuzustimmen ist daher der Aussage Mezgers, die Verwendung der Blanketttechnik sei für das Strafrecht „bedeutungslos“.2 Um in die erwähnte Diskussion einsteigen zu können, bietet es sich an, zunächst den Charakter des Blankettstrafgesetzes zu untersuchen, denn „die klare Erfassung des Wesens der Blankettstrafgesetze [ist] eine wichtige Voraussetzung für die richtige Lösung der Frage, wie Tatbestands- und Verbotsirrtum bei diesen Gesetzen zu unterscheiden sind“3. Dazu sollen zunächst ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung und den Grund der Verwendung von Blankettstrafgesetzen gegeben und die wesentlichen verschiedenen Begrifflichkeiten erörtert werden, die im Zusammenhang mit dem Blankettstrafgesetz Verwendung finden (A.). Sodann erfolgt die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand, im Zuge derer insbesondere auf die nach herrschender Meinung existierenden unterschiedlichen Arten von Tatbestandsmerkmalen und deren Abgrenzung eingegangen und eine kritische Würdigung dieser Dogmatik vorgenommen wird (B.).
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes Jedes Strafgesetz muss stets die Beschreibung der deliktischen Handlung im Sinne der Voraussetzungen einer Strafbewehrung – den Tatbestand – sowie die sich bei Zuwiderhandlung gegen diese deliktische Handlung ergebende Rechtsfolge – die
1
Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 42. Mezger, Strafrecht, S. 196. 3 Warda, S. 5. 2
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
sich auf den Tatbestand beziehende Strafandrohung – enthalten.4 In der Regel sind Tatbestand und Strafandrohung in der selben Norm enthalten; hier spricht man von einem Volltatbestand5 bzw. von einem Vollstrafgesetz.6 Die Grundform des strafrechtlichen Tatbestandes lautet also: „Wer dies oder jenes tut, wird so oder so bestraft“.7 Bei Blankettstrafgesetzen besteht die Besonderheit der äußerlichen Trennung von Tatbestand und Strafandrohung, denn für die Beschreibung der Tathandlung wird ganz oder teilweise auf andere Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsakte verwiesen.8 Dabei wird die Norm, die die Strafdrohung enthält, mal „Blankettnorm“, mal „Blankettstrafgesetz“ oder „Blankettvorschrift“ genannt; die den Tatbestand enthaltende Vorschrift wird als „blankettausfüllende Norm“, „Ausfüllungsnorm“ oder „Ergänzung“ bezeichnet.9 Klargestellt werden muss zunächst, dass ein Blankettstrafgesetz nicht auf ein einzelnes Merkmal, sondern auf einen kompletten Rechtssatz abstellt, weswegen bei der Untersuchung eines bestimmten Merkmals besser von einem „Blankettmerkmal“ gesprochen werden muss.10 Ein solches Blankettmerkmal ist beispielsweise das Merkmal „Rechtsvorschriften zur Sicherung des Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs“ in § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Von einem Blankettstrafgesetz soll in dieser Arbeit dagegen die Rede sein, wenn es sich um einen Rechtssatz handelt, der zumindest auch ein Blankettmerkmal enthält, wie etwa § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG („Wer entgegen Art. 3 der Kimberley-VO Rohdiamanten einführt“), wo außer dem Blankettmerkmal „entgegen Art. 3“ auch weitere Tatbestandsmerkmale enthalten sind. Im weiteren Verlauf soll also der Begriff „Blankettmerkmal“ für das ausfüllungsbedürftige Merkmal verwendet werden und der des „Blankettstrafgesetzes“ bzw. der „Blankettnorm“ oder des „Blanketttatbestands“ für einen Straftatbestand, der (mindestens) ein solches Blankettmerkmal enthält, aber auch andere Merkmale enthalten kann.
4
Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 1; Binding, Normen I, S. 6; Heinrich, AT, Rn. 81; Karpen, S. 86; Arth. Kaufmann, S. 164; Mezger, Strafrecht, S. 192; Müller-Madgeburg, S. 7; Tiedemann, S. 87; von Liszt/Schmidt, S. 144; Warda, S. 5, 22; Weidenbach, S. 5. 5 Heinrich, AT, Rn. 113. 6 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 67; Karpen, S. 87; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 166. 7 Z. B. § 267 StGB: „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird […] bestraft.“ 8 Karpen, S. 87; Lauer, S. 41; Mezger, Strafrecht, S. 196; Müller-Madgeburg, S. 8. 9 Vgl. Karpen, S. 88; Warda, S. 5; Weidenbach, S. 8. 10 Cornelius, S. 276.
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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I. Historie und Grund der Existenz von Blankettstrafgesetzen im Wirtschaftsstrafrecht 1. Entstehung Der Begriff des Blankettstrafgesetzes wird auf Binding zurückgeführt, der bereits 1872 die wesentliche Eigenschaft eines solchen Gesetzes darin sah, „dass das Verbot, dessen Uebertretung mit Strafe belegt wird, ausgeht von der Landes- und Ortspolizeibehörde oder einer sonstigen Behörde oder von der Partikulargesetzgebung“.11 Laut Binding ergibt sich diese Wortschöpfung daraus, dass „der Tatbestand solcher Strafgesetze die Definition der verbotenen Handlung nicht aus der Norm wiederholt, vielmehr ein Blankett ist, das seinen Inhalt erst durch die Norm erhält, das durch verschiedene Normen in verschiedenster Weise ausgefüllt werden und den Wandel der Normen unverändert überdauern kann“.12
Ähnlich wie Binding definierte Neumann Anfang des 20. Jahrhunderts Blankettstrafgesetze als „Reichsstrafgesetze, bei welchen nur die Strafsatzung, nicht aber die Norm vom Reichsgesetzgeber ausgeht“.13 Er sah hierin den „Beginn einer neuen Epoche des Strafrechts, welches bis dahin nur Verbrechen und Vergehen mit peinlichen Strafen kannte, während nunmehr das System auch auf die geringeren strafbaren Handlungen, die früher größtenteils durch Polizeistrafen geahndet worden waren, ausgedehnt wurde“,
wobei er sich hierbei zunächst auf das französische Recht bezog.14 Dabei beschränkt Neumann die Instanz der ausfüllenden Norm nicht auf Behörden, wie Binding in dessen oben genannter Definition, sondern charakterisiert auch solche Strafdrohungen als „Blankostrafgesetz“, die durch den deutschen Kaiser, „den mal wohl kaum als Behörde betrachten kann“, oder dem österreichischungarischen Gesetzgeber erlassen werden.15 Allerdings werden von Binding an anderer Stelle auch solche Straftatbestände, die durch kaiserliche Verordnung auszufüllen sind, als Blankettstrafgesetz bezeichnet.16 Nach beiden Begriffsbestimmungen ist aber übereinstimmend erstens – in formaler Hinsicht – ein „Kompetenzsprung“17 zwischen dem Gesetzgeber des Strafgesetzes und dem Normgeber, der das tatbestandliche Ge- oder Verbot aufstellt, und zweitens als materielles Kriterium die Unvollständigkeit des Straftatbestands be11
Binding, Normen I, S. 74; vgl. auch Kuhli, S. 171. Binding, Handbuch, S. 180. 13 Neumann, S. 20. 14 Neumann, S. 8. 15 Neumann, S. 17; vgl. auch Kuhli, Normentheorie, S. 123 Fn. 12. 16 Binding, Handbuch, S. 179 f.; vgl. auch Kuhli, Normentheorie, S. 123 Fn. 12. 17 D. h. Strafgesetzgeber und Normgesetzgeber sind unterschiedliche Instanzen, beispielsweise bei der Verweisung von Bundes- auf Landesrecht oder auf Verordnungen. 12
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
zeichnend für ein Blankettstrafgesetz.18 Einer weiteren Formulierung von Weiz aus dem Jahre 1931 zufolge handelt es sich bei Blankettstrafgesetzen um „Deliktstypen, deren Tatbestände unvollkommen sind, und welche zu ihrer Ergänzung ausdrücklich auf anderweitig gegebene Tatbestände Bezug nehmen“.19 Dieser Definition nach und anhand der von Weiz genannten Beispiele20 scheint das Kriterium des Kompetenzsprungs im Gegensatz zu Binding und Neumann an dieser Stelle keine Rolle zu spielen. Die Blanketttechnik ist in Deutschland und Frankreich bereits zur Zeit der Französischen Revolution zu finden, vor allem im Verwaltungsstrafrecht.21 Neumann bezeichnet das Blankettstrafgesetz sogar als „Produkt der französischen Revolution“.22 Insbesondere aus Art. 4 des code pénal von 1810,23 der ausdrücklich auf den Grundsatz nulla poena sine lege abstellte, ergebe sich, dass die Strafandrohung im Gesetz selbst zu erfolgen habe; über die Festsetzung der Norm hingegen sei nichts bestimmt, was konkludent bedeute, dass diese auch durch einen anderen Normgeber erfolgen konnte.24 Das Blankettstrafgesetz zeichnet sich also seit jeher durch einen unvollständigen Tatbestand aus, der von anderweitig normierten Vorschriften ergänzt wird.25 Enthalten ist entweder nur die Strafandrohung oder jedenfalls ein nur teilweise beschriebenes Verhalten; die zur Strafe führende Handlungsbeschreibung ist in ihrer Vollständigkeit erst durch die Regelung, auf die verwiesen wird, erkennbar.26 In der – soweit ersichtlich – ersten umfassenden27 Abhandlung zum Irrtum bei Blankettstrafgesetzen definiert Warda Blankettstrafgesetze als „solche Strafgesetze, die ihre Strafdrohung auf ein ganz oder teilweise durch andere Rechtsquellen tatbestandlich umschriebenes Verhalten beziehen“.28 Die einfachste Form eines Blankettstrafgesetzes ist: „Wer gegen § XY verstößt, wird bestraft“,29 wobei die in Bezug genommene Norm je nachdem, ob ein weiterer oder engerer Begriff zugrundegelegt 18
Enderle, S. 80. Weiz, S. 29. 20 So etwa § 239 Nr. 2 KO a. F., in welchem auf § 38 HGB, also eine Norm derselben Gesetzgebungsinstanz, verwiesen wird. 21 Enderle, S. 81; Tiedemann, S. 174 f. 22 Neumann, S. 7. 23 „Nulle contravention, nul délit, nul crime, ne peuvent être punis de peines qui n’étaient pas prononcées par la loi avant qu’ils fussent commis“, übersetzt in etwa: „Keine Zuwiderhandlung, kein Vergehen, kein Verbrechen kann mit Strafen geahndet werden, die vor ihrer Begehung nicht gesetzlich ausgesprochen wurden.“ 24 Neumann, S. 8. 25 Lauer, S. 40. 26 Bülte, JuS 2015, 769 (770). 27 Bei Weiz, S. 29 ff., finden sich ebenfalls schon Ausführungen zur Irrtumsthematik bei Blankettstrafgesetzen, wenn auch nur sehr knappgehalten. 28 Warda, S. 5. 29 Vgl. NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 18. 19
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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wird, von einer anderen oder auch derselben Rechtsquelle erlassen worden sein muss bzw. sein kann. Bereits ersichtlich ist hier indes, dass verschiedene Arten von Blanketten existieren: Es kann auf eine Norm desselben Gesetzes verwiesen werden, auf eine Norm eines anderen Gesetzes, jedoch desselben Gesetzgebers oder aber auf eine andere Rechtsquelle wie Verordnungen, Landesgesetze oder europäische Regelungen. Die Straftatbestände des AWG wurden bisher nach einhelliger Meinung als Blanketttatbestände eingestuft;30 der Tatbestand ergibt sich erst in Verbindung mit den anderen in §§ 17, 18 AWG genannten Rechtsakten, den Ausfüllungsvorschriften.31 Diese sind in § 17 Abs. 1 AWG die Vorschrift des § 80 AWV, der selbst nochmals weiterverweist auf §§ 74, 75 und 77 AWV, jeweils i. V. m. § 79 AWV sowie der Ausfuhrliste zur AWV. § 18 Abs. 1 AWG nimmt Bezug auf unmittelbar geltende Rechtsakte der EG oder EU, Abs. 2 auf in der AWV geregelte Genehmigungserfordernisse inklusive der Ausfuhrliste zur AWV und sonstiger genannter Anhänge von EG- bzw. EU-Verordnungen, Abs. 3 auf die Kimberley-VO, Abs. 4 und 5a auf die Anti-Folter-VO und Abs. 5 auf die Dual-Use-VO.32 Die neueren Abs. 1a und b verweisen auf § 6 Abs. 1 S. 2 AWG respektive § 15 Abs. 4 AWG. 2. Zweck von Blankettstrafgesetzen Blankettstrafgesetze kommen vor allem im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, aber auch im sonstigen Nebenstrafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht vor, als Teilblankette33 ebenfalls im Strafgesetzbuch.34 Die Verwendung der Blanketttechnik im Strafrecht hat vor allem zwei Gründe: einerseits – ganz banal – die gesetzestechnische Vereinfachung, andererseits die Möglichkeit einer flexiblen Anpassung an aktuelle Gegebenheiten.35
30 Vgl. BGH NStZ-RR 2003, 55; BGH NStZ 2007, 644; BGH NZWiSt 2013, 113; OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 8969; Andrzejewski, S. 112; Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 47; Erbs/ Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5; Hocke/Sachs/PelzPelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 3; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, Vorbemerkungen AWG/AWV Rn. 12; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 33; Stein/Thoms, Vor § 17 AWG Rn. 5; zu der Einstufung der Genehmigungstatbestände Kapitel 3 D. und E. 31 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5. 32 Siehe dazu bereits Kapitel 1 B IV 4. und 5. 33 Zum Begriff siehe noch unter A. III. IV. 34 Kuhli, S. 174; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 18; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 99. 35 Bachmann, S. 23; Dietmeier, S. 8 ff.; Enderle, S. 81; Müller-Magdeburg, S. 19 ff.; von der Heide, S. 34 f.; Warda, S. 8 ff.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
a) Gesetzestechnische Vereinfachung Eine gesetzgebungstechnische Motivation zur Verwendung der Blanketttechnik stellt die hierdurch ermöglichte Vereinfachung dar, indem in einem zusammenfassenden Paragraphen die Strafbewehrung für mehrere Verstöße enthalten ist, eine separate Strafandrohung für jeden einzelnen Tatbestand also unterbleiben kann.36 Tiedemann spricht in diesem Zusammenhang auch von der „stilistischen Erwägung der Praktikabilität37“, mit der „der überwiegende Teil des Nebenstrafrechts mit seinen zahllosen Strafbestimmungen in den Schlussvorschriften der jeweiligen Gesetze getroffen“ wird.38 Vor allem, wenn Tatbestand und Strafandrohung zwar in unterschiedlichen Paragraphen, aber innerhalb ein und desselben Gesetzes enthalten sind, können vorrangig gesetzestechnische Erwägungen im Vordergrund stehen.39 Hier kann als Beispiel § 52 WaffG dienen, der nach der Strafandrohung die zu bestrafenden Zuwiderhandlungen gegen aufgezählte Vorschriften des WaffG aufführt. Stattdessen könnte auch der Wortlaut dieser Vorschriften in § 52 WaffG wiederholt werden oder der entsprechende Straftatbestand nach jeder einzelnen Vorschrift, deren Verstoß pönalisiert werden soll, eingefügt werden. Dies würde allerdings zur Unübersichtlichkeit des Gesetzestextes beitragen. Aber auch, wenn der Straftatbestand statt als Schlussbestimmung im jeweiligen Gesetz in einem anderen Gesetz vom selben Rechtsetzungsorgan zu finden ist, kann dies an Vereinfachungsgründen liegen. Exemplarisch wird hier oft § 1 Abs. 1 WiStG genannt, der in seinen Nrn. 1 bis 4 Verstöße nach § 18 WiSiG, § 26 VerkSiG, § 22 ESG und § 28 WasSiG sanktioniert.40 Die betreffenden Bestimmungen hätten auch ihrem vollen Inhalt nach wiederholt werden können, wurden aber lediglich in Bezug genommen.41 Die Verwendung von Blanketttechnik nur zum Zwecke der Vereinfachung soll aber nur dann in Betracht kommen, wenn Blanketttatbestand und Ausfüllungsnorm vom selben Gesetzgeber stammen und der in Bezug genommene Rechtssatz bei Erlass des Strafgesetzes schon existiert oder zumindest gleichzeitig erlassen wird.42
36
Vgl. Bachmann, S. 23; Dietmeier, S. 8 f.; Müller-Magdeburg, S. 19 ff.; Warda, S. 8. Im Original mit Hervorhebung. 38 Tiedemann, S. 65. 39 Karpen, S. 89. 40 Dietmeier, S. 9; Müller-Magdeburg, S. 21. 41 Dietmeier, S. 9; Müller-Magdeburg, S. 21; Warda, S. 8. 42 Dietmeier, S. 9; Müller-Magdeburg, S. 21; vgl. auch Neumann, S. 5. – Bei Verweisen auf EU-Verordnungen kann dies somit nicht der Fall sein. 37
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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b) Wirtschaftsstrafrecht als „Strafrecht für Not- und Krisenzeiten“43 Während sich für Mezger die Bedeutung der Blanketttechnik in der „äußeren Gesetzestechnik“ erschöpft,44 wird sie andernorts auch als Instrument zur Regelung eines historisch gewachsenen Bedürfnisses nach flexibel veränderbarem Strafrechtsschutz gesehen. So wird die Notwendigkeit, den Schutz durch das Strafrecht an unterschiedliche polizeiliche, kulturelle, wirtschaftliche und lokale Gegebenheiten anzupassen und so dem ständigen zeitlichen und örtlichen Wechsel des Strafbedürfnisses Rechnung zu tragen, hervorgehoben.45 Bis zum EGStGB 197546 fand sich beispielsweise in § 327 StGB eine als Blankettnorm ausgestaltete Strafvorschrift gegen die Verbreitung von ansteckenden menschlichen Krankheiten, die bekanntlich eher temporär und lokal begrenzt auftreten. Hier wurden die Ausfüllungsvorschriften dahingehend umgrenzt, dass es sich um Maßnahmen oder Verbote handeln musste, „die zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit angeordnet worden sind“.47 Zuständig für die weitere Ausgestaltung dieser Ausfüllungsvorschriften waren sodann die Organe der Exekutive, z. B. Ministerien oder Polizeibehörden, die näher als der Bundesgesetzgeber mit der Materie bekannt waren und daher auch schneller die erforderlichen Maßnahmen umsetzen konnten.48 Die Technik der Blankettstrafgesetzgebung war hier vor allem dazu gedacht, eine übersichtliche und leichte Durchführung von Änderungen zu ermöglichen, wofür vor allem bei Nebengesetzen oftmals ein Bedürfnis besteht;49 sie erlaubte so den sachnäheren Instanzen, etwa der Verwaltung, zeitnah die nötigen Regelungen zu erlassen.50 3. Heutige Bedeutung und Kritik Auch bzw. gerade in der heutigen Zeit ist die Verwendung von Blankettstraftatbeständen von großer Bedeutung. Wie das BVerfG in einem jüngeren Beschluss statuiert, „muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden […]. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch
43
Tiedemann, WirtschaftsstrafR, § 5 Rn. 238. Mezger, Strafrecht, S. 196. 45 Karpen, S. 89; Tiedemann, WirtschaftsstrafR, § 5 Rn. 238; Warda, S. 9. 46 BGBl. 1974 I, S. 469 ff. 47 Warda, S. 8; entsprechend für Viehseuchen § 328 StGB a. F. 48 Warda, S. 8. 49 BGHSt 20, 177 (180). 50 Kuhli, S. 174. 44
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten.“51
Dies trifft vor allem auf die Bereiche des Wirtschafts-, Lebensmittel- oder Umweltstrafrechts zu, wo die Wissenschaft innerhalb kurzer Zeit neue Fortschritte und Erkenntnisse erzielt, die sich entsprechend in den gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen wiederfinden müssen.52 Diesem Bedürfnis entsprechend, überträgt der moderne Sozialstaat der Verwaltung einen nicht unbeachtlichen Teil der gesetzgeberischen Arbeit.53 Tiedemann bezeichnet die Verwendung von Blankettgesetzen daher gerade für das Wirtschaftsstrafrecht als „nicht nur häufig, sondern typisch“.54 Statt eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens ist hier eine Rechtsverordnung der Exekutive ausreichend, um gesetzliches Unrecht in einem durch die Verweisungsnorm vorgegebenen Rahmen zu konkretisieren.55 Vielerorts wird daher in Abgrenzung zur ursprünglichen Bedeutung als Gefahrenabwehr von den zentralen Schutzgütern eines Staates die heutige Funktion des Strafrechts als „Instrument staatlicher Ordnungspolitik“56 eines „Staates, der sich mehr und mehr der Verwaltung, Daseinsvorsorge und Güterverteilung zuwendet“,57 hervorgehoben. Ferner spielt auch die zwingende Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten und damit der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung von EU-Richtlinien eine nicht unbeachtliche Rolle im Hinblick auf die Notwendigkeit der Schaffung von Blankettstrafgesetzen. Indem etwa § 18 Abs. 1 AWG vorsätzliche Verstöße gegen die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Verbote oder Genehmigungspflichten aufgrund unmittelbar geltender Rechtsakte der EU im Bereich der GASP bestraft und damit blankettartig auf diese Rechtsakte verweist, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass entsprechend der jeweiligen politischen Lage Embargovorschriften auf europäischer Ebene gegebenenfalls auch kurzfristig erlassen oder geändert werden; so wird flexibel und zeitnah auf eventuell überraschend eintretende außenwirtschaftsrechtliche Erfordernisse reagiert.58 Davon abgesehen ist es dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich verwehrt, unmittelbar anwendbares Unionsrecht im nationalen Recht durch gleichlautende Vorschriften zu wiederholen, da der Unionscharakter einer Rechtsnorm für die Normadressaten evident sein muss.59
51
BVerfGE 143, 38 (54 f.). Hoven, NStZ 2016, 377 (383). 53 Weidenbach, S. 6. 54 Tiedemann, WirtschaftsstrafR, § 5 Rn. 238. 55 Esser/Tsambikakis-Tsambikakis/Kessler, § 1 Rn. 33. 56 Dietmeier, S. 10. 57 Müller-Magdeburg, S. 25. 58 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 5 f. 59 EuGHE 77, 137 ff.; EuGH BeckRS 2004, 70873; BVerfGE 143, 38 (57). 52
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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Während die Notwendigkeit der Schaffung von Blankettstrafgesetzen anerkannt ist, wird dieser strukturelle Wandel nicht immer unkritisch gesehen. Schon früh wurde hervorgehoben, dass hierdurch der Anspruch des modernen Strafgesetzes, die Strafnorm möglichst vollständig zu umschreiben, zumindest teilweise aufgegeben werde.60 Dietmeier spricht insofern von einer „problematischen Funktionsverschiebung“ des Strafrechts.61 Durch Blankettverweisungen auf teilweise erst in der Zukunft erlassene, aber bereits in Bezug genommene Rechtsverordnungen könne der Gesetzgeber Strafdrohungen „auf Vorrat“ produzieren, wodurch sich die Funktion des Strafrechts als Mittel der „ultima ratio“ immer mehr verliere.62 Neben der Problematik der Gesetzes- und Tatbestandsbestimmtheit ist auch das in der Verfassung verankerte Prinzip der Gewaltenteilung tangiert. Der Erlass von Strafgesetzen mitsamt der Gestaltung des Tatbestandes ist eigentlich Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers; das Blankettstrafgesetz gibt jedoch den Rahmen für die Ausfüllung des Tatbestands durch eine andere Stelle, z. B. eine Ordnungsbehörde vor, weshalb Warda die inhaltliche Ausgestaltung von Straftatbeständen durch Verwaltungsbehörden als „unzulässige ,Rechtssetzung im Verwaltungswege‘“ rügt.63 Auf die verfassungsrechtliche Problematik von Blankettstrafgesetzen einzugehen, kann und soll allerdings nicht Thema der vorliegenden Untersuchung sein, weshalb es bei diesen Andeutungen verbleiben muss.64
II. Verweisungstypen im Außenwirtschaftsstrafrecht Blankettmerkmale werden ebenso wie normative Tatbestandsmerkmale unter den Oberbegriff der Verweisung subsumiert.65 Geht es um die grundsätzliche Bestimmung und Klassifikation von Blankettstrafgesetzen, so bedeutet dies eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Arten von Verweisungen. Diese Arbeit soll sich indes nicht der erschöpfenden Auseinandersetzung mit allen Arten von Verweisungs- und Blanketttypen, sondern vielmehr dem Irrtum im Rahmen der Blanketttatbestände des Außenwirtschaftsstrafrechts widmen. Daher werden nur die Verweisungstypen, die auch im Außenwirtschaftsstrafrecht eine Rolle spielen, behandelt.66
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Neumann, S. 9; vgl. auch Müller-Magdeburg, S. 28. Dietmeier, S. 10. 62 Dietmeier, S. 11. 63 Warda, S. 10. 64 Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Blankettstrafgesetzen kann weiterführend auf die Werke von Enderle und Weidenbach, die sich eingehend damit beschäftigen, verwiesen werden. 65 Enderle, S. 11. 66 Umfangreiche Darstellungen zu möglichen Arten von Verweisungstypen sind bei Dietmeier und Enderle aufzufinden. 61
62
Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
Im Außenwirtschaftsstrafrecht finden sich Verweisungen auf nationale Rechtsverordnungen (§§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 2 AWG und als Kettenverweisung auch § 18 Abs. 1b AWG) sowie auf Vorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts oder Europäischen Unionsrechts (§ 18 Abs. 1, 3 bis 5 AWG). Ferner gibt es seit Einfügung des Absatzes 1a in § 18 AWG auch Verweisungen auf Verwaltungsakte. Daneben ist eine weitere Form der im Außenwirtschaftsstrafrecht aufzufindenden Verweisung die Bezugnahme auf Anlagen; so wird in § 17 Abs. 1 AWG auf die Anlage zur AWV, nämlich die Ausfuhrliste, verwiesen. Auch im KrWaffG findet sich letztgenannte Verweisungstechnik: In § 1 Abs. 1 KrWaffG wird hinsichtlich der dem Anwendungsbereich des KrWaffG unterfallenden Gegenstände, Stoffe und Organismen auf die in Umsetzung der Ermächtigungsvorschrift des § 1 Abs. 2 KrWaffG erlassenen Kriegswaffenliste Bezug genommen.
III. Terminologie im Zusammenhang mit Blankettstrafgesetzen Einigkeit besteht dahingehend, dass das Blankettgesetz auf eine andere Rechtsvorschrift verweisen muss.67 Unterschiedlich beantwortet wird aber die Frage, welche Qualität die Ausfüllungsvorschriften besitzen müssen. Wird in der strafrechtlichen Literatur der Begriff des Blankettstrafgesetzes verwendet, so finden sich verschiedene Termini: Mal ist von echten und unechten, mal von Blankettstrafgesetzen im engeren oder weiteren Sinn, von qualifizierten Blankettnormen oder auch von Teilblanketten in Abgrenzung zu reinen Blanketttatbeständen die Rede. Ferner finden sich die Begriffe der Binnen- oder Außenverweisung, der statischen oder dynamischen sowie der ausdrücklichen oder konkludenten Verweisung, wobei sich die Begrifflichkeiten teilweise überschneiden. Dabei werden vor allem drei Kriterien zur Differenzierung verwendet: der Standort der Ausfüllungsnorm sowie die Beschaffenheit der Blankettnorm oder die Beschaffenheit der Ausfüllungsnorm.68 Die am häufigsten aufzufindende Klassifikation von Blankettstrafgesetzen erfolgt anhand des Standorts der Ausfüllungsnorm. Diese kann sich im selben Gesetz, in einem anderen Gesetz desselben Gesetzgebers – in beiden Fällen aus dem oben dargestellten Grund der gesetzestechnischen Vereinfachung – oder in einer anderen Vorschrift einer anderen rechtsetzenden Instanz wie dem Landesgesetzgeber, der Exekutive oder der EU befinden. Die Ausfüllungsnorm kann also zunächst die Beschaffenheit eines förmlichen Bundes- oder Landesgesetzes haben. Dabei können entweder Blankett- und Ausfüllungsnorm beide in Bundes- oder beide in Landesgesetzen enthalten sein oder das 67 Bachmann, S. 23; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 67; Cornelius, S. 37 f.; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn 46; Lauer, S. 40 f.; Müko-StGB-Joecks/ Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 75; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 166; Wittig, WirtschaftsstrafR, § 3 Rn. 33, § 6 Rn. 14. 68 von der Heide, S. 36; Warda, S. 10 ff.
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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Blankettstrafgesetz Bundesgesetz, die Ausfüllungsnorm dagegen Landesgesetz sein und vice versa. Weiterhin nehmen viele Blankettstrafgesetze Bezug auf Rechtsverordnungen entweder des Bundes oder des Landes. Ein Beispiel aus dem AWG ist § 17 Abs. 1. Hiernach wird u. a. bestraft, „wer einer Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1 zuwiderhandelt, die der Durchführung (1.) einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen oder (2.) einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient […].“
Ebenfalls typisch für Blankettstrafgesetze ist die Verweisung auf Anlagen und Listen, die sogenannte Listenblankette, die im Anhang zu einem Gesetz oder in einer separaten Rechtsverordnung aufgeführt werden.69 Hier können zwei Formen der Anlagentechnik unterschieden werden: Entweder wird der Verordnungsgeber ermächtigt, selbst die entsprechende Anlage aufzustellen, so geschehen in § 18 Abs. 2 Nrn. 1 – 3 AWG i. V. m. der Ausfuhrliste als Anlage zur AWV, oder der Gesetzgeber hat den Gesetzestext und die Anlage selbst aufgestellt – vgl. z. B. die Kriegswaffenliste als Anlage zum KrWaffG, auf die in § 1 Abs. 1 KrWaffG Bezug genommen wird – und ermöglicht durch eine Ermächtigung im förmlichen Gesetz die Ergänzung und Änderung der Aufzählung durch Rechtsverordnung (vgl. § 1 Abs. 2 KrWaffG).70 Im konkreten Fall des KrWaffG bietet diese Anlagentechnik den Vorteil, „dass jedermann alsbald verlässlich feststellen kann, ob ein Gegenstand, Stoff oder Organismus im Einzelfall vom Gesetz als Kriegswaffe angesehen wird. […] [D]ie Kriegswaffenliste [enthält] alle, aber auch nur [Hervorhebung im Original] solche Gegenstände, Stoffe und Organismen, die nach dem gegenwärtigen Stand aller wissenschaftlichen, technischen und militärischen Erkenntnisse zur Kriegsführung geeignet sind“.71
Gleiches gilt für die Ausfuhrliste als Anlage zur AWV. Das Blankettstrafgesetz kann grundsätzlich auch auf einen rechtlichen „Einzelakt“ als Ausfüllungsnorm verweisen.72 Ein solcher Einzelakt sind etwa eine behördliche Untersagung, Anordnung oder Genehmigung als Verwaltungsakte, aber auch gerichtliche Verfügungen oder verwaltungsinterne Maßnahmen.73 Die Verweisung auf einen Verwaltungsakt soll allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Blankettstrafgesetz darstellen, und zwar dann, wenn das unvollständige Gesetz es der behördlichen Maßnahme überlässt, die Zuwiderhandlung im Einzelnen
69
Enderle, S. 32. Dietmeier, S. 61; Enderle, S. 32; Raabe, S. 31 f. 71 Erbs/Kohlhaas-Lampe, 242. EL, § 1 KrWaffG Rn. 1. 72 Müller-Magdeburg, S. 11 ff.; Sch/Sch-Sternberg/Lieben-Schuster, § 15 Rn. 102; Schuster, S. 163 ff.; Warda, S. 15 ff.; Weidenbach, S. 13 f. 73 Walter, S. 268 f. 70
64
Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
zu bezeichnen.74 Beispielhaft wäre dies der Fall in § 18 Abs. 1a AWG, wonach bestraft wird, „wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 2 zuwiderhandelt“. Die Ausfüllungsnorm des § 6 Absatz 1 Satz 2 wiederum statuiert, dass „insbesondere“ die dort genannten Tätigkeiten beschränkt werden können, was der Behörde einen Gestaltungsspielraum einräumt. Dagegen soll ein (normatives) Tatbestandsmerkmal vorliegen, wenn der Straftatbestand das verbotene Verhalten selbst beschreibt, wie in § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG, wonach bestraft wird, wer „ohne Genehmigung […] genannte Güter ausführt“.75 Hier verkenne die Annahme des Merkmals „ohne Genehmigung“ als Strafblankett, dass Zweck eines Blanketttatbestandes gerade sein soll, der Behörde die Ausgestaltung des Straftatbestandes zu überlassen, was im genannten Fall aber nicht der Fall sei.76 Nachdem im Außenwirtschaftsstrafrecht eine Vielzahl von Tatbeständen so ausgestaltet ist, dass der Verstoß gegen Genehmigungspflichten sanktioniert wird, erfolgt die Behandlung dieser Problematik in einem eigenen Kapitel, in dem dann auch erst eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Tatbeständen vorzunehmen ist.77 Wie in Kapitel 4 noch zu zeigen sein wird, wirkt sich die Einordnung eines Blankettstrafgesetzes unmittelbar auf die Behandlung im Rahmen der Irrtumsdogmatik aus. Daher werden zur Verschaffung eines Überblicks diese Begriffe in den folgenden Ausführungen erörtert; sodann ist die Terminologie für den weiteren Fortgang der Untersuchung festzulegen. Auch soll eine Einordnung der Blankettstraftatbestände des AWG in die unterschiedlichen Arten von Blankettstrafgesetzen erfolgen. 1. Echte vs. unechte Blankettstrafgesetze Je nachdem, welchen Standort die Ausfüllungsnorm hat, wird nun von einem „echten“ oder einem „unechten“ Blankettstrafgesetz gesprochen. Der Bundesgerichtshof hat dazu ausgeführt: „Ein Blankettstrafgesetz im echten oder engeren Sinn liegt nur dann vor, wenn Tatbestand und Strafdrohung derart getrennt sind, dass die Ergänzung der Strafvorschrift durch einen zugehörigen Tatbestand von einer anderen Stelle und einer anderen Zeit selbständig vorgenommen wird […]. Wenn dasselbe Gesetz die Strafdrohung am Schluss zusammenfasst und darin auf die vorangehenden Tatbestände desselben Gesetzes verweist, liegt nur eine gesetzestechnische Vereinfachung vor“.78
74
Müller-Magdeburg, S. 12; Weidenbach, S. 13. Müller-Magdeburg, S. 12; Weidenbach, S. 13. – Wobei in diesem Fall der behördlichen Genehmigung teilweise nur die Bedeutung eines Rechtfertigungsgrunds zugesprochen wird, dazu noch Kapitel 3 C II. 2. a) aa) (2). 76 Müller-Magdeburg, S. 12; Weidenbach, S. 13. 77 Siehe dazu Kapitel 3 D. 78 BGHSt 6, 30 (41). 75
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
65
Ebenfalls wie schon bei Binding wird hier also zunächst auf den Kompetenzsprung zwischen dem Gesetzgeber, der die Strafandrohung normiert, und dem Verordnungsgeber des Verweisungsobjekts abgestellt. Begründet wurde dieses entscheidende Kriterium bereits von Lange damit, dass „da, wo eine andere Stelle konstitutiv, die Strafbarkeit begründend, eingreifen kann, […] das rechtspolitische und mit ihm das spezifisch dogmatische, nämlich funktionale Problem des Blankettgesetzes“ beginnt.79 Ein unechtes Blankettstrafgesetz soll hingegen dann vorliegen, wenn die Verweisung innerhalb eines Gesetzes oder auf ein anderes Gesetz desselben Normgebers erfolgt, beispielsweise von einem formellen Bundesgesetz auf ein anderes formelles Bundesgesetz verwiesen wird.80 In den meisten Wirtschaftsgesetzen folgen auf die in den vorangegangenen Vorschriften aufgestellten Ge- oder Verbote die entsprechenden Straf- oder Bußgeldbestimmungen. Als Beispiel sei hier auch das KrWaffG genannt, das in den §§ 19 ff. die Straf- und Ordnungsvorschriften normiert. In den vorangestellten Vorschriften der §§ 17 – 18a KrWaffG werden hingegen die materiellen Verbote von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie von Anti-Personen-Minen und Streumunition aufgestellt. Nach § 20a KrWaffG wird nun bestraft, wer „entgegen § 18a Antipersonenminen oder Streumunition einsetzt, entwickelt“ usw.81 Dies stellt nach den dargelegten Grundsätzen eine gesetzestechnische Vereinfachung und damit ein unechtes Blankettstrafgesetz dar. Auch Tatbestände, die sowohl Elemente eines echten als auch eines unechten Blankettstrafgesetzes enthalten, existieren, wie der im Zuge der Corona-Pandemie zunehmend in den Fokus gerückte Straftatbestand des § 74 IfSG, der wie folgt lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine in § 73 Abs. 1 oder Abs. 1a Nr. 1 bis 7, 11 bis 20, 22, 22a, 23 oder 24 bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht und dadurch eine in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 genannte Krankheit, einen in § 7 genannten Krankheitserreger oder eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten Krankheitserreger verbreitet.“
Hier enthält der Tatbestand sowohl Elemente eines unechten Blankettstrafgesetzes, indem auf Vorschriften des IfSG, also desselben Gesetzes, verwiesen wird, als auch eines echten Blankettstrafgesetzes, wenn eine „Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 3“ in Bezug genommen wird. 79
Lange, JZ 1956, 73 (75). Bülte, JuS 2015, 769 (770); Warda, S. 11; a. A. KK-OWiG-Rogall, Vorbemerkungen §§ 1 ff. Rn. 16, der die Unterscheidung ablehnt. 81 Da in den Straftatbeständen des KrWaffG und AWG oftmals sehr viele Tathandlungen hintereinander aufgezählt werden (z. B. in § 20a KrWaffG „einsetzen, entwickeln, herstellen, mit ihnen Handel treiben, von einem anderen erwerben oder einem anderen überlassen, einführen, ausführen, durch das Bundesgebiet durchführen oder sonst in das Bundesgebiet oder aus dem Bundesgebiet verbringen oder sonst die tatsächliche Gewalt ausüben, insbesondere transportieren, lagern oder zurückbehalten“) wird im Folgenden zur Vermeidung der Aufzählung aller Tatvarianten „etc.“ oder „usw.“ abkürzend verwendet. 80
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
Weitestgehend synonym mit dem Begriff des „echten Blankettstrafgesetzes“ wird – etwa in der oben zitierten Entscheidung des BGH82 – derjenige des „Blankettstrafgesetzes im engeren Sinn“ verwendet bzw. für das „unechte Blankettstrafgesetz“ auch vom „Blankettstrafgesetz im weiteren Sinn“ gesprochen.83 Dem engen Blankettbegriff zufolge sind Blankettstraftatbestände solche Strafgesetze, die durch Normen eines anderen Gesetzgebers bzw. Verordnungsgebers ausgefüllt werden. Der weite Blankettbegriff definiert sich durch Tatbestände, die auf andere Vorschriften verweisen.84 Legt man dies zugrunde, so lässt sich die unterschiedlich beantwortete Frage, ob der weite Blankettbegriff die Blankettstrafgesetze im engeren Sinne umfasst, bejahen,85 sodass sich immerhin hier ein Unterschied zu den als echt bzw. unecht bezeichneten Blankettnormen ergibt. 2. Außenverweisung vs. Binnenverweisung Ebenfalls finden sich die Bezeichnungen der „Außenverweisung“ bzw. der „Binnenverweisung“, wobei diese Begriffe teils synonym für echte bzw. unechte Blankettstrafgesetze86 oder Blankettstraftatbestände im engeren bzw. im weiteren Sinn,87 teils als selbständige Termini88 verwendet werden. So wird einerseits als Merkmal einer Außenverweisung angesehen, dass die Ausfüllungsnorm nicht von derselben Normgebungsinstanz erlassen wurde wie die Blankettnorm,89 was einem echten bzw. einem Blankettstrafgesetz im engeren Sinn entspricht. Als „klassisches Beispiel“90 des Hauptstrafrechts wird hier die Sanktionierung der Ausübung der verbotenen Prostitution in § 184f StGB genannt, der sich auf Rechtsverordnungen bezieht, durch welche die Prostitution an bestimmten Orten oder Tageszeiten verboten werden kann.91 Otto nennt ferner als Beispiel aus dem Außenwirtschaftsstrafrecht den § 34 Abs. 1 AWG a. F.,92 in dem auf die in der Anlage zur AWV aufgeführten Waren und Unterlagen zu deren Fertigung verwiesen wird, deren Ausfuhr genehmigungspflichtig ist.93 Innerhalb der Außenverweisung wird teilweise 82
BGHSt 6, 30. BGHSt 6, 30 (40); Enderle, S. 84 f.; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 48, 51; Mezger, Strafrecht, S. 196; von der Heide, S. 36; Warda, S. 11. 84 Hohmann, ZIS 2007, 38 (42). 85 So ebenfalls Moll, S. 47; so auch Krey, EWR 1981, 109 (173 f.); für ein Ausschließlichkeitsverhältnis dagegen Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 48; Kuhli, S. 178 Fn. 50; Weidenbach, S. 7. 86 KK-OWiG-Rogall, Vorbemerkungen §§ 1 ff. Rn. 16; Raabe, S. 29 f. 87 Wittig, WirtschaftsstrafR, § 6 Rn. 15 f. 88 Dietmeier, S. 43 f.; Moll, S. 29 f. 89 LK-StGB-Dannecker/Schuhr, 13. Aufl., § 1 Rn. 148. 90 Dietmeier, S. 44. 91 Vgl. Moll, S. 30. 92 Entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 2 AWG. 93 Otto, Jura 2005, 538. 83
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
67
auch zwischen sog. parallelen und gekreuzten Außenverweisungen unterschieden, wobei letztere im Unterschied zu ersteren Rechtssätze eines autonomen, d. h. eigenständig legitimierten Gesetzgebers wie etwa des EU-Gesetzgebers in Bezug nehmen.94 Merkmal einer „Binnenverweisung“ soll hingegen sein, dass die Ausfüllungsnorm auf Vorschriften desselben Normgebers verweist,95 wobei diese auch in einem anderen Gesetzestext enthalten sein können.96 Andernorts wiederum wird von einer „Außenverweisung“ gesprochen, „wenn auf eine Ausfüllungsnorm außerhalb des ursprünglichen Gesetzes verwiesen wird“97 bzw. der Bezug auf andere (förmliche) Gesetze gegeben ist.98 Mit der „Außenverweisung“ soll dann die Möglichkeit der Verweisung auf andere Gesetze desselben Gesetzgebers oder eines eigenständig legitimierten Gesetzgebers, wie beim Verweis des Bundesgesetzgebers auf Landesgesetze oder des Landesgesetzgebers auf Bundesgesetze, gegeben sein.99 In Abgrenzung dazu soll eine „Binnenverweisung“ vorliegen, wenn die Verweisung innerhalb desselben Gesetzes erfolgt.100 Diese uneinheitliche Verwendung der Terminologie führt zu Verwirrung. Wissmann kritisiert in diesem Zusammenhang zurecht diese teils missverständlichen Begrifflichkeiten; der Terminus „Binnenverweisung“ lasse eher den Schluss zu, dass damit eine Verweisung innerhalb desselben Gesetzestextes gemeint sei.101 Er schlägt sodann vor, die Binnenverweisung dementsprechend auch so zu verstehen und damit einem „unechten“ Blankettstrafgesetz gleichzustellen, und als Außenverweisung den Bezug „aus dem Gesetz heraus auf einen anderen Rechtssatz“102 zu bezeichnen. Die Außenverweisung möchte er vom „echten“ Blankettstrafgesetz abgegrenzt und vielmehr als Unterfall der „unechten“ Blankettstrafgesetze verstanden wissen, wonach Blankett- und Ausfüllungsnorm vom selben Gesetzgeber erlassen worden sein müssen.103
3. Statische vs. dynamische Blankettverweisungen Die eher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten diskutierte Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen Blankettverweisungen soll der Voll94
Enderle, S. 11; Schützendübel, S. 60. KK-OWiG-Rogall, Vorbemerkungen §§ 1 ff. Rn. 16. 96 Otto, Jura 2005, 538; vgl. auch Schützendübel, S. 60. 97 Raabe, S. 30. 98 Enderle, S. 11. 99 Enderle, S. 11. 100 Enderle, S. 11; Raabe, S. 29; vgl. auch Moll, S. 29, der ferner erwähnt, dass teilweise auch von „Binnenverweisungen“ gesprochen wird, wenn die Ausfüllungsnorm in einem unterschiedlichen, aber vom selben Gesetzgeber stammenden Gesetz geregelt ist. 101 Wissmann, S. 91. 102 Wissmann, S. 92. 103 Wissmann, S. 92. 95
68
Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
ständigkeit halber ebenfalls kurz erörtert werden. Dabei beziehen sich statische Verweisungen auf Normen, die bereits zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses vorhanden sind und damit schon eine bestimmte Fassung haben; spätere Änderungen der Ausfüllungsnorm bleiben unberücksichtigt.104 Der in Bezug genommene Norminhalt innerhalb des zeitlichen und gegenständlichen Geltungsbereichs der Blankettnorm kann ohne den Willen des Gesetzgebers der Blankettnorm nicht verändert werden, was bedeutet, dass sich die Ausfüllungsnorm ändern kann, ohne dass damit automatisch auch eine Veränderung der Blankettnorm einherginge;105 dies ist bei Verweisen auf eine genau bezeichnete EU-Verordnung der Fall.106 Bei dynamischen Verweisungen hingegen verweist der Gesetzgeber auf die jeweils gültige Fassung des Verweisungsobjekts, d. h. auch auf zukünftig ergehende, inhaltlich noch nicht bestimmte Akte; bei einer Änderung des Verweisungsobjekts ändert sich folglich gleichzeitig der Inhalt der Blankettnorm, ohne dass der Gesetzgeber erneut tätig werden müsste.107 Eine solche dynamische Verweisung stellt etwa § 370 Abs. 1 AO dar, denn was die im Tatbestand genannten „steuerlich erheblichen Tatsachen“ sind, richtet sich nach dem Steuerrecht in derjenigen Fassung, die zum Zeitpunkt der Tat gilt. Die Blankettnormen im Außenwirtschaftsstrafrecht existieren entweder in der Form statischer oder in der Form dynamischer Verweisungen, wobei sich die Art der Verweisung explizit aus der Norm ergeben kann. So wird in § 18 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 S. 2 AWG auf Anhänge der EG-Verordnung „in der jeweils geltenden Fassung“ verwiesen. Auch beim Verweis auf bestimmte Positionen der Ausfuhrliste zur AWV, wie z. B. in § 17 Abs. 1 AWG, handelt es sich um eine dynamische Verweisung.108 Bedingt durch die Komplexität der zu erfassenden Waren und den Umstand, dass diese einem ständigen Wandel durch Fortschritte in Forschung und Technik unterliegen, werden in Bezug auf die Ausfuhrliste regelmäßig Änderungsverordnungen erlassen, sodass die Liste der jeweils betroffenen Waren einer ständigen Veränderung ausgesetzt ist.109 Durch den ausdrücklichen Verweis auf bestimmte Positionen der Ausfuhrliste ist jeweils die Liste in der zum Zeitpunkt der Vornahme
104 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 7; Wittig, WirtschaftsstrafR, § 6 Rn. 16a. 105 Dietmeier, S. 48; Veit, S. 28. – Denkbar wäre hier auch, dass die Norm auf ein Gesetz verweist, das zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Puppe, ZStW 102 (1990), 892 (899), äußert sich daher kritisch zur Figur der statischen Verweisung: „Es fällt aber schwer, sich eine solche statische Verweisung vorzustellen, denn naturgemäß bezieht sich jede Verweisung auf das zum jeweiligen Zeitpunkt geltende und nicht auf das zum Zeitpunkt des Erlasses der Verweisungsnorm gültige Recht“. 106 Hecker, Anm. zu BVerfG NJW 2016, 3648 (3653). 107 Karpen, S. 67 ff.; Tiedemann, WirtschaftsstrafR, § 5 Rn. 250; Wittig, WirtschaftsstrafR, § 6 Rn. 16a. 108 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 7. 109 BVerfG NJW 1992, 2624; Hohmann, ZIS 2007, 38 (45); vgl. auch Herzog, wistra 2000, 41 (44) und Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 34.
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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der Tathandlung gültigen Fassung anwendbar.110 Das BVerfG sieht es in diesem Zusammenhang für die am Außenwirtschaftsverkehr teilnehmenden Personen als zumutbar an, sich über den jeweiligen Stand der Ausfuhrliste zu informieren.111 Dynamische Verweisungen haben daher im Gegensatz zu statischen Verweisungen den Vorteil für den Gesetzgeber, nicht ständig „nachbessern“ zu müssen; dies entspricht auch gerade dem Zweck einer Blankettnorm.112 Abgesehen von den genannten Fällen ist der Verweis auf sonstige Rechtsakte, vor allem auf EU-Verordnungen unter Nennung von Datum, Fundstelle der Veröffentlichung und letzter Änderung wie beispielsweise in § 18 Abs. 3 und Abs. 4 S. 1 AWG als statische Verweisung ausgestaltet.113 4. Voll ergänzungsbedürftige vs. teilweise ergänzungsbedürftige Blankettstrafgesetze Die für Blankettstrafgesetze charakteristische Bestimmung des Tatbestandes durch die Ausfüllungsnorm kann unterschiedlichen Umfangs sein. Bei Puppe finden sich die Begrifflichkeiten der „Teilblankette“ bzw. der „reinen Blanketttatbestände“, wobei sie die Abgrenzung darin sieht, dass reine Blanketttatbestände lediglich den Verstoß gegen eine andere Vorschrift verlangen, sonst aber keine eigenen Tatbestandsvoraussetzungen haben, Teilblankette hingegen teilweise den Inhalt der Norm selbst bestimmen, teilweise aber auch durch Blankettbegriffe auf andere Normen verweisen.114 Ein solches Teilblankett ist z. B. § 329 StGB, der das Blankettmerkmal „entgegen einer aufgrund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassenen Rechtsverordnung“ enthält, ansonsten aber die verbotene Handlung selbst beschreibt.115 Puppe möchte ein von ihr so genanntes Teilblankett in Abgrenzung zu einer vollständigen Strafnorm daran erkennen, „dass die Norm ohne Ergänzung durch die Tatbestände weiterer Normen, der sog. blankettausfüllenden Normen, tautologisch wird“.116 Um eine sinnvolle Bestimmungsnorm zu ergeben, muss der Tatbestand durch die Tatbestände der Rechtsvorschriften ergänzt werden, auf die die Blankettmerkmale verweisen.117
110
Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 7. BVerfG NJW 1992, 2624. 112 Siehe dazu schon A. I. 3. 113 Vgl. BGHSt 62, 13 (18 f.); Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 7. 114 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 19. 115 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 20. 116 Puppe, AT, § 8 Rn. 31; vgl. auch NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 20. 117 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 20. 111
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
Praktisch dieselbe Differenzierung, bloß in anderem terminologischem Gewande, findet sich bereits bei Neumann, der in Anlehnung an Oetker118 „insbesondere“ zwei Arten von „Blankostrafgesetzen“ unterscheidet.119 Die erste Gruppe hat typischerweise die Formulierung „Wer der Blankettnorm § XY zuwiderhandelt, wird bestraft“; dieses Blankettstrafgesetz enthält selbst keinerlei Beschreibung der deliktischen Handlung. Die Form der zweiten Gruppe lautet grundsätzlich „Wer entgegen der Blankettnorm § XY dies oder jenes tut, wird bestraft“.120 Diese Art von Blankettstrafgesetz umschreibt die durch die Norm ver- oder gebotene Handlung selbst, lediglich die Bestimmung des Umfangs und der Umstände, unter die Handlung tatbestandlich ist, wird durch die Ausfüllungsnorm bestimmt.121 Neumann möchte hier mit Oetker122 von „generellen“ respektive „speziellen Blankostrafgesetzen“ sprechen.123 Andernorts wird die Bezeichnung der „voll ergänzungsbedürftigen“ bzw. „teilweise ergänzungsbedürftigen“ Blankettstrafgesetze verwendet.124 Auch hier überlassen erstere die Umschreibung der tatbestandsmäßigen Handlung vollumfänglich der Ausfüllungsnorm; letztere beschreiben selbst einen Teil des deliktischen Verhaltens, nehmen aber auch Bezug auf eine an anderer Stelle normierte Rechtsvorschrift. Ein voll ergänzungsbedürftiges Blankettstrafgesetz ist § 17 Abs. 1 AWG, in dem vollständig auf einen Verstoß gegen eine näher bezeichnete Rechtsverordnung verwiesen wird, soweit diese sich auf Güter des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur AWV bezieht und auf die Sanktionsnorm zurückverweist. Um zu wissen, welches Verhalten überhaupt sanktioniert wird, muss man sich über die Rechtsverordnung informieren, aus der sich die eigentliche Beschreibung des strafbaren Verhaltens erst ergibt. Der Sache nach wird hier somit „ein Verhalten mit Strafe bedroht, das nach Ansicht des Verordnungsgebers strafwürdig ist“.125 Innerhalb der teilweise ergänzungsbedürftigen Blankettstrafgesetze können nochmals unterschiedliche Typen ausgemacht werden. So kann der Gesetzgeber im Blanketttatbestand zwar allgemein auf ein normverletzendes Verhalten hinweisen, die Verdeutlichung, welches Verhalten strafwürdig ist, aber erst durch die ausdrückliche Bezugnahme auf ein konkretes Ge- oder Verbot erfolgen.126 Ein Beispiel für ein solches teilweise ergänzungsbedürftiges Strafblankett aus dem Außenwirtschaftsstrafrecht ist § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG, wonach bestraft wird, wer gegen die 118
Oetker, GerS 64 (1904), 55 (154 ff.). Neumann, S. 33. 120 Neumann, S. 33. 121 Neumann, S. 33. 122 Oetker, GerS 64 (1904), 55 (133). 123 Neumann, S. 33. 124 Dietmeier, S. 46 f.; Karpen, S. 95; Weidenbach, S. 12 f. 125 Dietmeier, S. 46; vgl. auch Moll, S. 41 und Veit, S. 29. – Siehe dazu auch unter A. III. 6. zu „qualifizierten Blankettnormen“. 126 Dietmeier, S. 46. 119
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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AWV verstößt, indem er „entgegen § 9 Abs. 2 Satz 3 [AWV] dort genannte Güter ausführt“. In § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG ist ein Teil der Tathandlung, das Ausführen bestimmter Güter, benannt. Diese Handlung muss aber auch „entgegen § 9 Abs. 2 Satz 3“ AWV vorgenommen werden, wonach die Güter erst ausgeführt werden dürfen, wenn das BAFA die Ausfuhr genehmigt hat oder entschieden hat, dass es keiner Genehmigung bedarf. Welche Güter betroffen sind, ergibt sich ebenfalls erst aus § 9 Abs. 2 AWV: Es geht um Güter, die weder in der Ausfuhrliste zur AWV noch in der Dual-Use-Liste genannt sind und die ganz oder teilweise für die Errichtung, den Betrieb oder zum Einbau in eine Anlage für kerntechnische Zwecke in einem der in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AWV genannten Länder bestimmt sind. Erst in der Zusammenschau des Blankettstrafgesetzes mit der Ausfüllungsnorm ergibt sich das tatbestandliche Verhalten: Die Ausfuhr der Güter bei entsprechender Kenntnis ohne Unterrichtung des BAFA, wenn das BAFA festgestellt hat, dass die Ausfuhr der Genehmigung bedarf und eine solche versagt hat, oder in der Zeit vor der Entscheidung des BAFA, dass eine Genehmigung nicht erforderlich ist.127 Hier handelt es sich bei der Ausfüllung des Blanketts nicht lediglich um die Konkretisierung eines im Blanketttatbestand beschriebenen Unrechts, die Ausfüllungsnorm hat vielmehr konstitutiven Charakter.128 Ein zweiter Typus der teilweise ergänzungsbedürftigen Blankettstrafgesetze kann anhand solcher Blanketttatbestände ausgemacht werden, die selbst schon eine Verhaltensanordnung, also Tatbestand und Rechtsfolge enthalten, wobei dem ebenfalls enthaltenen Verweisungsobjekt (nur) noch die nähere Konkretisierung zukommt.129 Beispielweise verbietet § 184f StGB, der Prostitution an bestimmten Orten oder Zeiten nachzugehen, wobei diese durch eine Rechtsverordnung näher bezeichnet werden.130 5. Ausdrückliche vs. konkludente Blankette Ebenfalls findet sich die Differenzierung zwischen ausdrücklichen und konkludenten Blanketten. Bei ausdrücklichen Blanketten wird – wie die Bezeichnung schon suggeriert – ausdrücklich auf eine andere Norm Bezug genommen. Dabei können die ausdrücklichen Blankette nochmals unterteilt werden in voll- und halbexplizite Verweisungen. Im Falle von vollexpliziten Blankettverweisungen wird die Ausfüllungsnorm mit genauer Paragraphenkette im Blankettstrafgesetz bezeichnet; hier wird der Norm127
Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 76. Dietmeier, S. 47. 129 Cornelius, S. 247. 130 Vgl. zu § 184e StGB a. F. Cornelius, S. 247; Dietmeier, S. 47; Moll, S. 42. – Nach Art. 297 EGStGB kann eine solche Rechtsverordnung durch die jeweilige Landesregierung oder bei entsprechender Ermächtigung durch die Landesregierung durch eine oberste Landesbehörde oder andere Behörde erlassen werden. 128
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
adressat präzise auf die entsprechende Norm und ggf. deren Fundort hingewiesen.131 Gerade im Nebenstrafrecht erfolgen oftmals ausdrückliche Verweisungen auf Verordnungen der Exekutive, so etwa bei § 18 Abs. 3 AWG, der sich auf die KimberleyVO bezieht und den Verstoß gegen bestimmte Artikel der VO unter Strafe stellt.132 Die halbexpliziten Verweisungen hingegen beziehen sich „mehr oder weniger offensichtlich“ auf ein Verweisungsobjekt.133 Es wird zwar keine genaue Gesetzesbzw. Paragraphenkette genannt, allerdings ergibt sich anhand anderer sprachlicher Wendungen der Verweis auf einen Ausfüllungssatz. Als Beispiel wird hier oftmals § 106 UrhG mit der Formulierung „in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen“ genannt.134 Auch im Außenwirtschaftsstrafrecht finden sich halbexplizite Verweisungen, so in § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG, der auf ein „Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Erwerbs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs- oder Investitionsverbot oder Verfügungsverbot über eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eines im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union“
und damit erkennbar auf einen Ausfüllungssatz verweist, ohne jedoch die genaue Gesetzes- bzw. Paragraphenkette zu nennen. Teilweise wird bei dieser Art von Verweisungen auch von „konkludenten“ Verweisungen gesprochen.135 Im üblichen juristischen Sprachgebrauch bezeichnet der Terminus „konkludent“ (aus lat. concludens) einen anderen Begriff für „schlüssig“, auch „stillschweigend“, „verborgen“.136 Da hier allerdings eindeutig ist, dass auf einen Ausfüllungssatz verwiesen wird, und lediglich der konkrete Ausfüllungssatz nicht bezeichnet ist, erscheint die Bezeichnung einer „konkludenten“ Verweisung in diesem Zusammenhang nicht ganz zutreffend, weshalb der Begriff „halbexplizit“ vorzuziehen ist.137 Der Begriff des konkludenten Blanketts sollte vielmehr Verweisungen vorbehalten sein, in denen ein sprachlicher Hinweis auf das Verweisungsobjekt gänzlich fehlt.138 Nach (jedenfalls noch) herrschender Meinung stellt beispielsweise das Wort „pflichtwidrig“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ein konkludentes Blankettmerkmal dar, weil erst durch Hinzunahme der Steuergesetze festgestellt werden kann, ob eine 131
Cornelius, S. 244; Moll, S. 32. Vgl. Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 85. 133 Cornelius, S. 245; Dietmeier, S. 45. 134 Vgl. Cornelius, S. 245; Dietmeier, S. 45; Lauer, S. 46. 135 So Enderle, S. 17 f., 33 f.; Moll, S. 33; Warda, S. 13 f. 136 Cornelius, S. 245; Dietmeier, S. 45. 137 So auch Cornelius, S. 245; Dietmeier, S. 45. – Nach Lauer, S. 46, liegt im Falle des § 106 UrhG ebenfalls „mehr als nur eine konkludente Verweisung vor, obgleich die §§ 45 UrhG keine direkte Erwähnung finden“. 138 Cornelius, S. 246. 132
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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Erklärungspflicht für den Unterlassenden besteht.139 Dieser Definition folgend könnten auch Straftatbestände, die pauschal auf den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht verweisen – wie dies § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG tut – als konkludente Blankette eingestuft werden. U. a. beim Merkmal der Genehmigungspflicht, aber auch bei anderen konkludenten Verweisungen ist die Rechtswissenschaft sich allerdings uneins, ob sie ein Blankettmerkmal oder aber doch ein normatives Tatbestandsmerkmal darstellen;140 auf diese Frage soll indes erst bei der Untersuchung der Genehmigungstatbestände im folgenden Kapitel eingegangen werden.141 Die Frage der Möglichkeit einer Abgrenzung von konkludenten Blanketten zu normativen Tatbestandsmerkmalen wird auch noch in Kapitel 4 zu behandeln sein.142 6. Qualifizierte Blankettnormen Von „qualifizierten“143 Blankettnormen ist die Rede, wenn das Blankettstrafgesetz die strafrechtliche Sanktionierung davon abhängig macht, dass das tatbestandliche Handeln von einer Rechtsverordnung beschrieben und in dieser auf das Strafblankett zurückverwiesen wird.144 Im Bereich des Außenwirtschaftsstrafrechts stellt § 17 Abs. 1 AWG eine solche qualifizierte Blankettnorm dar, indem dort bestimmt wird, dass ein Verstoß gegen eine Vorschrift in einer Rechtsverordnung nur dann strafbar ist, wenn diese für einen bestimmten Tatbestand auf die Strafnorm des § 17 Abs. 1 AWG verweist. Damit wird nicht nur die Beschreibung des Tatbestands, sondern auch die Entscheidung, welche normierten Handlungen bestraft werden sollen, an den Verordnungsgeber delegiert.145 Weil der Begriff „qualifiziert“ andeutet, eine solche Verweisung entspreche in besonderem Maße rechtsstaatlichen Ansprüchen, dies aber von manchen bestritten wird, wird auch der Begriff der „Blankettverweisung mit reflexivem Verweisungobjekt“146 oder des „rückverweisenden“ bzw. „reflexiven“ Blankettgesetzes147 verwendet.
139
Vgl. nur Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 3. Aufl., § 370 AO Rn. 20. Vgl. Cornelius, S. 246; Enderle, S. 18, 50; Löw, S. 116 f.; von der Heide, S. 37. 141 Siehe dazu noch Kapitel 3 D. 142 Siehe dazu noch Kapitel 4 I. I. 2. und I. II. 3. 143 Volkmann, ZRP 1995, 220 (221). 144 Enderle, S. 26; Hoven, NStZ 2016, 377 (379 f.). 145 Dietmeier, S. 129; Hoven, NStZ 2016, 377 (380); Volkmann, ZRP 1995, 220 (221). – Die Rückverweisungstechnik wird vor allem im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Grenzen diskutiert und der Begriff der qualifizierten Blankettnormen wird daher nur der Vollständigkeit halber erläutert. Zu weiteren Einzelheiten siehe Dietmeier, S. 129 ff.; Enderle, S. 24 ff.; Schuster, S. 274 ff.; Volkmann, ZRP 1995, 220 ff. 146 Moll, S. 48. 147 Dietmeier, S. 63. 140
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
7. Zusammenfassung und Fazit Wie dargestellt, gibt es im Zusammenhang mit dem Ausdruck des „Blankettstrafgesetzes“ bzw. der „Blankettnorm“ viele Begrifflichkeiten, die in teilweise überschneidender Art verwendet werden. Die eher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten verwendeten Termini der statischen oder dynamischen Verweisung bzw. der qualifizierten Blankettnormen können im Hinblick auf die Irrtumsthematik dieser Arbeit vernachlässigt werden. Interessant für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist vielmehr die Unterscheidung anhand des Standorts der Ausfüllungsnorm und der normgebenden Instanz. Der Einfachheit halber werden zunächst im weiteren Verlauf der Arbeit auch die unechten Blankettstrafgesetze bzw. die Blankettstrafgesetze im weiteren Sinne mit umfasst sein, wenn allgemein von Blankettstrafgesetzen gesprochen wird. Daher sollen unter Heranziehung der weiten Formulierung von Vogel/Bülte unter Blankettstrafgesetzen solche Strafgesetze verstanden werden, „die eine Strafdrohung enthalten, aber das tatbestandliche Unrecht nicht oder nicht vollständig selbst umschreiben, sondern ganz oder teilweise, ausdrücklich oder sinngemäß, statisch oder dynamisch auf andere gesetzliche oder untergesetzliche Normen und ggf. auch auf Verwaltungsakte (Verbote, Untersagungen, Erlaubnisse, Genehmigungen usw.) verweisen, die das Blankettstrafgesetz vervollständigen oder ausfüllen und deshalb als ,blankettausfüllende Normen‘ bezeichnet werden.“148
Dabei soll allerdings die Differenzierung zwischen „echten“ und „unechten“ Blankettstrafgesetzen beibehalten werden, die sich anhand des bei den echten Blankettstrafgesetzen vorliegenden Kompetenzsprungs, also des Erlasses der blankettausfüllenden Norm von einer anderen Stelle als dem Strafgesetzgeber, ergibt.149 Ob und inwiefern hier ein Unterschied bei Behandlung der Irrtumskonstellationen ausgemacht werden kann bzw. muss, ist dabei noch zu untersuchen. Die Begrifflichkeiten der Außen- und Binnenverweisung sind dabei als Unterkategorien der unechten Blankettstrafgesetze zu verstehen, wobei letztere die Verweisung innerhalb desselben Gesetzestextes, erstere die Verweisung auf einen anderen Gesetzestext desselben Normgebers bezeichnen.
IV. Der Blankettcharakter der Strafvorschriften des AWG Nunmehr stellt sich die Frage, wie sich die Strafvorschriften des AWG in diese Terminologie einfügen. Für die vorliegende Untersuchung ist dabei vor allem die Einordnung als echte oder unechte Blankettstrafnorm bzw. als eine solche im engeren oder weiteren Sinne relevant. 148
LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 36. Siehe dazu schon Kapitel 2 A. III. 1.; vgl. auch LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 36. 149
A. Der Begriff des Blankettstrafgesetzes
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§ 17 Abs. 1 AWG bedarf für seine Anwendbarkeit der Ausfüllungsvorschrift des § 80 AWV i. V. m. §§ 74, 75, 77 und 79 AWV, d. h. einer Rechtsnorm, die von einem Exekutivorgan erlassen wurde.150 Der Straftatbestand des § 18 Abs. 1 AWG verweist auf unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union, genauer gesagt auf die jeweils aktuell gültigen Embargovorschriften; § 18 Abs. 2 AWG nimmt wieder Vorschriften der AWV in Bezug, also durch ein Exekutivorgan erlassene Rechtnormen; § 18 Abs. 3 bis 5 a AWG verweisen auf Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union. Auch § 18 Abs. 1a und 1b AWG werden in der Form von Kettenverweisungen teilweise durch einen Verwaltungsakt bzw. die AWV ausgefüllt. Während Lübbig § 34 AWG a. F.151 eine „Zwischenstellung“ zwischen echtem und unechtem Blankett attestiert hatte, „weil sich die Verbotsmaterie zwar aus einem anderen Gesetz ergibt, nämlich der AWV, diese verbotsausfüllende Verordnung aber dem die Sanktionsdrohung enthaltenden Gesetz durchaus sachlich nahesteht,“152 werden nach hiesiger Auffassung die Strafnormen des AWG als echte Blankettstrafnormen bzw. Blankettstrafnormen im engeren Sinne aufgefasst, da die jeweiligen Ausfüllungsvorschriften (teilweise erst in Form von Kettenverweisungen, so bei § 18 Abs. 1a und 1b AWG) ganz im Sinne der herkömmlichen Terminologie von einer anderen Rechtsetzungsinstanz als die Strafnorm stammen. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass eine sachliche Nähe zwischen AWG und AWV vorliegt; dies ist aber auch bei anderen „echten“ Blanketttatbeständen der Fall.153 Eine weitere Kategorie von Blankettstrafnormen, d. h. eine „Zwischenstellung“, anzuerkennen, würde zu größerer Unklarheit führen, ohne sich in irgendeiner Form gewinnbringend auszuwirken. Damit ist klar: § 17 Abs. 1 und § 18 Abs. 1, 2 bis Abs. 5a AWG sind, vorausgesetzt man sieht die Genehmigungspflichtigkeit als Blankettmerkmal an,154 sog. echte Blankettstraftatbestände bzw. solche im engeren Sinne. Die Blankettstraftatbestände des AWG zeichnen sich ferner dadurch aus, dass sie teilweise mehrstufig sind, d. h. die Ausfüllungsnorm ihrerseits auf eine weitere Vorschrift Bezug nimmt. So verweist § 17 Abs. 1 AWG auf die Ausfüllungsnorm des § 80 AWV, welche wiederum auf §§ 74, 75, 77 AWV i. V. m. § 79 AWV verweist. Aus dieser Mehrstufigkeit ergibt sich indes keine Besonderheit; die mehrstufigen Blankettstrafnormen sind wie gewöhnliche Blankettstrafgesetze zu behandeln. Durch die „Ergänzungsbestimmung zu der Ausfüllungsnorm“ wird gleichzeitig
150
Nach § 12 Abs. 1 AWG wird die AWV u. a. durch die Bundesregierung erlassen. Dessen Abs. 1 entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 2 AWG, dessen Abs. 4 Nr. 1 dem heutigen § 17 Abs. 1 AWG, dessen Abs. 4 Nrn. 2 und 3 dem heutigen § 18 Abs. 1 AWG. 152 Lübbig, S. 193. 153 So etwa bei § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB, der auf Rechtsvorschriften, die der Sicherung des Verkehrs dienen, verweist. 154 Ob dies richtigerweise der Fall ist, wird im folgenden Kapitel untersucht. 151
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
mittelbar das eigentliche Blankettstrafgesetz, das die Strafdrohung enthält, ausgefüllt.155
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand Bei der Diskussion der Irrtumsthematik im Zusammenhang mit Blankettstrafgesetzen geht es vorrangig stets um die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum. Nach der grundsätzlich unbestrittenen Systematik der Irrtumsregeln der §§ 16, 17 StGB knüpft der Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB an einen vom Täter irrig angenommenen Umstand an, der „zum gesetzlichen Tatbestand gehört“;156 der Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB hingegen stellt einen Irrtum über die Widerrechtlichkeit der Handlung dar.157 § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB spricht zwar von den Tatumständen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, definiert diesen Begriff aber nicht weiter.158 Da bei Blankettstraftatbeständen gerade die Frage, was überhaupt Gegenstand des „gesetzlichen Tatbestandes“ ist, die Weichen für die Behandlung der Irrtumskonstellationen stellt und dies uneinheitlich beantwortet wird,159 muss vorgreifend die Funktion des Tatbestandes beleuchtet werden (I.). Weiter ist – quasi in Vorarbeit zur später folgenden Behandlung der Irrtumsdogmatik – ebenfalls einzugehen auf die herkömmlicherweise unterschiedenen Arten von Tatbestandsmerkmalen und deren Abgrenzung sowie die kritische Auseinandersetzung damit (II.), wobei insbesondere die für die Irrtumsthematik so relevante Problematik der Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen zu behandeln ist.
I. Begriff und Funktion des Tatbestands im Strafrecht 1. Unterschiedliche Begrifflichkeiten Der Begriff des Tatbestands lässt sich auf Beling160 zurückführen und hat sich seitdem von einem einzigen allgemeinen, alle dogmatischen Aufgaben umfassenden Tatbestandsbegriff zu einem je nach Bezugspunkt der Begriffsbildung und Funktion
155
Weidenbach, S. 20. Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, 289. 157 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 1. 158 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 183. 159 Siehe dazu noch Kapitel 4 H. und I. 160 Beling, S. 1 ff., 110 ff. 156
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
77
verschiedene Bedeutungen innehabenden Tatbestandsbegriff entwickelt.161 Die Terminologie ist uneinheitlich und wenig überschaubar; Schaffstein sprach schon 1960 von einem „Dschungel der modernen Tatbestandslehre“162, der bis heute auch nicht ersichtlich gelichtet wurde. In der Lehre findet sich demnach auch eine Vielzahl von Tatbestandsbegriffen, bei denen die übereinstimmende Verwendung des Begriffs „Tatbestand“ sich überhaupt nur durch das Zugrundeliegen desselben Kerntatbestands rechtfertigt. Je nach der Aufgabe, die diesem Begriff zugewiesen wird, ergibt sich der Unterschied der einzelnen Tatbestandsbegriffe.163 Auf die jeweiligen Einzelheiten einzugehen, würde indes den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.164 Teilweise wird eine „Dreifaltigkeit“ an Funktionen des Tatbestands herausgearbeitet: unterschieden wird hier zwischen dem sog. Systemtatbestand, dem Garantietatbestand und dem Irrtumstatbestand.165 Der Systemtatbestand soll den „Inbegriff der Merkmale, die ergeben, um welches Verbrechen es sich typisch handelt“, umfassen.166 Der Begriff des Systemtatbestands rührt daher, dass er den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen ihren festen systematischen Standort zuweist.167 Hierdurch soll klar werden, „welches Rechtsgut der Gesetzgeber als Sinn der Strafnorm im Auge gehabt hat, welche Handlungsobjekte in Betracht kommen […], worin die verbotene Handlung oder Unterlassung besteht, ob sie eine Verletzung oder nur die konkrete Gefahr einer solchen verursacht haben muss, schließlich ob Vorsatz verlangt wird oder Fahrlässigkeit genügt“.168
Der Systemtatbestand wird auch als Unrechtstatbestand bezeichnet, weil ihm die Aufgabe zukommt, alle Merkmale aufzunehmen, die den typischen Unrechtsgehalt begründen.169 Bei § 303 StGB etwa sind diese Merkmale die „Beschädigung oder Zerstörung einer fremden Sache“, bei § 211 StGB die „Tötung eines Menschen“.170 161
Backes, S. 124; Engisch, Mezger-FS 1954, S. 127 (147); Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 1; Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 43/44. 162 Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369. 163 Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (181). 164 Einen Überblick über eine Vielzahl von Tatbestandsbegriffen geben LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 40 und Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 43/ 44. – Teilweise werden die Tatbestandsbegriffe auch in sich überschneidender Weise verwendet, siehe Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 6; NK-StGB-Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. Rn. 24. 165 Cornelius, S. 11; Dietmeier, S. 23 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 1 ff.; Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (181). 166 Beling, S. 3. 167 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 5; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 1. 168 Jescheck/Weigend, AT, § 25 I 2. 169 Engisch, Mezger-FS 1954, S. 127 (132); Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 5; Hillenkamp, Kirchhof-FS 2013, Bd. 2, § 124 Rn. 7; Jescheck/Weigend, AT, § 25 I 2; Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 6. 170 Vgl. Cornelius, S. 11; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 1.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
Nicht zum System- bzw. Unrechtstatbestand sollen aber die Kategorien der Rechtswidrigkeit und der Schuld gehören.171 Durch den Garantietatbestand wird das verbotene Verhalten exakt beschrieben.172 Aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsatz nullum crimen sine lege folgt, dass Anknüpfungspunkt einer jeden Strafbarkeit ein gesetzlicher Straftatbestand sein muss.173 Hierdurch soll der Bürger vor unbestimmten Strafgesetzen und Analogien zu seinen Lasten und damit vor willkürlicher Ausübung und Erweiterung staatlicher Strafgewalt geschützt werden.174 So soll der Einzelne voraussehen können, welches Verhalten strafbar ist, andererseits sollen der staatlichen Strafgewalt feste Grenzen gesetzt werden.175 Allerdings wird eingewandt, dass die Vorhersehbarkeit heutzutage nur noch eingeschränkt gewährleistet werde; die Mannigfaltigkeit der mittlerweile existierenden Gesetze und der dort verwendeten Begriffe in ihrer juristischen Bedeutung könne vom durchschnittlichen Individuum nicht mehr überschaut werden.176 Da der Garantietatbestand alle Umstände umfasst, auf die sich das Gesetzlichkeitsprinzip bezieht und damit auch beispielsweise die Straffolgen und Prozessvoraussetzungen sowie Schuld- und Strafausschließungsgründe, wird dieser Begriff als weiter im Vergleich zum System- oder Unrechtstatbestand angesehen.177 Schließlich wird von den Vertretern der „Dreifaltigkeit“ der Tatbestandsfunktionen als dritte Kategorie bei Vorsatzdelikten noch vom Irrtumstatbestand gesprochen, wenn es um die Funktion geht, alle Merkmale zu umschreiben, deren Unkenntnis einen Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB begründet und damit den Vorsatz ausschließt; bei Fahrlässigkeitsdelikten geht es um diejenigen Merkmale, auf die sich bei fehlender Kenntnis die Fahrlässigkeit beziehen muss.178 § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB selbst spricht insoweit vom „gesetzlichen Tatbestand“, weshalb statt des Terminus „Irrtumstatbestand“ auch jener Begriff verwendet wird.179 Der Irrtumstatbestand soll sich aus dem objektiven Tatbestand und den Rechtferti171 Vgl. Walter, S. 62. – Jedenfalls nach dem dreistufigen Deliktsaufbau der h. M.; nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen hingegen gehört auch die Rechtswidrigkeit zum Unrechtstatbestand, denn Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit werden zu einem „Gesamtunrechtstatbestand“ zusammengefasst, siehe dazu noch Kapitel 3 C. II. 1. 172 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 6. 173 Heinrich, AT, Rn. 110. 174 Cornelius, S. 12; NK-StGB-Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. Rn. 24. 175 Dopslaff, GA 1987, 1 (3); Tiedemann, S. 193 f. 176 Dopslaff, GA 1987, 1 (3). 177 Cornelius, S. 12; Hillenkamp, Kirchhof-FS 2013, Bd. 2, § 124 Rn. 16; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 4; Walter, S. 62.; a. A. NK-StGB-Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. Rn. 24, die den System- mit dem Garantietatbestand gleichsetzt. 178 Matt/Renzikowski-Renzikowski, Vor § 13 Rn. 6; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 3 ff.; vgl. auch Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 6. 179 Backes, S. 125; Schlüchter, S. 3; vgl. auch Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 43/44.
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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gungsgründen zusammensetzen.180 Die Abgrenzung des Irrtumstatbestands zum Garantietatbestand wird darin gesehen, dass zu letzterem auch solche Merkmale gehören sollen, auf die sich der Vorsatz nicht zu beziehen brauche, er deshalb weiter als der Irrtumstatbestand sei.181 Der Irrtumstatbestand soll wiederum – in Abgrenzung zum Systemtatbestand – nicht den subjektiven Unrechtstatbestand umfassen, dafür aber die sachlichen Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe.182 Hinsichtlich des für die vorliegende Arbeit zugrundezulegenden Tatbestandsbegriffs ist festzuhalten, dass Thema dieser Arbeit der Irrtum im Außenwirtschaftsstrafrecht ist und es damit um die zentrale Frage geht, ob und wann vorsätzliches Handeln vorliegt. Der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB verlangt zur Bestrafung des Täters wegen eines Vorsatzdeliktes, dass dieser einen „Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand [Hervorhebung durch Verf.] gehört“. Damit ist also die hier interessierende Beziehung zum Tatbestandsbegriff hergestellt. Die Finessen der Abgrenzung der drei genannten Kategorien von Tatbestandsarten einmal außer Acht gelassen, ist der Tatbestandsbegriff, der für die vorliegende Untersuchung von maßgeblichem Interesse ist, folglich derjenige des „gesetzlichen Tatbestandes“. Um bei der durch das Gesetz vorgegebenen Terminologie zu bleiben und dem Begriffschaos der Tatbestandslehre nicht noch weitere Unklarheiten hinzuzufügen – wie oben schon erwähnt, werden die verschiedenen Begriffe nicht immer einheitlich verwendet –, soll hier auch am Terminus des „gesetzlichen Tatbestands“ festgehalten und Begriffe wie „Irrtumstatbestand“ vermieden werden. Welche Definition des gesetzlichen Tatbestands für diese Arbeit zugrunde zu legen ist, soll nun kurz beleuchtet werden. 2. Der gesetzliche Tatbestand als Beschreibung von Rechtsgutsund Pflichtverletzung Der gesetzliche Tatbestand umfasst also diejenigen Merkmale, auf die sich der Vorsatz bzw. bei fehlender Kenntnis die Fahrlässigkeit beziehen muss. Welches aber sind die Merkmale, deren Unkenntnis den Vorsatz ausschließt? Dem in § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB genannten gesetzlichen Tatbestand wird die Eigenschaft zugeschrieben, dem Handelnden eine Appell- und Warnfunktion zu vermitteln, weshalb die Unkenntnis von dessen Umständen beim Irrenden den Vorsatz ausschließe.183 Demnach müssten alle Merkmale, die den spezifischen strafrechtlichen Unrechtsgehalt einer bestimmten Deliktsart begründen, Teil des gesetzlichen Tatbestands und daher vom Vorsatz umfasst sein.184 Die vorsätzliche Verwirklichung des im gesetzlichen Tat180
LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 40. Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (181). – Hierzu gehören etwa die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, dazu noch C. II. b) cc). 182 Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 5; Walter, S. 62. 183 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 166. 184 Backes, S. 125. 181
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bestand typisierten Unrechts setzt voraus, dass der Täter die Tat als ein bestimmtes, konkretes Geschehen in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat, sodass sich sämtliche die Tat charakterisierenden Merkmale im Täterbewusstsein wiederfinden.185 Der gesetzliche Tatbestand stellt folglich die Beschreibung eines deliktstypischen Unrechts dar, „also das in der jeweiligen Norm des Besonderen Teils des StGB bzw. des Nebenstrafrechts abstrahierte sozialinadäquate Verhalten“.186 Die Schutzfunktion des Strafrechts wird primär im Schutz von Rechtsgütern gesehen, die aus den Lebensgütern, Sozialwerten und den rechtlich anerkannten Interessen des Einzelnen oder der Allgemeinheit bestehen, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz genießen.187 Dementsprechend wird der Auswahl der in einem Tatbestand beschriebenen Handlungen durch den Gesetzgeber der Zweck zuerkannt, bestimmte Rechtsgüter durch das Strafrecht zu schützen.188 Der Straftatbestand beschreibt die jeweilige Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung; die Strafnorm stellt das Verbot auf, das Rechtsgut zu verletzen oder zu gefährden.189 Alles, was der Beschreibung der Verletzung oder Gefährdung des Rechtsguts dient, muss daher zum gesetzlichen Tatbestand gehören.190 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die hier angenommene Definition des gesetzlichen Tatbestandes sich zumindest teilweise mit dem oben beschriebenen Unrechts- bzw. Systemtatbestand überschneidet. Es soll daher für den folgenden Verlauf der Arbeit der „gesetzliche Tatbestand“ mit Engisch als derjenige „Teil des Unrechtstatbestandes […], auf den sich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu beziehen haben, wenn von einem Tatbestandsvorsatz bzw. einer Tatbestandsfahrlässigkeit die Rede sein soll“191, angesehen werden, der alle Umstände umschreibt, die eine bestimmte Straftat regelmäßig ausmachen und somit die strafrechtsdogmatische Aufgabe einer Unrechtsvertypung leistet.192 An späterer Stelle wird noch zu diskutieren sein, welche genau diese Merkmale sind, auf die sich die Kenntnis des Täters beziehen muss, vor allem in Bezug auf Blankettstraftatbestände.193 Nur eines soll schon einmal vorweggenommen werden: Nach heute ganz herrschender Meinung ist das gesetzliche Verbot einer Handlung
185
von der Heide, S. 23 f. Schlüchter, S. 4. 187 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 2 Rn. 7; M. Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 131 (132); LK-StGB-Weigend, 13. Aufl., Einl Rn. 1; Matt/Renzoikoswki-Renzikowski, Einl. Rn. 5 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 1 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 9, 11. – Zum Streit um den Rechtsgutsbegriff Roxin/Greco, AT I, § 2 Rn. 2 ff. 188 Backes, S. 136. 189 Backes, S. 136. 190 Backes, S. 136. 191 Engisch, Mezger-FS 1954, S. 127 (132). 192 Vgl. Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 193 Dazu unten Kapitel 4 D. II., G., H. II. und I. 186
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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kein „Tatumstand“ i. S. d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, denn „es gehört nicht zum Inhalt des Tatbestandes, sondern hat ihn zum Inhalt“.194
II. Arten von Tatbestandsmerkmalen Wie Walter salopp feststellt, ist ein Straftatbestand „eine Ansammlung von Worten“.195 Während die Richtigkeit dieser Aussage nicht zu leugnen ist, so stellt sich die Sachlage doch etwas komplizierter dar, steigt man etwas tiefer in die Materie ein. Die „Worte“, aus denen die Tatbestandsmerkmale bestehen und die der Gesetzgeber einsetzt, um das „Bild einer Straftat“196 zu zeichnen, werden vom überwiegenden Teil der Strafrechtswissenschaft verschiedenen Kategorien zugeordnet. Hieraus ergeben sich vor allem die für diese Arbeit relevanten Unterschiede in der Behandlung von Irrtumskonstellationen, auf die im Laufe der weiteren Untersuchung noch einzugehen sein wird.197 Über die unterschiedlichen Arten von Tatbestandsmerkmalen soll daher zunächst ein Überblick gegeben werden; ferner soll die Diskussion aufgegriffen werden, ob sich die einzelnen, nach herkömmlicher Auffassung existierenden Arten von Tatbestandsmerkmalen voneinander überhaupt abgrenzen lassen. 1. Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale Nach herkömmlichem Verständnis wird zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen unterschieden.198 a) Deskriptive Tatbestandsmerkmale Unter deskriptiven Tatbestandsmerkmalen sind nach herrschender Ansicht solche Elemente zu verstehen, die bestimmte Lebensvorgänge, körperliche Gegenstände oder seelische Gegebenheiten sachlich beschreiben und deren Feststellung allgemein durch sinnliche Wahrnehmung, d. h. rein kognitiv, möglich ist.199 Sie lassen sich
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BGHSt 19, 295 (298); vgl. auch Otto, AT, § 7 Rn. 62. Walter, S. 217. 196 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 19. 197 Siehe dazu Kapitel 4 G., H. und I. 198 Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV; Kindhäuser, Jura 1984, 465 ff.; Kindhäuser/Hilgendorf, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 43; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 70; Roxin/ Greco, AT I, § 10 Rn. 57; diese Unterscheidung geht zurück auf Welzel, JZ 1953, 119 (120). 199 Heinrich, AT, Rn. 125; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 24; KKOWiG-Rengier, § 11 Rn. 12; Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 414; Kuhli, S. 167; LK-StGB-Vogel/ Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 21; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 58; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 18; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 195. 195
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insoweit lediglich durch Beschreibung und ohne Wertung erfassen.200 Der Subsumtionsstoff deskriptiver Merkmale soll demnach auch aus Tatsachen bestehen.201 Als Beispiele werden z. B. der Begriff der „Sache“ in § 242 StGB und § 303 StGB genannt, deren Begriffskern grundsätzlich auch ohne juristische Kenntnisse erfasst werden kann.202 Auch die Begriffe „Mensch“ in § 212 StGB oder „Kraftfahrzeug“ in § 248b StGB werden zu den deskriptiven Merkmalen gezählt.203 Die Problematik der Unterscheidung deskriptiver von normativen Tatbestandsmerkmalen beginnt aber schon bei der soeben genannten Umschreibung deskriptiver Merkmale. So möchte Mitsch alle „institutionellen Tatsachen, die nicht naturgegeben sind, sondern ihre Existenz menschlicher Schöpfung verdanken“, wie „Behörde“ in § 145d StGB und „Gericht“, in § 153 StGB ebenfalls zu den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zählen.204 Kindhäuser indessen spricht von einem „tief verwurzelten Irrtum“, die deskriptiven Tatbestandsmerkmale als beschreibend anzusehen.205 Dies wird anhand des Beispiels des „wohl“ deskriptiven Merkmals „Person unter sechzehn Jahren“ in § 180 Abs. 1 StGB demonstriert: Es sei nämlich abwegig zu sagen: „A beschreibt B als Person unter sechzehn Jahren“. Auch die allgemein als deskriptiv angesehenen Merkmale „Sache“, „beweglich“, „Gebäude“ oder „Werkzeug“ seien nicht beschreibend.206 Allerdings geht Kindhäuser in seiner Interpretation der „Beschreibung“ über die der allgemeinen Auffassung hinaus; wie Kuhli richtigerweise bemerkt, spricht Kindhäuser nicht von einer „Beschreibung“ im herkömmlichen Sinne, sondern von einer „Beschreibung als“ im Sinne einer „Charakterisierung als“, also durchaus einem wertenden Vorgang, was dann auch Kindhäusers Kritik an der Differenzierung der Rechtsprechung und herrschenden Literaturmeinung erklärt.207 Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass abgesehen von einzelnen abweichenden Ansichten die allgemeine Lesart deskriptiver Tatbestandsmerkmale im Großen und Ganzen übereinstimmt. b) Normative Tatbestandsmerkmale Im Gegensatz dazu bedürfen normative Tatbestandsmerkmale nach herrschender Meinung stets einer ergänzenden juristischen Wertung und sind entweder gar nicht
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Heinrich, AT, Rn. 125; Rengier, AT, § 8 Rn. 11; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 58. Vgl. Bachmann, S. 21. 202 Heinrich, AT, Rn. 125; Otto, AT, § 5 Rn. 92. 203 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 24. 204 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 23. – Hierzu soll nach Mitsch auch die „Fremdheit“ einer Sache in § 242 StGB zählen, siehe dazu noch B. II. 2. a). 205 Kindhäuser, Jura 1984, 465 (474). 206 Kindhäuser, Jura 1984, 465 (474). 207 Kuhli, S. 167 f. 201
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oder nur bedingt sinnlich zu erfassen.208 Oftmals müssen zu ihrem Verständnis andere Rechtsnormen herangezogen werden.209 Nach Engisch zielen solche normativen Merkmale „auf Gegebenheiten ab, die überhaupt nur unter logischer Voraussetzung einer Norm vorgestellt und gedacht werden können“.210 Kühl spricht in diesem Zusammenhang auch von „institutionellen Tatsachen“, die im Gegensatz zu „natürlichen Tatsachen“ nur aufgrund bestehender rechtlicher, konventioneller oder moralischer Normen existieren.211 Nach dieser Definition ist etwa das Merkmal „fremd“ in § 242 StGB ein normatives Tatbestandsmerkmal, weil dessen Bedeutung sich erst durch Bezugnahme auf die jeweiligen Vorschriften des BGB zum zivilrechtlichen Eigentum ergibt und daher eine juristische Bewertung erfordert.212 Weitere oft angeführte Beispiele sind die Begriffe „Urkunde“ in § 267 StGB oder „Beleidigung“ in § 185 StGB, für deren Verständnis zwar nicht wie beim Merkmal der Fremdheit auf andere Normen zurückgegriffen werden kann, bei denen aber ein Akt der (rechtlichen) Bewertung hinzukommen muss, um deren Vorliegen zu bejahen oder abzulehnen.213
2. Berechtigung der Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen Seit der Herausarbeitung der Begrifflichkeiten von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen wird deren dogmatische Behandlung kontrovers beurteilt.214 Vielerorts wird bestritten, dass eine eindeutige Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen möglich sei, oder unterschiedlich beurteilt, wie eine solche auszusehen habe.215 Verschiedene Herangehensweisen und Terminologien „erschweren den Versuch, ein systematisches Meinungsbild herzu208 Heinrich, AT, Rn. 126; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 12; Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 415; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 25; Rengier, AT, § 8 Rn. 12; Schlüchter, S. 19, 23; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 196. 209 Heinrich, AT, Rn. 126. 210 Engisch, Mezger-FS 1954, S. 127 (147). 211 Kühl, AT, § 5 Rn. 92. – Schroth, S. 51, benutzt statt „deskriptiver“ und „normativer Tatbestandsmerkmale“ die Termini der „natürlichen Eigenschaften“ für „solche Eigenschaften, die dem Tatobjekt als solche zukommen“ im Gegensatz zu den „konventionalen Eigenschaften“, die „Objekten als Eigenschaften im Verhältnis zu anderen Menschen zugesprochen“ werden. 212 Heinrich, AT, Rn. 126. 213 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 25. 214 Vgl. Dopslaff, GA 1987, 1 f.; Engisch, Mezger-FS 1954, S. 127 f.; Haas, Puppe-FS 2011, S. 93; Kuhlen, S. 416 ff.; Safferling, S. 126 ff.; Tischler, S. 34 f. 215 Dopslaff, GA 1987, 1 f.; Haft, JuS 1975, 477 (480); Jakobs, AT, 8/51; Kindhäuser, Jura 1984, 465 (474 f.); LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 42; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 41; Walter, S. 219 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 197. – Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 31 konstatiert gar, der Begriff des deskriptiven Tatbestandsmerkmals habe „dogmatisch keine weitere Bedeutung und daher auch keinen Sinn“.
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stellen“.216 Demgegenüber muss es verwundern, wenn Jescheck/Weigend behaupten, dass trotz uneinheitlicher Terminologie „in der Sache selbst weitgehend Einigkeit“ herrsche.217 Im Hinblick auf die dieser Arbeit zugrundeliegende Irrtumsthematik entfaltet die Abgrenzung der deskriptiven von den normativen Tatbestandsmerkmalen insoweit Relevanz, als dass für deskriptive Tatbestandsmerkmale eine sinnliche Wahrnehmung, für normative Elemente dagegen ein „geistiges Verstehen“ gefordert wird, um vorsätzliches Handeln zu begründen.218 Ob man die Existenz normativer Tatbestandsmerkmale ablehnt oder befürwortet, hat daher selbstverständlich Auswirkungen auf die Anforderungen an vorsätzliches Handeln. a) Befürwortung der Abgrenzung deskriptiver von normativen Tatbestandsmerkmalen Herkömmlicherweise wird angenommen, es sei sowohl sinnvoll als auch durchführbar, deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale voneinander abzugrenzen.219 Zu den Befürwortern gehört beispielsweise Mitsch, der den Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen darin sieht, dass erstere wahrheitsfähig und nicht steigerungsfähig, letztere dagegen nicht wahrheitsfähig, aber steigerungsfähig seien.220 Gegenstände, die den deskriptiven Merkmalen zuzuordnen seien, „sind schon da, bevor sie ihren Namen oder ihre Beschreibung bekommen haben. […] [D]er Mensch [kann] ihre Existenz nicht leugnen“.221 Anhand des Begriffs „Mensch“ als deskriptives Tatbestandsmerkmal versucht Mitsch zu demonstrieren, dass man bezogen auf einen „Menschen X“ nur sagen könne, dieser sei ein Mensch, nicht aber, dieser sei kein Mensch. Ebenso könne keine Aussage wie „Er ist fast ein Mensch“ oder „Er ist sehr Mensch“ getroffen werden.222 Zu den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zählt Mitsch auch den Begriff der „Fremdheit“ in § 242 StGB und setzt sich damit in Gegensatz zur landläufigen Meinung.223 Normative Begriffe hingegen seien nur anhand eines vom Menschen geschaffenen und anzuwendenden Werte- oder Normensystems zu erfassen. So sei etwa die Bewertung eines Urlaubs als „erholsam“ oder eines Romans als „spannend“ nicht mit absoluter Gewissheit feststellbar, wobei es doch verwundert, warum Mitsch hier nun gerade Beispiele anführt, die nicht dem Strafrecht entspringen. Für die von ihm postulierte Steigerungsfähigkeit der normativen Begriffe führt er als Beispiele 216
Müller-Magdeburg, S. 133. Jescheck/Weigend, AT, § 26 IV. 218 Vgl. nur Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 57; dazu ausführlich noch Kapitel 4 G. 219 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 20 ff.; Frister, AT, 11. Kap. Rn. 34; Haas, Puppe-FS 2011, S. 93 ff.; Puppe, S. 32 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 57; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 17 ff. 220 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 21. 221 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 20. 222 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 21. 223 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 23. 217
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u. a. die Verletzung des „höchstpersönlichen“ Lebensbereichs in § 201a StGB und die „nicht nur unerhebliche“ Veränderung des Erscheinungsbilds einer Sache in § 303 Abs. 2 StGB an.224 Welche Konsequenz sich nun aus der Unterscheidung der deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmale ergeben soll und vor allem, wie dann etwa der Vorsatz, z. B. hinsichtlich des nach Mitschs Auffassung deskriptiven Merkmals „fremd“, bestimmt werden soll, lässt er indes unerwähnt. So bemerkt dann auch sein Mitautor Eisele, der freilich die „Fremdheit“ an späterer Stelle als normatives Tatbestandsmerkmal einstuft,225 dass die Abgrenzung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen „fließend“ sei.226 Auch Puppe und Haas charakterisieren ein deskriptives Tatbestandsmerkmal dadurch, „dass ein Satz, indem er auf einen Fall angewandt wird, wahr oder falsch ist“.227 Ein deskriptiver Begriff bezeichnet demnach Tatsachen, wobei es sich nicht nur um sog. natürliche Tatsachen handeln muss, sondern auch sog. institutionelle Tatsachen, die erst durch rechtliche Regeln konstituiert werden, davon umfasst sind.228 Nach Puppes Verständnis kann auch ein Satz, der sich auf ein Recht oder Rechtsverhältnis bezieht – also nach herkömmlichem Verständnis ein normatives Tatbestandsmerkmal darstellt – wahr oder falsch sein: „Eine Sache ist für mich eine fremde, wenn sie nämlich einem anderen gehört, oder sie ist es nicht. Ein Anspruch steht mir zu oder nicht. Eine Personenvereinigung ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder sie ist es nicht. Dass ein ,Akt geistigen Verstehens‘ erforderlich ist, um diese Begriffe richtig anzuwenden, unterscheidet sie nicht von anderen deskriptiven Begriffen, die natürliche Sachverhalte bezeichnen“.229
Normative Begriffe dagegen sollen nur solche sein, die eine Wertung ausdrücken und die damit nicht entweder wahr oder falsch sind. Durch sie soll ein Sachverhalt als richtig oder falsch beurteilt werden in dem Sinne, dass der durch die Handlung herbeigeführte Sachverhalt durch den Rechtsanwender gebilligt wird oder nicht.230 Beispielhaft werden hier u. a. die Begriffe „pornographisch“ in § 184 StGB und „verwerflich“ in § 240 StGB genannt. Ob ein Begriff im genannten Sinne verstanden wird, stellt auch immer die persönliche Auffassung des Rechtsanwenders dar und könnte von einem anderen Rechtsanwender wieder anders beurteilt werden.231 Haas stellt abschließend die Frage, ob die Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Merkmalen überhaupt durchführbar sei, weil auch bei Ersteren
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Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 6 Rn. 25. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 11 Rn. 62. 226 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 11 Rn. 43. 227 Puppe, S. 32; vgl. auch Haas, Puppe-FS 2011, S. 93 (104). 228 Puppe, S. 33; vgl. auch Haas, Puppe-FS 2011, S. 93. 229 Puppe, S. 33. 230 Puppe, S. 37 f. 231 Puppe, S. 30.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
Wertungen eine Rolle spielen könnten.232 Er kommt jedoch zu dem Schluss, dass eine eindeutige Zuordnung nur bei bestimmten Tatbestandsmerkmalen nicht durchgeführt werden könne und diese Wertung sich „auf einer anderen logischen Ebene“ als bei den normativen Rechtsbegriffen vollziehe – dazu nennt er das Beispiel der „körperlichen Misshandlung“ im Rahmen von § 223 StGB, die nach allgemeiner Definition eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens“ verlangt,233 wobei die Erheblichkeit natürlich einer Wertung bedarf –, sodass insgesamt die Abgrenzung der beiden Merkmalstypen beizubehalten sei.234 Darüberhinaus wurden auch sprachphilosophische Abgrenzungsversuche unternommen. So meint Herberger, dass ein Merkmal normativ sei, wenn es neben der beschreibenden Komponente, die der Identifizierung des bezeichneten Gegenstands dient, auch eine emotive Komponente enthalte.235 Sich dem Sprachtheoretiker Searle anschließend, unterscheidet Darnstädt hingegen – ebenso wie Kühl236 – „natürliche“ und „institutionelle“ Tatsachen.237 Deskriptive Tatbestandsmerkmale werden von ihm als natürliche Tatsachen bezeichnet, die durch Hinweise auf physische oder psychische Zustände oder Eigenschaften vollständig beschrieben werden könnten, normative Tatbestandsmerkmale sollen sich dagegen auf institutionelle Tatsachen, also natürliche Tatsachen beziehen, denen eine Relevanz für die Mitglieder der Gesellschaft zugewiesen und die damit mindestens eine gesellschaftlich verliehen Eigenschaft besitzen.238 b) Ablehnung der Unterscheidung deskriptiver von normativen Tatbestandsmerkmalen Andere lehnen eine Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen vollständig ab.239 Zahlreiche Vertreter des Schrifttums stellen dazu fest, dass eine Abgrenzung zwischen diesen beiden Merkmalstypen „kaum durchführbar“ sei, weil auch die deskriptiven Tatbestandsmerkmale jedenfalls in Teilen eine normative Bedeutung enthielten.240 So wird vertreten, dass alle Tatbestandsmerkmale normativ seien, da jedes Strafgesetz auch eine Bewertung des zu232
Haas, Puppe-FS 2011, S. 93 (104). Vgl. nur Fischer, § 223 Rn. 4. 234 Haas, Puppe-FS 2011, S. 93 (104). 235 Herberger, Juristische Methodenlehre, S. 124 (142). 236 Siehe dazu B. II. b). 237 Darnstädt, JuS 1978, 441 (443). 238 Darnstädt, JuS 1978, 441 (443). 239 Dopslaff, GA 1987, 1 ff.; Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (456 ff.); Herzberg/ Hardtung, JuS 1999, 1073; LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 42; Safferling, S. 139 f.; Walter, S. 219 ff., 242 ff.; Wolf, S. 114. 240 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (456); Otto, AT, § 8 Rn. 69; Schmitz, Jura 2003, 593 (594). 233
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grundeliegenden Sachverhalts enthalte.241 Durch die Aufnahme in das Strafgesetz erhalte jeder auch einem anderen Lebensraum entstammende Begriff eine Beziehung auf spezifisch strafrechtliche Werte hin; in der Formulierung des strafrechtlichen Tatbestandes erhielten diese Begriffe dann eine „normative Wendung“.242 Um diese Auffassung zu unterstreichen, wird etwa das Beispiel des gemeinhin als deskriptives Tatbestandsmerkmal charakterisierten Begriffs „Mensch“ angeführt: Der Beginn (Einsetzen der Eröffnungswehen) und das Ende (Hirntod) des Menschseins beurteilen sich unter Heranziehung rechtlicher und damit normativer Kriterien.243 Umgekehrte Beispiele von klassischerweise als normativ eingestuften Tatbestandsmerkmalen mit deskriptivem Einschlag bildet Heinrich anhand des Begriffs der „Urkunde“, die „jedenfalls optisch-visuell verständlich sein“, also sinnlich wahrnehmbar sein muss, und des Merkmals „fremd“, dessen normative Bewertung überhaupt erst einmal voraussetzt, dass die tatsächlichen Vorgänge, durch welche die Sache in den Besitz einer Person gekommen ist, dem Täter bekannt sind.244 Heinrich arbeitet auch heraus, dass die Unterscheidung der herrschenden Meinung, nach der deskriptive Merkmale bloß durch eine sinnliche Wahrnehmung, normative Tatbestandsmerkmale hingegen nur unter Heranziehung einer rechtlichen Bewertung vollständig erfasst werden können, bei den typischerweise als deskriptiv und normativ eingestuften Merkmalen gar nicht durchzuführen ist: Auch der Begriff der „Sache“ in § 242 StGB wird normalerweise durch Zuhilfenahme des § 90 BGB, also einer anderen Rechtsnorm definiert; hingegen gibt es gar keine Normen, die zur Definition des Urkundenbegriffs herangezogen werden können.245 Walter bestätigt ebenfalls, dass die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen anhand der „Körperlichkeit“ keine Berechtigung habe; die „Urkunde“ oder auch der „Amtsträger“ – beides nach herkömmlichem Verständnis normative Merkmale – seien sehr wohl körperlich, während „vermeintlich“ deskriptive Merkmale wie „Ärgernis“ in § 183a StGB oder „Gefahr“ in §§ 315 a – c StGB unkörperlich seien.246 Dass der Subsumtionsstoff deskriptiver Tatbestandsmerkmale im Gegensatz zu demjenigen normativer Tatbestandsmerkmale aus Tatsachen bestehen soll, lässt Walter ebenfalls nicht gelten: Auch rechtliche Verhältnisse, wie etwa das Eigentum des Bestohlenen an der weggenommenen Sache, seien Tatsachen, also etwas „Bestehendes, dem Beweise Zugängliches“.247 Insgesamt sei die Trennung zwischen den beiden Merkmalstypen „müßig“.248 Auch durch Schlüchter wird „allenfalls ein quantitativer und kein qualitativer Unterschied“ 241
Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073; Wolf, S. 114. Müller-Magdeburg, S. 134. 243 Heinrich, Roxin-FS, Bd. 1, S. 449 (457); Schmitz, Jura 2003, 593 (594 Fn. 17). 244 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (457). 245 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (457); vgl. auch Walter, S. 220 f. 246 Walter, S. 220. 247 Walter, S. 220; vgl. auch RGSt 41, 193 (194). 248 Walter, S. 222. 242
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zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen festgestellt, denn – ähnlich wie Walter – auch die rechtliche oder außerrechtliche Norm, auf die normative Merkmale verweisen sollen, beziehe sich auf einen Sachverhalt, sodass nicht nur das deskriptive, sondern auch das normative Tatbestandsmerkmal seinen Bezug im Sachverhalt finde.249 c) Zwischenfazit Mittlerweile scheint sich deshalb auch die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass rein normative oder rein deskriptive Merkmale praktisch nicht existieren. Vielmehr wird von der wohl heute herrschenden Meinung angenommen, dass die meisten deskriptiven Tatbestandsmerkmale einen normativen Einschlag besitzen, so wie umgekehrt auch der überwiegende Teil der normativen Tatbestandsmerkmale einen deskriptiven Einschlag aufweisen soll.250 Daher ist auch von „mehr deskriptiven“ oder „mehr normativen“ Merkmalen die Rede.251 Festzustellen ist also, dass eine feste Grenzziehung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen praktisch unmöglich ist. Vielmehr sind die Grenzen fließend. Die meisten Tatbestandsmerkmale beinhalten „eine Mischung normativer und deskriptiver Elemente […], bei der bald der eine, bald der andere Faktor überwiegt“.252 Die Tatsache, dass dasselbe Tatbestandsmerkmal mal den deskriptiven, mal den normativen Tatbestandsmerkmalen zugeordnet wird, lässt darüber hinaus daran zweifeln, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Abgrenzung vorzunehmen. Im Falle des Außenwirtschaftstrafrechts spielt diese Frage indes – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle, geht es hier doch nicht um die Vorsatz- und Irrtumsthematik bei deskriptiven oder normativen Tatbestandsmerkmalen und damit vorgreifend um die Möglichkeit von deren Abgrenzung, sondern um die entsprechende Thematik in Bezug auf Blankettmerkmale. Relevanz entfaltet die oben aufgeworfene Problematik daher vor allem, um die bereits hier vorhandenen Unstimmigkeiten der herrschenden Literatur und Rechtsprechung aufzuzeigen, die sich – wie noch darzustellen sein wird – auch an späterer Stelle fortsetzen werden.
249
Schlüchter, wistra 1985, 43 (44). Vgl. BeckOK-StGB-Kudlich, 54. Ed., § 15 Rn. 13; Kuhli, S. 170; Lange, S. 33; Schlüchter, S. 37; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 197; Wissmann, S. 81. 251 Wissmann, S. 81. 252 Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 59. 250
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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3. Gesamttatbewertende Merkmale Wenn es um unterschiedliche Arten von Tatbestandsmerkmalen geht, werden in Teilen des Schrifttums auch die „gesamttatbewertenden Merkmale“ genannt.253 Diese sollen die „rechtswidrigkeitsumschließende[n] Merkmale umfassen, die nicht nur das tatbestandsmäßige Verhalten als solches umschreiben, sondern infolge ihres hohen normativen Gehalts zugleich die sonst dem allgemeinen Rechtswidrigkeitsurteil vorbehaltene Gesamtbewertung der Tat in sich bergen“.254
Als Beispiel wird zumeist das Merkmal „verwerflich“ aus § 240 Abs. 2 StGB und § 253 Abs. 2 StGB angeführt.255 Die Verwerflichkeit der Gewaltanwendung oder Drohung soll hier nicht nur das „typische Unrecht, sondern zugleich auch das konkrete Nötigungsunrecht des Einzelfalles“ bezeichnen.256 Dabei wird angenommen, dass die gesamttatbewertenden Merkmale eine zu starke Normativität enthielten, als dass sie den „gewöhnlichen“ Tatbestandsmerkmalen zugerechnet werden könnten, andererseits der Tatbestand ohne diese Merkmale seine Konturen als Unrechtsvertypung verliere.257 Daher müsse man zum Tatbestand nur die Umstände rechnen, aus denen die Gesamtbewertung folge, die Bewertung selbst aber erst auf der Stufe der Rechtswidrigkeit vornehmen.258 Bezogen auf das Merkmal der Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 StGB und § 253 Abs. 2 StGB heißt das, dass die tatsächlichen Umstände bzw. Voraussetzungen, die das Täterverhalten als verwerflich erscheinen lassen, zum Tatbestand gehören; die Bewertung des Verhaltens als verwerflich betrifft dagegen nur die Rechtswidrigkeit.259 Selbst wenn man von der Existenz der gesamttatbewertenden Merkmale ausgeht, so lässt sich doch festhalten, dass in den Tatbeständen des Außenwirtschaftsstraf-
253
Hardtung, ZStW 108 (1996), 26 (28); Jescheck/Weigend, AT, § 25 II 2; Lange, S. 34 ff.; LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 55; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 45 ff.; Schlüchter, S. 179; dies., JuS 1993, 14 (18); Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 22; abl. Wolf, S. 161. 254 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 362. 255 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 362; Wolf, S. 153. – Ob noch weitere „gesamttatbewertende“ Merkmale existieren, ist umstritten; eine Aufzählung von weiteren Merkmalen, die dieser Gruppe zugehören sollen, findet sich unter Verweis auf die jeweilige Fundstelle bei LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 55. 256 Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 45. 257 Jescheck/Weigend, AT, § 25 II 2. 258 Jescheck/Weigend, AT, § 25 II 2; grdl. zu den gesamttatbewertenden Merkmalen Roxin, S. 81 f., 135 ff. 259 Jescheck/Weigend, AT, § 25 II 2; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 22; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 362.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
rechts keine Merkmale dieser Art enthalten sind.260 Die weitere Auseinandersetzung mit der Frage der Berechtigung der Kategorie der gesamttatbewertenden Merkmale ist – auch im Hinblick auf die noch vorzunehmende Aufarbeitung der Irrtumsdogmatik – daher nicht Ziel dieser Arbeit.261 4. Blankettmerkmale Die im Rahmen der Straftatbestände des AWG besonders interessierende Art von Tatbestandsmerkmalen, die bereits ausführlich erörtert wurde, sind die Blankettmerkmale. Diese werden herkömmlicherweise von den normativen Tatbestandsmerkmalen abgegrenzt und je nach Einordnung vor allem im Bereich der Irrtumslehre unterschiedlich zu jenen behandelt.262 Gerade bei konkludenten Verweisungen, bei denen nicht explizit auf eine andere Norm verwiesen wird, ist die Abgrenzung zwischen Blankettmerkmal und normativem Tatbestandsmerkmal zuweilen schwierig.
III. Die Durchführung der Abgrenzung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen und deren Problematik Bei Tatbestandsmerkmalen „klassischer“ Delikte herrscht ein gewisser Konsens hinsichtlich der Frage, in welche der beiden Kategorien das jeweilige Tatbestandsmerkmal einzuordnen ist.263 Beispielsweise wird das Merkmal der „Fremdheit“ in § 242 StGB weitgehend unstreitig als normatives Tatbestandsmerkmal behandelt und hier die Vorschriften des BGB zum Eigentumserwerb und -verlust zur Bestimmung der Fremdheit herangezogen.264 Bei anderen Tatbeständen hingegen, gerade den „moderneren“, ist die Einstufung umstritten. Bei der Einordnung der
260 Für Genehmigungstatbestände allgemein wird allerdings von Jedwab, S. 250 f., 264, 346 f., vertreten, es handele sich bei der rechtfertigenden Genehmigung um ein gesamttatbewertendes Merkmal; dazu noch Kapitel 4 J II. 3. a). 261 Hier kann verwiesen werden auf Wolf, S. 153 ff. – Nur der Vollständigkeit halber soll, da die Irrtumsbehandlung der gesamttatbewertenden Merkmale mangels Relevanz weiter unten unterbleibt, Folgendes gesagt werden: Beim Beispiel des § 240 Abs. 2 StGB gehört den Vertretern dieser Kategorie zufolge nur die Kenntnis der Voraussetzungen der Verwerflichkeit zum Vorsatz, nicht aber die Bewertung als verwerflich. Im ersten Fall führt die mangelnde Kenntnis der tatsächlichen Umstände, auf denen das Urteil der Verwerflichkeit beruht, zum Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB, bei der fehlerhaften Bewertung handelt es sich dagegen um einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB; vgl. auch Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 22. 262 Bülte, JuS 2015, 769 (772); Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 76; Sch/ Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 103. 263 Vgl. Cornelius, S. 276; Kuhli, S. 176 f. 264 Vgl. Cornelius, S. 276; Kuhli, S. 176.
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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„Steuerverkürzung“ in § 370 Abs. 1 AO wird nach wie vor kontrovers diskutiert, ob dieses Merkmal als normativ oder als Blankettverweisung zu begreifen sei.265 Um festzustellen, ob im Hinblick auf die Irrtumsthematik die Abgrenzung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen sinnvoll und geboten ist, ist zunächst zu erörtern, welche Konsequenzen sich aus der Abgrenzung ergeben (1.); sodann werden die vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien auf deren Tauglichkeit untersucht (2.). 1. Relevanz der Unterscheidung insbesondere für Vorsatz und Irrtum Die Einordnung eines Tatbestandsmerkmals als Blankettmerkmal oder normatives Tatbestandsmerkmal ist nach herrschender Meinung maßgebend für die Anwendung der Irrtumsregeln.266 Nach einer von Welzel267 begründeten und von der herrschenden Meinung praktizierten Formel müssen Blankettstrafgesetz und Ausfüllungsnorm „zusammengelesen“ werden, sodass die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausfüllungsnorm ebenso wie die der Blankettstrafnorm vom Vorsatz umfasst werden müssen. Für alle Blankettverweisungen soll aber gelten, dass der Täter keine Kenntnis von der Existenz der Ausfüllungsnorm haben muss, weil nach der Schuldtheorie die Verbotskenntnis, also die Kenntnis der Norm selbst, nicht Teil des Vorsatzes ist.268 So soll sich etwa wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG strafbar machen, wer ohne außenwirtschaftsrechtliche Genehmigung einen Fallschirmanzug, der speziell für Absprünge aus großer Höhe hergestellt wurde,269 ausführt, auch wenn er überhaupt nicht weiß, dass dieser Ausrüstungsgegenstand in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste als Anlage zur AWV genannt ist und damit ein genehmigungspflichtiges Rüstungsgut darstellt. Liegt nun allerdings statt eines Blankettmerkmals ein normatives Tatbestandsmerkmal vor, muss der Täter nach herrschender Meinung den „sozial-normativen Bedeutungsgehalt“ des Merkmals erkannt haben, d. h. nach der sog. Parallelwertung in der Laiensphäre die rechtliche Bewertung nachvollziehen, um vorsätzlich zu
265
Für die Einordnung als normatives Tatbestandsmerkmal Backes, S. 154; LK-StGBDannecker/Schuhr, 13. Aufl., § 1 Rn. 149; Schuster, S. 188; Wittig, WirtschaftsstrafR, § 6 Rn. 167; unentschieden Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 53 ff.; für die Einordnung als Blankettmerkmal die wohl noch h. M. in der Rspr., vgl. BVerfG NJW 2011, 3778 (3779); BGHSt 34, 272 (282); BGHSt 47, 138 (140 f.); BGHSt 53, 45 (53). 266 Die Abgrenzung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen ist ferner von Bedeutung für die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an das Merkmal gestellt werden, sowie für die Anwendung des lex-mitior-Grundsatzes. Da diese Fragen aber für die vorliegende Untersuchung nicht von Relevanz sind, werden sie nicht weiter behandelt. 267 Welzel, MDR 1952, 584 (586). 268 Dazu ausführlich Kapitel 4 H. II. 2. 269 Position 0010 lit. h Nr. 3 der AL zur AWV.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
handeln.270 Ist dies nicht der Fall, wendet die herrschende Meinung hierauf § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB an. Der Unterschied in der irrtumsrechtlichen Behandlung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen lässt sich gut am Beispiel des Jagdrechts demonstrieren: Gemäß § 292 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird bestraft, wer „unter Verletzung fremden Jagdrechts oder Jagdausübungsrechts eine Sache, die dem Jagdrecht unterliegt, sich oder einem Dritten zueignet, beschädigt oder zerstört“. Stellt das Merkmal „dem Jagdrecht unterliegend“ ein Blankettmerkmal dar, muss der Täter nicht wissen, dass die Sache jagdrechtlich geschützt ist, um vorsätzlich zu handeln; ausreichend ist, dass er erfasst hat, dass das von ihm erlegte Tier einer bestimmten im BJagdG genannten Art angehört.271 Der Irrtum über den jagdrechtlichen Schutz ist lediglich ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB. Nimmt man aber ein normatives Tatbestandsmerkmal an, muss nach herrschender Auffassung der Täter zur Vorsatzbegründung die rechtliche Bewertung des Tiers als „jagdrechtlich geschützt“ nachvollziehen; andernfalls greift der vorsatzausschließende § 16 StGB.272 Dies verdeutlicht, dass sich die Unterschiede zwischen Blankett- und normativem Tatbestandsmerkmal nach überwiegender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung maßgeblich auf der Vorsatzebene und damit bei den Irrtumsfragen der §§ 16 und 17 StGB auswirken. Ob eine Abgrenzung überhaupt sinnvoll durchführbar ist, soll daher im Folgenden untersucht werden. Vorweg ist zunächst anzumerken, dass die Durchführbarkeit bzw. die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Blankettmerkmal und normativem Tatbestandsmerkmal überwiegend von denjenigen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur verneint wird, die im Irrtum über Existenz oder Reichweite einer blankettausfüllenden Norm einen Tatumstandsirrtum sehen.273 Dies ist daher bei den folgenden Ausführungen im Hinterkopf zu behalten. 2. Formelle Abgrenzungskriterien a) Instanzverschiedenheit bei der Rechtsetzung Ein Unterscheidungskriterium richtet sich nach der rechtsetzenden Instanz. Vom BGH wurde konstatiert, dass ein Blankettstrafgesetz dann vorliege, wenn die Ausfüllungsnorm von einer anderen Stelle und zu einer anderen Zeit als die Blankettnorm selbstständig erlassen wurde.274 Auch im älteren Schrifttum wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass Blanketttatbestände nur solche Tatbestände seien, die durch die Anordnung einer anderen Instanz, also dem Landesgesetzgeber 270
Bülte, JuS 2015, 769 (773); näher dazu Kapitel 4 G. III. 1. Remiorz, S. 18. – Wobei der Täter aber nicht wissen muss, dass das Tier im BJagdG aufgelistet ist, siehe zu solchen Listenblanketten noch Kapitel 4 H. II. 2 a) und b). 272 Beispiel nach Bachmann, S. 26. 273 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 103. 274 BGHSt 6, 30 (40 f.). 271
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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oder Verordnungsgeber bzw. einer Verwaltungsbehörde ergänzt würden.275 Dieses Differenzierungskriterium wurde oben schon bei der Erläuterung der Terminologie der Blankettstrafgesetze dargestellt und entspricht dem Begriff des „echten“ Blankettstrafgesetzes.276 Bei den Straftatbeständen des AWG sind die Ausfüllungsnormen stets von einem anderen Normgeber erlassen,277 beispielsweise bei § 17 Abs. 1 AWG u. a. von der Bundesregierung als Verordnungsgeber der AWV. Dagegen, dass dies kein geeignetes Abgrenzungskriterium sein könne, wird der Vergleich mit dem normativen Merkmal „fremd“ angebracht, das sich „letztlich auf die Summe aller Regelungen zur Bestimmung der Eigentumsordnung, die nicht nur durch formelle Gesetze des Bundestags, sondern auch durch zahlreiche andere rechtsetzende Akte konstituiert wird“, beziehe.278 Dem kann zwar nicht widersprochen werden, es stellt sich aber vorrangig die noch unten zu behandelnde Frage, ob es sich bei diesen „rechtsetzenden Akten“ überhaupt um „Ausfüllungsnormen“ handelt oder nicht viel mehr um bloße „Auslegungsnormen“. b) Verweisung ausdrücklich vs. konkludent Als weiteres formelles Abgrenzungskriterium könnte auch die Art der Verweisung in Betracht kommen, d. h. ob diese ausdrücklich – dann Blankettmerkmal – oder konkludent – dann normatives Tatbestandsmerkmal – erfolgt.279 Eine ausdrückliche Verweisung liegt dann vor, wenn im Tatbestand bestimmte Normen, die Ausfüllungsnormen, genannt sind, wie z. B. in § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG, der auf Art. 3 der Kimberley-VO verweist. Konkludent ist die Verweisung hingegen, wenn generell auf andere Vorschriften Bezug genommen, also nur indirekt auf ausfüllende Normen verwiesen wird, wie dies der Fall ist bei § 242 Abs. 1 StGB in Bezug auf das Merkmal „fremd“. Eine solche formale Abgrenzung nur nach der Gesetzesformulierung erscheint indes wenig geeignet. So ist an sich schon nicht klar, wann eine Konkludenz und wann eine Ausdrücklichkeit der Verweisung vorliegen soll. Stellt nach diesem Kriterium die Verweisung auf eine „Rechtsverordnung über“, wie in § 329 Abs. 1 StGB, nun eine konkludente Verweisung dar, da kein genauer Paragraph bezeichnet ist, oder eine ausdrückliche, weil dennoch ausdrücklich auf eine „Rechtsverordnung“ verwiesen wird? Warum ein materieller Unterschied darin liegen sollte, ob die Ausfüllungsnorm nach Paragraph(en) zitiert wird oder nur der Regelungsbereich angegeben wird, d. h. ob ein Handeln „entgegen § XY“ oder ein Handeln „entgegen dem Handelsrecht“ sanktioniert wird, ist ebenfalls nicht begründbar.280 Die For275
So z. B. Binding, Normen I, S. 161 f. und Neumann, S. 20. Siehe dazu schon A. III. 1. 277 Bei § 18 Abs. 1a und 1b AWG ergibt sich dies erst am Ende der Verweisungskette. 278 Dietmeier, S. 225. 279 Vgl. Enderle, S. 87 f.; Lauer, S. 46. 280 Vgl. Enderle, S. 89 f. 276
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
mulierung der Verweisung erfolgt oft zufällig und wird eher durch gesetzgeberische als durch inhaltliche Gründe bestimmt.281 3. Materielle Abgrenzungskriterien Neben den formellen Abgrenzungskriterien, die sich auf die Struktur bzw. Form des jeweiligen Tatbestandsmerkmals beziehen, werden normative und Blankettmerkmale auch anhand materieller, d. h. inhaltlicher Kriterien zu unterscheiden versucht. a) Ausfüllungsbedürftigkeit vs. Auslegungsbedürftigkeit Ein Abgrenzungsversuch richtet sich danach, ob das jeweilige Element „vollständig“ bzw. „unvollständig“ ist. Blankettstrafgesetze sollen unvollständige Tatbestände darstellen, deren ergänzende Norm sich nicht im bloßen Erklären erschöpft, sondern erforderlich ist, um den gesamten Unrechtsgehalt wiederzugeben.282 Tatbestände mit normativen Merkmalen hingegen sollen grundsätzlich vollständig sein und nur der Auslegung anhand anderer Normen bedürfen.283 So heißt es bei Schmitz: „Bei Blankettgesetzen wird die Verhaltensnorm erst durch die in Bezug genommene blankettausfüllende Norm verstehbar bzw. ist dort überhaupt erst zu entnehmen. […] Dagegen ist bei Tatbeständen mit normativen Tatbestandsmerkmalen die Verhaltensnorm vollständig im Straftatbestand enthalten; sie wird durch die ,Vorfeldnormen‘ nicht mitbestimmt.“284
An dieser Abgrenzung wird bemängelt, es sei nicht immer eindeutig festzustellen, wo hier die genaue Grenze verläuft, denn sowohl die Blankettstrafgesetze als auch einige normative Tatbestandsmerkmale würden durch Rechtsvorschriften „ausgefüllt“.285 Wolf etwa weist darauf hin, dass man zwar der Auffassung sein könne, § 242 Abs. 1 StGB stelle auch ohne die Eigentumsvorschriften eine vollständige und sinnvolle Bestimmungsnorm dar, wirft zugleich aber die Frage auf, wie von einer „vollständigen und sinnvollen“ Strafnorm überhaupt gesprochen werden könne, wenn erst „die Eigentumsvorschriften den Bereich des Verbotenen erschließbar machen“.286 Auch Lauer bemängelt die Unsicherheit dieses Abgrenzungskriteriums; eine Vielzahl von Blankettmerkmalen verweise „höchst ungenau“ auf ihre Ausfül-
281
Bülte, JuS 2015, 769 (772); Walter, Tiedemann-FS 2008, 969 (973). Bachmann, S. 23 f.; Enderle, S. 40 f., 49 ff., 90; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 56; Schlüchter, wistra 1985, 43 (45); Weidemann, Herzberg-FS 2008, S. 299. 283 Schlüchter, S. 23; vgl. auch Kuhli, Normentheorie, S. 125. 284 Schmitz, Jura 2003, 593 (600). 285 Backes, S. 43. 286 Wolf, S. 175. 282
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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lungsnorm und gleiche sich daher normativen Tatbestandsmerkmalen an.287 Sie möchte daher auch das der Strafnorm zugrundeliegende Verbot ausformulieren und sodann darauf überprüfen, ob eine „ausreichende Unrechtsbeschreibung“ vorliegt.288 Ist dies der Fall, soll es sich um ein normatives Merkmal handeln; kommt es indes erst durch Zuhilfenahme der Ausfüllungsvorschriften zu einer solchen Unrechtsbeschreibung, liege nach Lauer ein Blankettmerkmal vor.289 Für Lauer ist für die Einordnung als Blanketttatbestand somit ausreichend, dass auf eine „außerhalb der Strafvorschrift stehende Rechtsquelle“ verwiesen wird und das Merkmal „unmittelbar ausfüllungsbedürftig“ ist, dass ihm folglich ein ausreichender tatbestandlicher Sinn ohne die Ausfüllungsnorm fehlt.290 Wie genau die „Unrechtsbeschreibung“ aussehen soll, wird hingegen offengelassen.291 b) Konstitutive Begründung der Strafbarkeit durch Ausfüllungsnorm vs. beschreibende Natur der in Bezug genommenen Rechtsquellen Nach Warda liegt ein Blankettstrafgesetz dann vor, wenn es seine Strafdrohung auf ein ganz oder teilweise durch andere Rechtsquellen umschriebenes Verhalten bezieht.292 Dabei soll entscheidendes Kriterium sein, dass der ergänzenden Rechtsquelle die tatbestandliche Umschreibung des unter Strafe gestellten Verhaltens überlassen sei, die durch die Aufstellung oder Ausgestaltung der Ge- oder Verbote erfolge, deren Nichtbefolgung die Blankettvorschrift mit Strafe bedrohe.293 Hingegen soll die Bezugnahme auf in anderen Lebensbereichen existierende Regeln, Erfahrungssätze oder Gewohnheiten die Verwendung normativer Merkmale abbilden.294 Ein Rechtssatz nur beschreibenden Inhalts sei demnach auch keine Blankettergänzung, ein Strafgesetz, das nur durch beschreibende Ergänzung einzelner Begrifflichkeiten ergänzungsbedürftig ist, kein Blankettstrafgesetz, sondern lediglich ein Gesetz mit einem normativen Tatbestandsmerkmal.295 Dementsprechend soll etwa das Merkmal der „Fremdheit“ in § 242 Abs. 1 StGB, das sich auf einen Rechtsstatus bezieht und dafür auf die Gesamtheit der zivilrechtlichen Eigentumsbestimmungen verweist, kein Blankettelement, sondern ein normatives Tatbe287 Lauer, S. 50. – Bei welchen Blankettmerkmalen dies der Fall sein soll, erläutert Lauer indes nicht. 288 Lauer, S. 50. 289 Lauer, S. 50 f., 59. 290 Lauer, S. 137. 291 Lauers für den Irrtumstatbestand vertretene weitere Differenzierung zwischen „ausdrücklich und präzisen“ sowie „unpräzisen“ Blankettmerkmalen ist erst bei der Behandlung der Irrtumsthematik von Relevanz und soll daher erst weiter unten ausgeführt werden, siehe dazu Kapitel 4 I. I. 1. c) bb). 292 Warda, S. 5. 293 Warda, S. 6. 294 Warda, S. 6. 295 Warda, S. 6 f.; vgl. auch Remiorz, S. 22.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
standsmerkmal sein.296 Ähnlich wie Warda definiert Puppe Blankettstrafgesetze als solche, die Bestimmungen enthalten, „die in ihrem Tatbestand auf eine anderweitig bestimmte Pflicht verweisen“.297 Problematisch auch an dieser Abgrenzungsformel ist aber, dass diese nicht immer eindeutig durchzuführen ist. Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu stellen daher auch fest, dass die Grenze zwischen Blankett- und normativem Tatbestandsmerkmal fließend ist. Dabei sei die Abgrenzung beim Merkmal der Fremdheit in §§ 242, 303 StGB noch relativ leicht, da die Fremdheit nur anhand der zivilrechtlichen Regelungen bestimmt werden könne, die §§ 929 ff. BGB aber keinen eigenen Gebots- oder Verbotstatbestand enthielten, wie dies bei Blankettmerkmalen zu fordern sei. Daher handele es sich hier „eindeutig“ um ein normatives Tatbestandsmerkmal.298 Anders stelle sich die Lage aber bei anderen Straftatbeständen dar, etwa beim Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO. Aus der AO sowie weiteren Steuergesetzen wie dem EStG oder dem UStG ergibt sich, was steuerlich erhebliche Tatsachen i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sind. Dementsprechend könnte man im Merkmal der „steuerlich erheblichen Tatsachen“ die Verweisung auf eine die Strafbarkeit erst konstituierende tatbestandliche Umschreibung des unter Strafe gestellten Verhaltens sehen und damit ein Blankettmerkmal annehmen. Möglich sei aber auch, die Steuergesetze als beschreibende Ergänzung des Merkmals der „steuerlich erheblichen Tatsachen“ anzusehen und dieses damit als normatives Tatbestandsmerkmal zu begreifen.299 Aber auch bei den eigentlich „unproblematischen“ Fällen, wie dem bereits genannten Beispiel des Merkmals „fremd“, wird die Zuordnung zu der einen oder anderen Merkmalsart anhand der Unterscheidung zwischen einer Verweisung auf einen Rechtsstatus (dann normatives Merkmal) oder auf eine Rechtspflicht (dann Blankettmerkmal) in Frage gestellt. „Wenn nämlich“ – so Kuhli – „der Diebstahlstatbestand des § 242 StGB eine bestimmte Tathandlung, die sich gegen eine fremde Sache richtet, unter Strafe stellt, so fragt es sich, ob der Strafgrund dieser Regelung in der Verletzung des einem Dritten zufallenden rechtlichen Zuweisungsgehalts oder aber im Verstoß gegen die eigentumsrechtliche Ausschlussfunktion besteht“.300
Sieht man im Merkmal der Fremdheit in § 242 StGB das Gebot, dass sich jeder andere als der Eigentümer jeglicher Einwirkung auf die Sache zu enthalten habe, bzw. das Verbot, im Falle des Nichteigentums an der Sache auf diese einzuwirken, würde diese Interpretation der Norm als Verweisung auf eine Rechtspflicht nach Wardas und Puppes Kriterium auf ein Blankettstrafgesetz hindeuten.301 Auch Heinrich wirft daher die Frage auf, ob man § 242 StGB nicht auch als Blankett296 297
(126). 298
Warda, S. 6 f.; vgl. auch Kuhli, S. 182 und ders., Normentheorie, S. 119 (126). Puppe, GA 1990, 145 (163); vgl. auch Kuhli, S. 182 f. und ders., Normentheorie, S. 119
Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 52. Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 53. 300 Kuhli, S. 210. 301 Vgl. Kuhli, S. 210.
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B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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strafgesetz begreifen könne, das erst durch die außerstrafrechtlichen Normen des Zivilrechts ausgefüllt werden muss.302 c) Weitere Lösungsansätze Da die bisher vorgetragenen Abgrenzungsformeln kein befriedigendes Ergebnis hervorbringen konnten, werden in der Literatur Versuche unternommen, durch weitere Kriterien Klarheit zu schaffen. Für von der Heide kommt für die Abgrenzung nur ein „materieller Maßstab“ in Betracht.303 Eine Unterscheidung soll nur tatbestandsbezogen erfolgen, „indem bei jeder einzelnen gesetzlichen Vorschrift zu klären ist, welche Merkmale den spezifischen, strafrechtlichen Unrechtsgehalt des Delikts begründen“.304 So soll es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln, wenn sich das verbotene Verhalten i. S. d. Unrechtstatbestandes „vollständig aus dem mit der Strafandrohung versehenen Gesetz [ergibt], auch wenn sich dabei eine rechtliche Wertung der einzelnen Tatbestandsmerkmale als erforderlich erweisen sollte“.305 Verweist das Gesetz bezüglich der Formulierung des Tatbestandes auf eine außerhalb der die Strafandrohung aussprechenden Ausfüllungsvorschrift, die den Unrechtsgehalt des betreffenden Delikts begründet, und enthält es folglich keine vollständige Beschreibung des normwidrigen Verhaltens, soll ein Strafblankett vorliegen.306 von der Heide weist dabei selbst auf die Schwierigkeit der Abgrenzung im Einzelfall hin. Um eine solche vornehmen zu können, möchte sie neben dem Kriterium der unvollständigen Unrechtsbeschreibung eine Prüfung der „Korrespondenz der Schutzrichtungen“ vornehmen.307 Ein Blankettstrafgesetz soll dann vorliegen, wenn „durch das Strafgesetz die Zuwiderhandlung gerade gegen das in der Ergänzungsnorm enthaltene Gebot oder Verbot erfasst wird, mit anderen Worten, Blankett und Ausfüllungsnorm in die gleiche Schutzrichtung weisen.“308 Um diese Auffassung zu untermauern, konstruiert sie ein verwaltungsrechtliches Gebot: „Wer eine Straße mit Bauschutt verschmutzt hat, muss sie unverzüglich reinigen.“ Dazu wird noch eine Strafnorm gebildet: „Wer eine im Sinne des Gebots verunreinigte Straße befährt, wird bestraft.“309 Die genannten Vorschriften sollen nun eine unterschiedliche Schutzrichtung haben; das verwaltungsrechtliche Gebot soll bewirken, dass verunreinigte Straßen sofort vom Verursacher gereinigt werden, die Strafnorm indes das Befahren
302
Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (460). von der Heide, S. 173. 304 von der Heide, S. 173. 305 von der Heide, S. 173 f. 306 von der Heide, S. 174. 307 von der Heide, S. 176. 308 von der Heide, S. 176. 309 von der Heide, S. 178.
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
der verunreinigten Straße verbieten.310 Daher liegt hier nach Ansicht von der Heides im Falle des Merkmals der „verunreinigten Straße“ ein normatives Tatbestandmerkmal vor. Bachmann hält diese Abgrenzungsformel für einen „überzeugenden Weg“, möchte sie jedoch „um einen Schritt weiterführen“, indem er das Wesen der Blankettausfüllung darin sieht, dass die Bestimmungsnorm des Strafgesetzes nicht ohne die Heranziehung einer externen Verhaltensnorm formuliert werden könne.311 Der Blankettstraftatbestand soll demnach die strafbewehrte Verhaltensnorm nicht selbst enthalten, das verbotene Verhalten nicht ohne Ergänzung des im Strafgesetz enthaltenen Tatbestandes formuliert werden können.312 Worin hier aber der Unterschied zu von der Heides Definition sein soll, erschließt sich nicht, denn auch von der Heide stellt auf die Unvollständigkeit des Tatbestands und darauf ab, ob die Ausfüllungsnorm selbst die Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen konstituiert.313 Im Ergebnis geht Bachmanns Auffassung daher nicht über von der Heides Definition hinaus. Das Kriterium der „korrespondierenden Schutzrichtung“ wurde von anderen Vertretern des Schrifttums hingegen als ungeeignet bewertet.314 Nach Lauer handelt es sich hierbei nicht um ein eigenständiges Abgrenzungskriterium, sondern um ein weiteres Mittel zur Überprüfung, ob die Unrechtsbeschreibung unvollständig ist und der tatbestandlichen Ergänzung bedarf.315 Im durch von der Heide gebildeten Fall sieht Lauer die Strafnorm als Blankett an, „und zwar nicht wegen der Bezugnahme auf eine andere Norm allein, sondern weil das Wort ,verunreinigt‘ ohne diese Bezugnahme der Strafvorschrift einen weit über die Intention des Gesetzgebers hinausgehenden Anwendungsbereich ließe, sodass erst durch Hinzunahme der Bezugsnorm eine vollständige tatbestandliche Umschreibung des Unrechts entstünde. Die Strafnorm wäre ansonsten sinnentfremdet und auch viel zu weit“.316
Gegen das Kriterium derselben Schutzrichtung wird auch eingewandt, dass § 242 StGB hiernach entgegen der ganz herrschenden Meinung als Blankettstraftatbestand einzuordnen wäre, weil die zivilrechtlichen Eigentumsvorschriften, wie § 935 BGB, ebenfalls den Zweck hätten, das Eigentum zu schützen, und damit eine korrespondierende Schutzrichtung aufwiesen.317
310
von der Heide, S. 179. Bachmann, S. 32. 312 Bachmann, S. 32. 313 von der Heide, S. 179. 314 Enderle, S. 98; Lauer, S. 55 ff. 315 Lauer, S. 55. 316 Lauer, S. 57. 317 Enderle, S. 98. 311
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
99
4. Zweifel an der Berechtigung der Abgrenzung nach Teilen des Schrifttums Daher werden von Teilen des Schrifttums wegen ihrer ähnlichen Struktur auch Zweifel an der Berechtigung bzw. Möglichkeit der Unterscheidung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen angemeldet. Bemängelt wird der „willkürliche Charakter“318 der Differenzierung, nachdem es lediglich vom Zufall abhänge, ob der Straftatbestand als Blankett ausgestaltet sei: Allein die Gesetzestechnik bestimme, ob auf außerstrafrechtliche Regeln verwiesen wird oder ob man alle Strafbarkeitsvoraussetzungen in die Strafnorm selbst aufnimmt.319 Darüber hinaus sei das „Attribut des Normativen […] nicht etwa einigen Tatbestandsmerkmalen kraft Gesetzes verliehen worden, sondern die Dogmatik hat die Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen [und letztendlich auch Blankettmerkmalen] entwickelt.“320 Im besten Fall sei eine „nur graduelle Unterscheidbarkeit“ beider Merkmalstypen zu bemerken.321 5. Stellungnahme Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Abgrenzung der normativen Tatbestandsmerkmale von Blankettmerkmalen mit Problemen behaftet ist. Alle dargestellten Abgrenzungsmethoden haben den Nachteil, letztendlich auf „gefühlsmäßige Wertungen“322 zurückgreifen zu müssen. Eine universell gültige Abgrenzungsformel konnte bisher nicht gefunden werden, was Teile des Schrifttums dieser herrschenden Doktrin auch vorwerfen. Zunächst ist festzustellen, dass die oben vorgestellten formellen Abgrenzungskriterien nicht geeignet sind, normative Tatbestandsmerkmale und Blankettmerkmale voneinander abzugrenzen. Die Unterscheidung anhand der Instanzverschiedenheit des Normgebers der Ausfüllungsnorm und demjenigen der Verweisungsnorm kommt schließlich erst dann zum Tragen, wenn man überhaupt von der Existenz einer Ausfüllungsnorm sprechen kann, und damit erst bei der Frage nach dem Vorliegen einer echten oder unechten Blankettnorm. Auch die Gesetzesformulierung an sich kann wegen der damit einhergehenden Unsicherheiten kein taugliches Kriterium sein, da es oft nur von Zufälligkeiten abhängt, für welche Formulierung der Gesetzgeber sich entscheidet. Die materiellen, inhaltlichen „Abgrenzungsformeln“ dagegen unterscheiden sich nur marginal und ermöglichen es in Grenzbereichen, ein und dasselbe Tatbestandsmerkmal mal als normativ, mal als blankettartig anzusehen; vor allem das oft genannte Beispiel der „Fremdheit“ in 318
Papathanasiou, S. 43. Frister, AT, 11. Kap. Rn. 39; Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 239. 320 Schlüchter, S. 21. 321 Dietmeier, S. 235. 322 Bülte, JuS 2015, 769 (774).
319
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
§ 242 StGB kann nach diesen Abgrenzungskriterien so „verformt“ werden, dass es sowohl ein normatives Tatbestandsmerkmal als auch ein Blankettmerkmal darstellen kann. Wie aufgezeigt, ist es in der Theorie schwierig, im Einzelnen zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen sowie normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen zu unterscheiden. Dennoch ist zu konstatieren, dass in Rechtsprechung und Literatur weit überwiegend an dieser Differenzierung festgehalten wird und man sich auch weitgehend einig ist, welches Merkmal welcher Kategorie angehören soll. Die Schwierigkeit der Abgrenzung in Grenzbereichen ist jedenfalls alleine kein durchschlagendes Argument, welches für den gänzlichen Verzicht auf eine Unterscheidung sprechen würde. Dass es, wie durch Kritiker der Abgrenzung hervorgebracht wird, eher dem Zufall geschuldet sei, ob ein Straftatbestand ein (oder mehrere) Blankettmerkmal(e) enthält oder ob man alle Strafbarkeitsvoraussetzungen in die Strafnorm selbst aufnimmt, mag zwar auf solche „unechten“ Blankettstrafgesetze zutreffen, die lediglich aus Vereinfachungsgründen auf Normen desselben Gesetzgebers verweisen; in den Fällen jedoch, in denen etwa wie in § 17 Abs. 1 AWG Verordnungen in Bezug genommen werden, also der Zweck der Blanketttechnik in der Möglichkeit einer flexiblen Anpassung des Strafrechtsschutzes ohne langwieriges Gesetzgebungsverfahren besteht, ist dieses Zufallsmoment gerade nicht vorhanden. Um sich den Unterschied zwischen einem normativen Tatbestandsmerkmal und einem Blankettmerkmal und damit die Möglichkeit der Differenzierung klarzumachen, muss man auf ganz konkrete Beispiele zurückgreifen. Nachfolgend soll für die Straftatbestände des AWG eine mögliche Einordnung untersucht werden. 6. Konkrete Anwendung auf das Außenwirtschaftsstrafrecht In der Kommentarliteratur und sonstigen Rechtswissenschaft wird stets von einer Ausgestaltung der §§ 17, 18 AWG als Blanketttatbestände gesprochen.323 Weiter oben wurde aber bereits dargelegt, dass diese Terminologie unsauber ist, weil ein sog. Blanketttatbestand auch andere Merkmalstypen enthalten kann; es ist daher besser, innerhalb der jeweiligen Vorschrift anhand der einzelnen Tatbestandsmerkmale zu unterscheiden.324 Was nun die Straftatbestände des AWG angeht, so lässt sich zunächst feststellen, dass bei § 17 Abs. 1 AWG das verweisende Merkmal der „Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1, die der Durchführung (1.) einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen oder (2.) einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient“,
323 324
Siehe dazu Kapitel 1 B. II. Siehe dazu schon unter A.
B. Die Einordnung von Blankettmerkmalen in den strafrechtlichen Tatbestand
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welches unstreitig auf § 80 AWV verweist, der wiederum auf weitere Paragraphen der AWV Bezug nimmt, von niemand als normatives Tatbestandsmerkmal angesehen wird. Sämtliche oben dargelegten Kriterien, die prima facie für ein Blankettmerkmal sprechen sollen – mögen sie auch letzten Endes für sich genommen keine klaren Ergebnisse liefern –, sind hier einschlägig, so die Instanzverschiedenheit vom Normgeber der verweisenden Norm und demjenigen des Verweisungsobjekts, die Ausdrücklichkeit der Verweisung, die Ausfüllungsbedürftigkeit der Straftatbestände zur Generierung einer vollständigen Strafnorm sowie die konstitutive Begründung der Strafbarkeit durch die Ausfüllungsnormen, denn das strafbare Verhalten wird vollständig durch diese beschrieben. Selbst das Kriterium der korrespondierenden Schutzrichtung ist hier erfüllt, nachdem der Straftatbestand des § 17 AWG gerade die Zuwiderhandlung gegen die in der Ausfüllungsnorm enthaltenen Verbote erfasst. Aber sogar ohne die Zuhilfenahme genannter Abgrenzungskriterien würde wohl niemand auf die Idee kommen, das Merkmal der „Rechtsverordnung“ als normatives Tatbestandsmerkmal anzusehen. Ohne den Blick auf die Ausfüllungsnormen zu richten, weiß man schlichtweg nicht, welches Verhalten verboten ist. Anders ist dies z. B. bei § 242 Abs. 1 StGB, wo das tatbestandliche Verhalten sehr wohl klar und deutlich benannt wird, nämlich die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in rechtswidriger Zueignungsabsicht. Das gesamte strafbare Verhalten ergibt sich hier bereits aus der Norm selbst; jeder Durchschnittsmensch kann mit dieser Tatbestandsbeschreibung etwas anfangen. Ob die einzelnen Tatbestandsmerkmale, v. a. das der Fremdheit, auch objektiv und subjektiv vorliegen, ist eine andere Frage. Wendet man sich § 18 AWG zu, kann man auch dessen Straftatbestände eindeutig als Blanketttatbestände ausmachen. Die Formulierung des Abs. 1 Nr. 1, in dem u. a. von einem „Ausfuhrverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union […], der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient“,
die Rede ist, lässt die verbotene Handlung ohne Hinzunahme anderer Normen nicht erkennen, sodass das genannte, trotz seiner Länge wohl als ein einziges aufzufassendes Merkmal, als Blankettmerkmal anzusehen ist. Beispielhaft sei hier auch der Teilblanketttabestand des Abs. 3 Nr. 1 genannt, nach dem bestraft wird, wer entgegen Art. 3 der Kimberley-VO Rohdiamanten einführt. Zwar ist ein Teil der strafbaren Handlung selbst in § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG genannt, nämlich das Einführen von Rohdiamanten, das vollständige strafbare Verhalten, also die Voraussetzungen, unter denen das Einführen strafbar ist, ergibt sich indes erst, wenn man Art. 3 der Kimberley-VO einsieht.325 Das Merkmal „entgegen Art. 3“ ist ganz ein325 Nach Abs. 3 der Kimberley-VO müssen die Rohdiamanten von einem Zertifikat begleitet werden, dessen Gültigkeit von der zuständigen Behörde eines Teilnehmers bestätigt
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Kap. 2: Das Blankettstrafgesetz
deutig Blankettmerkmal; dies würde wohl niemand ernsthaft bezweifeln. Eine Unterscheidung zwischen Blankett- und normativem Tatbestandsmerkmal scheint daher jedenfalls für den Bereich des hier zu untersuchenden Außenwirtschaftsstrafrechts durchaus möglich, im Hinblick auf die noch zu erörternde Irrtumsthematik sogar geboten. Lediglich in den Fällen, in denen entweder von einem Verstoß „gegen eine Genehmigungspflicht“ (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG) oder einem Handeln „ohne Genehmigung“ (z. B. in § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG) die Rede ist, könnte man sich beim Genehmigungserfordernis die Frage stellen, ob dieses Merkmal ein Blankett- oder normatives Tatbestandsmerkmal darstellt, denn möglicherweise ist etwa der Tatbestand in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG („Wer gegen die Außenwirtschaftsverordnung verstößt, indem er ohne Genehmigung nach § 8 Absatz 1 dort genannte Güter ausführt, macht sich strafbar“) nach Einfügung der entsprechenden Güter bereits vollständig, also ohne das Merkmal „ohne Genehmigung“ durch andere Vorschriften ersetzen zu müssen. Dies wäre nach herrschender Auffassung allerdings erst die zweite Stufe einer Abgrenzung, da zunächst danach zu unterscheiden sein soll, ob das Genehmigungsmerkmal selbst negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund ist. Dass dem Merkmal der Genehmigung aber in jedem Fall auch die Funktion eines Blankettmerkmals und erst danach der Zuordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund Bedeutung zukommt, ist im noch folgenden Kapitel darzustellen.
C. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Abgrenzung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen sowie Blankettmerkmalen vielfach problematisch ist – jedoch vor allem dann, wenn man sich tief in theoretische Überlegungen begibt. Während eine universelle Abgrenzungsformel noch nicht gefunden werden konnte, lässt sich festhalten, dass ganz grundsätzlich das ein normatives Merkmal enthaltene Strafgesetz schon aus sich heraus verständlich ist, indem der Betroffene durch Lesen des Straftatbestandes weiß, was er unter Strafandrohung nicht tun darf. Dies ist dagegen bei Blankettstraftatbeständen nicht der Fall; hier muss der Täter zusätzlich noch (eine) andere Norm(en) heranziehen, um das verbotene Verhalten zu erkennen. Zumindest für die Straftatbestände des AWG konnte ausgemacht werden, dass es sich hier ganz klar um Blankettgesetze mit Blankettmerkmalen handelt. Auf die ggf. nicht so eindeutigen Fälle des Merkmals der Genehmigung soll nun im Folgenden einzugehen sein.
wurde, die Rohdiamanten müssen sich in gegen Eingriffe geschützten Behältnissen befinden, die bei der Ausfuhr von genanntem Teilnehmer angebrachten Siegeln dürfen nicht erbrochen worden sein und das Zertifikat muss die Sendung, zu der es gehört, eindeutig ausweisen.
Kapitel 3
Die Einordnung der behördlichen Genehmigung in den strafrechtlichen Deliktsaufbau A. Bedeutung der behördlichen Genehmigung im Hinblick auf die Verwaltungsakzessorietät des Außenwirtschaftsrechts Neben der Behandlung von Blankettmerkmalen stellt auch die umstrittene Frage nach der Behandlung bzw. Bedeutung des Merkmals „Handeln ohne Genehmigung“ oder „Handeln gegen eine Genehmigungspflicht“ im Außenwirtschaftsstrafrecht einen Ausgangspunkt für wesentliche Probleme bei der Unterscheidung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum dar. Etliche Straftatbestände des AWG sowie § 22a KrWaffG sanktionieren den Verstoß gegen das Erfordernis der Einholung einer vorherigen Genehmigung für die entsprechende Handlung, v. a. bei der Ausfuhr von Gütern.1 Hierin spiegelt sich die Verwaltungsakzessorietät des Außenwirtschaftsstrafrechts wider. Warum ein Verstoß gegen Genehmigungspflichten strafbar sein kann, erschließt sich, wenn man sich die verschiedenen Zwecke der Durchführung eines Genehmigungsverfahrens vor Augen führt. Zum einen lässt sich eine formale Kontrollfunktion des behördlichen Verfahrens feststellen, der Rengier vier Zwecke zuschreibt: Erstens eine Informationsfunktion durch die Antragsstellung, die die Behörde über die vorgesehene Handlung informiert und die Einleitung eines Verfahrens ermöglicht; zweitens der Schutz der behördlichen Dispositionsbefugnis durch Sicherung der staatlichen Prüfungs- und Feststellungskompetenzen, die auch Ermessensspielräume umfassen; drittens eine Sicherheits- und Ordnungsfunktion, indem der das Verfahren abschließende Akt der Genehmigung für jeden erkennbar klarstellt, dass das Vorhaben mit dem geltenden Recht vereinbar ist und einer Risikoprüfung standgehalten hat; viertens der Zweck der Wahrheitsfindung und materiellen Gerechtigkeit durch Beteiligungsrechte Dritter und Anhörungen.2 Zum anderen wird dem Genehmigungsverfahren noch eine materielle Kontrollfunktion zugesprochen, durch die die materiell-rechtliche Zu-
1 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG, Rn. 42; vgl. dazu Kapitel 1 B. IV. 2. 2 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (876 f.).
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
lässigkeit des Vorhabens überprüft werden und somit Legalität hergestellt und gewährleistet werden soll.3 Die Strafbewehrung in den zahlreichen Delikten des Neben- und Kernstrafrechts, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht unter Strafe stellen, soll daher vor allem dazu dienen, Gefährdungen von Rechtsgütern auszuschließen, die bei einer Umgehung der behördlichen Kontrolle möglich erscheinen.4
B. Gründe für Verstöße gegen Genehmigungsvorbehalte Der Verstoß gegen Genehmigungspflichten bzw. Genehmigungsvorbehalte kann verschiedene Gründe als Ursache haben: So kann die erforderliche Genehmigung zum Zeitpunkt der tatbestandsmäßigen Handlung, z. B. einer Ausfuhr nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AWG, entweder deshalb nicht vorliegen, weil sie nicht beantragt wurde oder weil sie versagt, widerrufen oder zurückgenommen bzw. zwar beantragt, aber noch nicht erteilt wurde.5 Gleiches gilt, wenn die Genehmigung zwar erteilt wurde, das konkrete Handeln aber nicht (vollständig) abdeckt, oder von einer bereits abgelaufenen Befristung, einer nicht eingetretenen Bedingung oder einer nicht erfüllten Auflage abhängig gemacht wurde.6 Es geht also um solche Fälle, bei denen die Genehmigung entweder von vornherein fehlt oder bei denen die fehlerhafte oder unvollständige Genehmigung das entsprechende Verhalten nicht abdeckt.
C. Die Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau I. Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund Umstritten ist die deliktssystematische Einordnung einer erforderlichen behördlichen Genehmigung. Grundsätzlich erfüllt die Genehmigung die Aufgabe, bei ihrem Vorliegen den Genehmigungsempfänger – im Falle der Existenz entsprechender Strafnormen – straffrei zu stellen.7 Überwiegend wird, differenzierend nach verwaltungsrechtlichen Kriterien, je nach Strafnorm die Genehmigung entweder als negatives Tatbestandsmerkmal oder als Rechtfertigungsgrund eingestuft.8 Teilweise 3
Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (877). Lenk, S. 30. 5 Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 18 AWG Rn. 7; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 33; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 24. 6 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 33; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 24. 7 Jedwab, S. 51. 8 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NJW 1996, 1604 (1605); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); BGH NStZ 2007, 644; BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Celle NStZ 2005, 412; OLG 4
C. Die Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau
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wird aber auch davon ausgegangen, dass behördliche Genehmigungen – egal, in welchem Straftatbestand als Merkmal vorkommend – stets ein negatives Tatbestandsmerkmal9 bzw. stets einen Rechtfertigungsgrund10 darstellen. Im Gegensatz zu den bereits behandelten strafbarkeitsbegründenden Einzelakten11 ist die Genehmigung hier jedenfalls „negatives [Hervorhebung im Original] Tatbestands- oder Unrechtsmerkmal“12, d. h. sie schließt entweder den Tatbestand aus oder sie wirkt rechtfertigend. Nur wenige ordnen im Gegensatz dazu die Genehmigung als objektive Straflosigkeitsbedingung ein.
II. Relevanz der Einordnung insbesondere für Vorsatz und Irrtum Die Einordnung des Genehmigungserfordernisses in den Deliktsaufbau soll dabei vorgreifend im Hinblick auf die Irrtumsbehandlung betrachtet werden; zum großen Teil wird nämlich davon ausgegangen, dass bei der Einordnung der Genehmigung als tatbestandsausschließend der Irrtum über das Genehmigungserfordernis einen vorsatzausschließenden Irrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB darstellt, während bei der Einordnung der Genehmigung als rechtfertigend ein solcher Irrtum lediglich als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln sein soll. Ob diese Schlussfolgerung überhaupt richtig ist, wird im nächsten Kapitel zu erörtern sein, ebenso wie die weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Irrtumsthematik bei Genehmigungstatbeständen. Die folgenden Ausführungen sollen zunächst zum besseren Verständnis den dogmatischen Grundlagen der Genehmigung im Deliktsaufbau gewidmet werden.
Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 59; Brauer, S. 46 ff.; Gusy, JA 1981, 80 (82 ff.); Jakobs, AT, 16/29; KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 71d; Lenckner, Pfeiffer-FS 1988, S. 27; Löw, S. 112; Matt/Renzikowski-Rettenmaier/Gehrmann, Vor § 324 Rn. 6 f.; Müko-StGBHeinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 27; Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 235; Rengier, ZStW 101 (1989), 874; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61; Schwabe, JuS 1973, 133 (134 f.); Thoma, VerwArch 32 (1927), 247 (248); Winkelbauer, S. 18 ff.; ders., NStZ 1988, 201 (202 f.). 9 Heghmanns, S. 173; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 107; Löw, S. 122 ff., 151; Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 236; Tiedemann, S. 354; ders., ZStW 81 (1969), 869 (879). 10 Rudolphi, NStZ 1984, 193 (196); Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 12a; Schuster, S. 207; Welzel, MDR 1952, 584 (585); Wolf, S. 202. 11 Vgl. Kapitel 2 A. III. 1. 12 Vgl. Schuster, S. 196.
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
1. Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit Nach heutiger überwiegender Meinung gehört die Rechtswidrigkeit nicht zum Tatbestand, sondern stellt ein allgemeines Verbrechensmerkmal dar.13 Die ganz herrschende Meinung folgt dabei entsprechend der Definition des Verbrechens als einer tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlung einem dreigliedrigen Verbrechensaufbau, nach welchem Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit als getrennte Stufen zu behandeln sind.14 Dabei soll ausgehend von der Funktion des Tatbestands als Unrechtsvertypung die tatbestandsmäßige Handlung auch ihre Rechtswidrigkeit in dem Sinne indizieren, dass sie wegen ihrer allgemeinen Verbotswidrigkeit grundsätzlich vom Recht missbilligt wird.15 Die Rechtfertigung tatbestandsmäßigen Verhaltens ergibt sich dann daraus, dass der dem Tatbestand zugrundeliegenden Verbots- bzw. Gebotsnorm eine andere, ihr gegenüber vorrangige Norm entgegentritt, die die positivierte Pflicht im Einzelfall aufhebt bzw. nicht wirksam werden lässt.16 Diese Gegennormen werden auch als Erlaubnisnormen bezeichnet und können sich wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aus den Normen des gesamten geschriebenen und ungeschriebenen Rechts ergeben.17 Die Gegenauffassung geht hingegen von einem zweigliedrigen Verbrechensaufbau aus, bei dem Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu einer einheitlichen Wertungsstufe, dem Gesamtunrechtstatbestand, zusammengefasst werden (sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen).18 Die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe werden hier nämlich als negative Tatbestandsmerkmale verstanden und deshalb in den (Gesamtunrechts-)Tatbestand einbezogen, weil erst ihr Fehlen eine abschließende Bewertung über die Rechtswidrigkeit der Tat ermöglichen soll.19 Für die Irrtumslehre hat das die Konsequenz, dass auch jeder Irrtum über das Nichtvorliegen der negativen Tatbestandsmerkmale, d. h. der Rechtfertigungsvoraussetzungen, einen direkten Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB darstellt. Für einen zweistufigen Deliktsaufbau spricht zwar, dass die Stufen der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit „Basis desselben Urteils über
13
BGHSt 2, 194 (195). Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17; Heinrich, AT, Rn. 87 ff.; Roxin/ Greco, AT I, § 10 Rn. 19 ff.; Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 15; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 7 Rn. 1; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 133. 15 Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17. 16 Fischer, Vor § 13 Rn. 13, 46; Arm. Kaufmann, S. 250 ff.; Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17; NK-StGB-Paeffgen/Zabel, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 49; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 4. 17 Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17. 18 Arth. Kaufmann, Lackner-FS 1987, S. 185 (187); Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 36 ff.; Otto, AT, § 5 Rn. 24; Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 175; Schünemann, GA 1985, 341 (347). 19 Jescheck/Weigend, AT, § 25 III 2; Arth. Kaufmann, 66 f., 170 f., 178 ff.; ders., JZ 1954, 653 ff.; ders., JZ 1956, 353 (393 ff.); Lange, JZ 1953, 9 ff.; Rönnau, JuS 2021, 499 (500). 14
C. Die Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau
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das Unrecht sind und insoweit keine jeweils selbständige Funktion erfüllen“.20 Dennoch sind beide Stufen strukturell unterschiedlich, was sich aus der Verschiedenheit der Beziehungen zur Gesamtrechtsordnung und der jeweiligen Bewertungsrichtung ergibt.21 Andernfalls wird der Wertunterschied zwischen einem von vornherein tatbestandslosen Verhalten und einer zwar tatbestandsmäßigen, aber durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckten Handlung verkannt, weil die Einordnung von Erlaubnisnormen als bloße Einschränkungen der Verbotsnormen deren Selbstständigkeit leugnet.22 2. Abgrenzungskriterien bei genehmigungsabhängigen Straftatbeständen a) Unterscheidung zwischen negativem Tatbestandsmerkmal und Rechtfertigungsgrund Die Rechtsprechung und die herrschende Literaturmeinung gehen davon aus, dass es bei den verschiedenen Straftatbeständen, durch die ein Handeln ohne die erforderliche Genehmigung bestraft wird, danach zu differenzieren gilt, welchen Zweck – Tatbestandsausschluss oder Rechtfertigung – die Genehmigung beim konkreten Tatbestand erfüllen soll. aa) Abgrenzung auf der Grundlage verwaltungsrechtlicher Kriterien nach der h. M. Herkömmlicherweise wird zur Unterscheidung, ob eine behördliche Genehmigung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirkt, nach verwaltungsrechtlichen Kriterien vorgegangen. (1) Präventive vs. repressive Verbote Die verwaltungsrechtliche Unterscheidung der Rechtsprechung und herrschenden Literaturmeinung zwischen tatbestands- oder unrechtsausschließender Wirkung einer Genehmigung richtet sich danach, ob es sich um ein sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder um ein sog. repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt handelt.23 Ursprünglich stammt diese Differenzierung anhand verwaltungsrechtli20
Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17. Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 13 ff. Rn. 17; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 23. – Daher für einen „unechten“ zweistufigen Verbrechensaufbau, d. h. formal dreistufig mit „Unrecht und Schuld als zwei materialen Wertungskategorien“, Rönnau, JuS 2021, 499 (502). 22 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 191. 23 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NJW 1996, 1604 (1605); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); BGH NStZ 2007, 644; BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Celle NStZ 2005, 412; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Brauer, S. 46 ff.; KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 71d; Lenckner, PfeifferFS 1988, S. 27; Löw, S. 112; Matt/Renzikowski-Rettenmaier/Gehrmann, Vor § 324 Rn. 6 f.; 21
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
cher Kriterien aus Mayers Lehre zum „Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt“.24 Mayer zufolge gibt es „Lebensäußerungen, welche nicht unbedingt als störend für die gute Ordnung des Gemeinwesens angesehen sind, welche aber störend werden können je nach der Person, von der sie ausgehen, nach der Art und Weise, wie das Unternehmen begründet, eingerichtet und geführt wird“,
weshalb der Beginn der Tätigkeit von der Notwendigkeit einer Prüfung durch die zuständige Behörde abhängig gemacht wird.25 Diese Lehre wurde durch Thoma weiterentwickelt, der die heutige Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt begründete.26 Präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt sollen sich dadurch auszeichnen, dass das in Frage stehende Verhalten „sozialadäquat, wertneutral oder nicht unerwünscht“ ist und das Erfordernis einer behördlichen Genehmigung bzw. Erlaubnis „nur den Sinn hat, die Kontrolle über möglicherweise entstehende Gefahren zu ermöglichen“.27 Unter einem sozialadäquaten Verhalten wird dabei ein solches verstanden, das „üblich [ist] und von der Allgemeinheit gebilligt wird und sich völlig im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit bewegt“.28 In diesen Fällen soll die Erteilung der Erlaubnis den Regelfall darstellen, der Bürger bei Erfüllung der Voraussetzungen sogar regelmäßig einen Anspruch auf Erteilung haben.29 Das Verbot der betreffenden Tätigkeit ohne Genehmigung soll nicht der grundsätzlichen Verhinderung des Verhaltens dienen, sondern bloß den Prüfungsanspruch der zuständigen Behörde sicherstellen.30 Der Vorwurf, an den die Strafbarkeit hier anknüpft, ist die „Missachtung des staatlichen Kontrollvorbehalts“; der „Unwert“ der Tat lasse sich erst aus dem Fehlen der Genehmigung herleiten.31 Dagegen wird bei repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt die zu beurteilende Tätigkeit als „sozial unerwünschtes und deshalb an sich verbotenes“ Verhalten Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 27; Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 235; Rengier, ZStW 101 (1989), 874; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61; Winkelbauer, S. 18 ff. 24 Mayer, S. 239 ff. 25 Mayer, S. 239 f. 26 Thoma, VerwArch 32 (1927), 247 (248); hierzu auch Friauf, JuS 1962, 422 (423); Huber, AöR 78 (1952), 113; Gromitsaris, DÖV 1997, 401 (406). 27 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 59; Huber, AöR 78 (1952), 113; NK-StGB-Pfaeffgen/Zabel, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 201; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61. 28 BeckOK-OWiG-Valerius, 36. Ed., § 10 Rn. 33. 29 Huber, AöR 78 (1952), 113; Gromitsaris, DÖV 1997, 401 (409); Jescheck/Weigend, § 33 VI 2. 30 Forsthoff, § 13 2c; Ossenbühl, DÖV 1968, 618 (634); Winkelbauer, S. 20. 31 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 59.
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eingestuft.32 Hier soll es dem Gesetzgeber nicht nur um die Einhaltung einer behördlichen Kontrolle, sondern um eine generelle Unterdrückung des Verhaltens gehen, weshalb nur im Einzelfall nach Abwägung der kollidierenden Interessen mit Rücksicht auf höherrangige Interessen eine Befreiung von dem Verbot erteilt werden könne.33 Ein Bürger habe deshalb auch keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, die ausschließlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehe.34 Die Einordnung der Genehmigung in den Deliktsaufbau wird dann folgendermaßen vorgenommen: Da bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt das an sich sozialadäquate, wertneutrale oder zumindest nicht unerwünschte Verhalten für sich genommen keinen strafrechtlichen Unrechtssachverhalt begründe, ergebe sich der strafrechtliche Vorwurf schlicht aus dem Merkmal des „Handelns ohne behördliche Genehmigung“. Das Vorliegen einer Genehmigung und die dadurch erfolgte Beachtung der staatlichen Kontrollprärogative habe daher bei präventiven Verboten tatbestandsausschließende Wirkung. Bei den repressiven Verboten hingegen soll das Verhalten schon unabhängig vom Genehmigungserfordernis einen „ausreichenden Unrechtssachverhalt“ darstellen.35 Die Erteilung der Genehmigung habe daher lediglich rechtfertigende Wirkung. Die erste Schwierigkeit bei der Unterscheidung ergibt sich allerdings bereits dadurch, dass vereinzelt auch bei repressiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt von einer tatbestandsausschließenden Wirkung der Genehmigung ausgegangen wird, wenn die „normalerweise bestehenden Gefahren im Einzelfall ausgeschlossen sind“.36 (2) Einordnung bei den genehmigungsabhängigen Normen im Außenwirtschaftsstrafrecht Auch für die außenwirtschaftlichen Genehmigungen in den Straftatbeständen der §§ 17, 18 AWG wird zwischen präventiven Verboten, bei denen die Tätigkeit grundsätzlich von der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt ist, und repressiven Verboten, bei denen die Tätigkeit grundsätzlich verboten ist, unterschieden. So werden die Genehmigungsvorbehalte der § 18 Abs. 2 und 5 AWG, die sich auf die nationalen Normen der AWV und vergleichbare Regelungen der Dual-Use-VO be32 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NJW 1996, 1604 (1605); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); BGH NStZ 2007, 644; BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Celle NStZ 2005, 412; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 42; LKStGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 274. 33 Friauf, JuS 1962, 422 (423); Huber, AöR 78 (1952), 113; Jescheck/Weigend, § 33 VI 3; NK-StGB-Pfaeffgen/Zabel, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 201; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61; Winkelbauer, S. 20. 34 BVerfGE 20 150 (152); Rengier, ZStW 101 (1989), 874 f. 35 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); BGH NJW 2018, 3467 (3468); OLG Celle NStZ 2005, 412; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353; Jakobs, AT, 16/29; KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15; Lenckner, Pfeiffer-FS 1988, S. 27; LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn 274; Löw, S. 113. 36 Roxin/Greco, AT I, § 17 Rn. 61; Winkelbauer, NStZ 1988, 201 (202 f.).
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
ziehen, teilweise als solche mit präventiver Natur eingeordnet.37 Diese Normen seien geprägt vom Grundsatz des freien Außenwirtschaftsverkehrs und nur in bestimmten, etwa in §§ 4 und 5 AWG genannten Fällen, werde eine Handlung von einer Genehmigung abhängig gemacht.38 Daher soll das Vorliegen einer Genehmigung den Tatbestand ausschließen und im Umkehrschluss das Fehlen einer Genehmigung in § 18 Abs. 2 und 5 AWG negatives Tatbestandsmerkmal sein.39 § 17 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 AWG, deren Ausfüllungsnormen der Durchsetzung einer vom Sicherheitsrat der VN nach Kapitel VII der Charta der VN oder vom Rat der EU im Bereich der GASP beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen dienen, sollen dagegen repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalten enthalten.40 Diese Sanktionsmaßnahmen beinhalteten in der Regel strikte Handlungsverbote, von denen nur im Sinne eines „Regel-Ausnahmeverhältnisses“ abgewichen werden dürfe.41 Dafür sprächen der Wortlaut des § 17 Abs. 1 AWG, der das Fehlen einer Genehmigung nicht als Merkmal beinhaltet, und die Systematik der §§ 74 – 76, 80 AWV.42 Lediglich in der Ausnahmevorschrift des § 76 AWV seien überhaupt, abweichend von § 74 Abs. 1 und § 75 AWV, für den Verkauf, die Ausfuhr, die Durchfuhr oder Handels- und Vermittlungsgeschäfte unter bestimmten Voraussetzungen Genehmigungsmöglichkeiten vorgesehen.43 Verstöße gegen § 17 AWG enthielten einen gesteigerten Unrechtsgehalt, da die dort in Bezug genommenen Verbote grundlegende Wertentscheidungen der VN, der EU und des deutschen Gesetzgebers betreffen würden, Rüstungsgüter nicht in bestimmte (Embargo-) Länder auszuführen bzw. vergleichbare Handlungen vorzunehmen.44 Die durch § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 80 AWV und §§ 74 ff. AWV bzw. § 18 Abs. 1 AWG i. V. m. der entsprechenden EU-Verordnung statuierten Verbote werden deshalb als generelle Verbote angesehen, die das betreffende Verhalten grundsätzlich verbieten sollen.45 Daher habe in diesen Fällen eine vorliegende Genehmigung nur rechtfertigende
37
Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43. Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 59; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43. 39 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43; Hohmann/JohnJohn, § 34 AWG Rn. 123. vgl. zur alten Rechtslage Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 59. 40 BGH NStZ-RR 1996, 24 f.; BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53, 56; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 40; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43. 41 Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 60. 42 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 28. 43 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 28; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43. 44 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 28. 45 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 28. 38
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Wirkung. Allerdings soll dies „für jeden Einzelfall anhand der Norm in der AWV beziehungsweise in der EU-Verordnung zu prüfen sein“.46 Teilweise wird aber auch bei § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG das Fehlen der vorgeschriebenen Genehmigung als Tatbestandsvoraussetzung angesehen, da die Regel der „strikten Handlungsverbote“ bei Embargos in diesem Fall nicht greife; bei bloßen Embargo-Genehmigungsvorbehalten bleibe es beim Grundsatz der Ausfuhrfreiheit nach § 1 Abs. 1 AWG, auch für Ausfuhren in Embargogebiete.47 Im Gegensatz zum oben Erwähnten wird durch Rengier wiederum § 18 Abs. 2 AWG als „Verbot mit wirtschaftlichem Sanktionscharakter“, also als repressives Verbot eingestuft.48 Zu § 18 Abs. 3 und 4 AWG dagegen finden sich gar keine Ausführungen zur Einordnung als präventive oder repressive Verbote. (3) Einordnung bei den genehmigungsabhängigen Normen des § 22a KrWaffG Bei der fehlenden Genehmigung in § 22a KrWaffG hingegen gibt es einerseits Stimmen, die der Auffassung sind, der vom KrWaffG erfasste Umgang mit Kriegswaffen stelle „bereits aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit schweres Unrecht dar, das allenfalls durch Erteilung einer behördlichen Genehmigung im Wege der Rechtfertigung ausgeräumt werden kann“.49 Dies ist nach Ansicht des BGH auch daran zu erkennen, dass § 22a KrWaffG als Verbrechenstatbestand ausgestaltet ist.50 Die vorherrschende Meinung in der Literatur, so auch der „größte Kommentar zum Kriegswaffenkontrollgesetz“51 von Pottmeyer, bringt hingegen vor, dass der Umgang mit den vom Straftatbestand umfassten „konventionellen“ Kriegswaffen vom Gesetzgeber nicht grundsätzlich verboten werde, anders als bei biologischen und chemischen Waffen, die schon prinzipiell „geächtet“ seien und deren Umgang verboten sei.52 Strafgrund des § 22a KrWaffG sei daher vor allem die „Missachtung des staatlichen Kontrollanspruchs“, der durch das Genehmigungserfordernis abgesichert werden solle; daher stelle hier das Fehlen der Genehmigung ein negatives Tatbestandsmerkmal dar.53
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Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 43. Wolffgang/Simonsen/Rogmann-Morweiser, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 134. 48 KK-OWiG-Rengier, Vorbemerkungen zu den §§ 15, 16 Rn. 15. 49 BGH NJW 1994, 61 (62); so auch Brauer, S. 118 ff. und Sch/Sch-Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61. 50 BGH NJW 1994, 61 (62). 51 Walter, S. 271. 52 Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (201); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 28; Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 11. 53 Erbs/Kohlhaas-Lampe, 242. EL, § 22a KrWaffG Rn. 2; Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (201); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 28; Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 11; Puppe, NStZ 1993, 595 (596). 47
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
(4) Abgrenzungsprobleme Hieran wird freilich schon das zentrale Problem an der Einteilung in präventive und repressive Verbote verdeutlicht: Die Schwierigkeit der Abgrenzung von „wertwidrigem“ bzw. „sozial unerwünschtem und deshalb an sich verbotenem“ Verhalten einerseits und „an sich sozialadäquatem“, von der Gesellschaft als „im Grunde in Ordnung“ angesehenen Verhalten andererseits.54 So wird auch durch Wolf bemerkt: „Der Punkt ist allerdings: ,Im Grunde in Ordnung‘ ist letztlich alles, was nicht (zu) gefährlich ist, und das ist es – in allen Fällen – dann, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung vorliegen bzw. diese erteilt wurde“.55 Selbst durch die höchstrichterliche Rechtsprechung – in concreto durch den 2. Strafsenat – wurden bereits Zweifel an der Differenzierung angemeldet.56 Dementsprechend führt Schuster überzeugend aus, dass eine Abgrenzung zwischen präventiven und repressiven Verboten letztendlich vor allem davon abhängt, „an welchem Punkt man mit seinen Überlegungen beginnt“.57 Für die Tatbestände des Außenwirtschaftsrechts sei es entweder möglich, vom Grundsatz des freien Warenverkehrs nach § 1 AWG auszugehen und die Ausfuhrverbote „als vom Vorsatz zu umfassende Sonderfälle“ anzusehen; man könne aber auch das Ausfuhrverbot an sich „als Ausgangspunkt“ nehmen und den Handel mit einem bestimmten Staat oder bestimmten Gütern als grundsätzlich wertwidrig einstufen, mit der Folge, dass dann eine Genehmigung wiederum den Sonderfall darstellen würde.58 Wie man hier deutlich sehen kann, ist eine Differenzierung eher willkürlich und kann argumentativ in die eine oder andere Richtung gedreht werden. Daher wird auch für das Außenwirtschaftsrecht teilweise die Auffassung vertreten, bei Genehmigungstatbeständen handele es sich stets um grundsätzlich sozialadäquates Tun, dem „lediglich Genehmigungsvorbehalte als präventive Beschränkungen zum Schutz der Rechtsgüter des Außenwirtschaftsrechts auferlegt sind.“59 (5) Weitere Abgrenzungshilfen von Teilen der Literatur Der Problematik einer Abgrenzung von sozial gebilligten und sozial unerwünschten Verhaltensweisen soll nach Teilen der Literatur durch zusätzliche Spezifizierungen abgeholfen werden. Brauer zufolge soll es dabei vor allem auf die Einordnung als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt ankommen. Bei präventiven Verboten mit Erlaubnis54
Wolf, S. 206. Wolf, S. 206. 56 Vgl. nur BGH NJW 2018, 3467 (3468): „Der Senat lässt dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung mit ihrer danach vorzunehmenden Differenzierung, die zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt […] und weitere Schwächen aufweist […], zu folgen ist“. 57 Schuster, S. 205. 58 Schuster, S. 205. 59 Morweiser, Exportkontrolle, S. 241. 55
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vorbehalt sei die Vornahme der tatbestandlichen Handlung „wegen ihrer potentiellen Gefährlichkeit für Individualrechtsgüter verboten“, ein solcher Straftatbestand folglich als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet.60 Die Erteilung einer Genehmigung lasse bereits den Tatbestand entfallen, weil „die Ausnutzung der Genehmigung eine rechtmäßige Grundrechtsausübung darstellt und das geschützte Rechtsgut unter keinen Umständen verletzen kann“.61 Die Ungefährlichkeit einer Handlung sei aber nicht Folge, sondern bereits Voraussetzung der Erlaubniserteilung: „Sofern das Vorhaben verwaltungsrechtlich genehmigungsfähig ist, steht fest, daß die abstrakt gefährliche Handlung in concreto nicht geeignet ist, einen Verletzungs- oder Gefährdungserfolg zu erbringen“.62 Ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt hingegen sei stets als konkretes Gefährdungs- oder Verletzungsdelikt ausgestaltet. Dass die betreffende Handlung „schlechthin“ verboten werde, stelle einen derartig starken Eingriff in die Freiheit des Individuums dar, dass im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Vorgehensweise nur dann grundrechtskonform sei, wenn die verbotene Handlung „an sich rechtswidrig“ und das geschützte Rechtsgut „nicht nur von geringem Wert“ sei.63 Daher müsse die Verletzung bereits konkrete Gestalt angenommen haben. Ziel des repressiven Verbots sei es, „eine als schädlich erkannte Handlung endgültig und abschließend zu unterbinden“.64 Nur weil in Einzelfällen ein solches Verbot unbillig sein könne, sei die ausnahmsweise bestehende Möglichkeit einer Befreiung grundgesetzlich geboten. Durch die ausnahmsweise Erteilung einer Genehmigung werde aber nicht festgestellt, dass im konkreten Fall die Tätigkeit aufgrund von Ungefährlichkeit nicht verboten werden könne; die Genehmigung sei „vielmehr das Ergebnis einer Abwägung der gegenläufigen Interessen und erlaubt das Vorhaben, obwohl dieses zu einer Verletzung führt, weil die für den Antragsteller streitenden Interessen überwiegen“.65Als Beispiel dienen erneut Genehmigungstatbestände des KrWaffG, als deren Rechtsgut Brauer das Friedensgebot des Art. 26 GG ansieht, das durch eine tatbestandliche Handlung nicht nur abstrakt, sondern schon konkret gefährdet werde. Allerdings ist gerade im konkreten Beispiel die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt zu bezweifeln: Konkrete Gefährdungsdelikte sind nach allgemeiner Auffassung als Erfolgsdelikte einzuordnen und eine Gefahr als konkret einzustufen, wenn der Eintritt eines Schadens nur noch vom Zufall abhängt.66 Als Beispiel wird § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB genannt, bei dem für die Annahme des objektiven Tatbestands erforderlich ist, dass durch die Trunkenheit eine konkrete Gefahr für Leib und Leben oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert vorliegt, wovon in der 60
Brauer, S. 90. Brauer, S. 90. 62 Brauer, S. 90. 63 Brauer, S. 109. 64 Brauer, S. 109. 65 Brauer, S. 110. 66 Fischer, § 315c Rn. 15a. 61
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Regel bei einem „Beinahe-Unfall“ auszugehen ist.67 Von einer vergleichbaren konkreten Gefahr kann aber bei der ungenehmigten Ausfuhr von konventionellen Kriegswaffen nicht die Rede sein; es bedürfte vielmehr noch weiterer Zwischenschritte bis zu einer tatsächlich konkreten Gefährdung des Friedens. Aber auch der Einstufung von Straftatbeständen als abstrakte Gefährdungsdelikte, die ein ungenehmigtes Handeln sanktionieren, wird an anderer Stelle widersprochen. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten liegt eine gesetzliche Vermutung vor, dass bestimmte Handlungen für das zu schützende Rechtsgut generell gefährlich sein könnten; der Tatbestand ist, anders als bei konkreten Gefährdungsdelikten, bereits mit der Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung und unabhängig von einem Erfolgseintritt erfüllt.68 Als Beispiel kann § 316 StGB angeführt werden, nachdem eine Trunkenheitsfahrt erfahrungsgemäß eine generell gefährliche Handlung darstellt, deren tatsächliche Schädlichkeit aber nicht ex ante beurteilt werden kann. Anders als hier, wo wegen der nicht abzusehenden schädlichen Folgen ein absolutes Handlungsverbot statuiert wird, findet bei den Genehmigungstatbeständen eine Prüfung der Gefährlichkeit des Tuns für die dahinterstehenden Rechtgüter durch die zuständige Behörde statt.69 Werden aber durch die Einhaltung des behördlichen Genehmigungsverfahrens und der damit einhergehenden behördlichen Prüfung mögliche Schäden verhindert, so ist eine generelle Gefährlichkeit gerade nicht mehr gegeben; eine „unbesehene“ Einstufung als abstraktes Gefährdungsdelikt ist daher bei Straftatbeständen, die ein Tätigwerden ohne behördliche Genehmigung voraussetzen, abzulehnen.70 Brauers Unterteilung ist damit untauglich. Als zusätzliches Differenzierungskriterium wird auch eine „quantitative“ Unterscheidung für sachgerecht gehalten, nach der die Abgrenzung zwischen präventivem und repressivem Verbot anhand eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, das oben schon angedeutet wurde, getroffen werden soll.71 Bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt werde in der Regel „der überwiegenden Mehrzahl von Interessenten die genehmigungspflichtige Tätigkeit unter den normativen Voraussetzungen ihrer zulässigen Ausübung gestattet“, während bei repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt ein Verbot die Regel, die Erlaubnis eine Ausnahme sei.72 Das Problem ist aber auch hier die Unklarheit der Kriterien. So ist schon nicht bestimmbar, von welcher Bemessungsgrundlage für das Vorliegen einer Regel auszugehen ist.73 Falls es überhaupt verlässliche Statistiken zu Genehmigungen bzw. deren Versagung geben sollte, könnte es ferner durch Schwankungen der Zahlen dazu kommen, dass sich die strafrechtliche Bewertung der Genehmigung als negatives 67
Fischer, § 315c Rn. 15a. Krey/Esser, AT, Rn. 224; Rengier, AT, § 10 Rn. 11; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 44. 69 Löw, S. 127. 70 Heghmanns, S. 167; Löw, S. 128. 71 Schwabe, JuS 1973, 133 (134 f.). 72 Schwabe, JuS 1973, 133 (134 f.); vgl. auch Heghmanns, S. 151 und Marx, S. 64 f. 73 Heghmanns, S. 152. 68
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Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund ebenfalls ändern würde.74 Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber nicht tragbar. Teilweise wird auch an die Anforderungen zur Erteilung der Genehmigung angeknüpft, etwa daran, ob eine gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung vorliegt.75 Hier ist aber schon fraglich, warum ein Verhalten, das „nur“ im Wege einer Ermessensentscheidung genehmigt werden kann, per se als Unrecht anzusehen sein soll. Außerdem, so wird ferner von Wolf gegen die Abgrenzung anhand eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses eingewandt, könne man gar nicht sagen, dass „die Anforderungen an die Erteilung einer Genehmigung zum Betreiben einer Apotheke […] weniger restriktiv [sind] (man denke an die im Verlauf einer langjährigen Ausbildung zu absolvierenden Prüfungen) als die zum Benutzen einer Kriegswaffe (beispielsweise auch durch einen Soldaten in der Ausbildung)“.76 Von Heghmanns schließlich wird auch eine „qualitative“ Unterscheidung zwischen Verboten mit vorläufigem oder endgültigem Charakter abgelehnt, weil sich die Handlungen als fragliche Verbotsobjekte einer „abstrakt differenzierenden Bewertung“ entzögen.77 Bestehe bereits eine grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit, existiere auch kein bestimmter, abstrakt zu definierender Typus von Handlungen, die in jeder vorstellbaren Situation grundsätzlich endgültig verboten würden. So sei zwar das Tragen von Schusswaffen zunächst generell verboten, könne aber nach Durchführung des Genehmigungsverfahrens sowohl erlaubt bzw. sogar erwünscht sein – etwa im Falle von Begleitern von Geldtransportern – oder verboten werden.78 Jedes Verbot mit Genehmigungsvorbehalt sei daher zunächst ein lediglich vorläufiges Verbot des Beginns der Handlung bis zu ihrer Prüfung im Genehmigungsverfahren. bb) Strafrechtsspezifische Betrachtungsweise Rengier sieht in der verwaltungsrechtlichen Differenzierung einen „hilfreichen Ausgangspunkt“, geht aber von einer Unterscheidung anhand strafrechtsspezifischer Kriterien aus, weil die verwaltungsrechtlichen Kategorien der präventiven bzw. repressiven Verbote nicht präjudiziell für die strafrechtliche Einordnung seien.79 Ausgangspunkt ist hier die bereits in Kapitel 2 angesprochene sog. Unrechtsvertypung des Tatbestands. Ob die Genehmigung ein negatives Tatbestandsmerkmal oder einen Rechtfertigungsgrund darstellt, bemesse sich danach, inwieweit das Genehmigungsmerkmal zu dieser Unrechtsvertypung gehöre.80 Umschreibe der Tatbestand unabhängig vom Genehmigungserfordernis einen ausreichenden Unrechtssachver74
Löw, S. 122. Friauf, JuS 1962, 422 (424 ff.); Gusy, JA 1981, 80 (82 ff.); vgl. auch Wolf, S. 203. 76 Wolf, S. 204; so auch Lenk, S. 73. 77 Heghmanns, S. 154. 78 Heghmanns, S. 149, 154. 79 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (878). 80 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (878). 75
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
halt, so handele es sich bei der behördlichen Genehmigung um einen Rechtfertigungsgrund, wohingegen ein negatives Tatbestandsmerkmal gegeben sei, sofern der Tatbestand seinen Unwertgehalt zumindest auch aus dem Handeln ohne Genehmigung beziehe.81 Das Handeln ohne Genehmigung kann im letzten Fall nach Rengiers Auffassung entweder das alleinige Unrechtsmerkmal sein oder ein zusätzliches Unrechtsmerkmal darstellen, wenn die sonstigen Unrechtsmerkmale des Tatbestands „zu schwach“ seien, um die Unrechtsvertypung zu begründen.82 Bei der Ermittlung, ob das Genehmigungserfordernis negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund ist, soll die Auslegung des Tatbestands dienen, ferner die ausdrückliche Nennung vom Handeln „ohne Genehmigung“ im Tatbestand „eher“ auf ein negatives Tatbestandsmerkmal hindeuten.83 Im Hinblick auf Tatbestände, bei denen es, wie im Außenwirtschaftsrecht, etwa um den Export von Waren ohne Genehmigung geht, wird ausgeführt, dass „in den allermeisten Fällen das Exportieren als solches keinen Unrechtsbezug aufweist und daher das Genehmigungserfordernis kontrollierenden, tatbestandsausschließenden Charakter hat“, wobei dies „in Einzelfällen“, etwa bei der Ausfuhr von Kriegswaffen, aber auch anders sein könne.84 Ähnlich geht Marx bei seiner Abgrenzungslösung vor, die er an das strafrechtlich geschützte Rechtsgut anbindet. Grundgedanke ist dabei, dass der Strafgesetzgeber grundsätzlich frei darüber entscheide, welches Verhalten straftatbestandliches Unrecht darstelle.85 Der Gesetzgeber könne daher entweder „jegliches genehmigungspflichtiges Verhalten als solches“ als tatbestandlich relevant erklären, wenn die gegenständliche Tätigkeit alleine schon eine Rechtsgutsverletzung darstelle, die dann nur auf Stufe der Rechtswidrigkeit mit der Gesamtrechtsordnung abzugleichen sei.86 Hier schütze das behördliche Genehmigungsverfahren das Rechtsgut oder die Rechtsgüter, die auch sonst bereits durch den Straftatbestand gesichert würden; die Genehmigung sei folglich nur Rechtfertigungsgrund.87 Umgekehrt könne der Gesetzgeber den behördlichen Akt der Genehmigung auch in den Tatbestand mit aufnehmen, wenn sich das tatbestandliche Unrecht nur als „ein näher umschriebenes ,Handeln-ohne-Genehmigung‘“ darstelle und alleiniges geschütztes Rechtsgut die behördliche Kontrolle sei.88 Diesen Konzepten wohnt allerdings das Problem inne, dass dem Rechtsanwender keine Kriterien zur Hand gegeben werden, wann die eine und wann die andere Konstellation vorliegen soll. Weiterhin ist auch hier fraglich, ob es bei Genehmigungstatbeständen überhaupt möglich ist, eine Unterscheidung dahingehend zu 81
Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (878 f.). Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (879). 83 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (879). 84 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (880). 85 Marx, S. 136. 86 Marx, S. 136 f. 87 Marx, S. 193. 88 Marx, S. 137.
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treffen, welches Verhalten schon für sich genommen Unrecht darstellt. Dies ist noch unten im Rahmen der Kritik an einer solchen Unterscheidung zu vertiefen.89 Ein Mehrwert der strafrechtsspezifischen Betrachtungsweise zur Unterscheidung von tatbestandsausschließenden von rechtfertigenden Genehmigungen gegenüber einer Abgrenzung von präventiven und repressiven Verboten besteht daher nicht. cc) Wortlautauslegung des Straftatbestands Für die Abgrenzung von negativem Tatbestandmerkmal und Rechtfertigungsgrund wird auch eine grammatikalische Auslegung zu Hilfe gezogen. So wird die Ansicht vertreten, soweit eine Strafnorm ausdrücklich die Formulierung eines Handelns „ohne Genehmigung“ enthalte, liege ein negatives Tatbestandsmerkmal vor. Durch die Formulierung habe der Gesetzgeber bereits zu erkennen gegeben, dass durch das Vorliegen einer Genehmigung schon der Tatbestand begrenzt werden solle und nicht nur ein allgemeiner Hinweis auf den möglichen Rechtfertigungsgrund „Genehmigung“ gegeben werde.90 Dagegen soll eine Formulierung mit „wer unbefugt […]“ ein Rechtswidrigkeitsmerkmal darstellen.91 Eine solche Auslegung erweist sich allerdings als nicht sachgemäß, ist doch oftmals von einer Zufälligkeit der Tatbestandsformulierungen auszugehen.92 Ferner wird darauf hingewiesen, dass bei einer Abgrenzung anhand des Wortlauts mögliche Veränderungen bei gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht berücksichtigt werden könnten, da tatbestandsmäßiges Handeln, das heute „wohl kein strafrechtliches Unrecht“ begründe, aufgrund veränderter Einstellungen zur jeweiligen Materie in Zukunft dies sehr wohl tun und sich damit die Bewertung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund ebenfalls ändern könne.93 dd) Sinn und Zweck der Genehmigung Ferner findet sich die deliktskategorische Einordnung der behördlichen Genehmigung anhand einer funktionalen Betrachtungsweise. Nach Wagner stellt diese einen Rechtfertigungsgrund dar, wenn die Genehmigung regelmäßig dazu diene, das genehmigte Verhalten generell für rechtmäßig zu erklären. Komme der Genehmigung dagegen der Zweck zu, „aus der Summe aller rechtswidrigen Verhaltensweisen eine bestimmte für nicht strafwürdig zu erklären“, erfülle sie eine tatbestandsaus-
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Siehe dazu C. II. 2. b). Meyer, JuS 1983, 513 (514 f.); Müko-StGB-Schmitz, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 324 Rn. 53; so wohl auch BGH NJW 1996, 1604 f. 91 So jedenfalls für §§ 324 Abs. 1, 326 Abs. 1 StGB Saliger, UmweltStR, Rn. 98; SKStGB-Schall, Vor §§ 324 ff. Rn. 70. 92 Vgl. dazu Winkelbauer, S. 17, der die Zufälligkeit bereits bei § 330 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. nachgewiesen hat. 93 Fortun, S. 33. 90
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schließende Funktion.94 Dies sei für jede einzelne Genehmigung separat festzustellen, wobei der „einzelne Rechtskomplex, dessen sachlich-systematischem Kontext die Ermächtigungsgrundlage für die Genehmigung entstammt“, zu betrachten sei.95 Auch bei diesem Vorgehen bleibt aber unklar, was im Einzelnen die Kriterien zur Unterscheidung, wann eine Genehmigung die Tätigkeit generell für rechtmäßig und wann sie eine bestimmte Verhaltensweise für nicht strafwürdig erklärt, sein sollen. Fortun möchte sich bei der Unterscheidung zwischen repressiven und präventiven Verboten „insbesondere“ am Sinn und Zweck des Verbots orientieren, der mit dem jeweiligen Genehmigungsvorbehalt verfolgt wird, und auch den historischen Zusammenhang sowie die sonstigen Auslegungsmethoden des Strafrechts berücksichtigen.96 Am Beispiel des § 22a KrWaffG erwähnt er im Hinblick auf Art. 26 GG die Tatsache, dass bei den Beratungen zum Grundgesetz auch ein ausnahmsloses Verbot für Kriegswaffen im Raum stand, was nur aus verteidigungspolitischen und strategischen Überlegungen verworfen wurde, da der Verzicht auf Kriegswaffen auch zu Verteidigungszwecken nicht realistisch erschien.97 Aus Art. 26 Abs. 2 GG könne der Schluss gezogen werden, dass Kriegswaffen auf deutschem Boden grundsätzlich unerwünscht, gar geächtet seien.98 Anhand der Auslegung des KrWaffG ergebe sich somit, dass „jedenfalls die Herstellung, Beförderung und das Inverkehrbringen von Kriegswaffen – wie in Art. 26 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnt – einem repressiven Verbot unterliegen, das in Einzelfällen durch die Erteilung eines Dispenses aufgehoben werden kann“, wofür in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch die Ausgestaltung des § 22a Abs. 1 KrWaffG als Verbrechen spreche.99 Aber auch hier bieten sich Angriffspunkte: Im Rahmen der historischen Auslegung könnte man etwa einwenden, dass die durch die Novelle von 1990 und somit zwölf Jahre nach der KrWaffG-Novelle von 1978 eingeführten, uneingeschränkten Verbote für ABC-Waffen im Umkehrschluss dafür sprechen müssten, dass die unter eine Genehmigungspflicht gestellten Tathandlungen des § 22a KrWaffG gerade kein „schweres Unrecht“ darstellten.100 Daraus könnte man schließen, dass nur der Umgang mit sog. Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) nach gesetzgeberischer Wertung „so gefährlich und daher von so eigenständigem Unrechtsgehalt“ sei, dass er uneingeschränkt verboten werde.101 Wie man hieran sieht, ist es letzten Endes auch bei einer Auslegung der Genehmigungstatbestände möglich, zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen. 94
Wagner, S. 113. Wagner, S. 114. 96 Fortun, S. 40. 97 Fortun, S. 41. 98 Fortun, S. 41. 99 Fortun, S. 41. 100 Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (201). 101 Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (201). 95
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b) Vorgebrachte Kritik: Keine Unterscheidung nötig und möglich Während nach den vorstehend genannten Auffassungen übereinstimmend davon ausgegangen wird, dass eine Zuordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund nicht zuletzt im Hinblick auf die im nächsten Kapitel noch zu thematisierende Irrtumsproblematik zwingend notwendig sei, gibt es auch Stimmen, die sich gegen alle Abgrenzungsversuche von tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung wenden. Dabei werden sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit der Durchführung einer Abgrenzung angezweifelt.102 So konstatiert Wolf: „Dogmatische Plausibilität – und das muss entscheidend sein – hätte die Differenzierung zwischen tatbestandsausschließenden und rechtfertigenden Genehmigungen durch die h. M. nur, wenn sie sich darauf berufen könnte, worauf sie der Sache nach beruht, und zwar dass die Tatbestandsmäßigkeit eine der Rechtswidrigkeit vorgelagerte Wertungsstufe im Sinne einer Bewertung als ,typischerweise rechtswidrig‘ sein soll.“103
In dieser Weise geht man, wie oben gezeigt, auch vor, indem nämlich unterschieden wird, ob durch die jeweilige Strafnorm auch ohne das Merkmal der fehlenden Genehmigung ein „typischerweise rechtswidriges“ Verhalten beschrieben werde oder eben nicht, wobei im letzten Fall das Fehlen der behördlichen Genehmigung als Unrechtsmerkmal zum Tatbestand gezogen wird. Gegen die Unterscheidung von präventiven und repressiven Verboten wird nun eingewandt, es sei falsch, von Tatbestandsmäßigkeit i. S. e. ausreichenden Unrechtssachverhalts nur anhand der vermeintlichen Sozialwidrigkeit eines Verhaltens auszugehen; auch ein Friseur oder Chirurg erfüllten schließlich bei ihrer Tätigkeit – welche in der Regel als sozialadäquat gilt – den Tatbestand der Körperverletzung und seien „nur“ gerechtfertigt.104 Zwar sei eine tatbestandsmäßige Handlung wegen der darin enthaltenen Rechtsgutsverletzung auch nicht wertneutral, allerdings werde damit ein rechtliches Werturteil noch nicht verbunden, „denn ob die Handlung im Einzelfall tatsächlich dem Recht widerspricht, ergibt sich erst, wenn auch die Frage nach dem Vorliegen von Rechtfertigungsgründen entschieden ist“.105 Tatbestandsmäßigkeit bedeute daher lediglich, dass die jeweiligen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Die Unrechtsvertypung des Straftatbestands erfolge nur durch das Voraussetzen bestimmter Umstände oder deren Fehlen; ein Bedürfnis, das Genehmigungserfordernis allein deshalb zum Tatbestand zu ziehen, um einen „ausreichenden Unrechtssachverhalt“ zu erhalten, bestehe demnach nicht.106 Während, wie noch unten 102 Wobei freilich nicht geleugnet wird, dass aus dogmatischer Sicht eine Einordnung durchaus vorgenommen werden muss, sofern man keinen zweistufigen Deliktsaufbau zugrundelegt. 103 Wolf, S. 197. 104 Wolf, S. 198. 105 Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 16; vgl. auch LK-StGB-Walter, 13. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 41. 106 Wolf, S. 198.
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zu zeigen sein wird, in der Tat bei den genehmigungsabhängigen Tatbeständen auch ohne das Merkmal der fehlenden Genehmigung ein ausreichender Unrechtstatbestand gegeben ist, ist entgegen den soeben aufgeführten Auffassungen durchaus von einer Indizfunktion der Tatbestandsmäßigkeit für die Unrechtmäßigkeit eines Verhaltens auszugehen; eine andere Sichtweise käme der abzulehnenden Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zu nahe.107 Neben der mangelnden Abgrenzungsnotwendigkeit wird, wie oben bereits kurz erläutert, auch die Ungeeignetheit des nach herrschender Meinung für die Unterscheidung von präventiven und repressiven Verboten maßgeblichen Kriteriums der Sozialadäquanz eines Verhaltens dargelegt. Selbst von den Befürwortern der grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen Abgrenzung wird zugegeben, dass die Einordnung „im Einzelfall schwierig zu beurteilen“ und bei vielen Tatbeständen umstritten sei.108 Vor dem Hintergrund, dass man unter sozialadäquatem Verhalten ein solches versteht, das üblich und von der Allgemeinheit gebilligt wird und sich völlig im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit bewegt, wird ausgeführt, dass in den Fällen, in denen eine behördliche Kontrolle für nötig gehalten werde, ein Verhalten ohnehin erst nach erteilter Genehmigung sozialadäquat sein könne.109 Denn handele es sich bei den unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellten Tätigkeiten um gänzlich risikolose Tätigkeiten, verstieße es gegen Art. 2 Abs. 1 GG, diese überhaupt einer vorgeschalteten Kontrolle zu unterwerfen. Beim Verstoß gegen Genehmigungspflichten des AWG in Bezug auf die Ausfuhr von Waffen, Munition und Rüstungsmaterial oder Dual-Use-Gütern gehe es schließlich „um nicht weniger als die äußere Sicherheit und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland sowie das friedliche Zusammenleben der Völker. Ob es vertretbar ist, einen Generator – ursprünglich dafür bestimmt, Abschussrampen von Flugabwehrraketen mit Strom zu versorgen, aber auch für zivile Zwecke einsetzbar – in ein Krisengebiet zu liefern, soll die zuständige Behörde entscheiden“110.
Auch sei ohnehin nur der Blickwinkel maßgeblich, wie Wolf verdeutlicht: „Man vergleicht beispielsweise – als Paradebeispiel eines an sich erwünschten Verhaltens – den sich im Rahmen der Vorgaben bewegenden Apotheker mit jemandem, der sich über dunkle Kanäle eine Kriegswaffe beschafft und sich somit in einer Weise verhält, die der Gesetzgeber unterdrücken will. Ebenso gut könnte man aber den bei einer Schießübung mit Kriegswaffen auf einem Truppenübungsplatz umgehenden Bundeswehrsoldaten mit jemandem vergleichen, der – ohne jede Befähigung hierzu – beginnt, einen Laden mit Medikamenten einzurichten und diese zu vertreiben.“111
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Siehe dazu schon C. II. 1. Brauer, S. 53; Fortun, S. 38; LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 274; NKStGB-Paeffgen/Zabel, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 201. 109 Jakobs, AT, 16/29; Schuster, S. 207. 110 Schuster, S. 207. 111 Wolf, S. 200. 108
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Bemängelt wird in diesem Zusammenhang auch, dass es überhaupt keine objektiven Kriterien zur Bestimmung einer Sozialadäquanz gebe, die ja gemeinhin nur am abstrakten Tatbestand, nicht aber am konkreten Sachverhalt gemessen werde. Die objektive Gefährlichkeit eines Verhaltens wird, soweit ersichtlich, jedenfalls nicht als Maßstab genommen, nimmt doch die h. M. etwa beim Betreiben kerntechnischer Anlagen ohne Genehmigung nach § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder beim Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt an.112 Für die Strafnorm der Luftverunreinigung nach § 325 StGB wird ebenfalls angenommen, das Genehmigungserfordernis gehöre zum Tatbestand, während bei der Gewässerverunreinigung in § 324 StGB die Genehmigung lediglich rechtfertigen soll.113 Diese Unterscheidung lässt sich ebenfalls wohl kaum mit einer größeren Gefährlichkeit der Gewässerverunreinigung erklären; der Grund dürfte vielmehr historisch gesehen darin liegen, dass die Bedeutung der Gewässerreinhaltung früher erkannt wurde.114 Überhaupt sei es nicht möglich, das durch den Straftatbestand umschriebene Verhalten „für sich“ zu betrachten, wie Walter ausführt: „Die Einfuhr eines Flugzeugtriebwerkes, selbst jene eines Panzers ist ,für sich genommen‘ vielleicht etwas Ungewöhnliches, aber an sich rechtlich neutral, solange die näheren Umstände unbekannt bleiben. Wenn jemand 1941 Kriegswaffen in die Sowjetunion brachte, um sie für den Kampf gegen die deutschen Invasoren zur Verfügung zu stellen, so wird man das dort mit oder ohne Genehmigung als höchst begrüßenswert erachtet haben. Wer für ein Marinemuseum einen ausrangierten Torpedo ohne Ladung importiert, verwirklicht ,für sich‘ betrachtet noch kein Unrecht.“115
Auch die oben genannte Begründung des BGH, die Sozialwidrigkeit des Umgangs mit Kriegswaffen folge schon aus der Ausgestaltung des § 22a KrWaffG als Verbrechenstatbestand, greife nicht, denn dies sei natürlich nur bei Fehlen der Genehmigung der Fall.116 Insgesamt wird die Einteilung in präventive und repressive Verbote als willkürlich beurteilt, was auch anhand eines Falles aus dem Außenwirtschaftsstrafrecht demonstriert wird, in welchem der Täter gegen eine Genehmigungspflicht für den trotz des bestehenden Irak-Embargos grundsätzlich erlaubten Transfer von Geldern zu humanitären Zwecken in den Irak verstoßen hatte.117 Hier wurde seitens des BGH von einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgegangen, was damit begründet wurde, dass Verstöße gegen die Genehmigungspflicht „beachtliches Unrecht dar[stellen], wie die gesetzliche Regelung zeigt, die dieses Verhalten […] durch § 34 AWG [a. F.] erfaßt“.118 Allerdings erscheint 112
Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 236; Wolf, S. 205. Vgl. Löw, S. 118 f.; Walter, S. 270 f. 114 Heghmanns, S. 151; Marx, S. 63. 115 Walter, S. 271. 116 Walter, S. 271. 117 BGH NStZ-RR 2003, 55 f. 118 BGH NStZ-RR 2003, 55 (56). 113
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diese Argumentation als Zirkelschluss, trifft es doch im Grundsatz auf alle Straftatbestände zu, die einen Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, dass dieses Verhalten durch den jeweiligen Straftatbestand erfasst ist. Ferner müsste eigentlich, legt man die o. g. Maßstäbe zugrunde, im Rahmen des Geldtransfers zu humanitären Zwecken, den man kaum als sozialwidrig bezeichnen könne, „die Genehmigungspflicht in casu der Prototyp eines präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt sein“.119 Diejenigen, die von einer Undurchführbarkeit und einer nicht gegebenen Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der Genehmigung als negativem Tatbestandsmerkmal oder als Rechtfertigungsgrund ausgehen, legen sich folglich auch nicht fest. Der Zuweisung zu einer der beiden genannten Deliktsstufen wird, wie noch zu zeigen ist, bei der Irrtumsbehandlung keine maßgebliche Funktion zugesprochen.120 Es gibt aber auch andere Stimmen, die sich nach der Feststellung der Nichtdurchführbarkeit einer Differenzierung von tatbestandsausschließender oder rechtfertigender Funktion der Genehmigung bei den einzelnen genehmigungsabhängigen Tatbeständen bei ihrer weiteren Vorgehensweise in zwei Lager spalten: Während ein Teil die behördliche Genehmigung stets als negatives Tatbestandsmerkmal ansieht, geht die Gegenmeinung in jedem Fall von einem Rechtfertigungsgrund aus. Auf die unterschiedlichen Begründungen ist nun einzugehen. aa) Generelle Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal Teilweise ist man der Auffassung, die behördliche Genehmigung stelle stets ein negatives Tatbestandsmerkmal dar.121 Einen Anstoß dazu gab bereits die amtliche Begründung zum OWiG von 1968 mit folgendem Wortlaut: „In den Tatbeständen des Nebenstrafrechts einschließlich der Ordnungswidrigkeiten sind zudem die Umstände, welche die Handlung als unrechtmäßig kennzeichnen, vielfach zu Tatbestandsmerkmalen erhoben (z. B. ,ohne die erforderliche Erlaubnis‘, ,ohne die vorgeschriebene Genehmigung‘)“.122
Dies hält etwa Tiedemann, bezogen auf grundsätzlich alle Genehmigungstatbestände, für richtig, denn erst so würden „Sinn und Funktion des Tatbestandes als abstrakte Vertypung generellen Unrechts“ wiederhergestellt.123 119
Walter, S. 272. Jedenfalls, wenn man eine Teilnehmerstrafbarkeit außer Acht lässt und mit den eingeschränkten Schuldtheorien entweder § 16 Abs. 1 StGB analog oder dessen Rechtsfolgen anwendet; dazu noch in Kapitel 4 J. II. 3. 121 Heghmanns, S. 173; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 107; Löw, S. 122 ff., 151; Müko-StGB-Schlehofer, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 32 Rn. 236; Tiedemann, S. 354. 122 BT-Drucks. 5/1269, S. 46. 123 Tiedemann, S. 354; ders., ZStW 81 (1969), 869 (879). 120
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Aber auch spätere Literaturmeinungen befürworten die generelle Einordnung der (fehlenden) Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal. So geht auch Hundt beim Vorliegen einer wirksamen Genehmigung davon aus, dass kein tatbestandsmäßiges Handeln gegeben sei. Die behördliche Genehmigung sei die Form, in der die Allgemeinheit in die Rechtsgutsverletzung einwillige, wobei die Behörde als „gesetzlicher Vertreter“ der Allgemeinheit handele.124 Weil das durch eine Genehmigung erlaubte Verhalten im Einklang mit dem Willen des über das Rechtsgut Verfügungsberechtigten stehe, sei die rechtmäßige Genehmigung wie die Einwilligung – der nach Hundts Auffassung tatbestandsausschließende Wirkung zukommt125 – immer schon auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen, denn es fehle bereits das für die Annahme des Tatbestands erforderliche kriminelle Unrecht.126 Allerdings ist die Ansicht, die eine solche „Einwilligung“ schon auf der Tatbestandsebene berücksichtigen möchte, abzulehnen. Nach h. L. kommt der Einwilligung ohnehin nur rechtfertigende Wirkung zu, denn eine Einwilligung ändere schließlich nichts daran, dass das entsprechende Rechtsgut bereits verletzt worden sei.127 Außerdem existieren Rechtsgüter, die gar nicht disponibel sind, nämlich die Allgemeinrechtsgüter.128 Für Löw dagegen ergibt sich die generelle Einordnung der Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, denn das Strafrecht dürfe sich „nicht in Widerspruch“ zu den in Verwaltungsnormen enthaltenen Verhaltensbefehlen setzen.129 Wie bei den Ausführungen zum Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit erläutert,130 ergibt sich die Rechtfertigung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens dadurch, dass die dem Tatbestand zugrundeliegende Verhaltensnorm einer andere Norm vorgeht, die sog. Erlaubnisnorm, die das Verhalten ausnahmsweise erlaubt. Für die Straftatbestände, die ein Handeln ohne behördliche Genehmigung sanktionieren, müsse daher vorrangig die Verhaltensnorm ermittelt werden, um festzustellen, ob das Genehmigungserfordernis Teil der Verbotsmaterie sei oder einen rechtfertigenden Erlaubnissatz darstelle.131 Sei das Genehmigungserfordernis als Tatbestandsmerkmal anzusehen, so laute die Verhaltensnorm „Du sollst nicht [XY] ohne erforderliche Genehmigung tun!“. In diesem Fall richte sich die Verhaltensnorm nur an diejenigen, die ohne Genehmigung tätig würden, das Verbot gelte folglich nur für Nichtbesitzer einer Genehmigung. Das genehmigte Verhalten unterfalle hingegen nicht der Verbotsnorm. Stelle die Genehmigung dagegen einen Rechtfertigungsgrund dar, so laute die Verhaltensnorm: „Du sollst nicht [XY] tun!“. Sei dies der Fall, richte sich das Verbot an jeden und die 124
Hundt, S. 104. Hundt, S. 89 ff., 95. 126 Hundt, S. 105. 127 Roxin/Greco, AT I, § 13 Rn. 3. 128 Jünemann, S. 31. 129 Löw, S. 122 ff. 130 Siehe dazu oben C. II. 1. 131 Löw, S. 122 f. 125
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Handlung sei unabhängig vom Vorliegen einer Genehmigung tatbestandsmäßig. Das Vorliegen der Genehmigung würde nur als Erlaubnissatz dieser zugrundeliegenden Verhaltensnorm vorgehen. Eine solche Vorgehensweise ignoriert aber nach Löws Ansicht die Verwaltungsakzessorietät der Straftatbestände, die auf ein Handeln ohne Genehmigung rekurrieren; sei ein Verhalten aus verwaltungsrechtlicher Sicht erlaubt, dürfe dieses Verhalten nicht tatbestandsmäßig im Sinne des Strafrechts sein.132 Würde die strafrechtliche Verhaltensnorm jedes Verhalten absolut untersagen und komme der behördlichen Genehmigung demnach nur eine rechtfertigende Wirkung zu, verlange das Strafrecht mehr an Verhaltenssteuerung als das Verwaltungsrecht, denn dieses verlange gerade nicht vom Bürger, die Handlung komplett zu unterlassen, sondern nur, diese ohne Genehmigung nicht vorzunehmen. Daher sei immer, wenn verwaltungsrechtlich die Möglichkeit bestehe, eine behördliche Genehmigung für das gegenständliche Verhalten einzuholen, nicht jenes Verhalten per se, sondern nur das ungenehmigte Verhalten verboten.133 Im Ergebnis könne daher eine Genehmigung keinen Rechtfertigungsgrund darstellen, „weil dies das unhaltbare Ergebnis zur Folge hätte, dass derjenige, der über eine Genehmigung verfügt, verwaltungsrechtlich rechtmäßig, in strafrechtlicher Hinsicht jedoch tatbestandsmäßig […] handelte“.134 Ohne an dieser Stelle die ganze Palette des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aufzeichnen zu wollen,135 ist hier allerdings darauf hinzuweisen, dass allein die Erteilung einer Genehmigung „nichts darüber [besagt], inwieweit aus dieser Tätigkeit Gefahren resultieren, denen der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen mit den Mitteln des Strafrechts begegnen will“.136 Darüber hinaus ist auch bei Annahme der behördlichen Genehmigung als Rechtfertigungsgrund beim Vorliegen einer Genehmigung die Strafbarkeit ausgeschlossen, das Verhalten also strafrechtlich erlaubt, sodass man hier entgegen der Annahme Löws durchaus den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als gewahrt ansehen kann. Für Heghmanns hingegen, dem sich auch Lenk anschließt, ergibt sich die „zwingende“ Einordnung der Genehmigung als Tatbestandsmerkmal aus dem durch ihn definierten Schutzgut der Genehmigungstatbestände: Geschützt seien die Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens und die Geltung der das Genehmigungsverfahren abschließenden Entscheidung seitens der Behörde.137 Soweit genehmigungsloses Handeln mit Strafe bewehrt sei, werde damit weder der bloße Ungehorsam noch die unmittelbare Rechtsgutsverletzung sanktioniert, sondern vielmehr der „Angriff auf die Funktionsfähigkeit der Zugangskontrolle zu einer potentiell gefährlichen Handlung. […] Zur Verbotsmaterie gehört damit nicht das Handeln an sich, sondern nur das Handeln ohne Genehmigung“, weshalb die fehlende Geneh132
Löw, S. 123. Löw, S. 125. 134 Löw, S. 126; vgl. auch Heghmanns, S. 186 und Horn, UPR 1983, 362 (365). 135 Dazu zusammenfassend Lenk, S. 60 ff. 136 Lenk, S. 65. 137 Heghmanns, S. 172; Lenk, S. 75 f. 133
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migung konstitutives Merkmal des verbotenen Verhaltens, also Tatbestandsmerkmal sei.138 Normwidrig handele folglich schon nicht, wer im Besitz einer wirksamen Genehmigung sei.139 Allerdings wird gegen diese Auffassung die präventive bzw. verhaltensleitende Funktion des Strafrechts angeführt.140 Würde man allen genehmigungsabhängigen Straftatbeständen dasselbe Rechtsgut der Funktionsfähigkeit der Zugangskontrolle zuordnen, träten die hinter den einzelnen Genehmigungstatbeständen stehenden unterschiedlichen Ziele wie der Umweltschutz oder der Frieden in den Hintergrund, sodass deren prägender Charakter verloren ginge.141 Die Vorschaltung eines „farblosen Einheitsrechtsguts“ wie dem der behördlichen Zugangskontrolle kann nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechen.142 bb) Generelle Einordnung als Rechtfertigungsgrund Man könnte sich aber auch auf den gegenteiligen Standpunkt stellen und damit argumentieren, dass es im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG gerade nicht „normal“ ist, eine Genehmigung bzw. Erlaubnis für sein Tun einholen zu müssen.143 Entscheidend ist in diesen Fällen dann nicht, dass der Täter gegen den Willen der Behörde gehandelt hat, sondern dass er nicht handeln darf, ohne „den Segen“ der Behörde erhalten zu haben; schon durch die Notwendigkeit eines Genehmigungsverfahrens ist keine Sozialadäquanz des betreffenden Verhaltens gegeben.144 Deshalb wird in entgegengesetzter Weise zu der zuvor dargestellten Auffassung von einigen Autoren gefordert, das Genehmigungserfordernis unabhängig vom konkreten Straftatbestand stets als Rechtfertigungsgrund anzusehen. Bereits Welzel führte aus, dass die fehlende Genehmigung kein Tatumstand „i. e. S.“ sein könne, da sie nicht die Tat oder das Tatobjekt, sondern das (Nicht-)Dürfen der Tatbestandsverwirklichung, also deren Rechtswidrigkeit beschreibe.145 Auch Rudolphi geht wohl generell von einem Rechtfertigungsgrund aus und sieht in der behördlichen Erlaubnis einen Anwendungsfall des allgemeinen Rechtfertigungsprinzips des überwiegenden Interesses; das Vorliegen der Rechtfertigungsvoraussetzungen werde nicht durch das Strafgericht nachträglich festgestellt, sondern unterliege der vorherigen Entscheidung durch die zuständige Verwaltungsbehörde.146 Da Grundlage jeder Erlaubniserteilung die 138
Heghmanns, S. 173. Heghmanns, S. 156. 140 Siehe dazu Einleitung D. 141 LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 275; Rengier, ZStW 114 (2002), 201 (203). 142 LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 275; Rengier, ZStW 114 (2002), 201 (203). 143 Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 71e. 144 Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 71e. 145 Welzel, MDR 1952, 584 (585). 146 Rudolphi, NStZ 1984, 193 (196); vgl. auch Heghmanns, S. 180 f. und Löw, S. 115 f. 139
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Entscheidung eines Interessenwiderstreits sei und hier eine umfassende Abwägung erfolge, könne die Genehmigung nur rechtfertigend wirken.147 Werde die Genehmigung erteilt, so überwiege das Interesse des Genehmigungsempfängers im Einzelfall gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit am jeweiligen vom Tatbestand geschützten Rechtsgut.148 Diese Überlegungen zugrunde gelegt, stelle der Verstoß gegen Genehmigungspflichten bei den dieses Verhalten sanktionierenden Strafnormen nicht nur einen bloßen Verwaltungsungehorsam dar; einen staatlichen Genehmigungsvorbehalt für an sich risikolose Tätigkeiten dürfe es in einem demokratischen Rechtsstaat schon gar nicht geben.149 Daher wird angenommen, dass jedes Verhalten, dessen Ausführung ohne Genehmigung unter Strafe gestellt ist, im Falle einer genehmigungslosen Ausübung sozialinadäquat oder wertwidrig sei, „egal wie verbreitet es in der Gesellschaft sein mag, das Verhalten (mit Genehmigung) auszuführen, beispielsweise ein Kraftfahrzeug mit Fahrerlaubnis zu führen“.150 Gegen diese Ansicht wendet sich bereits der Begründer der Unterscheidung zwischen präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt, Thoma, der befindet: „Gerade von einigen der allerwichtigsten Betätigungen, die unserer Rechtsordnung der Erlaubnispflichtigkeit unterwirft, wie Bauen von Häusern, Errichten gewisser industrieller Anlagen, Betrieb von Krankenhäusern usw., kann man unmöglich sagen, daß sie ,eigentlich‘ verboten seien“.151
Verboten und strafbar sei bloß der Beginn der genehmigungspflichtigen Tätigkeit, ohne dass zuvor die rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens im vorgesehenen Genehmigungsverfahren geprüft und bestätigt worden sei.152 Warum dem nicht zugestimmt werden kann, ist im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch zu begründen.153 cc) Generelle Einordnung als objektive Straflosigkeitsbedingung Teilweise wird auch vertreten, dass die behördliche Genehmigung bloß eine objektive Straflosigkeitsbedingung sei, ihr also eine die Strafbarkeit ausschließende Wirkung jenseits von Unrecht und Schuld zukomme.154 Diese Sichtweise hätte zur 147
Rudolphi, NStZ 1984, 193 (196). Vgl. auch Jünemann, S. 28. – Dem wird allerdings entgegengehalten, dass diese Schlussfolgerung nicht zwingend sei, denn auch auf Tatbestandsebene finden sich Abwägungsentscheidungen; siehe Heghmanns, S. 181 f.; LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 276. 149 Schuster, S. 207. 150 Wolf, S. 202; vgl. auch Jakobs, AT, 16/29. 151 Thoma, VerwArch 32 (1927), 247 (248). 152 Thoma, VerwArch 32 (1927), 247 (248). 153 Siehe dazu III. 154 Erdt, S. 127 ff.; Horn, UPR 1983, 362 (366 f.). 148
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Folge, dass es für die Strafbarkeit des Genehmigungsempfängers lediglich darauf ankommen würde, ob eine entsprechende Genehmigung objektiv vorliegt oder nicht.155 Die Frage der Zuordnung des Genehmigungsmerkmals zu Tatbestand oder Rechtswidrigkeit würde hier entfallen; da objektive Straflosigkeitsbedingungen nach h. M. „den Unrechts- oder Schuldgehalt der Tat nicht berühren“156, läge aber stets tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Handeln vor.157 Als Argument dafür wird vor allem vorgebracht, dass das Verwaltungsrecht nicht das strafrechtliche Unrecht bestimmen dürfe und deshalb die Genehmigung nicht der Tatbestandsebene zugewiesen werden könne; als Rechtfertigungsgrund sei sie aber auch nicht zu begreifen, weil der Genehmigung das der Struktur der Rechtfertigungsgründe „wesenseigene Merkmal der Erforderlichkeit“ fehle.158 Im Falle einer wirksamen behördlichen Erlaubnis werde – trotz Vorliegens eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens – vielmehr auf Strafe verzichtet, was als objektive Straflosigkeitsbedingung aufzufassen sei.159 Allerdings ist aus verfassungsrechtlicher Sicht die „enge Verzahnung von Strafrecht und Verwaltungsrecht“ und damit die Verknüpfung des strafrelevanten Unrechts mit verwaltungsrechtlichen Vorgaben durch das Genehmigungserfordernis nicht zu beanstanden.160 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensprüfung sehr wohl die Erforderlichkeit des zu genehmigenden Verhaltens prüfen muss.161 Grundsätzlich ist die dogmatische Vereinbarkeit der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip mit deren strafbarkeitsbegrenzender Funktion zu begründen, weil in diesen Fällen der Gesetzgeber den Täter nicht stets, sondern nur in objektiv bestimmten Fällen bestraft.162 Bei den genehmigungsabhängigen Normen des Außenwirtschaftsstrafrechts jedoch ergibt sich ein Unterschied zu sonstigen Normen, die anerkanntermaßen objektive Strafbarkeitsbedingungen enthalten.163 Durch die Möglichkeit der Genehmigung ist schon eine gesetzlich geregelte Ausnahmeerlaubnis vorgesehen, während bei jenen anderen Normen das betreffende Verhalten „in keinem Fall toleriert, jedoch eine besondere Folge nur in bestimmten Fällen verhängt“ wird.164 Die Bewertung des Nichtvorliegens einer Genehmigung als objektive Bedingung der Strafbarkeit hätte wegen des so umgangenen Vorsatzerfordernisses, etwa bezogen auf die Wirksamkeit einer Genehmigung, keine strafbarkeitsbegrenzende, sondern eine strafbarkeitserweiternde Funktion und würde 155
Jedwab, S. 55. Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 35. 157 Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 2. 158 Horn, UPR 1983, 362 (365 f.). 159 Erdt, S. 137 ff.; Horn, UPR 1983, 362 (366 f.). 160 BVerfGE 75, 329 (346); LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 277. 161 LK-StGB-Rönnau, 13. Aufl., Vor §§ 32 ff. Rn. 277. 162 Jedwab, S. 55. 163 Beispielsweise die wirtschaftliche Krise in § 286 Abs. 6 StGB, der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung in § 231 StGB. 164 Jedwab, S. 56. 156
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
daher einen Verstoß gegen das Schuldprinzip darstellen.165 Im Hinblick auf die noch ausführlich zu diskutierende Irrtumslehre würde die Einstufung als objektive Straflosigkeitsbedingung folglich dazu führen, dass jegliche Irrtümer im Zusammenhang mit Genehmigungen stets unbeachtlich wären. Ferner ergäbe sich die wohl kaum gewollte Konsequenz, dass aufgrund des Vorliegens rechtswidrigen Verhaltens trotz einer Genehmigung Notwehr geübt werden könnte.166
III. Eigene Auffassung Eine Betrachtungsweise, die differenzierend für jeden Straftatbestand einzeln untersuchen möchte, ob bei diesem das Merkmal der Genehmigung ein negatives Tatbestandsmerkmal oder einen Rechtfertigungsgrund darstellt, ist als ungeeignet abzulehnen. Ob man die Unterscheidung anhand der Abgrenzung präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt/repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt gemessen an der Sozialadäquanz bzw. -schädlichkeit der Handlung vornimmt, diese durch weitere Spezifizierungen zu „verfeinern“ versucht, die Unrechtsvertypung als Kriterium ansieht oder aber auf die Funktion der jeweiligen einzuholenden Genehmigung abstellt: Die Vorschläge sind zwar vielfältig, vermögen aber allesamt nicht, als taugliche Differenzierungsmethoden zu fungieren, da im Ergebnis immer eine Wertung vorgenommen wird. Dies wird besonders deutlich an den genehmigungsabhängigen Straftatbeständen des § 18 AWG und an § 22a KrWaffG: Hier zieht man zwar die genannten Kriterien für die Abgrenzung heran, diese werden aber letztendlich nur benutzt, um die jeweils eigene Wertung des Autors zu untermauern, etwa indem eine Handlung als sozialschädlich eingestuft wird oder eben nicht. Daher existiert gleichermaßen bei den genehmigungsabhängigen Straftatbeständen des § 18 AWG und bei § 22a KrWaffG kein Konsens hinsichtlich der Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund; es finden sich vielmehr bei nahezu jedem Genehmigungstatbestand divergierende Auffassungen. Auch gegen die Meinung, die das Genehmigungserfordernis stets als Tatbestandsmerkmal einordnen möchte, sprechen neben der oben angeführten Kritik vor allem im Hinblick auf das Außenwirtschaftsstrafrecht systematische Überlegungen. So kann für ein Verhalten, das grundsätzlich von § 17 Abs. 1 AWG umfasst ist, im Einzelfall eine Genehmigung erteilt werden, vgl. §§ 76, 76a AWV. Jedoch wird die fehlende oder unwirksame Genehmigung in § 17 Abs. 1 AWG, anders als bei der Vorgängervorschrift des § 34 AWG a. F., nicht ausdrücklich im Tatbestand genannt.167 Aus § 17 Abs. 6 AWG („In den Fällen des Absatzes 1 steht einem Handeln ohne Genehmigung ein Handeln auf Grund einer […] erschlichenen Genehmigung 165
Jedwab, S. 56. Jedenfalls theoretisch, denn fraglich ist schon, in welchen Fällen hier das Vorliegen einer Notwehrlage denkbar wäre. 167 Vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 25. 166
C. Die Stellung der behördlichen Genehmigung im Deliktsaufbau
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gleich“) könnte sich jedoch im Umkehrschluss ergeben, dass auch hier in bestimmten Fällen die Handlung nicht generell verboten, sondern im Einzelfall (nur) die Vornahme einer genehmigungsfähigen Handlung ohne Genehmigung strafbar sein kann. Liest man aber die (unstreitig als solche eingeordnete) Blankettvorschrift des § 17 Abs. 1 AWG beispielsweise mit §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 und 76 Abs. 1 AWV zusammen,168 so ergibt sich – kurzgefasst – folgende Gesamtnorm: „Bestraft wird, wer in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erfasste Güter nach Belarus verkauft, ausführt oder durchführt, es sei denn, unter bestimmten Voraussetzungen genehmigungsfähige Geschäfte wurden vorher genehmigt“. Im Gegensatz zu den anderen genehmigungsabhängigen Strafnormen des AWG ist also sowohl in den genannten einzelnen Vorschriften als auch im gebildeten Straftatbestand gerade nicht von einer Tathandlung als „Handeln ohne Genehmigung“ die Rede; eine Umformung des Tatbestands in einer solchen Weise erschiene gar willkürlich, handelt es sich bei den Möglichkeiten der Genehmigung in §§ 76, 76a AWV nach der Gesetzesüberschrift und dem Gesetzeswortlaut doch lediglich um „Ausnahmen“, die von den Verboten des § 80 i. V. m. §§ 74 Abs. 1, 75 AWV gemacht werden „können“.169 In diesen Fällen nur das Handeln ohne Genehmigung, nicht aber das Handeln an sich als ausreichende „Unrechtsvertypung“ anzusehen, erscheint unzutreffend, zumal es ja auch hier um Rüstungsgüter geht. Der Genehmigung kann hier gar nicht die Funktion eines Tatbestandsmerkmals zukommen, sie lässt vielmehr als „Ausnahmefall“ die Rechtswidrigkeit entfallen – wobei indes dieser eine klare Fall nicht zu der Annahme verleiten soll, dass eine Abgrenzung zwischen repressiven und präventiven Verboten anhand der Unterscheidung Ausnahme – Regel vorzunehmen sei.170 Nach hier vertretener Meinung ist jede behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund einzuordnen. Wirft man einen Blick auf die unterschiedlichen genehmigungsabhängigen Tatbestände, die im deutschen Strafrecht vorkommen, kann bei den dort genannten Handlungen an keiner Stelle von „neutralem“ Handeln gesprochen werden, das seinen Unwertgehalt erst aus dem Fehlen der erforderlichen Genehmigung bezieht. Weder die oben171 genannten Beispiele des Häuserbauens oder des Betriebes von Krankenhäusern noch die Ausfuhr von Rüstungsgütern oder die Beförderung von Kriegswaffen sind per se „rechtlich neutral“ bzw. „sozial adäquat“. Jede einzelne dieser Handlungen bewirkt erst einmal eine negative Veränderung in der Außenwelt – etwa durch die Flächenversiegelung beim Bauen – und/ oder begründet Gefahren, denen der Gesetzgeber durch das Verbot, eine solche Tätigkeit ohne die erforderliche Genehmigung aufzunehmen, beikommen möchte. Der Betrieb eines Krankenhauses beispielsweise ist durch die Verantwortung für Menschenleben und die damit einhergehende Möglichkeit, diese Menschenleben aufs Spiel zu setzen, selbstverständlich gefährlich (ganz abgesehen auch vom 168
Zum Zusammenlesen noch Kapitel 4 H. II. 2. a). Vgl. Normüberschrift; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 15. 170 Siehe dazu oben C. II. 2. a) aa) (5). 171 Siehe dazu oben C. II. 2. b) bb).
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
Umgang mit ansteckenden Krankheitserregern und der Problematik der multiresistenten Krankenhauskeime). Auch hinsichtlich einer solch alltäglichen Tätigkeit wie dem Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr kann nichts anderes gelten. Aufgrund der Gefährlichkeit des Führens von Kraftfahrzeugen ist dieses erst einmal verboten. Erst, wenn man nach dem Bestehen einer theoretischen und praktischen Prüfung die ausreichenden Fähigkeiten nachgewiesen hat, erlaubt der Staat das Führen des Kraftfahrzeugs. Nur ab diesem Zeitpunkt aber kann gesagt werden, dass das Führen des Kraftfahrzeugs auch „mit gesellschaftlichen Konventionen übereinstimmt und im täglichen Miteinander als übliche Gepflogenheit anerkannt wird“.172 Die Sozialadäquanz ist also nicht von Anfang an gegeben, sondern – wenn überhaupt173 – nur nach Erteilung der Genehmigung.174 Erst recht können auch die Ausfuhr von Rüstungsgütern und die Herstellung und Beförderung von Kriegswaffen nicht als neutrale Handlungen angesehen werden. Denn die Handlungen des Ausführens oder Herstellens bzw. Beförderns können nicht für sich allein, sondern müssen immer im Zusammenhang mit den jeweiligen Gütern betrachtet werden. Grundsätzlich ist natürlich z. B. das Befördern eines Gegenstands eine sozial adäquate Handlung, das Befördern einer Kriegswaffe aber eben nicht! Eine Kriegswaffe ist an sich schon ein gefährlicher Gegenstand, der – in falsche Hände geraten – großen Schaden anrichten oder, je nach Art der Kriegswaffe (z. B. im Falle von Minen), bei der Herstellung oder beim Transport explodieren kann. Auch der vorgesehene Einsatz von Rüstungsgütern, deren Verwendung ausschließlich oder vorrangig militärischer Art ist, oder von Kriegswaffen, die, wie der Name schon sagt, in Kriegen zum Einsatz kommen, führt dazu, dass jede damit verbundene Handlung als per se sozialschädlich angesehen werden muss. Die jeweilige Handlung losgelöst vom Kontext zu betrachten, in dem diese vorgenommen, bzw. isoliert vom Zweck, zu dem die Handlung letztlich getätigt wird, entspricht nicht der Lebensrealität und muss daher abgelehnt werden. Insgesamt ist zu konstatieren, dass Handlungen, die vom Gesetzgeber unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt und bei Verstoß dagegen mit Strafe bedroht wurden, immer einen ausreichenden Unrechtstatbestand darstellen und nur mal mehr, mal weniger sozialschädlich sind. Darüberhinaus ist ohnehin fraglich, ob der Sozialadäquanz eines Verhaltens bei Genehmigungstatbeständen überhaupt die Bedeutung zukommen kann, das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines „ausreichenden Unrechtsachverhalts“ zu bestimmen. Allein die Alltäglichkeit eines Verhaltens kann schließlich nicht dazu führen, dass man ihm seinen Unrechtscharakter abspricht – ansonsten müsste dies auch für den ärztlichen Heileingriff gelten. Eigentlich muss doch jedes Verhalten, dessen ungenehmigte Ausübung vom Gesetzgeber mit Strafandrohung versehen wird, als 172
Valerius, JA 2014, 561. Im Hinblick auf die Umweltauswirkungen könnte die soziale Verträglichkeit des Autofahrens auch gänzlich abgelehnt werden. 174 Schuster, S. 207; so wohl auch Jakobs, AT, 16/29. 173
D. Tatbestandsausschließende Genehmigung
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ausreichendes Unrecht i. S. e. Unrechtsvertypung des Tatbestandes angesehen werden, denn es scheint in den Augen des Gesetzgebers ja so gefährlich zu sein, dass er eben die Ausübung eines solchen Verhaltens ohne Genehmigung unter Strafe verbietet. Daher kann man auch umgekehrt die Frage aufwerfen, wie ein augenscheinlich derart gefährliches Verhalten – und das muss für alle Genehmigungstatbestände gleichermaßen gelten – denn kein ausreichendes Unrecht darstellen soll. Insgesamt ergibt sich mithin der Schluss, dass die behördliche Genehmigung nur als Rechtfertigungsgrund dienen kann.
D. Tatbestandsausschließende Genehmigung: negatives normatives Tatbestandsmerkmal oder Blankettmerkmal? Sieht man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – im Merkmal der Genehmigung (entweder stets oder auf der Grundlage des jeweiligen Tatbestandes) ein negatives Tatbestandsmerkmal, wird weiter die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Genehmigungsmerkmal um ein normatives Tatbestandsmerkmal oder ein Blankettmerkmal handelt.175 Es kommt also wieder darauf an, ob sich die tatbestandliche Umschreibung erst durch Inbezugnahme einer anderen Norm ergibt (dann Blankettstrafgesetz) oder ob die das Genehmigungsmerkmal enthaltende Norm bereits vollständig ist, also die Verhaltensnorm schon ganz statuiert, und nur zur Auslegung einzelner Begriffe außerstrafrechtliche Normen herangezogen werden (dann normatives Tatbestandsmerkmal). Unten wird indes noch gezeigt werden, dass auch bei Annahme der Genehmigung als Rechtfertigungsgrund das Merkmal der fehlenden Genehmigung bzw. des Verstoßes gegen eine Genehmigungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen Blankettmerkmal sein kann.176
I. Einordnung im Schrifttum Die Einordnung des Genehmigungsmerkmals als normatives Tatbestands- oder Blankettmerkmal ist eine in Rechtsprechung und Literatur kaum behandelte Thematik und ausführliche Erläuterungen dazu sind selten zu finden. Puppe etwa scheint vom Vorliegen eines Blankettmerkmals auszugehen, wenn sie ausführt: „Ein solches Blankettmerkmal ist zB […] ,entgegen einem Verbot oder ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung‘ in § 327 und § 328 [StGB] […]“.177 Pfeiffer, der seine Untersuchung im Hinblick auf § 325 Abs. 4 Var. 2 175
Vgl. nur Löw, S. 116 f. Siehe dazu D. III. a. E. 177 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 19. – Inwiefern Puppe dies auf andere genehmigungsabhängige Straftatbestände erstrecken würde, bleibt offen. 176
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
StGB a. F.178 vornimmt, führt aus, es könne nur durch eine Subsumtion des Sachverhalts unter an anderer Stelle geregelten abstrakt-generellen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ermittelt werden, wann eine Genehmigung zum Betrieb einer bestimmten Anlage erforderlich sei.179 Die im Wesentlichen zur Anwendung kommenden Regelungen180 legten fest, dass die betreffenden Anlagen erst nach wirksamer Genehmigung errichtet und betrieben werden dürfen, „beinhalten also das Verbot, die Anlage ohne entsprechende Genehmigung zu betreiben. Die beiden Gesetze stellen mithin Verbote auf, deren Nichtbeachtung durch § 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 [StGB] (unter weiteren Voraussetzungen) mit Strafe bedroht werden“.181 Da eine blankettausfüllende Norm stets in Form eines Gebots oder Verbots auftrete, handele es sich beim Merkmal der erforderlichen Genehmigung um ein Blankettmerkmal. Dagegen werden an anderer Stelle Genehmigungserfordernisse als normative Tatbestandsmerkmale eingeordnet. Die Tatbestandsformulierungen, die als präventive Verbote ausgestaltete Genehmigungserfordernisse enthielten, seien nicht als reine „Zuwiderhandlung“ gegen Vorschriften über die Genehmigung ausgestaltet, sondern bestimmten das tatbestandsmäßige Handeln selbst näher, was für ein normatives Tatbestandsmerkmal spreche.182 Durch das Abstellen einer Strafnorm auf eine Genehmigung werde zur Auslegung auf die den jeweiligen Genehmigungen zugrunde liegenden Fachgesetze und die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsrechts verwiesen.183 Auch hieraus ergebe sich – durch Enderle ausdrücklich für § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG festgestellt – die Klassifizierung als normatives Tatbestandsmerkmal.184 Für die Strafvorschriften des AWG, die ein Handeln ohne Genehmigung voraussetzen, finden sich in der dazu existierenden Literatur nur wenige und auch widersprüchliche Aussagen dazu, ob das Genehmigungsmerkmal ein Blankettmerkmal oder ein normatives Merkmal darstellt. Teilweise werden eher pauschale Aussagen getätigt, etwa, dass § 18 Abs. 2 AWG „ebenfalls ein Blankett [sei], das seine Ausfüllungsnormen in der AWV findet und der Strafbewehrung von vorsätzlichen Verstößen gegen nationale Genehmigungserfordernisse dient.“185 Bieneck spricht einerseits davon, dass Strafvorschriften, die das Handeln ohne Genehmigung zum Gegenstand haben, „Blankettnormen im doppelten Sinne“ seien, „denn neben 178 Wonach bestraft wurde, wer eine Anlage ohne die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderliche Genehmigung betreibt; vgl. Pfeiffer, S. 8. 179 Pfeiffer, S. 41. 180 § 4 BImSchG, § 7 AbfG. 181 Pfeiffer, S. 41 f. 182 Enderle, S. 50 f., 249. 183 Fortun, S. 75. 184 Enderle, S. 249 Fn. 66; vgl. auch Sch/Sch-Sternberg-Lieben, § 17 Rn. 12a. 185 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 22; so auch Leitner/ Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 23.
D. Tatbestandsausschließende Genehmigung
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die Bezugnahme auf Ausfüllungsnormen tritt die Abhängigkeit ihrer Tatbestandsmäßigkeit von einem Verwaltungsakt, nämlich von einer rechtswirksamen Genehmigung [Hervorhebung im Original] oder einer Genehmigungsablehnung“.186 An anderer Stelle spricht er hingegen vom Genehmigungsvorbehalt als normativem Tatbestandselement.187
II. Relevanz der Einordnung Die Relevanz der Einordnung ergibt sich aus den Konsequenzen für die Behandlung von Irrtümern. Geht es um Fehlvorstellungen über die Genehmigungspflicht, wird bei Annahme des Genehmigungsmerkmals als normatives Tatbestandsmerkmal, wie oben ausgeführt, dafür plädiert, der Täter müsse nach den Grundsätzen der Parallelwertung in der Laiensphäre von einem behördlichen Kontrollanspruch ausgehen; „er muss wissen, dass er die Kontrollrechte der Verwaltung verletzt“188. Fehle dem Täter ein solches Wissen, bleibe ihm der soziale Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals „ohne Genehmigung“ verborgen.189 Geht man beim Genehmigungsmerkmal hingegen von einem Blankettmerkmal aus, so müsste im gleichen Fall – zumindest nach den Grundsätzen von Rechtsprechung und (noch) herrschender Literaturmeinung – Vorsatz nur hinsichtlich der das Genehmigungsmerkmal substituierenden Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsvorschrift gegeben sein, wobei sich hier wiederum die Frage stellt, welche Merkmale das konkret wären. Fraglich ist zunächst, ob überhaupt für alle Strafnormen mit Genehmigungsmerkmalen einheitlich bestimmt werden kann, ob vom Vorliegen eines normativen Tatbestands- oder Blankettmerkmals auszugehen ist. Schon der unterschiedliche strukturelle Aufbau der Straftatbestände, die ein Handeln entgegen einer Genehmigungspflicht sanktionieren, legt nahe, dass sich ggf. Unterschiede bei einer Einordnung ergeben könnten. Wie im letzten Kapitel ausgeführt wurde, besteht der Unterschied zwischen Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen – trotz aller zuzugestehender Abgrenzungsschwierigkeiten – grundsätzlich darin, dass bei Vorliegen eines normativen Tatbestandsmerkmals der Tatbestand bereits vollständig ist und nur zur Auslegung des Merkmals ggf. auf außerstrafrechtliche Normen zurückgegriffen werden muss, während sich bei Tatbeständen mit einem oder mehreren Blankettmerkmalen die vollständige Strafnorm erst aus dem Zusammenspiel von Blankettmerkmal und blankettausfüllender Norm ergibt. Bei Strafnormen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, ist aber nun teilweise nicht aus dem Strafgesetz selbst ersichtlich, dass das Fehlen einer Genehmigung die Strafbarkeit begründet: So verweist beispielsweise § 10 Abs. 1 186
Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 23. Bieneck-Bieneck, § 23 Rn. 56. 188 OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353. 189 KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 41a; Tiedemann, S. 354. 187
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
SchwarzArbG190 auf § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III191, der wiederum auf § 284 Abs. 1 SGB III192 Bezug nimmt. Erst aus § 284 Abs. 1 SGB III geht hervor, dass § 10 Abs. 1 SchwarzArbG für gewisse Konstellationen ein Handeln ohne (Arbeits-)Genehmigung voraussetzt.193 Auch im Außenwirtschaftsstrafrecht kommt dies in § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80, 76 AWV vor. Allein die Art dieser Verweisungstechnik sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob das in Frage stehende Genehmigungsmerkmal ein normatives Tatbestandsmerkmal oder ein Blankettmerkmal darstellt; auch Blankettmerkmale, wie § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III im Falle des § 10 Abs. 1 SchwarzArbG eines darstellt, können schließlich durch (normative) Tatbestandsmerkmale ausgefüllt werden. In jedem Fall unstreitig notwendig bei genehmigungsabhängigen Straftatbeständen ist, dass auf die jeweiligen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zurückgegriffen werden muss, um festzustellen, ob für das in Frage stehende Verhalten ein Genehmigungserfordernis besteht und wie dieses genau ausgestaltet ist. Fraglich ist aber, ob dieser Rückgriff erforderlich ist, um eine vollständige Verbotsnorm zu generieren, oder ob er lediglich der Auslegung dient.
III. Erarbeitung der eigenen Auffassung Nach hier vertretener Ansicht stellt das Merkmal „ohne Genehmigung“ bzw. „gegen eine Genehmigungspflicht“ ganz grundsätzlich ein Blankettmerkmal dar, wenn es um die Frage nach der Notwendigkeit einer behördlichen Genehmigung geht. Ob eine Genehmigung für das in Frage stehende Verhalten benötigt wird und damit, was die tatbestandlichen Voraussetzungen des strafbaren Verhaltens sind, kann nämlich erst festgestellt werden, wenn andere Vorschriften – im Außenwirtschaftsrecht die entsprechenden Embargo-Verordnungen, andere EU-Verordnungen oder die AWV – herangezogen werden.194 Erst, wenn es um die Konsequenzen des 190 „Wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bezeichnete Handlung begeht und den Ausländer zu Arbeitsbedingungen beschäftigt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stehen, die die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, wird […] bestraft.“ 191 „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 284 Abs. 1 […] eine Ausländerin oder einen Ausländer beschäftigt“. 192 „Soweit nach Maßgabe des Beitrittsvertrages eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union abweichende Regelungen als Übergangsregelungen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit anzuwenden sind, dürfen Staatsangehörige dieses Mitgliedsstaates und ihre freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Bundesagentur ausüben sowie von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen“. 193 Vgl. Löw, S. 137. 194 Und, anders als z. B. beim Vorliegen der „Fremdheit“ einer Sache in § 242 StGB, nicht durch eine eigene (Be-)Wertung.
D. Tatbestandsausschließende Genehmigung
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Vorliegens bzw. Fehlens der notwendigen Genehmigung geht, kommt man zur Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund. Die Frage, ob das Merkmal „ohne Genehmigung“ normatives Tatbestandsmerkmal oder Blankettmerkmal ist, stellt sich hier also sogar vorrangig zu der Einordnung als negativem Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund. Dies ist zum besseren Verständnis anhand der genehmigungsabhängigen Straftatbestände des AWG zu demonstrieren. Zunächst ist festzustellen, dass in den Strafvorschriften des AWG zwei verschiedene Formulierungen verwendet werden: Es ist sowohl vom Verstoß „gegen eine Genehmigungspflicht“ als auch vom (näher bezeichneten) Handeln „ohne Genehmigung“ die Rede, wobei zunächst geklärt werden muss, ob dem unterschiedlichen Wortlaut hinsichtlich der Einordnung als Blankett- oder normativem Tatbestandsmerkmal eine Bedeutung zukommt und falls ja, welche. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG etwa wird bestraft, wer „gegen eine Genehmigungspflicht“ für die Ausfuhr etc. aufgrund von unmittelbar geltenden Embargos der EG oder der EU verstößt, die keine Rüstungsgüter nach Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste betreffen und die der Durchführung einer wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme im Bereich der GASP dienen. Ein Verstoß „gegen eine Genehmigungspflicht“ bedeutet indes nichts anderes, als dass die jeweils benannte Handlung ohne (wirksame) Genehmigung vorgenommen werden muss. Möglich wäre es daher, da im Straftatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG demnach statuiert wird, dass die Handlung ohne Genehmigung zur Erfüllung des Tatbestandes erfolgt sein muss, einerseits davon auszugehen, dass die strafbare Handlung im Hinblick auf das Merkmal der fehlenden Genehmigung195 vollständig ist, das Genehmigungserfordernis folglich ein normatives Tatbestandsmerkmal darstellt. Andererseits ergibt sich aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG nicht, wann eine Genehmigung überhaupt erforderlich ist und daher auch nicht, wann ein Handeln ohne Genehmigung vorliegt. Die vollständige zur Strafbarkeit führende Handlung wird erst deutlich, wenn man § 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG mit der jeweiligen Ausfüllungsvorschrift des betreffenden Embargos zusammenliest, woraus dann auch ersichtlich ist, in welchen Fällen eine Genehmigung eingeholt werden muss und wann folglich ein genehmigungsloses Handeln strafbar ist. Hierfür spricht auch der Vergleich mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG, in dem u. a. von einem Ausfuhrverbot eines EU-Rechtsaktes die Rede ist, was bereits oben als Blankettmerkmal ausgemacht wurde.196 Was aber zum einen unter einem „Verstoß gegen ein Ausfuhrverbot“ und zum anderen unter dem „Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht für eine Ausfuhr“ zu verstehen ist, lässt sich in beiden Fällen nur feststellen, indem man andere Vorschriften heranzieht. Das Merkmal der Genehmigungspflicht ist hier daher nicht isoliert zu betrachten, sondern 195
Der Straftatbestand ansonsten ist selbstverständlich, wie in Kapitel 1 ausgeführt, ein Blanketttatbestand, der auf das jeweilige Embargo als Ausfüllungsvorschrift zurückgreifen muss. 196 Siehe dazu Kapitel 2 B. III. 5.
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Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
stets als „Genehmigungspflicht [des entsprechenden EU-Rechtsaktes] für die Ausfuhr“, „Genehmigungspflicht [des entsprechenden EU-Rechtsaktes] für die Einfuhr“ etc. aufzufassen und folglich in dieser Gesamtschau als Blankettmerkmal einzuordnen. Fraglich ist, ob etwas anderes hinsichtlich des Genehmigungserfordernisses in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG197 gelten muss, wo vorausgesetzt wird, dass „ohne Genehmigung nach § 8 Abs. 1 AWV dort genannte Güter“ ausgeführt werden. In § 8 Abs. 1 AWV ist ein Genehmigungserfordernis für die Ausfuhr von Gütern nach Teil I der Ausfuhrliste statuiert. Liest man die Blankettnorm des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG mit § 8 Abs. 1 AWV zusammen, ergibt sich hinsichtlich der Genehmigung zwar zunächst keine sehr viel genauere Beschreibung der strafbaren Handlung; nur die den Genehmigungsvorbehalt betreffenden Güter sind spezifiziert, wobei auf Teil I der Ausfuhrliste weiterverwiesen wird. Allerdings lässt sich aus der Strafnorm des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG alleine kein sinnvoller Unrechtsgehalt bzw. keine vollständige Handlungsumschreibung entnehmen; erst durch Hinzunahme von § 8 Abs. 1 AWV, also durch das Zusammenlesen beider Normen, ergibt sich, wann eine Genehmigung erforderlich ist. Erst recht gilt dies etwa für § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 AWG, der die Ausfuhr ohne Genehmigung nach § 9 Abs. 1 AWV betrifft, nachdem in dieser Vorschrift noch genauer festgelegt ist, wann es einer Genehmigung bedarf, nämlich wenn der Ausführer vom BAFA darüber unterrichtet wurde, dass die betreffenden Güter u. a. für die Errichtung einer Anlage für kerntechnische Zwecke bestimmt sind und ein bestimmtes Bestimmungsland vorgesehen ist. Auch in den Fällen des § 18 Abs. 2 AWG ist daher das zu betrachtende Merkmal nicht einfach nur das Merkmal „ohne Genehmigung“, sondern das im Tatbestand ausdrücklich so formulierte Merkmal „ohne Genehmigung nach § 8 Abs. 1 [AWV]“ oder „ohne Genehmigung nach § 9 Abs. 1 [AWV]“. Erst wenn man diese Normen heranzieht, offenbart sich, in welchen Fällen eine Genehmigung notwendigerweise eingeholt werden muss. Man muss daher bei den genehmigungsabhängigen Straftatbeständen des § 18 AWG – unter der zunächst zugrunde gelegten Prämisse, dass das Merkmal der fehlenden Genehmigung ein (negatives) Tatbestandsmerkmal ist – bei dem Merkmal „gegen eine Genehmigungspflicht“ bzw. „ohne Genehmigung“ von einem Blankettmerkmal ausgehen. Dafür spricht, wie dargestellt, immerhin auch nach den herkömmlichen Abgrenzungskriterien, dass bei den betreffenden Normen des § 18 Abs. 2 AWG explizit auf andere Vorschriften („ohne Genehmigung nach § XY“) Bezug genommen wird. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch bei einem Zusammenlesen des jeweiligen Genehmigungstatbestands mit dessen Ausfüllungsnorm der gebildete Gesamttatbestand immer (noch) das Merkmal „ohne Genehmigung“ enthält. Betrachtet man z. B. § 18 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AWG i. V. m. Art. 2a 197 Diese Norm und § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 AWG werden exemplarisch für alle genehmigungsabhängigen Normen des § 18 Abs. 2 AWG behandelt, die im Wesentlichen gleich ausgestaltet sind.
D. Tatbestandsausschließende Genehmigung
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Abs. 1 lit. a der Iran-Embargo-VO198, so müsste der aus beiden Normen zusammengelesene Gesamttatbestand doch lauten: „Wer die in Anhang I aufgeführten Güter und Technologien [diese wären ebenfalls einzufügen, was an dieser Stelle aus Platzgründen unterbleibt] unmittelbar an iranische Personen […] ausführt etc., ohne vorher eine entsprechende Genehmigung eingeholt zu haben, wird bestraft.“
Durch das Zusammenlesen ist zunächst klargestellt, für welches Handeln eine Genehmigung erforderlich ist. Die Tatsache der fehlenden Genehmigung muss aber trotzdem noch in der zusammengelesenen Strafnorm enthalten bleiben, denn für eine Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AWG kommt es ja gerade darauf an, ob eine Genehmigung vorliegt oder nicht. Dass eine behördliche Genehmigung für das Täterhandeln existiert oder eben nicht, ist schließlich eine Tatsache; nur die Frage, wann eine Genehmigungspflicht besteht, kann bzw. muss durch Zuhilfenahme anderer Normen beantwortet werden. Aus der genannten Vorgehensweise ergibt sich die vielleicht ungewöhnliche Konsequenz, dass das Genehmigungsmerkmal einerseits in der ursprünglichen Strafvorschrift Blankettmerkmal ist – im Hinblick darauf, ob bzw. wann eine Genehmigung einzuholen ist –, beim Zusammenlesen dann aber als Tatbestandsmerkmal erhalten bleibt, wenn es um die Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Genehmigung geht. Dies kann entsprechend auf andere genehmigungsabhängige Straftatbestände übertragen werden. Möglich erscheint es zwar auch, bei Tatbeständen, die das Fehlen der erforderlichen Genehmigung mit Strafe bedrohen – die im AWG indes nicht vorkommen –, die Erforderlichkeit der Genehmigung als normatives Tatbestandsmerkmal anzusehen;199 Enderle zufolge kommt diesem Merkmal die Funktion zu, „ein sozialadäquates Verhalten zu ahndungswürdigem Unrecht zu machen“.200 Allerdings erscheint es willkürlich, auf ein einziges zusätzliches Wort abzustellen, das oftmals wohl auch rein zufällig in den Tatbestand integriert wurde. Es wäre schließlich möglich, bei jedem Genehmigungserfordernis von der „erforderlichen“ Genehmigung zu sprechen; wird ein Handeln ohne Genehmigung oder gegen eine Genehmigungspflicht strafbewehrt, ist in dem Fall die Genehmigung stets „erforderlich“. Das Merkmal der fehlenden Genehmigung bzw. des Verstoßes gegen eine Genehmigungspflicht bei genehmigungsabhängigen Normen stellt im Übrigen hinsichtlich der Frage, ob bzw. wann eine Genehmigung eingeholt werden muss, in der 198
VO (EU) Nr. 267/2012 vom 23. März 2012, zuletzt geändert durch die DurchführungsVO (EU) 2020/1242 vom 29. Juli 2021. Art. 2a Abs. 1 lit. A, lautet: „Eine vorherige Genehmigung ist erforderlich für den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr der in Anhang I aufgeführten Güter und Technologien unmittelbar an iranische Personen, Organisationen oder Einrichtungen oder zur Verwendung in Iran, unabhängig davon, ob es sich um Ursprungserzeugnisse der Union handelt oder nicht“. 199 Vgl. Wolf, S. 208. 200 Enderle, S. 249, die als Beispiel aber nur auf § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG verweist, der vom Handeln ohne Genehmigung der „erforderlichen Beförderung“ spricht, also gerade nicht von „erforderlicher Genehmigung“.
138
Kap. 3: Die Einordnung der behördlichen Genehmigung
Folge auch dann ein Blankettmerkmal dar, wenn man die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund ansieht. Die Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung wird nämlich erst dann relevant, wenn es um das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer notwendigen Genehmigung geht, nicht aber bei der Frage nach der Notwendigkeit der Genehmigung selbst. Diese vorgelagerte Frage kann nicht ohne Zuhilfenahme anderer Normen beantwortet werden; dies zeichnet ein Blankettmerkmal gerade aus. So lässt sich auch begründen, dass die Einordnung des Merkmals des Vorliegens bzw. Fehlens der notwendigen Genehmigung als Rechtfertigungsgrund auch nicht im Widerspruch mit der gesetzgeberischen Intention steht, nach der „in den Tatbeständen des Nebenstrafrechts […] die Umstände, welche die Handlung als unrechtmäßig kennzeichnen, vielfach zu Tatbestandsmerkmalen erhoben“ sind:201 Dies ergibt sich, wenn letzteres vorliegend (lediglich) auf den Umstand der Notwendigkeit einer behördlichen Genehmigung bezogen wird, dem, wie dargestellt, die Eigenschaft eines Tatbestandsmerkmals i. S. e. Blankettmerkmals zukommt.
E. Fazit Wie sich anhand der Auswertung von Rechtsprechung und Literatur ergeben hat, ist die Einordnung der behördlichen Genehmigung in den strafrechtlichen Deliktsaufbau im Einzelnen umstritten. Ob das Fehlen der Genehmigung ein negatives Tatbestandsmerkmal darstellt oder die Genehmigung Rechtfertigungsgrund ist und ob im ersten Fall die Bezugnahme auf die Genehmigungspflicht als normatives Tatbestandsmerkmal oder aber als Blankettmerkmal anzusehen ist, vermochte die Strafrechtswissenschaft bislang nicht abschließend zu klären. Indes konnte durch die obige Untersuchung festgestellt werden, dass das Genehmigungsmerkmal im Hinblick darauf, ob bzw. wann eine Genehmigung einzuholen ist, ein Blankettmerkmal darstellt, beim zusammengelesenen Tatbestand hinsichtlich der Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Genehmigung dagegen Rechtfertigungsgrund ist. In Bezug auf die Behandlung des Irrtums im Zusammenhang mit genehmigungsabhängigen Tatbeständen kommt es auf eine Unterscheidung von Tatbestandsmerkmal/Rechtfertigungsgrund letztendlich aber ohnehin nicht an. Wenn nach der hier vertretenen Auffassung die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund anzusehen ist, ist ohnehin im Einklang mit der h. M. der Irrtum über das Genehmigungserfordernis als Verbotsirrtum (in Form eines Erlaubnisirrtums) zu behandeln. Aber selbst bei Annahme eines negativen Tatbestandsmerkmals müsste bei konsequenter Anwendung der Schuldtheorie ein solcher Irrtum ein Verbotsirrtum sein. Warum dies der Fall ist, wird im nächsten Kapitel darzustellen sein.
201
Vgl. BT-Drucks. 5/1269, S. 46.
Kapitel 4
Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre A. Bestimmung des Untersuchungsrahmens Wie im ersten Kapitel dargestellt wurde, zeichnen sich die Tatbestände des Außenwirtschaftsstrafrechts dadurch aus, dass sie allesamt als – teilweise mehrstufige – Blankettnormen ausgestaltet sind und dass in mehreren Tatbeständen auf den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht rekurriert wird.1 Die dogmatische Behandlung bzw. Einordnung von Blankettnormen und die Einordnung des Merkmals der Genehmigung in den Tatbestand wurde in den letzten zwei Kapiteln untersucht und kritisch analysiert. Für das zentrale Thema dieser Arbeit, den Irrtum im Außenwirtschaftsstrafrecht, bedeutet dies, dass sich die nunmehr folgende Aufarbeitung der Irrtumslehre in erster Linie auch auf diese zwei Bereiche konzentrieren wird. Es soll mithin nicht auf alle Einzelheiten der Irrtumslehre eingegangen werden, denn dies würde dem Bezug dieser Untersuchung zum Außenwirtschaftsstrafrecht nicht entsprechen. Daher wird das Augenmerk der nachfolgenden Ausführungen in einem ersten Teil auf die Behandlung des Irrtums bei Blankettstrafnormen zu legen sein. Um dies indes in Kontext zu setzen und größeres Verständnis für den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs bei der Irrtumsthematik herzustellen, ist vorher noch ein kurzer „Ausflug“ in die Historie der Irrtumsdogmatik zu unternehmen. Sodann werden eine Erörterung der aktuellen gesetzlichen Regelungen in §§ 16, 17 StGB sowie der Anforderungen der herrschenden Meinung in Wissenschaft und Rechtsprechung an den Vorsatz bei den gemeinhin unterschiedenen Tatbestandsmerkmalstypen erfolgen und im Anschluss alternativ vorgeschlagene Lösungswege sowie die an der herkömmlichen Irrtumslehre geübte Kritik erläutert. In einem zweiten Teil ist auf die Behandlung des Irrtums im Zusammenhang mit Genehmigungspflichten einzugehen. Dabei sind auch hier zunächst die herrschende Irrtumslehre und die damit verbundenen Schwierigkeiten sowie andere, für tauglicher gehaltene Konzepte der Rechtswissenschaft darzustellen. Abgeschlossen werden soll dieses Kapitel zum Irrtum im allgemeinen Strafrecht durch die Darstellung der hier vertretenen Irrtumslehre.
1
Siehe dazu Kapitel 1 B. II. und IV. 1. und 2.
140
Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
B. Irrtumslehre als Kehrseite der Lehre von Vorsatz und Schuld „Die Lehre vom Vorsatz ist auch die Lehre vom Irrtum – und umgekehrt“, konstatiert Eisele.2 Bereits Warda sah in der strafrechtlichen Irrtumslehre die „Kehrseite der Lehre von den positiven Wissenserfordernissen des Vorsatzes und der Schuld“.3 Ausgehend von der Prämisse, dass zum Vorsatz ein bestimmtes Wissen gehört, muss beim Fehlen eben dieses Wissens der Vorsatz ausgeschlossen sein. Wenn man gleichermaßen für die Schuld eine gewisse Kenntnis verlangt, ist bei Fehlen dieser Kenntnis dann auch keine Schuld gegeben.4 Daher ist es vom Vorsatzbegriff abhängig, welcher Irrtum den Vorsatz ausschließt und welcher nicht. Von einer selbstständigen – d. h. von den Begriffen des Vorsatzes und der Schuld gelösten – Irrtumslehre auszugehen, wäre daher „methodisch verfehlt“5 ; „Ausgangspunkt und Kernstück“6 einer dogmatisch stringenten Irrtumslehre muss vielmehr die Frage nach den Voraussetzungen der für Vorsatz und Schuld geforderten Kenntnis des Täters sein. Warda bringt es dann auch auf den Punkt: „Erst aus dem Umstand, dass der Vorsatz und die Schuld bestimmte voneinander unterschiedliche Vorstellungen des Täters erfordern, folgt die Unterscheidung zwischen einem vorsatzausschließenden und einem schuldberührenden Irrtum.“7 Diesem Grundsatz folgend, soll in diesem Kapitel bei der Untersuchung der Irrtumsthematik der Fokus stets darauf gelegt werden, auf welche Merkmale sich der Vorsatz zu beziehen hat. Dies ist insbesondere bei den im Außenwirtschaftsstrafrecht interessierenden Blankettmerkmalen deshalb von entscheidender Bedeutung, weil hiervon abhängig ist, ob der herrschenden Auffassung mit ihrer Annahme eines Verbotsirrtums beim Irrtum über die Existenz der blankettausfüllenden Norm bzw. über das dort statuierte Ge- oder Verbot beizupflichten oder aber der erstarkenden Gegenmeinung zu folgen ist, die für vorsätzliches Handeln auch die Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm fordert.
C. Historischer Kontext der Irrtumslehre Selbst wenn man eigentlich meinen möchte, dass durch die Grundsatzentscheidung des Großen Strafsenats des BGH vom 18. März 19528 betreffend die Abkehr von der reichsgerichtlichen Irrtumsrechtsprechung und spätestens mit der Ent2
Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 11 Rn. 57. Warda, S. 32. 4 Warda, S. 32. 5 Warda, S. 32. 6 Warda, S. 32. 7 Warda, S. 32. 8 BGHSt 2, 194. 3
C. Historischer Kontext der Irrtumslehre
141
scheidung des Gesetzgebers für die Schuldtheorie durch Normierung der §§ 16, 17 StGB9 – zu beidem werden weiter unten noch Darstellungen erfolgen – sowohl die Aussagen des Reichsgerichts zur Abgrenzung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum als auch die Vorsatztheorie ad acta gelegt sein müssten, erweist sich diese Annahme als nicht gänzlich zutreffend. Da auch in jüngerer Zeit eine nicht unbeachtliche Zahl von Autoren bei der Abgrenzung von §§ 16, 17 StGB den Ansatz des Reichsgerichts zu Lösung der Irrtumsproblematik heranzieht,10 ist dessen Rechtsprechung nicht nur dogmengeschichtlich von Interesse, sondern strahlt vielmehr bis heute in die nach wie vor rege Diskussion aus und soll daher zum tieferen Verständnis den weiteren Erläuterungen vorangestellt werden. Auch die Vorsatztheorie wird gerade in jüngerer Zeit wieder von einigen Vertretern des Schrifttums aufgegriffen, vor allem im Bereich des Nebenstrafrechts, wobei insbesondere die Auffassung vertreten wird, auch de lege lata sei die Vorsatztheorie bzw. die Konzeption des Vorsatzes als dolus malus mit den Vorschriften der §§ 16, 17 StGB vereinbar.11 Vorgreifend zur später noch vorzunehmenden Auseinandersetzung mit diesen Literaturmeinungen widmen sich die folgenden Ausführungen zum historischen Kontext der Irrtumslehre daher zunächst der Erläuterung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung mitsamt der Kritik an selbiger, den im damaligen Schrifttum bereits vertretenen alternativen Ansätzen – Vorsatz- und Schuldtheorie – sowie dem Weg über die Rechtsprechungsänderung zur Behandlung des Irrtums durch den Beschluss des Großen Strafsenats am BGH vom 18. März 195212 bis zur heutigen Rechtslage.
I. Rechtsprechung des Reichsgerichts Im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 fand sich eine Irrtumsregelung in § 59 StGB a. F. Dieser lautete: „(1) Wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. (2) Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist.“
Der Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift wurde durch das Reichsgericht als ausreichende Grundlage für den Schuldvorwurf angesehen; ein sonst wie geartetes Unrechtsbewusstsein sollte weder Voraussetzung für ein vorsätzliches Handeln noch
9
Gesetz zur Neufassung des StGB vom 1. 1. 1975, BGBl. 1975 I, S. 1 ff. Siehe nur Papathanasiou, S. 70 f. 11 So etwa Gómez, GA 2010, S. 259 ff., 274; Jakobs, Rudolphi-FS 2004, S. 107 ff., 121 f.; ders., RW 2010, 283 (299 ff.); Walter, S. 430. 12 BGHSt 2, 194. 10
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Bestandteil eines vom Vorsatz getrennten Elements der Schuld sein.13 Dazu ist anzumerken, dass zur Zeit des Reichsgerichts im dreigliedrigen Verbrechensaufbau – Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld – der Vorsatz, anders als heute, nicht in der Tatbestandsmäßigkeit angesiedelt, sondern als Schuldelement angesehen wurde.14 Die Auslegung des § 59 StGB a. F. war von Anfang an problematisch; eine ausdrückliche Regelung des Verbotsirrtums fehlte, sodass das Reichsgericht auf andere Kriterien zur Unterscheidung von vorsatzausschließendem bzw. nicht vorsatzausschließendem Irrtum zurückgreifen musste.15 1. Tatirrtum und strafrechtlicher bzw. außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum Diese Abgrenzung nahm das Reichsgericht anhand der Unterscheidung von „Tatirrtum“ („error facti“) und „Rechtsirrtum“ („error iuris“) vor. Als Tatirrtum bzw. Tatsachenirrtum wurde der Irrtum über tatsächliche, den menschlichen Sinnen zugängliche Gegebenheiten, d. h. über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestandes einschließlich der rechtfertigenden Tatumstände, die „tatsächlicher“ Natur sind, verstanden; ein Rechtsirrtum sollte hingegen der Irrtum über die Existenz oder die Reichweite eines Rechtssatzes bzw. über die Rechtswidrigkeit der Handlung sein.16 Dabei ist anzumerken, dass nach herrschender Auffassung die Begriffspaare Tatsachenirrtum – Rechtsirrtum des Reichsgerichts und die heute verwendeten Bezeichnungen Tatumstandsirrtum – Verbotsirrtum nicht synonym sind; „es sei nur daran erinnert, daß ein Irrtum über Tatbestandsmerkmale auch Rechtsirrtum sein kann, z. B. der Irrtum über die Fremdheit der Sache in §§ 242, 246 StGB“.17 Nur der Tatirrtum hatte im genannten § 59 StGB a. F. eine gesetzliche Regelung erfahren; er ließ den Vorsatz entfallen. Der Rechtsirrtum hingegen hatte keine Entsprechung im Gesetz gefunden; seine Existenz sowie die Notwendigkeit der Abgrenzung vom Tatirrtum nach § 59 StGB a. F. waren in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung aber anerkannt.18 Im Grundsatz war, wie bereits kurz ausgeführt, nach der Lehre des Reichsgerichts das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit keine Voraussetzung der Strafbarkeit (error iuris criminalis nocet); „das Strafgesetz fordert für seine Anwendung mehr nicht, als daß der Täter das Bewußtsein derjenigen Umstände gehabt habe, in welchen das Gesetz die Merkmale einer strafbaren
13
Backes, S. 30. Wolf, S. 26; vgl. auch Papathanasiou, S. 72. 15 Vgl. Dietmeier, S. 154. 16 BGHSt 2, 194 (197 f.); vgl. auch Dietmeier, S. 155; A. Lange, S. 82; Tischler, S. 40 f. 17 Warda, S. 21. – Zur Gegenauffassung aber noch unten. 18 Vgl. RGSt 1, 368 (369 f.); RGSt 2, 268 (269).
14
C. Historischer Kontext der Irrtumslehre
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Handlung erblickt. […] Es kann nicht gefordert werden, daß der Täter sich der Rechtswidrigkeit, des Unerlaubtseins seiner Handlung bewußt gewesen sein müsse“.19
Der Rechtsirrtum wurde vom Reichsgericht folglich als grundsätzlich unbeachtlich eingestuft; dies wurde mit dem Argument untermauert, der Staat könne vom Einzelnen erwarten, die (straf-)rechtlichen Ge- und Verbote zu kennen.20 Was durch einen Straftatbestand verboten sei, widerspreche „in der Regel auch dem allgemeinen Sittengesetz oder doch derjenigen Denkweise, die im staatlichen Leben jeweils richtungsgebend und als solche allgemein bekannt ist“.21 Daher könne es dem Einzelnen zugemutet werden, „sich in den Schranken der Strafgesetze auch dann zu halten, wenn ihm deren Reichweite im Einzelnen nicht bekannt ist, sogar nicht bekannt sein kann“.22 Die Kritik, eine solche Rechtsprechung sei unverhältnismäßig, weil vom Bürger nicht verlangt werden könne, von der Existenz aller durch die Rechtsordnung strafbewehrten Verhaltensnormen zu wissen, führte dazu, dass der Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums durch das Reichsgericht aus Billigkeitserwägungen eingeschränkt wurde. Der Rechtsirrtum wurde daher nochmals unterteilt in den Irrtum über außerstrafrechtliche und dem Irrtum über strafrechtliche Rechtssätze. Zum außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum zählte das Reichsgericht vor allem den Irrtum über diejenigen Tatumstände des gesetzlichen Tatbestandes, die in Rechtsbeziehungen und Rechtsverhältnissen außerhalb des Strafrechts bestehen, außerdem den Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines außerstrafrechtlich geregelten Rechtfertigungsgrundes und den Irrtum über außerstrafrechtliche Ausfüllungsnormen von Blankettstrafgesetzen.23 Diese nicht dem Strafrecht angehörenden Normbefehle, die lediglich in Bezug genommen wurden, behandelte das Reichsgericht wie Tatsachen, sodass auch der außerstrafrechtliche Rechtsirrtum gleich dem Tatirrtum vorsatzausschließende Wirkung i. S. d. § 59 StGB a. F. entfaltete.24 Der strafrechtliche Rechtsirrtum war hingegen unbeachtlich und ließ Vorsatz und Schuld unberührt; als ein solcher wurde der Irrtum über das Strafgesetz aufgefasst, der sich entweder als Irrtum über das im Strafgesetz enthaltene Verbot, die irrige Annahme einer nicht bestehenden rechtfertigenden Norm, egal ob diese für den Fall ihres Bestehens strafrechtlicher oder außerstrafrechtlicher Natur war, oder als Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines im Strafrecht geregelten Rechtfertigungsgrundes darstellen konnte.25 Der strafrechtliche Rechtsirrtum konnte sich aber auch auf 19
RGSt 2, 269. Vgl. RGSt 7, 240 (242). 21 RGSt 57, 404 (408). 22 RGSt 57, 404 (408). 23 Vgl. BGHSt 2, 194 (198). 24 Vgl. Wissmann, S. 51. 25 Vgl. BGHSt 2, 194 (198).
20
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Rechtsbegriffe des Unrechtstatbestandes beziehen, wenn diese Tatbestandsmerkmale strafrechtlicher Natur waren.26 Waren Blankettnorm und Ausfüllungsvorschrift im selben Gesetz enthalten, handelte es sich nach reichsgerichtlicher Auffassung beim Irrtum über die Existenz oder die Reichweite der Ausfüllungsnorm ebenfalls um einen unbeachtlichen strafrechtlichen Rechtsirrtum.27 Solange der Tatbestand bewusst und gewollt verwirklicht wurde, war unerheblich, ob ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit oder auch nur die Möglichkeit eines solchen Bewusstseins gegeben war,28 womit sich auch eine Vermeidbarkeitsprüfung erübrigte. Eine Milderungsmöglichkeit, wie im heutigen § 17 Satz 2 StGB, war ebenfalls nicht vorgesehen. Im Ergebnis wirkte nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Täters also stets dann vorsatzausschließend, wenn es sich auf eine Vorschrift bezog, die nicht im Strafgesetzbuch geregelt war, sondern etwa aus dem Verwaltungs- oder Zivilrecht stammte; dagegen entschuldigte es den Täter in keinem Fall, wenn ihm das Unrechtsbewusstsein gefehlt hatte, weil er sich über das Bestehen oder die Anwendbarkeit eines Rechtssatzes des Strafrechts geirrt hatte – hier lag nur ein vorsatz- und schuldirrelevanter strafrechtlicher Rechtsirrtum vor.29 2. Irrtum über Blankettnormen grundsätzlich als außerstrafrechtlicher Irrtum Dem Irrtum über Blankettmerkmale, nach Rechtsprechung des Reichsgerichts ein außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum,30 kam somit vorsatzausschließende Wirkung zu. Besonders deutlich kommt dies in folgenden Ausführungen zur Geltung: „Hiervon aber abgesehen, findet der Grundsatz [,ignorantia iuris nocet‘], von dem das Kammergericht ausgeht, auf die ein Blankettgesetz ausfüllenden Verordnungen, wie sie hier in Frage stehen, überhaupt keine Anwendung. Denn es handelt sich hierbei nicht um das Strafgesetz selbst, sondern nur um öffentlich-rechtliche Anordnungen, die nicht einen Bestandteil des Strafgesetzes, sondern die Voraussetzung seiner Anwendbarkeit bilden. Sie sind daher als Tatumstände im Sinne des § 59 StGB zu bewerten. Daraus folgt, daß den Täter eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nur dann trifft, wenn er das Dasein und die Tragweite solcher Verordnungen entweder nachweislich gekannt oder aus Fahrlässigkeit nicht gekannt hat“.31
Ein Beispiel dieser Rechtsprechung ist ein vom Reichsgericht entschiedener Fall, der einen Verstoß gegen den Blankettstraftatbestand des § 328 StGB a. F. zum Ge26 So z. B. der Begriff „dieselbe Rechtssache“ im Rahmen des Parteiverrats; siehe RGSt 62, 155 (157); vgl. hierzu Papathanasiou, S. 72 und Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 734. 27 RGSt 37, 389 (392). 28 Vgl. BGHSt 2, 194 (198). 29 Vgl. Hartung, DRZ 1949, 342. 30 Sofern es sich nicht um einen Verweis innerhalb desselben Gesetzes handelte; vgl. dazu im übernächsten Absatz. 31 RGSt 56, 337 (339).
C. Historischer Kontext der Irrtumslehre
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genstand hatte, der die Verletzung von Maßnahmen gegen Viehseuchen sanktionierte. Im zugrundeliegenden Sachverhalt war aufgrund des regionalen Befalls von Schafen durch die Pockenseuche der Handel mit Schafen durch den zuständigen Amtsvorsteher verboten und ein Sperrgebiet eingerichtet worden. Entgegen diesen Anordnungen hatte der Angeklagte einen Hammel verkauft, der anschließend aus dem Sperrgebiet ausgeführt wurde. Der Angeklagte berief sich nun im Prozess auf die Unkenntnis des Verbots. In den Urteilsgründen führte das Reichsgericht aus, dass § 328 StGB a. F. eine wissentliche Verletzung der behördlichen Anordnung erfordern würde: „Eine wissentliche Verletzung setzt aber nicht nur die Kenntnis des Verbots voraus, sondern auch das Bewußtsein, demselben durch die inkriminierte That entgegenzuhandeln; sie ist also ausgeschlossen, wenn der Angeklagte irrtümlich […] angenommen hat, durch seine Handlung nicht gegen die polizeiliche Anordnung zu verstoßen“.32
Auch in einem weiteren Fall, nach dessen Sachverhaltsfeststellung der Angeklagte entgegen einer Anordnung des zuständigen Regierungspräsidenten unter anderem ein Pferd nach Deutschland eingeführt hatte, führte der Senat aus, dass der genannten Anordnung nicht die Bedeutung eines Strafgesetzes zukomme; „ihre Verletzung wird bestraft aufgrund der Bestimmungen im Strafgesetzbuche (§ 328), im Viehseuchengesetze (§ 66) und im Vereinszollgesetze (§§ 134, 152). Die Strafkammer hat daher auch zutreffend angenommen, daß der Angeklagte, da er die Anordnung des Regierungspräsidenten nicht gekannt habe, wegen Vergehens gegen § 328 St.G.B.’s nicht verurteilt werden könne. Denn der § 328 setzt wissentliches Zuwiderhandeln voraus, und ein solches ist ausgeschlossen, wenn der Thäter das – außerhalb des Strafgesetzes – liegende Verbot oder dessen Zweck nicht kannte“.33
Da die Ausfüllungsvorschriften in diesen Fällen, wie oben ausgeführt, als nicht zur Strafnorm selbst gehörend, sondern vielmehr als Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit angesehen wurden, wurde ein Irrtum über das Bestehen oder den Inhalt der Ausfüllungsvorschriften als vorsatzausschließend betrachtet. Eine andere Handhabung erfolgte indes, wenn Blankettnorm und Ausfüllungsvorschrift im selben Gesetz enthalten waren. In diesem Fall wurde nach Auffassung des Reichsgerichts die Blanketttechnik lediglich aus gesetzesökonomischen Gründen, „dem Streben nach möglicher Kürze, Übersichtlichkeit und so zu erreichender Verständlichkeit des Gesetzestextes“ verwendet.34 Die demselben Gesetz wie die Blankettnorm entstammende Verbotsnorm, deren Übertretung mit Strafe bedroht wird, wurde demnach nicht als außerstrafrechtliche Norm, sondern „unauslösbarer Bestandteil“ des Strafgesetzes eingestuft und als Teil des Tatbestandes der strafbaren
32
RGSt 1, 1 (3); vgl. zum Fall Dietmeier, S. 157. RGSt 28, 195 (196 f.); vgl. zum Fall Dietmeier, S. 157 f. 34 RGSt 37, 389 (392); siehe dazu schon Kapitel 2 A. I. 2. a). 33
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Handlung gesehen.35 Unkenntnis der Ausfüllungsnorm führte hier daher nicht zum Vorsatzausschluss. Allerdings wurde diese grundsätzliche Unterscheidung nicht immer durchgehalten; bestimmte Merkmale aus eigentlich „außerstrafrechtlichen“ Normen wurden teilweise zu „strafrechtlichen“ Merkmalen erklärt – dazu auch sogleich unten –, etwa mit der Begründung, dass die Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm nur „auf Rücksichten der formellen Gesetzesökonomie“ beruhe.36 Diese Handhabe erfolgte insbesondere zur Zeit des Ersten Weltkriegs, in der eine Ausdehnung des Nebenstrafrechts durch kriegsbedingte Verordnungen erfolgte. Die Einordnung einer Verhaltensnorm als sachlicher Bestandteil der Strafnorm führte daher oftmals dazu, dass Gewerbetreibende schon lediglich aufgrund der Unüberschaubarkeit der Fülle an Blankettstrafnormen strafrechtlich belangt werden konnten.37 Auf diese Erkenntnis reagierte der Gesetzgeber mit der Irrtumsverordnung des Bundesrates von 1917,38 die für einen unverschuldeten Irrtum über dort in Bezug genommene kriegswirtschaftliche Strafnormen je nach Verfahrensstadium die Einstellung des Strafverfahrens, die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens oder den Freispruch des Angeklagten vorsah und die damit als Vorläufer des § 17 StGB gelten kann.39 Abgesehen von diesen speziellen Fällen blieb der strafrechtliche Rechtsirrtum bzw. das, was das Reichsgericht dazu zählte, allerdings unbeachtlich.40 3. Kritik: willkürliche Abgrenzung und Verstoß gegen Schuldprinzip Die Irrtumsrechtsprechung des Reichsgerichts unterlag starker Kritik durch die strafrechtswissenschaftliche Literatur, denn dadurch, dass nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts Tatirrtum und außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum den Vorsatz ausschlossen, während der strafrechtliche Rechtsirrtum vorsatz- und schuldirrelevant war, ergab sich die Problematik der Abgrenzung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum.41 Während zur Gründungszeit des Reichsgerichts in Deutschland Strafgesetze praktisch nur im Strafgesetzbuch vorhanden waren, dessen Strafnormen aus den sittlichen Überzeugungen der Bevölkerung gewachsen und im Wesentlichen jedem Bürger von Anfang an durch Elternhaus, Kirche, Schule und sonstiges Umfeld nahegebracht worden und daher auch bekannt waren, sodass die Behauptung der Verbotsunkenntnis kaum glaubhaft begründet werden konnte, wuchs die Zahl der Strafgesetze, insbesondere der Nebenstrafgesetze, im Laufe der Zeit
35
RGSt 37, 389 (392). RGSt 37, 389 (392); Andrzejewski, S. 192; Schuster, S. 44. 37 Andrzejewski, S. 192; Schuster, S. 45. 38 RGBl. 1917, S. 58. 39 Andrzejewski, S. 192; Schuster, S. 45. 40 Schuster, S. 46. 41 Tischler, S. 43. 36
C. Historischer Kontext der Irrtumslehre
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erheblich.42 Damit wurde es auch für die rechtsprechenden Instanzen schwieriger, zu entscheiden, welche Rechtssätze strafrechtlicher und welche außerstrafrechtlicher Natur sein sollten, insbesondere, weil viele neu geschaffene Strafgesetze den Verstoß gegen die „Beachtung auch reiner Zweckmäßigkeits- und Ordnungsnormen“ sanktionierten, bei denen von der Verankerung in den sittlichen Vorstellungen der Bevölkerung keine Rede mehr sein konnte, und teilweise auch nicht eindeutig war, welche Verbote oder Gebote hinter diesen Tatbeständen standen.43 Vom Schrifttum wurden die Undurchführbarkeit dieser Unterscheidung und die Tatsache bemängelt, dass „die Irrtumsjudikatur des Reichsgerichts insgesamt weniger an nachprüfbaren, begrifflichen Kriterien als vielmehr an Strafwürdigkeitserwägungen im Einzelfall orientiert war“.44 So sah sich das Reichsgericht dem Vorwurf ausgesetzt, vom gewünschten Ergebnis her zu argumentieren, d. h. „überall da, wo es den Irrtum entschuldigen wollte, einen außerstrafrechtlichen Irrtum anzunehmen, und überall da, wo es den Irrtum für unentschuldbar hielt, ihn für einen strafrechtlichen zu erklären“45, was freilich nicht immer gelang.46 Als außerstrafrechtlichen und damit vorsatzausschließenden Rechtsirrtum sah das Reichsgericht etwa den Irrtum über das Bestehen einer Jagdberechtigung47 oder die Jagdbarkeit eines Tieres,48 den Irrtum über Steuergesetze49 oder den Irrtum über das Vorliegen der von zuständiger Seite erteilten Genehmigung einer öffentlichen Lotterie50 an. Strafrechtlicher Natur sollte hingegen z. B. ein Irrtum über die Frage sein, ob es sich um eine öffentliche Lotterie handelt,51 oder in späteren Jahren auch ein Irrtum über die Beamteneigenschaft,52 der zuvor noch als außerstrafrechtlicher Irrtum bewertet worden war.53 Auf diese eher willkürliche Abgrenzung weist Kohlrausch – vor der Rechtsprechungswende hinsichtlich der Beamteneigenschaft – hin: „Es weichen denn auch einzelne Entscheidungen des Reichsgerichts von dem Grundsatz, dass die Stellung eines Begriffes im Strafgesetzbuch oder in einem anderen Gesetz maßgebend sei, ab. Ein Irrtum über die Begriffe ,Kaufmann‘, ,Soldat‘ hält das Gericht für unbeachtlich, obwohl hier über Vorschriften nicht des Strafgesetzbuches, sondern des Handelsgesetzbuches und der Wehrordnung geirrt wird. Andererseits beachtet es einen Irrtum über den Begriff ,Beamter‘, obwohl dieser im Strafbuch definiert ist. […] So ist der Eindruck 42
Hartung, DRZ 1949, 342 (343). Hartung, DRZ 1949, 342 (343). 44 Tischler, S. 44. 45 Welzel, Strafrecht, S. 143. 46 Hartung, DRZ 1949, 342 (343). 47 RGSt 10, 234 (236). 48 RGSt 19, 209 (211). 49 RGSt 61, 259 (263). 50 RGSt 3, 49 ff. 51 RGSt 16, 83 (86 f.). 52 RGSt 53, 131 f.; 73, 169 (171). 53 So etwa RGSt 23, 374 (375). 43
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
nicht abzuweisen, dass in diesen Ausnahmefällen von einem billig erscheinenden Ergebnis aus rückwärts argumentiert wurde“.54
Auch bei anderen Begriffen, wie dem der „Ehe“ oder der „Fremdheit“, die sich sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht finden, traf das Reichsgericht widersprüchliche Entscheidungen. Beispielsweise wurde in einem Fall, in dem es um den Tatbestand der Doppelehe nach § 171 StGB a. F. ging, der Irrtum über die vermeintlich erfolgte Auflösung der Ehe, also ein Irrtum über die Gültigkeit der Ehe, als ein solcher über zivilrechtliche Grundsätze und daher als außerstrafrechtlich eingestuft,55 während in einem anderen Fall, der die Blutschande nach § 173 StGB a. F. betraf, der Irrtum, „das Gesetz erkenne im § 173 eine rechtsgültige Eheschließung unter Verschwägerten auf- und absteigender Linie ersten Grades an und nehme den Beischlaf in solchem Falle von der Strafbarkeit aus“, als strafrechtlicher Irrtum und damit als unbeachtlich beurteilt wurde.56 Im zweiten Fall fällt auf, dass das Reichsgericht den Irrtum in zwei Teile unterteilte; erstens, dass der Täter irrtümlich annahm, seine Ehe sei nach dem Gesetz gültig; zweitens, dass der Täter glaubte, das Gesetz nehme hier den Beischlaf von der Strafbarkeit aus. Unbestreitbar ist, dass der erste Irrtum über die Gültigkeit der Ehe ein solcher über zivilrechtliche Normen und damit nach der Judikatur des Reichsgerichts außerstrafrechtlicher Natur ist. Der zweite „Irrtum“ stellt indes gar keinen Irrtum dar, denn für den Fall der Gültigkeit der Ehe hatte der Täter durchaus darin Recht, dass der Beischlaf nicht rechtswidrig war.57 Der einzige tatsächlich vorliegende Irrtum war damit derjenige über die Gültigkeit der Ehe und damit im Zivilrecht fußend, sodass dies eigentlich nach Maßstäben des Reichsgerichts wie im ersten Fall als außerstrafrechtlicher Irrtum und damit vorsatzausschließend zu bewerten gewesen wäre.58 Besonders in Bezug auf Blankettstrafnormen wurde die grundsätzliche Einordnung des Irrtums über das Bestehen oder den Inhalt der Ausfüllungsnorm als außerstrafrechtlicher Rechtsirrtum als unhaltbar bezeichnet.59 Das Strafgesetz setze sich aus zwei notwendigen Bestandteilen zusammen, der Beschreibung der ge- oder verbotenen Handlung und der Strafandrohung; ohne eines der beiden Elemente liege kein vollständiges Strafgesetz vor.60Auch bei Blankettstrafgesetzen sei die Umschreibung der tatbestandlichen Handlung stets wesentlicher Bestandteil des Strafgesetzes, die lediglich einer äußerlichen Trennung unterliege.61 Indem das Reichsgericht die Ausfüllungsnormen nun nicht als Teil des Strafgesetzes ansehe, sondern als „außerstrafrechtliche Normen“, stelle dies einen Widerspruch zu dieser Er54
Kohlrausch, S. 180 f. RGSt 9, 84 f. 56 RGSt 5, 159 ff. 57 Kohlrausch, S. 124. 58 Kohlrausch, S. 124. 59 Warda, S. 22. 60 Siehe dazu auch Kapitel 2 A. 61 Warda, S. 22 f.
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C. Historischer Kontext der Irrtumslehre
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kenntnis dar.62 Nicht nur dann, wenn Blankettnorm und Ausfüllungsnorm im selben Gesetz enthalten seien, sondern auch, wenn beide in unterschiedlichen Gesetzen stünden, müsse die Verbotsnorm als Teil des Tatbestandes der strafbaren Handlung angesehen werden.63 Ein weiterer Vorwurf, der gegen die Differenzierung des Reichsgerichts zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum vorgebracht wurde, betraf die Gefahr von zu großer Milde im Nebenstrafrecht.64 Bei diesem sich im Laufe des 20. Jahrhunderts weiter ausgebreiteten Feld mit seinen engen Bezügen zum Verwaltungsrecht lag eine Einordnung des Irrtums als außerstrafrechtlich nahe, weshalb es im Falle einer Verurteilung zu „Begründungsschwierigkeiten“ des erkennenden Gerichts kommen konnte.65 Schließlich wurde die generelle Unbeachtlichkeit eines fehlenden Unrechtsbewusstseins im Sinne einer Schuldirrelevanz des strafrechtlichen Rechtsirrtums angeprangert und als Verstoß gegen das Schuldprinzip abgelehnt.66 Die Handhabung des Reichsgerichts bot nämlich keine Möglichkeit zur Unterscheidung in solchen Fällen, in denen tatbestandsmäßiges und vorsätzliches Handeln für erlaubt angesehen werden konnte;67 auch bei einem unverschuldeten Strafrechtsirrtum wurde wegen „schuldloser“ Taten bestraft.68 Nach Auffassung des Schrifttums hingegen musste der Täter neben den Tatumständen auch den Unrechtsgehalt der Tat, insbesondere das Verbot oder Gebot, erkannt haben oder die Möglichkeit gehabt haben, dieses erkennen zu können, um ihm einen persönlichen Vorwurf aus seinem rechtswidrigen Verhalten zu machen; neben den Schuldelementen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit setze die persönliche Vorwerfbarkeit demnach auch das normative Schuldelement des Unrechtsbewusstseins voraus, und zwar unabhängig davon, ob sich der Irrtum auf strafrechtliche oder außerstrafrechtliche Rechtssätze beziehe.69 Immerhin ist dem Reichsgericht zumindest teilweise zugebilligt worden, durch die sich aufgrund der logischen Undurchführbarkeit der Abgrenzung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum ergebende Möglichkeit von Entscheidungen nach dem Rechtsgefühl im Einzelfall zu gerechten Entscheidungen gekommen zu sein.70 62
Warda, S. 23. Warda, S. 23 f. 64 Vgl. Tischler, S. 355; Wolf, S. 30. 65 Vgl. Tischler, S. 355; Wolf, S. 30. 66 Vgl. Tischler, S. 356. 67 Hartung, DRZ 1949, 342 (343). 68 BGHSt 2, 194 (202). 69 Vgl. Backes, S. 31. 70 BGHSt 2, 194 (203); Busch, S. 28; Jescheck, ZStW 1981, 3 (33 f.); Müller-Magdeburg, S. 45; Schmidt-Leichner, GA 54, 1 (2). – Dass dies durchaus nicht immer der Fall war und die Auslegungsspielräume auch genutzt wurden, um politische Präferenzen in Bezug auf Minderheiten durchzusetzen, stellt Vogel, S. 65, fest: „Die Notwehr- und Irrtumsdogmatik wurde 63
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II. Schrifttum: Vorsatztheorie vs. Schuldtheorie Einig war man sich im Schrifttum hinsichtlich der grundsätzlichen Unhaltbarkeit der Rechtsprechung des Reichsgerichts, insbesondere was dessen Unterscheidung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum und die postulierte Unbeachtlichkeit des fehlenden Unrechtsbewusstseins anging. Während die Vertreter der Strafrechtswissenschaft übereinstimmend das Unrechtsbewusstsein als wesentliche Voraussetzung für den Schuldvorwurf ansahen, war die Frage nach dem systematischen Standort des Unrechtsbewusstseins und der strafrechtlichen Konsequenzen des Bestehens bzw. Fehlens eines solchen Unrechtsbewusstseins umstritten. Im Wesentlichen standen sich zwei Lager gegenüber, die Vertreter der Vorsatztheorie und die Vertreter der Schuldtheorie.71 1. Vorsatztheorie Die eine aus der Kritik an der reichsgerichtlichen Irrtumslehre entstandene,72 zunächst überwiegend vertretene73 Auffassung sah das Unrechtsbewusstsein als notwendiges Element des Vorsatzes an und nahm folglich an, dass nur bei Bestehen eines dolus malus, d. h. dem aktuellen Bewusstsein des Täters, Unrecht zu tun, eine Vorsatzschuld gegeben sei, weil im Hinblick auf den Schuldgrundsatz nur die „bewusste Auflehnung gegen Recht und Frieden“74 als strafwürdig erachtet werden könne. In dieser bewussten Auflehnung gegen die Gebots- und Verbotsnormen liege, zumindest beim vorsätzlichen Delikt, der „Kern der Schuld“.75 Die Strafandrohung sei im Hinblick auf den Schuldgrundsatz nur gerechtfertigt, „wenn der Täter sich bewusst über das Recht hinweggesetzt hat“.76 Nach dieser sog. Vorsatztheorie stellte der Vorsatz im Einklang mit der damals noch vorherrschenden kausalen Handlungslehre bzw. mit dem sog. klassischen Strafbarkeitsaufbau77 ein Schuldelement dar, das nicht nur das Bewusstsein der Tatbestandsmerkmale, sondern – im Gegensatz zur Auffassung des Reichsgerichts – auch das aktuelle Bewusstsein der Rechtswidrigkeit zum Inhalt haben sollte.78 Sowohl bei fehlender Kenntnis der Tatumstände als auch bei fehlendem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit trotz offen politisch gehandhabt: contra reum bei Juden, Fremdvolkangehörigen und Regimegegnern, pro reo bei Nationalsozialisten“. 71 Diese Begrifflichkeiten wurden erst später durch Welzel begründet; vgl. dazu Tischler, S. 52, 54. 72 Vgl. Welzel, Strafrecht, S. 159. 73 Vgl. Welzel, SJZ 1948, Sp. 368 (369). 74 Binding, Strafrecht, S. 116. 75 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 77. 76 Schmidhäuser, AT, § 10 Rn. 64. 77 Nach der kausalen Handlungslehre genügt für die Annahme einer tatbestandsmäßigen Handlung die reine Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges; vgl. Rosenbaum, S. 40. 78 Welzel, Strafrecht, S. 143.
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Kenntnis aller Tatumstände entfiel demnach der als dolus malus verstandene Vorsatz;79 § 59 StGB a. F. wurde insoweit auch auf den Verbotsirrtum unmittelbar angewendet.80 Eine Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum erübrigte sich jedenfalls für die sog. strenge Vorsatztheorie, die für das zum dolus malus erforderliche Unrechtsbewusstsein forderte, dass der Täter bei Begehung der Tat auch wirklich wusste, dass sein Verhalten unrechtmäßig war, d. h. ein aktuelles Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hatte; nach der strengen Vorsatztheorie wirkte jeder Irrtum, sei es über die Tatbestandsmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit, vorsatzausschließend.81 Fehlte dem Täter das Unrechtsbewusstsein, war eine vorsätzliche Tat nicht gegeben und die Tat konnte nur im Falle der Normierung einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit geahndet werden. Weil diese Variante der Vorsatztheorie bedeutete, dass auch der den Anforderungen der Rechtsordnung gegenüber völlig indifferente oder sogar moralisch fehlgeleitete Täter nur im Falle des Vorhandenseins einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bestraft werden konnte, genügte nach der später begründeten sog. eingeschränkten Vorsatztheorie ausnahmsweise auch potentielles Unrechtsbewusstsein für die Vorsatzstrafe.82 Irrte sich der Täter aus Rechtsblindheit oder Rechtsfeindschaft über die Rechtswidrigkeit seiner Tat, beruhte der Irrtum also auf einer Einstellung, „die mit einer gesunden Auffassung von Recht und Unrecht unvereinbar ist“83, sollte das Unrechtsbewusstsein fingiert werden und mithin vorsätzliches Handeln vorliegen.84 Indes wurde schon hier, anders als bei der strengen Vorsatztheorie, eine Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum notwendig, da dem „Rechtsfeind“ aufgrund einer Fiktion des Unrechtsbewusstseins vorsätzliches Handeln i. S. d. Verbotsirrtums angelastet wurde.85 Wieder andere Vertreter der Vorsatztheorie schlugen alternativ zum Konzept der Rechtsfeindschaft vor, bei groben Rechtsirrtümern Maßregeln der Besserung und Sicherung zu verhängen oder de lege ferenda einen Sammeltatbestand der Rechtsfahrlässigkeit einzuführen,86 was allerdings ebenfalls einer klaren Abgrenzung bei rechtsbezogenen Irrtümern entgegenstand.87
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Tischler, S. 22. BGHSt 2, 194 (205). 81 Papathanasiou, S. 134; Tischler, S. 23. 82 Glandien, S. 32; Schuster, S. 51; Tischler, S. 23. 83 Mezger, Moderne Wege, S. 45. 84 Mezger, NJW 1951, 500 (502). 85 Tischler, S. 23. – Auch andere Konzepte der Vorsatztheorie wurden aufgrund der Schwachstellen der strengen Vorsatztheorie vorgeschlagen, sollen an dieser Stelle indes nicht weiter vertieft werden; dazu Schuster, S. 52. 86 Engisch, S. 247; Lang-Hinrichsen, ZStW 63 (1951), 332 (348 f.). 87 BGHSt 2, 194 (207); Schuster, S. 52. 80
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2. Schuldtheorie Der Vorsatztheorie gegenüber standen die historischen Vertreter der Schuldtheorie. Im Sinne der von Welzel entwickelten finalistischen Verbrechenslehre88 wurde nach der Schuldtheorie mehrheitlich89 der Vorsatz als subjektives Handlungselement dem Tatbestand zugeordnet; der Vorsatz rückte „sozusagen ,von unten‘ – von der Schuld – ,nach oben‘ – in den Tatbestand“ auf.90 Nach der finalen Handlungslehre stellte die Rechtswidrigkeit der Handlung ein wertendes Urteil über die menschliche Handlung dar, die der betreffenden Handlung den Stempel „verboten“ aufdrückt.91 Wertung und Gegenstand der Wertung müssten auseinandergehalten werden, weshalb „die zur Handlung gehörenden Elemente als Gegenstand der Wertung nicht von dem Ergebnis der Wertung (dem Urteil: rechtswidrig) abhängen [können]. Da andererseits nach der finalen Handlungslehre der Vorsatz zur Handlung gehört und damit Teil des gewerteten Gegenstandes ist, kann zu ihm nicht das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und damit die Kenntnis vom Ergebnis der Wertung gehören“.92
Hieraus ergab sich, dass Vorsatz und Unrechtsbewusstsein zu trennen waren. Busch erläuterte die Unhaltbarkeit der Ansicht, das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit zum Inhalt des Vorsatzes zu machen, anhand eines prägnanten Beispiels: „[D]erjenige, der als Einsatzleiter bei einem Luftangriff einen ihm zugeteilten SA-Mann, der ihm zum zweiten Mal wegen Plünderns vorgeführt wird, in der irrigen Meinung, er dürfe dies ohne gerichtliches Urteil auf Grund seines Dienstauftrages tun, kurzer Hand erschießt, [tötet] vorsätzlich und nicht nur – bei Vermeidbarkeit des Irrtums – fahrlässig einen Menschen […]“.93
Zu einem ähnlichen Beispiel konstatierte Welzel: „Dass der Täter seinem Opfer wissentlich und willentlich das Leben genommen hat, ist schlechterdings nicht zu bestreiten“.94 In einem solchen Fall, indem sich „so leichtfertig über fundamentale ethische Normen“ hinweggesetzt werde, mit der Vorsatztheorie lediglich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit anzunehmen, sei „ganz ungerecht“.95 Der Schuldtheorie zufolge war also zwischen Tatbestandsvorsatz und Unrechtsbewusstsein zu unterscheiden; die reichsgerichtliche Unterscheidung zwischen Tatirrtum und Rechtsirrtum wurde zu Gunsten einer Dichotomie von Tat88 Auch als finale Handlungslehre bezeichnet, nach der schon auf Tatbestandsebene die Zwecksetzung der Handlung im Sinne des Vorsatzes geprüft wird; vgl. Rosenbaum, S. 41. 89 Die andere Lösung war das „Begreifen der Rechtswidrigkeit als selbständiges Schuldelement neben dem Vorsatz“; vgl. Baumann, AT 1964, S. 388. 90 Ambos, JA 2007, 1 (4). 91 Vgl. Samson, Strafverfolgung, S. 99 (103). 92 Samson, Strafverfolgung, S. 99 (103). 93 Busch, S. 29. 94 Welzel, SJZ 1948, Sp. 368 (370). 95 Welzel, SJZ 1948, Sp. 368 (370).
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umstands- und Verbotsirrtum aufgegeben.96 Dementsprechend sollte der Täter mit Tatbestandsvorsatz handeln, wenn er wusste, was er tat. Wusste er darüber hinaus auch, dass sein Handeln rechtlich verboten, d. h. rechtswidrig war, handelte er mit Unrechtsbewusstsein.97 Dieses Unrechtsbewusstsein wurde, wie schon erwähnt, von den Anhängern der Schuldtheorie als ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Schuldelement begriffen.98 Hingegen sollten Bezugspunkte des Vorsatzes nur die in § 59 StGB a. F. genannten „Tatumstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören“, sein. Fehlte lediglich das Unrechtsbewusstsein und lag mithin ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat vor, befand sich der Täter bloß in einem den Vorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum; war dieser unvermeidbar, entfiel trotz bestehenden Vorsatzes der Schuldvorwurf. War er aber vermeidbar, wurde der Täter wegen vorsätzlicher Tatverwirklichung bestraft; seine Strafe konnte allerdings wegen verminderter Schuld in analoger Anwendung von § 51 Abs. 2 StGB a. F. gemildert werden.99 Die Vertreter der Schuldtheorie begründeten auch, warum lediglich ein unvermeidbarer Verbotsirrtum die Schuld bei vorsätzlicher Tatverwirklichung ausschließen, die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht mithin ausreichend für den Schuldvorwurf und daher kein aktuelles Unrechtsbewusstsein erforderlich sein sollte: Ein aktuelles Bewusstsein der Rechtswidrigkeit sei oftmals gar nicht vorhanden, etwa wenn der Täter in starker emotionaler Erregung oder im Affekt handele. Fordere man in diesen Fällen ein aktuelles Unrechtsbewusstsein, so stehe der Richter hier „vor der unausweichlichen Alternative, zwischen einem unerträglichen Freispruch und einer die Lebenswirklichkeit ignorierenden Feststellung des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit wählen zu müssen“.100 Als weiterer Vorteil der Schuldtheorie wurde durch die Ablehnung der Forderung eines aktuellen Unrechtsbewusstseins ferner die Möglichkeit der Bestrafung des im Verbotsirrtum handelnden Täters benannt, wenn die fahrlässige Begehung der betreffenden Tat vom Gesetz nicht unter Strafe gestellt war.101 So argumentierte Welzel, dass auch bei fehlendem, aber dem Täter grundsätzlich möglichem Unrechtsbewusstsein schuldhaftes Handeln vorliege, weil die Kenntnis der Tatumstände – also das, was den Vorsatz ausmacht – dem Täter hinreichend Anlass gebe, sich Gedanken um das Verboten- oder Erlaubtsein seiner Handlung zu machen.102 Die Grundannahme der (historischen) Schuldtheorie lag damit in der Appellfunktion des Tatbestandes bzw. des Tatbestandsvorsatzes.103 Der Vorsatz sollte die 96
Otto, Meyer-GS 1990, S. 583. Enderle, S. 295. 98 BGHSt 2, 194 (208). 99 Vgl. Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (176). 100 Busch, S. 29. 101 Welzel, Abhandlungen, S. 253 ff. 102 Welzel, Strafrecht, S. 142, 145 ff., 159. 103 Walter, S. 393. 97
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Willensrichtung der Handlung enthalten und wertfrei sein, während das Unrechtsbewusstsein in der Schuld als Wertung des Tatbestands verbleiben sollte.104 Die Gültigkeit dieser Grundannahme wird allerdings in heutiger Zeit insbesondere für das Nebenstrafrecht von einer wachsenden Zahl an Stimmen bezweifelt. Dies wird an späterer Stelle noch zu diskutieren sein.
III. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1. Aufgabe der reichsgerichtlichen Irrtumsrechtsprechung in BGHSt 2, 194 a) Kernaussagen der Entscheidung Auch nachdem das Reichsgericht aufgehört hatte zu existieren,105 behielt der am 1. Oktober 1950 gegründete Bundesgerichtshof die durch das Reichsgericht begründete Irrtumsrechtsprechung zunächst größtenteils bei.106 Erst im „bahnbrechenden“107 Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 18. März 1952 wurde, nach wie vor auf der Grundlage des weiterhin geltenden § 59 StGB a. F., erstmalig höchstrichterlich der Unterscheidung des Reichsgerichts zwischen Tat- und Rechtsirrtum und innerhalb von letzterem zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum eine Absage erteilt und der Schuldtheorie der Vorzug vor der Vorsatztheorie gegeben.108 Schon vorher hatten sich mehrere Oberlandesgerichte – teils aus kriminalpolitischen Gründen – im Sinne der Schuldtheorie ausgesprochen.109 Der Große Senat führte zunächst aus, warum die These des Reichsgerichts, ein Irrtum über das Strafgesetz sei unbeachtlich und das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit keine Voraussetzung der Strafbarkeit, gegen den Schuldgrundsatz verstoße. Da sich der Mensch selbstbestimmt verhalten könne, sei ihm grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, sich zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden.110 Wenn der Täter aber im Einzelfall die Verbotsnorm nicht kenne oder verkenne, habe er in diesem Fall kein Unrechtsbewusstsein und könne sich daher gar nicht für oder gegen das Unrecht entscheiden, wobei das
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Papathanasiou, S. 170. In BGHZ 6, 64, wurde festgestellt, dass das RG im Jahr 1945 „endgültig aufgehört hat zu bestehen.“ 106 Warda, S. 26. 107 Enderle, S. 298. 108 BGHSt 2, 194. 109 OLG Oldenburg NJW 1950, 795 (796); OLG Stuttgart DRZ 1949, 164 f.; vgl. auch Arzt, ZStW 91 (1979), 857 (861, 882) und Groteguth, S. 15 Fn. 2. 110 Vgl. hierzu und zum Folgenden BGHSt 2, 194 ff. 105
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„Bewußtsein der Rechtswidrigkeit […] überall weder die Kenntnis der Strafbarkeit noch die Kenntnis der das Verbot enthaltenden gesetzlichen Vorschrift [bedeutet]. Andererseits genügt es auch nicht, dass der Täter sich bewußt ist, daß sein Tun sittlich verwerflich ist. Vielmehr muß er, zwar nicht in rechtstechnischer Beurteilung, aber doch in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Wertung das Unrechtmäßige der Tat erkennen oder bei gehöriger Gewissensanspannung erkennen können“.111
Da es dem Einzelnen in der Regel zumutbar sei, diesbezügliche Wissensmängel zu beheben, führe nur ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zum Schuldausschluss; ansonsten könne der Schuldvorwurf gemildert werden. Die Annahme des Reichsgerichts, ein Irrtum über das Strafgesetz, also ein Verbotsirrtum, schließe die Strafbarkeit nie aus, führe daher im Falle des unverschuldeten Verbotsirrtums zu einer Bestrafung, obwohl ein Schuldvorwurf gegen den Täter nicht erhoben werden könne „und damit zur Verletzung des unabdingbaren Grundsatzes allen Strafens, daß Strafe Schuld voraussetzt“.112 Es könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr angenommen werden, dass jedermann sämtliche den Strafgesetzen zugrundeliegende Verbote und Gebote kenne oder kennen müsse, denn die mittlerweile in großer Zahl vorhandenen strafrechtlichen Nebengesetze beruhten „vielfach nicht auf allgemeinen sittlichen Anschauungen, sondern auf Erwägungen sozialer oder rein staatlicher Zweckmäßigkeit“.113 Ebenfalls kritisierte der Große Senat die Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum; der Gegenstand des Irrtums könne für „die entscheidende Frage, ob der Täter das Unrechtmäßige seines Tuns erkennen konnte“, nicht allein entscheidend sein und die Unterscheidung sei schon logisch gar nicht durchführbar.114 Bei der Frage der Behandlung des fehlenden Unrechtsbewusstseins, also des Verbotsirrtums, schloss sich der Große Senat in seinen folgenden Ausführungen dann der Schuldtheorie an, die er für vorzugswürdig hielt, weil sie bei unverschuldetem Verbotsirrtum die Strafbarkeit ausschließe, aber bei Behandlung des verschuldeten Verbotsirrtums die Nachteile der Vorsatztheorie vermeide, indem sie in diesem Fall die Bestrafung nicht von dem Vorhandensein einer Strafdrohung für die fahrlässige Tatbegehung abhängig mache: „Der Richter braucht also keinen Strafwürdigen frei ausgehen zu lassen. Der Gesetzgeber wird nicht genötigt, einen Sammeltatbestand der Rechtsfahrlässigkeit zu schaffen. [Die Schuldtheorie] ermöglicht es, vorsätzliche Taten als das zu bestrafen, was sie sind, nämlich als vorsätzliche Taten, ohne den Richter zu nötigen, den Schuldspruch auf die Unterstellung des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit zu gründen“.115
Außerdem sei es nur unter Anwendung der Schuldtheorie möglich, „die Strafe dem jeweiligen Grade der Schuld anzupassen, indem sie es dem Richter gestattet, je 111
BGHSt 2, 194 (202). BGHSt 2, 194 (202). 113 BGHSt 2, 194 (203). 114 BGHSt 2, 194 (203). 115 BGHSt 2, 194 (208). 112
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nach der Gestaltung des einzelnen Falles den Verbotsirrtum schuldmindernd zu berücksichtigen“.116 Die vom Großen Senat gegen die Vorsatztheorie vorgebrachten Argumente entsprachen dabei im Wesentlichen denen der Vertreter der Schuldtheorie. b) Bewertung der Entscheidung Während dieser Beschluss in Wissenschaft und Praxis zunächst überwiegend begrüßt wurde,117 fanden sich bald auch kritische Stimmen. Vor allem wurde kritisiert, dass die Problematik der Abgrenzung von strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum lediglich durch eine neue Problematik ersetzt worden sei, nämlich die der Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum.118 Denn von der Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1952 bis ins Jahr 1975 galt unverändert § 59 StGB a. F. fort.119 Es stellte sich daher weiterhin, insbesondere im Bereich der Wertungen, die Frage, wann ein Irrtum über einen Tatumstand oder lediglich ein Subsumtionsirrtum vorlag bzw. wie die Bewertung eines normativen Tatbestandsmerkmals von jener Bewertung abzugrenzen sei, die sich auf das Verbotensein der Tat bezieht.120 Angemerkt wurde daher, dass es auch kaum praktische Unterschiede zu der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts gebe:121 „In der Meinung, die reichsgerichtliche Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum aufzugeben, wechselt der BGH […] nur den Namen“.122 Es sei lediglich an Stelle des „mißverständlichen Ausdrucks ,strafrechtlicher Irrtum‘“ derjenige des „Verbotsirrtums“ getreten, was allerdings nicht mehr als eine „erfreuliche Klarstellung“ sei.123 Der Grund der Entscheidung der Rechtsprechungspraxis für die Schuldtheorie wurde, wie der Große Senat im Beschluss bereits eingeräumt hatte,124 auch in dem kriminalpolitisch gewünschten Ergebnis gesehen, dass der Verbotsirrtum „beim Vorsatzdelikt extrem selten zum Freispruch des Angeklagten führt. Die Schuldtheorie beruhigt das juristische Gewissen bezüglich der Verurteilung des Angeklagten, ohne dessen Chancen, freigesprochen zu werden, wesentlich zu erhöhen. […] Aus den grundlegenden Entscheidungen des Großen Senats ist der Wunsch, den Angeklagten zu verurteilen, nur deutlich herauszuhören“.125 116
BGHSt 2, 194 (208). Vgl. Kuhlen, S. 84; Jescheck, AT 1978, § 29 V 2. 118 Lang-Hinrichsen, JR 1952, 356 (357). 119 Mit dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. 1953 I, S. 735 ff.) wurde der Begriff des „Reichsstrafgesetzbuchs“ in „Strafgesetzbuch“ geändert. 120 Müller-Magdeburg, S. 205. 121 Vgl. Schmidt-Leichner, GA 1954, 1 (11). 122 Mayer, MDR 1952, 392 (393). 123 Mayer, MDR 1952, 392. 124 BGHSt 2, 194 (206, 208 f.). 125 Arzt, ZStW 91 (1979), 857 (861). 117
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Dass auch nach Normierung der heute geltenden Irrtumsparagraphen die Irrtumsabgrenzung kein gelöstes Problem darstellt, wird noch weiter unten erörtert werden.126 2. Historische Entscheidungen des BGH zu Blankettstrafgesetzen Nach Aufgabe der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bekannte sich der BGH noch im selben Jahr zum heute mehrheitlich praktizierten, unten noch ausführlich darzustellenden Zusammenlesen von Blankett- und Ausfüllungsnorm mit den entsprechenden Konsequenzen für den Bezugspunkt des Vorsatzes. So wurde in einer Entscheidung zum Parteiverrat nach § 356 StGB der Vorsatz des angeklagten Rechtsanwalts, der sich über die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens geirrt, aber den tatsächlichen Sachverhalt durchaus richtig erkannt hatte, bejaht.127 Der Senat machte die Entscheidung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum davon abhängig, ob sich der Täter über ein Tatbestandsmerkmal der ausfüllenden Vorschrift geirrt (anders als die heute h. M. wurde das Merkmal der Pflichtwidrigkeit damals vom BGH noch als durch die Normen der Rechtanwaltsordnung auszufüllendes Blankettmerkmal angesehen128) oder trotz Kenntnis ihrer Tatbestandsmerkmale das Verbotensein seines Handeln nicht erkannt hatte. In einem weiteren Urteil aus dem Jahre 1956 ging es u. a. darum, dass der angeklagte Winzer einen ausreichend natursüßen Wein nachgezuckert und diesen mit einem sauren und daher nicht absetzbaren Wein verschnitten hatte, um so insgesamt einen durchschnittlich süßen Wein zu produzieren. Durch die Zuckerung des ersten Weins hatte der Winzer gegen § 26 Abs. 1 WeinG verstoßen, nach dem sich strafbar machte, wer gegen § 3 Abs. 1 WeinG handelte, der wiederum die Nachzuckerung ausreichend natursüßen Weins verbot. Der Täter hatte von vornherein die Absicht, die Überzuckerung später durch Zusetzen des anderen Weins wieder zu beseitigen und unterlag folglich einem Irrtum über die Reichweite der Ausfüllungsnorm des § 3 Abs. 1 WeinG. Hier nahm der BGH Tatbestandsvorsatz an, da der Winzer trotz seines Irrtums den Wein „in voller Kenntnis der Tatumstände gezuckert“ hatte.129 Allerdings wäre wohl auch das Reichsgericht zum selben Ergebnis gelangt, da Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm im selben Gesetz zu finden waren.130 In BGH NJW 1960, 1308 wurde der Irrtum über die Existenz einer blankettausfüllenden Norm ebenfalls als Verbotsirrtum eingestuft. Nach dem im betreffenden Sachverhalt einschlägigen § 5 Abs. 1a des Gesetzes über die Führung akademischer Grade wurde i. V. m. einer dazu erlassenen Verordnung bestraft, wer einen Titel führt, ohne über eine Verleihungsurkunde oder ein Besitzzeugnis zu verfügen. 126
Siehe dazu unten F., G., H., I. und J. BGH NJW 1953, 472 f. 128 Vgl. dazu Müko-StGB-Dahs, 3. Aufl., § 356 Rn. 50. 129 BGHSt 9, 164 (172). 130 Siehe dazu schon C. I. 2. 127
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Zwar wurde der Begriff des Blankettstrafgesetzes in der Entscheidung nicht verwendet, der Senat führte aber aus, dass das Gesetz „mithin so zu lesen [sei], als ob der Inhalt der Verordnung Teil des Gesetzes wäre“.131 Da der Täter wusste, dass ihm sowohl die Verleihungsurkunde als auch ein Besitzzeugnis fehlte, wurde die „Unkenntnis des Erfordernisses des Besitzes einer Verleihungsurkunde“ als Verbotsirrtum aufgefasst.132
D. Geltende Gesetzeslage zum Irrtum I. Hintergrund 1. Entscheidung des Gesetzgebers für die Schuldtheorie Seit dem 1. Januar 1975 findet die Schuldtheorie durch die §§ 16, 17 StGB, die gemäß Art. 1 Abs. 1 EGStGB auch für das Nebenstrafrecht und nach § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht als Teil des Nebenstrafrechts gelten, ihre Entsprechung im Gesetz.133 In § 11 Abs. 1 und 2 OWiG finden sich inhaltsgleiche Vorschriften für das Ordnungswidrigkeitenrecht. Der Tatumstandsirrtum lässt gemäß § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz entfallen, sodass die Handlung nicht mehr tatbestandsmäßig ist und die Tat dem Täter nicht mehr subjektiv zugerechnet wird;134 ggf. kommt aber eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht. Der Verbotsirrtum nach § 17 StGB betrifft dagegen nur die Schuld und lässt Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit unberührt. Die Schuld entfällt aber nur, wenn der Irrtum unvermeidbar war; bei Vermeidbarkeit ist die Strafmilderung gemäß § 17 S. 2 StGB lediglich fakultativ. 2. Privilegierte Behandlung des im Tatumstandsirrtum befindlichen Täters gegenüber dem im Verbotsirrtum befindlichen Täter Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Schuldtheorie hat die Konsequenz, dass der in einem vermeidbaren Verbotsirrtum handelnde Täter wesentlich schlechter gestellt ist als derjenige, der sich in einem Tatumstandsirrtum befindet. Nachdem die fahrlässige Tatbegehung nur in relativ seltenen Fällen strafbewehrt ist, wird der im Tatumstandsirrtum handelnde Täter nur dann bestraft, wenn nach § 15 StGB das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht, der in vermeidbarem Verbotsirrtum Handelnde hingegen immer und in der Regel auch schwerer.135 131
BGHSt 14, 223 (227). BGHSt 14, 223 (224). 133 Gesetz zur Neufassung des StGB vom 1. Januar 1975, BGBl. 1975 I, S. 1 ff. 134 Müller-Magdeburg, S. 60. 135 Vgl. Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (176). 132
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Dieser privilegierten Behandlung des im Tatumstandsirrtum befindlichen Täters werden vornehmlich kriminalpolitische, weniger dogmatische Überlegungen attestiert.136 Der Irrtum im tatsächlichen Bereich137 soll eine mildere Bewertung als der Irrtum über das rechtliche Verbot verdienen, da sich im ersten Fall der Täter an und für sich rechtstreu verhält, er im zweiten dagegen „bewusst an die Stelle der Wertordnung der Gemeinschaft seine eigene setzt und von dieser her im Einzelfalle falsch wertet“138, sich somit nach anderen als von der bestehenden Rechtsordnung vorgegebenen Wertmaßstäben richtet.139 Die Entscheidung für die Schuldtheorie, also für die Einordnung des Unrechtsbewusstseins als Schuldmerkmal, bietet die Möglichkeit der Abstufung der Strafe gemessen am Verschuldensgrad des Fehlens des Unrechtsbewusstseins bis hin zum Strafausschluss beim unverschuldeten Verbotsirrtum.140 Deshalb wird ihr der Vorteil zugesprochen, im Gegensatz zur Lehre des Reichsgerichts nicht an den Voraussetzungen „manipulieren“ zu müssen – durch die wie oben gesehen relativ willkürliche, oftmals nur nach dem Rechtsgefühl getroffene Zuordnung im Vorfeld zu den Kategorien des strafrechtlichen oder außerstrafrechtlichen Irrtums – und damit weitaus praktikabler zu sein.141 Nach einem weiteren, bereits in Kapitel 2 erwähnten zentralen Gedanken, der die Legitimation der Verhängung einer Vorsatzstrafe schon bei vermeidbar fehlendem Unrechtsbewusstsein begründen soll, wird der Kenntnis der Tatumstände eine sog. Appellfunktion beim Täter zugesprochen, die ihn zum Nachdenken über das Verbotensein seines Tuns veranlassen soll.142 Die Verhängung einer Vorsatzstrafe wird daher nicht nur demjenigen gegenüber als erforderlich angesehen, der sich bewusst gegen das Recht auflehnt, sondern auch gegenüber demjenigen Täter, der wissentlich und willentlich handelt und den Widerspruch seines Verhaltens zur geltenden Rechtslage hätte einsehen können.143 Auf die Appellfunktion und insbesondere auf die Frage, inwiefern dieser Figur tatsächlich eine Rolle bei der Vorsatz- und Irrtumsthematik zukommt, ist weiter unten noch einzugehen.144
136
Arzt, ZStW 91 (1979), 857 (861). Der sich bei den normativen Tatbestandsmerkmalen aber auch auf die Kenntnis einer rechtlichen Regel beziehen kann, siehe dazu noch D. II. 2., G. III. 3. b) und I. I. 2. 138 BGHSt 2, 194 (208). 139 Vgl. StGB-E 1962, BT-Drucks. 4/650; Enderle, S. 298. 140 Müller-Magdeburg, S. 56. 141 Müller-Magdeburg, S. 56. 142 Samson, Strafverfolgung, S. 99 (100, 104). 143 Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 1. 144 Siehe dazu noch D. II. 3. und I. II. 5. a) und b). 137
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II. Irrtum über Tatumstände, § 16 StGB 1. Bezeichnung Der amtlichen Überschrift zufolge regelt § 16 StGB den „Irrtum über Tatumstände“. Von einigen Vertretern des Schrifttums wird diese Formulierung als missverständlich kritisiert, da lediglich § 16 Abs. 2 StGB einen Irrtum im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs verlange, d. h. eine positive Fehlvorstellung, ein Auseinanderfallen von Vorstellung und Realität.145 In § 16 Abs. 2 StGB heißt es: „Wer bei Begehung der Tat irrig [Hervorhebung durch Verf.] Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden“. In § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB heißt es hingegen bloß: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt [Hervorhebung durch Verf.], der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich“. Richtigerweise muss aber jedenfalls im Kontext des § 16 StGB146 jede Fehlvorstellung, sowohl die positive als auch das schlichte Nichtkennen der Wahrheit, unter dem Begriff des Irrtums subsumiert werden, weshalb es, um den Vorsatz auszuschließen, schon ausreicht, dass der Täter überhaupt keine Vorstellung über Tatumstände hat, also eine Unkenntnis bezüglich eines Tatbestands (sog. ignorantia facti) vorliegt.147 Der durch § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB beschriebene „Irrtum“ wird in Rechtsprechung und Lehre überwiegend als „Tatbestandsirrtum“ bezeichnet.148 Das impliziert, dass der Täter sich über den in § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB genannten Tatbestand irrt. Das ist jedoch irreführend.149 Es geht gerade nicht um einen Irrtum über das Bestehen, den Inhalt oder die Anwendbarkeit eines gesetzlichen Tatbestandes, sondern um das Irren über die tatsächlichen Umstände.150 Daher ist die Bezeichnung als „Tatumstandsirrtum“ genauer und soll im Folgenden beibehalten werden.151
145
El-Ghazi, JA 2020, 182 (183); LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 13. Str. aber etwa in Bezug auf den Irrtum bei § 263 StGB; siehe nur Sch/Sch-Perron, § 263 Rn. 36 m. w. N. 147 LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 13; Matt/Renzikowski-Gaede, § 16 Rn. 1. 148 BGHSt 15, 1 (5); BGHSt 17, 87 (91); BGHSt 48, 322 (328); Fischer, § 16 Rn. 2; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 13; Kindhäuser/Hilgendorf, LPK-StGB, § 16 Rn. 1 ff.; Lackner/Kühl, § 16 Rn. 1; Matt/Renzikowski-Gaede, § 16 Rn. 1 ff.; Roxin/ Greco, AT I, § 12 Rn. 95 ff. 149 Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073. 150 LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 14; vgl. auch Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073. 151 So auch Herzberg/Hardtung, JuS 1999, 1073; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 14; Wissmann, S. 59 f. 146
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2. Umstand des gesetzlichen Tatbestandes Ausweislich des Wortlauts von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Unter den „Umständen“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB sind nicht die im Straftatbestand enthaltenen abstrakten Begriffe, also die Tatbestandsmerkmale, sondern vielmehr der konkrete Lebenssachverhalt bzw. als einzelner Umstand ein Ausschnitt aus diesem Lebenssachverhalt zu verstehen.152 Man könnte auch von Umständen aus dem tatsächlichen Bereich oder Umständen in der Realität, die unter die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes subsumiert werden können, sprechen.153 Diese Umstände können nicht nur Objekte (z. B. eine Urkunde) sein, auch Lebensvorgänge (z. B. das Verfälschen einer Urkunde) oder Eigenschaften (z. B. als zusammengesetzte Urkunde) gehören dazu.154 Als Umstände sind aber nicht nur solche natürlichen Sachverhalte, sondern nach herrschender Meinung bei den sog. normativen Tatbestandsmerkmalen auch die etwa von Puppe als institutionell benannten Tatsachen zu bezeichnen, nämlich solche, „die gesellschaftliche Verhältnisse oder Rechtsverhältnisse darstellen“. Bereits an dieser Stelle sei vorweggenommen, dass nach der hier vertretenden Auffassung Puppe zuzustimmen ist, wenn diese ausführt: Dass „die vom Dieb weggenommene Sache oder das angezündete Gebäude in fremden Eigentum stehen, dass der Betrüger auf den Vermögensvorteil, den er sich erschleicht, keinen Anspruch hat (Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung) […], all dies sind Tatsachen, die Gegenstand v. Tatsachenwissen sein können und nicht Werturteile, die getroffen oder abgelehnt werden können“.155
Die „Erkenntnis, dass ein bestimmtes Recht oder Rechtsverhältnis besteht, ist [nämlich] nicht ein Akt der Wertung, sondern, wie jede andere Tatsachenerkenntnis auch, ein Akt der Kognition“, denn es geht um die Kenntnis der rechtlichen Regeln.156 Dies wird noch beim Irrtum betreffend die normativen Tatbestandsmerkmalen eine Rolle spielen.157 Unter Zugrundelegung dieser Bedeutung des „Umstands“ versteht sich auch die weitere Kritik, neben der oben bereits genannten, an der Gesetzesformulierung des 152 Glandien, S. 28; Schlüchter, S. 89; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, 289; Tischler, S. 18; Wissmann, S. 60. 153 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (452); Kindhäuser, JuS 2019, 953 (956); MükoStGB-Joecks, 4. Aufl., § 16 Rn. 8. 154 Vgl. Glandien, S. 28 f. 155 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 31 unter Berufung auf Searle, S. 78 ff.; so auch LK-StGBVogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 23; Neumann, Puppe-FS 2011, 171 (181 f.) und im Ergebnis wohl auch Roxin, Tiedemann-FS 2008, S. 375 (380). 156 Puppe, Herzberg-FS 2008, S. 275 (281). – Anders aber Glandien, S. 74 ff.; Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 ff.; ders., AT, Rn. 1087; Kindhäuser, JuS 2019, 953 (959); Knobloch, JuS 2010, 864, 865 f.; Safferling, S. 153 f.; Wissmann, S. 189 ff. 157 Siehe dazu noch G. III. 3. b) und I. I. 2.
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„Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“. Zum Tatbestand können schließlich nur die abstrakten Tatbestandsmerkmale „gehören“ und nicht ein als Element des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts verstandener konkreter Tatumstand; dieser kann lediglich durch Wörter im gesetzlichen Tatbestand beschrieben werden.158 Hier wird auch der Unterschied zwischen diesen beiden Ebenen deutlich: Einerseits der (Tat-)Umstand als Teil des beschriebenen konkreten Lebenssachverhalts, andererseits die abstrakte Vertypung des Unrechts im gesetzlichen Tatbestand durch die einzelnen Tatbestandsmerkmale.159 3. Kenntnis und Unkenntnis Der Täter, der einen im obigen Sinne verstandenen Umstand nicht kennt, handelt nicht vorsätzlich. Zwar enthält das StGB keine Definition des Vorsatzes, die strafrechtliche Irrtumslehre stellt sich allerdings als die „Kehrseite der Lehre von den positiven Wissenserfordernissen des Vorsatzes und der Schuld“ dar.160 Für die Bestimmung des in § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB genannten Vorsatzes wird die gängige Kurzformel der „wissentlichen und willentlichen Verwirklichung der zum objektiven Tatbestand gehörenden Tatbestandsmerkmale“ verwendet, durch die dem Vorsatz ein intellektuelles und ein voluntatives Element zugeordnet werden.161 Dabei wird – der h. M. folgend – für das intellektuelle Element die Kenntnis bzw. das billigende InKauf-Nehmen der den Unrechtstypus der Tat konstituierenden Merkmale, für das voluntative Element die Willensentscheidung für die Vornahme einer das tatbestandliche Unrecht des Delikts erfüllenden Handlung bzw. Unterlassung gefordert, wobei die verschiedenen Vorsatzarten sich anhand des „Grades der Intensität dieser Willensbeziehung“ unterscheiden.162 Die Kenntnis der Umstände i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB wird schon bejaht, wenn nach Vorstellung des Täters das eigene Handeln möglicherweise zur Erfüllung eines Tatbestands führt, fehlt also nur, wenn der Täter einen Tatumstand überhaupt nicht in seine Vorstellung aufgenommen hat.163 Dabei schließen sowohl die gänzlich fehlende Vorstellung des Täters hinsichtlich der Umstände als auch die positive Fehlvorstellung, also wenn der Täter statt der tatsächlichen Umstände andere Umstände annimmt, den Vorsatz aus.164 Insgesamt erschöpft sich der Vorsatz somit in der Kenntnis der Tatumstände und im Tatverwirklichungswillen.165 158 Glandien, S. 27; Kühl, AT, § 13 Rn. 9; Safferling, S. 140; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 16 Rn. 8/9; Wissmann, S. 60; vgl. auch Schlüchter, S. 85 f. 159 Schlüchter, S. 86. 160 Warda, S. 32; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 11 Rn. 57; siehe dazu schon B. 161 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 9. 162 Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 95; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 10 f. 163 Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 95. 164 Glandien, S. 30. 165 Otto, AT, § 7 Rn. 63.
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Der Wissenskomponente als intellektuelles Element wird oftmals eine Hemmungsfunktion, die bereits erwähnte Appellfunktion, zugesprochen, indem das Wissen von der Tatbestandserfüllung dem Täter die Bedeutung seines Verhaltens vor Augen führe und ihm so ein Impuls zur Unterlassung des Tatentschlusses vermittelt werde.166 Allerdings merkt Wissmann richtigerweise an, dass diese Aussage „überflüssig“ ist, denn nur die Tatsache, dass ein „Sachverhalt den Umständen nach zutreffend erkannt [wurde], bedeutet noch nicht, dass den Täter auch der Appell erreicht, der sein Handeln zu einem strafbaren macht“.167 Auch der im Verbotsirrtum handelnde Täter denkt schließlich, sein Handeln sei erlaubt, und wird daher von der Appellfunktion des Tatbestandes nicht erreicht.168 Da diese Warn- und Appellfunktion eine zentrale Position im später darzustellenden Streit um die Vorsatzanforderungen bei Blanketttatbeständen einnimmt, ist die Aussage Wissmanns bereits an dieser Stelle im Hinterkopf zu behalten. 4. Rechtsfolgen Handelt der Täter nun in Unkenntnis eines Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, oder unterliegt er diesbezüglich einer Fehlvorstellung, ist vorsätzliches Handeln nicht gegeben. Ein klassisches Beispiel hierzu ist, wenn jemand beim Jagen mit Tötungsabsicht auf einen Menschen schießt und dabei die Vorstellung hat, es handele sich um ein Tier. Hier ist der Vorsatz des Täters hinsichtlich einer vorsätzlichen Tötung eines Menschen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgeschlossen, weil ihm die Kenntnis von der Tatbestandszugehörigkeit des verletzten Tatobjekts – Mensch – fehlt. Auf eine Vermeidbarkeit bzw. Unvermeidbarkeit dieses Nichtwissens kommt es, anders als beim Verbotsirrtum nach § 17 StGB, nicht an;169 allerdings bleibt ausweislich des lediglich deklaratorischen § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB eine mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit „unberührt“, die allerdings nur dann in Frage kommt, wenn ein entsprechender Tatbestand überhaupt existiert und dem Täter eine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden kann. Im Beispielsfall kommt hier § 222 StGB in Frage.
III. Verbotsirrtum, § 17 StGB § 17 StGB normiert den Verbotsirrtum. Nach § 17 Satz 1 StGB handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlte, er also das Verbotensein seines Handelns nicht kannte und auch nicht erkennen konnte, er mithin kein Unrechtsbewusstsein hatte und sein Irrtum hierüber unvermeidbar war. 166
Vgl. Platzgummer, S. 63; Tischler, S. 19; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 364. Wissmann, S. 61. 168 Wissmann, S. 61. 169 Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, 289. 167
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Der Verbotsirrtum umfasst die Fälle, in denen der Täter weiß, was er tut, also mit Tatvorsatz handelt, jedoch irrtümlich sein Handeln für erlaubt, d. h. für nicht rechtswidrig hält. 1. Gegenstand des Unrechtsbewusstseins Als Bezugsobjekt der Unrechtseinsicht kommt nach der herrschenden Meinung jeder Verstoß gegen die verbindliche materielle Rechtsordnung in Betracht, weshalb es zur Annahme des Unrechtsbewusstseins mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des § 17 StGB nicht notwendig ist, dass der Täter die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens kennt; er muss nur die vom in Betracht kommenden Straftatbestand umfasste spezifische Rechtsgutsverletzung als Unrecht erkennen.170 So hat der BGH in der bereits mehrfach erwähnten Entscheidung konstatiert: „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bedeutet: Der Täter weiß, daß das, was er tut, rechtlich nicht erlaubt, sondern verboten ist“.171 Deshalb reicht es zur Annahme des Unrechtsbewusstseins beispielsweise aus, dass jemand sein Verhalten als „Verstoß gegen die rechtliche Ordnung“ i. S. z. B. einer Ordnungswidrigkeit einstuft, ohne dessen Strafbarkeit zu kennen.172 Der juristische Laie wird ohnehin in den meisten Fällen nicht genau zwischen den Rechtsgebieten unterscheiden und ein Verbot in der Regel für ein strafrechtliches halten.173 Was die Forderung nach einer spezifischen Rechtsgutsverletzung bedeutet, hat die Rechtsprechung bereits am Beispiel des Außenwirtschaftsstrafrechts demonstriert: In einem Fall, in dem der Täter ein von einem Dritten unterschlagenes Kfz unter Verstoß gegen das frühere JugoslawienEmbargo nach Serbien gebracht und dort verkauft hatte, während der Dritte das Fahrzeug verabredungsgemäß in Deutschland als gestohlen meldete, entschied der BGH, dass ein allgemeines Bewusstsein, mit seiner Kraftfahrzeugverschiebung etwas Verbotenes zu tun, nicht den spezifischen Vorwurf begründen könne, neben dem Tatbestand der Hehlerei auch gegen eine Embargonorm nach § 34 Abs. 4 AWG a. F. zu verstoßen. Hinsichtlich mehrerer tateinheitlich begangenen Rechtsverstöße sei die Unrechtseinsicht vielmehr „teilbar“.174
170
BGHSt 15, 377 (383); BGHSt 45, 97 (101); BGHSt 58, 15 (27); BGH NStZ 1996, 236 (237); Fischer, § 17 Rn. 4; Graf/Jäger/Wittig-Allgayer, § 17 StGB Rn. 4; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 2; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 Rn. 21; Rodenbeck, S. 67 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 12 f.; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5; zur Gegenauffassung, die ein „strafrechtliches“ Unrechtsbewusstsein fordert, noch I. II. 5. c). 171 BGHSt 2, 194 (196). 172 BGHSt 15, 377 (383); Fischer, § 17 Rn. 3; Graf/Jäger/Wittig-Allgayer, § 17 StGB Rn. 4; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 2; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 Rn. 19; Rodenbeck, S. 67 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 12 f.; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5. 173 Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 13a. 174 BGH NStZ-RR 1996, 24 f.; vgl. auch Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 55.
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Dagegen genügt die bloße Kenntnis der Sittenwidrigkeit einer Handlung zur Annahme eines Unrechtsbewusstseins nach allgemeiner Ansicht nicht, denn erstens unterscheidet sich die Auslegung je nach Moralvorstellungen, die in der heutigen Gesellschaft durchaus divers ausgestaltet sind, und zweitens gehen sittliche Anschauungen über das durch das Recht geschützte zwingende Minimum oft weit hinaus.175 Jedoch kann die Kenntnis des Verstoßes gegen moralische Maßstäbe, was auch immer darunter im Einzelfall zu verstehen ist, Anlass zur näheren Prüfung der Rechtslage geben und damit bei der noch zu thematisierenden Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums eine Rolle spielen.176 2. Einsicht Während noch in § 21 E-StGB 1962 für die Annahme eines Verbotsirrtums vorausgesetzt wurde, dass der Täter sein Verhalten positiv für erlaubt gehalten haben müsse, reicht nach § 17 Satz 1 StGB bereits das „Fehlen“ des Unrechtsbewusstseins aus. Es stellt sich daher umgekehrt die Frage, wann die Unrechtseinsicht des Täters gegeben ist. Das Bewusstsein, Unrecht zu tun, hat der Täter nach herrschender Ansicht – entsprechend den Grundsätzen des dolus eventualis beim Vorsatz – bereits dann, wenn er bei Tatbegehung zumindest mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (sog. bedingte Unrechtseinsicht).177 Daher können schon Unrechtszweifel, also die Vorstellung, die Tat sei möglicherweise verboten, zur Verneinung des Vorliegens eines Verbotsirrtums ausreichen.178 Ein Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB liegt aber nicht nur bei positiver Vorstellung vor, die Tat sei erlaubt, sondern auch dann, wenn die Unrechtseinsicht aufgrund eines Vorstellungsmangels fehlt.179 Dies kann etwa gegeben sein, weil der Täter die Verbotsnorm nicht kennt, sie für ungültig hält oder falsch auslegt und daher nicht für anwendbar erachtet,180 was z. B. der Fall ist, wenn jemand ein Telefongespräch ohne Wissen des Gesprächspartners auf ein Tonband aufnimmt (§ 201 StGB), und den Gedanken, dass dieses Vorgehen verboten sein könnte, überhaupt nicht fasst.181 Bei der Unrechtseinsicht kommt es auf die Sicht des Täters an; auch aus unvernünftigen 175 Jakobs, AT, 19/23 f.; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 17 Rn. 10; NK-StGBNeumann, § 17 Rn. 13; Stratenwerth/Kuhlen, AT § 10 Rn. 59. 176 Rodenbeck, S. 66; Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 12; Wissmann, S. 64 f. 177 BGHSt 56, 174 (182); BGHSt 58, 15 (27); BGH NStZ 1996, 236 (237); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 60 (61); BeckOK-StGB-Heuchemer, 54. Ed., § 17 Rn. 11; Glandien, S. 90; Groteguth, S. 71 f.; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 4; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5a; a. A. Rodenbeck, S. 101 ff. und NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 33. 178 OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 60 (61); Groteguth, S. 71 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 41 I 2b; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 Rn. 28; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5a; SK-StGB-Rogall, § 17 Rn. 17. 179 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 728. 180 Sog. direkter Verbotsirrtum; vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 41 II 1a; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 724. 181 Beispiel nach Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 1.
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oder rechtlich abwegigen Gründen kann er auf die Straflosigkeit seines Tuns vertrauen, wobei das nötige Vertrauen vorliegen soll, wenn der Täter sich glaubhaft auf einen Grund beruft, der seine Behauptung unterstützt.182 3. Vermeidbarkeit Das Fehlen eines Unrechtsbewusstseins führt aber nach § 17 Satz 1 StGB nur dann zur Schuldlosigkeit, wenn der Täter das Verbotensein seines Handelns nicht erkennen konnte, d. h. sein Irrtum hierüber unvermeidbar war. Der Schuldvorwurf der vorsätzlichen Tat bleibt dagegen schon dann erhalten, wenn der Täter den Verbotsirrtum hätte vermeiden können. Dabei stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Unvermeidbarkeit; bezeichnend ist die Aussage in dem bereits erwähnten Bekenntnis zur Schuldtheorie des Großen Senats in der Entscheidung von 1952, der Täter habe sich „bei allem, was er zu tun im Begriff steht, bewußt zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens im Einklang steht.“183 Klargestellt wurde seitens des BGH an anderer Stelle auch, dass die „bei den fahrlässigen Delikten für die Beurteilung des Verschuldens entwickelten Grundsätze […] nicht ohne weiteres für die Beantwortung der Frage verwendet werden [können], ob ein Verbotsirrtum verschuldet ist“.184 Eine solche Gewissensanspannung sei aber „etwas anderes als die Beobachtung der Sorgfalt, die vom Einzelnen verlangt wird, damit er Gefährdungen oder Verletzungen von Rechtsgütern vermeide“.185 An die „Erkenntnis der Rechtswidrigkeit eines straftatbestandsmäßigen Sachverhalts [werden] höhere Anforderungen gestellt als hinsichtlich der Erkenntnis der Tatumstände selbst, weil mit der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens seine Rechtswidrigkeit in der Regel gegeben und dies allgemein bekannt ist“.186
Vom Täter müsse daher „besonders sorgfältig“ geprüft werden, ob die Tatbestandsverwirklichung im Ausnahmefall trotzdem erlaubt sei. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Handelns hat der Handelnde demnach durch Anspannung seines Gewissens zu beseitigen, wobei das hier Zugemutete sich nach den Umständen des Falles, der Persönlichkeit und dem Lebens- und Berufskreis richtet; erforderlichenfalls sei fachkundiger Rechtsrat einzuholen.187 Nur wenn der Täter trotz dieser Maßnahmen das Unrechtmäßige seines Tuns nicht erkennen konnte, sei der Irrtum unvermeidbar, sodass Schuld und Strafe entfielen.188 Andernfalls bleibt lediglich die Möglichkeit einer fakultativen Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB. 182
Glandien, S. 90 f.; Rodenbeck, S. 150 ff. BGHSt 2, 194 (201). 184 BGHSt 4, 236 (242 f.). 185 BGHSt 4, 236 (242). 186 BGHSt 4, 236 (242). 187 BGHSt 2, 194 (201); BGHSt 21, 18 (20 f.). 188 BGHSt 2, 194 (201); BGHSt 21, 18 (20 f.). 183
D. Geltende Gesetzeslage zum Irrtum
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Auf den Bereich des Außenwirtschaftsrechts bezogen wird allgemein gefordert, dass ein Unternehmer bei seinen Geschäften über alle rechtlichen Gegebenheiten umfassend informiert sein muss, auch wenn er nur gelegentlich Güter ins Ausland exportiert.189 Die unrichtige Auskunft einer Behörde, etwa über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Ausfuhr, kann zur Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums und damit zur Schuldlosigkeit führen, sofern sich die fehlende Zuständigkeit der Behörde oder ihre Beurteilungskompetenz nicht aufdrängen.190 Dagegen führt nach der Rechtsprechung der fehlerhafte Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne Weiteres zur Annahme der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums, nur weil er von einer „kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person“ erteilt worden ist.191 Ein solcher Rat wird nur dann als vertrauenswürdig angesehen, wenn er aus Sicht des Anfragenden nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist.192 Die Auskunft selbst muss außerdem einen „unrechtsverneinenden Inhalt“ haben, d. h. wenn der Rechtsanwalt zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt, muss eine weitere Rechtsauskunft eingeholt werden.193 Der erteilte Rat darf auch nicht den alleinigen Zweck der Gesetzesumgehung verfolgen oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen.194 In einem der wenigen Fälle, in denen durch den BGH die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums angenommen worden war, hatte der Angeklagte aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit einer Rechtsanwältin keine Zweifel an deren rechtlichen Einschätzung gehabt. Die Rechtsanwältin hatte einen Ruf als besonders strenge Gutachterin und ihre zahlreichen, dieselbe Materie betreffenden Auskünfte hatten sich auch in der Vergangenheit stets als zutreffend erwiesen.195 Wendet sich das um Rechtsrat bemühte Unternehmen indes nicht an externe Berater, sondern an eigene Auskunftspersonen im Bereich des ExportCompliance, ist ferner zu bedenken, dass die Auskunftsperson mit der Erteilung des Rats kein Eigeninteresse verfolgen darf.196 4. Rechtsfolgen Wie schon erwähnt, berührt der Verbotsirrtum nach § 17 StGB, anders als der Tatumstandsirrtum, nicht den Tatbestandsvorsatz, sondern wirkt schuldausschließend, wenn dem Täter bei Begehung der Tat unvermeidbar die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Andernfalls kann die Strafe gemildert werden. 189
Morweiser, Exportkontrolle, S. 231 (241); Schindler, IWRZ 2017, 212 (214). Fischer, § 17 Rn. 14; Schindler, IWRZ 2017, 212 (214). 191 BGHSt 58, 15 (29); BGH NStZ 2000, 307 (309). 192 BGHSt 58, 15 (29); BGH NStZ 2000, 307 (309). 193 BGHSt 58, 15 (29); BGH NStZ 2013, 461; Gaede, Seebode-GS 2015, S. 85 (99); Schindler, IWRZ 2017, 212 (215). 194 BGH NStZ 2000, 307 (309); BGH NStZ 2013, 461; Schindler, IWRZ 2017, 212 (215). 195 BGH NStZ 2013, 461 f. 196 Schindler, IWRZ 2017, 212 (215). 190
168
Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
IV. Zusammenfassung Aus der Irrtumslehre als Kehrseite der Lehre von Vorsatz und Schuld folgt zusammengefasst, dass nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorsätzliches Handeln gegeben ist, wenn der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, während man aus § 17 Satz 1 StGB den Schluss ziehen kann, dass vorsätzliches Handeln gerade nicht bedeutet, dass sich der Täter bewusst oder unbewusst gegen das Recht und für das Unrecht entscheidet. Ein Tatumstandsirrtum ist also ein Irrtum über den Gegenstand des Verbots, d. h. den tatsächlichen Sachverhalt, während der Verbotsirrtum nur das Verbot, d. h. die Bewertung per se betrifft.197 Es zeichnet sich an dieser Stelle schon ab, dass bei der Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum vor allem die Frage entscheidend ist, was unter den „Umständen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören“, zu verstehen ist. Dabei geht die herrschende Meinung jedenfalls davon aus, dass, anders als noch im Rahmen der Irrtumslehre des Reichsgerichts, der Tatumstandsirrtum nicht notwendigerweise immer einen Tatsachenirrtum darstellt, sondern – wie weiter unten noch zu erörtern sein wird – teilweise auch Rechtsirrtümer, nämlich bei den sog. normativen Tatbestandsmerkmalen, darunterfallen können.198
E. Weitere durch Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannte Irrtumsarten I. Umgekehrte Irrtümer Ebenso wie die Abgrenzung von vorsatzausschließendem Tatumstands- und lediglich bei Vermeidbarkeit schuldausschließendem Verbotsirrtum ist auch die Abgrenzung des strafbaren untauglichen Versuchs vom straflosen Wahndelikt Gegenstand von Diskussionen in der Strafrechtswissenschaft und der Rechtsprechung – und dies auch schon seit über 140 Jahren.199 Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Wahndelikt immer dann vorliegt, wenn der Täter sämtliche Umstände seines Handelns richtig erfasst, diese Umstände allerdings nicht die Merkmale eines in der Strafrechtsordnung existierenden objektiven Tatbestands erfüllen, er sich also eine objektiv nicht tatbestandsmäßige Tat vorstellt, aber gleichwohl irrtümlich seine Strafbarkeit annimmt.200 Dieser Irrtum kann entweder dadurch begründet sein, dass der Täter sich eine Norm vorstellt, die nicht existiert, wie etwa die Strafbarkeit homosexuellen Verhaltens oder 197
Samson, Strafverfolgung, S. 99 (102). Samson, Strafverfolgung, S. 99 (101). 199 RGSt 8, 198 ff.; 11, 72 ff.; 42, 92 ff.; vgl. dazu nur Köstlin, S. 357. 200 BGHSt 8, 263 (268); Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 22 Rn. 49; Kühl, AT § 15 Rn. 96; Lackner/Kühl, § 22 Rn. 15; Otto, AT, § 18 Rn. 65; Putzke, JuS 2009, 894 (898); SK-StGB-Jäger, § 22 Rn. 51. 198
E. Weitere durch Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannte Irrtumsarten
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des Ehebruchs, eine existierende Strafnorm zu weit ausdehnt, wie im Falle der irrigen Annahme einer Garantenpflicht, oder ein objektiv gerechtfertigtes Verhalten für strafbar hält, etwa durch die irrige Annahme, dass die Notwehr nicht den Schutz von Sachwerten erlaube.201 Wegen des Fehlens jeglicher Strafandrohung für solche Fälle vermag das Wahndelikt keine Strafbarkeit zu begründen.202 Ein untauglicher Versuch soll dagegen gegeben sein, wenn sich der Täter irrigerweise vorstellt, alle Umstände zu verwirklichen, die einen tatsächlich existenten Straftatbestand erfüllen würden.203 Dies liegt beispielsweise dann vor, wenn der Täter auf den nach seiner Vorstellung schlafenden Vater in Tötungsabsicht einsticht, ohne zu wissen, dass dieser bereits eine Stunde früher eines natürlichen Todes gestorben ist. Sowohl beim Wahndelikt als auch beim untauglichen Versuch irrt sich der Täter also zu seinen Ungunsten; er stellt sich einen Sachverhalt vor, der für ihn ungünstiger ist als der tatsächlich gegebene. Während sich der Irrtum beim untauglichen Versuch auf einen Sachverhalt bezieht, der nur in subjektiver Hinsicht eine Tatbestandsverwirklichung darstellt, wird beim Wahndelikt eine tatsächlich nicht in dieser Art existierende Rechtsnorm verletzt bzw. soll diese nach der Vorstellung des Täters verletzt werden.204 Auch wenn die Notwendigkeit der Grenzziehung von Wahndelikt und untauglichem Versuch unstreitig ist, besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Frage, wann der Täter im Sinne eines Wahndelikts zutreffend erkannte Umstände nur falsch wertet und wann er im Sinne eines untauglichen Versuchs irrigerweise glaubt, bei verkannter Sachlage eine von der Strafrechtsordnung als solche bewertete Straftat zu begehen.205 Problematisch sind vor allem Fälle, bei denen der Täter irrigerweise den Inhalt und Umfang von Strafrechtsnormen ausdehnt, was bei fälschlicher Annahme der Strafbarkeit des Verhaltens als Ganzes oder des Vorhandenseins normativer Tatbestandsmerkmale aufgrund falscher rechtlicher Vorstellungen durchaus der Fall sein kann.206 Zwar existiert hier die vom Täter vorgestellte Strafnorm, der Anwendungsbereich der Norm wird aber von ihm fälschlicherweise auf sein konkretes Verhalten erstreckt.207 Ein großer Teil der Vertreter des Schrifttums und auch die Rechtsprechung gehen bei der Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch vom sog. Um-
201
Putzke, JuS 2009, 894 (898); Schmitz, Jura 2003, 593. SK-StGB-Jäger, § 22 Rn. 51. 203 Heidingsfelder, S. 25; Heinrich, AT, Rn. 668; Kühl, AT, § 15 Rn. 88 ff.; Otto, AT, § 18 Rn. 65; Schmitz, Jura 2003, 593; Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 68; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 979. 204 Hotz, JuS 2016, 221 (222). 205 Schmitz, Jura 2003, 593 f. 206 Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 82; dazu noch G. III. 2. 207 Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 82. 202
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
kehrschluss aus.208 Die geläufige Bezeichnung als „umgekehrter Irrtum“ meint daher, dass strukturell gesehen der untaugliche Versuch die Umkehrung des Tatumstandsirrtums, das Wahndelikt die Umkehrung des Verbotsirrtums darstellt.209 Danach bemisst sich die vorzunehmende Abgrenzung nach denselben Kriterien wie die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum. Bereits das Reichsgericht wandte den Umkehrschluss an, dessen Grundform lautet, dass der umgekehrte Tatumstandsirrtum zu einem strafbaren untauglichen Versuch führt, der umgekehrte Verbotsirrtum dagegen zu einem straflosen Wahndelikt.210 So soll „die dem Wahndelikt zugrunde liegende Vorstellung von der Tat kein Vorsatz, sondern ein außertatbestandliches Unrechtsbewusstsein“211 sein, weshalb in diesem Zusammenhang vom „umgekehrten Verbotsirrtum“ gesprochen wird.212 Der Täter „hat ein Unrechtsbewusstsein, das er auf der Grundlage seiner Vorstellung von der Tat gar nicht haben sollte“.213 Umgekehrt nimmt der Täter bei einem „umgekehrten Tatumstandsirrtum“ den Verstoß gegen eine tatsächlich bestehende Strafnorm zumindest billigend in Kauf, erfasst also die Verbotsnorm in zutreffender Art und Weise.214 Da diese „Bewusstseinslage“215 den rechtsfeindlichen Willen erkennen lasse, der das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung und das Gefühl der Rechtssicherheit zu erschüttern geeignet ist, soll der Strafgrund des Versuchs verwirklicht sein.216 Die Vertreter der Umkehrbarkeit von Tatumstandsirrtum und untauglichem Versuch sowie von Verbotsirrtum und Wahndelikt sehen in den Konsequenzen des umgekehrten Irrtums sogar die „Probe aufs Exempel“217, um „festzustellen, ob der Gerechtigkeit genügt worden sei“218: „Immer dann, wenn es in strittigen Fällen zweifelhaft ist, ob einem vermeidbaren Irrtum vorsatzausschließende oder nur schuldmindernde Bedeutung zuzumessen ist, sollte man die Gerechtigkeit des Ergebnisses danach überprüfen, ob man in den entsprechenden Fällen des umgekehrten Irrtums ein strafloses Wahndelikt oder strafbaren Versuch annehmen würde“.219 208 BGHSt 42, 268 (272 f.); BGH NStZ 2008, 214; Fischer, § 16 Rn. 14a; Frister, AT, 23. Kap. Rn. 19; Kühl, AT, § 15 Rn. 96; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 11 f.; Puppe, Lackner-FS 1987, S. 199 (213). 209 Tischler, S. 30. 210 RGSt 72, 109 (112); LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 11; Otto, AT, § 18 Rn. 72; Schmitz, Jura 2003, 593 f. 211 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 22 Rn. 49. 212 Kühl, AT, § 15 Rn. 96; Otto, AT, § 18 Rn. 72. 213 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Mitsch, § 22 Rn. 49. 214 Heidingsfelder, S. 25. 215 Heidingsfelder, S. 25. 216 Fischer, § 22 Rn. 40; Jescheck/Weigend, AT, § 49 II 3; Otto, AT, § 18 Rn. 3; SK-StGBJäger, Vor § 22 Rn. 14; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 980. 217 Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (182). 218 Schlüchter, S. 151. 219 Schaffstein, OLG Celle-FS 1961, S. 174 (182).
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Trotz der grundsätzlichen Einigkeit, dass ein Irrtum, der den Täter entlastet, ihn im umgekehrten Fall belastet, ist umstritten, ob der Umkehrschluss eine logisch zwingende Regel darstellt oder es sich um ein strukturelles Prinzip oder gar nur eine Merkregel handelt.220 Gerade bei den nach h. M. existierenden normativen Tatbestandsmerkmalen, die eine Wertung verlangen, ist die Unterscheidung von untauglichem Versuch und Wahndelikt nicht eindeutig vorzunehmen. Wie weiter unten noch ausführlich darzustellen ist,221 wird bei normativen Tatbestandsmerkmalen für den Vorsatz neben der kognitiven Erfassung des tatbestandsmäßigen Sachverhalts verlangt, dass auch der soziale oder normative Bedeutungsgehalt des jeweiligen Merkmals intellektuell erfasst wird. Problematisch ist hierbei insbesondere, dass schon eine Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen in Grenzbereichen schwierig durchzuführen ist, weil deskriptive Merkmale auch normative Einschläge haben können und umgekehrt.222 Oftmals wird bei Fehlvorstellungen, die im Vorfeld strafrechtlicher Normen liegen – als Paradebeispiel sei wieder die „Fremdheit“ einer Sache genannt –, ebenso wie bei der Abgrenzung Tatumstandsirrtum/Verbotsirrtum die Frage zu stellen sein, ob hier über Umstände geirrt oder durch den Täter lediglich der Normbereich des Tatbestands überdehnt wird.223
II. Erlaubnistatumstandsirrtum224 Nicht außer Acht bleiben soll eine weitere Irrtumsart, die insbesondere bei solchen Tatbeständen eine Rolle spielen kann, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren. Bereits in Kapitel 3 wurde aufgezeigt, dass der Genehmigung im Deliktsaufbau nach hier vertretener Ansicht stets die Funktion als Rechtfertigungsgrund zukommt. In diesem Zusammenhang wird der Irrtum über rechtfertigende Umstände relevant, auch Erlaubnistatumstandsirrtum genannt. Hier stellt sich der Täter irrtümlich Umstände vor, bei deren tatsächlichem Vorliegen die Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes gegeben wären.225 Bei den Genehmigungstatbeständen sind konkret die Konstellationen betroffen, in denen der Täter fälschlicherweise vom Vorliegen einer wirksamen Genehmigung für sein Handeln ausgeht, obwohl diese in Wirklichkeit gar nicht vorliegt oder unwirksam ist, 220
Bachmann, S. 74; LK-StGB-Murmann, 13. Aufl., § 22 Rn. 230. Siehe dazu noch G. III. 1. 222 Siehe dazu bereits Kapitel 2 G. II. 2. 223 Hotz, JuS 2016, 221 (222); siehe dazu noch G. III. 2. 224 Entsprechend zur Bezeichnung des Tatumstandsirrtums wird auch hier statt des üblichen Terminus „Erlaubnistatbestandsirrtum“ der Begriff des Erlaubnistatumstandsirrtums gewählt, da es wieder um das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen rechtfertigender „Umstände“ geht; vgl. Kühl, AT, § 12 Rn. 63, 67. 225 Heuchemer, S. 27; KK-OWiG-Rengier, § 16 Rn. 68; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 9; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 119; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 124 ff.; Sch/ Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 14. 221
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
und er daher objektiv den Tatbestand eines Verstoßes gegen eine Genehmigungsvoraussetzung erfüllt. Spricht man der Genehmigung nun eine rechtfertigende Wirkung zu, was, wie bereits dargestellt,226 kontrovers diskutiert wird, wäre bei deren Vorliegen das Handeln folglich gerechtfertigt. Die konkrete Behandlung des Irrtums über Genehmigungspflichten ist indes erst weiter unten noch zu erläutern; im Folgenden soll es nur um den Erlaubnistatumstandsirrtum in der allgemeinen Irrtumslehre gehen. Einigkeit bei der Behandlung des Erlaubnistatumstandsirrtums herrscht zunächst dahingehend, dass sich der Irrtum auf einen tatsächlich existierenden und von der Rechtsordnung anerkannten Rechtfertigungsgrund beziehen muss. Geht der Täter lediglich irrtümlich vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds aus, der gar nicht existiert, oder irrt er sich über die Reichweite eines anerkannten Rechtfertigungsgrunds, liegt, da es sich um einen „rechtlichen Irrtum“ handelt, bloß ein Verbotsirrtum in Form eines sog. Erlaubnisirrtums vor.227 Nachdem sich der Gesetzgeber bewusst einer Regelung des Erlaubnistatumstandsirrtums enthalten hat,228 verwundert es nicht, dass dessen dogmatische Einordnung und die Konsequenzen für die Strafbarkeit des Täters streitig sind. Im Grundsatz sind drei Strömungen festzustellen,229 die den Erlaubnistatumstandsirrtum unterschiedlich behandeln wollen. Der Vorsatztheorie zufolge, nach der das Unrechtsbewusstsein zum Vorsatz gehört, schließt der Erlaubnistatumstandsirrtum stets den Vorsatz aus, da hier das Unrechtsbewusstsein fehlt und der Täter davon ausgeht, gerechtfertigt zu sein.230 Nach Normierung des § 17 StGB ist eine solche Lösung allerdings nicht mehr mit dem Gesetz vereinbar.231 Die (heute nicht mehr besonders zahlreichen) Vertreter der sog. strengen Schuldtheorie argumentieren dagegen damit, dass auch bei irriger Vorstellung der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds der Täter um die Tatbestandsverwirklichung wisse und lediglich aufgrund seines Irrtums das Unrecht seiner Tat nicht einsehen könne, weshalb dies als Fall des § 17 StGB zu behandeln sei.232 Denn nur Irrtümer über die im Tatbestand der Strafnorm niedergelegten Tatbestandsmerkmale (Tatumstände) könnten, wie das Gesetz zutreffend anführt, den Tatbestandsvorsatz ausschließen. Alle darüber hinaus gehenden Irrtümer hin226
Siehe dazu bereits Kapitel 3 C. Vgl. nur Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 24. 228 BT-Drucks. 5/4095, S. 9. 229 Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird an dieser Stelle nicht ausgeführt, da sie von einem vorliegend nicht vertretenen zweistufigen Deliktsaufbau ausgeht; vgl. dazu Sch/Sch-Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 15 ff. 230 Herzberg, Otto-FS 2007, S. 265 (268 ff.); Otto, AT, § 7 Rn. 62 ff., § 15 Rn. 4 ff.; ders., Meyer-GS 1990, S. 583 (597 ff.). 231 Siehe dazu auch D. I. 1. 232 Heuchemer, S. 200; LK-StGB-Schroeder, 11. Aufl., § 16 Rn. 52; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 44 Rn. 77; NK-StGB-Paeffgen/Zabel, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 108 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 168 ff. 227
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gegen hätten lediglich Auswirkungen auf das Unrechtsbewusstsein. Anders sehen dies die Rechtsprechung und die ganz überwiegenden Vertreter der Lehre, die hier eine eingeschränkte Schuldtheorie befürworten. Der im Erlaubnistatumstandsirrtum handelnde Täter befinde sich – anders als beim Verbotsirrtum – seiner Vorstellung nach im Einklang mit dem geltenden Recht, verhalte sich daher „an sich rechtstreu“.233 Ihm könne deshalb nicht vorgeworfen werden, „wissentlich einen Sachverhalt verwirklicht zu haben, den das geltende Recht als Unrecht bewertet und deshalb zu verwirklichen verbietet“.234 Da der Erlaubnistatumstandsirrtum ebenso wie der Tatumstandsirrtum tatsächliche Voraussetzungen betreffe, nämlich die tatsächlichen Voraussetzungen, die einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würden, und daher gleichermaßen ein Sachverhalt verkannt werde, wird im Ergebnis eine entsprechende Anwendung von § 16 StGB und damit lediglich eine mögliche verbleibende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit für sachgemäß gehalten.235 Eine unmittelbare Anwendung des § 16 Abs. 1 ist ausgeschlossen, weil unter dem „gesetzlichen Tatbestand“ nur der Unrechtstatbestand, nicht jedoch der „Gesamtunrechtstatbestand“ i. S. der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen verstanden werden kann.236 Innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorie ist allerdings wiederum die deliktssystematische Einordnung einer entsprechenden Anwendung von § 16 StGB umstritten. Der eingeschränkten Schuldtheorie i. e. S. zufolge schließt in analoger Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ein Irrtum über die Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrunds gleich dem Tatumstandsirrtum schon das Vorsatzunrecht aus.237 Da bei Ausschluss des Vorsatzunrechts aber auch eine mögliche Teilnehmerstrafbarkeit entfallen würde, möchte die sog. rechtsfolgenverweisende bzw. rechtsfolgeneinschränkende Schuldtheorie als Variante der eingeschränkten Schuldtheorie238 den Erlaubnistatumstandsirrtum nur in Bezug auf die Rechtsfolgen dem Tatumstandsirrtum gleichstellen, d. h. beim Täter trotz vorsätzlich begangenem Unrecht die Vorsatzschuld entfallen lassen.239 Während es nicht Ziel der vorliegenden Arbeit ist, diesen schon „so oft und gründlich“240 behandelten Streit aufzuarbeiten,241 ist mit der ganz herrschenden 233
BGHSt 3, 105 (107). NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 137. 235 BGHSt 3, 105 (107); BGH NStZ 2001, 530; Kuhlen, S. 323. 236 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 18. 237 BGHSt 3, 357 (364); BGHSt 31, 264 (286 f.); BGHSt 45, 219 (224 f.); BGH NStZ-RR 2013, 139 (141); Backmann, JuS 1972, 652; Dieckmann, Jura 1994, 178 (179); Kuhlen, S. 324 f.; Kühl, AT, § 13 Rn. 73; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 14; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 115 f.; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 127; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 18; SK-StGB-Stein, § 16 Rn. 13; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 163; Walter, S. 337. 238 Heuchemer, S. 182; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 127. 239 BGH NStZ 2012, 272 (273 f.); OLG Hamm NJW 1987, 1034 (1035); Fischer, § 16 Rn. 22d; Jescheck/Weigend, AT, § 41 IV 1d; Kühl, AT, § 13 Rn. 73; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 750 f. 240 Walter, S. 336. 234
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
eingeschränkten Schuldtheorie beim Erlaubnistatumstandsirrtum eine entsprechende Anwendung von § 16 StGB zu bevorzugen. Zwar weist die strenge Schuldtheorie wohl die größere Nähe zum Gesetzeswortlaut auf, allerdings verdient das Verkennen der Umstände, die einen Rechtfertigungsgrund begründen würden, bei gleichzeitigem subjektiv bestehendem Einklang mit der Rechtsordnung nicht den Vorwurf vorsätzlichen Handelns.242 Wegen der großen Nähe des Erlaubnistatumstandsirrtums zum Tatumstandsirrtum erscheint es indes sachgerecht, mit der eingeschränkten Schuldtheorie i. e. S. in den einschlägigen Fällen mangels geeigneter Haupttat auf eine Teilnehmerstrafbarkeit zu verzichten; entstehende Strafbarkeitslücken sind nach Art. 103 Abs. 2 GG hinzunehmen.243 Ohnehin wird den „Vorteilen“ der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie gegenüber der eingeschränkten Schuldtheorie i. e. S. im Hinblick auf die Teilnehmerstrafbarkeit nur eine theoretische Natur zugesprochen, da beim bösgläubigen „Teilnehmer“ regelmäßig § 25 Abs. 1 Var. 2 greife.244
F. Problematik der strafrechtlichen Irrtumslehre Damit sind die Präliminarien im Grundsatz dargelegt. Die Schwierigkeiten beginnen dort, wo es bei einer Strafnorm einen Vorfeldbezug gibt, wie bei Blankettnormen, bei denen ein Blankettmerkmal auf Ausfüllungsvorschriften verweist, oder bei normativen Tatbestandsmerkmalen, die teilweise mithilfe anderer Normen ausgelegt werden. Im Grundsatz lassen sich bei diesen Merkmalstypen drei Irrtumskonstellationen unterscheiden:245 1. Der Täter irrt sich über rein äußere Tatsachen. Dies kann im Außenwirtschaftsrecht etwa der Fall sein bei einer Fehlvorstellung, welche die tatsächliche Beschaffenheit der zu exportierenden Güter und die sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Ausfuhrgenehmigung nach dem AWG bzw. eines daraus folgenden Verbotes der Ausfuhr betrifft. In diesen Fällen liegt unproblematisch ein Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vor. 2. Der Täter hat volle Tatsachenkenntnis und erfasst die vortatbestandlichen bzw. außerstrafrechtlichen Voraussetzungen auf richtige Art und Weise, kennt aber das 241
Siehe dazu m. w. N. Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 52 ff. LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 115 f.; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 135; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 18; Schlüchter, S. 172; Wissmann, S. 71. 243 Matt/Renzikoswki-Gaede, § 16 Rn. 35; Walter, S. 337. – Zu bedenken ist aber die weitere Konsequenz, dass gegen einen im Erlaubnistatumstandsirrtum Handelnden keine Notwehr verübt werden darf, siehe dazu weiterführend Graul, JuS 1995, 1049 (1050) und Ladwig, HRRS 2018, 514 ff. 244 Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 136; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 16 Rn. 18. 245 Vgl. dazu und zum Folgenden Kudlich, JuS 2004, 1015 (1016). 242
F. Problematik der strafrechtlichen Irrtumslehre
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strafrechtliche Verbot nicht bzw. wendet es nicht auf sich an. Dies kann z. B. dann vorliegen, wenn der Täter von der Existenz eines bestimmten Embargobeschlusses weiß, aber irrigerweise davon ausgeht, sein in tatsächlicher Hinsicht zutreffend erkanntes Handeln sei vom Embargo nicht umfasst. Beispiel: Der Ausfuhrverantwortliche A exportiert Nebelwerfer246 nach Simbabwe247. A weiß, dass ein Waffenembargo gegen Simbabwe besteht, geht jedoch fälschlich davon aus, für Nebelwerfer gelte eine Ausnahme vom Ausfuhrverbot. Hier hat A sowohl Kenntnis der äußeren Tatsachen (Ausfuhr von Nebelwerfern nach Simbabwe) als auch der außerstrafrechtlichen Rechtslage (Existenz des Embargos), bezieht das strafrechtliche Verbot (sich hier aus § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 74 Abs. 1 Nr. 13 AWV ergebend) jedoch nicht auf sein Handeln. Hier ist, ebenfalls unproblematisch, ein Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB gegeben. 3. Umstritten sind allerdings diejenigen Fälle, die zwischen den beiden vorstehend genannten Konstellationen anzusiedeln sind, bei denen der Täter zwar volle Sachverhaltskenntnis hinsichtlich seiner Handlung hat, sich aber über „außerstrafrechtliche Vorfragen“ irrt, etwa über die Existenz eines Embargobeschlusses. Beispiel: Wie im obigen Fall exportiert A Nebelwerfer nach Simbabwe, geht in dieser Konstellation jedoch unzutreffenderweise davon aus, es bestehe kein Waffenembargo gegen das Land. Hier kennt er einerseits, wie beim Verbotsirrtum, seine Strafbarkeit wegen einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung nicht, andererseits weiß er aufgrund dessen auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzung der „Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung“ i. S. d. § 17 Abs. 1 AWG vorliegt, was wiederum eine Nähe zum Tatumstandsirrtum suggerieren könnte.248 Die Uneinigkeiten in der Rechtswissenschaft beginnen schon bei der in Kapitel 2 erläuterten Unterscheidung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen sowie Blankettmerkmalen. Auch die daran geknüpften Irrtumsfolgen werden kontrovers diskutiert, was nunmehr in den folgenden Ausführungen zu thematisieren ist. Um ein vollständiges Bild der Irrtumslehre zu zeichnen, ist dabei zunächst auf die Behandlung des Irrtums bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen einzugehen (G.) und sind danach die Irrtumslehre in Bezug auf Blanketttatbestände (H.) sowie die hieran geübte Kritik und die alternativen Vorgehensweisen darzustellen (I.).
246
Position 0002 lit. b Nr. 1 der Ausfuhrliste (AL) zur AWV. Embargoland nach § 74 Abs. 1 Nr. 13 AWV. 248 Kudlich, JuS 2004, 1015 (1016). 247
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
G. Behandlung des Irrtums bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen I. Bedeutung der Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen für Vorsatz und Irrtum Dopslaff bringt es auf den Punkt, wenn er fragt: „Ist das Wissen des Täters von seiner Tat bei Tatsachen, die bei einem deskriptiven Tatbestandsmerkmal erfasst werden, tatsächlich anders als bei solchen Tatsachen, die zur Extension von normativen Merkmalen gehören?“249 Dies wird von der herrschenden Meinung bejaht, nach der die vorzunehmende Unterscheidung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen entscheidenden Einfluss auf die Art und den Umfang des für den Vorsatz geforderten Wissens, also das intellektuelle Vorsatzelement haben soll. Insgesamt unstreitig ist dabei zunächst, dass sowohl bei deskriptiven als auch bei normativen Tatbestandsmerkmalen die Kenntnis der jedem Tatbestandsmerkmal zugrundeliegenden sog. natürlichen Tatsachen zur Annahme des Vorsatzes erforderlich ist; bleibt dem Täter eine solche Tatsache verborgen, führt dies in jedem Fall unproblematisch zum Tatumstandsirrtum.250 Dies ist etwa der Fall, wenn der Betroffene bei § 142 Abs. 1 StGB schon gar nicht mitbekommen hat, dass sich ein Unfall ereignet hat, weil er den Streifstoß beim Einparken nicht bemerkte, oder wenn das Mitnehmen einer fremden Jacke im Lokal darauf beruht, dass diese mit der eigenen verwechselt wurde.
II. Der Vorsatz bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen Bei deskriptiven Merkmalen genügt nach allgemeiner Auffassung für die Annahme vorsätzlichen Handelns die sinnliche Wahrnehmung des Merkmals bzw. die Tatsachenkenntnis.251 Als Schulbeispiel kann hier die Konstellation genannt werden, dass der Täter aus dem Reifen eines Pkws Luft herauslässt. Selbst wenn er davon ausgeht, die Sache, d. h. den Pkw, nicht beschädigt oder zerstört zu haben, genügt es zur Annahme einer für den Vorsatz ausreichenden Tatsachenkenntnis und damit zur Annahme einer vorsätzlichen Sachbeschädigung nach § 303 StGB, wenn der Täter weiß, dass mit dem Pkw jedenfalls vorübergehend nicht mehr gefahren werden kann.252 Dieses von Täter gewollte Ergebnis seiner Handlung stellt sich nämlich gerade als Sachbeschädigung im juristischen Sinne dar. Da er sein Handeln genau erfasst hat und nur nicht unter den Begriff der Sachbeschädigung subsumiert hat, ist ein solcher Irrtum lediglich als Subsumtionsirrtum anzusehen, der den Vorsatz nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB gerade nicht entfallen lässt. Ein vorsatzausschließender 249
Dopslaff, GA 1987, 1 (20). KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 13. 251 Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 414; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 21. 252 Vgl. zu diesem Beispiel Kühl, AT, § 5 Rn. 94. 250
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Tatumstandsirrtum, in diesem Falle aus dem Feld des Außenwirtschaftsstrafrechts, liegt dagegen nach dem bereits oben genannten Beispiel vor, wenn der Täter über die tatsächliche Beschaffenheit der auszuführenden Güter irrt, die der Beschreibung in der Ausfuhrliste entsprechen, und folglich nicht von der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Ausfuhrgenehmigung oder des Bestehens eines Ausfuhrverbots weiß.253 Hier ist dem Täter die Tatsache der Eigenschaft als Rüstungsgut als Tatumstand nicht bekannt, weshalb er irrtumsbedingt nicht vorsätzlich handelt.
III. Der Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen 1. Herrschende Auffassung: Parallelwertung in der Laiensphäre In Kapitel 2 wurde festgestellt, dass nach der herkömmlichen Definition von normativen Tatbestandsmerkmalen diese im Gegensatz zu deskriptiven Tatbestandsmerkmalen nicht oder nur eingeschränkt real erfassbar sein sollen, sondern nach h. M. darüber hinaus eines geistigen Verstehens im Sinne einer ergänzenden juristischen Wertung bedürfen.254 Im Urteil des 1. Strafsenats des BGH vom 8. Juli 1952 wurde entsprechend konstatiert, dass „je nach dem Aufbau der gesetzlichen Tatbestände […] auch Wertvorstellungen zum Vorsatz gehören [können]“.255 Ebenso wie bei deskriptiven Merkmalen ist bei normativen Tatbestandsmerkmalen die Kenntnis der Tatsachen, die dem normativen Merkmal zugrunde liegen, erforderlich.256 Die Beurteilung, ob vorsätzliches Handeln gegeben ist, stellt sich allerdings als weniger eindeutig dar, sobald es nicht um Wissen im tatsächlichen Bereich, sondern um die rechtliche Einordnung von Tatbestandsmerkmalen geht, die einer gewissen „Interpretation“ bedürfen. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft sieht daher auch die Erfassung des für die Unrechtsbegründung wesentlichen, rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalts der unter das jeweilige normative Tatbestandsmerkmal zu subsumierenden Sachverhaltselemente als erforderlich an.257 Dahinter liegt die Erkenntnis, dass normative Elemente, jedenfalls soweit sie wertender Natur sind, sich nicht restlos auf Tatsachen reduzieren lassen sollen.258 Eine exakte juristische Subsumtion des jeweiligen Begriffs wird allerdings nicht gefordert, denn sonst könnten nur Juristen vorsätzlich handeln, 253
Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 70. – Zu diesen Irrtumsfällen siehe Kapitel 5 D. I. und III. 254 Siehe dazu Kapitel 2 B. II. 1. b). 255 BGHSt 3, 110 (123). 256 Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 415. 257 BGHSt 3, 248 (255); BGHSt 4, 347 (352); Fischer, § 16 Rn. 14; Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3a; Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 415; Matt/Renzikowski-Gaede, § 16 Rn. 20; MükoStGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 70; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 101; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 43a; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, 289 (290). 258 Schlüchter, S. 70.
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sondern es soll genügen, wenn der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstands richtig erfasst hat.259 Dafür wird als ausreichend erachtet, dass der Täter die Wertung des Gesetzgebers, welcher Sachverhalt vom Schutz der Strafnorm umfasst werden soll, nach „Laienart“ begreift (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre).260 Zurückzuführen ist der Begriff auf Mezger, der die Parallelwertung in der Laiensphäre definiert als „eine der gesetzlich-richterlichen Bewertung gleichgerichtete Einschätzung des Tatbestandsmerkmals im Gedankenkreis der individuellen Person und Umgebung des Täters“, wobei hiernach allerdings nicht immer die „Laien“-Sphäre entscheidend sei, etwa bei einem juristisch gebildeten Täter.261 Hat der Täter dagegen einen Gegenstand sinnlich wahrgenommen und insoweit volle Tatsachenkenntnis erlangt, aber im betreffenden Fall eine mehr oder weniger schwierige juristische Subsumtion nicht nachvollzogen und daher den Bedeutungsgehalt seines Handelns verkannt, so wird angenommen, dass ein solcher Rechtsirrtum ausnahmsweise dann zum Vorsatzausschluss führt, wenn der Irrtum aus Sicht eines Laien nachvollziehbar war.262 Puppe bemerkt dazu – ein leiser Spott ist zu erkennen: „Offenbar trauen die Juristen den Laien das richtige Verständnis dieser Merkmale nicht zu“.263 Ein bloßer Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz nicht ausschließt, soll aber dann vorliegen, wenn der wesentliche Bedeutungskern des betreffenden Tatbestandsmerkmals durch den Täter in zutreffender Weise erfasst wurde, auch wenn das tatbestandsmäßige Geschehen nicht als solches erkannt und folglich nicht mit den Begriffen des jeweiligen Tatbestandsmerkmals belegt wird.264 Als gern und oft angebrachtes Beispiel einer hier für den Vorsatz ausreichenden Bedeutungskenntnis wird der Fall angeführt, in dem der Gast einige vom Kellner nach jedem servierten Bier angebrachten Striche auf dem Bierdeckel wegradiert und weiß, dass diese Striche die Beweisgrundlage für seine Rechnung darstellen. Geht dieser Gast davon aus, dass nur unterschriebene Schriftstücke, nicht aber das hier verwendete sog. Beweiszeichen eine Urkunde darstellen, so hat dies keine Auswirkungen auf den Vorsatz, da er sowohl Kenntnis der Tatsachen hatte – Ausradieren der Striche auf dem Bierdeckel – als auch i. S. der Parallelwertung in der Laiensphäre die rechtlich-soziale Bedeutung seines Verhaltens, d. h. die Vernichtung von Beweismitteln für die Anzahl der erhaltenen Biere, erkannt hat.265 Kommt es dem Gast hingegen gar nicht in den Sinn, dass die Striche als Nachweis für die Anzahl der 259
Kühl, AT, § 5 Rn. 93; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 361. BGHSt 3, 248 (255); BGHSt 4, 347 (352); Fischer, § 16 Rn. 14; Jescheck/Weigend, AT, § 29 II 3a; Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 415; Matt/Renzikowski-Gaede, § 16 Rn. 20; MükoStGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 70; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 101; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 43a; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, 289 (290). 261 Mezger, Strafrecht, S. 328. 262 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (455). 263 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 45. 264 Heidingsfelder, S. 21; Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (455). 265 Krey/Esser, AT, § 12 Rn. 418; Kühl, AT, § 5 Rn. 94. 260
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servierten Biere dienen, etwa weil ihm diese Sitte unbekannt ist, fehlt ihm die Bedeutungskenntnis und er befindet sich in einem vorsatzausschließenden Wissensdefizit.266 Auch der Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung bei § 242 Abs. 1 StGB soll trotz richtiger Tatsachenwahrnehmung entfallen, wenn der Täter durch rechtliche Fehleinschätzung, weil er nämlich als nicht juristisch vorgebildeter Bürger die Unterscheidung zwischen Spezies- und Gattungsschuld nicht kennt, davon ausgeht, einen Anspruch genau auf die vom Schuldner bei sich geführten Geldscheine zu haben.267 Diese unterschiedliche Behandlung von Rechtsirrtümern wird damit begründet, dass in Fällen wie den beiden letztgenannten „eine verfehlte Rechtsauffassung dem Täter schon den sozialen Sinn seines Tuns verschleiert“.268 Allerdings konnte noch nicht übereinstimmend festgelegt werden, wie die Definition einer Parallelwertung in der Laiensphäre aussehen soll. Ausreichen soll wohl, dass sich der Täter durch Vornahme einer laienhaften Parallelbewertung den wesentlichen Bedeutungsgehalt für die Unrechtsbegründung erschlossen hat und sein Handeln sich folglich als Entscheidung für die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Unrechts darstellt.269 2. Umgekehrter Irrtum Wie sich die Abgrenzung der umgekehrten Irrtümer bei normativen Tatbestandsmerkmalen vornehmen lässt, ob sich z. B. die irrtümliche Einordnung einer eigenen Sache als fremd als strafloses Wahndelikt oder aber als grundsätzlich strafbarer untauglicher Versuch darstellt, ist dagegen auch innerhalb der Befürworter der Figur einer Parallelwertung in der Laiensphäre umstritten. Recht unproblematisch stellt sich noch die Situation dar, dass der Täter in rein tatsächlicher Hinsicht einer Fehlvorstellung unterliegt, er etwa seinen eigenen Sartorius Gesetzestext zerstört und dabei irrig annimmt, er gehöre seinem Mitbewohner, weil er beide Exemplare verwechselt hat. Dies stellt einen untauglichen Versuch dar. Umgekehrt ist auch relativ klar, dass ein Wahndelikt gegeben ist, wenn jemand annimmt, eine Urkunde sei schon dann „falsch“ i. S. d. § 267 StGB, wenn ihr Inhalt unrichtig ist.270 Hier wird lediglich der einen solchen Fall nicht erfassende Tatbestand der Urkundenfälschung überdehnt. Anders hingegen sieht es in solchen Fällen aus, in denen der Täter bedingt durch falsche Rechtsvorstellungen vom Vorliegen des jeweiligen normativen Tatbestandsmerkmals ausgeht. Wie sich das auf die Strafbarkeit aus266
Vgl. nur Schroth, S. 51. BGH NStZ 1982, 380; Glandien, S. 44; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 49; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 43a. – Nach a. A. liegt hier schon gar keine Rechtswidrigkeit der Zueignung vor, da der Schuldner bei Gattungsschulden keinen gegenüber Stückschulden gesteigerten Schutz verdiene; vgl. NK-StGB-Kindhäuser, § 242 Rn. 117 f. 268 Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 104. 269 Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 71; vgl. auch BGH BeckRS 2016, 21431 Rn. 38; BGH NJW 2018, 1486 (1489). 270 Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 83. 267
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wirkt, kann anhand des folgenden Falles271 demonstriert werden: A ist Alleinerbe seines Großvaters; seiner Schwester S wurde nur ein wertvoller Ring als Vermächtnis vermacht. Diesen Ring möchte A aber für sich behalten und steckt ihn ein. Er glaubt allerdings, S habe bereits mit dem Tod des Großvaters Eigentum am Ring erworben, der Ring sei also für ihn fremd und die Zueignung somit strafbar. Fraglich ist hier die Strafbarkeit des A nach §§ 246 Abs. 1 und 3, 22 StGB. A verkennt die Norm des § 2174 BGB, die zwar nicht zum Tatbestand des § 246 Abs. 1 StGB gehört, jedoch im Beispielsfall den Inhalt des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit bestimmt. Man könnte sich daher fragen, ob ein Irrtum des A über tatsächliche Umstände vorliegt oder ob lediglich der Normbereich des Tatbestands überdehnt wird.272 Geht man vom oben dargelegten Umkehrschluss aus, müsste man bei normativen Tatbestandsmerkmalen, bei denen für eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung von Rechtsprechung und herrschender Lehre eine Parallelwertung in der Laiensphäre gefordert wird, für den untauglichen Versuch eine „umgekehrte“ Parallelwertung in der Laiensphäre als notwendig erachten.273 Da nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB jede unrichtige Vorstellung über einen Tatumstand, selbst wenn diese auf einer laienhaften Verkennung des normativen Tatbestandsmerkmals beruht, zum Ausschluss des Vorsatzes führen soll, müsste in Anwendung des Umkehrschlusses jeder Irrtum, durch den der Täter vom Vorliegen des Merkmals ausgeht, diesen belasten.274 So geht auch ein großer Teil der Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass sowohl dann, wenn der Täter irrig einen tatbestandsrelevanten Sachverhalt annimmt, als auch dann, wenn er dem von ihm in tatsächlicher Hinsicht zutreffend erkannten Sachverhalt irrigerweise die tatbestandsmäßige Qualität zuschreibt, der in beiden Fällen vorliegende Tatbestandsvorsatz zu einem untauglichen Versuch führt.275 Hiermit übereinstimmend hat das AG Nürnberg276 in Anlehnung an das OLG Stuttgart277 in einem Fall, in dem die in einem Krematorium arbeitenden Täter herrenloses Zahngold an sich nahmen, von dem sie allerdings dachten, es stehe im Eigentum eines Dritten und sei damit „fremd“ i. S. d. § 242 Abs. 1 StGB, ausgeführt: „Bei dem Tatbestandsmerkmal der Fremdheit einer beweglichen Sache handelt es sich um ein normatives Merkmal. Für den Vorsatz kommt es auf eine zutreffende Parallelwertung in der Laiensphäre an. […] Es liegt spiegelbildlich in einem solchen Fall ein untauglicher Versuch vor, wenn der Täter irrig davon ausgeht, es handele sich bei der entwendeten Sache um eine fremde. […] Bei einem Irrtum über ein normatives Tatbestandsmerkmal kommt ein Wahnverbrechen nämlich nur dann in Betracht, wenn der Täter das Tatbestandsmerkmal 271
Gebildet nach Hotz, JuS 2016, 221 (222). Hotz, JuS 2016, 221 (222). 273 Hotz, JuS 2016, 221 (222). 274 Vgl. nur BeckOK-StGB-Cornelius, 54. Ed., § 22 Rn. 84. 275 Frisch, GA 2019, 305 (307); Müko-StGB-Hoffmann/Holland, 4. Aufl., § 22 Rn. 68; vgl. dazu mit weiteren Nachweisen NK-StGB-Zaczyk, § 22 Rn. 42. 276 AG Nürnberg BeckRS 2012, 18040. 277 OLG Stuttgart NJW 1962, 65 (66). 272
G. Behandlung des Irrtums bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen 181 seinem Begriff nach verkennt. […] Seinem Begriff nach haben die Angeklagten aber das normative Tatbestandsmerkmal der Fremdheit gerade nicht verkannt, sie sind nach den getroffenen Feststellungen davon ausgegangen, dass der jeweilige Zahngoldklumpen jemandem gehört. Sie haben also ,in der Laiensphäre‘ das normative Tatbestandsmerkmal seinem sozialen Sinngehalt entsprechend gewertet, mögliche rechtliche Irrtümer liegen außerhalb des Tatbestandsmerkmals“.
Nach Ansicht des AG lag damit ein untauglicher Versuch vor.278 In einem ähnlichen Fall ging auch das OLG Hamburg279 von einem untauglichen Versuch aus, wenn der Täter „eine herrenlose Sache auf Grund fehlerhafter zivilrechtlicher Wertung irrtümlich für fremd“ hält und „sich den nicht vorhandenen Umstand der Fremdheit der Sache, an dessen Fehlen die Vollendung des vorgestellten Tatbestands zwangsläufig scheitern muss, als gegeben“ vorstellt. Folgt man der soeben dargestellten Auffassung, würde im oben genannten Beispielsfall die irrige Vorstellung, durch das Vermächtnis sei der Ring bereits Eigentum der S geworden, einen hinreichenden Tatentschluss bezüglich des Merkmals „fremd“ begründen und damit zu einem untauglichen Versuch und einer Strafbarkeit nach §§ 246 Abs. 1 und 3, 22 StGB führen.280 3. An der herrschenden Auffassung geübte Kritik a) Undurchführbarkeit der Abgrenzung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen Der Ausgangspunkt der Kritik an der Lehre von den normativen Tatbestandsmerkmalen der herrschenden Meinung betrifft zunächst grundsätzlich die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Merkmalen. Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, wird bemängelt, dass eine Differenzierung zwischen diesen beiden Merkmalen überwiegend schon gar nicht möglich sei; deskriptive Merkmale erforderten „in Grenzbereichen“ ebenfalls die Kenntnis einer Bewertung, während sog. normative Merkmale teils auch beschreibenden Inhalts seien.281 b) Vagheit des Konstrukts „Parallelwertung in der Laiensphäre“ Umstritten ist auch das Konzept der Lehre von der Parallelwertung in der Laiensphäre an sich. Während Roxin konstatiert, mit der Parallelwertungslehre könne man „gerade den Härten der Schuldtheorie dadurch begegnen, dass man für den Vorsatz den Mitvollzug einer juristischen Bewertung dort fordert, wo ohne ihn auch 278 Siehe zu diesem Fall auch Jahn/Ebner, JuS 2008, 1086 (1087 f.) und Kindhäuser, JuS 2019, 953 (960), der allerdings in diesem Fall ein Wahndelikt annehmen möchte. 279 OLG Hamburg NJW 2012, 1601 (1604). 280 Hotz, JuS 2016, 221 (222). 281 Vgl. Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (456 f.); siehe dazu Kapitel 2 B. II. 2. b).
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ein laienhaftes Bewusstsein von der sozialen Bedeutung des eigenen Verhaltens nicht zu erlangen ist“,282 wird vielerorts auch auf die Vagheit des Konzepts hingewiesen. Selbst wenn man die Notwendigkeit eines solchen Konzepts anerkenne, sei unklar, wann überhaupt von einem Erfassen des rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalts des normativen Tatumstands die Rede sein könne. Dass es bei der strafrechtlichen Behandlung einen Unterschied machen soll, ob der Täter, der aus einem Autoreifen die Luft herauslässt und dabei annimmt, dass nur eine Substanzverletzung dem Merkmal des „Beschädigens“ nach § 303 StGB unterfällt (unbeachtlicher Subsumtionsirrtum), oder ob der Handelnde „auf Grund noch so verfehlter rechtlicher Überlegungen“283 fälschlicherweise glaubt, Eigentümer der Sache zu sein, und diese zerstört (kein Vorsatz), hält Heinrich für wenig überzeugend.284 Dazu führt er u. a. folgenden Fall aus: „[…] wie ist eine Einordnung der (Un-)Kenntnis der Fremdheit vorzunehmen, wenn der Täter einen Postboten, der bei seinem Nachbarn ein Paket abliefern will, durch die Täuschung, er sei selbst der Nachbar, zur Übergabe des Pakets veranlasst? Hat der Täter nun den ,sozialen Sinn‘ seines Handelns verstanden, wenn er davon ausgeht, dass er zwar den Postboten ,übers Ohr gehauen‘ hat (und insoweit durchaus ,bösgläubig‘ ist), aber dennoch glaubt, dieser habe ihm das Paket zivilrechtlich wirksam (wenn auch anfechtbar) übereignet? Wirft er das Paket später weg, weil es einen für ihn unbrauchbaren Inhalt hat, glaubt aber, dadurch keine fremde Sache zu zerstören, da diese ihm ja wirksam übereignet wurde, müsste die überwiegende Ansicht hier (wohl) zu einem Ausschluss des Vorsatzes gelangen, obwohl der Täter genau wusste, dass er sich schäbig verhalten hat“.285
In der Tat ist zunächst zuzugeben, dass bei Vorliegen genau dieses Sachverhalts nach der Vorgehensweise der h. M. der Vorsatz hinsichtlich einer Sachbeschädigung verneint werden müsste. Zwei Punkte sind aber zu bedenken: Zum einen ist der Tatkomplex vor der Zerstörung der Sache, also die Täuschung des Postboten mit daraufhin erfolgender Übergabe des Pakets an den Täter, schon als Dreiecksbetrug oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft strafrechtlich relevant. Zweitens stellt sich die Frage, wie realitätsnah eine Einlassung des Täters über eine solche zivilrechtliche Einschätzung der Sachlage ist und ob in einem Strafverfahren diese wohl nicht eher als Schutzbehauptung gewertet werden würde. Wegen der Unklarheiten bei der Konstruktion einer Parallelwertung in der Laiensphäre fordern einige Autoren, die Unterscheidung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen jedenfalls in Bezug auf den Vorsatz vollständig aufzugeben.286 Dopslaff etwa begründet dies damit, dass die von der herrschenden Meinung konstatierte Hemmungsfunktion der intellektuellen Vorsatzkomponente 282
Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 108. Hier zitiert Heinrich aus Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 101. 284 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (458) unter Bezugnahme auf Beispiele nach Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 101, 103. 285 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (458 f.). 286 Z. B. Dopslaff, GA 1987, 1 (24); Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (456 ff.); Wissmann, S. 189 ff.; siehe dazu noch I. I. 2. 283
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ohnehin nicht erreicht werden könne, wenn mit der gesetzlich festgeschriebenen Schuldtheorie Vorsatz und Unrechtsbewusstsein als zwei selbständige Elemente behandelt würden; ein handlungshemmender Impuls sei nur in Verbindung mit dem Unrechtsbewusstsein möglich.287 Um dies zu demonstrieren, bildet er das Beispiel eines Touristen, der mit seinem Pkw eine Reise durch ein Land macht, in dem es aufgrund von Dürre strafbar ist, Wasser zum Waschen von Pkws zu verwenden. Wenn der Tourist nun dieses Gesetz nicht kenne und sein Auto wasche, wisse er zwar, was er tut (intellektuelles Vorsatzelement), er wisse aber nicht, dass diese Tat Unrecht ist (Fehlen des Unrechtsbewusstseins). „Ein Impuls, das Autowaschen zu unterlassen, kann nun von der bloßen Kenntnis der Tat nicht ausgehen. Ein Hemmungsimpuls ist allenfalls zu erwarten, wenn der Tourist auch weiß, dass diese Handlung nicht rechtmäßig ist“.288 Da also eine Appellfunktion ohnehin nur durch die Verbindung des Vorsatzes mit dem Unrechtsbewusstsein zu erreichen sei, könne beim Vorsatz eine Bedeutungskenntnis der Tatbestandsbegriffe keine Rolle spielen, weshalb Dopslaff die Wissenskomponente des Vorsatzes als bloße Kenntnis von der Sachverhaltsbeschreibung verstanden wissen möchte und zwar sowohl bei normativen als auch bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen.289 In der Konsequenz könne die Parallelwertung in der Laiensphäre „ersatzlos preisgegeben“ werden, nachdem keinerlei Bedeutungskenntnis der Tatbestandsbegriffe erforderlich sei.290 Andere Autoren gehen einen diametral entgegengesetzten Weg: So ist etwa nach Puppes Auffassung auch das Bestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses eine Tatsache und, sofern in einem Tatbestand ein solches Recht oder Rechtsverhältnis vorkommt, dieses ein „Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Daher müsse der Tätervorsatz diese von ihr so genannten institutionellen Tatsachen umfassen. Dabei wird aber keine genaue Definition des Rechtsbegriffs gefordert, sondern der Täter „muss nur wissen, dass ein Fall der Erfüllung dieses Begriffs vorliegt, z. B. ein Fall von Pfandrecht, Eigentum oder unechter Urkunde“.291 Wer wisse, dass er durch Austausch eines Preisschilds an einer Ware den Anschein erweckt, der Ladeninhaber biete diese Ware zu einem billigeren Preis an, wisse auch, dass er eine Urkunde fälscht, auch wenn er den abstrakten Begriff der Urkunde und deren Definition als dauerhaft verkörperte Erklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet ist, nicht kenne. Folglich sei die „Kenntnis, dass ein Gegenstand oder ein Sachverhalt unter einen Spezialbegriff eines Tatbestandsmerkmals subsumierbar ist, […] keine Parallelwertung in der Laiensphäre. Sie 287 Dopslaff, GA 1987, 1 (20 f.). – Dopslaff spricht – obwohl er selbst der Schuldtheorie folgen möchte – fälschlicherweise von Vorsatz und Unrechtsbewusstsein als „zwei selbständige Schuldelemente“ [Hervorhebung durch Verf.], wobei wohl gemeint ist, dass das Unrechtsbewusstsein ein vom Vorsatz zu trennendes, selbständiges Schuldelement ist. 288 Dopslaff, GA 1987, 1 (21). 289 Dopslaff, GA 1987, 1 (22 ff.); siehe dazu auch I. I. 2. 290 Dopslaff, GA 1987, 1 (25). 291 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 46.
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ist vielmehr logisch in der Kenntnis der Subsumierbarkeit unter den Spezialbegriff enthalten, auch wenn der Täter das nicht weiß“.292
Im Gegensatz zur herrschenden Meinung wird hier bei normativen Tatbestandsmerkmalen bzw. „institutionellen Tatsachen“ die Annahme des Bestehens eines Rechtsverhältnisses als Akt der Erkenntnis und nicht der Wertung angesehen.293 Interessant ist auch die Einschätzung Puppes, die die Lehre von der Parallelwertung ohnehin als praktisch eher irrelevant einstuft. In neueren Entscheidungen spielten die Begrifflichkeiten der normativen Tatbestandsmerkmale bzw. der Parallelwertung in der Laiensphäre „im Zusammenhang mit juristischen Tatsachen“ kaum eine Rolle, denn die Gerichte stellten „allenfalls schlicht fest, ob der Täter dieses Rechtsverhältnis kannte“.294 Die angeblichen Probleme, derer man durch diese Konstruktionen habhaft werden wolle, „existieren also in der Praxis nicht und sind bloße theoretische Scheinprobleme“.295 Für den in dieser Arbeit gesteckten Rahmen des Außenwirtschaftsstrafrechts lässt sich feststellen, dass die Problematik von normativen Tatbestandsmerkmalen und damit der Parallelwertung in der Laiensphäre nur dann eine Rolle spielt, wenn man bei denjenigen Straftatbeständen des AWG, die ein Handeln ohne die erforderliche Genehmigung sanktionieren, im Merkmal der fehlenden Genehmigung ein normatives Tatbestandsmerkmal sieht. Dies ist nach hier vertretener Ansicht indes abzulehnen.296 Andere normative Tatbestandsmerkmale sind im Zusammenhang mit §§ 17, 18 AWG nicht ersichtlich. Anders sieht dies indes im Bereich des KrWaffG aus, wo hinsichtlich des Begriffs der Kriegswaffe streitig ist, ob dieser nun ein normatives oder deskriptives Tatbestandsmerkmal darstellt, was entsprechende Konsequenzen für Vorsatzanforderungen und Irrtumsbehandlung nach sich zieht.297 Dieser Frage wird im letzten Kapitel noch nachzugehen sein.298 c) Unlogische Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt Weiter wird der herrschenden Lehre die Schwierigkeit der Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch bei normativen Tatbestandsmerkmalen 292
NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 46. NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 50; so auch LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 30; SK-StGB-Stein, § 16 Rn. 19. – A. a. O. merkt Puppe außerdem an, dass die Annahme der h. L., die bei normativen Tatbestandsmerkmalen einen Akt der Wertung verlangt, konsequenterweise dazu führen müsste, dass ein Irrtum hierüber lediglich einen für den Vorsatz unerheblichen Wertungsirrtum darstellt. Dann sei aber unklar, was der Vorsatztäter in diesem Fall über ein Tatbestandsmerkmal, das ein Rechtsverhältnis bezeichnet, überhaupt wissen müsse. 294 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 51 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 295 NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 51. 296 Siehe oben Kapitel 3 D., dazu auch noch unten J. II. 1. 297 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. 298 Siehe dazu Kapitel 5 D. II. 2. 293
G. Behandlung des Irrtums bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen 185
vorgehalten. So wird die Frage aufgeworfen, „ob eine Grenzziehung zwischen einem versuchsbegründenden Rechtsirrtum und einem bloßen Wahndelikt (umgekehrter Verbotsirrtum) überhaupt sinnvoll und berechtigt ist“.299 Während – wie oben dargestellt – durchaus eine Vielzahl von Vertretern aus Lehre und Rechtsprechung aus der Konsequenz der Anwendung der Figur der Parallelwertung in der Laiensphäre in den umgekehrten Konstellationen die irrtümliche Annahme der „Fremdheit“ einer Sache als Begründung eines strafbaren untauglichen Versuchs sieht, liegt etwa nach Dopslaffs Auffassung in diesem Fall lediglich ein strafloses Wahndelikt vor.300 Da nach seinem Vorsatzverständnis bei normativen Merkmalen die Wissenskomponente des Vorsatzes nur die Sachverhaltsbeschreibung umfasst, könnten in dem Fall, in dem der Täter den tatsächlichen Sachverhalt kennt, der indes nicht zur Fremdheit der Sache führt, weitergehende Vorstellungen des Täters über das Merkmal „fremd“ keine Auswirkungen auf den Vorsatz haben und mithin keinen untauglichen Versuch begründen.301 Auch andere möchten bei einem Rechtsirrtum über Normen im Vorfeld strafrechtlicher Tatbestände oder über die Bedeutung von Tatbestandsmerkmalen stets ein Wahndelikt annehmen.302 Eine Versuchsstrafbarkeit könne nur gegeben sein, wenn die gesetzlichen Merkmale im Einzelfall objektiv vorlägen; subjektive Vorstellungen könnten die „Unrechtsrelevanz“ nicht ersetzen.303 So führt Burkhardt aus: „Ein (umgekehrter) Rechtsirrtum – gleich welcher Provenienz – wirkt nicht versuchsbegründend, sondern führt zum straflosen Wahndelikt“.304 Beim Tatbestandsmerkmal „fremd“ hieße das, dass die Sache objektiv fremd sein muss, um einen strafbaren Versuch zu begründen; Fehlannahmen über die Fremdheit der Sache stellten lediglich ein Wahndelikt dar.305 In diesen Fällen werde lediglich eine eingebildete Rechtsordnung bedroht, weshalb von der handelnden Person keine Gefahr für die bestehende Rechtsordnung ausgehe und der Strafgrund des Versuchs nicht gegeben sei.306 Walter hält dem allerdings entgegen, dass diese These das seines Erachtens dogmatisch zwingende Umkehrprinzip verletze, da umgekehrt natürlich nicht jeder dem Täter günstige Rechtsirrtum im tatbestandlichen Vorfeld unbeachtlich sein bzw. nur einen Verbotsirrtum begründen könne.307 Außerdem könne es keinen Unterschied machen, ob der Täter eine Sache nun rechtsirrig oder infolge einer Verwechslung für fremd halte; nicht nur in den Fällen der rechtsirrigen An-
299
Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 89. Dopslaff, GA 1987, 1 (26). 301 Dopslaff, GA 1987, 1 (26). 302 BGHSt 13, 235 (240 f.); BayObLG NJW 1981, 772; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 370 (372); Burkhardt, JZ 1981, 681 (683 ff.); Hotz, JuS 2016, 221 (225); Sch/Sch-Eser/Bosch, § 22 Rn. 89. 303 NK-StGB-Zaczyk, § 22 Rn. 49. 304 Burkhardt, JZ 1981, 681. 305 NK-StGB-Zaczyk, § 22 Rn. 49. 306 Hotz, JuS 2016, 221 (225). 307 Walter, S. 386. 300
186
Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
nahme eines Tatumstands, sondern bei jedem untauglichen Versuch richte sich der Vorsatz auf etwas objektiv Harmloses:308 „Da aber rechtliche Tatsachen und Vorgänge kategorial das gleiche sind wie andere Tatsachen und Vorgänge, kann es nicht sinnvoll sein, die Folgen eines Irrtums daran zu knüpfen, ob er sich auf das eine oder das andere beziehe“.309
An dieser Stelle auf sämtliche Kritikpunkte in Bezug auf die Abgrenzung vom untauglichen Versuch zum Wahndelikt en détail einzugehen, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, zumal die Konstellationen täterbelastender Fehlannahmen in der Praxis denkbar selten sind. Zwar sind der Versuch des § 17 AWG, der als Verbrechenstatbestand ausgestaltet ist, und der Versuch des § 18 AWG, der in Abs. 6 die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich anordnet, gemäß § 23 Abs. 1 StGB strafbar, allerdings würde eine Verfolgung des untauglichen Versuchs eine „äußerst ungeschickte Einlassung“ des Beschuldigten voraussetzen, die „in der forensischen Lebenswirklichkeit kaum vorkommt“.310
H. Behandlung des Irrtums bei Blanketttatbeständen Nach diesen allgemeinen Ausführungen zum Irrtum bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen soll sich nun zunächst einem der zwei Kernbereiche bezüglich der Behandlung von Irrtumsfragen im Außenwirtschaftsstrafrecht zugewandt werden, der den Irrtum über Blankettstraftatbestände betrifft. Dieser kann sich auf zweierlei beziehen: zum einen auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der blankettausfüllenden Norm, d. h. auf die dort beschriebenen Tatumstände, zum anderen auf die Existenz oder Reichweite der Ausfüllungsnorm bzw. des durch sie statuierten Gebots oder Verbots.
I. Irrtum über die Voraussetzungen der Ausfüllungsnorm Wie bereits dargestellt, haben Blankettstrafgesetze entweder keinen eigenen Tatbestand, sondern verweisen vollständig auf eine anderweitig normierte Vorschrift, deren Verletzung mit Strafe bedroht wird, oder sie beschreiben das strafbare Verhalten nur teilweise selbst, verweisen dann aber ebenfalls auf eine sich an anderer Stelle befindenden Rechtsnorm.311 Der Blanketttatbestand muss also stets durch den Tatbestand der Ausfüllungsnorm ergänzt werden, um einen vollständigen Straftatbestand zu bilden. 308
Walter, S. 387. Walter, S. 387. 310 Schuster, S. 41. 311 Siehe dazu bereits Kapitel 2 A. 309
H. Behandlung des Irrtums bei Blanketttatbeständen
187
Einigkeit besteht darüber, dass sich der Vorsatz des Täters jedenfalls auf die tatsächlichen Voraussetzungen der blankettausfüllenden Norm beziehen, der Täter also die durch den Tatbestand dieser Ausfüllungsnorm beschriebenen Umstände kennen muss.312 Irrt er sich über ein objektives, tatsächliches Merkmal der Ausfüllungsnorm, liegt demnach ein Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vor.313
II. Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsnorm Umstritten ist hingegen, ob neben den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der blankettausfüllenden Norm auch deren Existenz bzw. das durch diese statuierte Gebot oder Verbot vom Vorsatz umfasst werden muss, sodass ein Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsnorm einen Tatumstandsirrtum begründet, oder ob die Unkenntnis der Ausfüllungsvorschrift lediglich im Hinblick auf das Unrechtsbewusstsein i. S. d. § 17 StGB Relevanz entfaltet.314 1. Kontroverse zwischen Lange und Welzel Nachdem im Jahr 1952 durch den Großen Senat die Unterscheidung zwischen Verbots- und Tatumstandsirrtum höchstrichterlich anerkannt worden war und damit die Unkenntnis des Verbots der tatbestandsmäßigen Handlung als Verbotsirrtum behandelt wurde, kam in der strafrechtlichen Literatur auch die Diskussion über die Handhabung des Irrtums bei Blankettstrafgesetzen auf, die insbesondere in einer „berühmten Kontroverse“315 zwischen Lange und Welzel ausgetragen wurde. Im Wesentlichen ging es dabei um die Frage, ob „zwischen kriminellen Delikten einerseits und Zuwiderhandlungen (Ordnungswidrigkeiten und Straftaten des Verwaltungsstrafrechts) andererseits“ zu unterscheiden und beim Verbotsirrtum bei ersteren nach der Schuldtheorie, bei letzteren nach der Vorsatztheorie vorzugehen sei, wobei dabei auch das Blankettstrafrecht als typische Gesetzesform des Verwaltungsstrafrechts thematisiert wurde.316 Auf Warda verweisend hatte Welzel an früherer Stelle formuliert: 312
Bachmann, S. 70; Enderle, S. 333; Jescheck/Weigend, AT, § 29 V 3; Müko-StGBJoecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 76; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 60; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 111; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 99; SK-StGB-Stein § 16 Rn. 23. 313 Jescheck/Weigend, AT, § 29 V 3. 314 Bachmann, S. 70; Jescheck/Weigend, AT, § 29 V 3; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 76; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 60; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 111 f.; Sch/ Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 99; SK-StGB-Stein § 16 Rn. 23; Walter, TiedemannFS 2008, S. 969 (984). 315 Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 405. 316 Lange, JZ 1956, 73 ff.; Welzel, JZ 1956, 238 ff.
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
„[…] lediglich die räumliche Trennung der Tatbestandsmerkmale in dem Blankettstrafgesetz auf der einen und in der ausfüllenden Norm auf der anderen Seite erfordert eine gewisse zusätzliche Gedankenoperation, nämlich das Zusammenlesen der getrennten Tatbestandsmerkmale zu einem einheitlichen Tatbestand“.317
Als völlig selbstverständlich wurde dabei der Wegfall des Blankettmerkmals beim Zusammenlesen angenommen.318 Der Irrtum über die Tatbestandsmerkmale der ausfüllenden Norm führte nach Welzel folglich zum vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum, der Irrtum über ihr Verbotensein indes zum Verbotsirrtum.319 Insbesondere Lange trat dieser Auffassung entschieden mit dem Argument entgegen, dass, anders als bei den im Hauptstrafrecht existierenden Normen, deren Kenntnis durch die allgemeine sittliche Sozialisation vorausgesetzt werde, bei Blankettstrafnormen des Nebenstrafrechts das Verbot „entscheidend erst durch einen Rechtsakt bestimmt“ werde.320 Sei das Täterverhalten „in seiner natürlichen Eigenart unter strafrechtlichem Wertwinkel völlig nichtssagend oder ambivalent“, müsse dieses „Vakuum des Tatbestandes“ durch die Tatsache eines Gebots oder Verbots gefüllt werden.321 Kenne der Täter die Tatsache eines konkreten Ge- oder Verbots nicht, könne er auch kein Unrecht erkennen; dieses existiere für ihn überhaupt nicht.322 Daher konnte nach Lange tatbestandsmäßiges Handeln nur gegeben sein, wenn der Täter Vorsatz dahingehend hatte, durch sein Verhalten gegen das staatlich angeordnete Ge- oder Verbot zu verstoßen, auf welches sich das Blankettmerkmal bezieht.323 Insbesondere stellten die Verhaltensnormen im Nebenstrafrecht keine elementaren rechtsethischen Regeln dar, weshalb der bloße Vorsatz hinsichtlich der Ausfüllungsnorm die Kenntnis der Unrechtsverwirklichung gar nicht indizieren könne.324 Weiterhin führte Lange aus, dass im Nebenstrafrecht Fahrlässigkeit „in erster Linie oder ausschließlich“ Rechtsfahrlässigkeit bedeute.325 Dem hielt wiederum Welzel u. a. entgegen, „daß es sich auch in dem Bereich, in dem das Phänomen eines besonderen Verwaltungsunrechts auftaucht, stets um materiale, sozial-ethische Probleme hochkomplexer Natur handelt. Darum ist es prinzipiell verfehlt, nur dem sogenannten ,Kriminalunrecht‘ einen ,typischen materialen Unwert der Handlung‘ zuzusprechen und demgegenüber das Verwaltungsunrecht als an sich ,wertindifferent‘, als ,rein willkürliches‘ Produkt des Gesetz-
317
Welzel, MDR 1952, 584 (586). Welzel, MDR 1952, 584 (586); ders., JZ 1956, 238 (249). 319 Welzel, MDR 1952, 584 (586). 320 Lange, JZ 1956, 73 (76). 321 Lange, JZ 1956, 73 (76). 322 Lange, JZ 1956, 73 (76). 323 Lange, JZ 1956, 73 (76). 324 Lange, JZ 1956, 73 (76); vgl. auch Kuhli, S. 194. 325 Lange, JZ 1956, 73. 318
H. Behandlung des Irrtums bei Blanketttatbeständen
189
gebers zu kennzeichnen, dem allein ,aus dem schneidenden formellen Verbot die materielle Wertwidrigkeit des Ungehorsams‘ erwächst“.326
Auch der These der Rechtsfahrlässigkeit widersprach er, indem durch Beispiele die Existenz von Tatfahrlässigkeit auch im „Blankettstrafrecht der Nebengesetze“ aufgezeigt wurde.327 So sei es z. B. bei § 38 Abs. 2 BJagdG, nach dem bestraft wird, wer fahrlässig Wild trotz Verbotes nach § 21 Abs. 3 BJagdG erlegt oder den Vorschriften über Schonzeiten zuwiderhandelt, natürlich möglich, tatfahrlässig zu handeln, etwa wenn der Täter das Wild verwechselt.328 Auf diese auch heute noch intensiv diskutierten Argumente wird im Folgenden zurückzukommen sein. 2. Herrschende Auffassung: Irrtum über Existenz der Ausfüllungsnorm als Verbotsirrtum a) Zusammenlesen von Blankettnorm und Ausfüllungsnorm Die heute herrschende Meinung geht im Anschluss an Welzel als dem „Vorkämpfer“329 der Auffassung vom Zusammenlesen ebenfalls nach der sog. Inkorporationstheorie vor, indem die Blankettnorm und die in Bezug genommene Rechtsnorm „zusammengelesen“ werden und aus beiden ein „Gesamttatbestand“ gebildet wird.330 Dies soll an einem Beispiel aus dem Außenwirtschaftsstrafrecht demonstriert werden. Nach der Inkorporationstheorie wäre etwa § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. der Ausfüllungsnorm § 80 Satz 1 Nr. 1 AWV wie folgt zu lesen: „Es ist verboten, bestimmte Güter in bestimmte Länder zu verkaufen, aus- oder durchzuführen oder zu befördern, und zwar in solche Länder, die auf der Liste in § 74 Abs. 1 AWV stehen“. Liest man dann noch § 74 Abs. 1 AWV in § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 80 Satz 1 Nr. 1 AWV hinein, so hieße die so zusammengelesene Norm nun: „Es ist verboten, bestimmte Güter, und zwar solche, die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur AWV genannt werden, nach Belarus, Birma/Myanmar, Demokratische Republik Kongo, Demokratische Republik Korea, Irak, Iran, Libanon, Libyen, Russland, Simbabwe, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien, Venezuela und Zentralafrikanische Republik zu verkaufen, aus- oder durchzuführen“.
Es muss dann nochmals Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur AWV in § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80 Satz 1 Nr. 1, 74 Abs. 1 AWV hineingelesen werden, sodass schlussendlich die so gefundene Norm lautet (nimmt man jetzt als Beispiel 326
Welzel, JZ 1957, 130 (132 f.). Welzel, JZ 1956, 238 f. 328 Welzel, JZ 1956, 238. 329 Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 405. 330 BVerfGE 153, 310 (351); BGH NStZ-RR 2003, 55 (56); Backes, S. 43; BeckOK-StGBKudlich, 54. Ed., § 16 Rn. 16; Fischer, § 1 Rn. 10; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 101; Schuster, S. 157 ff.; von der Heide, S. 39; Walter, S. 360; Warda, S. 36 ff. 327
190
Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Libyen als Land und die Position 0006a „Landfahrzeuge […], besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste): „Es ist verboten, Landfahrzeuge, die für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert wurden, nach Libyen zu verkaufen, aus- oder durchzuführen.“ b) Konsequenz Verbotsirrtum Die Konsequenz der Technik des Zusammenlesens der herrschenden Auffassung ist, dass sich der Vorsatz des Täters nicht nur auf die in der Blankettnorm, sondern auch auf die in der Ausfüllungsnorm oder den Ausfüllungsnormen – im Außenwirtschaftsstrafrecht handelt es sich oftmals um regelrechte Ketten von Vorschriften – beschriebenen Tatumstände erstrecken muss. Nur der Inhalt, nicht aber die Existenz der blankettausfüllenden Norm soll der vom Vorsatz zu umfassende Bestandteil des Verbots- oder Gebotstatbestandes sein.331 Auf den gebildeten Gesamttatbestand sind dann die allgemeinen Irrtumsregeln anzuwenden, was eine auf den ersten Blick dogmatisch eindeutige Lösung ermöglicht: Laut Welzel weisen demnach Blankettgesetze auch „gegenüber den sonstigen Strafrechtsnormen im Prinzip überhaupt keine Besonderheit auf“.332 Der Irrtum über die Tatbestandsmerkmale der ausfüllenden Norm ist ein Tatumstandsirrtum, der Irrtum über die Existenz oder Reichweite der blankettausfüllenden Norm hingegen Verbotsirrtum.333 Die Ausfüllungsvorschrift ist demnach nicht Gegenstand des Vorsatzes und der Täter braucht sie, um vorsätzlich zu handeln, nicht zu kennen.334 Die Unkenntnis der Ausfüllungsnorm entfaltet nur dann Bedeutung, wenn dem Täter dadurch im Sinne des § 17 StGB die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Im oben genannten Beispiel führt die Technik des Zusammenlesens also dazu, dass, weiß der Täter, dass er (1.) Landfahrzeuge, die für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert wurden, (2.) nach Libyen (3.) verkauft, er alle Umstände kennt, die zum durch das Zusammenlesen gebildeten gesetzlichen Tatbestand gehören. Wusste er nun nicht, dass Libyen ein in § 74 Abs. 1 AWV gelistetes Land ist oder dass Landfahrzeuge, die für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert wurden, in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur AWV genannt werden, unterliegt der Täter lediglich einem aus dem Blickwinkel von § 17 StGB unbeachtlichen Strafbarkeitsirrtum.335
331
Sch/Sch-Sternberg/Lieben-Schuster, § 15 Rn. 101. Welzel, MDR 1952, 584 (586). 333 Sch/Sch-Sternberg/Lieben-Schuster, § 15 Rn. 101. 334 Bachmann, S. 70. 335 Vgl. Krell, NZWiSt 2013, 113 (114). 332
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen
191
c) Umgekehrter Irrtum Durch die Anwendung des Umkehrschlusses auf die durch das Zusammenlesen von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm entstandene Gesamtnorm ergeben sich keine Besonderheiten: Beim irrigen Ausgehen vom Vorhandensein eines Tatumstandes der zusammengelesenen Norm ist beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen wie dem unmittelbaren Ansetzen ein untauglicher Versuch gegeben, wohingegen im Falle der Überdehnung des Anwendungsbereichs der Gesamtnorm lediglich ein strafloses Wahndelikt vorliegt.336 Auch hier kann das obige Beispiel zur Anschauung bemüht werden: Geht der Täter fälschlicherweise davon aus, Landfahrzeuge, die für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert wurden, nach Libyen zu verkaufen, obwohl das Käuferland tatsächlich Südafrika und damit ein anderes, nicht einem Embargo unterfallendes Land ist, liegt – bei Gegebensein des unmittelbaren Ansetzens – ein untauglicher Versuch des § 17 Abs. 1 AWG vor. Weiß der Handelnde hingegen, dass er die für militärische Zwecke besonders konstruierten oder geänderten Landfahrzeuge nach Südafrika verkauft, denkt er jedoch, dass Südafrika ein Embargoland i. S. d. § 74 Abs. 1 AWV ist, so überdehnt er den Anwendungsbereich der Norm und unterliegt bloß einem Wahndelikt.
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen Der Grundsatz der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre, der lautet, dass ein Irrtum über die Existenz einer das Blankettmerkmal ausfüllenden Norm lediglich einen Verbotsirrtum darstellt, stößt in einem nicht unbeachtlichen Teil der Lehre auf Ablehnung, weshalb alternative Irrtumslehren vorgeschlagen werden. Diese sollen in einem ersten Schritt überblicksmäßig dargestellt werden, wobei auch schon teilweise auf mögliche Schwachpunkte der einzelnen Lehren einzugehen ist (I.). Als zweiter Schritt werden die maßgeblichen Einwände, die gegen die herrschende Auffassung ins Feld geführt werden, nochmals aufgearbeitet und auf ihre Gültigkeit überprüft (II.). Dabei bietet es sich an, zunächst auf den ersten Angriffspunkt der Alternativmeinungen einzugehen, der zum Ergebnis der h. M. führt, nämlich dem Akt des Zusammenlesens, und sodann die weiteren rechtsdogmatischen Argumente auf den Prüfstand zu stellen.
I. Alternative Modelle zur Irrtumslehre im Schrifttum Aufgrund für unbefriedigend gehaltener Ergebnisse in der Irrtumslehre von Rechtsprechung und herrschender Literaturmeinung kann man das Bedürfnis einer 336
Vgl. Lauer, S. 128.
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
nicht unbeachtlichen Anzahl von Autoren beobachten, andere Konzepte zur Lösung der aus ihrer Sicht mit Problemen übersäten Vorsatz- und Irrtumsfragen zu entwickeln. Ohne dass an dieser Stelle auf sämtliche von einzelnen Autoren erarbeiteten Modelle zur Behandlung von Vorsatz und Irrtum in all ihren Detailfragen eingegangen werden kann,337 können als Alternativen zur herkömmlichen Handhabung der Irrtumsfragen zwei „herrschende“ Strömungen ausgemacht werden: Von einem Teil der Lehre wird – mit teils differierenden Begründungsansätzen und Umsetzungen – gefordert, Blankettmerkmale bei Irrtumskonstellationen mit normativen Tatbestandsmerkmalen gleichzusetzen, während auf der gänzlich anderen Seite der Skala sich diejenigen Vertreter befinden, die sämtliche rechtlichen Wertungen, d. h. auch bei normativen Tatbestandsmerkmalen, aus dem Vorsatzbereich herauslösen möchten. Diese unterschiedlichen Vorgehensweisen werden im Folgenden dargestellt und das Für und Wider erläutert. Im Einzelnen werden dabei unterschiedliche Nuancen vertreten, von denen hier die wesentlichsten Strömungen wiedergegeben werden sollen. 1. Erste alternative Auffassung: Gleichbehandlung von normativen Merkmalen und Blankettmerkmalen bei Irrtumskonstellationen Die erste zu diskutierende Alternativauffassung, die eine breite Anhängerschaft in der Lehre gefunden hat, möchte Blankettmerkmale und normative Tatbestandsmerkmale bei Irrtumsfragen mehr oder weniger gleichstellen. Der Irrtum über die Existenz der blankettausfüllenden Norm bzw. über das durch diese statuierte Verbot bzw. Gebot soll keinen Verbots-, sondern einen Tatumstandsirrtum darstellen. a) Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, contra legem die Vorsatztheorie anzuwenden, schlagen einige Autoren den Weg über eine „differenzierende Interpretation der einzelnen Tatbestände des Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts“338 ein. Dies soll durch die Klassifizierung des verweisenden Elements als normatives Tatbestandsmerkmal, also als „Umstand“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, und dem daraus abgeleiteten grundsätzlichen Erfordernis der Kenntnis der Ausfüllungsnorm als Voraussetzung für vorsätzliches Handeln erfolgen. Auch für das Außenwirtschaftsrecht wird vertreten, dass bei den Blankettstrafvorschriften des AWG, die durch einen dort genannten Rechtsakt ausgefüllt werden, das tatbestandsmäßige Handeln mit dem Zuwiderhandeln gegen einen solchen Rechtsakt
337 Dazu z. B. Papathanasiou, S. 74 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 115 ff.; Schuster, S. 95 ff.; Walter, S. 422 ff. 338 NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 95.
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen
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umschrieben werde und ohne diesen nicht denkbar sei.339 Daher gehöre der Umstand, dass ein solcher Rechtsakt existiert, zu den Tatumständen, auf die sich der Vorsatz beziehen müsse, weshalb derjenige, der über die Existenz eines Embargobeschlusses irrt, sich im Tatumstandsirrtum befinde.340 Gleichermaßen wird bei personenbezogenen Embargos wie im Rahmen von § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG, bei denen sich die Unkenntnis eines solchen Embargos aus der tatsächlichen Unkenntnis von der Listung einer Person ergibt, argumentiert, der Umstand der Listung einer Person sei ein sachlicher Tatumstand, weshalb ein Irrtum hierüber zu einem Tatumstandsirrtum führe.341 Ausführlichere Begründungen gibt es in Bezug auf Blankettnormen allgemein. Roxin beispielsweise, der noch vor nicht allzu langer Zeit im Einklang mit der herrschenden Meinung den Irrtum über die Existenz der ausfüllenden Norm als Verbotsirrtum und nur den Irrtum über Tatumstände der Ausfüllungsnorm als Tatumstandsirrtum ansah,342 hat in jüngerer Zeit seine Auffassung dahingehend geändert, dass „die Ausfüllungsnorm […] als normatives Tatbestandsmerkmal aufgefasst und ihre Kenntnis auf diese Weise zur Voraussetzung des Vorsatzes gemacht werden soll, wenn nur diese Kenntnis dem Täter die Bedeutung seines Verhaltens bewusst machen kann“, in anderen Worten „soweit nicht schon die bewusste Verwirklichung des in der Ausfüllungsnorm beschriebenen Verhaltens dessen Sozialwidrigkeit erkennen lässt“.343 In diesen Fällen sei es nicht möglich, ohne Rechtskenntnis Bedeutungskenntnis zu erlangen.344 Roxin lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen, diese Ansicht werde sich „wahrscheinlich allgemein durchsetzen“.345 Auch Tiedemann geht davon aus, dass „bei unrechtsneutralen und unrechtsfernen gesetzlichen Formulierungen des Straftatbestandes Existenz und Inhalt der in Bezug genommenen Ausfüllungsnormen […] zum Straftatbestand zählt, wenn dieser die Funktion der Unrechtstypisierung und des Vorsatzappelles aus ,Anlaß‘ der Tatbestandsverwirklichung erfüllen soll“.346
339
Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 41. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 41; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 51. 341 Meyer/Macke, HRRS 2007, 445 (461); Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 52. 342 Vgl. Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 111. 343 Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (381); vgl. auch ders., Neumann-FS 2017, 1023 (1033 ff.) und Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 111a, ohne dass dort allerdings von der Ausfüllungsnorm als normativem Tatbestandsmerkmal gesprochen wird. 344 Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (381). 345 Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (381). 346 Tiedemann, Geerds-FS 1995, 96 (106). 340
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Dies führe letztendlich dazu, dass solche Blankettmerkmale und unechte normative Merkmale347 bei der Irrtumsthematik gleich zu behandeln seien, denn auch „für Blankettstrafgesetze gilt das für unechte normative Merkmale praktizierte Prinzip, dass sich der Tätervorsatz auf den Prozeß der Rechtskonkretisierung von der abstrakten Norm zu ihrer tatbestandlichen Einzelanwendung zu erstrecken hat“.348 Im Ergebnis gleich ist die Vorgehensweise von Enderle, die aus verfassungsrechtlicher Sicht argumentiert. Da der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zur Herstellung einer Unrechtsvertypung verpflichtet sei, müsse sich eine verfassungsrechtlich orientierte Irrtumsfunktion auf diese beziehen.349 Auch Enderle begründet ihre These mit der Appellfunktion; der Täter müsse den Sinn des jeweiligen Tatbestands erfasst haben, um vorsätzlich zu handeln, weshalb das rechtliche Gebot oder Verbot zu ansonsten unrechtsneutralen Tatbeständen gehöre.350 Beim Blankettmerkmal soll daher der Täter das Verbotensein des durch das Blankett bewehrten Verhaltens kennen müssen.351 Im Falle der Strafnormen des AWG müsste dem Täter nach diesen Auffassungen mithin die Existenz der jeweiligen Ausfüllungsnorm bzw. das dort statuierte Ge- oder Verbot bekannt sein. Bülte hingegen möchte differenzieren zwischen sog. Exekutiv- und Satzungsblanketten einerseits, also solchen Blanketten, die auf untergesetzliche Normen wie etwa Rechtsverordnungen verweisen (z. B. § 17 Abs. 1 AWG mit dem Verweis auf die AWV), und Blankettnormen, die auf formelle Gesetze verweisen, andererseits (z. B. § 20a Abs. 1 KrWaffG, der auf § 18a KrWaffG verweist).352 Bei Letztgenannten, die im Verlauf der Arbeit auch als unechte Blankette bezeichnet wurden, sollen sowohl die verweisende Norm als auch das Verweisungsobjekt Teil des gesetzlichen Tatbestands i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB sein, indem das Zusammenlesen in der Weise erfolgt, dass das Blankettmerkmal im zusammengelesenen Tatbestand beibehalten wird; so würde im konkreten Beispiel des § 20a Abs. 1 KrWaffG353 das Merkmal „entgegen § 18a KrWaffG“ Teil des zusammengelesenen Gesamttatbestands bleiben. Bei echten Blankettnormen will Bülte wohl darauf hinaus, dass die Ausfüllungsnorm, da kein formelles Gesetz, nicht in den Tatbestand hineinzulesen ist und damit die bloße Kenntnis ihrer Tatbestandsmerkmale nicht ausreicht, um vorsätzliches Handeln zu begründen.354 Der ausfüllenden Norm soll in diesem Fall vielmehr eine lediglich konkretisierende Funktion zukommen, vor347
Darunter sind seiner Ansicht nach Merkmale mit einer „rechtlich ,vorfabrizierten‘ Wertung“ zu verstehen, also solche, bei denen keine Wertung, sondern Wertungskenntnis des Täters erforderlich ist; vgl. Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 409. 348 Tiedemann, S. 388; vgl. auch ders., Geerds-FS 1995, S. 95 (108). 349 Enderle, S. 332 ff., 339 ff., 352 f. 350 Enderle, S. 337 f., 353. 351 Enderle, S. 337 f., 353. 352 Bülte, JuS 2015, 769 (776). 353 Nach dem u. a. bestraft wird, wer „entgegen § 18a Antipersonenminen oder Streumunition einsetzt“. 354 Bülte, JuS 2015, 769 (776).
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sätzliches Handeln aber auch hier jedenfalls in groben Zügen das Wissen um diese Konkretisierungen erfordern, weil der Täter andernfalls einen zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstand nicht hinreichend erfasse und damit auch nicht kenne.355 Insgesamt führt die jeweils verwendete Methode jedenfalls sowohl bei echten als auch bei unechten Blanketten dazu, dass der Normverstoß zum Tatumstand deklariert wird.356 Bültes Ergebnis lautet dann auch entsprechend: „Auf diese Weise wird das Handeln entgegen dem Verbot […] zum Tatbestandsmerkmal, das auch vom Vorsatz umfasst sein muss“,357 und zwar sowohl bei echten als auch bei unechten Blanketten, sodass Bülte hier die höchstmöglichen Anforderungen an vorsätzliches Handeln stellt. Interessant ist eine Bemerkung Wolfs hierzu, der feststellt, dass durch die Formulierung „wird“ im soeben genannten Zitat offengelegt werde, dass das Verbot eigentlich kein Tatbestandsmerkmal sei und es sich hierbei lediglich um eine Konstruktion handele.358 Freilich gibt Tiedemann selbst unumwunden zu, dass diese Vorgehensweise eine „der sog. Vorsatztheorie nahestehende Konzeption“ darstelle.359 Dies ist aber auch schon der erste Angriffspunkt, der weiter unten noch ausgeführt werden soll. Ferner bedingt diese Auffassung auch die Problematik der Feststellung bzw. Abgrenzung, wann die Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm notwendig ist, um dem Täter den geforderten Unrechtsappell zu vermitteln, und wann die reine Kenntnis der Tatbestandsmerkmale der ausfüllenden Norm ausreicht, bzw. – im Fall Bültes –, wann das Wissen um die „konkretisierende Funktion der Ausfüllungsnorm“ vorliegen soll. Während man annehmen könnte, dass ein Verstoß gegen ein Verkaufsverbot des Art. 4a Abs. 1 i. V. m. Anhang III der Iran-Embargo-VO für Güter und Technologien, die zur Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen dienen können, nicht unrechtsneutral ist und daher die Existenz dieser Ausfüllungsnorm für vorsätzliches Handeln dem Täter nicht bekannt sein muss, ist dies vielleicht anders zu bewerten, sofern ein Ausfuhrverbot wie in Art. 2 Abs. 2 der Burundi-Embargo-VO360 in Bezug auf bestimmte natürliche oder juristische Personen sämtliche wirtschaftliche Güter betrifft und damit „ein völlig sozialadäquates Verhalten in Rede steht“.361 Allerdings könnte man auch ebenso gut die Auffassung vertreten, dass auch der Verkauf von Gütern und Technologien zur Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen in den Iran an sich unrechtsneutral ist. Genauere Erläuterungen zur Abgrenzung von 355
Bülte, JuS 2015, 769 (776). Vgl. Wolf, S. 187. 357 Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 358 Wolf, S. 186. 359 Tiedemann, S. 402. 360 VO (EU) 2015/1755 des Rates vom 1. 10. 2015 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Burundi, ABl. EU Nr. L 257 vom 2. 10. 2015, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2020/1578 des Rates vom 29. 10. 2020, ABl. EU Nr. L 362 vom 30. 10. 2020, S. 1. 361 So Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). 356
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unrechtsfernen von nicht unrechtsfernen Gesetzesformulierungen lassen sich leider nicht finden und so wird zusätzlich zur ohnehin schon bemängelten Abgrenzungsschwierigkeit von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen eine weitere Unklarheit geschaffen. Darüberhinaus muss man sich fragen, wie etwa das „Merkmal“ der Rechtsverordnung in § 17 Abs. 1 AWG unter die oben erarbeitete Definition als Ausschnitt aus einem konkreten Lebenssachverhalt – Objekt, Lebensvorgang, Eigenschaft oder soziale Beziehung – passen soll, wenn man dieses Blankettmerkmal mit den soeben dargestellten Auffassungen als einen „Umstand“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB einordnet. b) Bedeutungskenntnis Im Prinzip ähnlich und im Übergang fließend wird bezüglich der Kenntnis der Existenz der blankettausfüllenden Norm, ebenso wie es die herrschende Auffassung im Hinblick auf normative Tatbestandsmerkmale vornimmt, eine Art „Parallelwertung in der Laiensphäre“ gefordert. Ausdrücklich tut dies Müller-Magdeburg, die sowohl bei deskriptiven als auch bei normativen und Blankettmerkmalen eine Bedeutungskenntnis verlangt, die bei letzteren in der Erfassung des „rechtsgutsbezogenen Sinns“ des durch die Ausfüllungsnorm aufgestellten Ge- oder Verbots im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre bestehen soll.362 Diese „laienhafte Erfassung“ möchte sie von der Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm und damit des Verbotenseins der Tat als Teil des Unrechtsbewusstseins abgegrenzt wissen.363 Eine etwas modifizierte Version des Parallelwertungsmodell bietet Papathanasiou an, die, um eine einheitliche Lösung der Irrtumsfragen für alle Verweisungsformen bemüht, die Formel der „Widerspiegelung der gesetzgeberischen Grundentscheidung im Verständnishorizont des Täters“, kurz WGVT-Formel, entwickelt. Sie möchte zwar durchaus normative Tatbestandsmerkmale und Blankettmerkmale als zwei verschiedene Merkmalsgruppen anerkennen, die sie aufgrund von deren „struktureller Gleichheit“364 unter dem Begriff der „normativ geprägten Merkmale“ zusammenfasst365, diese bei Irrtumsfragen aber einheitlich behandeln. Statt an den Laien soll an den „konkreten Normadressaten im Sinne des in seinem eigenen Verkehrskreis handelnden und nach dessen Maßstäben zu beurteilenden Bürgers“ angeknüpft werden, wobei individuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen sein sollen.366 Als Anknüpfungspunkt des Vorsatzes soll neben der Tatsachenkenntnis die „gesetzgeberische Grundentscheidung“ dienen, d. h. die durch die Strafvorschrift 362
Müller-Magdeburg, S. 200, 224. Müller-Magdeburg, S. 206. 364 Papathanasiou, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 467 (481). 365 Papathanasiou, S. 119, 278 f., 281. 366 Papathanasiou, S. 281. 363
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getroffene Wertentscheidung des Strafgesetzgebers.367 Angewendet auf Blankettstrafgesetze führe diese Formel dazu, dass der Täter die Ausfüllung der Verweisung mit nachvollzogen haben, d. h. die Normen oder jedenfalls deren Wertungsergebnisse kennen müsse.368 Allerdings wird gegen die Behauptung Papathanasious, die unterschiedliche Behandlung von Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen sei unsachgemäß, weil „das normative Element der Verweisung auf außerstrafrechtliche Normen Teil des Tatbestandes und damit auch Bezugspunkt des Vorsatzes ist“369, zutreffend eingewandt, dass dies für sich genommen kein probates Argument sei, denn gerade dies sei doch eine aufgestellte These, die es zu überprüfen gelte.370 Die Forderung Papathanasious, Ausgangspunkt bei der Irrtumsbehandlung müsse die Frage sein, wie man dem Täter die „Anwendung des § 16 StGB in größtmöglichem Umfang gewährleisten“ könne, denn man müsse „korrekt und gerecht dem Handelnden gegenüber“ sein,371 ist dann auch letztendlich mehr ein rechtspolitisches und ergebnisorientiertes Begehren als eine dogmatisch fundierte Herangehensweise.372 Schuster weist ferner darauf hin, dass die WGVT-Formel ggf. die Gefahr beinhalte, „im subjektiven Tatbestand ein ,Wissen‘ des Täters mit einem ,Wissenmüssen‘ gleichzustellen“, was wiederum gegen das herrschende Vorsatzverständnis verstieße.373 Eine weitere Spielart der Bedeutungskenntnis findet sich bei Schlüchter mit ihrer Forderung nach der Kenntnis des Täters von der rechtsgutsbezogenen Bedeutung seines Verhaltens.374 Um den Tatvorsatz zu bejahen, müsse der Täter „die Verletzungsbedeutung seines Verhaltens erfaßt haben“; bei jedem einzelnen Tatbestandsmerkmal müsse geprüft werden, „ob der Täter den jeweiligen hiervon bestimmten Sachverhaltsausschnitt so weit erfaßt hat, um ihn auf die rechtsgutsbezogene(n) Komponente(n) hin zu strukturieren“.375 Dieses Modell soll die Parallelwertung in der Laiensphäre bei normativen Tatbestandsmerkmalen ersetzen, sodass der Täter nicht die gesamte soziale Bedeutung seines Handelns erfassen, sondern nur den rechtsgutsbezogenen Kern eines Tatbestandsmerkmals kennen müsse.376 Bei Blankettmerkmalen wird zwar der Verweis auf die Ausfüllungsnorm selbst nicht als Tatumstand aufgefasst, dem Täter müssten aber die rechtsgutsbezogenen Komponenten der Ausfüllungsnorm und nicht lediglich die dort beschrie-
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Papathanasiou, S. 233. Papathanasiou, S. 43. 369 Papathanasiou, S. 42. 370 Schuster, GA 2016, 60 (61). 371 Papathanasiou, S. 98. 372 Vgl. Schuster, GA 2016, 60 (63). 373 Schuster, GA 2016, 60 (63). 374 Schlüchter, S. 105, 116; dies., wistra 1985, 43 (44 f.). 375 Schlüchter, S. 116. 376 Schlüchter, S. 116; siehe auch Schroth, S. 74. 368
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benen „Sachverhaltsmosaiksteine“ bewusst sein.377 Damit komme es auf die Unterscheidung zwischen normativem Tatbestandsmerkmal und Blankettmerkmal im Ergebnis gar nicht mehr an.378 Allerdings führt auch diese Sichtweise letztendlich nicht weiter und sah sich bereits erheblicher Kritik ausgesetzt, was vor allem mit der Schwierigkeit der Konkretisierung des Rechtsguts als Anknüpfungspunkt des Vorsatzes und dem „Rückgriff auf eine aus früheren Zeiten bekannte ganzheitliche Betrachtung“379 zusammenhängt.380 Die Existenz von Strafgesetzen, bei denen die Bestimmung des Rechtguts nicht eindeutig möglich ist oder die sogar mehrere Rechtgüter tangieren, spricht gegen einen praktischen Nutzen dieses Konzepts.381 Bei abstrakten Gefährdungsdelikten gar ist die Rechtsgutsgefährdung nach ganz allgemeiner Ansicht gerade kein Tatbestandsmerkmal, weshalb hier für den Vorsatz auch nicht das Bewusstsein verlangt werden kann, eine Rechtsgutsgefährdung zu verursachen.382 Wie genau die Kenntnis einer Rechtsgutsverletzung ausgestaltet sein muss, um als Erfassung der „Verletzungsbedeutung“ zu gelten, wird außerdem nicht geklärt. Schließlich gelingt es Schlüchter auch nicht, zwischen dem als Kenntnis der Rechtsgutsverletzung definierten Vorsatz und dem Unrechtsbewusstsein i. S. d. § 17 StGB beim direkten Verbotsirrtum, der nicht auf einem Subsumtionsirrtum beruht, zu unterscheiden, was wiederum die Irrtumsgrenzen verwischt und im Ergebnis eher noch weiter zur Unklarheit einer Abgrenzung beiträgt.383 Diese drei vorgestellten, im Einzelnen kaum auseinanderzuhaltenden Modelle kranken aber vor allem grundsätzlich daran, dass sie in höchstem Maße theoretisch sind; die Darstellung einer praktischen Anwendung auf den Einzelfall fehlt sowohl bei Müller-Magdeburg als auch bei Papathanasiou und Schlüchter. So lässt sich auch nicht feststellen, wie sich die jeweilige Theorie konkret etwa auf die Blankettstraftatbestände des Außenwirtschaftsrechts auswirken würde, vor allem wie die „Wertungsergebnisse“ oder „rechtsgutsbezogenen Komponenten“ der Ausfüllungsnormen von der Kenntnis von deren Existenz abzugrenzen sein sollen. MüllerMagdeburg gibt selbst zu, dass insbesondere bei der Verweisung auf außerstrafrechtliche Rechtsnormen die „Bedeutungskenntnis weitgehend mit Rechtskenntnis identisch“ sei.384 Wird aber bei Blankettnormen für ein vorsätzliches Handeln eine Rechtskenntnis und somit eine Kenntnis des durch die Ausfüllungsnorm statuierten 377
Schlüchter, wistra 1985, 43 (45). Schlüchter, wistra 1985, 43 (45). 379 Tischler, S. 369. 380 Vgl. Bachmann, S. 37; Dietmeier, S. 236; Schroth, S. 74. 381 Dietmeier, S. 236; Schroth, S. 74; Tischler, S. 369. 382 Bachmann, S. 37; Dietmeier, S. 236. – Z. B. sind die von § 306a Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgüter nach h. M. die Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit von Menschen. Ein Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung dieser Rechtsgüter ist zur Tatbestandsverwirklichung allerdings nicht notwendig; vgl. Müko-StGB-Radtke, 3. Aufl., § 306a Rn. 57 und Sch/Sch-Heine/Bosch, § 306a Rn. 14. 383 Vgl. Tischler, S. 369. 384 Müller-Magdeburg, S. 215. 378
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Ver- oder Gebots gefordert, so wendet man sich wieder – trotz aller dies zu verhindern suchenden theoretischen Verrenkungen – der Vorsatztheorie zu. Die Forderung einer Bedeutungskenntnis des Verbots oder Gebots der Ausfüllungsnorm unterscheidet sich daher im Ergebnis nicht von den Auffassungen, die offen die Kenntnis der Ausfüllungsnorm als Voraussetzung für vorsätzliches Handeln ansehen. c) Weitere Konzepte aa) Doppelter Vorsatzbezug nach Kuhli Eine Gleichbehandlung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettelementen betreffend den Bezugspunkt des Tatvorsatzes hält auch Kuhli für richtig.385 Dabei soll sich der Tatvorsatz bei beiden Merkmalskategorien grundsätzlich zugleich auf die „Verwirklichung der tatbestandlichen Voraussetzungen und (nach Laienart) auf die Rechtsfolgen der in Bezug genommenen Norm“ erstrecken, womit der Verstoß gegen die durch die Ausfüllungsnorm statuierte Rechtspflicht gemeint ist.386 Bei Blankettmerkmalen sieht Kuhli ebenso wie die anderen Befürworter dieser Richtung das Problem, dass es bei solchen Straftatbeständen, die nicht zur allgemeinen Sozialisation gehören, an der „legitimierenden Funktion des § 17 StGB“ und damit an der Unrechtstypisierung fehle.387 Daher müsse sich der Vorsatz auch auf die Existenz und die Wirksamkeit der Ausfüllungsnorm beziehen, wobei aber keine detaillierte Kenntnis gefordert werden dürfe.388 Dies würde für das Außenwirtschaftsstrafrecht wiederum bedeuten, dass der Täter zumindest grob um die Existenz und Wirksamkeit der jeweiligen Ausfüllungsnorm wissen müsste, wobei sich hier die Frage stellt, was unter einer nicht „detaillierten“ Kenntnis zu verstehen ist. Eine Ausnahme vom Grundsatz des doppelten Vorsatzbezuges soll aber hinsichtlich der Rechtsfolge der in Bezug genommenen Norm gemacht werden (und zwar sowohl bei normativen Tatbestands- als auch bei Blankettmerkmalen), wenn die Verweisung nur aus gesetzesökonomischen Zwecken erfolgt, etwa – „wenngleich nicht zwingend“ – wenn Verweisungsnorm und in Bezug genommene Norm demselben Gesetz angehören.389 Hier komme dem Verweisungsmerkmal keine eigenständige Bedeutung zu, weshalb Vorsatz bezüglich eines Rechtspflichtverstoßes nicht vorliegen müsse. Eine weitere, ebenfalls für beide Merkmalstypen geltende Ausnahme, und zwar vom Grundsatz der Vorsatzerstreckung auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausfüllungsnorm, muss nach Kuhlis Auffassung dann gemacht werden, wenn die in Bezug genommenen Rechtsverhältnisse „in der sozialen Praxis so geläufig sind, dass ihre tatsächlichen Entstehungsvoraussetzungen gegenüber ihrem Inhalt marginalisiert sind“, wie etwa beim Merkmal der Fremdheit in § 242 Abs. 1 StGB oder beim 385
Kuhli, S. 207 ff.; ders., Normentheorie, S. 141 ff. Kuhli, S. 218; ders., Normentheorie, S. 130 f., 146. 387 Kuhli, S. 195 f. 388 Kuhli, S. 196 f. 389 Kuhli, S. 218; ders., Normentheorie, S. 144. 386
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Merkmal der Ehe im Straftatbestand der Doppelehe bzw. doppelten Lebensgemeinschaft, § 172 StGB.390 In diesen Fällen müsse der Täter die tatsächlichen Voraussetzungen, die der rechtlichen Wertung zugrundeliegen, nicht kennen. Insgesamt besteht auch hier erneut das Problem der einzuräumenden Ausnahmen, die wieder eher wertungsmäßig zu machen sind, und der Frage, was unter einer nicht „detaillierten“ Kenntnis zu verstehen ist – samt der damit bestehenden Abgrenzungsunsicherheit. bb) Abgrenzung von präzisen bzw. unpräzisen Blankettvorschriften nach Lauer Lauer möchte bei der Problematik, ob ein Irrtum über die Existenz oder die Reichweite der blankettausfüllenden Norm vorsatz- oder lediglich ggf. schuldausschließend wirkt, an das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot anknüpfen und folglich auf die Genauigkeit abstellen, mit der das Blankettmerkmal auf die Ausfüllungsnorm Bezug nimmt.391 Dabei soll zwischen Blankettmerkmalen, die die Ausfüllungsnorm „ausdrücklich und präzise“ benennen, sowie Blankettmerkmalen, bei denen die Bezugnahme konkludent oder durch „unpräzise“ Verweisung auf „irgendwelche anderen Normen“ erfolgt, zu unterscheiden sein.392 Bei unpräzisen Verweisungen, die schon fast versteckt seien, könne eine Verwechslung mit einem normativen Tatbestandsmerkmal leicht möglich sein.393 Beziehe der Gesetzgeber auf konkludente Art Ausfüllungsnormen in einer solchen Weise mit ein, dass der durchschnittliche Rechtsanwender eine Verweisung ggf. gar nicht erkennen könne, gehörten die Bezugsnormen nicht mehr zu dem, was jeder wissen oder zumindest in Erfahrung bringen müsse; daher betreffe ein Irrtum über die Existenz oder die Reichweite von unpräzise Blankettmerkmale ausfüllenden Normen auch den Vorsatz.394 Dem unpräzisen Blankettmerkmal komme außer der verweisenden Funktion „aufgrund seines Bedeutungsgehalts auch eine tatbestandliche“ Aufgabe zu, da „der Sinn […] wegen dessen Leere nicht ohne die Gesamtheit der dieses Merkmal ausfüllenden Normen zu erfassen ist“.395 Unpräzise Blankettmerkmale müssten daher bei der Irrtumsbehandlung normativen Tatbestandsmerkmalen gleichgestellt werden.396 Bei der Bewertung von Lauers Konzeption fällt zuerst auf, dass sich zusätzlich zur bereits bekannten Abgrenzungsfrage von Blankett- und normativem Tatbestandsmerkmal eine weitere Abgrenzungsfrage gesellt, nämlich wann ein „unpräzises“ und wann ein „präzises“ Blankettmerkmal vorliegt. Lauer gibt außer dem Kriterium der „ausdrückliche[n] und zudem mit genauer Rechtsquellenangabe 390
Kuhli, S. 218; ders., Normentheorie, S. 144. Lauer, S. 120 ff., 138 f. 392 Lauer, S. 120. 393 Lauer, S. 79. 394 Lauer, S. 121. 395 Lauer, S. 122. 396 Lauer, S. 124. 391
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versehene[n] Bezugnahme“ und einigen Beispielen397 keine weiteren Abgrenzungskriterien vor. Unklar ist z. B., worunter nach dieser Definition § 17 Abs. 1 Nr. 1 AWG fallen würde: Ist eine „Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1, die der Durchführung einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen oder einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, […] soweit die Rechtsverordnung sich auf Güter des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste zur AWV bezieht und für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist“,
nun präzise, weil auf eine konkret benannte Norm, § 4 Abs. 1 AWG, verwiesen wird, oder aber unpräzise, weil ja implizit auch „irgendwelche anderen Normen“ der Rechtsverordnung in Bezug genommen werden müssen? Ferner lässt sich auch nicht logisch begründen, warum etwa den explizit genannten Bezugsnormen der ebenfalls explizit genannten Dual-Use-VO in § 18 Abs. 5 AWG ein größerer Bekanntheitsanspruch zukommen soll als den Embargoregelungen, auf die der (wohl) „unpräzise“ § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG verweist, und dies unterschiedliche Anforderungen an den Vorsatz nach sich ziehen soll. Schließlich käme man bei kaskadenförmigen Blanketten wie im Außenwirtschaftsstrafrecht gänzlich durcheinander. cc) Restriktive Anwendung der Schuldtheorie nach Walter Walter wiederum, der zwar feststellt, „der Gedanke, der die Schuldtheorie trägt, verlangt durchgehend das Zusammenlesen“398, widerspricht der Auffassung von der uneingeschränkten Geltung der Schuldtheorie für Blanketttatbestände.399 Es verstoße gegen den Schuldgrundsatz, „jemanden aus dem Strafrahmen eines Vorsatzdeliktes zu bestrafen, weil er weiß, daß er gerade keine Bilanz aufstellt, aber ohne zu wissen, hierzu verpflichtet zu sein, oder weil er weiß, daß ein Waschmittel, das er in den Verkehr bringt, einen bestimmten Phosphorgehalt hat, ohne aber zu ahnen, daß dieser Gehalt eine erlaubte Höchstgrenze überschreitet“.400
Auch hier geht es also um das Nichtvorhandensein eines sog. Unrechtsappells. Walter erkennt zwar durchaus an, dass die Handhabe der herrschenden Meinung, die bei Blankettmerkmalen für ein vorsätzliches Handeln Kenntnis der Tatumstände der ausfüllenden Norm ausreichen lässt, der Schuldtheorie entspricht, geht aber davon aus, der Wille des historischen Gesetzgebers, in § 17 StGB die Schuldtheorie zu kodifizieren, sowie deren Geltung für das Nebenstrafrecht müsse hinter dem Schuldgrundsatz, der Verfassungsrang genieße, zurücktreten.401 Daher möchte er 397
Lauer, S. 121. Walter, S. 363. 399 Walter, S. 366. 400 Walter, S. 366. 401 Walter, S. 366. 398
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auch de lege lata die Existenz und Wirksamkeit blankettausfüllender Normen „für alle Arten von Blanketten“ als Tatumstand i. S. des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB begreifen,402 also auch die Ausfüllungsnormen der §§ 17, 18 AWG. Nimmt man dies aber für alle, also auch für unechte Blankette an, so ist man wieder bei der Problematik der „Zufälligkeit“ der gesetzgeberischen Tatbestandsausgestaltung. Beispielsweise wurde im Straftatbestand des § 108b Abs. 1 UrhG darauf verzichtet, auf die zugrundeliegenden §§ 95a Abs. 1 und 2, 95c UrhG zu verweisen, und wurde stattdessen das materielle Verbot in den Straftatbestand zugunsten besserer Lesbarkeit komplett mit aufgenommen, während in § 108b Abs. 2 UrhG lediglich ein Verweis auf einen Verstoß nach § 95a Abs. 3 UrhG integriert wurde.403 Hier aber einerseits in § 108b Abs. 2 UrhG in der Unkenntnis des Verbots des Blankettmerkmals des § 95a Abs. 3 UrhG einen Tatbestandsirrtum zu erblicken, in § 108b Abs. 1 UrhG die Unkenntnis der Verbote der §§ 95a Abs. 1 und 2, 95c UrhG dagegen als Verbotsirrtum zu klassifizieren, kann kaum überzeugen.404 Außerdem lässt sich der Grundgedanke seines Ansatzes, dass die bewusste Entscheidung gegen das Recht die Grundlage der Irrtumslehre sein müsse, bestreiten.405 Das zu bestrafende Unrecht ist auf Basis der Schuldtheorie nicht als Missachtung eines Befehls, sondern als Rechtsgutsverletzung zu verstehen und auch die Normen des Nebenstrafrechts, die als Blanketttatbestände ausgestaltet sind, verlangen keinen reinen Gehorsam, sondern bezwecken ebenso wie die Normen des Kernstrafrechts den Schutz des Individuums oder der Allgemeinheit vor empfindlichen Schäden.406 Hierauf wird unten noch einzugehen sein.407 2. Zweite alternative Auffassung: Rechtliche Wertungen nicht Teil des Vorsatzes Einen gänzlich entgegengesetzten Weg zu den soeben vorgestellten Auffassungen schlagen Safferling und Heinrich, ebenso wie Wissmann, Glandien und Wolf ein, die bei der Bestimmung des Vorsatzes strikt zwischen Tatsachen und rechtlichen Bewertungen trennen wollen.408 Durch die Unterscheidung zwischen einem Irrtum über einen tatsächlichen Umstand und einem Irrtum über die rechtliche Einordnung – wobei es unerheblich sein soll, ob sich letzterer auf ein eher deskriptiv oder eher normativ geprägtes Tatbestandsmerkmal bezieht – soll die durch die herkömmliche Ansicht erfolgende „Verwässerung“ der Irrtumslehre zugunsten der Möglichkeit einer klaren Grenzziehung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum aufgegeben 402
Walter, S. 367. Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (460). 404 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (460). 405 Vgl. Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 121d. 406 Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 121d; Schuster, S. 158. 407 Siehe dazu unter I. II. 5. a). 408 Glandien, S. 74 ff., 84 ff., 338 f.; Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (456 ff.); Safferling, S. 135 ff., 153 ff.; Wissmann, S. 189 ff.; Wolf, S. 637, 660 f. 403
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werden.409 Bei diesem Lösungsansatz muss der Täter überhaupt keine „Wertung“ bzw. das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung kennen; gefordert wird lediglich die Kenntnis aller äußerlich wahrnehmbaren Tatsachen, die diesen Wertungen zugrundeliegen.410 Die Kenntnis soll sich „nur auf Tatsachen, also reale Elemente des Lebenssachverhalts“ beziehen.411 Entsprechend sei die Umstandskenntnis zu verneinen, wenn dem Täter tatsächliche Umstände des Lebenssachverhalts nicht bekannt waren oder er diese falsch erfasst hat; nur dann wisse der Täter nicht, was er tue, und befinde sich in einem vorsatzausschließendem Tatumstandsirrtum.412 Dagegen berühren Fragen, die die rechtliche Bewertung eines bestimmten Verhaltens bzw. die Bedeutungskenntnis eines bestimmten Merkmals betreffen, nach dieser Ansicht die Vorsatzebene gerade nicht, sondern werden erst auf der Schuldebene relevant;413 insoweit handele es sich um Bestandteile des Unrechtsbewusstseins.414 Um den Täter nicht über Gebühr zu belasten, werden dann an die Vermeidbarkeitsprüfung im Rahmen des § 17 StGB „keine überzogenen Anforderungen an die ,Anspannung des Gewissens‘“ gestellt.415 Nur diese Interpretation soll sowohl dem Wortlaut als auch dem Verständnis der Schuldtheorie und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechen.416 In konkreter Anwendung hieße das, dass jemand etwa bei Kenntnis eines Lebenssachverhalts, nach dem nach geltendem Recht kein Alleineigentum begründet wird, hinsichtlich der Fremdheit einer Sache Vorsatz hat, selbst wenn er irrig annimmt, bereits durch den Kaufvertragsabschluss Eigentümer geworden zu sein.417 Beim Merkmal der „Kriegswaffe“ in § 22a KrWaffG, bei dem umstritten ist, ob es sich hierbei um ein deskriptives oder normatives Tatbestandsmerkmal handelt,418 müsste der Täter folglich nur „diejenigen technischen Eigenschaften einer Waffe oder eines wesentlichen Bestandteils sowie deren daraus resultierende Funktions- und Wirkungsweise als solche erkenn[en], die erforderlich sind, um eine Waffe als Kriegswaffe einzuordnen“.419 Bezogen auf Blanketttatbestände gilt entsprechend, dass sich der Vorsatz des Täters nur auf die Tatbestandsmerkmale der durch das Zusammenlesen von Blankettund Ausfüllungsnorm entstandenen Gesamtnorm beziehen muss und es auf eine Kenntnis der blankettausfüllenden Rechtssätze nicht ankommt. Die Unterscheidung, ob nun ein Blankettmerkmal oder ein normatives Tatbestandsmerkmal vorliegt, hätte 409
Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (464). Vgl. Glandien, S. 74; Safferling, S. 153; Wissmann, S. 190 ff. 411 Wissmann, S. 190. 412 Wissmann, S. 190. 413 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (465). 414 Wissmann, S. 190. 415 Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (465). 416 Wissmann, S. 190; vgl. auch Glandien, S. 77 f. 417 Wolf, S. 638. 418 Dazu noch Kapitel 5 D. II. 2. 419 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. 410
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somit keine Bedeutung, da ohnehin nur ein Irrtum über Tatsachen den Vorsatz berühren würde. Im Ergebnis wird hier also auf die ursprüngliche Unterscheidung des Reichsgerichts zwischen Tatirrtum und Rechtsirrtum zurückgegriffen (freilich nicht auf die später durch das Reichsgericht eingeführte Differenzierung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum),420 wobei selbstverständlich die Konsequenzen dieser Unterscheidung auf dem Boden der geltenden Schuldtheorie mit der Anerkennung der Beachtlichkeit eines Unrechtsbewusstseins andere sind als diejenigen zur Zeit des Reichsgerichts, das im Grundsatz jeden Rechtsirrtum für unbeachtlich hielt. Anders als unter Zugrundelegung der herrschenden Auffassung mit ihrer Lehre von den normativen Tatbestandsmerkmalen decken sich hier die Begriffspaare Tat(sachen)irrtum – Rechtsirrtum und Tatumstandsirrtum – Verbotsirrtum, da bei Herausnahme aller rechtlichen Wertungen aus dem Vorsatz ein Irrtum über Tatbestandsmerkmale nie einen Rechtsirrtum darstellen kann. Zunächst spricht für die strikte Trennung zwischen einem Irrtum über einen tatsächlichen Umstand und einem Irrtum über die rechtliche Einordnung die damit verbundene Einfachheit bei der Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum sowie die Erübrigung der Differenzierung zwischen den einzelnen von der herrschendenden Auffassung unterschiedenen Tatbestandsmerkmalstypen und den hiermit einhergehenden, oben erläuterten Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Vorsatzgegenstandes. Diese Auffassung sieht sich ferner, anders als einige der anderen dargestellten Ansichten, nicht dem Vorwurf ausgesetzt, gegen die durch §§ 16, 17 StGB normierte Schuldtheorie zu verstoßen.421 Tatsächlich existiert(e) in der Rechtsprechung sogar ein Beispiel für diese Handhabung beim Merkmal der Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB. Der langjährigen Rechtsprechung des BGH zufolge musste sich der Tatvorsatz in Bezug auf die Eigenschaft als Arbeitgeber und die daraus resultierenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nur auf die diesen zugrundeliegenden maßgeblichen tatsächlichen Umstände beziehen; einer wie auch immer gearteten Kenntnis bzw. eines Fürmöglichhaltens der daraus folgenden rechtlichen Bewertung als Beitragsabführverpflichteter bedurfte es dabei nicht.422 Wenn dem Täter die tatsächlichen Verhältnisse bekannt waren, sollte er, auch wenn er die rechtliche Bewertung als Arbeitgeber bzw. Beitragsabführungsverpflichteter nicht nachvollzogen hatte, allenfalls einem regelmäßig vermeidbarem Verbotsirrtum unterliegen.423 Diese Rechtsprechung wurde durch den 1. Strafsenat indes mittlerweile aufgegeben, der nunmehr davon ausgeht, vorsätzliches Handeln sei nur anzunehmen, wenn der Täter neben der Kenntnis der tatsächlichen Umstände auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts zumindest im Wege der 420
Siehe dazu bereits C. I. 1. Vgl. auch Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 121j. 422 BGH NStZ 2010, 337; BGH NStZ 2014, 321 (323). 423 BGH NStZ 2010, 337; BGH NStZ 2014, 321 (323). 421
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Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzogen habe.424 Dies ergibt sich konsequenterweise aus der Einordnung der Arbeitgeberstellung in § 266a StGB als normatives Tatbestandsmerkmal. Der Täter muss seine Arbeitgeberstellung und die sich daraus ergebende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen haben; eine Fehlvorstellung hierüber soll demnach nunmehr als Tatumstandsirrtum einzuordnen sein.425 Diese Sichtweise erscheint auch sachgerechter: Denn fehlt dem Täter die Erkenntnis, „als Arbeitgeber“ i. S. d. § 266a Abs. 1 StGB zu fungieren, fehlt ihm schließlich die Kenntnis eines im Tatbestand genannten Tatumstands i. S. d. des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und er erfasst damit nicht die Unrechtsvertypung des Tatbestands. Die Kenntnis der Umstände, die die Stellung als Arbeitgeber begründen, gleichzusetzen mit der Kenntnis des Tatumstands „als Arbeitgeber“ kann dem Wortlaut von § 266a Abs. 1 StGB nicht gerecht werden. Ohnehin werden sich in der Praxis aber selten Unterschiede ergeben, denn die Erkenntnis, als Arbeitgeber zu handeln, wird im Sinne eines billigenden In-Kauf-Nehmens jedenfalls in solchen Fällen vorliegen, „in denen die für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Indizien eindeutig überwiegen und das Ergebnis der vorzunehmenden sozialrechtlichen Bewertung daher letztlich von vornherein ,klar auf der Hand‘ liegt.“426 Die strikte Einteilung von error facti (Tatumstandsirrtum) und error iuris (immer Verbotsirrtum) ist insgesamt nach der hier vertretenen Auffassung nicht mit der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB geforderten Kenntnis der Umstände des Tatbestands vereinbar. Sind in einem Straftatbestand ein oder mehrere normative Tatbestandsmerkmale enthalten, an deren Existenz trotz aller Abgrenzungsschwierigkeiten festgehalten werden soll, so erscheint es nicht sachgerecht, dies vollständig zu ignorieren. Auch Rechtliches kann eine Tatsache bzw. ein Tatumstand sein, denn „dass es eine bestimmte Norm gibt, dass ein Gericht zu ihr eine bestimmte Auslegung vertritt und dass ihr ein bestimmter Sachverhalt unterfällt, sind Aussagen, die sich grundsätzlich beweisen oder widerlegen lassen“.427 Der Täter muss daher, um das dem Tatbestand innewohnende typische Unrecht zu verwirklichen, jedenfalls auch ein Mindestmaß an Kenntnis der diesen normativen Merkmalen innewohnenden rechtlichen Bewertungen, genauer ihrer Ergebnisse haben.428 Ist dies nicht der Fall, fehlt es mangels ausreichender Tatumstandskenntnis am vorsatztypischen Unrecht.429 Deshalb wird mit einer „Rückbestimmung des ,Tatbestandes‘ und des ,Vorsatzes‘ auf empirisch-faktische Merkmale […] der Begriff normbezogenen
424
BGHSt 64, 195 (202 f.). BGHSt 64, 195 (202 f.). 426 Floeth, NZS 2016, 771 (773). 427 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 5. 428 Feiler, S. 170. 429 Feiler, S. 170; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 112. 425
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Handelns und der subjektiven Zurechnung völlig verfehlt“.430 Bezeichnend ist auch die Gesetzesbegründung zum amtlichen Entwurf eines StGB von 1962 (E-StGB 1962),431 aus dem die Regelungen zu den heutigen §§ 16, 17 StGB im Zuge des 2. Strafrechtsreformgesetzes nahezu wortgleich übernommen wurden.432 In dieser Gesetzesbegründung wird im Rahmen des § 19 E-StGB 1962, der dem heutigen § 16 StGB wortgleich entspricht, der Begriff des „Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“ erläutert, der die „Beschreibung der Umstände, die den Unrechtssachverhalt einer Straftat kennzeichnen“ enthalten soll:433 „Solche Umstände können […] auch Sachverhalte und Vorgänge der Gedankenwelt, insbesondere der des Rechts [sein]. […] Das Gesetz beschreibt bei den einzelnen Tatbeständen, welche Umstände gegeben sein müssen […]. Diese Umstände muß der Täter kennen, um vorsätzlich zu handeln. Es ist nötig, aber auch ausreichend, daß er die Umstände selbst kennt und weiß, was sie im menschlichen Leben bedeuten. […] Wer glaubt, daß er durch den bloßen Kauf einer Sache deren Eigentümer werde, handelt hinsichtlich des Umstandes ,fremde Sache‘ nicht vorsätzlich“.434
Dies ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die vorgeschlagene strikte Trennung von error facti und error iuris vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Außerdem ist der Aussage zuzustimmen, dass ein Bedeutungsirrtum von einem strafrechtlichen Verbots- oder Erlaubnisirrtum zu unterscheiden ist, nachdem das Bedeutungswissen hinsichtlich normativer Tatbestandsmerkmale sich „kategorial von dem umfassenden Schluß auf die rechtliche Verbotenheit bzw. Erlaubtheit“ unterscheidet.435 Auch der BGH stellte bereits fest, dass rechtliche Verhältnisse oder Beziehungen Tatbestandsmerkmale darstellen können, was voraussetzt, dass sie „ein selbständiges Dasein außerhalb des Verbots haben, das der gesetzliche Tatbestands ausdrückt“, wie bei der Fremdheit der Sache in den §§ 242, 246 StGB oder dem Treueverhältnis in § 266 StGB.436 Bei Blanketttatbeständen hingegen gibt es diesen Unterschied nicht; hier ist der Verstoß gegen die Ausfüllungsnorm zugleich das durch den Blanketttatbestand sanktionierte Verhalten selbst. Zum Tatbestand gehört aber der Umstand nicht, dass die Handlung in ihrer Gesamtheit das Recht verletzt.437
430
Köhler, AT, S. 159. BT-Drucks. 4/650. 432 Vgl. Rosenbaum, S. 239. 433 BT-Drucks. 4/650, S. 133. 434 BT-Drucks. 4/650, S. 133. 435 Köhler, AT, S. 158; vgl. auch Papathanasiou, S. 103. 436 BGHSt 9, 358 (360 f.) 437 BT-Drucks. 4/650, S. 133.
431
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen
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II. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. in Bezug auf Blankettnormen im Detail Nachdem die Konzepte vorgestellt wurden, die sich als der herrschenden Meinung vorzuziehende Irrtumslehren begreifen, und auch schon kurz die Gesichtspunkte beleuchtet wurden, die gegen diese alternativen Ansichten sprechen, soll auf die einzelnen Kritikpunkte an der herrschenden Irrtumslehre in Bezug auf Blankettnormen nochmals genauer eingegangen werden. Hierbei ist insbesondere darzustellen, warum die hervorgebrachten Argumente letzten Endes nicht verfangen. 1. Kritik an der Durchführung des Zusammenlesens Wie oben aufgezeigt,438 führt die Technik des Zusammenlesens der herrschenden Meinung zu einem aus den Tatbestandsmerkmalen der Blankettnorm und denjenigen der Ausfüllungsvorschrift gebildeten Gesamttatbestand, bei dem das verweisende Blankettmerkmal „verschwindet“ bzw. durch die Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm ersetzt wird. Diese Vorgehensweise führt bei Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln auf den Gesamttatbestand zu der Konsequenz, dass bei Unkenntnis des Täters hinsichtlich der Existenz der Ausfüllungsnorm bzw. der Tatsache der Verweisung auf eine Gebots- oder Verbotsnorm an sich kein Tatumstandsirrtum, sondern ein Verbotsirrtum angenommen wird.439 Bereits gegen diese Technik des Zusammenlesens werden Einwände erhoben. a) Semantische Bedenken: Veränderung von Wortlaut und Sinn Zunächst werden semantische Bedenken gegen das Zusammenlesen von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm hervorgebracht. Dieser Vorgang sei nicht, wie es die Befürworter des Zusammenlesens annähmen, ein rein technischer, sondern vielmehr ein interpretatorisch-wertender Akt, der die Bedeutung des Blankettmerkmals bei der Tatbestandsherstellung ignoriere;440 es ist gar die Rede von einer „Uminterpretation“ der Norm(en).441 Ursprünglich bestehe der Tatbestand des Blankettgesetzes allein oder hauptsächlich im Verstoß gegen eine andere Norm, die Ausfüllungsnorm, weshalb die Tatsache des Normverstoßes auch Teil des Gesamttatbestands sein müsse, denn der „Vorwurf, der dem Täter zu machen ist, liegt nicht nur darin, daß er Umstände geschaffen hat, die jenes andere (ausfüllende) Gesetz verwirklichen, sondern zusätzlich, daß er gegen
438
Siehe dazu bereits H. II. 2. a). Vgl. Cornelius, S. 284. 440 Dietmeier, S. 201; Enderle, S. 337 f.; Herzberg, GA 1993, 439 (455); ders., JZ 1993, 1017 f.; Kuhlen, S. 430; Lauer, S. 81; Müller-Magdeburg, S. 118 ff. 441 Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 402. 439
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
die Wertung dieses Gesetzes verstoßen hat. Denn jenes andere Gesetz enthält ein Gebot oder Verbot; dieses mißachtet zu haben ist Teil des tatbestandlichen Unrechts“.442
Dem Verweis auf die Ausfüllungsnorm wird ein normativer Einschlag zugesprochen, der allerdings durch das Zusammenlesen in seiner klassischen Form zulasten eines rein deskriptiven Tatbestands entfalle.443 Das Zusammenlesen verändere den Vorsatzgegenstand bzw. reduziere diesen, was eine Vorsatzmodifikation zur Folge habe.444 Erläutert werden kann dies beispielhaft anhand von § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG, nach dem u. a. bestraft wird, wer einem Ausfuhrverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt. Hier wird bemängelt, dass durch die Lesart der herrschenden Meinung das Ausfuhrverbot, das Zuwiderhandeln und die Konkretisierung des Verbots durch den einschlägigen Rechtsakt „unterschlagen“ werde.445 Werde etwa auf eine Listung von durch ein Embargo betroffene Personen oder Organisationen Bezug genommen, müsse das Zusammenlesen von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm(en) derart durchgeführt werden, dass der Umstand der Listung Teil des gesetzlichen Tatbestands bleibe.446 Gerade bei solchen Verweisungen auf Vorschriften des Unionsrechts wird gefordert, ein Zusammenlesen dürfe nicht die Konsequenz haben, dass die Kennzeichnung der Herkunft der Norm entfällt.447 Vielmehr müsse für den potentiellen Adressaten der Ursprung des Verweisungsobjekts deutlich bleiben. Begründet wird dies damit, dass bei einem Verweis auf eine Verordnung der EU die Auslegung nach den entsprechenden unionsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen habe, wofür die Bezeichnung der Normherkunft notwendig sei.448 Außerdem, so wird ferner argumentiert, dürfe die Verweisungsnorm nicht einfach eliminiert werden, weil der Gesetzgeber wegen der unmittelbaren Geltung einer EU-Verordnung diese nicht noch einmal selbst neu fassen und daher nicht so getan werden dürfe, als würde das Unionsrecht lediglich wiederholt.449 Dieses Argument wird durch Cornelius allerdings nur aus verfassungsrechtlicher Perspektive hervorgebracht und dann sogleich wieder relativiert, indem ausdrücklich offen gelassen wird, ob dies auch für den Irrtumsbereich Gültigkeit haben soll.450 Um die genannten Kritikpunkte zu entkräften, muss noch einmal klar und deutlich festgestellt werden, was Sinn und Zweck des Zusammenlesens ist. Nur durch die Anwendung dieser Methode ergibt sich der Bereich des strafbaren Verhaltens, kann 442
Müller-Magdeburg, S. 118. Krell, NZWiSt 2013, 114 (115); Müller-Magdeburg, S. 125; Tiedemann, S. 92 f. 444 Lauer, S. 65 f. 445 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 46; Krell, NZWiSt 2013, 114 f. 446 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 46; Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). 447 Cornelius, S. 286. 448 Cornelius, S. 286. 449 Cornelius, S. 286. 450 Cornelius, S. 291. 443
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen
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der objektive Tatbestand der jeweiligen Strafvorschrift ermittelt werden.451 Selbst Vertreter der Rechtswissenschaft, die grundsätzlich der Irrtumskonzeption der herrschenden Auffassung widersprechen, kommen zu dem Schluss, dass das Zusammenlesen „die konsequente Umsetzung der Schuldtheorie“ darstelle.452 Die Kritik an einer angeblichen Veränderung von Wortlaut und Sinn der Norm hat ersichtlich nur einen Grund: den ungewollten Verlust des Anknüpfungspunkts für einen Tatumstandsirrtum, weil das Blankettmerkmal durch die Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm substituiert wird.453 Für die Vorsatzanforderungen kann es indes nicht entscheidend sein, ob der Gesetzgeber alle Tatbestandsmerkmale in einer einzigen Norm aufführt oder aus Vereinfachungs- oder Flexibilitätsgründen auf eine andere Norm verweist. Denn verweist der Normgeber nicht auf eine andere Norm, sondern führt alle eigentlich von der Ausfüllungsnorm aufgeführten Tatbestandsmerkmale im Straftatbestand selbst auf, so ist das Ergebnis dasselbe wie das durch die Technik des Zusammenlesens herbeigeführte: Nur diese Tatbestandsmerkmale und gerade nicht die Verbotskenntnis müssen vom Vorsatz umfasst sein. Es muss an dieser Stelle erneut betont werden, dass die Blankettform von Gesetzen ihre Verwendung nicht mit Blick auf vorsatz- oder irrtumsrechtliche Folgen findet, sondern bloß gesetzgebungstechnischen Erwägungen folgt, sei es aus Vereinfachungs-, sei es aus Flexibilitätsgründen. Auch bei Verweisungen auf unmittelbar geltende EU-Verordnungen ist dies der Fall; insofern ist zwischen einer verfassungsrechtlichen und einer irrtumsrechtlichen Dimension des Zusammenlesens zu unterscheiden.454 Die semantischen Bedenken, die gegen die Inkorporationstheorie im Hinblick auf die Irrtumsfunktion hervorgebracht werden, sind mithin eher als Scheinargumente zu qualifizieren, welche den eigentlichen Sinn der Verwendung der Blanketttechnik und damit auch des Zusammenlesens von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm verkennen. b) Verfassungsrechtliche Bedenken: Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz und Verstoß gegen die Garantiefunktion des Tatbestands Auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Ergebnis der Inkorporationstheorie werden hervorgebracht. Die Kompetenz zur Beschreibung des strafbaren Verhaltens liegt allein beim Gesetzgeber, der die Blanketttechnik, wie schon mehrfach erwähnt, entweder aus gesetzesökonomischen Gründen oder zur Ermöglichung der flexiblen Anpassung des Strafrechtsschutzes verwendet.455 Nach Auffassung von Enderle kommt der Verweisung aber auch sinnkonstituierende Wirkung und der Trennung von Strafnorm und Beschreibung des verbotenen Verhaltens in der 451
Wolf, S. 167. Vgl. Walter, S. 360. 453 Wolf, S. 169. 454 Anders Enderle, S. 338 f. 455 Siehe dazu bereits Kapitel 2 A. I. 2. und 3. 452
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Ausfüllungsnorm eine inhaltliche Bedeutung zu, wenn der Gesetzgeber in der Strafnorm selbst auf die Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens verzichtet.456 Werde durch das Zusammenlesen das Blankettmerkmal „ausradiert“, indem dieses durch die Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm ersetzt wird, und damit die durch den Gesetzgeber intendierte Trennung von Strafbewehrung und Verhaltensbeschreibung aufgehoben, stelle dies einen Eingriff in die Kompetenz des Gesetzgebers dar.457 Ob man das so annehmen kann, ist allerdings zweifelhaft. Der Gesetzgeber hat nämlich, wie von Enderle auch richtig erkannt, bestimmte Gründe für die Verwendung der Blanketttechnik. Das Auseinanderfallen von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm erfolgt nicht der bloßen Trennung wegen, sondern gerade wegen dieser Gründe. Es kann daher nicht einfach unterstellt werden, es sei durch diese spezielle Gesetzestechnik eine täterentlastende Handhabung von Irrtümern seitens des Gesetzgebers vorgesehen, bei dem im Übrigen auch allein die Kompetenz zur Beschreibung strafbaren Verhaltens hinsichtlich des Irrtums liegt.458 Auch bei den voll ergänzungsbedürftigen Blankettstrafgesetzen wie § 17 Abs. 1 AWG, bei denen moniert wird, hier entscheide letztlich der Verordnungsgeber über die Strafwürdigkeit eines Verhaltens, gibt es spezielle Gründe für eine solche Art der Gesetzestechnik; im konkreten Fall ist dies etwa die Verpflichtung zur nationalen Umsetzung von Waffenembargos, die durch die EU oder die VN beschlossenen wurden. § 17 Abs. 1 AWG verweist daher zwecks schnellstmöglicher Umsetzung auf die entsprechende Rechtsverordnung, die in kürzerer Zeit geändert werden kann als ein formelles Gesetz. Hier von einem Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz zu sprechen, geht daher an der Sache vorbei. In Bezug auf die Garantiefunktion des Tatbestandes wird außerdem angenommen, dass, soweit sich das Gesetz in der Unrechtsbeschreibung auf den Normbefehl oder die rechtliche Bewertung der ausfüllenden Norm beziehe, diese auch Gegenstand des gesetzlichen Tatbestands sei.459 Jede andere Auslegung missachte die verfassungsrechtliche Garantiefunktion des Tatbestands als Vertypung des Unrechts; die Strafrechtsdogmatik müsse sich diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben fügen.460 Auch Tiedemann weist in diesem Bezug darauf hin, dass „insoweit Blankett und normatives Merkmal keine [Hervorhebungen im Original] unterschiedlichen Erscheinungen sind; beide bedürfen im Hinblick auf die rechtsstaatlich-präzise Bestimmung des Strafbarkeitsumfangs der Ergänzung“.461 Allerdings wird noch unten zu zeigen sein, dass es an der objektiven Unrechtsvertypung des Tatbestandes bei Blanketttatbeständen gerade nicht fehlt.
456
Enderle, S. 338. Enderle, S. 338; vgl. auch Herzberg, GA 1993, 439 (455). 458 Vgl. Schuster, S. 150 und Fn. 999. 459 Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 460 Bülte, NStZ 2013, 65 (70); LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 37. 461 Tiedemann, S. 316.
457
I. Kritik an der Irrtumslehre der h. M. bei Blanketttatbeständen
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2. Ausnahmen in Rechtsprechung und Schrifttum Als Argumente gegen die postulierte Notwendigkeit der Vorgehensweise der herrschenden Ansicht, die davon ausgeht, dass im Sinne der Schuldtheorie die Existenz oder Reichweite der das Blankettmerkmal ausfüllenden Norm nicht vom Vorsatz umfasst zu sein braucht und auch nicht umfasst sein darf, werden einige Ausnahmen angebracht, welche von der herrschenden Meinung von diesem Grundsatz gemacht werden. Ob diese Argumente valide sind oder sich nur als Scheinargumente entpuppen, insbesondere, ob es sich tatsächlich bloß um willkürliche Ausnahmen handelt oder diese begründet werden können, soll im Folgenden untersucht werden. a) Konkrete Einzelanordnung Der herrschenden Meinung wird zunächst Inkonsequenz bei der Anwendung ihrer eigenen Grundsätze vorgeworfen, weil bei denjenigen Strafgesetzen, die auf behördliche oder justizielle Einzelanordnungen Bezug nehmen und die vielfach ebenfalls unter dem Begriff des Blankettstrafgesetzes geführt werden,462 Existenz und Inhalt der Anordnung vom Vorsatz umfasst sein sollen und folglich der Irrtum hierüber als Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB (bzw. § 11 Abs. 1 OWiG) angesehen wird.463 Anders als bei sonstigen Blankettmerkmalen findet hier nach allgemeiner Auffassung kein „klassisches“ Zusammenlesen statt, sodass die Existenz der Einzelanordnung nicht aus dem Tatbestand verschwindet.464 Tatbestände, die auf eine solche Einzelanordnung verweisen, kommen beispielsweise im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht in Gestalt von behördlichen Auflagen oder Weisungen vor.465 So wird bei § 21 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 und 3 StVG gefordert, der Vorsatz des Täters müsse sich auch auf die verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Anordnung eines Fahrverbots beziehen.466 Bei § 145c StGB wird der Irrtum des Täters über das Vorliegen eines Berufsverbots als Tatumstandsirrtum angesehen.467 Auch für die vorsätzliche Verwirklichung des § 19 Abs. 1 WStG wird übereinstimmend verlangt, der Täter müsse wissen, dass ihm ein Befehl erteilt worden sei, und sich bewusst sein, einen solchen Befehl zu missachten.468
462
Siehe dazu bereits Kapitel 2 A. III. 1. BeckOK-StGB-Kudlich, 54. Ed., § 16 Rn. 16; Dietmeier, S. 191 f.; Endrulat, Rn. 121; Lauer, S. 83 f.; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 63; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 102; Schuster, S. 91. 464 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Schuster, Bd. 2, § 4 Rn. 37. 465 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 102. 466 BayObLG NStZ-RR 2000, 122. 467 BGH NStZ 1989, 475. 468 Erbs/Kohlhaas-Dau, 242. EL, § 19 WStG Rn. 10; Müko-StGB-Dau, 4. Aufl., § 19 WStG Rn. 10. 463
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Begründet wird diese von der Handhabung der sonstigen Blanketttatbestände abweichende Vorgehensweise damit, dass bei Einzelanordnungen in der Form von Verwaltungsakten das Verbot nicht generell, d. h. für jeden erkennbar umschrieben, sondern durch eine bestimmte, nur dem Einzelnen zugängliche Anordnung konkretisiert wird.469 In diesem Fall wirkt die Anordnung – anders als bei den in Kapitel 3 dargestellten Genehmigungspflichten470 – strafbarkeitsbegründend.471 Im Fall von Verwaltungsakten, die sich – wie in den oben genannten Beispielen – jeweils nur an eine Person richten, erscheint dies auch durchaus plausibel; hier fehlt es an einem allgemein gültigen Verbot und das konkrete Verbot ist Ergebnis einer staatlichen Subsumtion im Einzelfall, ggf. verbunden mit einer Ermessenentscheidung, sodass der Bürger ohne Kenntnis dieses nur an ihn gerichteten Rechtsakts keine Möglichkeit hat, das Wissen über das Verbotensein seiner Handlung zu erlangen. In diesem Zusammenhang fällt auch oft der Begriff eines für das deutsche Strafrecht sonst untypischen „imperativen Rechtsverhältnisses“, das den Ungehorsam gegen eine konkret festgelegte Rechtsfolge sanktioniert.472 Davon einmal abgesehen, stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob beispielsweise § 19 Abs. 1 WStG überhaupt ein Blankettgesetz darstellt oder „ob nicht vielmehr gerade wegen der über die bloße Tatsachenkenntnis hinaus erforderlichen ,normativen Bedeutungskenntnis‘ hinsichtlich des Befehlscharakters einer Anordnung ein normatives Tatbestandsmerkmal vorliegt“.473 Auch bei Allgemeinverfügungen i. S. d. § 35 Satz 2 VwVfG als Ausfüllungsnormen von Blanketttatbeständen wird deren Unkenntnis durch die herrschende Meinung als vorsatzausschließend bewertet. Einigkeit besteht beispielsweise für das Recht der Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten darüber, dass in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 11 Abs. 1 OWiG handelt, wer ein ahndungsbegründendes Verkehrszeichen übersieht, also keine Kenntnis von dessen Existenz hat.474 Diese im Gegensatz zu „klassischen“ Blankettnormen unterschiedliche Behandlung eines Irrtums über die Existenz der Ausfüllungsnorm kann aber in diesem Fall damit begründet werden, dass beim Verkehrszeichen eine tatsächliche Konfrontation des Verkehrsteilnehmers mit dieser Allgemeinverfügung stattfindet und zwar in dem Moment, in dem er etwa in seinem Kraftfahrzeug an der Stelle des Verkehrszeichens ankommt, es sehen kann oder zumindest bei Beobachtung der gebotenen Aufmerksamkeit hätte sehen können.475 Die amtlichen Gebots- oder Verbotszeichen richten sich nach dem Sichtbarkeitsprinzip nicht an alle, sondern nur an diejenigen Verkehrsteilnehmer, die jeweils an dieser Stelle ankom469 Feiler, S. 165; Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 111a; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 102. 470 Siehe dazu Kapitel 3 C. I. 471 Vgl. Schuster, S. 163. 472 Schuster, S. 163 ff. 473 von der Heide, S. 42; ähnlich auch Jakobs, AT, 8/47. 474 KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 14; Schuster, S. 163 ff. 475 Vgl. BGHSt 20, 125 (129).
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men, und nur für diese gilt die Gehorsamspflicht.476 Denn das Verkehrszeichen als Verwaltungsakt wird erst durch die Möglichkeit der Wahrnehmung bekannt gemacht und damit wirksam.477 Auch hier gilt daher: Ohne die Kenntnisnahme des an ihn in diesem Moment gerichteten Rechtsaktes weiß der Verkehrsteilnehmer nicht, was konkret geboten oder verboten ist. Anders hingegen ist die Konstellation zu beurteilen, in der das Verkehrszeichen tatsächlich zur Kenntnis genommen und lediglich dessen Regelungsgehalt nicht verstanden wird, z. B. wenn ein Motorradfahrer das ein Überholverbot anordnende Verkehrszeichen478 wahrnimmt, aber davon ausgeht, das Überholverbot gelte nur für Pkw. Dieser Rechtsirrtum ist lediglich Verbotsirrtum. Ebenfalls wird die Kenntnis einer behördlichen Verbotsverfügung verlangt, wenn es sich zwar um die Regelung eines Einzelfalls handelt, die Verfügung aber Handlungsverbote für jedermann begründet, so etwa bei einem sich gegen einen ausländischen Verein richtenden Betätigungsverbot, das aber gleichermaßen Wirkung für jeden – untechnisch gesprochen – potentiellen Unterstützer entfaltet.479 Hier gehe es vor allem um die Zuwiderhandlung gegenüber dem hoheitlich verfügten Verbot als Gehorsamsverweigerung, „denn die vereinsrechtliche Verbotsverfügung statuiert nicht die das Verhalten verbietende Norm als solche, sondern allein ein Ge- bzw. Verbot, das erst im Zusammenspiel mit der Zuwiderhandlung die Verbotsnorm komplettiert“.480 Dabei fällt auf, dass letztgenanntes Argument gleichermaßen auf sonstige Blankettnormen anwendbar ist, etwa bei § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG, in welchem auf in unmittelbar geltenden Rechtsakten der EG oder EU enthaltene Verbote verwiesen wird. Es stellt sich außerdem die Frage, warum es verzeihlicher sein soll, eine Verfügung nicht zu kennen, die – wie z. B. bei einem Vereinsverbot – im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden ist, als die Veröffentlichung eines Embargos im Amtsblatt der EU wie bei § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG. In beiden Fällen richtet sich der jeweilige Rechtsakt grundsätzlich an jedermann.481 In diesem Zusammenhang merkt Andrzejewski an, dass es sich bei den Listenblanketten des AWG um in Gesetzesform gebrachte Einzelanordnungen handele, weshalb die Forderung, der Vorsatz des Täters müsse sich auf die konkrete Listung erstrecken, „an sich sachgerecht“, mit der aktuellen Gesetzeslage jedoch nicht vereinbar sei.482 Man könnte aber auch umgekehrt darüber diskutieren, ob eine für jedermann Handlungsverbote begründende Verfügung bzw. eine Allgemeinverfügung nicht zumindest aus strafrechtlicher Sicht als Rechtsnorm begriffen und nach der herkömmlichen Vorgehensweise der herrschenden Meinung mit dem Straftatbestand zusammengelesen werden müsste, sodass das Bestehen eines Tätervorsatzes hinsichtlich des Verbots 476
BGHSt 20, 125 (129 f.). Rebler, NZV 2006, 113 (114). 478 Verkehrszeichen 276 zu Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO. 479 So erstmals ausdrücklich BGH NStZ 2020, 682 (683) zu § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG. 480 Lenk, NStZ-RR 2021, 28 (30). 481 Vgl. BGHSt 20, 125 (129). 482 Andrzejewski, S. 198 f.; Sieber/Vogel, S. 93. 477
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selbst (außer bei der Allgemeinverfügung in Form eines Verkehrsschildes aufgrund des Sichtbarkeitsprinzips) gerade nicht zu fordern wäre.483 Eine weitere, diese Forderung verstärkende Ungereimtheit findet sich im Außenwirtschaftsstrafrecht. § 18 Abs. 1a AWG, der die Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG sanktioniert, wurde ausweislich der Gesetzesbegründung eingefügt, um die Zeitspanne strafrechtlich abzusichern, die nach beschlossenen Finanzsanktionen betreffend die vom VN-Sicherheitsrat oder einem seiner Sanktionsausschüsse benannten Personen oder Personengesellschaften bis zu deren Listung in einer unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung vergeht.484 Die durch Verwaltungsakt angeordneten Beschränkungen sollen folglich auch wieder außer Kraft treten, wenn die Umsetzung auf EU-Ebene erfolgt ist und somit kein Bedürfnis mehr für die vorläufige nationale Umsetzung besteht.485 Zwar findet sich die Aussage, ein solcher Einzeleingriff erfolge entweder durch einfachen Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG oder durch Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 VwVfG, wobei der Erlass eines einfachen Verwaltungsakts insbesondere dann vorkommen könne, wenn eine konkrete außenwirtschaftliche Handlung unterbunden werden soll, die weder bereits durch das AWG oder die AWV verboten ist noch einem Genehmigungsvorbehalt unterliegt, wie etwa die Untersagung einer ganz bestimmten Warensendung ins Ausland.486 Allerdings ist ein solcher einfacher Verwaltungsakt mit dem dargelegten Zweck von § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG wohl kaum vereinbar, denn die beschlossenen umzusetzenden Finanzsanktionen sollen, sobald sie Geltung entfalten, von jedermann und nicht nur von einer bestimmten Person einzuhalten sein. Daher wird es sich bei den Einzelanordnungen i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG um Allgemeinverfügungen handeln, die bestimmte Rechtsgeschäfte oder Handlungen von jedermann gegenüber einem bestimmten Personenkreises betreffen.487 Um das unverzügliche Inkrafttreten der angeordneten Beschränkungen in der BRD zu gewährleisten, wird durch § 6 Abs. 1a AWG klargestellt, dass im Bundesanzeiger veröffentlichte Verwaltungsakte mit Veröffentlichung, d. h. mit öffentlicher Bekanntgabe, wirksam werden.488 In solchen Fällen wird das Verbot also nicht wie bei Einzelanordnungen in Form eines Verwaltungsakts nach § 35 S. 1 483
Lorenz/Og˘ lakcıog˘ lu, KriPoZ 2020, 108 (111). BT-Drucks. 19/15196, S. 57. 485 BT-Drucks. 19/15196, S. 57. 486 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 6 AWG Rn. 9. 487 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 6 AWG Rn. 9. – Stein/Thoms, § 6 AWG Rn. 6, weisen aber darauf hin, dass es hier oftmals zu unzulässigen sog. verordnungsvertretenden Verwaltungsakten kommt, nachdem bei der unverzüglichen Umsetzung von UN-Embargos in nationales Recht die entsprechenden Anordnungen weder hinsichtlich des Regelungsgegenstands noch in Bezug auf den Adressatenkreis einen Einzelfall regeln, „denn die Regelung bezieht sich nicht nur auf eine unübersehbare Vielzahl bestimmter außenwirtschaftlicher Rechtsgeschäfte und Handlungen“, sondern betrifft „eine im Zeitpunkt des Erlasses unübersehbare Anzahl von Teilnehmern bestimmter Arten des Außenwirtschaftsverkehrs“, kritisch dazu auch Epping, S. 460 ff. 488 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 6 AWG Rn. 3. 484
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VwVfG durch eine nur an einen Einzelnen gerichtete Anordnung konkretisiert, sondern kann theoretisch durch jeden Bürger nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger wahrgenommen werden. Wie allerdings festgestellt wurde, wird bei Einzelanordnungen sowohl in Form von Verwaltungsakten nach § 35 S. 1 VwVfG als auch in Form von Allgemeinverfügungen nach § 35 S. 2 VwVfG von der herrschenden Meinung verlangt, dass der Täter nicht nur deren Tatbestand kennt, sondern auch um ihren Erlass und ihre Wirksamkeit weiß.489 Dann wäre aber die Unkenntnis von durch Allgemeinverfügung verfügten Embargoentscheidungen stets ein Tatumstandsirrtum, während die Unkenntnis von in EU-Rechtsverordnungen statuierten Embargoentscheidungen Verbotsirrtum bliebe. Wenn man sich aber nochmal vor Augen führt, dass Zweck dieser durch Allgemeinverfügung angeordneten Beschränkungen lediglich die Gewährleistung von deren unverzüglichem Inkrafttreten in Deutschland ist und diese sich ebenso wie eine EU-Rechtsverordnung an jeden richtet, so erscheint es wahrlich inkonsequent, beide Konstellationen unterschiedlich zu beurteilen. Gesetzeswortlaut und -zweck des AWG sprechen vielmehr dafür, in beiden Fällen einen Verbotsirrtum anzunehmen. So sieht Abs. 12 des § 18 AWG bei Unkenntnis eines Einzeleingriffs nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG eine Karenzzeit von zwei Werktagen vor, in welcher der Täter straffrei bleibt, wenn er einer solchen öffentlich bekannt gemachten Anordnung zuwiderhandelt. Damit soll berücksichtigt werden, dass der von einer Einzelanordnung Betroffene von der öffentlichen Bekanntmachung nicht von Beginn an notwendig Kenntnis erlangt.490 Würde die Unkenntnis einer Allgemeinverfügung aber stets einen vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach sich ziehen, wie die herrschende Meinung dies annimmt, wäre die Regelung des § 18 Abs. 12 AWG obsolet. Dass dies nicht im Widerspruch dazu steht, dass die Unkenntnis eines Einzeleingriffs in Form eines sich an ein Individuum richtenden einfachen Verwaltungsakts nach § 35 Satz 1 VwVfG zu einem Tatumstandsirrtum führt, ergibt sich daraus, dass ein solcher Verwaltungsakt wohl kaum i. S. d. § 18 Abs. 12 AWG öffentlich bekanntgegeben, sondern vielmehr persönlich zugestellt werden wird. Selbstverständlich wird eine erhebliche Schlechterstellung des Täters erreicht, wenn die Kenntnis einer für jeden Handlungsverbote begründenden Verfügung bzw. einer Allgemeinverfügung auf Ebene des Vorsatzes für unbeachtlich erklärt wird. An dieser Stelle zeigen sich besonders deutlich die Schwächen der Schuldtheorie, die das Bewusstsein, Unrecht zu tun, und damit die Kenntnis des Verbots eindeutig der Schuldebene zuordnet.491 Eine Auflösung dieser Konflikte ließe sich wohl nur mit einer grundlegenden Reform der Irrtumsvorschriften erreichen;492 so bleibt nur der Weg, eine am Gesetzeswortlaut orientierte möglichst stringente und widerspruchs489
Siehe dazu bereits I. II. 2. A). Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 112. 491 A. A. etwa Fakhouri Gómez, GA 2010, 259 (268 f.), die bei machen Delikten gerade des Nebenstrafrechts für die Annahme des Vorsatzes auch einen dolus malus verlangt. 492 Vgl. Walter, S. 393 ff., 438 ff. 490
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freiere, wenn auch zugegebenermaßen täterfeindlichere dogmatische Linie zu zeichnen. b) Ausnahmsweise positive Verbotskenntnis erforderlich Als weiterer Beleg dafür, dass die herrschende Auffassung ihre eigenen aufgestellten Regeln nicht einhält, wird besonders oft der mittlerweile schon etwas ältere „Sperrbezirksfall“493 mit der Entscheidung zum Vorsatzerfordernis bezüglich des heutigen § 184f StGB herangezogen.494 In diesem Beschluss judizierte der BGH, dass sich eine Prostituierte nur dann strafbar mache, wenn sie weiß, dass der Ort ihres Tätigwerdens zum Sperrbezirk erklärt worden ist; wisse die Prostituierte nicht, dass sie sich in einer für die Prostitution gesperrten Gemeinde betätigt, unterliege sie einem vorsatzausschließendem Tatumstandsirrtum.495 § 184f StGB verweist auf eine Rechtsverordnung, die das Verbot enthält, der Prostitution an bestimmten Orten oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen.496 Wendet man auf diesen Tatbestand die Technik des Zusammenlesens an, so müsste eigentlich für eine vorsätzliche Tatbegehung die bloße Kenntnis des Tätigwerdens an einem in der Rechtsverordnung genannten Ort ausreichen, ohne dass aber die Existenz dieser Rechtsverordnung bzw. der in der Rechtsverordnung erfolgten Auflistung des betreffenden Gebiets bekannt sein müsste. Dies entspräche auch dem Vorgehen der Rechtsprechung bei den Listenblanketten des AWG, wonach der Täter z. B. nur Kenntnis hinsichtlich des Bestimmungslandes, nicht jedoch hinsichtlich der Listung als von einem Embargo betroffenes Land an sich haben muss.497 Allerdings besteht im „Sperrbezirksfall“ eine Besonderheit: Der heutige § 184f StGB verlangt einen „beharrlichen“ Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung. Hierunter wird eine wiederholte Begehung und eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und damit die gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot verstanden, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung in sich bergen soll.498 Eine vorherige Ahndung durch einen Bußgeldbescheid ist nicht erforderlich, wird zum Nachweis der Beharrlichkeit aber in der Regel unerlässlich sein.499 Ein „beharrlicher“ Verstoß wird damit nur vorliegen können, wenn auch eine Kenntnis der Sperrgebietsverordnung vorliegt, da dieser Umstand die Strafbarkeit schließlich erst begründet.500 Auch die zum Zeitpunkt des genannten Beschlusses geltende Vorschrift des § 361 Abs. 1 Nr. 6c StGB a. F., die noch nicht das Tatbestandsmerkmal der 493
BGHSt 23, 167. Dietmeier, S. 191 f.; Endrulat, Rn. 121; Lauer, S. 82. 495 BGHSt 23, 167 (175 f.). 496 Sch/Sch-Eisele, § 184f Rn. 2. 497 Siehe dazu bereits H. II. 2. a) und b); zu solchen Listenblanketten auch noch Kapitel 5 D. II. 1. und E. II. 3. 498 Müko-StGB-Hörnle, 4. Aufl., § 184f Rn. 5; Sch/Sch-Eisele, § 184f Rn. 5. 499 BeckOK-StGB-Ziegler, 54. Ed., § 184f Rn. 5; Lackner/Kühl-Heger, § 184f Rn. 5. 500 Vgl. Remiroz, S. 89 f. 494
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„Beharrlichkeit“ enthielt, wurde im Hinblick auf die bereits bekannte einzuführende Neufassung des Tatbestandes dahingehend ausgelegt, dass die Ausübung am unerlaubten Ort vom Vorsatz umfasst werden müsse.501 Ob dies angesichts des anderslautenden § 361 Abs. 1 Nr. 6c StGB a. F. tatsächlich dogmatisch zutreffend war, ist eine andere Frage, die indes durch die heutige Vorschrift des § 184f StGB im obigen Sinne entschieden wurde. Damit ist auch die in diesem konkreten Fall ausnahmsweise geforderte positive Verbotskenntnis mit den Grundsätzen der herrschenden Meinung in Einklang zu bringen. c) Steueranspruchstheorie Ebenfalls als uneinheitlich angesehen wird die Rechtsprechung zum Tatbestand der Steuerhinterziehung, die § 370 AO oftmals pauschal als Blankettstrafgesetz bezeichnet,502 bei der Irrtumsfrage aber ihren eigenen Maßstäben nicht folgt, indem für vorsätzliches Handeln gefordert wird, „dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will“.503 Wer irrtümlich annimmt, er sei nicht steuerpflichtig, handelt nach der Rechtsprechung und auch nach einem Teil des Schrifttums im Tatumstandsirrtum, unabhängig davon, ob ein Irrtum über Tatsachen vorliegt, die die Steuerpflicht begründen, oder ob der Täter das Steuergesetz, auf dem die Pflicht beruht, nicht kennt oder falsch auslegt (sog. Steueranspruchstheorie).504 Dagegen nimmt ein Teil der Rechtsprechung bei den Unterlassenstatbeständen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO beim Irrtum über das Bestehen einer Erklärungspflicht bei Kenntnis der pflichtbegründenden Umstände nur einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB an.505 Dass dies auf den ersten Blick verwirrend und widersprüchlich erscheint, ist nicht von der Hand zu weisen. Dabei ist der erste Fehler schnell auszumachen: Häufig wird schon nicht hinreichend zwischen den verschiedenen Verweisungsbegriffen in § 370 AO differenziert, der in unterschiedlicher Weise in den Merkmalen der „steuerlichen Erheblichkeit“, der „Steuerverkürzung“ oder der „Pflichtwidrigkeit“ auf steuerrechtliche Vorschriften Bezug nimmt.506 In monographischen Abhandlungen sowie der Kommentarliteratur wurde indes durch mehrere Autoren herausgearbeitet, dass nach den bereits in Kapitel 2 vorgestellten Kriterien zur Unterscheidung zwischen Blankettmerkmalen und normativen Tatbestandsmerkmalen etwa das Merkmal der „Steuerverkürzung“ in die zweite Kategorie fällt, womit dann allerdings die herr501
Vgl. BGHSt 23, 167 (171 ff.). Vgl. BVerfG NStZ 1991, 88; BGHSt 40, 195 (196); BGH NJW 2018, 480 (483); BFH NJW 2000, 3230 (3231 f.) 503 BGHSt 5, 90 (92); BGH NStZ 2012, 160 (161); BGH NStZ-RR 2018, 180 (182); BGH NStZ 2021, 297 (298). 504 Erbs/Kohlhaas-Hadamitzky-Senge, 242. EL, § 370 AO Rn. 66. 505 Vgl. BGH BeckRS 1985, 31100862; BayObLG NJW 1976, 635; FG Münster, BeckRS 2013, 95474. 506 Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 3. Aufl., § 370 AO Rn. 16 ff., 402. 502
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schende Irrtumsdogmatik in Einklang mit ihren Grundsätzen gebracht wird.507 Auch in neueren Entscheidungen des 1. Strafsenats scheint sich die Tendenz in diese Richtung zu entwickeln: Während noch bis vor kurzem derselbe Irrtum, es sei – bei Kenntnis der zugrunde liegenden Sachverhaltsumstände – keine Sozialbeitragsabführungspflicht bzw. kein Steueranspruch entstanden, bei § 266a StGB als meist vermeidbarer Verbotsirrtum eingestuft, bei § 370 AO allerdings als Tatumstandsirrtum gesehen wurde, wurde nun eine einheitliche Handhabe zugunsten des zweiten Weges gewählt, „da für die Differenzierung kein sachlicher Grund erkennbar ist und es sich jeweils um (normative) Tatbestandsmerkmale handelt“.508 Insgesamt kann daher auch die vermeintliche Inkonsequenz der so genannten Steueranspruchstheorie entkräftet werden, wenn nur die richtige Einordnung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals erfolgt. 3. Parallele Struktur von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen Gegen die unterschiedliche Behandlung von Irrtumsfragen in Bezug auf normative Tatbestandsmerkmale und Blankettmerkmale wird auch deren scheinbar parallele Struktur ins Feld geführt. Beide Arten von Tatbestandsmerkmalen beinhalteten die Verweisung auf andere Normen, was die Frage aufwirft, warum nicht auch bei Blankettmerkmalen eine Art „Parallelwertung“ vorgenommen wird. So wird auch angemerkt, dass „verwirrenderweise“ Irrtümer über normative Tatbestandsmerkmale, „die der Sache nach gleichfalls Verweise auf außerhalb der Strafnorm liegende Regelungskomplexe darstellen, genau anders beurteilt“ würden.509 Daher laufe die herrschende Meinung im Wesentlichen darauf hinaus, „kasuistisch für jede Blankettstrafnorm ad-hoc“ die Auswirkungen eines Irrtums über die Existenz oder die Reichweite der Ausfüllungsnorm zu entscheiden; insoweit sei kein einheitliches System zu erkennen.510 Gleich zuerst muss man die Aussage, dass auch normative Tatbestandsmerkmale auf andere Normen verwiesen, in ihrer Pauschalität jedoch ablehnen. Tatbestandsmerkmale wie „Urkunde“ in § 267 StGB oder „pornographischer Inhalt“ in § 184 StGB bedürfen zu ihrer Feststellung zwar eines gewissen (geistigen) Urteils, wenn man nach Verweisungsobjekten Ausschau hält, wird man indes nicht fündig werden. 507 Bachmann, S. 173; Backes, S. 158 ff.; Joecks/Jäger/Randt-Joecks, § 370 AO Rn. 503; Klein-Jäger, § 370 AO Rn. 5; Müko-StGB-Schmitz/Wulf, 3. Aufl., § 370 AO Rn. 397; von der Heide, S. 202. 508 BGH NZWiSt 2018, 339 (340); vgl. auch Beyer, NZWiSt 2018, 341 (342); Schneider/ Rieks, HRRS 2018, 62 (64); siehe allerdings auch BGHSt 64, 195 (202 f.), der auch die Pflichtenstellung in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als normatives Tatbestandsmerkmal auffassen möchte, deren Vorliegen folglich i. S. e. Parallelwertung in der Laiensphäre vom Vorsatz umfasst werden müsse. 509 Andrzejewski, S. 193. 510 Andrzejewski, S. 193.
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Mit ähnlicher Argumentation wird in der Literatur an einigen Stellen die Frage aufgeworfen, ob nicht auch in normative Tatbestandsmerkmale ebenso wie in Blankettmerkmale Normen hineinzulesen sind, ob etwa „fremd“ durch die gesamte Eigentumslehre blankettartig ausgefüllt werden muss.511 Diese Auffassung ist abzulehnen. Zum einen gibt es, wie soeben erwähnt, auch bei manchen als normativ klassifizierten Tatbestandsmerkmalen gar keine potentiellen Ausfüllungsnormen. Ferner besagen im immer wieder herangezogenen Beispiel der Fremdheit die sachenrechtlichen Regeln der §§ 929 ff. BGB nur, unter welchen Voraussetzungen jemand sein Eigentum an einen anderen verliert, nicht aber, wann jemand Eigentum hat, worauf es bei der Fremdheit einer Sache in §§ 242 ff. StGB aber ankommt.512 Im Rahmen der §§ 242 ff. StGB ist es lediglich von Interesse, dass jemand Eigentümer ist, nicht jedoch, wie er das Eigentum erlangt hat.513 Als weiteres Argument formuliert Walter: „Im geltenden Recht wäre es übrigens kriminalpolitisch verheerend, wenn man es beispielsweise unternähme, das Sachenrecht in die § 242 ff. hineinzuschreiben. Denn so müsste der Täter nur noch die Umstände kennen, die einen entlegenen Übereignungstatbestand erfüllten, und ihm bräuchte nicht mehr bewußt sein, daß die Sache auch fremd wäre, denn das unterfiele § 17“.514
Es ist aber gerade nicht erforderlich, dass der Täter die genauen zivilrechtlichen Grundlagen samt Kenntnis des Abstraktionsprinzips oder die tatsächlichen Umstände des Eigentumserwerbs, auch nicht in einer sonst wie gearteten Laiensphäre, nachvollzogen hat.515 Entscheidend ist nur die Erkenntnis der „sozialen Wirklichkeit“ des Eigentums, weshalb selbst eventuell vorliegende, jedoch irrige Vorstellungen tatsächlicher Umstände auch für den Fall, dass deren Zutreffen rechtlich gesehen einer Fremdheit entgegenstünde, unschädlich sind.516 Man kann damit festhalten: Zwar sind normative Tatbestandsmerkmale und Blankettmerkmale sich darin ähnlich, dass auch erstere sich auf andere Rechtsnormen beziehen können, wobei dies freilich nicht immer der Fall sein muss. Allerdings kommt es bei solchen normativen Tatbestandsmerkmalen nicht auf diese Normen an sich, sondern vielmehr auf deren Rechtsfolge bzw. auf die Kenntnis der durch diese Merkmale statuierten rechtlichen Regel an, während bei Blankettmerkmalen das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der in Bezug genommenen Vorschrift die Voraussetzung für tatbestandsmäßiges Handeln darstellt.517
511 Vgl. Heinrich, Roxin-FS 2011, Bd. 1, S. 449 (460); so auch Burkhardt, JZ 1981, 681 (687); siehe dazu schon kurz Kapitel 2 B. III. 2. a). 512 Walter, S. 387. 513 Walter, S. 387. 514 Walter, S. 387 f. 515 Schuster, S. 126. 516 Schuster, S. 126. 517 Siehe dazu auch Kapitel 2 B. III. 5.
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
4. Keine stringente Anwendung der Schuldtheorie Die Herangehensweise der herrschenden Auffassung soll ferner keine stringente Anwendung der Schuldtheorie erkennen lassen. Bei konsequenter Durchführung der herrschenden Meinung, nach welcher der Befehl der Norm, auf die verwiesen wird, nicht zum Tatbestand gehören soll, müsste der Irrtum über den Inhalt des Eigentumsrechts ebenso wie der Irrtum über die Existenz des blankettausfüllenden Merkmals einen Verbotsirrtum darstellen, da er „genaugenommen“ die Rechtswidrigkeit des Handelns betrifft.518 Das Tatbestandsmerkmal der „Fremdheit“ in § 242 StGB, das gemeinhin als normatives Tatbestandsmerkmal gesehen wird, findet seine Ausfüllung in den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 903 ff. BGB, nach denen grundsätzlich nur der Eigentümer mit der jeweiligen Sache „nach Belieben verfahren“ kann und jeder andere als der Eigentümer von der Einwirkung auf die Sache ausgeschlossen ist.519 Nach den u. a. zu Blankettmerkmalen von der herrschenden Ansicht entwickelten Maßstäben müsste folglich ein Irrtum des Täters über den Inhalt des Eigentumsrechts einen Verbotsirrtum darstellen, weil der Irrtum die Rechtswidrigkeit des Handelns betrifft; diese Behandlung von Irrtümern bei der Kenntnis von rechtlichen Wertungen bei normativen Tatbestandsmerkmalen widerlege die These, dass § 17 StGB alle Irrtümer über die Rechtswidrigkeit regele.520 Diese Herangehensweise konstruiert, um ein weiteres Argument gegen die herrschende Auffassung bemüht, den Irrtum über die Fremdheit einer Sache als Irrtum über ein Verbot. Der Irrtum über das Verbot des Handelns würde allerdings erst einen dem Irrtum über die Fremdheit nachgelagerten Irrtum betreffen, sozusagen auf zweiter Stufe, und wäre im Übrigen jedem Irrtum nachgelagert. Irrte beispielsweise ein Jäger darüber, dass er statt auf ein Wildschwein auf einen Menschen schießt, ergäbe sich aus seinem Irrtum über das Tatobjekt ebenfalls ein Irrtum über das Verbot des Handelns; allerdings würde hier niemand einen Verbotsirrtum annehmen. 5. Keine Unrechtsvertypung des Tatbestands; Verstoß gegen den Schuldgrundsatz a) Argumente gegen die h. M. und deren Validität im Hinblick auf die Blankettnormen des Nebenstrafrechts allgemein Als besonders oft anzutreffendes Argument gegen die herrschende Auffassung wird angeführt, im Bereich der meist im Nebenstrafrecht anzutreffenden Blankettgesetze werde durch schlichte Sachverhaltskenntnis beim Täter oftmals gar kein sog. 518
Bülte, NStZ 2013, 65 (67); Gómez, GA 2010, 259 (268); vgl. auch Jakobs, Dahs-FS 2005, S. 49 (53). 519 Bülte, NStZ 2013, 65 (67); Gómez, GA 2010, 259 (268); vgl. auch Jakobs, Dahs-FS 2005, S. 49 (53). 520 Bülte, NStZ 2013, 65 (67); vgl. auch Gómez, GA 2010, 259 (268).
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Unrechtsvermeidungsappell entfaltet und folglich sei bei einem Rechtsirrtum in einem solchen Fall die Verhängung einer Vorsatzstrafe unbillig. Bei den sog. delicta mala per se wie Mord oder Körperverletzung ergebe sich das Unrecht der Tat bereits unmittelbar aus der Tatbestandsbeschreibung des strafandrohenden Gesetzes; dieses Unrecht erschließe sich jedem in „unserem“ Rechtskreis sozialisierten Menschen.521 Wer wisse, dass er einen Menschen erschießt, erhalte jedenfalls im Normalfall durch innewohnende Moralvorstellungen den Appell, über das Verbotensein seines Tuns nachzudenken; in diesem Fall wisse der lediglich in einem Verbotsirrtum befangene Täter, was er tue, und kenne die soziale Bedeutung seines Verhaltens, die den Gesetzgeber dazu bewogen hat, dieses Verhalten zu sanktionieren.522 Dass von der Kenntnis der sozialen Bedeutung der Rückschluss auf die Rechtswidrigkeit der Handlung gezogen wird, ein entsprechendes Bewusstsein demnach besteht, könne vom Täter erwartet werden.523 Bei Blankettstrafgesetzen wird nun aber die Besonderheit darin gesehen, dass diese ihre überwiegende Verwendung außerhalb des klassischen Kernstrafrechts finden und regelmäßig lediglich sog. delicta mala mere prohibita darstellen sollen, d. h. solche Delikte, die nicht aufgrund einer sozialethischen Verankerung als Unrecht angesehen werden, sondern umgekehrt erst aufgrund der Strafbewehrung zu Unrecht werden.524 Daher wird in den Fällen, in denen die Blankettnorm nicht den „Kernbereich“ des Strafrechts betrifft bzw. sich im Nebenstrafrecht befindet, für vorsätzliches Handeln die Kenntnis des Gebots oder Verbots der Ausfüllungsnorm bzw. dessen Wertungsergebnis – was auch immer darunter zu verstehen ist – gefordert.525 Schon vor 120 Jahren wurde moniert: „Es gibt heute überhaupt keinen Juristen mehr, der ohne geschriebene und gedruckte Hilfsmittel in allen Fällen mit Sicherheit sagen könnte, ob eine konkrete Handlung straflos oder als Übertretung strafbar ist. Das natürliche Rechtsgefühl und das Gewissen sowie die Ansicht des berühmten Normalmenschen lassen uns bei Unterscheidung der straflosen Handlungen von den strafbaren Übertretungen vollständig im Stich. […] Unzählige Übertretungen werden nicht aus bösem Willen oder aus grober Fahrlässigkeit, sondern aus Unwissenheit, Irrtum und Mißverständnis, aus Mangel an Lebenserfahrung und an Rechtskenntnis begangen“.526
Aus heutiger Sicht bestätigt von der Heide: „Je weiter sich die Regelung in das vielfach technisch formale Nebenstrafrecht verliert, um so weniger lässt sich häufig der Tatbestand als Träger vertypter Wertwidrigkeit ermitteln“.527 Auch Arzt stellt fest, dass „im Nebenstrafrecht […] die angebliche Warnfunktion des Tatbestands521
Vgl. Bülte, JuS 2015, 769. NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 90. 523 NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 90. 524 Vgl. Bülte, JuS 2015, 769; Papathanasiou, S. 185. 525 Siehe dazu schon I. I. 1. 526 Rosenberg, ZStW 22 (1902), 31 (32 f.). 527 von der Heide, S. 40. 522
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vorsatzes zweifelsfrei auf einer Fiktion“ beruht.528 „Den Irrtum über einen erst durch das Gesetz geschaffenen, also positivierten Normbefehl der delicta mala mere prohibita als Verbotsirrtum anzusehen, missachtet mithin die Systemfunktion des Tatbestandes als generelle Unrechtsumschreibung“, folgert Bülte daraus.529 Besonders deutlich wird die Problematik im komplexen, zum Großteil mehrstufigen Verweisungssystem der Außenwirtschaftsstrafnormen mit teils unbestimmten Rechtsbegriffen vor allem bei den Güterlisten, wo sich die Frage stellt, ob der Rechtsanwender überhaupt die Möglichkeit hat, das Unrecht der Tat und damit seine Strafbarkeit zu erkennen.530 Wird wie in § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG die bloße Zuwiderhandlung gegen eine verwaltungsrechtliche Ordnungsvorschrift mit Strafe bedroht, in diesem Fall die Nichteinholung einer Genehmigung für die Ausfuhr bestimmter, teilweise in Güterlisten spezifizierter Güter, sei der an die bloße Kenntnis der Tatbestandsmerkmale geknüpfte Schuldvorwurf jedenfalls zunächst fragwürdig, weil sich dem Täter der soziale Sinn seines Verhaltens unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gegebenenfalls erst erschließen könne, wenn er die Einschränkung seiner grundsätzlichen Handlungsfreiheit durch das Ge- oder Verbot positiv gekannt habe.531 Hinzu kommt im genannten Beispiel die in der Praxis bestehende Schwierigkeit, das jeweilige Gut überhaupt mit der einschlägigen Liste und ihren durchaus unübersichtlichen und extensiven Aufzählungen abzugleichen, was selbst Fachleute vor Herausforderungen stellen kann.532 Die bereits in Kapitel 2 erläuterte Funktion des Tatbestands als Unrechtsvertypung besteht darin, dass der Tatbestand alle Umstände beschreibt, die eine bestimmte Straftat in der Regel ausmachen.533 Dem gesetzlichen Tatbestand i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB soll ferner hierdurch eine „Appellfunktion“ zukommen, indem die Kenntnis der Tatumstände dem potentiellen Täter den Impuls vermittle, dass sein angestrebtes Verhalten verboten sein könnte.534 Weil im Falle der Blankettstraftatbestände auf einen außerstrafrechtlichen Normbefehl zurückgegriffen und erst durch dessen Nichtbeachtung die abstrakte Unrechtsverwirklichung begründet werde, wird teilweise gefordert, dass das verletzte Ge- oder Verbot zur generellen Unrechtsbeschreibung gehören soll, weil die Definition des tatbestandsmäßigen Verhaltens ansonsten kein typisiertes Unrecht enthalte.535 Dass der Gesetzgeber auf die Form eines Blankettstrafgesetzes zurückgreifen müsse, da er nicht in der Lage sei, die Verhaltensnorm anders, also in vereinfachter Form zu formulieren, könne als Be528
Arzt, ZStW 91 (1979), 857 (862). Bülte, NStZ 2013, 65 (70). 530 Müller-Gugenberger-Alexander/Winkelbauer, § 62 Rn. 15. 531 Vgl. von der Heide, S. 40. 532 Siehe auch Kapitel 1 B. II. 533 Siehe dazu Kapitel 2 B. I. 1. 534 Siehe dazu auch Gaßner/Strömer, HRRS 2015, 122 ff. 535 Bülte, NStZ 2013, 65 (70); Tiedemann, Geerds-FS 1995, S. 96 (106); Roxin, Tiedemann-FS 2008, S. 375 (381). 529
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stätigung dafür gesehen werden, dass eine Norm nicht zum Grundbestand allgemein anerkannter Verhaltensnormen gehöre.536 Allerdings kann schon die Annahme bezweifelt werden, dass die Normen des Nebenstrafrechts per se keine erkennbare Unrechtsvertypung enthielten. So merkt Schuster an, dass „die Unkenntnis etwa des Verbots von Kinderarbeit […] nicht deshalb entschuldbarer [ist], weil dieses nicht unmittelbar in der Sanktionsnorm des § 58 Abs. 1 Nr. 1 […] JArbSchG, sondern […] vorab in § 5 Abs. 1 JArbSchG geregelt ist“.537 Ferner ist den dargestellten Argumenten entgegenzuhalten, dass durchaus auch im StGB selbst einige Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, bei denen die reine Kenntnis der Tatumstände ebenfalls keine sog. Appellwirkung begründet. Roxin führt anschaulich einige Beispiele an: „Wer mit einer geisteskranken Frau zu beiderseits größter Befriedigung geschlechtlichen Umgang hat (§ 179 StGB), wer zu Beweiszwecken ein geschäftliches Gespräch auf Tonband aufnimmt (§ 201 Abs. 1 StGB), wer nach Bestehen der mündlichen Doktorprüfung, aber vor Aushändigung des Diploms den Doktortitel führt, wer einen steckbrieflich gesuchten Sexualtäter vorläufig festnimmt oder wer nach einem von ihm verursachten Unfall bei Abwesenheit des Geschädigten am Unfallort nicht wartet, sondern seine Entschädigungsbereitschaft sowie Namen und Adresse schriftlich hinterlässt, hat im Regelfall keinesfalls das Bewusstsein, irgendjemandem zu schaden oder ein Rechtsgut zu verletzen. Da ihm aber alle Tatumstände der betreffenden Vorschriften bekannt sind, handelt er vorsätzlich“.538
Worin im Gegensatz zu diesen Tatbeständen, wo ersichtlich von niemand eine Kenntnis des Gebots bzw. Verbots gefordert wird, die bemängelte angeblich fehlende Unrechtsumschreibung des Tatbestandes bei Blanketttatbeständen gerade des Nebenstrafrechts liegen soll, ist nicht ersichtlich; die zusammengelesene Norm stellt ja gerade die Unrechtsvertypung im Sinne einer Beschreibung des Unrechts dar. Nach wie vor angebracht scheint an dieser Stelle daher die schon legendäre Formulierung Radbruchs, dass Unrecht nicht deshalb Unrecht ist, weil es verboten ist, sondern es umgekehrt verboten wird, weil es Unrecht ist.539 Die Kenntnis der Existenz der blankettausfüllenden Norm bzw. ihrer Wertungsergebnisse als vorsatzrelevant zu erachten, hieße, den Vorsatz vor allem als bewussten Gesetzesungehorsam aufzufassen; eine solche „imperative“ Rechtsauffassung ist dem deutschen Rechtssystem allerdings insgesamt – auch im Nebenstrafrecht – fremd.540 Der Vorwurf, gerade im Nebenstrafrecht könne die bloße Kenntnis der Tatumstände dem Täter keinen strafrechtliche Normappell vermitteln, widerspricht vielmehr der Funktion des modernen Strafrechts als Präventionsstrafrecht. Wie einleitend bereits ausgeführt wurde, dient das Strafrecht vor allem dem Schutz von 536
Vgl. Reiß, S. 70. Schuster, S. 150. 538 Roxin, Neumann-FS 2017, S. 1023 (1025); Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 104a. 539 Radbruch, SJZ 1947, Sp. 633 (634). 540 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 104; Schuster, S. 143 ff., 209; siehe auch Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 121d. 537
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Rechtsgütern, die heutzutage aufgrund der komplexer gewordenen Lebensrealität auch hochgradig abstrakt sein können.541 Vielfach verfolgen tatsächlich oder angeblich „unrechtsneutrale“ Straftatbestände vor allem den Zweck, die „verhaltenslenkende Präventivwirkung der entsprechenden Gebotsnorm zu verstärken“, wobei manche Vorschriften, wie etwa im Bereich der sog. Schwarzarbeit, sogar erst aufgestellt werden, um ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen.542 Es wird auch nicht von jedem verlangt, jedes Gesetz zu kennen, denn viele dieser Spezialnormen richten sich gerade nicht an den „Normalbürger“, sondern betreffen lediglich einen bestimmten Adressatenkreis, etwa Angehörige bestimmter Berufsgruppen.543 Es muss aber angenommen werden, dass in diesen Fällen durchaus auch Spezialkenntnisse vorliegen, die beispielsweise im Rahmen der Berufsausbildung oder praktischen Tätigkeit erworben werden, und dem betroffenen Täter entsprechend ein „Normappell“ auch bei ansonsten ggf. für die Allgemeinheit ethisch farblosen Tatbeständen vermittelt wird. Folglich kann ein Sachverhalt, der bei einem „Normalbürger“ überhaupt nicht zu Denkanstößen bezüglich einer strafrechtlichen Relevanz führen würde, bei einer entsprechend beruflich geschulten Person alle „Alarmglocken klingeln“ lassen.544 Die von den Normen des Nebenstrafrechts Betroffenen stehen damit in einer besonders engen Beziehung zu den jeweils geschützten Rechtsgütern, vor allem bei den wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Regelungen.545 Auch von einem Neuling auf dem jeweiligen Gebiet ist zu erwarten, dass er sich über die für seinen Tätigkeitsbereich geltenden Vorschriften informiert. Daher ist eine konsequente Anwendung der Schuldtheorie auch im Nebenstrafrecht angemessen, wird doch erst dadurch der „Forderung nach starker Identifikation mit der staatlichen Ordnung“ stattgegeben, die insbesondere bei ethisch indifferenten Normen Bedeutung erlangt.546 Ein „hochkomplexes Rechtssystem [muss] dem Bürger deshalb das Risiko des Rechtsirrtums [über die Existenz der Ausfüllungsnorm] zuschieben […], damit dieser sich um die Einhaltung ihm oftmals zunächst unbekannter Normen bemüht“.547 Insofern verfängt auch Walters Argument nicht, es widerspreche dem Schuldgrundsatz, jemanden wegen eines Vorsatzdelikts zu bestrafen, der ein Waschmittel mit einem ihm bekannten Phosphorgehalt in den Verkehr bringt, ohne aber von der Überschreitung des erlaubten Höchstwerts Kenntnis zu haben.548 Meint man es mit der Präventivwirkung ernst, kann es nicht richtig sein, dass dem Waschmittelproduzenten keine Vorsatzstrafe drohen soll und er ggf. bei Fehlen eines Fahrlässigkeitstatbestands 541
Siehe Einleitung D. Wolf, S. 191. – Zur Schaffung eines Unrechtsbewusstseins im Falle der Schwarzarbeit siehe BT-Drucks. 15/2573, S. 18. 543 Jakobs, AT, 19/19; Kudlich/Og˘ lakcıog˘ lu, WirtschaftsstrafR, Rn. 70; Müller-Magdeburg, S. 97; Reiß, S. 71; Schuster, S. 149; Welzel, JZ 1956, S. 238 (241). 544 Reiß, S. 71. 545 Jakobs, AT, 19/19; Schuster, S. 151. 546 Maiwald, S. 42. 547 Wolf, S. 55. 548 Walter, S. 366. 542
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sogar straflos bleibt, wenn er rechtliche Regelungen zu Höchstgrenzen nicht beachtet.549 Die wohl selten vorkommenden Fälle, dass ein Nichtfachmann mit einer „unrechtsneutralen“ Ausfüllungsnorm aus einer der Allgemeinheit eher unbekannten Materie in Konflikt kommt, ließen sich sachgerecht über eine großzügigere Auslegung der Vermeidbarkeit erreichen, bei der man die mangelnde Vorbildung im Hinblick auf die spezielle Materie dabei berücksichtigt, ob Anlass zum Nachdenken oder Einholung von Erkundigungen bzw. Rechtsrat bestand.550 Außerdem begründet die Verwendung der Blanketttechnik keine erhöhte Schwierigkeit für den jeweils Betroffenen bei der Einholung entsprechender Informationen.551 Dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber wolle durch die Verwendung von Blanketttatbeständen eine täterfreundlichere Irrtumsbehandlung anstreben, lässt sich am Beispiel des Umweltstrafrechts demonstrieren, dessen zentrale Straftatbestände 1980 durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz552 mit erheblichen Strukturveränderungen und Erweiterungen ins StGB überführt wurden.553 In den Normen des §§ 324 ff. StGB finden sich nach wie vor Verweisungen auf Verwaltungsnormen; Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm sind standortmäßig getrennt. Allerdings kann hierdurch nicht darauf geschlossen werden, dass durch die Reform eine Privilegierung der vermeidbaren Rechtsunkenntnis z. B. von Betreibern bestimmter Anlagen bewirkt werden sollten. Durch die Überführung der wichtigsten Normen ins StGB sollte gerade das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Sozialschädlichkeit von Umweltbelastungen geschärft werden.554 Bereits oben wurde ausgeführt, dass auch der Täter, der einem Verbotsirrtum unterliegt, von der Appellfunktion des Tatbestandes nicht erreicht wird.555 Walter hält die These von der Appellfunktion daher für eine „nutzlose Figur“ und argumentiert wie folgt: Auch im so genannten Kernbereich des Strafrechts kann vielfach die Tatumstandskenntnis nur demjenigen einen Appell vermitteln, über das Verbotensein seines Tuns nachzudenken, der ein „normenbezogenes Vorverständnis“ hat, also etwa weiß, dass sexuelle Handlungen an jungen Menschen „bedenklich“ sind.556 Hat aber jemand ein solches Vorverständnis, ist kaum noch vorstellbar, dass der Täter sich in einem Verbotsirrtum befindet, also kein Unrechtsbewusstsein hat.557 § 17 StGB laufe dann nur darauf hinaus, „einer prozessualen Angst vor Schutzbehaup-
549
Wolf, S. 191. Vgl. Reiß, S. 71. 551 Schuster, S. 150. 552 BGBl. 1980 I, S. 373. 553 Lackner/Kühl-Heger, Vorbemerkung §§ 324 ff. Rn. 1; Schuster, S. 150. 554 Sch/Sch-Heine/Schittenhelm, Vorbemerkungen zu den §§ 324 ff. Rn. 2; Schuster, S. 151. 555 Siehe dazu D. II. 3. 556 Walter, S. 396. 557 Walter, S. 396. 550
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tungen vorzubeugen“.558 Deshalb sei die These von der Appellwirkung des Tatbestandes „insgesamt untauglich, eine Irrtumslehre zu begründen“.559 In der Tat ist es kaum denkbar, wie ein Täter, der die Tatumstände kennt und ein normbezogenes Verständnis hat, noch einem Verbotsirrtum unterliegen soll.560 Wenn Roxin/Greco in den von ihnen aufgezählten Straftatbeständen „ohne hinreichenden normativen Bezug, bei denen also der Vorsatz seine regelmäßige Appellfunktion nicht mehr entfalten kann und die nicht bloß das Nebenstrafrecht, sondern auch das StGB betreffen können“, eine Bestrafung aus einem Vorsatzdelikt zwar unbillig erscheint, aber dennoch zugegeben wird, dass sich die Rechtsfolge des Vorsatzausschlusses nicht mit dem geltenden Recht vereinbaren lasse,561 so ist dieses Ergebnis genauso auf Blanketttatbestände zu übertragen. Die Kenntnis des von der Ausfüllungsnorm statuierten Gebots oder Verbots betrifft ja gerade die Einsicht, Unrecht zu tun, und ist damit ganz klar § 17 StGB zugewiesen. Unbilligkeiten bei der Strafbarkeit ist dann, wie bereits erwähnt, richtigerweise durch die Annahme der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums zu begegnen. Diese Erkenntnis spricht folglich gegen eine vom Vorsatz zu umfassende Kenntnis der Existenz der Ausfüllungsnorm eines Blankettmerkmals. b) Argumente gegen die h. M. und deren Validität im Hinblick auf die Blankettnormen des Außenwirtschaftsstrafrechts Auch bezogen auf das Außenwirtschaftsstrafrecht wird eine „Aufweichung“ der Schuldtheorie gefordert, sofern das durch das Zusammenlesen von Blankettnorm bzw. Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm aufgestellte Gebot oder Verbot „unrechtsneutral“ oder „sozialadäquat“ ist.562 Abgesehen davon, dass aus bereits genannten Gründen von einer postulierten Appellfunktion des Tatbestands ohnehin nicht viel zu halten ist, fragt es sich, ob das durch die weiteren Tatbestände des Außenwirtschaftsstrafrechts zusammen mit der jeweiligen Ausfüllungsvorschrift beschriebene Verhalten im obigen Sinne unrechtsneutral oder sozialadäquat ist.563 Überhaupt ist unklar, was unter „sozialethisch neutralem Handeln“ zu verstehen ist und was nicht. Die durch § 17 AWG sanktionierten Ausfuhren etwa knüpfen an zwei Voraussetzungen an: zum einen an die gelisteten Länder, zum anderen an die in Teil I Abschnitt A der AL gelisteten Waffen, Munition und Rüstungsmaterial. Jeder, der sich mit dem außenpolitischen Tagesgeschehen beschäftigt, wird sich zumindest dunkel daran erinnern, dass es irgendeine Art von Problemen bzw. Unruhen in diesen 558 Indem die Schuldtheorie dem Richter weite Möglichkeiten biete, den Verbotsirrtum nicht anzuerkennen, Walter, S. 396. 559 Walter, S. 397. 560 Wolf, S. 51. 561 Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 104a. 562 Krell, NZWiSt 2013, 114 (115); Tiedemann, WirtschaftsstrafR, Rn. 407. 563 An dieser Stelle noch nicht zu behandeln sind die Tatbestände des § 18 AWG i. Z. m. Genehmigungspflichten, denen unter J. ein gesonderter Abschnitt gewidmet ist.
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Ländern gibt. Ist nun die Lieferung von a) Rüstungsgütern in b) ein von politischen oder sozialen Unruhen oder gar Krieg aufgerütteltes und/oder durch eine die Menschenrechte missachtende Regierung geführtes Land unrechtsneutral? Das wird man kaum bejahen können. Wie aber sieht es bei § 18 AWG aus, wo es immerhin nicht um Waffenembargos geht? Hier wird explizit gefordert, in manchen Konstellationen den Vorsatztatbestand auf Fälle positiver Unrechtskenntnis zu beschränken, beispielsweise wenn der zusammengelesene Tatbestand das Verbot aufstelle, bestimmte wirtschaftliche Güter bestimmten Personen oder Organisationen zur Verfügung zu stellen.564 Hierin wird teilweise ein „völlig sozialadäquates Verhalten“ gesehen; erst in Bezug auf die Listung einer konkreten Person nehme dieses Unrechtscharakter an.565 Im konkreten Fall geht es nach Krells Auffassung „einzig und allein um die Frage, ob A. auf der Liste in Anhang IV Iran-Embargo-VO stand und damit um ein schlichtes intellektuelles Wissen oder Nichtwissen“, weshalb es unmöglich sei, „den Umstand zu erfassen, dass eine bestimmte Person auf dieser Liste steht“.566 Das Ausfuhrverbot könne der Täter nur durch die Kenntnis der Listung erfassen, nicht aber durch eine Gewissensanspannung. Zu diesen Feststellungen passen aber die wenige Zeilen später getätigten Ausführungen nicht, dass ein Tatumstandsirrtum ohnehin in den Fällen nicht vorliege, in denen der Täter mit dolus eventualis handele, was „gerade in Bezug auf die in Anhang IV der Iran-Embargo-VO genannten juristischen Personen keine unbedeutende Erkenntnis [ist], weil teilweise bereits deren Name eine Beteiligung am iranischen Atomprogramm nahelegen kann“.567 Dann kann aber nicht behauptet werden, die Lieferung wirtschaftlicher Güter an bestimmte Personen oder Organisationen sei in jedem Fall unrechtsneutral oder sozialadäquat bzw. die potentielle Nennung in einer Sanktionsliste nur „durch schlichtes intellektuelles Wissen“ zu erfassen. Ein weiteres Beispiel aus dem Umfeld des § 18 AWG: Kann man in der (unzertifizierten) Einfuhr von Rohdiamanten ein sozial völlig adäquates Handeln erblicken? Schon seit Jahrzehnten ist der Handel mit „Blutdiamanten“ bekannt und wurde schon oft in den Medien thematisiert,568 sodass diese Thematik als im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert angesehen werden müsste. Jedenfalls dürfte hier kein „unrechtsneutraleres“ Verhalten vorliegen als im oben genannten Beispiel vom Unfallverursacher, der dem abwesenden Geschädigten seine Kontaktdaten schriftlich hinterlässt, statt am Unfallort zu warten. Insgesamt ist es damit zweifelhaft, von einer Unrechtsneutralität der Straftatbestände des Außenwirtschaftsrechts zu sprechen. 564
Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). Krell, NZWiSt 2013, 114 (115); Meyer/Macke, HRRS 2007, 445 (461). 566 Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). 567 Krell, NZWiSt 2013, 114 (116). 568 Etwa im US-amerikanischen Film „Blood Diamond“ des Regisseurs Edward Zwick aus dem Jahr 2006, der ein Erfolg an den Kinokassen war, vgl. https://www.moviepilot.de/movies/ blood-diamond-2. 565
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c) Problematik der Abgrenzung zu § 17 StGB Hingewiesen wird auch auf die Frage, was im Falle der Annahme, die Kenntnis der Ausfüllungsnorm gehöre zum Vorsatz, überhaupt noch als Bestandteil des Unrechtsbewusstseins auf Schuldebene übrigbleiben soll.569 Dem hält Kuhlen entgegen, dass „die gesetzgeberische Entscheidung für die Schuldtheorie nicht besagt, bei jedem Tatbestandsmerkmal müsse Raum für nach § 17 zu beurteilende Irrtümer bleiben. Sie macht lediglich eine Irrtumsabgrenzung erforderlich, die mit dieser Möglichkeit rechnet und § 17 nicht leerlaufen läßt. Wie weit [Hervorhebung im Original] sich der Anwendungsbereich des § 17 erstreckt, hängt dagegen von der vorgängigen Frage ab, wie weit der Bereich des gemäß § 16 (analog) zu behandelnden Irrtums reicht“.570
Vorgeschlagen wird auch, § 17 StGB in den Fällen anzuwenden, in denen der Täter vorsätzlich handelt, „sich der Rechtswidrigkeit des Verhaltens bewusst“ ist, aber irrigerweise annimmt, sein Verhalten sei nicht strafbar.571 Die „Einsicht, Unrecht zu tun“ in § 17 Satz 1 StGB wird hier nicht gleichgesetzt mit der Verbotskenntnis, sondern nur mit der Kenntnis des strafrechtlichen Verbots.572 Dementsprechend finden sich auch in jüngerer Zeit noch Stimmen, die – zum Teil explizit als solche benannt – eine modifizierte Vorsatztheorie573 zur Anwendung bringen möchten.574 So schlägt etwa Herzberg vor, die Unrechtmäßigkeit einer Handlung als Merkmal des gesetzlichen Tatbestands i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu verstehen, denn „zur Begründung eines ,Unrechtssachverhalts‘ gehört außer einem menschlichen Tun eine rechtliche Regelung, die das Tun zum Unrecht stempelt“.575 Folglich fehle dem in einem Tatumstandsirrtum handelnden Täter zugleich die „Einsicht, Unrecht zu tun“, es liege also gleichzeitig auch ein – freilich nachrangiger – Verbotsirrtum vor.576 Erkannt wird indes, dass bei einer solchen Auslegung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, wenn also der Täter alle zum Tatbestand gehörenden Umstände einschließlich der Unbefugtheit kennt und damit nach Herzbergs Verständnis vorsätzlich handelt, dem Verbotsirrtum praktisch keine Relevanz mehr zukommt.577 Wie dem abgeholfen werden soll, wird anhand des Beispiels eines Pfarrers erläutert, der weiß, dass er die Tombola ohne erforderliche behördliche Genehmigung, daher unbefugt veranstaltet, dies aber nur für eine Ordnungswidrigkeit und nicht für strafrechtlich relevant hält, d. h. das straftatbestandsspezifische Unrecht nicht 569
Wissmann, S. 148. Kuhlen, S. 428. 571 Gómez, GA 2010, 259 (271). 572 Gómez, GA 2010, 259 (271). 573 In Anlehnung an die von Arth. Kaufmann, Lackner-FS 1987, S. 185 ff., und Schmidhäuser, AT, § 10 Rn. 64 ff. entwickelten Gedankengänge. 574 Vgl. nur Otto, AT, § 15 Rn. 10. 575 Herzberg, JuS 2008, 385 (390); vgl. auch ders., Otto-FS 2007, S. 265 (272). 576 Herzberg, JuS 2008, 385 (386). 577 Herzberg, JuS 2008, 385 (391). 570
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kennt.578 Nur letzteres soll von § 17 StGB erfasst sein. Große Bedeutung wird § 17 StGB dagegen nach Verneinung des Vorsatzes zugeschrieben, indem er der Abgrenzung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit dienen soll, „weil das Fehlen von Unrechtseinsicht immer dann und nur dann anzunehmen ist, wenn der Täter unbewusst fahrlässig (pflichtwidrig) gehandelt hat“.579 Diese „große“ Bedeutung kann jedoch angezweifelt werden, denn bei der unbewussten Fahrlässigkeit wird ein potentielles Unrechtsbewusstsein mit der subjektiven Fahrlässigkeit praktisch zusammenfallen; die (Un-)Erkennbarkeit des objektiven Sorgfaltsverstoßes wird wohl regelmäßig auch die (Un-)Erkennbarkeit des Verbots begründen.580 Sehr ähnlich wie Herzberg argumentiert auch Otto, der unter der „Einsicht, Unrecht zu tun“ i. S. d. § 17 StGB die „Kenntnis der Sanktionierbarkeit des Verhaltens durch eine positivgesetzliche Strafnorm“ als sog. formelles Unrechtsbewusstsein ansehen möchte; dabei verlangt er keine Kenntnis der exakten Strafnorm, sondern nur, dass dem Täter bewusst ist, gegen irgendeine strafgesetzliche Norm zu verstoßen.581 Hingegen wird ein sog. materielles Unrechtsbewusstsein in Form eines Bewusstseins, Unrecht zu verwirklichen, sich mithin sozialschädlich zu verhalten, als Element des Vorsatzes verstanden, ohne welches man nicht von einer Entscheidung gegen das im Tatbestand geschützte Rechtsgut sprechen könne.582 Der Begriff der Sozialschädlichkeit wird dabei verstanden als Kenntnis der Rechtsgutsbeeinträchtigung und ihres sozialen Bedeutungsgehalts, d. h. als „Wissen, dass die soziale Vertrauensgrundlage durch Beeinträchtigung eines Wertes verletzt wird, dessen Achtung die Rechtsgesellschaft als Grundlage ihrer sozialen Beziehungen ansieht“.583 Die Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Regelungen wird damit begründet, dass nach der herrschenden Auffassung in § 17 StGB überhaupt keine Aussage über die Folgen eines Fehlens des Bewusstseins der Sozialschädlichkeit getroffen werde.584 Allerdings erschließt sich nicht, worin der Unterschied zwischen einem Bewusstsein der Wertwidrigkeit des Verhaltens, welches Otto an anderer Stelle als Gegenstand des Verbotsirrtums nach h. M. identifiziert,585 und einem Bewusstsein der Sozialschädlichkeit bestehen soll. Ferner ergibt sich die Problematik, dass der Begriff der Sozialschädlichkeit für unterschiedliche Personen eine unterschiedliche Bedeutung haben kann; dies würde im Endeffekt dazu führen, dass ein weniger stark ausgeprägtes oder indifferentes Rechtsempfinden privilegiert würde, weshalb diese Sichtweise abzulehnen ist. Schließlich erscheint es zumindest merkwürdig, ein als Sozialwidrigkeit oder Gefährdung bzw. Verletzung eines 578
Herzberg, JuS 2008, 385 (391). Herzberg, JuS 2008, 385 (391). 580 Vgl. KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 120. 581 Otto, AT, § 13 Rn. 41. 582 Otto, AT, § 7 Rn. 64. 583 Otto, AT, § 15 Rn. 10. 584 Otto, AT, § 15 Rn. 11. 585 Otto, AT, § 13 Rn. 42. 579
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Rechtsguts verstandenes Unrecht unter den Wortlaut des „Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“, i. S. des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu subsumieren.586 Insgesamt ist eine Interpretation des § 17 Satz 1 StGB, die einen Unterschied zwischen einem generellen Verbotensein und der strafrechtlichen Sanktionierbarkeit annehmen möchte, aufgrund des Wortlauts des § 17 Satz 1 StGB, der explizit auf das „Unrecht“ und nicht gerade nicht auf die Strafbarkeit abstellt, abzulehnen.587
III. Fazit Die vorgenommene Untersuchung der Alternativmeinungen konnte aufzeigen, dass diese mit dem gesetzgeberischen Verständnis der §§ 16, 17 StGB nicht vereinbar und daher in Wahrheit gar keine „Alternativen“ zur herrschenden Irrtumslehre sind. Jede Annäherung an die Vorsatztheorie, ob nun explizit oder quasi „durch die Hintertür“ durch dogmatische Konstruktionen, die vermeintlich mit den geltenden §§ 16, 17 StGB vereinbar sein sollen, verstößt zum einen gegen die gesetzlich verankerte Schuldtheorie und ist ferner nicht zuletzt mit dem Argument abzulehnen, dass hierdurch der rechtsblinde oder rechtsindifferente und dadurch besonders gefährliche Täter privilegiert wird.588 Demgegenüber berücksichtigt die Rückkehr zur strikten Unterscheidung zwischen Tatsachenirrtum und Rechtsirrtum nicht, dass auch rechtliche Verhältnisse und Bewertungen Tatsachen i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB sein können, weshalb eine solche Differenzierung letztendlich nicht mit dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vereinbar ist. Auch die Einwände gegen die vermeintlichen Inkonsequenzen bei der Vorgehensweise der herrschenden Auffassung konnten entkräftet werden. Dies führt zu dem Schluss, dass in einer Linie mit der Rechtsprechung weiterhin an der Unbeachtlichkeit der Unkenntnis einer blankettausfüllenden Norm, egal in welcher Form, für den Vorsatz festzuhalten ist. Bevor die „eigene Irrtumslehre“ bzw. der eigene Standpunkt zur Irrtumsbehandlung zusammenfassend dargelegt wird, ist zunächst noch auf den Irrtum im Zusammenhang mit Genehmigungsvorbehalten einzugehen, der im Zusammenhang mit den §§ 17, 18 AWG und § 22a KrWaffG von besonderer Bedeutung ist.
J. Behandlung des Irrtums bei Genehmigungspflichten Ebenso wie beim vorstehend behandelten Irrtum im Zusammenhang mit Blankettmerkmalen ist die Behandlung des Irrtums bei Tatbeständen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, stark umstritten. Diese Art von 586
Vgl. Walter, S. 430. So auch Andrzejewski, S. 203. 588 BeckOK-StGB-Heuchemer, 54. Ed., § 17 Rn. 17.2; ders., S. 149 ff., 158 f. 587
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Tatbeständen entfaltet im Zusammenhang mit §§ 17, 18 AWG sowie § 22a KrWaffG besondere Relevanz, da einige Strafnormen den Verstoß gegen das Erfordernis der Einholung einer vorherigen Genehmigung für die entsprechende Handlung sanktionieren. Hier sind zunächst zwei Konstellationen zu unterscheiden: Im ersten Fall irrt der Täter über das Genehmigungserfordernis an sich, weiß also gar nicht, dass sein Handeln genehmigungspflichtig ist und er dementsprechend eine Genehmigung hätte einholen müssen, sei es, dass er positiv davon ausgeht, für sein Handeln keiner behördlichen Genehmigung zu bedürfen, sei es, dass er sich schlicht gar keine Gedanken über eine mögliche Genehmigungspflicht macht. Im zweiten Fall geht der Täter fälschlicherweise davon aus, im Besitz der notwendigen behördlichen Genehmigung zu sein. Dabei wird größtenteils – aber nicht immer – davon ausgegangen, dass die in Kapitel 3 behandelte Unterscheidung zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt und die daraus folgende Einordnung des Genehmigungsmerkmals als tatbestandsausschließend oder rechtfertigend vorgreifend für die Behandlung des Irrtums sei. Es findet sich sogar die Aussage, dass „die Abgrenzung nur im Irrtumsbereich […] von Bedeutung ist.“589 In Kapitel 3 wurde schon herausgearbeitet, dass die Genehmigung stets als Rechtfertigungsgrund anzusehen ist. Indes soll der Vollständigkeit halber im Folgenden die ganze Bandbreite der Irrtumsdogmatik im Zusammenhang mit Genehmigungstatbeständen aufgezeigt werden, um zu demonstrieren, dass im Hinblick auf den Irrtum eine Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung gar keine Unterschiede nach sich zieht.
I. Irrige Annahme des Vorliegens einer wirksamen Genehmigung Wenig Probleme machen die Fälle, in denen dem Täter das Erfordernis einer Genehmigung bewusst ist, er jedoch irrig davon ausgeht, eine wirksame Genehmigung für sein Handeln zu besitzen. Oftmals wird der Irrtum über das Vorliegen der notwendigen Genehmigung darauf beruhen, dass der Betroffene keine Kenntnis eines Aufhebungsbescheides hat, aber auch die Unkenntnis des Ablaufs einer befristeten Genehmigung oder des Nichteintritts einer Bedingung kann dazu führen, dass irrtümlich vom Vorliegen der notwendigen Genehmigung ausgegangen wird.590 Die Auffassung, die bei der tatbestandlichen Einordnung der Genehmigung nach verwaltungsrechtlichen Kriterien unterscheiden möchte, d. h. beim sog. präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eine tatbestandsausschließende Wirkung und beim sog. repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt eine rechtfertigende Wirkung der Genehmigung annimmt, kommt folglich zum Ergebnis, dass im ersten Fall die Fehlvorstellung, eine Genehmigung sei erteilt worden bzw. eine tatsächlich (mitt589 590
Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (890). Schuster, S. 199 Fn. 1342.
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lerweile) unwirksame Genehmigung sei noch wirksam, zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB führt.591 Im Falle einer rechtfertigenden Genehmigung wird hier vom Vorliegen eines Erlaubnistatumstandsirrtums ausgegangen und ebenfalls § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB angewandt, wobei die eingeschränkte Schuldtheorie im engeren Sinne eine analoge Anwendung vornimmt, die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie hingegen nur die entsprechenden Rechtsfolgen eintreten lässt, indem die Vorsatzschuld entfallen soll.592 Diejenigen Vertreter im Schrifttum, die stets eine tatbestandsausschließende oder stets eine rechtfertigende Wirkung der Genehmigung annehmen, kommen entsprechend immer entweder zu einem Tatumstands- oder einem Erlaubnistatumstandsirrtum. Nachdem in Kapitel 3 bereits herausgearbeitet wurde, dass der behördlichen Genehmigung bei der Frage ihres Vorliegens die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes zukommt, ist der entsprechende Irrtum als Erlaubnistatumstandsirrtum anzusehen. Aufgrund der Nähe zum Tatumstandsirrtum wurde bereits im Rahmen der Behandlung des Erlaubnistatumstandsirrtums in der allgemeinen Irrtumslehre der eingeschränkten Schuldtheorie i. e. S. der Vorzug gegeben.593 Daher beseitigt der Irrtum über das Vorliegen der notwendigen Genehmigung das Vorsatzunrecht, womit auch eine mögliche Strafbarkeit des Teilnehmers594 und auch die Möglichkeit etwa der Notwehr entfällt. Dass die praktischen Unterschiede zu den Gegenauffassungen aber ohnehin gering sind, wird in Kapitel 5 noch zu erörtern sein.595
II. Irrtum über das Genehmigungserfordernis Weitaus größere Unterschiede bei den rechtlichen Auswirkungen ergeben sich indes beim Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit, wenn also der Täter durchaus weiß, nicht im Besitz einer Genehmigung zu sein, jedoch irrtümlich davon ausgeht, einer solchen nicht zu bedürfen, sich überhaupt keine Vorstellungen über die Notwendigkeit einer Genehmigung macht oder sich aus rechtlichen Gründen über die Reichweite der Genehmigung irrt, indem er etwa glaubt, eine außenwirtschaftliche Genehmigung würde auch ein Verhalten nach dem KrWaffG abdecken und umgekehrt.
591 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 101; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 38; Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 29; Sch/Sch-Heine/Schittenhelm, § 325 Rn. 26; Steindorf-Heinrich, § 22a KWKG Rn. 1, 13. 592 Siehe dazu bereits E. II. 593 Siehe dazu bereits E. II. 594 Hier ist dann mittelbare Täterschaft denkbar, die aber nur bei Nichtvorliegen eines Sonderdelikts in Betracht kommt; siehe dazu noch Kapitel 5 C. 595 Siehe dazu noch Kapitel 5 E. IV. 1. und G.
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1. Herrschende Auffassung: Differenzierung Der herrschenden Meinung zufolge soll der Einordnung des Merkmals der Genehmigung als Tatbestandsmerkmal oder als Rechtfertigungsgrund die zentrale Bedeutung zukommen, die Irrtumsauswirkung zu bestimmen. Handelt es sich um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und stellt daher im konkreten Fall das Erfordernis der Genehmigung ein Tatbestandsmerkmal dar, so wird überwiegend596 davon ausgegangen, dass der Irrtum über das Genehmigungserfordernis zu einem Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB führt.597 Geht es hingegen um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt und handelt es sich bei der behördlichen Genehmigung folglich um einen Rechtfertigungsgrund, soll die Unkenntnis, einer Genehmigung zu bedürfen, lediglich einen (indirekten) Verbotsirrtum in Form eines Erlaubnisirrtums nach § 17 Satz 1 StGB begründen.598 Diese Unterscheidung soll deshalb berechtigt sein, weil im Falle eines präventiven Verbots der Täter mit einem sozialadäquaten Verhalten konfrontiert sei, dadurch also nicht von der – bereits von oben bekannten – Appellfunktion des Tatbestands erreicht werde.599 In diesen Konstellationen müsse das Wissen um das Genehmigungserfordernis vom Vorsatz umfasst werden, weil dem Täter ansonsten kein Vorwurf aus seinem Handeln gemacht werden könne. Teilweise, z. B. durch Rengier, wird die Genehmigungspflicht als solche hier als normatives Tatbestandsmerkmal aufgefasst, sodass den Grundsätzen der Parallelwertung in der Laiensphäre zufolge eine beim Täter existierende (Bedeutungs-)Kenntnis der behördlichen Kontrollrechte verlangt wird.600 Der Genehmigungsvorbehalt diene in solchen Fällen der Durchsetzung des staatlichen Kontrollanspruchs; das tatbestandliche Unrecht liege in dessen Missachtung, weshalb der Täter nach dem Grundsatz der Parallelwertung in der Laiensphäre von einem solchen Kontrollanspruch ausgehen müsse, um vorsätzlich zu handeln.601 Sei dem Täter nicht bewusst, die Kontrollrechte der Verwaltung zu verletzen, so sehe er sich nur mit unrechtsneutralem, sozialadäquatem Verhalten konfrontiert; der soziale Bedeutungsgehalt des negativen Tatbestandsmerkmals „ohne Genehmigung“ werde 596
Jedenfalls von denen, die auch bei Rechtsirrtümern betreffend normative Tatbestandsmerkmale Tatumstandsirrtümer annehmen; siehe dazu und zur Gegenauffassung G. III. und I. I. 2. 597 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003 55 (56); BayObLG BeckRS 1993, 6086 Rn. 29; BayObLG NJW 1997, 1319 (1320); OLG Celle NStZ 2005, 412; Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53, 56; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 117; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 70; Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (884); Sch/Sch-SternbergLieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61. 598 BGH NJW 1994, 61 (62); BGH NStZ-RR 2003 55 (56); BayObLG BeckRS 1993, 6086 Rn. 29; BayObLG NJW 1997, 1319 (1320); OLG Celle NStZ 2005, 412; Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53, 56; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 117; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 70; Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (884); Sch/Sch-SternbergLieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn. 61. 599 Walter, S. 270. 600 Etwa durch KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 41a f.; vgl. dazu Schuster, S. 203. 601 KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 41a.
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von ihm nicht erkannt. In den Fällen, in welchen der Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung zukomme, sei daher zwingend ein Tatumstandsirrtum anzunehmen.602 Als Argument herangezogen wird auch die bereits zitierte Gesetzesbegründung zum OWiG von 1968, in der davon ausgegangen wird, dass die „Umstände, welche die Handlung als unrechtmäßig kennzeichnen, vielfach zu Tatbestandsmerkmalen erhoben [sind] (z. B. ,ohne die erforderliche Erlaubnis‘, ,ohne die vorgeschriebene Genehmigung‘), so daß der Irrtum über solche Umstände ohnehin als Tatbestandsirrtum, nicht als Verbotsirrtum zu behandeln ist“.603
Bei präventiven Verboten soll daher das Handeln ohne Genehmigung das alleinige oder jedenfalls überwiegende tatbestandliche Unrecht darstellen; das Genehmigungsverfahren als „Staatsaufgabe der Gefahrenabwehr“ wird entsprechend auch als Schutzgut angesehen.604 Hingegen wird bei repressiven Verboten angenommen, dass die tatbestandlich beschriebene Handlung auch ohne den Verstoß gegen Genehmigungspflichten schon allein betrachtet „schweres Unrecht“ darstelle.605 Bei den Tatbeständen des AWG, die den ungenehmigten Export von Gütern betreffen, geht man davon aus, dass „in den allermeisten Fällen das Exportieren als solches keinen Unrechtsbezug aufweist […]“, wobei dies aber „in Einzelfällen“ auch anders liegen könne, insbesondere auch bei den Genehmigungstatbeständen des KrWaffG.606 Die Einzelheiten sind indes umstritten.607 2. Kritik im Schrifttum an h. M. a) Differenzierung praktisch unmöglich Bereits in Kapitel 3 wurde aufgezeigt, dass die verwaltungsrechtliche Differenzierung zwischen präventiven und repressiven Verboten anhand des Kriteriums der Sozialverträglichkeit bzw. Unerwünschtheit eines Verhaltens praktisch undurchführbar ist. Man kann sich auch darüber „trefflich streiten“608, bei welchen Tatbeständen dem Täter ein „Unrechtsappell“ vermittelt wird und bei welchen nicht. So wird etwa argumentiert, dass, sofern eine Genehmigung für ein Verhalten erlangt werden könne, dieses auch sozialverträglich sei und nicht als unerwünscht bezeichnet werden könne.609 Strafnormen, die an die Missachtung von Genehmi602
KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 40. – Rengier, ZStW 114 (2002), 201 (204) kritisiert folglich auch die von Heghmanns vertretene Auffassung, nach der die behördliche Zugangskontrolle vorgeschaltetes Rechtsgut und die Genehmigung Tatbestandsmerkmal, ein Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit aber Verbotsirrtum sein sollen. 603 BT-Drucks. 5/1269, S. 46. 604 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (881). 605 Vgl. BGH NJW 1994, 61 (62) zu § 22a KrWaffG. 606 Rengier, ZStW 101 (1989), 874 (880). 607 Siehe dazu bereits Kapitel 3 C. II. 2. a) aa) (2) und (3). 608 Wolf, S. 209. 609 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 105.
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gungspflichten anknüpften, verfolgten dieselbe Zielrichtung, nämlich die Unterbindung eines Verhaltens, „dessen Gefährlichkeit festgestellt ist oder dessen Ungefährlichkeit nicht ermittelt werden konnte, so daß keine Erlaubnis erteilt wurde; dagegen wollen sie ungefährliches Verhalten durchaus zulassen“.610 Daher sei genehmigungsfähiges Verhalten stets sozialverträglich. Umgekehrt wird vorgebracht, wenn für ein Verhalten eine Genehmigung einzuholen sei, könne dieses erst nach Erlaubniserteilung sozialverträglich sein und sei daher zuvor stets unerwünscht.611 b) Keine konsequente Anwendung der Schuldtheorie Der Vorgehensweise der h. M. wird ferner vorgeworfen, dass sie nicht im Einklang mit der Schuldtheorie stehe. Meine man es mit der Schuldtheorie ernst, nach der die Unkenntnis des Verbots stets einen Verbotsirrtum begründe, müsse strenggenommen die Unkenntnis eines Genehmigungserfordernisses ebenfalls ein Verbotsirrtum sein: Das Erfordernis einer Genehmigung sei immerhin „nichts anderes als ein Verbot, ohne Genehmigung zu handeln“. Kenne der Täter die Umstände, aus denen die Genehmigungspflicht folgt, stelle der Irrtum über die Genehmigungspflicht bei konsequenter Anwendung der Schuldtheorie daher einen Verbotsirrtum dar. Auch Rengier als Vertreter der h. M. gibt selber zu, dass deren Standpunkt „mit der Lösung übereinstimmen [mag], die man auf dem Boden der Vorsatztheorie findet“.612 c) Keine konsequente Durchführung der Unterscheidung Darüber hinaus ergibt sich die Problematik, dass zwar einerseits die Unterscheidung von präventiven und repressiven Verboten für die Irrtumseinordnung als zwingend angesehen wird, sich andererseits aber teils widersprüchliche Aussagen finden, wie etwa bei Pelz, bei dem es anhand der genannten Differenzierung zu den Straftatbeständen des Außenwirtschaftsrechts heißt: „Im ersteren Fall [beim präventiven Verbot] soll die Unkenntnis des Genehmigungserfordernisses einen Tatbestandsirrtum darstellen, während es sich im letzteren Fall [beim repressiven Verbot] um einen Verbotsirrtum handeln soll. Daher wird bei einem Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Handlung ein Tatbestandsirrtum vorliegen, da das Genehmigungserfordernis zum objektiven Tatbestand gehört und sich der Vorsatz auch hierauf beziehen muss“.613
Die im letzten Satz konstatierte Schlussfolgerung erschließt sich indes nicht, wenn zuvor auf die Unterscheidung von präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
610
Gusy, JA 1981, 80 (81). Schuster, Verhältnis, S. 207. 612 KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 41a. 613 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG, Rn. 51. 611
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und repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt abgestellt wird.614 Auch in der Rechtsprechung wird das Konzept, wonach die Unkenntnis einer Genehmigungspflicht zu einem Tatumstandsirrtum führt, wenn der Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung zukommt, hingegen einen Verbotsirrtum begründet, wenn der Genehmigung rechtfertigende Wirkung zugesprochen wird, nicht konsequent eingehalten: Bei § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wurde das Fehlen der Erlaubnis seitens des BGH zwar als zum Tatbestand gehörig angesehen, der allgemeine Irrtum, keiner Erlaubnis zu bedürfen, allerdings als Verbotsirrtum bewertet.615 3. Alternative Modelle zur Handhabung im Schrifttum Aufgrund der schwierigen Differenzierung zwischen präventiven und repressiven Verboten sowie den weiteren genannten Ungereimtheiten werden im Schrifttum andere Lösungswege vorgeschlagen, um den Problemen im Zusammenhang mit dem Irrtum über die Genehmigungspflicht beizukommen. a) Irrtum über Genehmigungspflicht stets Tatumstandsirrtum Ein Teil des Schrifttums schlägt vor, jedes Genehmigungserfordernis unabhängig von der Strafnorm als Tatbestandsumschreibung anzusehen und zieht daraus den Schluss, dass die Unkenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit stets als Tatumstandsirrtum zu begreifen sei.616 Der Unrechtsgehalt der genehmigungsabhängigen Straftatbestände bestehe „in nichts anderem“ als im Verstoß gegen das jeweilige Genehmigungserfordernis.617 Dem Argument einer ausufernden Straflosigkeit wird durch die prozessuale Erwägung begegnet, dass sich für gewisse Handlungen das Erfordernis einer Genehmigung aufdrängen könne; hier könne je nach Fallgestaltung erwogen werden, dass der Täter mindestens billigend in Kauf genommen habe, einer Genehmigung zu bedürfen, und folglich nicht einem Tatbestandsirrtum unterlegen sei.618 Es gibt auch den Vorschlag, die Existenz sowohl tatbestandsausschließender als auch rechtfertigender Genehmigungen anzuerkennen, den Irrtum in Bezug auf das 614
Es sei denn, dass sich diese Schlussfolgerung nur auf die Straftatbestände des AWG bezieht, was aber nicht ausdrücklich erwähnt wird. 615 BGH NStZ 1996, 338 (339). 616 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 107; Tiedemann, S. 354; ders., ZStW 81, 869 (879). – Auch AK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 91, interpretierte das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis „nicht im naturalistischen Sinne der (dem Täter stets bekannten) Nichtexistenz einer solchen Erlaubnis […], sondern normativ als Mangel einer erforderlichen Erlaubnis“, weshalb der Irrtum darüber, keiner Erlaubnis zu bedürfen, ein Tatumstandsirrtum sei. Im Nachfolgewerk NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 95, wird nunmehr auf eine differenzierte Betrachtung abgestellt. 617 Vgl. Puppe, NStZ 1993, 595 (596) zu § 22a KrWaffG. 618 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 107.
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Genehmigungsmerkmal aber in beiden Fällen letztlich gleich, nämlich als Tatumstandsirrtum zu behandeln. Besonders ausführlich ist dabei die dogmatische Herleitung bzw. Begründung Jedwabs, deren Grundannahme darin besteht, dass der Genehmigungsempfänger, um vorsätzlich zu handeln, „Bedeutungskenntnis im Sinne der Kenntnis des sozialen Sinnes“ haben muss.619 Dafür soll seitens des Täters die Vorstellung notwendig sein, „dass es möglicherweise für alle geltende Regelungen gibt und zwar eventuell auch solche, die über die von ihm beachteten Regeln hinausgehen“, wobei aber keine Kenntnis eines bestimmten gesetzlich geregelten Genehmigungsvorbehalts erforderlich sei.620 Bei der rechtfertigenden Genehmigung handelt es sich nach Jedwabs Auffassung um ein sog. gesamttatbewertendes Merkmal,621 welches dahingehend zu zerlegen sei, dass die in der Strafnorm beschriebene Tathandlung als positive Voraussetzung und der Umstand des Handelns ohne Genehmigung als negative Voraussetzung zum Tatbestand gehörten, während die zusammenfassende Bewertung als „unbefugt“ oder „ohne die erforderliche Genehmigung“ der Stufe der Rechtswidrigkeit zuzuordnen sei.622 Daher sei „z. B. die irrtümliche Annahme von Umständen (d. h. von Tatsachen, und bzw. oder deren Bedeutung), die die ,Unbefugtheit‘ oder das ,Handeln ohne Genehmigung‘ entfallen lassen würden, ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum“.623 Allerdings soll auch hier der Täter Bedeutungskenntnis bzw. die Vorstellung haben müssen, dass hinsichtlich seiner Handlung einzuhaltende Regelungen existieren.624 Dies erscheint aber widersprüchlich: Bei gesamttatbewertenden Merkmalen, d. h. solchen Merkmalen, die nicht nur das unrechtsbegründende Verhalten als solches beschreiben, sondern auch die ansonsten der Rechtswidrigkeitsstufe vorbehaltene Gesamtbewertung mit umfassen, muss sich – jedenfalls nach h. L. – der Vorsatz schließlich nur auf die tatsächlichen Umstände beziehen, die der erforderlichen Wertung zugrunde liegen, nicht aber auf die daraus abzuleitende Bewertung.625 Der zu kennende tatsächliche Umstand wäre dann bei Anwendung der Irrtumsregeln zu den gesamttatbewertenden Merkmalen lediglich die Tatsache des „Handelns ohne Genehmigung“; auf eine Bedeutungskenntnis käme es dann aber gerade nicht an. Darüber hinaus ist die Forderung, der Täter müsse, um vorsätzlich zu handeln, die Vorstellung haben, dass es für sein Handeln möglicherweise einzuhaltende Vorschriften gibt, weiteren Bedenken ausgesetzt: Zwar ist zuzugeben, dass die Konstruktion einer Vorstellung von der Regelexistenz theoretisch ein „Weniger“ ist als das von der Vorsatztheorie geforderte „Bewusstsein der Rechtswidrigkeit“. Allerdings erscheint es problematisch, wie die Unkenntnis einer solchen Regel von der Unkenntnis der 619
Jedwab, S. 241. Jedwab, S. 241 f., 253. 621 Siehe zu den gesamttatbewertenden Merkmalen auch Kapitel 2 B. II. 3. 622 Jedwab, S. 250 f., 264, 346 f. 623 Jedwab, S. 251. 624 Jedwab, S. 258. 625 BeckOK-OWiG-Valerius, 36. Ed., § 11 Rn. 28; Lackner/Kühl-Kühl, § 15 Rn. 16; siehe dazu auch Kapitel 2 B. II. 3. 620
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Verbotsnorm abzugrenzen sein soll, bedingt doch gerade die eine Unkenntnis die andere. Ferner ist unter Unrechtseinsicht i. S. d. § 17 StGB eben auch das Bewusstsein zu verstehen, „die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen“626, wobei eine genaue Kenntnis des Norminhalts ebenso wenig erforderlich ist wie die Kenntnis der Strafbarkeit des Verhaltens. Das Fehlen der Vorstellung von der Möglichkeit der Existenz einzuhaltender Regelungen bedeutet ja gerade, dass man keine Vorstellung davon hat, gegen eine Rechtsnorm zu verstoßen. Ein solcher Irrtum wird aber erst im Rahmen des § 17 StGB relevant, weshalb die Vorgehensweise Jedwabs letztendlich gegen die Schuldtheorie verstößt. Schließlich wird von den Vertretern der Auffassung, nach der die Unkenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit bzw. die mangelnde Vorstellung von für die betreffende Handlung existierenden Regelungen stets Tatumstandsirrtum sein soll, selbst anerkannt, dass – oben wurde es schon angesprochen627 – strenggenommen der Irrtum über die Erforderlichkeit der Genehmigung eigentlich einen Verbotsirrtum darstellen müsste.628 Denn: „Tatsächlich irrt der Täter hier auch gar nicht über einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, sondern über das Verbot, etwas Bestimmtes nur mit einer entsprechenden Genehmigung tun zu dürfen, weshalb ihm lediglich das Unrechtsbewusstsein fehlt“.629
Auch eine Interpretation des Genehmigungsmerkmals i. S. v. „ohne die erforderliche Genehmigung“ kann hierüber nicht hinwegtäuschen. b) Irrtum über Genehmigungspflicht stets Verbotsirrtum Von der entgegengesetzten Auffassung wird daher der Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Verhaltens bei Kenntnis aller zugrundeliegender Tatsachen stets als Verbotsirrtum eingeordnet, weil der Betroffene in diesen Konstellationen immerhin weiß, nicht im Besitz einer wirksamen Genehmigung zu sein.630 Dabei wird vorgreifend teilweise die fehlende Genehmigung stets als Tatbestandsmerkmal eingeordnet, teilweise grundsätzlich zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung unterschieden, von anderen wiederum die Einordnung im Hinblick auf die Irrtumsbehandlung außen vor gelassen. Heghmanns und Lenk sprechen der behördlichen Genehmigung eine stets tatbestandsausschließende Funktion zu; in subjektiver Hinsicht müsse sich der Vorsatz des Täters einerseits auf die Vornahme der Handlung beziehen, andererseits müsse er 626
BGHSt 58, 15 (27), st. Rspr. Siehe dazu J. II. 2. b). 628 Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Walter, Bd. 2, § 46 Rn. 106; Walter, S. 270. 629 Wolf, S. 208. 630 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 17 AWG Rn. 27; Sch/Sch-SternbergLieben/Schuster, § 17 Rn. 12a; Schuster, S. 208; Wolf, S. 206 ff. 627
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wissen, dass er keine Genehmigung hat.631 Die Genehmigungspflichtigkeit als solche wird von Heghmanns als Rechtspflichtmerkmal und somit als dem Unrechtsbewusstsein zugehörig eingeordnet.632 Damit ergebe sich folgende Unterscheidung: Irre der Täter über die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen, unterliege er einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB: „Der Täter kennt seine Pflichten, hält diese aber aufgrund falscher Tatsachenkenntnis für nicht einschlägig.“633 Es komme allerdings ggf. eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht. Betreffe der Irrtum die Genehmigungspflicht als solche, irre der Täter über das Erlaubtsein seiner Handlung ohne Genehmigung, d. h. über das Vorliegen einer Rechtspflicht. Hier fehle das Unrechtsbewusstsein, was folglich als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu handhaben sei.634 Umgekehrt soll – für den Fall der Existenz einer Versuchsstrafbarkeit – ein untauglicher Versuch vorliegen, wenn fälschlicherweise Tatsachen angenommen werden, aus denen sich eine Genehmigungspflicht ergäbe. Ein Wahndelikt soll hingegen gegeben sein, wenn bei sonst zutreffender Tatsachenkenntnis irrigerweise von einem Genehmigungserfordernis ausgegangen wird; hier werde bloß vom Vorliegen einer in Wahrheit nicht gegebenen Rechtspflicht ausgegangen und damit der Strafbarkeitsbereich überdehnt.635 Auch Heinrich, der bei der Einordnung des Genehmigungserfordernisses zwar grundsätzlich zwischen präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt (dann Tatbestandsmerkmal) und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt (dann Rechtfertigungsgrund) unterscheidet, nimmt im Falle der Einordnung der Genehmigung als Tatbestandsmerkmal einen Verbotsirrtum an, wenn der Täter die Genehmigungspflicht für seine ansonsten korrekt erkannte Handlung nicht kennt;636 bei Annahme eines Rechtfertigungsgrundes geht er ebenfalls von einem Verbotsirrtum in Form eines Erlaubnisirrtum aus.637 4. Stellungnahme a) Einhaltung der Schuldtheorie Tatsächlich ist es nach hier vertretener Auffassung im Hinblick auf die Irrtumseinordnung unerheblich, ob man zwischen tatbestandsausschließenden und rechtfertigenden Genehmigungen und bei ersteren zwischen dem Genehmigungsmerkmal als normativem Tatbestands- oder Blankettmerkmal unterscheidet. Damit ist auch die Einteilung in präventive und repressive Verbote jedenfalls aus einer 631
Heghmanns, S. 272; Lenk, S. 163 f. Heghmanns, S. 272. 633 Heghmanns, S. 273; so auch Lenk, S. 164. 634 Heghmanns, S. 273; Lenk, S. 164. 635 Heghmanns, S. 273; Lenk, S. 165. 636 Dies ergibt sich daraus, dass nach Heinrich generell alle Rechtsirrtümer als Verbotsirrtümer einzuordnen sind, siehe dazu schon I. I. 2. 637 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 29. 632
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
irrtumsbezogenen Perspektive irrelevant. Während im Falle der Annahme einer Existenz von rechtfertigenden Genehmigungen ganz überwiegend beim Irrtum über die Erforderlichkeit einer Genehmigung ein Verbotsirrtum angenommen wird, müsste dies bei konsequenter Anwendung der in §§ 16, 17 StGB verankerten Schuldtheorie auch bei tatbestandsausschließenden Genehmigungen der Fall sein, so wie es beispielsweise durch Heghmanns, Heinrich und Wolf gehandhabt wird.638 Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Nach dem Ausgangspunkt des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Wie in Kapitel 3 dargelegt, kann die Feststellung, ob bzw. dass eine Pflicht zur Einholung einer Genehmigung existiert, nur durch den Blick in andere Rechtsnormen getroffen werden. Daher ist in Straftatbeständen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, das Merkmal „ohne Genehmigung“ bzw. „entgegen einer Genehmigungspflicht“ durch die entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsrechts auszufüllen. Der das Genehmigungsmerkmal enthaltende Straftatbestand ist mit diesen Vorschriften zusammenzulesen, woraus sich dann ergibt, wann die Einholung einer Genehmigung erforderlich ist. Da also die Frage, wann bzw. ob eine Genehmigungspflicht gegeben ist, nur durch Inbezugnahme anderer Normen beantwortet werden kann, stellt hier das Merkmal der (fehlenden) Genehmigung ein Blankettmerkmal dar,639 weshalb nach richtiger Ansicht nur die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen als Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm vom Tätervorsatz umfasst werden müssen. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflicht fehlt dem Täter daher lediglich die Einsicht, Unrecht zu tun i. S. d. § 17 StGB. Wie in Kapitel 3 aber bereits ausgeführt, bleibt auch nach dem Vorgang des Zusammenlesens die Tatsache des Fehlens einer wirksamen Genehmigung im zusammengelesenen Gesamttatbestand erhalten, da es für eine Strafbarkeit ja gerade darauf ankommt, ob eine Genehmigung vorliegt oder nicht.640 Dem Merkmal der (fehlenden) Genehmigung könnte im zusammengelesenen Tatbestand also doch noch die Eigenschaft als normatives Tatbestandsmerkmal zugesprochen werden; dies natürlich nur für den Fall, dass man in der Genehmigung keinen Rechtfertigungsgrund sieht. Hier geht es aber nicht mehr um die Frage der Genehmigungspflichtigkeit, sondern darum, ob eine wirksame Genehmigung vorliegt oder nicht, was eine andere Irrtumskonstellation betrifft.641 An dieser Stelle kann ein Vergleich mit dem Merkmal der Fremdheit in § 242 StGB gezogen werden: Wie bereits an anderer Stelle erläutert, muss beim Vorsatz hinsichtlich des normativen Merkmals der Fremdheit nach hier vertretener Ansicht richtigerweise verlangt werden, dass der Täter das Ergebnis der rechtlichen Regeln kennt, nach denen ein Gegenstand als „fremd“ anzusehen ist. Er muss nicht wissen, warum der Gegenstand fremd ist, 638
Siehe dazu bereits J. II. 3. b). Und zwar schon, bevor man überhaupt zu Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Genehmigung kommt, siehe dazu Kapitel 3 D. 640 Siehe dazu Kapitel 3 D. III. 641 Siehe dazu oben J. I. 639
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sondern nur erkennen, dass dieser Gegenstand jemand anderem gehört, um den Tatumstand der Fremdheit der Sache zu kennen und damit vorsätzlich hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „fremd“ zu handeln. Genauso muss der Täter eines Verstoßes gegen eine Genehmigungspflicht, um vorsätzlich zu handeln, nur das Ergebnis der rechtlichen Regelungen kennen, nach denen ein Handeln ohne wirksame Genehmigung vorliegt, muss also auch hier nur wissen, dass keine wirksame Genehmigung existiert. Folglich kennt der Täter, „solange [er] keine Vorstellung von etwas [zu] Genehmigendem hat“642, den Umstand der nichtexistenten Genehmigung i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Darüber hinaus ist ebenso wie beim oben behandelten Irrtum über Blankettmerkmale generell zu bemerken, dass höchst fraglich ist, wie dogmatisch zu begründen sein soll, dass der Irrtum über die bloße Existenz eines Tatbestandsmerkmals – bei den sonstigen Blanketten der §§ 17, 18 AWG die Ausfüllungsvorschrift, in diesem Fall das Genehmigungserfordernis – zu einem Tatumstandsirrtum führen soll.643 Bei Tatbeständen mit dem Wortlaut „Wer ohne Genehmigung […] handelt“ oder „entgegen einer Genehmigungspflicht handelt“ kann ein Rechtsirrtum über die Genehmigungspflichtigkeit einer Handlung daher richtigerweise den Vorsatz nicht berühren – und zwar unabhängig von der Einordnung als Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund. b) Einwände Gegen dieses Ergebnis wird die Forderung vorgebracht, bei präventiven Verboten müsse der Täter von einem „Kontrollrecht der Verwaltung“ ausgehen und damit Kenntnis des Genehmigungserfordernisses haben, weil er ansonsten lediglich auf „unrechtsneutrales, sozialadäquates Verhalten“ blicke.644 Dies entspricht letztendlich dem Gedanken hinter auch neueren Formen der Vorsatztheorie z. B. nach Schmidhäuser, dessen Ansicht auch von zeitgenössischen Autoren für „im Ergebnis gerechter“ gehalten wird, „weil sie bei fehlendem Unrechtsbewußtsein die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tat ausschließt“.645 Anders als etwa im portugiesischen Strafgesetzbuch, dessen Art. 16 die Kenntnis vom Verbot bei solchen Straftatbeständen zum Vorsatz rechnet, bei denen die Verbotskenntnis „vernünftigerweise unerlässlich“ ist, um ein Unrechtsbewusstsein zu erlangen,646 ist ein solches Vorgehen mit der im deutschen Strafgesetzbuch verankerten Schuldtheorie, die jegliches Fehlen eines Unrechtsbewusstseins der Schuld zuordnet, nicht vereinbar. So sehr es vielleicht überzeugend erscheinen mag, dass „ein subjektiv rechtstreu Handelnder sachgerecht nicht mit der Vorsatzstrafe als der schwersten im Gesetz überhaupt 642
Walter, S. 270. Wolf, S. 213. 644 Vgl. nur OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353. 645 Walter, S. 429. 646 Vgl. Tiedemann, Geerds-FS 1995, S. 95 (97). 643
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
vorgesehenen Strafbarkeit belegt werden“ darf,647 der Gesetzgeber hat sich für einen anderen Weg entschieden. Die Anbringung einer grundsätzlichen Kritik an der Schuldtheorie würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wenn – noch einmal unterstellt, dass die Genehmigung negatives Tatbestandsmerkmal ist – Tatbestandsmäßigkeit bedeutet, dass die jeweiligen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, muss sich nach der Schuldtheorie der Tätervorsatz auch nur hierauf beziehen. Die Unrechtsvertypung erfolgt bei jedem Straftatbestand durch das Voraussetzen bestimmter Umstände oder – im Falle des Handelns ohne Genehmigung – durch das Fehlen bestimmter Umstände.648 Schon der Prämisse, dass gewisse, den Verstoß gegen Genehmigungspflichten unter Strafe stellende Straftatbestände nur unrechtsneutrales oder gar sozialadäquates Verhalten sanktionieren, muss widersprochen werden. Das Verhalten wird ja gerade mit Strafe bewehrt, weil es sich als für strafwürdig empfundenes Unrecht darstellt. Dies liegt auch an dem Grund, aus welchem Tatbestände mit Verboten mit Erlaubnisvorbehalt normiert werden, weil nämlich andernfalls der Staat nur die Möglichkeit hätte, nachträglich auf eine bereits erfolgte Schädigung zu reagieren.649 Nachträgliche Kontrolle und Sanktion werden aber oftmals für nicht ausreichend erachtet, denn die eingetretenen Schäden ließen sich häufig nicht rückgängig machen, etwa bei durch schadhafte Kraftfahrzeuge eingetretenen Personenschäden.650 Dies kann auch auf die Ausfuhr sensibler Güter übertragen werden. Daher ist in einem „differenzierten, störungsanfälligen Gemeinwesen, das auf planende Steuerung angewiesen ist“ eine „vorgängige Kontrolle zum Schutze der Allgemeinheit oder der Rechte Dritter unentbehrlich“.651 Und in Genehmigungstatbeständen gehört die Missachtung dieser Kontrolle eben zu dem im Tatbestand benannten Unrecht dazu, wenn man die Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal sieht, und zwar unabhängig davon, ob der Täter von einem Kontrollanspruch weiß oder nicht. Freilich kann man monieren, dass das Dickicht rechtlicher Regelungen immer dichter werde, sodass sich der normale Bürger – wenn es denn einen solchen überhaupt gibt – dort kaum mehr zurechtfinden wird. Dies betrifft dann aber erstens die Frage, ob es rechtspolitisch und -philosophisch angemessen erscheint, Verstöße gegen Genehmigungspflichten überhaupt als Straftaten anzusehen, und falls ja, im Interesse einer nicht allzu großen Ausuferung von Strafbarkeiten, welche Verstöße gegen Genehmigungspflichten davon erfasst sein sollen. Und zweitens richten sich die den Verstoß gegen Genehmigungspflichten sanktionierenden Straftatbestände regelmäßig an Fachleute oder zumindest an Personen mit besonderem Bezug zur Materie. Für das Außenwirtschaftsstrafrecht ist jedenfalls festzustellen, dass die Verstöße gegen Genehmigungspflichten für die Ausfuhr etc. besonders sensible 647
Langer, Schmidhäuser-Gedächtnis-Reden 2004, S. 49 (57). Wolf, S. 198. 649 Gusy, JA 1981, 80; Wolf, S. 210. 650 Gusy, JA 1981, 80. 651 Gusy, JA 1981, 80. 648
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Güter und/oder Länder bzw. Personen betreffen, mit denen meist Unternehmen zu tun haben. Auch Privatpersonen sind nach der Konzeption des Gesetzgebers gehalten, sich bei einem von diesem als potentiell gefährlich erachteten und daher unter Genehmigungsvorbehalt gestellten Verhalten um die Einholung der Genehmigung zu kümmern, werden aber selbst auch meist eine besondere Nähe zur Materie aufweisen, die dies rechtfertigen kann. In einem noch in Kapitel 5 zu besprechenden Fall etwa kannte der Angeklagte zwar das betreffende Embargo, wusste aber nichts von einer Genehmigungspflicht für Zahlungen zu humanitären Zwecken.652 Hier erscheint es indes nicht unbillig, dem Täter einen Vorwurf aus seinem Handeln zu machen, wobei stets noch über die Vermeidbarkeit eines entsprechenden Irrtums diskutiert werden kann. Die Annahme eines Vorsatzausschlusses bei Unkenntnis einer Genehmigungspflicht würde daher dem Gedanken eines (auch) präventiven Strafrechts widersprechen. Die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionierenden Straftatbestände verfolgen nicht den vorrangigen Zweck, die staatlichen Kontrollinteressen zu schützen, sondern vielmehr soll die behördliche Überwachung der Einhaltung von Genehmigungspflichten dem Schutz der dahinterstehenden Rechtsgüter dienen, was strafrechtlich durch die Vorschriften flankiert wird, die eine bestimmte Handlung ohne Genehmigung mit Strafe bewehren.653 Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass bei Behandlung des Irrtums über die Genehmigungsbedürftigkeit als Tatumstandsirrtum die Präventionsbestrebungen unterminiert würden, denn so entfiele der Anreiz zur Bemühung um Rechtskenntnis.654 Daher ist es unzutreffend, selbst für den Fall, dass man die Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal ansieht, das tatbestandliche Unrecht bloß in der „Missachtung“ des „staatlichen Kontrollanspruchs“655 zu erblicken und daher eine Kenntnis des Täters von der Genehmigungspflicht zu verlangen. c) Fazit Festzuhalten ist also, dass das Merkmal „ohne Genehmigung“ immer zunächst als ein Blankettmerkmal anzusehen ist, wenn um die Frage geht, wann bzw. ob eine Genehmigungspflicht gegeben ist, weil dies nur durch Inbezugnahme anderer Normen beantwortet werden kann. Daher müssen nur die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen als Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm vom Tätervorsatz umfasst werden. Eine Kenntnis des Täters von der Genehmigungspflichtigkeit zu verlangen, würde heißen, vom Täter Kenntnis des Verbots, die Handlung ohne Genehmigung auszuführen, zu fordern, und dies würde letztlich einen Verstoß gegen die Schuldtheorie bedeuten. Die Unkenntnis des Verbots, eine 652
Siehe dazu noch Kapitel 5 E. II. 2. Wolf, S. 212. 654 Wolf, S. 212. 655 Vgl. nur OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2006, 353. 653
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Handlung ohne Genehmigung vorzunehmen, ist lediglich Verbotsirrtum i. S. d. § 17 StGB. Nicht zuletzt verbietet auch die präventive Ausrichtung des modernen Strafrechts ein solches Vorgehen. Geht es dagegen um den Irrtum über das Vorliegen einer wirksamen Genehmigung, kommt der Genehmigung im Deliktsaufbau die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes zu, sodass hier ein Erlaubnistatumstandsirrtum mit der hier bevorzugten Konsequenz des Ausschlusses des Vorsatzunrechts vorliegt.656
K. Eigene Irrtumslehre Nachdem nun ausführlich die Irrtumslehre sowohl der herrschenden Auffassung als auch von alternativen Meinungen dargestellt worden ist, jeweils Für und Wider evaluiert und auch der eigene Standpunkt bereits deutlich wurde, ist im Folgenden nun die „eigene“ Irrtumslehre zu erörtern, die als Grundlage für die im nächsten Kapitel zu behandelnden Anwendungsfälle im Zusammenhang mit dem Außenwirtschaftsstrafrecht und Kriegswaffenkontrollrecht dient. Dabei ist vorweg klarzustellen: Die Benennung dieser Irrtumslehre als „eigene“ ist nur in der Hinsicht zu verstehen, dass nach dem Auseinandersetzen mit den verschiedenen existierenden Auffassungen das sich daraus ergebene, für richtig gehaltene „Destillat“ die eigene Meinung widerspiegelt. Eine wahre Innovation in der Irrtumslehre ist angesichts der langen Dauer der Diskussion um die Behandlung des Irrtums im Strafrecht und den zahlreichen, etliche Jahrzehnte umspannenden bereits existierenden Abhandlungen zumindest de lege lata schwer denkbar.657 Zunächst ist am Anfang der folgenden Überlegungen das wichtigste, eigentlich selbstverständliche Gebot festzuhalten: Grundlage einer sich am Gesetz orientierenden Irrtumslehre müssen die Vorschriften der §§ 16, 17 StGB sein und damit die durch den Gesetzgeber entschiedene Schuldtheorie, die das Unrechtsbewusstsein der Schuld zuordnet. An der Figur der normativen Tatbestandsmerkmale ist entgegen einer diese ablehnenden Auffassung festzuhalten.658 Es muss anerkannt werden, dass es in manchen Straftatbeständen Tatbestandsmerkmale gibt, bei denen – anders als bei den deskriptiven Merkmalen – die Möglichkeit einer sinnlichen Wahrnehmung nicht oder nur bedingt gegeben ist und die nur durch eine gewisse zusätzliche „Gedankenoperation“ zu erfassen sind.659 Ob etwa ein Objekt eine „Urkunde“ i. S. d. § 267 StGB darstellt oder „fremd“ i. S. d. § 242 StGB ist, lässt sich gerade nicht durch bloße Sinneswahrnehmung erfassen, sondern bedarf einer Einstufung durch den Täter, die das Ergebnis eines Gedankenganges ist. Dass es in Grenzbereichen zu Überschneidungen kommen kann, etwa bei der Frage, wann ein Mensch (nach her656
Siehe dazu E. II. Vgl. zu einem Vorschlag de lege ferenda Walter, S. 438 ff. 658 Siehe dazu G. III. 3. und I. I. 2. 659 Siehe dazu I. I. 2. 657
K. Eigene Irrtumslehre
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kömmlicher Ansicht ein deskriptives Merkmal) anfängt bzw. aufhört, Mensch zu sein, ist dabei zuzugeben, ohne aber dadurch an der grundsätzlichen Unterscheidbarkeit von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen zu zweifeln. Da der Gesetzgeber z. B. in §§ 242, 246 StGB den Tatumstand „fremd“ als „Rechtsumstand“ festgeschrieben hat – denn Tatumstände können auch nicht-natürliche, sondern rechtliche Tatsachen sein –,660 muss der Täter auch Kenntnis des Ergebnisses der rechtlichen Bewertung einer Sache als „fremd“ haben. Es geht also nicht um einen Akt der Wertung, sondern, wie dies bereit Puppe festgestellt hat,661 um einen Akt der Erkenntnis. Entweder der Täter weiß, dass die Sache fremd ist (bzw. nimmt dies billigend in Kauf) – wie er zu dieser Einstufung kommt, ist dagegen nicht von Belang – oder eben nicht. Gleiches gilt beim Merkmal der „Urkunde“ in §§ 267, 271, 274 StGB. Hier muss der Täter nicht wissen, dass es sich beim fraglichen Objekt i. S. d. herkömmlichen rechtlichen Definition um eine verkörperte Gedankenerklärung handelt, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet ist. Er muss nur als möglich oder sicher erkennen, dass dieses Objekt festgeschriebene Zeichen enthält, an denen sich ein erkennbarer „Jemand“ auch verbindlich festhalten lassen möchte. Entweder, ein solches Wissen bzw. billigendes In-Kauf-Nehmen liegt seitens des Täters vor, oder eben nicht. Ebenso wie bei den deskriptiven Tatbestandsmerkmal ist bei normativen Tatbestandsmerkmalen eine kognitive und gerade nicht (be)wertende Leistung des Täters notwendig.662 Auch bei den normativen Tatbestandsmerkmalen muss für vorsätzliches Handeln daher „nur“ das Wissen um die im Tatbestand beschriebenen rechtlichen Tatsachen vorliegen; die Lehre der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ ist daher in der Tat überflüssig. Geht man, wie soeben beschrieben, vor, sind auch die Fälle des umgekehrten Irrtums leicht zu lösen, bei denen der Täter fälschlicherweise die Erkenntnis gezogen hat, die Sache gehöre einem anderen oder das Objekt enthalte festgeschriebene Zeichen, an denen sich ein erkennbarer „Jemand“ auch verbindlich festhalten lassen möchte. Da hier ein umgekehrter Irrtum über tatsächliche (Rechts-) Umstände vorliegt, ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen jeweils ein untauglicher Versuch gegeben. Die für die Straftatbestände der §§ 17, 18 AWG und § 22a KrWaffG weitaus wichtigeren Arten von Tatbestandsmerkmalen sind indes die Blankettmerkmale, unter die auch die Merkmale „ohne Genehmigung“ und „entgegen einer Genehmigungspflicht“ im Hinblick auf die Frage fallen, ob bzw. wann eine Genehmigung eingeholt werden muss.663 Ohne die Rechtsakte hinzuzunehmen, auf die die jeweilige Strafnorm der §§ 17, 18 AWG verweist – dies können EU-Verordnungen oder die nationale Außenwirtschaftsverordnung sein –, kann der Rechtsanwender das strafbare Verhalten schlichtweg nicht erkennen. An der herrschenden Meinung, nach der 660
Vgl. BT-Drucks. 4/650, S. 133. Puppe, GA 1990, 145 (157 f.). 662 Damit ist NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 50 Recht zu geben. 663 Geht es indes um das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Genehmigung, ist diese lediglich Rechtfertigungsgrund, siehe dazu bereits Kapitel 3 D. III. 661
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
Blankettnorm und Ausfüllungsnorm „zusammengelesen“ werden, indem das jeweilige Blankettmerkmal durch die Tatbestandsmerkmale der Normen, auf die es verweist, ersetzt wird und dann auf den gebildeten Gesamttatbestand die allgemeine Irrtumslehre angewandt wird,664 muss festgehalten werden: Die Auffassung, nach der der Täter bei Unkenntnis der Ausfüllungsnorm bzw. vom dort statuierten Verbot (im Außenwirtschaftsstrafrecht z. B. bei Unkenntnis eines Embargobeschlusses) mangels „Appellfunktion“ in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum handelt,665 ist nämlich weder mit den gesetzlichen Regelungen noch mit der modernen Konzeption des Strafrechts vereinbar. Schon die in § 17 StGB verankerte Schuldtheorie, die das Unrechtsbewusstsein und damit die (Un-)Kenntnis vom Verbot klar der Schuldebene zugewiesen hat, lässt ein solches Vorgehen nicht zu: „Das Verbot selbst ist kein Tatumstand. Es gehört nicht zum Inhalt des Tatbestandes, sondern hat ihn zum Inhalt.“666 Die Figur der „Appellfunktion“ des Straftatbestandes ist in der heutigen Gesellschaft nicht mehr im ursprünglichen Sinne zu verstehen, dass sich aus den „äußeren Umständen einer strafbaren Handlung für den Täter der Unwertgehalt einer Tat unmittelbar aus dem gesunden Menschenverstand […] ergibt und er vor der Begehung der Tat von selbst ein inneres Warnsignal, einen „Appell“, erfährt“.667 Das moderne Strafrecht in seiner Form als Präventionsstrafrecht mit immer komplexeren Regelungen vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts hat sich weit vom „gesunden Menschenverstand“ entfernt. Dass die Strafnormen des Nebenstrafrechts „unrechtsneutral“ seien, und daher keine „Appellfunktion“ entfalten könnten, stimmt dennoch nicht. Immerhin enthält jede Strafnorm „ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozialethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise, das durch den Straftatbestand und die Strafandrohung näher umschrieben wird“.668 In Zeiten der Globalisierung und Technologisierung ist es Aufgabe des Strafrechts, „Rechtsgüter durch Verhaltenssteuerung zu schützen“,669 auch wenn dies bedeutet, dass im Sinne der Prävention dem Bürger aufgebürdet wird, sich über die für ihn möglicherweise relevanten Normen zu informieren. Ohnehin betreffen diese „Spezialregelungen“ auch meist spezielle Berufsgruppen, von denen ein besonders enges Verhältnis zur Materie gefordert werden kann. Die „Appellfunktion“ des Tatbestandes ist daher nur in dem Sinne zu verstehen, dass die Normierung strafbewehrten Verhaltens den potentiellen Täter zu normgerechtem Verhalten anhalten soll – und dies kann gerade auch im Sinne einer Präventionswirkung erfolgen. Damit stellt ein Rechtsirrtum über blankettausfüllende Normen, d. h. ein Irrtum über die Existenz oder Reichweite dieser Ausfüllungsnormen bzw. über das dort enthaltene 664
Siehe dazu H. II. 2. a). So explizit für Fälle des Außenwirtschaftsstrafrechts Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 41; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Rengier, Bd. 2, § 32 Rn. 46; Hocke/Sachs/ Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 51; Krell, NZWiSt 2013, 114 (115). 666 BGHSt 19, 295 (298). 667 Gaßner/Strömer, HRRS 2015, 122. 668 BVerfGE 96, 245 (249). 669 Wolf, S. 192. 665
K. Eigene Irrtumslehre
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Gebot bzw. Verbot, lediglich einen den Vorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum dar. Gleiches gilt bei den Genehmigungstatbeständen. Auch hier ist die Annahme unzutreffend, dass einige Tatbestände, die das Handeln ohne die erforderliche Genehmigung sanktionieren, „unrechtsneutral“ bzw. „sozialadäquat“ seien und ihren Unwertgehalt erst aus dem Fehlen der notwendigen Genehmigung bezögen. Stellt der Gesetzgeber die Ausübung einer Tätigkeit ohne Genehmigung unter Strafe, so muss er diese per se für so potentiell rechtsgutsbeeinträchtigend erachten, dass von Unrechtsneutralität nicht die Rede sein kann.670 Vielmehr kann von „Sozialadäquatheit“ einer solchen Handlung erst die Rede sein, sofern eine Genehmigung erteilt wurde. Dies gilt sowohl für so alltägliche Verhaltensweisen wie das Führen eines Kfz als auch z. B. für das Ausführen von Rüstungsgütern. Eine Genehmigung kann daher in jedem Fall bloß rechtfertigend wirken.671 Allerdings kann die Frage, wann bzw. ob überhaupt eine Pflicht zur Einholung einer Genehmigung existiert, nur durch den Blick in andere Rechtsnormen getroffen werden. Daher ist in Straftatbeständen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, das Merkmal „ohne Genehmigung“ bzw. „entgegen einer Genehmigungspflicht“ durch die entsprechenden Vorschriften z. B. des Verwaltungsrechts auszufüllen. Der Straftatbestand, der das Genehmigungsmerkmal enthält, ist mit diesen Vorschriften zusammenzulesen, woraus sich dann ergibt, wann die Einholung einer Genehmigung erforderlich ist.672 Diesbezüglich stellt das Merkmal der (fehlenden) Genehmigung ein Blankettmerkmal dar, weshalb wie bei sonstigen Blankettmerkmalen nur die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen als Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm vom Tätervorsatz umfasst werden müssen. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflicht hat der Täter nichts anderes als Unkenntnis des Verbots, die Handlung ohne Genehmigung auszuführen. Damit fehlt hier dem Täter aber i. S. d. Schuldtheorie lediglich die Einsicht, Unrecht zu tun i. S. d. § 17 StGB. Dafür, dass die Unkenntnis der blankettausfüllenden Norm sowie die Unkenntnis der Genehmigungspflicht nur einen Verbotsirrtum begründen, sprechen nicht zuletzt die Regelungen des Außenwirtschaftsstrafrechts in § 18 Abs. 11 und 12 AWG, die einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Handlungen nach dem Embargotatbestand des § 18 Abs. 1 bzw. nach § 18 Abs. 1a AWG statuieren. Die Vorschrift des § 18 Abs. 11 AWG bestimmt, dass nach § 18 Abs. 1 AWG nicht bestraft wird, wer ein Verbot oder Genehmigungserfordernis in einem europäischen Rechtsakt nicht kannte, wenn der Verstoß innerhalb von zwei Werktagen nach der Veröffentlichung des Rechtsakts erfolgte. Durch diese Regelung soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Rechtsakte der EU mit Veröffentlichung im Amtsblatt der EU wirksam werden, diese Anforderungen aber von den Unternehmen erst umge670
Siehe dazu Kapitel 3 C. II. 2. b) cc) und E. Siehe dazu Kapitel 3 C. II. 2. b) cc) und E. 672 Siehe dazu Kapitel 3 D. III. und E. 671
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
setzt werden müssen; die Zwei-Tages-Frist soll den Unternehmen im Sinne einer Schonfrist die notwendige Umsetzungsphase zugestehen, um sich auf die neue Rechtslage einzustellen.673 Oft müssen die Änderungen, z. B. bei EU-Terrorismuslisten, in unternehmensinterne Datenbanken übernommen werden.674 Eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung ergibt indes, dass die Regelung des § 18 Abs. 11 AWG zumindest für den Embargotatbestand des § 18 Abs. 1 AWG die Behandlung der Unkenntnis über ein Embargo insofern vorgibt, als dass eine solche Unkenntnis nie Tatumstandsirrtum sein kann, sondern einen Verbotsirrtum darstellen muss: Denn führt die Unkenntnis eines in einem europäischen Rechtsakt enthaltenen Verbots oder Genehmigungserfordernisses nur unter den zusätzlichen Bedingungen des § 18 Abs. 11 AWG zur Straffreiheit, würde eine generelle Behandlung der Unkenntnis des Embargos als Tatumstandsirrtum diese Regelung obsolet machen.675 Die Vorschrift des Abs. 11 wird daher auch als Ausnahmeregelung angesehen, die „mögliche Unsicherheiten bei der Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln zugunsten des Betroffenen für den in der Norm genannten engen Zeitraum ausschließen will“,676 also z. B. bei der Frage der Vermeidbarkeit eines Irrtums; gleichzeitig wird aber klarstellt, dass die Unkenntnis einer Listung andernfalls nur als Verbotsirrtum Beachtung finden kann. Entgegen der herrschenden Meinung, die – von ihrer Irrtumsdogmatik zu Blanketttatbeständen abweichend – bei Unkenntnis einer Allgemeinverfügung stets einen vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum annimmt, gilt gleiches auch für § 18 Abs. 12 AWG, der bei Unkenntnis einer öffentlich bekannt gemachten Anordnung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG eine Karenzzeit von zwei Werktagen gewährt, in welcher der Täter straffrei bleibt, wenn er einer solchen Anordnung zuwiderhandelt. Würde die Unkenntnis einer Allgemeinverfügung stets den Vorsatz ausschließen, bräuchte es die Regelung des § 18 Abs. 12 AWG nicht. Hier spielt auch der Entstehungsgrund dieser Vorschrift eine Rolle, die laut Gesetzesbegründung eingefügt wurde, um die Zeitspanne strafrechtlich abzusichern, die nach von den VN beschlossenen Finanzsanktionen bis zur Listung benannter Personen oder Personengesellschaften in einer unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung vergeht.677 Abweichend davon ist aber ein Tatumstandsirrtum gegeben, sofern die Ausfüllungsvorschriften von Blankettnormen in Verwaltungsakten bestehen, die keine Allgemeinverfügungen sind, sich also konkret an einen Empfänger richten. Während bei Allgemeinverfügungen i. S. d. § 18 Abs. 12 AWG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG jeder durch die öffentlich bekannt gemachte Anordnung ebenso wie bei veröffentlichten Embargos Kenntnis hiervon erlangen kann, trifft dies auf einfache Verwaltungsakte gerade nicht zu. Hier muss der Täter ausnahmsweise vom Verwaltungsakt 673
BT-Drucks. 17/11127, S. 28 f.; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 111. Müko-StGB-Wagner, § 18 AWG Rn. 161. 675 Andrzejewski, S. 198. 676 Müko-StGB-Wagner, § 18 AWG Rn. 161. 677 Siehe dazu I. II. 2. a).
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K. Eigene Irrtumslehre
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wissen, um vom speziell für seinen Fall geltenden Verbot oder Gebot Kenntnis zu erlangen. Die konsequente Anwendung der §§ 16, 17 StGB auf Blanketttatbestände, unter die auch die Genehmigungstatbestände zu fassen sind, bedeutet indes nicht, dass keinerlei Justierungsmöglichkeiten für die Fälle bestehen, in denen sich ausnahmsweise ein fachfremder Täter durch Unkenntnis des ggf. nicht aus seiner „Lebensrealität“ stammenden Verbots mit der Strafbarkeit aus vorsätzlichem Verhalten konfrontiert sieht. Hier müssen die äußerst strengen Kriterien der Rechtsprechung an die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums heruntergeschraubt werden. Entgegen dem Dogma der Rechtsprechung, die an die Unvermeidbarkeit höhere Anforderungen als an den allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstab stellt,678 wäre eine Möglichkeit die Anwendung gleicher Maßstäbe bei den Kriterien der zumutbaren Sorgfalt im Sinne der Fahrlässigkeit und der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums.679 Dies herauszuarbeiten, wäre indes Stoff für eine andere, weitere Arbeit. Der Grund der durch die Rechtsprechung praktizierten strengen Handhabung des Vermeidbarkeitskriteriums wird nicht zuletzt darin gesehen, dass jeder sich auf einen Verbotsirrtum begründende Freispruch das Signal der mangelnden Effektivität der Norm enthalte, also eher in kriminalpolitischen und weniger in schuldtheoretischen Erwägungen.680 Es komme nämlich zu einer Schwächung der sozialen Geltung der strafrechtlichen Verbote, „wenn die Rechtsordnung das Spannungsverhältnis zwischen Normgeltung und Schuldprinzip einseitig zugunsten des Letzteren auflösen und die Unkenntnis ihrer Normen ohne Einschränkung zugunsten des Täters berücksichtigen würde“.681 Jakobs zufolge muss die entscheidende Frage lauten, „wieviel Unwissenheit des Täters von Staat und Gesellschaft hingenommen werden“ kann, „ohne daß jeweils die generalpräventive Funktion des Strafrechts leidet“.682 Die übertriebenen Anforderungen der Rechtsprechung hinsichtlich der Vermeidbarkeitsvoraussetzungen mit der Pflicht, jedes Handeln auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, seien zu weitgehend und führten, wenn tatsächlich von jedem beachtet, zu einer Lähmung des Soziallebens.683 Tatsächlich ist nicht einzusehen, warum die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Sinne einer absoluten Unmöglichkeit der Erlangung einer Verbotskenntnis verstanden werden soll, wie dies oft von der Rechtsprechung praktiziert wird.684 So gesehen ist es nie unmöglich, Kenntnis vom Verbot zu erhalten, „da ja der Bestimmtheitsgrundsatz die objektive Erkennbarkeit 678
BGHSt 4, 236 (242 f.); BGHSt 21, 18 (20); siehe dazu D. III. 3. So auch KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 7; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 7; LK-Vogel/ Bülte, 13. Aufl., § 17 StGB Rn. 37 ff.; Müko-StGB-Duttge, 4. Aufl., § 15 Rn. 27; Schuster, S. 154; siehe auch Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 45. 680 NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 5; Schuster, S. 154. 681 NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 54. 682 Jakobs, AT, 19/33. 683 LK-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 StGB Rn. 36; Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 38. 684 Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (389); Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 40; Schuster, S. 154. 679
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Kap. 4: Die allgemeine strafrechtliche Irrtumslehre
des Verbots fordert und umfassende Erkundigungen die Möglichkeit eines solchen Verbots auch subjektiv erkennbar machen können“.685 Im Einzelfall können beide Irrtumsarten sogar gleichermaßen unvermeidbar, mehr oder weniger fahrlässig und mehr oder weniger vorwerfbar sein, wie der BGH selbst früh festgestellt hat.686 In der selben Entscheidung spricht er selbst auch davon, dass der Tat(umstands)irrtum nur „in der Regel“ einen geringeren Schuldvorwurf begründe.687 Durch die Übertragung des Fahrlässigkeitsmaßstabs auf das Kriterium der Vermeidbarkeit könnte aber die Möglichkeit geschaffen werden, das „Maß an Rechtskenntnis, das vom Einzelnen verlangt wird, zu justieren, ohne § 17 StGB durch überzogene Anforderungen an die Vermeidbarkeit letztendlich zu entwerten“.688 Dabei wäre parallel zu der Sorgfaltspflichtverletzung bei der Prüfung des Vorliegens fahrlässigen Handelns auch bei der Vermeidbarkeit danach zu fragen, welche Anforderungen „bei ex ante-Betrachtung an besonnene und gewissenhafte Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind.“689 Dies ist entsprechend nach Lebens- und Berufskreis des Täters zu beurteilen,690 wobei im Falle des Außenwirtschaftsstrafrechts gilt, dass gerade bei Exportunternehmen der Anlass zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vorzunehmenden Handlungen gegeben sein wird. Insgesamt ist festzuhalten: Die Unkenntnis der blankettausfüllenden Norm691 und die Unkenntnis der Genehmigungspflicht sind als Unkenntnis des jeweiligen Verbots nur im Sinne des § 17 StGB beachtlich. Dem sich daraus ergebenden größeren Anwendungsbereich vorsätzlichen Handelns ist durch eine weniger strenge Handhabung des Vermeidbarkeitskriteriums zu begegnen.
685
Roxin, Tiedemann-FS 2008, 375 (389). BGHSt 3, 105 (107). 687 BGHSt 3, 105 (107). 688 Andrzejewski, S. 206 f. 689 BGH NJW 2000, 2754 (2758); BGH NStZ 2005, 446 (447); Heinrich, AT, Rn. 1028; Lackner/Kühl-Kühl, § 15 Rn. 37; Rengier, AT, § 52 Rn. 15; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 135; zur Untauglichkeit des Merkmals der Sorgfaltspflichtverletzung aber Roxin/Greco, AT I, § 24 Rn. 12. 690 BGH NJW 2000, 2754 (2758); BGH NStZ 2005, 446 (447); Lackner/Kühl-Kühl, § 15 Rn. 37; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 135. 691 Außer bei einfachen Verwaltungsakten nach § 35 Satz 1 VwGO. 686
Kapitel 5
Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht A. Einführung Der Fokus der vorstehenden Ausführungen zur Irrtumsthematik wurde nicht ohne Grund auf die Behandlung des Irrtums bei Blankett- und Genehmigungstatbeständen gelegt – denn hierauf konzentrieren sich auch die Rechtsprechung sowie die Literatur zum Außenwirtschaftsstrafrecht. Nochmals zusammengefasst, geht es dabei vornehmlich darum, ob der Irrtum über (die Existenz von) Ausfüllungsnormen bei Blanketttatbeständen, wozu, wie oben festgestellt, auch der Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Handlung gehört, zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum oder zu einem – ggf. schuldrelevanten – Verbotsirrtum führt. Nach oben erarbeiteter Auffassung unterliegt der Täter in beiden Fällen im Einklang mit der Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung lediglich einem Verbotsirrtum, wobei mit dem Kriterium der Vermeidbarkeit großzügiger umgegangen werden sollte, als dies die herrschende Meinung tut, etwa indem man den Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit heranzieht. Da im Rahmen dieser Arbeit die Irrtumskonstellationen im Außenwirtschaftsstrafrecht und, wo es sich aufgrund der ähnlichen Thematik anbietet, auch die Irrtumskonstellationen im Kriegswaffenkontrollrecht umfassend zu behandeln sind, sollen sich die nachfolgenden Darstellungen jedoch in klassischer Reihenfolge zunächst dem Irrtum im Bereich des Strafanwendungsrechts widmen, dann dem Irrtum über das Tatsubjekt und das Tatobjekt nachgehen und anschließend den Irrtum über die Tathandlungen behandeln, wobei vor allem bei letzterem die Problematik im Zusammenhang mit Blankettmerkmalen und Genehmigungsmerkmalen, die sich freilich zum Teil überschneiden,1 zum Tragen kommt. Zuletzt gilt es, sich den Irrtümern über Qualifikationsmerkmale bzw. Regelbeispiele und solchen im Hinblick auf die Tatbeteiligung zuzuwenden.2
1 2
Siehe dazu Kapitel 3 D. und E., Kapitel 4 J. II. 4. und K. Mögliche Strafbarkeiten nach §§ 51 f. WaffG werden außer Betracht gelassen.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
B. Irrtümer im Rahmen des Strafanwendungsrechts Einem klassischen Aufbau folgend, sind bei den nunmehr darzustellenden Irrtumskonstellationen des Außenwirtschaftsstrafrechts zunächst die Irrtümer im Bereich des Strafanwendungsrechts zu behandeln.
I. Aktives Personalitätsprinzip des Außenwirtschaftsstrafrechts § 17 Abs. 7 und § 18 Abs. 10 AWG bestimmen, dass die jeweils vorstehenden Absätze auch für Taten gelten, die ein Deutscher im Ausland begangen hat, und zwar unabhängig vom Recht des Tatorts. Hierin liegt eine Ausprägung des uneingeschränkten aktiven Personalitätsprinzips, dessen Rechtfertigung darin gesehen wird, dass die zu sanktionierenden Handlungen die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands stets besonders tangieren.3 § 17 Abs. 7 und § 18 Abs. 10 AWG stellen dabei leges speciales zu § 7 Abs. 2 StGB dar, der die Geltung des deutschen Strafrechts davon abhängig macht, dass die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.4 Durch Einfügung dieser Vorschriften ins AWG sollten mögliche Strafbarkeitslücken bei der Beteiligung deutscher Staatsangehöriger an den jeweiligen Handlungen geschlossen werden, deren Entstehung dadurch drohte, dass die Tat in den Empfängerländern aus naheliegenden Gründen nicht sanktionsbewehrt ist.5 Da § 9 StGB als Tatort nicht nur den Erfolgs-, sondern auch den Handlungsort sowohl des Täters als auch des Teilnehmers bestimmt, findet § 17 Abs. 7 AWG nur dann Anwendung, wenn die prozessuale Tat ausschließlich im Ausland begangen wurde und keinen Inlandsbezug aufweist.6
II. Stellung des Strafanwendungsrechts im Deliktsaufbau Bei der Frage, ob das deutsche Strafrecht anwendbar ist, handelt es sich nach einer Mindermeinung um „vor die Klammer gezogene“ Tatbestandsmerkmale, deren Voraussetzungen vom Vorsatz des Täters umfasst sein müssen.7 Nach herrschender Meinung indes stellen die §§ 3 – 7 StGB lediglich objektive Bedingungen der Strafbarkeit dar, denn der sachliche Anwendungs- bzw. Geltungsbereich des deut3
Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 62. Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 29; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 34; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 151. 5 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 59; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 62. 6 Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 35. 7 Böse, Maiwald-FS 2010, S. 61 (69); LK-StGB-Werle/Jeßberger, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff Rn. 472; NK-StGB-Böse, Vorbemerkungen zu §§ 3 ff. Rn. 51; Pawlik, ZIS 2006, 274 (276, 283). 4
B. Irrtümer im Rahmen des Strafanwendungsrechts
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schen Strafrechts sei objektiv zu bestimmen und der Unrechtsgehalt einer Tat unabhängig vom Eingreifen der §§ 3 ff. StGB.8 Unter objektiven Bedingungen der Strafbarkeit sind solche Umstände zu verstehen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tat stehen, zwar nicht zum Unrechts- oder zum Schuldtatbestand gehören, trotzdem aber das objektiv verwirklichte Unrecht der Tat mitbestimmen.9 Ebenso wie die Tatbestandsmerkmale gehören die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit zu den materiellen Voraussetzungen der Strafbarkeit.10
III. Anwendung auf das Außenwirtschaftsstrafrecht 1. Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der §§ 3 – 7 StGB (Tatort) Der Einordnung in den Deliktsaufbau kommt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung des Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen der §§ 3 – 7 StGB zu, etwa über den Tatort. Fall 1: Der österreichische Staatsangehörige Ö transportiert unter Verstoß gegen den entsprechenden Embargobeschluss Lafetten, besonders konstruiert für Mörser,11 aus Kitzbühel in den Iran, wobei er, ohne es zu bemerken, das zu Deutschland gehörende Berchtesgadener Land passiert. In Betracht kommt hier eine Strafbarkeit nach § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 74 Abs. 1 Nr. 8 AWV, weil die Tat des Ö nach §§ 3, 9 Abs. 1 Var. 1 StGB eine Inlandstat ist. Ihm ist allerdings zu keiner Zeit bewusst, durch deutsches Staatsgebiet gefahren zu sein; Ö irrt sich daher über den tatsächlichen Umstand, sich im deutschen Inland nach § 3 StGB aufzuhalten. Nach der herrschenden Meinung, die die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts als objektive Strafbarkeitsbedingung begreift, ist es für den Vorsatz allerdings unbeachtlich, wenn der Täter einen tatsächlichen Umstand nicht kennt, der nach den Regelungen des Strafanwendungsrechts zur Begründung der Geltung des deutschen Strafrechts führt.12 Nach der Auffassung, die bei der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts von einem Tatbestandsmerkmal ausgeht, stellt der Irrtum des Täters über die tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ergibt, hingegen einen Tatumstandsirrtum
8 BeckOK-StGB-von Heintschel-Heinegg, 54. Ed., § 3 Rn. 10; Müko-StGB-Ambos, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 3 Rn. 3; Sch/Sch-Eser/Weiser, Vorbemerkungen zu den §§ 3 – 9 Rn. 6. 9 Heinrich, AT, Rn. 133; Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 1; siehe dazu auch Kapitel 3 C. II. 2. b) cc). 10 Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 1. 11 Position 0002 lit. c Nr. 3 der AL zur AWV. 12 Fischer, Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 30; Jescheck/Weigend, AT, § 18 V; Müko-StGB-Ambos, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 3 Rn. 3.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB dar.13 Da Ö in Fall 1 nicht wusste, dass er das Gebiet der BRD passierte, läge somit vorsatzloses Handeln (zumindest nach deutschem Strafrecht) vor. Allerdings ist zu konstatieren, dass die §§ 3 – 7 StGB im Unterschied zu den unstreitigen Tatbestandsmerkmalen die – vorrangigen – Geltungsvoraussetzungen des deutschen Strafrechts bestimmen; ob eine Strafnorm auf einen Sachverhalt überhaupt grundsätzlich anwendbar ist, ist aber vor der Prüfung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale festzustellen und kann daher nicht die Frage des Vorsatzes betreffen.14 Gegen die Mindermeinung wird außerdem vorgebracht, dass sie die Problematik der Nachweisbarkeit mit sich bringe und dadurch Gefahr laufe, dass in dubio pro reo in Konstellationen wie bei Fall 1 die Strafbarkeit regelmäßig ausgeschlossen wäre – auch wenn ein solcher Irrtum praktisch kaum vorkommen wird und folglich ein Tatumstandsirrtum auch nach der Mindermeinung selten angenommen werden wird.15 Damit wirkt sich der Irrtum des Ö über einen tatsächlichen Umstand, der nach den Bestimmungen des Strafanwendungsrechts die Geltung des deutschen Strafrechts begründet, nicht auf seinen Vorsatz aus. 2. Irrtum über Reichweite des deutschen Strafrechts Neben Irrtümern über die tatsächlichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts, insbesondere über den Tatort, sind aber auch Irrtümer über die Geltung und Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts denkbar. Fall 2: Der chinesische Diamantenhändler C führt Rohdiamanten über den Flugweg nach Deutschland ein, ohne ein Zertifikat dafür zu besitzen. C macht sich keinerlei Gedanken über eine mögliche Anwendung deutschen Strafrechts, weil – dies sei an dieser Stelle unterstellt – eine solche Tat in China nicht strafbar ist. Fall 3: Der deutsche Staatsbürger D vermittelt im Iran einem iranischen Staatsbürger die Lieferung von Bombenzielrechnern16 aus Usbekistan in den Iran. Der Iran erkennt die Embargobeschränkungen nicht an; folglich ist die Tat im Iran nicht strafbar. D weiß zwar, dass ein Embargo gegen den Iran verhängt wurde, geht aber davon aus, deutsches Strafrecht sei nicht anwendbar, weil die Tat nicht innerhalb der BRD begangen wurde und im Iran nicht mit Strafe bedroht ist. In Fall 3 ist § 7 Abs. 2 StGB nicht anwendbar, weil die Tat weder am Tatort mit Strafe bedroht ist noch der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt; die Geltung des 13 Böse, Maiwald-FS 2010, S. 61 (72 ff.); Jakobs, AT, 5/13; LK-StGB-Werle/Jeßberger, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 474; NK-StGB-Böse, Vorbemerkungen zu §§ 3 ff. Rn. 52; Pawlik, ZIS 2006, 274 (283 f. Fn. 85). 14 Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 1; Müko-StGB-Ambos, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 3 Rn. 3. 15 Wissmann, S. 201. 16 Position 0005 lit. a der AL zur AWV.
C. Irrtümer über die Tauglichkeit als Tatsubjekt
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deutschen Außenwirtschaftsstrafrechts ergibt sich für D jedoch aus § 17 Abs. 7 AWG. Bei Einordnung der §§ 3 ff. StGB als objektive Strafbarkeitsbedingungen ist nicht nur der Irrtum über die tatsächliche Voraussetzungen, sondern auch derjenige in rechtlicher Hinsicht, d. h. über den Umfang der deutschen Gerichtsbarkeit, unbeachtlich, stellt also auch keinen Verbotsirrtum dar.17 „Da die Kenntnis der Strafbarkeit nach h. M. generell nicht erforderlich ist, kann es […] erst recht nicht auf die (noch speziellere) Kenntnis des Strafanwendungsrechts ankommen“, stellt Valerius in diesem Zusammenhang fest.18 Zwar wird dann von anderen festgestellt, die Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung schließe einen „Verbotsirrtum wegen mangelnden Unrechtsbewusstseins nicht ohne Weiteres“ aus.19 Diese Feststellung kann allerdings nur die Frage des Vorliegens eines Unrechtsbewusstseins allgemein betreffen, welche unabhängig von der Frage der Geltung und Anwendbarkeit der deutschen Strafrechtsordnung zu beantworten ist.20 Dies zeigt sich anhand der Lösung von Fall 2 und Fall 3: In Fall 2 unterliegt C einem Verbotsirrtum hinsichtlich einer Tat nach § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG i. V. m. Artikel 3a der KimberleyVO, wobei „Bezugspunkt des Verbotsirrtums […] in diesem Fall aber nicht die Geltung des deutschen Strafrechts, sondern das dem Deliktstatbestand zu Grunde liegende Verhaltensgebot“ ist21 – C weiß schlichtweg nicht, dass seine Handlung verboten ist. Allerdings kann dieser Verbotsirrtum als vermeidbar angesehen werden.22 Dagegen ist in Fall 3 der Irrtum über die (Nicht-)Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts unbeachtlich; D hat sich nach § 17 Abs. 1, Abs. 7 AWG i. V. m. § 75 Abs. 1 Nr. 6 AWV strafbar gemacht.23
C. Irrtümer über die Tauglichkeit als Tatsubjekt Irrtümer können sich auch im Zusammenhang mit der Tauglichkeit als Tatsubjekt ergeben, namentlich bei Sonderdelikten. Unter Sonderdelikten sind solche Delikte zu verstehen, die an bestimmte persönliche Merkmale des Täters anknüpfen, bei denen 17 BGHSt 27, 30 (34); BGHSt 45, 97 (100 f.); Valerius, NStZ 2003, 341 (344); Walter, JuS 2006, 870 (871). 18 Valerius, NStZ 2003, 341 (343). 19 Sch/Sch-Eser/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 3 – 9 Rn. 85; so auch BeckOK-StGBvon Heintschel-Heinegg, 54. Ed., § 3 Rn. 10 und Müko-StGB-Ambos, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 3 Rn. 3. 20 Vgl. AG Grevenbroich NJW 1983, 528 (529). 21 Jeßberger, S. 132 f. 22 C ist als Diamantenhändler schließlich Fachmann. 23 A. A. nur, soweit ersichtlich, NK-StGB-Böse, Vorbemerkungen zu §§ 3 ff. Rn. 52, demzufolge das Bewusstsein, ein bestimmtes Rechtsgut zu verletzen, einen Verbotsirrtum nicht von vornherein entfallen lässt, aber Anlass zur Erkundigung über die einschlägigen deutschen Strafvorschriften sein kann.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
sich also nur derjenige strafbar machen kann, der diesen Status innehat.24 Im Gegensatz dazu stehen die Allgemeindelikte, die von jedermann begangen werden können und bei denen keine weiteren Voraussetzungen gefordert werden.25 Die Abgrenzung zwischen Allgemein- und Sonderdelikten ist im Einzelnen generell, aber auch in Bezug auf das Außenwirtschaftsstrafrecht umstritten. Weitgehend übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass die Straftatbestände der §§ 17, 18 AWG überwiegend keine Sonderdelikte darstellen.26 Wird für die Täterstellung an die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz angeknüpft und damit verlangt, dass der Täter Deutscher bzw. Inländer ist, wie dies in § 18 Abs. 2 Nr. 4 Var. 2 AWG i. V. m. §§ 46 Abs. 1, 47 Abs. 1 AWV der Fall ist, handelt es sich indes unbestrittenermaßen um ein Sonderdelikt.27 Fall 4: Der deutsche Rüstungsgutvermittler R hat sich in Italien als Neubürger angemeldet, wo er mittlerweile den überwiegenden Teil des Jahres lebt. Bei einem Aufenthalt in Ecuador vermittelt R innerhalb Ecuadors einen Vertrag über den Erwerb von Mörsern28 mit einem Kaliber von 80 Millimetern. Dabei geht R davon aus, schon durch die Anmeldung in Italien seinen Wohnsitz verlegt zu haben; tatsächlich aber ist dies erst der Fall, nachdem überprüft wurde, ob der Antragsteller auch tatsächlich dort wohnt und danach eine Bestätigung über die Anmeldung erteilt wurde. Hier hat R den Straftatbestand des § 18 Abs. 2 Nr. 4 AWG i. V. m. §§ 46 Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr. 4 AWV erfüllt, der den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht für in einem Drittland vorgenommene Handels- und Vermittlungsgeschäfte von Deutschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland für bestimmte Güter sanktioniert, denn der Wohnsitz des R ist noch in Deutschland. Er irrt jedoch über seinen Status als Inländer und damit über seine Tatsubjektsqualität. Dies ist zwar ein Rechtsirrtum, der grundsätzlich einen Verbotsirrtum nach sich ziehen würde, beim Merkmal des Inländers handelt es sich jedoch – wie beim Merkmal des Arbeitgebers in § 266a StGB29 – um ein normatives Tatbestandsmerkmal, dessen Vorliegen nur durch gewisse rechtliche (Er-)Kenntnisse zu erfassen ist. Daher muss R nach hier vertretener Ansicht das Ergebnis der rechtlichen Bewertung kennen, nach der er „Inländer“ ist, um Tatumstandskenntnis hinsichtlich dieses Merkmals zu haben, mithin vorsätzlich zu handeln. Folglich bleibt R hinsichtlich § 18 Abs. 2 Nr. 4 AWG 24
Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 37; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 57. 25 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 37. 26 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 85; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 25; Nestler, NStZ 2016, 238; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 41. 27 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 25; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 35; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 38. 28 Position 0002 lit. a der AL zur AWV. 29 Siehe dazu Kapitel 4 I. I. 2.
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i. V. m. §§ 46 Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr. 4 AWV straflos, es bleibt aber eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AWG zu prüfen.30 Bei Straftatbeständen, nach deren Wortlaut die Täterstellung anhand einer Funktions- bzw. Tätigkeitsbeschreibung (einführen, ausführen, bereitstellen etc.) charakterisiert wird, handelt es sich nach allgemeiner Auffassung dagegen um Allgemeindelikte.31 Die ungenehmigte Ausfuhr nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG i. V. m. § 8 Abs. 1 AWV etwa soll somit nach überwiegender Meinung ebenfalls kein Sonderdelikt darstellen, das nur der formelle Ausführer nach § 2 Abs. 2 AWG32 begehen kann. Vielmehr soll sich jeder, der die Ausfuhr tatsächlich – ohne erforderliche Genehmigung – vornimmt, nach den allgemeinen Regeln der §§ 25 ff. StGB strafbar machen können; dies ergebe sich kumulativ aus dem Wortlaut der Vorschrift („Wer…ausführt…“) und den unterschiedlichen Definitionen von Ausfuhr und Ausführer in § 2 AWG.33 Somit kann bei den genehmigungsabhängigen Tatbeständen des § 18 AWG jeder Täter sein, auch wenn er selbst nicht zur Einholung einer Genehmigung verpflichtet ist, aber mit Täterwillen handelt, z. B. auch der Spediteur oder Frachtführer.34 Bei § 22a Abs. 1 KrWaffG hingegen geht man zum größten Teil davon aus, dass Täter nur sein kann, wer als verantwortliche Person die Genehmigung hätte einholen müssen, wohingegen weisungsabhängige Personen nur als Teilnehmer in Betracht kommen und es sich daher bei § 22a Abs. 1 KrWaffG um ein Sonderdelikt handelt.35 30
Dagegen kommt eine Strafbarkeit nach § 22a Abs. 1 Nr. 7 KrWaffG nicht in Betracht, da dort Voraussetzung ist, dass die Tathandlung in der BRD stattfindet; vgl. Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 84. 31 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 25; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 37. – A. A. für § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG, aber insoweit nicht zwischen den einzelnen Artikeln der Dual-Use-VO differenzierend, Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 48. 32 Nach § 2 Abs. 2 AWG ist Ausführer „jede natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft, die zum Zeitpunkt der Ausfuhr Vertragspartner des Empfängers in einem Drittland ist und 1. über die Lieferung von Waren aus dem Inland in ein Drittland bestimmt oder 2. im Fall von Software oder Technologie über deren Übertragung aus dem Inland in ein Drittland einschließlich ihrer Bereitstellung auf elektronischem Weg in ein Drittland bestimmt“. Geregelt ist auch, dass, falls kein Ausfuhrvertrag geschlossen wurde oder der Vertragspartner nicht für sich selbst handelt, als Ausführer gilt, wer über die Ausfuhr tatsächlich bestimmt. 33 BGH NJW 1992, 3114 (3115); Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 25; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 3; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 37; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 60; a. A. aber Hohmann/John-John, § 34 AWG Rn. 44 ff.; Holthausen, NStZ 1993, 568 (570 ff.); Lübbig, S. 119 f. 34 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 37. – Der Täter muss natürlich wissen bzw. billigend in Kauf nehmen, dass keine Genehmigung vorliegt. 35 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Beckemper, IV 4 Rn. 29; Esser/Rübenstahl/Saliger/ Tsambikakis-Nestler, § 22a KrWaffG Rn. 7; Holthausen, NStZ 1993, 568 ff.; Holthausen/ Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (201 f.); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 24; Steindorf-Heinrich, § 22a KWKG Rn. 39.
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Anderer Ansicht zufolge soll hingegen ein Allgemeindelikt vorliegen, sodass als Täter auch derjenige in Betracht kommt, der nicht selbst eine Genehmigung einholen muss.36 Allerdings regelt die Vorschrift des § 5 Abs. 1 KrWaffG explizit, dass einer Genehmigung nicht bedarf, wer unter der Aufsicht oder als Beschäftigter eines anderen tätig wird. Aus dieser Regelung kann daher geschlossen werden, dass die genannten Personen nicht Täter, sondern lediglich Teilnehmer einer Straftat nach § 22a Abs. 1 KrWaffG sein können und nur der Genehmigungspflichtige – d. h. der Betriebsinhaber37 bzw. der „Geschäftsherr“ – Täterqualität aufweisen kann.38 Anders als die genehmigungsabhängigen Strafnormen des AWG, die eine vergleichbare Regelung nicht enthalten, stellt § 22a Abs. 1 KrWaffG mithin ein Sonderdelikt dar.39 Fall 5: Der angestellte Fahrer F eines Betriebes, welcher Trommeln für Maschinenkanonen40 herstellt, befördert zehn Trommeln vom Stammbetrieb zu einem in einem anderen Bundesland befindlichen Lager, wobei er weiß, dass (noch) keine Genehmigung für diese Beförderung existiert. F geht davon aus, sich durch die genehmigungslose Beförderung strafbar zu machen, sieht aufgrund des hohen Zeitdrucks aber keine andere Möglichkeit, als schon „vorzuarbeiten“. Der Betriebsinhaber hat keine Kenntnis vom Vorgehen des F. Die Handlung des F stellt ein Befördern i. S. d. § 22a Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 KrWaffG dar, denn er übt die tatsächliche Gewalt i. S. d. § 3 Abs. 2 KrWaffG über die Kriegswaffen aus. Indes hat F als Angestellter nicht die erforderliche Täterqualität inne.41 Sein (umgekehrter) Irrtum betrifft die rechtlichen Konsequenzen eines ansonsten zutreffend erfassten tatsächlichen Sachverhalts, nämlich seine Tätigkeit als angestellter Fahrer, was in Fall 5 nur ein strafloses Wahndelikt zur Folge hat. Eine Teilnahmehandlung ist mangels Haupttat ebenfalls nicht gegeben. Ein untauglicher Versuch würde dagegen dann vorliegen, wenn sich der Beförderer fälschlicherweise für den Betriebsinhaber oder Geschäftsherren halten würde. Ein solcher Irrtum erscheint allerdings kaum wahrscheinlich. 36
Bieneck-Pathe/Wagner, § 34 Rn. 41; Epping, RIW 1991, 461 (464). Dieser kann eine natürliche oder juristische Person sein, wobei im letzteren Fall § 14 StGB der Bestimmung des Täters dient, der regelmäßig nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB das vertretungsberechtigte Organ oder nach § 14 Abs. 2 StGB der ausdrücklich Beauftragte sein wird. Die Genehmigungspflicht ist ein „besonderes persönliches Merkmal“ i. S. des § 14 StGB sowie des § 28 StGB; vgl. dazu Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 25 sowie Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 142 ff.; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Pottmeyer, 38. EL, § 22a KWKG Rn. 15 ff. 38 Vgl. BT-Drucks. 11/4609, S. 7. 39 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 22a KrWaffG Rn. 7; Holthausen, NStZ 1993, 568; Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (203); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 24; so im Ergebnis auch Pottmeyer, § 5 KrWaffG Rn. 3, § 22a KrWaffG Rn. 142 sowie Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Pottmeyer, 38. EL, § 22a KWKG Rn. 15 ff. – Diese unterschiedliche Handhabung wird zu Recht kritisiert; vgl. nur Holthausen, NStZ 1993, 568 ff. 40 Position Nr. 36 der KWL. 41 Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 49. 37
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Besonders uneinig ist man sich bei der Einordnung als Allgemein- oder Sonderdelikt, soweit die Tathandlung von bestimmten öffentlich-rechtlichen Vorgaben im Einzelfall abhängt.42 Beispielsweise machen manche Tatbestände des § 18 AWG i. V. m. der AWV bzw. der Dual-Use-VO die Genehmigungsbedürftigkeit von der Kenntnis oder der Unterrichtung des formellen Ausführers von einem bestimmten Verwendungszweck bzw. Bestimmungsland abhängig (sog. Catch-All-Klauseln). Die Strafbarkeiten gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 1 AWV und § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO erfordern etwa, dass der formelle Ausführer von der zuständigen Behörde über einen bestimmten Verwendungszweck der Güter informiert und die Ausfuhr trotzdem ohne Genehmigung vorgenommen wurde. Streitig ist in diesem Fall, ob Täter nur der Ausführer i. S. d. § 2 Abs. 2 AWG bzw. Art. 2 Nr. 3 Dual-Use-VO sein kann, an den die Unterrichtung gerichtet ist, also ob ein Sonderdelikt vorliegt, oder aber jeder, der i. S. der Tatherrschaftslehre den Ausfuhrvorgang tatsächlich oder rechtlich kontrolliert, als Täter in Frage kommt, sofern der Ausführer unterrichtet wurde. Teilweise wird hier zwischen den Straftatbeständen i. V. m. der AWV und denen i. V. m. der Dual-Use-VO unterschieden. Wagner beispielsweise nimmt bei der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ohne Genehmigung nach § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO ein Allgemeindelikt an, während bei § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 1 AWV ein Sonderdelikt vorliegen soll, das nur vom formellen Ausführer begangen werden kann.43 Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei einem Verstoß gegen § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO ebenfalls nur um ein Allgemeindelikt.44 Beim früheren Rechtszustand habe allein der Wortlaut des § 70 Abs. 5a Satz 1 Nr. 2 AWV a. F. für die Tathandlung vorausgesetzt, dass jemand ohne Genehmigung nach Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO Güter ausführt, obwohl „er“ von der zuständigen Behörde entsprechend unterrichtet worden ist.45 § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG enthalte eine solche Verknüpfung indes nicht mehr, sodass nunmehr jeder Täter sein könne. Von der Gegenauffassung wird hiergegen vorgebracht, dass die in § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG hineinzulesende Ausfüllungsnorm des Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO sich nur an den formellen Ausführer richte.46 Dem ist aber zu widersprechen: Der (zusammengelesene) Tatbestand des § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO knüpft lediglich an den Realakt der Ausfuhr an. Der in Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO verwendete Begriff der „Ausfuhr“ umfasst ausweislich der Definition in Art. 2 Nr. 2 lit. a Dual-Use-VO i. V. m. Art. 269 des 42
Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 38. Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 58 und § 18 AWG Rn. 68. 44 BGH NStZ 2016, 733 (735). 45 BGH NStZ 2016, 733 (735); vgl. zur alten Rechtslage Bieneck-Bieneck, § 29 Rn. 69. 46 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 85; Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, Vor §§ 17 – 20 AWG Rn. 62; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 38; Nestler, NStZ 2016, 738. 43
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Zollkodex der Union jede Lieferung von Gütern aus der EU in ein Drittland47, sodass Täter grundsätzlich jeder an der Ausfuhr Beteiligte sein kann.48 Der Begriff des „Ausführers“ wird in Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO hingegen nur im Zusammenhang mit der Unterrichtung verwendet. Gleiches muss aber auch bei § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 1 AWV gelten; auch hier ist der Begriff „Ausführer“ nur in Bezug auf die Unterrichtung durch die Behörde von Bedeutung, wohingegen es laut Tatbestandsformulierung für die Strafbarkeit bloß auf die tatsächliche Ausfuhrhandlung ankommt.49 Beim Täter des Verstoßes gegen eine durch Unterrichtung durch die Behörde begründete Genehmigungspflicht ist allerdings Vorsatz hinsichtlich der Unterrichtung des Ausführers zu fordern.50 Eine täterschaftliche Begehung kommt daher mangels Vorliegens eines Sonderdelikts in Betracht, „wenn nach Unterrichtung des (ursprünglichen) Ausführers die Güter zur Umgehung der Exportkontrolle durch einen vorsätzlich handelnden Dritten exportiert werden, ohne dass dessen nochmalige Unterrichtung erforderlich wäre“.51 Dagegen stellen diejenigen Straftatbestände des AWG – ebenfalls Catch-AllKlauseln – Sonderdelikte dar, die auf die durch Kenntnis des Ausführers von einem sensiblen Verwendungszweck und ggf. von einem bestimmten Empfängerland bei nicht gelisteten Gütern entstandene Unterrichtungspflicht an die zuständige Behörde abstellen.52 Dieser steht dann die Entscheidung zu, ob die Ausfuhr genehmigungspflichtig ist; die Güter dürfen erst ausgeführt werden, wenn die Ausfuhr genehmigt oder aber entschieden wurde, dass es einer Genehmigung nicht bedarf, siehe § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV und § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Dual-Use-VO. Schon der Wortlaut der Ausfüllungsvorschriften („Ist dem Ausführer bekannt, dass Güter, die er [Hervorhebung durch Verf.] ausführen möchte“) weist darauf hin, dass diese Delikte nur vom bei Kenntnis meldepflichtigen formellen Ausführer i. S. d. § 2 Abs. 2 AWG bzw. Art. 2 Abs. 3 Dual-Use-VO begangen werden können. Haben andere Personen als der formelle Ausführer Kenntnis vom sensiblen Verwendungszweck, können sie sich nur wegen Anstiftung bzw. Beihilfe strafbar machen, wenn der Ausführer ebenfalls Kenntnis
47 Unter einem Drittland sind gem. § 2 Abs. 8 AWG die Gebiete außerhalb der EU mit Ausnahme von Helgoland (welches zwar zum Staatsgebiet der BRD, nicht jedoch zum Zollgebiet der EU gehört) zu verstehen. 48 BGH NStZ 2016, 733 (735); Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 25, 61; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 58; Wolffgang/ Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 29. 49 Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 25; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 29. 50 Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 29; siehe dazu auch noch D. III. 4. 51 Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 29. 52 BGHSt 55, 94 (98 f.); BGH NStZ 2016, 733 (735); Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/ Kirch-Heim, III 4 Rn. 85; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 30; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 76 und 133.
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des sensiblen Verwendungszwecks hat und daher meldepflichtig ist.53 Eine Genehmigungspflicht, gegen die verstoßen werden kann, entsteht dagegen erst gar nicht, wenn der Ausführer gutgläubig ist. § 18 Abs. 5 Satz 3 AWG bestimmt allerdings, dass in den Fällen des § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AWG dem Ausführer eine Person gleichsteht, die die Ausfuhr durch einen anderen begeht, wenn die Person die tatbestandsmäßige Verwendungsbestimmung kennt. Dadurch wird – zumindest für den Bereich der Dual-Use-VO, denn eine für den Bereich der AWV entsprechende Regelung existiert nicht – eine Strafbarkeitslücke für Handlungen in mittelbarer Täterschaft geschlossen, indem z. B. ein ausländischer Beschaffer, der sich bei seiner Tat durch bewusste Verschleierung des tatsächlichen Verwendungszwecks eines gutgläubigen inländischen Ausführers als Werkzeug bedient, nach der gesetzlichen Fiktion des § 18 Abs. 5 Satz 3 AWG als Ausführer gilt und sich nach § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AWG strafbar machen kann.54 Irrtümer kommen hier vor allem im Bereich der Teilnahme vor; an dieser Stelle sei ein Vorgriff zu den noch getrennt zu erörternden Irrtümern bei Teilnahmekonstellationen gestattet. Fall 6: Der formelle Ausführer F möchte mit seinem Unternehmen Bauteile für Industrieanlagen nach Israel ausführen. Dafür lässt er sich vom externen Dienstleister D beraten, der in Kontakt mit dem potentiellen Vertragspartner des F in Israel tritt und dabei erfährt, dass die (im Anhang der Dual-Use-VO nicht gelisteten) Bauteile zum Einbau in eine Anlage für kerntechnische Zwecke i. S. des § 9 Abs. 1 AWV bestimmt sind. D geht davon aus, dass F dies weiß und unterstützt diesen bei der Abwicklung des Geschäfts. Die Ware wird nach Israel ausgeführt, wobei allerdings entgegen § 9 Abs. 2 AWV keine vorherige Unterrichtung an das BAFA erfolgt ist. Tatsächlich hatte F keine Kenntnis vom sensiblen Verwendungszweck. Fall 7: Wie Fall 6, nur dass D hier in umgekehrter Weise irrtümlich davon ausgeht, dass F keine Kenntnis des sensiblen Verwendungszwecks hat; eine solche liegt aber tatsächlich seitens des F vor. Außerdem hat F erst – was D ebenfalls nicht weiß – durch die beratende Tätigkeit des D seinen Entschluss zur Ausfuhr gefasst. D ist an seiner stattlichen Provision interessiert und es kommt ihm sehr gelegen, die vermeintliche Gutgläubigkeit des F auszunutzen. Fall 8: Der indische Einkäufer E möchte von einem deutschen Konzern bestimmte Güter für sein in Indien befindliches Unternehmen beschaffen, die zwar nicht im Anhang der Dual-Use-VO gelistet sind, die jedoch, wie von E geplant, neben ihrer zivilen Nutzbarkeit für die Wartung von Kernwaffen verwendet werden können. Dies erfährt die formelle Ausführerin A des deutschen Konzerns allerdings nicht, der E wahrheitswidrig vom Einsatz der Güter für die Wartung von Zapfanlagen berichtet. A führt die Güter nach Indien aus. E, der sich vorher etwas über die deutsche 53 Ehlers/Wolffgang-Morweiser, S. 235; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 135; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 28. 54 Ehlers/Wolffgang-Morweiser, S. 235; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 135; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 28. – Ein neuer Genehmigungstatbestand wird dadurch allerdings nicht geschaffen.
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Rechtslage informiert hat, geht davon aus, nach deutschem Recht straflos zu sein, da A keine Kenntnis des Verwendungszwecks i. S. d. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Dual-Use-VO hat und daher mangels Entstehung einer Genehmigungspflicht auch kein Verstoß gegen eine solche vorliegen könne. In Fall 6 irrt sich D hinsichtlich des Vorliegens der Kenntnis des F vom sensiblen Bestimmungszweck der auszuführenden Güter, d. h. über einen tatsächlichen Umstand, bei dessen Vorliegen eine Strafbarkeit gegeben wäre. Da bei F mangels Kenntnis keine Meldepflicht entstanden ist, die Sonderdeliktseigenschaft in diesem Fall daher nicht vorliegt und F nicht Täter des § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV sein kann, entfällt eine strafbare Teilnahme des D; eine lediglich versuchte Beihilfe ist nach den allgemeinen Regeln nicht strafbar.55 Bei Fall 7 hingegen irrt D darüber, dass seitens des F unvorsätzliches Verhalten vorliegt, mithin über sein eigenes Tätigwerden als mittelbarer Täter. Diese Konstellation, dass der „Hintermann“ objektiv gesehen den Tatentschluss des Tatausführenden hervorgerufen, entgegen seiner Annahme aber keine Tatherrschaft hat, wird unterschiedlich beurteilt: Von der wohl h. M. wird angenommen, der Vorsatz des Hintermannes zur Täterschaft umfasse auch den Vorsatz zur Anstiftung, weshalb eine vollendete Anstiftung zur Haupttat vorliegen soll.56 Dagegen ist jedoch mit der Gegenauffassung – die stattdessen eine versuchte mittelbare Täterschaft bejaht – einzuwenden, dass der vermeintliche mittelbare Täter ja gerade nicht den Ausführenden zu dessen vorsätzlicher Tat bestimmen, sondern vielmehr die Tat durch einen anderen begehen wollte.57 Allerdings ist wegen des Sonderdeliktscharakters des § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV in Fall 7 eine mittelbare Täterschaft gar nicht möglich und daher auch kein Versuch einer solchen denkbar. Vielmehr ist vorliegend nur ein Wahndelikt gegeben. In Fall 8 wiederum unterliegt E einem Irrtum dahingehend, dass er nicht um die Fiktion des § 18 Abs. 5 Satz 3 AWG weiß, die ihn einem Ausführer gleichsetzt; denn er hat Kenntnis des sensiblen Verwendungszwecks und bedient sich des A als gutgläubigem Werkzeug, begeht die ungenehmigte Ausfuhr nach § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG also als mittelbarer Täter durch A. Es Irrtum ist hier unbeachtlich. Im Bereich von Embargovorschriften wird ebenfalls teilweise die Anknüpfung einer Tat an besondere persönliche Eigenschaften verlangt.58 Täter einer strafbaren Verfügung über eingefrorene Gelder nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. b AWG soll beispielsweise nur derjenige sein können, der auch tatsächlich Inhaber des entspre55
Sch/Sch-Heine/Weißer, § 27 Rn. 40. Jescheck/Weigend, AT, § 62 III 1; Kühl, AT, § 20 Rn. 86; Lackner/Kühl-Kühl, § 25 Rn. 5; Roxin, Täterschaft, S. 300 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12 Rn. 29. 57 Küper, Roxin-FS 2011, Bd. 2, S. 895 (909 f.); Sch/Sch-Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. Rn. 76; SK-StGB-Hoyer, § 25 Rn. 145; vgl. zur Problematik auch Kudlich, JuS 2003, 755 (756 f.). 58 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 85; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 59. 56
C. Irrtümer über die Tauglichkeit als Tatsubjekt
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chenden Kontos oder Verfügungsberechtigter der entsprechenden Werte ist, sodass Mitarbeiter der kontoführenden Bank, die entgegen existierenden Embargobestimmungen eine Transaktion auf Geheiß des Verfügungsberechtigten ausführen, mangels dieser persönlichen Eigenschaft nur als Gehilfen oder ggf. Anstifter in Betracht kommen sollen.59 Damit würde hier ein Irrtum über die Tauglichkeit als Tatsubjekt vorliegen, wenn der Bankmitarbeiter davon ausgeht, selbst als (Mit-)Täter gegen das Verfügungsverbot zu verstoßen.60 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Beschränkungen bezüglich der Verfügung von Geldern im Interesse des Embargos dazu dienen sollen, die Betroffenen in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einzuschränken.61 So ist auch etwa nach Art. 1 lit. k der Iran-Embargo-VO62 unter dem Einfrieren von Geldern „die Verhinderung jeglicher Form der Bewegung, des Transfers, der Veränderung und der Verwendung von Geldern sowie des Zugangs zu ihnen oder ihres Einsatzes, durch den das Volumen, die Höhe, die Belegenheit, das Eigentum, der Besitz, die Eigenschaften oder die Zweckbestimmung der Gelder verändert oder sonstige Veränderungen bewirkt werden, die eine Nutzung der Gelder einschließlich der Vermögensverwaltung ermöglichen“,
zu verstehen. Daher ist als Normadressat vielmehr jeder anzusehen, der über die eingefrorenen Gelder etc. „verfügt“, worunter jegliche Form der Übertragung, Verwendung, der Überlassung der Gelder oder der Ermöglichung des Zugangs zu den Geldern zu verstehen ist;63 dies können etwa die Bank oder das Finanzinstitut, bei der eine von der Embargoverordnung erfasste Person ein eingefrorenes Konto unterhält, oder die Person sein, die Vermögenswerte der vom Embargo betroffenen Person oder Unternehmens verwaltet.64 Ein Irrtum über die (Un-)Tauglichkeit als Tatsubjekt ist daher mangels Sonderdeliktseigenschaft unbeachtlich; die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme erfolgt nach allgemeinen Kriterien.65
59
Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 85; Bieneck-Bieneck, § 30 Rn. 67; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 59. 60 Dafür müssen selbstverständlich noch die weiteren Voraussetzungen für eine Täterschaft vorliegen. 61 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 83. 62 VO (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. 3. 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran, ABl. EU Nr. L 88 vom 24. 3. 2012, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1010 des Rates vom 27. 6. 2022, ABl. EU Nr. L 170 vom 28. 6. 2022, S. 17. 63 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 85. 64 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 43; vgl. auch Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 31. 65 Siehe dazu noch G.
264
Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt Sowohl bei §§ 17, 18 AWG als auch im Rahmen des § 22a KrWaffG knüpft die Strafbarkeit an eine bestimmte Eigenschaft bzw. Verwendungsmöglichkeit des Tatobjekts an, beispielsweise als Rüstungsgut, Folterinstrument, Dual-Use-Gut oder Kriegswaffe. Im Fall der Ein- oder Ausfuhr etc. von Waren muss der Täter wissen oder für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass der betreffende Gegenstand ein solches Gut i. S. der jeweiligen Liste darstellt66 oder ihm eine bestimmte Verwendungsmöglichkeit innewohnt. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass der Irrtum über die Eigenschaft des Tatobjekts zu trennen ist vom Irrtum über die Genehmigungspflicht im Umgang mit dem Tatobjekt; denn irrt der Täter beispielsweise über die Eigenschaft als Rüstungsgut, wird er schon gar nicht von der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Ausfuhrgenehmigung oder vom Verbot der Ausfuhr ausgehen.67
I. Irrtum über die tatsächliche Beschaffenheit des Gegenstands Unproblematisch ist zunächst der Fall, in dem der Täter im konkreten Fall über die tatsächliche Beschaffenheit der ausgeführten Ware oder der weitergegebenen Technologie irrt und daher nicht weiß, dass er mit einem Rüstungsgut, einer Kriegswaffe etc. umgeht. Dieser Irrtum im tatsächlichen Bereich stellt nach allgemeiner Auffassung einen vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum dar. Ein solcher ist auch gegeben, wenn irrtümlich angenommen wird, die Eigenschaft als Rüstungsgut oder Kriegswaffe habe noch nicht begonnen oder liege nicht mehr vor, weil der Täter irrigerweise von einem Sachverhalt ausgeht, bei dem z. B. die Kriegswaffeneigenschaft tatsächlich noch nicht vorhanden ist oder bereits beendet wurde.68 Gleiches gilt auch beispielsweise beim tatsächlichen Irrtum über die Verwendungsmöglichkeit eines Guts bei § 18 Abs. 4 AWG i. V. m. der Anti-Folter-VO. Fall 9: Das Lkw-Produktionsunternehmen P stellt sowohl Fahrzeuge mit gepanzerten Kraftstoffstanks und Fahrzeugkabinen als auch gewöhnliche, ungepanzerte Fahrzeuge her. Bei einer konkreten Ausfuhr einer Lkw-Charge, die der Ausfuhrverantwortliche V von P vornimmt, geht V aufgrund von Unkenntnis der vorgenommenen Panzerungen an dieser Lkw-Charge davon aus, gewöhnliche Lkws auszuführen und hat daher keine Genehmigung eingeholt; tatsächlich handelt es sich aber um Fahrzeuge mit gepanzerten Kraftstofftanks und Fahrzeugkabinen.69
66
Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 70; Müko-StGBHeinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20, 29. 68 Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 84. 69 Position 0006 lit. a Anmerkung 1 lit. b, Anmerkung 2 lit. b der AL zur AWV. 67
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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Fall 10: Der hobbymäßig Waffenbegeisterte W geht beim Erwerb eines Raketentriebwerks70 fälschlicherweise davon aus, dieses sei unbrauchbar gemacht worden, und holt deshalb keine Genehmigung ein. Fall 11: Zwischenhändler Z führt hermetisch verschließbare Kammern, hergestellt aus Stahl, in die tödliche Gase eingebracht werden können, nach Deutschland ein. Diese Kammern sollen, wie von Z vorgesehen, für die Tötung durch Vergasung von Schweinen verwendet werden, tatsächlich jedoch sind sie konstruiert zur Hinrichtung von Menschen, was sich unter anderem in der Form der Kammern bemerkbar macht.71 Z, der nur als Zwischenhändler agiert, hat die Kammern selbst nicht gesehen und daher keine Kenntnis von deren Bauweise. In Fall 9 wird durch V die tatsächliche Beschaffenheit der Waren verkannt, weshalb unstreitig ein Tatumstandsirrtum vorliegt und eine Vorsatzstrafbarkeit nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG i. V. m. § 8 Abs. 1 AWV nicht gegeben ist;72 es kommt aber eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 AWG in Betracht, wenn V bei gehöriger Sorgfalt seinen Irrtum hätte erkennen können (davon ist hier auszugehen). Auch bei Fall 10 ist kein vorsätzliches Handeln nach § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffG gegeben, da W dem tatsächlichen Irrtum unterliegt, das Triebwerk sei nicht mehr als Kriegswaffe brauchbar. Allerdings bleibt ebenfalls eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 22a Abs. 4 KrWaffG zu prüfen. In Fall 11 handelt es sich ebenfalls um einen Irrtum über ein tatsächliches Merkmal, nämlich über die Bauweise der Kammern, und damit um einen Tatumstandsirrtum. Als Zwischenhändler hat Z die Kammern selbst nicht gesehen und deren tatsächliche Konstruktionsmerkmale daher auch nicht wahrgenommen; es bleibt aber eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 19 AWG zu prüfen. Würde Z hingegen bei Kenntnis der objektiven Konstruktionsmerkmale der Kammern lediglich nicht den Schluss ziehen, dass die Kammern konstruiert sind zur Hinrichtung von Menschen, handelte es sich bloß um einen (wohl vermeidbaren) Verbotsirrtum – dazu die folgenden Ausführungen.73
II. Irrtum über die rechtliche Einordnung des Gegenstands Auch wenn der Täter die tatsächliche Beschaffenheit des betreffenden Guts erkennt, kann er sich über dessen rechtliche Einordnung als Rüstungsgut, Dual-UseGut, Kriegswaffe etc. irren. Bei der Behandlung des Irrtums können sich allerdings möglicherweise Unterschiede je nach Ausgestaltung des Tatbestands ergeben.
70
Position 12 der KWL. Gem. Nr. 1.3 des Anhangs II der Liste zur Anti-Folter-VO. 72 Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 53; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 51; Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 82. 73 Vgl. Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 49. 71
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
1. §§ 17, 18 AWG Die §§ 17, 18 AWG sind im Hinblick auf das Tatobjekt als Listenblankette ausgestaltet, indem sie auf die Ausfuhrliste zur AWV und Anlagen zu EU-Verordnungen Bezug nehmen, in denen die jeweiligen Güter aufgelistet sind.74 Es ist nun fraglich, wie es sich auf den Vorsatz des Täters auswirkt, wenn dieser zwar zutreffende Kenntnis hinsichtlich der tatsächlichen Beschaffenheit des Rüstungsguts, Folterguts oder Dual-Use-Guts hat, daraus aber nicht den Schluss zieht, es handele sich um einen solchen Gegenstand i. S. des einschlägigen Straftatbestands. Fall 12: Unternehmerin U stellt Bestandteile für Zapfanlagen her, darunter einfache Edelstahlventile, die in gastronomischen Betrieben zum Einsatz kommen, und exportiert diese in die USA. Tatsächlich unterfallen die Edelstahlventile dem Anhang 1 Kategorie 2 der Dual-Use-VO, wo unter der Position Nummer 2B350 lit. g Nr. 1 „Ventile und Bestandteile wie folgt [aufgelistet sind]: 1. Ventile mit den beiden folgenden Eigenschaften a. ,Nennweite‘ größer als DN 10 oder NPS 3/8 und b. alle medienberührenden Flächen bestehen aus ,korrosionsbeständigen Werkstoffen oder Materialien‘“. U weiß zwar um die Nennweite und die Korrosionsbeständigkeit ihrer Edelstahlventile, es kommt ihr aber nicht in den Sinn, dass es sich hierbei um DualUse-Güter i. S. v. § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Var. 1 AWG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 DualUse-VO handelt, und entsprechend holt sie auch keine Genehmigung für die Ausfuhr ein. Bei diesem Irrtum über die rechtliche Einordnung des Gegenstands handelt es sich um einen klassischen Subsumtionsirrtum i. S. e. Verbotsirrtums, weil U aufgrund fehlerhafter Auslegung eines Tatbestandsmerkmals nicht weiß, dass sie mit ihrer Handlung gegen ein mit Strafe bedrohtes rechtliches Verbot verstößt.75 Auch wenn dies praktisch nicht immer von der vorhergehenden Konstellation zu unterscheiden sein wird, ist der Fall der Unkenntnis der Listung differenziert zu betrachten. Hier geht es genaugenommen nicht um eine „Fehlinterpretation“ des Gegenstands, sondern um die reine Nichtkenntnis der Auflistung des Gegenstands im Anhang einer Verordnung i. V. m. §§ 17, 18 AWG. Fall 13: Der in seiner Freizeit dem Luftsport zugeneigte L beschließt, sein Hobby zum Beruf zu machen und sich von nun an dem Verkauf von Gleitschirmen, auch Paragleiter76 genannt, zu widmen. Durch freundschaftliche Verbindungen nach Brasilien und das dort aufkeimende Interesse an Luftsport beliefert er zunächst dieses Land mit seinen Gleitschirmen. Weil Gleitschirme in der Welt des L nur Hobbyzwecken dienen, fällt er aus allen Wolken, als sein Onkel, ein Jurist, ihm erklärt, er habe ungenehmigt Rüstungsgüter ausgeführt und somit eine Straftat begangen. L 74
Siehe dazu bereits Kapitel 1 B. II. und Kapitel 2 A. IV. Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 17 Rn. 35 f.; NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 49. – Dabei ist dieser Irrtum über die rechtliche Einordnung eines Gegenstandes dem Irrtum über eine mögliche Genehmigungspflicht auch vorgelagert. 76 Position 0010 lit. h Nr. 2 der AL zur AWV. 75
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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beruft sich darauf, bei der Ausfuhr nicht gewusst zu haben, dass Paragleiter als Rüstungsgüter in der Ausfuhrliste zur AWV gelistet sind. L hat hier vorsätzlich gehandelt, da er wissentlich Gleitschirme ausgeführt hat und auch wusste, dass er keine Genehmigung dafür besitzt.77 Bei Listenblanketten begründet die Unkenntnis der Listung von Gütern lediglich einen Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB. Dies ergibt sich – kurzgefasst – einerseits „technisch“ durch die Technik des Zusammenlesens, nach der auf den so gebildeten Gesamttatbestand die allgemeinen Irrtumsregeln anzuwenden sind,78 und aus dogmatischer Sicht daraus, dass es sich bei der Unkenntnis einer Listung letztendlich um die Unkenntnis eines Verbots handelt. Wie bereits in Kapitel 4 gesehen, dient die Forderung nach einer „Appellfunktion des Tatbestands“, ohne die man niemand den Vorwurf vorsätzlichen Handelns machen könne, im Nebenstrafrecht letztendlich vor allem als Begründung eines möglichst weiten Anwendungsbereichs für den Tatumstandsirrtum. Als unzutreffend wurde bereits der Einwand abgetan, in bestimmten Situationen, die das Nebenstrafrecht umfasst, könne der Täter ohne Verbotskenntnis keinen Unrechtsappell empfangen. Der Radbruchsche Ausspruch, dass gewisse Handlungen nicht dadurch Unrecht werden, dass sie verboten werden, sondern umgekehrt verboten werden, gerade weil sie Unrecht darstellen,79 hat auch in der heutigen Zeit mit der erfolgten starken Erweiterung des Nebenstrafrechts noch seine Berechtigung. Die Straftatbestände des AWG dienen dem Schutz der Rechtsgüter des übergeordneten Interesses des Gemeinwohls und des Staatsschutzes, die durch den Handel mit (potentiellen) Rüstungsgütern gefährdet werden könnten.80 Dem soll i. S. e. modernen Strafrechts präventiv entgegengewirkt werden, was die mitunter als (zu) hart erscheinenden strafrechtlichen Konsequenzen i. S. der Annahme vorsätzlichen Handelns erklärt.81 In Fall 13 könnte jedoch noch die (Un-)Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums diskutiert werden. Überträgt man, wie teilweise in der Literatur vorgeschlagen,82 den Fahrlässigkeitsmaßstab auf das Kriterium der Vermeidbarkeit, muss danach gefragt werden, was ein „besonnener und gewissenhafter Mensch in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden“ bei einer ex-ante-Betrachtung für Anforderungen erfüllen müsste, wobei dies nach dem Lebens- und Berufskreis des Täters zu beurteilen ist.83 Jemandem, der wie L hauptberuflich gewisse Güter exportieren möchte, sind Erkundigungspflichten durchaus zuzumuten. Jedoch ist zu berück77
Zum Irrtum im Zusammenhang mit Genehmigungspflichten siehe noch E. IV. 2. Siehe dazu Kapitel 4 H. II. 2. 79 Radbruch, SJZ 1947, Sp. 633 (634). 80 Siehe dazu Kapitel 1 A. 81 Siehe dazu Einleitung D. und Kapitel 4 I. II. 5. a). 82 Andrzejewski, S. 206 f.; KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 7; Lackner/Kühl-Kühl, § 17 Rn. 7; LK-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 StGB Rn. 37 ff.; Müko-StGB-Duttge, 4. Aufl., § 15 StGB Rn. 27; Schuster, S. 154; siehe auch Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 45. 83 BGH NJW 2000, 2754 (2758); BGH NStZ 2005, 446 (447). 78
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
sichtigen, dass es sich im konkreten Fall bei den Paragleitern um Güter handelt, die typischerweise auch im Hobbybereich zum Einsatz kommen. Ein Anlass zur Erkundigung, ob es sich bei den Paragleitern um Rüstungsgüter handelt und damit spezielle Pflichten einhergehen, kann für jemand, der in seinem Lebens- und Berufskreis keinerlei Berührungspunkte mit der Rüstungsindustrie hat, nur bei entsprechenden Hinweisen von der Stelle bzw. von dem Händler, von dem er die Paragleiter bezieht, angenommen werden. Ist dies nicht gegeben, ist von der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums auszugehen. 2. § 22a KrWaffG Auch bei § 22a Abs. 1 KrWaffG, in dessen einzelnen Tatbestandständen explizit der Begriff der Kriegswaffe verwendet wird – anders als bei den Straftatbeständen des AWG ohne Verweis auf die die Kriegswaffen aufzählende Anlage –, stellt sich die Frage, ob hinsichtlich der Eigenschaft des Guts eine bloße Tatsachenkenntnis ausreicht oder der Täter den jeweiligen Gegenstand auch rechtlich zutreffend als dem KrWaffG unterfallend einordnen muss. Dieser Unterscheidung kommt beispielsweise dann Bedeutung zu, wenn der Täter nicht weiß, dass bestimmten Teilen einer Waffe, etwa dem Triebwerk eines Kampfflugzeugs84 oder dem Zünder einer Kampfdrohne,85 selbst die Eigenschaft als Kriegswaffe zukommt. Aber auch generell kann sich der Täter bei anderen Gegenständen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick von jedem als Kriegswaffe eingestuft werden, über die Kategorisierung irren. So ist vielleicht nicht jedem klar, dass sog. Tender,86 also Versorgungsschiffe von Kriegsschiffen, als Kriegswaffe zu qualifizieren sind87 oder Dispenser zur systematischen Verteilung von Submunition88 auch ohne Munitionsinhalt eine Kriegswaffe darstellen.89 Ferner kann der Täter auch davon ausgehen, nur das die Munition abfeuernde Gerät, nicht aber die zum Gerät gehörende Munition stelle eine Kriegswaffe dar. Die Behandlung eines solchen Irrtums hängt hier in erster Linie von der Qualifizierung des Begriffs „Kriegswaffe“ ab, konkret davon, ob man ein normatives oder deskriptives Tatbestandsmerkmal oder gar ein Blankettmerkmal annimmt. Teilweise wird von einem normativen Tatbestandsmerkmal ausgegangen und verlangt, dass der Täter eine „Parallelwertung dahingehend vornimmt, dass die jeweiligen Gegenstände als Kriegswaffen zu qualifizieren sind“; ansonsten sei ein Tatumstandsirrtum
84
Position 12 der KWL. Position 57 der KWL. 86 Position 22 der KWL. 87 Vgl. Ziff. 20 der Erläuterungen zur KWL des Bundesministeriums für Finanzen. 88 Position 61 der KWL. 89 Vgl. Ziff. 52 der Erläuterungen zur KWL des Bundesministeriums für Finanzen. 85
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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gegeben.90 „Notwendig aber auch ausreichend“ soll dabei sein, dass der Täter „die technischen Merkmale des Gegenstandes und die damit einhergehenden Funktionsund Wirkungsweisen kennt“, d. h. im Sinne einer Parallelwertung eine „grobe Einschätzung der Gefährlichkeit des Gegenstandes bzw. der Eignung, Zerstörungen oder Schäden an Personen oder Sachen zu verursachen und als Mittel der Gewaltanwendung das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“, vornimmt bzw. die „daraus resultierenden Verwendungsmöglichkeit als Mittel der Kriegsführung“ erfasst.91 Teilweise wird auch noch darüber hinausgehend bei einem für Laien nicht eindeutig als Kriegswaffe einzustufenden Gegenstand, wie etwa einem Rohr oder einem Verschluss, für vorsätzliches Handeln gefordert, dass der Täter „positiv weiß oder es für möglich und wahrscheinlich hält, daß diese Tatobjekte dem KWKG92 unterfallen“.93 Gegen letzteres ist aber schon einzuwenden, dass sich schon gar nicht pauschal sagen lässt, welche Gegenstände ein Laie als Kriegswaffen einstufen würde und welche nicht – dies ist wohl eher sehr individuell. Nach Heinrich handelt es sich beim Begriff der Kriegswaffe um ein deskriptives Tatbestandsmerkmal; der Täter müsse daher nur „diejenigen technischen Eigenschaften einer Waffe oder eines wesentlichen Bestandteils sowie deren daraus resultierende Funktions- und Wirkungsweise als solche“ erkennen, die für die Einordnung als Kriegswaffe notwendig sind.94 Betreffe seine Handlung etwa ein Rohr oder den Verschluss eines Maschinengewehrs, müsse er auch wissen, dass es sich hierbei um Bestandteile eines Maschinengewehrs handelt.95 Habe er diese Kenntnis, ziehe daraus aber nicht den Schluss, dass es sich um eine Kriegswaffe handelt, d. h. erkenne der Täter den Gegenstand in seinen tatsächlichen Eigenschaften und irre sich bloß über die rechtliche Bewertung, soll daher ein Verbotsirrtum vorliegen.96 Von Puppe wiederum wird das Merkmal „Kriegswaffe“ als Blankettmerkmal eingeordnet; erst durch die Ergänzung der in der Kriegswaffenliste enthaltenen Aufzählung von Gegenständen erhalte § 22a Abs. 1 KrWaffG einen deskriptiven Sinn.97 Nach hier vertretener Auffassung ist der Begriff der Kriegswaffe als Blankettmerkmal anzusehen. Auf den ersten Blick erscheint dies zwar ungewöhnlich, denn man könnte meinen, das Merkmal „Kriegswaffe“ sei – ebenso wie z. B. der Begriff 90
Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 79; so auch Achenbach/Ransiek/Rönnau-Fehn/Fehn, IV 4 Rn. 74; Bieneck-Pathe/Wagner, § 44 Rn. 79; Fehn, Kriminalistik 2004, 635 (638); wohl auch Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (196). 91 Bieneck-Pathe/Wagner, § 44 Rn. 79; Hohmann/John-Pietsch, § 22a KrWaffG Rn. 38; Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 64. 92 Eine neben KrWaffG ebenfalls vorzufindende Abkürzung für das Kriegswaffenkontrollgesetz. 93 Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 66; so wohl auch Hohmann/John-Pietsch, § 22a KrWaffG Rn. 38 f. 94 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. 95 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. 96 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20. 97 Puppe, NStZ 1993, 595 f.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
„Mensch“ oder „Sache“ – schon aus sich heraus verständlich und damit ein deskriptives Merkmal. Allerdings besteht beim Merkmal „Kriegswaffe“ die Besonderheit, dass die Kriegswaffenliste abschließend definiert bzw. auflistet, was eine Kriegswaffe ist. Welche Gegenstände eine Kriegswaffe i. S. d. § 22a KrWaffG darstellen, erschließt sich folglich erst nach einem Blick in die Kriegswaffenliste. Bei § 22a Abs. 1 KrWaffG muss der Straftatbestand daher durch Zusammenlesen mit der Kriegswaffenliste gebildet werden, sodass der gebildete Gesamttatbestand dann den jeweils einschlägigen Gegenstand der Kriegswaffenliste enthält, z. B. „Wer Kampfpanzer ohne Genehmigung herstellt, wird bestraft.“ Das Merkmal „Kampfpanzer“ im genannten Beispiel und auch die anderen Gegenstände der Kriegswaffenliste wiederum sind dann allerdings als deskriptive Merkmale einzuordnen, da der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich. Daher ist auch Puppes Schlussfolgerung nicht zuzustimmen, aus der Einordnung als Blankettmerkmal ergebe sich das Erfordernis der Kenntnis des Täters dahingehend, dass der Gegenstand „i. S. des KWKG eine Kriegswaffe ist“.98 Der Irrtum über die rechtliche Einordnung eines deskriptiven Merkmals und auch der über die Listung eines Gegenstands überhaupt ist, wie bei den §§ 17, 18 AWG, nur ein Verbotsirrtum. Dies ergibt sich zwingend aus der Parallele zu §§ 17, 18 AWG, denn es ist nicht begründbar, bei jenen Vorschriften so zu verfahren, hier aber anders vorgehen zu wollen. Bei Blanketttatbeständen ist für die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm festzustellen, ob sie normativ oder deskriptiv sind. Das jeweilige Ausfüllungsmerkmal des Blankettmerkmals „Kriegswaffe“ ist, wie festgestellt, deskriptiv, weshalb dann mit Heinrich nur zu fordern ist, dass der Täter die technischen Merkmale des jeweiligen Gegenstands und die sich daraus ergebende Funktionsweise, die ihn zur Kriegswaffe machen, sowie dessen Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit, also die tatsächlichen Merkmale der Kriegswaffe kennt; ferner bei Teilen einer Kriegswaffe, dass es sich um Bestandteile einer solchen handelt. Fall 14: Der neue Hauseigentümer N findet beim Anlegen eines Blumenbeets in seinem Garten einige lange Metallrohre, weiß damit aber nichts anzufangen und verkauft sie dem örtlichen Schrotthändler. Tatsächlich sind diese Rohre Bestandteile von Maschinengewehren99, wovon N keinerlei Kenntnis hat. Fall 15: Wie bei Fall 14, nur diesmal erkennt N, der erst vor kurzem eine Dokumentation über Maschinengewehre gesehen hat, dass es sich bei den Rohren um Bestandteile von solchen handelt, die auch in einwandfreiem Zustand sind. Er schließt daraus jedoch nicht, dass es sich um Kriegswaffen handelt, denn er glaubt, nur vollständige Maschinengewehre, nicht aber „nur“ deren Rohre stellten Kriegswaffen dar. In Fall 15 hat N die tatsächlichen Eigenschaften der Gegenstände erkannt, nämlich dass die Rohre intakt sind und Bestandteile von Maschinengewehren sind. Sein Irrtum ist folglich nur (vermeidbarer) Subsumtionsirrtum i. S. d. § 17 StGB. In 98 99
Puppe, NStZ 1993, 595 (596). Position 34 der KWL.
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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Fall 14 dagegen weiß S nicht, dass es sich bei den Rohren um Bestandteile von Maschinengewehren handelt; für ihn könnten die Rohre ebenso gut Baumaterialien darstellen. Daher erkennt S hier gerade nicht die Funktions- und Wirkungsweise der Rohre, weshalb er auch keinen Vorsatz hinsichtlich des tatsächlichen Merkmals „Rohre für Maschinengewehre“ hat. Richtigerweise ebenfalls an dieser Stelle zu verorten ist der bereits an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit erwähnte Fall BGH NJW 1994, 61. Nach dem festgestellten Sachverhalt waren die angeklagte Krankenschwester und ihr mitangeklagter, an Flugzeugen interessierter Sohn von polnischen Offizieren darauf gebracht worden, gegen Provision ausgemusterte Kampfflugzeuge der polnischen Armee in der BRD zu verkaufen, wobei ihnen mitgeteilt wurde, dies sei seitens der polnischen Regierung genehmigt worden.100 Daraufhin kauften die Angeklagten eine MIG 21 in Polen, deren militärische Merkmale beseitigt worden waren, wobei das Triebwerk allerdings intakt geblieben war; im durch die Angeklagten aufgegebenen Inserat war daher von „flugbereit“ die Rede. Das Flugzeug sollte an einen Interessenten verkauft werden, der das Flugzeug angeblich als Museumsexemplar nach Italien weiterverbringen wollte, in Wahrheit aber als verdeckter Ermittler fungierte. Den Angeklagten war sowohl vom polnischen Zoll als auch vom vermeintlichen Kaufinteressenten erklärt worden, dass für die Verbringung der demilitarisierten MIG 21 über Deutschland nach Italien als bloße Durchfuhr keine Genehmigung erforderlich sei.101 Beim Grenzübergang nach Deutschland wurde der Weitertransport des beim deutschen Zoll angemeldeten zerlegten Flugzeugs verweigert, weil die Grenzbeamten den Transport für genehmigungsbedürftig hielten. Der BGH stellt bei seinen Ausführungen zum einschlägigen § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG zunächst darauf ab, dass trotz der Demilitarisierung des Flugzeuges das intakt gebliebene Triebwerk die Kriegswaffeneigenschaft i. S. der Kriegswaffenliste erfülle, und geht dann auf den Irrtum über das Genehmigungserfordernis ein.102 Bei den Verbrechenstatbeständen des KrWaffG sei ein solcher Irrtum Verbotsirrtum, denn der hiervon erfasste Umgang mit Kriegswaffen stelle „bereits aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit schweres Unrecht dar, das allenfalls durch Erteilung einer behördlichen Genehmigung im Wege der Rechtfertigung ausgeräumt werden“ könne; es handele sich nicht um „an sich sozialadäquates Verhalten, das seinen typischen Unwertgehalt erst aus dem Fehlen einer behördlichen Genehmigung herleitet.“103 Der (Verbots-)Irrtum über die Genehmigungspflicht sei „im Hinblick 100
BGH NJW 1994, 61. Diese Tatprovokation soll hier nach Ansicht des BGH nur im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein; zu einer „Verwirkung des Anspruches des Staates gegen den Bürger, daß dieser mit aller Sorgfalt ermittelt, was der Staat ihm erlaubt und was er ihm verbietet“ i. S. d. Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums Puppe, NStZ 1993, 594 (597). – Mittlerweile nähert sich die höchstrichterliche Rechtsprechung allerdings an eine Lösung über ein Verfahrenshindernis an; vgl. dazu Zeyher, NZWiSt 2022, 197 ff. 102 BGH NJW 1994, 61 (62). 103 BGH NJW 1994, 61 (62). 101
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
auf die Möglichkeit, qualifizierten Rechtsrat einzuholen“ auch regelmäßig vermeidbar.104 Die Ausführungen des BGH lassen jedoch keine klare Trennung zwischen den in Frage kommenden Irrtümern erkennen.105 Zunächst wäre nämlich auf einen Irrtum der Angeklagten über die Kriegswaffeneigenschaft einzugehen gewesen, weil sie davon ausgingen, mit einem Flugzeug zu handeln, bei dem alle militärischen Merkmale beseitigt worden waren. Der BGH tut dies bei seinen Hinweisen für die neue Hauptverhandlung indes nicht, sondern stellt bloß auf den Irrtum über das Genehmigungserfordernis ab. Puppe hingegen fordert in ihrer Urteilsanmerkung, die Angeklagten hätten „wissen müssen, daß das Triebwerk, mit dem sie handelten, […] i. S. des KWKG eine Kriegswaffe ist“, und sieht im Fehlen dieses Wissens einen Tatumstandsirrtum, weshalb die Angeklagten ihrer Auffassung nach freizusprechen gewesen wären.106 Nach hier vertretener Ansicht ist allerdings – vorausgesetzt, dass die Angeklagten um die Funktionsfähigkeit des Triebwerks wussten – lediglich ein Verbotsirrtum gegeben, wenn das intakte und funktionsfähige Triebwerk als solches erkannt und nur nicht der Schluss auf das Vorliegen einer Kriegswaffe gezogen wurde.
III. Weitere Irrtümer in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Auch weitere Irrtümer im Zusammenhang mit der Eigenschaft als Rüstungsgut, Kriegswaffe und Dual-Use-Gut sind denkbar, und zwar sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht. 1. Irrtum über Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit Da die Kriegswaffenliste grundsätzlich nur vollständige Kriegswaffen erfasst, sofern nicht einzelne Bestandteile „ausdrücklich oder erkennbar der Kontrolle unterworfen sind“107, kann sich auch ein Irrtum über die Vollständigkeit der Kriegswaffe ergeben. Der amtlichen Erläuterung zur KWL zufolge bedeutet Vollständigkeit „bei komplexen Waffen nicht das Vorhandensein aller typmäßig vorgesehenen Kampf- und Einsatzfähigkeiten; es genügt, wenn überhaupt schon ein militärischer Einsatz – ggf. nach leichter Herrichtung – möglich ist. Eine nur vorübergehende Unvollständigkeit hebt die Kriegswaffeneigenschaft selbst dann nicht auf, wenn die Waffe gebrauchsunfähig ist (z. B. während der Instandsetzung der Waffe, ggf. auch nur von Teilen)“.
104
BGH NJW 1994, 61 (62). Vgl. Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 20 Fn. 79. 106 Puppe, NStZ 1993, 595 (596 f.). 107 Ziff. 3 der Erläuterungen zur KWL des Bundesministeriums für Finanzen. 105
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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Vergleichbare Maßstäbe gelten hinsichtlich der Funktionsfähigkeit einer Kriegswaffe. Auch hier stellt sich die Frage, ob lediglich voll funktionsfähige Kriegswaffen von der KWL erfasst sind oder auch solche, die vorübergehend oder dauerhaft in ihrer Funktionsfähigkeit aufgehoben sind.108 Der h. M. zufolge fallen grundsätzlich nur vollständig funktionierende Kriegswaffen unter die KWL, weil funktionsunfähige Kriegswaffen schon keine Gefahr darstellen.109 Allerdings gilt auch hier, dass eine Waffe ihre Eigenschaft als Kriegswaffe „nicht schon dadurch [verliert], daß bei ihr Vorrichtungen eingebaut sind, die zwar ihre volle Funktionstüchtigkeit zunächst behindern, aber mit geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln von jedermann beseitigt werden können, der sich über die Möglichkeit dazu informiert“.110
Die Kriegswaffeneigenschaft entfällt erst bei andauernder und endgültiger Aufhebung der Funktionsfähigkeit der Waffe.111 Fall 16: Waffenhändler W verkauft an einen Privatmann ohne Genehmigung der zuständigen Behörde Schusswaffen, die ursprünglich als vollautomatische Waffen konstruiert worden waren, aber mit denen aufgrund einer von W nachträglich hinzugefügten besonderen Vorrichtung aktuell vor jedem einzelnen Schuss der Abzug betätigt werden muss, also kein Dauerfeuer mehr abgegeben werden kann.112 W geht davon aus, aufgrund der Umrüstung zu halbautomatischen Waffen die Eigenschaft als Kriegswaffe aufgehoben zu haben und deshalb keiner Genehmigung für den Verkauf zu benötigen. Die nunmehr halbautomatischen Schusswaffen sind allerdings mit „verhältnismäßig geringem Aufwand und verhältnismäßig einfachen Mitteln“ umzurüsten, sodass sie wieder Dauerfeuer abgeben: Es bedarf lediglich der Abflachung eines in der Waffe eingebauten Sicherungsbügels mittels einer Feile, um ihr die Funktion einer vollautomatischen Maschinenpistole i. S. des KWL zu geben.113 Diese Umrüstung kann auch durch jeden erfolgen, der Kenntnis der Funktion und des Umbaus der Waffe hat. Nach der h. M. ist die Eigenschaft der durch W verkauften Waffen als Kriegswaffen nicht entfallen. Vorliegend kennt Walle tatsächlichen Umstände und weiß nur aufgrund unrichtiger Auslegung nicht, dass er ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal verwirklicht, unterliegt daher einem Subsumtionsirrtum.114 Es bleibt bei einer Strafbarkeit nach § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffG. 108
Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 4; Pottmeyer, § 1 KrWaffG Rn. 19. Holthausen/Kreuzer, NStZ 1997, 290 (292); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 4; Pottmeyer, § 1 KrWaffG Rn. 19; Runkel, NStZ 1997, 552 f. 110 BGH NStZ 1985, 367. 111 OLG Stuttgart NStZ 1982, 33 (34); Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 5; Pottmeyer, § 1 KrWaffG Rn. 46 ff.; ders., wistra 1996, 121 (122). 112 Vgl. BGH NStZ 1985, 367; vgl. auch BGH NZWiSt 2020, 444 ff. 113 Vgl. BGH NStZ 1985, 367. 114 Vgl. NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 49. 109
274
Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Hinsichtlich der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums in einer solchen Konstellation bietet es sich an, sich mit dem Fall BGH NZWiSt 2020, 444 auseinanderzusetzen. In dieser Entscheidung ging es ausnahmsweise nicht um die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum, sondern um die Frage der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der angeklagte Waffenhändler von einem iranischen Unternehmen Gewehre anfertigen lassen, die im Wesentlichen auf dem Modell des vollautomatischen Sturmgewehrs AK-47 Kalaschnikow basierten. Dabei wurden Einzelteile vor dem Zusammenbau so geändert, dass, wie in Fall 16, kein Dauerfeuer, sondern nur die halbautomatische Abgabe von Einzelschüssen möglich war oder aber manuell durchgeladen werden musste. Allerdings konnte die vollautomatische Funktionsfähigkeit relativ leicht von jedermann bei Einholung entsprechender Information, etwa im Internet, wiederhergestellt werden, was der Angeklagte auch wusste. Dem Angeklagten war auch bewusst, dass die Umbaumöglichkeit eventuell zur Einstufung als Kriegswaffe führen konnte, weshalb er versucht hatte, vom BKA vor der Bestellung Hinweise dazu zu bekommen, unter welchen Umständen eine Waffe als Kriegswaffe eingestuft wird. Er hatte aber nur allgemeine Auskünfte erhalten und wurde auf die Beantragung eines Feststellungsbescheids nach § 2 Abs. 5 WaffG verwiesen, die er indes unterließ.115 Bei der Einfuhr der Waffen nach Deutschland wusste der Angeklagte, dass er nicht im Besitz einer Genehmigung nach dem KrWaffG war, hoffte aber trotz positiver Kenntnis der die leichte Umbaufähigkeit begründenden Umstände, dass die modifizierten Gewehre dennoch keine Kriegswaffen darstellten.116 Der BGH bestätigt das Urteil der Vorinstanz hinsichtlich § 22a Abs. 1 Nr. 3 KrWaffG in Bezug auf die Vermeidbarkeit des für diesen Tatkomplex angenommenen Verbotsirrtums.117 Sofern der Angeklagte nach den Vorstellungen des LG hoffte, bei den gegenständlichen Gewehren handele es sich nicht um Kriegswaffen, beziehe sich dies allein auf die den Vorsatz nicht ausschließende Subsumtionsfrage. Es wird allerdings seitens des BGH darauf hingewiesen, dass ausreichende Unrechtseinsicht dann vorliege, wenn der Täter bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechne, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nehme. Man könnte hierin die Andeutung sehen, dass sich der BGH in der Frage des Vorliegens eines Verbotsirrtums nicht unbedingt der Auffassung der Vorinstanz anschließen würde; allerdings waren diesbezüglich nur für den Angeklagten nachteilige Rechtsfehler zu prüfen.118 Zur Vermeidbarkeit selbst führt der BGH sodann nach allgemeinen Erläuterungen aus, dass die Bemühungen des Angeklagten zur Klärung der Rechtslage nicht ausreichend gewesen seien. Aufgrund einer früheren Verurteilung habe er gewusst, dass die Möglichkeit des recht unkomplizierten Umbaus von halbautomatischen zu vollautomatischen Gewehren die Kriegswaffeneigenschaft begründe. 115
BGH NZWiSt 2020, 444. BGH NZWiSt 2020, 444 (447). 117 BGH NZWiSt 2020, 444 (447). 118 BGH NZWiSt 2020, 444 (447). – Die Revision der Staatsanwaltschaft war wirksam auf den Strafausspruch begrenzt worden. 116
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
275
Der Aufforderung des BKA, für eine verbindliche Auskunft hinsichtlich der Einstufung der gegenständlichen Waffen ein Musterexemplar einzureichen, sei der Angeklagte nicht nachgekommen; auch habe er keine anwaltliche Rechtsauskunft eingeholt.119 Selbst wenn man für die Frage, ob der Verbotsirrtum vermeidbar war, eine im Vergleich zur strengen Rechtsprechung eher nachsichtigere Handhabung walten lässt, so ist sowohl in Fall 16 als auch in BGH NZWiSt 2020, 444 die Vermeidbarkeit zu bejahen. In beiden Fällen sind die Täter als Waffenhändler beruflich so nah mit der Materie befasst, dass die jeweilige Vorgehensweise – im Fall des W wurden keine Bemühungen zur Aufklärung unternommen – in höchstem Maße pflichtwidrig erscheint.120 2. Irrtum über das Merkmal „besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ Zahlreiche Positionen in Teil I Abschnitte A und B der Ausfuhrliste zur AWV setzen voraus, dass das jeweilige Gut, Bestandteil eines Guts, die Software etc. „für militärische Zwecke besonders konstruiert, entwickelt, aufgebaut, geändert“ usw. wurde, etwa bei Position 0006 lit. a in Abschnitt A der Ausfuhrliste. Diese Zusätze kommen dort ins Spiel, wo es sich nicht um „klassische“ Rüstungsgüter handelt, die exportierten Waren also gleichermaßen zivilen wie auch militärischen Zwecken dienen können, wie etwa bei Lkws, Computern und Software oder Heizungsanlagen, und nicht eindeutig bestimmbar ist, welchen Zweck der Ausführer, Durchführer usw. mit dem Geschäft verfolgt.121 Im Unterschied zu „normalen“ Dual-Use-Waren i. S. d. Anlage zur Dual-Use-VO, bei denen die ungenehmigte Ausfuhr von § 18 Abs. 5 Nr. 1 AWG umfasst ist, handelt es sich bei den für militärische Zwecke „besonders konstruierten“ Gütern nicht mehr um klassische Dual-Use-Waren, sondern um sog. sonstige Rüstungsgüter, deren ungenehmigte Ausfuhr bzw. Verbringung durch § 18 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 und Nr. 3 AWG mit Strafe bedroht sind.122 Da eine gesetzliche Definition, wann die Ware als für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert gilt, nicht vorhanden ist, stellt sich die Frage nach der Auslegung dieses Begriffs. Dieser kann einerseits subjektiv bestimmt werden, also nach der Vorstel-
119
BGH NZWiSt 2020, 444 (447). Siehe dazu Kapitel 4 D. III. 3. und K. 121 BGHSt 41, 348 (350). – Bei klassischen Rüstungsgütern hingegen regelt die AL, dass Bestandteile hierfür „besonders konstruiert“ sein müssen; es wird aber kein „militärischer Zweck“ gefordert. Ausreichend ist, dass die Hauptsache, in die das Bestandteil eingebaut werden soll, ein klassisches Rüstungsgut i. S. d. AL darstellt. 122 Hier besteht bislang keine Regelungskompetenz der EU, weshalb sich die Genehmigungsbedürftigkeit der Ausfuhr bzw. Verbringung dieser Güter ausschließlich nach deutschem Recht richtet; vgl. Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 57. 120
276
Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
lung des Herstellers, was sich u. a. im Leitsatz der ersten einschlägigen BGH-Entscheidung zu dieser Thematik widerspiegelt:123 „Position 0018 A der Ausfuhrliste zum Außenwirtschaftsgesetz stellt mit dem Tatbestandsmerkmal ,besonders konstruiert‘ (u. a. ,für die Herstellung von Munition‘) auf den Zweck ab, dem eine der dort genannten Anlagen nach den Vorstellungen ihres Erbauers oder Lieferanten dienen soll. Steht die rein militärische Zielsetzung fest, kommt es auf die Möglichkeit auch ziviler Nutzung nicht an“.
Legt man indes eine objektive Definition zugrunde, so würde für die Bewertung eines Guts(bestandteils) als „besonders konstruiert für militärische Zwecke“ die Widerspiegelung des militärischen Zwecks in den technischen Spezifikationen ausreichen.124 Die militärische Zweckbestimmung des Herstellers müsste sich also in der Konstruktion objektiv wiederfinden.125 Nach heutiger allgemeiner Auffassung kommt es auf beides an: Die Ware muss sowohl objektive militärische Konstruktionsmerkmale mit einer gewissen Erheblichkeit aufweisen als auch subjektiv für die militärische Verwendung vorgesehen sein.126 Der Täter kann sich hier darüber irren, dass die Ware, die er ausführen möchte, „besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ ist. Auch dieser Irrtum kann verschiedene Ursachen haben. Fall 17: Die Inhaberin I eines Import-Export-Unternehmens kauft von einem Unternehmen gebrauchte Stromerzeugungsaggregate an, die zur Versorgung von Dörfern mit Strom in einem Gebiet im Irak dienen sollen. Die Aggregate waren ursprünglich für die Bundeswehr, d. h. speziell für militärische Zwecke konstruiert und gebaut worden; ihr Zweck war die Versorgung mobiler Abschussrampen des Flugabwehrraketensystems HAWK mit Strom. Sowohl die Generatoren als auch die diese antreibenden Motoren weisen spezielle, für eine militärische Nutzung konzipierte Eigenschaften auf, wie etwa eine besondere Frequenz und eine besonders kompakte Bauweise für einen leichten Transport127. I, die sich nicht weiter mit Stromaggregaten auskennt, weiß allerdings nichts von diesen besonderen Merkmalen und denkt, es handele sich um gewöhnliche Stromaggregate. Sie führt die Ausfuhr nach Irak durch. Fall 18: Auch hier führt I die genannten Stromaggregate nach Irak aus, wobei sie in diesem Fall Kenntnis der Spezifika hat. Dabei ist I auch bewusst, dass es verboten ist, Rüstungsgüter in den Irak zu exportieren; sie zieht aber nicht den Schluss, dass es sich bei gegenständlichen Stromaggregaten um solche Rüstungsgüter handeln könnte.
123
BGH St 41, 348 (350). Haellmigk, AW-Prax 2017, 393 (395). 125 Haellmigk, AW-Prax 2017, 393 (395). 126 BGHSt 51, 262 (266 f.); Bieneck-Bieneck, § 28 Rn. 18; Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 17 AWG Rn. 13; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 17; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 18 AWG Rn. 27; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 58. 127 Und unterfallen daher Position 0017 lit. k der AL zur AWV. 124
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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In Fall 17 fehlt I die Kenntnis eines tatsächlichen Umstands, nämlich des der besonderen Konstruktion für militärische Zwecke, weshalb sie diesbezüglich in einem die Strafbarkeit nach § 17 Abs. 1 AWG ausschließenden Tatumstandsirrtum handelt; möglich bleibt ggf. nur eine Strafbarkeit aufgrund von leichtfertigem Handeln nach § 17 Abs. 5 AWG. In Fall 18 hat I dagegen Kenntnis von allen tatsächlichen Merkmalen, weiß also genau, was sie tut; ihr fehlt aufgrund falscher Subsumtion gemäß § 17 Abs. 1 StGB lediglich die Einsicht, Unrecht zu tun. 3. Irrtum im Zusammenhang mit der Bausatztheorie Ein Irrtum über die rechtliche Einstufung als Kriegswaffe kommt auch im Zusammenhang mit der sog. Bausatztheorie bezüglich der Eigenschaft einer zerlegten Kriegswaffe als „Kriegswaffe“ i. S. d. KWL in Betracht. Fall 19: Der Inhaber eines Waffengeschäfts W möchte ein Maschinengewehr128 ausführen. Da er davon ausgeht, dass ihm eine entsprechende Genehmigung nicht erteilt werden würde, zerlegt er das Maschinengewehr vor der Ausfuhr zunächst in Einzelteile, wobei eine Wiederzusammensetzung allerdings unproblematisch möglich ist. Er versendet die auseinandergebaute Waffe sodann auf mehrere Pakete verteilt. W geht davon aus, die Kriegswaffeneigenschaft sei durch die Zerlegung aufgehoben worden. Nach der Rechtsprechung und überwiegenden Literaturansicht führt die Zerlegung der Kriegswaffe in einen sog. Bausatz nicht zum Wegfall der Kriegswaffeneigenschaft, wenn die Einzelteile nach dem „Prinzip der leichten Herrichtbarkeit“ „mit allgemein gebräuchlichen Werkzeugen ohne großen Aufwand zusammengesetzt werden können“ (sog. Bausatztheorie).129 Eine andere Auslegung leiste der Umgehung des KrWaffG Vorschub, wenn die Rüstungsindustrie dessen Vorschriften durch Zerlegung der Kriegswaffe gezielt unterlaufen könne.130 Hiergegen wendet sich Pottmeyer, der in der Gleichsetzung von Einzelteillieferungen, die eine komplette Kriegswaffe oder ein in der Kriegswaffenliste einzeln aufgezähltes Waffenteil ergeben, mit Lieferungen der komplett montierten Waffe eine Überschreitung des Wortsinns sieht, was gegen das strafrechtliche Analogieverbot verstoße.131 Durch die Erweiterung der KWL auf bestimmte Waffenteile132 habe der Gesetzgeber das Problem von Einzelteillieferungen abschließend geregelt; alle Gegenstände, die 128
Position 29 lit. a der KWL; Position 0001 lit. a der AL zur AWV. BGHSt 41, 348 (355); siehe auch BGH NStZ 1985, 367; BGH NStZ 1997, 137 (138); OLG Düsseldorf, NStZ 1987, 565 (566); OLG München NStZ 1993, 243 f. mit Anmerkung von Holthausen; Erbs/Kohlhaas-Lampe, 242. EL, § 1 KrWaffG Rn. 1a; Holthausen, NStZ 1988, 206 (208); ders., NStZ 1996, 284 f.; Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 f. 130 BGH St 41, 348 (355); BGH NStZ 1985, 367; BGH NStZ 1997, 137 (138); OLG München NStZ 1993, 243 f. mit Anmerkung von Holthausen. 131 Pottmeyer, wistra 1996, 121 (122 f.). 132 BT-Drucks. 3/1589, S. 14. 129
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
nicht in der KWL aufgeführt seien, und damit auch nicht gesondert genannte Einzelteile, stellten daher keine Kriegswaffe dar.133 Pottmeyer fordert vielmehr, in die KWL einzelne besonders wichtige Teile aufzunehmen, ohne die die Einsatzfähigkeit der Gesamtkriegswaffe nicht hergestellt werden kann.134 Dagegen wird allerdings zurecht eingewandt, dass es im Wirtschaftsleben gerade im Hinblick auf den Transport ohnehin üblich ist, Güter in Einzelteilen oder Bausätzen zu verpacken, und eine solche Lieferung üblicherweise auch als komplett angesehen wird.135 Außerdem könne aus der Erweiterung der KWL auf bestimmte Waffenteile nicht geschlossen werden, dass hierdurch das Problem von Einzelteillieferungen abschließend geregelt werden sollte. Dies habe nur dem Zweck gedient, „schon den ungenehmigten Umgang mit diesen als gefährlich eingestuften Teilen unter Strafe zu stellen“.136 Sinn und Zweck des KrWaffG, das die Herstellung, den Verkehr und den Handel mit allen zur Kriegsführung geeigneten und deshalb in die KWL aufgenommenen Waffen und Waffenteilen der staatlichen Kontrolle unterwerfen will, gebietet es, auch sog. Bausätze als vollständige Kriegswaffe anzusehen.137 Diese Bausatztheorie muss entsprechend für die Ausfuhrliste zur AWV gelten.138 Auch mit dem Zweck des AWG wäre es unvereinbar, Ausfuhrverbote und Genehmigungsvorbehalte nur auf die vollständig zusammengesetzte Ware bzw. separat in der Ausfuhrliste erfasste Einzelteile zu beziehen. So erscheint es nicht ausgeschlossen, dass bei „gründlicher Zerlegung“ nur noch wenige oder gar keine der Ausfuhrliste unterfallende Teile übrigblieben.139 In einem Fall, in dem eine zeitlich versetzte und teilweise über Zwischenhändler abgewickelte Lieferung aller für ein vollständiges und komplett funktionsfähiges Prozessleitsystem erforderlichen Elemente erfolgt war, die einer Verschleierung des Gesamtzusammenhangs dienen sollte, wurde vom erkennenden Gericht auch „in Anbetracht der Gesamtkonzeption der zu erstellenden Anlagensteuerung […] bei natürlicher Betrachtungsweise von einer einheitlichen Lieferung“ ausgegangen.140 Auf weitere Einzelheiten hinsichtlich der zu fordernden Eigenschaften von Bausätzen, etwa welche Voraussetzungen an die Einfachheit des Zusammensetzens oder an die Vollständigkeit des Bausatzes zu stellen sind, ist indes nicht einzuge133
Pottmeyer, wistra 1996, 124. Pottmeyer, wistra 1996, 124. 135 BGH NStZ 1997, 137 (139); dazu auch Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 14. 136 BGH NStZ 1997, 137 (139). 137 BGH St 41, 348 (355 f.); BGH NStZ 1985, 367; OLG München NStZ 1993, 243; Erbs/ Kohlhaas-Lampe, 242. EL, § 1 KrWaffG Rn. 1a; Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 14. 138 Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (194). 139 Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (194). 140 LG Mönchengladbach, Urt. v. 23.12.1997 – 12 Kls 4/97, referiert von Holthausen/ Hucko, NStZ-RR 1998, 193 (194). 134
D. Irrtümer im Zusammenhang mit dem Tatobjekt
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hen;141 festzuhalten ist jedenfalls, dass ein Irrtum darüber, eine in Einzelteile zerlegte Kriegswaffe sei nicht mehr als solche i. S. des KrWaffG anzusehen, im Einklang mit dem oben Festgestellten lediglich einen Subsumtionsirrtum i. S. e. Verbotsirrtums darstellt, der in diesem Fall auch stets als vermeidbar anzusehen sein wird. In Fall 19 hat sich W daher wegen einer ungenehmigten Ausfuhr nach § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG in Tateinheit mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG strafbar gemacht; der Verbotsirrtum kann ggf. zu einer Strafmilderung führen. 4. Irrtum im Zusammenhang mit Catch-All-Klauseln Die Catch-All-Klauseln in § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 AWV und § 18 Abs. 5 Nr. 2 und 4 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Dual-Use-VO betreffen die Ausfuhr von nicht gelisteten Gütern bei Kenntnis eines sensitiven Verwendungszwecks und/oder kritischen Bestimmungslands ohne Genehmigung oder ohne die Entscheidung, dass es keiner Genehmigung bedarf.142 Mittlerweile sind diese Bestimmungen, die ursprünglich als „Auffangkontrollnetz“ für nicht gelistete Dual-Use-Güter gedacht waren, „zum bestimmenden Element der ohnehin immer mehr in den Vordergrund getretenen Exportkontrolle von Dual-Use-Gütern geworden, da es sich einerseits nicht um hochwertige Schlüsseltechnologie, sondern um Allerweltsware handelt, die anderswo frei beschafft werden kann, und andererseits die Catch-All-Vorschriften eine erhebliche Präventivwirkung entfaltet und die Exportwirtschaft nachhaltig sensibilisiert haben“.143
Fraglich ist nun, was hinsichtlich der „Kenntnis“ des Verwendungszwecks zu fordern ist; dies wirkt sich entsprechend auf die Behandlung eines den Verwendungszweck betreffenden Irrtums aus. Nach allgemeiner Auffassung setzen § 9 Abs. 2 AWV und Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2 Dual-Use-VO durch den jeweils in Satz 1 verwendeten Wortlaut „ist [dem Ausführer bzw. Vermittler] bekannt“ positive Kenntnis vom tatsächlichen Bestimmungszweck und/oder -land i. S. der Notwendigkeit eines direkten Vorsatzes voraus.144 Die Vorstellung, dass die Güter mögli141
Siehe dazu Holthausen, NStZ 1993, 243 (244); ders., NStZ 1996, 284 (285); Holthausen/Hucko, NStZ-RR 1998, 193 f.; Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 17; differenzierend zwischen Privatpersonen und wehrtechnischen Unternehmen Hohmann/JohnPietsch, § 1 KrWaffG Rn. 23. 142 Dabei ist § 9 Abs. 2 AWV gegenüber Art. 4 der Dual-Use-VO subsidiär (siehe Wortlaut § 9 Abs. 3 AWV), wobei Art. 4 Abs. 1 der Dual-Use-VO nur den Kernwaffenbereich betrifft, sodass § 9 AWV jedenfalls den Genehmigungsvorbehalt im gesamten zivilen Bereich der Kerntechnik umfasst; vgl. Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 77. 143 Bieneck, wistra 2008, 208 (210). 144 Bieneck, wistra 2008, 208 (213); Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 18 AWG Rn. 32; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 18 AWG Rn. 32; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 18 AWG Rn. 38. – Dies kann im Rahmen der Beweisführung trotz anderslautender Angaben des Täters, wie auch sonst im Strafprozess üblich, anhand objektiver Umstände wie konspirativem Verhalten oder Äußerungen des Ausführers bzw. Vermittlers gegenüber Dritten be-
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
cherweise für einen kritischen Zweck bestimmt sein könnten, ist hingegen nicht ausreichend.145 Der Irrtum über die Bestimmung der Güter ist somit stets Tatumstandsirrtum i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Bei den Catch-All-Vorschriften in § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 1 AWV und § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO, die erfordern, dass der formelle Ausführer von der zuständigen Behörde über einen bestimmten Verwendungszweck der Güter informiert wurde, ist auch ein Irrtum über eine solche Information möglich. Fall 20: Der angestellte Exportbeauftrage E des Unternehmens U, das Lüftungsanlagen herstellt, verschickt eine solche Anlage nach Israel. Die Lüftungsanlage soll dort in eine Fabrik integriert werden, in der ein biologischer Kampfstoff hergestellt wird; dies weiß E nicht. Der Betriebsinhaber von U, der Vertragspartner des israelischen Käufers ist146, wurde von der zuständigen Behörde über diesen Verwendungszweck informiert, bevor er dies aber E mitteilen und sich um die Einholung einer Genehmigung bemühen konnte, hatte E – von seinen internen Befugnissen gedeckt – die Ausfuhr bereits durchgeführt. Hier wusste E nicht um die Unterrichtung des U, sodass ihm ein tatsächlicher Umstand nicht bekannt war und er entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ohne Vorsatz hinsichtlich einer Tat nach § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-VO147 handelte. 5. Umgekehrte Irrtümer Umgekehrte Irrtümer sind im Zusammenhang mit der Kriegswaffeneigenschaft ebenfalls denkbar. Der ohne Genehmigung eine vermeintliche Kriegswaffe Einführende kann etwa fälschlicherweise einen Gegenstand für einen in der KWL genannten halten, z. B. weil er ein „Vollmantelweichkerngeschoß ohne Lichtspur-, Brand-, oder Sprengsatz als Hartkernmunition ansieht“.148 Dies stellt einen Irrtum in tatsächlicher Hinsicht dar; bei Vorliegen der vorgestellten Umstände wäre auch der Straftatbestand des § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG erfüllt, sodass ein untauglicher Versuch gegeben ist. Dasselbe gilt, wenn der Täter aufgrund eines Irrtums annimmt, (ungenehmigt) die tatsächliche Gewalt über eine voll funktionsfähige Kriegswaffe auszuüben, diese aber in Wirklichkeit bereits demilitarisiert wurde.149
wiesen werden; siehe Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 18 AWG Rn. 32; dazu auch BGHSt 54, 275 (292 f.). 145 Bieneck, wistra 2008, 208 (213); Stein/Thoms, § 18 AWG Rn. 74. 146 Und damit formeller Ausführer i. S. d. Art. 2 Nr. 3 der Dual-Use-VO. 147 Kein Sonderdelikt, siehe dazu C. 148 Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 86; vgl. Nr. 50 1. der KWL. 149 Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 86.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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Ein strafloses Wahndelikt liegt dagegen vor, wenn aufgrund einer falschen rechtlichen Wertung von der Strafbarkeit des eigenen Handelns ausgegangen wird, der Täter beispielsweise glaubt, auch nach 60 Jahren Lagerungsdauer falle Munition unter den Begriff der Kriegswaffe.150 Hier weitet der Betroffene aufgrund falscher Subsumtion den Begriff der Kriegswaffe auf unzutreffende Weise aus.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen Besonders umstritten sind Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen der §§ 17, 18 AWG, da in diesem Zusammenhang die in den vorherigen Kapiteln aufgearbeitete Thematik zu Blanketttatbeständen und Genehmigungstatbeständen Bedeutung gewinnt. Im Grunde genommen sanktionieren die Straftatbestände der §§ 17, 18 AWG entweder das Handeln gegen ein durch die AWV oder eine EUVerordnung statuiertes Verbot bzw. Gebot oder die Vornahme einer Handlung ohne die vorige Einholung einer nach der AWVoder einer EU-Verordnung erforderlichen Genehmigung.151 § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80, 74 ff. AWV verbietet den Verkauf, die Ausfuhr, die Durchfuhr, die Beförderung, die Vornahme von Handels- und Vermittlungsgeschäften, die Einfuhr, den Erwerb und die Beförderung bezogen auf bestimmte Güter und bestimmte Länder (Verstöße gegen Waffenembargos) sowie – bei unter bestimmten Voraussetzungen gegebener Genehmigungsfähigkeit der genannten Tätigkeiten – das Handeln ohne die erforderliche Genehmigung. § 18 Abs. 1 AWG sanktioniert die Ausfuhr, die Einfuhr, die Durchfuhr, die Verbringung, den Erwerb, die Lieferung, die Bereitstellung und die Weitergabe von bestimmten Waren, die Erbringung einer Dienstleistung oder Investition sowie die Verfügung über eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen entgegen einem EUWirtschaftsembargo oder den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht für die genannten Tätigkeiten. Durch § 18 Abs. 1a AWG wird die Strafbarkeit auf Zuwiderhandlungen gegen die mit einem Einzeleingriff nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG angeordneten Beschränkungen in Bezug auf Verfügungen und Bereitstellungen von Geldern erstreckt. Die weiteren Absätze152 2 – 5 verbieten ebenfalls bestimmte (ungenehmigte) Ausfuhren, Einfuhren etc. entgegen Vorschriften der AWV und anderer EU-Verordnungen.
150
Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 86. Siehe dazu auch Kapitel 1 B. IV. 1. 152 Abs. 1b sowie Abs. 5a werden an dieser Stelle mangels Relevanz außen vor gelassen. 151
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
I. Irrtümer im Zusammenhang mit der Tathandlung allgemein Irrtümer im Zusammenhang mit der Tathandlung können zunächst ganz allgemein vorkommen, etwa bei der Frage des Bestimmungslands oder der Einordnung der Handlung an sich. Fall 21: Der Unternehmer U stellt bestimmte Güter her, die zwar nicht im Anhang I der Dual-Use-VO genannt werden, aber (u. a.) für den Betrieb einer Anlage für kerntechnische Zwecke i. S. v. § 9 Abs. 1 und 2 AWV verwendet werden können. Diese Güter führt er nach Indien aus, wobei er zudem davon ausgeht, dass sie dort für den Betrieb einer kerntechnischen Anlage verwendet werden und demnach in Indien, einem in § 9 Abs. 1 und 2 AWV nicht genannten Bestimmungsland, verbleiben. Tatsächlich exportiert sein indischer Vertragspartner – wie von Anfang an von diesem geplant – die von U gelieferten Waren aber ohne dessen Kenntnis weiter nach Jordanien.153 Fall 22: Diamantenhändler D möchte Rohdiamanten aus Sierra Leone nach China verbringen; er besitzt dafür kein Zertifikat. Von Sierra Leone fliegt D zunächst für einen kurzen Familienbesuch nach Deutschland und von dort weiter in die Volksrepublik. D geht davon aus, lediglich eine Durchfuhr von Rohdiamanten begangen zu haben.154 In Fall 21 irrt U über das Bestimmungsland, welches nach § 2 Abs. 7 AWG als das Land definiert ist, in dem die Güter gebraucht oder verbraucht, bearbeitet oder verarbeitet werden sollen oder, wenn dieses Land nicht bekannt ist, das letzte bekannte Land, in das die Güter geliefert werden sollen. Dieser Irrtum über einen tatsächlichen Umstand führt zu einem vorsatzausschließendem Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, sodass eine Strafbarkeit des U nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV entfällt.155 Ggf. ist aber eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AWG in Betracht zu ziehen. In Fall 22 hat D irrigerweise sein Handeln als Durchfuhr eingeordnet. Für den Begriff der Durchfuhr ist allerdings wesentlich, dass die Beförderung des betreffenden Gegenstands durch das Gebiet „ohne weiteren als den durch die Beförderung oder den Umschlag bedingten Aufenthalt und ohne daß (er) zu irgendeinem Zeitpunkt während des Verbringens dem Durchführenden oder einer dritten Person tatsächlich zur Verfügung steht“ erfolgt.156 Besteht dagegen im Inland die Möglichkeit der Verfügung über den Gegenstand, so liegt eine Einfuhr vor; bei einer etwaigen späteren Verbringung in ein anderes Hoheitsgebiet ist darüber hinaus eine Ausfuhr gegeben.157 Die Verfügungsmöglichkeit war aber bei D erfüllt. Daher liegt 153
Bestimmungsland nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AWV. Gem. § 18 Abs. 3 AWG ist nur die Ein- und Ausfuhr ohne Zertifikat strafbar. 155 Vgl. BAFA, Merkblatt zur firmeninternen Exportkontrolle, S. 8; Ehlers/WolffgangMorweiser, S. 241; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, Vor §§ 17 ff. AWG Rn. 51. 156 BGHSt 31, 374 (375). 157 BGH NJW 1994, 61. 154
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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seitens des D ein Irrtum über die rechtliche Einordnung der konkreten Tathandlung vor. Beim Irrtum über die rechtliche Bewertung der Tathandlung ist allerdings die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ausreichend. Der Täter muss die Handlung nicht korrekt rechtlich einordnen.158 Im Fall des D liegt lediglich ein Subsumtionsirrtum i. S. e. Verbotsirrtums vor, der den Vorsatz bestehen lässt; dieser ist auch im Hinblick auf die Erkundigungsmöglichkeiten vermeidbar. Nach § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG i. V. m. Art. 3 Kimberley-VO ist die Einfuhr von Rohdiamanten in die EU ohne Zertifikat verboten; hiergegen hat D verstoßen. Im oben schon ausgeführten Fall BGH NJW 1994, 61159 lag – allerdings nachrangig zum Irrtum über die Eigenschaft des Triebwerks als Kriegswaffe – ebenfalls ein Irrtum über die Handlung als Durchfuhr statt der zutreffenden Bewertung als Einfuhr mit anschließender Ausfuhr vor. Dies ist ebenfalls ein Subsumtionsirrtum, wobei hier anzumerken ist, dass nach § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG Durchfuhr und Ein- bzw. Ausfuhr gleichermaßen strafbar sind.160
II. Irrtümer bezogen auf die Existenz der Ausfüllungsnorm Aus den allgemeinen Ausführungen zum Irrtum bei Blankettstraftatbeständen ist die Problematik in diesem Zusammenhang bereits bekannt, nämlich die Frage, ob ein Irrtum bezogen auf die Existenz der blankettausfüllenden Norm bzw. das dort statuierte Gebot oder Verbot einen Tatumstands- oder einen Verbotsirrtum darstellt.161 1. Irrtum über die Existenz der Verbotsnorm, z. B. eines Embargobeschlusses, der Kimberley-VO, der Anti-Folter-VO, der Dual-Use-VO Dem Täter kann die Existenz der den entsprechenden Straftatbestand der §§ 17, 18 AWG ausfüllenden Verbotsnorm und damit das durch diese statuierte Ge- oder Verbot gänzlich unbekannt sein, etwa die Existenz eines Embargobeschlusses oder der Dual-Use-VO. Fall 23: Tabakwarenunternehmerin T stellt Filter für Zigaretten her. Sie verkauft ein Kontigent ihrer Filter nach Belarus, wobei sie gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG
158
BGH NJW 1994, 61 f. Siehe dazu schon D. II. 2. 160 Relevanz hatte die Unterscheidung bei der Vorinstanz, da diese eine vollendete Durchfuhr verneint hatte und bei der Prüfung des Versuchs den Tatentschluss hinsichtlich der Durchfuhr ebenfalls für nicht gegeben hielt bzw. einen Rücktritt vom Versuch annahm; die vollendete oder versuchte Einfuhr hat indes andere Voraussetzungen als die Durchfuhr. 161 Siehe dazu Kapitel 4 H. und I. 159
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
i. V. m. Art. 1 lit. g der VO (EG) Nr. 765/2006162 handelt, wonach verboten ist, die in Anhang VI der VO aufgeführten Güter (Güter zur Erzeugung oder Verarbeitung von Tabakerzeugnissen) nach bzw. zur Verwendung in Belarus zu verkaufen, zu liefern, weiterzugeben oder auszuführen. T ist die Existenz dieses Embargobeschlusses nicht bekannt. Wie in Kapitel 4 ausführlich erörtert, ist die Behandlung eines Irrtums über blankettausfüllende Normen umstritten, wobei die herrschende Auffassung bei einer Blankettnorm das Blankettmerkmal durch die dieses ausfüllende Vorschrift substituiert und auf den so gebildeten Gesamttatbestand die allgemeinen Irrtumsregeln anwendet.163 In Fall 23 bedeutet dies, dass das Zusammenlesen von § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG mit Art. 1 lit. g der VO (EG) Nr. 765/2006 und deren Anhang VI zu folgendem Gesamttatbestand führt: „Wer Filter zur Erzeugung oder Verarbeitung von Tabakerzeugnissen nach bzw. zur Verwendung in Belarus verkauft, liefert, weitergibt oder ausführt, wird bestraft.“ T würde damit in Kenntnis aller Tatumstände handeln, weshalb ihr Irrtum über die Existenz der Ausfüllungsnorm dann lediglich als Verbotsirrtum Beachtung finden könnte. Nach der Gegenauffassung oder – besser – den Gegenauffassungen, die sich nur im Detail unterscheiden, soll zusammengefasst der Irrtum über das Gebot oder Verbot der Ausfüllungsnorm ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum sein, weil der Täter, der „zwar alle maßgeblichen Tatsachen noch einigermaßen richtig erfasst, […] aber infolge der stets komplexer werdenden Lebenswirklichkeit und der ebenfalls stets komplexer und intransparenter werdenden rechtlichen Rahmenbedingungen kaum noch von einem strafrechtlichen Appell erreicht wird“.164
Jedoch ist vorsätzliches Handeln im modernen Präventionsstrafrecht, das auch verhaltensleitende Wirkung entfalten möchte, gerade nicht mit bewusstem Gesetzesungehorsam gleichzusetzen. Auch die vermeintlich „unrechtsneutralen“ Straftatbestände des Nebenstrafrechts enthalten eine Unrechtsvertypung im Sinne einer Beschreibung des Unrechts – jedenfalls in den Augen des Gesetzgebers.165 Die Benutzung von Blankettnormen dient dem Zweck, vereinfachend und flexibel auf neu eingetretene Erfordernisse reagieren und der Unionsrechtsakzessorietät mancher Strafrechtsgebiete gerecht werden zu können, bedeutet aber nicht, dass dadurch die ausfüllenden Gebote oder Verbote lediglich „neutrales“ Handeln statuieren.166 Die Unkenntnis einer Norm betrifft außerdem nach der Schuldtheorie zwingend lediglich das Unrechtsbewusstsein, weshalb auch die Existenz der Norm gar keinen „Tat162
VO (EG) Nr. 765/2006 des Rates über restriktive Maßnahmen gegen Belarus, ABl. EU Nr. L 132 vom 20. 5. 2006, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1231 des Rates vom 18. Juli 2022, ABl. EU Nr. L 190 vom 19. 7. 2022, S. 5. 163 Siehe dazu Kapitel 4 H. II. 2. a) und b). 164 Gaßner/Strömer, HRRS 2015, 122; siehe dazu bereits Kapitel 4 I. I. 1. 165 Siehe dazu Einleitung D und Kapitel 4 I. II. 5. a), III. und K. 166 Siehe dazu Kapitel 4 I. II. 5. a).
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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umstand“ i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB darstellen kann. Der Irrtum über die Existenz und damit das Ge- oder Verbot der blankettausfüllenden Norm stellt damit lediglich einen, im Falle von T vermeidbaren, Verbotsirrtum dar. Die Strafe der T kann aber ggf. nach § 17 Satz 2 StGB gemildert werden. Gleiches gilt, sofern der Täter keine Kenntnis davon hat, dass das zu beliefernde Land als Embargoland in §§ 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80, 74 ff. AWVaufgelistet ist. Dieser Irrtum betrifft, wie der Irrtum über die Listung des Tatobjekts, lediglich die Unkenntnis eines Verbots und ist damit Verbotsirrtum.167 2. Irrtum über die Reichweite der blankettausfüllenden Verbotsnorm Möglich ist aber auch, dass der Täter die jeweilige, die Tatbestände des §§ 17, 18 AWG ausfüllende Verbotsnorm zwar kennt, etwa grundsätzlich vom Bestehen eines Embargobeschlusses weiß, aber deren Reichweite verkennt. Hierfür lassen sich drei Fälle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung anführen. In BGH NStZ-RR 1996, 24 verbrachte der Angeklagte nach dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt entgegen den zur Tatzeit geltenden Embargobestimmungen des § 34 Abs. 4 AWG a. F. i. V. m. § 69h Abs. 1 Nr. 2 AWV a. F.168 einen Pkw nach Serbien, wobei ihm zwar generell bekannt war, dass es Embargobestimmungen gegen Serbien gab, er aber davon ausging, der verbrachte Pkw falle nicht unter die Embargobestimmungen. Warum der Angeklagte geglaubt hatte, das von ihm nach Serbien verbrachte Fahrzeug falle nicht unter das zur Tatzeit existierende Embargo, wird in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt.169 Der BGH bestätigt die Einordnung dieses Irrtums seitens des vorinstanzlichen Gerichts als vermeidbaren Verbotsirrtum i. S. eines Subsumtionsirrtums, denn es handele sich um eine „falsche Auslegung der Embargovorschriften“, wonach der Angeklagte nicht gewusst habe, dass er gegen ein Ausfuhrverbot verstieß.170 Hingewiesen wird ferner darauf, dass das Vorliegen eines für die Frage der Anwendbarkeit von § 17 StGB erheblichen Unrechtsbewusstseins nicht bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil der Angeklagte die einschlägige Strafvorschrift und die diese ausfüllenden Rechtsverordnungen bzw. die Strafbarkeit seines Verhaltens nicht kannte.171 Allerdings reiche für die Annahme eines Unrechtsbewusstseins nicht aus, dass ein solches allgemein vorliege, der Angeklagte also allgemein davon ausging, mit seiner Kraftfahrzeugverschiebung etwas Verbotenes zu tun; vielmehr müsse sich das Unrechtsbewusst167
Siehe dazu schon Kapitel 4 H. II. 2. a) und oben D. II. 1. Der wohl einschlägige § 34 Abs. 4 Nr. 2 und 3 AWG a. F. (die genauen Nrn. werden zumindest in den gekürzten Entscheidungsgründen nicht genannt) entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 1 AWG; ein Embargo gegen Serbien besteht heute nicht mehr. 169 Vgl. Krell, NZWiSt 2013, 114. 170 BGH NStZ-RR 1996, 24 (25). – Zu Irrtümern im Zusammenhang mit der Existenz von Embargos allgemein siehe noch E. II. 1. 171 BGH NStZ-RR 1996, 24 (25). 168
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
sein auf die „spezifische Rechtsgutsverletzung des in Betracht kommenden Tatbestandes“ beziehen,172 hier auf den Verstoß gegen ein sanktionsbewehrtes rechtliches Ausfuhrverbot, dessen Vorliegen im konkreten Fall verneint wurde. In BGH NStZ-RR 2003, 55 ging es um ungenehmigtes sog. Hawala-Banking im Embargogebiet des Irak. Kurz gefasst nahm der Angeklagte von in Deutschland wohnenden Irakern Geldbeträge entgegen, die diese hilfsbedürftigen Verwandten in den kurdischen Schutzzonen des Iraks zukommen lassen wollten; der im Irak befindliche Bruder des Angeklagten zahlte die entsprechende Summe nach Abzug einer Provision aus einem vor Ort vorhandenen Guthaben an die jeweiligen Verwandten im Irak aus. Der Angeklagte wusste vom bestehenden Irak-Embargo, ließ sich aber dahingehend ein, geglaubt zu haben, das Embargo gelte nicht für die Schutzzonen und seine Tathandlungen seien nicht als Zahlungen in ein Embargogebiet anzusehen, weil die Auszahlungen aus im Irak befindlichen Guthaben erfolgten. Das Tatgericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Irak-Embargo gemäß § 34 Abs. 4 AWG a. F. i. V. m. § 69e Abs. 2c AWV a. F.173 freigesprochen; es hatte einen Tatumstandsirrtum des Angeklagten angenommen, da dieser nicht von einer Genehmigungspflicht für Zahlungen, die wie im betreffenden Sachverhalt humanitären Zwecken dienten, gewusst habe. Der BGH, der anders als das Instanzgericht schon die Voraussetzungen eines Irrtums des Angeklagten über die Genehmigungspflichtigkeit174 aus dem festgestellten Sachverhalt bezweifelt, weist auf die seiner Meinung nach erforderliche Differenzierung beim Irrtum über Genehmigungserfordernisse hin: Bei Tatbeständen, bei denen die Genehmigung die Funktion eines Kontrollmechanismus von gemeinhin sozialadäquaten Verhaltensweisen erfülle, der Unwert der Tat daher im Fehlen einer Genehmigung liege, stelle ein Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit einen Tatumstandsirrtum dar; sei das tatbestandliche Handeln dagegen bereits per se sozialwidrig und könne nur ausnahmsweise genehmigt werden, komme nur ein Verbotsirrtum in Betracht.175 Im Falle des Irakembargos ist nach Auffassung des BGH Letzteres einschlägig. Darüberhinaus sei der Irrtum, dass die Schutzzonen nicht vom Embargo erfasst würden sowie darüber, dass die Tathandlungen nicht als Zahlungen in das Embargogebiet anzusehen seien, als Subsumtionsirrtum lediglich im Rahmen von § 17 StGB beachtlich. Auch in BGH NStZ 2007, 644 ging es um ungenehmigte Zahlungen: Der in Deutschland ansässige Angeklagte wusste zwar vom bestehenden Irak-Embargo mitsamt dem Verbot von Geldüberweisungen, transferierte dennoch von Exilirakern an ihn überwiesene Geldbeträge über Geschäftspartner an die im Irak befindlichen hilfsbedürftigen Verwandten und Bekannten der Exiliraker ohne Genehmigung 172
Sog. Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins, siehe dazu bereits Kapitel 4 D. III. 1. Entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 1 AWG i. V. m. den entsprechenden Vorschriften der Irak-Embargo-VO. 174 Zum Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit noch E. IV. 2. 175 BGH NStZ-RR 2003, 55 (56). 173
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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gegen Provision weiter. Er ging davon aus, dass Zahlungen humanitärer Art nicht unter das Embargo fielen; ferner wusste er auch nichts von der Genehmigungsbedürftigkeit von Zahlungen zu humanitären Zwecken. Nach Ansicht des BGH war der Irrtum des Angeklagten „über das Erlaubtsein seiner Zahlungen aus humanitären Gründen“ seitens der Vorinstanz zutreffend als Verbotsirrtum gewertet worden, da es sich bei § 34 Abs. 4 AWG a. F. i. V. m. § 69e Abs. 2c AVW a. F.176 um ein „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“ handele.177 Nur ausnahmsweise sollten die grundsätzlich sozialwidrigen Zahlungen in den Irak erlaubt sein. Ein Irrtum über die Reichweite des grundsätzlich bekannten Embargos sei bloß ein Subsumtionsirrtum. Allerdings ist anzumerken, dass die Angeklagten sowohl in BGH NStZ-RR 2003, 55 als auch in BGH NStZ 2007, 644 vom Bestehen des Embargos grundsätzlich Kenntnis hatten, jeweils aber davon ausgegangen waren, ihre Handlung falle nicht unter das Embargoverbot. Im ersten Fall glaubte der Angeklagte, das Embargo gelte schon räumlich gar nicht für die eingerichteten kurdischen Schutzzonen, in denen die Empfänger der Geldbeträge ansässig waren; außerdem sei seine Handlung auch nicht als „Zahlung“ in das betreffende Gebiet anzusehen, da die Auszahlungen im Irak aus dort vorhandenem Guthaben erfolgten. Im zweiten Fall hielt der Angeklagte Zahlungen aus humanitären Gründen für nicht vom Embargo umfasst. Während in BGH NStZ-RR 2003, 55 seitens des Instanz- bzw. Revisionsgerichts der Irrtum allerdings auf die Genehmigungspflicht bezogen wurde, stellte der BGH in NStZ 2007, 644 auf die Reichweite des Verbots ab. Richtigerweise irrten die Täter in beiden Fällen über die Reichweite des Embargos, da sie jeweils davon ausgingen, ihre Handlungen würden nicht unter das ihnen bekannte Embargo fallen, bzw. im ersten Fall auch über die Einordnung der Tathandlung; erst nachrangig ergab sich aus diesem Irrtum auch ein Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit der Handlungen. Der Irrtum über die Reichweite eines Embargos, d. h. eines Verbots, stellt indes einen Verbotsirrtum dar, sodass es auch hier richtigerweise auf die Abgrenzung zwischen präventivem und repressivem Verbot gar nicht ankommen kann.178 3. Irrtum über die Listung von Personen, Organisationen etc. Neben der generellen Unkenntnis eines Embargobeschlusses kann es ebenfalls vorkommen, dass der Täter zwar grundsätzlich um den Embargobeschluss weiß (dies sei in den folgenden Beispielsfällen vorausgesetzt), aber im konkreten Fall keine Kenntnis der Listung einer bestimmten Person oder Organisation im Anhang einer Embargoverordnung hat und dieser daher entgegen dem Embargo beispielsweise Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung stellt.
176 Entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 1 AWG i. V. m. den entsprechenden Vorschriften der Irak-Embargo-VO. 177 BGH NStZ 2007, 644. 178 Zu Letzterem siehe noch E. IV.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Hier kann erneut ein Fall aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung beispielhaft angeführt werden: In BGH NZWiSt 2013, 113 hatte der Angeklagte nach den Feststellungen der Vorinstanz entgegen Art. 7 Abs. 3 der Iran-Embargo-VO einem in Anhang IV der Verordnung genannten Adressaten das Wasserstoffisotop Tritium geliefert. Der 3. Strafsenat bestätigte die Ausführungen der Strafkammer, dass eine Unkenntnis der Listung des Adressaten seitens des Angeklagten sich nicht auf den Vorsatz auswirke; ein Irrtum über Inhalt oder Reichweite einer Ausfüllungsnorm, auf die ein Blankettstraftatbestand wie § 34 Abs. 4 AWG a. F.179 ausdrücklich verweist, sei ein Verbots- und kein Tatumstandsirrtum.180 Dies soll anhand weiterer Beispielsfälle noch eingehender untersucht werden. Fall 24: Der aus Afghanistan stammende A bringt anlässlich eines Besuchs im Heimatland eine größere Summe Bargeld dorthin mit, die er seinem afghanischen Cousin C zur Unterstützung der Familie überlässt. Als mit den Taliban verbundene Person ist C in Anhang I des Afghanistan-Embargos181 aufgeführt, wovon A allerdings keine Kenntnis hat. Fall 25: Die Stuttgarterin S lernt über das Internet den in Kabul lebenden Afghanen F kennen und geht mit diesem eine Liebesbeziehung ein. Wenige Monate später besucht sie F in seiner Heimat; weil er sie darum gebeten hat, bringt S einen Teil ihres Ersparten in Form von Bargeld mit und überlässt dieses F. Als mit den Taliban verbundene Person ist F in Anhang I des Afghanistan-Embargos aufgeführt, wovon S keine Kenntnis hat. Nach der Technik des Zusammenlesens ist nach herrschender Meinung in Fall 24 und Fall 25 der einschlägige § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG mit der entsprechenden Vorschrift des Afghanistan-Embargos, hier Art. 3 Abs. 2, und Anhang I der VO zusammenzulesen, sodass die so entstehende Gesamtnorm lautet: „Es ist verboten, C (bzw. F) unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder zugutekommen zu lassen.“ Damit ist aber auch bei Unkenntnis des A von der Listung des C bzw. bei der Unkenntnis der S von der Listung des F vorsätzliches Handeln anzunehmen, denn A und S kennen alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, nämlich die Zurverfügungstellung von Geldern an C bzw. F. Fordert man im Einklang mit der Gegenauffassung eine „Appellfunktion des Tatbestands“, stellt sich die Frage, ob sich in den Fällen 24 und 25 aus den äußeren Umständen der strafbaren Handlung für A bzw. S der Unwertgehalt ihrer Taten, wie von manchen gefordert, „unmittelbar aus dem gesunden Menschenverstand“ er179 Der hier wohl einschlägige § 34 Abs. 4 Nr. 2 und 3 AWG a. F. entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 18 Abs. 1 AWG. 180 BGH NZWiSt 2013, 113. 181 VO (EU) Nr. 753/2011 vom 1. 8. 2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen angesichts der Lage in Afghanistan, ABl. EU Nr. 199 vom 2. 8. 2011, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/595 vom 11. 4. 2022, ABl. EU Nr. L 114 vom 12. 4. 2022, S. 60.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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gibt.182 Wäre dies nicht der Fall, so würde nach dieser Auffassung bei Unkenntnis der Listung und damit der Unkenntnis des Verbots ein Tatumstandsirrtum vorliegen. Diese Vorgehensweise bringt indes schon die Schwierigkeit mit sich, überhaupt festzustellen, in welchen Fällen eine Appellfunktion gegeben ist und in welchen nicht. So könnte man sich vorliegend fragen, ob in Fall 24 A als gebürtiger Afghane mit engen familiären Verbindungen ins Heimatland durch sein Handeln einen Unrechtsimpuls empfangen müsste, S in Fall 25 jedoch nicht, denn schließlich ist diese in ihrer Lebensrealität „weiter weg“ von einem Afghanistan-Embargo als A in Fall 24. Solche Unsicherheiten bei der Abgrenzung von vorsätzlichem und unvorsätzlichem Handeln sind aber nicht tragbar. Wie an mehreren Stellen bereits ausgeführt,183 dient das Strafrecht in seiner heutigen Form (auch) präventiven Zwecken. Ein zentrales Ziel der Strafandrohungen des AWG ist die Bekämpfung des Terrorismus durch finanzielles „Aushungern“ der entsprechenden Personen und Organisationen.184 Die in Bezug auf bestimmte Personen, Organisationen etc. verbotenen Handlungen stellen daher schon für sich betrachtet Unrecht dar, selbst wenn der potentielle Täter dies nicht erkennt. Jedenfalls für die Strafvorschriften des AWG kann aber ohnehin angenommen werden, dass der durchschnittliche Täter, der einer gelisteten Person wirtschaftliche Ressourcen zukommen lässt, eigentlich sogar eine besonders enge Beziehung zu den genannten Rechtsgütern haben müsste. Darüber hinaus ist die Tatsache der Erwähnung in einer Embargoliste kein „Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“, sondern lediglich die gelistete Person selbst ist als ein tatsächlicher Umstand i. S. des § 16 StGB anzusehen; weiß der Täter also (oder nimmt er billigend in Kauf), dass er einer bestimmten Person XY Gelder zur Verfügung stellt, hat er Kenntnis des Umstands „Zurverfügungstellung von Geldern an die Person XY“.185 Die Verwendung von Listenblanketten dient schließlich nicht dem Zweck, spezielle Folgen bezüglich den Anforderungen an Vorsatz und Irrtum zu zeitigen, sondern eine flexible Handhabung zu ermöglichen und nicht zuletzt auch der Vereinfachung (allein die Liste der in Anhang I der Afghanistan-Embargo-VO genannten natürlichen Personen besteht aus 123 Namen). Die Unkenntnis einer Listung ist mithin stets Verbotsirrtum. Der oben schon angesprochenen Kritik, dass der Täter bei den Straftatbeständen des Nebenstrafrechts „zwar alle maßgeblichen Tatsachen noch einigermaßen richtig erfasst, […] aber infolge der stets komplexer werdenden Lebenswirklichkeit und der ebenfalls stets komplexer und in-
182
Vgl. Gaßner/Strömer, HRRS 2015, 122. – Ob der „gesunde Menschenverstand“ aber überhaupt maßgeblich sein kann, lässt sich angesichts der hochgradig dogmatischen Irrtumslehre anzweifeln. 183 Siehe dazu bereits Einleitung D., Kapitel 4 I. II. 5. a) und K. 184 Vgl. Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 17 AWG Rn. 5. 185 Siehe dazu auch Kapitel 4 K.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
transparenter werdenden rechtlichen Rahmenbedingungen kaum noch von einem strafrechtlichen Appell erreicht wird“,186
ist vielmehr dadurch zu begegnen, dass man bei der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums weniger strenge Kriterien anlegt.187 Ob eine Unvermeidbarkeit angenommen werden kann, ist, wie stets, eine Frage des Einzelfalls – die genauen Umstände festzustellen, beispielsweise im Vorfeld der Reise von S im Zusammenhang mit der Beantragung des nötigen Visums,188 ist dann Sache des zuständigen Gerichts. In BGH NZWiSt 2013, 113 wurde die Unkenntnis der Listung einer zu beliefernden Person daher ebenfalls zutreffend als Verbotsirrtum eingestuft. An dieser Stelle ist noch auf die mit dieser Materie ebenfalls zusammenhängende, allerdings etwas widersprüchliche Entscheidung des OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 8969 einzugehen. Hier hatte die Angeklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ihrem als islamistischen Terroristen im Anhang der EG-Verordnung Nr. 881/ 2002 gelisteten Ehemann die Verfügungsgewalt über ihr Girokonto eingeräumt, sodass ein Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot des § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG a. F. bzw. § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG n. F.189 i. V. m. Art. 3 der genannten Verordnung objektiv gegeben war. Das OLG Düsseldorf führt zur subjektiven Tatseite zunächst aus, „dass es insoweit auf die Kenntnis der Angeklagten von den Gründen, weshalb es ihrem Ehemann A. untersagt war, selbst ein Bankkonto zu führen, ankomm[e]“.190 Der Vorsatz müsse sich bei Blankettstraftatbeständen wie im vorliegenden Fall „grundsätzlich nicht auf das Bestehen, die Gültigkeit, den Inhalt und die Anwendbarkeit der blankettausfüllenden Norm“, sondern auf die „Umstände“ des zusammengelesenen „Gesamttatbestands“ erstrecken, sodass im Falle der „Unkenntnis dieser Umstände“ ein Tatumstandsirrtum gegeben sei.191 „Verwirrenderweise“192 weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass zu prüfen sei, ob seitens der Angeklagten Kenntnis von der Listung des Ehemanns bestand; eine diesbezügliche Unkenntnis berühre den Vorsatz nicht, „weil der Irrtum über Bestehen, Inhalt und Reichweite einer Ausfüllungsnorm, auf die ein Blankettstraftatbestand ausdrücklich verweist“, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung einen Verbotsirrtum darstelle.193 Hier irritiert zunächst die Unterscheidung des Gerichts zwischen der „Kenntnis der Angeklagten von den Gründen, weshalb es ihrem Ehemann A. untersagt war, selbst ein Bankkonto zu führen“ (nach Auffassung des OLG liegt darin ein Tat186
Gaßner/Strömer, HRRS 2015, 122; siehe dazu bereits E. II. 1. Siehe dazu bereits Kapitel 4 I. II. 5. a), b) und K. 188 Wo S ggf. auf die politische Lage in Afghanistan hingewiesen werden würde. 189 Die n. F. wird im Urteil ausdrücklich genannt. 190 OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 8969. 191 OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 8969. 192 Andrzejewski, S. 197. 193 OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 8969. 187
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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umstandsirrtum) und der Kenntnis von der Listung des Ehemanns (nach Auffassung des OLG stellt dies einen Verbotsirrtum dar). Dazu merkt Andrzejewski an, es bestehe „kein Unterschied zwischen der Ausfüllungsnorm des Bereitstellungsverbots in Art. 3 VO (EG) Nr. 881/2002 i. V. m. der Listung des Ehemanns im Anhang derselben Verordnung und den Gründen, warum er kein Bankkonto führen darf, daher lässt sich nicht sinnvoll zwischen dem Vorsatz hinsichtlich der Gründe, weshalb der Ehemann keinen Zugriff auf ein Bankkonto haben durfte, und dem Vorsatz hinsichtlich der Listung differenzieren“.194
Dem ist beizupflichten und der Irrtum der Angeklagten – dessen Vorliegen einmal unterstellt – einheitlich als ein solcher über die Listung des Ehemanns und damit nach den obigen Grundsätzen als Verbotsirrtum einzuordnen. 4. Umgekehrte Irrtümer Wenn auch in der Praxis wohl selten bis kaum anzutreffen, ist natürlich auch ein umgekehrter Irrtum über die – tatsächlich nicht erfolgte – Listung einer Person etc. oder über das Vorhandensein einer nicht existierenden Embargoverordnung denkbar. Fall 26: Wie im obigen Fall 24 bringt A bei einem Besuch in seinem Heimatland Afghanistan eine größere Summe Bargeld mit, die er seinem afghanischen Cousin C zur Unterstützung der Familie überlässt. A denkt, dass C als mit den Taliban verbundene Person auf einer Terrorliste steht, was indes nicht stimmt. Dieser Irrtum führt in Anwendung des Umkehrschlusses lediglich zu einem straflosen Wahndelikt. Um dies nachzuvollziehen, bedarf es nur einer kleinen Gedankenoperation: Wie oben schon gesehen, lautet der aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG mit der entsprechenden Vorschrift des Afghanistan-Embargos, hier Art. 3 Abs. 2, und Anhang I der VO gebildete Gesamttatbestand „Es ist verboten, [hier ist die betreffende Person einzufügen] unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder zugutekommen zu lassen“. A geht nun irrtümlicherweise von der Existenz folgender Strafvorschrift aus: „Es ist verboten, C unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder zugutekommen zu lassen“. Dieses vorgestellte Verhalten ist aber mangels Existenz einer solchen Strafnorm gar nicht strafbar, folglich liegt ein Wahndelikt vor.195 Entsprechendes gilt bezüglich einer lediglich vorgestellten (Embargo)-Verordnung.
194 195
Andrzejewski, S. 197. Siehe dazu auch Kapitel 4 H. II. 2. c).
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
III. Irrtümer im Zusammenhang mit Verwaltungsakten § 18 Abs. 1a AWG sanktioniert die Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Einzelanordnung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG, wonach durch einen Verwaltungsakt insbesondere die Verfügung über Gelder und wirtschaftliche Ressourcen bestimmter Personen oder Personengesellschaften oder das Bereitstellen von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen zu Gunsten dieser Personen beschränkt werden können, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die auswärtigen Interessen abzuwenden. Zweck dieser Konstruktion ist die strafrechtliche Absicherung der Zeitspanne, die nach beschlossenen Finanzsanktionen betreffend die vom VN-Sicherheitsrat oder einem seiner Sanktionsausschüsse benannten Personen oder Personengesellschaften bis zu deren Listung in einer unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung vergeht; die mit einem Einzeleingriff angeordneten Beschränkungen sollen folglich auch wieder außer Kraft treten, wenn die Umsetzung auf EU-Ebene erfolgt ist und daher kein Bedürfnis mehr für die vorläufige nationale Umsetzung besteht.196 Festgestellt wurde bereits, dass dies durch Allgemeinverfügung erfolgt, bei der es um Rechtsgeschäfte oder Handlungen eines größeren, generellen Adressatenkreises geht.197 1. Unkenntnis der Allgemeinverfügung In Betracht kommt hier zunächst der Irrtum über die Existenz einer solchen Allgemeinverfügung. Fall 27: Der somalische Terrorverdächtige T wurde vom Ausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der für Somalia eingesetzt wurde, in die Liste der Personen, Gruppen und Organisationen aufgenommen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen unverzüglich einzufrieren sind und denen keine Vermögenswerte mehr bereitgestellt werden dürfen. Weil bis zum Inkrafttreten eines im Amtsblatt der EU veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der EU eine Zeitspanne eingerechnet werden muss, in der T weiterhin frei über seine Vermögenswerte verfügen könnte, und die BRD zu einer unverzüglichen Umsetzung verpflichtet ist, wird per Allgemeinverfügung nach § 6 Abs. 1 AWG durch das BMWK angeordnet, dass bestimmte, näher bezeichnete Verfügungen in Bezug auf Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen, die im Eigentum, Besitz oder unter der Kontrolle des T stehen, untersagt sind; ferner dürfen T keine Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Anordnung wird nach § 6 Abs. 1a AWG durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht. Ts Bruder B schickt ihm Geld; B weiß nichts von der Anordnung durch das BMWK.
196 197
Siehe dazu bereits Kapitel 4 I. II. 2. a). Siehe dazu Kapitel 4 I. II. 2. a).
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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Vorliegend ist B nach der hier vertretenen Meinung lediglich ein – wohl vermeidbarer – Verbotsirrtum zuzugestehen. Anders als bei einem Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG, der sich nur an eine Person richtet und bei dem die betroffene Person ohne Kenntnis dieses nur an sie gerichteten Rechtsakts (als Ausfluss eines ausnahmsweise imperativen Rechtsverhältnisses) das Wissen über das Verbotensein ihrer Handlung nicht erwerben kann,198 fehlt es bei einer Allgemeinverfügung i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG199 nicht an einem allgemein gültigen Verbot – diese wird, für jeden zugänglich, im Bundesanzeiger veröffentlicht. Ferner ergäbe die Regelung des § 18 Abs. 12 AWG, der bei Unkenntnis eines Einzeleingriffs nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG eine Karenzzeit von zwei Werktagen vorsieht, in der der Täter bei Zuwiderhandlung gegen eine solche öffentlich bekannt gemachte Anordnung straffrei bleibt, andernfalls keinen Sinn. Denn würde die Unkenntnis eines Verwaltungsakts nach § 35 Satz 2 VwVfG mit der herrschenden Meinung immer zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum führen, wäre die Regelung des § 18 Abs. 12 AWG überflüssig.200 Den Betroffenen einer öffentlich bekanntgegebenen Allgemeinverfügung soll vielmehr nur eine „Gnadenfrist“ eingeräumt werden. Außerdem ist ein Gleichlauf zwischen der Behandlung des Irrtums über die Existenz einer EURechtsverordnung und des Irrtums über die Existenz einer im Bundesanzeiger veröffentlichten Allgemeinverfügung zu bevorzugen, weil Zweck der durch Allgemeinverfügung angeordneten Beschränkungen bloß die Gewährleistung von deren unverzüglichem Inkrafttreten in Deutschland ist und die Allgemeinverfügung sich ebenso wie eine EU-Rechtsverordnung an jeden richtet, der wirtschaftlichen Umgang mit den genannten Personen pflegt oder dies vorhat.201 2. Unkenntnis der Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung Ein Irrtum kann ferner auch die Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts betreffen; so setzt § 18 Abs. 1a AWG die Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG voraus. Fall 28: Das BMWK untersagt per Anordnung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 AWG die Verfügung über Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen bestimmter, der AlQaida zugehöriger Personen sowie das Bereitstellen von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen zugunsten dieser im Einzelnen benannten Personen. Die Anordnung wird nach § 6 Abs. 1a AWG durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht. Gemäß der Rechtsbehelfsbelehrung kann innerhalb eines
198
Siehe dazu bereits Kapitel 4 I. II. 2. a). Wobei, wie in Kapitel 4 I. II. 2. a) Fn. 487 schon erwähnt, in diesen Fällen vielmehr eigentlich unzulässige sog. verordnungsvertretende Verwaltungsakte vorliegen. 200 Siehe dazu bereits Kapitel 4 I. II. 2. a). 201 Siehe dazu bereits Kapitel 4 I. II. 2. a). 199
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Monats Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden.202 Eine Klage hätte aufschiebende Wirkung; im Falle der Klageerhebung wäre das Verbot nicht vollziehbar. Der Vater V eines in der Anordnung genannten Mannes hat seinen Rechtsanwalt R beauftragt, fristgemäß Klage zu erheben. Auf Vs Nachfrage, ob dies erfolgt sei, bejaht R wahrheitswidrig; tatsächlich hat er dies aber vergessen. V schickt seinem Sohn nach Ablauf der Klagefrist von Deutschland aus Geld und geht davon aus, aufgrund der Klageerhebung sei die Allgemeinverfügung noch nicht vollziehbar. Hier basiert der Irrtum des V über die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts auf einem tatsächlichen Umstand, nämlich der Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs, weshalb in Bezug auf § 18 Abs. 1a AWG ein Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegt.203 Es bleibt aber eine Ordnungswidrigkeit aufgrund fahrlässigen Handelns nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AWG zu prüfen. Nur ein Verbotsirrtum läge dagegen vor, wenn eine Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet, V aber davon ausginge, dass die Klage dies tut. Hingegen erlangt der Streit, ob ein Irrtum über die Rechtswirksamkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit i. S. d. § 80 Abs. 2 VwGO vorsatzausschließend wirkt oder lediglich im Rahmen eines Verbotsirrtums Beachtung finden kann, keine Relevanz. Ein solcher Irrtum läge etwa vor, wenn der Täter davon ausginge, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht rechtswirksam, weil beim Verwaltungsgericht ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gestellt wurde.204 Soweit ersichtlich,205 spielt indes die Anordnung der sofortigen Vollziehung bei §§ 18 Abs. 1a, 6 Abs. 1 Satz 2 AWG keine Rolle.206
IV. Irrtümer im Zusammenhang mit Genehmigungen Neben dem Irrtum im Zusammenhang mit Blankettmerkmalen wurde die ebenfalls umstrittene Behandlung des Irrtums bei Tatbeständen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, in den Kapiteln 3 und 4 aufgearbeitet. Nochmals in Erinnerung gerufen sei an dieser Stelle, dass es hier zwei Konstellationen zu unterscheiden gilt: Entweder irrt sich der Täter darüber, die notwendige behördlichen Genehmigung innezuhaben oder er irrt über die Genehmigungspflichtigkeit der Handlung als solche. Diese Konstellationen sollen nun auf das Außenwirtschaftsrecht übertragen werden. 202 Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO bedarf es bei Verwaltungsakten einer obersten Bundesbehörde grundsätzlich keines Vorverfahrens. 203 BayObLG NStZ-RR 2000, 122 f.; Schuster, S. 166 f. 204 Vgl. KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 18. 205 Nach Durchsicht entsprechender Anordnungen im Bundesanzeiger. 206 Zu diesem Streitstand BGH NStZ 1989, 475 mit Anm. von Dölp; BayObLG NStZ-RR 2000, 122 f.; BeckOK-OWiG-Valerius, 36. Ed., § 11 Rn. 22; Fischer, § 145c Rn. 10; KKOWiG-Rengier, § 11 Rn. 18; NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 63; Schuster, S. 166 f.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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1. Irrtum über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der notwendigen Genehmigung a) Irrtum im tatsächlichen Bereich Zunächst kann der Täter aufgrund eines Irrtums glauben, für sein Handeln im Besitz einer wirksamen Genehmigung zu sein. Dies kann ganz allgemein auf einem Missverständnis oder auf Fehlinformationen beruhen, wie etwa der Unkenntnis eines Aufhebungsbescheides, des Ablaufs einer befristeten Genehmigung oder des Nichteintritts einer Bedingung.207 Auch kann der Täter irrtümlicherweise einen bestimmten Inhalt der Genehmigung annehmen und deswegen vom Vorliegen der notwendigen Genehmigung ausgehen, etwa weil er aufgrund einer Verwechslung denkt, eine tatsächlich nicht genehmigte Art von Rüstungsgut bzw. Kriegswaffe oder eine höhere Stückzahl seien Gegenstand der Genehmigung. Fall 29: Der Exportbeauftragte E möchte Funkfrequenz-Überwachungsausrüstung nach Syrien ausführen und hat dafür auch die notwendige Genehmigung eingeholt. Die Genehmigung war bis einschließlich 29. 5. 2022 befristet worden, was E allerdings entgangen war. Am 3. 6. 2022 führt E die Überwachungsausrüstung nach Syrien aus und verstößt damit gegen § 18 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AWG i. V. m. Art. 4 der VO (EU) Nr. 36/2012208 und deren Anhang V. Im Moment der Ausfuhr geht E allerdings aufgrund seines Irrtums davon aus, im Besitz einer wirksamen Genehmigung zu sein. Fall 30: Die Betriebsinhaberin B eines Rüstungsunternehmens erhält eine Genehmigung für die Herstellung von 20 Kampfpanzern des Typs „Panther“. Aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers liest B die Zahl 25; es werden daher auch 25 statt den tatsächlich genehmigten 20 Panzern produziert, was bei den 5 zu viel hergestellten Panzern einen Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 1 KrWaffG bedeutet. Unterscheidet man bei der deliktssystematischen Einordnung der Genehmigung mit der herrschenden Meinung nach verwaltungsrechtlichen Kriterien, kommt es darauf an, ob man ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt annimmt, bei dem die Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung entfaltet und folglich die irrige Annahme über das Vorliegen der notwendigen Genehmigung einen vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB begründet, oder ob man von einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgeht, der Genehmigung mithin eine rechtfertigende Wirkung zuspricht und somit bei einer Fehlvorstellung das Vorliegen eines Erlaubnistatumstandsirrtums mit entsprechender Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB bejaht.209 Im letzten Fall würde nach 207
Siehe dazu bereits Kapitel 4 J. I. VO (EU) des Rates vom 18. 1. 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der VO (EU) Nr. 442/2011, ABl. EU Nr. L 16 vom 19. 1. 2012, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1275 vom 21. 7. 2022, ABl. EU Nr. 194 vom 21. 7. 2022, S. 8. 209 Siehe dazu Kapitel 4 J. I. 208
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
herrschender Meinung eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB stattfinden.210 Bei den in Fall 29 und Fall 30 einschlägigen Straftatbeständen ist man sich allerdings darüber uneins, ob ein präventives oder repressives Verbot vorliegt.211 Bei der irrigen Annahme des Vorliegens der notwendigen Genehmigung ist es für den Täter selbst im Ergebnis irrelevant, ob man von einem präventiven oder repressiven Verbot ausgeht – sowohl in Fall 29 als auch in Fall 30 handeln E bzw. B entweder im Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB oder im Erlaubnistatumstandsirrtum mit analoger Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB bzw. in Anwendung von dessen Rechtsfolgen, sodass kein Vorsatz vorliegt oder E bzw. B wenigstens den Rechtsfolgen nach einem im Tatumstandsirrtum Handelnden gleichgestellt werden. Ein Unterschied bei der Einordnung dieses Irrtums besteht vor allem im Hinblick auf eine mögliche Teilnehmerstrafbarkeit, worauf noch unten einzugehen ist.212 Indes ist, wie in Kapitel 3 herausgearbeitet, die Genehmigung stets als Rechtfertigungsgrund einzuordnen.213 Die in den genehmigungsabhängigen Tatbeständen genannten Handlungen beziehen ihren Unwertgehalt nicht erst aus dem Fehlen der erforderlichen Genehmigung. Die „Sozialadäquanz“ dieser Tätigkeiten ist erst gegeben, wenn die Genehmigung erteilt wurde – davor stellen sie, selbst wenn sie alltägliche Handlungen betreffen, keine „neutralen“ Handlungen dar, sondern sind nur mal mehr, mal weniger sozialschädlich. Unabhängig davon handelt E möglicherweise ordnungswidrig nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AWG bzw. macht sich B einer Fahrlässigkeitstat nach § 22a Abs. 4 KrWaffG strafbar. Für die Beurteilung des Vorliegens fahrlässigen Handelns kommt es darauf an, ob der Irrtum bei gehöriger Sorgfalt hätte vermieden werden können.214 Dies wird in Fall 29 zu bejahen sein, da es E möglich und auch zumutbar war, über das Vorhandensein einer wirksamen Genehmigung Gewissheit zu erlangen; gleiches gilt für B in Fall 30 beim Lesen der Genehmigung. b) Irrtum im rechtlichen Bereich Anders zu behandeln sind hingegen die Konstellationen, in denen sich die Fehlvorstellung, über die notwendige Genehmigung zu verfügen, allein auf die rechtliche Reichweite der Erlaubnis bezieht. Fall 31: Betriebsinhaber I eines Rüstungsunternehmens erhält eine Genehmigung für die Herstellung von 1.000 Handgranaten215. Da sein Kunde aber 1.100 Hand210
Siehe dazu Kapitel 4 E. II. und J. I. Siehe dazu Kapitel 3 C. II. 2. a) aa) (2) und (3). 212 Siehe dazu noch G. 213 Siehe dazu bereits Kapitel 3 E. 214 Vgl. Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 89. 215 Position 46 der KWL. 211
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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granaten bestellt hat, lässt I 1.100 Stück produzieren; I geht davon aus, eine Abweichung um 10 %der genehmigten Stückzahl stelle kein Problem dar. Fall 32: Die Waffenherstellerin W hat eine Genehmigung für die Ausfuhr von Panzerabwehrminen216 nach Ägypten erhalten. Als ihr Abnehmer in Ägypten kurzfristig absagt, entscheidet W sich spontan dazu, die Minen nach Saudi-Arabien auszuführen; sie denkt, aufgrund der geografischen und politischen Nähe Ägyptens zu Saudi-Arabien mache das keinen Unterschied im Hinblick auf die Reichweite der Genehmigung. Auch in diesen Fällen gehen sowohl I als auch W vom Vorliegen einer wirksamen Genehmigung aus, jedoch beziehen sich die Irrtümer hier bloß auf die rechtliche Reichweite der Genehmigungen, die auf unzutreffende Weise ausgedehnt wird. Sofern man der Genehmigung tatbestandsausschließende Wirkung zuspricht, handeln I und W lediglich im vermeidbaren Verbotsirrtum – W weiß schließlich, dass die Genehmigung nur für die Ausfuhr nach Ägypten erteilt wurde, und interpretiert bloß die Reichweite der Wirksamkeit auf unzutreffende Weise bzw. subsumiert falsch; gleiches gilt für I bezüglich der Stückzahl. Aber auch, wenn man in der Genehmigung – was vorzuziehen ist – einen Rechtfertigungsgrund sieht, liegt ein Verbotsirrtum i. S. e. Erlaubnisirrtums in der Form des Irrtums über die Existenz eines nicht anerkannten bzw. der Verkennung der rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vor.217 Die in Fall 31 erhaltene Genehmigung deckt die Herstellung der zusätzlichen 100 Stück an Handgranaten nicht ab, weshalb § 22a Abs. 1 Nr. 1 KrWaffG erfüllt ist. In Fall 32 umfasst die Genehmigung die von W nach Saudi-Arabien vorgenommene Ausfuhr nicht; hier sind § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG in Tateinheit mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG einschlägig. In beiden Fällen besteht allerdings die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB. c) Umgekehrter Irrtum Umgekehrt ist es auch möglich, dass der Täter nicht irrtümlich das Vorliegen der notwendigen Genehmigung annimmt, sondern trotz wirksamer Genehmigung glaubt, keine Genehmigung für seine Handlung zu besitzen. Fall 33: Der Hersteller H von Sprengladungen für Landminen218 verbringt eine Charge dieser Minen nach Frankreich, wobei er davon ausgeht, dies ohne Genehmigung zu tun. Tatsächlich aber hatte sein Angestellter A bereits für H eine Genehmigung für diese Verbringung eingeholt, die auch im Moment der Verbringung vorlag; das weiß H im Moment seiner Handlung aber nicht.
216
Position 43 der KWL; Position 0004 lit. a der AL zur AWV. Vgl. KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 108; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 16 Rn. 24. 218 Position Nr. 48 der KWL; Position 0004 lit. a der AL zur AWV. 217
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Geht man beim Merkmal der fehlenden Genehmigung von einem negativen Tatbestandsmerkmal aus, so handelt derjenige, der irrtümlich vom Vorliegen des negativen Tatbestandsmerkmals, d. h. vom Nicht-Vorliegen der Genehmigung ausgeht, im untauglichen Versuch. In Fall 33 wäre H somit wegen eines versuchten Delikts nach § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG in Tateinheit mit § 18 Abs. 2 Nr. 3 AWG i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 1 AWV strafbar; die Strafbewehrung des Versuchs ergibt sich im letzten Fall aus § 18 Abs. 6 AWG. Sieht man im Vorliegen der notwendigen Genehmigung dagegen einen Rechtfertigungsgrund, so wird die rechtliche Bewertung der Unkenntnis des Täters von der objektiv rechtfertigenden Lage unterschiedlich vorgenommen: Teilweise wird, weil die subjektiven Voraussetzungen der Erlaubnisnorm nicht vorliegen, gänzlich vom Entfall der Rechtfertigung ausgegangen und wegen des vollendeten Delikts bestraft sowie der Umstand der objektiv gegebenen Rechtfertigungslage nur im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt.219 Der wohl herrschenden Gegenauffassung zufolge werden hingegen die Versuchsregeln entsprechend angewandt, da der Erfolgsunwert durch die objektive Rechtfertigungslage kompensiert werde und lediglich wie beim Versuch ein Handlungsunwert gegeben sei.220 Der Streit kann an dieser Stelle zwar nicht aufgelöst werden, die Annahme lediglich einer Versuchsstrafbarkeit erscheint aber nicht zuletzt im Hinblick auf die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen bei der Annahme von tatbestandsausschließender oder rechtfertigender Genehmigung vorzugswürdig, zumal jedenfalls im Falle der § 22a KrWaffG und §§ 17, 18 AWG aufgrund der gegebenen Strafbarkeit des Versuchs keine Strafbarkeitslücken gegeben sind. Damit läge in jedem Fall eine lediglich versuchte Tat des H vor. Konstellationen, in denen der Täter nicht weiß, dass eine notwendige Genehmigung tatsächlich vorliegt, werden in der Praxis freilich eher selten vorkommen. 2. Irrtum über das Genehmigungserfordernis Weitaus größere Unterschiede bei den rechtlichen Auswirkungen ergeben sich indes beim Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit. Hier weiß der Täter, dass er nicht im Besitz einer Genehmigung ist, geht jedoch irrtümlich davon aus, einer solchen nicht zu bedürfen, oder er macht sich überhaupt keine Vorstellungen über die Notwendigkeit einer Genehmigung. So etwa auch in der Entscheidung des LG Essen BeckRS 2008, 8182, in der der Angeklagte in mehreren Vorgängen Stromerzeugungsaggregate in den Irak exportiert hatte, die zur Versorgung von kurdischen Dörfern mit Strom dienen sollten, ohne aber eine Genehmigung dafür eingeholt zu haben.221 Die Aggregate waren von Teil I 219 BGH NJW 1952, 312 (313); BGH NStZ 2005, 332 (334); NK-StGB-Paeffgen, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 128. 220 BGHSt 38, 144 (155); Jescheck/Weigend, AT, § 31 IV 2; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 415; für eine direkte Anwendung LK-StGB-Rönnau/Hohn, 13. Aufl., § 32 Rn. 268; Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 104. 221 LG Essen BeckRS 2008, 8182, Rn. 6 f.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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Abschnitt A der Ausfuhrliste erfasst, da sie ursprünglich für die ausschließliche Nutzung im Rahmen des Waffensystems HAWK angefertigt worden waren; Letzteres war dem Angeklagten bekannt.222 Bei Ausfuhr der ersten Aggregate hatte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen keine Kenntnis einer Genehmigungspflicht. Dies wird vom LG als für den Vorsatz unerheblich erachtet, wobei wieder auf die Einstufung als „repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“223 abgestellt wird.224 Die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Waren seien „potentiell so gefährlich, dass der Handel mit ihnen nicht als normales sozialadäquates Verhalten eingestuft“ werden könne, weshalb die Ausfuhr ein grundsätzlich wertwidriges Verhalten darstelle, das nur im Einzelfall genehmigt (und dadurch gerechtfertigt) werden könne.225 Der Irrtum über das Bestehen des Erfordernisses einer Genehmigung sei im Fall eines repressiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt als Verbotsirrtum einzustufen. Ein Irrtum über das Erfordernis, eine Genehmigung einzuholen, besteht auch in folgendem Fall 34: Antiquitätenhändler A führt zwei Torpedonetze226 nach Kanada aus. Er hat keine Kenntnis von einer Genehmigungspflicht, weshalb er auch keine Genehmigung eingeholt hat. Wie in Kapitel 4 herausgearbeitet, werden bei der Behandlung des Irrtums über das Genehmigungserfordernis verschiedene Vorgehensweisen vertreten: Die herrschende Meinung unterscheidet bei den Genehmigungstatbeständen zwischen solchen mit präventiven und solchen mit repressiven Verboten und klassifiziert bei ersteren das Merkmal der Genehmigung als negatives (normatives) Tatbestandsmerkmal, weshalb der Irrtum über die Genehmigungspflicht hier Tatumstandsirrtum sein soll, bei letzteren hingegen als Rechtfertigungsgrund, weshalb hier ein Verbotsirrtum angenommen wird.227 Dagegen nehmen Teile der Literatur beim Irrtum über die Genehmigungspflichtigkeit stets einen Tatumstandsirrtum, andere hingegen immer einen Verbotsirrtum an, wobei nur teilweise an der Unterscheidung von der Genehmigung als negativem Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund festgehalten wird.228 Die Differenzierung zwischen präventiven und repressiven Verboten bedingt indes die Schwierigkeit der Einordnung, welcher Genehmigungstatbestand nun welche Art von Verbot enthält. Für § 18 Abs. 2 AWG und auch für andere Straftatbestände des § 18 AWG sowie für § 22a KrWaffG wird immerhin beides vertreten. Es erscheint aber reichlich problematisch, die für den Täter so wichtige Unterscheidung von vorsätzlichem und nicht vorsätzlichem Handeln von 222
LG Essen BeckRS 2008, 8182, Rn. 8, 46. Gemeint ist wohl „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“, wie es in der gängigen Terminologie heißt. 224 LG Essen BeckRS 2008, 8182, Rn. 54. 225 LG Essen BeckRS 2008, 8182 Rn. 54. 226 Position 0009 lit. d der AL zur AWV. 227 Siehe dazu Kapitel 4 J. II. 1. 228 Siehe dazu Kapitel 4 J. II. 3. a) und b). 223
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
dieser geradezu willkürlichen Einteilung abhängig zu machen. Je nachdem, ob man in § 18 Abs. 2 AWG ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt oder aber ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt sieht, würde A in Fall 34 entweder unvorsätzlich oder lediglich ggf. schuldlos handeln, wobei ein Verbotsirrtum wohl als vermeidbar eingestuft werden würde. Gerade wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten ist davon auszugehen, dass das Merkmal der Genehmigung stets „nur“ Rechtfertigungsgrund sein kann.229 Bei strikter Anwendung der §§ 16, 17 StGB ist aber der Irrtum über die Genehmigungspflicht immer Verbotsirrtum, und zwar unabhängig davon, ob man das Merkmal der Genehmigung als negatives Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund ansieht. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB liegt kein Vorsatz vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, kann nur anhand der Heranziehung anderer Rechtsnormen festgestellt werden, ob bzw. dass eine Pflicht zur Einholung einer Genehmigung existiert, weshalb in Straftatbeständen, die den Verstoß gegen eine Genehmigungspflicht sanktionieren, das Merkmal „ohne Genehmigung“ bzw. „entgegen einer Genehmigungspflicht“ durch die entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsrechts auszufüllen ist.230 Der das Genehmigungsmerkmal enthaltende Straftatbestand ist mit diesen Vorschriften zusammenzulesen, woraus sich dann ergibt, wann die Einholung einer Genehmigung erforderlich ist. Diesbezüglich stellt das Merkmal der Genehmigung ein Blankettmerkmal dar, weshalb nach richtiger Ansicht nur die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen als Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm vom Tätervorsatz umfasst werden müssen. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflicht fehlt dem Täter daher lediglich die Einsicht, Unrecht zu tun i. S. d. § 17 StGB, wobei auch hier, wie bei den sonstigen Blanketttatbeständen, das Argument des mangelnden „Unrechtsappells“ nicht greift.231 Daher hat in A Fall 34 vorsätzlich gegen § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG verstoßen. Folglich ist dem LG Essen232 auch nur im Ergebnis der Einordnung des Irrtums über das Bestehen des Erfordernisses einer Genehmigung als Verbotsirrtum beizupflichten und die dort im Einklang mit der sonstigen Rechtsprechung beibehaltene Unterscheidung zwischen Genehmigungstatbeständen, die präventive Verbote mit Befreiungsvorbehalt darstellen, und solchen, die repressive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt enthalten, abzulehnen. Parallel zum Irrtum über eine Genehmigungspflicht gelten die dargestellten Grundsätze auch bei den Catch-All-Vorschriften des § 18 Abs. 2 Nr. 1 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 AWV und § 18 Abs. 5 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Dual-UseVO, wenn der Ausführer Kenntnis des sensiblen Bestimmungszwecks und -landes hat, aber nicht um seine sich daraus ergebende Unterrichtungspflicht weiß. Die 229
Siehe dazu Kapitel 3 E. und oben E. IV. 1. a). Siehe dazu Kapitel 3 D. III. und Kapitel 4 J II. 4. a). 231 Siehe dazu Kapitel 3 E. und Kapitel 4 I. II. 5. a). 232 LG Essen, BeckRS 2008, 8182. 230
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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Unkenntnis der Unterrichtungspflicht begründet ebenfalls bloß einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum. 3. Irrtum im Zusammenhang mit einer rechtsmissbräuchlich erwirkten Genehmigung Eine Besonderheit ergibt sich aus § 17 Abs. 6 und § 18 Abs. 9 AWG, die entgegen den gewöhnlichen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen das Handeln aufgrund einer erschlichenen oder rechtsmissbräuchlich erlangten Genehmigung dem Handeln ohne Genehmigung gleichstellen. Verlangt wird hier allerdings, dass die Genehmigung auch tatsächlich materiell rechtswidrig ist, da durch § 17 Abs. 6 und § 18 Abs. 9 AWG nur der Verstoß gegen ausfuhrrechtliche Vorschriften bestraft werden soll – was aber nur bei Rechtswidrigkeit der erlangten Genehmigung der Fall ist –, nicht aber die Verwendung der Mittel, mit denen ein Erschleichen oder ein rechtsmissbräuchliches Erlangen vorgenommen wurde.233 Beim Erwirken durch Drohung, Bestechung oder Kollusion kennt der zuständige Bearbeiter der ausstellenden Behörde die Rechtswidrigkeit, beim Erschleichen dagegen wird er durch unrichtige oder unvollständige Angaben getäuscht.234 Das Erschleichen oder rechtsmissbräuchliche Erlangen setzt vorsätzliches Handeln im Sinne eines zielgerichteten Tuns voraus.235 Erkennt der Täter erst nach Erteilung der Genehmigung die entsprechenden Umstände, können § 17 Abs. 6 und § 18 Abs. 9 AWG grundsätzlich nicht angewendet werden;236 hingegen wird von der h. M. ein Erschleichen auch dann angenommen, wenn der Täter noch vor Erteilung der Genehmigung von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner gutgläubig getätigten Angaben erfährt und es vorsätzlich unterlässt, diese zu korrigieren.237 Fall 35: Waffenhändler H beantragt eine Genehmigung für die Ausfuhr von Scharfschützengewehren238 nach Kanada, wobei er irrtümlicherweise davon ausgeht, dass die Gewehre auch dort verleiben werden, und daher Kanada im Antrag auch als Endverbleibsland angibt. Nach Erteilung der Genehmigung erfährt H, dass die 233 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 37; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 43; Wolffgang/ Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 142. 234 Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 150. 235 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 58. – Es ist schließlich nicht denkbar, wie diese Handlungen mit bloßer Kenntnis oder bedingtem Vorsatz vorgenommen werden könnten. 236 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 58. 237 Bieneck-Bieneck, § 25 Rn. 27; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 28. – Genaugenommen müsste man in diesem Fall von einem Erschleichen durch Unterlassen i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB sprechen, wobei fraglich ist, woraus sich die notwendige Garantenstellung ergibt; ein pflichtwidriges Vorverhalten i. S. d. Ingerenz liegt schließlich bei gutgläubig getätigten Angaben nicht vor. Daher ist ein „Erschleichen durch Unterlassen“ abzulehnen, vgl. Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 43. 238 Position 0001 lit. a Nr. 2b der AL zur AWV.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Gewehre von Kanada aus nach Simbabwe, einem Embargoland nach § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 74 Abs. 1 Nr. 13 AWV, weiterverschifft werden sollen. Fall 36: Wie in Fall 35, nur dass H noch vor Genehmigungserteilung erfährt, dass die Gewehre von Kanada aus nach Simbabwe weiterverschifft werden sollen. H fühlt sich nicht verpflichtet, die Angaben zu korrigieren, weil er es für ausreichend erachtet, im Zeitpunkt der Beantragung seine Angaben nach bestem Wissen gemacht zu haben. In Fall 35 findet § 17 Abs. 6 AWG keine Anwendung, weil aufgrund des Irrtums des H über den tatsächlichen Endverbleib schon kein Erschleichen vorliegt. In Fall 36 hingegen ist H der herrschenden Meinung zufolge zur Richtigstellung seiner Angaben vor Genehmigungserteilung verpflichtet, weshalb hier ein Irrtum über eine Handlungspflicht i. S. e. Gebotsirrtums nach § 17 StGB vorliegt.239 Die Genehmigung muss ferner „durch“ das entsprechende Verhalten erwirkt worden, die Handlung muss also kausal für die Erlangung der rechtswidrigen Genehmigung gewesen sein.240 War das Verhalten des Täters nicht kausal für die Erteilung der Genehmigung, z. B. weil der zuständige Behördenmitarbeiter trotz Drohung die gewünschte und im konkreten Falle wegen des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen auch rechtmäßige Genehmigung erteilt hätte, fehlt es an dieser Kausalität.241 Fall 37: Die Ausfuhrverantwortliche A einer Firma, die Anlagen für die Rückgewinnung von Tritium242 herstellt, möchte eine Ausfuhrgenehmigung für eine Anlage erhalten. Weil sie firmenintern unter großem Druck steht und irrtümlicherweise der Auffassung ist, die Ausfuhr sei nicht genehmigungsfähig, droht A dem zuständigen Beamten damit, diesem eine Schlägertruppe zu Hause vorbeizuschicken, sollte dieser die Genehmigung nicht erteilen. Der Beamte erteilt die Ausfuhrgenehmigung. A geht davon aus, aufgrund ihrer Drohung eine rechtswidrige Genehmigung erhalten, also erwirkt zu haben. Tatsächlich aber waren aber die Genehmigungsvoraussetzungen für die Ausfuhr der Tritiumrückgewinnungsanlage gegeben und der zuständige Beamte hatte schon bei Antragseingang und vor der Drohung alle Schritte für Genehmigungserteilung eingeleitet. Hier fehlt es an einer Kausalität zwischen dem Verhalten der A und der Erteilung der Genehmigung. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs von § 18 Abs. 5 Nr. 1 Var. 1 i. V. m. Abs. 9 AWG. Dies ergibt sich daraus, dass nach hiesiger Ansicht sowohl bei der irrtümlichen Annahme des Vorliegens eines negativen Tatbestandsmerkmals (Nicht-Vorliegen der Genehmigung), als auch 239
Vgl. Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 43. – Zur Frage der Garantenpflicht siehe Fn. 237. 240 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 24; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 53. 241 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 53 Fn. 59. 242 Position 1B231a des Anhangs I der Dual-Use-VO.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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bei Unkenntnis des Täters von der objektiv rechtfertigenden Lage eine Versuchsstrafbarkeit zu bejahen ist.243 Auch bleibt eine Strafbarkeit nach den allgemeinen Vorschriften möglich, z. B. nach § 240 StGB.244 Im KrWaffG hingegen existiert keine ausdrückliche Regelung für eine erschlichene oder durch Drohung, Kollusion oder Bestechung erwirkte Genehmigung. Fraglich ist daher, welche Wirkung einer solchen Genehmigung im Rahmen des Kriegswaffenkontrollrechts zuzusprechen ist. Während ein Teil der Literatur in Anwendung der sog. Missbrauchslehre eine auf unlautere Art und Weise erlangte Genehmigung im Gleichlauf mit den expliziten Regelungen des AWG oder auch in § 16 Abs. 4 des Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜAG) sowie im Umweltstrafrecht bei § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB als unwirksam ansehen möchte,245 ist mit der entgegengesetzten Ansicht angesichts des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG mangels entsprechender Regelung davon auszugehen, dass in diesen Fällen kein Handeln ohne Genehmigung gegeben ist.246 Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen ist eine durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichene oder durch Drohung, Kollusion oder Bestechung erwirkte Genehmigung zwar rechtswidrig, nicht aber nichtig.247 Ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist jedoch bis zur Rücknahme nach § 48 VwVfG wirksam. Fall 38: Der Hersteller von Granatpistolen248 G möchte zweihundert Stück davon an K verkaufen und überlassen. Wie in Fall 37 geht G irrtümlicherweise davon aus, die Überlassung sei nicht genehmigungsfähig, weshalb er dem für die Genehmigung zuständigen Beamten damit droht, diesem im Falle der Nichterteilung der Genehmigung eine Schlägertruppe zu Hause vorbeizuschicken. Der Beamte erteilt die Ausfuhrgenehmigung. G denkt, dass er die Genehmigung ausschließlich aufgrund seiner Drohung erhalten hat. Tatsächlich aber lagen die Genehmigungsvoraussetzungen vor und der zuständige Beamte hatte schon bei Antragseingang und vor der Drohung alle Schritte für Genehmigungserteilung eingeleitet. In Ermangelung einer §§ 17 Abs. 6, 18 Abs. 9 AWG entsprechenden Regelung im KrWaffG begründet der Irrtum des G hier keinen untauglichen Versuch des § 22a 243
Siehe dazu bereits E. IV. c). Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 53 Fn. 59. 245 Otto, ZStW 105 (1993), 565 (568); Tiedemann, WirtschaftsstrafR, § 6 Rn. 385; allgemein Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 110 ff.; Otto, Jura 1991, 308 (313 f.); vgl. zum Streitstand auch Holthausen, NStZ 1988, 257 ff. 246 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Beckemper, IV 4 Rn. 34; Pottmeyer, § 22a KrWaffG Rn. 22; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 22a KrWaffG Rn. 8; Müko-StGBHeinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 34; Steindorf-Heinrich, § 22a KWKG Rn. 4. – Da das Merkmal der Genehmigung bei § 22a KrWaffG überwiegend als Tatbestandsmerkmal gesehen wird, wird hier ein Tatbestandsausschluss angenommen. 247 Vgl. Knack/Henneke-Peuker, § 43 VwVfG Rn. 13; Kopp/Ramsauer-Ramsauer, § 43 VwVfG Rn. 3a; Obermayer/Funke-Kaiser-Baumeister, § 43 VwVfG Rn. 22. 248 Position Nr. 30 der KWL. 244
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Abs. 1 Nr. 2 KrWaffG, denn es läge auch bei zutreffender Einschätzung des G kein Handeln ohne Genehmigung vor. Dass dies im krassen Gegensatz zu Fall 37 steht, ist nicht von der Hand zu weisen, weshalb de lege ferenda der Erlass einer dem §§ 17 Abs. 6, 18 Abs. 9 AWG entsprechenden Regelung für das KrWaffG dringend anzuraten ist.249
V. Doppelirrtümer Schließlich können auch noch Irrtümer in doppelter Hinsicht vorkommen. Einerseits kann der Täter irrigerweise davon ausgehen, über eine Genehmigung zu verfügen, obwohl die in seiner Vorstellung vorhandene Genehmigung sein Verhalten gar nicht umfassen würde. Dies kann, je nach Einordnung des Genehmigungsmerkmals, entweder einen Doppelirrtum (Kombination von Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum) auf Tatbestandsebene oder eine Kombination von Erlaubnistatumstandsirrtum und Erlaubnisirrtum auf Rechtswidrigkeitsebene darstellen.250 Andererseits kann der Täter im Ergebnis richtig, aber aus falschen Gründen glauben, Unrecht zu verwirklichen.251 Dies kann entweder vorkommen, wenn der Täter einem Tatumstandsirrtum unterliegt, gleichzeitig aber aufgrund eines weiteren Irrtums annimmt, trotzdem den Tatbestand verwirklicht zu haben, oder wenn der Täter im Verbotsirrtum handelt, aufgrund eines Wahndelikts aber dennoch von der Unrechtmäßigkeit seiner Tat ausgeht (sog. doppelter Verbotsirrtum).252 Fall 39: Das Lkw-Produktionsunternehmen P stellt sowohl Fahrzeuge mit gepanzerten Kraftstoffstanks und Fahrzeugkabinen als auch gewöhnliche, ungepanzerte Fahrzeuge her. Bei einer konkreten Ausfuhr einer Lkw-Charge, die der Ausfuhrverantwortliche V von P nach Indien vornimmt, geht Vaufgrund von Unkenntnis der vorgenommenen Panzerungen an dieser Lkw-Charge davon aus, gewöhnliche Lkws auszuführen und hat daher keine Genehmigung eingeholt; tatsächlich handelt es sich aber um Fahrzeuge mit gepanzerten Kraftstofftanks und Fahrzeugkabinen.253 V geht aber auch davon aus, dass schon die Ausfuhr gewöhnlicher Lkws nach Indien verboten sei. Fall 40: Motorenherstellerin M führt Dieselmotoren, die für U-Boote besonders konstruiert sind,254 nach Russland aus. Sie geht dabei aufgrund eines Systemfehlers 249 So auch Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis-Nestler, § 22a KrWaffG Rn. 8 und Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 34. 250 Vgl. nur Heinrich, AT, Rn. 1146 ff. 251 BeckOK-StGB-Heuchemer, 54. Ed., § 17 Rn. 23 f.; Heinrich, AT, Rn. 1147; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 11; zu Letzterem auch Baumann/Weber/Mitsch/EiseleEisele, § 18 Rn. 97 ff. 252 Vgl. nur Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 18 Rn. 97 ff. 253 Position 0006 lit. a Anmerkung 1 lit. b, Anmerkung 2 lit. b der AL zur AWV. 254 Position 0009 lit. b Nr. 1 der AL zur AWV; die dort genannten Eigenschaften werden hier unterstellt.
E. Irrtümer im Zusammenhang mit den Tathandlungen
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in ihrer Datenbank davon aus, die dafür notwendige Genehmigung erhalten zu haben. Tatsächlich liegt eine solche Genehmigung nicht vor; im Übrigen ist eine Ausfuhr von Dieselmotoren für U-Boote nach Russland aber auch gar nicht genehmigungsfähig, d. h. die von M angenommene Genehmigung würde für ihre Ausfuhr daher auch gar nicht gelten. In Fall 39 verwirklicht V objektiv den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG, indem er Fahrzeuge mit gepanzerten Kraftstofftanks und Fahrzeugkabinen ohne Genehmigung ausführt. Subjektiv unterliegt V aber erstens einem Irrtum in tatsächlicher Hinsicht, nämlich über die Panzerung der Lkws, zweitens einem Irrtum in rechtlicher Hinsicht, indem er davon ausgeht, auch die Ausfuhr gewöhnlicher Lkws nach Indien sei strafbar. Während teilweise die vorsätzliche Vollendung des Delikts mit dem Argument angenommen wird, die Irrtümer würden sich gegenseitig aufheben,255 ist mit der herrschenden Lehre dagegen einzuwenden, dass „fehlendes Handlungsunrecht nicht durch die Vorstellung, sich strafbar zu machen, kompensiert werden kann“.256 Es liegen daher, gesondert zu betrachten, ein Tatumstandsirrtum und ein Wahndelikt vor, sodass in Fall 39 allenfalls bei gegebener Fahrlässigkeit eine Ordnungswidrigkeit nach § 19 Abs. 1 AWG gegeben ist.257 Eine getrennte Betrachtungsweise muss auch beim doppelten Verbotsirrtum gelten, bei dem der Täter das spezifische Unrecht seiner Tat nicht kennt, diese aufgrund der irrigen Annahme des Eingreifens einer tatsächlich nicht existierenden Norm oder durch Überdehnung einer existenten Strafnorm jedoch als verboten ansieht. Auch hier kann keine „Aufhebung“ des Verbotsirrtums durch das Wahndelikt i. d. S. erfolgen, sodass der Verbotsirrtum nicht zu berücksichtigen ist; das Unrechtsbewusstsein muss sich stets auf die spezifische Rechtsgutsverletzung beziehen.258 In Fall 40 ist zu unterscheiden: Sieht man im Merkmal der Genehmigung ein negatives Tatbestandsmerkmal, liegt ein Doppelirrtum auf Tatbestandsebene vor. Hier treffen ein Tatumstandsirrtum (Irrtum über das Vorliegen einer Genehmigung für die Ausfuhr) und ein Verbotsirrtum (Unkenntnis darüber, dass diese Ausfuhr nicht genehmigungsfähig ist) aufeinander. Indes schließt in dieser Konstellation der Tatumstandsirrtum bereits den Vorsatz aus, sodass es auf den Verbotsirrtum nicht mehr ankommt.259 Da beim in Fall 40 einschlägigen Tatbestand des § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 74 Abs. 1 Nr. 12, 76 AWV und Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste nur leichtfertiges, nicht jedoch fahrlässiges Handeln mit Strafe bedroht ist,260 bleibt M 255 Kuhlen, S. 494 ff.; Puppe, GA 1990, 145 (156); dies., Herzberg-FS 2008, S. 275 (280 f.). 256 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 11; so auch Haft, JuS 1980, 588 (591); Heinrich, AT, Rn. 1146; Jakobs, AT, 8/59; Schlüchter, S. 122 ff.; Schroth, S. 42, 75 f. 257 Vgl. Walter, S. 354. 258 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 18 Rn. 99; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 17 Rn. 20; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 11; SK-StGB-Rogall, § 17 Rn. 15; Walter, S. 356. 259 Heinrich, AT, Rn. 1146; Kindhäuser, JuS 2019, 953 (958). 260 Siehe dazu Kapitel 1 B. I. Fn. 25.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
straflos. Sieht man im Merkmal der Genehmigung dagegen nach hier vertretener Auffassung einen Rechtfertigungsgrund, so irrt M über das Vorliegen der Voraussetzungen eines in diesem Fall rechtlich gerade nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes (§ 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 74 Abs. 1 Nr. 12 AWV enthält für die Ausfuhr von o. g. Dieselmotoren nach Russland gar nicht die Möglichkeit der Genehmigung und daher auch kein Genehmigungsmerkmal), was ein Zusammenfallen von Erlaubnistatumstands- und Erlaubnisirrtum bedeutet.261 Dieses Zusammentreffen beider Irrtümer muss indes richtigerweise nach § 17 StGB behandelt werden, denn der Irrtum im tatsächlichen Bereich vermag nicht darüber hinweghelfen, dass M auch bei Vorliegen des von ihr vorgestellten Sachverhalts nicht gerechtfertigt wäre.262 M unterliegt hinsichtlich des einschlägigen § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. § 74 Abs. 1 Nr. 12 AWV daher lediglich einem vermeidbaren Verbotsirrtum.
F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele § 17 Abs. 2 und § 18 Abs. 7 AWG enthalten Qualifikationstatbestände, die im Falle des § 18 AWG die dort genannten Vergehen zu einem Verbrechen mit einer Mindeststrafandrohung von einem Jahr hochstufen. Im Falle des § 17 Abs. 2 AWG sind die Qualifikationstatbestände das Handeln für den Geheimdienst einer fremden Macht sowie das gewerbs- oder bandenmäßige Handeln. Nach § 18 Abs. 7 Nr. 2 AWG können dessen Absätze 1, 1a sowie 2 bis 5 ebenfalls gewerbs- oder bandenmäßig begangen werden; § 18 Abs. 7 Nr. 1 und 3 AWG bestimmen zusätzlich für Embargoverstöße nach Abs. 1 und Abs. 1a eine Qualifikation für den Fall des Handelns für den Geheimdienst einer fremden Macht (Nr. 1) sowie dann, wenn sich die Embargoverstöße auf die Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung von Flugkörpern für chemische, biologische oder Atomwaffen beziehen (Nr. 3). Die Qualifikationsvorschriften der § 17 Abs. 3 und § 18 Abs. 8 AWG enthalten eine Kombination von gewerbs- und bandenmäßigem Handeln mit einer Mindeststrafandrohung von zwei Jahren. Für Abs. 5a ist dagegen keine Qualifikation vorgesehen. § 22a KrWaffG sieht in seinem Abs. 2 eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle vor; als Regelbeispiele werden ausdrücklich die gewerbsmäßige und die bandenmäßige Begehung benannt. Anerkanntermaßen gehören die qualifizierenden Merkmale, die ein Qualifikationstatbestand im Verhältnis zum Grundtatbestand aufweisen muss, zum „gesetzlichen Tatbestand“ der Qualifikation i. S. des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und müssen folglich vom Vorsatz umfasst sein, wobei nach allgemeinen Grundsätzen bedingter 261 BeckOK-StGB-Heuchemer, 54. Ed., § 17 Rn. 23; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, § 16 Rn. 122; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 11; Walter, S. 355. 262 BeckOK-StGB-Kudlich, 54. Ed., § 16 Rn. 25 f.; Esser/Rübenstahl/Saliger/TsambikakisEidam, § 17 StGB Rn. 25; Frister, AT, 14. Kap. Rn. 36; Heinrich, AT, Rn. 1148 ff.; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 11; Schuster, S. 201; Walter, S. 355.
F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele
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Vorsatz ausreichend ist.263 Ebenfalls muss sich nach allgemeiner Auffassung der Vorsatz in analoger Anwendung von § 16 StGB auf die Merkmale beziehen, die zu einem gesetzlich festgelegten Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall führen.264 Zu untersuchen sind im Folgenden Irrtumskonstellationen betreffend die Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele.
I. Irrtum im Zusammenhang mit dem Handeln für einen Geheimdienst einer fremden Macht Ausweislich der Gesetzesbegründung265 soll der Qualifikationstatbestand des Handelns für einen Geheimdienst einer fremden Macht der „erhöhten Gefährlichkeit einschlägiger Beschaffungsoperationen bei geheimdienstlicher Steuerung“ Rechnung tragen, insbesondere im Proliferationsbereich. Dabei entspricht der Begriff des Geheimdienstes demjenigen in § 99 StGB, sodass unter „Geheimdienst einer fremden Macht“ jede ständige Einrichtung im staatlichen Bereich zu verstehen ist, die vor allem für die politische Führung Nachrichten mithilfe geheimer Mittel sammelt und systematisiert, mit dem Ziel, insbesondere die politische Lage fremder Mächte und deren militärische und wirtschaftliche Stärken abzuklären.266 Im Bereich der Proliferation hat die Mitwirkung von Geheimdiensten aber ihren Schwerpunkt eher bei der Beschaffung relevanter Güter.267 Übereinstimmend wird es als unerheblich erachtet, ob die Geheimdienste als staatliche Einrichtungen erkennbar sind oder nicht; abgestellt wird vielmehr auf eine funktionale Betrachtungsweise, d. h. der Geheimdienst muss staatlichen Zwecken dienen.268 Daher sind auch private Tarnorganisationen als „Geheimdienst“ anzusehen, wenn sie von einem solchen gesteuert oder in ihren Geschäftstätigkeiten in einer Weise beaufsichtigt werden, dass dies als Tätigwerden für einen Geheimdienst angesehen werden kann.269 Rein private Organisationen ohne staatlichen Auftrag sowie Einrichtungen, denen keine gewisse
263
Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 37; LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 16 Rn. 53; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 152. 264 Fischer, § 16 Rn. 11; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 27. 265 BT-Drucks. 17/11127, S. 26. 266 Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 17. 267 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 44. 268 Graf/Jäger/Wittig-Cornelius, § 17 AWG Rn. 26; Leitner/Rosenau-Ahlbrecht, § 17 AWG, § 80 AWV Rn. 17; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 26 f. – Daher wird z. B. Beschaffungsstrukturen, deren Aufgabe darin besteht, staatlich gelenkt den Erwerb gewisser Waffen und Technologien zu koordinieren, ebenfalls Geheimdienstqualität zugesprochen; vgl. MükoStGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 44. Für Kriterien zur funktionellen Einstufung als Geheimdienst siehe Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 113. 269 BGH NStZ-RR 2005, 305 f.; BGH NStZ 2006, 160; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 21; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 112.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Beständigkeit zugesprochen werden kann, scheiden dagegen aus.270 Bei der „fremden Macht“ i. S. der §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG muss es sich auch nicht zwingend um einen völkerrechtlich anerkannten Staat oder dessen rechtmäßige Regierung handeln; auch Exilregierungen oder Rebellengruppen innerhalb eines fremden Staatsgebiets können eine solche fremde Macht darstellen, wenn sie staatliche Funktionen wahrnehmen wollen.271 Das Handeln muss zielgerichtet für einen fremden Geheimdienst erfolgen, wobei bedingter Vorsatz hinsichtlich der tatsächlichen Umstände ausreicht, aus denen sich die Einordnung des Gegenübers als fremder Geheimdienst ergibt.272 Der Täter kann sich nun darüber irren, überhaupt für einen Geheimdienst tätig zu werden. Hier ist wieder zwischen Irrtümern, die auf falschem Tatsachenwissen basieren, und solchen Irrtümern zu unterscheiden, die aufgrund unzutreffender Bewertungen unterlaufen. Fall 41: Händler H verkauft Patronen für Maschinengewehre des Typs AK-47273 an eine vorgeblich private Sicherheitsfirma in den Libanon, die aber tatsächlich für den libanesischen Geheimdienst arbeitet und von diesem auch mit dem Kauf der Patronen beauftragt wurde. H geht davon aus, dass es sich um eine private Firma und nicht um den libanesischen Geheimdienst handelt. Fall 42: Wie in Fall 41 verkauft und exportiert H Patronen für Maschinengewehre des Typs AK-47 an einen Kunden K in Venezuela. Für seine Einreise nach Venezuela wird H mit einem falschen Reisepass ausgestattet; die Abwicklung des Verkaufs und der Lieferung erfolgt über Tarnfirmen und Tarnadressen. K ist Teil einer Rebellengruppe in Venezuela, die, was H auch bekannt ist, den Sturz der sozialistischen Regierung Venezuelas und die Errichtung eines neuen Regimes zum Ziel hat. H geht aber nicht davon aus, dass es sich bei K um einen Geheimdienst handelt. Auch wenn es in Fall 41 objektiv nicht fernliegt, dass zwischen der auf libanesischer Seite an dem Geschäft beteiligten Firma und libanesischen Geheimdienststellen Verbindungen bestehen, reicht dies nicht aus, um ein vorsätzliches Handeln des H hinsichtlich des Merkmals „Geheimdienst“ anzunehmen;274 H, der durch sein Handeln den Tatbestand des §§ 17 Abs. 1 AWG, 80 Abs. 1 Nr. 1, 74 Abs. 1 Nr. 9 AWV275 erfüllt hat, handelt bezüglich der Qualifikation des § 17 Abs. 2 Nr. 1 AWG in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, da er keine Kenntnis davon hatte, an eine „fremde Macht“ zu liefern. Wenn H dagegen in Fall 42 aufgrund der Tatsache, dass er an eine aufständische Gruppierung liefert, nicht davon ausgeht, es handele sich hier um einen Geheimdienst einer fremden Macht, stellt dies einen Subsumtionsirrtum i. S. e. Verbotsirr270
Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 114. Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 83. 272 Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 114. 273 Position 0003 lit. a der AL zur AWV. 274 Vgl. BGH NStZ-RR 2005, 305 f. 275 Daneben kommt natürlich noch eine Strafbarkeit nach § 22a Nr. 2 KrWaffG in Betracht.
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F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele
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tums dar, denn nach der funktionalen Betrachtungsweise ist das Merkmal eines Geheimdienstes erfüllt;276 die Rebellengruppe stellt auch nach obiger Definition eine fremde Macht dar. Anders als § 99 StGB setzen §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG keine „geheimdienstliche Tätigkeit“, sondern nach dem Wortlaut nur ein schlichtes „Handeln für“ den fremden Geheimdienst voraus. Was darunter zu verstehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Übereinstimmend wird zunächst davon ausgegangen, dass eine funktionelle Eingliederung des Täters in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes nicht erforderlich ist.277 Ob aber zumindest eine Einbindung des Täters in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur vorliegen muss, ist streitig:278 So wird nach einer weiten Auslegung davon ausgegangen, für das Handeln „für den Geheimdienst einer fremden Macht“ reiche es aus, dass der Täter jedenfalls damit rechne, sein Handeln komme dem fremden Geheimdienst auf irgendeine Art zugute, wobei „keine vorherige Kontaktaufnahme zu dem fremden Geheimdienst im Sinne eines SichBereit-Erklärens […] erforderlich [ist], so dass z. B. auch derjenige den Tatbestand erfüllt, der Waffen, Technologie oder sensitive Dual-Use-Güter an einen von ihm als solchen erkannten Geheimdienstemissär eines Waffenembargolandes veräußert.“279
Einer engeren Auslegung zufolge liegt ein „Handeln für“ dagegen nur vor, wenn sich die Tat als „Ausfluss der Eingliederung in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur“ darstellt, z. B. indem sich der Täter in ein „Beschaffungsnetzwerk“ einfügt und an diesem mitwirkt, weil nur so der zusätzlichen Rechtsgutsgefährdung durch die Qualifikation Rechnung getragen werde.280 Daher sei im Einzelfall zu prüfen, ob auch bereits die „Mitwirkung an einem einmaligen Beschaffungsgeschäft“ den Qualifikationstatbestand objektiv erfüllen könne.281
276 Vgl. Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 113. – Vgl. auch Müko-StGB-Hegmann/Stuppi, 4. Aufl., § 99 Rn. 6: „Mit Blick auf Revolutionsregime und ,Gottesstaaten‘, die ihre Machtstrukturen ganz bewusst von europäischen Mustern abheben, kann das Verständnis vom Geheimdienst auch nicht auf europäische Vorstellungen von Ministerien und Behörden eingeengt werden. Nachrichtendienste nutzen nicht nur ,legale Dächer‘ wie Botschaften, Fluggesellschaften, Außenhandelsfirmen als Tarnung, sondern besondere operative Möglichkeiten in Machtgebilden jeder Art – bis hin zu Strukturen der OK [Organisierten Kriminalität]“. 277 BGH BeckRS 2020, 23309 Rn. 25; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 28; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 112. 278 Vgl. auch BGH BeckRS 2020, 23309 Rn. 27, wo dies ausdrücklich offenbleibt. 279 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 83. – So auch Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 27; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 144; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 112. 280 BGH BeckRS 2020, 23309 Rn. 27; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 22; MükoStGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45. 281 Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 22.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Fall 43: Chemiker C verkauft Psychokampfstoffe des Typs BZ nach Syrien, wobei bei der Abwicklung des Verkaufs, die in Deutschland stattfindet, seine direkte Kontaktperson ein Agent des syrischen Geheimdienstes ist, was C auch weiß. Im späteren Strafprozess beruft er sich darauf, bei diesem einmalig stattgefundenen Geschäft in keiner Weise in die Struktur des syrischen Geheimdienstes eingebunden gewesen zu sein und daher auch nicht „für“ diesen i. S. einer Eingliederung in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur gehandelt zu haben. Allerdings ist nach hier vertretener Meinung bei der Auslegung des Merkmals „für den Geheimdienst einer fremden Macht“ seitens des Täters nur das billigende InKauf-Nehmen in Bezug darauf fordern, dass die Ergebnisse des Handelns dem Geheimdienst einer fremden Macht zugutekommen. Nur dies wird dem Schutzzweck von §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG gerecht, nachdem der Unrechtsgehalt eines solchen Embargoverstoßes „wegen der mit dem Handeln fremder Geheimdienste auf deutschem Boden einhergehenden Souveränitätsverletzung der Bundesrepublik Deutschland“ deutlich größer erscheint, „wenn fremde Staaten durch ihre Dienste gegen Interessen der Bundesrepublik Deutschland agieren, um gegen ein Embargo zu verstoßen“.282 Dies ist indes schon dann der Fall, wenn eine verbotene Veräußerung durch einen nicht näher qualifizierten Dritten an einen Geheimdienst erfolgt. Der Irrtum des C über das Vorliegen eines Handelns „für den Geheimdienst einer fremden Macht“ in Fall 43 kann nach Auffassung des BGH nicht einmal einen Verbotsirrtum begründen, da bei qualifizierten Delikten das Unrechtsbewusstsein bereits dann gegeben sei, wenn der Täter Kenntnis der spezifischen Rechtsgutsverletzung hat, die den Grundtatbestand erfasst.283 Nach der vorzugswürdigen Gegenmeinung wird indes ein auf den qualifizierten Tatbestand bezogenes spezifisches Unrechtsbewusstsein verlangt.284 Der Täter müsse sich bewusst sein, dass über den Grundtatbestand hinaus ein weiteres Rechtsgut geschützt werde; es ist hier von einer Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins hinsichtlich des konkreten Schutzguts die Rede.285 Daher liegt in Fall 43 ein Verbotsirrtum des C vor, dem das spezifische Unrechtsbewusstsein in Bezug auf das Handeln für einen fremden Geheimdienst fehlt. Es kann aber die Unvermeidbarkeit dieses Irrtums im konkreten Fall angenommen werden, weil höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung des „Handelns für“ den Geheimdienst einer fremden Macht fehlt und die Auffassung des C in der Kommentarliteratur durch einige Autoren gestützt wird.286
282
BT-Drucks. 17/11127, S. 26. BGHSt 15, 377 (383). 284 LK-StGB-Vogel/Bülte, 13. Aufl., § 17 Rn. 21; Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 17 Rn. 18; NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 36 f.; Roxin/Greco, AT I, § 21 Rn. 17; Sch/SchSternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 8; SK-StGB-Rogall, § 17 Rn. 13. 285 Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 17 Rn. 18; NK-StGB-Neumann, § 17 Rn. 37. 286 Vgl. BGH NJW 2007, 3078 (3079); OLG Stuttgart, NJW 2008, 243 (244 f.). 283
F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele
311
II. Irrtum über die gewerbsmäßige Begehung Nach der aus dem allgemeinen Strafrecht bekannten Definition, die auch im Außenwirtschaftsstrafrecht Anwendung findet, liegt ein gewerbsmäßiges Handeln vor, wenn sich der Täter durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen möchte.287 Dabei wird gefordert, dass das Gewinnstreben eine „gewisse Intensität“ aufweist, entweder durch die Höhe des erstrebten Gewinnes oder die Nachhaltigkeit des Tätigwerdens.288 Die subjektive Vorstellung des Täters muss sich gerade auf die dauerhafte Einkommensquelle aus den betreffenden Straftaten beziehen.289 Auch zeichnet sich gewerbsmäßiges Handeln stets durch eigennütziges Handeln des Täters aus, wobei es ausreicht, wenn er mittelbare Vermögensvorteile erlangt, wobei er aber auf diese unmittelbar zugreifen können muss.290 Im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts ist allerdings zu bedenken, dass Straftaten nach §§ 17, 18 AWG oft aus Unternehmen heraus und im Rahmen des normalen beruflichen Alltags begangen werden, sodass hier die Gewerbsmäßigkeit von rein gewerblichem Handeln abgegrenzt werden muss.291 Beim Inhaber eines Betriebes, dessen Tätigkeit ausschließlich oder zu einem erheblichen Teil in der Ausfuhr embargorelevanter Güter besteht, wird die Gewerbsmäßigkeit regelmäßig dann angenommen, wenn die strafbare Tätigkeit „einen nennenswerten Teil der unternehmerischen Ressourcen bindet“.292 Beim abhängig Beschäftigten eines solchen Betriebes kommt es dagegen ganz besonders auf die Intensität der Tätigkeit und den Umfang an, in dem eine persönliche Beteiligung an den durch rechtswidrige Handlungen erlangten Erlösen über das normale Gehalt hinaus vorliegt; so handelt der Angestellte eines Exportunternehmens, der für das Unternehmen tätig wird und von einem AWG-Verstoß nicht speziell profitiert, zwar gewerblich, aber nicht gewerbsmäßig.293 Auch im Rahmen des KrWaffG muss sich die Gewerbsmäßigkeit auf einen Verstoß gegen § 22a KrWaffG beziehen, weshalb es gerade nicht ausreicht, dass der Täter gewerbsmäßig mit Kriegswaffen handelt.294 Die Gewerbsmäßigkeit muss sich also gerade auf den Verstoß gegen kriegswaffenrechtliche Vorschriften beziehen. Im Zusammenhang mit gewerbsmäßigem 287
Vgl. nur BGHSt 19, 63 (76 f.). BGHSt 29, 187 (189). 289 Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 48. 290 BGH NStZ-RR 2008, 282; BGH NStZ-RR 2011, 373. 291 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 19; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 25; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 48; Wolffgang/Rogmann/PietschMorweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 115; vgl. auch BT-Drucks. 17/11127, S. 26, wonach bei außenwirtschaftsrechtlichen Verstößen „hohe Anforderungen an die Gewerbsmäßigkeit zu stellen“ sind. 292 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 19. 293 Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, § 17 AWG Rn. 19; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 25; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 48; Wolffgang/Rogmann/PietschMorweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 115. 294 Müko-StGB-Heinrich, 4. Aufl., § 22a KrWaffG Rn. 95. 288
312
Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
Handeln kann zunächst wieder ein Irrtum über das Vorliegen eines tatsächlichen, die Gewerbsmäßigkeit begründenden Umstands gegeben sein. Fall 44: Der langjährig angestellte Export-Sachbearbeiter E wickelt nach einer Anweisung des Firmeninhabers selbständig und eigenverantwortlich über mehrere Monate sowohl legale als auch illegale Ausfuhrgeschäfte ab, wobei er sein normales Festgehalt bezieht. Konkret geht es in den letztgenannten Fällen um die ungenehmigte Ausfuhr von Rüstungsgütern in Drittländer, die nicht von einem Embargo betroffen295 sind. Erst nach Abschluss dieser Tätigkeiten erhält er – für ihn unerwartet – von seinem Arbeitgeber, wie von jenem von Anfang an beabsichtigt, eine zusätzliche Vergütung für jedes abgewickelte illegale Geschäft, insgesamt einem halben regulären Jahresgehalt entsprechend. E weiß bei jenen Handlungen, dass er diese ohne Genehmigung abwickelt und dass die Einholung einer Genehmigung eigentlich erforderlich wäre, er weiß aber nicht, dass er persönlich von den Geschäften profitieren könnte. Fall 45: In diesem Fall werden erneut neben den legalen Ausfuhren durch E ungenehmigt Rüstungsgüter in nicht von einem Embargo betroffene Drittländer ausgeführt, wobei E hier von Beginn an von der zusätzlichen Vergütung weiß. Allerdings geht E davon aus, nur der Inhaber eines Gewerbebetriebes könne auch gewerbsmäßig handeln. In Fall 44 liegt bei E unproblematisch Vorsatz bezüglich einer Tat nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 AWG vor. Fraglich ist, ob E auch hinsichtlich der Gewerbsmäßigkeit vorsätzlich handelt. Nach objektiver Betrachtungsweise ist gewerbsmäßiges Handeln gegeben, denn durch die Außenwirtschaftsverstöße verschafft sich E eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang, wobei diese Voraussetzungen bereits bei der ersten Tat vorliegen können.296 Zum Zeitpunkt der begangenen Verstöße gegen das AWG hat E allerdings keine Kenntnis davon, dass er von den Verstößen überhaupt außerhalb seines regulären Gehalts finanziell profitieren wird, weshalb ihm die Kenntnis eines die Gewerbsmäßigkeit begründenden Umstands fehlt, nämlich einer dauerhaften Einkommensquelle gerade aus den betreffenden Straftaten, und E folglich diesbezüglich einem Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB unterliegt.297 Dagegen wird in Fall 45 lediglich ein (wohl vermeidbarer) Verbotsirrtum gegeben sein, da E sich in Kenntnis aller tatsächlichen Umstände über die Anforderungen an
295 Dies ist nur im Hinblick auf die Einschlägigkeit des konkreten Tatbestands relevant; bei Ausfuhr in Embargoländer wäre § 17 AWG betroffen. 296 Sch/Sch-Bosch, § 243 Rn. 31. 297 Anders wäre dagegen der Sachverhalt zu beurteilen, wenn E ausschließlich illegale Geschäfte tätigen würde. Hier läge auch ohne „Bonuszahlungen“ gewerbsmäßiges Handeln vor, da sich die nicht nur vorübergehende Einnahmequelle gerade aus den illegalen Geschäften ergibt.
F. Irrtümer über Qualifikationsmerkmale und Regelbeispiele
313
das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit irrt.298 Diese falsche Vorstellung der Rechtslage stellt den klassischen Fall eines Subsumtionsirrtums als Unterfall des Verbotsirrtums dar. Hier ist wieder von der Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins auszugehen, sodass dieses vorliegend im Hinblick auf das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit nicht gegeben ist. Die Gewerbsmäßigkeit ist ein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. § 28 Abs. 2 StGB,299 bei § 22a Abs. 2 KrWaffG aufgrund dessen Nennung von Regelbeispielen allerdings in analoger Anwendung.300
III. Irrtum über die bandenmäßige Begehung Auch die bandenmäßige Begehung ist ein Qualifikationstatbestand im Rahmen der §§ 17, 18 AWG und ein Regelbeispiel des § 22a KrWaffG. Der Begriff der Bande entspricht demjenigen, der an anderen Stellen im Strafrecht verwendet wird, und unterfällt damit den dazu von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen. Hiernach ist unter einer Bande ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Straftattyps zu begehen (sog. Bandenabrede),301 im Falle des Außenwirtschaftsstrafrechts also Taten nach § 17 Abs. 1 oder § 18 Abs. 1 – 5 AWG, im Falle des § 22a Abs. 2 KrWaffG Taten nach Abs. 1 Nrn. 1 – 4, 6 und 7 KrWaffG. Die mindestens drei Mitglieder der Bande müssen sich von Anfang an wenigstens stillschweigend darauf geeinigt haben, gemeinsam mehrere noch nicht konkret festgelegte Außenwirtschaftsverstöße bzw. Verstöße gegen § 22a Abs. 1 Nrn. 1 – 4, 6 und 7 KrWaffG zu begehen. Ein „gefestigter Bandenwille“ oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse“ ist nicht erforderlich, sodass es keiner dauerhaften, festen Organisation bedarf und auch mehrere Täter in einem Unternehmen eine Bande bilden können.302 Wird die Tat aus einem Unternehmen heraus begangen, müssen aber nicht alle Mitglieder der Bande diesem Unternehmen angehören.303 An der konkreten Tat muss mindestens ein weiteres Bandenmitglied beteiligt sein; für die Erfüllung der Qualifikation oder des Regelbeispiels reicht es aus, wenn nur ein Bandenmitglied als Täter handelt und durch ein anderes Mitglied 298 Hierzu in Bezug auf § 108a UrhG Müko-StGB-Heinrich, 3. Aufl., § 108a UrhG Rn. 5 und Wissmann, S. 387. 299 BGHSt 12, 220 (226 f.); Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 33. 300 Vgl. OLG Bamberg BeckRS 2016, 6450 Rn. 10 und Sch/Sch-Bosch, § 243 Rn. 47. 301 BGHSt 46, 321 (325); BGH BeckRS 2001, 30200685. 302 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 81; Wabnitz/Janovsky/ Schmitt-Hoffmann, 24. Kap. Rn. 146; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 117. 303 Bieneck-Bieneck, § 28 Rn. 28; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 49.
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
lediglich unterstützt wird, wobei bei diesem wenigstens Beihilfe vorliegen muss.304 Im Hinblick auf die Bandenmitgliedschaft und die Bandenabrede ist Vorsatz erforderlich.305 Durch die Mitgliedschaft in einer Bande wird aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Täter einzelne Straftaten als Einzeltäter und gerade nicht bandenmäßig begeht, selbst wenn er dies mit einem weiteren Mitglied der Bande tut.306 Dies ist möglich, wenn die Einzeltat nicht Ausfluss der Bandenabrede ist und „ausschließlich im eigenen Interesse der jeweils unmittelbar Beteiligten ausgeführt wird“.307 Die zum Bandenbegriff entwickelten Anforderungen bieten Anknüpfungspunkte für Irrtümer, vor allem in Bezug auf die rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen einer Bande. Fall 46: Die leitende Angestellte A eines Unternehmens, das Triebwerke für Kampfflugzeuge308 herstellt, hat sich mit zwei weiteren Mitarbeitern des Unternehmens, M und W, dahingehend abgesprochen, künftig auf unbestimmte Zeit Triebwerke in noch nicht näher bestimmte Embargoländer auszuführen. Zwei Wochen später initiieren A und M eine Triebwerksausfuhr nach Somalia, ohne jedoch diese konkrete Ausfuhr mit W abgesprochen zu haben, die sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befindet; W wird nach ihrer Rückkehr informiert. A und M gehen davon aus, bei der Ausfuhr nach Somalia lediglich zu zweit und nicht als „Bande“ zu handeln, da W im Moment der Ausfuhr hiervon keine Kenntnis und auch keinen eigenen Beitrag geleistet hat. Fall 47: Die Mitarbeiter X, Yund Z des in Fall 46 genannten Unternehmens haben sich abgesprochen, Triebwerke für Kampfflugzeuge in Embargoländer auszuführen. Dabei haben X, Y und Z bereits drei Vorgänge genau geplant; bei diesen drei Vorgängen soll es auch bleiben. Sie gehen aufgrund ihres Dreierzusammenschlusses davon aus, als „Bande“ tätig zu werden, irren sich also über das Bestehen der Bandenabrede. In Fall 46 haben A und M durch ihre Handlung gegen § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80, 74 Abs. 1 AWV verstoßen. Hinsichtlich der bandenmäßigen Begehung reicht es nach allgemeiner Auffassung aus, wenn „mindestens ein Mitglied die Tat als Mitglied, also nicht ,auf eigene Faust‘, und (mindestens in Form der Beihilfe) unterstützt durch ein anderes Mitglied begeht“309 und die Tat sich als Ausfluss der Bandenabrede darstellt. Die durch A und M begangene Ausfuhr entspricht aber exakt dem anfangs zu dritt abgesprochenen Vorgehen; trotz der fehlenden Beteiligung der W liegt deshalb objektiv eine Bandentat vor. A und M kennen auch vorliegend alle 304 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 81; Müko-StGB-Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 49. 305 NK-StGB-Kindhäuser, § 244 Rn. 50. 306 BGH BeckRS 2003, 1431. 307 BGH BeckRS 2011, 27456 Rn. 16. 308 Position 0010 lit. d der AL zur AWV. 309 Achenbach/Ransiek/Rönnau-Junck/Kirch-Heim, III 4 Rn. 81; Hocke/Sachs/Pelz-Pelz, § 17 AWG Rn. 27; Stein/Thoms, § 17 AWG Rn. 34.
G. Irrtümer im Bereich der Tatbeteiligung
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tatsächlichen Umstände, die das Vorliegen einer Bande begründen, und irren sich lediglich über die Auslegung des Begriffs der Bande. Nach dem Grundsatz der Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins führt dieser Subsumtionsirrtum daher bloß zu einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum i. S. d. § 17 Satz 1 StGB hinsichtlich der Qualifikation der bandenmäßigen Begehung. Umgekehrt ist dagegen Fall 47 zu bewerten: Auch hier ist der Tatbestand des § 17 Abs. 1 AWG i. V. m. §§ 80, 74 Abs. 1 AWV erfüllt, tatsächlich reicht es aber nach herrschender Meinung für die Annahme einer Bande nicht aus, wenn die Übereinkunft getroffen wurde, nur eine bestimmte Anzahl von Taten zu begehen.310 In Fall 47 irren sich X, Y und Z daher zu ihren Lasten, indem sie alle tatsächlichen Umstände richtig erfassen, daraus aber den falschen Schluss ziehen, die Qualifikation der bandenmäßigen Begehung erfüllt zu haben. Als „Gegenstück“ zu Fall 46 bedeutet dies, dass im Umkehrschluss bezogen auf die Erfüllung der Qualifikation des § 17 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 AWG ein straffreies Wahndelikt vorliegt. Die Eigenschaft als Mitglied einer Bande ist ein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. § 28 Abs. 2 StGB,311 bei § 22a Abs. 2 KrWaffG aufgrund dessen Nennung von Regelbeispielen wiederum in analoger Anwendung.312
IV. Irrtum über Handlungen bezogen auf Trägertechnologien Der Qualifikationstatbestand des § 18 Abs. 7 Nr. 3 AWG betrifft Handlungen nach Abs. 1 und 1a, d. h. Verstöße gegen Verbote oder Genehmigungspflichten zur Ausfuhr etc. bzw. Zuwiderhandlungen gegen vollziehbare Anordnungen, und erfasst solche Taten, die die Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung von Flugkörpern für chemische, biologische oder Atomwaffen zum Gegenstand haben (sog. Trägertechnologien). Auch hier ist vorsätzliches Handeln bezogen auf den Zweck der Tathandlung notwendig. Irrt der Täter sich darüber, dass die betreffende Zuwiderhandlung den Trägertechnologien zugutekommt, etwa weil er nicht weiß, dass der ausgeführte Gegenstand hierfür verwendet werden kann, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum; es handelt sich um einen Irrtum in tatsächlicher Hinsicht.
G. Irrtümer im Bereich der Tatbeteiligung Bei §§ 17, 18 AWG und § 22a KrWaffG gelten für Täterschaft und Teilnahme die allgemeinen Regeln der §§ 25 ff. StGB; an dieser Stelle kann zunächst zur Ab310
Müko-StGB-Schmitz, 4. Aufl., § 244 Rn. 47. BGH BeckRS 2012, 18738 Rn. 19. 312 Vgl. OLG Bamberg BeckRS 2016, 6450 Rn. 10; Sch/Sch-Bosch, § 243 Rn. 47. 311
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
grenzung auf die ausführlichen Erläuterungen im Schrifttum verwiesen werden.313 Außenwirtschaftliche Verstöße und solche, die mit der Herstellung, Ausfuhr etc. von Kriegswaffen zu tun haben, erfolgen in der Regel durch eine Zusammenarbeit mehrerer Personen. Im Bereich eines Unternehmens können dies weisungsbefugte Unternehmensangehörige sein, wie etwa der Inhaber eines Einzelunternehmens, der Gesellschafter oder der Ausfuhrverantwortliche, aber auch der bloße Sachbearbeiter. Darüber hinaus kommen auch nicht zum Unternehmen gehörende Personen als (meist nur) Gehilfen oder Anstifter in Frage, z. B. Zulieferer, Berater, Vermittler oder Finanzierer; ihnen fehlt es für eine Täterschaft regelmäßig an der Tatherrschaft.314 Nur, sofern sich diese externen Beteiligten vom Haupttäter „einvernehmlich in den Tatplan einbeziehen und/oder eine ,Gefahrenprämie‘ als Anteil am Taterfolg bezahlen“ lassen oder eine solche verlangen, ist (Mit-)Täterschaft in Betracht zu ziehen.315 Schließlich kann auch ein „kleines Rädchen im Getriebe“, wie der Spediteur, Täter eines Exportverstoßes sein, wenn er z. B. den zu verbringenden Gegenstand vorsätzlich und eigenverantwortlich über die Grenze bringt,316 wobei dies indes nur für die Straftatbestände des AWG, nicht jedoch für § 22a KrWaffG gilt, wo nur der Genehmigungspflichtige Täter sein kann.317 Grundsätzlich gilt für die Teilnahme, dass Anstiftung und Beihilfe akzessorisch zur entsprechenden Haupttat sind; der Teilnehmer muss sowohl Vorsatz hinsichtlich seines eigenen Tatbeitrags als auch bezüglich jedes einzelnen Umstands der Haupttat haben.318 Für strafschärfende besondere persönliche Merkmale gilt außerdem nach § 28 Abs. 2 StGB (analog), dass diese Merkmale jeweils in der Person des Täters oder Teilnehmers vorliegen müssen.319 Bei den behandelten Straftatbeständen betrifft dies die Gewerbsmäßigkeit und die Mitgliedschaft in einer Bande. Irrtümer der Teilnehmer können in verschiedenen Varianten auftreten, von denen hier einige mit Bezug zum Außenwirtschaftsstrafrecht und KrWaffG exemplarisch dargestellt werden sollen, ohne indes den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
313 Vgl. zum Außenwirtschaftsstrafrecht nur Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 1 ff.; allgemeine Ausführungen bei Heinrich, AT, Rn. 1173 ff.; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Noltenius, Bd. 3, § 50 Rn. 22 ff.; Jakobs, AT, 21/24 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 61 II 3; Rengier, AT, § 41 Rn. 1 ff.; Roxin, AT II, § 25 Rn. 10 ff.; vgl. dazu auch ausführlich Roxin, Täterschaft, S. 768 ff. 314 Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 11. 315 Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 11; vgl. auch BGHSt 38, 315 (319). 316 BGHSt 38, 315 (319); Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 5, 11; Erbs/Kohlhaas-Diemer, 242. EL, Vorbemerkungen zu den §§ 17 bis 19 AWG Rn. 27. 317 Sog. Sonderdelikt, siehe dazu und insbesondere zum Unterschied zwischen den Straftatbeständen des AWG und des KrWaffG bereits C. 318 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 26 Rn. 40 ff., 122 ff.; Frister, AT, 28. Kap. Rn. 28, 51; Heinrich, AT, Rn. 1303; Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Murmann, Bd. 3, § 53 Rn. 117 f.; Jescheck/Weigend, AT, § 64 II 2b, III 2d; Rengier, AT, § 45 Rn. 44 ff., 114. 319 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 26 Rn. 165 ff.; Frister, AT, 25. Kap. Rn. 34; Heinrich, AT, Rn. 1357; Jescheck/Weigend, AT, § 61 VII 4; Lackner/Kühl-Kühl, § 28 Rn. 1; Müko-StGB-Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl., Vorbemerkung zu § 26 Rn. 29 f.
G. Irrtümer im Bereich der Tatbeteiligung
317
Fall 48: Der Angestellte T eines Unternehmens, das Elektroschocker (Paralyser)320 herstellt, kümmert sich gemäß seiner Zuständigkeit regelmäßig um die Ausfuhr von jeweils 300 Elektroschockern in die USA, wobei nur er und seine Mitarbeiterin B, die ihn dabei nach seinen Anweisungen unterstützt, wissen, dass keine Genehmigung dafür eingeholt wurde. Vom US-amerikanischen Käufer erhält T dafür zusätzlich zum regulären Kaufpreis jedes Mal eine beträchtliche Summe an Schmiergeld, wovon B auch Kenntnis hat. Hinsichtlich der Tat des T nach § 18 Abs. 4 Nr. 1 AWG liegt durch die Begründung einer über das reguläre Gehalt hinausgehenden dauerhaften Einnahmequelle Gewerbsmäßigkeit vor. Da B im Gegensatz zu T keine Gelder erhält und hinsichtlich eines Qualifikationsmerkmals gem. § 28 Abs. 2 StGB auf den jeweiligen Beteiligten abgestellt wird, hat sich B nur der Beihilfe am Grunddelikt strafbar gemacht. Zu beachten ist ferner, dass für Teilnehmer, d. h. Anstifter und Gehilfen, die Rechtsprechung zur eingeschränkten Strafbarkeit bei berufstypischen „neutralen“ Handlungen anzuwenden ist.321 Danach gilt, dass etwa ein am Exportverstoß ohne Tatherrschaft beteiligter Unternehmensmitarbeiter, z. B. ein Sachbearbeiter, nur dann eine strafbare Beihilfehandlung vornimmt, wenn er entweder sichere Kenntnis davon hat, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich dem Zweck der Begehung einer strafbaren Handlung dient, oder aber er dies lediglich für möglich hält und das „von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten […] derart hoch [war], dass er sich mit seiner Hilfeleistung ,die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein‘ ließ“.322 Fall 49: Die Mitarbeiterin M der Versandabteilung eines Industrieunternehmens, das Aluminium weiterverarbeitet, verpackt 1500 Aluminiumbleche mit dem offiziellen Ziel Polen, jedoch nach den besonderen Vorschriften für die Seefracht, weil ihr bekannt ist, dass der zuständige Exportleiter E die Bleche tatsächlich nach Nordkorea verschifft. M geht davon aus, sich selbst auf keinen Fall strafbar gemacht zu haben, weil sie lediglich eine Tätigkeit ausgeführt hat, die zu ihrem beruflichen Tagesgeschäft gehört. Hier hat E durch den Export der Aluminiumbleche323 nach Nordkorea den Straftatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG i. V. m. Art. 16 lit. p der NordkoreaEmbargo-VO324 erfüllt; M hat durch die seetaugliche Verpackung der Aluminium320
Nr. 2.1 des Anhangs III zu Art. 11 der Anti-Folter-VO. Bieneck-Bieneck, § 24 Rn. 7; Ehlers/Wolffgang-Morweiser, S. 232. 322 BGH NStZ 2000, 34. 323 KN (Kombinierte Nomenklatur)-Code Nr. 76 des Anhangs XII Teil A zum NordkoreaEmbargo. 324 VO (EU) 2017/1509 des Rates vom 30. August 2017 über restriktive Maßnahmen gegen die Demokratische Volksrepublik Korea und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 329/2007, ABl. EU Nr. L 224 vom 31. 8. 2017, S. 1, zuletzt geändert durch VO (EU) 2022/1509 des Rates vom 28. 7. 2022, ABl. EU Nr. L 201 vom 1. 8. 2022, S. 5. 321
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
bleche325 objektiv dazu Beihilfe geleistet. Der Glaube an ihre Straflosigkeit ist der Fehlvorstellung der M über die Strafbarkeit berufstypischer „neutraler“ Handlungen geschuldet; M kennt bezogen auf die Haupttat alle tatsächlichen (Tatbestands-) Umstände und nimmt es jedenfalls billigend in Kauf, dass durch ihre Handlung die Ausfuhr der Aluminiumbleche ermöglicht bzw. erleichtert wird. Sie handelt daher vorsätzlich hinsichtlich der Haupttat des E und ihres eigenen Hilfeleistens nach § 27 Abs. 1 StGB, sodass der doppelte Gehilfenvorsatz gegeben ist. Der Irrtum der M ist als bloßer Verbotsirrtum einzuordnen, § 17 StGB. Bereits dargestellt wurde oben326 bei den Sonderdelikten, dass im Zusammenhang mit der Sonderdeliktseigenschaft der durch die Kenntnis vom sensiblen Verwendungszweck begründeten Meldepflicht an das BAFA bei den § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV und § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Dual-Use-VO Irrtümer im Bereich der Teilnahme vorkommen können, weil sich jemand nur wegen Anstiftung oder Beihilfe strafbar machen kann, wenn der Ausführer nach § 2 Abs. 2 AWG bzw. Art. 2 Nr. 3 Dual-Use-VO ebenfalls Kenntnis des sensiblen Verwendungszwecks hat, die Unterrichtungspflicht also entstanden ist.327 Fall 50: Der externe Dienstleister D, der durch die Vermittlung von Exportgeschäften Provisionen bezieht, berät den Unternehmer U hinsichtlich eines Verkaufs von Industrieanlagen nach Israel. D weiß, dass die Bauteile zum Einbau in eine Anlage für kerntechnische Zwecke i. S. d. § 9 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 AWV bestimmt sind, und geht auch von einer entsprechenden Kenntnis des U aus. U ist anfangs skeptisch und erst durch Überzeugungsarbeit des D – der sich seine Provision nicht entgehen lassen will – willigt er in das Geschäft ein. Die Ware wird nach Israel ausgeführt, wobei allerdings entgegen § 9 Abs. 2 AWV keine vorherige Unterrichtung an das BAFA erfolgt ist. Tatsächlich hatte U keine Kenntnis vom sensiblen Verwendungszweck. U ist hier zwar formeller Ausführer i. S. d. § 2 Abs. 2 AWG, erfüllt aber mangels Kenntnis des sensiblen Verwendungszwecks nicht die für § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AWV erforderliche Sonderdeliktseigenschaft der Meldepflicht und ist damit nicht tauglicher Täter. Hierüber irrt D, bei dem der doppelte Anstiftervorsatz vorliegt. Der untaugliche Versuch der Anstiftung ist im Falle des D aber nicht strafbar, da es sich bei § 18 Abs. 2 Nr. 2 AWG nicht um ein Verbrechen gemäß § 30 Abs. 1 StGB handelt. Mittelbare Täterschaft des D scheidet mangels Sonderdeliktseigenschaft ebenfalls aus, da er nicht formeller Ausführer ist.328
325
KN (Kombinierte Nomenklatur)-Code Nr. 76 des Anhangs XII Teil A zum NordkoreaEmbargo. 326 Siehe dazu bereits C. 327 Ehlers/Wolffgang-Morweiser, S. 235; Wolffgang/Rogmann/Pietsch-Morweiser, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 28. 328 Siehe dazu bereits C.
G. Irrtümer im Bereich der Tatbeteiligung
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Besondere Bedeutung im Hinblick auf eine Teilnehmerstrafbarkeit kommt auch dem Irrtum über die Existenz einer wirksamen Genehmigung je nach dogmatischer Einordnung der Genehmigung zu, was im Folgenden demonstriert werden soll. Fall 51: Der Vertriebsleiter V eines Unternehmens mit Sitz in Deutschland, welches Raketenwerfer329 produziert, veranlasst die Lieferung von 20 Raketenwerfern aus Deutschland nach Spanien. Der Sachbearbeiter S trägt auf Anweisung des V dafür Sorge, dass die Raketenwerfer ordnungsgemäß auf den für den Transport bereitgestellten Lkws gesichert werden. V hatte zuvor zwar die erforderliche Genehmigung eingeholt; vor Verbringung der Raketenwerfer war allerdings hinsichtlich der Genehmigung ein Aufhebungsbescheid seitens der zuständigen Behörde ergangen. Der entsprechende Brief wurde von S geöffnet und gelesen und sodann zur Kenntnisnahme des V auf dessen Schreibtisch gelegt. Dort wurde er aber versehentlich von V entsorgt, sodass er weder durch den Brief noch sonst wie Kenntnis vom Aufhebungsbescheid erhalten hat; auch hat ihn S nicht weiter darauf angesprochen. V irrte daher im Moment der Verbringungshandlung über das Vorliegen einer Genehmigung, während S stets von zutreffender Kenntnis des V ausging. Einschlägig sind hier die Straftatbestände § 22a Abs. 1 Nr. 4 KrWaffG und § 18 Abs. 2 Nr. 3 AWG. Wird im vorliegenden Fall die Genehmigung als tatbestandsausschließend bewertet, führt die Fehlvorstellung des V, die tatsächlich mittlerweile aufgehobene Genehmigung sei noch wirksam, zu einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Da es folglich an einer vorsätzlich begangenen Haupttat fehlt, kann S nicht wegen einer Beihilfehandlung i. S. d. § 27 StGB belangt werden. Sieht man in der Genehmigung jedoch richtigerweise einen Rechtfertigungsgrund, stellt der Irrtum des V einen Erlaubnistatumstandsirrtum dar, was im Hinblick auf seine Strafbarkeit ebenfalls zur Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog führt. Folgt man dabei der eingeschränkten Schuldtheorie i. e. S., ist in analoger Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB der (Tatbestands-)Vorsatz des V und damit auch eine Beihilfehandlung des S ausgeschlossen. Lässt man jedoch mit der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie nur die entsprechenden Rechtsfolgen eintreten und damit lediglich die Vorsatzschuld entfallen, bleibt es bei einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat des V, zu der S durch seine Unterstützung330 bei der Verbringung i. S. des § 27 Abs. 1 StGB vorsätzlich Hilfe geleistet hat. Abgesehen von den Argumenten, die generell gegen den bloßen Entfall der Vorsatzschuld hervorgebracht werden – etwa, dass ein „Rechtsgutsangriff über den Haupttäter“ nur dann strafrechtlich relevant sein könne, wenn auch bei diesem vorsätzliches Handeln gegeben sei, „also in der Person des Haupttäters volles Handlungsunrecht gegeben ist“331 – erscheint es auch nicht sachgerecht, eine 329
Position Nr. 11 der KWL; Position Nr. 0002 lit. a der AL zur AWV. Zu den objektiven Beihilfevoraussetzungen Baumann/Weber/Mitsch/Eisele-Eisele, § 26 Rn. 94 ff.; BeckOK-StGB-Kudlich, 54. Ed., § 27 StGB Rn. 3 ff.; Frister, AT, 28. Kap. Rn. 32 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 64 III c. 331 Vgl. nur Müko-StGB-Joecks/Kulhanek, 4. Aufl., § 16 Rn. 136. 330
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Kap. 5: Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht
mögliche Beihilfestrafbarkeit letztendlich von der höchst streitigen Frage nach dem Standort des Genehmigungsmerkmals im Deliktsaufbau abhängig zu machen. Daher ist zumindest für Irrtümer über die Existenz einer wirksamen Genehmigung im Außenwirtschaftsstrafrecht die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie abzulehnen und in Fall 51 von einem fehlenden Vorsatz das Haupttäters V in direkter oder analoger Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB auszugehen; S bleibt also ebenfalls straflos.
Resümee und Ausblick Die Frage betreffend die richtige Irrtumslehre ist und bleibt eines der am meisten umstrittenen Felder der Strafrechtsdogmatik. Insbesondere bei den Blanketttatbeständen des Nebenstrafrechts ist zu beobachten, dass in jüngerer Zeit verstärkt eine „Erweiterung“ der Vorsatzanforderungen postuliert wird – wobei dies wohl nicht zuletzt auf die strenge Handhabung der Vermeidbarkeit beim Verbotsirrtum durch die Rechtsprechung zurückzuführen ist.1 Es hat sich im Laufe der Arbeit jedoch herausgestellt, dass es vielen „neuartigen“ Konzepten trotz (oder gerade wegen) all ihrer theoretischen Finessen entweder an der praktischen Anwendbarkeit mangelt oder dass sie letztendlich auf Wertungsergebnisse hinauslaufen und daher eigentlich wenig „Neues“ beitragen können, zum Teil sogar gegen die geltende Schuldtheorie verstoßen. An dieser Stelle sollen die Ergebnisse der Arbeit nochmals zusammengefasst werden. 1.
Die Irrtumslehre ist die „Kehrseite“ der Lehre von Vorsatz und Schuld; was man unter dem einen versteht, bedingt auch das Verständnis des anderen. Da eine positive Definition des Vorsatzes im StGB nicht vorhanden ist, bleibt der einzige Anhaltspunkt die Definition unvorsätzlichen Handelns nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich.“ Wenn die Unkenntnis eines zum jeweiligen Tatbestand gehörenden Tatumstands den Vorsatz ausschließt, heißt das umgekehrt, dass für vorsätzliches Handeln die Kenntnis aller zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Tatumstände erforderlich ist. Nach § 17 Satz 1 StGB dagegen handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm „bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun“ fehlt und er „diesen Irrtum nicht vermeiden konnte“. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass der Täter schuldhaft handelt, wenn er das Bewusstsein hat, Unrecht zu tun, oder seinen Irrtum vermeiden konnte. Vorsatz und Schuld betreffen also zwei unterschiedliche Tätervorstellungen: im ersten Fall die Kenntnis von Tatumständen, im zweiten das Unrechtsbewusstsein. §§ 16, 17 StGB geben dabei für die Behandlung von Irrtümern zwingend die weitere Vorgehensweise vor.
2.
Unter den Tatumständen, von denen § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB spricht, sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen gesetzlichen Tatbestandes zu verstehen. Wann von der Kenntnis eines Tatumstands gesprochen werden kann, hängt dabei nach herrschender Auffassung davon ab, um was für eine Art von
1 Vgl. KK-OWiG-Rengier, § 11 Rn. 6; Schuster, S. 154; Satzger, S. 499, 643; Wissmann, S. 406.
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Resümee und Ausblick
Tatbestandsmerkmal es sich handelt. Festgestellt wurde, dass es zunächst solche Tatbestandsmerkmale gibt, die im Großen und Ganzen sinnlich erfasst werden können (sog. deskriptive Tatbestandsmerkmale), denen der Täter also durch äußerliche Wahrnehmung – meistens durch Sehen – ihr „Sein“ zuschreiben kann (z. B. bei § 248b StGB: „dies ist ein ,Kraftfahrzeug‘ oder ,Fahrrad‘“). Hier reicht die sinnliche Erfassung oder Kenntnis der äußeren, d. h. sichtbaren Umstände zur Bejahung des Vorsatzes hinsichtlich eines solchen Tatbestandsmerkmals aus. Umgekehrt liegt ein den Vorsatz ausschließender Irrtum vor, wenn das deskriptive Merkmal gar nicht oder falsch wahrgenommen wird, z. B. wenn ein Autofahrer auf der dunklen Straße einen am Boden liegenden Menschen nicht sieht oder für eine Ansammlung von Laub hält und daher überfährt. 3.
Normative Tatbestandsmerkmale dagegen sind nicht nur oder überhaupt nicht sinnlich wahrnehmbar und beschreiben vielfach „rechtliche Tatsachen“. Obwohl viele Tatbestandsmerkmale „mehr oder weniger“ deskriptiv oder normativ sind, kann es nicht ausreichen, bei jenen rechtlichen Tatsachen nur die zugrundeliegenden Fakten zu kennen, aus denen sich z. B. die „Fremdheit“ einer Sache ergibt; immerhin ist hier das Ergebnis der rechtlichen Fakten in §§ 242, 246 StGB als Tatbestandsmerkmal festgeschrieben, sodass auch dieses Ergebnis dem Täter bekannt sein muss. Dabei ist eine Wertung, wie sie die herrschende Meinung mit ihrer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ vornimmt, aber nicht notwendig – ohnehin ist dieses Kriterium unscharf und trägt mehr zur Unsicherheit bei, als dass es dieser abhilft. Bei deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen ist gleichermaßen eine kognitive und gerade nicht (be-) wertende Leistung des Täters notwendig. Auch bei den normativen Tatbestandsmerkmalen muss für vorsätzliches Handeln daher „nur“ das Wissen um die im Tatbestand beschriebenen rechtlichen Tatsachen bzw. deren Ergebnis vorliegen. Die Fälle des umgekehrten Irrtums lassen sich dann auch leicht lösen, denn bei fälschlicher Annahme des Vorliegens einer rechtlichen Tatsache liegt ein untauglicher Versuch vor.
4.
Der Kern der vorliegenden Arbeit betrifft indes die Blanketttatbestände, die für die Straftatbestände der §§ 17, 18 AWG und § 22a KrWaffG in besonderem Maße Geltung erlangen. Bei Blankettatbeständen besteht die Besonderheit, dass diese „unvollständig“ sind und zur Vervollständigung auf andere Rechtsakte, die sog. Ausfüllungsnormen, verweisen. Ohne die Hinzunahme der entsprechenden Ausfüllungsnorm ist das strafbare Verhalten für den Rechtsanwender nicht zu erkennen. Im Falle der Straftatbestände des AWG sind dies die EU-Verordnungen oder die nationale Außenwirtschaftsverordnung mitsamt den jeweiligen Anhängen. Dass, wie teilweise behauptet wird, die Abgrenzung von normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen unmöglich sei, mag ebenso wie bei der Abgrenzung von deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen zwar in Grenzbereichen stimmen – was jedenfalls die Straftatbestände der §§ 17, 18 AWG angeht, würde aber niemand ernsthaft bezweifeln, dass diese keine Blanketttatbestände darstellen bzw. keine Blankettmerkmale enthalten.
Resümee und Ausblick
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Aber auch die Merkmale „ohne Genehmigung“ und „entgegen einer Genehmigungspflicht“ sind im Hinblick auf die Frage, ob bzw. wann eine Genehmigung eingeholt werden muss, als Blankettmerkmale zu qualifizieren.2 Denn genau diese Frage, nämlich wann bzw. ob überhaupt eine Pflicht zur Einholung einer Genehmigung existiert, ist nur durch den Blick in die entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsrechts oder der entsprechenden EU-Verordnung zu beantworten. 5.
Bei Blanketttatbeständen erhält man die vollständige Strafnorm durch das sog. Zusammenlesen von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm, indem das jeweilige Blankettmerkmal durch die Tatbestandsmerkmale der Normen, auf die es verweist, ersetzt wird. In der zusammengelesenen Norm fällt das Blankettmerkmal dann weg, d. h. die entstehende Gesamtnorm besteht, falls die Blankettnorm noch andere Merkmale als das Blankettmerkmal enthält, aus jenen und den Tatbestandsmerkmalen der Ausfüllungsnorm. Auf den Gesamttatbestand sind die allgemeinen Irrtumsregeln anzuwenden und folglich (nur) die Tatbestandsmerkmale der Gesamtnorm, nicht aber die Existenz der Ausfüllungsnorm an sich bzw. des durch diese statuierten Verbots oder Gebots vom Tätervorsatz zu umfassen. Diese Unkenntnis stellt nur einen Verbotsirrtum dar.
6.
Abweichend davon ist aber ein Tatumstandsirrtum gegeben, sofern die Ausfüllungsvorschriften von Blankettnormen in einfachen Verwaltungsakten bestehen, die sich also konkret an einen Empfänger richten. Hier muss der Täter ausnahmsweise vom Verwaltungsakt wissen, um überhaupt vom speziell für seinen Fall geltenden Verbot oder Gebot Kenntnis zu erlangen. Anders ist dies indes bei Allgemeinverfügungen jedenfalls i. S. d. § 18 Abs. 12 AWG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG, bei denen jeder durch die öffentlich bekannt gemachte Anordnung ebenso wie bei veröffentlichten Embargos Kenntnis des Verbots bzw. Gebots erlangen kann. In diesen Fällen gilt daher wiederum, dass ein Irrtum über deren Existenz zu einem Verbotsirrtum führt, denn es ist nicht begründbar, warum eine Unkenntnis hier verzeihlicher sein soll als beispielsweise über die Existenz einer Rechtsverordnung.
7.
Weil auch das Merkmal der (fehlenden) Genehmigung hinsichtlich der Frage der Genehmigungspflicht ein Blankettmerkmal darstellt, sind wie bei sonstigen Blankettmerkmalen nur die die Genehmigungspflicht begründenden Tatsachen als Tatbestandsmerkmale der Ausfüllungsnorm vom Tätervorsatz zu umfassen. Bei Unkenntnis der Genehmigungspflicht an sich fehlt dem Täter die Kenntnis des Verbots, die Handlung ohne Genehmigung auszuführen. Damit fehlt aber i. S. d. Schuldtheorie lediglich i. S. d. § 17 StGB die Einsicht, Unrecht zu tun.
8.
Es konnte im Laufe der Arbeit dargelegt werden, dass die Technik des Zusammenlesens von Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm, wie sie die
2 Geht es indes um das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Genehmigung, ist diese lediglich Rechtfertigungsgrund.
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Resümee und Ausblick
Rechtsprechung sowie die herrschende Meinung in der Literatur betreiben, die zwingende Ausgangslage für weitere Überlegungen zur Irrtumsdogmatik darstellt. Dass das Blankettmerkmal als Verweisungselement einen normativen Einschlag aufweisen und damit Teil des Tatbestands und Bezugspunkt des Vorsatzes sein soll, ist eine oftmals aufgestellte, jedoch in der Sache fehlgehende Behauptung, die den ganz banalen Grund der Verwendung der Blanketttechnik – gesetzestechnische Vereinfachung oder Flexibilität bzw. Implementierung europarechtlicher Vorgaben – ignoriert. Die Vorwürfe, die von der im Vordringen befindlichen Auffassung gegen die Behandlung des Irrtums bei Blankettmerkmalen als Verbotsirrtum entgegengebracht werden, lauten im Wesentlichen immer gleich: die Unsachgemäßheit der Technik des Zusammenlesens als solche, der Verstoß gegen die Systemfunktion des Tatbestands als generelle Unrechtsumschreibung und das Verkennen der fehlenden Appellfunktion bei Blanketttatbeständen gerade des Nebenstrafrechts sowie einige als widersprüchlich empfundene „Ausnahmen“ in der Rechtsprechung – wobei allerdings aufgezeigt werden konnte, dass letztere mit den sonstigen Grundsätzen der Irrtumslehre in Einklang gebracht werden können. Nach einer stark verbreiteten Anschauung in der Literatur soll aus den dargestellten Gründen der Irrtum über Existenz und Reichweite der blankettausfüllenden Norm grundsätzlich einen Tatumstandsirrtum darstellen, wobei sich die Begründungsansätze im Detail unterscheiden und dies auch nicht immer für jede Blankettnorm gelten soll. 9.
Ausgangspunkt jeder Irrtumslehre muss indes stets die Entscheidung des Gesetzgebers in §§ 16, 17 StGB sein. Ohne Blankettmerkmal und Ausfüllungsnorm zusammenzulesen, erhält man keine vollständige Norm. Die Forderung, dass das Blankettmerkmal, das Merkmal also, dass auf ein Gebot oder Verbot verweist, beim Zusammenlesen erhalten bleiben und damit vom Tätervorsatz umfasst werden soll, geht aber gegen die Schuldtheorie, die das Unrechtsbewusstsein und damit die (Un-)Kenntnis vom Verbot klar der Schuldebene zugewiesen hat. In den von Roxin/Greco aufgezählten Straftatbeständen „ohne hinreichenden normativen Bezug, bei denen also der Vorsatz seine regelmäßige Appellfunktion nicht mehr entfalten kann und die nicht bloß das Nebenstrafrecht, sondern auch das StGB betreffen können“, erscheint beiden Autoren eine Bestrafung aus einem Vorsatzdelikt zwar unbillig, es wird von ihnen aber zugegeben, dass sich die Rechtsfolge des Vorsatzausschlusses nicht mit dem geltenden Recht vereinbaren lasse.3
10. Das Argument der mangelnden Appellfunktion ist im Grunde dasjenige, welches am häufigsten gegen die herrschende Irrtumslehre bei Blanketttatbeständen angebracht wird: Bei stetiger Ausbreitung des Strafrechts in Nebengebiete sei es für den Täter schier unmöglich, wie im „Kernbereich“ des Strafrechts nur aufgrund seiner Sozialisation und dem „gesunden Menschenverstand“ einen „Unrechtsappell“ durch Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale zu empfan3
Roxin/Greco, AT I, § 12 Rn. 104a.
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gen; daher müsse der Täter die oft „unrechtsneutralen“ Ge- oder Verbote der blankettausfüllenden Normen kennen, um vorsätzlich zu handeln. Dies ist aber schon deshalb falsch, weil es zunächst grundsätzlich Sache des Gesetzgebers ist, zu entscheiden, was Recht und was Unrecht ist; auf Radbruchs Formulierung, dass Unrecht nicht deshalb Unrecht ist, weil es verboten ist, sondern es umgekehrt verboten wird, weil es Unrecht ist,4 kann nicht oft genug hingewiesen werden. Ferner kann eine „Appellfunktion“ des Tatbestandes, falls man diese Figur nicht von vornherein ablehnt, im heutigen hochkomplexen, technologisierten und digitalisierten Alltag nur eine Präventivwirkung entfalten, indem dadurch teilweise erst ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein geschaffen wird. In Zeiten der Globalisierung und Technologisierung soll das Strafrecht die Funktion erfüllen, „Rechtsgüter durch Verhaltenssteuerung zu schützen“,5 auch wenn dies bedeutet, dass im Sinne der Prävention dem Bürger eine größere Erlangung von Rechtskenntnis aufgebürdet wird. 11. Auch bei den Tatbeständen, die das Handeln ohne die erforderliche Genehmigung sanktionieren, ist die Annahme unzutreffend, dass einige dieser Tatbestände als sog. präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalten ohne das Merkmal der fehlenden Genehmigung „unrechtsneutral“ bzw. „sozialadäquat“ seien, die Genehmigung damit Tatbestandsmerkmal sei und vom Vorsatz umfasst werden müsse. Teilweise geht man sogar so weit, daraus zu folgern, auch die Existenz der Genehmigungspflicht müsse der Täter kennen. Abgesehen davon, dass herausgearbeitet wurde, dass dies aufgrund der Blanketteigenschaft des Merkmals falsch ist, muss die Einordnung der (fehlenden) Genehmigung als (negatives) Tatbestandsmerkmal abgelehnt werden. Jede behördliche Genehmigung stellt vielmehr einen Rechtfertigungsgrund dar. Die unterschiedlichen genehmigungsabhängigen Tatbestände des deutschen Strafrechts beschreiben nirgends bloß „neutrales“ Handeln, das seinen Unwertgehalt erst aus dem Fehlen der erforderlichen Genehmigung bezieht, sondern die dortigen Handlungen sind alle entweder schädlich, etwa in Bezug auf Umwelt oder Gesundheit, oder besonders gefährlich – ganz gleich, wie alltäglich diese sein mögen. Da der Gesetzgeber diese Tätigkeiten ohne Genehmigung unter Strafe stellt, muss er diese per se für so (jedenfalls potentiell) rechtsgutsbeeinträchtigend halten, dass Unrechtsneutralität nicht vorliegen kann. Erst, nachdem eine Genehmigung erteilt wurde, kann von „Sozialadäquatheit“ einer Handlung gesprochen werden. Eine Genehmigung kann daher in jedem Fall bloß rechtfertigend wirken. 12. Dass die Unkenntnis der blankettausfüllenden Norm sowie die Unkenntnis der Genehmigungspflicht nur einen Verbotsirrtum begründen können, ergibt sich systematisch auch aus § 18 Abs. 11 und 12 AWG. Diese Regelungen sehen für eine begrenzte Zeitspanne einen persönlichen Strafausschließungsgrund für 4 5
Radbruch, SJZ 1947, 633 (634). Wolf, S. 192.
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Resümee und Ausblick
Handlungen nach dem Embargotatbestand des § 18 Abs. 1 bzw. nach § 18 Abs. 1a AWG vor, sodass die Strafbarkeit entfällt, wenn der Täter ein Verbot oder Genehmigungserfordernis in einem europäischen Rechtsakt bzw. eine öffentlich bekannt gemachte Anordnung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AWG nicht kannte. Würde die Unkenntnis eines in einem europäischen Rechtsakt enthaltenen Verbots oder Genehmigungserfordernisses bzw. einer Allgemeinverfügung, wie teilweise gefordert, einen Tatumstandsirrtum begründen, so wären diese Regelungen überflüssig. 13. Die durch die konsequente Anwendung der §§ 16, 17 StGB möglicherweise gegebenen Härten der Schuldtheorie werden dadurch abgemildert, dass die meisten Materien des Nebenstrafrechts spezielle Berufsgruppen betreffen. Auch das Außenwirtschaftsrecht bzw. das Kriegswaffenkontrollrecht richten sich weniger an den „Durchschnittstäter“, sondern vor allem an im- und exportierende oder im Falle des KrWaffG auch herstellende Unternehmen. Diesen bzw. den dort tätigen natürlichen Personen kann und muss aber zugemutet werden, sich über die für ihren Bereich geltenden Regelungen zu informieren. Wie man im Falle der aktuellen Sanktionen gegen Russland sieht, können diese (auch) die zeitnahe Umsetzung europäischer Vorgaben betreffen. Die Angehörigen besonders sensibler (Berufs-)Bereiche stehen aber in besonders enger Beziehung zu den durch die Regelungen des AWG und KrWaffG geschützten Rechtsgütern, sodass von ihnen gefordert werden muss, hinsichtlich der geltenden Vorschriften „up to date“ zu sein. 14. Bei fachfremden Tätern hingegen, die nur zufälligerweise mit der entsprechenden Materie in Kontakt kommen, ohne dies überhaupt zu bemerken, ist einer unangemessenen Bestrafung durch ein weniger strenges Vermeidbarkeitskriterium im Rahmen des § 17 Satz 2 StGB zu begegnen. Die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums kann nicht gleichgesetzt werden mit einer völligen Unmöglichkeit der Erlangung der Verbotskenntnis – eine solche wird wohl niemals gegeben sein. Möglich wäre hier die Heranziehung der Grundsätze zur Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte. 15. Anhand zahlreicher Beispielsfälle wurde für den Anwendungsbereich der Strafvorschriften des Außenwirtschafts- sowie Kriegswaffenkontrollrechts dargelegt, dass die Anwendung der erarbeiteten Grundsätze zur Behandlung von Irrtümern – insbesondere im Zusammenhang mit Blanketttatbeständen und auch darunter zu fassenden Genehmigungstatbeständen – zu schlüssigen Ergebnissen führt. 16. Als Fazit bleibt daher festzuhalten, dass nach der Konzeption der Schuldtheorie der Irrtum über die Existenz und Reichweite blankettausfüllender Normen grundsätzlich als Verbotsirrtum zu qualifizieren ist. Das Unrechtsbewusstsein und damit auch die Unkenntnis einer Rechtsnorm6 findet durch § 17 StGB nur 6
Bzw. einer Allgemeinverfügung.
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auf Stufe der Schuld Beachtung. Hält man dies für falsch, so liegt der richtige Weg indes nicht in einer Anwendung der Vorsatztheorie „durch die Hintertür“ auf die geltenden Irrtumsregelungen, sondern ist vielmehr im (zugegebenermaßen ehrgeizigen) Ziel einer Reformierung der §§ 16, 17 StGB zu finden.
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Stichwortverzeichnis Allgemeindelikt 256 Allgemeinverfügung 212, 292 Anstiftung 316 Anti-Folter-Verordnung 48, 283 Appellfunktion 25, 153 f., 159, 163, 183, 194, 222, 225, 233, 246, 324 Ausfuhr 39, 47, 103 – Ausführer, formeller, materieller 47, 49, 136, 257, 259 Ausfüllungsnorm 22, 32, 54 Bande 313 Bausatztheorie 277 Beihilfe 314, 316 Bestimmtheit 34 Beteiligung 316 Blankett 32, 53, 90 – Abgrenzung zum normativen Tatbestandsmerkmal 90 – als gesetzestechnische Vereinfachung 58 – als statische und dynamische Verweisung 67 – ausdrückliches und konkludentes 71 – Definition 74 – echtes und unechtes 64 – Listenblankett 63, 266, 289 – qualifiziertes 73 – und Flexibilität 22, 59 – und Verfassungsrecht 34 – und Vorsatzinhalt 187 – Unmöglichkeit klarer Abgrenzung 99 – Voll- und Teilblankett 69 Blankettmerkmal siehe Blankett Blankettstrafgesetze siehe Blankett Bundesamt für Ausfuhrkontrolle 36, 47, 49, 71, 136 Bundesgerichtshof 64, 154 Catch-All-Klausel
47, 259, 300
delicta mala mere prohibita 221 delicta mala per se 221 deskriptives Tatbestandsmerkmal 81, 268 – Abgrenzung zum normativen Tatbestandsmerkmal 83 dolus malus 141, 150 Doppelirrtum 304 Drittland 260 Dual-Use-Verordnung 32, 38, 49 Einzelakt 36, 63, 105, 211 Einzelanordnung siehe Einzelakt Embargo 21, 37 – Waffenembargo 35, 37 Entscheidungsvorbehalt 46, 50 Erlaubnisirrtum 172, 233, 297 – Kombination mit Erlaubnistatumstandsirrtum siehe Doppelirrtum Erlaubnistatbestandsirrtum siehe Erlaubnistatumstandsirrtum Erlaubnistatumstandsirrtum 171, 232, 244, 295, 319 error facti 142, 205 error iuris 142, 205 EU-Rechtsakte 43, 135 Funktionsfähigkeit einer Kriegswaffe 272
270,
Garantietatbestand siehe Tatbestand Gefährdungsdelikt 112 Geheimdienst 307 Genehmigung 35, 103 – Abgrenzung negatives Tatbestandsmerkmal und Rechtfertigungsgrund 104 – als objektive Straflosigkeitsbedeutung 126 – präventive und repressive Verbote 107 – Sinn und Zweck 117 – strafrechtsspezifische Betrachtungsweise 115
Stichwortverzeichnis – und Irrtum 230 – Unmöglichkeit klarer Abgrenzung 119 – Wortlautauslegung 117 gesamttatbewertende Merkmale 89, 237 Gewerbsmäßigkeit 311
normatives Tatbestandsmerkmal 82 – Abgrenzung zum Blankettmerkmal 90 – Abgrenzung zum deskriptiven Tatbestandsmerkmal 83 – Vorsatz 177 – Umstandskenntnis 177
ignorantia facti 160 Inkorporationstherorie 189 – Kritik 207 Instanzverschiedenheit 92 Irrtum über Tatumstände siehe Tatumstandsirrtum Irrtumslehre 140 – alternative Ansätze 191 – eigene Lehre 244 – Gleichbehandlung von normativen Merkmalen und Blankettmerkmalen 192 – herrschende Lehre 177, 189 – historische Entwicklung 140 – Kritik an der herrschenden Lehre 191 – Kritik an der herrschenden Lehre im Detail 207 – rechtliche Wertungen nicht als Teil des Vorsatzes 202 Irrtumstatbestand siehe Tatbestand Kimberley-Verordnung 43, 48 Kollusion 301 Kompetenzsprung 55, 74 Kompetenzverteilung 21, 37 Kontrollvorbehalt 108 Korrespondenz der Schutzrichtungen Kriegswaffe 51, 264
97
Lehre vom Zusammenlesen siehe Inkorporationstheorie Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 106 Liste 22 – Ausfuhrliste 28, 40, 63, 275 – Güterliste 33, 222 – Kriegswaffenliste 51, 269, 272, 277 – Namensliste 22, 32, 38, 45 – Personenliste siehe Namensliste Mitteilungspflicht
47, 50
345
Parallelwertung in der Laiensphäre 177 – Kritik 181 Präventionsstrafrecht 25, 223, 246, 284 Proliferation 29 Prostitution 66, 71, 216 Rechtsirrtum 142, 178 – außerstrafrechtlicher und strafrechtlicher 143 – Rückkehr zur Unterscheidung zum Tatirrtum 204 Regel-Ausnahme-Verhältnis 114 Reichsgericht 140 Rüstungsgut 40 – Irrtum 264 Sanktion 21, 33, 39 Schuldtheorie 152 Sonderdelikt 255 Steueranspruchstheorie 217 Strafanwendungsrecht 252 Subsumtionsirrtum 178 Systemtatbestand siehe Tatbestand Tatbestand 76 – Begriff und Funktion 76 – gesetzlicher 79 Tatbestandsirrtum siehe Tatumstandsirrtum Tatbestandsmerkmale 81 – Abgrenzungsprobleme 181, 218 – Blankettmerkmale 74, 90 – deskriptive Tatbestandsmerkmale 81 – normative Tatbestandsmerkmale 82 Tathandlungen 39, 43, 281 Tatirrtum 142 – Rückkehr zur Unterscheidung zum Rechtsirrtum 204 Tatobjekt 264 Tatsachenirrtum siehe Tatirrtum Tatsubjekt 255
346
Stichwortverzeichnis
Tatumstandsirrtum 158, 160 – Rechtsfolgen 163 Teilblankett siehe Blankett Teilnahme 315 Trägertechnologien 315 Umgekehrter Irrtum 170, 179, 191 Umkehrschluss siehe Umgekehrter Irrtum Umstandskenntnis 203, 225 Unionsrechtsakzessorietät 22, 37 Unrechtsappell siehe Appellfunktion Unrechtsbewusstsein 159, 164 Unrechtstatbestand siehe Tatbestand Untauglicher Versuch 169, 179, 191, 239 Unvermeidbarkeit siehe Vermeidbarkeit Verbotsirrtum 163 – Einsicht 165 – Rechtsfolgen 167 Verkehrszeichen 212 Vermeidbarkeit – des Verbotsirrtums 166, 249
Vermeidbarkeitsprüfung 166 Verwaltungsakt 32, 211 – Vollziehbarkeit 293 Verwaltungsakzessorietät 35, 103 Verweisung 61 – Außenverweisung und Binnenverweisung 66 – dynamische und statische 67 – Kettenverweisung 32, 75 Vollblankett siehe Blankett Vollständigkeit – einer Kriegswaffe 272 Vollstrafgesetz 54 Volltatbestand siehe Vollstrafgesetz Vorsatzinhalt 140, 176, 186, 191, 202 Vorsatztheorie 150 Vorsatzwissen siehe Vorsatzinhalt Wahndelikt 168, 184, 291 WGVT-Formel 196 Zusammenlesen siehe Inkorporationstheorie