Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank [1 ed.] 9783428524945, 9783428124947

Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit genießen seit einigen Jahren einen hohen Stellenwert auf der politischen u

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German Pages 479 Year 2007

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Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank [1 ed.]
 9783428524945, 9783428124947

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Schriften zum Völkerrecht Band 173

Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank

Von Stefanie Ricarda Roos

Duncker & Humblot · Berlin

STEFANIE RICARDA ROOS

Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank

Schriften zum Völkerrecht Band 173

Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank

Von

Stefanie Ricarda Roos

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-12494-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Großmutter, meiner Mutter und meinem Vater in Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im April 2005 als Dissertation bei der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn eingereicht worden. Sie berücksichtigt die völkerrechtliche Praxis und Veröffentlichungen bis zu diesem Zeitpunkt. Die Arbeit wäre ohne die großzügige ideelle, finanzielle und praktische Unterstützung einer Vielzahl von Personen und Institutionen in der vorliegenden Form nicht entstanden. Ihnen allen gebührt an dieser Stelle mein Dank: Ich danke meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. Rudolf Dolzer, der mich ermuntert hat, die Arbeit während meines Arbeitsaufenthaltes bei den Vereinten Nationen in New York zu beginnen, und mich mit wertvollen Anregungen und der Vermittlung wichtiger Kontakte unterstützt hat. Dank gebührt auch meinen Kollegen bei den Vereinten Nationen und den Mitarbeitern der Bibliothek, die mir Zugang zu wichtigen Dokumenten verschafft haben. Während meiner Tätigkeit bei den VN ist die Idee entstanden, die Dissertation einerseits thematisch auf entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen zu beschränken und sie andererseits um die Frage der Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank zu erweitern. Eine wichtige Entstehungsphase der vorliegenden Arbeit ist in die Zeit meiner wissenschaftlichen Mitarbeit am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg gefallen, von dem ich eine große Unterstützung erfahren habe. Mein Dank gilt insbesondere dem Direktor des Max-Planck-Instituts, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum, sowie meinen Freunden und Kollegen am Institut. Von ihnen seien Herr Dr. Markus Böckenförde, Frau Christina Gille, Frau Dr. Karen Kaiser, Herr Michael Köbele und Herr Markus Rau namentlich erwähnt. Die Mitarbeiter der Bibliothek des Max-Planck-Instituts haben mir bei der Suche nach einschlägigem Material unschätzbare Hilfe geleistet. Es sei stellvertretend für viele Frau Petra Weiler genannt. Ihr sei besonders gedankt. Den zweiten Teil der Arbeit hätte ich ohne meinen Forschungsaufenthalt am Washington College of Law der American University in Washington D.C. nicht verfassen können. Zu danken habe ich insbesondere Herrn Professor Daniel D. Bradlow, der mir mit wichtigen Anregungen sowie Hinweisen zur aktuellen Literatur und Praxis weitergeholfen hat. Ebenso danke ich den Mitarbeitern der Weltbank einschließlich des Inspection Panels der

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Vorwort

Bank für die wertvollen Gespräche und Einblicke, die sie mir in Politik und Praxis der Finanzinstitution gewährt haben, insbesondere Herrn Hans Jürgen Gruss und Herrn Jim MacNeill, sowie all den anderen Gesprächspartnern in Washington D.C. aus dem Bereich der Multilateralen Finanzinstitute, der Nichtregierungs- und Menschenrechtsinstitutionen wie der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, die einzeln aufzuzählen den Rahmen dieses Vorworts sprengen würde. Auch allen bisher Ungenannten, die mir wertvolle Anregungen für diese Arbeit gegeben haben, insbesondere Herrn Professor Dr. Eckart Klein, Herrn Professor Dr. Karl-Peter Sommermann und Herrn Dr. Kai SchmidtSoltau sei herzlich gedankt. Die Verfasserin ist während der Entstehung der vorliegenden Arbeit Stipendiatin der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung gewesen. Der Stiftung sei für ihre große finanzielle wie ideelle Unterstützung sehr gedankt. Einen besonderen Dank schulde ich Frau Elke Pickartz dafür, dass sie die Arbeit Korrektur gelesen hat, sowie Frau Saskia Bellem für die redaktionelle Unterstützung. Schließlich danke ich von Herzen meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, sowie Herrn Prälat Johannes Schwalke und meinen Freunden, die mir in den Jahren, in denen diese Arbeit entstanden ist, zur Seite gestanden sind. Bukarest, im September 2007

Stefanie Ricarda Roos

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Gegenstand der Untersuchung: „entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Begriffsmerkmal „Umsiedlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Begriffsmerkmal „entwicklungsbedingt“ bzw. „zu Entwicklungszwecken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Begriffsmerkmal „zwangsweise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwangsentfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Gang und die Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil Die völkerrechtlichen Grundlagen des internationalen Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen

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Erstes Kapitel Der allgemeine Menschenrechtsschutz vor zwangsweisen Entfernungen von Personen aus ihren Wohnstätten, von ihrem Grund und Boden und aus ihrem Siedlungsgebiet A. Der normative Schutz eines menschenrechtlichen Bleiberechts . . . . . . . . I. Die völkervertragliche Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des internationalen Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit . . . . . . . . . . . . . . a) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit im universellen Menschenrechtssystem: Art. 12 IPBPR . . . . . . . . aa) Der Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (1) Der sachliche Schutzbereich: die Gewährleistung eines Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die grammatikalische und historische Auslegung des Art. 12 Abs. 1 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die teleologische Auslegung des Art. 12 Abs. 1 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der persönliche Schutzbereich: die Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR auf Massenzwangsentfernungen (3) Die Interpretation des Art. 12 Abs. 1 IPBPR durch den UN-Menschenrechtsausschuss: Allgemeine Bemerkung Nr. 27 (67) – Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12) . . . . (a) Die Schutzbereichsbestimmung durch den UN-Menschenrechtsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Bedeutung der Allgemeinen Bemerkung Nr. 27 (67) für den Menschenrechtsschutz gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen . . . . . . . bb) Schlussbemerkung zum Bleiberecht des Art. 12 IPBPR . . . . . b) Der Schutz der Wohnsitzfreiheit in der AEMR . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in Art. 13 Abs. 1 AEMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die rechtliche Bindungswirkung der AEMR . . . . . . . . . . . . . . . c) Der normative Schutz der Wohnsitzfreiheit in regionalen Menschenrechtsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf freie Wahl des Wohnsitzes in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Garantie der Wohnsitzfreiheit in Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK: die Sache Noack et autres c. Allemagne . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Garantie der Wohnsitzfreiheit in Art. 22 Abs. 1 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Auslegung der Art. 22 Abs. 1 AMRK und VIII AERPM durch die Vertragsorgane der AMRK . . . . . . . . . (a) Der Bericht der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte über die Situation der MiskitoIndianer in Nicaragua (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Yanomami-Entscheidung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (1985) . . . . . . . (c) Schlussbemerkung zur materiellrechtlichen Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in AMRK und AERPM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis cc) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der Banjul-Charta: Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta . . . . . . . .

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67

d) Die Klärung von Inhalt und Reichweite der Wohnsitzfreiheit bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen durch internationale Organe und Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Die Guiding Principles on Internal Displacement . . . . . . . . . .

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bb) Die Berichte der UN-Sonderberichterstatter über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers einschließlich Formen von Besiedlungspolitik . . . . . . . . . . . . .

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cc) Die Erklärung der Internationalen Völkerrechtsgesellschaft über „International Law Principles on Internally Displaced Persons“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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e) Die aktuelle Reichweite des Schutzes, den ein der Wohnsitzfreiheit immanentes Bleiberecht vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen bietet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Die Voraussetzung einer gesetzlichen Grundlage . . . . . . . . . .

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bb) Legitime Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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dd) Die Interpretationsregel des Art. 47 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . .

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ee) Schlussbemerkung zu den Voraussetzungen eines rechtmäßigen Eingriffs in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 17 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Der Schutzbereich des Art. 17 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Der Gewährleistungsvorbehalt des Art. 17 IPBPR: „willkürlich“ und „rechtswidrig“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Die durch Art. 17 IPBPR begründeten Verpflichtungen der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Die Jurisdiktion der Straßburger Spruchkörper zu Art. 8 EMRK: die Sache Noack u. a. ./. Deutschland und die Staatenbeschwerdeverfahren Zypern ./. Türkei . . . . . . . . .

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bb) Die Jurisdiktion der Menschenrechtskammer für BosnienHerzegowina zu Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Schlussbemerkung zur Gewährleistung eines Bleiberechts nach Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 11 Abs. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schlussbemerkung zur Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts im Schutzbereich des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Eigentumsrecht als Grundlage für ein menschenrechtliches Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die teleologische Bestimmung des Schutzgehalts des Eigentumsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Jurisdiktion der Straßburger Spruchkörper zum Eigentumsschutz nach Art. 1 ZP 1 zur EMRK . . . . . . . . . . . . c) Die Jurisdiktion des AGMR zu Art. 21 AMRK: das Urteil in der Sache Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua d) Die Gewährleistungsschranken eines dem Eigentumsrecht immanenten Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die allgemeinen Grenzen des Eigentumsrechts als „Garant“ eines Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Eingriffsvoraussetzung einer gerechten Entschädigung . . 4. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Erstgenerationsrechte“ versus „Zweitgenerationsrechte“: Charakter und Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die völkervertragliche Grundlage des Rechts auf angemessene Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR und sein Schutzgehalt (1) Das Recht auf angemessene Unterbringung des Art. 11 IPWSKR als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Allgemeinen Bemerkungen Nr. 4 und 7 des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme zur Interpretation des Art. 11 Abs. 1 IPWSKR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Kategorisierung menschenrechtlicher Pflichten nach Asbjørn Eides Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Reichweite des Rechts auf angemessene Unterbringung als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung in den regionalen Menschenrechtskonventionen: die Entscheidung der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Menschenrecht, nicht willkürlich zwangsweise entfernt zu werden, als Begleitrecht sonstiger internationaler Grundrechte . . .

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Inhaltsverzeichnis

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6. Exkurs: Die völkervertragliche Gewährleistung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts: der individualrechtliche Aspekt . . . . . . . . . . . . . 125 a) Die völkerrechtliche Grundlage eines „Rechts auf die Heimat“

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b) „Heimat“ im Rechtssinne: der Versuch einer Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Das „heimatrechtliche“ Bleiberecht als Gewährleistung internationaler Wohnungsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) „Heimatrechtliches“ Bleiberecht versus aus dem Recht auf Achtung der Wohnung abgeleitetes Bleiberecht . . . . . . . . 130 bb) „Heimatrechtliches“ Bleiberecht versus aus der Wohnsitzfreiheit abgeleitetes Bleiberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 d) Das „heimatrechtliche“ Bleiberecht als Gewährleistung sonstiger Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 e) Schlussbemerkung zur völkerrechtlichen Anerkennung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Die Staatenpraxis bezüglich eines menschenrechtlichen Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Die Rechtsüberzeugung bezüglich eines menschenrechtlichen Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Schlussbemerkung zur völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung eines menschenrechtlichen Bleiberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 B. Zusammenfassung und Schlussfolgerung zur völkerrechtlichen Grundlage eines menschenrechtlichen Bleiberechts bzw. eines Menschenrechts, nicht zwangsweise von seiner Wohnung oder seinem Grund und Boden entfernt oder umgesiedelt zu werden, als allgemeines Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Zweites Kapitel Der besondere Menschenrechtsschutz indigener und sonstiger verletzbarer Bevölkerungsgruppen vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen

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A. Problemstellung: Die besondere Schutzbedürftigkeit traditionell bodenverwurzelter Minderheitengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhaltsverzeichnis

B. Der besondere Menschenrechtsschutz indigener Völker vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO-Übereinkommen 169) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Umsiedlungsvorschrift des Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 . . . . . . 1. Die Beschränkungsklausel des Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 16 Abs. 4 und 5 ILO-Übereinkommen 169 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 7 ILO-Übereinkommen 169: Selbstbestimmungs- und Partizipationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die faktische Schutzwirkung von ILO-Übereinkommen 169 . . . . . . . . . . . C. Der besondere kollektive Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Recht auf Fortbestand als Minderheitengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung: „Entwicklungsvölkermord“, „kultureller Völkermord“ und „Ethnozid“ als Ergebnis entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das kollektive Menschenrecht auf physischen Fortbestand . . . . . . . . . . . . 1. Das Völkermordverbot als Grundlage eines Gruppenmenschenrechts auf physischen Fortbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Völkermordtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der objektive Völkermordtatbestand: die Völkermordhandlung (actus reus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der subjektive Völkermordtatbestand: die Zerstörungsabsicht (mens rea) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wissen und Voraussehbarkeit versus Wollen als entscheidende Merkmale der Völkermordabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bestimmung der Völkermordabsicht auf der Grundlage eines „rights-based-approach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussbemerkungen zum Völkermordverbot als Schutznorm gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die praktische Relevanz der Qualifizierung einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung als Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Entwicklungsvölkermord“ als neue Rechtskategorie . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Zwangsumsiedlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das kollektive Menschenrecht auf kulturellen Fortbestand . . . . . . . . . . . . 1. Das Verbot des „kulturellen Völkermords“ bzw. „Ethnozids“ als Grundlage für ein Gruppenmenschenrecht auf kulturellen Fortbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkerrechtliche Grundlage eines Ethnozidverbotes . . . . . . . . . . . . aa) Das Ethnozidverbot als Bestandteil des Völkermordverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Internationale Entwicklungen bezüglich der Kodifizierung eines „Ethnozidverbots“ bzw. eines besonderen Menschenrechts auf kulturelle Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Entwurf einer Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Entwurf für eine „Amerikanische Erklärung über die Rechte indigener Völker“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die allgemeinen Menschenrechtsverträge als Grundlage eines besonderen Menschenrechts auf kulturellen Fortbestand . . . . . . . . . . . a) Das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens einer Minderheit nach Art. 27 IPBPR als Schutzrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schutzgehalt des Art. 27 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Spruchpraxis des UN-Menschenrechtsausschusses zu Art. 27 IPBPR hinsichtlich entwicklungsbedingter Beeinträchtigungen des Rechts auf freie Ausübung der Kultur . . . (1) Die Fälle B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada (No. 167/1984), Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992) sowie Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995): die Fakten . . . . . . . . . . (2) Die Fälle B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada (No. 167/1984) ), Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992) sowie Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995): die Ausführungen des Menschenrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . (a) Die Kriterien des Menschenrechtsausschusses zur Prüfung der Vereinbarkeit von Entwicklungsmaßnahmen mit Art. 27 IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Folgerungen für den Schutz, den Art. 27 IPBPR vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der persönliche Schutzbereich des Art. 27 IPBPR: Individual- versus Gruppenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schlussbemerkungen zur potenziellen und aktuellen Reichweite des Schutzes, den Art. 27 IPBPR vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet . . . . . . . . b) Die Gewährleistung des Rechts auf kulturellen Fortbestand in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung zum besonderen menschenrechtlichen Schutz der kulturellen Integrität und Identität einer Minderheitengruppe . . .

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D. Der besondere Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker . . 202 I. Rechtsnatur und -grundlage des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

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Inhaltsverzeichnis II. Das Selbstbestimmungsrecht ratione materiae bzw. der Gewährleistungsgehalt hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen . . 1. Das „Recht auf Heimat“ als Gewährleistung des Rechts auf innere Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Recht auf Eigenständigkeit und Existenz als Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die wirtschaftsbezogenen Gewährleistungen des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Recht auf freie Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung und das „Recht auf Entwicklung“: die verfahrensrechtliche Komponente des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Recht auf freie Verfügung über natürliche Reichtümer und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Selbstbestimmungsrecht ratione personae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Indigene und in Stämmen lebende Völker als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ethnische, rassische und kulturelle Minderheiten als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussbetrachtungen zum Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Potentielle versus aktuelle Reichweite des Schutzbereichs eines selbstbestimmungsrechtlichen Abwehrrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die persönliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . 3. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot als Schutznorm vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 F. Der besondere (gruppen)menschenrechtliche Schutz der aufnehmenden Bevölkerung vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . I. Der Schutz der aufnehmenden Bevölkerung vor Verdrängung und Unterwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Relevanz: die Quinghai-Komponente des westchinesischen Armutbekämpfungsprojekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Recht auf den Schutz der demographischen und kulturellen Integrität eines Siedlungsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnungsumfelds als Bestandteil des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung und Privatsphäre? . . . . . . . . . . . . b) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität eines Wohnungsumfelds als Bestandteil des internationalen Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnumfelds als Bestandteil kollektiver Menschenrechte . . . aa) Das Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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bb) Sonstige (kollektive) Menschenrechte, die vor Veränderungen der demographischen und kulturellen Zusammensetzung eines Siedlungsgebietes schützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz Nationaler Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Schlussbemerkungen zum (gruppen)menschenrechtlichen Schutz der aufnehmenden Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Drittes Kapitel Die Sicherung des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch Partizipationsrechte

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A. Die Bedeutung öffentlicher Beteiligung an Entwicklungsvorhaben für den Schutz und die Verwirklichung von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . 239 B. Die völkerrechtliche Grundlage entwicklungsbezogener Partizipationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I.

Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 und regionale Menschenrechtskonventionen als Rechtsgrundlage für entwicklungsbezogene Partizipationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

II. Das „Recht auf Entwicklung“ als Rechtsgrundlage eines „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Die völkerrechtliche Anerkennung des „Rechts auf Entwicklung“ . . 245 2. Das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ als eigenständiger Rechtssatz des menschenrechtlichen Völkergewohnheitsrechts 247 a) Die Einordnung des „Rechts auf Entwicklung“ als unveräußerliches Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Die Qualifizierung des Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation als juristisches Menschenrecht und Rechtssatz des Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Der Gewährleistungsinhalt des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I.

Konsultations- und Informationsrechte: the right to prior, timely and informed consultation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

II. Das Zustimmungsgebot: the requirement of prior, free, and informed consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Das Recht auf gemeinsames Handeln und das Versammlungsrecht . . . . 255 IV. Zusammenfassung zum Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation

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Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel Die Grenzziehung zwischen völkerrechtmäßigen und völkerrechtswidrigen Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken

A. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke menschenrechtsbeschränkender Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Geeignetheit eines Entwicklungsprojekts zur Entwicklungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Notwendigkeit eines Entwicklungsprojekts mit Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: das Kriterium der Angemessenheit und Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Kriterium des „größeren Nutzen für die größere Anzahl von Menschen“ versus der gerechten Teilhabe an den Vorteilen eines Entwicklungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Interessenabwägung im Fall Noack et autres c. Allemagne . . . . .

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B. Das Sonderproblem der „angemessenen“ Entschädigung als notwendige Voraussetzung einer rechtmäßigen Zwangsumsiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Schlussbemerkung zur Rechtfertigung entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Zweiter Teil Die Durchsetzung und Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen

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Erstes Kapitel Die Menschenrechtsschutzverfahren universeller und regionaler Menschenrechtsabkommen und der Vereinten Nationen A. Der prozedurale Menschenrechtsschutz universeller Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Durchsetzungsmechanismen des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Staatenberichtsverfahren des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Staatenbeschwerdeverfahren des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Individualbeschwerdeverfahren nach dem Fakultativprotokoll zum IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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II. Die Durchsetzungsmechanismen des IPWSKR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahren zur Durchsetzung der Gewährleistungen von ILO-Übereinkommen 169 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Berichterstattungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Klage- und Beschwerdeverfahren bezüglich der Durchführung eines ILO-Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussfolgerungen aus der Analyse universeller Menschenrechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Menschenrechtsschutzverfahren regionaler Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention II. Das Rechtsschutzsystem der Amerikanischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das afrikanische Rechtsschutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Kontrollsystem der Banjul-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Abschließende Bewertung: Die Durchsetzungsschwäche des internationalen Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Zweites Kapitel Die Sicherung von Menschenrechten zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen durch Recht und Praxis der Weltbank

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A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. Die Forderungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 II. Die Weltbank als Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 B. Die Safeguard Policies der Weltbank bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Umsiedlungsvorschriften: Vom Operational Manual Statement No. 2.33 zur Operational Policy und Bank Procedure 4.12 Involuntary Resettlement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bankvorschriften über indigene Völker: Vom Operational Manual Statement No. 2.34 zur Operational Policy 4.10 Indigenous Peoples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Umsiedlungsvorschriften anderer Finanz- und Entwicklungshilfeinstitutionen, insbesondere der IFC sowie nationaler Kreditanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Der Anwendungsbereich der aktuellen Weltbankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der persönliche Anwendungsbereich: „displaced persons“ . . . . . . . . . 2. Der sachliche Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die wesentlichen Grundsätze von OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundsatz der Vermeidung unfreiwilliger Umsiedlungen . . . . . . . 2. Der Grundsatz der Konsultierung und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Sondervorschriften zum Schutz indigener Völker in der Umsiedlungs-Policy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Grundsatz des Vorrangs landbasierter Umsiedlungsstrategien b) Konsultierungs- versus Zustimmungsgebot: Stellt die Umsiedlungs-Policy der IADB eine nachahmenswerte Vorschrift dar? . . . 4. Die Entschädigungsaspekte der Umsiedlungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . a) Die Behandlung formalrechtlich nicht geschützter Landrechte . . . b) Das Prinzip der Wiederherstellung oder Verbesserung von Einkommensmöglichkeiten und das Land-für-Land-Entschädigungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schlussbemerkungen zu den Grundsätzen von OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsnatur und -wirkung der Safeguard Policies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Innenwirkung der Safeguard Policies: unverbindliche Richtschnuren oder rechtsverbindliche Schutzvorschriften? . . . . . . . . . 2. Die Außenwirkungen der Safeguard Policies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung und Durchsetzung von Safeguard Policies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine bankinterne Überwachungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Weltbank Inspection Panel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergrund und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Sardar Sarovar-Projekt und seine Folgen: die erste unabhängige Überprüfung eines bankfinanzierten Projekts . . bb) Der Wapenhans-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Funktionsweise des Inspection Panels: das Untersuchungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Zulässigkeitsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zuständigkeit ratione personae und ratione materiae . . . (2) Die Schlüssigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Untersuchung in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Folgen der Untersuchungen und Berichte des Inspection Panels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Handhabung von Beschwerden durch das Inspection Panel aa) Der Umfang der Prüfungskompetenz des Inspection Panels: Lesotho und Tschad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Die Auslegung der Bankvorschriften im Lichte des völkerrechtlichen Menschenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Auslegung der Umsiedlungsvorschriften durch das Inspection Panel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Inhalt von Konsultierungs- und Partizipationsrechten: India Ecodevelopment Project – Rajiv Ghandi (Nagarahole) National Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Voraussetzungen für eine „freiwillige“ Umsiedlung – China: Western Poverty Reduction Project (Quinghai Component) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abschließende Bemerkungen zum Inspection Panel . . . . . . . . . . . VI. Schlussfolgerungen aus der Analyse der Safeguard Policies . . . . . . . . . . 1. Die Menschenrechtsklausel von Operational Directive (OD) 4.20 Indigenous Peoples als Modellvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Menschenrechtsklausel von Operational Policy (OP) 4.01 Environmental Assessment als Modellvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten der Weltbank hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Völkerrechtssubjektivität der Weltbank als Voraussetzung für völkerrechtliche Menschenrechtspflichten und -rechte . . . . . . . . . . . . . 1. Die Qualifizierung der Weltbank als Internationale Organisation . . . 2. Die allgemeine Völkerrechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die mandatsbegrenzte Völkerrechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der „verfassungsrechtliche“ Organisationszweck der Weltbank nach Art. 1 IBRD/IDA-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Veränderung der Entwicklungsstrategien der Weltbank: vom ökonomisch determinierten Entwicklungsansatz zum Comprehensive Development Framework . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die projektbezogene Menschenrechtssicherung als Aufgabe der Weltbank-Entwicklungsförderung? – Die Einordnung sozialer, ökologischer und staatsorganisatorischer Probleme als wirtschaftlich relevante Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das „Verbot politischer Betätigung“ als verfassungsrechtliche Schranke einer Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung? . . . . . . . . aa) Die grammatikalische Interpretation der Neutralitätsklausel bb) Die teleologische Interpretation der Neutralitätsklausel . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründung der Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank-Entwicklungshilfe durch Völkerrechtsnormen außerhalb des Bankrechts . . . . . . . 1. Völkervertragsrechtlich begründete Menschenrechtspflichten der Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare Bindungswirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Abgeleitete Bindungswirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge: das Mitgliedsstaatenargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 c) Die Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank aufgrund der Stellung von IBRD und IDA im System der Vereinten Nationen: das Sonderorganisationsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2. Völkergewohnheitsrechtlich begründete Menschenrechtspflichten der Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

D. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Anhang I:

OP 4.12 December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

Anhang II: Annex OP 4.12 – Annex A, December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004) . . . . . . . . . . . . . . 408 Anhang III: BP 4.12 December 2001, Involuntary Resettlement . . . . . . . . . . 416 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

Abkürzungsverzeichnis ADB AEMR AERPM

AGMR AGMRV AMRK ATCA BGBl. Bicusa BP BVerfG c. CAO CCPR CESCR CIEL COHRE CRP CSCE Doc. EA EBRD ECHR ECOSOC ED EGMR EMRK EvB FAO

Asiatische Entwicklungsbank Allgemeine Erklärung der Menschenrechte American Declaration of the Rights and Duties of Man (Amerikanische Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen) Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker Amerikanische Konvention über Menschenrechte Alien Torts Claim Act Bundesgesetzblatt Bank Information Center Bank Procedure Bundesverfassungsgericht contre Compliance Advisor/Ombudsman International Covenant on Civil and Political Rights Committee on Economic, Social and Cultural Rights (Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) Center for International Environmental Law Centre on Housing Rights and Evictions Compliance Review Panel Conference on Security and Co-operation in Europe Document Environmental Assessment European Bank for Reconstruction and Development (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) European Court of Human Rights United Nations Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen) Exekutivdirektor Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Erklärung von Bern Food and Agriculture Organization of the United Nations (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen)

24 FTAA FUEC GA GAOR GH GPs GS HStR IADB IBRD

Abkürzungsverzeichnis

Free Trade Area of the Americas Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen General Assembly (UN-Vollversammlung) General Assembly Official Records Gerichtshof Good Practices Generalsekretär Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Interamerikanische Entwicklungsbank International Bank for Reconstruction and Development (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) ICJ International Court of Justice ICLT International Committee of Lawyers for Tibet ICSID International Centre for Settlement of Investment Disputes (Internationales Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten) ICT International Campaign for Tibet ICTY International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) IDA International Development Association (Internationale Entwicklungsorganisation) IDP Internally Displaced Person (Binnenvertriebener) IFC International Finance Corporation (Internationale Finanzkorporation) IGH Internationaler Gerichtshof ILA International Law Association (Internationale Völkerrechtsgesellschaft) ILC International Law Commission ILM International Legal Materials ILO International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) IMA Interministerieller Ausschuss für Ausfuhrgewährleistungen IMF International Monetary Fund Inter-Am. Ct. H. R. Inter-American Court of Human Rights I. O. Internationale Organisation IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPWSKR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte IStGSt Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ITC International Campaign for Tibet IWF Internationaler Währungsfonds MIGA Multilateral Investment Guarantee Agency (Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur)

Abkürzungsverzeichnis MIT MRK MVP NGO NNCP No. OAS OD OECD OED Off. OMS OP OPIC OPN OPS PICT PPP Rec. Res. SPDC SSP Suppl. SVP TIN UN UNDP UNESCO UNGA UNHCHR UNO UVP v. Verf. VerfG VerfGBbg VPU WB WCD

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Massachusets Institute of Technology Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung Nichtregierungsorganisation National Petroleum Development Company Number Organization of American States (Organisation Amerikanischer Staaten) Operational Directive Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Operations Evaluation Department Official Operational Manual Statement Operational Policy Overseas Private Investment Corporation Operational Policy Note Operations Policy and Strategy Vice Presidency Unit Project on International Courts and Tribunals Plan Puebla-Panamá Records Resolution Shell Petroleum Development Corporation Sardar Sarovar-Projekt Supplement Sozialverträglichkeitsprüfung Tibet Information Network United Nations United Nations Development Programme (Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen) United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations General Assembly United Nations High Commissioner for Human Rights United Nations Organization Umweltverträglichkeitsprüfung versus Verfasserin Verfassungsgerichtshof Verfassungsgerichtshof des Landes Brandenburg Vice Presidency Unit Weltbank World Commission on Dams

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Abkürzungsverzeichnis

WestLB Westdeutsche Landesbank WSK wirtschaftlich, sozial, kulturell WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation) WÜRV Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge ZP Zusatzprotokoll ZP 1 zur EMRK Zusatzprotokoll zur EMRK ZP 4 zur EMRK Protokoll Nr. 4 zur EMRK

Einleitung „Involuntary resettlement is not simply a question of weighing the numbers on each side, not simply a question of statistical relativism, but a question of human rights.“ Bradford Morse/Thomas Berger

A. Problemstellung Entwicklungsprojekte führten dazu, dass in den letzten beiden Jahrzehnten jährlich rund zehn Millionen Menschen1 ihren Wohn- oder Siedlungsraum unfreiwillig verlassen und sich an einem neuen Ort niederlassen mussten.2 Das sind 200 Millionen Personen in nur 20 Jahren.3 Die Zahl derer, die in der Vergangenheit entwicklungsbedingt entwurzelt wurden, übertrifft damit die Zahl konfliktbedingter Binnendislokationen bei weitem.4 1 Genaue Angaben darüber, wie viele Personen jährlich im Kontext von Entwicklungsvorhaben zwangsweise umgesiedelt werden, gibt es nicht. Die World Commission on Dams (WCD) hat in dem Abschlussbericht ihrer Untersuchung über Staudämme und Entwicklung, den sie Ende 2000 vorgestellt hat, festgestellt, dass allein im Zusammenhang mit Staudammbauten in den vergangenen Jahren 40 bis 80 Millionen Menschen unfreiwillig disloziert wurden. Siehe World Commission on Dams, Dams and Development – A New Framework for Decision-Making, November 2000, S. 104. Ausführlicher zu der Kommission, ihrem Bericht und dessen Entstehungsgeschichte siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel, A. 2 Vgl. Michael M. Cernea, Risks, safeguards, and reconstruction: a model for population displacement and resettlement, in: ders./Christopher McDowell (Hrsg.), Risks and Reconstruction: Experiences of Resettlers and Refugees, 2000, S. 11. 3 In Indien wurden in den vergangenen 50 Jahren Schätzungen zufolge 25 Millionen Menschen im Kontext von Entwicklungsprojekten zwangsweise disloziert. In China waren es im selben Zeitraum mehr als 40 Millionen; vgl. W. Courtland Robinson, Risks and Rights: The Causes, Consequences, and Challenges of Development-Induced Displacement, May 2003, S. 3. – Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm-Projekt in China mussten – vorsichtigen Schätzungen zufolge – mehr als 1,4 Millionen Menschen umgesiedelt werden. Vgl. Sarah C. Aird, China’s Three Gorges: The Impact of Dam Construction on Emerging Human Rights, in: Human Rights Brief 8/2 (Winter 2001), S. 24. 4 Die Zahl der Personen, die in den vergangenen Jahrzehnten in Folge bewaffneter Konflikte bzw. von Bürgerkriegen gezwungen wurden, ihre Wohnstätte aufzugeben, beträgt schätzungsweise 20 bis 25 Millionen; vgl. Bjorn Pettersson, Development-induced displacement: internal affair or international human rights issue?,

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Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen unfreiwilliger Dislokationen können für die zwangsumgesiedelten Menschen genauso schwerwiegend sein wie in den Fällen kriegs- oder naturkatastrophenbedingter Dislokationen: Unfreiwillige Umsiedlungen können Existenzgrundlagen zerstören und Lebensplanungen zunichte machen; den umgesiedelten Personen gelingt es häufig nicht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden; Verarmung infolge von Grundbesitz-, Obdach- und Arbeitslosigkeit, eine Verschlechterung der Gesundheit bis hin zu steigenden Sterberaten sowie psychische Krankheiten und die Zerstörung von Familien- und Gesellschaftsstrukturen bzw. der kulturellen Identität und Integrität einer Bevölkerungsgruppe sind häufige Folgen.5 Die Risiken und nachteiligen Auswirkungen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen und die Frage, wie sich diese vermeiden lassen, wurden jahrzehntelang ausschließlich von Soziologen und Ethnologen analysiert.6 Aus völker- bzw. menschenrechtlicher Sicht wurde diese Problematik nicht untersucht. Der Grund hierfür lag in der traditionell vorherrschenden Ansicht, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen als „Kollateralschäden“ von Entwicklungsvorhaben im Interesse der Entwicklungsförderung hinzunehmen seien.7 Sie wurden als interne Angelegenheit „souvein: Forced Migration review 12 (2002), S. 16; vgl. auch Balakrishnan Rajagopal, The Violence of Development, in: The Washington Post, 9. August 2001, S. A 9. 5 Ausführlich zu den Verarmungsrisiken, die Zwangsumsiedlungen in sich bergen, siehe Cernea, Risks, S. 20 ff. – Zu den nachteiligen Auswirkungen entwicklungsbedingter Umsiedlungen siehe auch Theodore E. Downing, Avoiding New Poverty: Mining-Induced Displacement and Resettlement, April 2002, S. 8–12. Downing verweist auf den von Umsiedlungsspezialisten verwandten Begriff „resettlement effect“, der definiert wird als: „loss of physical and non-physical assets, including homes, communities, productive land, income-earning assets and sources, subsistence, resources, cultural sites, social structures, networks and ties, cultural identity, and mutual help mechanisms“. Ebd., S. 8. 6 Siehe statt vieler z. B. Downing, ebd., sowie die Nachweise ebd., S. 8, Fn. 9; Michael M. Cernea, Public Policy Responses to Development-Induced Population Displacements, in: Economic and Political Weekly, 15. Juni 1996, S. 1515–1523 m. w. N. 7 Vgl. W. Courtland Robinson, Minimizing Development-Induced Displacement, in: Migration Information Source, 1. Januar 2004, S. 1: „In decades past, the dominant view of those involved in the ‚development‘ of traditional, simple, Third World societies was that they should be transformed into modern, complex, Westernized countries. Seen in this light, large-scale, capital-intensive development projects, accelerated the pace toward a brighter and better future. If people were uprooted along the way, that was deemed a necessary evil or even an actual good, since it made them more susceptible to change.“ Der Beitrag ist abrufbar unter . – Vgl. auch Office of the High Commissioner for Human Rights, Forced Evictions and Human Rights, Fact Sheet No. 25, Genf, Mai 1996, S. 4.

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räner“ Staaten betrachtet, denen das Recht zugestanden wurde, autonom darüber zu entscheiden, welche entwicklungsfördernden Maßnahmen auf ihrem Territorium notwendig waren.8 Entwicklungsbedingte Dislokationen unterlagen danach der Verfügungsgewalt dieser Staaten. Sie waren einer völkerrechtlichen Beurteilung entzogen. Mit der zunehmenden völkerrechtlichen Bedeutung der Menschenrechte in den vergangenen Jahrzehnten9 wuchsen zugleich auch die Forderungen, Menschenrechte als integralen Bestandteil aller Entwicklungsprozesse zu betrachten (sog. „rights-based approach“ to development 10). Dies sollte nicht nur für ihre internationale Ausgestaltung gelten, sondern auch, wenn es sich um rein nationale Entwicklungsprozesse handelt. Damit einhergehend wurden zunehmend auch entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen als Angelegenheit des internationalen Menschrechtsschutzes anerkannt.11 8

Vgl. Refugees International, The challenge of responding to development-induced displacement, 8. Mai 2002: „Part of the reason for the relative lack of attention given to development-induced displacement is the presumption that the positive benefits of the development initiative will outweigh any short-term harm to the displaced. Just as with internal displacement due to conflict, the question of sovereignty also arises. The presumption is that national governments have the right to make decisions about the development model they wish to pursue, and to implement or approve external investment for individual projects within a framework of their choosing.“ Der Beitrag ist abrufbar unter . 9 Zum hohen Stellenwert der Menschenrechte im Völkerrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts siehe z. B. Stephan Hobe/Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl., 2004, Kap. 13, S. 392, welche der Ansicht sind, dass sich der Schutz der Menschenrechte „sogar zu einem konstitutionellen Prinzip der Völkerrechtsordnung zu entwickeln beginnt.“ Siehe auch Eckart Klein, Menschenrechte, 1997, S. 7: „Die Menschenrechtsidee hat in diesem Jahrhundert ihren Siegeszug durch das Völkerrecht angetreten und hat damit entscheidend die Erkenntnis gefördert, daß im Mittelpunkt aller rechtlichen Bemühungen der Mensch stehen muß.“ 10 Ausführlich zur Geschichte, den Erscheinungsformen und Implikationen eines „rights-based approach“ to development siehe Celestine Nyamu-Musembi/Andrea Cornwall, What is the „rights-based approach“ all about? Perspectives from international development agencies, IDS Working Paper 234, November 2004. 11 Vgl. Pettersson, S. 19; Robinson, Minimizing, S. 1–3; Aird, S. 24. – Siehe z. B. Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1997/39. Addendum. Compilation and Analysis of Legal Norms, Part II: Legal Aspects Relating to the Protection against Arbitrary Displacement, UN Doc. E/CN.4/1998/53/Add. 1, 11. Februar 1998, IV. E., Para. 1; The human rights dimensions of population transfer, including the implantation of settlers – Preliminary Report prepared by Mr. A. S. Al-Khasawneh and Mr. R. Hatano, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1993/17, 6. Juli 1993, Para. 48–53 und 337–346. – Siehe auch Fact Sheet No. 25, S. 4; Hobe/Kimminich, Kap. 13, S. 392, wonach menschenrechtliche Überlegungen z. B. im internationalen Wirtschafts- und Umweltrecht „etwa bei der Zerstörung lebenswichtiger Ressourcen oder bei entwicklungspolitischen Großprojekten“ (Hervorh. d. Verf.) mit einzubezie-

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Der völker(menschen)rechtliche Schutz vor kriegsbedingten Binnendislokationen und das Massenvertreibungsverbot im Völkerrecht waren in jüngster Zeit – insbesondere in Reaktion auf die „ethnischen Säuberungen“ und Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien sowie im Kosovo – vielfach Gegenstand völkerrechtswissenschaftlicher Untersuchungen.12 Eine umfassende Analyse, ob das völkerrechtliche Menschenrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt, gibt es bisher hingegen nicht. Diese Frage wird in der vorliegenden Arbeit untersucht.

B. Der Gegenstand der Untersuchung: „entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen“ Der Begriff „entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung“ bzw. „Zwangsumsiedlung zu Entwicklungszwecken“13 ist kein feststehender völkerrechtlicher Terminus.14 Welche Erscheinungsformen unfreiwilliger Dislokationen15 hiervon nach der Definition, welche dieser Arbeit zugrunde liegt, erfasst sind, lässt sich am besten über die Bestimmung der drei Begriffsmerkmale – „Umsiedlung“, „entwicklungsbedingt“ und „zwangsweise“ – hen sind, da der Grundgedanke des Schutzes der Menschenrechte im modernen Völkerrecht alle anderen Rechtsgebiete durchzieht. 12 Siehe z. B. Nils Geißler, Der völkerrechtliche Schutz der Internally Displaced Persons: eine Analyse des normativen und institutionellen Schutzes der Internally Displaced Persons im Rahmen innerer Unruhen und nicht-internationaler Konflikte, 1999; Sonja Köhler, Das Massenvertreibungsverbot im Völkerrecht, 1999; Lutz Lehmler, Die Strafbarkeit von Vertreibungen aus ethnischen Gründen im bewaffneten nicht-internationalen Konflikt, 1999. 13 Die Begriffe „entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung“, „Zwangsumsiedlung zu Entwicklungszwecken“, „Zwangsumsiedlungen im Kontext von Entwicklungsvorhaben“, „unfreiwillige Umsiedlungen zu Entwicklungszwecken etc.“ werden im Folgenden synonym verwandt. 14 Die multilateralen Finanzinstitutionen wie die Weltbank und die Interamerikanische und Asiatische Entwicklungsbank sprechen von involuntary resettlement, um Fälle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen zu bezeichnen. Ausführlich hierzu siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. – Ezim Mbonu verwendet in ihrer Studie über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers den Begriff „project-related resettlement“. Siehe Human Rights Dimensions of Population Transfer, Including the Implantation of Settlers and Settlements, Working paper submitted by Mrs. Christy Ezim Mbonu, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1991/47, 15. Juni 1991, S. 2–3, Para. 6. – In jüngerer Zeit wird auch der Begriff des developmentinduced displacement zunehmend als Oberbegriff aller Formen entwicklungsbedingter Dislokationen verwendet. Siehe z. B. Robinson, Risks, m. w. N. im Appendix, S. 72–96; ders., Minimizing; Pettersson. Von dem Begriff des development-induced displacement sind auch Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken umfasst, die Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind. 15 Der Begriff der „Dislokation“ stellt den Oberbegriff für alle Erscheinungsformen der räumlichen Veränderung von Personen und Bevölkerungsgruppen dar.

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beschreiben. „Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen“ sind dabei von anderen Formen erzwungener Dislokationen, insbesondere „Flucht“ und „Vertreibung“, abzugrenzen. I. Das Begriffsmerkmal „Umsiedlung“ Unter „Umsiedlung“ werden hier Maßnahmen verstanden, die zur freiwilligen oder (zumeist) erzwungenen Verlegung des Aufenthaltsortes von Einzelpersonen oder einer Bevölkerungsgruppe führen.16 Der Begriff „Zwangsumsiedlung“ bzw. „unfreiwillige Umsiedlung“ (involuntary resettlement) ist im Folgenden nicht im Sinne der juristischen Definitionen zu verstehen, wonach eine „Zwangsumsiedlung“ voraussetzt, dass „[d]en umgesiedelten Personen . . . in der Regel ein bestimmter Ort oder ein Lager zugewiesen [wird], in dem die Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt oder zumindest kontrolliert wird.“17 Entscheidendes Merkmal einer „Umsiedlung“ (resettlement) im hier verstandenen Sinne ist vielmehr, dass die betroffenen Personen aus einem Gebiet entwurzelt und an einem anderen Ort mit dem Ziel angesiedelt werden, dort sesshaft zu werden. Das Begriffsmerkmal „Umsiedlung“ impliziert also, dass für die zu dislozierenden Menschen bereits zum Zeitpunkt der Entwurzelung ein Wohnort vorgesehen ist, an den sie transferiert werden. Die Umsiedlung unterscheidet sich insofern von „Flucht“ und „Vertreibung“. Eine Flucht liegt vor, wenn der Mensch seinen Wohnsitz in der Hoffnung verlässt, „der Gefahr, die ihm droht, zu entrinnen und er beab16 Zur Definition des Begriffs „Umsiedlung“ im rechtlichen Sprachgebrauch siehe z. B. Frans H. E. W. Du Buy, Das Recht auf die Heimat im historisch-politischen Prozeß, 1974, S. 47–50. Du Buy versteht unter Umsiedlung „die Überführung einer Volksgruppe aus ihrer bisherigen Heimat in ein anderes Gebiet, das innerhalb des eigenen Staates gelegen sein, aber sich auch außerhalb des eigenen Staates befinden kann, mit der Absicht, sie dort seßhaft werden zu lassen.“ Ebd., S. 47. Danach sind von „Umsiedlungen“ – entgegen der dieser Arbeit zugrunde liegenden Definition – Verpflanzungen von Einzelpersonen aus ihrem bisherigen Wohngebiet in ein anderes Gebiet nicht umfasst. 17 So aber Geißler, S. 115. Geißlers Definition stimmt mit Hofmanns Verständnis des Begriffs forcible displacement überein: „Forcible displacements are generally characterized by governmental actions – or actions committed by anti-government forces – moving part of the population of a State to another area of that state in order to better control the people concerned who are considered as opponents to the government in power – or its supporters in the event of forcible displacements carried out by opposition forces – or in order to weaken (armed) opposition to that government – or to weaken the local position of that government.“ Rainer Hofmann, International Humanitarian Law and the Law of Refugees and Internally Displaced Persons, in: Europäische Kommission (Hrsg.), Law in humanitarian crises – Le droit face aux crises humanitaires, Vol. I, 1995, S. 249 (280).

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sichtigt, sobald die Gefahr gewichen ist, nach Hause zurückzukehren.“18 Die „Flucht“ hat danach prinzipiell einen zeitlich begrenzten Charakter.19 In den Fällen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen ist eine Rückkehrmöglichkeit hingegen regelmäßig ausgeschlossen. Sie führt fast immer zu einer ständigen Trennung von der aufgegebenen Wohnung bzw. dem zurückgelassenen Wohnort.20 Auch bei der Vertreibung ist im Unterschied zur Umsiedlung keine Ansiedlung in ein bestimmtes Ersatz-Siedlungsgebiet vorgesehen. Von „Vertreibung“ wird gesprochen, wenn eine Bevölkerungsgruppe – zumeist handelt es sich dabei um eine nationale, rassische oder religiöse Minderheit – durch behördlichen Befehl aus ihrer Heimat ausgewiesen wird.21 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der vorliegenden Untersuchung nur innerstaatliche Zwangsumsiedlungen sind.22 Sie sind in den Fällen die Regel, in denen eine Umsiedlung im Zuge der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens erfolgt. Grenzüberschreitende entwicklungsbedingte Umsiedlungen kommen selten vor.23 18

Du Buy, S. 35. Dort auch zur Definition des Begriffs „Flucht“ allgemein, S. 35–28. – Ähnlich definiert auch Blumenwitz den Begriff „Flucht“, der darunter „ganz allgemein das Verlassen des Wohnsitzes ohne gegenwärtige Rückkehrmöglichkeit“ versteht. Dieter Blumenwitz, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 13. Siehe auch die Definition von „Flüchtling“ nach Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 560) i. V. m. dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II, S. 1294). Danach wird als Flüchtling jede Person bezeichnet, die aus Furcht vor Verfolgung „wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ ihr Herkunftsland verlassen hat, „und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“ Diese Definition trifft auf Personen, die entwicklungsbedingt umgesiedelt werden, nicht zu. 19 Vgl. Du Buy, S. 36; Lehmler, S. 59. 20 Vgl. in diesem Zusammenhang die Definition des Begriffs „Zwangsumsiedlung“ von Blumenwitz: „Ist diese Deportation auf Dauer angelegt, also eine Rückkehrmöglichkeit der Betroffenen ausgeschlossen, handelt es sich um eine Unterform der Deportation, nämlich um ‚Verschleppung‘ oder ‚Zwangsumsiedlung‘.“ (Hervorh. d. Verf.) Blumenwitz, Einführung, S. 1. – Auch eine Flucht kann zwar unter Umständen zu einer ständigen Trennung von der zurückgelassenen „Heimat“ führen; vgl. Lehmler, S. 59. Sie wird aber in der Regel mit einer Rückkehrabsicht des Fliehenden vorgenommen. 21 Vgl. Blumenwitz, ebd., S. 13: „[F]ür die ‚Vertreibung‘ ist der behördliche Ausweisungsbefehl charakteristisch.“ 22 Nach Geißlers Definition des Begriffs „Zwangsumsiedlung“ sind hiervon nur erzwungene Verlegungen des Aufenthaltsortes „innerhalb der Grenzen des jeweiligen Staates“ erfasst. Geißler, S. 115. Siehe im Gegensatz hierzu aber Du Buys Begriffsbestimmung: Du Buy, S. 47 (Anm. 14).

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II. Das Begriffsmerkmal „entwicklungsbedingt“ bzw. „zu Entwicklungszwecken“ Das Begriffsmerkmal „entwicklungsbedingt“ (development-induced) bzw. „zu Entwicklungszwecken“ ist im Folgenden weit aufzufassen. Unter einer „entwicklungsbedingten“ Umsiedlung ist danach jede Überführung, die mit entwicklungsfördernden Maßnahmen im weitesten Sinne einhergeht, von Personen und Bevölkerungsgruppen aus ihrem bisherigen Wohnort bzw. Siedlungsgebiet in ein anderes Wohngebiet zu verstehen. Hiervon sind zum einen Fälle erfasst, in denen die Bevölkerungsverlegung selbst Gegenstand eines Entwicklungsprojekts ist. Die Zwangsumsiedlung erfolgt in diesen Fällen zum Zwecke entwicklungsfördernder Maßnahmen, die den umzusiedelnden Personen in dem Neuansiedlungsgebiet zugute kommen sollen. Ein häufiges Beispiel hierfür sind Umsiedlungen, die darauf abzielen, die Armut der hiervon Betroffenen zu lindern. Als entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen sind zum anderen auch Verpflanzungen von Personen und Bevölkerungsgruppen anzusehen, die durchgeführt werden, weil das von den Betroffenen bewohnte Gebiet für eine anderweitige entwicklungsfördernde Nutzung vorgesehen ist. Infrastrukturverbesserungs- und Bewässerungsprojekte, der Ausbau landwirtschaftlicher Flächen und Landreformprogramme sowie Stadtsanierungsprojekte sind häufige Beispiele hierfür. Zur Kategorie der entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen zählen schließlich auch unfreiwillige Umsiedlungen, die aus Maßnahmen zur Wirtschaftsentwicklung resultieren, beispielsweise Rohstoff- und Energiegewinnungsmaßnahmen, wie der Abbau von Braunkohle oder der Bau von Großstaudämmen.24

23 Die entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung ist insofern von einem Bevölkerungsaustausch zu unterscheiden. Er liegt dann vor, wenn zwei Staaten gegenseitige Umsiedlungen vertraglich vereinbaren; vgl. Du Buy, S. 47 mit Beispielen für Umsiedlungsverträge, ebd., S. 48 f. 24 Robinson nennt als wichtige Ursachen bzw. Kategorien entwicklungsbedingter Dislokationen: „1. Water supply (dams, reservoirs, irrigation); 2. Urban infrastructure; 3. Transportation (roads, highways, canals); 4. Energy (mining, power plants, oil exploration and extraction, pipelines); 5. Agricultural expansion; 6. Parks and forest reserves; 7. Population redistribution schemes.“ Robinson, Minimizing, S. 1. Vgl. auch die Auflistung der Ziele, die offiziell zur Rechtfertigung entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen genannt werden, bei Ezim Mbonu: „The objectives most often cited by Governments include: (a) Relieving population pressures in cities, or in densely populated agricultural areas; (b) Alleviating landlessness in agricultural areas; (c) Redressing regional imbalances in socio-economic development; (d) improving the welfare of peasants and rural workers; (e) Increasing agricultural production for food security or export.“ Ezim Mbonu, S. 3, Para. 9.

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III. Das Begriffsmerkmal „zwangsweise“ Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Begriffsmerkmals „zwangsweise“, das hier mit „unfreiwillig“ (involuntary) bzw. „erzwungen“ gleichgesetzt wird.25 „Zwangsweise“ ist eine Umsiedlung zum einen, wenn die hiervon betroffenen Personen durch physische Gewalteinwirkung oder deren Androhung bestimmt werden, ihre Wohnung, ihren Grund und Boden bzw. ihr Siedlungsgebiet dauerhaft zu verlassen und sich an einem vorbestimmten neuen Ort niederzulassen. – Absolute Gewalt (vis absoluta) kann dabei von offiziellen Kräften wie der Polizei oder dem Militär sowie von Privaten angewandt werden. Ein Fall von vis absoluta liegt auch vor, wenn ein Siedlungsgebiet durch äußere Einwirkungen, wie die Überschwemmung eines Wasserreservoirs infolge eines Staudammbaus, unbewohnbar gemacht und die dort ansässige Bevölkerungsgruppe zum Verlassen ihrer Wohnstätten gezwungen wird. Häufiger noch als Zwangsumsiedlungen mit physischer Gewalteinwirkung sind die Fälle unfreiwilliger Umsiedlungen, die ohne bzw. gegen den Willen der Betroffenen, aber ohne physische Gewalt erfolgen. Auch sie sind von der Kategorie der „Zwangsumsiedlungen“ umfasst. Die Verpflanzung von Personen aus ihren Wohnstätten ist stets als „unfreiwillig“ bzw. „erzwungen“ anzusehen, wenn sie nicht die Folge einer freien Willensentscheidung der von der Umsiedlung betroffenen Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen ist.26 Die fehlende Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Dis25 Zu den Schwierigkeiten, welche die Abgrenzung „freiwilliger“ von „unfreiwilligen“ Umsiedlungen bereitet, siehe Christopher M. Goebel, A Unified Concept of Population Transfer (Revised*), in: Denver Journal of International Law & Policy 22 (1993), S. 1 (9 f.). Angesichts dieser Schwierigkeiten wird im Schrifttum teilweise eingewandt, dass die Unterscheidung in freiwillige oder unfreiwillige Umsiedlungen überhaupt nicht möglich sei. Vgl. Siegrid Krülle, Vertreibung im Völkerrecht – Deportation, Flucht, Ausweisung und Umsiedlungsverträge, in: Gottfried Zieger u. a. (Hrsg.), Deutschland als Ganzes, 1985, S. 43 (51). Sie ist aber für die Analyse des Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen wesentlich. Freiwillige Umsiedlungen sind nämlich aus völkermenschenrechtlicher Sicht regelmäßig unproblematisch. Vgl. diesbez. Du Buy, S. 47 im Zusammenhang mit dem Verlust der Heimat, der mit einer Umsiedlung regelmäßig einhergeht: „Findet eine Umsiedlung mit Zustimmung der von einer solchen Umsiedlung Betroffenen statt, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Der Umsiedler gibt freiwillig seine Heimat auf mit der Absicht, sich an einem anderen Ort eine neue Heimat aufzubauen. Anders verhält es sich aber, wenn eine Umsiedlung ohne vorangehende Befragung der davon Betroffenen oder gar gegen ihren Willen durchgeführt wird. Dann bedeutet die Umsiedlung einen erzwungenen Verlust der bisherigen Heimat.“ 26 Vgl. Du Buy, ebd.

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lokation ist als entscheidendes Wesensmerkmal einer Zwangsumsiedlung anzusehen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass von einer „freiwilligen“ Umsiedlung nur gesprochen werden kann, wenn eine echte Option des Verbleibs am ursprünglichen Wohnsitz besteht.27 „Freiwillig“ ist eine Umsiedlung nach alledem also nur, wenn den Betroffenen die Freiheit bleibt zu entscheiden, wohin sie sich begeben können, und ob sie an den ursprünglichen Wohnort zurückkehren wollen.28 Berücksichtigt man, dass entwicklungsbedingte Umsiedlungen regelmäßig nicht nur einzelne, sondern Teile bzw. Gruppen einer Bevölkerung betreffen, dann stellt sich die Frage, ob eine Umsiedlung schon dann als „freiwillig“ anzusehen ist, wenn ihr die Mehrzahl der betroffenen Personen zugestimmt hat. Aus Sicht der einzelnen Person, die der Verlegung ihres Aufenthaltsortes widersprochen hat, ist dies, insbesondere mit Blick auf den Individualrechtsschutz, der im Falle einer unfreiwilligen Umsiedlung gilt, zu verneinen. Für sie stellt sich die Umsiedlung nämlich unabhängig davon, ob bzw. wie viele ebenfalls von der Bevölkerungsverpflanzung betroffene Personen dieser zugestimmt haben, als eine „unfreiwillige“ dar.29 Stellt man hingegen auf die umzusiedelnde Bevölkerungsgruppe als solche und 27 Zur Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von einer „echten Option“ gesprochen werden kann, siehe ausführlich unten, unter Zweiter Teil, Zweites Kapitel, V. 2. d) cc) (2). 28 Vgl. Compilation II, IV. Para. 3: „Forced displacement [. . .] involves policies that have the purpose or the effect of compelling people to leave their home and place of habitual residence, including in some cases relocating them to another area of the country, against their will. The absence of such will or consent implies that there is a certain amount of coercion. [. . .] If a real choice exists for the persons concerned as to whether to leave or not, in other words, if they could reasonably be expected to choose to remain in their home areas, their movement is voluntary. The same applies to situations where the movement is undertaken with the genuine and informed consent of the persons concerned.“ – Siehe auch Georges Abi-Saab u. a., Opinion: Legal Issues arising from Certain Population Transfers and Displacements on the Territory of the Republic of Cyprus in the Period since 20 July 1974, 26.–27. Juni 1999, S. 2, Rdn. 4: „Even where there are strong economic or other pressures or incentives for the persons concerned, they retain a measure of freedom as to whether, where and how to move, and whether to return. These cases are quite different from those of forcible mass transfer or enforced displacement where there is no option either to stay or return.“ 29 Zu diesem Schluss ist auch Kraus bez. der Qualifizierung grenzüberschreitender Umsiedlungen als „freiwillig“ bzw. „unfreiwillig“ gekommen: „Il est essentiel que tout individu frappé par un transfert y ait consenti. Le transfert d’une population auquel la majorité, mais non pas tous les membres de cette population, ont donné leur consentement, il est involontaire pour ceux qui n’y consentent pas. Les populations sont des parties d’une nation, n’ont pas de volonté collective, mais sont plutôt des multitudes d’individus.“ Les transferts internationaux des populations: Observations de M. Herbert Kraus, Göttingen, 6. Juni 1950, in: Annuaire de l’Institut de Droit International, Session de Sienne, Vol. 44 (1952), S. 168 (170). –

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den Schutz, der dieser als Gruppe zugute kommt, ab, kann man von einer „freiwilligen“ Umsiedlung sprechen, wenn die Gruppe in Folge einer Abstimmung, die nach dem für sie geltenden Entscheidungsfindungsverfahren durchgeführt wurde, nach außen hin der Umsiedlung zugestimmt hat. Diese Bestimmung des Begriffsmerkmals „zwangsweise“ bzw. „unfreiwillig“ soll für den Zweck der Eingrenzung des Gegenstands der vorliegenden Untersuchung genügen. Die Frage, welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine Umsiedlung als im menschenrechtlichen Sinne „freiwillig“ bzw. „unfreiwillig“ anzusehen ist, betrifft nämlich weniger die Definition des Begriffsmerkmals „unfreiwillig“, soweit eine solche notwendig ist, um den Untersuchungsgegenstand von anderen Formen erzwungener Dislokationen abzugrenzen. Sie stellt sich vielmehr im Zusammenhang mit der Bestimmung der Reichweite des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und kann daher abschließend erst nach der Analyse der persönlichen und sachlichen Schutzbereiche internationaler Menschenrechte, die gegen unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet sind, sowie ihrer Gewährleistungsschranken beantwortet werden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach der Begriffsbestimmung, von der diese Arbeit ausgeht, eine Zwangsumsiedlung nicht nur vorliegt, wenn die Umsiedlung aus Sicht der Personen „unfreiwillig“ ist, die gezwungen werden, ihre Wohnung, ihren Grund und Boden und/oder ihr Siedlungsgebiet zu verlassen. Vom Begriff der „Zwangsumsiedlung“ sind vielmehr auch die Fälle erfasst, in denen zwar die umzusiedelnden Personen und Bevölkerungsgruppen ihrer Verpflanzung zustimmen,30 diese aber an dem neuen Ort ohne bzw. gegen den Willen der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe (host population; host community) angesiedelt werden. IV. Zwangsentfernung Eine unfreiwillige Umsiedlung besteht aus drei Phasen: die zwangsweise Entfernung der betroffenen Personen aus ihrer Wohnstätte, ihrem Grund und Boden und ihrem Wohnort bzw. Siedlungsgebiet (Phase 1), die Verbringung der Betroffenen in ein neues Wohngebiet (Phase 2) sowie ihre dortige Ansiedlung (Phase 3). Wenn in der folgenden Untersuchung der Begriff der Zu dieser Problematik siehe auch noch unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, V. 2. d) cc) (2). 30 Die Zustimmung der zu dislozierenden Personen, in ein anderes Wohngebiet umzusiedeln, wird meist durch finanzielle, berufliche und ähnliche Anreize wirtschaftlicher Art herbeigeführt. Vgl. Eric Kolodner, Population Transfer: The Effects of Settler Infusion Policies on a Host Population’s Right to Self-Determination, in: International Law and Politics 27 (1994), S. 159 (159 und 194 f.).

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„Zwangsentfernung“ ( forced eviction) verwandt wird, ist dieser nicht im engen rechtstechnischen Sinne einer Zwangsräumung zu verstehen. Er umfasst vielmehr alle Fälle, in denen Personen unter Zwang, jedenfalls aber unfreiwillig ihre Wohnungen, Häuser bzw. Wohn- und Aufenthaltsorte dauerhaft aufgeben müssen. Dies entspricht einer verbreiteten Definition des Begriffs der „forced eviction“.31

C. Der Gang und die Methodik der Untersuchung Die folgende Untersuchung des internationalen Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil der Arbeit werden die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes vor Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungs31 Siehe z. B. Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE), Defining forced Evictions, abrufbar unter . Siehe insbes. auch: The Practice of Forced Evictions: Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-Based Displacement, Section One, Para. 2.: „[T]he present Guidelines apply to instances of forced evictions in which there are acts and/or omissions involving the coerced and involuntary removal of individuals, groups and communities from their homes and/or lands and common property resources they occupy or are dependent upon, thus eliminating or limiting the possibility of an individual, group or community residing or working in a particular dwelling, residence or place.“ Die Guidelines sind auf einem Expertenseminar zum Thema „The Practice of Forced Evictions“ ausgearbeitet worden, das von dem Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen einberufen wurde und vom 11. bis 13. Juni 1997 in Genf stattfand. Sie sind zusammen mit einem Bericht über das Expertenseminar enthalten in: Expert seminar on the practice of forced evictions (Geneva, 11–13 June 1997), Report of the Secretary-General, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1997/7, 2. Juli 1997, Annex: The Practice of Forced Evictions: Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-Based Displacement. – Siehe auch die Definition der UN-Unterkommission zur Verhinderung der Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten, z. B. in Resolution 1995/29, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/ 1995/51, Präambel. Unter der Praktik einer Zwangsentfernung ist demnach zu verstehen: „the coerced and involuntary removal of persons, families and groups from their homes, lands and communities, whether or not deemed legal under prevailing systems of law, resulting in greater homelessness and inadequate housing and living conditions“. – Siehe ferner die Definition des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in General Comment No. 7 (1997) – The right to adequate housing (article 11, paragraph 1, of the Covenant: forced evictions), Para. 3: „The term ‚forced evictions‘ as used throughout this general comment is defined as the permanent or temporary removal against their will of individuals, families and/ or communities from the homes and/or land which they occupy, without the provision of, and access to, appropriate forms of legal or other protection.“ General Comment No. 7 (1997) ist abgedruckt in: UN Doc. E/1998/22 – E/C.12/1997/10, Annex IV. – Zum Begriff „zwangsweise Entfernung“ vgl. auch Otto Kimminich, Volksgruppenrecht und Recht auf die Heimat: Zwei zusammengehörige Rechte, in: Jahrbuch für Ostrecht, Bd. XXXII (1991), S. 27 (41).

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zwecken umfassend dargestellt und rechtlich gewürdigt. Im zweiten Teil der Arbeit ist der Frage nachzugehen, ob und wie die Um- und Durchsetzung völkerrechtlich gewährleisteter Individual- wie Kollektivrechte, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind, in der Praxis garantiert werden kann. Erster Teil Erstes Kapitel Der internationale Menschenrechtsschutz umfasst zunächst den Schutz allgemeiner Menschenrechte. Sie kommen jedem Menschen zu, und zwar unabhängig von Geburt, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Sprache, Religion oder Volksgruppe und anderen ähnlichen Merkmalen.32 Die allgemeinen Menschenrechte gelten für den „abstrakten Menschen, [den] Bürger ohne besondere Spezifik.“33 Im ersten Kapitel des ersten Teils der Arbeit wird untersucht, ob zu den allgemeinen, individuell ausgeprägten Menschenrechten, die völkerrechtlich auf universeller wie regionaler Ebene gewährleistet sind, auch internationale Grundrechte34 und -freiheiten zählen, welche Einzelmenschen vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen. Der Aufbau des ersten Kapitels folgt aus den verschiedenen Phasen einer unfreiwilligen Umsiedlung.35 Der Schwerpunkt wird auf der Untersuchung liegen, wie sich der juristische Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen, also der Schutz vor der ersten Umsiedlungsphase, gestaltet. 32 Die allgemeinen Menschenrechte sind Ausdruck des Grundsatzes von der Gleichheit aller Menschen, der in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) angesprochen wird, wenn es dort heißt, alle Menschen seien frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 AEMR, demzufolge es keine Diskriminierung geben darf, die auf spezifischen Unterschieden zwischen den Menschen oder Gruppen von Menschen gründet. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948: UNGA Resolution 217 (III), Teil A, Universal Declaration of Human Rights, UN Doc. A/810 (1948), S. 71. Die AEMR ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Bundeszentrale für politische Bildung, Menschenrechte: Dokumente und Deklarationen, 4., erw. Aufl., 2004, S. 54–59. 33 Norberto Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 69. 34 Zum Begriff „internationales Grundrecht“, der in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, siehe Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 20., neubearb. Aufl., 2004, § 3 Rdn. 46, wonach unter „internationalem Grundrecht“ die Grundrechte zu verstehen sind, die auf völkerrechtlicher Grundlage beruhen. Siehe im Gegensatz hierzu aber Klein, Menschenrechte, S. 10, der den Grundrechtsschutz, der auf der staatlichen Ebene entstanden ist, von dem auf der zwischenstaatlichen Ebene geschaffenen Menschenrechtsschutz unterscheidet. 35 Siehe oben, unter B. IV.

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International anerkannte Menschenrechte können auch während des Umsiedlungsvorgangs ins Spiel kommen. In dieser zweiten Phase einer Umsiedlung ist für die physische Sicherheit der betroffenen Personen sowie den Schutz ihrer persönlichen und familiären Integrität oft nicht gesorgt. Im Verlauf von Bevölkerungsverbringungen kommt es nicht selten zu unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen, körperlichen Misshandlungen und zwangsweisen Trennungen von Familien.36 Sie verletzen grundlegende Rechtsgüter, die im völkerrechtlichen Menschenrecht juristisch geschützt sind, wie das Recht auf Leben, das Recht auf Würde und persönliche sowie körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Verbot der Folter und das Recht auf Achtung des Familienlebens.37 Es bedarf hier keiner weiteren Erläuterung, dass den von einer Zwangsumsiedlung betroffenen Personen diese Menschenrechte auch während des Umsiedlungsvorgangs zustehen.38 Auf sie ist in der folgenden Untersuchung nur am Rande einzugehen. Zweites Kapitel Indigene und in Stämmen lebende Völker und andere gefährdete Minderheitengruppen haben wegen ihrer kulturellen und religiösen Eigenheiten bzw. ihrer starken Bodenverwurzelung einen juristischen Sonderschutz vor erzwungenen Dislokationen nötig.39 Ihm ist das zweite Kapitel des ersten Teils der vorliegenden Arbeit gewidmet. Darin ist zu untersuchen, ob der internationale Menschenrechtsschutz nach heutigem Stand spezielle Menschenrechte garantiert, die besonders gefährdete bzw. marginalisierte Bevölkerungsgruppen vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen. Im Mittelpunkt steht hier die Analyse von Inhalt und Reichweite völkerrechtlicher Normen, die gegen Angriffe auf die physische und kulturelle Existenz sowie auf die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eigenständig36

Vgl. The Brookings Institution – Project on Internal Displacement, Handbook for Applying the Guiding Principles on Internal Displacement, 1999, S. 25–48. 37 Ausführlich hierzu, ebd. Siehe auch Guiding Principles on Internal Displacement, die ausführlich unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. d) aa), dargestellt sind, Section III – Principles Relating to Protection During Displacement (Principle 10–23). Die Guiding Principles sind als Annex enthalten in: Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission resolution 1997/39. Addendum. Guiding Principles on Internal Displacement, UN Doc. E/CN.4/1998/53/Add. 2, 11. Februar 1998. Siehe hierzu auch Kälins Kommentierung: Walter Kälin, Guiding Principles on Internal Displacement – Annotations, 2000, S. 24–60. 38 Vgl. Kälin, ebd. 39 Ausführlich hierzu unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, A.

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keit einer Minderheitengruppe ausgerichtet sind. Die dabei entscheidende Frage ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sich der Schutz, den diese Rechte juristisch bieten, auf die Fälle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen erstreckt. Im zweiten Kapitel wird schließlich untersucht, ob das völkerrechtliche Menschenrecht im Hinblick auf die dritte Phase einer Umsiedlung, die Ansiedlung der transferierten Personen in einem neuen Siedlungsgebiet, Garantien enthält. Es wird diesbezüglich erörtert, ob internationale Menschenrechte auch der „host population“ gegenüber der Ansiedlung einer fremden Bevölkerungsgruppe in ihrem Siedlungsgebiet juristischen Schutz bieten. Die Notwendigkeit, den Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen in der vorliegenden Arbeit eigens hinsichtlich der aufnehmenden Bevölkerung zu erörtern, folgt aus der weiten Definition des Begriffs „unfreiwillige Umsiedlung“, welche dieser Untersuchung zu Grunde liegt.40 Sie berücksichtigt, dass sich die Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen nicht nur für die umzusiedelnden Personen negativ auswirken, sondern auch nachteilige Folgen für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der aufnehmenden Bevölkerung haben kann.41 Drittes Kapitel Im dritten Kapitel des ersten Teils der Arbeit wird analysiert, ob das völkerrechtliche Menschenrecht entwicklungsbezogene Partizipationsrechte normativ schützt, die hinsichtlich der Rechte grundrechtssichernde Wirkungen entfalten, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Viertes Kapitel Im vierten Kapitel ist schließlich zu untersuchen, nach welchen Maßstäben die aktuelle Reichweite, d.h. der effektive Gewährleistungsbereich internationaler Grund- und Gruppenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, für den jeweiligen Rechtsträger zu bestimmen ist.42 Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, wo bzw. nach 40

Für eine einheitliche völkerrechtliche Beurteilung sowohl der Zwangsentfernung umzusiedelnder Personen bzw. Menschengruppen als auch deren Ansiedlung in einem Wohngebiet, in dem bereits eine geschlossene Bevölkerungseinheit lebt, plädiert auch Goebel, S. 26: „A broad treatment should be pursued, especially where the motivations for and the effects of both types are egregious.“ 41 Zu den Auswirkungen von Umsiedlungen auf „host populations“ siehe z. B. Ezim Mbonu, S. 6–7, Para. 28–34. Siehe hierzu aus soziologischer Sicht auch Cernea, Risks, S. 32.

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welchen Rechtsgrundsätzen und Kriterien die Grenze zwischen völkermenschenrechtmäßigen und – rechtswidrigen, d.h. zulässigen und verbotenen Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken zu ziehen ist. Zweiter Teil In der Praxis werden Zweck und Nutzen bestehender Menschenrechtsnormen an ihrer Um- und Durchsetzung und weniger an ihrer theoretischen Konzeption gemessen. Die normative Garantie von Menschenrechten stellt allein noch keinen wirksamen Schutz derselben dar. Entscheidend ist vielmehr, ob es im Blick auf Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken Verfahren und Mechanismen zur effektiven Sicherung der Durchsetzung von Menschenrechten gibt. Dieser Frage ist der zweite Teil der vorliegenden Arbeit gewidmet. Erstes Kapitel In seinem ersten Kapitel werden die Menschenrechtsschutzverfahren universeller und regionaler Menschenrechtsübereinkommen dargestellt und deren Effektivität bezüglich der Kontrolle und Sicherung der Um- und Durchsetzung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte bewertet. Dabei wird zu zeigen sein, dass die traditionelle Durchsetzungsschwäche des Völkerrechts auch hinsichtlich völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte besteht. Zweites Kapitel Dies wirft die Frage auf, ob es alternative Mechanismen gibt, um die Implementierung und Durchsetzung von Menschenrechten zu garantieren, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen. In den vergangenen Jahren wurde wiederholt von verschiedenen Seiten gefordert, dass multilaterale Institutionen (MLIs) wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO) nicht nur an 42 Zur Unterscheidung zwischen „potentieller“ und „aktueller“ Reichweite des – nationalen – Grundrechtsschutzes siehe Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Aufl., 2000, § 111 Rdn. 40. Die Ausführungen Isensees beziehen sich zwar auf den nationalen Grundrechtsschutz. Sie lassen sich aber auf internationale Grundrechte übertragen, da in den internationalen Schutzvorschriften selbst eine Unterscheidung zwischen Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken bzw. „potentieller“ und „aktueller“ Reichweite angelegt ist.

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die völkerrechtlich begründeten Menschenrechtspflichten erinnert werden, sondern international anerkannte Menschenrechtsstandards auch zur Grundlage ihrer täglichen Arbeit machen müssten, da diese anderenfalls an Bedeutung verlieren würden.43 Diese Forderung deutet einen möglichen Weg an, wie die Gewährleistung internationaler Menschenrechtsverbürgungen sichergestellt werden könnte, nämlich durch die Einbindung multilateraler Finanz- und Handelsorganisationen. Im zweiten Kapitel des zweiten Teils der vorliegenden Arbeit wird diese Alternative am Beispiel der Weltbank, die an der Spitze internationaler Finanzinstitutionen steht und zu den bedeutendsten Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit zählt, einer kritischen Prüfung unterzogen. Es werden zunächst Recht und Praxis der Weltbank bezüglich der Handhabung unfreiwilliger Umsiedlungen dargestellt und analysiert, ob bzw. in welchem Maße diese geeignet sind, den Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und deren nachteilige Auswirkungen in bankfinanzierten Entwicklungsprojekten sicherzustellen. Dem schließt sich die Analyse an, ob die Weltbank damit bereits alles rechtlich Mögliche und Gebotene unternommen hat, um zu gewährleisten, dass ihre Entwicklungsförderung im Einzelfall im Einklang mit international anerkannten Menschenrechten zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen steht. Der Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung, ob die Gründungsverträge (Articles of Agreement) der Weltbank, die den konstitutionellen Rahmen ihrer Operationen darstellen, einer projektbezogenen Menschenrechtskonditionalisierung „verfassungsrechtliche“ Grenzen ziehen. Abschließend ist zu analysieren, ob die Weltbank durch Völkerrechtsnormen, die außerhalb ihres Organisationsrechts liegen, verpflichtet ist, die Durchsetzung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten zu garantieren.

43 Vgl. z. B. Human Rights as the Primary Objective of International Trade, Investment and Finance Policy and Practice – Working paper submitted by J. OlokoOnyango and Deepika Udagama, in accordance with Sub-Commission resolution 1998/12, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1999/11, 17. Juni 1999, Para. 36.

Erster Teil

Die völkerrechtlichen Grundlagen des internationalen Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Ausgangspunkt der Analyse des internationalen Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen ist die Untersuchung der allgemeinen Menschen- und besonderen Minderheitenschutzrechte, die gegen unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet sind. Bindende Rechtsverpflichtungen im Hinblick auf die Beachtung solcher Menschenrechte sind als Grundlage des Einsatzes von Instrumentarien der Rechtsdurchsetzung erforderlich. Ihre Begründung setzt wiederum eine völkerrechtliche Norm für Menschenrechtsgarantien voraus. Im Folgenden ist daher zunächst zu untersuchen, welche Menschenrechtsnormen bestehen, die Rechte zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen enthalten und welche personale und territoriale Reichweite diese Vorschriften haben. In einem ersten Schritt der Untersuchung wird der materielle Schutzbereich in Betracht kommender Völkerrechtsnormen des Menschen-/Minderheitenschutzes analysiert, bevor unter Beachtung einschlägiger Völkerrechtsgrundsätze die jeweiligen Schranken im Hinblick auf die Ausübung dieser Rechte ermittelt werden. Abschließend ist zu klären, welche Sekundärgarantien das völkerrechtliche Menschenrecht für die Durchbrechung von Primärgarantien zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen vorsieht. Erstes Kapitel

Der allgemeine Menschenrechtsschutz vor zwangsweisen Entfernungen von Personen aus ihren Wohnstätten, von ihrem Grund und Boden und aus ihrem Siedlungsgebiet Eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung beginnt regelmäßig mit der zwangsweisen Entfernung der umzusiedelnden Personen aus ihren Wohnstätten, von ihrem Grund und Boden und aus ihrem Wohn- bzw. Siedlungs-

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

gebiet. Es stellt sich daher an erster Stelle die Frage, inwieweit das geltende Völkerrecht allgemeine, individuell ausgeprägte Menschenrechte vermittelt, die ein Recht garantieren, in der Wohnung, auf dem Grund und Boden und im Wohnort bzw. Siedlungsgebiet verbleiben zu können (right to stay bzw. right to remain). In der folgenden Untersuchung der völkerrechtlichen Grundlagen eines menschenrechtlichen Bleiberechts wird das right to remain gleichgesetzt mit dem Recht, nicht zwangsweise entfernt zu werden (right not to be forcefully evicted). Denn ein Recht, in seiner Wohnstätte zu verbleiben, ist bedeutungslos, wenn dessen Schutzbereich nicht zugleich auf die Abwehr unfreiwilliger Entfernungen gerichtet ist.

A. Der normative Schutz eines menschenrechtlichen Bleiberechts „Like the ‚right of privacy‘ a century ago, the right to stay is one of the great present-day legal marvels of the day. Largely unobserved because frequently unnamed, still it rumbles and boils through the law, and once observed, connects an extraordinary variety of laws not previously understood to be related.“1

I. Die völkervertragliche Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts Bis heute existiert kein völkerrechtlicher, in Friedenszeiten anwendbarer2 Vertrag, der ausdrücklich ein menschenrechtliches Bleiberecht verbürgt. Ist schon deshalb ein „right to stay“ völkervertraglich nicht gewährleistet, und 1 Patrick M. McFadden, The Right to Stay, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law 29 (1996), S. 1 (40). 2 Das humanitäre Völkerrecht enthält Bestimmungen, die Zwangsverschickungen und Verschleppungen geschützter Personen bzw. Bevölkerungsüberführungen verbieten (vgl. Art. 49 Abs. 1 IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, BGBl. 1954 II, S. 917, bzw. Art. 85 Abs. 4a Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8. Juni 1977, BGBl. 1990 II, S. 1551). Personen, die von entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen betroffen sind, können sich auf diese Vorschriften in der Regel nicht berufen. Das humanitäre Völkerrecht ist im Falle eines erklärten Kriegs oder eines anderen bewaffneten Konflikts bzw. einer Besetzung anwendbar (vgl. den gleichlautenden Art. 2 Abs. 1 und 2 III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949, BGBl. 1954 II, S. 838, sowie des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949, BGBl. 1954 II, S. 917). Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen finden aber im Regelfall in Friedenszeiten statt. – Zum Verbot der Massenvertreibung im humanitären Völkerrecht siehe Köhler, S. 195–241.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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zwar auch nicht als immanenter Bestandteil bzw. Teilaspekt international anerkannter Grundrechte? Trifft also Alstons These zu, dass das Bleiberecht „hervorgezaubert“ wurde, ohne in Menschenrechtskodifikationen eine Rechtsgrundlage zu haben?3 Und ist Goodwin-Gill beizupflichten, wonach dem „right to stay“ als solchem die Qualität eines positiv-rechtlichen Menschenrechts abzusprechen4 und dieses als „etwas anderes“ zu bezeichnen ist,5 nämlich als „a concept, deduced from a variety of other, not necessarily related premises – an umbrella term whose penumbra is sufficiently wide to include not just the sorts of basic life rights whose effective protection is essential to the practical dimension of actually remaining anywhere (personal security, livelihood, economic activity, self-sufficiency, to mention but a few); but also the broader, social, cultural and political rights that are part and parcel of community building, stability and community development, including political rights (the right to vote, to stand for election, to participate in government), and perhaps also the entitlement, actual, potential, or putative, of peoples within nation States to a measure of recognition, autonomy or self-government“6?

Die Untersuchung, ob völkervertragsrechtlich normierte Grundrechte in ihrem Schutzbereich ein Bleiberecht gewährleisten, setzt sinnvoller Weise bei den international anerkannten „Wohngrundrechten“ an. Hierzu zählen die Wohnsitzfreiheit, das Grundrecht auf Achtung der Wohnung und das Recht auf angemessene Unterbringung. Berücksichtigt man, dass eine zwangsweise Entfernung von der Wohnstätte bzw. dem Grund und Boden häufig auch den Verlust von Eigentum zur Folge hat, kommt als mögliche Rechtsgrundlage eines menschenrechtlichen Bleiberechts daneben das Grundrecht auf Eigentum in Betracht.7 1. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des internationalen Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit Das Recht auf Wohnsitzfreiheit ist in den zentralen universellen und regionalen Menschenrechtsverträgen als grundlegendes Menschenrecht aner3 Philip Alston, zitiert in: Guy S. Goodwin-Gill, The Right to Leave, the Right to Return and the Question of a Right to Remain, in: Vera Gowlland-Debbas (Hrsg.), The Problem of Refugees in the Light of Contemporary International Law Issues, 1996, S. 93 (94). 4 Kritisch zur Anerkennung der positiven Rechtsnatur eines Bleiberechts äußert sich auch Kay Hailbronner, Comments on: The Right to Leave, the Right to Return and the Question of a Right to Remain, in: Gowlland-Debbas, ebd., S. 110. 5 Goodwin-Gill, S. 102. 6 Ebd., S. 94. 7 Zu weiteren denkbaren Rechtsgrundlagen siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. 5.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

kannt. Es ist als Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes in Art. 12 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPBPR)8 sowie in dem gleich lautenden Art. 2 Abs. 1 Protokoll Nr. 4 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16. September 1963 (ZP 4 zur EMRK)9 verbürgt. Art. 22 Abs. 1 der Amerikanischen Konvention über Menschenrechte vom 22. November 1969 (AMRK)10 sowie Art. 12 Abs. 1 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker vom 27. Juni 1981 (Banjul-Charta)11 gewährleisten ein Aufenthalts- bzw. Wohnrecht. Daneben enthält Art. 26 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 195412 ein „Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts“ für staatenlose Personen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei aufhalten.13 a) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit im universellen Menschenrechtssystem: Art. 12 IPBPR Der IPBPR ist das bedeutendste universelle Rechtsinstrument, das die Wohnsitzfreiheit vertraglich garantiert.14 Zusammen mit der Allgemeinen 8 BGBl. 1973 II, S. 1553; internationale Quelle: UNGA Res. 2200 A (XXI) vom 16. Dezember 1966, Annex, UN GAOR: 21st Sess., Suppl. No. 16 (A/6316), S. 52–60. – Der IPBPR ist am 23. März 1976 in Kraft getreten. 9 Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind. BGBl. 2002 II, S. 1074; in deutscher Fassung auch abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 363–365. 10 American Convention on Human Rights, wiedergegeben in: ILM 9 (1970), S. 673 und in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 500–523. – Die AMRK ist am 18. Juli 1978 in Kraft getreten. 11 African (Banjul) Charter on Human and Peoples’ Rights, wiedergegeben in: ILM 21 (1982), S. 59 und in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 532–545. – Die Banjul-Charta ist am 21. Oktober 1986 in Kraft getreten. 12 BGBl. 1976 II, S. 474. 13 Siehe auch die Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Apartheid-Verbrechens (International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid) vom 30. November 1973 (künftig Apartheid-Konvention), Art. 2 (c). Die Apartheid-Konvention ist wiedergegeben in: ILM 13 (1974), S. 51. 14 Zur Bedeutung der Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit des IPBPR für den internationalen Menschenrechtsschutz siehe Chaloka Beyani, Human Rights Standards and the Free Movement of People Within States, 2000, S. 6 f.; zu ihrer Relevanz für die völkerrechtliche Beurteilung von Bevölkerungstransfers siehe Christa Meindersma, Legal Issues Surrounding Population Transfers in Conflict Situations, Netherlands International Law Review 41 (1994), S. 31 (67 f.); Preliminary Report, Para. 225 ff.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWKSR)15 bildet er die so genannte International Bill of Human Rights.16 Diese Menschenrechtsinstrumente stellen „den Kern einer Weltgrundrechtscharta“ dar.17 aa) Der Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR Gemäß Art. 12 Abs. 1 hat „[j]edermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, [. . .] das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.“18

(1) Der sachliche Schutzbereich: die Gewährleistung eines Bleiberechts Die Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR umfasst das Recht, an einem beliebigen Ort innerhalb des Hoheitsgebiets eines Vertragsstaats einen vorübergehenden oder ständigen Wohnsitz zu wählen und zu begründen.19 Es schützt somit zunächst die Entscheidung, sich an einen Ort nach Wahl niederzulassen.20 Die im Kontext der vorliegenden Untersuchung entscheidende Frage ist, ob Art. 12 Abs. 1 IPBPR daneben auch ein Abwehrrecht enthält, das gegen zwangsweise Entfernungen von dem Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort gerichtet ist. Gewährleistet Art. 12 Abs. 1 IPBPR in seinem Schutzbereich also auch ein Bleiberecht, das das Beibehalten von Wohnsitz und Aufenthaltsort schützt? Im völkerrechtswissenschaftlichen Schrifttum sowie in Studien und Erklärungen zum menschenrechtlichen Schutz vor zwangsweisen Dislokationen wird diese Frage überwiegend bejaht.21 15 BGBl. 1973 II, S. 1569; internationale Quelle: UNGA Res. 2200 A (XXI) vom 16. Dezember 1966, Annex, UN GAOR: 21st Sess., Suppl. No. 16 (A/6316), S. 49–52. 16 Vgl. z. B. General Assembly Resolution 48/119: „International covenants on human rights“, 20. Dezember 1993, UN GAOR: 48th Sess., Suppl. No. 49 (A/48/49), S. 237, Präambel; Bertrand G. Ramcharan, Follow-Up of Treaty Body Conclusions by the Treaty Bodies and the UN Mechanisms Beyond, in: Anne F. Bayefsky (Hrsg.), The UN Human Rights Treaty System in the 21st Century, 2000, Chapter 22, S. 277 (282). 17 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat: Neue rechtliche Aspekte, in: Jürgen Jekewitz (Hrsg.), Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung: Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag, 1989, S. 183 (189). – Zur Bedeutung des IPBPR im Völkerrecht allgmein siehe Dominic McGoldrick, The Human Rights Committee: Its Role in the Development of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1994, S. 20 ff. 18 Hervorh. d. Verf. 19 Vgl. Manfred Nowak, U. N. Covenant on Civil and Political Rights: CCPR Commentary, 1993, Art. 12 CCPR, Rdn. 12. 20 Vgl. McFadden, S. 35.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

(a) Die grammatikalische und historische Auslegung des Art. 12 Abs. 1 IPBPR Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 IPBPR spricht als solcher aber nicht für eine Auslegung des Art. 12 IPBPR, wonach die darin festgeschriebene Wohnsitzfreiheit auch gegen Angriffe auf die Sesshaftigkeit und räumliche Verbundenheit mit dem Wohnsitz schützt. Die Formulierung „das Recht, seinen Wohnsitz frei zu wählen“ ist vielmehr klar: Danach ist die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Begründung eines Wohnsitzes an einem bestimmten Ort bzw. dessen freiwillige Aufgabe, nicht aber der Verbleib am Wohnort gewährleistet. Auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 12 IPBPR lässt sich nicht unmittelbar schließen, dass diese Grundrechtsnorm das Beibehalten von Wohnsitz und Aufenthaltsort garantiert.22 Die ersten Entwürfe zu Art. 12 hatten das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes nicht angesprochen. Art. 12 21 Siehe z. B. Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation vom 25. Februar 2000, abrufbar unter . Art. 12 Abs. 1 IPBPR enthält danach ein Verbot zwangsweiser Umsiedlungen; Geißler, S. 117, der ein Recht, am jeweiligen Aufenthaltsort zu verbleiben, e contrario aus der Wohnsitzfreiheit schließt. – Siehe ferner die Autoren, die das Bleiberecht bzw. ein Recht, nicht zwangsweise vom Wohnsitz entfernt zu werden („individual right against forced displacement“), als integralen Bestandteil des Rechts auf Wohnsitzfreiheit ansehen: Robert Kogod Goldmann, International Human Rights and Humanitarian Law and the Internally Displaced, in: Antônio Augusto Cançado Trindade (Hrsg.), The Modern World of Human Rights: Essays in honour of Thomas Buergenthal, 1996, S. 517 (519 f.); Walter Kälin, Guiding Principles on Internal Displacement: Annotations, Studies in Transnational Legal Policy No. 32, 2000, S. 14; Maria Stavropoulou, The Right not to be Displaced, in: American University Journal of International Law & Policy 9 (1994), S. 689 (726); Köhler, S. 58. – Siehe auch Internally displaced persons – Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1995/57: Compilation and analysis of legal norms, UN Doc. E/CN.4/1996/52/Add. 2, 5. Dezember 1995, S. 58, Para. 226, wonach Menschenrechtsschutz gegen innerstaatliche Umsiedlungen Einzelner oder massenhafter Art aus dem Recht auf Wohnsitzfreiheit und Freizügigkeit abzuleiten ist. – Im Schrifttum wird ferner – allerdings ohne nähere Begründung – die These vertreten, dass jede Form einer zwangsweisen Dislokation prima facie unter den Gesichtspunkten der Wohnsitzfreiheit unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 IPBPR sei. In diese Richtung argumentiert z. B. Martin Scheinin, Forced Displacement and the Covenant on Civil and Political Rights, in: Anne F. Bayefsky/Joan Fitzpatrick (Hrsg.), Human Rights and Forced Displacement, 2000, S. 66 (67); Alfred-Maurice De Zayas, Forced Resettlement, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Vol. II 1, 1995, S. 422 (424); vgl. auch Goebel, S. 17 ff., 18. 22 Vgl. Scheinin, S. 66: „Existing human rights treaties appear to be relevant in the context of forced displacement, although it is clear that the magnitude and special characteristics of the phenomen of forced displacement were not specifically

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enthielt danach nur die Ausreisefreiheit, mithin eine Form der grenzüberschreitenden Freizügigkeitsgarantie.23 Er sollte ursprünglich gerade das Gegenteil eines Rechts, am Wohnsitz verbleiben zu dürfen, gewährleisten, nämlich das Recht, sich von der Bindung an ein Territorium bzw. an einen Wohnraum zu lösen. Nach Aufnahme der Wohnsitzfreiheit in die Entwürfe zu Art. 12 stand im Mittelpunkt der Vertragsverhandlungen die Beschränkungsklausel des Art. 12.24 Die Frage, welche Rechte von der innerstaatlichen Freizügigkeitsgarantie, zu dem die Wohnsitzfreiheit zählt, im Einzelnen umfasst sein sollten, war nicht Gegenstand der Diskussion.25 (b) Die teleologische Auslegung des Art. 12 Abs. 1 IPBPR Es folgt aber aus Sinn und Zweck bzw. der Funktion der Wohnsitzfreiheit als Gewährleistung der Freizügigkeitsgarantie, dass Art. 12 Abs. 1 IPBPR auch ein Bleiberecht normativ schützt. Das Grundrecht auf Freizügigkeit einschließlich der Wohnsitzfreiheit ist „Teil der natürlichen Grundfreiheiten und Voraussetzung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Ausübung zahlreicher anderer Grundrechte.“26 Seine Wahrnehmung ist „Ausdruck individueller Selbstbestimmung und Lebensführung.“27 taken into account when the Universal Declaration of Human Rights (UDHCR) and general human rights treaties were drafted and adopted.“ 23 Vgl. Rosalyn Higgins, Liberty of Movement within the Territory of a State: The Contribution of the Committee on Human Rights, in: Yoram Dinstein (Hrsg.), International Law at a Time of Perplexity, 1989, S. 325 (327) m. w. N. – Zu den unterschiedlichen Dimensionen der Freizügigkeitsgarantie im Völkerrecht – innerstaatliche und grenzüberschreitende Dimension – siehe Kay Hailbronner, Freizügigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 2. Aufl., 2001 (künftig HStR VI), § 131 Rdn. 10; siehe auch Preliminary Report, Para. 225. – Zu den internationalen Aspekten der Freizügigkeitsgarantie allgemein siehe Rona Aybay, The Right to Leave and the Right to Return: The International Aspect of Freedom of Movement, in: Comparative Law Yearbook 1 (1977), S. 121–136. 24 Ausführlich zur Beschränkungsklausel des Art. 12 IPBPR siehe unten, unter Erstes Kapitel, A. I. 1. e). 25 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 12 IPBPR siehe Marc J. Bossuyt, Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 243–265. 26 Ingolf Pernice, Artikel 11 (Freizügigkeit), in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I: Präambel, Artikel 1–19, 2. Aufl., 2004, Art. 11 Rdn. 10 m. w. N., im Bezug auf die Wohnsitzfreiheit des deutschen Grundgesetzes. Die diesbez. Argumentation läßt sich auf das internationale Grundrecht der Wohnsitzfreiheit übertragen. 27 Hartmut Krüger/Martin Pagenkopf, Art. 11 (Freizügigkeit), in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl., 2003, Art. 11 Rdn. 10.

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Dies trifft nicht nur auf die Garantie der innerstaatlichen Freizügigkeit in nationalen Verfassungen, sondern auch auf die international anerkannte Freizügigkeitsgarantie zu, was unter anderem aus den travaux preparatoires zu Art. 12 IPBPR folgt: Die Binnenfreizügigkeit ist danach wegen seiner Bedeutung als grundlegendes Menschenrecht und wesentlicher Bestandteil des Rechts auf persönliche Freiheit in den IPBPR aufgenommen worden.28 Ist aber die Freizügigkeitsgarantie einschließlich der Wohnsitzfreiheit „elementare Voraussetzung personaler Lebensgestaltung“29 und Grundbedingung für die effektive Ausübung anderer Grundrechte, folgt daraus zwangsläufig, dass das Bleiberecht integraler Bestandteil der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR ist. Der in Art. 12 garantierten Freiheit, an jedem Ort innerhalb des Hoheitsgebiets einer Vertragspartei Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, würde nämlich jede Wirkung genommen, wenn diese Vorschrift nicht zugleich auch das Recht enthielte, an dem Ort verbleiben zu können, an dem man seinen Wohnsitz genommen hat, weil man dort Wohnung, Familie, Beruf, Eigentum und Freunde, mithin Voraussetzungen haben möchte, die für die persönliche Lebensgestaltung und eine gesicherte Existenz30 bedeutsam sind. McFadden hat erläutert, warum zwischen der Entscheidungsfreiheit, welche die Wohnsitzfreiheit garantiert, und dem Bleiberecht ein logischer Zusammenhang besteht: „[A] freedom to make the initial choice of residence would largely be eviscerated if the state were permitted to overturn that choice immediately or whenever, thereafter, it wished. To give substance to any decisional right, one must limit the right of others (in this case, the right of the state) to overturn the decisions actually made.“31

(2) Der persönliche Schutzbereich: die Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR auf Massenzwangsentfernungen Entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen betreffen regelmäßig nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Bevölkerungsgruppen. Für die Bestimmung des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen ist daher entscheidend, ob sich auch Personengemeinschaften 28

Vgl. Bossuyt, S. 253. Pernice, Art. 11 Rdn. 14. 30 Zum Verständnis des Wohnsitzes als „Lebensmittelpunkt gesicherter Existenz“, vgl. Susanne Baer, Zum „Recht auf Heimat“ – Art. 11 GG und Umsiedlungen zugunsten des Braunkohletagebaus, in: Neue Verwaltungszeitschrift 4 (1997), S. 27 (29). 31 McFadden, S. 35 f. 29

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im Falle einer Massenzwangsentfernung auf das der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR immanente Bleiberecht berufen können.32 Dass Art. 12 IPBPR auch auf Bevölkerungsgruppen zutrifft, wird im Schrifttum teilweise verneint. So hat Hannum aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift gefolgert, dass die Rechte des Art. 12 einer größeren Anzahl von Personen im Falle einer Bevölkerungsbewegung massenhafter Art (mass movements of groups) wie groß angelegter Dislokationen nicht zugute kämen.33 Jagerskiold schließt mit einer ähnlichen Begründung eine Anwendung des Einreiserechts des Art. 12 Abs. 4 IPBPR auf eine Personengemeinschaft aus: „This right is intended to apply to individuals asserting an individual right. There was no intention here to address the claims of masses of peoples who have been displaced as a byproduct of war or by political transfers of territory or population.“34

Wenn diese Thesen auch auf die Rechte des Art. 12 Abs. 1 IPBPR zuträfen, würde daraus folgen, dass sich eine Bevölkerungsgruppe, die von einer entwicklungsbedingten Massenzwangsentfernung bzw. -umsiedlung betroffen ist, nicht auf das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht berufen könnte. Eine Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 IPBPR auf Individuen, die im Einzelfall ein Recht des Art. 12 IPBPR geltend machen, folgt aber weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift,35 noch ist sie nach deren Schutzzweck geboten.36 Im Falle einer Massenzwangsentfernung ist es zwar wahrscheinlich, dass hiervon Personen betroffen sind, die zum selben Lebenskreis zählen. Insofern könnte man argumentieren, dass die Wohnsitzfreiheit von einer Zwangsentfernung nicht betroffen ist, 32 Vgl. hierzu die Diskussionsbeiträge zur Panel über „Forced Movement of People“ im Rahmen des 1996 Annual Meetings der American Society of International Law, S. 560 ff. 33 Hurst Hannum, The Right to Leave and Return in International Law and Practice, 1987, S. 59. So auch Eyal Benvenisti/Eyal Zamir, Private Claims to Property Rights in the Future Israeli-Palestinian Settlement, in: The American Journal of International Law 89 (1995), S. 295 (324 f.). 34 Stig Jagerskiold, The Freedom of Movement, in: Louis Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights, 1981, S. 166 (180). Kritisch hierzu Tomuschat, Recht auf Heimat, S. 190 f. 35 So auch Henckaerts: „If you stick to the language, there is only one interpretation possible. Article 12 does not distinguish between individuals and groups.“ Jean-Marie Henckaerts, Diskussionsbeitrag im Rahmen der Panel „Are International Institutions Doing Their Job? – Forced Movement of Peoples“, ASIL Proceedings, March 27–30, 1996, S. 545 (561). 36 So im Ergebnis auch Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 49; Tomuschat, Recht auf Heimat, S. 190.

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wenn alle Personen, die einem gemeinsamen Lebenskreis angehören, nach einer Zwangsentfernung geschlossen an einem anderen Wohnort angesiedelt werden. Dabei würde aber übersehen, dass bei der Wohnsitzwahl nicht nur familiäre und freundschaftliche Bindungen maßgebend sind. Bei der Ortswahl, die Ausdruck individueller Selbstbestimmung und Lebensführung ist, können vielmehr auch andere Faktoren wie berufliche Bindungen, Eigentum und die Möglichkeit kultureller und politischer Betätigung eine Rolle spielen. Diese können auch im Falle einer Massenzwangsentfernung unwiederbringlich zerstört werden. Es kann daher für die Frage, wer Grundrechtsträger des Bleiberechts nach Art. 12 Abs. 1 IPBPR ist, keinen Unterschied machen, ob eine einzelne Person zwangsweise von ihrem Wohnsitz entfernt werden soll, oder ob sie von einer Massenzwangsentfernung betroffen ist. Genauso wenig kann es aber darauf ankommen, ob ein Individuum im Einzelfall ein Bleiberecht geltend macht, oder ob sich mehrere Personen gemeinsam auf dieses Recht berufen. Das heißt nicht, dass Art. 12 Abs. 1 IPBPR eine besondere Schutznorm für Bevölkerungsgruppen ist, die gegenüber zwangsweisen Entfernungen vom Wohnsitz besonders schutzbedürftig sind, wie zum Beispiel indigene Völker und Minderheiten.37 Die Wohnsitzfreiheit des Art. 12 IPBPR inklusive ihrer Gewährleistungen ist ein allgemeines Grundrecht, auf das sich „jedermann“ unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu einer besonderen Bevölkerungsgruppe berufen kann. Die Möglichkeit, eine Verletzung dieses Grundrechts zusammen mit anderen betroffenen Personen geltend zu machen, schließt dies aber nicht aus. (3) Die Interpretation des Art. 12 Abs. 1 IPBPR durch den UN-Menschenrechtsausschuss: Allgemeine Bemerkung Nr. 27 (67) – Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12) Der UN-Menschenrechtsausschuss38, der als Vertragsorgan des IPBPR die Einhaltung der menschenrechtlichen Verpflichtungen aus dem IPBPR überwacht,39 hat 1999 eine Allgemeine Bemerkung zum Freizügigkeitsrecht 37 Zum besonderen Menschenrechtsschutz indigener Völker sowie von Minderheiten siehe ausführlich unten Erster Teil, Zweites Kapitel. 38 Human Rights Committee. Zur Bezeichnung des Human Rights Committee als „Menschenrechtsausschuss“ in der BRD siehe Hans-Michael Empell, Die Kompetenzen des UN-Menschenrechtsausschusses im Staatenberichtsverfahren, 1987, S. 1, Fn. 1. – Im Unterschied zur UN-Menschenrechtskommission (Commission on Human Rights) ist der UN-Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee) kein Organ der Vereinten Nationen sondern ein Vertragsorgan des IPBPR. Er setzt sich aus achtzehn unabhängigen Menschenrechtsexperten aus unterschiedlichen geographischen Regionen, Zivilisationsformen und Rechtssystemen zusammen. Vgl. Art. 28 und 31 IPBPR.

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des Art. 12 IPBPR (General Comment No. 27 (67) – Freedom of movement (article 12))40 erarbeitet, die für die Bestimmung des Gewährleistungsgehalts der Wohnsitzfreiheit bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen bedeutsam ist. (a) Die Schutzbereichsbestimmung durch den UN-Menschenrechtsausschuss Der Menschenrechtsausschuss bestätigt in General Comment No. 27 (67) zunächst die Ansicht, dass entwicklungsbedingte (Massen)Zwangsentfernungen vom Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR erfasst sind. Die diesbezüglich entscheidende Passage ist in Randnummer 7 des General Comment enthalten. Der Ausschuss stellt darin ausdrücklich klar, dass die Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR dem Grunde nach, d.h. abgesehen von den Grundrechtsbeschränkungen, die nach Art. 12 Abs. 3 IPBPR ausnahmsweise zulässig sind,41 gegen alle Formen erzwungener innerstaatlicher Dislokationen schützt: „Subject to the provisions of article 12, paragraph 3, the right to reside in a place of one’s choice within the territory includes protection against all forms of forced internal displacement.“ 42

Der Ausschuss hat damit implizit festgestellt, dass auch entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen grundsätzlich im sachlichen Geltungsbereich des Art. 12 Abs. 1 IPBPR liegen. Zum persönlichen Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit hat der Menschenrechtsausschuss zwar nicht ausdrücklich Stellung genommen. Es kann aber aus seinen Ausführungen zu Art. 12 Abs. 4 IPBPR geschlossen werden, dass Art. 12 Abs. 1 IPBPR auch auf Bevölkerungsgruppen Anwendung findet, die im Fall einer Massenumsiedlung ein der Wohnsitzfreiheit immanentes Bleiberecht geltend machen. In Randnummer 19 erklärt der Menschenrechtsausschuss nämlich explizit, dass das in Absatz 4 normierte Rückkehrrecht auch das Verbot erzwungener Bevölkerungsverschiebungen oder Massenausweisungen in andere Länder umfasst.43 Es besteht aber kein 39 Zu den einzelnen Aufgaben des Menschenrechtsausschusses siehe Art. 28 ff. IPBPR sowie unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 40 Addendum: General Comment No. 27 (67)* – Freedom of movement (article 12), UN Doc. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 9, 1. November 1999 (künftig General Comment No. 27 (67)). Die Allgemeine Bemerkung ist – in inoffizieller deutscher Übersetzung – abgedruckt in: MenschenRechtsMagazin Heft 2/2000, S. 85 ff. 41 Ausführlich zu den Beschränkungsmöglichkeiten der Wohnsitzfreiheit siehe unten, unter A. I. 1. e). 42 General Comment No. 27 (67), Hervorh. d. Verf. 43 Ebd., Para. 19: „It [the right to return, d. Verf.] also implies prohibition of enforced population transfers or mass expulsions to other countries.“

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Grund dafür, innerstaatliche Massenzwangsumsiedlungen aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 IPBPR auszuschließen, gleichzeitig aber zu erklären, dass das Einreiserecht des Absatz 4 auch Personen(gruppen) zugute kommt, die von Massenausweisungen betroffen sind. (b) Die Bedeutung der Allgemeinen Bemerkung Nr. 27 (67) für den Menschenrechtsschutz gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen Der UN-Menschenrechtsausschuss hat mit seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 27 (67) einen Standard gesetzt, der weltweit für den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen relevant ist. Die Allgemeinen Bemerkungen zu bestimmten Paktvorschriften, deren interpretative Aussagen eine einheitliche Umsetzung der Vorschriften des Zivilpakts sicherstellen sollen,44 sind zwar nicht juristisch verbindlich.45 Auch stellen sie kein Sekundärrecht dar.46 Sie haben aber dennoch rechtliches Gewicht.47 Sofern nämlich die Vertragsparteien des IPBPR die in den General Comments enthaltenen Rechtsüberlegungen des Menschenrechtsausschusses nicht berücksichtigen, verstoßen sie gegen ihre Pflicht, den von ihnen geschlossenen Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen.48 Der Adressatenkreis der Allgemeinen Bemerkungen reicht indes über die Vertragsstaaten des IPBPR hinaus. Staaten, die den IPBPR noch nicht ratifiziert haben, trifft zwar keine vergleichbare völkerrechtliche Beachtungspflicht. Auch sie sollten aber die Allgemeinen Bemerkungen berücksichtigen, wie der Menschenrechtsausschuss bereits Anfang der 1980er Jahre gefordert hat: „These comments should also be of interest to other States, especially those preparing to become parties to the Covenant and thus to strengthen the co-operation of all States in the universal promotion and protection of human rights.“49

Die UN-Vollversammlung hat in ihrer Resolution 48/119 – International covenants on human rights vom 20. Dezember 1993 darüber hinaus interna44 Vgl. Eckart Klein, General Comments, in: Jörn Ipsen/Edzard Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht – Staat – Gemeinwohl: Festschrift für Dietrich Rauschning, 2001, S. 301 ff. 45 Vgl. z. B. Klein, ebd., 307; Empell, S. 141 m. w. N. 46 Vgl. Torkel Opsahl, The General Comments of the Human Rights Committee, in: Jekewitz, S. 273 (284). 47 Vgl. Klein, General Comments, S. 307 f. 48 Vgl. ebd., S. 308. 49 General comments under article 40, paragraph 4, of the Covenant, in: Report of the Human Rights Committee, UN GAOR: 36th Sess., Suppl. No. 40 (A/36/40), Annex VII, S. 107, Introduction, Abschn. 3.

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tionale Organisationen und Institutionen, die sich mit Menschenrechtsfragen befassen, aufgefordert: „to respect these uniform standards, as expressed in the general comments of the Human Rights Committee“50. Eckart Klein, ehemaliges deutsches Mitglied im Menschenrechtsausschuss, fasst den Kreis der Adressaten der General Comments schließlich noch weiter. Die Allgemeinen Bemerkungen richten sich danach „an alle diejenigen, die sich mit den Fragen des Menschenrechtsschutzes beschäftigen und nicht zuletzt an die Menschen als Träger der Rechte selbst – also an ‚the world at large‘.“51

Aus alledem folgt, dass die Rechtsauffassungen, die der Ausschuss in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 27 (67) im Bezug auf den Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR vertritt, sowohl von den Vertragsparteien, als auch von Einrichtungen, die sich mit der Frage innerstaatlicher Dislokationen befassen, beachtet werden sollen bzw. müssen. Es handelt sich dabei „um Auffassungen eines gewichtigen Gremiums, die jedenfalls bedeutsame Elemente im völkerrechtlichen Diskurs darstellen und deren Nichtberücksichtigung dazu führt, daß man von einer lege artis geführten Rechtsdebatte nicht wird sprechen können.“ 52 bb) Schlussbemerkung zum Bleiberecht des Art. 12 IPBPR Die Untersuchung des Art. 12 Abs. 1 IPBPR hat ergeben, dass die darin garantierte Wohnsitzfreiheit ein menschenrechtliches Bleiberecht im Sinne eines Rechts umfasst, im selbst gewählten örtlichen Lebenskreis verbleiben zu dürfen. Dieses ist als Abwehrrecht auch gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet. Das der Wohnsitzfreiheit des IPBPR immanente Recht, nicht zwangsweise vom Wohnsitz entfernt zu werden, begründet heute für 154 Staaten, die den Zivilpakt ratifiziert haben,53 verbindliche Beachtungs- und Schutzpflichten. 50 UNGA Res. 48/119: „International covenants on human rights“, 20. Dezember 1993, UN GAOR: 48th Sess., Suppl. No. 49 (A/48/49), S. 238, Para. 16. 51 Klein, General Comments, S. 308. Klein folgert daher, dass die Allgemeinen Bemerkungen „damit den Ausschuß als Akteur im Kreis der Menschenrechtsinterpreten [erweisen].“ Ebd. 52 Ebd., S. 307. 53 Stand: 24. November 2004. Zum Ratifikationsstand siehe die Website des Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, . – Weitere 67 Staaten haben den IPBPR unterzeichnet. Siehe ebd.

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b) Der Schutz der Wohnsitzfreiheit in der AEMR Der IPBPR ist nicht das erste Rechtsinstrument zum Schutze der Menschenrechte, das die Wohnsitzfreiheit ausdrücklich als unveräußerliches Grundrecht festschreibt. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat schon 1948 mit der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte klargestellt, dass diese Grundfreiheit zu den weltweit anerkannten zentralen Garantien des Schutzes menschlicher Würde zählt. aa) Die Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in Art. 13 Abs. 1 AEMR Die Wohnsitzfreiheit ist in Art. 13 Abs. 1 AEMR angesprochen. Nach dieser Bestimmung hat jeder Mensch das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Aufenthaltsorts innerhalb eines Staates.54 Die Ausführungen zum Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 IPBPR, mit dem Art. 13 Abs. 1 AEMR für die Vertragsparteien des IPBPR rechtsverbindlich umgesetzt wurde, treffen auch auf Art. 13 AEMR zu. Die Wohnsitzfreiheit des Art. 13 Abs. 1 AEMR enthält folglich ebenfalls ein Bleiberecht, das grundsätzlich Schutz gegen zwangsweise Entfernungen vom Wohnsitz und Aufenthaltsort bietet.55 bb) Die rechtliche Bindungswirkung der AEMR Fraglich ist, ob Art. 13 Abs. 1 AEMR für Staaten, die den IPBPR nicht ratifiziert haben, aber Mitglied der Vereinten Nationen sind,56 eine Rechtspflicht zur Achtung der Wohnsitzfreiheit begründet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist zwar per se nicht juristisch verbindlich.57 Die UN-Vollversammlung (GA) hat die AEMR näm54

Art. 13 Abs. 1 AEMR lautet: „Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort zu wählen.“ 55 So im Ergebnis auch Goldmann, S. 519 f.; Köhler, S. 61–63; Geißler, S. 121; de Zayas, Forced Resettlement, S. 424. – Zur Vereinbarkeit von Zwangsumsiedlungen mit Art. 13 AEMR siehe auch Rudolf Laun, Das Recht auf die Heimat, 1951, S. 35 ff.; Preliminary Report, Para. 221. 56 Gegenwärtig sind 191 Staaten Mitglied der Vereinten Nationen; vgl. die Website der UNO, (Stand: 24. April 2003). 57 So im Ergebnis auch Kay Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., 2004, 3. Abschn. Rdn. 223. Siehe aber Karl Josef Partsch, Human Rights in General, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, 1995, Rdn. 30, der argumentiert, dass die AEMR als solche insofern juristisch verbindlich ist, als schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen in Frage stehen.

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lich als Resolution verabschiedet. Resolutionen der GA sind aber grundsätzlich lediglich empfehlender Natur.58 Dies gilt auch dann, wenn die Vollversammlung die Resolution, wie im Fall der AEMR, als Deklaration verkündet hat.59 Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Willen der GA zum Zeitpunkt der Verabschiedung der AEMR: Die Menschenrechtserklärung war gerade nicht als rechtlich verbindliches Instrument intendiert.60 Das bedeutet aber nicht, dass die AEMR juristisch bedeutungslos ist. Es ist heute überwiegend anerkannt, dass die Bestimmungen der AEMR den Inhalt der menschenrechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nach Art. 55 und 56 UNO-Charta autoritativ deuten.61 Gemäß Art. 55c UNO-Charta haben die Vereinten Nationen die Aufgabe, „die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ zu fördern. Nach Art. 56 verpflichten sich alle Mitgliedstaaten, „gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Artikel 55 dargelegten Ziele zu erreichen.“ Legt man Art. 56 i. V. m. Art. 55c UNO-Charta im Lichte von Art. 13 Abs. 1 AEMR aus, folgt daraus die Pflicht der UN und ihrer Mitglieder, die Wohnsitzfreiheit einschließlich des davon umfassten Bleiberechts zu achten und zu fördern. Ob die AEMR über ihre Funktion hinaus, die menschenrechtsbezogenen Vorschriften der UN-Charta umzusetzen und auszulegen, auch als solche eine rechtliche Bindungswirkung entfaltet, ist nach wie vor umstritten.62 Es ist heute lediglich weitgehend anerkannt, dass die Bestimmungen der AEMR als Völkergewohnheitsrecht qualifizieren, welche vor den schwerwiegendsten Formen der Verletzung von Menschenrechten schützen sollen, wie zum Beispiel das Verbot der Folter, der Sklaverei, des Völkermords63 58 Vgl. Eckart Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4. Abschn. Rdn. 138. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. Partsch, Rdn. 17. 61 Siehe Compilation, Para. 13 m. w. N.; Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 223 m. w. N. 62 Das Meinungsspektrum reicht von völkerrechtlicher Unverbindlichkeit der AEMR (so z. B. Tomuschat, Recht auf Heimat, S. 189, bez. der AEMR als solcher; McFadden, S. 28, m. w. N. in Fn. 123; Geißler, S. 121) bis zu der Ansicht, dass die AEMR insgesamt oder doch wenigstens große Teile der darin enthaltenen Verbürgungen wesentliche Völkerrechtsgrundsätze formuliere bzw. als Völkergewohnheitsrecht qualifiziere (so im Ergebnis Eibe Riedel, Der internationale Menschenrechtsschutz. Eine Einführung, in: Bundeszentrale, S. 11 (15–18); Meindersma, Legal Issues, S. 61 m. w. N.). – Siehe zum Meinungsstreit auch Herbert V. Morais, The Globalization of Human Rights Law and the Role of the International Financial Institutions in Promoting Human Rights, in: George Washington International Law Review 33 (2000), S. 71 (71 f.), der auf die unterschiedlichen Ansichten Lauterpachts und Oppenheims einerseits und Louis B. Sohns andererseits verweist.

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und der Rassendiskriminierung.64 Für die Wohnsitzfreiheit, die eine Ausprägung des Rechts auf persönliche Freiheit ist, kann festgehalten werden, dass diese heute auch insofern völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, als sie in ihrem Schutzbereich ein menschenrechtliches Bleiberecht umfasst.65 c) Der normative Schutz der Wohnsitzfreiheit in regionalen Menschenrechtsinstrumenten Internationaler Menschenrechtsschutz wird nicht nur auf universeller Ebene gewährt. Auch auf regionaler Ebene bestehen verschiedene Menschenrechtssysteme, die fundamentale Grundrechte und -freiheiten vertraglich garantieren: das europäische, interamerikanische und afrikanische Menschenrechtsschutzsystem.66 Die zentralen Vertragswerke dieser Systeme sind die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 195067 und ihre Zusatzprotokolle, die Amerikanische Konvention für Menschenrechte68 und die Banjul-Charta69. Fraglich ist, ob diese regionalen Menschenrechtsverträge die Wohnsitzfreiheit normativ schützen und die jeweiligen Vorschriften – bejahendenfalls – hinsichtlich der Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts wie Art. 12 Abs. 1 IPBPR auszulegen sind. aa) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf freie Wahl des Wohnsitzes in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen Die EMRK selbst gewährleistet die Wohnsitzfreiheit nicht. Sie ist in Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK festgeschrieben, das am 2. Mai 1968 in 63 Ausführlich zum Völkermordverbot als Schutznorm vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. II. 64 Vgl. Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 223 m. w. N. Ausführlich zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung der AEMR siehe Riedel, Einleitung, S. 15 ff. – Zur Vertiefung siehe auch die Nachweise bei Meindersma, S. 61 sowie bei McFadden, S. 28, Fn. 123. 65 Ausführlich zur völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung eines menschenrechtlichen Bleiberechts siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. 66 Für einen Überblick über den regionalen Menschenrechtsschutz siehe Riedel, Einleitung, S. 31–40. 67 BGBl. 1954 II, S. 14. Neubekanntmachung der Konvention in der Fassung des Protokolls Nr. 11, in: BGBl. 2002 II, S. 1054. In deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 346–361. – Die EMRK ist am 3. September 1953 in Kraft getreten. 68 Zur Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der AMRK siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. c) bb). 69 Zur Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der Banjul-Charta siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. c) cc).

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Kraft getreten ist. Die Zusatzprotokolle zur EMRK binden nur Staaten, welche diese selbstständig ratifiziert haben.70 Für sie stellen die Artikel der Protokolle Zusatzartikel zur EMRK dar; deren Bestimmungen sind dementsprechend anzuwenden.71 (1) Die Garantie der Wohnsitzfreiheit in Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK Nach Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK hat „[j]ede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, . . . das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen.“

Bei der Frage, ob Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK im Sinne der Gewährleistung eines Bleiberechts auszulegen ist, ist zu berücksichtigen, dass diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach das selbe Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes enthält wie Art. 12 Abs. 1 IPBPR. Da beide Normen fast zeitgleich entworfen wurden,72 liegt es nahe, sie entsprechend auszulegen. Damit wäre auch Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK als Grundrechtsnorm mit Verbotscharakter anzusehen, die potenziell vor zwangsweisen Entfernungen vom Wohnsitz schützt.73 (2) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK: die Sache Noack et autres c. Allemagne Die Vertragsorgane der EMRK, die für die Auslegung und Überwachung der Konventionsrechte zuständig sind bzw. waren – die ehemalige Europäische Menschenrechtskommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)74 –, hatten bisher kaum Gelegenheit, zur Frage der Vereinbarkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen mit den Bestimmungen der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle Stellung zu nehmen. Von den wenigen Zwangsumsiedlungsfällen, die der EGMR zu entscheiden 70 Am 5. März 2004 hatten 38 Staaten, darunter auch die BRD, das ZP 4 zur EMRK ratifiziert. Zum Ratifikationsstand auch der übrigen ZPs siehe . 71 Vgl. Art. 6 ZP 4 zur EMRK. 72 Vgl. Beyani, S. 14. 73 So im Ergebnis: Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation. In diese Richtung argumentiert auch Alfred M. de Zayas, Zur Aktualität des Rechts auf die Heimat, in: Bund der Vertriebenen (Hrsg.), Gerechtigkeit schafft Frieden: Beiträge zu Volksgruppenschutz und Recht auf die Heimat, 1997, S. 14 (18), der in ZP 4 zur EMRK ein Vertreibungsverbot verankert sieht. 74 Zum Kontrollmechanismus der EMRK siehe ausführlich unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. I.

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hatte, ist für die vorliegende Untersuchung die Sache Noack et autres c. Allemagne unmittelbar relevant. Es ist der bisher erste und einzige Fall vor dem EGMR, in dem es im Kern um die Vereinbarkeit einer unfreiwilligen Umsiedlung zu Entwicklungszwecken im weitesten Sinne – dem Braunkohleabbau – ging.75 Da auf sie in der Arbeit mehrfach eingegangen wird, ist der Sachverhalt, der der diesbezüglichen Unzulässigkeitsentscheidung76 des EGMR vom 25. Mai 200077 zugrunde lag, hier kurz darzustellen: Im Jahre 1977 hatte die Regierung der ehemaligen DDR beschlossen, das brandenburgische Dorf Horno zu verlegen bzw. dessen Bewohner umzusiedeln, um Platz für die Ausweitung des Braunkohletageabbaus zu schaffen. Gegen die Genehmigung des „Rahmenbetriebsplans zur Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde“ im Jahre 1994 legten 161 Dorfbewohner – unter anderem auch vor dem EGMR – erfolglos Widerspruch ein. Im Juli 1997 trat das Braunkohlegrundlagengesetz des Landes Brandenburg in Kraft. Art. 2 dieses Gesetzes sieht die Auflösung der Gemeinde Horno und die Eingliederung des Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde vor. Im Folgejahr trat der Braunkohleplan „Tagebau Jänschwalde“ durch Verordnung der brandenburgischen Landesregierung in Kraft. Auf seiner Grundlage wurde Anfang 2000 mit der Enteignung einzelner Bewohner Hornos begonnen. Für 2002 war die Umsiedlung der insgesamt 350 Bewohner Hornos in eine ca. 20 km entfernt gelegene Ortschaft geplant. Dreizehn Personen, unter ihnen zwölf Angehörige der sorbischen Minderheit im Land Brandenburg, der Bund Lausitzer Sorben (DOMOWINA) sowie die Evangelische Gemeinde Hornos haben beim EGMR eine Men75 Für die Beantwortung der Frage, welche Konventionsrechte Schutz gegenüber Zwangsumsiedlungen bieten, sind daneben die Entscheidungen des EGMR in den Staatenbeschwerdeverfahren Zypern ./. Türkei aufschlussreich. Die Beschwerden Zyperns waren allerdings einer Prüfung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK nicht zugänglich, da die Verfahrensbeteiligten das 4. Zusatzprotokoll nicht ratifiziert haben. Auf sie ist im Zusammenhang mit der Untersuchung des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung der Wohnung) einzugehen. Siehe unten, Erstes Kapitel, A. I. 2. b) aa). 76 Der EGMR hat die Beschwerde zwar für unzulässig erklärt, sie aber dennoch auch in der Sache geprüft; vgl. Christofer Lenz, Chancen und Grenzen der Menschenrechtsbeschwerde – dargestellt am Beispiel der Horno-Entscheidung des EGMR, in: Landes- und Kommunalverwaltung 2001, S. 446 (447). 77 Noack et autres c. Allemagne (dec.), nº 46346/99, ECHR 2000-VI, Entscheidung vom 25. Mai 2000 über die Zulässigkeit der Beschwerde (künftig Noack et autres c. Allemagne). Die Entscheidung ist in übersetzter und bearbeiteter Fassung abgedruckt in: Landes- und Kommunalverwaltung 2001, S. 69–72. Siehe auch die Zusammenfassung in: MenschenRechtsMagazin Heft 3/2000, S. 192 ff. (künftig Noack u. a. ./. Deutschland, in: MenschenRechtsMagazin) sowie die Besprechung von Lenz, S. 446–448.

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schenrechtsbeschwerde gegen Deutschland erhoben. Sie richtete sich gegen die behördlichen Entscheidungen zur Ausweitung des Braunkohleabbaus auf ihr Gemeindegebiet und das Braunkohlegrundlagengesetz.78 Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Wohnung (Art. 8 EMRK), eine Diskriminierung bei der Ausübung dieser Rechte (Art. 14 EMRK i. V. m. Art. 8 EMRK) und eine Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 1 ZP 1 zur EMRK), der Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) sowie der Freizügigkeit (Art. 2 ZP 4 zur EMRK). Der EGMR ist auf die Rüge der Verletzung der Freizügigkeitsgarantie (Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK) nicht näher eingegangen. Er hat den Schwerpunkt seiner Sachprüfung auf Art. 8 EMRK gelegt79 und sich bei der Prüfung der Wohnsitzfreiheit auf seine Begründung zu dem unter Art. 8 EMRK erhobenen Beschwerdepunkt bezogen. Die Rüge einer Verletzung der Freizügigkeitsgarantie hat die entscheidende Kammer mit der kurzen Begründung zurückgewiesen, dass auch der Eingriff in das Freizügigkeitsrecht im Hinblick auf das mit den streitgegenständlichen Maßnahmen verfolgte berechtigte Ziel verhältnismäßig war.80 Die Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs in diesem Punkt ist im Kontext der vorliegenden Untersuchung aber dennoch bedeutsam: Indem der EGMR bejaht hat, dass die angefochtenen Maßnahmen in das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes des Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK eingreifen, hat er zum einen – jedenfalls implizit – die Frage positiv beantwortet, ob entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen bzw. -umsiedlungen einer Prüfung am Maßstab dieses Grundrechts zugänglich sind. Zum anderen hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich hierauf auch Personengruppen in Form einer Massenbeschwerde berufen können. Der EGMR hat insofern – zumin78 Zuvor hatten bereits von dem Umsiedlungsvorhaben betroffene Dorfbewohner – teils mit, teils ohne Erfolg – verschiedene innerstaatliche Rechtsstreitigkeiten mit dem Ziel geführt, den weiteren Braunkohleabbau im Bereich Horno samt seiner Folgen für die Bevölkerung abzuwehren; vgl. Lenz, S. 447. Im Fall Horno hat das Verfassungsgericht Brandenburg 1995 entschieden, dass die Auflösung bzw. Umsiedlung der Gemeinde Horno nur auf Grundlage eines förmlichen Gesetzes erfolgen darf, das die Auflösung gerade dieser Gemeinde zum Regelungsgegenstand hat: VerfG Brandenburg, Urteil vom 1.6.1995 – VfGBbg 6/95, in Auszügen wiedergegeben in: Deutsches Verwaltungsblatt 1 (1996), S. 37 f. Siehe hierzu die Besprechung von Christoph Degenhart, Braunkohlenplanung unter Gesetzesvorbehalt? – Zum „Horno-Urteil“ des Verfassungsgerichts Brandenburg, in: Deutsches Verwaltungsblatt 14 (1996), S. 773–784. 79 Siehe hierzu unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 2. b) aa). 80 „La Cour se réfère à son raisonnement appliqué au grief soulevé sous l’angle de l’article 8 de la Convention et estime, pour les même raisons, que l’ingérence litigieuse était proportionnée au but légitime poursuivi.“ Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 4, S. 534.

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dest indirekt – das hier gefundene Ergebnis bestätigt, dass die in ZP 4 zur EMRK gewährleistete Wohnsitzfreiheit hinsichtlich ihrer Schutzfunktion bezüglich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen genauso auszulegen ist wie das in Art. 12 Abs. 1 IPBPR verbürgte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes. bb) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der AMRK Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen kommen auf dem amerikanischen Kontinent, insbesondere in lateinamerikanischen Ländern, häufig vor. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist der so genannte „Plan Puebla-Panamá“ (PPP), ein groß angelegtes Industrieentwicklungsprogramm in Mittelamerika, das den Bau von 8.977 Kilometern neuer Autobahnen bzw. die Verbesserung bestehender Straßen, die Verlegung von 1.830 Kilometern Leitungen zur Stromversorgung sowie den Bau von sechs groß angelegten „Entwicklungszonen“ (development zones) mit mehreren Fabriken vorsieht. Das PPP soll die infrastrukturellen Voraussetzungen für die geplante amerikanische Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas, FTAA) schaffen.81 Es wird in erster Linie von der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Weltbank finanziert.82 Im Zuge der Durchführung des PPP sollen unzählige indigene Gemeinden zwangsumgesiedelt werden.83 Das Vorhaben hat daher auch Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Sie bringen vor, dass die beabsichtigten Umsiedlungen die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerungsgruppen verletzen.84 Der PPP ist nur eines von vielen Entwicklungsvorhaben in Lateinamerika, das die Frage aufwirft, ob die Rechtsinstrumente des interamerikanischen Menschenrechtssystems, zuvörderst die AMRK, persönliche Freiheiten und Grundrechte gewährleisten, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen. In Betracht kommt auch hier zunächst ein von der Garantie der Wohnsitzfreiheit umfasstes Bleiberecht.

81 Siehe Wendy Call, Resisting the Plan Puebla-Panama, 3. September 2002, abrufbar unter . 82 Siehe die Website der Interamerikanischen Entwicklungsbank zum „Plan Puebla-Panamá“ unter . 83 Siehe hierzu Carrie Ferrence, Plan Puebla Panama: A Death Sentence for the Environment and Indigenous Culture, in: Solidarity Update, December 2001, S. 1 und 7. 84 Siehe Call.

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(1) Die Garantie der Wohnsitzfreiheit in Art. 22 Abs. 1 AMRK Die AMRK verbürgt die Wohnsitzfreiheit in Art. 22 Abs. 1. Nach dieser Vorschrift hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei aufhält, das Recht, in diesem seinen Wohnsitz zu nehmen.85 Die Bestimmung des Art. 22 AMRK unterscheidet sich folglich nach ihrem Wortlaut von den Garantien der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR und Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK in einem Punkt, der für den Schutz vor entwicklungsbedingten innerstaatlichen Zwangsumsiedlungen bedeutsam sein könnte: Während Art. 22 AMRK das Recht der Wohnsitznahme gewährt, garantieren jene Vorschriften das Recht, den Wohnsitz innerhalb des Hoheitsgebiets eines Staates frei zu wählen. Fraglich ist, welcher Schluss aus diesen unterschiedlichen Formulierungen für die Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 22 AMRK zu ziehen ist. McFadden folgert hieraus, dass die Wohnsitzgarantie des Art. 22 AMRK nicht vor innerstaatlichen Zwangsumsiedlungen schütze. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergebe sich, dass jedermann das Recht habe, grundsätzlich im Hoheitsgebiet eines Staates, nicht aber an einem bestimmten Ort innerhalb dieses Staates, und zwar auch nicht an dem in Ausübung der Wohnsitzfreiheit begründeten Wohnsitz zu leben. Das Freizügigkeitsrecht des Art. 22 AMRK stehe danach einer innerstaatlichen Umsiedlung so lange nicht entgegen, wie innerhalb des Staatsgebietes eine alternative Wohnstätte zur Verfügung stehe.86 Der Vertreter dieser Ansicht stützt die enge Auslegung des Art. 22 Abs. 1 AMRK unter anderem auf den Wortlaut des Art. VIII der Amerikanischen Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen vom 2. Mai 1948 (AERPM)87, der bei einer wortlautgetreuen Auslegung Angehörigen eines 85 Art. 22 Abs. 1 AMRK lautet: „Every person lawfully in the territory of a State Party has the right to move about in it, and to reside in it subject to the provisions of the law.“ (Hervorh. d. Verf.). Die deutsche Übersetzung lautet: „Jeder, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats aufhält, hat vorbehaltlich der gesetzlichen Bestimmungen das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz zu nehmen.“ Siehe Bundeszentrale, S. 507. 86 McFadden, S. 35: „The phrasing suggests that everyone has a right to reside somewhere in the state, but not in any place in particular, including one’s current home. This reading is bolstered by the earlier American Declaration on the Rights and Duties of Man [. . .], again suggesting a right to reside somewhere within the state, but nowhere in particular. On such a reading, an individual could certainly be moved, and moved more than once, so long as another place within the national borders were always made available.“ 87 American Declaration of the Rights and Duties of Man, O. A. S. Res. XXX, O. A. S. Off. Rec. OEA/Ser. L/V/1.4 Rev. (1965). Der Text der Erklärung ist z. B. abgedruckt in: Bayefsky, Treaty System, S. 1013–1018.

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Staates ebenfalls nur das Recht gewährt, im Hoheitsgebiet dieses Staates, nicht aber an einem Ort nach Wahl zu wohnen.88 Der engen Lesart des Art. 22 Abs. 1 AMRK ist jedoch nicht zu folgen. Zwar ist gegen die Auslegung von Bestimmungen der AMRK im Lichte der AERPM grundsätzlich nichts einzuwenden.89 Bedenken an einer ausschließlich am Wortlaut orientierten Interpretation der Art. 22 Abs. 1 AMRK und Art. VIII AERPM bestehen aber deshalb, weil sie außer Betracht lässt, dass Menschenrechtsabkommen keine in Stein gemeißelten Verträge sind, deren Gewährleistungen sich einzig nach dem Wortlaut der jeweiligen Vorschriften bestimmen lassen. Bei der Auslegung internationaler Grundrechtsnormen ist vielmehr die aktuelle Praxis zu berücksichtigen, die der Gesamtrichtung der dogmatischen Entwicklung entspricht.90 Diese ist entscheidend von der Fortentwicklung der Menschenrechte bestimmt.91 Menschenrechtsbestimmungen sind daher grundsätzlich dynamisch im Sinne eines bestmöglichen Menschenrechtsschutzes auszulegen. Eine entsprechende Interpretation des Art. 22 Abs. 1 AMRK trägt dem Rechnung, wenn sie die Rückbesinnung auf die Schutzbedürftigkeit der Raum-Mensch-Verbindung beachtet. Letztere ist nicht länger auf die Beziehung einer Person zu dem Hoheitsgebiet des Staates beschränkt, dessen Angehöriger er ist. Sie erstreckt sich auch auf die Verbindung einer Person zu einem bestimmten Ort innerhalb eines Staates und erkennt damit die Schutzwürdigkeit örtlicher Eingebundenheit an.92 Aus alledem folgt, dass Art. 22 Abs. 1 AMRK so zu lesen ist, dass die darin garantierte Wohnsitzfreiheit in ihrem Schutzbereich neben dem Recht, im Hoheitsgebiet eines 88 McFadden, S. 35. – Art. VIII AERPM lautet: „Every person has the right to fix his residence within the territory of the state of which he is a national, to move about freely within such territory, and not to leave it except by his own will.“ 89 Es ist allgemein anerkannt, dass die AERPM als Hilfe zur Interpretation der AMRK herangezogen werden kann; siehe z. B. die schriftliche Stellungnahme Costa Ricas zur Einholung eines Rechtsgutachtens des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zu der Frage, ob der Gerichtshof nach Art. 64 AMRK berechtigt ist, ein Rechtsgutachten zur Auslegung der Amerikanischen Menschenrechtserklärung zu erstellen: Interpretation of the American Declaration of the Rights and Duties of Man Within the Framework of Article 64 of the American Convention on Human Rights, Advisory Opinion OC-10/89, 14. Juli 1989, Inter-Am. Ct. H. R. (Ser. A) No. 10 (1989), Rdn. 11; abrufbar unter . 90 Zu dem Erfordernis, bei der Auslegung menschenrechtlicher Völkerrechtsnormen eine „dem geltenden Völkerrecht angemessene Systemgerechtigkeit“ zu respektieren, siehe Wilfried Fiedler, Völkerrechtlicher Stellenwert und wissenschaftliche Bewältigung in der Gegenwart – Folgerungen, in: ders. (Hrsg.), Deportation – Vertreibung – „Ethnische Säuberung“, 1999, S. 127 (128). 91 Zu der Bedeutung und den Implikationen des rechtlichen Schutzes der Menschenrechte durch das geltende Völkerrecht siehe oben, Einleitung.

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Staates zu wohnen, auch die Entscheidung schützt, an einem bestimmten Ort innerhalb dieses Staates zu wohnen. Diese Garantie wäre bedeutungslos, wenn Art. 22 Abs. 1 AMRK nicht zugleich das Recht verbürgen würde, an dem Ort der Wahl(niederlassung) verbleiben zu dürfen.93 (2) Die Auslegung der Art. 22 Abs. 1 AMRK und VIII AERPM durch die Vertragsorgane der AMRK Auch die Vertragsorgane der AMRK – die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (AGMR) – legen Art. 22 Abs. 1 AMRK in ihrer Praxis weit aus, und zwar im Sinne eines Wohnsitzrechts, das potenziell vor innerstaatlichen Zwangsumsiedlungen schützt. (a) Der Bericht der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte über die Situation der Miskito-Indianer in Nicaragua (1983) In diesem Zusammenhang ist der Bericht der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte über die menschenrechtliche Situation der Miskito-Indianer in Nicaragua aus dem Jahre 1983 bedeutsam.94 Die Kommission hatte in dem vorliegenden Fall unter anderem zu untersuchen, ob die nicaraguanische Regierung dadurch gegen ihre vertraglichen Pflichten aus Art. 22 AMRK verstoßen hatte, dass sie schätzungsweise 12.500 Miskitos zwangsweise von ihren Dörfern an der Atlantikküste Nicaraguas ins Landesinnere umgesiedelt hat.95 Das Ergebnis dieser Untersuchung ist für die vorliegende Arbeit unmittelbar relevant, weil die streitgegenständlichen Umsiedlungen ursprünglich zum Ziel hatten, die Lebensbedingungen der Miskitos zu verbessern.96 Sie sollten also Entwicklungszwecken in dem hier verstandenen weiten Sinne dienen.97 92 Vgl. zur Rückbesinnung auf die besondere Bedeutung der Beziehung des Menschen zu seinem Wohn- und angestammten Lebensraum Fiedler, Völkerrechtlicher Stellenwert, S. 138. 93 So im Ergebnis auch Goldman, S. 519 f., der argumentiert, dass das Recht eines Einzelmenschen, nicht zwangsweise disloziert zu werden („an individual right against forced displacement“) dem Freizügigkeitsrecht des Art. 22 AMRK inhärent ist. 94 Inter-American Commission on Human Rights, Report on the Situation of Human Rights of a Segment of the Nicaraguan Population of Miskito Origin, 1984 (künftig Miskito-Report). 95 Vgl. ebd., S. 75, Para. 6. 96 Vgl. ebd., S. 117 ff., insbes. S. 119, Para. 24. 97 Vgl. insbes. ebd., S. 119, Para. 24.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hat zwar vor allem geprüft, ob die Umsiedlungen angesichts der zum Zeitpunkt ihrer Planung unvorhergesehenen Angriffe konterrevolutionärer Banden auf MiskitoIndianer nach Art. 27 AMRK aus Gründen des militärischen Notstands gerechtfertigt waren.98 Sie hat sich aber auch dazu geäußert, ob entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen die Wohnsitzfreiheit des Art. 22 AMRK verletzen, und dies im Ergebnis bejaht: Nach Ansicht der Kommission können nur freiwillige Umsiedlungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Miskito-Indianer gerechtfertigt bzw. mit Art. 22 AMRK vereinbar sein.99 Daraus folgt implizit, dass einer unfreiwilligen Umsiedlung zu Entwicklungszwecken grundsätzlich die Wohnsitzfreiheit des Art. 22 AMRK entgegensteht. Dass die Wohnsitzfreiheit des Art. 22 AMRK in ihrem Schutzbereich ein Bleiberecht gewährt, das vor Zwangsumsiedlungen schützt, ergibt sich auch aus den Anmerkungen der Kommission zum Rückkehrrecht der Miskitos an ihren angestammten Siedlungsort nach Beendigung des militärischen Notstands.100 Indem die Kommission den Miskitos ein solches zuspricht, hat sie implizit auch die Existenz eines Bleiberechts bejaht. Das Rückkehrrecht ist nämlich ein Sekundärrecht, das seinerseits die Verletzung eines primärrechtlichen Bleiberechts voraussetzt. (b) Die Yanomami-Entscheidung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (1985) In ihrer Yanomami-Entscheidung vom 5. März 1985101 hat die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte auch die Wohnsitzfreiheit des Art. VIII AERPM im Sinne eines Menschenrechts ausgelegt, das potenziell vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt. 98

Ebd., S. 112 ff. – Art. 27 Abs. 1 AMRK lautet: „Im Fall eines Krieges, einer öffentlichen Gefahr oder eines sonstigen Notstandes, der die Unabhängigkeit oder Sicherheit eines Vertragsstaates bedroht, kann dieser Maßnahmen ergreifen, die seine Verpflichtungen nach dieser Konvention außer Kraft setzen, soweit und solange es die Lage zwingend erfordert und unter der Voraussetzung, dass diese Maßnahmen seinen übrigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht entgegenstehen und keine Diskriminierung wegen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion oder gesellschaftlicher Herkunft beinhalten.“ 99 Ebd., S. 118, Para. 18: „The plan to voluntarily relocate the Coco River population to ‚improve and lend dignity to the living conditions of the Miskitos‘ would have been justifiable only if that move had been voluntary, as was allegedly planned.“ 100 Siehe ebd., S. 118 f., Para. 22 ff. 101 Res. No. 12/85, Case No. 7615, OAE/Ser. L/V/II.62, doc. 10 rev. 1 (1985). Die Entscheidung ist abrufbar unter .

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Der Entscheidung lag hinsichtlich der hier relevanten Aspekte im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde: In den 1970er Jahren führten der Bau einer Autobahn durch den Siedlungsraum der Yanomami-Indianer im brasilianischen Amazonasgebiet sowie ein staatliches Agrarentwicklungsprojekt, das den Yanomamis zugute kommen sollte, dazu, dass diese einen Teil ihres Landes verloren und zwangsweise in Gebiete umgesiedelt wurden, in denen sie sich nicht zurechtfanden. 1980 reichten daher verschiedene Vertreter von Nichtregierungsorganisationen bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eine Beschwerde gegen Brasilien ein. Sie machten geltend, dass die streitgegenständlichen Entwicklungsmaßnahmen die Menschenrechte der Yanomami-Indianer verletzen würden. Die Kommission stimmte dem zu und entschied, dass die umstrittenen Maßnahmen, insbesondere auch die Dislokationen der Indianer, unter anderem die Wohnsitzfreiheit des Art. VIII AERPM verletzten.102 Damit hat sie – implizit – anerkannt, dass Art. VIII in seinem Schutzbereich ein Bleiberecht gewährt. (c) Schlussbemerkung zur materiellrechtlichen Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in AMRK und AERPM Die Garantie der Wohnsitzfreiheit, wie sie in den Rechtsinstrumenten des interamerikanischen Menschenrechtssystems festgeschrieben ist, ist nach alledem ebenso wie die entsprechenden Gewährleistungen des IPBPR und des ZP 4 zur EMRK im Sinne eines Grundrechts zu verstehen, das den von einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen potenziell zugute kommt. Sie begründet verbindliche Rechtspflichten für 25 Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten, die die AMRK ratifiziert haben.103 cc) Die materiellrechtliche Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit in der Banjul-Charta: Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta Die Banjul-Charta, die den vertraglichen Kern des afrikanischen Menschenrechtssystems bildet, schreibt die Wohnsitzfreiheit in Art. 12 Abs. 1 fest. Nach dieser Vorschrift hat jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und dort seinen Wohnsitz zu nehmen.104 102

Ebd., Tenor, Para. 1. Zum Ratifikationsstand siehe . 104 Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta lautet: „Every individual has the right to freedom of movement and residence within the borders of a State provided he abides by the law.“ (Hervorh. d. Verf.). 103

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Die Afrikanische Kommission für die Menschenrechte und Rechte der Völker, die für die Interpretation der Banjul-Charta zuständig ist,105 hat die Frage, ob entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen einer Prüfung am Maßstab der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta zugänglich sind, bisher zwar noch nicht explizit beantwortet. Diese Vorschrift kann aber entsprechend der Jurisdiktion der Vertragsorgane des IPBPR, der EMRK und der AMRK zur Wohnsitzfreiheit im Sinne einer Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts ausgelegt werden. Dies entspricht zum einen der Praxis der Organe regionaler Menschenrechtsverträge, die sich bei der Interpretation von Menschenrechtsnormen zunehmend an Entscheidungen vergleichbarer Menschenrechtsorgane orientieren.106 Eine einheitliche Auslegung der Wohnsitzfreiheit ist zum anderen auch deshalb zu befürworten, weil diese zu den international anerkannten fundamentalen Menschenrechten zählt, deren Gewährleistungsbereich im afrikanischen Kontext nicht anders als im europäischen oder amerikanischen zu bestimmen ist. Nach alledem ist auch die Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 BanjulCharta so zu verstehen, dass sie dem Grunde nach ein Bleiberecht verbürgt, auf das sich die betroffenen Personen zur Abwehr entwicklungsbedingter Zwangsentfernungen in den Vertragsstaaten der Banjul-Charta berufen können.107 d) Die Klärung von Inhalt und Reichweite der Wohnsitzfreiheit bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen durch internationale Organe und Institutionen In den vergangenen Jahren haben nicht nur die Organe internationaler Menschenrechtsverträge dazu beigetragen, Inhalt und Reichweite des Gewährleistungsgehalts der Wohnsitzfreiheit als Schutzrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen herauszuarbeiten. Auch eigens von den Vereinten Nationen ernannte Berichterstatter und Sondervertreter sowie internationale Arbeitsgruppen und Völkerrechtsgesellschaften haben einen maßgeblichen Anteil daran, dass nunmehr geklärt ist, welche Rechte die Wohnsitzfreiheit gegenüber unfreiwilligen Umsiedlungen im Einzelnen ent105 Vgl. Art. 45 Abs. 3 Banjul-Charta, wonach die Kommission die folgende Aufgabe hat: „Interpret all the provisions of the present Charter at the request of a State party, an institution of the Organization of African Unity or an African organization recognized by the Organization of African Unity.“ 106 Zur diesbez. Praxis des EGMR siehe Lenz, S. 446 m. w. N. 107 Die Verfasser der Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation legen Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta ebenfalls im Sinne einer Schutznorm aus, die Zwangsumsiedlungen grundsätzlich verbietet.

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faltet. An diesem Prozess waren in erster Linie der Sondervertreter des UNGeneralsekretärs für Binnenvertriebene, die Sonderberichterstatter der UNUnterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers sowie die International Law Association (ILA) beteiligt. aa) Die Guiding Principles on Internal Displacement 1998 hat der Vertreter des UN-Generalsekretärs für Binnenvertriebene108, der sudanesische Jurist Francis M. Deng, der UN-Menschenrechtskommission die so genannten Guiding Principles on Internal Displacement 109 präsentiert, die ein Team internationaler Rechtsexperten110 in Kooperation mit internationalen Organisationen, Forschungseinrichtungen111 und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unter seiner Leitung ausgearbeitet hat. Er kam damit einem Ersuchen der UN-Menschenrechtskommission und der UNVollversammlung nach, einen rechtlichen Rahmen zu entwickeln, mit dessen Hilfe angemessen auf die Notlage von Binnenvertriebenen (IDPs) reagiert werden kann.112 Die Guiding Principles stellen weltweit die ersten Richtlinien im Bereich des Menschenrechts und des humanitären Völkerrechts dar, die speziell das Problem innerstaatlicher Dislokationen behandeln.113 Sie beschreiben in ins108

Representative of the Secretary-General on internally displaced persons. Guiding Principles. – Die Guiding Principles haben ihre Grundlage in zwei früheren Studien Dengs über den völkerrechtlichen Schutz vor Binnenvertreibungen: Internally displaced persons. Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1995/57, UN Doc. E/CN.4/1996/52, 22. Februar 1996 und Compilation, sowie Internally displaced persons. Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1997/39, UN Doc. E/CN.4/1998/53, 11. Februar 1998 und Compilation II. – Zur Entstehungsgeschichte der Guiding Principles siehe die Introductory note zu den Guiding Principles in: Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission resolution 1997/39, Addendum: Guiding Principles on Internal Displacement, UN Doc. E/CN.4/1998/53/ Add. 2, 11. Februar 1998 (künftig Guiding Principles, Introductory Note), S. 2–4; siehe auch Simon Bagshaw, Internally Displaced Persons at the Fifty-Fourth Session of the United Nations Commission on Human Rights, 16 March – 24 April 1998, in: International Journal of Refugee Law 10 (1998), S. 548 (548 f.). 110 Der amerikanische Rechtsprofessor Robert Goldman (Washington College of Law, American University, Washington, D. C.) und der Schweizer Rechtsprofessor Walter Kälin (Universität Bern) waren hierbei federführend. 111 Zuvörderst der Brookings Institution, Project on Internal Displacement. 112 Vgl. Guiding Principles, Introductory Note, S. 3, Para. 8. 113 Vgl. Robinson, Minimizing, S. 2. 109

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

gesamt 30 Grundregeln die Rechte von IDPs und nennen die damit korrespondierenden Verpflichtungen von Staaten, nichtstaatlichen Akteuren und internationalen Organisationen. Für die Fragen, ob das geltende Völkerrecht ein menschenrechtliches Bleiberecht anerkennt, das vor Zwangsentfernungen schützt und ob das internationale Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit in seinem Schutzbereich ein solches Recht verbürgt, ist der sechste Grundsatz der Guiding Principles bedeutsam. Er ist im zweiten Abschnitt – „Principles Relating to Protection from Displacement“ – enthalten. Nach Principle 6 Abs. 1 hat jeder Mensch das Recht, vor willkürlichen Verbringungen von seiner Wohnstätte oder seinem gewöhnlichen Wohnsitz geschützt zu werden.114 Deng sah den Zweck, in Principle 6 ausdrücklich ein Recht, nicht willkürlich disloziert zu werden, darin, ein Recht beim Namen zu nennen, das im Völkerrecht bereits implizit anerkannt ist.115 Dass damit auch das menschenrechtliche Bleiberecht bzw. das Recht, nicht zwangsweise disloziert zu werden, als Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit gemeint ist, folgt aus Kälins Kommentierung zu Principle 6, in der dieser ausdrücklich auf die Garantie der Wohnsitzfreiheit verweist, wie sie in Art. 12 AEMR, Art. 12 Abs. 1 IPBPR, Art. 22 Abs. 1 AMRK und Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK festgeschrieben ist.116 Die Guiding Principles sind für die vorliegende Untersuchung deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie ausdrücklich erklären, dass der menschenrechtliche Schutz vor – willkürlichen – Zwangsentfernungen auch den Personen zugute kommt, die von einer entwicklungsbedingten Dislokation betroffenen sind. So heißt es in Principle 6 Abs. 2: „The prohibition of arbitrary displacement includes displacement: (c) in cases of large-scale development projects that are not justified by compelling and overriding public interests.“117

Die Aussage von Principle 6, wonach das menschenrechtliche Verbot innerstaatlicher Dislokationen nur für entwicklungsbedingte Umsiedlungen gilt, die nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, ändert an dem hier gefundenen Zwischenergebnis nichts, dass zu den Gewährleistungen der Wohnsitzfreiheit ein menschenrechtliches Bleiberecht zählt. Es ist nämlich eine Frage der Grundrechtsschranke der Wohn114 Principle 6 Abs. 1 Guiding Principles lautet: „Every human being shall have the right to be protected against being arbitrarily displaced from his or her home or place of habitual residence.“ 115 Vgl. Kälin, Annotations, S. 14. 116 Ebd. 117 Hervorh. d. Verf.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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sitzfreiheit, unter welchen Voraussetzungen in diese ausnahmsweise eingegriffen werden darf, wenn die Umsiedlung zur Durchführung eines groß angelegten Entwicklungsprojekts erforderlich erscheint.118 Den Schutzbereich bzw. Gewährleistungsgehalt der Wohnsitzfreiheit betrifft sie nicht.119 Die Guiding Principles, die in ihrer Gesamtheit auf Fälle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen anwendbar sind,120 stellen zwar keinen rechtsverbindlichen Katalog von Menschenrechtsnormen dar, auf die sich intern dislozierte Personen, einschließlich der von einer Umsiedlung zu Entwicklungszwecken Betroffenen, berufen können.121 Sie sind auch nicht als Entwurf einer Erklärung oder eines Vertrags über die Rechte von IDPs anzusehen.122 Den Verfassern der Guiding Principles ging es vielmehr darum, möglichst schnell ein Instrumentarium für all diejenigen zu schaffen, die sich in ihrer Arbeit mit den Zwangssituationen binnendislozierter Personen und der Frage konfrontiert sehen, wie diese menschenrechtlich geschützt werden können.123 Dieses Ziel konnten die Autoren angesichts der Tatsache, dass der Ausarbeitung eines internationalen Vertrags gewöhnlich langjährige Verhandlungen vorausgehen, nur durch die Erarbeitung juristisch unverbindlicher Leitprinzipien erreichen.124 118 Ausführlich zur Schranke des Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. e). 119 Im internationalen Schrifttum wird diese strikte Trennung zwischen Schutzbereich und Grundrechtsschranke nicht immer vorgenommen. Sie ist aber, wie später zu zeigen sein wird, in den völkervertraglichen Kodifizierungen der Wohnsitzfreiheit ausdrücklich angelegt; siehe unten, ebd. 120 Vgl. Pettersson, S. 17. 121 Vgl. Francis M. Deng, Foreward, in: The Brookings Institution u. a. (Hrsg.), Handbook for Applying the Guiding Principles on Internal Displacement, 1999, S. i. 122 Vgl. Walter Kälin, The Guiding Principles on Internal Displacement – Introduction, in: International Journal of Refugee Law 10 (1998), S. 557 (562); Francis M. Deng, Preface, in: Kälin, Annotations, S. v. 123 Vgl. Guiding Principles, Introductory Note, S. 3, Para. 10: „The Principles are intended to provide guidance ot the Representative in carrying out his mandate; to States when faced with the phenomenon of displacement; to all other authorities, groups and persons in their relations with internally displaced persons; and to intergovernmental and non-governmental organizations when addressing internal displacement.“ 124 Information von Gimena Sanchez-Garzoli, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Brookings-CUNY Project on Internal Displacement, Foreign Policy Studies Program, The Brookings Institution, in einem Interview mit der Verfasserin am 12. Februar 2002 in Washington, D. C. – Zur Begründung dafür, dass sich GSSondervertreter Deng gegen die Ausarbeitung eines Vertragsentwurfs und für juristisch unverbindliche Leitprinzipien entschieden hat, siehe auch Walter Kälin, How hard is Soft Law? The Guiding Principles on Internal Displacement and the Need for a Normative Framework, Rede vom 19. Dezember 2001 anlässlich eines Roundtable Meetings des Ralph Bunche Institute for International Studies, CUNY Graduate

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Die Guiding Principles bleiben aber dennoch nicht ohne rechtliche Wirkung, wie die Praxis zeigt: Zum einen haben in den vergangenen Jahren verschiedene Länder die Leitprinzipien in nationales Recht transformiert; zum anderen haben weltweit Staaten und Institutionen die Prinzipien bei ihrer Arbeit im Bereich der Binnendislokation angewandt.125 Das selbst erklärte Ziel der Guiding Principles ist damit teilweise schon erreicht. Die Leitprinzipien könnten so einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen weiter zu entwickeln und sicherzustellen. bb) Die Berichte der UN-Sonderberichterstatter über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers einschließlich Formen von Besiedlungspolitik Für die Bestimmung des Schutzbereichs der Wohnsitzfreiheit hinsichtlich des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen sind auch die Berichte der UN-Sonderberichterstatter Awn Shawkat Al-Khasawneh (Japan) und Ribot Hatano (Jordanien) aufschlussreich. Die UN-Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten126 hatte die beiden Juristen 1992 beauftragt, eine Studie über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers einschließlich der Sesshaftmachung von Siedlern und der Errichtung von Siedlungen zu erstellen.127 Al-Khasawneh und Hatano haben daraufhin drei Berichte angefertigt.128 Center, abrufbar unter . 125 Vgl. Deng, Foreward, S. ii: „It is encouraging that in a relatively short period of time, international organizations, regional bodies and NGOs have begun to disseminate the principles and use them as an advocacy tool in the field.“ 126 Sub-Commission for the Promotion and Protection of Human Rights. Bis 1999 UN-Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für den Schutz von Minderheiten der UN-Menschenrechtskommission (Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities). 127 Vgl. Sub-Commission Resolution 1992/28 vom 27. August 1992, UN Doc. E/CN.4/1993/2, S. 70. 128 Preliminary Report, The human rights dimensions of population transfer, including the implantation of settlers. Progress report prepared by Mr. Awn Shawhat Al-Khasawneh, Special Rapporteur, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1994/18, 30. Juni 1994 (künftig Progress Report) und der von Al-Khasawneh allein verfasste Abschlussbericht: Human rights and population transfer. Final report of the Special Rapporteur, Mr. Al-Khasawneh, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1997/23, 27. Juni 1997. – Für eine ausführliche Darstellung und Analyse der Berichte siehe Oliver Suhr, Menschenrechte und Bevölkerungstransfer – Die Antwort des Völkerrechts auf die zwangsweise Dislokation von Bevölkerungsgruppen, in: Fiedler, Deportation, S. 29–93.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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In ihrem ersten Bericht vom 6. Juli 1993129 kommen die Sonderberichterstatter zu dem Zwischenergebnis, dass jede Form einer Zwangsumsiedlung einschließlich entwicklungsbedingter Dislokationen130 das menschenrechtliche Bleiberecht verletze. Al-Khasawneh und Hatano sehen das Bleiberecht (right to remain) als logische Ergänzung des Freizügigkeitsrechts an: „The right to freedom of movement in all its aspects is central to questions of population transfer. Whether people are forcibly relocated within a country, or settlement of others on their lands is encouraged, or peoples are forced to cross international borders, these practices violate a people’s basic right to remain. Such a right can logically be understood as a corollary to the right to freedom of movement. Conversely, such freedom of movement necessarily also entails a right to be free not to move. Phrased in terms of freedom to move, the right accentuates the element of voluntariness; forcible transfers of population inherently infringe on the freedom to move.“131

Al-Khasawneh bekräftigt in seinem Zwischenbericht vom 30. Juni 1994132 die Ansicht, dass jede unfreiwillige Umsiedlung gegen die Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 IPBPR verstoße.133 Die Berichte Al-Khasawnehs und Hatanos sind zwar ebenso wenig rechtsverbindlich wie die Guiding Principles. Auch stellen sie kein soft law 134 dar.135 Für die Beantwortung der Frage, ob das menschenrechtliche Bleiberecht international als Gewährleistung der Wohnsitzfreiheit anerkannt ist, sind sie aber deshalb relevant, weil die darin vertretenen Rechtsansichten „mit der Autorität der Unterkommission zur Verhinderung der Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten und teilweise auch der Men129

Preliminary Report. Sog. „economic displacements“ bzw. „economic population transfer processes“, siehe ebd., Para. 48–53. 131 Ebd., Para. 228 (Hervorh. d. Verf.); vgl. auch bereits Para. 223 ff. 132 Progress Report. 133 Ebd., Para. 36 f.: „The classic formulation of the right of persons to move freely and choose their place of residence within States is evident from article 12 (1) . . . of the International Covenant on Civil and Political Rights. [Para. 36] . . . Any form of forced population transfer from a chosen place of residence, whether by displacement, settlement, internal banishment, or evacuation, directly affects the enjoyment or exercise of the right to free movement and choice of residence within States and constitutes a restriction upon this right. [Para. 37].“ (Hervorh. d. Verf.). 134 Zum – aus rechtlicher Sicht wenig hilfreichen – Begriff „soft law“, siehe z. B. Peter Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, 7. Aufl. 1999, S. 54, der „soft law“ definiert als: „[G]uidelines of conduct [. . .] which are neither strictly binding norms of law, nor completely irrelevant political maxims, and operate in a grey zone between law and politics“. 135 So im Ergebnis auch Suhr, S. 92. 130

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

schenrechtskommission und des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen ausgestattet“136 sind. cc) Die Erklärung der Internationalen Völkerrechtsgesellschaft über „International Law Principles on Internally Displaced Persons“ Dass das Recht, nicht willkürlich disloziert zu werden, zu den international anerkannten Gewährleistungen der Freizügigkeitsgarantie zählt und dieses – jedenfalls dem Grunde nach – auch Personen zugute kommt, die von einer entwicklungsbedingten Umsiedlung betroffen sind, lässt sich schließlich mit der Erklärung der Internationalen Völkerrechtsgesellschaft (ILA) vom Juli 2000 über „International Law Principles on Internally Displaced Persons“ belegen.137 Sie ist als Ergänzung zu den Guiding Principles on Internal Displacement anzusehen.138 Art. 4 Abs. 1 der Erklärung schreibt ein Gebot zur Achtung des Freizügigkeitsrechts einschließlich des Rechts, nicht willkürlich disloziert zu werden, vor: „Freedom of movement, including the right not to be arbitrarily displaced, shall be respected to the fullest extent possible in accordance with international law.“139

Die Verfasser der Erklärung betonen in ihrer Kommentierung zu Art. 4, dass das Bleiberecht ein völkerrechtlicher Grundsatz ist,140 der aus der völkerrechtlich garantierten Wohnsitzfreiheit folgt: „Under paragraph 1 of this article, freedom of movement is the predominant right in the context of internal displacement. It includes the positive aspect of the choice of residence, as well as the negative aspect of not to be displaced. While 136

Ebd., m. w. N. Die ILA hat die „Declaration of International Law Principes on Internally Displaced Persons“ (künftig Declaration of International Law Principles) auf ihrer 69. Konferenz in London vom 25.–29. Juli 2000 durch Resolution No. 17/2000. Internally Displaced Persons, angenommen. Die Resolution sowie der Text der Erklärung einschließlich einer Kommentierung sind auf der Website der ILA abrufbar unter . – Zum Hintergrund der Erklärung, welche der internationale Ausschuss für Internally Displaced Persons der ILA (Committee on Internally Displaced Persons) entworfen hat, siehe Luke T. Lee, American Society of International Law Proceedings, March 27–30, 1996, S. 555 ff. 138 Vgl. ders., The London Declaration of International Law Principles on Internally Displaced Persons, in: The American Journal of International Law 95 (2001), S. 454. 139 Declaration of International Law Principles (Hervorh. d. Verf.). 140 Vgl. die Präambel der Erklärung, letzter Satz: „DECLARES the following principles of international law as applicable to the legal status of internally displaced persons.“ 137

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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the positive aspect is recognized in a number of human rights instruments [. . .], the right not to be displaced is only inferred from freedom of movement.“141

Auf die Rechtsprinzipien, die in der Erklärung festgeschrieben sind, können sich nach Art. 1 Abs. 2 auch Personen berufen, die im Kontext groß angelegter Entwicklungsprojekte innerstaatlich disloziert werden. Dies soll allerdings nur für den Fall gelten, dass der verantwortliche Staat bzw. eine de facto-Autorität die Betroffenen nicht hinreichend schützt und dies zu Menschenrechtsverletzungen führt: „This Declaration applies also to persons internally displaced by whatever causes, such as natural or man-made disasters or large-scale development projects, whenever the responsible State or de facto authority fails, for reasons that violate fundamental human rights, to protect and assist those victims.“142

Damit ist klargestellt, dass Personen, die unter den genannten Voraussetzungen entwicklungsbedingt zwangsumgesiedelt werden, des gleichen Rechtsschutzes bedürfen wie diejenigen, die in Folge eines Bürgerkriegs oder systematischer Menschenrechtsverletzungen zum Verlassen ihres Wohnsitzes gezwungen werden.143 Die ILA-Erklärung geht insofern weiter als die Allgemeine Bemerkung Nr. 27 (67) des UN-Menschenrechtsausschusses, die eine solche Aussage nur implizit trifft.144 e) Die aktuelle Reichweite des Schutzes, den ein der Wohnsitzfreiheit immanentes Bleiberecht vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen bietet Die Untersuchung galt bisher nur der Bestimmung der „potenziellen“ Reichweite des Schutzes, den ein Bleiberecht, das aus der Wohnsitzfreiheit folgt, vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen bietet. Danach ist festzuhalten, dass das Freizügigkeitsrecht dem Grunde nach ein Bleiberecht garantiert, in das eine Zwangsentfernung regelmäßig eingreift.145 Über dessen „aktuelle“ Reichweite, d.h. den Schutz, den das Bleiberecht im Einzelfall tatsächlich gewährt, ist damit noch nichts ausgesagt.146 „Poten141 International Law Association – London Conference (2000), Committee on Internally Displaced Persons, Report and Draft Declaration for Consideration at the 2000 Conference, S. 11 [Commentary (1) zu Article 4]. 142 Declaration of International Law Principles, Art. 1 Abs. 2. 143 Vgl. hierzu die Anmerkung der ILA zu Art. 1 Abs. 2, International Law Association – London Conference (2000), S. 6. 144 Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (3). 145 So im Ergebnis auch Progress Report, Para. 37. 146 Zur Unterscheidung zwischen „potenzieller“ und „aktueller“ Reichweite des – nationalen – Grundrechtsschutzes siehe Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof, Handbuch des

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

zielle“ und „aktuelle“ Reichweite decken sich nicht, wenn die durch eine Zwangsentfernung erfolgte Beschränkung der Wohnsitzfreiheit ausnahmsweise rechtlich zulässig ist. Es stellt sich daher die Frage, wo – gemessen an dem Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes – die Grenze zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Zwangsentfernungen, die mit Entwicklungsvorhaben einhergehen, zu ziehen ist.147 Grundrechte werden in den seltensten Fällen uneingeschränkt gewährleistet.148 Dies trifft auch auf die Wohnsitzfreiheit zu, wie sie in den internationalen Menschenrechtsverträgen festgeschrieben ist. Sowohl Art. 12 IPBPR wie Art. 2 ZP 4 zur EMRK und Art. 22 AMRK enthalten Klauseln, wonach ein Eingriff in das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes unter den dort genannten Voraussetzungen ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Nach Art. 12 Abs. 3 IPBPR darf die Wohnsitzfreiheit nur eingeschränkt werden, „wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen [. . .] [im IPBPR] anerkannten Rechten vereinbar sind.“149

Gemäß Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK darf die Ausübung des Rechts auf freie Wahl des Wohnsitzes „nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“150 Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Aufl., 2000, § 111 Rdn. 40. Die Ausführungen Isensees beziehen sich zwar auf den nationalen Grundrechtsschutz. Sie lassen sich aber auf internationale Grundrechte übertragen, da in den internationalen Schutzvorschriften selbst eine Unterscheidung zwischen Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken bzw. „potenzieller“ und „aktueller“ Reichweite angelegt ist. 147 Zur Grenzziehung zwischen völkerrechtmäßigen und völkerrechtswidrigen Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken allgemein siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel. 148 Vgl. Benedict Kingsbury, Self-Determination and „Indigenous Peoples“, in: American Society of International Law Proceedings, 1992, S. 383 (393): „[W]hile rights may be trumps, they are not absolute.“ 149 Vgl. hierzu General Comment No. 27 (67), Para. 11 ff. Zu Art. 12 Abs. 3 IPBPR siehe Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 20 ff. 150 Siehe auch Art. 2 Abs. 4 ZP 4 zur EMRK, wonach das Recht, den Wohnsitz frei zu wählen, „ferner für bestimmte Gebiete Einschränkungen unterworfen werden [kann], die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind.“

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Art. 22 Abs. 3 AMRK enthält eine nahezu identische Beschränkungsvorschrift.151 Den Schrankenklauseln der Art. 12 Abs. 3 IPBPR, Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK und Art. 22 Abs. 3 AMRK ist danach gemein, dass Eingriffe in das menschenrechtliche Bleiberecht, das integraler Bestandteil der Wohnsitzfreiheit ist, zumindest gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung eines berechtigten öffentlichen Interesses notwendig sein müssen. Die Wohnsitzfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Banjul-Charta unterliegt zwar keiner ausdrücklichen Schranke. Der Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 2 S. 2 Banjul-Charta gilt nur für das Ausreise- und Rückkehrrecht. Daraus folgt aber nicht, dass die Banjul-Charta das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes uneingeschränkt, d.h. absolut gewährt. Dessen Ausübung unterliegt vielmehr immanenten Grundrechtsschranken.152 Sie folgen daraus, dass der Genuss eines Individualrechts mit bestimmten Bedürfnissen einer Gesellschaft in Konflikt geraten kann und mit diesen in Ausgleich zu bringen ist. Auf dieser Erkenntnis beruhen auch die geschriebenen Schranken.153 aa) Die Voraussetzung einer gesetzlichen Grundlage Primäre Voraussetzung für eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung ist nach den genannten Vorschriften, dass der Eingriff in die Wohnsitzfreiheit gesetzlich vorgeschrieben ist. Zwangsweise Entfernungen vom Wohnsitz, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, sind willkürlich und gemessen an dem positiven Recht der Wohnsitzfreiheit in keinem Fall legitim.154 Sie verletzen auf jeden Fall das in Art. 12 Abs. 1 IPBPR, Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK und Art. 22 Abs. 1 AMRK gewährleistete Bleiberecht. Auf die Prüfung der weiteren Rechtfertigungsvoraussetzungen kommt es in diesen Fällen nicht mehr an. 151

Hiernach kann die Ausübung der Wohnsitzfreiheit nur bschränkt werden „pursuant to a law to the extent necessary in a democratic society to prevent crime or to protect national security, public safety, public order, public morals, public health, or the rights or freedoms of others“. Art. 22 Abs. 4 AMRK sieht entsprechend Art. 2 Abs. 4 ZP 4 zur EMRK die weitere Möglichkeit der gesetzlichen Grundrechtsbeschränkung „in designated zones for reasons of public interest“ vor. 152 Ausführlich hierzu siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel. 153 Vgl. Sigrun I. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the International Monetary Fund, 2001, S. 48 f.: „[T]hese limitation clauses are very common in human rights treaties and reflect the awareness of the drafters that there may be conflicts between the enjoyment of rights of the individual and the necessities of society in general.“ 154 Vgl. Progress Report, Para. 43: „A primary safeguard is that restriction of movement and residence must be effected by law. This means that restrictions enforcing relocation must be neither arbitrary nor arbitrarily imposed.“

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Für die Bestimmung der „aktuellen“ Reichweite des Schutzes, den ein der Wohnsitzfreiheit immanentes Bleiberecht vor Zwangsentfernungen bietet, ist demnach entscheidend, wie der Begriff „Gesetz“ in den Schrankenvorbehalten auszulegen ist. Der AGMR legt den Begriff „Gesetz“ in Art. 22 Abs. 3 AMRK eng aus. Dies geht aus seinem Rechtsgutachten (Advisory Opinion) zum Gesetzesbegriff in den Schrankenvorbehalten der AMRK hervor.155 Der AGMR hatte darin eine Anfrage der uruguayischen Regierung zu beantworten, die wissen wollte, ob unter „laws“ in Art. 30 AMRK156 und den entsprechenden Bestimmungen der AMRK ein Gesetz im formellen Sinne zu verstehen ist, oder ob dieser Begriff auch Recht im materiellen Sinne umfasst.157 Der AGMR hat die Frage im erstgenannten Sinne beantwortet. Den Anforderungen der Beschränkungsklauseln genügt danach nur ein Gesetz, das in einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet worden ist: „a general legal norm tied to the general welfare, passed by democratically elected legislative bodies established by the Constitution, and formulated according to the procedures set forth by the constitutions of the States Parties for that purpose.“158

Der UN-Menschenrechtsausschuss ist in seinem General Comment No. 27 (67) zu Art. 12 IPBPR159 nicht auf die Frage eingegangen, welchen Anforderungen ein Gesetz genügen muss, um eine zulässige Grundlage für 155

The Word „Laws“ in Article 30 of the American Convention on Human Rights, Advisory Opinion OC-6/86, 9. Mai 1986, Inter-Am. Ct. H. R. (Ser. A) No. 6 (1986) (künftig Advisory Opinion), abrufbar unter . 156 Art. 30, der für alle Beschränkungsklauseln der AMRK gilt (vgl. Advisory Opinion, ebd., Para. 17), bestimmt: „Die nach dieser Konvention zulässigen Beschränkungen des Genusses oder der Ausübung der hierin garantierten Rechte oder Freiheiten dürfen nur aufgrund von Gesetzen, die im Interesse des Allgemeinwohls erlassen worden sind, und nur entsprechend dem Zweck, für den solche Beschränkungen vorgesehen wurden, auferlegt werden.“ 157 Die uruguayische Regierung fragte an, „whether the word ‚laws‘ used (in Article 30) refers to laws in the formal sense – legal norms passed by the Legislature and promulgated by the Executive Branch in the manner prescribed by the Constitution – or in the material sense, as a synonym for the entire body of law, without regard to the procedure followed in creating such norms and the normative rank assigned to it within the hierarchical order of the particular legal system (para. 2).“ Advisory Opinion, Para. 7. 158 Ebd., Para. 38. Vgl. auch ebd., Para. 27: „[T]he word ‚laws‘, used in Article 30, can have no other meaning than that of formal law, that is, a legal norm passed by the legislature and promulgated by the Executive Branch, pursuant to the procedure set out in the domestic law of each State“, sowie Para. 35. 159 Ausführlich zu General Comment No. 27 (67) siehe bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa) (3).

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Beeinträchtigungen der Wohnsitzfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 3 IPBPR zu sein. Im Interesse eines bestmöglichen Menschenrechtsschutzes ist diesbezüglich der Auslegung des AGMR zu folgen. Der Begriff „gesetzlich“ in Art. 12 Abs. 3 IPBPR ist danach ebenfalls eng auszulegen. Unter „Gesetz“ ist folglich ein formelles Gesetz zu verstehen. Diese Ansicht wird auch im Schrifttum zu Art. 12 IPBPR sowie in Studien zum menschenrechtlichen Schutz vor Zwangsumsiedlungen vertreten.160 Zwangsentfernungen, die ausschließlich in einem materiellen Gesetz, wie zum Beispiel einer Verordnung oder vergleichbaren Normen der Exekutive vorgeschrieben sind, erfüllen danach die Anforderungen der Beschränkungsklauseln nicht. Sie sind mit der Garantie der Wohnsitzfreiheit, wie sie im IPBPR und in der AMRK festgeschrieben ist, unvereinbar. Schließlich ist zu beachten, dass Eingriffe in die Wohnsitzfreiheit durch eine Zwangsentfernung, die auf Grund eines formellen Gesetzes erfolgen, nur rechtmäßig sind, wenn das Gesetz selbst die Voraussetzungen hinreichend bestimmt regelt, unter welchen eine Beschränkung der Wohnsitzfreiheit ausnahmsweise zulässig ist.161 160

Siehe z. B. Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 26: „In contrast to Arts. 13 and 21, restrictions under Art. 12(3) must be set down by the legislature itself. Therefore, as in the ECHR and the ACHR, the term ‚law‘ (‚loi‘) is to be understood in the strict sense of a general-abstract parliamentary act or an equivalent unwritten norm of common law, which must be accesible to all those subject to the law. Mere administrative provisions are insufficient.“ – Für eine enge Auslegung des Gesetzesbegriffs in Art. 12 Abs. 3 IPBPR spricht sich auch Al-Khasawneh in seinem Progress Report, Para. 44 aus: „Indeed, international standards serve the purpose of determining the quality of acceptable domestic law. Accordingly, reference to domestic ‚law‘ denotes law of a certain quality, namely, of a statutory nature. An underlying premise is that of a law debated upon by a democratic legislative process which prescribes broadly agreed parameters for restricting movement or residence within States. It is questionable on this basis whether decrees constitute permissible restrictions according to which persons can be relocated legally.“ – Die enge Auslegung des Begriffs „gesetzlich“ in Art. 12 Abs. 3 IPBPR entspricht schließlich auch den sog. Siracusa Principles on the Limitation and Derogation Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights. In deren Erläuterungen zu dem Begriff „prescribed by law“ (Para. 15) heißt es: „No limitation on the exercise of human rights shall be made unless provided for by national law of general application which is consistent with the Covenant and is in force at the time the limitation is applied.“ Die Siracusa Principles sind abgedruckt in: Human Rights Quarterly 7/1 (1985), S. 3–14. 161 Vgl. Nowak, ebd., Rdn. 26 a. E.; vgl. auch General Comment No. 27 (67), Para. 12: „The law itself has to establish the conditions under which the rights may be limited. [. . .] Restrictions which are not provided for in the law or are not in conformity with the requirements of article 12, paragraph 3, would violate the rights guaranteed under paragraphs 1 and 2“, sowie Para. 13: „[. . .] The laws authorizing the application of restrictions should use precise criteria and may not confer unfettered discretion on those charged with their execution.“

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Welche Anforderungen die gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die Wohnsitzfreiheit nach Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK erfüllen muss, ist hingegen unklar. Die Kommentierung von Frowein und Peukert legt es nahe, unter Gesetz im Sinne des Schrankenvorbehalts dieser Vorschrift sowohl legislatives als ungeschriebenes Recht zu verstehen. Frowein und Peukert verweisen in ihren Ausführungen zum Gesetzesbegriff des Art. 1 ZP 1 zur EMRK auf die Rechtsprechung des EGMR bezüglich der Schrankenvorbehalte der Art. 8 bis 10 EMRK, wonach unter Gesetz nicht stets ein formelles Gesetz zu verstehen sei und bringen vor: „Es ist kein Grund ersichtlich, diese Klarstellung des GH nicht auch auf alle anderen Verweisungen der Konvention und der ZP auf nationale Gesetze für zutreffend zu halten.“162 Fest steht danach jedenfalls, dass für jede nach Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK zu rechtfertigende Zwangsentfernung eine rechtliche Basis bestehen muss. bb) Legitime Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht Die gesetzliche Grundlage ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür, dass ein Eingriff in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht ausnahmsweise zulässig ist. Die Beeinträchtigung dieses Rechts durch eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung kann vielmehr nur gerechtfertigt werden, wenn sie auch zum Schutz eines öffentlichen Interesses notwendig ist. Eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung, die nicht der Verwirklichung eines zwingenden öffentlichen Interesses dient, ist willkürlich und daher verboten. Die Entwicklungsförderung bzw. das „wirtschaftliche Wohl des Landes“ ist in den Beschränkungsklauseln der Wohnsitzfreiheit nicht ausdrücklich als legitimes öffentliches Interesse genannt. Zu den geschriebenen Rechtfertigungsgründen zählen danach nur der Schutz der nationalen bzw. öffentlichen Sicherheit, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit und Moral, der Rechte und Freiheiten anderer, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (ordre public) sowie die Verhütung von Straftaten.163 Da162

Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention: EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), Rdn. 56. Siehe auch dies., ebd., Artikel 2 des 4. ZP (Freizügigkeit), Rdn. 6. Frowein und Peukert verweisen dort bez. des Schrankenvorbehalts des Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK auf die zu den Schrankenvorbehalten zu den Art. 8–11 EMRK entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze. – Anderer Ansicht ist aber Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 26, wonach unter „Gesetz“ in der EMRK ein formelles Gesetz zu verstehen ist. 163 Vgl. Art. 12 Abs. 3 IPBPR, Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK bzw. Art. 22 Abs. 3 AMRK.

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raus folgt aber nicht, dass entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen von vornherein unzulässig sind. Die Gründe, die zu deren Rechtfertigung angeführt werden können, sind nämlich mannigfach, was die UN-Sonderberichterstatter Al-Khasawneh und Hatano zu der Bemerkung veranlasst hat: „It is staggering to reflect on the plethora of justifications for population transfer that involve both of these concepts [– ‚development‘ and ‚peace‘ – d. Verf.] as their putative goals.“164

So werden unfreiwillige Umsiedlungen zu „Entwicklungszwecken“ zum Beispiel damit gerechtfertigt, dass sie dem Schutz der Volksgesundheit (gemeint ist meist die Gesundheit der umzusiedelnden Personen), also einem ausdrücklich in den Beschränkungsklauseln genannten öffentlichen Interesse dienen.165 Schließlich ist zu bedenken, dass internationale Grundrechtsnormen auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe kennen. Hierzu zählen unter anderem solche, die in anderen Beschränkungsklauseln explizit genannt sind. Zur Verdeutlichung sei auf die vorerwähnte Entscheidung des EGMR im Noack-Fall verwiesen.166 Die Landesregierung von Brandenburg hatte sich zur Rechtfertigung der geplanten Umsiedlungen der Bewohner Hornos unter anderem auf das „wirtschaftliche Wohl des Landes“ berufen. Der EGMR wies die Rüge der Beschwerdeführer, dass die streitgegenständliche Zwangsumsiedlung ihr Recht auf Freizügigkeit aus Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK verletze, unter Bezugnahme auf seine rechtlichen Ausführungen zu Art. 8 EMRK, der in Absatz 2 das „wirtschaftliche Wohl des Landes“ ausdrücklich als öffentliches Interesse nennt,167 zurück. Er begründete seine Entscheidung damit, dass der Eingriff in die Wohnsitzfreiheit ein legitimes Ziel verfolge und verhältnismäßig sei.168 Der EGMR hat also die Beschränkungsklausel des Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK um den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund „wirtschaftliches Wohl des Landes“ ergänzt. Ein ent164

Preliminary Report, Para. 300. Die Rechtfertigungsgründe des Schutzes der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Sittlichkeit spielen hingegen im Zusammenhang mit entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen kaum eine Rolle: Die Durchführung eines Entwicklungsvorhabens dient weder der Abwehr einer politischen oder militärischen Gefahr für die gesamte Nation (vgl. Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 34: „In contrast to public order, national security is endangered only in grave cases of political or military threat to the entire nation.“), noch der Abwehr einer Bedrohung für die öffentliche Sittlichkeit. 166 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. c) aa) (2). 167 Art. 8 Abs. 2 EMRK lautet: „Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts [Recht auf Achtung der Wohnung, d. Verf.] nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und [. . .] notwendig ist für [. . .] das wirtschaftliche Wohl des Landes [. . .].“ 168 Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 4, S. 534. 165

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sprechendes Vorgehen ist bezüglich Art. 12 Abs. 3 IPBPR sowie Art. 22 Abs. 3 AMRK ebenfalls zulässig. cc) Die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht Ein Eingriff in die völkervertraglich gewährleistete Wohnsitzfreiheit durch eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung ist aber nicht schon dann mit den entsprechenden Beschränkungsklauseln vereinbar, wenn der betreffende Staat der Ansicht ist, dass der Eingriff einem der geschriebenen Rechtfertigungsgründe dient. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zwangsentfernung bzw. -umsiedlung zum Schutz des jeweiligen öffentlichen Interesses erforderlich ist.169 Den Vertragsparteien internationaler Menschenrechtsinstrumente steht zwar nach ständiger Rechtsprechung ihrer Vertragsorgane bei der Beurteilung der Frage, welche Maßnahmen im öffentlichen Interesse notwendig sind, ein Spielraum (margin of appreciation) zu.170 Grundrechtsbeschränkende Maßnahmen müssen sich aber dennoch stets an einem „objective minimum standard“ messen lassen, der wiederum Gegenstand der Überprüfung der Vertragsorgane ist.171 Hierzu zählt insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der beim Individualrechtsschutz nach den Menschenrechtspakten und den regionalen Menschenrechtsverträgen stets zu berücksichtigen ist. Er gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz generell für den Individualrechtsschutz.172 Wo die Grenzen des staatlichen Ermessensspielraums liegen, hängt im Einzelfall von der Natur des betroffenen Konventionsrechts, der Gewich169

Vgl. bez. Art. 12 Abs. 3 IPBPR Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 32: „A restriction on this right is thus consistent with the legal proviso in Art. 12 (3) not when the State concerned believes that it serves one of the listed purposes for interference but rather when it is necessary for achieving this purpose.“ 170 Vgl. Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 529 f., sowie die Zusammenfassung der Entscheidung des EGMR: Noack u. a. ./. Deutschland, MenschenRechtsMagazin, S. 195. Vgl. bez. Art. 12 Abs. 3 IPBPR Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 33. 171 Vgl. Nowak, ebd. 172 Vgl. Michael Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 68. Krugmann argumentiert, dass sich ein Geltungsgrund für das Erforderlichkeitsgebot (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) im Rahmen des Schutzes der Individualfreiheit „zwanglos aus der Menschenrechtsidee“ ergibt. Ebd., S. 68 f. – Zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bez. der EMRK-Rechte siehe Frowein/Peukert, Artikel 2 des ZP 4 (Freizügigkeit), Rdn. 6: „Insbesondere ist auch bei die Freizügigkeit einschränkenden Maßnahmen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten.“

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tung der Interessen des Einzelnen und auch der Art der staatlichen Maßnahmen ab.173 Dementsprechend muss bei jeder Prüfung, ob eine Beschränkung des der Wohnsitzfreiheit immanenten Bleiberechts ausnahmsweise zulässig ist, auch der besondere Charakter der Wohnsitzfreiheit als grundlegendes Menschenrecht berücksichtigt werden.174 Nowak hat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Kommentierung des Art. 12 Abs. 3 IPBPR, die sich auf Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK und Art. 22 Abs. 3 AMRK übertragen lässt, für Eingriffe in die Wohnsitzfreiheit präzisiert: „Every interference thus requires a precise balancing between the right to freedom of movement and those interests to be protected by the interference. Interference is necessary only when its severity and intensity are proportional to a purpose listed in Art. 12 (3).“175

Im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch die Voraussetzung des Art. 12 Abs. 3 IPBPR zu sehen, wonach der Eingriff in die Wohnsitzfreiheit mit den übrigen Paktrechten vereinbar sein muss.176 Hierzu zählen unter anderem die Beteiligungs- und Teilhaberechte wie das Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation.177 Eine Zwangsumsiedlung, die unter Verletzung dieser Rechte erfolgt, kann nicht verhältnismäßig und deshalb auch nicht gerechtfertigt sein. Der Verweis auf die Vereinbarkeit mit anderen Paktrechten ergänzt die Rechtfertigungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 3 IPBPR um einen zusätzlichen Abwägungsfaktor bzw. um ein „umbrella safety net“178. Die Beschränkungsklausel des Art. 2 Abs. 3 ZP 4 zur EMRK bzw. Art. 22 Abs. 3 AMRK nennen die Vereinbarkeit einer Beschränkung der Wohnsitzfreiheit mit anderen Vertragsrechten zwar nicht explizit als Voraussetzung eines rechtmäßigen Eingriffs in dieses Grundrecht. Sie stellt für die Rechte der EMRK und AMRK aber eine vertragsimmanente Schranke dar. 173 Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 529 f.: „L’ampleur de la marge d’appreciation n’est pas la même pour toutes les affaires mais varie en fonction du contexte [. . .]. Parmi les éléments pertinents figurent la nature du droit conventionnel en jeu, son importance pour l’individu et le genre des activités en cause.“ 174 Zur Einordnung des Freizügigkeitsrechts als fundamentales Menschenrecht siehe Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 2 f. 175 Ebd., Rdn. 33. Zur Einschränkung des Freizügigkeitsrechts speziell im Zusammenhang mit Bevölkerungstransfers siehe Meindersma, S. 68. 176 Zu dieser Voraussetzung siehe Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 28–31, m. w. N. 177 Ausführlich zum „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ siehe unten, unter Erster Teil, Drittes Kapitel. 178 Progress Report, Para. 46.

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dd) Die Interpretationsregel des Art. 47 IPBPR Für die vorliegende Untersuchung ist schließlich die Interpretationsregel179 des Art. 47 IPBPR relevant. Nach dieser Vorschrift ist keine Bestimmung des Zivilpakts „so auszulegen, dass sie das allen Völkern innewohnende Recht auf den Genuß und die volle und freie Nutzung ihrer natürlichen Reichtümer und Mittel beeinträchtigt.“

Art. 47 IPBPR nennt damit ein zusätzliches geschütztes Interesse, das bei der Anwendung der Beschränkungsklausel des Art. 12 Abs. 3 IPBPR zu berücksichtigen ist.180 „Restrictions on freedom of movement, therefore, must in no case impair the right of individual peoples to enjoy and utilize their natural resources, as has been, e. g. the case in South Africa.“181

Die Vorschrift des Art. 47 IPBPR kann für den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bedeutsam werden. Die zwangsweise Entfernung einer Bevölkerungsgruppe von ihrem Wohnsitz bzw. Siedlungsgebiet kann nämlich dazu führen, dass es dem betroffenen „Volk“ infolge der Zwangsumsiedlung verwehrt wird, seine Reichtümer und Mittel zu genießen und frei zu nutzen. Eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung mit derartigen Folgen wäre nach Art. 12 Abs. 3 IPBPR i. V. m. Art. 47 IPBPR jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn der Eingriff in das in Art. 47 IPBPR genannte Recht unverhältnismäßig ist. Letzteres ist zu bejahen, wenn die Ausübung dieses Rechts vereitelt wird.182 ee) Schlussbemerkung zu den Voraussetzungen eines rechtmäßigen Eingriffs in das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht Das menschenrechtliche Bleiberecht als Komponente der in Art. 12 Abs. 1 IPBPR, Art. 2 Abs. 1 ZP 4 zur EMRK und Art. 22 Abs. 1 AMRK völkervertraglich gewährleisteten Wohnsitzfreiheit setzt entwicklungsbeding179

Zu dieser Bezeichnung vgl. Nowak, Art. 47 CCPR, Rdn. 1. Ebd.: „[. . .] Art. 47 could be interpreted in such a way as to perceive the right to use natural wealth and resources as an additional protected interest in the limitation provisos of Arts. 12(3).“ 181 Ebd., Art. 12 CCPR, Rdn. 31. 182 Vgl. diesbez. Final Report, Para. 68: „In the context of development programmes, population transfers are lawful if they [. . .] do not deprive a ‚people‘ of their means of subsistence.“ – Ausführlich zum „Recht auf den Genuß und die volle und freie Nutzung natürlicher Ressourcen als Schutzrecht gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen“ siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. b). 180

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ten Zwangsentfernungen Grenzen, die teils in den jeweiligen Beschränkungsklauseln explizit genannt, teils ungeschrieben sind.183 Eine Beschränkung dieses Rechts durch eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung ist nur zulässig, wenn ihr konkretes Ziel nicht nur ein zwingendes und überwiegendes öffentliches Interesse darstellt,184 sondern auch im Verhältnis zu der Beeinträchtigung des der Wohnsitzfreiheit immanenten Bleiberechts185 und anderen Paktrechten, wie dem „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“, steht. Entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen/-umsiedlungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind „willkürlich“ und daher unzulässig.186 Eine „trügerische Freiheit“ (illusive freedom187) ist die Wohnsitzfreiheit im Hinblick auf das darin gewährleistete Bleiberecht angesichts der genannten Anforderungen, die eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung erfüllen muss, um im Einklang mit diesem Recht zu stehen, nach alledem nicht.188 2. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung Zwangsweise Entfernungen von einer Wohnung führen regelmäßig zum Verlust eines räumlichen Bereichs, in dem sich der Einzelne frei, d.h. ohne 183 Vgl. bez. Art. 12 Abs. 3 IPBPR Goebel, S. 18 f.: „Article 12 (3) may come into play where governments undertaking economic development cause massive forced removals. Limits on governmental abuse include article 12 (3) provisions.“ 184 Ausführlich zur Frage, wann eine entwicklungsfördernde Maßnahme, mit der eine Zwangsumsiedlung einhergeht, im überwiegenden öffentlichen Interesse erfolgt, siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, A. III. 1. 185 Vgl. Nowak, Art. 12 CCPR, Rdn. 33. – Ausführlich zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit der Beschränkung international anerkannter Menschenrechte, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind, siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, A. 186 Vgl. Guiding Principles sowie Declaration of International Law Principles: Principle 6 Abs. 1 der Guiding Principles lautet: „Every human being shall have the right to be protected against being arbitrarily displaced from his or her home or place of habitual residence.“ Siehe hierzu das Handbuch für die Anwendung der Guiding Principles, das klarstellt, dass Staaten ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen verletzen, wenn sie Personen „willkürlich“ dislozieren, d.h. „without compelling reasons strictly required to protect national security, public order, public health or similar public interests.“ The Brookings Institution, Handbook, S. 16. – In Art. 4 Abs. 1 der Declaration of International Law Principles heißt es: „Freedom of movement, including the right not to be arbitrarily displaced, shall be respected to the fullest extent possible in accordance with international law.“ 187 McFadden, S. 35. 188 So aber McFadden im Bezug auf das der Wohnsitzfreiheit immanente Bleiberecht, ebd.: „[T]he ‚freedom to choose one’s residence‘ is an illusive freedom, and only partially protects a right to stay.“

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die Einmischung, Kontrolle oder Beobachtung Dritter, seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend, verwirklichen kann, also eines elementaren Lebensraums, der wesentliche Voraussetzung für die individuelle Selbstbestimmung ist. Die Wohnung sichert ihrem Inhaber nämlich nicht nur das Grundbedürfnis einer Unterkunft im Sinne eines Obdachs, das gegen äußere Bedrohungen wie Unwetter schützt. Sie ist vielmehr auch für das emotionale und persönliche Leben eines Menschen und dessen individuelle Selbstbestimmung wesentlich.189 Der internationale Menschenrechtsschutz trägt der zentralen Bedeutung der Wohnung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den normativen Schutz des Rechts auf Achtung der Wohnung in Art. 17 IPBPR, Art. 8 EMRK und Art. 11 AMRK sowie durch dessen Anerkennung in Art. 12 AEMR190 und Art. IX AERPM191 Rechnung.192 Fraglich ist, ob dieses Grundrecht in seinem Schutzbereich auch ein Bleiberecht umfasst, das, jedenfalls dem Grunde nach, vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen schützt. a) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 17 IPBPR Nach Art. 17 Abs. 1 IPBPR, der das in Art. 12 AEMR nahezu wortgleich gewährleistete Recht auf Achtung der Wohnung juristisch verbindlich schützt, darf kein Mensch „willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr [. . .] ausgesetzt werden.“193 Art. 17 Abs. 2 IPBPR verbürgt jedermann einen „Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“

189 Vgl. Deborah Hodges Bell, Providing Security of Tenure for Residential Tenants. Good Faith as a Limitation on the Landlord’s Right to Terminate, in: Georgia Law Review 19 (1985), S. 483. – Zu diesem weiten Verständnis von Wohnung vgl. auch Nowak, Art. 17 CCPR, Rdn. 31. 190 Art. 12 AEMR lautet: „Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung . . . ausgesetzt werden. Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“ (Hervorh. d. Verf.) – Zur Entstehungsgeschichte und Auslegung von Art. 12 AEMR siehe Lars Adam Rehof, Article 12, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), The Universal Declaration of Human Rights: A Commentary, 1992, S. 187–201. 191 Gemäß Art. IX AERPM hat jedermann ein Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung. 192 Einzig die Banjul-Charta verbrieft kein Recht auf Achtung der Wohnung. 193 Hervorh. d. Verf.

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aa) Der Schutzbereich des Art. 17 IPBPR Typische Eingriffe in die Wohnung, gegen die Art. 17 IPBPR rechtlich schützt, sind Wohnungsdurchsuchungen oder das Abhören der Wohnräume, also Beeinträchtigungen der Privatheit der Wohnung.194 Berührt auch die zwangsweise Entfernung einer Person von ihrer Wohnung den Schutzbereich des Art. 17 IPBPR, d.h. greift auch diese Maßnahme in das Grundrecht auf Achtung der Wohnung ein? Der UN-Menschenrechtsausschuss hat diese Frage bisher offen gelassen.195 Bei historischer Betrachtung des „Wohnungsgrundrechts“ und seiner traditionellen Auslegung müsste man sie verneinen: Das Recht auf Achtung der Wohnung wird wegen seiner systematischen Stellung innerhalb von Art. 17 IPBPR herkömmlich als besonderes Persönlichkeitsrecht angesehen, das vor Verletzungen der räumlichen Privatsphäre schützt.196 Noch heute vertreten Teile des Schrifttums bezüglich der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des „Wohnungsgrundrechts“ die Ansicht, dass die Beseitigung der Wohnung und andere substanzielle Eingriffe, mit denen die räumliche Privatsphäre der eigenen Verfügung oder Nutzung ganz oder teilweise entzogen wird, keinen Eingriff in die Wohnungsfreiheit darstellten.197 Wenn man diese Argumentation auf dessen völkervertragliche Gewährleistung in Art. 17 IPBPR überträgt, taugt dieses Recht als „Bollwerk“ gegen Zwangsentfernungen nicht. Es entspricht aber nicht dem Schutzzweck dieser Grundrechtsnorm, nur Verletzungen der Privatsphäre als Beeinträchtigungen des Rechts auf Achtung der Wohnung anzusehen, ihren Entzug aber von dessen Schutzbereich auszunehmen. Soll nämlich das „Wohnungsgrundrecht“ den räumlichen Bereich individueller Persönlichkeitsentfaltung gegen die Verfügungsgewalt Dritter sichern, ist die Entziehung von Wohnraum bzw. der Zwang, die räumliche Lebenssphäre „Wohnung“ dauerhaft zu verlassen, erst recht als Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung anzusehen.198 194

Vgl. Nowak, Art. 17 CCPR, Rdn. 34. In seiner Allgemeinen Bemerkung zu Art. 17 IPBPR ist der Menschenrechtsausschuss nicht darauf eingegangen, ob Zwangsentfernungen einer Prüfung am Maßstab des Grundrechts auf Achtung der Wohnung zugänglich sind. Vgl. General Comment 16 (32) (art. 17), UN GAOR: 43rd Sess., Suppl. No. 40 (A/43/40), Annex VI, S. 181, Para. 3. 196 Vgl. McFadden, S. 39. 197 Pieroth/Schlink, Rdn. 881 m. w. N. Pieroth und Schlink argumentieren, dass „das Spezifische der Wohnungsfreiheit verkannt und ihr Anwendungsbereich überdehnt“ würde, wenn man auch substanzielle Eingriffe, d.h. den Entzug von Wohnraum, am Maßstab der Wohnungsfreiheit messen würde. Ebd. 198 So im Ergebnis bez. des normativen Schutzes des Rechts auf Achtung der Wohnung durch Art. 8 EMRK auch Luzius Wildhaber Art. 8, in: Wolfram Karl 195

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bb) Der Gewährleistungsvorbehalt des Art. 17 IPBPR: „willkürlich“ und „rechtswidrig“ Daraus folgt allerdings nicht, dass Art. 17 IPBPR als Abwehrrecht gegen jede Art von Zwangsentfernung dient. Seinem Wortlaut nach gewährt Art. 17 nur einen Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen „willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe“ in die Wohnung.199 Im Unterschied zu Art. 8 EMRK, der in seinem Absatz 2 einen Schrankenvorbehalt enthält, beschränkt Art. 17 IPBPR bereits den Gewährleistungsbereich des „Wohnungsgrundrechts“. Zwangsentfernungen, die weder „willkürlich“ noch „rechtswidrig“ sind, greifen danach nicht in Art. 17 Abs. 1 IPBPR ein. Für die Prüfung entwicklungsbedingter Zwangsentfernungen am Maßstab des Art. 17 ist somit entscheidend, wie die Begriffe „willkürlich“ und „rechtswidrig“ auszulegen sind. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat diese Frage in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 16 zu Art. 17 IPBPR geklärt. „Rechtswidrig“ (unlawful) bedeutet danach: „that no interference can take place except in cases envisaged by the law. Interference authorized by States can only take place on the basis of law, which itself must comply with the provisions, aims and objectives of the Covenant.“200

Der Begriff „rechtswidrig“ in Art. 17 IPBPR ist folglich als Gesetzesvorbehalt zu lesen. Er ist deckungsgleich mit der Rechtfertigungsvoraussetzung der Beschränkungsklauseln zum Freizügigkeitsrecht, wonach Eingriffe in die Wohnsitzfreiheit gesetzlich vorgeschrieben sein müssen.201 Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses ist eine Beeinträchtigung der Rechte des Art. 17 IPBPR auch dann als „rechtswidrig“ und damit unzulässig anzusehen, wenn das jeweilige Eingriffsgesetz nicht im Einzelnen die genauen Umstände benennt, unter denen ein Eingriff ausnahmsweise zulässig ist.202 Für den Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen sind die Ausführungen des Ausschusses zur Bedeutung des Begriffs „willkürlicher Eingriff“ (arbitrary interference) relevant. Die Tatsache, dass eine Zwangsentfernung gesetzlich angeordnet ist, schließt allein noch nicht aus, dass der dadurch erfolgte Eingriff in das Wohnungsrecht als „willkür(Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Lfg. – April 1992, Rdn. 471 auf die Rechtsprechung des EGMR verweisend: „Behördlich angeordnete Enteignungen, Abbruchs- oder gar Wegweisungsverfügungen, welche die Zwangsräumung von Häusern zur Folge haben, sind als Eingriff in das Recht auf Achtung der Wohnung anzusehen.“ 199 Zur diesbez. Kritik an Art. 17 IPBPR siehe Nowak, Art. 17 CCPR, Rdn. 8. 200 General Comment No. 16 (32). 201 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. e) aa). 202 Vgl. General Comment No. 16 (32), Para. 8.

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lich“ anzusehen ist. Mit der Aufnahme dieses Begriffs sollte vielmehr klargestellt werden, dass selbst Eingriffe, die auf einer gesetzlichen Grundlage basieren, nur zulässig sind, wenn sie mit den übrigen Paktvorschriften sowie dem Sinn und Zweck des IPBPR vereinbar und im Einzelfall angemessen („reasonable“), d.h. verhältnismäßig sind.203 Auch insofern unterscheidet sich Art. 17 IPBPR nicht von den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Beschränkung der Wohnsitzfreiheit. Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen sind schließlich auch dann als „willkürlich“ anzusehen, wenn sie nicht durch zwingende und überwiegende Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt sind. Die Guiding Principles on Internal Displacement stellen dies in Principle 6 Nr. 2 (c) ausdrücklich klar. Danach sind vom völkerrechtlichen Verbot willkürlicher Dislokationen, das die Kehrseite des Rechts ist, „to be protected against being arbitrarily displaced from his or her home or place of habitual residence“, Dislokationen erfasst: „(c) in cases of large-scale development projects that are not justified by compellinig and overriding public interests.“204

Eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung ist darüber hinaus auch dann als „willkürlich“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 IPBPR anzusehen, wenn sie auf einer Politik der Apartheid, „ethnischen Säuberung“ oder einer vergleichbaren Praktik beruht und darauf abzielt, die ethnische, religiöse oder rassische Zusammensetzung einer Bevölkerungsgruppe zu verändern, bzw. entsprechende Wirkungen zeitigt.205 Diese Klarstellung ist insofern erforderlich, als in vielen Teilen der Welt Zwangsumsiedlungen vorgeblich zu Zwecken der Entwicklungsförderung erfolgen, die in Wirklichkeit bevölkerungspolitischen Zielen dienen.206 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 17 IPBPR entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen verbietet, die weder gesetzlich vorgesehen sind, noch aus zwingenden Allgemeinwohlinteressen erfolgen oder nicht im Einklang mit anderen Paktrechten stehen, zu denen insbesondere auch Verfahrens- und Partizipationsgrundrechte zählen.207 Das Grundrecht auf Achtung der Wohnung des Art. 17 IPBPR gewährleistet somit ein absolutes Ab203 General Comment No. 16 (32), Para. 4. – Zur Vergleichbarkeit des Angemessenheitsstandards (standard of reasonableness) mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. Nowack, Art. 12 CCPR, Rdn. 33, Fn. 69: „Verhältnismäßigkeit ist similar to the standard of reasonableness.“ 204 Guiding Principles, Principle 6 Nr. 2 (c) (Hervorh. d. Verf.); siehe hierzu auch Kälin, Annotations, S. 17 f. 205 Vgl. Guiding Principles, ebd., Principle 6 Nr. 2 (a). Siehe auch Kälin, ebd., S. 16. 206 Ausführlich hierzu siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, F. 207 Zu den Partizipationsrechten siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel.

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wehrrecht gegen rechtswidrige und willkürliche Zwangsentfernungen bzw. ein entsprechendes menschenrechtliches Bleiberecht. cc) Die durch Art. 17 IPBPR begründeten Verpflichtungen der Vertragsparteien Die Anmerkungen des UN-Menschenrechtsausschusses in General Comment No. 16 sind für die Frage, wie weit der Schutz des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 17 IPBPR gegenüber Zwangsentfernungen reicht, aus einem weiteren Grund aufschlussreich: Der Ausschuss hat darin dargelegt, dass das „Wohnungsgrundrecht“ gegen alle Arten rechtswidriger und willkürlicher Eingriffe bzw. Beeinträchtigungen schützt, und zwar unabhängig davon, ob diese von staatlichen Behörden oder von einer natürlichen oder juristischen Person ausgehen.208 Daraus folgt, dass sich Personen, die von einer zwangsweisen Entfernung von der Wohnung betroffen sind, auch dann auf Art. 17 IPBPR berufen können, wenn diese ausnahmsweise nicht staatlich angeordnet ist, sondern von privaten Akteuren, etwa privaten Projektträgern, vorgenommen wird. Mit der Ratifizierung des IPBPR haben die Paktstaaten nämlich nicht nur rechtlich verbindlich zugesagt, staatliche Eingriffe in das Recht auf Achtung der Wohnung zu unterlassen (negative Verpflichtung zur Achtung der Wohnung). Art. 17 IPBPR erzeugt vielmehr auch die positive Verpflichtung der Vertragsparteien, zum Schutz des Rechts auf Achtung der Wohnung tätig zu werden, d.h., die Wohnung des Einzelnen durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zu schützen,209 und zwar auch gegen Beeinträchtigungen von Privatpersonen.210 Die Vorschrift begründet danach für die Staaten, die den IPBPR ratifiziert haben, auch die Pflicht, Maßnahmen zum Schutz gegen entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen aus der Wohnung zu ergreifen, sofern diese rechtswidrig und willkürlich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 IPBPR sind. b) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 8 EMRK Im Unterschied zur Wohnsitzfreiheit ist das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in der EMRK selbst verbürgt: Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihrer Wohnung. 208 General Comment No. 16 (32), Para. 1. So auch McFadden, S. 39, wonach diese Aussage auch auf die Verbürgung des Rechts auf Achtung der Wohnung in der EMRK und AMRK zutrifft. 209 Vgl. General Comment No. 16 (32), Para. 1. 210 Siehe diesbez. im Kontext von Art. 12 AEMR auch Rehof, S. 194.

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Die Entscheidungspraxis der Straßburger Spruchkörper gibt unmittelbar Aufschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Gewährleistungen des Art. 8 EMRK vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen. Bedeutsam sind diesbezüglich insbesondere die Feststellungen des EGMR in der Entscheidung Noack et autres c. Allemagne sowie die Staatenbeschwerdeverfahren Cyprus v. Turkey. Für die Frage, ob Zwangsentfernungen den Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Wohnung (Art. 8 EMRK) berühren, ist ferner die materiellrechtliche Jurisdiktion der Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina relevant. aa) Die Jurisdiktion der Straßburger Spruchkörper zu Art. 8 EMRK: die Sache Noack u. a. ./. Deutschland und die Staatenbeschwerdeverfahren Zypern ./. Türkei In der Sache Noack et autres c. Allemagne211 hatte der EGMR in erster Linie zu prüfen, ob die mit dem Braunkohleabbau einhergehenden Umsiedlungen der Bewohner von Horno deren Recht auf Achtung des Privatlebens und der Wohnung (Art. 8 EMRK) verletzten.212 Der Gerichtshof hat dies zwar im Ergebnis verneint. Er hat aber festgestellt, dass die Umsiedlung der Bewohner eines Dorfs den Schutzbereich des Art. 8 EMRK berührt, und hat sowohl das Braunkohlegrundlagengesetz als auch die Verordnung der Landesregierung, durch die der Braunkohleplan, der die streitgegenständliche Umsiedlung vorsah, in Kraft gesetzt wurde, als Eingriff in das Recht auf Privatleben und Achtung der Wohnung nach Art. 8 EMRK qualifiziert.213 Der EGMR hat damit die hier vertretene Ansicht bestätigt, dass die Gewährleistungen des Art. 8 EMRK als Abwehrrechte gegen unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet sind, die mit entwicklungs- bzw. wirtschaftsfördernden Maßnahmen einhergehen. Er sah die Weiterführung des Braunkohlentagebaus und die damit einhergehenden streitgegenständlichen Umsiedlungsmaßnahmen als für die Strukturentwicklung, die Erhaltung von Ar211

Noack et autres c. Allemagne. Vgl. ebd., En Droit, Rdn. 1, S. 525–532. 213 Ebd., En Droit, Rdn. 1, S. 528 f.: „Indépendamment de la protection des droits d’une minorité, sorabe en l’occurrence, la Cour considère que le transfert des habitants d’un village soulève un problème au regard de l’article 8 de la Convention, puisqu’il touche directement la vie privée et le domicile des personnes concernées. En l’espèce, la loi fondamentale sur le lignite du Land de Brandebourg [. . .] ainsi que les décrets d’approbation du gouvernement du Land des différents plans d’exploitation de lignite, qui prévoient clairement le transfert des habitants de la commune de Horno au plus tard pour 2002, constituent une ingérence dans le droit des requérants garantis par l’article 8 de la Convention.“ 212

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

beitsplätzen sowie die Energieversorgung erforderlich an.214 Sie sollten also der „Entwicklungsförderung“ im hier verstandenen weiten Sinne dienen. Die Entscheidung des EGMR im Noack-Fall liegt, was die Bestimmung des besagten Schutzbereichs betrifft, auf einer Linie mit seinen Entscheidungen und den Feststellungen der Europäischen Menschenrechtskommission in den Staatenbeschwerdeverfahren Cyprus v. Turkey215: Kommission bzw. EGMR hatten die von der Türkei ausgehenden streitgegenständlichen Bevölkerungsverbringungen bzw. die zwangsweisen Entfernungen von ungefähr 200.000 griechischen Zyprioten aus ihren Wohnungen sowie das von türkischer Seite ausgesprochene Rückkehrverbot216 am Maßstab des Art. 8 EMRK geprüft und festgestellt, dass die Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und das Verbot der Rückkehr in die ursprünglichen Wohnstätten das in Art. 8 der Konvention geschützte Recht der betroffenen Personen auf Achtung der Wohnung verletzten.217 bb) Die Jurisdiktion der Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina zu Art. 8 EMRK In den vergangenen Jahren haben nicht nur die Straßburger Spruchkörper dazu beigetragen, Reichweite und Grenze des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK bezüglich Zwangsentfernungen zu klären, sondern auch die Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina (Human Rights Chamber for Bosnia and Hercegovina). Die Vertragsparteien des so genannten Friedensabkommens von Dayton218 haben diesen Gerichtshof sui generis in Bos214

Siehe ebd., En Droit, Rdn. 1, S. 529. Europäische Kommission für Menschenrechte, Application No. 6780/74 und 6950/75, Cyprus v. Turkey, Kommissionsbericht vom 10. Juli 1976 (künftig Application No. 6780/74 und 6950/75), in: European Human Rights Reports 4 (1982), S. 482–589; dies., Application No. 8007/77, Cyprus v. Turkey, Kommissionsbericht vom 4. Oktober 1983 (künftig Application No. 8007/77), in: European Commission on Human Rights, Decisions and Reports, Vol. 72 (1992), S. 5–62; Cyprus v. Turkey [GC], no. 25781/94, ECHR 2001-IV, Urteil vom 10. Mai 2001 (künftig Cyprus v. Turkey). 216 Zum Hintergrund des griechisch-türkischen Zypernkonflikts im Allgemeinen und der Bevölkerungsverbringungen im Besonderen siehe Dieter Blumenwitz, Die Neubestätigung und Weiterentwicklung der Rechte vertriebener Volksgruppen im Zypernkonflikt, in: AWR-Bulletin 38, Nr. 3–4 (2000), S. 163 (164). 217 Vgl. Application No. 6780/74 und 6950/75, S. 482–589; Application No. 8007/77, S. 39 ff., insbes. 42 f., Rdn. 133–135; Application No. 25781/94, Rdn. 265–267. – Siehe hierzu auch Frowein/Peukert, Artikel 2 des 4. ZP (Freizügigkeit), Rdn. 4. 218 General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, UN Doc. A/50/790, S/1995/999, 30. November 1995, Attachment (künftig Dayton-Abkommen). 215

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nien-Herzegowina als Substitut für den EGMR geschaffen.219 Er hatte von Anfang 1996 bis Ende 2003 als höchstes gerichtliches Organ Menschenrechtsbeschwerden zu untersuchen, mit denen unter anderem Verletzungen der in der EMRK mit ihren Zusatzprotokollen festgeschriebenen Grundrechte und -freiheiten gerügt wurden.220 Eine Vielzahl der bei der Menschenrechtskammer eingereichten Beschwerden betraf Zwangsentfernungen bzw. Vertreibungen aus Wohnungen und Häusern sowie die Aussperrung der Vertriebenen von ihren ursprünglichen Wohnstätten nach Beendigung des Kriegs.221 Die Human Rights Chamber prüfte diese Beschwerden materiell-rechtlich am Maßstab des Art. 8 EMRK. In den Präzedenzfällen Mehmed Blentic ./. Republika Srpska 222 und „M. J.“ ./. Republika Srpska223 stellte die Human Rights Chamber fest, dass die Vertreibung der Beschwerdeführer sowie deren Aussperrung aus ihren Wohnstätten unrechtmäßig waren; die Besetzung ihrer Häuser durch serbische (Bürgerkriegs)flüchtlinge hat die Kammer als andauernden unrechtmäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 EMRK) qualifiziert.224 In ihrer Entscheidung in der Sache Sasˇa 219 Ausführlich zu Entstehungsgeschichte, Arbeitsweise und Jurisdiktion der Menschenrechtskammer siehe Elisabeth Küttler, Die Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina, Berlin 2003. Siehe auch Karin Oellers-Frahm, Die Rolle internationaler Gerichte im Friedensprozeß in Bosnien und Herzegowina nach dem Abkommen von Dayton, in: Volkmar Götz/Peter Selmer/Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke – Zum 85. Geburtstag, 1998, S. 263 (277 ff.); James Sloan, The Dayton Peace Agreement: Human Rights Guarantees and their Implementation, in: European Journal of International Law 7 (1996), S. 207–225. 220 Die sachliche Zuständigkeit der „Human Rights Chamber“ zur Prüfung der Beschwerden am Maßstab der EMRK-Rechte folgte aus Annex 6 zum Dayton-Abkommen („Agreement on Human Rights“), in dem sich die Vertragsparteien verpflichtet hatten, die EMRK-Rechte zu gewährleisten. Vgl. Art. I von Annex 6 Dayton-Abkommen, „Agreement on Human Rights“, in: ILM 35 (1996), S. 89 (130–136). – Die Vertragsparteien von Dayton hatten sich darüber hinaus zur Einhaltung weiterer 15 internationaler Menschenrechtsverträge verpflichtet. 221 Vgl. z. B. Decision on the Admissibility of Case No. CH/96/1 – Josip, Boana and Tomislav Matanovic´ against Republika Srpska vom 13. September 1996, auf der Website der Human Rights Chamber abrufbar unter , sowie die im Folgenden aufgeführten Entscheidungen. 222 Decision on the Admissibility and on the Merits of Case No. CH/96/17 – Mehmed Blentic´ against Republika Srpska vom 5. November 1997 (künftig Blentic´ ./. Republika Srpska), abrufbar unter . 223 Decision on the Admissibility and Merits of Case No. CH/96/28 – „M. J.“ against Republika Srpska vom 7. November 1997 (künftig „M. J.“ ./. Republika Srpska), abrufbar unter . 224 Blentic ´ ./. Republika Srpska, Para. 24: „In the Chamber’s opinion the facts of the case therefore reveal a continuing unlawful interference on the part of Mr D. V. with the applicant’s right to respect for his home.“ – Die Fälle Blentic´ und „M. J.“ betrafen die Frage, ob die Nichtdurchsetzung gerichtlicher Zwangsräumungsanord-

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Galic´ ./. The Federation of Bosnia and Herzegovina 225 kam die Human Rights Chamber zu dem gleichen Ergebnis: Die Vertreibung des Beschwerdeführers aus seiner Wohnung durch Angehörige der Bundesarmee sah sie als Eingriff in dessen Recht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 EMRK) an.226 Die Jurisdiktion der Menschenrechtskammer bestätigt nicht nur die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK, wonach Zwangsentfernungen grundsätzlich den Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Wohnung berühren. Sie klärt auch die Frage, welche Pflichten die Vertragsparteien im Hinblick auf die Sicherstellung dieses Grundrechts haben. Die Kammer hat diesbezüglich entschieden, dass Vertragsparteien Art. 8 EMRK verletzen, wenn sie keine Maßnahmen ergreifen, um Beeinträchtigungen des Rechts auf Achtung der Wohnung durch Private zu verhindern oder einzustellen.227 Sie müssen dabei nicht selbst Urheber einer Zwangsentfernung bzw. Aussperrung aus einer Wohnung sein.228 Die Feststellungen der Kammer zum Inhalt der staatlichen Grundrechtssicherungspflichten ist für die Frage, inwieweit das Recht auf Achtung der Wohnung vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt, insofern bedeutsam, als Zwangsentfernungen, die mit Entwicklungsvorhaben privater Träger einhergehen, regelmäßig nicht hoheitlich angeordnet werden. In dienungen bzw. die andauernde Aussperrung der Beschwerdeführer aus ihrem vor dem Krieg bewohnten Haus/Apartment, das Recht auf Achtung der Wohnung verletzten (vgl. Blentic´ ./. Republika Srpska, ebd., Para. 23 ff., insbes. Para. 24; „M. J.“ ./. Republika Srpska, Para. 21). Die Beschwerdeführer Blentic´ und „M. J.“ hatten vor dem Gericht Erster Instanz von Banja Luka Urteile erstritten, in denen dieses die zwangsweisen Entfernungen der Beschwerdeführer aus ihren Vorkriegswohnungen durch serbische (Bürgerkriegs)flüchtlinge bzw. Polizeikräfte für unzulässig erklärt und die Zwangsräumungen des „besetzten“ Hauses/Apartments sowie deren Rückgabe an die Herren Blentic´ und „M. J.“ angeordnet hatte (vgl. Blentic´ ./. Republika Srpska, Para. 8; „M. J.“ ./. Republika Srpska, Para. 7). – Zu diesen Fällen siehe Oellers-Frahm, S. 282 f. 225 Decision on the Merits, Case No. CH/97/40 – Sas ˇa Galic´ against The Federation of Bosnia and Herzegovina vom 12. Juni 1998, abrufbar unter . 226 Ebd., Para. 49. 227 Vgl. ebd., Para. 40, sowie „M. J.“ ./. Republika Srpska, Para. 27: „In the Chamber’s opinion the obligation effectively to secure respect for a person’s home implies that there must be effective machinery for protecting it against unlawful interference of the kind which the applicant has suffered. In particular there must be effective machinery for obtaining and enforcing court orders restoring possession where a person has been unlawfully evicted from his home.“ 228 Die Human Rights Chamber sah dementsprechend die unterlassene Unterstützung serbischer Behörden bei der Umsetzung der gerichtlichen Zwangsräumungsanordnung, durch die der unrechtmäßige „Besetzungszustand“ behoben werden sollte, als Verletzung des Rechts auf Achtung der Wohnung an; siehe „M. J.“ ./. Republika Srpska, Para. 40.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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sen Fällen trifft die Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Menschenrechtsvertrags, der das Grundrecht auf Achtung der Wohnung gewährleistet, die Pflicht, Zwangsentfernungen, die nicht dessen Anforderungen entsprechen, zu verhindern. Auch nach Art. 8 Abs. 1 EMRK bestehen also positive Schutzpflichten der Konventionsstaaten bezüglich des Rechts auf Achtung der Wohnung.229 cc) Schlussbemerkung zur Gewährleistung eines Bleiberechts nach Art. 8 EMRK Zwangsweise Entfernungen von der Wohnung greifen sowohl nach der Spruchpraxis der Straßburger Organe als auch nach der Jurisdiktion der Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegovina in das Recht auf Achtung der Wohnung nach Art. 8 EMRK ein. Dieses umfasst danach in seinem Schutzbereich ein menschenrechtliches Bleiberecht, das jedenfalls potenziell vor Zwangsentfernungen bzw. -umsiedlungen schützt. Die Anforderungen, die Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Rechtfertigung eines Eingriffs in das Recht auf Achtung der Wohnung stellt, entsprechen den Voraussetzungen, die für Beschränkungen der völkervertraglich gewährleisteten Wohnsitzfreiheit gelten230: Der Eingriff muss „gesetzlich vorgesehen“231 und „in einer demokratischen Gesellschaft [. . .] für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ notwendig im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sein.232 c) Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung nach Art. 11 Abs. 2 AMRK Die materiellrechtliche Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Wohnung in Art. 11 AMRK unterscheidet sich hinsichtlich des Schutzes, den dieses Recht vor Zwangsentfernungen bietet, nicht von den entsprechenden 229

Vgl. Frowein/Peukert, Artikel 8, Rdn. 9 (bez. Schutz des Privatlebens) und Rdn. 29 (bez. des Rechts auf Achtung der Wohnung). 230 Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. e). 231 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist unter „Gesetz“ im Sinne des Schrankenvorbehalts des Art. 8 EMRK sowohl legislatives als auch ungeschriebenes Recht zu verstehen. Vgl. Frowein/Peukert, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), Rdn. 57. 232 Ausführlich zur Interessenabwägung im Fall einer Beeinträchtigung des Art. 8 EMRK siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, A. III. 2.

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Grundrechtsverbürgungen des IPBPR und der EMRK. Auch Art. 11 AMRK, der in seiner Formulierung dem Wortlaut des Art. 17 IPBPR entspricht, ist als Abwehrrecht gegen zwangsweise Entfernungen von der Wohnung bzw. erzwungene Dislokationen gerichtet,233 sofern diese willkürlich oder missbräuchlich sind. Nach Art. 11 Abs. 3 AMRK hat jedermann Anspruch auf rechtlichen Schutz hiergegen. d) Schlussbemerkung zur Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts im Schutzbereich des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung Als Ergebnis der Untersuchung des völkervertraglich gewährleisteten Grundrechts auf Achtung der Wohnung ist festzuhalten, dass dieses in seinem Schutzbereich ein Bleiberecht umfasst, das zumindest gegen willkürliche und rechtswidrige Zwangsentfernungen von der Wohnung schützt.234 Der Begriff der Wohnung ist dabei weit auszulegen. Unter „Wohnung“ ist danach jede Räumlichkeit zu verstehen, „der eine gewisse Privatsphäre anhaftet“235. Daher sind auch Notunterkünfte in den Schutzbereich des Wohnungsgrundrechts einzubeziehen, sofern diese für eine gewisse Dauer als Wohnraum genutzt werden.236 Eine weite Auslegung des Wohnungsbegriffs ist wegen der Einordnung des Rechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung als fundamentales Menschenrecht237 geboten. 3. Das Eigentumsrecht als Grundlage für ein menschenrechtliches Bleiberecht Wenn man das menschenrechtliche Bleiberecht als das Recht auffasst, in der Wohnung, dem Haus und/oder auf dem eigenen Grund und Boden verbleiben zu können, kommen als Rechtsgrundlage für ein menschenrechtliches Bleiberecht auch völkerrechtliche Normen zum Schutz des Eigen233 So im Ergebnis auch Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation. 234 Zu den Kriterien, nach denen im Einzelnen zu entscheiden ist, ob eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung, gemessen an international anerkannten Grundrechten, ausnahmsweise gerechtfertigt ist, siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel. 235 Wildhaber, Art. 8, Rdn. 458 m. w. N. 236 Der UN-Menschenrechtsausschuss legt den Begriff der Wohnung in Art. 17 IPBPR ebenfalls weit aus. „Wohnung“ ist danach „the place where a person resides or carries out his usual occupation“. General Comment No. 16 (32), Para. 5. 237 Zur Einordnung des Rechts auf Unverletztlichkeit der Wohnung als grundlegendes Menschenrecht vgl. Rehof, S. 193.

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tumsrechts in Betracht. Das „Recht auf Eigentum“ zählt zwar nicht zu den „Wohnungsgrundrechten“ im engeren Sinne.238 Mit einer zwangsweisen Entfernung von der Wohnstätte geht aber häufig der Verlust von Wohn- und Sacheigentum einher. Dies kann für die betroffenen Personen zu einer ernsthaften Existenzbedrohung führen. Es liegt daher nahe, den Schutzgehalt des Eigentumsrechts daraufhin zu untersuchen, ob auch dieses als Abwehrrecht gegen eine entwicklungsbedingte Zwangsentfernung gerichtet ist. Das Eigentumsrecht ist schon seit Jahrhunderten als fundamentales Recht eines Menschen anerkannt.239 Im universellen Völkermenschenrecht ist es aber trotz seiner frühen Anerkennung als Menschenrecht nach wie vor nur indirekt normativ geschützt: Eine Reihe internationaler Verträge setzen zwar voraus, dass das Eigentumsrecht völkerrechtlich gewährleistet ist, wenn die Verträge zum Schutz bestimmter Personengruppen ein Gleichbehandlungsgebot hinsichtlich des Eigentumsschutzes festschreiben.240 Als eigenständiges Menschenrecht garantieren sie es aber nicht. Auch in den UN-Menschenrechtspakten von 1966, dem IPBPR und IPWSKR ist das Eigentumsrecht als solches nicht explizit juristisch geschützt.241 Einzig die AEMR proklamiert ein Menschenrecht auf Eigentum.242 – Nach Art. 17 Abs. 1 AEMR hat jeder das Recht, „sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.“ Gemäß Art. 17 Abs. 2 AEMR darf niemand willkürlich seines Eigentums beraubt werden. – Rechtlich verbindlich ist diese Norm aber nicht.243 Im regionalen Völkermenschenrecht verhält es sich mit dem rechtlichen Schutz des Eigentumsrechts besser.244 Es ist in den drei zentralen regionalen Menschenrechtsverträgen gewährleistet: Nach Art. 1 Uabs. 1 S. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (ZP 1 zur EMRK)245 hat „[j]ede natürliche 238

Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, I. 3. Vgl. Paul Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 130. John Locke zählte in seinen Abhandlungen „Two treatises of government“ 1690 das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums zu den heiligsten aller Menschenrechte („most sacred of all the Rights of Man“) bzw. zu den obersten Rechtsgütern; vgl. ebd. 240 Siehe z. B. Art. 5 d) v) des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 (künftig Rassendiskriminierungsübereinkommen), BGBl. 1969 II, S. 961 (967); in: Bundeszentrale, S. 106; Art. II d) Apartheid-Konvention. 241 Zur Behandlung des Eigentumsrechts in den Vorarbeiten für die UN-Menschenrechtspakte siehe Rudolf Dolzer, Eigentum, Enteignung und Entschädigung im geltenden Völkerrecht, 1985, S. 85–94. 242 Ausführlich zum Schutz des Eigentums in der AEMR siehe ebd., S. 76–85. 243 Zur rechtlichen Bindungswirkung der AEMR siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b) bb). 244 Ausführlich zum Eigentumsrecht in regionalen Menschenrechtskonventionen siehe Dolzer, Eigentum, S. 94 ff. 239

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oder juristische Person [. . .] das Recht auf Achtung ihres Eigentums.“246 Art. 21 Abs. 1 AMRK verbürgt jedem „das Recht, sein Eigentum zu nutzen und zu genießen.“247 Art. 14 S. 1 Banjul-Charta garantiert schließlich das „Recht auf Eigentum“ (right to property). Fraglich ist, ob zu den Gewährleistungen des Eigentumsrechts, wie es in diesen Normen festgeschrieben ist, ein menschenrechtliches Bleiberecht zählt, das gegen Zwangsentfernungen gerichtet ist. a) Die teleologische Bestimmung des Schutzgehalts des Eigentumsrechts Die Antwort auf diese Frage erschließt sich aus Sinn und Zweck des menschenrechtlichen Eigentumsschutzes: Das „Recht auf Eigentum“ soll dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm so eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen.248 Es soll die Autonomie des Eigentümers sowie dessen – auch wirtschaftliche – Betätigungsfreiheit garantieren.249 Für viele Menschen stellt das Eigentum die Grundlage ihrer Produktionssysteme, ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. ihrer materiellen Existenz, mithin die Basis für die menschliche Subsistenz dar. Hieraus folgt mit logischer Konsequenz, dass das Eigentumsrecht jedenfalls dann als Abwehrrecht gegen Zwangsentfernungen gerichtet ist, wenn diese zum Verlust von Immobiliar-, gegebenenfalls auch Mobiliareigentum führen. Das Eigentumsrecht entfaltet seine Schutzwirkung dabei nicht nur gegenüber Zwangsentfernungen, bei denen der damit einhergehende Eigentumsverlust gleichbedeutend mit dem Verlust der materiellen Lebensgrundlage ist – insbesondere unfreiwillige Umsiedlungen von Landwirten haben häu245 Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952, BGBl. 2002 II, S. 2072; in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 360–361. 246 Dass das Eigentum nicht in der EMRK selbst, sondern erst in dem Zusatzprotokoll festgeschrieben ist, zeigt, wie schwierig es ist, das Eigentumsrecht völkervertraglich zu schützen: Die Parteien, die an den Vertragsverhandlungen zur EMRK beteiligt waren, konnten sich nicht auf die Formulierung einer Eigentumsgarantie einigen. Sie konnte daher erst in einem Zusatzprotokoll zur EMRK erfolgen. Vgl. Joachim Wieland, in: Dreier, Bd. I, Art. 14 Rdn. 17. – Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Art. 1 ZP 1 zur EMRK siehe Dolzer, Eigentum, S. 94–98. 247 Siehe auch Art. XXIII AERPM – Right to property: „Every person has a right to own such private property as meets the essential needs of decent living and helps to maintain the dignity of the individual and of the home.“ 248 Vgl. Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 7. Aufl., 2004, Art. 14 – Eigentumsgarantie und Erbrecht, Rdn. 1, mit Rechtsprechungsnachweisen. 249 Ebd.

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fig diese Folge.250 Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums kann auch dann vor Zwangsevakuierungen schützen, wenn die betroffene Immobilie zwar nicht die Grundlage für die materielle Existenz der umzusiedelnden Personen bildet, ihr Erwerb aber Teil der persönlichen Lebensgestaltung der Betroffenen war. Denn Immobiliareigentum stellt nicht nur die Basis für eine wirtschaftliche Tätigkeit bzw. Existenzsicherung dar. Es ist darüber hinaus auch „Medium von Heimat und Umwelt“251. Mit dem Erwerb von Grund- und Wohnungseigentum trifft der künftige Eigentümer der Immobilie – vorausgesetzt, dass er dieses nicht nur als Kapitalanlage erwirbt, sondern selbst bezieht –, eine Entscheidung für einen bestimmten Wohnraum, an dem er einen Teil seines Lebens verbringen möchte. In dem Grundstücks- bzw. Wohnungseigentumserwerb manifestiert sich also die Entscheidung für einen bestimmten Lebensraum. Hieraus erklärt sich, warum auch das Eigentumsrecht in seinem Schutzbereich ein menschenrechtliches Bleiberecht umfasst. b) Die Jurisdiktion der Straßburger Spruchkörper zum Eigentumsschutz nach Art. 1 ZP 1 zur EMRK Die Spruchpraxis der Vertragsorgane der EMRK bestätigt, dass das menschenrechtliche Bleiberecht zu den Gewährleistungen der Eigentumsgarantie zählt. Stellvertretend für die diesbezügliche Jurisdiktion der Europäischen Menschenrechtskommission und des EGMR sei das bereits angesprochene Urteil in der Sache Cyprus ./. Turkey vom 10. Mai 2001 angeführt, das auf einer Linie mit der älteren Rechtsprechung der Straßburger Spruchkörper zur Eigentumsgarantie, insbesondere der Entscheidung in der Sache Loizidou ./. Turkey, liegt.252 250 Aus diesem Grunde birgt die zwangsweise Entfernung von Landwirten von deren Grund und Boden besonders große Verarmungsrisiken, wie anthropologische Studien gezeigt haben. Siehe z. B. Cernea, Risks, S. 23 f. 251 Otto Depenheuer, Artikel 14, in: Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Bd. 1: Präambel, Artikel 1 bis 19, 1999, Art. 14 Rdn. 7. 252 In seinem Urteil in der Sache Cyprus ./. Turkey vom 10. Mai 2001, Application No. 25781/94, Para. 187, nimmt der EGMR ausdrücklich auf sein Urteil in der Sache Loizidou ./. Türkei vom 28. November 1996, Application No. 15318/89, Bezug. – Aus dem Urteil des Gerichtshofs in der Sache Loizidou ./. Turkey (merits), ebd., ist folgende Passage relevant: „However, as a consequence of the fact that the applicant has been refused access to the land since 1974, she has effectively lost all control over, as well as all possibilities to use and enjoy, her property. The continuous denial of access must therefore be regarded as an interference with her rights under Article 1 of Protocol No. 1 (P1-1). Such an interference [. . .] clearly falls within the meaning of the first sentence of that provision (P1-1) as an interference with the peaceful enjoyment of possessions. In this respect the Court observes that

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In seinem Urteil vom Mai 2001 hat der EGMR eine Verletzung Eigentumsrechts der Beschwerdeführer darin gesehen, dass die Türkei vertriebenen Zyprioten den Zugang zu und die Kontrolle über den brauch und den Genuss ihres Eigentums sowie Entschädigung für die einträchtigung ihres Eigentumsrechts versagt hatte.253

des den GeBe-

Eine Zwangsumsiedlung hat häufig zur Folge, dass den betroffenen Personen Eigentumspositionen entzogen und damit die durch Art. 1 ZP 1 zur EMRK zugesicherte Möglichkeit, Eigentum zu nutzen, dauerhaft zunichte gemacht wird. Insofern schützt auch das Eigentumsrecht – jedenfalls potenziell – vor zwangsweisen Entfernungen von der Wohnung, dem Haus und dem Grund und Boden.254 Dieser Schutz kommt auch Personen zugute, die von einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung betroffen sind. Ob das Eigentumsrecht effektiv vor einer unfreiwilligen Umsiedlung schützt, d.h., ob im konkreten Fall eine drohende Zwangsentfernung unzulässig ist, kann erst bestimmt werden, wenn die Grundrechtsschranke des Art. 1 Abs. 2 ZP 1 zur EMRK mitberücksichtigt wird.255 c) Die Jurisdiktion des AGMR zu Art. 21 AMRK: das Urteil in der Sache Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua Für die Bestimmung der potenziellen Reichweite des Schutzes, den das Eigentumsrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen bietet, ist auch das bahnbrechende Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs in der Sache Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua vom 31. August 2001 relevant.256 Der AGMR hat darin erstmals entschieden, dass sich der Schutz des Eigentumsrechts nach Art. 21 AMRK hindrance can amount to a violation of the Convention just like a legal impediment.“ (Ebd., Para. 63). 253 Application No. 25781/94, Para. 189: „[T]he Court concludes that there has been a continuing violation of Article 1 of Protocol No. 1 by virtue of the fact that Greek-Cypriot owners of property in northern Cyprus are being denied access to and control, use and enjoyment of their property as well as any compensation for the interference with their property rights.“ Siehe auch die entsprechende Schlussfolgerung der Europäischen Menschenrechtskommission, ebd., Para. 322. 254 Vgl. im Ergebnis auch Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation, deren Verfasser in Art. 1 ZP 1 zur EMRK ein Zwangsumsiedlungsverbot ( prohibition against forced relocation) verankert sehen. 255 Siehe hierzu unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3. d). 256 Corte Interamericana de Derechos Humanos, Caso de la Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni vs. Nicaragua (künftig Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua), Urteil vom 31. August 2001, Inter-Am. Ct. H. R. (Ser. C) No. 79. Die Entscheidung ist auf der Website des AGMR abrufbar unter .

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nicht nur auf Privat-, sondern auch auf Gemeinschaftseigentum („propiedad comunal“) erstreckt. Der Entscheidung lag eine Menschenrechtsbeschwerde der Awas Tingni zu Grunde, einer indigenen Gemeinde mit ungefähr 630 Mitgliedern, die seit mehreren Generationen an der Atlantikküste Nicaraguas angesiedelt ist. Die Beschwerde richtete sich dagegen, dass die Republik Nicaragua einem koreanischen Unternehmen eine 30-jährige Lizenz zum Fällen von Bäumen erteilt hatte, die sich auf einem 62.000 Hektar großen Regenwald befinden, welcher der angestammte Lebensraum der Awas Tingni ist. Die nicaraguanische Regierung hatte die Beschwerdeführer vor Aufnahme der Vertragsverhandlungen mit dem ausländischen Unternehmen nicht über die geplante Lizenzvergabe informiert. Nachdem die Awas Tingni von den bevorstehenden Forstarbeiten Kenntnis erlangt hatten, haben sie sich gegen die Ausnutzung ihres indigenen Landes zur Wehr gesetzt: Sie versuchten zum einen, ihre Rechte im Wege von Streitschlichtungsverfahren in Nicaragua durchzusetzen; zum anderen haben sie bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission im Oktober 1995 eine Beschwerde eingereicht. Die Kommission hat die Sache im Juni 1998 vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht.257 Der Gerichtshof hat Art. 21 AMRK, der in seiner ursprünglichen Fassung ausdrücklich nur das Recht auf Privateigentum vorsah,258 zugunsten indigener Gemeinden weit ausgelegt. Die entscheidende Passage ist in Abschnitt 148 des Urteils enthalten, in welchem der Gerichtshof erklärt: „[E]sta Corte considera que el artículo 21 de la Convención protege el derecho a la propiedad en un sentido que comprende, entre otros, los derechos de los miembros de las comunidades indígenas en el marco de la propiedad comunal, la cual también está reconocido en la Constitución Politíca de Nicaragua.“259 257 Ausführlich zu den Hintergründen der Beschwerde und ihrer Behandlung durch die Interamerikanische Menschenrechtskommission sowie zur Entscheidung des AGMR siehe Claudio Grossman, Awas Tingni v. Nicaragua: A Landmark Case for the Inter-American System, in: Human Rights Brief 8 (Spring 2001), S. 2 ff. – Zum Rechtsschutzsystem der AMRK siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 258 Vgl. Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua, Para. 145. – Art. 21 Abs. 1 AMKR lautet in der aktuellen Fassung: „Jeder hat das Recht, sein Eigentum zu nutzen und zu genießen. Das Recht kann die Nutzung und den Genuß des Eigentums den Interessen der Gesellschaft unterordnen.“ 259 Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua, Para. 148 (Hervorh. d. Verf.). Die Passage lautet in inoffizieller Übersetzung der Verf.: „Dieser Gerichtshof ist der Ansicht, dass Art. 21 AMRK das Recht auf Eigentum in dem Sinne schützt, dass dieses – unter anderem – die Rechte der Mitglieder indigener Gemeinden auf Gemeinschaftseigentum umfasst, das auch in der politischen Verfassung Nicaraguas anerkannt ist.“

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Zur Begründung der dynamischen Auslegung von Art. 21 AMRK hat der AGMR unter anderem angeführt, dass die einschlägigen Regeln über die Interpretation internationaler Menschenrechtsinstrumente eine restriktive Auslegung von Menschenrechten verbiete.260 Er hat sich dabei auf Art. 29b AMRK berufen,261 der besagt: „Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahingehend ausgelegt werden, daß sie [. . .] b) den Genuß oder die Ausübung von Rechten oder Freiheiten einschränkt, die durch das Recht eines Vertragsstaates oder durch ein anderes Übereinkommen, dem einer der genanten Staaten beigetreten ist, garantiert sind.“

Mit seiner „weiterentwickelnden Auslegung“ (interpretación evolutiva) der Eigentumsvorschrift in der AMRK hat der AGMR zweierlei berücksichtigt: Die Mehrzahl der indigenen Völker sehen nicht das Individuum, sondern dessen Verbindung mit der Gemeinschaft im Mittelpunkt ihrer Lebensgestaltung. Der kulturelle und wirtschaftliche Fortbestand einer indigenen Gemeinde hängt sowohl von der Nutzung des Landes ab, auf dem sie traditionell leben, als auch davon, dass sie ihre enge Beziehung zu diesem Lebensraum aufrecht erhalten können.262 Indem er das spezielle Eigentumskonzepts indigener Gemeinden (concepto de propiedad en las comunidades indígenas) anerkannte, hat der AGMR eine Lücke in der AMRK geschlossen263 und damit wesentlich zur Stärkung des menschenrechtlichen Schutzes indigener Gemeinden vor einer Nutzung ihres Landes ohne ihre Zustimmung beigetragen. Die Klarstellung des Gerichtshofs, dass sich der Schutz des Eigentumsrechts nach Art. 21 AMRK auch auf Gemeinschaftseigentum indigener Gemeinden erstreckt, ist insofern auch für den Menschenrechtsschutz vor unfreiwilligen Umsiedlungen im Kontext von Entwicklungsvorhaben relevant. Dies gilt unabhängig davon, dass der Gerichtshof in der Sache nicht über die menschenrechtliche 260 Ebd., Para. 148: „Mediante una interpretación evolutiva de los instrumentos internacionales de protección de derechos humanos, tomando en cuenta las normas de interpretación aplicables y, de conformidad con el artículo 29.b de la Convención – que prohíbe una interpretación restrictiva de los derechos – [. . .].“ 261 Ebd. 262 Zu diesem Aspekt des Urteils siehe Camilo Pérez Bustillo, Towards International Poverty Law?: The World Bank, Human Rights, and Indigenous Peoples in Latin America, in: Willem Van Genugten u. a. (Hrsg.), World Bank, IMF and Human Rights, 2003, S. 157 (188 ff.). – Zu den landgebundenen Bedürfnissen indigener und in Stämmen lebender Völker siehe ausführlich unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, A. 263 Die AMRK schreibt „Minderheitenrechte“ nicht ausdrücklich fest. Als die AMRK 1969 angenommen wurde, haben die lateinamerikanischen Staaten gegenüber „Minderheiten“ einen integrierenden Ansatz vertreten. Spezielle Rechte für Angehörige indigener Völker oder sonstiger gefährdeter Minderheiten wurden daher nicht ausdrücklich in der AMRK normiert.

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Zulässigkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen zu befinden hatte. Die diesbezügliche Bedeutung des Awas-Tingni-Urteils hat Bustillo beschrieben: „The decision is . . . noteworthy because it sets a regional precedent which is a potentially historical landmark arguably applicable to similar struggles of indigenous communities against the incursion of transnational corporate interests into their lands, and exploitation of the resources within them, such as that of the peoples of the Amazonian basin region in Ecuador, the U’Wa in Colombia, Mayans in Chiapas, etc.“264

Aus alledem folgt, dass indigene Gemeinden, die auf dem amerikanischen Kontinent leben, einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung, die zu dem Zwecke erfolgt, Platz für die (wirtschaftliche) Nutzung indigenen Landes zu schaffen, künftig das Eigentumsrecht aus Art. 21 AMRK entgegenhalten können. Es ist kein Grund ersichtlich, die Eigentumsvorschrift der EMRK und der Banjul-Charta nicht entsprechend der AwasTingni-Entscheidung ebenfalls evolutionär auszulegen. d) Die Gewährleistungsschranken eines dem Eigentumsrecht immanenten Bleiberechts Die Organe völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge haben den sachlichen und persönlichen Schutzbereich des Eigentumsrechts in den vergangenen Jahren zwar durch ihre Entscheidungspraxis zugunsten des Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen bzw. -umsiedlungen maßgeblich erweitert. Der Schutz, den das Eigentumsrecht vor unfreiwilligen Umsiedlungen im Kontext von Entwicklungsvorhaben bietet, ist aber ebenso wie der entsprechende Schutz, den die Wohnungsgrundrechte gewähren, nur relativ. Ob das Eigentumsrecht effektiv vor Zwangsumsiedlungen schützt, die mit Entwicklungsvorhaben einhergehen, hängt von den Schrankenvorbehalten der Art. 1 Uabs. 1 S. 2 ZP 1 zur EMRK, Art. 21 Abs. 2 AMRK und Art. 14 S. 2 Banjul-Charta ab. Nach Art. 1 Uabs. 1 S. 2 ZP 1 zur EMRK darf niemandem sein Eigentum entzogen werden, „es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.“265 264

Pérez Bustillo, Poverty Law, S. 189. Frowein/Peukert zufolge ist unter Gesetz i. S. des Art. 1 zur EMRK – entsprechend der Rechtsprechung des EGMR zu behalten bez. der Art. 8 bis 10 EMRK – sowohl legislatives als nes Recht zu verstehen. Siehe Frowein/Peukert, Artikel 1 des Eigentums), Rdn. 56. 265

Uabs. 1 S. 2 ZP 1 den Schrankenvorauch ungeschriebe1. ZP (Schutz des

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Gemäß Art. 21 Abs. 2 AMRK ist ein Eigentumsentzug nur zulässig „gegen Zahlung einer gerechten Entschädigung, zu Zwecken der öffentlichen Versorgung oder des sozialen Interesses und in den gesetzlich festgelegten Fällen und entsprechend den gesetzlichen Verfahren“.

Auch Eingriffe in das Eigentumsrecht, wie es in der Banjul-Charta festgeschrieben ist, sind nach Art. 14 S. 2 Banjul-Charta nur zulässig, wenn hierfür ein dringendes öffentliches Bedürfnis vorliegt oder ein allgemeines öffentliches Interesse besteht und der Eingriff mit den Vorschriften der Enteignungsgesetze übereinstimmt.266 aa) Die allgemeinen Grenzen des Eigentumsrechts als „Garant“ eines Bleiberechts McFadden spricht dem internationalen Grundrecht auf Eigentum in seinem Aufsatz über den normativen Schutz eines menschenrechtlichen Bleiberechts (right to stay) angesichts dieser Einschränkungsmöglichkeiten lediglich die Fähigkeit zu, das Bleiberecht zu unterstützen; garantieren könne es dieses nicht.267 Dem ist entgegenzuhalten, dass das Eigentumsrecht, was seine Schrankenvorbehalte anbetrifft, gegenüber dem Recht auf Achtung der Wohnung bzw. auf freie Wahl des Wohnsitzes keine Besonderheit aufweist. Auch der durch sie gewährleistete Schutz, zu denen der normative Schutz des Bleiberechts zählt, ist nur relativ.268 Die Bedenken, die McFadden an der effektiven Schutzwirkung des Eigentumsrechts hinsichtlich Zwangsentfernungen hat, betreffen vielmehr eine Hauptschwäche des juristischen Menschenrechtsschutzes im Allgemeinen und ein Kernproblem des menschenrechtlichen Schutzes gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen im Besonderen: Die normativen Kriterien, anhand derer zu entscheiden ist, ob sich international anerkannte Grundrechte, die ein Bleiberecht verbürgen, im Einzelfall gegenüber den Interessen durchsetzen, die zur Rechtfertigung einer Zwangsentfernung angeführt werden, sind vage. Dies trifft insbesondere auf die unbestimmten Rechtsbegriffe wie „öffentliches Interesse“, „Gemeinwohlinteresse“, „öffentliches Bedürfnis“ und „öffentliche Ordnung“ in den Beschränkungsklauseln zu, die der Auslegung bedürfen. 266 Art. 14 S. 2 Banjul-Charta lautet in der englischen Fassung: „[The right to property] [. . .] may only be encroached upon in the interest of public need or in the general interest of the community and in accordance with the provisions of appropriate laws.“ 267 McFadden, S. 30: „In sum, the right to stay is promoted, but far from guaranteed, by an international right to private property.“ 268 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. e) bzw. A. I. 2. d).

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Effektiven Rechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen können die Menschenrechte, die ein Bleiberecht umfassen, nur bieten, wenn die Kriterien der Schrankenbestimmungen nicht zu unpräzise bleiben, „um jenes Prinzip der Gewissheit anwenden zu können, das ein juristisches System braucht, um Recht und Unrecht unparteilich bestimmen zu können“269. Erste Bemühungen um eine entsprechende Präzisierung der Rechtfertigungskriterien sind in den vergangenen Jahren bereits unternommen worden. Sie werden später zusammen mit eigenen Präzisierungsvorschlägen der Verfasserin ausführlicher dargestellt.270 bb) Die Eingriffsvoraussetzung einer gerechten Entschädigung Von den drei völkervertraglichen Vorschriften, die das Eigentumsrecht schützen, schreibt allein Art. 21 Abs. 2 AMRK ausdrücklich die Zahlung einer gerechten Entschädigung als Voraussetzung für einen rechtmäßigen Eigentumsentzug vor.271 Daraus folgt aber nicht, dass entschädigungslose Enteignungen, die mit einer Zwangsentfernung einhergehen, gemessen an Art. 1 ZP 1 zur EMRK und Art. 14 Banjul-Charta zulässig sind.272 Denn ein so genanntes „self-contained regime“ der Grundrechtsbeschränkungen existiert im Völkerrecht nicht. Neben den geschriebenen Voraussetzungen für legitime Eingriffe in völkervertraglich garantierte Grundrechte sind vielmehr stets auch ungeschriebene, dem System der Konventionen inhärente Schranken zu beachten. Zu ihnen zählen unter anderem die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts.273 Auch zum Eigentumsschutz haben sich – im Rahmen des völkerrechtlichen Fremdenrechts – allgemeine Völkerrechtsgrundsätze entwickelt. Danach hängt die Entziehung des Eigentums von Ausländern vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ab, den so genannten Mindeststandards.274 Deren Umfang ist zwar – insbesondere hinsichtlich entwicklungsbedingter Entziehungen von Grund und Boden – im Einzelnen umstritten.275 Unstreitig ist aber, dass die staatliche Entschädigungspflicht bei Entziehung 269

Bobbio, S. 30. Siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel. 271 Siehe Art. 21 Abs. 2 AMRK. 272 Zur diesbez. Kritik an Art. 1 ZP 1 zur EMRK sowie Art. 14 Banjul-Charta hinsichtlich der Gewährleistung eines Bleiberechts siehe McFadden, S. 30. 273 Vgl. Frowein/Peukert, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), Rdn. 60. 274 Vgl. Rudolf Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 6. Abschn. Rdn. 43 f. 275 Ausführlicher hierzu siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, B. 270

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des Eigentums von Ausländern zum völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard gehört.276 Der EGMR hat klargestellt, dass Art. 1 ZP 1 zur EMRK die völkerrechtlichen Eigentumsrechte von Ausländern nicht eingeschränkt habe.277 Diese können vielmehr direkt vor den Organen der EMRK ihre diesbezüglichen Rechte geltend machen. Die Entziehung von Eigentum eines Ausländers ist folglich einer Prüfung am Maßstab der allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze zum Eigentumsschutz durch den EGMR zugänglich.278 Inländer können zwar nach der Entscheidungspraxis der Straßburger Spruchkörper aus der Verweisung auf diese Grundsätze keinen Anspruch auf Entschädigung ableiten. Ihnen ist die Berufung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts gegenüber ihrem eigenen Staat verwehrt.279 Hieraus folgt aber nicht, dass Art. 1 ZP 1 zur EMRK Inländer nicht gegenüber entschädigungslosen Enteignungen schützt, wie Frowein und Peukert in ihrer EMRK-Kommentierung klargestellt haben: „Während der Anspruch auf Enteignungsentschädigung bei Ausländern aus der Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts folgt, haben auch Inländer grundsätzlich Anspruch auf Enteignungsentschädigung, nur folgt dieser Anspruch nicht ebenfalls aus dieser Verweisung, sondern er ist, wie auch das Recht der Vertragsstaaten zeigt, der Eigentumsgarantie inhärent und ergibt sich aus der Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit. Fehlt es nämlich an einer Entschädigung, wird sich eine Enteignung in der Regel als unverhältnismäßiges, unzumutbares Sonderopfer erweisen.“280 Der EGMR hat dies in dem Urteil Noack et autres c. Allemagne ausdrücklich bezüglich Enteignungsmaßnahmen erklärt, die mit groß angelegten öffentlichen Projekten einhergehen, und damit seine Entscheidungspraxis zu Art. 1 ZP 1 zur EMRK bestätigt: „La Cour rappelle que selon la jurisprudence bien établie de la Cour, toute ingérence, y compris celle résultant de mesures d’expropriation tendant à la réalisation de grands projets de travaux publics, doit ménager un ‚juste équilibre‘ entre les exigences de l’intérêt général et les impératifs de la sauvegarde des droits fondamentaux de l’individu. Aux fins d’apprécier si un tel ‚juste équilibre‘ a été préservé entre les divers intérêts en cause, la Cour doit avoir égard aux modalités d’indemnisation prévues par 276 Vgl. Dolzer, Wirtschaft, 6. Abschn. Rdn. 44; Frowein/Peukert, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), Rdn. 60. 277 Vgl. Frowein/Peukert, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), Rdn. 60 m. w. N. 278 Vgl. ebd., Rdn. 61. 279 Vgl. ebd., Rdn. 60 mit Rechtsprechungsnachweisen. 280 Ebd., Rdn. 84.

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la législation nationale et à la manière dont elles ont été appliquées dans le cas des requérants.“281

Hieraus folgt, dass der Schutz des Eigentumsrechts gemäß Art. 1 ZP 1 zur EMRK in den Fällen, in denen dieses Recht durch einen Eigentumsentzug beeinträchtigt wird, nur unter Zahlung einer Entschädigung zulässig ist. Entsprechendes muss auch für die Prüfung der Entziehung von Eigentum am Maßstab des Art. 14 Banjul-Charta gelten. Das universelle Völkerrecht kennt eine Gewährleistung des Eigentums der eigenen Staatsangehörigen als menschenrechtlichen Schutzstandard bisher nicht.282 Gegenüber ihrem eigenen Staat können Bürger völkerrechtlichen Eigentumsschutz, zu dem im Falle einer Enteignung der Entschädigungsanspruch zählt, daher nur unter Berufung auf Eigentumsgarantien in regionalen Menschenrechtskonventionen begehren. Wie eine Entschädigung im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsentfernung mit Eigentumsentzug auszusehen hat, damit sie der Bedeutung des Eigentumsrechts für die Betroffenen angemessen Rechnung trägt, ist in Literatur und Praxis nach wie vor umstritten.283 Die Kontroverse kreist unter anderem um die Frage, ob das geltende völkerrechtliche Menschenrecht in den Fällen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen eine Land-fürLand-Entschädigung vorschreibt.284 Zu den bisher ungeklärten Problemen 281 Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 3, S. 533 (Hervorh. d. Verf.) – Der EGMR hat die Menschenrechtsbeschwerde, soweit sie sich auf die Verletzung des Eigentumgsrechts stützte, im Ergebnis allerdings wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs als unzulässig zurückgewiesen. Die Grundabtretungsverfahren hatten nämlich erst begonnen; die Enteignungen und die Rechtsbehelfe dagegen standen teilweise noch aus. Siehe ebd. 282 Vgl. den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2004, dem eine Verfassungsbeschwerde zugrunde lag, welche die Vereinbarkeit der Enteignungen in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 mit dem Völkerrecht betraf, BVerfG, 2 BvR 955/00 vom 26.10.2004, Absatz-Nr. 119: „Das universelle Völkerrecht kannte und kennt eine Gewährleistung des Eigentums der eigenen Staatsangehörigen als menschenrechtlichen Schutzstandard nicht. Zwar wurde im Jahr 1948 in Art. 17 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [. . .] festgelegt, dass ‚[n]iemand [. . .] willkürlich seines Eigentums beraubt werden‘ darf, doch stellt die Allgemeine Erklärung kein verbindliches Völkerrecht dar. Wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen West und Ost fand das Eigentum auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte [. . .] keine Erwähnung. Angesichts dieses Zögerns der Internationalen Gemeinschaft, eine vertragliche Bindung einzugehen, kann von einer weltweit geltenden gewohnheitsrechtlichen Norm menschenrechtlichen Eigentumsschutzes, also zu Gunsten nicht nur fremder Staatsangehöriger, sondern auch der eigenen Bürger, nicht gesprochen werden.“ 283 Zu den unterschiedlichen Ansichten, die bez. des „Wie“ und „Wie viel“ der zum sog. Mindeststandard zählenden staatlichen Entschädigungspflicht vertreten werden, siehe Dolzer, Wirtschaft, 6. Abschn. Rdn. 44.

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zählt auch, ob der internationalrechtliche Entschädigungsanspruch nur im Fall des Entzuges rechtlich geschützter Eigentumspositionen entsteht. Diese Frage ist insbesondere in den Fällen unfreiwilliger Umsiedlungen indigener Gemeinden bedeutsam. Die Landrechte indigener und in Stämmen lebender Völker sind nämlich meist nicht positiv-rechtlich geschützt. 4. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung a) „Erstgenerationsrechte“ versus „Zweitgenerationsrechte“: Charakter und Zielrichtung Bisher waren nur solche internationale Grundrechte Gegenstand der Untersuchung des normativen Schutzes eines menschenrechtlichen Bleiberechts, die der Kategorie der Menschenrechte der „ersten Generation“285 angehören. Angesichts der Zielrichtung, die „Erstgenerationsrechte“ traditionell haben, lag es nahe, zunächst „Wohnungsgrundrechte“, die zu dieser Gruppe zählen, daraufhin zu analysieren, ob sie als Rechtsgrundlage für ein Bleiberecht taugen: Denn die Kategorie der Menschenrechte der „ersten Generation“ umfasst die klassischen Freiheitsrechte, die den so genannten status negativus sichern, indem sie gegen mögliche Eingriffe, Einschränkungen, Beschränkungen oder Verletzungen bestimmter Freiheiten, Freiräume, Freiheitsrechte oder Rechtsgüter schützen, die der freien Verfügung des Einzelnen überlassen sind.286 Die Untersuchung von Inhalt und Reichweite des Menschenrechtsschutzes vor Zwangsumsiedlungen kann aber damit nicht enden. Es ist vielmehr zu fragen, ob das Bleiberecht normativ auch durch Menschenrechte geschützt ist, die zur Kategorie der Rechte der „zweiten Generation“287 zählen. Dies drängt sich zwar angesichts des Charakters und der traditionellen 284 Ausführlich hierzu unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, B sowie Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 4. b). 285 Vgl. zu diesem Begriff statt vieler Riedel, Einleitung, S. 26. 286 Der aus der deutschen Grundrechtsdogmatik bekannte Begriff „status negativus“ ist auch bez. internationaler Grundrechte anerkannt; siehe z. B. Bobbio, S. 16: „Zunächst wurden die Freiheitsrechte eingefordert: die Rechte, die auf die Einschränkung der Staatsmacht abzielen und dem Individuum oder besonderen Gruppen eine Sphäre der Freiheit vom Staat verschaffen.“ Siehe auch Stephen P. Marks, Emerging Human Rights: A New Generation for the 1980’s?, in: Rutgers Law Review 33 (1981), S. 435 (438); The politics of human rights, in: The Economist, 18. August 2001, S. 9: „First-generation rights are said to be ‚negative liberties‘ (freedoms from, rather than freedoms to). Negative liberties, since they call for acts of omission rather than commission.“ 287 Vgl. zu diesem Begriff statt vieler Riedel, Einleitung, S. 26.

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Funktion dieser Menschenrechte nicht auf. Sie sind nämlich ursprünglich als Anspruchs-, Forderungs- bzw. Leistungsrechte konzipiert worden.288 Entsprechend finden sich in der Gruppe der „Rechte der zweiten Generation“ wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Rechte). Die historisch begründete Einteilung der Menschenrechte in bürgerliche und politische Rechte einerseits und WSK-Rechte andererseits289 mit jeweils unterschiedlichen Verpflichtungsmodi wird indes heute nicht mehr in der ursprünglichen Strenge aufrechterhalten.290 Es hat sich vielmehr die Auffassung durchgesetzt, dass alle Menschenrechte in Wechselbeziehung zueinander stehen bzw. unteilbar sind291 und eine scharfe Trennung zwi288 Vgl. hinsichtlich der im IPWSKR gewährleisteten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte Matthew Craven, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Raija Hanski/Markku Suksi (Hrsg.), An Introduction to the International Protection of Human Rights, 2. Aufl., 1999, S. 101 (109): „It is often presumed . . . that the principal dimension of the rights is in their legitimization of claims against the State for the provision of certain social benefits whether it be housing, social security, food, employment, health care or education.“ Siehe auch Bobbio, S. 16: „Schließlich wurden die sozialen Rechte proklamiert, in denen sich neue Bedürfnisse, wir können ruhig auch sagen: Werte, ausdrücken [. . .]. Hier könnte man von Freiheit durch oder mit Hilfe des Staates sprechen.“ Siehe auch Marks, S. 438. 289 Zu den historischen Gründen siehe z. B. Michael Windfuhr, Die vergessenen Rechte, in: DIE ZEIT, Nr. 52, 20. Dezember 1996, S. 7. 290 Siehe auch die Banjul-Charta, die als erstes internationales Menschenrechtsabkommen bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in einem Instrument zusammenfasst. – NGOs haben in den vergangenen Jahrzehnten vorgeschlagen, neben dem IPBPR und dem IPWSKR einen dritten internationalen Menschenrechtspakt zu verabschieden, welcher die so genannten „Solidaritätsrechte der dritten Generation“ („third generation solidarity rights“) festschreiben soll. Hierzu zählen unter anderem das Recht auf Frieden, auf eine gesunde Umwelt, auf humanitäre Hilfe und auf Entwicklung; siehe Riedel, Einleitung, S. 26–31. Ausführlich zu den „Drittgenerationsrechten“ siehe auch Marks, S. 435–452. – Zum „Recht auf Entwicklung“ siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. a) sowie Drittes Kapitel, B. II. 291 Zur Unteilbarkeit der Menschenrechte vgl. insbes. die Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights, Maastricht, January 22–26, 1997 (künftig Maastricht Guidelines), Abschn. I – The Significance of Economic, Social and Cultural Rights, Para. 4: „It is now indisputed that all human rights are indivisible, interdependent, interrelated and of equal importance for human dignity.“ – Die Maastricht Guidelines sind 1997 von einer Gruppe von mehr als 30 Experten anlässlich des 10. Geburtstags der „Limburg Principles on the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights“ im Rahmen einer Konferenz in Maastricht (22. bis 26. Januar 1997) ausgearbeitet worden. Sie sind abgedruckt in: International Commission of Jurists, Economic, Social and Cultural Rights: A Compilation of Essential Documents, Genf, November 1997, und z. B. abrufbar unter .

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schen „Erst-“ und „Zweitgenerationsrechten“ insbesondere auch hinsichtlich der durch sie begründeten Rechte und Pflichten nicht länger geboten ist.292 Die Analyse des Menschenrechtsschutzes vor Zwangsumsiedlungen muss dieser Entwicklung Rechnung tragen.293 Es ist daher im Folgenden zu untersuchen, ob „Rechte der zweiten Generation“ ein menschenrechtliches Bleiberecht normativ schützen, das gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist. b) Die völkervertragliche Grundlage des Rechts auf angemessene Unterbringung Ebenso wie kein Grundrecht der „ersten Dimension“ ein Bleiberecht (right to stay) ausdrücklich garantiert, schützt auch kein Menschenrecht der zweiten Generation explizit vor zwangsweisen Entfernungen aus der Wohnung. Ist ein menschenrechtliches Bleiberecht implizit durch ein Menschenrecht der „zweiten Dimension“ normativ geschützt? Als Grundlage für ein Bleiberecht kommt zunächst das „Recht auf eine angemessene Unterbringung“ in Betracht. Dies legen insbesondere vielzählige Resolutionen der UN-Menschenrechtskommission wie der Unterkommission nahe, die seit Anfang der 1990er Jahre wiederholt betonen, dass Praktiken von „Forced evictions“ in erster Linie das „Recht auf angemessene Unterkunft“ (right to adequate housing) häufig schwerwiegend verletzen.294 Sie geben Anlass zu einer wissenschaftlichen Untersuchung der 292 Vgl. Sigrun I. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: van Genugten, S. 53. Siehe auch Pérez Bustillo, Poverty Law, S. 159–161; Scott Leckie, Another Step Towards Indivisibility: Identifying the Key Features of Violations of Economic, Social and Cultural Rights, in: Human Rights Quarterly 20 (1998), S. 81–124; Windfuhr, S. 7. 293 So im Ergebnis auch Final Report, Para. 49: „In essence, approaches to the human rights dimensions of population transfer should include the indivisibility of civil and political rights and economic, social and cultural rights.“ 294 Beispielhaft für die Resolutionen der UN-Menschenrechtskommission zu „Forced evictions“ siehe Commission on Human Rights Resolution 2004/28: „Prohibition on forced evictions“, 16. April 2004, Para. 1, abgedruckt in: UN ESCOR 2004, Suppl. No. 3 (E/2004/23, E/CN.4/2004/127), S. 100–102 (101); Commission on Human Rights Resolution 1993/77: „Forced evictions“, 10. März 1993, Para. 1, abgedruckt in: UN ESCOR 1993, Suppl. No. 3 (E/1993/23, E/CN.4/1993/122), S. 227–229 (228); beispielhaft für die Resolutionen der Unterkommission zu „Forced evictions“ siehe Res. 1991/12, UN Doc. E/CN.4/1992/2, E/CN.4/Sub. 2/1991/65; Res. 1993/41, UN Doc. E/CN.4/1994/2, E/CN.4/Sub. 2/1993/45; Res. 1994/39, UN Doc. E/CN.4/1995/2, E/CN.4/Sub. 2/1994/56; Res. 1995/29, UN Doc. E/ CN.4/Sub. 2/1995/51; Res. 1996/27, UN Doc. E/CN.4/1997/2; Res. 1997/6, UN Doc. E/CN.4/1998/2; Res. 1998/9, UN Doc. E/CN.4/1999/4; jeweils Para. 1. – Zur Praxis der Unterkommission hinsichtlich des Themenbereichs „the right to housing

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Frage, ob das fundamentale Menschenrecht auf angemessene Unterbringung im System der internationalen Menschenrechtsabkommen als Abwehrrecht gegen Zwangsentfernungen normativ geschützt ist. aa) Die Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR und sein Schutzgehalt Auf universeller Ebene schreibt das völkervertragliche Menschenrecht das Recht auf Unterbringung in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR fest.295 Nach dieser Vorschrift erkennen die Vertragsparteien des IPWSKR „das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender [. . .] Unterbringung“. Die Gewährleistung des Art. 11 IPWSKR, die 1948 in Art. 25 AEMR noch als „von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal“ formuliert wurde,296 ist heute weltweit als Rechtsanspruch anerkannt: Der IPWSKR, der am 3. Januar 1976 in Kraft getreten ist, verpflichtet gegenwärtig 149 Staaten.297 Er ist das bedeutendste universelle Menschenrechtsinstrument im Bereich der WSK-Rechte. and forced evictions“ siehe Maria Stavropoulou, Displacement and Human Rights: Reflections on UN Practice, in: Human Rights Quarterly 20 (1998), S. 515 (534–536). – Für eine Auflistung der Resolutionen der Organe der Vereinten Nationen zu „Housing rights in general“ und „Forced evictions“ im Besonderen siehe „United Nations resolutions on housing rights“, abrufbar unter . 295 Von der juristischen Garantie eines Rechts auf angemessene Unterbringung gehen auch zahlreiche universelle Menschenrechtsverträge aus, die ein Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot bez. des Rechts auf Wohnung normieren; siehe z. B. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (sog. Genfer Flüchtlingskonvention), BGBl. 1953 II, S. 560, Art. 21; Rassendiskriminierungsübereinkommen, Art. 5 e) iii); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979, BGBl. 1985 II, S. 648, Art. 14 Abs. 2 (h), sowie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, BGBl. 1992 II, S. 121, Art. 27 Abs. 3. – Einen Überblick über alle internationalen Rechtsstandards bez. Rechten, die das Wohnungswesen betreffen (sog. „housing rights“), enthält Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE), Legal Resources on Housing Rights – International and National Standards, June 2000, abrufbar unter ; siehe auch die Nachweise internationaler Erklärungen und Empfehlungen zum „Right to adequate housing“ in: United Nations – Centre for Human Rights, The Human Right to Adequate Housing: Fact Sheet No. 21, Genf 1996, Annex I. 296 Nach Art. 25 Abs. 1 AEMR hat jeder Mensch „Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich [. . .] Wohnung [. . .] gewährleistet“. 297 Vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Status of Ratifications of the Principal International Human Rights Treaties, Stand: 9. Juni 2004, abrufbar unter .

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

(1) Das Recht auf angemessene Unterbringung des Art. 11 IPWSKR als Abwehrrecht In den vergangenen Jahren hat die Ansicht stark zugenommen, dass das „Recht auf angemessene Unterbringung“ ein Menschenrecht umfasst, vor – auch entwicklungsbedingten – Zwangsentfernungen geschützt zu werden. Zu den Vertretern dieser Lesart des „right to adequate housing“ zählen neben verschiedenen Gremien und Einrichtungen bzw. Berichterstattern der Vereinten Nationen298 auch NGOs299 und Wissenschaftler300. Eine derart weite Schutzgehaltsbestimmung des Rechts auf angemessene Wohnung, wie es in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR festgeschrieben ist, überrascht auf den ersten Blick. Gegen die Deutung dieses Rechts als Abwehrrecht, das gegen Zwangsentfernungen gerichtet ist, bestehen nämlich mehrere Einwände. So ist zunächst fraglich, ob sich die im Vordringen befindliche weite Interpretation des „right to adequate housing“ mit dessen vertraglicher Zuordnung zu den Rechten der „zweiten Generation“ vereinbaren lässt. Dies erscheint angesichts der Zielrichtung, welche diese Rechte traditionell haben (Anspruchs-, Forderungs- bzw. Leistungsrecht),301 zweifelhaft. Die diesbezüglichen Bedenken können nur ausgeräumt werden, wenn dem „ZweitGenerations-Recht“ auf angemessene Unterbringung auch eine Anspruchsund Abwehrfunktion zukommt. Dieser Lösungsansatz weist aber auf einen weiteren Einwand gegen eine Auslegung des in Art. 11 IPWSKR gewährleisteten Wohnungsrechts im 298 Siehe neben den obenaufgeführten Resolutionen der UN-Menschenrechtskommission und der Unterkommission z. B. auch Commission on Human Rights, Forced evictions – Analytical report compiled by the Secretary-General pursuant to Commission resolution 1993/77, UN Doc. E/CN.4/1994/20, 7. Dezember 1993, insbes. Para. 62–63; Office of the High Commissioner for Human Rights, Forced Evictions and Human Rights – Fact Sheet No. 25, 1996, S. 15: „The right to adequate housing [. . .] includes the right to be protected from forced eviction.“ 299 Siehe z. B. Centre on Housing Rights and Evictions, Defining forced Evictions: „Under international human rights law you have the right to be protected against forced evictions. This is part of the broader right to housing . . . The right to housing guarantees security of tenure and legal protection against forced eviction for all people.“ – In diese Richtung argumentiert auch Center for Economic and Social Rights, Economic, Social and Cultural Rights: A Guide to the Legal Framework, January 2000, S. 6: „The right to adequate housing guarantees access to a safe, habitable, and affordable home with protection against forced eviction.“ (Hervorh. d. Verf.); Scott Leckie, New United Nations regulations on forced evictions: General Comment No. 7 strengthens right not to be evicted, in: Third World Planning Review 21 (1999), S. 41–61. 300 Siehe z. B. Kälin, Annotations, S. 14. 301 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. a).

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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Sinne eines Abwehrrechts gegen Zwangsentfernungen hin: Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 unterscheiden sich, wie erwähnt, unter anderem darin, dass sie den Vertragsstaaten unterschiedliche Verpflichtungsmodi auferlegen.302 Der IPBPR verlangt von einer Vertragspartei, die Rechte, die der Zivilpakt garantiert, „zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen [. . .] zu gewährleisten“.303 Im Unterschied hierzu verpflichtet sich im IPWSKR jeder Vertragsstaat, „unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“.304 Hieraus wird auch heute noch im Schrifttum gefolgert, dass der IPWSKR „keine unmittelbar anwendbaren Rechtspflichten“ enthalte, sondern bei den WSK-Rechten an die Verfügbarkeit der Ressourcen anknüpfe.305 Den Vertragsstaaten soll es danach freistehen, die Rechte, die im IPWSKR festgeschrieben sind, progressiv, d.h. schrittweise, umzusetzen. Wenn man dieser Ansicht folgt, ist es kaum möglich, jedenfalls aber bedenklich, ein WSK-Recht, wie das Recht auf angemessene Unterbringung, als Abwehrrecht anzusehen, das gegen Zwangsentfernungen gerichtet ist. (2) Die Allgemeinen Bemerkungen Nr. 4 und 7 des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)306 hat diese Bedenken aber in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 4 und Nr. 7 zum Recht auf angemessene Unterbringung307 entkräftet. 302 Vgl. Gerhard Stuby, Universalismus versus Partikularismus: Die Menschenrechte der dritten Generation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46–47/98, S. 27 (31 f.). – Zu den Gründen für diese unterschiedlichen Verpflichtungsmodi siehe Craven, International Covenant, S. 101 f., 107. 303 Art. 2 Abs. 1 IPBPR. 304 Diese Verpflichtung wird in Art. 11 Abs. 1 S. 1 IPWSKR hinsichtlich des Rechts auf Unterbringung wiederholt. Dort heißt es: „Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an.“ 305 So z. B. Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 226. 306 UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights. Der Ausschuss, der aus achtzehn unabhängigen Experten besteht, wurde 1985 als Hilfsorgan des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) gemäß Art. 68 UN-Charta durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichtet. Im Gegensatz zum UN-Menschenrechtsausschuss handelt es sich beim CESCR also nicht um ein Vertragsorgan, sondern – technisch betrachtet – um ein Organ der Vereinten Nationen. Seine Kompetenz,

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General Comment No. 4 – The right to adequate housing (Art. 11 (1)) ist die erste Allgemeine Bemerkung des CESCR, in der dieser etwas zum Gewährleistungsinhalt eines einzelnen Paktrechts ausführt.308 Für die hier zu erörternden Fragen sind zunächst die Interpretationsaussagen des Ausschusses relevant, die sich auf die allgemeine Auslegung des „Rechts auf Unterbringung“ beziehen. Der CESCR hat hierzu erklärt: „[T]he right to housing should not be interpreted in a narrow or restrictive sense which equate it with, for example, the shelter provided by merely having a roof over one’s head or views shelter exclusively as a commodity. Rather it should be seen as the right to live somewhere in security, peace and dignity.“309

Der Ausschuss begründet die seiner Ansicht nach gebotene weite Auslegung des „Rechts auf Unterbringung“ zum einen damit, dass sich alle Menschenrechte aufeinander beziehen; zum anderen mit der Menschenwürde, aus der sich die Paktrechte ergeben.310 Daran anknüpfend führt er weiter aus, dass der Begriff „Unterbringung“ in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR als „angemessene Unterbringung“ (adequate housing) zu lesen sei.311 Zu einer „angemessenen Unterkunft“ zählten neben Faktoren wie angemessene Privatsphäre, angemessener Wohnraum, angemessene Infrastruktur auch angemessene Sicherheit. Für das „Recht auf angemessene Unterbringung“ folge daraus, dass allen Menschen unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung ihrer Wohnverhältnisse ein gewisses Maß an Sicherheit hinsichtAllgemeine Bemerkungen zu einzelnen Bestimmungen des IPWKSR auszuarbeiten, leitet der CESCR von seinem Mandat ab, ECOSOC bei der Prüfung von Staatenberichten zu unterstützen; vgl. Craven, The International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, S. 89. Zum CESCR und dessen Mandat siehe auch ders., International Covenant, S. 113 ff. 307 General Comment No. 4 (1991) – The right to adequate housing (Art. 11 (1)) (künftig General Comment No. 4 (1991)), in: UN Doc. E/1992/23, Annex III; General Comment No. 7 (1997). 308 Zum Inhalt der davor verabschiedeten General Comments des CESCR siehe Craven, The International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, S. 90 f. – Mit dem „Recht auf angemessene Unterbringung“ („right to adequate housing“) hat sich der Ausschuss schon seit 1989 befasst. 1989 und 1990 hat er einen seiner allgemeinen Diskussionstage (days of general discussion) diesem Recht gewidmet. Die dabei angestellten Überlegungen flossen 1991 in General Comment No. 4 ein; siehe Phillip Alston, Opinion: The U. S. and the Right to Housing – A Funny Thing Happened on the Way to the Forum, in: European Human Rights Law Review 1 (1996), S. 120 (123). 309 General Comment No. 4 (1991), Para. 7. 310 Ebd.: „[T]he right to housing is integrally linked to other human rights and to the fundamental principles upon which the Covenant is premised. Thus, ‚inherent dignity of the human person‘ from which the rights in the Covenant are said to derive requires that the term ‚housing‘ be interpreted so as to take account of a variety of other considerations.“ 311 Ebd.

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lich ihres Grundbesitz- bzw. Pacht- oder Miettitels zugute kommen müsse, welches Rechtsschutz gegen zwangsweise Entfernungen von der Wohnstätte bietet.312 Der CESCR lässt damit bereits anklingen, dass und warum er das „Recht auf angemessene Unterbringung“ auch als Abwehrrecht ansieht, dass gegen Zwangsentfernungen gerichtet ist. Zur Unvereinbarkeit erzwungener Evakuierungen mit den Paktrechten nimmt der Ausschuss am Ende von General Comment No. 4 Stellung: „In this regard, the Committee considers that instances of forced evictions are prima facie incompatible with the requirements of the Covenant and can only be justified in the most exceptional circumstances, and in accordance with the relevant principles of international law.“313

Der CESCR hat das Problem zwangsweiser Entfernungen ( forced evictions) sechs Jahre nach der Verabschiedung seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 4 erneut in einer Allgemeinen Bemerkung aufgegriffen und Restzweifel hinsichtlich der Frage ausgeräumt, ob das „Recht auf angemessene Unterbringung“, wie es in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR festgeschrieben ist, auch ein Bleiberecht im Sinne eines Rechts umfasst, nicht zwangsweise von seiner Wohnstätte entfernt zu werden: In General Comment 7 – The right to adequate housing (Art. 11 para. 1 of the Covenant): forced evictions erklärt der Ausschuss, dass das in Art. 11 IPWSKR gewährleistete „Recht eines jeden auf Unterbringung“ als „right to adequate housing and not to be subjected to forced eviction“314 bzw. als „the right not to be forcefully evicted without adequate protection“315 zu verstehen sei. In General Comment 7 trifft der Ausschuss darüber hinaus eine Aussage, die für den Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen wesentlich ist. Er stellt in Abschnitt 5 zunächst fest, dass sich der Schutz des Rechts auf Unterbringung auf alle Zwangsentfernungen erstrecke, und zwar unabhängig von deren Ursache: „Although the practice of forced evictions might appear to occur primarily in heavily populated urban areas, it also takes place in connection with forced population transfers, internal displacement, [. . .] and refugee movements. In all of these contexts, the right to adequate housing and not to be subjected to forced eviction may be violated through a wide range of acts or omissions attributable to States parties.“316 312 Ebd., Para. 8 (a): „Notwithstanding the type of tenure, all persons should possess a degree of security of tenure which guarantees legal protection against forced eviction.“ 313 Ebd., Para. 18. 314 Siehe General Comment No. 7 (1997), Para. 5. 315 Ebd., Para. 8. 316 Ebd., Para. 5.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die entscheidende Passage bezüglich entwicklungsbedingter Zwangsentfernungen ist in Abschnitt 8 enthalten: „Other instances of forced eviction occur in the name of development. Evictions may be carried out in connection with conflict over land rights, development and infrastructure projects, such as the construction of dams or other large-scale energy projects, with land acquisition measures associated with urban renewal, housing renovation, city beautification programmes, the clearing of land for agricultural purposes, unbridled speculation in land, or the holding of major sporting events like the Olympic Games.“317

Die Hürde des Art. 2 Abs. 1 IPWSKR nimmt der CESCR mit folgender Argumentation: Art. 2 Abs. 1 IPWKSR verpflichte die Vertragsstaaten zwar, „alle geeigneten Mittel“ (all appropriate means) einzusetzen, um das Recht auf angemessene Unterbringung zu fördern. Die Verpflichtung zur progressiven – ressourcenabhängigen – Verwirklichung der IPWSKR-Rechte sei aber angesichts der Eigenart von Zwangsentfernungspraktiken für die diesbezüglichen Pflichten der Vertragsstaaten kaum relevant: „The State itself must refrain from forced evictions and ensure that the law is enforced against its agents or third parties who carry out forced evictions. [. . .] It is to be noted that the State’s obligation to ensure respect for that right is not qualified by considerations relating to its available resources.“318

Der Ausschuss hat damit klargestellt, dass die Vertragsstaaten des IPWSKR ihren Verpflichtungen gegenüber dem Recht, nicht zwangsweise evakuiert zu werden, unmittelbar nachzukommen haben, und zwar auch insofern, als dieses durch das „Recht auf angemessene Unterbringung“ gewährleistet ist. Art. 11 Abs. 1 IPWSKR hat danach bezüglich des Schutzes, den diese Norm vor Zwangsentfernungen bietet, nicht nur programmatischen Charakter. Sie stellt vielmehr für die Vertragsparteien eine unmittelbare Rechtspflicht auf.319 (3) Stellungnahme zur Interpretation des Art. 11 Abs. 1 IPWSKR General Comment No. 7 wird als „the most far-reaching decision yet under international law on forced evictions and human rights“ bezeichnet.320 317

Ebd., Para. 7 (Hervorh. d. Verf.). Ebd., Para. 8. 319 Der Ausschuss hat schon in General Comment 3 klargestellt, dass bestimmte Rechte des IPWSKR unmittelbar zu gewährleisten sind. General Comment 3 (Fifth session, 1990): The nature of States parties obligations (art. 2, para. 1 of the Covenant), in: UN Doc. HRI/GEN/1/Rev. 3, 15. August 1997, S. 61–65. Siehe z. B. Para. 1: „[W]hile the Covenant provides for progressive realization and acknowledges the constraints due to the limits of available resources, it also imposes various obligations which are of immediate effect.“ 318

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Dies verwundert kaum angesichts der Aussagen, die der CESCR in dieser Allgemeinen Bemerkung zu Reichweite und Schutzgehalt des Art. 11 Abs. 1 IPWSKR bezüglich erzwungener Evakuierungen getroffen hat. Der UNAusschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat den normativen Schutz des menschenrechtlichen Bleiberechts auf universeller Ebene wesentlich erweitert, indem er das Recht, gegen Zwangsentfernungen geschützt zu werden, ausdrücklich als Gewährleistung des WSK-Rechts auf Unterbringung anerkannt hat. Die General Comments des CESCR zu Inhalt und Reichweite einzelner Rechte des IPWSKR sind zwar im engeren Sinne ebenso wenig juristisch verbindlich wie die Allgemeinen Bemerkungen des UN-Menschenrechtsausschusses.321 Sie legen die im IPWSKR gewährleisteten Rechte aber autoritativ aus322 und tragen so zum einen zu deren einheitlich(er)en Umsetzung in den Vertragsstaaten bei.323 Darüber hinaus dienen sie auch Vertragsorganen regionaler Menschenrechtsübereinkommen sowie Einrichtungen der UN324 und NGOs als Maßstab für die Anwendung und Auslegung von Konventionsrechten, wie zum Beispiel die Ogoni-Entscheidung der Afrikanischen Kommission für die Menschenrechte und Rechte der Völker vom 27. Mai 2002325 zeigt, auf die noch ausführlicher eingegangen wird.326 Die Kommission hat General Comment No. 7 als Hilfsmittel zur Interpretation der Bestimmungen der Banjul-Charta herangezogen und damit dessen weit reichende Bedeutung bestätigt.

320 Leckie, United Nations regulations, S. 44. Siehe auch Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE), Forced Evictions and Human Rights: A Manual for action, 1999, S. 7. 321 Vgl. Craven, International Covenant, S. 112: „What is clear is that no body has the ability to interpret the Covenant in a manner that binds States Parties.“ – Zur rechtlichen Bedeutung und tatsächlichen Wirkung der Allgemeinen Bemerkungen des CESCR siehe auch ders., The International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights, S. 91 f. 322 So ausdrücklich bez. der Interpretationsaussagen zum „Recht auf angemessene Unterbringung“ Centre on Housing Rights and Eviction, Legal Resources: „the single most authoritative interpretation of the right to housing“. 323 Zu den Chancen einer Umsetzung von General Comment No. 7 siehe Leckie, United Nations regulations, S. 53 f. 324 Siehe z. B. Report of the Special Rapporteur on adequate housing as a component of the right to an adequate standard of living, Mr. Miloon Kothari, submitted pursuant to Commission resolution 2000/9, UN Doc. E/CN.4/2001/51, 25. Januar 2001, Para. 73. 325 Decision Regarding Communication 155/96, African Comm. Hum. & Peoples’ Rights, Case No.ACHPR/COMM/A044/1, 27. Mai 2002, Para. 63. 326 Siehe unten, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. b) bb).

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(a) Die Kategorisierung menschenrechtlicher Pflichten nach Asbjørn Eides Theorie Die Signifikanz von General Comment No. 7 als „eviction regulation“327 ist insbesondere darin zu sehen, dass der CESCR dargelegt hat, welche Rechtspflichten Art. 11 Abs. 1 IPWSKR i. V. m. Art. 2 Abs. 1 IPWSKR den Vertragsstaaten hinsichtlich „forced evictions“ auferlegt. Damit hat er die Ansicht bestätigt, dass die traditionelle Zweiteilung menschenrechtlicher Pflichten in eine mit dem status negativus korrespondierende Verpflichtung, nicht in bürgerliche und politische Rechte einzugreifen, einerseits und der Pflicht, WSK-Rechte zu verwirklichen, die dem status positivus entspricht, andererseits, nicht mehr zeitgemäß und daher eine neue Kategorisierung menschenrechtlicher Pflichten geboten ist.328 Skogly hat dies am Beispiel des Rechts auf Wohnung erläutert: „For instance, while the right to housing (which is normally considered an economic or social right) can be violated through the interference of the state (or other actors) by bulldozing people’s houses for political reasons without providing alternative shelter or adequate compensation; a right to a fair trial (a traditional civil right) cannot be enjoyed without a large spending on part of the government.“329

Aus diesem Grunde wird es heute als sinnvoller angesehen, menschenrechtliche Pflichten – entsprechend der von Asbjørn Eide entwickelten Theorie330 – hinsichtlich der Rechte der ersten wie der zweiten Generation in drei Kategorien von Verpflichtungen menschenrechtlicher Art einzuteilen: die Pflicht zu (be)achten (obligation to respect), die Pflicht zu schützen (obligation to protect) und die Pflicht, die Menschenrechte zu verwirklichen (obligation to fulfil).331 327

Leckie, United Nations regulations, S. 41. Vgl. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: van Genugten, S. 53. Siehe auch Maastricht Guidelines, Para. 6 ff. 329 Skogly, ebd. 330 Eide hat seine Theorie über menschenrechtliche Pflichten in seiner Funktion als Sonderberichterstatter über das Recht auf angemessene Ernährung entwickelt, siehe Report on the Right to adequate food as a human right submitted by Mr. Asbjørn Eide, Special Rapporteur, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1987/23, 7. Juli 1987, Para. 94 ff., insbes. Para. 112–114, sowie Para. 170–181. 331 Vgl. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: van Genugten, S. 53. – Die „Afrikanische Kommission über Menschenrechte und die Rechte der Völker“ (African Commission on Human and Peoples’ Rights) hat in ihrer Entscheidung in der Sache Social and Economic Rights Action Center/ Center for Economic and Social Rights ./. Nigeria vom 27. Mai 2002 (s. u.) unter Verweis auf Eides Theorie eine vierte Verpflichtung hinzugefügt: Nach Ansicht der Kommission erlegt die Banjul-Charta den Vertragsparteien vier separate, aber dennoch sich überschneidende Verpflichtungen hinsichtlich der darin garantierten Rech328

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Diese Neukategorisierung, der auch der CESCR folgt,332 ist im Ergebnis zu begrüßen. Sie wird nicht nur dem Anliegen gerecht, die Durchsetzung völkerrechtlicher Menschenrechte zu sichern. Die Kategorisierung, die für die Rechte der ersten und zweiten Generation gleichermaßen gilt, berücksichtigt vielmehr auch die von Skogly aufgezeigte Erkenntnis, dass die traditionelle Zweiteilung nicht länger die Realität hinsichtlich der Verwirklichung internationaler Grundrechte abbildet333: Das Verständnis internationaler Menschenrechte und der dadurch begründeten Rechte und Pflichten hat sich seit Inkrafttreten der UN-Menschenrechtspakte maßgeblich geändert. Diesen Entwicklungen ist durch eine dynamische Auslegung der Menschenrechtsabkommen, die als „living constitutions“ anzusehen sind, Rechnung zu tragen.334 Den WSK-Rechten kann danach nicht länger die Qualität von Individualansprüchen abgesprochen werden. Sie sind mehr als bloße Zielvorgaben für staatliches Handeln.335 Auch sie können „Abwehrrechte“ gegen den Staat sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn man wie Windfuhr in seinem Beitrag über WSK-Rechte zutreffend festgestellt hat, die „eigentliche Schlagkraft dieser Rechte“ darin sieht, dass diese auf „den Schutz der Menschenwürde und die Verhinderung staatlicher oder privater Willkür bei der Verteilung knapper Ressourcen“ gerichtet sind.336 So verstanden gewinnen WSK-Rechte im Allgemeinen und das „Recht auf angemessene Unterbringung“ im Besonderen für den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen eine neue Dimension. Das „Recht auf te auf: „to respect, to protect, promote and fulfill them.“ Diese Verpflichtungen, so die Kommission: „universally apply to all rights and entail a combination of negative and positive duties.“ Siehe Communication 155/96, Die Entscheidung ist im American Journal of International Law 96 (2002), S. 937–942 zusammengefasst und dort von Dinah Shelton besprochen. – Ausführlich zu dem Inhalt der von Eide entwickelten Pflichten siehe Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: van Genugten, S. 53, 53 ff.; dies., The Human Rights Obligations of the World Bank and the International Monetary Fund, 2001, S. 43 ff. 332 Siehe z. B. General Comment 12 – The right to adequate food (Art. 11), UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, Rdnr. 15: „The right to adequate food, like any other human right, imposes three types or levels of obligations on States parties: the obligations to respect, to protect and to fulfil.“ Ebenso General Comment No. 14 (2000) – The right to the highest attainable standard of health (article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), UN Doc. E/C.12/ 2000/4, 11. August 2000, Rdnr. 33; General Comment No. 15 (2002) – The right to water (arts. 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), UN Doc. E/C.12/2002/12, 20. Januar 2003, Rdnrn. 20 ff. 333 Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: van Genugten, S. 53. 334 Zur entsprechenden Vorgehensweise des AGMR siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3. c). 335 So auch Windfuhr, S. 7. 336 So auch ebd.

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Unterbringung“, wie es in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR festgeschrieben ist, fungiert danach auch als Abwehrrecht, das dem Grunde nach gegen entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen gerichtet ist.337 (b) Die Reichweite des Rechts auf angemessene Unterbringung als Abwehrrecht Fraglich ist, wie weit die Gewährleistung eines Rechts reicht, nicht zwangsweise von der Wohnung und/oder dem Grund und Boden entfernt zu werden, das von dem Recht auf angemessene Unterbringung umfasst ist. Die Antwort hierauf erschließt sich aus Sinn und Zweck bzw. der Funktion des „Rechts auf Unterbringung“ (right to housing), das in Art. 11 Abs. 1 IPWSKR als selbstständiges Grundrecht normativ geschützt ist338. Das „right to housing“ ist, wie der CESCR – Schrifttum und (NGO-)Praxis folgend – zutreffend dargelegt hat, weit auszulegen, d.h. im Sinne eines Rechts auf „angemessene Unterbringung“ „which has been recognised to mean not only adequate shelter, but to guarantee a place to live in peace and dignity and the right to decide the development of that place in ways that the owners and resident communities themselves determine.“339

Soll aber das Recht auf angemessene Unterbringung die Möglichkeit schützen, in Sicherheit, Würde und Frieden leben zu können, folgt daraus, dass eine Zwangsentfernung Art. 11 Abs. 1 IPWSKR verletzt und daher verboten ist, wenn und soweit sie diese Möglichkeit zunichte macht. Daraus folgt aber nicht, dass das dem Recht auf Unterbringung immanente Bleiberecht absolut ist. Es ist vielmehr als Abwehrrecht zu verstehen, das gegen willkürliche Zwangsentfernungen gerichtet ist. Das Kriterium der Willkürlichkeit ist dabei erfüllt, wenn die betroffenen Personen ohne flankierende Schutzmaßnahmen von ihrer Wohnstätte entfernt werden. Das „Recht auf angemessene Unterbringung“ ist also in seiner abwehrrechtlichen Funktion als „right not to be forcefully evicted without adequate protection“ zu lesen. 337 So im Ergebnis – statt vieler – Kothari, der zu den Gewährleistungen des Rechts auf angemessene Unterbringung auch „the right not to be dispossessed from one’s home and surroundings“ zählt. Miloon Kothari, The global struggle for the right to a place to live, in: Deborah Eade (Hrsg.), Development and Rights, 1998, S. 84 (85). 338 Vgl. Centre on Housing Rights and Evictions, Legal Resources: „Although the Covenant recognises the right to housing as a part of the larger right to an adequate standard of living, under international human rights law the right to adequate housing is understood as an independent or free-standing right.“ 339 Meindersma, Legal Issues, S. 65 f. Siehe auch Miloon Kothari, Global struggle, S. 85.

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Hieran schließt sich die weitere Frage an, wann ein Schutz als „angemessen“ zu qualifizieren ist. Die Concluding observations des CESCR zum Staatenbericht der Philippinen bezüglich Art. 16 und 17 IPWSKR geben hierüber Aufschluss.340 Der Ausschuss äußerte sich darin besorgt über die Massenzwangsevakuierungen (large-scale forced evictions), welche in den Philippinen zwischen 1992 und 1994 stattfanden.341 Er kam diesbezüglich zu dem Schluss, dass Zwangsentfernungen mit dem Recht auf Unterbringung unvereinbar seien, wenn zuvor keine Vorkehrungen für eine angemessene Umsiedlung getroffen, insbesondere „relocation sites“ bestimmt wurden.342 Eine zwangsweise Entfernung von der Wohnung ist danach verboten, wenn den betroffenen Personen keine angemessene Alternativunterbringung zur Verfügung gestellt wird. Aus dem Recht auf angemessene Unterbringung lassen sich neben dieser Grundbedingung noch weitere Anforderungen an die zulässige Durchführung entwicklungsbedingter Zwangsevakuierungen herleiten. Hierzu zählen eine angemessene Entschädigung für den Verlust von Grund- und Wohnungseigentum343 sowie die Sicherstellung international anerkannter Menschenrechte, vor allem auch von Verfahrensgrundrechten344. Aus alledem folgt, dass es den Vertragsstaaten des IPWSKR verwehrt ist, Personen oder Bevölkerungsgruppen von ihren Wohnstätten und/oder ihrem Land zu entfernen, um zum Beispiel Platz für ein Infrastrukturprojekt zu schaffen, wenn sie nicht gleichzeitig sicherstellen, dass den betroffenen Personen danach eine angemessene Unterbringung im oben beschriebenen Sinne zur Verfügung gestellt wird.345 340 Concluding observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights – Philippines, UN Doc. E/C.12/1995/7, 7. Juni 1995. 341 Ebd., Para. 16. 342 Ebd.: „The scale of forced evictions and the manner in which they are carried out are of concern to the Committee. The Government itself acknowledges that planned forced evictions may affect up to 200,000 families, and that the Government has identified only 150,000 relocation sites. If these estimates are correct a very significant number of persons currently threatened with eviction will not receive adequate resettlement. Such a situation would not be compatible with respect for the right to housing.“ 343 Zu dem Inhalt des Entschädigungsanspruches siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, B. 344 Vgl. General Comment No. 7 (1997), Para. 15. 345 Im Einklang hiermit steht auch die nationale Praxis. Siehe hierzu zum Beispiel die Entscheidung des südafrikanischen Verfassungsgerichts The Government of the Republic of South Africa et al. v. Irene Grootboom and others vom 4. Oktober 2000 (Case CCT 11/00), in der sich das Gericht im Zusammenhang mit der Zwangsräumung eines Elendsviertels eingehend mit der normativen Bedeutung des Rechts auf angemessene Wohnung befasst hat.

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bb) Die Gewährleistung des Rechts auf angemessene Unterbringung in den regionalen Menschenrechtskonventionen: die Entscheidung der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker Das „Zweit-Generations-Recht“ auf Unterbringung ist im Unterschied zu den Wohngrundrechten der „ersten Generation“ in den regionalen Menschenrechtsverträgen nicht ausdrücklich normativ geschützt: Weder die EMRK noch die AMRK bzw. das Zusatzprotokoll zur AMRK im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte346 oder die BanjulCharta gewährleisten das „right to housing“ explizit. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass diese Abkommen das „Recht auf Unterbringung“ nicht juristisch schützen, wie die Entscheidung der afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker347 vom 27. Mai 2002 in der Sache Social and Economic Rights Action Center/Center for Economic and Social Rights ./. Nigeria zeigt.348 Die Beschwerde, die dieser Entscheidung zugrunde lag,349 richtete sich unter anderem gegen die Zerstörung von Dörfern, Wohnstätten, Ernten und Farmen der Bewohner von Ogoniland (Nigeria) durch nigerianische Sicherheitskräfte. Die streitgegenständlichen Maßnahmen standen im Zusammenhang mit Ölförderungen der National Petroleum Development Company (NNCP) sowie der Shell Petroleum Development Corporation (SPDC). Die nigerianische Regierung hatte NNCP und SPDC durch staatliche Militärkräfte und juristische Dienste unterstützt. Die Beschwerdeführer hatten mit ihrer Petition unter anderem gerügt, dass die nigerianische Regierung es unter Verletzung ihrer Pflichten unterlassen habe, die Ogoni gegen die Angriffe der Sicherheitskräfte zu schützen: „The Communication alleges that in the course of the last three years, Nigerian security forces have attacked, burned and destroyed several Ogoni villages and 346 Zusatzprotokoll zum Amerikanischen Übereinkommen über Menschenrechte im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte („Protokoll von San Salvador“) vom 17. November 1988, in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 523–531. 347 African Commission on Human and Peoples’ Rights (künftig Afrikanische Menschenrechtskommission). – Zu den Aufgaben der Kommission im afrikanischen Menschenrechtssystem siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. III. 348 Communication 155/96. 349 Die Beschwerde wurde interessanter Weise in Form einer actio popularis von zwei NGOs (the Social and Economic Rights Action Center, Nigeria, und the Center for Economic and Social Rights, USA) stellvertretend für die Einwohner von Ogoniland, Nigeria, eingereicht. Die Kommission entschied, dass die Popular„klage“ nützlich und „wisely allowed under the African Charter“ war. Communication 155/96, ebd., Para. 49.

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homes under the pretext of dislodging officials and supporters of the Movement of the Survival of Ogoni People. [. . .] The complete failure of the Government of Nigeria to investigate these attacks, let alone punish the perpetrators, . . . implicates the Nigerian authorities. The Nigerian Army has admitted its role in the ruthless operations which have left thousands of villagers homeless. The admission is recorded in several memos [. . .]. One such memo calls for ‚ruthless military operations‘ and ‚wasting operations coupled with psychological tactics of displacement‘.“350

Die Afrikanische Menschenrechtskommission entschied, dass die nigerianische Regierung durch das beanstandete Verhalten unter anderem das „Recht auf Unterbringung“ (right to housing or shelter) verletzt hat.351 Die Lücke, die hinsichtlich des normativen Schutzes des „Rechts auf Unterbringung“ in der Banjul-Charta besteht, hat die Kommission dabei durch eine weite Auslegung von Rechten der Charta wie das Eigentumsrecht, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Achtung des Familienlebens mit folgender Begründung geschlossen: „Although the right to housing or shelter is not explicitly provided for under the African Charter, the corollary of the combination of the provisions protecting the right to enjoy the best attainable state of mental and physical health, cited under Article 16 above, the right to property, and the protection accorded to the family forbids the wanton destruction of shelter because when housing is destroyed, property, health, and family life are adversely affected. It is thus noted that the combined effect of Articles 14, 16 and 18 (1) reads into the Charter a right to shelter or housing which the Nigerian Government has apparently violated.“352

Die afrikanische Menschenrechtskommission stellte in ihrer Entscheidung unter Bezugnahme auf General Comment No. 4 353 und die Definition von „forced evictions“ des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in dessen General Comment No. 7 354 – was im Kontext der vorliegenden Untersuchung bedeutsam ist – weiter fest: „[T]he right to adequate housing as implicitly protected in the Charter also encompasses the right to protection against forced evictions.“355

Die Kommission legte das „Recht auf angemessene Unterbringung“ dabei nicht nur hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs extensiv aus. Sie zog vielmehr auch dessen persönlichen Schutzbereich samt seiner Gewährleistung, nicht zwangsweise von der Wohnstätte entfernt zu werden, weit. Nach Ansicht der Kommission steht dieses Recht nämlich den Ogonis als Grup350

Ebd., Para. 7 und 8. Ebd., Para. 60–63. 352 Ebd., Para. 60. 353 Zu General Comment No. 4 (1991) siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. b) aa) (2). 354 Zu General Comment No. 7 (1997) siehe oben, ebd. 355 Communication 155/96, Para. 63. 351

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penrecht (collective right) zu.356 Diese Klarstellung ist für den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsentfernungen, die regelmäßig nicht nur Einzelmenschen, sondern Bevölkerungsgruppen betreffen, wesentlich. 5. Das Menschenrecht, nicht willkürlich zwangsweise entfernt zu werden, als Begleitrecht sonstiger internationaler Grundrechte Die Argumentation der Afrikanischen Menschenrechtskommission in der Ogoni-Entscheidung357 lässt sich auf den normativen Schutz eines menschenrechtlichen Bleiberechts bzw. eines Rechts, nicht zwangsweise entfernt zu werden, im Allgemeinen übertragen. Sie trägt der Erkenntnis von Ethnologen und Soziologen Rechnung, wonach Zwangsumsiedlungen eine Reihe unterschiedlicher Verarmungsrisiken in sich bergen. Zu ihnen zählen neben Grundbesitz- und Obdachlosigkeit und dem Verlust des Zugangs zu Gemeinschaftseigentum, also Gefahren, gegen die primär die Wohnungsrechte und das Eigentumsrecht gerichtet sind, unter anderem auch Arbeitslosigkeit, Nahrungsunsicherheit, eine Verschlechterung der Gesundheit bis hin zu steigenden Sterberaten, gesellschaftliche Marginalisierung und die Zerstörung von Familienstrukturen.358 Angesichts dieser Gefahren ist es folgerichtig, das Menschenrecht, nicht willkürlich umgesiedelt zu werden, auch durch das Recht auf Arbeit bzw. Achtung des Berufslebens359, das Recht auf eine angemessene Ernährung, das Recht auf Gesundheit,360 das Recht auf körperliche Unversehrtheit,361 das Recht auf Leben,362 das Recht auf Achtung der Familie,363 das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit364 bzw. durch eine Kombination all dieser Rechte normativ geschützt zu sehen. 356 Vgl. ebd.: „The conduct of the Nigerian government clearly demonstrates a violation of this right enjoyed by the Ogonis as a collective right.“ 357 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. b) bb). 358 Vgl. Cernea, Risks, S. 20, 22 ff. Siehe auch schon oben, Einleitung. 359 Siehe z. B. Art. 6 IPWSKR; Art. 6 Zusatzprotokoll zur AMRK im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte („Protokoll von San Salvador“) vom 17. November 1988, in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 523–531 (525). – So im Ergebnis auch McFadden, S. 31. 360 Siehe z. B. Art. 12 IPBPR; Art. 11 Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961, BGBl. 1964 II, S. 1262; Art. 10 Abs. 1 Protokoll von San Salvador; Art. 16 Banjul-Charta. 361 Siehe z. B. Art. 5 Abs. 1 AMRK; Art. 4 Banjul-Charta. 362 Art. 6 IPBPR; Art. 2 EMRK; Art. 4 Abs. 1 AMRK; Art. 4 Banjul-Charta. 363 Art. 17 IPBPR; Art. 8 Abs. 1 EMRK; Art. 17 Abs. 1 AMRK; Art. 18 BanjulCharta. 364 Art. 9 IPBPR; Art. 5 Abs. 1 EMRK; Art. 7 Abs. 1 AMRK; Art. 6 BanjulCharta; siehe auch Art. 3 AEMR.

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Je nach den Umständen des Einzelfalles können das eine oder andere dieser allgemeinen Menschenrechte bzw. alle beeinträchtigt sein. Sie schützen zum einen gegen Zwangsentfernungen, die ohne die erforderlichen Vorkehrungsmaßnahmen zur Sicherung dieser Rechte durchgeführt werden. Im Unterschied zu den „Wohnungsgrundrechten“ und dem Eigentumsrecht sind sie nicht in erster Linie als Schutzrechte bezüglich des „Ob“, sondern primär hinsichtlich des „Wie“ einer zwangsweisen Entfernung anzusehen. Zum anderen sind sie in den Fällen als Abwehrrechte gegen unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet, in denen ihre Ausübung am Wiederansiedlungsort vereitelt würde. Derartige Zwangsumsiedlungen sind willkürlich und daher verboten. 6. Exkurs: Die völkervertragliche Gewährleistung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts: der individualrechtliche Aspekt Die wachsende Bedeutung, welche die Menschenrechte in der Völkerrechtsordnung erlangt hat, beruht auf der Erkenntnis, dass im Mittelpunkt aller (völker)rechtlichen Bemühungen der Mensch stehen muss.365 Kimminich hat dieses Postulat um den Zusatz ergänzt, dass damit nicht der isolierte Mensch gemeint ist, „sondern der Mensch in seiner Heimat, weil dies der Raum ist, der ihm die volle Entfaltung seines Menschentums ermöglicht.“366 So hat auch Blumenwitz argumentiert: „Entfaltung und Selbstverwirklichung sind für die meisten Menschen ohne Heimat nicht möglich. Das Schicksal des Menschen ist mit dem Raum, den er bewohnt, unmittelbar verbunden.“367 Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass der Verbleib eines Menschen in seinem örtlichen Lebensraum heute nicht nur als schützenswertes Interesse angesehen wird, sondern das Recht, in der Wohnstätte (Haus oder Wohnung), am Wohnsitz oder auf dem Grund und Boden verbleiben zu dürfen, auch ein international anerkanntes Menschenrecht ist, das auf vielfältige Weise normativ geschützt ist. Die Kommentare von Kimminich und Blumenwitz werfen die Frage auf, ob ein Menschenrecht auf unbehelligten 365 Vgl. statt vieler Klein, Menschenrechte, S. 7; auf das Recht im Allgemeinen bezogen, ders., Völker und Grenzen im 20. Jahrhundert, in: Der Staat 32 (1993), S. 357 (357 f.): „Der Mensch als Endzweck des Rechts.“ (ebd., Fn. 3 m. w. N.). 366 Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, ein Menschenrecht für alle, in: Dieter Blumenwitz/Hans von Mangoldt (Hrsg.), Neubestätigung und Weiterentwicklung von Menschenrechten und Volksgruppenrechten in Mitteleuropa, 1992, S. 39 (43) (Hervorh. d. Verf.). 367 Dieter Blumenwitz, Flucht und Vertreibung und ihre Ächtung im modernen Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 3 (35) (Hervorh. d. Verf.).

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Verbleib in der „Heimat“ als individuell ausgeprägtes Menschenrecht in der positiven Völkerrechtsordnung gewährleistet ist.368 a) Die völkerrechtliche Grundlage eines „Rechts auf die Heimat“ Ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht bzw. ein „Recht auf die Heimat“ ist nach wie vor in keinem völkerrechtlichen Vertrag, insbesondere in keinem internationalen Menschenrechtsabkommen ausdrücklich garantiert.369 Im Schrifttum wird argumentiert, dass die Bestandteile eines „Rechts auf die Heimat“ einschließlich eines heimatrechtlichen Bleiberechts370 bereits anderweitig, nämlich in den Gewährleistungen völkerrechtlicher Vertragswerke, insbesondere in Rechtsinstrumenten zum Schutz der 368 Zu den kollektivrechtlichen Aspekten des „Rechts auf die Heimat“ siehe unten die Erörterungen im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 1. 369 Vgl. Alfred de Zayas, The Right to One’s Homeland, Ethnic Cleansing, and the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, in: Criminal Law Forum 6 (1995), S. 257 (257 f.): „It may be considered an anomaly that although the right to live in one’s homeland is undoubtedly a fundamental right, and although the United Nations and other intergovernmental forums have engaged in extensive standard setting in the area of human rights, this right has not yet been expressly recognized in either an international convention or an addendum to the universal human rights covenant, in the form of a new article or optional protocol.“ – Eine explizite Garantie des „Rechts auf die Heimat“ findet sich aber z. B. in verschiedenen deutschen Landesverfassungen. So statuiert Art. 2 Abs. 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg von 1953: „Das Volk von Baden-Württemberg bekennt sich [. . .] zu dem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat.“ (Vgl. hierzu Baer, S. 28.) Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 erkennt das Land Sachsen „das Recht auf die Heimat“ an. Die sächsische Verfassung ist z. B. abgedruckt in: Bernd Kunzmann u. a. (Hrsg.), Die Verfassung des Freistaates Sachsen – Kommentierte Textausgabe, 1993. Kunzmann interpretiert diese Vorschrift als „das Recht, in der angestammten Heimat zu leben.“ Ebd., Artikel 5, Rdn. 6. 370 Siehe z. B. Krülle, S. 69, wonach das „Recht auf die Heimat“ unter anderem durch „die Möglichkeit unbehelligten Verbleibs“ im angestammten Gebiet verwirklicht wird. Neben dem Recht, in der Heimat zu verbleiben (Bleiberecht), werden als Gewährleistungsinhalt eines „Rechts auf die Heimat“ ferner das Recht, in die Heimat zurückzukehren (Rückkehrrecht), sowie weitere grundlegende menschenrechtliche Prinzipien, wie das Recht auf eine Staatsangehörigkeit („the right to a nationality“) und das Recht auf den „territorial locus“ einer Bevölkerung innerhalb eines Staates angesehen. So z. B. Final Report, Para. 13. – Gornig spricht sich hingegen dagegen aus, den Regelungsinhalt eines „Rechts auf die Heimat“ über die Forderungen eines Bleibe- und eines Rückkehrrechts hinaus auszudehnen. Weitere Gewährleistungsinhalte würden „durch andere völkerrechtliche Positionen abgedeckt . . ., so dass eine Subsumtion unter das ‚Recht auf die Heimat‘ als nicht erforderlich erscheint und den klaren Regelungsinhalt des Rechts verwässert.“ Gilbert H. Gornig, Niederlassungsfreiheit in den Europäischen Gemeinschaften im Lichte des Rechts auf die Heimat, in: Dieter Blumenwitz u. a. (Hrsg.), Der Beitritt der Staaten

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Menschenrechte wie dem IPBPR371, dem IPWSKR372, und der EMRK373 normativ geschützt seien. Das „Recht auf die Heimat“ wird dabei meist als ein „Komplex“ verstanden, der sich aus einer Reihe von Einzelrechten bzw. -normen zusammensetzt oder als logisches Korrelat des völkerrechtlichen Verbotes darstellt, Personen zwangsweise auszuweisen, umzusiedeln oder sonst unfreiwillig zu dislozieren, wie es zum Beispiel im humanitären Völkerrecht normiert ist.374 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die unterschiedlichen Ansätze zum Nachweis eines „Rechts auf die Heimat“ in der positiven Völkerrechtsordnung zu erörtern. Hier ist vielmehr nur zu analysieren, ob es eine völkerrechtliche Grundlage für ein spezielles individualrechtliches „Recht in der Heimat zu verbleiben“ gibt, das auch gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist.375 Bestimmte Normen, auf die zur Konstruktion eines heimatrechtlichen Bleiberechts zurückgegriffen wird, insbesondere Regeln des humanitären Völkerrechts, scheiden danach als GrundOstmitteleuropas zur Europäischen Union und die Rechte der deutschen Volksgruppen und Minderheiten sowie der Vertriebenen, 1997, S. 115 (134). 371 Vgl. z. B. Alfred de Zayas, The Right to One’s Homeland, S. 271–279, sowie die deutsche Version: ders., Ethnische Säuberung, S. 40–45. De Zayas sieht als Rechtsgrundlage für das „Recht auf die Heimat“ u. a. an: Art. 1 Abs. 1 IPBPR: Recht auf Selbstbestimmung (zur Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker als kollektives Menschenrecht als Rechtsgrundlage für ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht in Betracht kommt, siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 1.); Art. 6 Abs. 1 IPBPR: Recht auf Leben; Art. 9 Abs. 1: Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person; Art. 12 Abs. 1: Recht auf Bewegungsfreiheit; Art. 17: Recht auf Achtung der Privatsphäre; Art. 23 Abs. 1: Schutz der Familie. 372 Das „Recht auf die Heimat“ wird unter anderem auf Art. 1 Abs. 1: Recht auf Selbstbestimmung; Art. 6 Abs. 1: Recht auf Arbeit; Art. 9: Recht auf Soziale Sicherheit; Art. 11 Abs. 1: Recht auf einen angemessenen Lebensstandard; Art. 13 Abs. 1: Recht auf Bildung; Art. 15 Abs. 1 (a): Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben gestützt. Vgl. De Zayas, Ethnische Säuberung, S. 46. 373 Verdross argumentiert, dass „das Recht jedes Menschen, in seiner Heimat zu bleiben oder in diese zurückzukehren“, durch Art. 3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK (Art. 3 Abs. 1 lautet: „Niemand darf durch eine Einzel- oder Kollektivmaßnahme aus dem Hoheitsgebiet des Staates ausgewiesen werden, dessen Angehöriger er ist.“) anerkannt würde: Alfred Verdross, Universelles Völkerrecht: Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, § 1202, S. 794. Art. 3 ZP 4 normiert aber nur ein Ausweisungsverbot. Für die Konstruktion eines Rechts auf die Heimat zum Schutz vor innerstaatlichen Zwangsumsiedlungen und damit für ein umfassendes Heimatrecht eignet es sich nicht. 374 So z. B. Kimminich, Volksgruppenrecht, S. 27 ff. (Normen über Aufenthalt und Ausweisung; Normen des humanitären Völkerrechts; Selbstbestimmungsrecht der Völker). 375 Zu den gruppenrechtlichen Aspekten eines „Rechts auf die Heimat“, das als Abwehrrecht gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist, siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 1.

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lage für ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht, das gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist, von vornherein aus. Letztere erfolgen nämlich regelmäßig in Friedenszeiten. Es liegt zunächst nahe, als Rechtsgrundlage für ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht die Wohnungsgrundrechte anzusehen. Ob ein „Bleiberecht“, das im Schutzbereich dieser Grundrechte gewährleistet ist, auch im Sinne eines Rechts zu verstehen ist, in der eigenen „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen, hängt in erster Linie davon ab, wie der Begriff „Heimat“ juristisch auszulegen ist. b) „Heimat“ im Rechtssinne: der Versuch einer Begriffsbestimmung Der Begriff „Heimat“ lässt sich nicht ohne weiteres juristisch einwandfrei definieren.376 Völkerrechtswissenschaftler haben sich in der Vergangenheit zwar bemüht, „Heimat“ als rechtliches Begriffsmerkmal zu bestimmen.377 Eine allgemeingültige Definition ist bisher aber nicht gelungen. Dies mag daran liegen, dass „Heimat“ ein vielschichtiger Begriff ist und neben einem objektiven auch „einen höchst emotionalen“ subjektiven Gehalt aufweist.378 Der rechtliche Heimatbegriff ist durch mehrere Dimensionen gekennzeichnet: eine emotionale und seelisch-geistige, d.h. subjektive,379 eine soziokulturelle380, eine räumliche und eine zeitliche Dimension. 376 Mit diesem Argument lehnt Suhr die Kodifikation eines „right to live and remain in one’s homeland“ bzw. eines „Rechts auf die Heimat“ ab. Suhr, S. 89. – Gegen die Anerkennung eines völkerrechtlichen „Rechts auf die Heimat“ wird auch häufig angeführt, dass der Begriff „Heimat“ nur in der deutschen Sprache existiere. Vgl. Gornig, S. 130; vgl. auch Otto Kimminich, Heimat, in: Iganz Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts, 2. Aufl., 1992, S. 131 m. w. N. Dagegen spricht jedoch, dass sich in der englischsprachigen Literatur sehr wohl eine Übersetzung für den Terminus „Recht auf die Heimat“ findet. So lässt sich dieses als „right to one’s homeland“ übersetzen. Ferner ist Gornig darin zuzustimmen, dass es nicht ausgeschlossen scheint, „dass eines Tages das deutsche Wort ‚Heimat‘ im internationalen völkerrechtlichen Schrifttum herangezogen wird, was durchaus nichts Ungewöhnliches wäre“, wie zum Beispiel der Eingang des französischen ordre public oder des Non-Refoulement-Prinzipes als Rechtsbegriff in andere Sprachen zeige: Gornig, ebd., S. 130 f., Fn. 101. 377 Für Versuche einer Begriffsbestimmung aus jüngerer Zeit siehe z. B. De Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, 28; Gornig, S. 131 ff.; Dieter Blumenwitz, Das Recht auf die Heimat, in: ders. (Hrsg.), Recht auf die Heimat im zusammenwachsenden Europa: Ein Grundrecht für nationale Minderheiten und Volksgruppen, 1995, S. 41 ff. – Für eine Zusammenfassung verschiedener Begriffsbestimmungen, siehe ders., Flucht und Vertreibung, S. 5 ff. 378 Vgl. Stefan Heitmann, Heimat – Gabe und bleibende Aufgabe, in: Rheinischer Merkur, Nr. 28, 2001, S. 26. Vgl. auch Gornig, S. 130. 379 Zur theologischen Dimension der Heimat siehe Stefan Samerski, Die theologische Dimension des Begriffes „Heimat“, in: Dieter Blumenwitz (Hrsg.), Recht auf die Heimat im zusammenwachsenden Europa, S. 29–40.

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Die Größe des Raums, der die menschenrechtlich relevante „Heimat“ ausmacht, kann nicht flächenmäßig verbindlich festgelegt werden. „Heimat“ im Rechtssinne setzt zwar einerseits eine gewisse Raumgröße voraus.381 Andererseits wird aber mit dem „Recht, in der Heimat leben und verbleiben zu dürfen“, nicht notwendigerweise auf das „Vaterland“382, die „Nation“383 oder den „Staat“ Bezug genommen.384 Dies gibt auch die Definition des Begriffs „homeland“ zu verstehen, die ein Expertenteam auf einem Seminar zum Thema „population transfer and the implantation of settlers“ 1997 entwickelt hat.385 Nach Ansicht der Expertenrunde bezieht sich der Begriff „homeland“ bzw. „place of habitual residence“ im Zusammenhang mit einem „right to live and remain in one’s homeland“ auf einen bestimmten geographischen Ort innerhalb eines Staatsgebiets.386 „Heimat“ kann insbesondere auch ein bestimmter Kulturraum innerhalb eines Staates sein, wenn man unter Kultur mit Huntington Wesensarten versteht, „die das Zusammenleben von menschlichen Gruppen charakterisier[.]en, in der kleinen Einheit der Stadt oder in der regionalen Kultur.“387 Ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht kann danach nicht nur als Schutzrecht bezüglich Zwangsumsiedlungen über Staatsgrenzen hinweg von Bedeutung sein. Es kann vielmehr auch hinsichtlich innerstaatlicher Zwangsumsiedlungen relevant werden. Die Bestimmung eines Raumes als „Heimat“ kann insbesondere dann Schwierigkeiten bereiten, wenn die Personen(gruppen), die sich auf ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht berufen, mit ihren Mitmenschen nicht besondere ethnische, kulturelle, rassische oder religiöse Merkmale verbinden, sondern lediglich die Tatsache, dass sie über einen bestimmten Zeitraum hinweg in einer sozialen Gemeinschaft zusammengelebt, und sowohl die Gemeinschaft als auch das räumliche Umfeld durch das Zusammenleben besonders gestaltet haben. Wie groß muss dann der Ort sein, auf den mit einem aus dem „Recht auf die Heimat“ abgeleiteten Bleiberecht Bezug genommen wird? Nach dem hier vertretenen sozialrechtlichen Heimatbegriff 380

Zur soziokulturellen Dimension des Heimatbegriffs siehe Baer, S. 29. Vgl. ebd., S. 30. 382 Zum Verhältnis von Vaterland und Heimat vgl. Bernhard Schlink, Heimat als Utopie, 2000, S. 26. 383 Zu Nation als Heimat, vgl. ebd., S. 20: „Gewiß, die Nation, in der man beheimatet ist, ist ein konkreter Ort [. . .]. Aber konkreter sind die Orte, an denen wir wohnen und arbeiten, die Kieze, Städte und Landschaften, in denen wir leben.“ 384 Vgl. Gornig, S. 133. 385 Die Ergebnisse des Expertenseminars sind in dem Abschlussbericht Al-Khasawnehs zusammengefasst, siehe Final Report. 386 Ebd., Para. 13: „A distinct geographical location within the territory of a State.“ (Hervorh. d. Verf.). 387 Zitiert nach Heike Schmoll, Kultur und Zivilisation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. September 2001, Nr. 218, S. 16. 381

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stellt sich „Heimat“ als ein „gemeinschaftlicher, identitätsstiftender und auch möglichst stabiler“ Lebenszusammenhang dar.388 Es ist der Siedlungsund Kulturraum, der einer bestimmten Bevölkerungsgruppe und deren Angehörigen zugeordnet werden kann, die zwar nicht notwendigerweise eine Volksgruppe im Sinne einer nationalen Minderheit sein muss, jedoch durch ein spezielles Zusammengehörigkeitsgefühl gekennzeichnet ist. Zusammenfassend lässt sich „Heimat“ als rechtliches Begriffsmerkmal als der auf einen bestimmten Raum und eine bestimmte Gemeinschaft bezogene, sich über einen gewissen Zeitraum erstreckende, identitätsstiftende Lebenszusammenhang verstehen, zu dem der Mensch „jenseits nüchternsachlicher Beurteilung eine gemütsmäßig bestimmte, durch liebevolle Bande bewährte innere Beziehung hat.“389 „Heimat“ ist also der Ort, an dem der Mensch in anerkannter Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft lebt, mit der er sich identifiziert. Die besondere Beziehung zwischen Individuen oder Bevölkerungsgruppen zu dem geographischen Raum, der für sie „Heimat“ ist, dem sie sich zugehörig fühlen, ist häufig, aber nicht immer der Herkunftsort ( place of origin) einer Person, d.h. der Raum, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, wo sie verwurzelt ist (sog. Heimatstädte/-stätte). Ein Ort kann jedoch auch erst in späteren Jahren zur „Heimat“ werden. c) Das „heimatrechtliche“ Bleiberecht als Gewährleistung internationaler Wohnungsgrundrechte Legt man der juristischen Analyse internationaler Grundrechtsgarantien diesen Heimatbegriff zugrunde, ist zu folgern, dass das Menschenrecht, in seiner „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen („heimatrechtliches“ Bleiberecht), nicht in vollem Umfang im Schutzbereich der vorerwähnten Grundrechte verbürgt ist.390 Dies gilt auch für die internationalen Wohnungsgrundrechte. Sie gewähren kein spezielles subjektives Recht auf Verbleib in der „Heimat“, wie im Folgenden am Beispiel des Rechts auf Achtung der Wohnung und der Wohnsitzfreiheit zu zeigen ist. aa) „Heimatrechtliches“ Bleiberecht versus aus dem Recht auf Achtung der Wohnung abgeleitetes Bleiberecht Das Recht auf Achtung der Wohnung als Grundlage für ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht anzusehen, würde nicht nur den Schutz388

Vgl. zu dieser sozio-kulturellen Dimension Baer, S. 29. Kimminich, Heimat, S. 131, Bülow, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl. 1969, S. 415 zitierend. 390 So im Ergebnis auch Krülle, S. 70. 389

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zweck des „Rechts auf Achtung der Wohnung“, sondern auch die Eigenart des „Heimatkonzepts“ verkennen. Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Wohnung ist auf eine „rein räumliche Absicherung der Privatsphäre“ ausgerichtet.391 Es schützt die Wohnung als einen Teil der Privatsphäre im Sinne einer isolierten Zone des Individuums.392 Als solches bezweckt es gerade nicht den Schutz des gesellschaftlichen Lebensumfeldes, sondern die Möglichkeit des Rückzuges daraus. Volio hat dies in seiner Kommentierung zu Art. 17 IPBPR anschaulich beschrieben: „Man realizes himself within society [. . .], but it is also man’s nature to isolate himself from his peers, at least form those to whom he has lesser ties. Since time immemorial man has sought to live privately; his home has been the first redoubt for his privacy. [. . .] Article 17 [. . .] creates a zone of isolation, a legal cloister for those qualities, wishes, projects, and life styles which each individual man, woman, or child wishes to enjoy or experience.“393

„Heimat“ im hier verstandenen gesellschaftlichen Sinne lässt sich gerade nicht auf die einzelne Wohnung reduzieren.394 Sie ist vielmehr das Gegenteil der „isolierten Zone“ Wohnung, nämlich ein identitätsstiftender Lebenszusammenhang im Sinne eines sozialen Kontextes.395 Unter „Heimat“ im Sinne eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts ist eine „räumlich-soziale“ Einheit zu verstehen, „die durch aktive Teilnahme hergestellt, nicht durch Ab- und Ausgrenzung erworben wird.“396 Insofern kann das „Recht auf die Heimat“ auch als „extrovertiertes“, d.h. nach außen gerichtetes, das Recht auf Achtung der Wohnung als „introvertiertes“, d.h. nach innen gewandtes Grund- bzw. Menschenrecht, bezeichnet werden. Das „heimatrechtliche“ Bleiberecht im Sinne des Rechts, in der „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen, weist folglich einen spezifischen Gewährleistungsgehalt auf, der von dem Bleiberecht zu unterscheiden ist, das integraler Bestandteil des Rechts auf Achtung der Wohnung ist.397 391

Vgl. Wildhaber, Art. 8, Rdn. 457. Vgl. Nowak, Art. 17 CCPR, Rdn. 4. 393 Fernando Volio, Legal Personality, Privacy, and the Family, in: Henkin, S. 190. 394 So auch Baer, S. 30: „Heimat ist nicht die einzelne Wohnung oder das Zelt.“ 395 Vgl. Krülle, S. 69. 396 Baer, S. 29: „Heimat wird auch auf die personale Identität des Einzelnen in einer Gemeinschaft bezogen.“ 397 Zur ähnlichen Frage, ob das Recht auf Achtung der Wohnung ein kollektives Menschenrecht auf Schutz der demographischen und kulturellen Integrität des Umfeldes einer Wohnung umfasst, siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, F. 3. a). 392

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bb) „Heimatrechtliches“ Bleiberecht versus aus der Wohnsitzfreiheit abgeleitetes Bleiberecht Auch die Garantie der Wohnsitzfreiheit als Bestandteil des Freizügigkeitsrechts umfasst kein spezielles heimatrechtliches Bleiberecht. Die Wohnsitzfreiheit ist, wie oben dargelegt, als Abwehrrecht gegen den Verlust des augenblicklichen Wohnortes im Sinne des örtlichen Lebenskreises gerichtet. Freizügigkeit verbürgt das Recht, sich an einem bestimmten Ort niederlassen oder aufhalten zu dürfen, an dem „Heimat“ begründet werden kann, sowie das Recht, aus diesem nicht zwangsweise entfernt zu werden. Insofern steht die Wohnsitzgarantie in engem Zusammenhang mit dem Recht, in der eigenen „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen. Sie garantiert aber nicht jene Faktoren, welche den Wohnort zur „Heimat“ im Sinne des sozialrechtlichen Heimatbegriffs machen,398 wie zum Beispiel stabile soziale Beziehungen und kulturelle Geborgenheit. „Heimat“ ist gerade nicht ein beliebiger Wohnsitz, sondern vielmehr ein bestimmter Ort bzw. Raum, an dem eine Person nicht nur emotional, sondern auch sozial verwurzelt ist, mithin ein Ort/Raum, an dem man in anerkannter Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft lebt. Dementsprechend grenzt Krülle das „Recht auf die Heimat“ unter Verweis auf den sozialrechtlichen Heimatbegriff von der Wohnsitzfreiheit ab. „Heimat“ stellt sich danach „nicht wie beim individualrechtlichen als beliebiger Wohnsitz von Individuen, sondern unter Berücksichtigung objektiver Kriterien als der angestammte Siedlungs- und Kulturraum der der Heimat zuzuordnenden Volksgruppe“ dar: „Es gibt der Gruppe ein nicht nur personales, sondern vor allem auch territoriales, kollektives Recht auf Ansässigkeit in der Heimat.“399 Der Unterschied zwischen dem Bleiberecht, das Bestandteil der Wohnsitzfreiheit ist, und einem speziellen (Menschen-)Recht, in der „Heimat“ verbleiben zu dürfen, kann schließlich an der temporalen Dimension der „Heimat“ verdeutlicht werden: Ein Ort wird nicht schon mit der Niederlassung einer Person darin zur „Heimat“. Vielmehr spielt der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle. „Heimat“, so Blumenwitz, „ist kein statischer, sondern ein dynamischer Begriff.“400 Entsprechend muss sich ein Raum erst zu 398 Vgl., allerdings im Kontext des verfassungsrechtlich geschützten Freizügigkeitsrechts, Gusy, Artikel 11, Art. 11 Rdn. 30: „Hinsichtlich der Heimat kann Art. 11 demnach nur zwei Vorbedingungen verbürgen: Das ‚Recht‘, sich an einem Ort niederlassen oder aufhalten zu dürfen, wo ‚Heimat‘ begründet werden kann; ferner das Recht, aus diesem Ort nicht ausgewiesen oder sonst entfernt zu werden.“ 399 Krülle, S. 69. 400 Blumenwitz, Recht auf die Heimat, S. 41.

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einer „Heimat“ entwickeln. Blumenwitz zufolge geschieht dies „durch die tagtägliche Zustimmung der mit ihr verbundenen Menschen.“401 Im Gegensatz zu einem „heimatrechtlichen“ Bleiberecht wird das Recht, am frei gewählten Wohnsitz verbleiben zu dürfen, unabhängig davon gewährt, wie lange sich eine Person bereits an einem Ort aufgehalten hat. Das Recht auf Wohnsitzfreiheit entfaltet seinen Schutz vor Zwangsentfernungen mit dem Zeitpunkt der Wohnsitzbegründung. Dagegen setzt die Berufung auf das Recht, in der „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen, stets eine zeitliche und soziale Verwurzelung mit dem Wohnort voraus.402 Nach alledem zählt das „Grundrecht auf Heimat“ im Sinne eines Rechts, in der „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen, das speziell vor dem Verlust der „Heimat“ schützt, nicht zu den Gewährleistungen der Wohnsitzfreiheit.403 d) Das „heimatrechtliche“ Bleiberecht als Gewährleistung sonstiger Menschenrechte Die völkerrechtlich gewährleisteten Menschenrechte, die als Nachweis für die Existenz eines „Rechts auf die Heimat“ bzw. eines völkerrechtlichen Verbotes, Individuen und Bevölkerungsgruppen aus ihrer gewohnten Umgebung zu entfernen (Verbot der zwangsweisen Dislokation), angeführt werden, wie zum Beispiel das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit,404 scheiden aus ähnlichen Gründen als Grundlage für ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht aus. Diese Rechte werden zwar im Verlauf einer Vertreibung oder Zwangsumsiedlung häufig verletzt. Es würde aber das Spezifische des „heimatrechtlichen“ Bleiberechts verkannt und der jeweilige Anwendungsbereich dieser Menschenrechte überdehnt, wenn man sie als Rechtsgrundlage für ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht ansähe. Der Schutzbereich dieser Rechte ist nicht auf den speziellen Schutz des Verbleibs in der „Heimat“, sondern allenfalls auf den Schutz vor Zwangsentfernungen im Allgemeinen ausgerichtet, die zu ungerechtfertigten Eingriffen in die genannten Menschenrechte führen. 401

Ebd. Folglich sieht Krülle den Heimatbegriff auch als Gegensatz zum individualrechtlichen Wohnsitzbegriff an; Krülle, S. 69. 403 So im Ergebnis – bezogen auf das „Recht auf die Heimat“ als solches – auch Gornig, S. 136. 404 Vgl. hierzu z. B. De Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 49 ff. 402

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e) Schlussbemerkung zur völkerrechtlichen Anerkennung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts Aus den vorangehenden Ausführungen folgt, dass ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht, das vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt, nicht als Norm des vertraglich begründeten Völkermenschenrechts anzusehen ist. Das impliziert allerdings nicht, dass ein solches Recht nicht bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Unter welchen Voraussetzungen ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts entsteht und ob das heimatrechtliche Bleiberecht hierzu zählt, ist im folgenden Abschnitt zu erörtern.405 II. Das menschenrechtliche Bleiberecht als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts Die Untersuchung des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch ein Bleiberecht wäre unvollständig, wenn dabei nicht erörtert würde, ob das Recht, in seiner Wohnung, auf seinem Grund und Boden und in seinem Wohnort bzw. Siedlungsgebiet verbleiben und von dort nicht zwangsweise entfernt werden zu können, als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts anerkannt ist. Die internationalen Menschenrechtsverträge, die ein Bleiberecht normativ schützen, binden nämlich nach wie vor nicht alle Staaten.406 Völkerrechtliche Pflichten menschenrechtlicher Art für nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte begründen sie unmittelbar ohnehin nicht.407 Völkergewohnheitsrechtliche Menschenrechtsnormen sind hingegen, sofern es sich nicht um regionales Völkergewohnheitsrecht handelt, für alle Staaten und darüber hinaus auch bestimmte nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte408 rechtsverbindlich. Im völkerrecht405 Zur Frage, ob es erforderlich bzw. sinnvoll, d.h. dem Menschenrechtsschutz förderlich wäre, ein spezielles „Recht auf die Heimat“ bzw. ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht zu kodifizieren, siehe Stefanie Ricarda Roos, The „Right to Live and Remain in One’s Place of Origin“: A United Nations’ Rhetoric or an Internationally Recognized Human Right? – Reflections on the Potential of a Controversial Right to be Universally Recognized, in: German Yearbook of International Law 44 (2001), S. 517 (528 ff.). 406 Zum jeweiligen Ratifikationsstand siehe Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Status of Ratifications of the Principal International Human Rights Treaties, Stand: 9. Juni 2004, abrufbar unter . 407 Zur Frage, ob die internationalen Menschenrechtsverträge für internationale Organisationen wie die Weltbank menschenrechtliche Pflichten erzeugen, siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. 408 Zu den durch Völkergewohnheitsrecht begründeten Menschenrechtspflichten nichtstaatlicher Akteure siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2.

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lichen Normensystem stehen sie im gleichen Rang wie völkervertragsrechtliche Vorschriften.409 Daher ist auch zu fragen, ob das menschenrechtliche Bleiberecht bereits seine Geltung als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts erlangt hat. 1. Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts Die Völkerrechtslehre und -praxis fordert für den Nachweis, dass eine gewohnheitsrechtliche Völkerrechtsnorm existiert, traditionell, dass diesbezüglich eine gewohnheitsrechtsbildende Staatenpraxis („Übung“)410, verbunden mit einer normstützenden Rechtsüberzeugung (opinio juris) besteht.411 Als gewohnheitsrechtsbegründende „Übung“ kommen grundsätzlich „alle Verhaltensweisen der Staaten (Handlungen, Äußerungen, Unterlassen) im rechtlich relevanten oder im lediglich faktischen Bereich“ in Betracht.412 Dazu zählen „Verhaltensweisen im Bereich der internationalen Beziehungen (zwischen Staaten und/oder Internationalen Organisationen) bis zu international erheblichen Akten nationaler Rechtssetzung sowie nationalen Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen.“413 Die fragliche Maßnahme muss grundsätzlich von einer gewissen Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung sein, um als „Übung“ im völkergewohnheitsrechtlichen Sinne zu qualifizieren.414 Das Konzept des Völkergewohnheitsrechts hat aber in den vergangenen Jahren bezüglich dieser Entstehungsvoraussetzung gewisse Modifikationen erfahren.415 Auf sie ist im Laufe der folgenden Untersuchung einzugehen. a) Die Staatenpraxis bezüglich eines menschenrechtlichen Bleiberechts Der Nachweis einer Staatenpraxis, die belegt, dass die Staatengemeinschaft ein menschenrechtliches Bleiberecht anerkennt, mag angesichts der 409

Vgl. z. B. Malanczuk, S. 56. Die völkergewohnheitsrechtbegründende „Übung“ wird auch als „objektives Element“ des Völkergewohnheitsrechts bezeichnet; siehe z. B. Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 16 Rdn. 4. 411 Zu den Entstehungsvoraussetzungen internationalen Gewohnheitsrechts siehe z. B. Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders., Völkerrecht, 1. Abschn. Rdn. 131 ff.; Malanczuk, S. 44; siehe auch die Legaldefinition des Art. 38 Abs. 1 lit. b des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, wonach das internationale Gewohnheitsrecht „Ausdruck einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung“ sein muss. 412 Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rdn. 6. 413 Ebd. 414 Vgl. ebd., § 16 Rdn. 7. 415 Vgl. Malanczuk, S. 46. 410

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unzähligen Vertreibungen, Zwangsevakuierungen und -umsiedlungen, die tagtäglich – insbesondere auch im Namen der Entwicklungsförderung – weltweit erfolgen, paradox erscheinen. Die Tatsache, dass Menschen staatlicherseits oder ohne den erforderlichen staatlichen Schutz zwangsweise von ihrer Wohnung entfernt oder auf andere Weise disloziert werden, spricht jedoch nicht per se dagegen, dass das menschenrechtliche Bleiberecht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist: Staaten verletzen nämlich unentwegt international anerkannte Menschenrechte. Deren Existenz wird deswegen nicht gleich in Frage gestellt.416 Eine Staatenpraxis, die zur Bildung eines völkergewohnheitsrechtlichen Bleiberechts beigetragen hat, könnte zunächst in den Bemühungen einzelner Staaten sowie der internationalen Staatengemeinschaft gesehen werden, den Personen, die im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien vertrieben wurden, bei der Rückkehr in ihre Herkunftsorte aktive Hilfe zu leisten. Dies gilt umso mehr, als die beteiligten Staaten dabei ausdrücklich betont haben, dass die Flüchtlinge ein „Recht“ hätten, in ihre Ursprungsstätten zurückzukehren.417 Als Nachweis für die erforderliche „Übung“ können daneben verschiedene zwischenstaatliche Abkommen jüngeren Datums dienen, die Konfliktparteien mit dritten Staaten und/oder internationalen Organisationen geschlossen haben. Beispielhaft hierfür seien das Dayton-Abkommen418 und 416

Ähnlich argumentiert Kunig im Hinblick auf Verletzungen von Regeln des allgemeinen Völkerrechts; siehe Philip Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2. Abschn. Rdn. 138: „Dass die Staaten gegen bestimmte Regeln des allgemeinen Völkerrechts verstoßen (etwa der eine oder andere Staat in der Region Westafrika den Sklavenhandel nach wie vor duldet), lässt dabei noch nicht an der Geltung der betroffenen Regel zweifeln. Hinzukommen muss prinzipiell der subjektive Faktor. Wenn die Staaten ‚lediglich‘ bestreiten, einen Tatbestand verwirklicht zu haben oder auch – bei dem genannten Beispiel freilich nicht denkbar – rechtfertigende Ausnahmebestimmungen ins Feld führen, dann kann dies gerade für eine normstützende Rechtsüberzeugung sprechen.“ – Zu einem ähnlichen Schluss kommt Schlink bez. des „Rechts auf Heimat“: „Gewiß die Wirklichkeit lehrt uns, daß das Recht oft und oft verletzt wird. Aber das ist das Schicksal des Rechts. Utopisch wären das Recht der Heimat und das Recht auf Heimat nur, wenn es für sie in der Welt des Rechts keinen Ort gäbe.“ Schlink, Utopie, S. 48. 417 Siehe die Nachweise oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. 1. 418 Das Dayton-Abkommen wurde am 21. November 1995 in Dayton, Ohio paraphiert und am 14. Dezember 1995 in Paris ratifiziert. Es wurde von den Präsidenten von drei der fünf Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (SFRY) – dem Präsidenten der Republik Bosnien-Herzegowina, Izetbegovic´; dem Präsidenten der Republik Serbien und Montenegro, Milosevic´, stellvertretend für die Bundesrepublik Jugoslawien, sowie dem Präsidenten der Republik Kroatien, Tudjman – und Vertretern der Europäischen Union sowie den fünf Regierungen der Kontaktgruppe (Frankreich, Deutschland, die Russische Föderation, Großbritannien und den USA) als Zeugen unterzeichnet.

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das Quadripartite Agreement on Voluntary Return of Refugees and Displaced Persons vom 4. April 1994 zur Lösung des Georgisch-Abchasischen Konflikts419 genannt, die das Recht von Flüchtlingen und auf sonstige Weise dislozierten Personen anerkennen, in ihre „homes of origin“420 bzw. „places of origin or residence“421 zurückzukehren.422 Sie alle dokumentieren nicht nur eine Rechtsüberzeugung dahingehend, dass jedem Menschen das Recht zusteht, nach einer erzwungenen Dislokation an den ursprünglichen Wohnort zurückzukehren.423 Den Erklärungen liegt zugleich die Rechtsüberzeugung zugrunde, dass das menschenrechtliche Bleiberecht ein zu achtendes Menschenrecht ist. Das Rückkehrrecht ist nämlich das Sekundärrecht, mit dem die Verletzung des primärrechtlichen Bleiberechts wiedergutzumachen ist. 419 Quadripartite agreement on voluntary return of refugees and displaced persons signed on 4 April 1994, Annex II zu UN Doc. S/1994/397, 5. April 1994 (künftig Quadripartite Agreement). – Vgl. hierzu auch die Resolutionen des Sicherheitsrates SC Res. 876 vom 19. Oktober 1993, Para. 5, in welcher der Sicherheitsrat ein Rückkehrrecht aller Flüchtlinge und IDPs anerkannt hat, sowie SC Res. 1225 (1999) vom 28. Januar 1999. 420 Gemäß Art. 1 Abs. 1 von Annex 7 des Dayton-Abkommens, Agreement on Refugees and Displaced Persons, „[a]ll refugees and displaced persons have the right freely to return to their homes of origin.“ Vgl. hierzu, insbes. auch zu den Verpflichtungen des Abkommens bezüglich der Ausübung des Rückkehrrechts, de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 118 ff. 421 Para. 3 (a) des Quadripartite Agreement, lautet: „Displaced persons/refugees have the right to return voluntarily to their places of origin or residence irrespective of their ethnic, social or political affiliation under conditions of complete safety, freedom and dignity.“ Siehe auch Para. 3 (d), wonach die Vertragsparteien sicherzustellen haben, dass die Flüchtlinge das Recht haben, „to return to the areas where they lived prior to leaving the conflict zone.“ 422 Zur internationalen Anerkennung eines Rückkehrrechts dislozierter Personen siehe auch die Jubilee Charter of Rights of Displaced People vom 1. Juni 2000, abgedruckt in: WAR-Bulletin, Nr. 3–4 (2000), S. 106 ff. Die Jubilee Charter erkennt ausdrücklich ein Rückkehrrecht von Flüchtingen und Binnenvertriebenen an. In der Charter heisst es diesbez: „We present this JUBILEE CHARTER OF THE RIGHTS OF DISPLACED PEOPLE, with which, on the basis of our religious faith and our humanitarian principles, their rights are reaffirmed, among which are the following: – the right of refugees to a dignified and secure return to their homeland, together with the commitment of the international community to promote respect for fundamental human rights in their country of origin and the solution of the political, social, religious and environmental questions that impede return; – the right of internally displaced of whom there are tens of millions to be protected in their basic human rights and to return in security to their own lands and homes.“ Ebd., S. 106–107. – Für weitere Beispiele zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder Abkommen, in denen ein Rückkehrrecht anerkannt bzw. begründet wird, siehe de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 115 ff.; siehe auch Geißler, S. 133 ff. 423 Vgl. George E. Little, Forced Movement of Peoples, in: American Society of International Law Proceedings March 27–30, 1996, S. 545 (560).

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b) Die Rechtsüberzeugung bezüglich eines menschenrechtlichen Bleiberechts Selbst wenn man eine Staatenpraxis bezüglich eines menschenrechtlichen Bleiberechts nicht in den vorgenannten Verhaltensweisen dokumentiert sehen will, heißt das noch nicht, dass dessen völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung zu verneinen ist. Hinsichtlich der Entstehung eines völkergewohnheitsrechtlichen Bleiberechts könnte man vielmehr vorbringen, dass in diesem Fall Entschließungen Internationaler Organisationen, insbesondere von Organen der Vereinten Nationen, ausnahmsweise zur Umkehr des gewöhnlichen Entstehungsprozesses von Völkergewohnheitsrecht führen: „Falls nämlich in einer Entschließung eine – zudem anderweitig verifizierbare – Rechtsüberzeugung dokumentiert ist und sich anschließend eine entsprechende Übung entwickelt, folgt das objektive dem subjektiven Element.“424

Eine solche – für die Herausbildung eines Gewohnheitsrechtssatzes „menschenrechtliches Bleiberecht“ erforderliche – Rechtsüberzeugung ist unter anderem in Empfehlungen und Resolutionen verschiedener Organe und Gremien der Vereinten Nationen dokumentiert. So hat die Unterkommission der UN-Menschenrechtskommission in den vergangenen Jahren wiederholt bekräftigt, dass jede Person das Recht habe, „to remain in peace in their (own) homes, on their own lands and in their own countries“ bzw. „to a secure place to live in peace and dignity, which includes the right not to be evicted [. . .] from one’s home, land or community“ („to be protected from forcible displacement“),425 und das Recht vertriebener und auf sonstige Weise dislozierter Menschen, in Sicherheit und Würde in das eigene Ursprungsland und oder innerhalb des Landes an den Ursprungsort zurückzukehren, zum fundamentalen Menschenrecht erklärt.426 Der UN-Sicher424

Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 16 Rdn. 23. Siehe z. B. die Resolutionen der UN-Unterkommmission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten zum Freizügigkeitsrecht („The right to freedom of movement“) sowie zu Zwangsentfernungen („Forced evictions“): UN SubCommission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Res. 1994/24 vom 26. August 1994, Para. 1 und 2, UN Doc. E/CN.4/1995/2 – E/CN.4/Sub. 2/1994/56; Res. 1995/13 vom 18. August 1995, Para. 1 und 2, UN Doc. E/CN.4/1996/2 – E/CN.4/Sub. 2/1995/51; Res. 1996/9 vom 23. August 1996, Para. 1 und 2, UN Doc. E/CN.4/1997/2 – E/CN.4/Sub. 2/1996/41; Res. 1997/29 vom 28. August 1997, Para. 3 und 4, UN Doc. E/CN.4/1998/2 – E/CN.4/Sub. 2/ 1997/50; Res. 1998/9 – Forced evictions vom 20. August 1998, UN Doc. E/CN.4/ Sub. 2/Res/1998/9: „Reaffirming that every woman, man and child has the right to a secure place to live in peace and dignity, which includes the right not to be evicted [. . .] from one’s home, land or community.“ (chapeau, Para. 3); sowie die Resolutionen zur Situation im ehemaligen Jugoslawien, Res. 1995/8. Situation in the territory of the former Yugoslavia vom 18. August 1995, UN Doc. E/CN.4/ 1996/2 – E/CN.4/Sub. 2/1995/51, Para. 4 und 5. 425

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heitsrat, die UN-Vollversammlung und die UN-Menschenrechtskommission haben diese Resolutionen hinsichtlich der Anerkennung eines Rückkehrrechts bestätigt, woraus die Existenz eines Bleiberechts abzuleiten ist.427 In einigen Fällen, wie der erwähnten Rückführung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge, haben sich die Staaten – jedenfalls teilweise – nach den UN-Resolutionen gerichtet. In anderen Fällen sind Staaten Forderungen nach einem Recht auf Rückkehr der von ihnen vertriebenen Personen selbst dann nicht nachgekommen, wenn die Verwirklichung des Rückkehrrechts, wie im Fall der palästinensischen Flüchtlinge, in zahlreichen Resolutionen der UN-Vollversammlung und des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen explizit eingefordert wurde.428 Auch hieraus folgt aber nicht, dass sich das menschenrechtliche Bleiberecht als Satz des geltenden Völkergewohnheitsrechts noch nicht entwickelt hat. In der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) finden sich Beispiele dafür, dass die erforderliche Rechtsüberzeugung (opinio juris), für deren Nachweis der IGH auch Resolutionen der Vereinten Nationen gelten lässt,429 selbst dann zu der Entstehung eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts führen kann, wenn eine diesbezügliche Staatenpraxis entweder fehlt oder aber widersprüchlich ist.430 426 „The right to return (voluntarily), in safety and dignity, to their country of origin and/or within it, to their place of origin.“ Siehe die Nachweise ebd., jeweils Para. 4 bzw. 5. – Siehe ferner UN Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Res. 1997/31 vom 28. August 1997, UN Doc. E/ CN.4/Sub. 2/RES/1997/31; vgl. auch Res. 1998/26 – Housing and property restitution in the context of the return of refugees and internally displaced persons vom 26. August 1998, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/Res/1998/26. 427 Siehe z. B. die Resolutionen des Sicherheitsrats vom 30. September 1994, SC Res. 947, Para. 7; vom 9. November 1995, SC Res. 1019, Para. 7; vom 28. Januar 1999, SC Res. 1225, Para. 7; die Resolution der Vollversammlung vom 18. Dezember 1992, GA Res. 47/121 (The situation in Bosnia and Herzegovina), Präambel. Siehe hierzu De Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 15 m. w. N. 428 Vgl. hierzu m. w. N. De Zayas, ebd., S. 115 f.; Krülle, S. 70. – Zur Weigerung des israelischen Kabinetts, den Nachkommen der im Unabhängigkeitskrieg 1948 aus zwei Dörfern nahe der libanesischen Grenze von der israelischen Armee vertriebenen arabischen Bewohnern die Rückkehr in diese Orte zu gestatten, siehe Jörg Bremer, Die verlorenen Dörfer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Oktober 2001, Nr. 241, S. 9. 429 Die Rechtsüberzeugung von Staaten kann auch ihrem Verhalten bez. Resolutionen der UN-Vollversammlung entnommen werden, vgl. Graf Vitzthum, Begriff, 1. Abschn. Rdn. 132, Fn. 322. 430 Vgl. Frederic L. Kirgis, JR., Custom on a Sliding Scale, in: The American Journal of International Law 81 (1987), S. 146 (147). Aus der Rechtsprechung des IGH siehe z. B. Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), 14. Februar 2002, ICJ Reports 2002, S. 3. Der IGH hat hier zur Begründung, dass auch ein amtierender Außenminister nach Völ-

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Dem ist auch hinsichtlich der Entwicklung eines menschenrechtlichen Bleiberechts zu folgen: Daraus, dass im Lichte der klassischen Rechtsquellenlehre nur eine enge Basis für das Argument einer gewohnheitsrechtlichen Existenz des menschenrechtlichen Bleiberechts nachgewiesen werden kann, ist nicht zu schließen, dass das Bleiberecht lediglich als ein in der Entstehung eines Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts befindliches Recht anzusehen ist, das bisher noch keinen festen Platz im Völkergewohnheitsrecht eingenommen hat. Die Frage, ob das menschenrechtliche Bleiberecht zum Völkergewohnheitsrecht zählt, ist vielmehr im Lichte der Entwicklungen im Völkerrecht zu beantworten, wonach bei der Begründung von Völkergewohnheitsrecht auch auf andere Aspekte als die reine Staatenpraxis abgestellt bzw. das Völkerrecht auch außerhalb der anerkannten Rechtsquellentheorie fortentwickelt werden kann, und zwar zum Beispiel durch das Abstellen auf fundamentale Ordnungsprinzipien der internationalen Gemeinschaft.431 Zu Letzteren zählt der Grundsatz der Humanität als eigentliches Telos des modernen Völkerrechts. Ein prominentes Beispiel für eine prinzipiengeleitete Begründung von Völkergewohnheitsrecht findet sich u. a. in der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Der ICTY hat in seiner Entscheidung im Fall „Prosecutor v. Dusko Tadic´ a/k/a ‚Dule‘“ vom 2. Oktober 1995 eine völkergewohnheitsrechtliche individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit im nicht internationalen bewaffneten Konflikt angenommen und diese primär prinzipiengeleitet, und zwar u. a. unter Rückgriff auf elementare Prinzipien der Humanität, Gerechtigkeit und Billigkeit sowie die Menschenrechte als konstitutionelles Prinzip der Völkerrechtsordnung begründet.432 kergewohnheitsrecht absolute (funktionelle) Immunität genießt, in Ermangelung einer entsprechenden Staatenpraxis primär prinzipiengeleitet argumentiert. Siehe hierzu Claus Kreß, Völkerstrafrecht und Weltrechtspflegeprinzip im Blickfeld des Internationalen Gerichtshofs. Zum Votenstreit der Richter des IGH im Haftbefehlsfall (Demokratische Republik Kongo gegen Belgien), ZStW 114 (2002), S. 818–849, der auch die rechtsquellentheoretischen Probleme beleuchtet. 431 Die Frage, ob die Anforderungen an den Nachweis der Staatenpraxis im Hinblick auf fundamentale Ordnungsprinzipien der internationalen Gemeinschaft abgesenkt werden können, ist dogmatisch noch nicht hinreichend geklärt. Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, sie weiter zu vertiefen. 432 „Prosecutor v. Dusko Tadic ´ a/k/a ‚Dule‘ “, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Appeals Chamber, 2. Oktober 1995. Siehe z. B. Rdnr. 135: „It should be added that, in so far as it applies to offences committed in the former Yugoslavia, the notion that serious violations of international humanitarian law governing internal armed conflicts entail individual criminal responsibility is also fully warranted from the point of view of substantive justice and equity.“ (Hervorh. d. Verf.) Siehe auch Rdnr. 129: „Principles and rules of humanitarian law reflect ‚elementary considerations of humanity‘ widely recognized as the mandatory minimum for conduct in armed conflicts of any kind. No one can doubt the gravity of the acts at issue, nor the interest of the international community in

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Die Humanität rät entschieden davon ab, Menschen zwangsweise von ihrer (gewohnten) Umgebung zu entfernen und unter vielfach sehr erschwerten Lebensbedingungen neu anzusiedeln. Diese Überzeugung liegt auch den genannten Resolutionen und der Spruchpraxis internationaler Vertragsorgane zu Grunde. Das menschenrechtliche Bleiberecht ist nach alledem grundsätzlich als gewohnheitsrechtlich anerkannt anzusehen. Inhalt und Reichweite des Schutzes, den dieses Recht speziell gegenüber entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet, sind jedoch noch nicht abschließend geklärt. Sie bedürfen erst noch einer Konkretisierung durch Rechtsprechung und Praxis. 2. Die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung eines „heimatrechtlichen“ Bleiberechts Der Völkerrechtler De Zayas, der sich der Aufgabe angenommen hat, die Existenz eines „Rechts auf die Heimat“ in der Völkerrechtsordnung nachzuweisen, weist darauf hin, dass eine Vielzahl von Resolutionen, welche die Vereinten Nationen im vergangenen Jahrzehnt zum grundlegenden Menschenrecht vertriebener und auf sonstige Weise dislozierter Menschen, an ihrem Wohnort verbleiben zu dürfen, verabschiedet haben, ein „Bekenntnis der Vereinten Nationen zum Recht auf die Heimat“ liefern.433 De Zayas ist darin beizupflichten, dass – wie bereits gezeigt wurde – in den vergangenen Jahren verschiedene Gremien der Vereinten Nationen, zuvörderst die UNUnterkommission, wiederholt die Existenz eines Rechts aller Menschen betheir prohibition.“ Eine prinzipiengeleitete Argumentation im oben beschriebenen Sinne findet sich auch an anderen Stellen der Entscheidung. Siehe z. B. Rdnr. 119: „Indeed, elementary considerations of humanity and common sense make it preposterous that the use by States of weapons prohibited in armed conflicts between themselves be allowed when States try to put down rebellion by their own nationals on their own territory. What is inhumane, and consequently proscribed, in international wars, cannot but be inhumane and inadmissible in civil strife.“ Zur Begründung unter Rückgriff auf die Menschenrechte als konstitutionelles Prinzip der Völkerrechtsordnung siehe z. B. Rdnr. 97: „[T]he impetuous development and propagation in the international community of human rights doctrinces, particularly after the adoption of the Universal Declaration of Human Rights in 1948, has brought about significant changes in international law, notably in the approach to problems besetting the world community. A State-sovereignty-oriented approach has been gradually supplanted by a human-being-oriented approach. Gradually the maxim of Roman law hominum causa omne jus constitutum est (all law is created for the benefit of human beings) has gained a firm foothold in the international community as well. It follows that in the area of armed conflict the distinction between interstate wars and civil wars is losing its value as far as human beings are concerned. [. . .] If international law, while of course duly safeguarding the legitimate interests of States, must gradually turn to the protection of human beings, it is only natural that the aforementioned dichotomy should gradually lose its weight.“ 433 De Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 14 f.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

kräftigt haben, „to remain in peace in their (own) homes, on their own lands and in their own countries“.434 Es ist jedoch fraglich, ob in diesen Resolutionen eine Rechtsüberzeugung dokumentiert ist, wonach allen Menschen ein spezielles Recht, in der „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen („heimatrechtliches“ Bleiberecht), bzw. ein Menschenrecht auf die Heimat zusteht. Dagegen könnte sprechen, dass keine dieser Resolutionen den Begriff „Heimat“ explizit enthält, und zwar auch nicht in seiner englischen Übersetzung („homeland“ oder „native land“). Sie erkennen vielmehr das Recht an, im „place of origin“ leben und verbleiben bzw. in diesen zurückkehren zu dürfen. In der Literatur zum „Recht auf die Heimat“ wird zwar vorgebracht, dass diese Umschreibung als Synonym für den deutschen Terminus „Recht auf die Heimat“ in seiner komplexen Bedeutung anzusehen ist.435 Entsprechend wird die Formulierung „the right of persons to remain in peace in their own homes, on their own lands and in their own countries“436 in der deutschsprachigen Literatur teilweise auch mit „das Recht aller Menschen, friedlich in ihrer Heimat zu bleiben“ übersetzt.437 Ob damit aber tatsächlich das „Recht auf die Heimat“ umschrieben sein soll, ist zweifelhaft. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die oben erwähnten Resolutionen im Kontext des Rechts auf Freizügigkeit (the right to freedom of movement) erlassen wurden. Insofern sind die Umschreibungen eher als Interpretation des Freizügigkeitsrechts inklusive seiner Bestandteile, insbesondere der Wohnsitzfreiheit, zu verstehen, denn als Nachweis für ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht. Hiervon zu unterscheiden sind Erklärungen internationaler Expertengruppen aus jüngerer Zeit, in denen ausdrücklich von einem Recht, in der „Heimat“ leben und verbleiben zu dürfen, die Rede ist. Beispiel hierfür ist die Jubilee Charter of Rights of Displaced People vom 1. Juni 2000. Sie spiegelt die Rechtsansicht verschiedener Organisationen, unter anderem des UN-Flüchtlingshochkommissariats, zu den fundamentalen Rechten von Flüchtlingen wider. Die Jubilee Charter erklärt explizit, dass Flüchtlinge ein Recht hätten, in Würde und Sicherheit in ihre „Heimat“ zurückzukehren („the right of refugees to a dignified and secure return to their homeland“).438 434

Siehe die Nachweise oben. Siehe z. B. Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat – Ein universelles Menschenrecht, 1996, S. 13 f. (14). 436 Vgl. die oben aufgeführten Resolutionen. 437 Siehe z. B. Kimminich, Universelles Menschenrecht, S. 13. 438 Hervorh. d. Verf. – Jubilee Charter, S. 106 f. Für eine Kommentierung der Charta siehe Michael Blume, A Commentary on The Jubilee Charter of Rights of Displaced People, in: AWR-Bulletin, Nr. 3–4 (2000), S. 103 ff. 435

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

143

Auch die Expertenrunde, die im Februar 1997 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zum Thema „The Human Rights Dimensions of Population Transfer and the Implantation of Settlers“ tagte, hat ausdrücklich erklärt, dass das Recht, in der eigenen Heimat leben und verbleiben zu dürfen („the right to live and remain in one’s homeland“), ein fundamentales Menschenrecht und Voraussetzung für den Genuss anderer Rechte ist.439 Der ehemalige UN-Hochkommissar für Menschenrechte Lasso hat sich in seiner Rede zur Eröffnung des Expertenseminars ebenfalls in diese Richtung geäußert und das Recht, im eigenen Heimatland zu leben, als ein sehr kostbares und fundamentales Recht bezeichnet.440 Diese Erklärungen dokumentieren eine Rechtsüberzeugung, dass jedem Menschen ein „heimatrechtliches“ Bleiberecht zusteht. Ob man das „heimatrechtliche“ Bleiberecht nach alledem als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ansieht,441 hängt entscheidend von Begrifflichkeiten, insbesondere der Definition des Begriffs „Heimat“ ab. Sofern man „Heimat“ wie hier soziokulturell im Sinne eines gemeinschaftlichen, identitätsstiftenden und auch möglichst stabilen Lebenszusammenhanges versteht, ist die Existenz eines speziellen Bleiberechts im Sinne eines gewohnheitsrechtlichen Rechts auf Heimat als Individualrecht zu verneinen. 3. Schlussbemerkung zur völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung eines menschenrechtlichen Bleiberechts Es stellt sich abschließend die Frage, welche Bedeutung einem völkergewohnheitsrechtlichen Bleiberecht für den Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen tatsächlich zukommt. Henckaerts hat der schwierige Nachweis, dass das Rückkehrrecht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, zu der Frage veranlasst: „What good is a right to return if it is only customary? It will be very difficult to enforce it in a bilateral setting: one side will claim that it is customary and the other will simply reply that it is not.“442 439 Zu den Ergebnissen des Expertenseminars siehe Final Report. Die hier entscheidenden Passagen finden sich in Para. 12: „The expert group affirmed the right to live and remain in on’s homeland, i. e. the right not to be subjected to forcible displacement, as a fundamental human right and a prerequisite to the enjoyment of other rights.“ (Hervorh. d. Verf.). 440 Vgl. De Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, S. 278–281 (279): „the right to live in one’s native land is a very precious and fundamental right.“ (Hervorh. d. Verf.). 441 Gegen die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung eines „Rechts auf die Heimat“ spricht sich z. B. Seidl-Hohenveldern aus: Ignaz Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 10. neubearb. Aufl., 2000, Rdn. 1582. 442 Henckaerts, Diskussionsbeitrag, S. 560.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Er gesteht aber dennoch zu, dass ein entsprechendes völkergewohnheitsrechtliches Recht in einem multilateralen Rahmen durchaus eine Schutzfunktion entfalten kann, „for instance when the Security Council declares the right to exist and enforces its implementation.“443

Eine darüber hinausgehende Schutzfunktion eines gewohnheitsrechtlichen Bleiberechts kann darin gesehen werden, dass dieses möglicherweise nicht nur die originären Völkerrechtssubjekte, d.h. Staaten, sondern auch abgeleitete, partielle Völkerrechtssubjekte, wie Internationale Organisationen, in ihrer Arbeit bindet.444 Voraussetzung dafür, dass das menschenrechtliche Bleiberecht seine schützende Wirkung auch vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen entfaltet, ist freilich, dass nicht nur dessen Inhalt, sondern auch seine Reichweite hinreichend konkret ist. Auf die Frage, wie weit der Schutzbereich eines Bleiberechts bzw. des Rechts, nichts zwangsweise entfernt zu werden, reicht, ist im dritten Kapitel ausführlich einzugehen.

B. Zusammenfassung und Schlussfolgerung zur völkerrechtlichen Grundlage eines menschenrechtlichen Bleiberechts bzw. eines Menschenrechts, nicht zwangsweise von seiner Wohnung oder seinem Grund und Boden entfernt oder umgesiedelt zu werden, als allgemeines Menschenrecht Die bisherige Untersuchung zum allgemeinen Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen hat gezeigt, dass das Recht eines jeden Menschen, in seiner Wohnung, auf seinem Grund und Boden und in seinem Wohn- bzw. Siedlungsgebiet verbleiben und von dort nicht zwangsweise entfernt werden zu können, durch eine Reihe völkervertraglich gewährleisteter (Wohnungs)grundrechte normativ geschützt ist. Das menschenrechtliche Bleiberecht ist daneben auch als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts anerkannt. Mit diesem korrespondiert für alle Völkerrechtssubjekte, die zu seiner Achtung verpflichtet sind, ein Zwangsentfernungsverbot, das als Verbot willkürlicher, d.h. nicht gerechtfertigter Zwangsentfernungen zu verstehen ist. Bleiberecht und Zwangsentfernungsverbot gelten grundsätzlich auch für den vorliegend zu beurteilenden Fall einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung. Dies ist heute international anerkannt, wie die dargestellten Erklärungen und Grundsätze der Vereinten Nationen und ihrer Organe, inter443 444

Ebd. Siehe hierzu unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2.

1. Kap.: Normative Verortung des Individualmenschenrechts zur Bleibe

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nationaler Gesellschaften, von Völkerrechtswissenschaftlern und NGOs sowie insbesondere auch die Jurisdiktion der Vertragsorgane belegen. McFadden hat das Ergebnis seiner Untersuchung der Frage, ob das Völkerrecht ein allgemeines Bleiberecht normativ schützt, wie folgt zusammengefasst: „It should not be surprising that a desire so strong and deep as the desire to stay is reflected in law. Indeed, once one begins to think in terms of a right to stay, one begins to see it everywhere, in both domestic and international practice. There are, however, some curiosities in the translation from human desire to legal right. First, the underlying normative principle – founded in biology, sociology, psychology, and history – seems both simple and clear: people ought not to be moved against their will. And yet the law is not explicitly organized around this principle and its possible exceptions. Instead, the right to stay is founded on a series of disparate provisions, which collectively, though inelegantly, secure the right.“445

Der Abschlusssatz weist auf eine Schwäche des völkermenschenrechtlichen Schutzes eines menschenrechtlichen Bleiberechts hin: Es ist in keiner völkerrechtlichen Vorschrift ausdrücklich geschützt. Vielmehr ist auf eine Reihe unterschiedlicher Grundrechtsgarantien zu rekurrieren, um ein „right to stay“ zu konstruieren. Das wirft die Frage auf, ob es im Interesse eines größtmöglichen Menschenrechtsschutzes erforderlich wäre, das Recht eines jeden Menschen, in seiner Wohnung, auf seinem Grund und Boden und in seinem Wohn- bzw. Siedlungsgebiet verbleiben zu dürfen, als Schutzrecht gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen völkerrechtlich zu kodifizieren. Dafür spräche zwar, dass damit ausdrücklich völkerrechtlich verbindlich klargestellt würde, dass jede Form psychischen oder physischen Zwanges, durch den Menschen zum Verlassen ihrer Wohnung bzw. ihres Wohnsitzes genötigt werden, grundsätzlich verboten ist, und zwar auch dann, wenn dieser entwicklungspolitisch motiviert ist. So hat Tomuschat in seiner Analyse aktueller Entwicklungen zum „Recht auf die Heimat“ vorgebracht, dass insgesamt „auch die bewusstseinsprägende Kraft von Rechtsnormen nicht unterschätzt werden (sollte)“, da es „[f]ür Staaten, die ja hochkomplexe Organisationen sind, deren Willensbildung sich im Zusammenwirken einer Vielzahl zuständiger Amtsträger vollzieht, . . . niemals eine Selbstverständlichkeit sein [kann], Handlungen vorzunehmen, die allgemein als Unrecht angesehen werden“

und das Recht auf diese Weise „die ihm zugedachte faktische Kraft des Normativen entfalten“ könne.446 445 446

McFadden, S. 4. Tomuschat, Recht auf Heimat, S. 184.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Deng hat sich allerdings nicht ohne Grund dagegen entschieden, einen Vertragsentwurf für den menschenrechtlichen Schutz von IDPs auszuarbeiten, und statt dessen die Guiding Principles on Internal Displacement als juristisch unverbindliche Richtlinien entworfen.447 Auf die Bedürfnisse der von einer Zwangsumsiedlung betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen konnte hiermit, wie die Erfahrungen mit den Guiding Principles bereits gezeigt haben, wesentlich effektiver reagiert werden. Abgesehen davon, dass es schwierig sein könnte, auf internationaler Ebene einen Konsens über die genaue Formulierung einer völkervertraglichen Gewährleistung eines menschenrechtlichen Bleiberechts zu finden, das als Abwehrrecht potenziell gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen schützt, ist schließlich folgendes zu bedenken: Die Verwirklichung eines menschenrechtlichen Bleiberechts als durchsetzbarer Rechtsanspruch ist mit dessen Kodifizierung allein noch lange nicht gewährleistet. In der Praxis wird der Zweck bestehender Normen an ihrer Um- und Durchsetzung und weniger an ihrer theoretischen Konzeption gemessen. Vordringlicher als die Kodifizierung eines speziellen Bleiberechts erscheint es daher sicherzustellen, dass völkervertraglich garantierte Menschenrechte, die nach der materiellen Jurisdiktion internationaler Spruchkörper sowie nach Erklärungen, Richtlinien usw. internationaler Einrichtungen bereits heute vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, in der Praxis geachtet werden.448 Zweites Kapitel

Der besondere Menschenrechtsschutz indigener und sonstiger verletzbarer Bevölkerungsgruppen vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen „Development of the consciousness of international law towards collectivities is important to a holistic legal approach towards uprooted people.“449

Die Erkenntnis, dass vielfältige Unterscheidungskriterien eine Gleichbehandlung und einen gleichen Schutz aller Menschen unmöglich machen, führte in den vergangenen Jahrzehnten zur Entwicklung spezieller Men447

Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. d) aa). Zur Frage, wie sich Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, effektiv sichern lassen, siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel sowie Zweiter Teil. 449 Goebel, S. 26. 448

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 147

schenrechte.450 Auf sie können sich Einzelne berufen, die wegen bestimmter Merkmale eines besonderen juristischen Schutzes bedürfen. Gleiches gilt für spezielle Gruppen- bzw. Minderheitenschutzrechte, die zum Menschenrechtsschutz im weiteren Sinne zählen.451 Er umfasst auch den Schutz indigener Bevölkerungsgruppen.452 Im Folgenden ist zu untersuchen, ob es besondere Menschen- bzw. Minderheitenschutzrechte gibt, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind.

A. Problemstellung: Die besondere Schutzbedürftigkeit traditionell bodenverwurzelter Minderheitengruppen Indigene und in Stämmen lebende Völker und andere verletzbare Minderheiten haben in der Vergangenheit übermäßig unter entwicklungsbedingten Umsiedlungen und deren negativen Auswirkungen auf ihre Subsistenz und kulturelle Lebensgrundlage gelitten.453 Zwangsumsiedlungen stellen für diese Bevölkerungsgruppen eine große, mitunter existenzbedrohende Gefahr dar. Dies hängt in erster Linie mit der traditionellen Bodenverwurzelung bzw. den besonderen landgebundenen Bedürfnissen indigener und in Stämmen lebender Menschen sowie ethnischer Minderheiten zusammen. Der angestammte Lebensraum – auch „homeland“ genannt454 – ist für sie nicht mit einem beliebigen gegenwärtig bewohnten Stück Land gleichzusetzen. Der Grund und Boden, auf dem Indigene leben, ist vielmehr zugleich 450

Siehe Bobbio, S. 18 ff. und 63 ff. Zur Zuordnung des Minderheitenschutzes sowie des Schutzes von Gruppenrechten zum Menschenrechtsschutz vgl. Hobe/Kimminich, Kap. 15, S. 430. Vgl. auch das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995, BGBl. 1997 II, S. 1408, das diese Aussage bez. Minderheiten in Art. 1 explizit trifft: „Der Schutz nationaler Minderheiten und der Rechte und Freiheiten von Angehörigen dieser Minderheiten ist Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte und stellt als solcher einen Bereich internationaler Zusammenarbeit dar.“ 452 Vgl. ebd., S. 165 ff. 453 Siehe z. B. die Studie der Weltkommission für Staudämme über die Wirksamkeit von Großstaudämmen im Entwicklungsprozess aus dem Jahre 2000 und den daraufhin verfassten Bericht der WCD, WCD-Report, S. 110–112. 454 Siehe z. B. Human Rights of Indigenous Peoples – Indigenous Peoples and their relationship to land: Preliminary working paper prepared by Mrs. Erica-Irene Daes, Special Rapporteur, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1997/17 vom 20. Juni 1997 und Corr. 1 (künftig Preliminary working paper). Vgl. auch Maria Stavropoulou, Indigenous Peoples Displaced from their Environment: Is there Adequate Protection?, in: Colorado Journal of International Environmental Law & Policy 5 (1994), S. 105 (125); Julian Burger, Report from the Frontier: The State of the World’s Indigenous Peoples, 1987, S. 71 ff. 451

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

notwendige Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben dieser Bevölkerungsgruppen und Grundlage für deren kulturellen Fortbestand, d.h., er ist wesentlich für das Leben einer bestimmten Glaubensüberzeugung, Tradition und Kultur.455 Der Vizepräsident des Weltrats für Indigene Völker hat pointiert dargelegt, warum der Verbleib eingeborener Völker in ihrem ursprünglichen Siedlungsraum überlebensnotwendig ist: „The Earth is the foundation of Indigenous Peoples. It is the seat of spirituality, the fountain from which our cultures and languages flourish. The Earth is our historian, the keeper of events and the bones of our forefathers. [. . .] It is the source of our independence; it is our Mother. [. . .] Next to shooting Indigenous Peoples, the surest way to kill us is to separate us from our part of the Earth. Once separated, we will either perish in body or our minds and spirits will be altered so that we end up mimicking foreign ways, adopt foreign languages, accept foreign thoughts and build a foreign prison around our Indigenous spirits, a prison which suffocates rather than nourishes as our traditional territories of the Earth do.“456

Auch für ethnische Minderheiten stellt das angestammte Siedlungsgebiet die Subsistenz und kulturelle Lebensgrundlage dar. Sie sind daher hinsichtlich Zwangsentfernungen von ihrem Lebensraum in vergleichbarer Weise gefährdet wie indigene Völker.457 Es stellt sich die Frage, ob bzw. wie das Völkermenschenrecht der besonderen Schutzbedürftigkeit von landgebundenen Bevölkerungsgruppen gegenüber entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Rechnung trägt. Nach Grundsatz 9 der Guiding Principles on Internal Displacement sind Staaten in besonderem Maße verpflichtet, indigenen Völkern, Minderheiten, 455

Für eine ausführliche Analyse der besonderen Beziehung indigener Völker zu ihrem angestammten Land, Siedlungsgebiet und den natürlichen Ressourcen siehe die Arbeitspapiere und den Bericht der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für indigene Völker und ihre Beziehung zum Land Erica-Irene Daes: Preliminary working paper; Human Rights of Indigenous Peoples, Indigenous Peoples and their relationship to land, Second Progress report on the working paper prepared by Mrs. Erica-Irene A. Daes, Special Rapporteur, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1999/18, 3. Juni 1999; Prevention of Discrimination and Protection of Indigenous Peoples and Minorities, Indigenous Peoples and their relationship to land, Final working paper prepared by the Special Rapporteur, Mrs. Erica-Irene A. Daes, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/2001/21, 11. Juni 2001. Siehe auch Burger, S. 14. 456 Vizepräsident des Weltrats der Indigenen Völker, zitiert nach Burger, S. 14. 457 Zur Vergleichbarkeit indigener Völker einerseits und ethnischer Minderheiten andererseits hinsichtlich der besonderen Verwundbarkeit dieser Bevölkerungsgruppen siehe Snezˇana Trifunovska, One Theme in Two Variations – Self Determination for Minorities and Indigenous Peoples, in: International Journal on Minority and Group Rights 5 (1997), S. 175 (178): „[M]inorities and indigenous peoples are comparable groups in the sense that both belong to non-dominant, vulnerable, in many cases politically and economically oppressed groups, which often experience long and severe struggles for achieving basic human rights.“

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 149

Bauern, Hirten und anderen Gruppen, die von ihrem Land abhängig sind, Schutz vor Dislokationen zu bieten.458 Handelt es sich hierbei aber bereits um einen völkerrechtsverbindlichen Grundsatz? Begründet also das völkerrechtliche Menschenrecht eine staatliche Pflicht, das Interesse besonders verwundbarer Bevölkerungsgruppen am Verbleib im eigenen Siedlungsgebiet zu achten und zu schützen bzw. von Maßnahmen – einschließlich Dislokationen – abzusehen, die die (über)lebensnotwendige Bindung dieser Gruppen an ihren (angestammten) Lebensraum zerstören und ihnen die Lebensgrundlage entziehen?

B. Der besondere Menschenrechtsschutz indigener Völker vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO-Übereinkommen 169) Die bis heute einzigen rechtsverbindlichen Instrumente zum besonderen Schutz der Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker stammen von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)459. Es sind dies das „Übereinkommen über den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern“ von 1957 (ILOÜbereinkommen 107)460, sowie das „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ aus dem Jahre 1989 (ILO-Übereinkommen 169)461. 458 Guiding Principles, Principle 9 lautet: „States are under a particular obligation to protect against the displacement of indigenous peoples, minorities, peasants, pastoralists and other groups with a special dependency on and attachment to their lands.“ 459 Die ILO ist eine Sonderorganisation der UN, die für Arbeits- und Sozialpolitik zuständig ist. Sie setzt sich seit ihrer Gründung im Jahre 1919 für den menschenrechtlichen Schutz indigener und in Stämmen lebender Völker ein; siehe International Labour Organization, Convention No. 169: 10 years after? – Indigenous and Tribal Peoples and the ILO, in: World of Work, No. 40, August 2001, abrufbar unter . Siehe auch Steven Simpson, Enforcement of Human Rights through ILO Machinery, in: Human Rights Brief 3/1 (Fall 1995), abrufbar unter . 460 Das Übereinkommen ist am 2. Juni 1959 in Kraft getreten. Es ist in deutscher Fassung abrufbar unter . 461 Das Übereinkommen ist am 5. September 1991 in Kraft getreten. Es ist in deutscher Fassung abrufbar unter . – ILO-Übereinkommen 169 ersetzt ILO-Übereinkommen 107 weitestgehend. Zu den Gründen, die zur Verabschiedung von ILO-Übereinkommen 169

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Diese Konventionen erkennen nicht nur ausdrücklich an, dass die Beziehung indigener Völker zu dem von ihnen besiedelten oder anderweitig genutzten Land462 eine herausragende Bedeutung für die Kultur und geistigen Werte der Ureinwohner hat.463 Sie garantieren vielmehr den von ihrem Schutzbereich umfassten Bevölkerungsgruppen464 auch eine Reihe spezieller landbezogener Rechte, die für den Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bedeutsam sind. Hierzu zählen unter anderem Eigentums- und Besitzrechte von seit alters her besiedeltem Land sowie Nutzungsrechte bezüglich traditionell genutztem Grund und Boden (Art. 14 ILO-Übereinkommen 169)465 und Rechte an natürlichen Ressourcen (Art. 15 ILO-Übereinkommen 169). Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 enthält darüber hinaus eine Sondervorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen. Sie ist hinsichtlich des normativen Schutzes gegen erzwungene Dislokationen als lex specialis gegenüber den anderen Vorschriften anzusehen, die in Teil II von ILO-Übereinkommen 169 – Grund und Boden – enthalten sind,466 und daher im Folgenden näher zu analysieren. I. Die Umsiedlungsvorschrift des Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 Nach Art. 16 Abs. 1 ILO-Übereinkommen 169 dürfen „[v]orbehaltlich der nachstehenden Absätze dieses Artikels [. . .] die betreffenden Völker aus dem von ihnen besiedelten Land nicht ausgesiedelt werden.“

McFadden sieht Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 als bleiberechtliche Modellvorschrift an.467 Bei einer formalen Betrachtungsweise ist dem beizupflichten: Art. 16 ist die einzige verbindliche Bestimmung des völkerrechtlichen Menschenrechts, die ausdrücklich juristisch verbindliche Rechte bzw. Prinzipien zum Schutz gegen unfreiwillige Umsiedlungen normiert: Art. 16 Abs. 1 stellt den Grundsatz auf, dass zwangsweise Entfernungen indigener und in Stämmen lebender Völker von dem von ihnen besiedelten führten, siehe Stavropoulou, Indigenous Peoples, S. 114 f.; siehe auch Preliminary Report, Para. 250–252. 462 Der weite „Land“begriff von ILO-Übereinkommen 169 „schließt den Begriff der Gebiete ein, der die gesamte Umwelt der von den betreffenden Völkern besiedelten oder anderweitig genutzten Flächen umfasst“; vgl. Art. 13 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169. 463 Siehe insbes. Art. 13 Abs. 1 ILO-Übereinkommen 169. 464 Siehe hierzu unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. II. 465 Vgl. hierzu McFadden, S. 23. 466 Teil II. Grund und Boden, Art. 13–19 ILO-Übereinkommen 169. 467 McFadden, S. 24: „a model of ‚right to stay‘ legislation“.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 151

Land verboten sind. Absatz 2 nennt die Voraussetzungen, unter denen von dem Zwangsentfernungsverbot ausnahmsweise abgewichen werden kann. In Abs. 3 ist ein Rückkehrrecht festgeschrieben. Die Absätze vier und fünf regeln Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche. Art. 16 ILO-Übereinkommen schreibt also ausdrücklich fest, was in den Vorschriften des allgemeinen Menschenrechtsschutzes nur implizit normiert ist. 1. Die Beschränkungsklausel des Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 Fraglich ist aber, ob Artikel 16 auch hinsichtlich seines materiellen Gehalts Modellcharakter hat. Ist Art. 16 ILO-Übereinkommen also auch inhaltlich als bleiberechtliche Modellvorschrift im Sinne einer Regelung anzusehen, die als Vorbild für die Schaffung allgemeiner Menschenrechtsnormen dient? Dies könnte angesichts verschiedener Schwachstellen, die das in Artikel 16 begründete System zum Schutz vor erzwungenen Dislokationen aufweist, zweifelhaft sein. So ist zunächst zu berücksichtigen, dass Artikel 16 in Absatz 1 zwar den Grundsatz aufstellt, dass indigene Völker nicht aus dem Land ausgesiedelt werden dürfen, das sie besiedeln. Die Ausnahmen hiervon, die Absatz 2 zulässt, sind jedoch weit reichend. Nach Art. 16 Abs. 2 ist eine Dislokation nicht nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die betroffene Bevölkerungsgruppe dieser aus freien Stücken und „in voller Kenntnis der Sachlage“ zugestimmt hat (Art. 16 Abs. 2 S. 1).468 Art. 16 Abs. 2 S. 2 lässt vielmehr auch unfreiwillige Umsiedlungen zu, die nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren unter Beteiligung der betroffenen Völker erfolgen: „Falls ihre Zustimmung nicht erlangt werden kann, darf eine solche Umsiedlung nur nach Anwendung geeigneter, durch die innerstaatliche Gesetzgebung festgelegter Verfahren, gegebenenfalls einschließlich öffentlicher Untersuchungen, stattfinden, die den betreffenden Völkern Gelegenheit für eine wirksame Vertretung bieten.“

McFadden untermauert seine Ansicht, dass Art. 16 Modellcharakter hat, unter anderem damit, dass die Beschränkungsklausel des Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 besonders hohe Anforderungen an den Nachweis der Notwendigkeit einer Zwangsumsiedlung stelle.469 Diese positive Lesart von Art. 16 Abs. 2 wird weder von den betreffenden Völkern noch von (Zwangs)umsiedlungsexperten geteilt. Viele indigene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen sehen in Art. 16 vielmehr ein staatliches In468

Art. 16 Abs. 2 S. 1 lautet: „Falls die Umsiedlung dieser Völker ausnahmsweise als notwendig angesehen wird, darf sie nur mit deren freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung stattfinden.“ 469 McFadden, S. 24.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

strument für die andauernde Vertreibung indigener Völker von ihrem Land, „to make way for State-sponsored and State-approved development.“ 470 Ähnlich kritisch beurteilen die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zum Thema „The human rights dimensions of population transfer, including the implantation of settlers“, Al-Khasawneh und Hatano, die Beschränkungsklausel des Art. 16 Abs. 2: „It is entirely at the State’s discretion to decide whether the removal is necessary, to establish procedures governing the relocation process and to decide whether it is appropriate to include public inquiries.“ 471

Die Sonderberichterstatter sprechen damit allerdings keine Besonderheit der Beschränkungsklausel des Art. 16 ILO-Übereinkommen 169, sondern ein allgemeines Problem der Möglichkeit an, international anerkannte Grundrechte aus zwingenden Gründen einzuschränken. Beschränkungsklauseln sind in allen völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen enthalten. Sie beruhen auf der Erkenntnis, dass die Interessen und Rechte Einzelner bzw. von Teilgruppen einer Gesellschaft mit den Bedürfnissen einer Gesellschaft als solcher in Konflikt geraten können.472 Zu letzteren kann auch das Interesse des Gemeinwesens an der wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes zählen. Dies hat die Vorgängervorschrift zu Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 ausdrücklich erklärt. Nach Art. 12 Abs. 1 ILO-Übereinkommen 107, das heute noch für 18 Staaten in Kraft ist,473 dürfen die geschützten Bevölkerungsgruppen ohne ihre freiwillige Zustimmung nicht aus den Gebieten, in denen sie ansässig sind, ausgesiedelt werden, „es sei denn, dass dies im Einklang mit den Landesgesetzen aus Gründen der Landessicherheit, im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes oder der Gesundheit dieser Bevölkerungsgruppen geschieht.“474 Nach dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 sind die Vertragsstaaten in der Benennung der Interessen des Gemeinwesens, die eine Zwangsumsiedlung rechtfertigen können, frei. Auch sie können sich danach grundsätzlich auf die Entwicklungsförderung als Motiv einer ausnahmsweise gestatteten Zwangsumsiedlung berufen. Die Frage, wann eine Zwangsumsiedlung „im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes“ erforderlich ist, beantworten Art. 12 ILO470 Vgl. Sharon Venne, The new language of assimilation: a brief analysis of ILO Convention 169, in: Without Prejudice II (1989), S. 63, zitiert nach: Preliminary Report, Fn. 205. 471 Preliminary Report, Para. 255. 472 Vgl. Sigrun I. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the International Monetary Fund, 2001, S. 48 f. 473 Zum Ratifikationsstand siehe . 474 Hervorh. d. Verf.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 153

Übereinkommen 107 bzw. Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 allerdings nicht. Der Kritik, die Al-Khasawneh und Hatano an Art. 16 Abs. 2 ILOÜbereinkommen 169 hinsichtlich des Ermessens üben, das diese Vorschrift den Staaten einräumt,475 ist aber dennoch nur bedingt zu folgen. Art. 16 bestimmt zwar nicht näher, was ein „geeignetes“ gesetzliches Verfahren zur Durchführung einer Zwangsumsiedlung ist. Es liegt aber keinesfalls im unbegrenzten Ermessen der Staaten, darüber zu entscheiden, ob eine Umsiedlung notwendig ist. Vielmehr findet auch das auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 2 ausgeübte Ermessen der Vertragsstaaten seine Grenzen in den allgemein gültigen Rechtsprinzipien, zuvörderst dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.476 Für die Ermessensausübung gilt folgende allgemeingültige Regel: „As a general rule restrictions must be interpreted restrictively and cannot be explained in such a manner as to legitimise unnecessary, arbitrary or discriminatory measures, aimed at objectives which are contrary to the general aim and purpose of the specific right and the instrument in which it is contained.“477

Was den Charakter von Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 als bleiberechtliche Mustervorschrift betrifft, ist schließlich positiv zu bewerten, dass dessen Absatz 2 die Zulässigkeit von Zwangsumsiedlungen von der Beachtung verfahrensrechtlicher Mindestanforderungen abhängig macht. Hierzu zählt die Vorschrift ausdrücklich die Beteiligung der betreffenden Völker an dem Entscheidungsfindungs- bzw. Umsiedlungsprozess. Insofern fungiert Artikel 16 als grundrechtssichernde Norm. Die Partizipation der Betroffenen an entwicklungsbezogenen Umsiedlungsverfahren ist nämlich, wie noch zu zeigen sein wird, ein menschenrechtliches Gebot.478 Aus alledem folgt, dass Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 insofern auch hinsichtlich ihres materiellen Gehalts Modellcharakter hat, als sie zumindest einzelne objektive Mindeststandards hinsichtlich des Umsiedlungsverfahrens aufstellt, die Voraussetzung für eine unfreiwillige Umsiedlung sind. Sie sind bei jeder Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines umsiedlungsbedingten Eingriffs in ein internationales Grundrecht als Maßstab heranzuziehen. 2. Art. 16 Abs. 4 und 5 ILO-Übereinkommen 169 Neben Art. 16 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 169 sind auch dessen Absätze vier und fünf in die Kritik indigener Bevölkerungsgruppen geraten. 475

Vgl. Preliminary Report, Para. 255. Ausführlich zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe unten Erster Teil, Viertes Kapitel. 477 Meindersma, Legal Issues, S. 68. 478 Siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel. 476

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Diese Bestimmungen legen fest, welche Sekundärrechte den Betroffenen im Falle einer ausnahmsweise zulässigen Zwangsumsiedlung zustehen. Art. 16 Abs. 4 lautet: „Ist eine . . . Rückkehr nicht möglich, wie einvernehmlich oder mangels Einvernehmens durch geeignete Verfahren festgestellt,479 ist diesen Völkern in allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit und mit mindestens gleich gutem Rechtsstatus zuzuweisen, dessen Ertrag ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt. Ziehen die betreffenden Völker eine Entschädigung in Form von Geld-480 oder Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien zuzusprechen.“

Art. 12 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 107 ist nahezu wortgleich. Die Norm unterscheidet sich substanziell nur in einem – allerdings entscheidenden – Punkt von Art. 16 Abs. 4 ILO-Übereinkommen 169. Während dieser einen Anspruch auf Land-für-Land-Entschädigung des Inhalts begründet, dass der neu zugewiesene Grund und Boden unter anderem einen „mindestens gleich guten Rechtsstatus“ haben muss, fehlt diese inhaltliche Anforderung an den Entschädigungsanspruch in Art. 12 Abs. 2 ILO-Übereinkommen 107. Absatz fünf von Art. 16 ILO-Übereinkommen 169 hat Art. 12 Abs. 3 ILO-Übereinkommen 107 fast wörtlich übernommen. Nach beiden Vorschriften ist den umgesiedelten Personen für jeden durch die Umsiedlung entstandenenen Verlust oder Schaden voller Ersatz zu leisten. Die Kritik indigener Völker an Art. 16 Abs. 4 ILO-Konvention 169 bezieht sich auf den Passus, wonach die Umgesiedelten mit Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit zu entschädigen sind. Für sie stellt die Vorschrift einen begrifflichen Widerspruch (contradictio in terminis) dar. Das Entschädigungskonzept des Art. 16 verkenne die besondere Beziehung indigener Völker zu ihrem traditionellen Land, insbesondere den spirituellen, kulturellen und traditionellen Wert, den dieses für ein indigenes Volk hat. Die entsprechende Kritik hat ein indigener Rechtsanwalt wie folgt formuliert: 479

Art. 16 Abs. 3 ILO-Konvention 169 räumt der umgesiedelten Bevölkerungsgruppe ein Rückkehrrecht in ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet ein, und zwar sofern und sobald eine Rückkehr möglich ist. Bei entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen wird jedoch das ursprüngliche Territorium fast immer in Folge des Entwicklungsprojekts unbewohnbar gemacht, so dass die Rückkehralternative in der Regel als realistische Option ausscheidet; vgl. Preliminary Report, Para. 256: „As a large proportion of indigenous lands are expropriated for ‚development‘-related reasons or exploitation, return to traditional lands ‚as soon as grounds for relocation cease to exist‘ may effectively mean return to places which have been ecologically exhausted, destroyed or contaminated. That is, in most cases, not a viable or humane option.“ 480 Zur Kritik an dem Konzept der Geldentschädigung siehe ebd., Para. 259.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 155 „Does no one realize that our relationship is to a particular place? There seems to be an assumption that any land will be adequate. In our worldview, the land which identifies us does not change like the wind. Removing us from our land is, in fact, to take away our life force.“481

Diese Ausführungen zeigen ein Kernproblem des menschenrechtlichen Schutzes vor unfreiwilligen Umsiedlungen auf: Anerkannte Menschenrechtsprinzipien mögen den Bedürfnissen von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen Rechnung tragen, die keine spezifische Bindung an ein bestimmtes Territorium haben. Dem besonderen Schutzbedürfnis indigener und in Stämmen lebender Völker werden sie aber – jedenfalls in ihrer traditionellen Auslegung und Anwendung – häufig nicht gerecht. Gerade in Ländern, in denen viele indigene Völker leben, wird es immer Fälle geben, in denen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen notwendig erscheinen. In diesen Fällen ist eine Entschädigung mit Land „gleicher“ Beschaffenheit – jedenfalls im auch kulturellen und spirituellen Sinne – fast nie möglich. Dem besonderen Schutzbedürfnis indigener Völker, das aus deren Beziehung zu dem angestammten Siedlungsgebiet erwächst, ist dadurch angemessen Rechnung zu tragen, dass bereits im Planungsstadium – nach den später noch im Einzelnen zu erörternden Kriterien – sorgfältigt geprüft wird, ob das Entwicklungsprojekt gerade im Hinblick auf die negativen Auswirkungen für das betroffene indigene Volk wirklich notwendig ist. 3. Art. 7 ILO-Übereinkommen 169: Selbstbestimmungsund Partizipationsrechte Für den menschenrechtlichen Schutz indigener und in Stämmen lebender Völker vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen ist neben Art. 13 bis 19 ILO-Übereinkommen 169 (Teil II. Grund und Boden) Artikel 7 relevant. Art. 7 Abs. 1 S. 1 sieht vor, dass die betreffenden Völker das Recht haben müssen, „ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozess, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen und soweit wie möglich Kontrolle über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung auszuüben.“

Art. 7 Abs. 1 S. 2 ILO-Übereinkommen 169 enthält das Recht indigener und in Stämmen lebender Völker „an der Aufstellung, Durchführung und Bewertung von Plänen und Programmen für die nationale und regionale Entwicklung mitzuwirken, die sie unmittelbar berühren können.“ 481

Zitiert in: ebd., Para. 257.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die Vertragsstaaten verpflichten sich in Art. 7 Abs. 1 ILO-Übereinkommen 169, das „interne Selbstbestimmungsrecht“ indigener und in Stämmen lebender Völker zu achten.482 Hieraus folgt die in Art. 7 Abs. 1 S. 2 normierte Pflicht, eine Entscheidung über die Nutzung eines von indigenen Völkern bewohnten Landes zu Entwicklungszwecken nur unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppe und unter Beachtung der von diesen geltend gemachten Interessen zu treffen. Den Vertragsstaaten ist es danach untersagt, das Siedlungsgebiet eines indigenen Volkes für ein Infrastrukturprojekt auszuwählen, ohne die betroffene Bevölkerung vor der Projektplanung angehört und an der Planung beteiligt zu haben. Die Vorschrift stellt folglich eine spezielle Ausformulierung entwicklungsbezogener Partizipationsrechte für indigene Völker dar.483 Durch die Beachtung dieser Vorschrift können die negativen Auswirkungen eines Entwicklungsprojekts auf die betroffene indigene Volksgruppe entscheidend verringert werden. Dennoch werden die meisten Entwicklungsprogramme nach wie vor ohne die Beteiligung der betroffenen Personen geplant und durchgeführt.484 II. Die faktische Schutzwirkung von ILO-Übereinkommen 169 Das ILO-Übereinkommen 169 enthält zwar detaillierte Schutzvorschriften, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen schützen bzw. dessen nachteilige Folgen zu minimieren versuchen. Die faktische Schutzwirkung dieses Übereinkommens ist aber begrenzt. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist der personelle Anwendungsbereich der Konvention begrenzt. Nach Art. 1 Abs. 1 ILO-Übereinkommen 169 gilt dieses für: „a) in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrechte geregelt ist;“

bzw. für: „b) Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbe482 Ausführlich zum Selbstbestimmungsrecht der Völker als Schutzrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. 483 Zu den entwicklungsbezogenen Partizipationsrechten im Allgemeinen siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel. 484 Vgl. Aird, S. 25.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 157 schadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.“

Art. 1 Abs. 3 ILO-Übereinkommen 169 stellt zwar klar, dass der Begriff „Völker“ in dem Übereinkommen nicht im völkerrechtlichen Sinne zu verstehen ist.485 Nationale, ethnische oder religiöse Minderheiten sind vom subjektiven Anwendungsbereich des ILO-Vertrages aber nicht erfasst. Zum anderen entfaltet ILO-Übereinkommen 169 gegenwärtig nur für jene 17 Staaten Rechtspflichten, welche die Konvention ratifiziert haben.486 Hierzu zählen zwar auch Länder, in denen gerade in jüngster Zeit Zwangsumsiedlungen indigener Völker im Zuge der Durchführung eines Entwicklungsprojekts für Aufsehen gesorgt haben, wie zum Beispiel Mexiko mit dem von Präsident Fox benannten „Plan Puebla Panama“487 sowie Guatemala und Honduras.488 Von den asiatischen Staaten, in denen alljährlich Zehntausende indigener und in Stämmen lebender Menschen entwicklungsbedingt zwangsumgesiedelt werden, wie zum Beispiel Indien, China und die Philippinen,489 hat jedoch noch keiner das ILO-Übereinkommen 169 ratifiziert. Dieser Befund hat einen Kommentator zu folgender Bemerkung veranlasst: „[T]he indigenous Peoples Convention has attracted so few parties that, symbolism aside, its practical effect is severly limited.“490

Es wäre im Interesse eines größtmöglichen Menschenrechtsschutzes indigener Bevölkerungsgruppen vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen, dass zum einen alle Staaten, in denen indigene Gemeinden leben, ILO-Übereinkommen 169 ratifizieren. Daneben sollten sich aber auch Staaten ohne indigene Bevölkerungsgruppen jedenfalls durch eine so genannte „Solidaritätsratifikation“ dieser Konvention zum Schutz indigener Men485 Art. 1 Abs. 3 ILO-Übereinkommen 169, lautet: „Die Verwendung des Ausdrucks ‚Völker‘ in diesem Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können.“ 486 Zum Ratifikationsstand siehe . 487 Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. c) bb) (1). 488 Vertragsparteien sind ferner Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dominica, Ecuador, Fiji, Kolumbien, Paraguay, Peru, Venezuela sowie Dänemark, die Niederlande und Norwegen. Stand: 1. Januar 2005; vgl. . 489 Vgl. Rajagopal, Violence: „In the Philippines, almost all the large dam schemes are on the land of the country’s 6 million to 7 million indigenous people. In India, 40 percent to 50 percent of those displaced by development projects – a total estimated at more than 33 million since 1947 – are tribal people, who account for just 8 percent of the country’s 1 billion population.“ 490 McFadden, S. 24.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

schen verpflichten. Bei der ILO gilt zwar grundsätzlich das Prinzip, dass die Ratifizierung eines ILO-Abkommens durch einen Staat vermieden werden soll, der von dessen Problematik nicht betroffenen ist.491 Durch eine „Solidaritätsratifizierung“ könnte aber das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass indigene und in Stämmen lebende Völker kein Relikt aus der Vergangenheit sind, das sich letzten Endes beseitigen lässt, sondern vielmehr auch heute noch integraler Bestandteil weltweit bestehender Gesellschaftsstrukturen. Die Indigenen könnten so moralische Unterstützung für ihre Anliegen erhalten.492 Daneben stellt sich die Frage, ob nicht auch eine „normale“ Ratifizierung denkbar und wünschenswert wäre. Länder, in denen keine Indigenen leben, sind zwar von ILO-Übereinkommen 169 nicht unmittelbar betroffen. Eine mittelbare Betroffenheit ist aber fast immer insofern zu bejahen, als die meisten Industrieländer Entwicklungsvorhaben fördern, die unmittelbare Folgen für indigene und in Stämmen lebende Völker haben. Durch eine Ratifizierung von ILO-Übereinkommen 169 würden sich diese Länder verpflichten, ihre Entwicklungszusammenarbeit an den darin gewährten Rechten zu orientieren. Für den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen würde dies einen Fortschritt bedeuten. Als Vertragspartei von ILO-Übereinkommen 169 wären diese Länder nämlich verpflichtet, die Vergabe von Krediten oder sonstigen Finanzierungs- oder Fördermaßnahmen für Entwicklungsvorhaben, mit denen unfreiwillige Umsiedlungen einhergehen, von der Einhaltung der in ILO-Übereinkommen 169 festgeschriebenen Rechte abhängig zu machen.493 491

Information von Gertrud Bosch, ILO-Vertretung Bonn, in einer E-Mail an die Verfasserin vom 14. Mai 2002. 492 Aus diesem Grunde drängen derzeit insbesondere Nichtregierungsorganisationen darauf, von dem vorgenannten Grundsatz abzuweichen und „Solidaritätsratifikationen“ zuzulassen. Ebd. 493 Deshalb setzen sich gegenwärtig auch deutsche Bundestagsabgeordnete dafür ein, dass die BRD ILO-Übereinkommen 169 ratifiziert, jedenfalls aber die Entwicklungszusammenarbeit an dieser Konvention orientiert; siehe z. B. das Statement von Siegmund Ehrmann, MdB auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, Forum: Wege aus der Gewalt gegen indianische Völker (Dokument bei der Verf.). – Siehe auch die Adresse des Ökumenischen Ausschusses für Indianerfragen in Amerika an die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und an den Deutschen Bundestag vom 31. Mai 2003, Ökumenischer Kirchentag Berlin 2003, in dem die Unterzeichnenden die deutsche Regierung auffordern, ILO-Konvention 169 zu unterzeichnen. In der Adresse heißt es u. a.: „Die Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 durch die deutsche Bundesregierung verpflichtet Politik und Wirtschaft bei bilateralen und internationalen Verträgen, welche die Rechte oder Interessen indigener Völker und Gruppen betreffen, die Einhaltung der Mindeststandards durch die Vertragspartner einzufordern. Der Bundesrepublik Deutschland als einem Land zwar mit Minderheiten, aber ohne indigene Bevölkerung, kommt daher eine Signalwir-

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 159

C. Der besondere kollektive Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Recht auf Fortbestand als Minderheitengruppe „‚Existence‘ is a notion which has a special sense for a collectivity. An individual ‚exists‘ or he does not; his non-existence is individual death. A collectivity such as a minority group exists in the individual lives of its members; the physical death of some members does not destroy the ‚existence‘ of the group, though it may impair its health. There is, however, another existence for a minority through the shared consciousness of its members, manifested perhaps through language, culture, or religion, a shared sense of history, a common destiny. Without this ‚existence‘ it is possible to say that individuals live but the group does not: it has been replaced by something other than itself, perhaps a new group, larger or smaller.“494

I. Vorbemerkung: „Entwicklungsvölkermord“, „kultureller Völkermord“ und „Ethnozid“ als Ergebnis entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen Gesellschafts- und Geschichtswissenschaftler argumentieren schon seit Jahrzehnten, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen angesichts ihrer vernichtenden Auswirkungen auf den physischen und kulturellen Fortbestand der betroffenen Bevölkerungsgruppen auf einen „Entwicklungsvölkermord“ (developmental genocide)495, „kulturellen Völkermord“ (cultural kung zu.“ – In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die Sorben, die in Deutschland als Minderheit rechtlich geschützt sind, als „indigenes Volk“ im Sinne von ILO-Konvention 169 betrachten, von der deutschen Regierung allerdings nicht als solches anerkannt werden (Information von Kai Schmidt-Soltau, Consultant für die GTZ, in einer E-Mail an die Verf. vom 2. Februar 2005). Auf die Rechte, welche ILO-Übereinkommen 169 indigenen Bevölkerungsgruppen gewährt (insbes. Entschädigungsansprüche für Dislokationen und Enteignungen) können sich die Sorben nicht berufen, weil die BRD diese Konvention mit der Begründung, dass in Deutschland keine indigenen Völker lebten, nach wie vor nicht ratifiziert hat. 494 Patrick Thornberry, International Law and the Rights of Minorities, 1991, S. 57. 495 Zu dem Begriff „developmental genocide“ siehe Helen Fein, Scenarios of genocide: models of genocide and critical responses, in: Israel W. Charny (Hrsg.), Toward the Understanding and Prevention of Genocide, 1984, S. 3 (8 f.); vgl. auch Mark Levene, The Chittagong Hill Tracts: a case study in the political economy of „creeping“ genocide, in: Third World Quarterly 20 (1999), S. 339.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

genocide) bzw. „Entwicklungsethnozid“ (development ethnocide)496 hinauslaufen können. In der Völkerrechtswissenschaft wird das Phänomen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen hingegen erst in jüngerer Zeit und nur zögerlich unter dem Aspekt des Völkermordes und des Rechts auf kulturellen Fortbestand eines Volkes diskutiert. Eine gewisse Vorreiterrolle nimmt dabei der Entwicklungsvölkerrechtler Rajagopal ein, der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forscht und lehrt. Er hat nicht nur öffentlich dafür plädiert, die internationale Gleichgültigkeit gegenüber der „Gewalt von Entwicklungsprojekten“ (the violence of development projects) zu beenden, sondern auch dargelegt, dass das Ergebnis einer entwicklungsbedingten Dislokation häufig „a soft form of genocide or crime against humanity involving systematic and deliberate destruction of ethnic, racial and religious minorities and indigenous peoples“ ist.497 „Entwicklungs-Säuberung“ (development cleansing), so Rajagopal ferner, „may well constitute ethnic cleansing in disguise, as the people dislocated so often turn out to be from minority ethnic and racial communities.“498 An Beispielen für staatlich geförderte Entwicklungsprojekte, denen vorgeworfen wird, dass sie in Wirklichkeit auf die „Ethnische Säuberung“ einer Region abstellen, fehlt es nicht: So hat sich zum Beispiel in dem umstrittenen Bau des Ilisu Staudamms in der Türkei das Hauptbauunternehmen anderen internationalen Unternehmen angeschlossen und ist aus dem Projekt mit der Begründung ausgestiegen, der Staudammbau sei „part of the Turkish government’s wider plan to ethnically cleanse the area of its Turkish population.“499 Dies fordert zu einer näheren Untersuchung der Frage heraus, ob derartige Erscheinungen bzw. Folgen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen auch völkerrechtlich als „Völkermord“, „Ethnozid“ oder „Ethnische Säuberung“ zu qualifizieren und wie die betroffenen Volksgruppen dagegen normativ geschützt sind.

496 Zum Begriff „Ethnozid“ siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 1. a). 497 Balakrishnan Rajagopal, „Out-dammed spot!“ Hydropower, forced resettlement, and blood on the hands, in: The WorldPaper Online, 2. Januar 2002, abrufbar unter . 498 Rajagopal, Violence, Siehe auch ders., „Out-dammed spot!“, ebd. 499 Vgl. Ilisu Dam: victory for campaigners, in: Forced Migration Review 12 (2002), S. 41.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 161

II. Das kollektive Menschenrecht auf physischen Fortbestand „The most basic sense of existence is existence through the lives of members, or ‚physical existence‘. Physical extermination of groups renders law and rights redundant.“500

1. Das Völkermordverbot als Grundlage eines Gruppenmenschenrechts auf physischen Fortbestand Für den völkermenschenrechtlichen Schutz einer Volksgruppe vor einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung, die zur physischen Vernichtung derselben oder ihrer Mitglieder führt, könnte das Völkermordverbot bedeutsam sein. Es zählt zu den zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens)501 und begründet als solches Erga-omnes-Pflichten, von denen kein Staat abweichen darf.502 Völkervertragsrechtliche Grundlage des Völkermordverbots ist die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948.503 Sie kodifiziert diesbezügliches Völkergewohnheitsrecht.504 Thornberry bezeichnet die Völkermordkonvention als „the first of the post World War II general conventions which has any bearing on minority protection.“505 Im Unterschied zu den allgemeinen Menschenrechtsverträ500

Thornberry, Rights of Minorities, S. 57. Vgl. z. B. Progress Report, Para. 20; Meindersma, Legal Issues, S. 61; Martin A. Geer, Foreigners in Their Own Land: Cultural Land And Transnational Corporations – Emergent International Rights and Wrongs, in: Virginia Journal of International Law 38 (1998), S. 331 (361). 502 Siehe z. B. Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Advisory Opinion, ICJ Reports 1951, S. 23; Progress Report, Para. 18 m. w. N. – Vgl. auch das Urteil der Ersten Strafkammer des International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY) vom 2. August 2001 in der Sache The Prosecutor v. Radislav Krstic, Case No.: IT-98-33-T, S. 189, Para. 541 (künftig The Prosecutor v. Radislav Krstic). Das Urteil ist auf der Website des ICTY abrufbar unter . 503 BGBl. II 1954, S. 730. – Die Völkermordkonvention ist am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. 504 Vgl. Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Advisory Opinion, ICJ Reports 1951, S. 15 (23); Commentary to the Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities – Working paper submitted by Asbjørn Eide, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/AC.5/1998/WP.1, 13. Mai 1998 (künftig Eide, Commentary), Article 1. – Zur völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Völkermordverbots siehe auch Yoram Dinstein, Collective Human Rights of Peoples and Minorities, in: International and Comparative Law Quarterly 25 (1976), S. 102 (105). 505 Thornberry, Rights of Minorities, S. 59. 501

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

gen räumt die Genozidkonvention zwar nicht unmittelbar subjektive Individual- oder Gruppenrechte ein. Die Völkermordkonvention ist vielmehr als Rechtsinstrument des Völkerstrafrechts geschaffen worden. Als solches sanktioniert sie Handlungen strafrechtlich, die den Völkermordtatbestand erfüllen. Sie ist aber zugleich wegen ihrer Schutzrichtung als „besonderer“ Menschenrechtsvertrag zu qualifizieren: Denn die Völkermordkonvention zielt darauf ab, das Recht auf Leben menschlicher Gruppen als solche zu schützen.506 Dementsprechend sieht Dinstein die Aberkennung des „menschenrechtlichen Gruppenrechts auf physischen Fortbestand“ (the collective human right of peoples to physical existence) als einen der Hauptaspekte des Völkermordes an.507 Thornberry argumentiert in die gleiche Richtung: „[T]he context of the criminal prohibition makes it clear that the reason why this particular conduct is regarded as criminal is precisely because it violates a fundamental right.“508

Diese Ansichten finden sowohl in Resolutionen der Vollversammlung der Vereinten Nationen als auch in der Jurisdiktion internationaler Gerichtshöfe eine Stütze. So hat die UN-Vollversammlung schon 1946 in einer ihrer ersten Resolutionen zum Völkermord, die der Verabschiedung der entsprechenden Konvention vorausging, „genocide“ als „denial of the right of existence of entire human groups“ angesehen und mit „Mord“ (homicide) als „denial of the right to live of individual human beings“ gleichgesetzt.509 Wenige Jahre später hat der IGH in einer Advisory Opinion festgestellt, dass Schutzzweck der Völkermordkonvention sei, „to safeguard the very existence of certain human groups.“510 Die Erste Strafkammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) hat in ihrem Urteil in der Sache The Prosecutor v. Radislav Krist vom 2. August 2001 diese Aussage bekräftigt.511 Aus alledem folgt, dass das Recht einer „nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen“ Gruppe512 auf physische Existenz (the right to 506

Vgl. Natan Lerner, Group Rights and Discrimination in International Law, 2. Aufl., 2003, S. 149; Hans-Joachim Heintze, Zur Durchsetzung der UN-Völkermordkonvention, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 4 (2000), S. 225 (227). 507 Dinstein, Collective Human Rights, S. 105. 508 Thornberry, Rights of Minorities, S. 58. Siehe hier auch ausführlich zum Verhältnis zwischen dem „Recht auf Fortbestand“ (right to existence) und dem Völkermordverbot, ebd., S. 57–109. 509 Resolution on the Crime of Genocide, 11. Dezember 1946, UN Doc. A/96(I) (1946), Yearbook of the United Nations 1946–47, S. 255. 510 Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Advisory Opinion, ICJ Reports 1951, S. 15 (23). 511 The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 194, Para. 553: „The Convention thus seeks to protect the right to life of human groups, as such.“

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 163

physical existence), das vor körperlichem Genozid schützt, als mit dem Völkermordverbot korrespondierendes Gruppenrecht und die Völkermordkonvention als „besonderer“ Menschenrechtsvertrag anzusehen sind.513 2. Der Völkermordtatbestand Der Schutz des Völkermordverbots kommt den von einer Umsiedlung betroffenen Volksgruppen indes nur zugute, wenn eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung sowohl den objektiven als auch den subjektiven Völkermordtatbestand erfüllt.514 Es ist daher zu erörtern, ob bzw. unter welchen Umständen unfreiwillige Umsiedlungen im Kontext von Entwicklungsvorhaben als Völkermord im rechtlichen Sinne qualifiziert werden können. Nach Art. 2 der Völkermordkonvention bedeutet Völkermord „eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.“

Diese Definition ist heute allgemein als maßgebend anerkannt, und zwar auch für das völkergewohnheitsrechtliche Völkermordverbot.515 512 Vgl. Art. II Völkermordkonvention. – Ausführlich zum „subjektiven Schutzbereich“ des Völkermordverbots bzw. der Frage, wann eine Gruppe als „nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe“ im Sinne der Völkermordkonvention qualifiziert, siehe The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 194, Para. 554 ff. 513 So im Ergebnis auch Crawford, der unter dem Abschnitt „Genocide: The Right to Physical Existence“ argumentiert: „It is true that the Genocide Convention is directed towards offenders rather than victims [. . .]. But plainly, the definition of ‚genocide‘ can be regarded as having as its object the preservation of those groups, and in this sense it is meaningful to talk about their rights.“ James Crawford, The Rights of Peoples: „Peoples“ or „Governments“?, in: ders. (Hrsg.), The Rights of Peoples, 1988, S. 55 (59). 514 Bez. Bevölkerungsumsiedlungen im Allgemeinen vgl. Progress Report, Para. 19: „Population transfer is clearly unlawful and prohibited where its purpose or effect constitutes or amounts to genocide.“ 515 Vgl. z. B. International Law Commission, International Law Commission Report, 1996, Chapter II, Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

a) Der objektive Völkermordtatbestand: die Völkermordhandlung (actus reus) Die Völkermordkonvention zählt in Art. 2 unfreiwillige Umsiedlungen oder sonstige Formen zwangsweiser Dislokationen nicht ausdrücklich zu den verbotenen Handlungen, die den objektiven Tatbestand des Völkermords erfüllen. Daraus folgt aber nicht notwendig, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen grundsätzlich keinen Völkermordcharakter tragen können. Die Liste möglicher Völkermordhandlungen in Art. 2 ist zwar erschöpfend.516 Die Völkermordkonvention schreibt aber nicht vor, auf welche Art und Weise die dort genannten Handlungen ausgeführt werden müssen, um die Qualität eines Völkermordes zu erreichen.517 Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass eine Zwangsumsiedlung aufgrund der speziellen Umstände ihrer Durchführung oder wegen ihrer Folgen die objektiven Völkermordmerkmale erfüllt.518 In Betracht kommen insofern insbesondere Art. 2 (b) und (c) der Völkermordkonvention. Verboten sind danach unter Mankind (künftig Draft Code of Crimes), Article 17 – Crime of Genocide, Commentary, Para. 3. Der Draft Code of Crimes ist abrufbar unter ; Frank Chalk/Kurt Jonassohn, The History and Sociology of Genocide, 1990, S. 3. – Siehe auch United States District Court, E. D. Louisiana. Tom BEANAL, on behalf of himself and all others similarly situated v. FREEPORT-McMoRAN, INC., and Freeport-McMoRan Copper and Gold, Inc., Civil Action No. 96-1474, 10. April 1997, 969 F. Supp., S. 362 (372) (künftig Beanal v. Freeport-McMoRan): „This definition is generally accepted for purposes of customary law.“ Eine mit Art. 2 Völkermordkonvention wortgleiche Vorschrift findet sich auch in den jeweiligen Statuten der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien sowie für Ruanda sowie im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, siehe Statute of the International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991, Art. 4 Abs. 2, als Annex zu Document S/25704 vom 3. Mai 1993 abgedruckt in: UN SCOR, 48th year, Suppl. for April, May and June 1993 (1995), S. 134; Statute of the International Tribunal for Rwanda, Art. 2 Abs. 2, abgedruckt in: UN SCOR S/INF/50 (1996), S. 15 (16); das Statut des Internationalen Gerichts für Rwanda ist in deutscher Fassung abgedruckt in: Vereinte Nationen 43/1 (1995), S. 39–43; Statut über den Internationalen Strafgerichtshof (Rome Statute of the International Criminal Court) vom 17. Juli 1998, Art. 6, UN Doc. A/Conf. 183/9, 17. Juli 1998. 516 Vgl. Thornberry, Rights of Minorities, S. 70. Vgl. auch Draft Code of Crimes, Article 17 – Crime of Genocide, Commentary, Para. 11. 517 Vgl. Richard L. Herz, Litigating Environmental Abuses Under the Alien Torts Claims Act: A Practical Assessment, in: Virginia Journal of International Law 40 (2000), S. 545 (609). 518 Für eine Analyse, ob Bevölkerungstransfers im Allgemeinen die Qualität eines Völkermordes erreichen können, siehe Goebel, S. 24, Fn. 121, m. w. N.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 165

anderem „das Aushungern der Bevölkerung und die Zerstörung lebensnotwendiger Objekte (Nahrungsmittel, zur Erzeugung von Nahrungsmitteln genutzte landwirtschaftliche Gebiete, Ernte- und Viehbestände, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungsanlagen).“519 Dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen nicht nur theoretisch schweren körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der von der Umsiedlung betroffenen Gruppe verursachen (vgl. Art. 2 (b)) oder dieser Lebensbedingungen auferlegen können, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (vgl. Art. 2 (c)), sondern auch tatsächlich die in der Völkermordkonvention beschriebenen Auswirkungen haben können,520 ist empirisch belegt. So finden sich in der sozialund geschichtswissenschaftlichen Völkermordliteratur eine Reihe von Fallstudien, an deren Ende jeweils das Ergebnis steht, dass die untersuchten Zwangsumsiedlungen, welche im Zuge der Durchführung von Entwicklungsprojekten vorgenommen worden waren, als Völkermord qualifizierten. Beispielhaft hierfür sei die Studie über ein Wasserkraftwerkprojekt in Brasilien genannt, das mit finanzieller Unterstützung der Weltbank verwirklicht wurde.521 Der Bau von Staudämmen im Amazonasgebiet sowie in anderen Gegenden Brasiliens, in denen überwiegend indigene Völker leben, hatte für die Eingeborenen der Region verheerende Folgen: Sie kamen durch ihre Zwangsumsiedlung im Jahre 1981 in Kontakt mit unbekannten Krankheiten, durch die 600 der ursprünglich 1000 Angehörigen des Stammes starben.522 519 Vgl. Heintze, S. 228. – Siehe in diesem Zusammenhang auch Draft Code of Crimes, Article 17 – Crime of Genocide, Commentary, Para. 17. Die ILC stellt darin fest, dass auch Zwangsumsiedlungen ( forcible transfers) von erwachsenen Mitgliedern einer Minderheitengruppe den Tatbestand des – mit Art. 2 (c) Völkermordkonvention wortgleichen – Art. 17 (c) Draft Code of Crimes erfüllen und damit als Völkermord qualifizieren können: „Moreover, the forcible transfer of members of a group, particularly when it involves the separation of family members, could also constitute genocide under subparagraph (c).“ 520 Vgl. Meindersma, Legal Issues, S. 62: „The traumatic experience of involuntary removal of people, often under inhumane circumstances and being compelled to leave everything behind may lead to serious bodily and mental harm and indeed to the death of large numbers of people. Uprooting of peoples with special ties to the land has proven a most effective expedient to their physical destruction. When removal of people or the implantation of settlers is accompanied by more obvious measures of physical destruction toward that particular group, such as forced abortions, prohibition of the use of an original language, national customs and religious imprisonment, killings and torture, the connection of population transfers with genocide becomes most evident.“ 521 Siehe Chalk/Jonassohn, S. 413 f. 522 Ebd., S. 413. Chalk und Jonassohn folgern, dass dieser Fall einer Zwangsumsiedlung die Qualität eines Völkermords erreichte. Geer kommt hinsichtlich Wirtschaftsförderungsmaßnahmen in Paraguay (Erdölerforschungen auf dem angestammten Siedlungsgebiet von Indigenen) zu einem ähnlichen Ergebnis: „Over twenty

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Infolge entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen wurden Volksgruppen vielerorts Lebensbedingungen auferlegt, die deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführten. Der gesundheitliche Zustand der Mitglieder einer umgesiedelten Gruppe hat sich häufig dadurch erheblich verschlechtert, dass sie in dem Neuansiedlungsgebiet ihre gewohnten Lebensmittel nicht mehr produzieren konnten und sich daher gezwungen sahen, ihre Nahrung von heute auf morgen umzustellen. Hierdurch erhöhte sich in vielen Fällen die Anfälligkeit für Krankheiten. Schlimmstenfalls führte die erzwungene Nahrungsumstellung zum Tod.523 Lebensgefährdende Krankheiten brechen in den Neuansiedlungsgebieten häufig auch aufgrund der erforderlichen Umstellung bezüglich sanitärer Einrichtungen aus: Indigene Völker, die traditionelle Wasser- und Sanitätssysteme gewohnt sind, finden sich mit modernen Einrichtungen, sofern solche vorhanden sind, meist nicht zurecht. Die Liste dieser Beispiele ließe sich fortsetzen.524 Sie zeigen, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf die körperliche Integrität von Mitgliedern der betroffenen Bevölkerungsgruppe die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Art. 2 (b) und (c) Völkermordkonvention erfüllen.525 years ago, the Brazilian ‚model of development‘ in the Amazon River basin was characterised as a ‚silent war‘ being waged against indigenous peoples. Contemporaneously, a compelling argument was presented to the world that the Ache and other indigenous groups in Paraguay were the victims of genocidal acts by the government seeking to promote TNC oil exploration on ancestral lands. The Ache are now considered an extinct cultural group. These fact situations likely meet the elements of the international tort of genocide and would be cognizable in U. S. courts.“ Siehe Geer, S. 363, m. w. N. 523 Zu den gesundheitlichen Folgen von Zwangsumsiedlungen, insbes. erhöhter Erkrankungsziffern und Sterblichkeit, siehe ausführlich Cernea, Risks, S. 27 ff. 524 Siehe z. B. die Beschreibung der Konsequenzen des Landverlusts für die in Kanada lebenden Cree-Indianer in deren Mitteilung an den UN-Menschenrechtsausschuss, Communication No. 167/1984, UN Doc. CCPR/C/38/D/167/1984, 28. März 1990, Para. 23.2: „In substantiation of earlier allegations, the author explains that the Band’s loss of ist economic base and the breakdown of its social institutions, including the transition from a way of life marked by trapping and hunting to a sedentary existence, has led to a marked deterioration in the health of the Band members: . . . the diet of the people has undergone dramatic changes with the loss of their game, their reliance on less nutritious processed foods, and the spectre of alcoholism, previously unheared of in this community and which is now overwhelming it. . . . As a result of these drastic changes in the community’s physical existence, the basic health and resistance to infection of community members has deteriorated dramatically.“ Und weiter ebd. – Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Zwangsumsiedlungen im Kontext von Staudammprojekten siehe WCD-Report, S. 118 ff. 525 So im Ergebnis hinsichtlich unfreiwilliger Umsiedlungen im Allgemeinen auch Heintze, S. 228; Ezim Mbonu, S. 8, Rdn. 40. – Vgl. auch de Zayas, Forced

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 167

b) Der subjektive Völkermordtatbestand: die Zerstörungsabsicht (mens rea) Die Qualifizierung einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung als „Völkermord“ kann aber insofern Probleme bereiten, als sich ein Genozid nicht durch bestimmte Handlungen und deren Folgen, sondern in erster Linie durch die Zerstörungsabsicht, d.h. die mens rea der entsprechenden Handlung526, auszeichnet.527 Ob eine erzwungene Dislokation, die schweren körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe verursacht bzw. der betroffenen Bevölkerungsgruppe Lebensbedingungen auferlegt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, als „Völkermord“ einzustufen ist, hängt also entscheidend davon ab, ob der Nachweis der „Absicht“ gelingt, dass „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe“ umgesiedelt wurde, um diese „als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ (vgl. Art. 2 Völkermordkonvention). Eine Regierung, die für die erzwungene Dislokation einer verwundbaren Bevölkerungsgruppe verantwortlich zeichnet, wird aber kaum eingestehen, dass diese darauf abzielte, die betroffene Gruppe zu zerstören. Offiziell erklärter Zweck einer „entwicklungsbedingten“ Zwangsumsiedlung ist vielmehr stets die Förderung eines legitimen öffentlichen „Entwicklungsinteresses“, wie zum Beispiel die Armutsreduzierung, die Beseitigung eines sozioökonomischen Ungleichgewichts oder die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Die negativen Folgen einer solchen Umsiedlung, die mit der Entwicklungsmaßnahme einhergeht, werden in diesen Fällen zu einer unbeabsichtigten Nebenerscheinung der Entwicklungsförderung erklärt.528 Die Untersuchung des Völkermordverbots als Schutznorm vor entwicklungsResettlement (1985), S. 424–425; Eric Kolodner, Population Transfer: The Effects of Settler Infusion Policies on a Host Populations Right to Self-Determination, in: International Law and Politics 27 (1994), S. 159 (223). 526 Zu dem Begriff „mens rea“ siehe z. B. Thornberry, Rights of Minorities, S. 73. 527 Vgl. Dinstein, Collective Human Rights, S. 105. 528 So hat z. B. die brasilianische Bundesregierung in einem Fall, der unter anderem die Zwangsumsiedlung brasilianischer indigener Stämme (hier der Yanomami) zum Zwecke der Entwicklungsförderung (Erschließung natürlicher Ressourcen auf dem angestammten Territorium der Yanomami) betraf, jegliche Absicht zur Zerstörung einer indigenen Gruppe dementiert und sich dabei auf die Arbeit von FUNAI, einer nationalen Stiftung zum Schutz des Lebens und der Kultur der Indianer, berufen; vgl. Chalk/Jonassohn, S. 413. – Siehe hierzu auch die Entscheidung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission vom 5. März 1985, Resolución Nº 12/85 – Caso Nº 7615 (Brasil), OEA/Ser. L/V/II.66, doc. 10 rev. 1 (1985), abgedruckt in: Anuario Interamericano de Derechos Humanos 1985, S. 264–280 sowie abrufbar unter . Ausführlich zum Yanomami-Fall siehe Siegfried Wiessner, Rights and Status of Indigenous Peoples: A Global Comparative and International Legal Analysis, in: Harvard Human Rights Journal 12 (1999), S. 57 (74–79).

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

bedingten Zwangsumsiedlungen, die die körperliche Existenz der betroffenen Bevölkerungsgruppe bzw. ihrer Mitglieder gefährden, könnte daher bereits an dieser Stelle enden.529 aa) Wissen und Voraussehbarkeit versus Wollen als entscheidende Merkmale der Völkermordabsicht Die These, dass das Völkermordverbot als Grundlage für ein Gruppenmenschenrecht auf physischen Fortbestand in Betracht kommt, wäre aber dann (noch) nicht zu verwerfen, wenn die „Zerstörungsabsicht“ weit ausgelegt bzw. geringere Anforderungen an deren Nachweis gestellt würden. Denkbar wäre zum Beispiel, aus den objektiven Fakten eines Zwangsumsiedlungsfalles die Absicht, eine bestimmte Gruppe zu zerstören, abzuleiten.530 Hierfür haben Chalk und Jonassohn plädiert. Im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung einer verwundbaren Volksgruppe sei die Völkermordabsicht einer Regierung jedenfalls dann zu unterstellen, wenn deren zerstörerische Folgen offensichtlich oder voraussehbar waren. In diesen Fällen könne das Vorbringen eines entwicklungspolitischen Motives für eine Zwangsumsiedlung nicht als Gegenbeweis dafür ausreichen, dass keine weitergehende Zerstörungsabsicht vorlag: „Indian tribes are destroyed with each advance of the frontier of development and the government – far from trying to stop the process – knowingly repeats the same measures that led to the last devastation. This failure to protect the tribes and their way of life speaks louder than official denials of the government’s intention to sacrifice the tribes for the sake of development.“531

Die Ansicht, dass „Völkermord“ alle Handlungen erfasst, deren voraussehbare oder wahrscheinliche Folge die vollständige oder teilweise Zerstörung einer Gruppe ist, ohne dass es erforderlich wäre, dass die Handlungen auf die Zerstörung als solche abzielen, wird im Schrifttum auch von anderen Autoren geteilt.532 So bringt zum Beispiel Meindersma vor, „[a]wareness of the destructive effects of the transfers on the affected group, concurrent with continued government involvement or failure to undertake action to 529 Zur Schwierigkeit des Nachweises der Zerstörungsabsicht im Allgemeinen siehe Heintze, S. 229, m. w. N. 530 Vgl. Geer, S. 361, Fn. 114, der Jean Paul Sartre und dessen Ausführungen zum Holocaust zitiert: „Because most countries would not be as open about their ‚demonic intentions‘, the question then became, ‚would it be possible, by studying the facts objectively, to discover implicit in them such a genocidal intention?‘“ 531 Chalk/Jonassohn, S. 413. 532 Vgl. The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 201, Para. 571 m. w. N. in Fn. 1276.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 169 terminate the transfers, would render ineffective a government’s claim of lack of intent.“533

In diese Richtung argumentieren auch die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Al-Khasawneh und Hatano in ihrem vorläufigen Bericht über die menschenrechtliche Dimension von Bevölkerungstransfers. Sie verweisen darauf, dass die Umsiedlung einer Bevölkerungsgruppe wegen der damit einhergehenden Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen (Verlust von Nahrungsgrundlagen; Verschlimmerung des Gesundheitszustandes; steigende Kindersterblichkeit) tödliche Folgen für Angehörige der Gruppe haben können und bringen vor: „Particularly where these effects are foreseeable, sufficient evidence may exist to demonstrate official intent to cause physical harm to the affected population. The cumulative effects of population transfer may, therefore, coincide with one or more of the definitions of genocide.“534

In Rechtsprechung und Literatur ist indes nach wie vor die Ansicht vorherrschend, dass der Völkermordvorsatz als spezielle Absicht (dolus specialis oder specific intent) auszulegen ist.535 So haben sich zum Beispiel der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und das Ruanda-Tribunal, die in den vergangenen Jahren maßgeblich zur Entwicklung des Völker533

Meindersma, Legal Issues, S. 62 f. Preliminary Report, S. 24, Para. 101. – Auch Greenawalt spricht sich für eine Bestimmung der „Völkermordabsicht“, die das Wissenselement bzw. die Voraussehbarkeit der Zerstörung betont, aus. Die Hauptverantwortlichkeit für einen „Völkermord“ müsse in bestimmten Situationen auch solche Individuen treffen, die zwar persönlich keine besondere Völkermordabsicht vorweisen können, jedoch Völkermordhandlungen vorgenommen haben, obwohl sie sich der zerstörerischen Folgen ihrer Aktionen bewusst waren. Alexander K. A. Greenawalt, Rethinking Genocidal Intent: The Case for a Knowledge-Based Interpretation, in: Columbia Law Review 99 (1999), S. 2259–2294. – Für eine weite, wissensbasierte Auslegung der Zerstörungsabsicht hat sich auch die Anklagevertretung im Kristic-Fall des ICTY ausgesprochen. Eine Völkermorabsicht soll danach vorliegen, wenn „the accused consciously desired his acts to result in the destruction, in whole or in part, of the group, as such; or he knew his acts were destroying, in whole or in part, the group as such; or he knew that the likely consequence of his acts would be to destroy, in whole or in part, the group as such.“ Siehe Prosecutor’s pre-trial brief pursuant to Rule 65 ter(E)(i), 25. Februar 2000, Para. 90, zitiert in: The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 199, Para. 569. 535 Siehe z. B. Thornberry, Rights of Minorities, S. 73 f. – Vgl. zur Mehrheitsansicht auch die Nachweise bei Greenawalt, S. 2259–2294. Siehe auch Kadic v. Karadzic (United States Court of Appeals, Second Circuit), S. KADIC, on her own behalf and on behalf of her infant sons Benjamin and Ognjen, Internationalna Iniciativa Zena Bosne I Hercegovine „Biser,“ and Zene Bosne I Hercegovine, Plaintiffs-Appellants, v. Radovan KARADZIC, Defendant-Appellee, 13. Oktober 1995, 70 F.3d 232 (244); Beanal v. Freeport-McMoRan, S. 373: „Genocide is a specific intent offense.“ 534

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

mordtatbestandes beigetragen haben, für eine willensbasierte Bestimmung der Völkermordabsicht ausgesprochen.536 Die Erste Strafkammer des ICTY hat in der Sache The Prosecutor v. Radislav Krstic ausführlich erörtert, was unter Völkermordabsicht zu verstehen ist. Die Richter haben im Ergebnis sehr hohe Anforderungen an den subjektiven Völkermordtatbestand gestellt und für den Vorsatz eine besondere Zerstörungsabsicht (specific intent) gefordert.537 Es reicht danach nicht aus, die Zerstörung billigend in Kauf zu nehmen. Zur Begründung verwies der Strafgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte der Völkermordkonvention,538 das Rechtsgutachten des IGH zur „Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons“ sowie die einschlägige Jurisdiktion des Ruanda-Tribunals. bb) Die Bestimmung der Völkermordabsicht auf der Grundlage eines „rights-based-approach“ Die Entstehungsgeschichte der Völkermordkonvention spricht zwar für eine enge Auslegung des subjektiven Völkermordtatbestandes. Art. 2 Völkermordkonvention wurde bewusst restriktiv formuliert. Der ursprüngliche Vorschlag der Sowjetunion, neben Handlungen, die in einer besonderen Zerstörungsabsicht begangen werden, auch Maßnahmen unter den Völkermordtatbestand zu fassen, die de facto zur Zerstörung einer Gruppe im Sinne der Genozidkonvention führen, wurde gerade nicht übernommen.539 Auch lässt 536 Auch die ILC legt die Völkermordabsicht als dolus specialis aus; siehe Draft Code of Crimes, Article 17 – Crime of Genocide, Commentary, Para. 5. Voraussetzung für die Bejahung der Völkermordabsicht ist danach: „[A] general intent to commit one of the enumerated acts combined with a general awareness of the probable consequences of such an act with respect to the immediate victim or victims is not sufficient for the crime of genocide. The definition of this crime requires a particular state of mind or a specific intent with respect to the overall consequence of the prohibited act.“ 537 The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 190–193, Para. 544–550, sowie S. 199–203, Para. 569–580, insbes. Para. 550. Die Völkermordabsicht im Sinne eines „special intent“ ist danach nur zu bejahen, wenn die folgenden beiden Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: „[T]he act or acts must target a national, ethnical, racial or religious group; the act or acts must seek to destroy all or part of that group.“ Siehe auch ebd., S. 201, Rdn. 571: „For the purpose of this case, the Chamber will therefore adhere to the characterisation of genocide which encompass only acts committed with the goal of destroying all or part of a group.“ Für die entsprechende Rechtsprechung des Ruanda-Tribunals siehe die Nachweise ebd. 538 The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 200, Para. 571: „The preparatory work of the Genocide Convention clearly shows that the drafters envisaged genocide as an enterprise whose goal, or objective, was to destroy a human group, in whole or in part.“ 539 Vgl. Geer, S. 362.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 171

sich die Bestimmung der Völkermordabsicht nach den Kriterien des Wissens und der Vorhersehbarkeit der Zerstörungsfolge nicht mit der Vorstellung vereinbaren, dass „Völkermord“ gerade deshalb als ein besonderes Verbrechen gegen die Menschheit anzusehen ist, weil die Völkermordhandlung mit der Absicht vorgenommen wurde, eine bestimmte Gruppe als solche zu zerstören.540 Welche Anforderungen an den Völkermordtatbestand zu stellen sind, hängt aber letztendlich entscheidend davon ab, ob man in erster Linie auf den strafrechtlichen Charakter des Völkermordverbotes abstellt oder dieses primär als Menschenrechtsschutzvorschrift ansieht. In den Fällen, in denen die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Begehung des internationalen Verbrechens541 zu begründen ist, ist eine restriktive Auslegung des Völkermordvorsatzes im Sinne einer Zerstörungsabsicht (dolus specialis) geboten.542 Dies gilt umso mehr, als für die Ahndung von Völkermord das Weltrechtsprinzip, mithin universelle Jurisdiktion gilt. Ist aber von dem Völkermordverbot als menschenrechtliche Schutzvorschrift die Rede, könnten die Anforderungen an den Nachweis der Zerstörungsabsicht geringer sein. Behandelt man das Völkermordverbot nämlich aus menschenrechtlicher Sicht, geht es nicht in erster Linie um die strafrechtliche Individual-Verantwortlichkeit, sondern um die Frage, wie sich dessen Rechtsgut – das Gruppenmenschenrecht auf physischen Fortbestand – bestmöglich schützen lässt. Hier steht also die Verpflichtung aller Staaten im Vordergrund, Völkermord zu verhüten.543 Auch im Interesse eines größtmöglichen Menschenrechtsschutzes darf aber eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung nicht allzu leichtfertig als Völkermord qualifziert werden. In den Fällen, in denen die Umsiedlung offiziell entwicklungspolitisch motiviert war, muss eine weitergehende (Zerstörungs-)Absicht erkennbar sein. Deren Nachweis ist nur möglich, wenn Indizien vorliegen, die beweisen, dass die – wenn auch schleichende – Vernichtung der betroffenen Volksgruppe beabsichtigt war. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Regierung, die für die Umsiedlung verantwortlich zeichnet, bereits in der Vergangenheit eine offenkundige Bevölkerungs540

Vgl. hierzu Heintze, S. 226. Zur Einordnung von Völkermord als internationales Verbrechen (international crime), vgl. Art. I Völkermordkonvention: „Die vertragschließenden Parteien bestätigen, dass Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen, ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten.“ 542 Zu den strafrechtlichen Konsequenzen der Begehung eines Völkermords siehe z. B. Heintze, S. 230. 543 Vgl. Art. 1 Völkermordkonvention. 541

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

bzw. Besiedlungspolitik betrieben hat und dies mit Beispielen vergangener Umsiedlungen und/oder Regierungserklärungen, Artikel in regierungsnahen Zeitungen und ähnlichen Handlungen belegt werden kann.544 Dabei ist aber stets der Nachweis zu erbringen, dass die Vernichtung dem Plan entsprechend gegen die Gruppe als Gruppe und damit gegen deren nationale, ethnische, rassische oder religiöse Andersartigkeit gerichtet und nicht „lediglich“ Bestandteil einer staatlichen Entwicklungspolitik ist. In den Fällen, in denen die Zerstörung der betroffenen Bevölkerungsgruppe weder beabsichtigt noch geplant oder voraussehbar war, ist die Völkermordabsicht auch bei einem menschenrechtlichen Ansatz zu verneinen.545 Einem Völkermord geht nämlich immer Planung voraus, die wiederum den systematischen Einbezug von Wissen braucht.546 Dem Vorwurf, die vernichtenden Folgen einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung weder gewollt noch vorausgesehen zu haben, kann sich eine Regierung angesichts der umfangreichen empirischen – zuletzt auch von der WCD in ihrem Bericht veröffentlichten – Studien547 über die negativen Folgen einer Zwangsumsiedlung für die betroffenen Bevölkerungsgruppen heute freilich nicht mehr so einfach wie früher entziehen. 544 Vgl. hierzu das Urteil des ICTY in der Sache The Proceutor v. Radovan Karadzic/Ratko Mladic – Case Nos.: IT-95-5-R61/IT-95-18-R61, abgedruckt in: Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, Vol. 2 Part 2 – Documents and Cases, 2000, S. 1329 (1355). Der ICTY hat dort festgestellt, „dass die Absicht, eine geschützte Gruppe zu zerstören, aus bestimmten Tatsachen abgeleitet werden kann. [. . .] Dazu gehörten die politische Doktrin, die den tatbestandlichen Handlungen zu Grunde liegt. Die Absicht könne sich auch aus solchen Handlungen ergeben, die nicht Tathandlungen des Völkermordes seien, aber als Teil des Angriffsmusters begangen würden. Daher könne sich die Absicht auch aus politischen Reden und Plänen, der massiven Wirkung und ihrer spezifisch auf die Lebensgrundlage der Gruppe gerichteten Zielrichtung ergeben.“ Siehe den diesbez. Nachweis in: BVerfG, 2 BvR 1290/99 vom 12. Dezember 2000, Abs.-Nr. (1–49), Abs. 32, abrufbar unter . 545 Vgl. Levene, S. 345: „If the destruction of native peoples is simply an inexorable, even deus ex machina by product of modernisation, we would be forced to conclude with the view of Glaser and Possony that it is not genocide.“ Levene äußert sich allerdings kritisch gegen diese Auffassung. Ebd. 546 Dies ist eine der Prämissen der sozialwissenschaftlichen Genozidforschung; vgl. Oliver Jungen, Danach fragt ein treuer Professor nicht – Wissenschaft im Dienst am Unrechtsstaat: Das Bochumer Institut für Genozidforschung zieht Bilanz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. November 2004, Nr. 277, S. 42. – Vgl. diesbez. auch The Prosecutor v. Radislav Kristic, S. 201, Para. 572: „The Appeals Chamber, in a recent decision indicated that the existence of a plan was not a legal ingredient of the crime of genocide but could be of evidential assistance to prove the intent of the authors of the criminal act(s).“ 547 WCD-Report, S. 110–112.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 173

3. Schlussbemerkungen zum Völkermordverbot als Schutznorm gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen a) Die praktische Relevanz der Qualifizierung einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung als Völkermord Die Untersuchung des Völkermordverbotes als Schutznorm vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen ist nicht nur akademischer Natur. Die Beantwortung der Frage, ob die erzwungene Dislokation einer „nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe“ im Zusammenhang mit einem Entwicklungsvorhaben als Völkermord qualifiziert, kann vielmehr wesentlich für die Entscheidung darüber sein, ob die von einer Zwangsumsiedlung betroffenen Angehörigen einer Gruppe rechtlich gegen die Dislokation vorgehen können, und zwar auch außerhalb ihres eigenen Landes. Eine diesbezügliche Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, in US-amerikanischen Gerichten nach dem so genannten Alien Tort Claims Act (ATCA) Wiedergutmachung zu verlangen.548 Das gilt selbst dann, wenn die Zwangsumsiedlung außerhalb der USA von Nichtamerikanern veranlasst wurde. Der ATCA verleiht nämlich Bundesgerichten ( federal district courts) ursprüngliche Jurisdiktion über „any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States“.549 Erste Präzedenzfälle hierzu gibt es bereits.550 b) „Entwicklungsvölkermord“ als neue Rechtskategorie Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob das Völkermordverbot als Schutznorm vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen taugt. Fiedler gibt in der Einleitung zu seinem Sammelband über Deportation, Vertreibung 548 Vgl. bez. der Möglichkeit, eine Klage unter dem ATCA wegen kulturellem Völkermord bzw. „Ethnozid“ einzureichen, Gregory G. A. Tzeutschler, Corporate Violator: The Alien Tort Liability of Transnational Corporations for Human Rights Abuses Abroad, in: Columbia Human Rights Law Review 30 (1999), S. 359 (364); Jane C. Hong, Enforcement of Corporate Codes of Conduct: Finding a Private Right of Action for International Laborers Against MNCs for Labor Rights Violations, in: Wisconsin International Law Journal 19 (2000), S. 41 (67): „Environmental harms and the cultural destruction of peoples, also known as cultural genocide or ethnocide [. . .] are emerging as widely accepted international norms and becoming recognized for ATCA purposes in the future.“ 549 28 U. S. C. § 1350 (1994). Ausführlich zur Geschichte und Auslegung des ATCA siehe Herz, S. 545–638. 550 Siehe z. B. das obenerwähnte Urteil in der Sache Beanal v. Freeport-McMoRan; Herz, ebd., S. 549, wo sich weitere Nachweise für Fälle finden, in denen amerikanische Bundesgerichte mit Klagen gegen transnationale Unternehmen (TNCs) bezüglich projektbezogenen Menschenrechtsverletzungen befasst wurden.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

und „Ethnische Säuberung“ zu bedenken, dass die Unmöglichkeit, im Einzelfall einen Genozid nachzuweisen, zwar „nicht das Vorliegen schwerster Eingriffe in das Zusammenleben der Völker, mithin die Folgen einer Staatenpraxis [beseitigt], die durch Deportation, Vertreibungen, Massenausweisungen, ‚ethnische Säuberungen‘ oder auch vertraglich begründeten Bevölkerungsaustausch bewirkt werden.“ Die Bezeichnung als Völkermord erscheine aber insbesondere in den Fällen, „in denen die objektiv vorliegende Zerstörung einer Gruppe auf Motive gestützt wird, die – scheinbar – den Zielen des Völkerrechts entsprechen, [. . .] ohne dass eine weitergehende Absicht erkennbar wäre“, ungeeignet, die Problematik voll zu erfassen.551 Angesichts der Schwierigkeiten, im Falle einer Zwangsumsiedlung, die als Maßnahme zur Entwicklungsförderung ausgegeben wird, eine Völkermordabsicht nachzuweisen, ist Fiedler beizupflichten. Das klassische Völkermordverbot kann nur bedingt als Vorschrift zum Schutz vor entwicklungsbedingten Gefahren für den physischen Fortbestand einer verwundbaren Volksgruppe dienen. Es erscheint daher sinnvoller, „Entwicklungsvölkermord“ als eigene Rechtskategorie zu erfassen und für diese spezielle Schutzmechanismen zu schaffen. Entwicklungen in diese Richtung zeichnen sich auf dem amerikanischen Kontinent ab. In den Mitgliedstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) könnten entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen, die zur physischen Vernichtung eines indigenen Volkes oder deren Mitglieder führen, schon in wenigen Jahren durch die „Amerikanische Erklärung über die Rechte Indigener Völker“ verboten sein: Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat im Februar 1997 den Vorschlag für eine entsprechende Erklärung (Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples) angenommen.552 Nach Art. V Abs. 2 der Erklärung sind die Mitgliedstaaten der OAS verpflichtet, keine Maßnahmen zu ergreifen, zu unterstützen oder zu billigen, die zur Vernichtung eines indigenen Volkes führen können: „The states shall not undertake, support or favour any policy of artificial or enforced assimilation of indigenous peoples, destruction of a culture or the possibility of the extermination of any indigenous peoples.“553

Aus der Kommentierung zu Art. V – Authorities and Precedents in International and Domestic Law for the Proposed American Declaration on the 551

Wilfried Fiedler, Erster Teil: Einleitung, in: ders., Deportation, S. 18. Der Erklärungsentwurf (künftig Proposed American Declaration) wurde am 26. Februar 1997 von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission angenommen. Er ist auf der Website der Kommission abrufbar unter . 553 Hervorh. d. Verf. 552

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 175

Rights of Indigenous Peoples – vom 1. März 2001 geht hervor, dass vom Verbot der Zerstörung eines indigenen Volkes auch die physische Vernichtung umfasst ist.554 Die Kommentierung führt zwar als Beleg für das Ausrottungsverbot des Art. V Abs. 2 unter anderem die Völkermordkonvention (Art. 1 und 2) an. Als „Schutzinstrument“ vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen weist die „Amerikanische Erklärung“ gegenüber der Völkermordkonvention aber einen entscheidenden Vorteil auf: Das Recht auf physischen Fortbestand, das indigene Völker nach Art. V der American Declaration haben und die damit korrespondierende staatliche Unterlassungspflicht bestehen unabhängig davon, ob die zur Zerstörung führende Maßnahme mit der Absicht der Ausrottung vorgenommen wird. Die Erklärung ist nämlich primär zum Schutz der Rechte indigener Völker und gerade nicht als strafrechtliches Instrument konzipiert. 4. Exkurs: Zwangsumsiedlungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit Deportationen und Bevölkerungstransfers sind im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGSt) vom 17. Juli 1998555 in die Liste der strafbaren „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ aufgenommen worden. So schreibt Art. 7 Abs. 1 (d) vor: „Für die Zwecke dieses Statuts bedeutet ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ jede der folgenden Handlungen, die als Teil eines großangelegten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung in Kenntnis des Angriffs begangen wird: [. . .] d) Vertreibung oder Zwangsumsiedlung der Bevölkerung.“556

Die Aufnahme von Vertreibung und Zwangsumsiedlung in die Liste der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sowie die konkreten Erfahrungen im Kosovo haben Fiedler zufolge der Völkerrechtswissenschaft die Augen für „brennende menschenrechtliche Fragen“ geöffnet und auf die besondere Beziehung der Menschen zu ihren Wohngebieten aufmerksam gemacht.557 Völker(straf)rechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen kann die Einordnung von Bevölkerungstransfers als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ allerdings nur begrenzt bieten.558 Rajagopal argumentiert zwar, dass die erzwungene Umsiedlung einer ethnischen, ras554 OEA/Ser. L/V/II.110, Doc. 22. Die Kommentierung zu Art. V ist abrufbar unter . 555 Rome Statute of the International Criminal Court, UN Doc. A/Conf. 183/9, 17. Juli 1998; in Auszügen abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 303–317. 556 Hervorh. d. Verf. 557 Siehe Wilfried Fiedler, Völkerrechtlicher Stellenwert und wissenschaftliche Bewältigung in der Gegenwart – Folgerungen, in: ders., Deportation, S. 138. 558 Ausführlich zum Verbot der Massenvertreibung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit siehe Köhler, S. 316–358.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

sischen oder religiösen Minderheit bzw. eines indigenen Volkes angesichts ihrer oft subsistenzzerstörenden Folgen „a soft form of [. . .] crime against humanity“ darstellen kann.559 Die Qualifizierung eines Bevölkerungstransfers als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist allerdings an enge Voraussetzungen gekoppelt. Der Einordnung einer „entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung“ als „crime against humanity“ steht zwar nicht schon entgegen, dass jene in der Regel in Friedenszeiten erfolgt. Art. 7 IStGSt setzt nämlich nicht voraus, dass die dort aufgezählten „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ während oder im Zusammenhang mit einem Krieg begangen werden. Das Verbot der Dislokation als einem solchen Verbrechen gilt vielmehr auch in Friedenszeiten.560 Auch kann eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung nach der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2 d) IStGSt grundsätzlich unter den Tatbestand „Vertreibung oder Zwangsumsiedlung der Bevölkerung“ (deportation or forcible transfer of population) subsumiert werden. Darunter ist nämlich die erzwungene Dislokation ( forced displacement) der betroffenen Personen „durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen ohne völkerrechtlich zulässige Gründe aus dem Gebiet, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten“561, mithin unter den genannten Voraussetzungen auch eine entwicklungsbedingte erzwungene Umsiedlung zu verstehen. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Tatbestand des „Verbrechen(s) gegen die Menschlichkeit“ nach Art. 7 IStGSt ferner voraussetzt, dass die Umsiedlung als Teil eines groß angelegten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung erfolgt. Voraussetzung hierfür ist also eine staatliche Planung oder eine bestimmte Regierungspolitik, aus der hervorgeht, dass die Umsiedlung gerade aus nationalen, politischen, rassischen, ethnischen oder religiösen Gründen erfolgt. Dieser Nachweis des Völkermords wird aber bei einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung nur in den allerseltensten Fällen gelingen. Sind die Voraussetzungen indes ausnahmsweise erfüllt, unter denen diese als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ qualifiziert, liegt ein Verstoß gegen eine erga-omnes-Verpflichtung der Staaten und damit eine der schwersten Verletzungen des Völkerrechts vor, die von allen Staaten geahndet werden kann. Hierin liegt die Abschreckungs- und damit auch die Schutzfunktion der Einordnung einer erzwungenen Dislokation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

559 560 561

Rajagopal, „Out-dammed spot“. Vgl. Köhler, S. 344 m. w. N. Art. 7 Abs. 2 d) IStGSt.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 177

III. Das kollektive Menschenrecht auf kulturellen Fortbestand „The goal of indigenous populations is cultural survival.“562

1. Das Verbot des „kulturellen Völkermords“ bzw. „Ethnozids“ als Grundlage für ein Gruppenmenschenrecht auf kulturellen Fortbestand Die unfreiwillige Umsiedlung einer geschützten Gruppe hat häufiger noch als deren physisch-biologische Vernichtung bzw. einer substanziellen Zahl ihrer Mitglieder die Zerstörung der kulturellen Eigenschaften der Gruppe als einer von dem Rest der Gesellschaft abgesonderten Einheit zur Folge. Die geläufigsten Begleiterscheinungen erzwungener Dislokationen sind die Disintegration lokaler Kulturen, die Schwächung von Gemeinschaftseinrichtungen und sozialen Netzwerken sowie die Auflösung bestehender Sippen: „Both land-based and urbanized transferees suffer varying degrees of loss of cultural identity, depending on the extent to which that identity is linked to the place of residence. For example, where population transfer is the primary cause for an indigenous people’s land loss, it constitutes a principal factor in the process of ethnocide.“563

Zwangsumsiedlungen greifen also häufig die kulturelle Integrität und Identität der geschützten Gruppe an und gefährden dadurch deren kulturellen Fortbestand. Ein Beispiel hierfür ist die zwangsweise Umsiedlung von 10.000 Ureinwohnern (native people) in Malaysia, die in Zusammenhang mit einem der größten Infrastrukturprojekte Südostasiens, dem Bau des umstrittenen Bakun-Staudamms, erfolgte.564 Malaysische NGOs gingen gegen das Projekt mit der Begründung vor, dass die Zwangsumsiedlung einem „Ethnozid“ gleichkomme: „It is difficult to adequately capture in words the utter desperation and dislocation being experienced by the indigenous communities forcibly resettled because of the Bakun project [. . .]. A gaping hole has been blown in their social fabric, their culture and their future is in serious jeopardy. [. . .] Why move 10,000 indigenous 562 David Maybury-Lewis, Cultural Survival, Ethics and Political Expediency: The Anthropology of Group Rights, 16. Februar 1995, abrufbar unter . 563 Preliminary Report, Para. 101; Ezim Mbonu, S. 9, Para. 41: „Resettlement may fall short of interfering with a group’s [. . .] physical survival, but undermine its cultural survival.“ 564 Siehe hierzu z. B. International Rivers Network, IRN’s Bakun Campaign, abrufbar unter mit weiteren Links.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

people when the diversion tunnel or the new design for the dam is not ready? It is equivalent to ethnocide.“565

a) Begriffsbestimmung „[W]e hope that the term ethnocide will come into wider use for those cases in which a group disappears without mass killing. The suppression of a culture, a language, a religion, and so on is a phenomenon that is analytically different from the physical extermination of a group.“566

In den vergangenen Jahren wird der Begriff „Ethnozid“ zunehmend verwendet, um Fälle zu beschreiben, in denen eine Minderheitengruppe ausgelöscht wird, ohne dass eine physische Ausrottung stattgefunden hat.567 „Ethnozid“ wird dabei unterschiedlich definiert: So wird darunter einmal „eine Dislokation eines indigenen Volkes von dessen Heimat, die Zerstörung der indigenen Lebensweise und die Verwehrung seiner Kultur und Sprache“ verstanden.568 Andere definieren „Ethnozid“ als einen „Degradierungsprozess, der den Verlust der kulturellen Identität zur Folge hat.“569 Am wohl meist verbreitetsten ist die Begriffsbestimmung, wonach „Ethnozid“ Handlungen umfasst, „die nicht allein, wie bei den vertrags- oder gewohnheitsrechtlichen Vorschriften über den Völkermord, die Personen der jeweiligen Gruppen in ihrer körperlichen Integrität verletzen, sondern darüber hinaus auch die kulturellen Besonderheiten dieser Gruppen und deren kulturelle Integrität als solche.“570 Dementsprechend setzt die UNESCO571 565 RiverNet-International News, Malaysian NGOs say Bakun dam relocation is akin to „ethnocide“, 22. Oktober 1999, abrufbar unter (Hervorh. d. Verf.). 566 Chalk/Jonassohn, S. 23. 567 Siehe z. B. Maybury-Lewis. 568 Vgl. John P. LaVelle, Rescuing Paha Sapa: Achieving Environmental Justice by Restoring the Great Grasslands and Returning the Sacred Black Hills to the Great Sioux Nation, in: Great Plains Natural Resources Journal 5 (2001), S. 40 (79): „‚[E]thnocide‘ may be defined as ‚a dislocation of indigenous peoples from their homeland, destruction of their way of life, and denial of their culture and language‘.“ 569 Vgl. Kurt Glaser/Stefan T. Possony, Victims of Politics: The State of Human Rights, 1979, Kap. 27, S. 522: „process of degradation . . . [which] results in the loss of cultural identity“, die Jean Poirier, Ethnies et Cultures, in: ders. (Hrsg.), Ethnologie Régionale, Vol. 1, Encyclopédie de la Pléiade, 1972, S. 15–20, zitieren. 570 Vgl. z. B. Crawford, „Peoples“ or „Governments“, in: ders., The Rights of Peoples, S. 59 f., der auf Patrick Thornberry, Is There a Phoenix in the Ashes? International Law and Minority Rights, in: Texas International Law Journal 15 (1980), S. 421 (444) verweist; Kerrin Schillhorn, Kulturelle Rechte indigener

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 179

in ihrer „Erklärung von San José“ vom 11. Dezember 1981 „Ethnozid“ mit „kulturellem Völkermord“ gleich und versteht darunter die Verwehrung des Rechts einer ethnischen Gruppe, „to enjoy, develop and transmit its own culture and its own language, whether collectively or individually. This involves an extreme form of massive violation of human rights and, in particular, the right of ethnic groups to respect for their cultural identity.“572

Es stellt sich die Frage, ob das Völkerrecht eine Gruppe vor der Zerstörung ihrer kulturellen Integrität und Identität bzw. der Auslöschung ihrer besonderen Lebensweise schützt. b) Völkerrechtliche Grundlage eines Ethnozidverbotes aa) Das Ethnozidverbot als Bestandteil des Völkermordverbotes Goebel stellt auf den Aspekt der Vernichtung ab und sieht daher „Ethnozid“ als eine Unterform des Genozids an.573 Die Zerstörung der kulturellen Existenz einer Gruppe („kultureller Völkermord“) ist indes nach der vorherrschenden engen Auslegung der Völkermordkonvention nicht vom Verbot des Völkermordes erfasst.574 Dagegen könnte zwar sprechen, dass unter Völker und Umweltvölkerrecht, 2000, S. 91 m. w. N. – Siehe auch die Definition der Gesellschaft für bedrohte Völker, die unter „Ethnozid“ die Auslöschung der Lebensweise indigener Völker versteht: Gesellschaft für bedrohte Völker, UN-Dekade der indigenen Völker der Welt, abrufbar unter . 571 Die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) ist eine rechtlich eigenständige Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Ziel der UNESCO ist es „durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit beizutragen, um in der ganzen Welt die Achtung vor Recht und Gerechtigkeit, vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu stärken.“ (Art. 1 Abs. 1 der UNESCO-Verfassung) 572 UNESCO Latin-American Conference, Declaration of San José, 11. Dezember 1981, UNESCO Doc. FS 82/WF.32 (1982). Die Erklärung wurde auf dem UNESCO-Expertentreffen über Ethno-Entwicklung und Ethnozid in Lateinamerika (Ethno-Development and Ethnocide in Latin America) am 11. Dezember 1981 in San José verabschiedet. Sie ist abgedruckt in: Crawford, Rights of Peoples: Selected Documents on Peoples’ Rights, S. 202–204. 573 Goebel, S. 25. – Siehe auch die „Resolution on Information as an Instrument for Protection against War Damages to the Cultural Heritage“ vom 10. Juni 1994, die „Ethnozid“ ebenfalls als eine spezielle Form des Völkermordes ansieht. Die Erklärung wurde auf einem Expertentreffen verabschiedet, das vom Swedish Central Board of National Antiquities, der Swedish National Commission for UNESCO und ICOMOS Sweden ausgetragen wurde. Sie ist abrufbar unter .

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

den Begriff „Völkermord“, den Lemkin 1944 prägte, alle Formen der Zerstörung einer von dem Rest der Gesellschaft unterschiedlichen Gruppe zu subsumieren waren, d.h. sowohl deren physisch-biologische Vernichtung als auch Handlungen, die darauf abzielten, die soziale, religiöse, wirtschaftliche oder kulturelle Grundlage einer Gruppe zu zerstören.575 Dementsprechend war das Verbot des kulturellen Völkermordes auch in dem ersten Entwurf der Konvention von 1948 enthalten.576 Der Rechtsausschuss der UN-Vollversammlung sah den Begriff des kulturellen Völkermordes jedoch als zu unbestimmt an, um strafrechtlich dagegen vorzugehen, und lehnte daher mehrheitlich dessen Aufnahme in die Völkermordkonvention ab.577 Die Völkerrechtspraxis folgt auch heute noch überwiegend der engen Völkermorddefinition des Sechsten Ausschusses: So wurde in Kodifizierungen völkerstrafrechtlicher Instrumente jüngeren Datums davon abgesehen, „kulturellen Völkermord“ in die Liste der als Völkermord strafbaren Verbrechen aufzunehmen.578 Der ICTY spricht sich in seiner Jurisdiktion eben574

Siehe z. B. William A. Schabas, Genocide in International Law, 2000, S. 187 ff., der u. a. auf die Entstehungsgeschichte der Völkermordkonvention verweist: „[I]n light of the travaux préparatoires of the Genocide Convention, it seems impossible to consider acts of cultural genocide as punishable crimes if they are unrelated to physical or biological genocide.“ Ebd., S. 187. 575 Raphael Lemkin, ein Überlebender des Holocausts und eifriger Verfechter der Verabschiedung einer Völkermordkonvention, gilt als Vater des Völkermordbegriffs. Nach Lemkins Begriffsbestimmung, die dieser in seiner Studie „Axis Rule in Occupied Europe“ veröffentlicht hat, zeichnet sich Völkermord durch die folgenden Merkmale aus: „Generally speaking, genocide does not necessarily mean the immediate destruction of a nation, except when accomplished by mass killings of all members of a nation. It is intended rather to signify a co-ordinated plan of different actions aiming at the destruction of essential foundations of the life of national groups, with the aim of annihilating the groups themselves. The objectives of such a plan would be disintegration of the political and social institutions, of culture, language, national feelings, religion, and the economic existence of national groups, and the destruction of the personal security, liberty, health, dignity, and even the lives of the individuals belonging to such groups.“ Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe, 1944, S. 79. 576 Report of the Ad Hoc Committee on Genocide, 5. April–10. Mai 1948, UN ESCOR, Suppl. No. 6 [E/794 (1948)], Art. III, S. 6: „Cultural“ genocide – „In this Convention genocide also means any deliberate act committed with the intent to destroy the language, religion or culture of a national, racial or religious group on grounds of national or racial origin or religious belief.“ 577 Vgl. Heintze, S. 228 f.; The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 202, Para. 576. – Ausführlich zu den Gründen, die zur Ablehnung der Aufnahme des „kulturellen Völkermordes“ in die Völkermordkonvention von 1948 führten, siehe Schabas, S. 179 ff., sowie Johannes Morsink, Cultural Genocide, the Universal Declaration, and Minority Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 1009 (1028 ff.). 578 Siehe z. B. Draft Code of Crimes, Article 17 – Crime of Genocide, Commentary, Para. 12: „As clearly shown by the preparatory work for the Convention, the

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 181

falls gegen die Subsumtion kulturellen Völkermords unter den Straftatbestand „Genozid“ aus. Entsprechend hat zum Beispiel die Erste Strafkammer im Krstic-Fall gefolgert: „The Trial Chamber is aware that it must interpret the Convention with due regard for the principle of nullum crimen sine lege. It therefore recognises, that, despite recent developments, customary international law limits the defintion of genocide to those acts seeking the physical or biological destruction of all or part of the group. Hence, an enterprise attacking only the cultural or sociological characteristics of a human group in order to annihilate these elements which give to that group its own identity distinct from the rest of the community would not fall under the definition of genocide.“579

Die Rechtsprechung amerikanischer Bundesgerichte, die nach dem oben erwähnten Alien Tort Claims Act über Völkermordvorwürfe zu entscheiden haben, liegt auf einer Linie mit der Jurisdiktion des ICTY. Beispielhaft hierfür sei das Urteil des US District Court for the Eastern District of Louisiana in der Sache Beanal v. Freeport-McMoRan, Inc. aus dem Jahre 1997 angeführt.580 Das Gericht hatte über die Klage eines indonesischen Staatsbürgers und Anführers des Stammes der Amungme gegen das amerikanische Unternehmen Freeport zu entscheiden. Freeport hatte in Indonesien eine Tochtergesellschaft, die den Abbau von Kupfer, Gold und Silber im Tagebau betrieb. Der Kläger machte geltend, dass Freeports Aktivitäten zu Vertreibungen und Umsiedlungen sowie einer „purposeful, deliberate, contrived and planned demise of a culture of indigenous people“ führten.581 Das Gericht tat sich schwer dabei, den von Beanal vorgetragenen Sachverhalt unter den Tatbestand des Völkermordes zu subsumieren.582 Es stellte fest, dass Völkermord bewusste Handlungen umfasse, die einer Gruppe Lebensbedingungen auferlegten, die darauf abzielten, diese physisch zu zerstören.583 Unter Völkermord seien indes nicht auch Handlungen zu subsumieren, die zu Vertreibungen und Umsiedlungen ohne körperliche Zerstörung führten.584 Dementsprechend folgerte das Gericht: destruction in question is the material destruction of a group either by physical or by biological means, not the destruction of the national, linguistic, religious, cultural or other identity of a particular group. The national or religious element and the racial or ethnic element are not taken into consideration in the definition of the word ‚destruction‘, which must be taken only in its material sense, its physical or biological sense.“ – Auch die Verfasser des IStGSt haben nicht ernsthaft erwogen, „kulturellen Völkermord“ als Völkermordhandlung aufzunehmen; vgl. Schabas, S. 189. 579 The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 203, Para. 580. 580 Beanal v. Freeport-McMoRan, 969 F. Supp. 362. 581 Ebd., S. 373, Para. 18. 582 Vgl. ebd., S. 373. 583 Ebd. 584 Ebd.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

„If Beanal in fact means that Freeport is destroying the Amungme culture, then he has failed to state a claim for genocide.“585

Auch das völkergewohnheitsrechtliche Völkermordverbot umfasst kein Ethnozidverbot.586 Obgleich es in Schrifttum und Rechtspraxis auch Stimmen gibt, die dafür plädieren, „Ethnozid“ als eine Ausprägung des Völkermordes im Sinne der Konvention von 1948 anzusehen,587 scheint es sinnvoller, die völkerrechtliche Grundlage für den Schutz vor Angriffen auf die kulturelle Existenz einer Minderheitengruppe, wie schon damals vom Sechsten Ausschuss der UN-Vollversammlung vorgeschlagen,588 in Instrumenten des Menschenrechtschutzes im klassischen Sinne zu suchen. Das gilt umso mehr, als das völkerrechtliche Völkermordverbot nach dem zuvor zu dem Erfordernis einer Zerstörungsabsicht Gesagten ohnehin nur bedingt als Schutzvorschrift vor „kulturellem Völkermord“ dienen würde. Selbst wenn man nämlich „Ethnozid“ als Sonderform des „Genozid“ 585

Ebd. Vgl. The Prosecutor v. Radislav Krstic, S. 203, Para. 580: „[C]ustomary international law limits the definition of genocide to those acts seeking the physical or biological destruction of all or part of the group. Hence, an enterprise attacking only the cultural or sociological characteristics of a human group in order to annihilate these elements which give to that group its own identity distinct from the rest of the community would not fall under the definition of genocide.“ So auch Schabas, S. 189. 587 Siehe z. B. Schillhorn, S. 91 m. w. N. Schillhorn befürwortet die Subsumtion des „Ethnozid“ unter den Völkermordbegriff unter der Voraussetzung, dass „nicht die Individuen oder Gruppen selbst Ziel des Angriffs sind, sondern die Handlungen eine Zerstörung der Grundlagen indigener Kulturen, Religionen oder Sprachen zum Ziel oder zur Folge haben.“ – Vgl. auch die diesbezüglichen Tendenzen in der Rechtsprechung zum Völkermord. So hat zum Beispiel das deutsche Bundesverfassungsgericht, das sich mit der Rechtsfrage zu befassen hatte, ob vorsätzliche Tötungshandlungen, Misshandlungen und Vertreibungen, die ein Serbe in Bosnien und Herzegowina im Jahre 1992 im Rahmen sog. „ethnischer Säuberungen“ zum Nachteil der Gruppe der bosnischen Muslime begangen hat, den Tatbestand des Völkermords erfüllen, in seiner diesbezüglichen Entscheidung vom 12. Dezember 2000 erklärt: „Im völkerrechtlichen Schrifttum wird der Völkermordtatbestand zum Teil als auf die physisch-biologische Vernichtung einer geschützten Gruppe bzw. einer substanziellen Zahl ihrer Mitglieder beschränkt gesehen [. . .]. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift jedoch nicht zwingend [. . .]. Auch der englische Text der Völkermordkonvention wählt mit ‚destroy‘ im Hinblick auf die überschießende Innentendenz (‚intent‘) einen anderen, potenziell weiteren Begriff als die einzelnen in Art. II Buchstabe a bis e beschriebenen Tathandlungen. Dementsprechend wird allgemein nur angenommen, dass die Wortlautgrenze überschritten wäre, wenn die Zerstörungsabsicht allein auf die kulturellen Eigenschaften einer Gruppe bezogen würde. Dieses Wortlautverständnis lässt sich auch mit der Entstehungsgeschichte der Konvention begründen.“ BVerfG, 2 BvR 1290/99 vom 12. Dezember 2000, Abs. 28. 588 Vgl. Thornberry, Rights of Minorities, S. 72 f.; Schabas, S. 180; Herz, S. 627. 586

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 183

ansieht, gilt es zu bedenken, dass dessen Tatbestand nur erfüllt wäre, wenn der Nachweis gelänge, dass die in Frage stehende Umsiedlung mit der Absicht erfolgte, dadurch die kulturelle Integrität und Identität der betroffenen Bevölkerungsgruppe zu zerstören. Schließlich entspricht eine Lösung über Menschenrechtsinstrumente im klassischen Sinne auch eher dem hier gewählten „rights-based-approach“ des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. bb) Internationale Entwicklungen bezüglich der Kodifizierung eines „Ethnozidverbots“ bzw. eines besonderen Menschenrechts auf kulturelle Integrität Ein rechtsverbindliches Menschenrechtsinstrument, das „kulturellen Völkermord“ bzw. „Ethnozid“ explizit verbietet oder ausdrücklich ein Recht auf kulturellen Fortbestand garantiert, existiert auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Verabschiedung der Völkermordkonvention nicht. Im vergangenen Jahrzehnt wurden aber sowohl auf universeller als auch auf regionaler Ebene Versuche unternommen, diese Regelungslücke zu schließen. Die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) waren dabei federführend. (1) Der Entwurf einer Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker Im Bereich der Vereinten Nationen ist diesbezüglich der Entwurf des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) für eine Erklärung über die Rechte indigener Völker (Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples) aus dem Jahre 1993 zu erwähnen,589 die Ende 2004 zum Abschluss der Internationalen Dekade der Indigenen Völker der Welt von der UN-Vollversammlung verabschiedet werden sollte. Sie liegt nach wie vor der von der UNO-Menschenrechtskommission eingesetzten „open-ended inter-sessional Working Group“ zur Diskussion und Überarbeitung vor.590 589 Report of the Working Group on Indigenous Populations on its eleventh session, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1993/29, 23. August 1993, Annex I: Draft Declaration as Agreed Upon by the Members of the Working Group at its Eleventh Session (künftig Draft Declaration), S. 50–60. Der Erklärungsentwurf ist auch abrufbar auf der Website des United Nations High Commissioner for Human Rights unter Indigenous Peoples. 590 Die UN-Menschenrechtskommission hat durch ihre Resolution 1995/32 vom 3. März 1995 eine „open-ended inter-sessional Working Group“ eingerichtet, die den Erklärungsentwurf bis Ende 2004 überarbeiten sollte. Die Verabschiedung der

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Der Erklärungsentwurf schreibt in Artikel 7 ausdrücklich ein Kollektivund Individualrecht indigener Völker fest, weder „Ethnozid“ noch „kulturellem Genozid“ unterworfen zu werden: „Indigenous peoples have the collective and individual right not to be subjected to ethnocide and cultural genocide, including prevention of and redress for: (a) Any action which has the aim or effect of depriving them of their integrity as distinct peoples, or of their cultural values or ethnic identities; (b) Any action which has the aim or effect of dispossessing them of their lands, territories or resources; (c) Any form of population transfer which has the aim or effect of violating or undermining any of their rights; (d) Any form of assimilation or integration by other cultures or ways of life imposed on them by legislative, administrative or other measures; (e) Any form of propaganda directed against them.“591

Im Unterschied zu der Völkermordkonvention setzt die Erklärung nicht den Nachweis einer Zerstörungsabsicht im engeren Sinne voraus: „The U. N. Draft Declaration of the Rights of Indigenous Peoples contains a different standard of scienter to prove culpability. The Declaration substitutes ‚intent to destroy‘ with ‚aim or effect‘ for acts of cultural genocide.“592

Sie könnte dadurch eine höhere Schutzwirkung des Rechts auf kulturellen Fortbestand entfalten, als dies durch die Völkermordkonvention hinsichtlich des Rechts auf physische Existenz möglich ist. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Erklärung für die Mitglieder der Vereinten Nationen nicht rechtsverbindlich im engeren Sinne sein wird.593 Insofern kann man bestenfalls von einem halb-rechtlichen Schutz (semi-legal protection) des Rechts auf kulturellen Fortbestand durch die Erklärung über die Rechte Indigener sprechen, wenn diese eines Tages von der UN-Vollversammlung angenommen wird.594 Erklärung durch die UN-Vollversammlung innerhalb der Internationalen Dekade der Indigenen Völker der Welt (International Decade of the World’s Indigenous Peoples, 1995–2004) wurde als eines der Hauptziele der Internationalen Dekade angesehen. Siehe zu alledem Office of the High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet No. 9 (Rev. 1), The Rights of Indigenous Peoples, July 1997, S. 5 („Working Group on the draft declaration“), abrufbar unter . 591 Hervorh. d. Verf. 592 Geer, S. 363 f. 593 Vgl. ebd. – Zu den Auswirkungen der Draft Declaration auf die aktuelle Politik der UNO-Mitgliedstaaten vgl. Archer, S. 205 ff. 594 Vgl. auch Art. 42 der Draft Declaration, die lautet: „The rights recognized herein constitute the minimum standards for the survival, dignity and well-being of the indigenous peoples of the world.“ (Hervorh. d. Verf.).

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 185

(2) Der Entwurf für eine „Amerikanische Erklärung über die Rechte indigener Völker“ Der vorstehend erwähnte Vorschlag für eine „Amerikanische Erklärung über die Rechte Indigener Völker“595 schreibt in Art. VII Abs. 1 ausdrücklich ein „Recht auf kulturelle Integrität“ fest: „Indigenous peoples have the right to their cultural integrity, and their historical and archeological heritage, which are important both for their survival as well as for their identity of their members.“596

Der Erklärungsentwurf beschreibt den Gewährleistungsgehalt und die Verpflichtungen, denen die Staaten aufgrund dieses Rechts unterliegen, in Art. VII Abs. 2 und 3: „2. Indigenous peoples are entitled to restitution in respect of the property of which they have been dispossessed, and where that is not possible, compensation on a basis not less favorable than the standard in international law. 3. The states shall recognize and respect indigenous ways of life, customs, traditions, forms of social, economic and political organization, institutions, practices, beliefs and values, use of dress, and languages.“597

Der aktuelle Vorschlag für das Verbot einer erzwungenen Assimilation bzw. der kulturellen Zerstörung eines indigenen Volkes unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von Art. V des ursprünglichen Erklärungsentwurfs: Während letzterer als reine Verbotsnorm formuliert war,598 sieht Art. V n. F. – No forced assimilation – in Abs. 1 nunmehr ein ausdrückliches Recht auf Bewahrung der kulturellen Identität vor. Das damit korrespondierende Verbot ist in Abs. 2 formuliert: „1. Indigenous peoples have the right to freely preserve, express and develop their cultural identity in all its aspects, free of any attempt of assimilation. 595

Proposed American Declaration, Anm. 593. Hervorh. d. Verf. 597 Art. VII des Erklärungsentwurfes von 1995 lautete im Unterschied hierzu: „States shall respect the cultural integrity of indigenous peoples, their development in their respective habitats and their historical and archeological heritage, which are important to the identity of the members of their groups and their ethnical survival. Indigenous peoples are entitled to restitution in respect of property of which they have been dispossessed, or compensation in accordance with international law. States shall recognize, and respect, indigenous life-styles, customs, traditions, forms of social organization, use of dress, languages and dialects.“ (Hervorh. d. Verf.). 598 Art. V a. F. lautete: „The states shall not take any action which forces indigenous peoples to assimilate and shall not endorse any theory, or engage in any practice, that imports discrimination, destruction of a culture or the possibility of the extermination of any ethnic group.“ 596

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

2. The states shall not undertake, support or favour any policy of artificial or enforced assimilation of indigenous peoples, destruction of a culture or the possibility of the extermination of any indigenous peoples.“599

Art. V reicht hinsichtlich des Verbots von Maßnahmen, die zur Ausrottung eines indigenen Volkes führen können, sehr weit.600 Danach ist nicht nur die Vernichtung der indigenen Gruppe als solche verboten, sondern bereits die Durchführung, aktive Unterstützung oder auch Billigung einer „policy“, die möglicherweise zur Auslöschung eines indigenen Volkes führen kann. Von diesem Verbot sind folglich auch entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen indigener Völker in Gebiete umfasst, in denen diese ihre Kultur nicht aufrechterhalten können und daher als besondere Bevölkerungseinheiten aussterben. Die American Declaration ist zwar noch nicht offiziell verabschiedet worden. Sie entfaltet aber schon jetzt unter anderem dadurch erste rechtliche Wirkungen, dass sich oberste Gerichte lateinamerikanischer Länder offiziell auf die Erklärung berufen.601 2. Die allgemeinen Menschenrechtsverträge als Grundlage eines besonderen Menschenrechts auf kulturellen Fortbestand Die vorangehende Untersuchung hat gezeigt, dass das spezielle Völkermenschenrecht ausdrücklich noch kein (Gruppen)menschenrecht auf kulturellen Fortbestand garantiert. Daraus folgt aber nicht, dass das völkerrechtliche Menschenrecht gefährdete Minderheiten gegenwärtig nicht vor Maßnahmen schützt, die deren kulturelle Integrität bzw. Identität zerstören können, wie zum Beispiel entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen. Das Recht auf die kulturelle Existenz als Volksgruppe bzw. Aspekte desselben ist vielmehr im Schutzbereich einer Reihe anerkannter besonderer Menschenrechte völkervertraglich verbürgt.602

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Hervorh. d. Verf. Der Vorläuferentwurf hat nicht die Ausrottung eines indigenen Volkes („of any indigenous peoples“), sondern einer ethnischen Gruppe („of any ethnic group“) verboten. 601 So z. B. das oberste Gericht Venezuelas. – Zur Bedeutung der Erklärung für die OAS vgl. Benedict Kingsbury, Operational Policies of International Institutions as Part of the Law-Making Process: The World Bank and Indigenous Peoples, in: Guy S. Goodwin-Gill/Stefan Talmon (Hrsg.), The Reality of International Law: Essays in Honour of Ian Brownlie (1999), S. 323 (340). 602 Vgl. Heintze, S. 229. 600

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 187

a) Das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens einer Minderheit nach Art. 27 IPBPR als Schutzrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Die zentrale Bestimmung des IPBPR für den Schutz des Rechts der Angehörigen einer Minderheit auf die freie Ausübung der Kultur ist Artikel 27: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“603

Die allgemeine Bedeutung dieses Artikels „liegt darin, daß durch ihn die Notwendigkeit eines besonderen Minderheitenschutzes von der Völkergemeinschaft authentisch bestätigt wird.“604 aa) Der Schutzgehalt des Art. 27 IPBPR Der UN-Menschenrechtsausschuss hat in seinem General Comment 23 zu Art. 27 IPBPR ausgeführt, dass der Schutz der in dieser Vorschrift garantierten Rechte darauf gerichtet sei, den Fortbestand und die ständige Entwicklung der kulturellen, religiösen und sozialen Identität einer Minderheit im Sinne von Artikel 27 zu sichern.605 Vom Schutzbereich dieser Vorschrift sind danach Erscheinungsformen kulturellen Völkermordes erfasst, die wäh603 Siehe auch Art. 15 Abs. 1 IPWSKR, wonach die Vertragsstaaten unter anderem das Recht eines jeden anerkennen „(a) am kulturellen Leben teilzunehmen.“ Zu den Unterschieden zwischen Art. 27 IPBPR und Art. 15 IPWSKR siehe Nowak, Art. 27 CCPR, Rdn. 40. – Das Recht auf die Pflege bzw. freie Ausübung der Kultur ist ferner in verschiedenen speziellen Menschenrechtsinstrumenten garantiert. Siehe z. B. das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Art. 30 (kulturelle Identität); UNGA Res. 47/135: „Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities“ vom 18. Dezember 1992, Art. 2 Abs. 2 und 3, abgedruckt in: UN GAOR 47th Sess., Suppl. No. 49 (A/47/49), Annex, S. 210. – Siehe auch Art. 27 AEMR: Freiheit des Kulturlebens; vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Flucht und Vertreibung und ihre Ächtung im modernen Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 3 (40). 604 Blumenwitz, ebd., S. 40. Zur Bedeutung des Art. 27 IPBPR für den kulturellen Schutz indigener Völker siehe S. James Anaya, International Human Rights and Indigenous Peoples: The Move Toward the Multicultural State, in: Arizona Journal of International and Comparative Law 21 (2004), S. 13 (21 ff.). 605 General Comment No. 23 (50) (art. 27), UN GAOR 49th Sess.; Suppl. No. 40 [A/49/40 (1994)], Annex V, S. 107 (109), Para. 9: „The protection of these rights is directed towards ensuring the survival and continued development of the cultural, religious and social identity of the minorities concerned.“ (Hervorh. d. Verf.) [Künftig General Comment No. 23 (50)] Siehe hierzu Schillhorn, S. 63 f. m. w. N.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

rend der Verhandlungen zur Völkermordkonvention in Erwägung gezogen, aber nicht kodifiziert wurden, wie zum Beispiel die Zerstörung historischer Monumente, Gebetsstätten oder kultureller Einrichtungen sowie sonstiger Gruppenschutzobjekte.606 Der Menschenrechtsausschuss legt seiner Auslegung von Artikel 27 einen weiten Kulturbegriff zugrunde: „Kultur“ kann danach in den unterschiedlichsten Formen in Erscheinung treten. Die in Artikel 27 begründete Verpflichtung der Vertragsparteien des IPBPR, das kulturelle Leben von Minderheiten zu schützen, bezieht sich danach nicht nur auf kulturelle Praktiken im engeren Sinne. Die Schutzpflicht erstreckt sich vielmehr auch auf wirtschaftliche Aktivitäten, sofern diese ein wesentlicher Bestandteil der in Frage stehenden Minderheitenkultur sind.607 Hierzu zählen insbesondere indigene Praktiken, Traditionen und Regeln, die sich auf das traditionelle Land eines indigenen Volkes beziehen und Teil der kulturellen Identität und Integrität einer bestimmten Minderheitengruppe sind.608 Vom Schutzbereich des Art. 27 IPBPR ist daher auch eine besondere Lebensweise umfasst, die mit traditionellen Formen der Nutzung von Landressourcen zusammenhängt, wie zum Beispiel Fischen oder Jagen.609 Droht diese Lebensweise durch eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung beeinträchtigt zu werden, kann sich die hiervon betroffene Minderheit610 zur Abwehr der Umsiedlung grundsätzlich auf Art. 27 IPBPR berufen. bb) Die Spruchpraxis des UN-Menschenrechtsausschusses zu Art. 27 IPBPR hinsichtlich entwicklungsbedingter Beeinträchtigungen des Rechts auf freie Ausübung der Kultur Der UN-Menschenrechtsausschuss hatte zwar noch keinen Fall einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung zu prüfen. Seine Spruchpraxis ist aber für die Untersuchung der Frage, ob bzw. in welchem Maße Art. 27 606 Hierzu und zum Zusammenhang zwischen der Nichtaufnahme des kulturellen Völkermordes in die Völkermordkonvention und der Aufnahme von Artikel 27 in den IPBPR siehe Schabas, S. 186 f. 607 Vgl. Communication No. 197/1985, Kitok v. Sweden, Views adopted on 27 July 1988, Report of the Human Rights Committee, UN Doc. A/43/40, S. 229, Para. 9.2: „The regulation of an economic activity is normally a matter for the State alone. However, where that activity is an essential element in the culture of an ethnic community, its application to an individual may fall under article 27 of the Covenant.“ 608 Vgl. bez. indigener Völker Schillhorn, S. 64 f. 609 Vgl. General Comment No. 23 (50), Para. 7. 610 Zum persönlichen Schutzbereich des Art. 27 IPBPR siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 2. a) cc).

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 189

IPBPR Minderheiten vor unfreiwilligen Umsiedlungen im Zusammenhang mit Entwicklungsvorhaben schützt, dennoch unmittelbar relevant. Der Ausschuss hat nämlich in mehreren Fällen die Beschwerden indigener Völker, die geltend gemacht hatten, durch Entwicklungsmaßnahmen auf ihrem traditionellen Land in ihren Rechten aus dem IPBPR verletzt zu sein, am Maßstab des Art. 27 geprüft. Er hat dabei eine Reihe von Kriterien aufgestellt, anhand derer zu entscheiden ist, ob Art. 27 IPBPR im Einzelfall der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens, insbesondere so genanntem „resource development“ auf indigenem Land entgegensteht. Diesbezüglich sind in erster Linie die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses in den Sachen B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada (No. 167/1984)611, Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992)612 und Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995)613 erwähnenswert. (1) Die Fälle B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada (No. 167/1984), Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992) sowie Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995): die Fakten Die Sache B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada hatte die Enteignung traditionellen Landes der Lubicon Lake Cree-Indianer zu Gunsten von Öl- und Gaserforschungen privater Unternehmen zum Gegenstand. Die Beschwerde wurde von den Cree-Indianern eingereicht. Dabei handelt es sich um eine selbst bestimmte, autonome, sozio-kulturelle und wirtschaftliche Bevölkerungsgruppe, deren Angehörige von jeher ein ungefähr 10.000 Quadratkilometer umfassendes Gebiet im Norden von Alberta (Kanada) bewohnen. Dort gehen sie der Jagd nach und betreiben Fisch- und Beutefang. Die Beschwerdeführer machten geltend, dass die Energiegewinnungsmaßnahmen auf ihrem traditionellen Siedlungsgebiet ihr Recht auf Selbstbestimmung aus Art. 1 IPBPR bzw. auf freie Entscheidung über ihren poli611 Views of the Human Rights Committee under article 5, paragraph 4, of the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights – Thirty-Eighth Session – concerning Communication No. 167/1984, UN Doc. CCPR/C/38/D/167/1984, 28. März 1990, Annex (künftig Communication No. 167/ 1984). 612 Communication No. 511/1992: Finland. 08/11/94 (Ilmari Länsman et al. v. Finland), UN Doc. CCPR/C/52/D/511/1992, 8. November 1994 (künftig Communication No. 511/1992). 613 Views of the Human Rights Committee under article 5, paragraph 4, of the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights – FiftyEight-Session – concerning Communication No. 671/1995, UN Doc. CCPR/C/58/ D/671/1995, 22. November 1996, Annex (künftig Communication No. 671/1995).

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

tischen Status und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung verletzten. Sie führten weiter aus, dass die Energieerforschungsmaßnahmen auf ihrem Land die wirtschaftliche Grund- und damit die Subsistenzgrundlage der Lubicon Lake Band zerstörten. Ihr Fortbestand als Volksgruppe würde dadurch ernsthaft gefährdet.614 In der Sache Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992) richtete sich die Mitteilung der Beschwerdeführer, die allesamt Rentierzüchter und Angehörige der ethnischen Minderheit der Sami sind, gegen die Entscheidung des finnischen Zentralforstrates, einem privaten Unternehmen das vertragliche Recht einzuräumen, an der Flanke des Berges Etela-Riutusvaara Steinbrucharbeiten durchzuführen und die Steine danach durch ein besonders eingezäuntes Weidegebiet von Sami-Rentieren zu transportieren. Die Beschwerdeführer machten eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 27 IPBPR geltend, und zwar insbesondere des Rechts, ihre eigene Kultur auszuüben, die traditionell auf Rentierwirtschaft basierte.615 Der Beschwerde im Fall Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995) lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde. Hier griffen die Beschwerdeführer, die ebenfalls finnische Samis waren, die Pläne des Forstrates an, Holzarbeiten und den Bau von Straßen im Weidegebiet des Muotkatunturi Herdmen’s Committee zu genehmigen.616 Sie machten ebenfalls eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 27 IPBPR geltend.617 (2) Die Fälle B. Ominayak and members of the Lubicon Lake Band v. Canada (No. 167/1984) ), Ilmari Länsman et al. v. Finland (No. 511/1992) sowie Jouni Länsman et al. v. Finland (No. 671/1995): die Ausführungen des Menschenrechtsausschusses Der UN-Menschenrechtsausschuss hat alle drei Beschwerden am Maßstab des Art. 27 IPBPR geprüft. Er lehnt es nämlich nach wie vor ab, im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 2 Fakultativprotokoll zum IPBPR auf geltend gemachte Verletzungen der Rechte aus Art. 1 IPBPR (Selbstbestimmungsrecht der Völker) einzugehen.618 In seinen Entscheidungen in den Fällen Ominayak, Ilmari Länsman und Jouni Länsman hat der Ausschuss seine Ausführungen in General Comment 23 zum sachlichen Schutzbereich von Art. 27 IPBPR bestätigt. Er hat 614 615 616 617 618

Communication No. 167/1984, Para. 2.3 und 3.2. Communication No. 511/1992, Para. 3.1 und 3.2. Communication No. 671/1995, Para. 2.1. Ebd., Para. 3.1. Ausführlich hierzu siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. IV. 3.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 191

dementsprechend erklärt, dass die kulturellen Rechte, die Artikel 27 garantiert, auch das Recht der Angehörigen einer Minderheit umfassen, in Gemeinschaft mit anderen wirtschaftliche und soziale Aktivitäten zu unternehmen, sofern diese wesentlicher Bestandteil der Minderheiten-Kultur sind.619 Die entscheidende Frage, ob die streitgegenständlichen „Entwicklungs-“ bzw. Wirtschaftsmaßnahmen die Rechte des Art. 27 IPBPR verletzten, hat der Ausschuss in den drei Fällen unterschiedlich beantwortet. Im Ominayak-Fall hat das Human Rights Committee gefolgert, dass die angefochtenen Energiegewinnungsmaßnahmen auf dem traditionellen Siedlungsgebiet der Cree-Indianer die Lebensweise und Kultur der Lubicon Lake Band gefährdeten und deshalb deren Rechte aus Art. 27 IPBPR als verletzt angesehen: „Historical inequities, to which the State party refers, and certain more recent developments threaten the way of life and culture of the Lubicon Lake Band, and constitute a violation of article 27 so long as they continue.“620

Diese Entscheidung ist auf Kritik gestoßen. So hat das Ausschussmitglied Ando in einem Sondervotum (Individual Opinion) gegen das Mehrheitsvotum eingewandt, dass Art. 27 IPBPR nicht in jedem Fall, in dem in die traditionelle Lebensweise eines indigenen Volkes eingegriffen wird, als verletzt und die streitgegenständliche Maßnahme folglich als verboten angesehen werden könne. Art. 27 gebiete vielmehr, die Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung eines Landes, wie zum Beispiel deren Entwicklungsinteressen, gegen das Recht der betroffenen Minderheitengruppe am Schutz ihres kulturellen Fortbestands abzuwiegen: „It is not impossible that a certain culture is closely linked to a particular way of life and that industrial exploration of natural resources may affect the Band’s traditional way of life, including hunting and fishing. In my opinion, however, the right to enjoy one’s own culture should not be understood to imply that the Band’s traditional way of life must be preserved intact at all costs. Past history of mankind bears out that technical development has brought about various changes to existing ways of life and thus affected a culture sustained thereon. Indeed, outright refusal by a group in a given society to change its traditional way of life may hamper the economic development of the society as a whole. For this reason I would like to express my reservation to the categorical statement that recent developments have threatened the life of the Lubicon Lake Band and constitute a violation of article 27.“621 619 Communication No. 167/1984, Para. 32.2.; Communication No. 511/1992, Para. 9.2; Communication No. 671/1995, Para. 6.5 und 6.6. 620 Communication No. 167/1984, Para. 33. (Hervorh. d. Verf.). 621 Ebd., Appendix I: Individual opinion: submitted by Mr. Nisuke Ando pursuant to rule 94, paragraph 3, of the Committee’s rules of procedure, concerning the Committee’s view on communication No. 167/1984, B. Ominayak and the Lubicon Lake Band v. Canada, Abschn. 3.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

(a) Die Kriterien des Menschenrechtsausschusses zur Prüfung der Vereinbarkeit von Entwicklungsmaßnahmen mit Art. 27 IPBPR Die abweichende Stellungnahme von Andos ist nicht ohne Folgen für die Jurisdiktion des Menschenrechtsausschusses geblieben. Der Ausschuss hat der Kritik von Andos vielmehr in seinen Entscheidungen in den beiden Länsman-Fällen Rechnung getragen, denen jeweils eine differenzierte Prüfung zugrunde liegt. In den Länsman-Fällen hat der Menschenrechtsausschuss zunächst den Grundsatz aufgestellt, dass es nicht im freien Ermessen der Vertragsstaaten des IPBPR steht, ob und in welchem Umfang sie Entwicklungsmaßnahmen auf indigenem Land fördern bzw. wirtschaftliche Aktivitäten privater Unternehmen auf diesem erlauben. Der diesbezügliche staatliche Entscheidungsspielraum sei vielmehr durch die Verpflichtungen begrenzt, die Artikel 27 den Vertragsparteien auferlegt: „A State may understandably wish to encourage development or allow economic activity by enterprises. The scope of its freedom to do so is not to be assessed by reference to a margin of appreciation, but by reference to the obligations it has undertaken in article 27.“622

Art. 27 IPBPR schreibe vor, dass einem Angehörigen einer Minderheitengruppe nicht das Recht verwehrt werden dürfe, seine Kultur zu pflegen. Maßnahmen, die zu dessen Vereitelung führten, seien mit den Verpflichtungen zum Schutz des kulturellen Lebens aus Art. 27 IPBPR unvereinbar.623 Maßnahmen, die sich nur geringfügig auf das kulturelle Leben der Angehörigen einer Minderheitengruppe auswirkten, seien hingegen nicht von vornherein verboten: „Article 27 requires that a member of a minority shall not be denied his right to enjoy his culture. Thus, measures whose impact amount to a denial of the right will not be compatible with the obligations under article 27. However, measures that have a certain limited impact on the way of life of persons belonging to a minority will not necessarily amount to a denial of the right under article 27.“624

Nach Ansicht des Ausschusses ist daher in jedem Fall gesondert zu prüfen, ob sich eine geplante Entwicklungsförderungsmaßnahme so gravierend auf das kulturelle Leben von Minderheitsangehörigen auswirkt, dass sie de622

Communication No. 511/1992, Para. 9.4. Zu diesem Ergebnis kommt auch Nowak in seinem Kommentar zum IPBPR, Art. 27 CCPR, Rdn. 40: „All measures which threaten the way of life and culture of a minority, such as large-scale expropriations of minority lands for commercial purposes, constitute a violation of Art. 27.“ 624 Communication No. 511/1992, Para. 9.4. (Hevorh. d. Verf.) Siehe auch Communication No. 671/1995, Para. 10.3. 623

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 193

ren Recht auf die Pflege der eigenen Kultur vereitelt. In den Länsman-Fällen konnte der Ausschuss unter Zugrundelegung dieser Kriterien keine Verletzung der Rechte aus Art. 27 IPBPR feststellen: Im ersten Länsmann-Fall argumentierte er, dass die Steinbrucharbeiten die Rentierzucht nicht beeinträchtigen würden. Im zweiten Länsmann-Fall stellte der Ausschuss fest, dass vergangene und künftige Forstarbeiten bzw. deren Auswirkungen auf das Weidegebiet von Rentieren der Gemeinschaft der Muotkatunturi-Herdebesitzer nicht zu einem „denial of the author’s right to enjoy their culture“ nach Art. 27 IPBPR führten.625 Für die Beantwortung der Frage, welchen Anforderungen Entwicklungsvorhaben genügen müssen, um mit Art. 27 IPBPR vereinbar zu sein, sind neben den vorgenannten Entscheidungen die abschließenden Bemerkungen des Menschenrechtsausschusses zum Staatenbericht Chiles vom 30. März 1999 aufschlussreich.626 In den diesbezüglichen „Concluding Observations“ hat der Ausschuss Bedenken hinsichtlich hydroelektrischer und sonstiger Entwicklungsprojekte geäußert, welche die Lebensweise und Rechte von Angehörigen der Mapuche und anderer indigener Gemeinden, die in Chile leben, beeinträchtigen. Er stellte darin ausdrücklich fest, dass Umsiedlungsund Entschädigungsmaßnahmen als solche nicht in jedem Fall ausreichen, um Entwicklungsmaßnahmen als mit Art. 27 IPBPR vereinbar anzusehen.627 Nach Ansicht des Ausschusses müssen Vertragsparteien des IPBPR vielmehr folgende Regel einhalten, um ihre Pflichten aus Art. 27 IPBPR nicht zu verletzen: 625 Communication No. 671/1995, Para. 10.5: „After careful consideration of the material placed before it by the parties, [. . .] the Committee is unable to conclude that the activities carried out as well as approved constitute a denial of the authors’ right to enjoy their own culture. It is uncontested that the Muotkatunturi Herdsmen’s Committee, to which the authors belong, was consulted in the process of drawing up the logging plans and in the consultation, the Muotkatunturi Herdsmen’s Committee did not react negatively to the plans for logging. That this consultation process was unsatisfactory to the authors and was capable of greater interaction does not alter the Committee’s assessment. It transpires that the State party’s authorities did go through the process of weighing the authors’ interests and the general economic interests in the area specified in the complaint when deciding on the most appropriate measures of forestry management [. . .]. The domestic courts considered specifically whether the proposed activities constituted a denial of article 27 rights. The Committee is not in a position to conclude, on the evidence before it, that the impact of logging plans would be such as to amount to a denial of the authors’ rights under article 27.“ 626 Consideration of reports submitted by States parties under article 40 of the Covenant. Concluding observations of the Human Rights Committee: Chile, UN Doc. CCPR/C/79/Add. 104, 30. März 1999. 627 Ebd., Para. 22: „Relocation and compensation may not be appropriate in order to comply with article 27 of the Covenant.“

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

„When planning actions that affect members of indigenous communities, the State party must pay primary attention to the sustainability of the indigenous culture and way of life and to the participation of members of indigenous communities in decisions that affect them.“628

(b) Folgerungen für den Schutz, den Art. 27 IPBPR vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet Aus den Ausführungen des Menschenrechtsausschusses lässt sich hinsichtlich der Reichweite des Schutzes, den Art. 27 IPBPR Angehörigen einer Minderheit vor entwicklungsbedingten Umsiedlungen bietet, folgendes schließen: Das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens aus Art. 27 IPBPR schützt zwar nicht absolut vor jeder Art von Entwicklungsmaßnahmen. Eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung, die dazu führt, dass die Angehörigen einer Minderheit ihre Kultur nicht mehr ausüben können, ist aber immer unvereinbar mit Art. 27 IPBPR. So ein Fall liegt vor, wenn es den umgesiedelten Personen im Neuansiedlungsgebiet nicht möglich ist, Praktiken und Traditionen zu pflegen, die wesentlicher Bestandteil ihrer Kultur sind, weil sie sich auf das Land beziehen, von dem die betroffene Minderheitengruppe verbracht worden ist. Legt man Art. 27 IPBPR in diesem Sinne aus, entfaltet er für Angehörige von Minderheitengruppen einen weit reichenden Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. Die Gewährleistungen des Artikel 27 stehen danach einer unfreiwilligen Dislokation nur in den – eher seltenen – Fällen nicht entgegen, in denen die betroffenen Angehörigen einer Minderheitengruppe die land- bzw. siedlungsraumbezogenen Praktiken, Traditionen und Regeln, die für ihre Kultur wesentlich sind, auch in dem Wiederansiedlungsgebiet ausüben können. In allen anderen Fällen, in denen den Betroffenen durch die Umsiedlung die Grundlage ihres wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens entzogen und die Rechte aus Art. 27 IPBPR dadurch vereitelt werden, ist eine Zwangsumsiedlung nach dieser Vorschrift untersagt. Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch dann nicht, wenn man in Art. 27 IPBPR, der nach seinem Wortlaut das Recht auf die freie Ausübung des kulturellen Lebens schrankenlos gewährleistet, rechtsimmanente Schranken hineinliest.629 Denn ein Eingriff in den Wesensgehalt eines Grundrechts bzw. grundrechtsgleichen Rechts ist niemals zulässig. Zwangsumsiedlungen, die dazu führen, dass die Rechte des Art. 27 IPBPR für die Betroffenen bedeutungslos werden, sind also in jedem Fall unter628

Ebd. Zum Streit, ob Einschränkungen der Rechte aus Art. 27 IPBPR gerechtfertigt sein können, siehe Nowak, Art. 27 CCPR, Rdn. 47 f. 629

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 195

sagt.630 Nach alledem gelten für Einschränkungen der Minderheitenrechte aus Art. 27 IPBPR die allgemeinen Prinzipien, die auch sonst für die Zulässigkeit von Beeinträchtigungen allgemeiner Menschenrechte gelten: „[T]he negative impacts cannot be too devastating or they will breach the requirement that limits to article 27 be proportionate.“631

cc) Der persönliche Schutzbereich des Art. 27 IPBPR: Individualversus Gruppenrecht In Schrifttum und Praxis ist nach wie vor umstritten, ob Art. 27 IPBPR ein genuin kollektives Recht im Sinne eines Gruppenrechts schafft, das eine Minderheitengruppe als solche einfordern kann,632 oder ob die Rechte nur von einzelnen Angehörigen der Minderheit als Individualrechte geltend gemacht werden können.633 Am überzeugendsten ist die Ansicht, wonach Art. 27 IPBPR sowohl individualrechtliche als auch genuin kollektive Gehalte zu entnehmen sind, die nicht den einzelnen Gruppenmitgliedern, sondern der Minderheitengruppe als solcher zustehen.634 Die Menschenrechte, die Art. 27 IPBPR schützt, sind nämlich teilweise als Individualrechte konzipiert. Auf sie können sich Angehörige einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit unstreitig individuell berufen. Diese Rechte unterscheiden sich von anderen, ebenfalls im IPBPR verbürgten Individualrechten aber dadurch, dass sie „gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe“ ausgeübt werden. Schon insofern weist Art. 27 IPBPR auch einen gruppenrechtlichen Charakter auf. Darüber hinaus schützt Art. 27 IPBPR aber auch die Existenz einer 630 In diesem Sinne haben Joseph, Schultz und Castan die Entscheidung des Menschenrechtsausschusses im Ominayak-Fall gelesen: „The Ominayak decision was curiously brief. However, it confirmed that economic development projects can be trumped by a State’s duty to protect article 27 cultural rights.“ Sarah Joseph u. a., The International Covenant on Civil and Political Rights, 2nd ed., 2004, S. 772, [24.28]. 631 So dieselben noch in der Vorauflage, Sarah Joseph u. a., The International Covenant on Civil and Political Rights, 2000, S. 590, [24.30]. 632 Siehe in diesem Zusammenhang Art. 12 Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (1993), der explizit als echtes Gruppenrecht konzipiert ist: „Indigenous Peoples have the right to practice and revitalize their cultural traditions and customs. This includes the right to maintain, protect and develop the past, present and future manifestations of their cultures, [. . .] as well as the right to the restitution of cultural, intellectual, religious and spiritual property taken without their free and informed consent or in violation of their laws, traditions and customs.“ (Hervorh. d. Verf.). 633 Zum Meinungsstand siehe Hobe/Kimminich, Kap. 15.1, S. 433, m. w. N., sowie Nowak, Art. 27 CCPR, S. 497–499, Rdn. 35–37. 634 Dieser Ansicht neigen auch Hobe/Kimminich, ebd., zu.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Minderheitengruppe als solche. Ohne den Bestandsschutz der Gruppe würden die Individualrechte des Art. 27 IPBPR nämlich an Substanz verlieren.635 Der Streit, ob die Bestimmung des Art. 27 IPBPR als Individual- oder echtes Gruppenrecht zu verstehen ist, wird relevant, wenn es um die Beantwortung der verfahrensrechtlichen Frage geht, ob eine Verletzung der Rechte des Art. 27 IPBPR im Wege des Individualbeschwerdeverfahrens nach Art. 2 des Fakultativprotokolls zum IPBPR geltend gemacht werden kann.636 In der Praxis des Menschenrechtsausschusses spielt die Unterscheidung zwischen Individual- und Gruppenrechten aber selbst in dieser Hinsicht kaum eine Rolle, wie die Entscheidung im Fall Bernard Ominayak, Chief of the Lubicon Lake Band v. Canada zeigt,637 der Ansprüche von Angehörigen eines indigenen Volkes betraf. Der Ausschuss hat darin klargestellt, dass auch eine Gruppe von Individuen, die geltend machen, in ähnlicher Weise durch eine streitgegenständliche Maßnahme beeinträchtigt zu sein, gemeinsam eine Beschwerde einreichen kann.638 Daraus folgt für die Durchsetzung der Rechte aus Art. 27 IPBPR im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung, dass die hiervon betroffenen Angehörigen einer Minderheitengruppe dem Menschenrechtsausschuss sowohl individuell als auch kollektiv eine so genannte „Communication“ unterbreiten können. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Staat, in dessen Territorium die streitgegenständliche Zwangsumsiedlung erfolgt, das Fakultativprotokoll unterzeichnet hat.639 Es ist schließlich zu klären, wer vom persönlichen Schutzbereich des Art. 27 IPBPR umfasst ist, der seinem Wortlaut nach Angehörigen „ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten“ das Recht auf die Pflege ihres eigenen kulturellen Lebens gewährt. Gilt dieses Recht auch für indigene und in Stämmen lebende Menschen? Der Menschenrechtsausschuss hat dies in einer Reihe von Entscheidungen – implizit – bejaht, die allesamt 635 In diese Richtung argumentiert Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Rudolf Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit – Menschenrechte: Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 949 (966). So auch Sieghart, S. 168. Vgl. auch Hobe/Kimminich, S. 433, die in Fn. 14 auf weitere Autoren verweisen, welche Art. 27 IPBPR auch genuin kollektive Gehalte wie Rechte auf Bestandschutz entnehmen. 636 Vgl. hierzu Nowak, Art. 27 IPBPR, S. 498, Rdn. 36. 637 Communication No. 167/1984. 638 Ebd., Para. 32.1.: „There is . . . no objection to a group of individuals, who claim to be similarly affected, collectively to submit a communication about alleged breaches of their rights.“ 639 Zum Individualbeschwerdeverfahren siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 197

Minderheitenrechte Indigener betrafen, indem er die geltend gemachten Rechtsverletzungen u. a. am Maßstab des Art. 27 IPBPR geprüft hat.640 Nowak hat sich der Ansicht des Ausschusses mit der Einschränkung angeschlossen, dass ein indigenes Volk die allgemeinen Begriffsmerkmale einer Minderheit erfüllen muss, um in den Genuss der Rechte des Art. 27 IPBPR zu kommen.641 An dem Nowakschen Ansatz bestehen aber angesichts der Schwierigkeiten, den Begriff der „Minderheit“ sauber zu bestimmen, Bedenken. Zuzustimmen ist Nowak allenfalls dann, wenn man diesen Begriff weit auffasst und danach als „Minderheit“ eine Gruppe (von Staatsangehörigen) ansieht, „die numerisch kleiner als der Rest der Bevölkerung eines Staates ist, sich in einer schwächeren Position befindet und bestimmte ethnische, religiöse oder sprachliche Eigenschaften besitzt, die sie vom Rest der Bevölkerung unterscheidet.“642 Für die Bestimmung des persönlichen Schutzbereichs von Art. 27 IPBPR sollte letztendlich entscheidend sein, ob eine solche Gruppe durch Angriffe besonders gefährdet und deshalb schutzbedürftig und schutzwürdig ist, die gegen das spezifische, vom Rest der Bevölkerung zu unterscheidende kulturelle Leben bzw. den kulturellen Fortbestand dieser Gruppe gerichtet sind. dd) Schlussbemerkungen zur potenziellen und aktuellen Reichweite des Schutzes, den Art. 27 IPBPR vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet Der UN-Menschenrechtsausschuss hat die potenzielle Reichweite des Schutzes, den Art. 27 IPBPR Angehörigen einer Minderheit vor Entwicklungsmaßnahmen bietet, durch seine Spruchpraxis maßgeblich erweitert. Hierfür ist in erster Linie die Feststellung des Ausschusses bedeutsam, dass sich die Schutzpflicht des Art. 27 IPBPR auch auf wirtschaftliche, landgebundene Aktivitäten der Angehörigen einer Minderheitengruppe erstreckt, sofern diese wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Minderheitenkultur sind. Bei der Bestimmung der aktuellen Reichweite des Schutzes, den Art. 27 IPBPR im Zusammenhang mit Entwicklungsmaßnahmen bietet, geht der 640 Siehe z. B. Communication No. 167/87, Para. 32.2., sowie Joseph u. a., 2nd ed., S. 759 ff., [24.15]–[24.17]. Siehe auch General Comment No. 23 (50), Para. 3.2 und 7. Der Menschenrechtsausschuss bejaht darin, dass Rechtsträger der Rechte des Art. 27 IPBPR auch indigene Völker sein können. – Zur Diskussion, ob Art. 27 IPBPR auch auf indigene Völker anwendbar ist, siehe Nowak, Art. 27 CCPR, S. 492–494, Rdn. 26–30.; Schillhorn, S. 60 f. 641 Nowak, Art. 27 CCPR, S. 493, Rdn. 28. 642 Hobe/Kimminich, Kap. 15., S. 430, welche auf die Begriffsbestimmung Capotortis verweisen.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Menschenrechtsausschuss heute allerdings zurückhaltender als in seiner früheren Spruchpraxis vor. Der effektive Gewährleistungsbereich des Rechts auf die Pflege des kulturellen Lebens ist danach fallweise festzulegen. Die Frage, ob Art. 27 IPBPR im Einzelfall einem Entwicklungsvorhaben entgegensteht, beantwortet der Ausschuss nach folgenden Kriterien: Entscheidend ist zunächst, ob die angefochtene Entwicklungsmaßnahme von einem solchen Ausmaß ist, dass sie die Rechte der betroffenen Personen aus Art. 27 IPBPR vereitelt. Bejahendenfalls ist diese Grundrechtsnorm verletzt. In allen anderen Fällen ist für die Bestimmung des effektiven Gewährleistungsbereichs unter anderem maßgeblich, ob die von dem Entwicklungsvorhaben betroffenen Angehörigen einer Minderheitengruppe im Rahmen des Planungsverfahrens beraten wurden und sich danach gegen das streitgegenständliche Vorhaben ausgesprochen haben. Schließlich ist stets zwischen den Interessen der betroffenen Personen und den wirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit an der Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen abzuwägen. Im Schrifttum haben einige Autoren Bedenken gegenüber der diesbezüglichen Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses geäußert. Joseph, Schultz und Castan beurteilen die Entscheidungen des Ausschusses wegen des Prüfungspunkts „Interessenabwägung“ skeptisch: „Whilst the HRC has accepted that ‚culture‘ has a variety of manifestations which are theoretically worthy of protection, it has demonstrated a reluctance in recent decisions such as the Länsman cases and Äärelä to find violations of article 27 on the facts. These decisions confirm that article 27 rights will be balanced against other countervailing interests, such as those regarding economic development. However, it is to be hoped that the HRC does not allow this ‚balance‘ to be tipped too far in favour of economic interests.“643

b) Die Gewährleistung des Rechts auf kulturellen Fortbestand in der EMRK Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält keine mit Art. 27 IPBPR vergleichbare Vorschrift, die Minderheiten besondere Rechte gewährleistet. Auch Art. 14 EMRK, der ausdrücklich ein Verbot der Diskriminierung unter anderem wegen Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit formuliert, schreibt kein spezielles Menschenrecht für Angehörige einer Minderheit fest: Nach Art. 14 EMRK, der akzessorisch zu den Konventionsrechten hinzutritt, gewährleistet die Konvention ihre Rechte und Freiheiten gerade ohne Diskriminierung. Minderheiten sind daher auf die Geltendmachung der allgemeinen Konventionsrechte angewiesen.644 643 644

Joseph u. a., 2nd ed., S. 793, [24.53]. Vgl. hierzu Lenz, S. 447.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 199

Der EGMR gewährt nationalen Minderheiten aber indirekt einen besonderen Schutz, und zwar auch vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. Dies geht aus der bereits mehrfach erwähnten Horno-Entscheidung des EGMR (Günther Noack u. a. ./. Deutschland) hervor. Die Beschwerdeführer hatten unter anderem geltend gemacht, dass durch die Zerstörung Hornos ihr Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens und der eigenen Sprache vereitelt würde. Die Auflösung der ursprünglichen Dorfgemeinschaft und das Erfordernis, sich in eine neue Gemeinschaft einzugliedern, würden zur Zerstörung der sorbischen Kultur führen.645 Sie rügten diesbezüglich eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK). Der EGMR stellt hierzu zunächst fest, dass Angehörige nationaler Minderheiten nach Art. 1 EMRK in den Anwendungsbereich der Konvention fallen. Hinsichtlich des Schutzbereichs von Artikel 8 verwies er auf ein Votum der Europäischen Kommission für Menschenrechte aus dem Jahre 1981, in dem diese ausdrücklich dargelegt hatte, dass Artikel 8 das Recht einer Minderheit auf ihren besonderen Lebensstil schütze.646 Der Gerichtshof stellt übereinstimmend hiermit fest, „dass die Umsiedlung der Bewohner Hornos – sowohl der Angehörigen der deutschen Mehrheitsbevölkerung wie auch der hier in der Überzahl befindlichen sorbischen Mehrheit – grundsätzlich den Schutzbereich von Art. 8 EMRK berühre, da eine solche Maßnahme in das Privatleben [. . .] eingreife.“647 Der EGMR hat zwar keine 645

Vgl. Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 526: „Les requérants se plaignent surtout d’une atteinte au respect de la vie privée, et notamment à la vie de la minorité sorabe, car la destruction du village de Horno les priverait de la possibilité de pratiquer leurs coutumes et leur langue. La dissolution de la communauté villageoise d’origine et l’obligation de s’intégrer dans une nouvelle communauté entraîneraient à terme la destruction de la culture sorabe.“ – Die Sorben sprechen eine eigene Sprache und üben eine eigene Kultur aus; sie pflegen das sorbische Brauchtum durch das Tragen folkloristischer Kleidung, in Gesangsvereinen und Theaterzirkeln, sowie in Schrift und Malerei. Vgl. das Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg (Sorben[Wenden]-Gesetz) vom 7. Juli 1994, GVBVl. I/94, S. 294 (künftig Sorben[Wenden]-Gesetz). 646 Ebd., En Droit, Rdn. 1, S. 528: „Cependant, au regard de l’article 8 de la Convention, le mode vie d’une minorité peut, en principe, bénéficier de la protection de la vie privée, de la vie familiale et du domicile (voir notamment la décision de la Commission du 3 octobre 1983, requêtes nos 9278/81 et 9415/81, D. R. 35, pp. 38–45 et les rapports de la Commission du 11 janvier 1995, Buckley c. Royaume-Uni, requête no 20348/92, § 64, et du 25 octobre 1999, Chapman c. Royaume-Uni, requête no. 27238/95, § 65).“ 647 Noack u. a. ./. Deutschland, in: MenschenRechtsMagazin, a. a. O., S. 194. Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 528 f.: „Indépendamment de la protection des droits d’une minorité, sorabe en l’occurrence, la Cour considère que le transfert des habitants d’un village soulève un problème au regard de l’article 8 de la Convention, puisqu’il touche directement la vie privée et le domicile des personnes concernées.“

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Verletzung von Art. 8 EMRK festgestellt. Die Entscheidung ist aber gleichwohl für die Bestimmung von Reichweite und Grenze des besonderen menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bedeutsam, weil sich der Gerichtshof bei der Prüfung der Abwägung der widerstreitenden Interessen auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit als Abwägungselement berufen hat.648 Die angefochtenen Maßnahmen hat der EGMR danach unter anderem deshalb als konventionskonform erachtet, weil die Erhaltung der sorbischen Sprache, Gebräuche, Identität und kulturellen Gemeinschaft gewährleistet sei.649 3. Zusammenfassung zum besonderen menschenrechtlichen Schutz der kulturellen Integrität und Identität einer Minderheitengruppe In den vergangenen Jahren hat sich weltweit das Bewusstsein geschärft, dass der Schutz der Kultur für die erfolgreiche Durchführung eines Entwicklungsprojekts wesentlich ist. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Entwicklungsprogramme, die lediglich auf dessen wirtschaftlichen Erfolg im engeren Sinne abstellen, kulturelle Aspekte aber ignorieren, häufig scheitern.650 Völkerrechtlich lässt sich „Kultur“ im anthropologischen Sinne, d.h., verstanden als all das, was einem Volk zu eigen ist, „was es von anderen Völkern unterscheidet und damit seine Identität ausmacht“,651 am besten durch allgemeine und besondere Menschenrechte bzw. deren normative Gewährleistungen schützen.652 Hiervon scheint auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen auszugehen. Er hat durch seine Jurisdiktion zu Art. 27 IPBPR nicht nur die kulturelle Existenz einer Minderheitengruppe, zu der er auch indigene Völker zählt, als Schutzgut des internationalen Menschenrechtsschutzes im Allgemeinen und des IPBPR im Besonderen aufgewertet. 648

Vgl. hierzu Lenz, S. 448. Siehe Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 531. 650 Siehe hierzu die einzelnen Beiträge in Vijayendra Rao/Michael Walton (Hrsg.), Culture and Public Action, Stanford 2003. Vgl. auch The World Bank Group, Focus on culture, not just economics, say two Bank economists in new book, abrufbar unter , die Rao mit den Worten zitieren: „Development programs driven by economic conclusions alone risk failure.“ 651 Zu dieser Definition, die von dem anthropologischen Kulturansatz ausgeht, vgl. Schillhorn, S. 36 f. m. w. N. 652 Ausführlich zur „menschenrechtlichen Konkretisierung der Kultur“ im Völkerrecht siehe Martin Philipp Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung, 1992, S. 187–232. 649

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 201

Der Ausschuss hat durch sein weites Verständnis von „Kultur“, was im Kontext der vorliegenden Untersuchung entscheidend ist, auch die Reichweite des Rechts auf die Pflege des kulturellen Lebens ausgedehnt und dieses – jedenfalls in seiner tatsächlichen Wirkung – zu einem kollektiven Menschenrecht ausgebaut, das dem Grunde nach gegen Angriffe auf die kulturelle Integrität und Identität schützt.653 Das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens ist danach als Abwehrrecht auch gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen von Minderheitengruppen gerichtet, welche den kulturellen Fortbestand der betroffenen „Minderheit“ gefährden. Art. 17 Abs. 2 Banjul-Charta, der mit Art. 27 IPBPR korrespondiert,654 ist entsprechend auszulegen. Die Rechte, die Art. 27 IPBPR und Art. 17 Banjul-Charta Mitgliedern einer Minderheitengruppe bzw. der Minderheit selbst gewähren, einschließlich des Rechts auf kulturelle Existenz, sind heute völkergewohnheitsrechtlich anerkannt.655 Sie sind daher auch von Staaten zu beachten, die die Menschenrechtsverträge nicht ratifiziert haben. Auch sie sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen unterbleiben, die zur Zerstörung der kulturellen Identität einer Minderheitengruppe führen. Die Erklärung der Vereinten Nationen vom 18. Dezember 1992 über die Rechte von Personen, die einer nationalen oder ethnischen, 653

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens, wie es in Art. 27 IPBPR festgeschrieben ist, in ihrer Entscheidung im Yanomami-Fall ebenfalls als Vorschrift zum Schutze des kulturellen Fortbestandes ausgelegt: „Que el Derecho Internacional, en su estado actual y tal como se encuentra cristalizado en el artículo 27 del Pacto Internacional de Derechos Civiles y Políticos, reconoce a los grupos etnicos el derecho a una protección especial para el uso de su idioma, el ejercicio de su religión y, en general, de todas aquellas características necesarias para la preservación de su identidad cultural.“ (Hervorh. d. Verf.) Resolucion Nº 12/85 – Caso Nº 7615 (Brasil), OEA/Ser. L/V/ II.66 – Doc. 10 rev. 1, 1. Oktober 1985, abrufbar unter . 654 Art. 17 Abs. 2 Banjul-Charta lautet: „Jedermann kann ungehindert am kulturellen Leben seiner Gemeinschaft teilnehmen.“ Art. 17 Abs. 3 schreibt fest: „Es gehört zu den Pflichten des Staates, die Sittlichkeit und traditionellen Werte einer Gemeinschaft zu fördern und zu schützen.“ 655 Vgl. General comment No. 24 (52): General comment on issues relating to reservations made upon ratification or accession to the Covenant or the Optional Protocols thereto, or in relation to declarations under article 41 of the Covenant, Para. 8, als Annex V abgedruckt in: UN GAOR 50th Sess., Suppl. No. 40 (A/50/ 40), S. 119 (120). – Speziell zur völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Rechts auf kulturelle Identität siehe Schillhorn, S. 91; Herz, S. 626: „These decisions (HR Committee und Inter-American Commission on Human Rights), in conjunction with the documents discussed above, clearly establish that international law encompasses a universal norm protecting the right to culture.“

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

religiösen oder sprachlichen Minderheit angehören,656 bestätigt in Art. 1 Abs. 1 diese völkerrechtliche Pflicht: „States shall protect the existence and the national or ethnic, cultural, religious and linguistic identity of minorities within their respective territories and shall encourage conditions for the promotion of that identity.“657

Die Resolution ist zwar für die einzelnen Mitgliedsstaaten der UN nicht juristisch verbindlich. Sie bindet aber die UNO als solche insofern, als sie Völkergewohnheitsrecht anerkennt: „Resolutions adopted by the General Assembly, when intended to recognize or create rules of international law and when made for internal consumption, even if they run into opposition, are binding upon the Organization itself.“658

D. Der besondere Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker Unfreiwillige Umsiedlungen zeichnen sich per definitionem dadurch aus, dass die betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen nicht frei darüber entscheiden können, ob sie umsiedeln oder lieber in ihrer Wohnstätte, auf ihrem Grund und Boden bzw. in ihrem Siedlungsgebiet verbleiben wollen. Berücksichtigt man ferner, dass eine Zwangsumsiedlung häufig den territorialen Bezugsrahmen der Umsiedlungsgruppe zerstört und den Betroffenen damit die Grundlage für eine frei gewählte, selbstständige Daseinsgestaltung entzieht,659 stellt sich die Frage, ob und wen das Selbstbestimmungsrecht aller Völker, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt. I. Rechtsnatur und -grundlage des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts Es ist heute allgemein anerkannt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht nur ein politischer Programmsatz, sondern ein verbindliches 656

Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities. 657 Siehe auch Eides Kommentierung dieser Erklärung, Commentary, insbes. die Ausführungen zu Art. 1. 658 Gudmundur Alfredsson, The Right to Development: Perspectives From Human Rights Law, in: Lars Adam Rehof/Claus Gulmann (Hrsg.), Human Right in Domestic Law and Development Assistance Policies of the Nordic Countries, 1989, S. 83 (84). 659 Vgl. Archer, S. 219.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 203

Rechtsprinzip und als solches fester Bestandteil des geltenden Völkerrechts ist.660 Als Grundsatz ist das Selbstbestimmungsrecht bereits in der Charta der Vereinten Nationen von 1945 unter den Zielen der Weltorganisation festgelegt.661 Seit der Verabschiedung der UN-Charta wurde das Selbstbestimmungsrecht in zahlreichen Resolutionen verschiedener Organe der Vereinten Nationen662 sowie durch zahlreiche sonstige Akte der internationalen Staaten660 Vgl. statt vieler Karl Doehring, Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Bruno Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen: Kommentar, 1991, nach Art. 1, Rdn. 18; Blumenwitz, Ächtung Völkerrecht, S. 44. – Zur Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts von einem juristisch unverbindlichen Prinzip zu einem anerkannten Recht siehe auch Otto Kimminich, Das Vertreibungsverbot in der völkerrechtlichen Entwicklung, in: Blumenwitz, Flucht und Vertreibung, S. 95 (98 f.). Siehe insbes. auch die diesbez. Rechtsprechung des IGH, z. B. Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, ICJ Reports 1971, S. 16 (31), Para. 53 (künftig South West Africa); Western Sahara, Advisory Opinion, ICJ Reports 1975, S. 12 (31–33), Para. 54–59; Case Concerning East Timor (Portugal v. Australia), Judgment, ICJ Reports 1995, S. 90 (102): „The principle of self-determination of peoples has been recognized by the United Nations Charter and in the jurisprudence of the Court [. . .]; it is one of the essential principles of contemporary international law.“ (künftig Case Concerning East Timor). 661 Gemäß Art. 1 Uabs. 2 UN-Charta setzen sich die Vereinten Nationen das Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen.“ (Hervorh. d. Verf.) Art. 55 UN-Charta bekräftigt dies. – Zur Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker, so wie es in Art. 1 UN-Charta angesprochen ist, für die Mitgliedstaaten eine unmittelbar geltende Verpflichtung schafft, siehe Doehring, Selbstbestimmungsrecht, nach Art. 1, Rdn. 1, der die Frage im Ergebnis bejaht. 662 Siehe insbes. die folgenden Erklärungen der UN-Vollversammlung: UN GA Res. 523 (VI): „Resolution on Permanent Sovereignty Over Natural Resources“, 12. Januar 1952, UN GAOR 6th Sess., Suppl. No. 20 (A/2119), S. 20; UN GA Res. 1514 (XV): „Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples“, 14. Dezember 1960, UN GAOR 15th Sess., Suppl. No. 16 (A/ 4684), S. 66–67; UN GA Res. 1803 (XVII): „Permanent Sovereignty over Natural Resources“, 14. Dezember 1962, UN GAOR 18th Sess., Suppl. No. 17 (A/5217), S. 15–16; UN GA Res. 2105 (XX): „Implementation of the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples“, 20. Dezember 1965, UN GAOR 20th Sess., Suppl. No. 14 (A/6014), S. 3–4. – Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist schließlich auch in dem Prinzipienkatalog der „Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen“ (sog. Friendly Relations Declaration) aufgenommen worden: UN GA Res. 2625 (XXV): „Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations“, 24. Oktober 1970, UN GAOR 25th Sess., Suppl. No. 28 (A/8028), S. 121.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

praxis663 anerkannt und sein materieller Gehalt konkretisiert. Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 schreiben das Selbstbestimmungsrecht sowie die Verpflichtung der Vertragsstaaten, dieses zu achten, jeweils in Artikel 1 fest. Einen ausdrücklich menschenrechtlichen Bezug hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker darüber hinaus in Art. 20 Abs. 1 Banjul-Charta erfahren.664 Der Internationale Gerichtshof hat das Selbstbestimmungsrecht, das heute auch ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts ist,665 zu den Ergaomnes-Normen gezählt, an deren Einhaltung alle Staaten ein rechtliches Interesse haben.666 Im Schrifttum sowie in Gutachten, die im Auftrag der Vereinten Nationen angefertigt wurden, wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker überdies auf der Rangstufe des ius cogens angesiedelt.667

663 UN GA Res. 3281 (XXIX): „Charter of Economic Rights and Duties of States“, 15. Januar 1975, UN GAOR 29th Sess., Suppl. No. 31 (A/9631), S. 50–55, Chapter I.; Conference on Security and Co-operation in Europe: Final Act, 1. August 1975, in: ILM 14 (1975), S. 1292 (1295): Declaration on Principles Guiding Relations between Participating States, VIII. Equal rights and self-determination of peoples. 664 Art. 20 Abs. 1 Banjul-Charta lautet: „Alle Völker haben ein Existenzrecht. Sie haben das unbestreitbare und unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung. Sie entscheiden frei über ihren politischen Status und gestalten ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach der von ihnen frei gewählten Politik.“ 665 Vgl. z. B. Benedikt Kingsbury, Self-Determination and „Indigenous Peoples“, in: ASIL Proceedings 1992, S. 383; Meindersma, Legal Issues, S. 63. 666 Siehe Case Concerning East Timor, S. 102, Para. 29: „In the Court’s view, Portugal’s assertion that the right of peoples to self-determination, as it evolved from the Charter and from United Nations practice, has an erga omnes character, is irreproachable.“ 667 Siehe insbes. Gros Espiells Gutachten über das Recht auf Selbstbestimmung, in welchem Gros Espiell den Jus-cogens-Charakter des Selbstbestimmungsrechts der Völker nachweist: The Right to Self-Determination – Implementation of United Nations Resolutions: Study prepared by Héctor Gros Espiell, Speical Rapporteur of the Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/405/Rev. 1, 1980, S. 11 ff., Rdn. 70 ff.; vgl. auch Doehring, Selbstbestimmungsrecht, nach Art. 1, Rdn. 57 ff.; Otto Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 104; Malanczuk, S. 327, sowie die Nachweise bei Fergus MacKay, Universal Rights or a Universe unto Itself? Indigenous Peoples’ Human Rights and the World Bank’s Draft Operational Policy 4.10 on Indigenous Peoples, in: American University International Law Review 17 (2002), S. 527 (593, Fn. 247). McKay argumentiert allerdings, dass der Jus-cogens-Charakter des Selbstbestimmungsrechts außerhalb seines kolonialen Anwendungsbereiches zweifelhaft sei, ebd., S. 593.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 205

II. Das Selbstbestimmungsrecht ratione materiae bzw. der Gewährleistungsgehalt hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen Hannum hat 1990 bezüglich des materiellen Gehalts des Selbstbestimmungsrechts Folgendes festgestellt: „Perhaps no contemporary norm of international law has been so vigorously promoted or widely accepted as the right of peoples to self-determination. Yet the meaning and content of that right remain as vague and imprecise as when they were enunciated by President Woodrow Wilson and others at Versailles.“668

An diesem Befund hat sich bis heute kaum etwas geändert. So ist nach wie vor ungeklärt, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker neben dem aktiven Recht auf Sezession, d.h. dem Recht auf Loslösung aus dem bisherigen Staatsverband (so genanntes „externes“ Selbstbestimmungsrecht),669 auch defensive Rechte einer selbstbestimmungsberechtigten Bevölkerungseinheit wie das Recht auf Verbleib in dem angestammten Lebensraum im Sinne eines Abwehrrechts gegen unfreiwillige Umsiedlungen umfasst. Letzteres betrifft den Innenaspekt des Selbstbestimmungsrechts. Das Bleiberecht lässt sich nämlich im Rahmen eines Staates und Staatsvolks verwirklichen. Die im Kontext der vorliegenden Untersuchung entscheidende Frage lautet, welche rechtlichen Schutzwirkungen das „innere“ Selbstbestimmungsrecht gegenüber entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen entfaltet. 1. Das „Recht auf Heimat“ als Gewährleistung des Rechts auf innere Selbstbestimmung Das Recht auf Selbstbestimmung könnte zunächst aufgrund seiner starken Gebietsbezogenheit als Abwehrrecht gegen die zwangsweise Entfernung eines „Volkes“ von dessen Siedlungsgebiet gerichtet sein. Im Schrifttum wird aus der Gebietsbezogenheit des Selbstbestimmungsrechts gefolgert, dass ein „Recht auf die Heimat“ – einschließlich eines heimatrechtlichen Bleiberechts – notwendige Voraussetzung der Selbstbestimmung ist670 bzw. 668 Hurst Hannum, Autonomy, Sovereignty, and Self-Determination: The Accomodation of Conflicting Rights, 1990, S. 27. 669 Zur Einordnung des Sezessionsrechts unter das äußere Selbstbestimmungsrecht siehe statt vieler Joseph u. a., 1st ed., S. 104 [7.15] m. w. N. – Im Schrifttum wird unter „externem“ Selbstbestimmungsrecht häufig auch das Recht eines Volkes verstanden, frei von äußeren Einmischungen und Interventionen zu sein. Siehe z. B. Allan Rosas, The Right of Self-Determination, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 79. 670 Siehe z. B. Claire Palley, Population Transfers, in: Donna Gomein (Hrsg.), Broadening the Frontiers of Human Rights: Essays in Honour of Asbjørn Eide, 1993, S. 218 (222).

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

dass das Selbstbestimmungsrecht und das „Recht auf die Heimat“ in engem Zusammenhang stehen.671 Einige Völkerrechtswissenschaftler gehen noch weiter. Sie sehen das „Heimatrecht“ als Begleitrecht (corollary) des Selbstbestimmungsrechts oder das Selbstbestimmungsrecht als wichtigste Rechtsgrundlage des „Rechts auf die Heimat“ an.672 So führt Tomuschat das „Recht auf die Heimat“ auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker zurück, da dieses „von seinen Ursprüngen her konzeptionell aufs engste mit dem Territorium als Lebensgrundlage eines Volkes verbunden“ und daher als „ein territoriales Element im Sinne der Zuordnung eines bestimmten Gebiets zu der dort wohnenden Bevölkerung“ anzusehen sei. Die Resolutionspraxis der UN-Organe habe die Existenz eines Heimatrechts als Komponente des Selbstbestimmungsrechts bestätigt.673 Was das Recht betrifft, in dem angestammten Siedlungsgebiet zu leben und nicht zwangsweise aus diesem entfernt zu werden, besteht zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem „Recht auf die Heimat“, das, wie oben dargelegt, noch keine klare Anerkennung als Völkerrechtsprinzip erfahren hat,674 tatsächlich ein enger Zusammenhang. „Heimat“ im Rechtssinne ist danach der auf einen bestimmten Raum und eine bestimmte Gemeinschaft bezogene, sich über einen gewissen Zeitraum erstreckende, identitätsstiftende Lebenszusammenhang. „Heimat“ ist also der Ort, wo der Mensch in kultureller Geborgenheit und anerkannter Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft lebt, mit der er sich identifiziert. Es ist der Siedlungs- und Kulturraum, in dem eine Bevölkerungsgruppe verwurzelt ist. Legt man der Untersuchung diese Definition von „Heimat“ zugrunde, ist den Völkerrechtswissenschaftlern beizupflichten, die das „Recht auf Heimat“ im Selbstbestimmungsrecht gewährleistet sehen. Das identitätsstiftende Element „Heimat“ kann für ein Volk Lebensgrundlage, jedenfalls aber eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf „innere“ Selbstbestimmung sein. Insofern ist „Heimat“ als Schutzobjekt des Selbstbestimmungsrechts anzusehen. Daraus folgt aber auch, dass das Recht 671

Siehe z. B. Krülle, S. 69 f.; Alfred M. De Zayas, The Legality of Mass Population Transfers: The German Experience 1945–48, in: East European Quarterly 12 (1978), S. 1 (5). 672 Als Begleitrecht des Selbstbestimmungsrechts sieht z. B. Henckaerts das „Recht auf die Heimat“ an: Jean-Marie Henckaerts, Mass Expulsion in Modern International Law and Practice, 1995, Chapter 7, S. 186 m. w. N. Siehe auch Alfred de Zayas, Zur Aktualität des Rechts auf die Heimat, in: Bund der Vertriebenen (Hrsg.), Gerechtigkeit schafft Frieden: Beiträge zu Volksgruppenschutz und Recht auf die Heimat, 1997, S. 14. 673 Tomuschat, Recht auf die Heimat, S. 204 ff., insbes. 206. 674 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. 6.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 207

auf innere Selbstbestimmung auch darin besteht, dass ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk in einem Staat ein Recht auf Respektierung seiner „Heimat“ hat, das ein Recht umfasst, in dem Gebiet, das die „Heimat“ ausmacht, zu verbleiben. Dieses ist als Abwehrrecht gegen eine zwangsweise Aussiedlung eines „Volks“ aus seiner Heimat gerichtet. Die selbstbestimmungsrechtlich relevante „Heimat“ einer nationalen Minderheit oder eines indigenen Volkes lässt sich in den meisten Fällen geographisch bestimmen. Dies ist jedenfalls dann ohne weiteres möglich, wenn das traditionelle Siedlungsgebiet gesetzlich festgelegt ist. Dies trifft zum Beispiel auf den Lebensraum der sorbischen Minderheit in Brandenburg zu. Deren Siedlungsgebiet ist in der brandenburgischen Landesverfassung geschützt und im Sorben(Wenden)-Gesetz legal definiert.675 Durch die Demarkation eines angestammten Lebensraums lassen sich Streitigkeiten über dessen geographische Grenzen vermeiden. 2. Das Recht auf Eigenständigkeit und Existenz als Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts Ein Abwehrrecht eines selbstbestimmungsberechtigten Volkes gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen lässt sich ferner aus dem Recht auf innere Selbstbestimmung herleiten: Das Recht eines „Volkes“ auf Sicherung seiner Eigenständigkeit und Existenz ist ein wesentlicher Bestandteil des inneren Selbstbestimmungsrechts.676 Es ist in Art. 1 Abs. 1 S. 2 IPBPR/IPWSKR ausdrücklich anerkannt, wo es heißt: „Kraft dieses Rechtes [Recht auf Selbstbestimmung – d. Verf.] [. . .] gestalten [sie] in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Hiervon ist unter anderem das Recht eines Volkes umfasst, „im Rahmen eines Staates und Staatsvolkes, also gegenüber der Majorität,“ seine spezifischen Eigenarten zu pflegen und zu bewahren, was den kulturellen und politischen Fort675 Siehe § 3 Abs. 2 Sorben(Wenden)-Gesetz: „Zum angstammten Siedlungsgebiet der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg gehören alle Gemeinden, in denen eine kontinuierliche sprachliche und kulturelle Tradition bis zur Gegenwart nachweisbar ist. Es liegt im Landkreis Spree-Neiße, in der kreisfreien Stadt Cottbus, in den Ämtern Märkische Heide, Lieberose und Straupitz des Landkreises DahmeSpreewald sowie in den Ämtern Lübbenau, Vetschau, Altdöbern, Großräschen und Am Senftenberger See des Landkreises Oberspreewald-Lausitz.“ – Art. 25 Abs. 1 der Landesverfassung von Brandenburg gewährleistet „[d]as Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes.“ Siehe hierzu Steffen Johann Iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg (II), 1998, S. 451–456; vgl. auch Baer, S. 28. 676 Vgl. Preliminary Report, Rdn. 203; Meindersma, Legal Issues, S. 64; Kolodner, S. 223; Trifunovska, S. 187. So in Bezug auf Vertreibungen und Deportationen von Volksgruppen auch Krülle, S. 69.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

bestand eines Volkes sicherstellen soll.677 Diese Gewährleistungen des Selbstbestimmungsrechts gleichen den Rechten, die den Angehörigen von Minderheiten zum Schutz ihrer Kultur zustehen.678 Ist aber das Recht auf ungehinderte kulturelle Entwicklung eines Volkes im Rahmen eines Staatsvolkes wesentlicher Bestandteil des inneren Selbstbestimmungsrechts, das vor der Zerstörung einer ethnischen Kultur (Ethnozid) schützt,679 muss dieses auch ein Abwehrrecht umfassen, das gegen zwangsweise Entfernungen eines Volkes von seinem angestammten Siedlungsgebiet gerichtet ist.680 Eine entsprechende Schutzwirkung entfaltet das innere Selbstbestimmungsrecht gegen Zwangsumsiedlungen jedenfalls dann, wenn die Ausübung des Rechts auf Eigenständigkeit und Existenz den Verbleib des von einer Umsiedlung betroffenen selbstbestimmungsberechtigten Volkes auf seinem Siedlungsgebiet bedingt.681 3. Die wirtschaftsbezogenen Gewährleistungen des Selbstbestimmungsrechts Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen können das innere Selbstbestimmungsrecht vor allem in den Aspekten berühren, die sich auf die wirtschaftliche Entwicklung eines selbstbestimmungsberechtigten Volks beziehen. a) Das Recht auf freie Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung und das „Recht auf Entwicklung“: die verfahrensrechtliche Komponente des Selbstbestimmungsrechts Art. 1 Abs. 1 der UN-Menschenrechtspakte von 1966 zählt zu den Gewährleistungen des Selbstbestimmungsrechts, wie vorerwähnt, das Recht 677 Robert Muharremi, Die Haager Landkriegsordnung und das Verbot von Vertreibung und Deportation, in: Fiedler, Deportation, S. 104, demzufolge das Recht auf innere Selbstbestimmung auch darin bestehen kann, dass eine Minderheit in einem Staat ein Recht auf Respektierung ihrer spezifischen Eigenarten hat. Vgl. auch Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 117; Michele L. Radin, The Right to Development as a Mechanism for Group Autonomy: Protection of Tibetan Cultural Rights, in: Washington Law Review, July 1995, S. 695 (705 ff.). 678 Vgl. Hailbronner, ebd. 679 So im Ergebnis auch Palley, S. 222. 680 Dies im Ergebnis bejahend, Preliminary Report, Para. 203: „As the core content of the right to self-determination encompasses the right to exist as a people and safeguards the cultural and political continuation of groups, its exercise would necessarily be frustrated if a population were uprooted from its homeland.“ 681 So im Ergebnis auch Meindersma, Legal Issues, S. 64; dies., Introductory Remarks, in: David Goldberg (Hrsg.), Conference Report on UNPO International Conference on the Human Rights Dimensions of Population Transfer, 1992, S. 9.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 209

eines Volkes, seine wirtschaftliche Entwicklung frei zu gestalten.682 Hiervon ist das Recht auf autonome Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Volkes innerhalb eines Staates umfasst: „The right of peoples to freely pursue their economic, social and cultural development means [. . .] in so far as the internal aspect of the right of self-determination is recognized, also a certain basic freedom to economic, social and cultural activities independent of government policies.“683

Angesichts dieser Komponente des Selbstbestimmungsrechts erscheint es zweifelhaft, ob eine entwicklungsfördernde Maßnahme mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar sein kann, wenn damit die zwangsweise Umsiedlung einer Bevölkerungsgruppe einhergeht, die sich gegen das Entwicklungsvorhaben wehrt. UN-Sonderberichterstatter Al-Khasawneh leitet aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in Verbindung mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung und dem Diskriminierungsverbot die staatliche Pflicht ab, die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes in Übereinstimmung mit dem Willen des gesamten Staatsvolkes zu gestalten. Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen verstoßen seiner Ansicht nach daher gegen das Recht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung: „States are obliged to pursue economic development in ways which respect and accord with the will of the people. [. . .] The combined application of self-determination, equality and non-discrimination of any kind in the enjoyment of economic, social and cultural rights means that development, as a right of the people, must be pursued in the interest of all the people belonging to a State, and that the pursuit of development goals which have the effect of transferring selected or targeted sectors of the population without their consent, or demographic manipulation by implanting settlers, would be a breach of economic self-determination and the equality of peoples within a State.“684

Die Formulierung des Selbstbestimmungsrechts in Art. 1 Abs. 1 S. 2 der UN-Menschenrechtspakte lässt zwar nicht ohne weiteres auf die Folgerung Al-Khasawnehs schließen, wenn man die jeweiligen Artikel 1 grammatikalisch und historisch auslegt. Ob man Al-Khasawneh dennoch zustimmt, hängt daher im Wesentlichen davon ab, ob man das Selbstbestimmungsrecht ratione materiae und ratione personae in seiner ursprünglichen Konzeption versteht oder aber eine Interpretation wählt, die der Gesamtrichtung der 682 Siehe Art. 1 Abs. 1 S. 2 IPBPR/IPWSKR: „Kraft dieses Rechtes [. . .] gestalten [sie] in Freiheit ihre wirtschaftliche [. . .] Entwicklung.“ Vgl. auch die Definition des Grundsatzes der Selbstbestimmung in der „Friendly Relations Declaration“, 5. Grundsatz: Der Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker. 683 Rosas, Right of Self-Determination, S. 83. 684 Final Report, Para. 51.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Entwicklung des Menschenrechtsschutzes im Bereich Entwicklung entspricht. Der dynamischen Auslegung des Selbstbestimmungsrechts, wie es in Art. 1 IPBPR und IPWSKR festgeschrieben ist, ist aus verschiedenen Gründen der Vorzug zu geben. Sie stimmt auch mit der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs überein. Der IGH hat nämlich im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht erklärt, dass Rechtsinstrumente unter Berücksichtigung rechtlicher Veränderungen seit dessen Verabschiedung auszulegen sind: „[A]n international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation.“685

Für die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker vor Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken schützt, sind die Aussagen bezüglich des „Rechts auf Entwicklung“ sowie das Neuverständnis von Entwicklung686 relevant. Das so genannte „Recht auf Entwicklung“ (right to development) wurde bereits zu Beginn der 1970er Jahre von dem senegalesischen Juristen Kéba M’Baye gefordert687, erstmals 1977 von der UN-Menschenrechtskommission als „Menschenrecht“ bezeichnet688 und von der UN-Vollversammlung 1986 in der „Erklärung über das Recht auf Entwicklung“689 als unveräußerliches Menschenrecht proklamiert.690 685 Siehe die Advisory Opinion des IGH vom 21. Juni 1971 über den Status von Namibia, South West Africa, S. 31, Para. 53: „[T]he Court must take into consideration the changes which have occurred in the supervening half-century, and its interpretation cannot remain unaffected by subsequent development of law, through the Charter of the United Nations and by way of customary law. Moreover, an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation. In the domain to which the present proceedings relate, the last fifty years, as indicated above, have brought important developments.“ 686 Siehe hierzu unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. b). 687 Siehe Kéba M’Baye, Le Droit au Développement Comme un Droit de l’Homme, in: Revue des Droits de l’Homme 5 (1972), S. 503–534. 688 Commission on Human Rights, Res. 4 (XXXIII): „Question of the realization of the economic, social and cultural rights contained in the Universal Declaration of Human Rights and in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, and study of special problems relating to human rights in developing countries“, 21. Februar 1977, UN ESCOR 62nd Sess., Suppl. No. 6 (E/5927 – E/CN.4/ 1257), Para. 4. 689 UN GA Res. 41/128: „Declaration on the Right to Development“, 4. Dezember 1986, UN GAOR, 41st Sess., Suppl. No. 53 (A/41/53), Annex, S. 186–187. – Die „Erklärung über das Recht auf Entwicklung“ ist in deutscher Fassung abgedruckt in: Bundeszentrale, S. 251–260. 690 Vgl. Dolzer, Wirtschaft, 6. Abschn. Rdn. 32; Christian Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, in: German Yearbook of International Law 25 (1982), S. 85 (109).

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 211

Gemäß Art. 1 Abs. 1 der UN-Erklärung zum Recht auf Entwicklung haben alle Menschen und Völker einen Anspruch darauf, „an einer wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung, in der alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können, teilzuhaben, dazu beizutragen und daraus Nutzen zu ziehen“.

Art. 2 Abs. 3 führt die partizipationsrechtliche Komponente des Entwicklungsrechts weiter aus. Danach haben alle Staaten das Recht und die Pflicht, „geeignete nationale Entwicklungspolitiken aufzustellen, die die stetige Steigerung des Wohls der gesamten Bevölkerung und aller Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer aktiven, freien und sinnvollen Teilhabe an der Entwicklung und an einer gerechten Verteilung der daraus erwachsenden Vorteile zum Ziel haben.“

Legt man das Selbstbestimmungsrecht im Lichte dieser partizipationsrechtlichen Teilkomponenten des „Rechts auf Entwicklung“ aus,691 auf die im Zusammenhang mit der Analyse menschenrechtlicher Partizipationsrechte noch ausführlich eingegangen wird,692 ist hinsichtlich der potenziellen Reichweite des durch das Selbstbestimmungsrecht gewährleisteten Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen folgender Schluss zu ziehen: Die Umsiedlung einer selbstbestimmungsberechtigten Bevölkerungsgruppe im Zuge der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens setzt nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem „Recht auf Entwicklung“ grundsätzlich die Zustimmung der zu transferierenden Bevölkerungsgruppe im Sinne eines prior and informed consent voraus.693 Dass Umsiedlungsmaßnahmen im Rahmen eines Entwicklungsvorhabens Zur Entwicklung des „Right to Development“ innerhalb der UN siehe die Website des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte über das Recht auf Entwicklung, United Nations Human Rights Website, Office of the High Commissioner for Human Rights, „Right to Development“, abrufbar unter . Zu den Hintergründen, die zur Verabschiedung der Erklärung über das Recht auf Entwicklung geführt haben, siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel, B. II. m. w. N. 691 Zu der Wechselwirkung von Partizipations- und anderen Menschenrechten vgl. Sigrun I. Skogly, The Position of the World Bank and the International Monetary Fund in the Human Rights Field, in: Raija Hanski/Markku Suksi (Hrsg.), An Introduction to the International Protection of Human Rights, 1999, S. 231 (239). Skogly verweist auf die Praxis des UN-Menschenrechtsausschusses, der das Recht auf Beteiligung im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht diskutiert hat. – Zum Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage für Partizipationsrechte siehe James C. N. Paul, International Development Agencies, Human Rights and Humane Development Projects, in: Denver Journal of International Law & Politics 17 (1988), S. 67 (81, Fn. 38); siehe auch ders., The Human Right to Development: Its Meaning and Importance, in: Third World Legal Studies 1992, S. 17 (30, Fn. 25). 692 Siehe unten, Erster Teil, Drittes Kapitel. 693 Ausführlich hierzu unten, ebd., C. II.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

nach dem Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich der Zustimmung der transferierenden Bevölkerung bedürfen, folgt dabei nicht nur aus der wirtschaftlichen Gestaltungsfreiheit eines Volkes. Das Zustimmungserfordernis stellt sich darüber hinaus vielmehr auch als Schutzwirkung der politischen und kulturellen Selbstbestimmung dar. Der Wille des betroffenen Volkes ist auf der Grundlage gemeinsamer Konsultationen zu ermitteln. Nur so kann sichergestellt werden, dass mit einer Entwicklungsmaßnahme, die eine Umsiedlung erforderlich macht, auch die umzusiedelnde und damit häufig am stärksten betroffene Gruppe einverstanden ist. Das Selbstbestimmungsrecht enthält also auch eine verfahrensrechtliche Komponente, die dem Schutz gegen unfreiwillige Umsiedlungen zu Entwicklungszwecken dient. Entwicklungsbedingte Umsiedlungen, die ohne die Einhaltung dieser Partizipationsrechte erfolgen, verletzen das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ob das Selbstbestimmungsrecht auch effektiv ein „right to give or withhold consent“ umfasst,694 hängt davon ab, ob im konkreten Fall dem Recht der betroffenen Bevölkerungsgruppe auf Selbstbestimmung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ein höheres Gewicht zukommt als dem Recht des Gesamtvolkes auf Selbstbestimmung bzw. auf Entwicklung. Die aktuelle Reichweite des Schutzes, den die verfahrensrechtliche Komponente des Selbstbestimmungsrechts gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gewährt, ist also im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bestimmen.695 b) Das Recht auf freie Verfügung über natürliche Reichtümer und Mittel Ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk kann einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung das Recht auf innere Selbstbestimmung schließlich auch insoweit entgegenhalten, als dieses das Recht eines Volkes auf freie Verfügung seiner natürlichen Reichtümer und Mittel umfasst. Art. 1 Abs. 2 der UN-Menschenrechtspakte schreibt dieses Recht ausdrücklich als Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts fest. Nach dieser Vorschrift können alle Völker „für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen“. Der Zweck entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen liegt häufig darin, „Fremd“-Nutzungen natürlicher Reichtümer und Ressourcen zu ermöglichen, die auf Siedlungsgebieten indigener und in Stämmen lebender Völker vorkommen. Diese Reichtümer und Ressourcen bilden fast immer 694 Zum „right to give or withhold consent“ als verfahrensrechtliche Komponente des Selbstbestimmungsrechts vgl. MacKay, S. 592. 695 Ausführlich hierzu siehe unten, Erster Teil, Viertes Kapitel, A.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 213

die Grundlage für die Subsistenz und eine politisch und wirtschaftlich autonome Lebensform der umzusiedelnden Bevölkerungsgruppe. Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen selbstbestimmungsberechtigter Völker können mit Art. 1 IPBPR bzw. IPWSKR nicht vereinbar sein, der in seinem Absatz 2 Satz 2 erklärt: „In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“ Der UN-Menschenrechtsausschuss hat in seinen Abschlussbemerkungen (Concluding Observations) zu dem Staatenbericht Kanadas hinsichtlich der Selbstbestimmungsrechte kanadischer Ureinwohner unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 2 S. 2 erklärt, dass die einseitige Aufhebung ursprünglicher Rechte der Ureinwohner an traditionellen Ressourcen und ihrem angestammten Land mit Art. 1 IPBPR unvereinbar ist.696 Auf die hier zu untersuchende Problematik übertragen, lässt sich aus den Concluding Observations des Menschenrechtsausschusses folgender Schluss ziehen: In den Fällen, in denen einem umzusiedelnden selbstbestimmungsberechtigten Volk Rechte an den natürlichen Ressourcen und Mitteln ihres angestammten Siedlungsgebiets zustehen, die deren Subsistenzgrundlage bilden, ist eine erzwungene Umsiedlung durch das innere Selbstbestimmungsrecht untersagt. Sie bedeutet nämlich eine Fremd-Entscheidung über die Nutzungsrechte der betroffenen Bevölkerungsgruppe an natürlichen Reichtümern und Ressourcen. Das Selbstbestimmungsrecht umfasst danach das Recht eines Volkes, sich gegen eine zwangsweise Entfernung aus seinem Siedlungsgebiet zu wehren, die zum unfreiwilligen Entzug seiner natürlichen Lebensgrundlage führt. Dies gilt auch dann, wenn die Landrechte auf Gewohnheitsrecht beruhen und nicht ausdrücklich nationalrechtlich anerkannt sind. III. Das Selbstbestimmungsrecht ratione personae Auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann sich eine umzusiedelnde Bevölkerungsgruppe freilich nur berufen, wenn sie Inhaber dieses Rechts ist. Entwicklungsbedingte Dislokationen können ganz unterschiedliche Bevölkerungseinheiten treffen: indigene oder in Stämmen lebende Völker, ethnische, kulturelle oder nationale Minderheiten oder Personenverbände, die nur durch den gemeinsamen Wohnsitz miteinander verbunden sind. Für den menschenrechtlichen Schutz vor unfreiwilligen Umsiedlungen ist daher entscheidend, ob bzw. welche dieser Bevölkerungseinheiten vom 696 Consideration of reports submitted by States parties under article 40 of the Covenant. Concluding observations of the Human Rights Committee: Canada, UN Doc. CCPR/C/79/Add. 105, 7. April 1999, Para. 8. Siehe hierzu S. James Anaya, International Developments Regarding Indigenous Peoples, World Bank Lawyer’s Forum II, 4–5 November 1999.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

persönlichen Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts und seiner Gewährleistungen umfasst sind. Die Frage, wer Träger des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist, wird seit jeher kontrovers diskutiert. Eine allgemeingültige völkerrechtliche Definition des Begriffs „Volk“ im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht gibt es nach wie vor nicht. Auch haben sich bisher weder der Menschenrechts- noch der Rassendiskriminierungsausschuss der Vereinten Nationen um eine Definition bemüht. Die politischen Gremien der UNO erkennen seit jeher neben Kolonialvölkern nur Staatsvölker als solche als Träger des Selbstbestimmungsrechts an.697 Herausgehobene Bevölkerungsgruppen, die Teil eines Staatsvolks sind, wie indigene und in Stämmen lebende Völker oder gefährdete Minderheiten, können danach nicht als selbstbestimmungsberechtigtes Volk qualifizieren. Der persönliche Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts ist aber auf der Grundlage des von Crawford entwickelten Ansatzes weiter zu bestimmen. Der Begriff „Volk“ ist danach kontextabhängig (context-dependent), das heißt nicht abstrakt, sondern nur in Zusammenhang mit dem jeweils in Frage stehenden (Teil-)Recht zu bestimmen: „It follows that peoples’ rights embodies a category, not a definition. What constitutes a people may be different for the purposes of different rights.“698 UN-Sonderberichterstatter Al-Khasawneh zieht hieraus in seiner Studie über die völkerrechtliche Zulässigkeit von Bevölkerungsdislokationen ( population transfers) folgenden Schluss: „a distinct sector of the population may be identified as a ‚people‘ by virtue of the discrimination levelled against it in the context of the denial of self-determination, and by being subjected to forcible transfer or removal from its normal place of location within the State. This effectively denies such groups their means of subsistence, contrary to the obligation arising from the right to self-determination.“699

Joseph versucht den ewigen Streit um die Rechtsträgerschaft des Selbstbestimmungsrechts, wie es in Art. 1 IPBPR festgeschrieben ist, ähnlich zu lösen: „The definition of ‚peoples‘ in terms of the ICCPR becomes less contentious if one recognizes that all peoples are entitled to some form of self-determination, though not all peoples are entitled to the most radical manifestation of the right, ESD [external self-determination].700 [. . .] Different ‚peoples‘ are entitled to different ‚levels‘ of self-determination. [. . .] Everybody belongs to a ‚people‘. There697

Vgl. Tomuschat, Recht auf die Heimat, S. 211. James Crawford, The Rights of Peoples: Some Conclusions, in: ders., Rights of Peoples, S. 168 ff., 170. 699 Final Report, Para. 52. 700 Joseph u. a., 2nd ed., S. 101 [7.08]. 698

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 215 fore everybody, as part of a particular ‚people‘, is entitled to enjoy some form of the right of self-determination.“701

Danach bedarf es für die Beantwortung der Frage, wer Rechtsträger der jeweiligen Teilkomponenten des Selbstbestimmungsrechts ist, keiner abstrakten Bestimmung des Begriffs „Volk“ ( people). Auch Blumenwitz fasst den persönlichen Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts weit. Das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht ist demnach „der Anspruch einer nach bestimmten Merkmalen gekennzeichneten Gruppe von Menschen, das eigene Schicksal grundsätzlich unabhängig von Einflüssen eines Staates oder einer Staatengruppe zu gestalten.“ Die Gruppenmerkmale können danach „Stand, Rasse, Volkstum, Religion, Kultur, Nationalität sein.“702 1. Indigene und in Stämmen lebende Völker als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts Ausgehend von den von Joseph und Blumenwitz vertretenen Ansätzen, ist zunächst zu fragen, ob indigene Völker Rechtsträger der Gewährleistungen des Selbstbestimmungsrechts sein können, die als Abwehrrechte gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Die Frage, ob ein indigenes Volk Inhaber des Selbstbestimmungsrechts im Allgemeinen sein kann, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.703 Im Ständigen Forum der 701

Sarah Joseph, Resolving Conflicting Claims of Territorial Sovereignty and External Self-Determination, Part 1: A Proposed Formula, in: The International Journal of Human Rights 3 (1999), S. 40 (44). 702 Blumenwitz, Flucht und Vertreibung, S. 41. So auch Joseph u. a., 2nd ed., S. 101 [7.08]: „In this respect, a ‚people‘ may be broadly defined as a group with a common racial or ethnic identity, or a cultural identity (which could incorporate political, religious, or linguistic elements) built up over a long period of time.“ 703 Für eine Rechtsträgerschaft indigener Völker haben sich z. B. der Weltrat für Indigene Völker aus dem Jahre 1984 sowie verschiedene NGOs ausgesprochen; siehe Declaration of principles adopted at the Fourth General Assembly of the World Council of Indigenous Peoples in Panama, September 1984, abgedruckt in: Report of the Working Group on Indigenous Populations on its fourth session, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1985/22, 27. August 1985, Annex III, Principle 1: „All indigenous peoples have the right of self-determination. By virtue of this right they may freely determine their political status and freely pursue their economic, social, religious and cultural development.“ Siehe auch Draft Declaration of Principles proposed by the Indian Law Resource Center, Four Directions Council, National Aboriginal and Islander Legal Service, National Indian Youth Council, Inuit Circumpolar Conference, and the International Indian Treaty Council, Principles 2, 3, 18, abgedruckt in: ebd., Annex IV. – Zu den Schwierigkeiten – rechtlicher wie faktischer Art – einer Anerkennung indigener Völker als selbstbestimmungsberechtigtes Volk siehe Paul Keal, European Conquest and the Rights of Indigenous Peoples, 2003, S. 126–155, der für eine Neukonzeptualisierung des Selbstbestimmungsrechts plädiert.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Vereinten Nationen über Angelegenheiten indigener Völker (Permanent Forum on Indigenous Issues), das 2000 von der UN-Vollversammlung errichtet wurde, haben eine Reihe von Regierungsvertretern im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker dafür plädiert, diese aus dem Kreis der Träger des Selbstbestimmungsrechts auszuschließen.704 Die Gründe hierfür sind allerdings weniger rechtlicher als vielmehr politischer Natur: Die Ausschlussforderungen beruhen primär auf der Befürchtung einiger Staaten, dass indigene Völker sich auf das (externe) Selbstbestimmungsrecht berufen könnten, um die territoriale Integrität eines Staates zu unterminieren.705 In dem Forum hat sich allerdings auch die Bereitschaft einiger Staaten abgezeichnet, eine beschränkte Rechtsträgerschaft indigener Völker zu akzeptieren. So hat zum Beispiel der Vertreter Kanadas erklärt, dass seine Regierung einer Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts der Völker in die UN-Erklärung zustimmen könnte, wenn gewährleistet wäre, dass sich die Rechtsträgerschaft indigener Völker nur auf das „interne Selbstbestimmungsrecht“ erstreckt, welches die politische, verfassungsmäßige und territoriale Integrität eines demokratischen Staates respektiere.706 Die Position Kanadas bekräftigt die hier vertretene Ansicht, wonach es sinnvoll ist, die Frage, wer Inhaber des Selbstbestimmungsrechts ist, für dessen jeweilige Teilkomponenten einzeln zu beantworten. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist zu inhaltsreich, als dass seine Trägerschaft absolut bestimmt werden könnte. Indigene Völker kommen zuvörderst als Inhaber des selbstbestimmungsrechtlichen Teilrechts auf Sicherung der Existenz sowie der dazu erforderlichen Mittel in Betracht, das, wie oben dargestellt, eine Komponente des 704 Die Draft Declaration on Indigenous Peoples Rights von 1993, erkennt in Art. 31 indigene Völker als Rechtsträger von Teilaspekten des internen Selbstbestimmungsrechts der Völker an. Art. 31 lautet: „Indigenous peoples, as a specific form of exercising their right to self-determination, have the right to autonomy or self-government in matters relating to their internal and local affairs, including culture, religion, education, information, media, health, housing, employment, social welfare, economic activities, land and resources management, environment and entry by non-members, as well as ways and means for financing these autonomous functions.“ (Hervorh. d. Verf.). 705 Vgl. Willem van Genugten/Camilo Perez-Bustillo, The Emerging International Architecture of Indigenous Rights: the Interaction between Global, Regional, and National Dimensions, in: International Journal on Minority and Group Rights 11 (2004), S. 379 (384): „The fear expressed relates to the risk that the right to selfdetermination will be used by indigenous peoples in order to undermine the territorial integrity of States.“ 706 Vgl. ebd.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 217

inneren Selbstbestimmungsrechts ist. Die UN-Sonderberichterstatter Al-Khasawneh und Hatano haben die Bedeutung dieser selbstbestimmungsrechtlichen Gewährleistung für indigene Völker zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen herausgearbeitet: „For many peoples, implementation of their right to self-determination focuses on recognition and retention of land rights. For the majority of indigenous peoples, survival of their cultural and national identity, preservation of their unique way of life and spiritual heritage, political autonomy and economic self-sufficiency depend on the possibility of living on their traditional lands and controlling the use and exploitation of their natural resources. Loss of land threatens their very existence. Population transfer schemes, including the removal of people [. . .], for instance, carried out under the banner of ‚development‘, ‚modernization‘ or military imperatives, are among the principle means by which indigenous land is appropriated. Population transfer policies may thus threaten a people’s most basic means of subsistence, a crucial element of the right to self-determination.“707

Aus diesen Ausführungen folgt, warum die Erweiterung des persönlichen Schutzbereichs des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf indigene und in Stämmen lebende Völker insbesondere hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig erscheint. Das Selbstbestimmungsrecht wurde als Schutzrecht für Kolonialvölker geschaffen. Als solches hat es nach Ansicht einiger Autoren, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzen, sowie Indigener selbst auch heute noch eine Funktion. Der Wettbewerb industrialisierter Länder, multinationaler Unternehmen, internationaler Finanzinstitutionen sowie der Welthandelsorganisation (WTO) um natürliche Ressourcen, die sich auf dem Land und in Gewässern indigener Völker befinden, habe nämlich zu einer „Rekolonialisierung“ im Namen der Globalisierung und Handelsliberalisierung geführt.708 Diese Feststellung polarisiert eher, als dass sie den Interessen der Indigenen nützt. Unberechtigt ist der Vergleich groß angelegter Entwicklungsvorhaben, die der Gewinnung und Ausbeutung von Ressourcen und Reichtümern auf dem angestammten Siedlungsgebiet Indigener dienen, mit „Kolonialisierungsmaßnahmen“ indes nicht. Sie berauben indigene und in Stämmen lebende Völker der Grundlage, die für das physische und kultu707

Preliminary Report, S. 45, Para. 207. (Hervorh. d. Verf.). Vgl. Indigenous Women: The Right to a Voice, 1998, S. 316–326, zitiert nach Maivân Clech Lâm, At the Edge of the State: Indigenous Peoples and Self-Determination, 2000, S. 1. Siehe auch Bernhard Mogge, Ausgeforscht – Der zweite Untergang der Ureinwohner, Merkur plus, Nr. 18 (2001), S. 30: „Häufig sind es indigene Völker, die unter den negativen ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen von Großstaudämmen am meisten leiden [. . .]. Was die Kolonisation nicht ganz geschafft hat, vollbringt die Großtechnik: Sie verlieren mit ihrem Land zugleich auch ihre kulturelle Identität.“ 708

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

relle Überleben notwendig ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn das indigene Volk gegen seinen Willen von einem Gebiet entfernt wird, in dem es (traditionell) die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und Reichtümer ausübt. Dieser Erkenntnis ist bei der Bestimmung sowohl des Gewährleistungsgehalts als auch des persönlichen Schutzbereichs des Rechts auf innere Selbstbestimmung Rechnung zu tragen. Dieses muss daher auch darin bestehen, dass es indigene und in Stämmen lebende Völker vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt, die die autonome Lebensweise dieser Völker zerstören.709 2. Ethnische, rassische und kulturelle Minderheiten als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts Auch ethnische, rassische und kulturelle Minderheiten können, wie oben dargelegt, regelmäßig nur in ihrem angestammten Lebensraum fortbestehen. Es liegt deshalb nahe, als Rechtsgrundlage für ein Bleiberecht von Minderheiten neben den originären minderheitenrechtlichen Schutzvorschriften das Selbstbestimmungsrecht der Völker heranzuziehen. Diejenigen, die sich dagegen aussprechen, (bestimmte) Minderheiten als Inhaber des Selbstbestimmungsrechts anzuerkennen, argumentieren, dass der Minderheitenschutz nicht Inhalt des Selbstbestimmungsrechts sei.710 Sie verweisen auf internationale Rechtsinstrumente zum Schutz von Minderheiten wie die „UN-Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören“ und das „Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz Nationaler Minderheiten“711 und bringen vor, dass keines dieser Dokumente ein ausdrückliches Recht von Minderheiten auf Selbstbestimmung enthalte.712 Darüber hinaus stützen sie sich auf die Entstehungsgeschichte des Art. 1 IPBPR, die ihrer Ansicht nach ebenfalls dagegen spricht, Minderheiten als Inhaber des Selbstbestimmungsrechts anzusehen.713 709 Zum Selbstbestimmungsrecht indigener und in Stämmen lebender Völker siehe MacKay, S. 592 f. m. w. N. 710 Vgl. zu dieser Ansicht die Nachweise bei Köhler, S. 133. 711 Ausführlicher hierzu siehe unten, Erster Teil, Zweites Kapitel, F. I. 3. c) cc). 712 Siehe z. B. unter Verweis auf die „Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities“, Anne-Christine Bloch, Minorities and Indigenous Peoples, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 309 (311); vgl. auch Trifunovska, S. 188 f.; siehe auch Kolodner, S. 179–181. 713 Siehe z. B. Antonio Cassese, The Self-Determination of Peoples, in: Louis Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights – The Covenant on Civil and Political Rights, 1981, S. 92 (96): „[T]he preparatory record is quite clear on this point.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 219

Diese Argumentation vermag jedoch angesichts des zuvor zur Definition des Begriffs „Volk“ im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht Gesagten sowie des Zwecks dieses Rechts nicht zu überzeugen. Der Zweck des Selbstbestimmungsrechts ist darin zu sehen, die Existenz und freie Entwicklung einer Gruppe hinsichtlich ihrer spezifischen Eigenarten zu sichern.714 Der Minderheitenschutz, der in den vorerwähnten Rechtsinstrumenten gewährleistet ist, grenzt sich dadurch vom Selbstbestimmungsrecht der Völker ab, dass er primär auf die Gewährung von Individualrechten gerichtet ist.715 Aus der Gewährung von Individualrechten für einzelne Angehörige einer Minderheitengruppe folgt jedoch nicht zwingend, dass das Selbstbestimmungsrecht der Minderheitengruppe als solcher nicht zusteht. Auch Minderheiten können ihre spezifischen Eigenarten häufig nur innerhalb des Lebensraums pflegen und bewahren, in dem sie angesiedelt sind. Es gibt daher keine überzeugenden Gründe, die dagegen sprechen, dieser Gruppe das Recht auf Sicherung ihrer Eigenständigkeit und Existenz, das sich als Inhalt des Selbstbestimmungsrechts darstellt, abzusprechen. Die Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts, das „von seinen Ursprüngen her konzeptionell aufs engste mit dem Territorium als Lebensgrundlage eines Volkes verbunden“716 ist, sollte sich jedenfalls im Interesse eines bestmöglichen Schutzes von Minderheiten hinsichtlich der Komponenten, die die Eigenständigkeit und Existenz einer Volksgruppe im Rahmen eines Staatsvolks sichern, auch auf Minderheitengruppen erstrecken.717 Als selbstbestimmungsberechtigte Minderheit in diesem Sinne kommen Gruppen von Individuen in Betracht, die neben dem territorialen Bezug zu ihrem Siedlungsgebiet eine oder mehrere der folgenden gemeinsamen Merkmale aufweisen: a) eine gemeinsame geschichtliche Tradition, b) eine ethnische Identität, c) kulturelle Homogenität, d) Spracheneinheit, e) religiöse oder ideologische Affinitäten und g) ein gemeinsames Wirtschaftsleben.718 Einen The draftsmen, and the participating states generally, intended to rule out the right of self-determination for minorities out of fear that this could disrupt and dismember sovereign states.“ Cassese verneint danach zwar die Frage, ob Minderheiten Träger des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 1 IPBPR/IPWSKR sein können und beruft sich neben der Entstehungsgeschichte des Art. 1 u. a. auch auf Art. 27 IPBPR. Er lässt jedoch offen, ob Minderheiten als Inhaber des Selbstbestimmungsrechts als Regel des allgemeinen Völkerrechts in Frage kommen. 714 Vgl. Trifunovska, S. 187. 715 Vgl. Friederike Brinkmeier, Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, in: MenschenRechtsMagazin 2 (2000), S. 122 (126). 716 Tomuschat, Recht auf die Heimat, S. 204. 717 So im Ergebnis z. B. ebd., S. 204 f.; Krülle, S. 68. 718 Vgl. UNESCO-Expertentreffen von 1989, SHS-89/CONF.602.7, Para. 23. – Doehring zufolge kommen als Träger des Selbstbestimmungsrechts eine Menschengruppe in Betracht, „die relativ geschlossen auf einem abgrenzbaren Territorium

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

allgemeingültigen Kriterienkatalog gibt es diesbezüglich nicht. Die Frage, wann eine Minderheit als selbstbestimmungsberechtigtes Volk qualifiziert, wird letztlich unter Berücksichtigung verschiedener objektiver und subjektiver Faktoren zu beantworten sein.719 IV. Schlussbetrachtungen zum Selbstbestimmungsrecht Die Untersuchung hat ergeben, dass aus dem inneren Selbstbestimmungsrecht bei einer dynamischen Auslegung der Normen, die das Selbstbestimmungsrecht schützen, sowohl Ansprüche, und zwar unter anderem auf Partizipation, als auch Abwehrrechte gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen, mithin gegen Entwicklungsmaßnahmen des eigenen Staates720 folgen. Das Selbstbestimmungsrecht kann danach als Abwehrrecht einer Bevölkerungsruppe, die als „Volk“ im Sinne des Selbstbestimmungsrechts qualifziert, gegen den Staat, der dieses Volk verwaltet und kontrolliert, gerichtet sein: „[T]he primary impact of that right is against the government of the State in question, and one of its main effects is to internationalize key aspects of the relationship between the people concerned and that State, represented by its own government.“721

Die Teilaspekte des Selbstbestimmungsrechts stehen dabei in Wechselbeziehung zueinander. Sie ergänzen und unterstützen sich. lebt; sie ist typischerweise kein Staatsvolk, kann aber für bestimmte Fälle des Selbstbestimmungsrechts auch als Staatsvolk handeln; sie muß in starker Weise sowohl den Willen zur Homogenität als auch zur autonomen Entscheidung über ihr politisches Gemeinschaftsschicksal besitzen; sie muß objektiv – zumindest im Zeitpunkt der Beanspruchung des Selbstbestimmungsrechts – Kriterien aufweisen, die sie von anderen Gruppen, z. B. der Gesamtheit des Staatsvolkes, in dem sie lebt, unterscheiden.“ Karl Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundsatz des Völkerrechts, 1974, S. 27. So auch Krülle, S. 68. – Hailbronner zieht den Kreis der Minderheiten, die als Volk angesehen werden können, enger. Er vertritt zwar die Ansicht, dass die Rechte, welche das innere Selbstbestimmungsrecht enthält, zu denen auch das Recht eines Volkes gehört, seine Eigenarten zu bewahren und zu pflegen, denen der Angehörigen von Minderheiten gleichen, vertritt aber die Auffassung, dass eine Minderheit nur dann als Inhaber des Selbstbestimmungsrechts in Betracht kommt, wenn sie „auf einem geschlossenen Territorium lebt, eine zur Staatenbildung geeignete Größe aufweist, auf diesem Territorium die ausschließliche oder doch deutliche Mehrheitsbevölkerung darstellt, und es sich um ein traditionelles Siedlungsgebiet handelt.“ Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 117. 719 Vgl. Trifunovska, S. 195. 720 Vgl. Allan Rosas, The Right to Development, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 247 (254): „[T]he right of self-determination means, above all, a right of the people against their own government.“ 721 Crawford, Conclusions, S. 164.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 221

1. Potenzielle versus aktuelle Reichweite des Schutzbereichs eines selbstbestimmungsrechtlichen Abwehrrechts Auch im Falle des Selbstbestimmungsrechts ist die potenzielle Reichweite des Rechtsschutzes von der aktuellen Reichweite, dem effektiven Gewährleistungsbereich für die Rechtsträger, zu unterscheiden. Dem Grunde nach garantiert das Selbstbestimmungsrecht seinen Inhabern ein Abwehrrecht, das gegen entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen gerichtet ist, d.h. ein selbstbestimmungsrechtliches Bleiberecht. Ob einer Bevölkerungsgruppe, die sich grundsätzlich auf dieses Recht berufen kann, kraft dessen ein absolutes „Vetorecht“ gegen eine geplante Zwangsumsiedlung zusteht oder ob der Staat, der die entwicklungsbedingte Umsiedlung angeordnet oder jedenfalls zugelassen hat, auch von selbstbestimmungsberechtigten Völkern verlangen kann, die eigenen (Selbstbestimmungs)Rechte und Interessen dem Gemeinwohl unterzuordnen und ihre Zustimmung zu der Umsiedlung zu erteilen, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Auch ein dem Selbstbestimmungsrecht immanentes „Veto“- bzw. Abwehrrecht ist kein absolutes Recht im Sinne eines bedingungslosen Rechts. Seine Ausübung setzt vielmehr Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien zum Zwecke der Ermittlung einer „gerechten“ Lösung voraus. Die Selbstbestimmungsgruppe trifft dabei eine Kooperationspflicht gegenüber dem Staat. Diese kann – den Ausführungen zu Art. 27 IPBPR entsprechend – nur entfallen, wenn durch eine Zwangsumsiedlung das Recht auf Eigenständigkeit und Existenz, mithin der unbezweifelte Kern bzw. der Wesensgehalt des Selbstbestimmungsrechts, vereitelt würde. In diesen Fällen muss der Staat, der eine Entwicklungsmaßnahme plant und/oder durchführt, aufgrund seiner völkerrechtlichen Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten, von einer Zwangsumsiedlung absehen: Der Wesensgehalt eines Menschenrechts ist unantastbar. Er stellt eine absolute Schutzzone gegen Eingriffe dar. 2. Die persönliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts Die Kriterien, die eine Bevölkerungseinheit erfüllen muss, um als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts bzw. seiner Teilrechte zu qualifizieren, lassen sich wie folgt zusammenfassen: „Neben dem gesamten Staatsvolk eines souveränen Staates kann auch eine Menschengruppe Inhaber des Selbstbestimmungsrechtes sein. Sie muß folgende Merkmale aufweisen, will sie in den Genuß des Selbstbestimmungsrechts gelangen: eine im weitesten Sinne kulturell-homogene Struktur, das Bewußtsein von – und Wille zur – Homogenität und zu deren Erhaltung, ein gemeinsames geschichtliches Schicksal und die Bewohnung eines abgrenzbaren Territoriums.“722

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Es stellt zweifelsohne eine Fortentwicklung des Selbstbestimmungsrechts ratione personae dar, die Trägerschaft des selbstbestimmungsrechtlichen Kernrechts (Recht auf die Sicherung der kulturellen Existenz) auf indigene Völker und Minderheiten zu erstrecken, wie die Entscheidung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission im Miskito-Fall bezüglich des menschenrechtlichen Schutzes der Miskito vor innerstaatlichen Zwangsumsiedlungen aus dem Jahre 1983 zeigt: Die Kommission hatte darin nämlich festgestellt, dass das Recht auf Selbstbestimmung nach damals geltendem Völkerrecht nicht zu den Rechten zähle, die einer ethnischen Gruppe über die Rechte aller Staatsbürger hinaus zustünden.723 Die Stellungnahmen verschiedener Länder zur ausdrücklichen Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in eine Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker zeigen, dass die politischen Widerstände gegen die Erweiterung des persönlichen Schutzbereichs des Selbstbestimmungsrechts auf indigene Völker abnehmen. Dies steht allerdings unter dem Vorbehalt der Gewährleistung, dass sich die erweiterte Inhaberschaft des Selbstbestimmungsrechts nur auf dessen Innenaspekt erstreckt. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Öffnungstrend in der abschließenden Fassung der Erklärung durchsetzt. 3. Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts Als Inhaber des Selbstbestimmungsrechts kommen traditionell nur „Völker“, und damit ausschließlich Gruppen in Betracht.724 Die Einordnung des Selbstbestimmungsrechts als Gruppenrecht (collective right) hat in der Praxis des UN-Menschenrechtsausschusses dazu geführt, dass eine Verletzung von Selbstbestimmungsrechten aus Art. 1 IPBPR nicht im Wege des Individualbeschwerdeverfahrens – nach Art. 3 Fakultativprotokoll zum IPBPR – geltend gemacht werden kann.725 Der Ausschuss lehnt entsprechende Beschwerden nach wie vor mit der Begründung ab, dass eine Einzelperson nicht Opfer einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts sein könne, da 722

Blumenwitz, Flucht und Vertreibung, S. 45. Miskito-Report, S. 129, Para. 1: „With respect to the claim of Misurasata and of other Indian organizations, according to which the ethnic groups of Nicaragua have a number of rights that go beyond those granted to all Nicaraguan citizens, which in particular include the right to self-determination (political autonomy) [. . .], the Commission believes that in the current status of international law the claim is supported only with respect to the preservation of their culture, practice of their religion and the use of their own language, but it does not include the right to selfdetermination or political autonomy.“ 724 Vgl. Crawford, Conclusions, S. 165; Rosas, Right of Self-Determination, S. 82. 725 Ausführlicher zum Individualbeschwerdeverfahren siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3. 723

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 223

dieses nur „Völkern“, also Gruppen, nicht aber Individuen Rechte verleihe.726 Die Spruchpraxis des Ausschusses zu Art. 1 IPBPR unterscheidet sich insofern deutlich von seiner Entscheidungspraxis zu Art. 27 IPBPR. Obgleich Rechte aus Art. 1 IPBPR nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses „non-justiciable“ sind, d.h. einer Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses nach dem Individualbeschwerdeverfahren nicht unterworfen werden können, entbindet das die Vertragsstaaten des IPBPR nicht von ihrer Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht zu fördern und zu achten. Die Unmöglichkeit, das Selbstbestimmungsrecht im Wege des quasi-gerichtlichen Verfahrens der Individualbeschwerde durchzusetzen, führt aber in der Praxis dazu, dass Individuen Beschwerden auf andere, den Selbstbestimmungsrechten ähnliche Paktrechte stützen müssen und damit gezwungen werden, Beschwerden einzureichen, die im Ergebnis häufig erfolglos sind.727 Eine flexiblere Handhabung des Fakultativprotokolls bezüglich Beschwerden, mit denen Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts der Völker geltend gemacht werden, wäre daher sinnvoll. Die Schwierigkeiten, die die Begründung der Aktivlegitimation hinsichtlich einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts bereiten, könnten zum Beispiel dadurch behoben werden, dass das Selbstbestimmungsrecht als Recht sui generis und damit als ein Recht im Sinne von Art. 2 Fakultativprotokoll zum IPBPR angesehen wird.728

E. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot als Schutznorm vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Als Schutzvorschrift einer national, ethnisch, rassisch oder religiösen bzw. kulturell homogenen Volksgruppe vor einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung kommt schließlich das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot in Betracht, das eines der Grundprinzipien des internationalen Menschenrechtsschutzes darstellt.729 Im Schrifttum wird das Nichtdiskriminie726 Vgl. die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses in Communication No. 197/1985, Para. 6.3.; Communication No. 167/1984, Para. 13.3; Communication No. 413/1990, A. B. et al. v. Italy, 2. November 1990, UN Doc. CCPR/CP/OP/4, 2004, S. 30, Para. 3.2; Communication No. 205/1986, Marshall v. Canada, 4. November 1991, UN Doc. CCPR/C/OP/4, 2004, S. 40, Para. 5.1. 727 Vgl. Joseph u. a., 1st ed., S. 107 [7.21]. 728 Nach Art. 2 Fakultativprotokoll zum IPBPR können Einzelpersonen, die behaupten, in einem ihrer Paktrechte verletzt zu sein, nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges bei dem Menschenrechtsausschuss eine schriftliche Mitteilung zur Prüfung einreichen. Ausführlich hierzu siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3. 729 Vgl. Crawford, Conclusions, S. 170.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

rungsgebot zu den zwingenden Vorschriften des Völkerrechts ( jus cogens) gezählt.730 Der IGH hat es im Barcelona Traction-Fall als Verpflichtung erga omnes eingestuft.731 Das Diskriminierungsverbot ist in verschiedenen internationalen Menschenrechtsabkommen festgeschrieben, wovon das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung732 das bedeutendste ist. Nach dessen Artikel 5 verpflichten sich die Vertragsstaaten, das Recht jedes einzelnen, ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums, zu gewährleisten. Für die vorliegend zu beurteilende Konstellation ist insbesondere Artikel 5 von Bedeutung. Danach gilt das Diskriminierungsverbot unter anderem für das Recht auf Beteiligung an der Regierung und an der Führung der öffentlichen Angelegenheiten (Art. 5c)), das Recht auf Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der Staatsgrenzen (Art. 5d) lit. i)), das Recht auf Wohnung (Art. 5e) lit. iii)) und das Recht auf eine gleichberechtigte Teilnahme an kulturellen Tätigkeiten (Art. 5d) lit. vi)). Art. 26 IPBPR schreibt für die Paktrechte ebenfalls ein Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status vor und gebietet, allen Menschen diesbezüglich gleich wirksamen Schutz zu gewährleisten.733 Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses stellt diese Vorschrift – anders als inbesondere Art. 14 EMRK – keine Norm dar, die zu den übrigen Rechtsgarantien des Paktes lediglich akzessorisch hinzutrifft. Sie besitze, so der Ausschuss, vielmehr eigenständige Bedeutung, erstrecke demgemäß den sachlichen Anwendungsbereich des IPBPR auf alle Gebiete staatlichen Handelns, ohne Rücksicht darauf, „ob im übrigen sonstige bürgerliche und politische Rechte zur Debatte stünden, wie sie der Pakt in den Artikeln 6–25 gewährleistet.“734 730

Siehe z. B. Meindersma, Legal Issues, S. 61: „The [. . .] principles of non-discrimination and self-determination are considered overriding principles of international law, forming a body of jus cogens, obligations towards the international community as a whole that cannot be set aside by treaty or acquiescence.“ Ebenso MacKay, S. 594. 731 Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Judgment, ICJ Reports 1970, S. 3 (32), Para. 34. 732 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, BGBl. 1969 II, S. 961. 733 Siehe auch Art. 20 Abs. 2 IPBPR, der jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass verbietet, wodurch zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird. Siehe auch Art. 1 Abs. 1 AMRK und Art. 2 BanjulCharta, die ebenfalls allgemeine Nichtdiskriminierungsklauseln enthalten.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 225

Unabhängig davon, ob man diesem sehr weit reichenden Verständnis von Art. 26 IPBPR folgt,735 ist zu berücksichtigen, dass sich aus den völkerrechtlichen Nichtdiskriminierungsklauseln lediglich ein indirekter gruppenmenschenrechtlicher Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen ergeben kann. Daher ist auch Blumenwitz’ Forderung berechtigt, die Diskriminierungsvorschriften der Menschenrechtskonventionen als Schutzvorschriften vor Dislokationen nicht überzubewerten.736 Diese können zwar, wie auch Blumenwitz konzediert, als Teil des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes angesehen werden. Ein umfassender Minderheiten- bzw. kollektiver Menschenrechtsschutz vor Zwangsumsiedlungen kann durch die Anwendung eines allgemeinen Gleichheitssatzes indes nicht gewährleistet werden.737 Er kann aber Diskriminierungen bei und im Zusammenhang mit erzwungenen Dislokationen verbieten. Entwicklungsbedingte Bevölkerungstransfers sind danach unrechtmäßig, wenn sie diskriminierend sind.738

F. Der besondere (gruppen)menschenrechtliche Schutz der aufnehmenden Bevölkerung vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen können nicht nur die sowohl physische wie kulturelle Existenz der umzusiedelnden Personengruppen gefährden. Sie können sich vielmehr auch nachteilig auf das wirtschaftliche, soziale und/oder kulturelle Leben der Bevölkerungseinheiten auswirken, die das Neuansiedlungsgebiet bereits bewohnen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich bei der so genannten „host community“ um eine altansässige, ethnisch, kulturell oder religiös homogene Volksgruppe handelt.739 734 Vgl. Christian Tomuschat, Die Vertreibung der Sudetendeutschen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 56 (1996), S. 1 (18), der auf die Auffassungen des UN-Menschenrechtsausschusses in den Rechtssachen Broeks/Niederlande, Danning/Niederlande und Zwaan-de Vries/Niederlande jeweils vom 9. April 1987 verweist, die abgedruckt sind in: UN GAOR 42nd Sess., Suppl. No. 40 (A/42/40), S. 139–169: Communication No. 172/1984, S. W. M. Broeks v. the Netherlands (Views adopted on 9 April 1987 at the Twenty-Ninth Session), S. 139 ff.; Communication No. 180/1984, L. G. Danning v. the Netherlands (Views adopted on 9 April 1987 at the Twenty-Ninth Session), S. 151 ff.; Communication No. 182/1984, F. H. Zwaan-de Vries v. the Netherlands (Views adopted on 9 April 1987 at the Twenty-Ninth Session), S. 160 ff. 735 Kritisch hierzu Tomuschat, Vertreibung der Sudetendeutschen, S. 18. 736 Siehe Blumenwitz, Flucht und Vertreibung, S. 41. 737 Vgl. ebd. 738 Vgl. Final Report, Para. 68: „In the context of development programmes, population transfers are lawful if they are non-discriminatory and are based upon the will of the people [. . .].“

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die UN-Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten hat diese Gefahr schon früh erkannt und in verschiedenen Resolutionen darauf hingewiesen, dass Bevölkerungstransfers auch die Menschenrechte der ursprünglichen Bewohner des Wiederansiedlungsgebiets (original inhabitants) ernsthaft verletzen können.740 Die Interessen und Bedürfnisse der „host community“ unterscheiden sich, was zum Beispiel den Schutz vor Bedrohungen ihres physischen und kulturellen Fortbestands, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Selbstbestimmung und die Beteiligung an Entscheidungsprozessen anbetrifft, nicht wesentlich von den Interessen der umzusiedelnden Bevölkerungseinheiten. Die diesbezüglichen (Gruppen)menschenrechte kommen daher grundsätzlich auch der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe zugute, sofern die oben diskutierten Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit vorliegen. Ein paar Besonderheiten bestehen allerdings hinsichtlich des völkermenschenrechtlichen Schutzes der „host community“ vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. I. Der Schutz der aufnehmenden Bevölkerung vor Verdrängung und Unterwanderung 1. Begriffsbestimmung Bevölkerungsumsiedlungen, die vorgeblich zu Entwicklungszwecken erfolgen, finden nicht selten mit politischen Nebenabsichten statt, wie zum Beispiel der planmäßigen demographischen und kulturellen Veränderung des Neuansiedlungsgebiets. Sie können zur „Verdrängung“ von Angehörigen der angestammten Bevölkerungsgruppe führen.741 Unter „Verdrängung“ ist dabei die Politik eines Staates zu verstehen, „durch Sondermaßnahmen Menschen, die zu einer bestimmten, dem Staat unsympathisch erscheinenden Volksgruppe gehören, den Verbleib in ihrer bisherigen Heimat derart schwierig zu machen, daß sie in eine Zwangslage geraten und sich dieser Zwangslage nur dadurch glauben entziehen zu können, daß sie ihre Heimat 739 Zu den negativen Folgen einer Umsiedlung für die aufnehmende Bevölkerungsgruppe siehe Ezim Mbonu, S. 6–7, Para. 28–34; Goebel, S. 20 ff. Siehe – aus soziologischer Sicht – auch Cernea, Risks, S. 32. 740 Siehe z. B. UN Sub-Commission Resolution 1992/28, Abschn. 4, enthalten in: UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1992/58, S. 70 sowie UN Sub-Commission Resolution 1990/17 vom 30. August 1990; vgl. Ezim Mbonu, S. 2, Para. 1. – Ausführlich zu den völkerrechtlichen Menschenrechten einer „host community“, die durch die Ansiedlung einer fremden Bevölkerungsgruppe verletzt werden können, siehe Kolodner, S. 159–225. 741 Vgl. Suhr, S. 59.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 227

verlassen.“742 Zu diesen Sondermaßnahmen zählen unter anderem „Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet . . ., die die Besserstellung der zum eigenen Staatsvolk gehörenden Bevölkerung und dadurch die Benachteiligung einer anderen Volksgruppe, die von ihm als Fremdkörper im Staat empfunden wird, beabsichtigen.“743 Eine „Verdrängung“ kann auch durch die Politik der „Unterwanderung“ einer Volksgruppe bewirkt werden. „Unterwanderung“ bedeutet „die Niederlassung einer so großen Zahl von Angehörigen eines anderen Volkes auf dem bis dahin im wesentlichen ethnisch geschlossenen, organisch gewordenen Siedlungsboden dieser Volksgruppen, daß die wirtschaftliche, politische oder kulturelle Entfaltung dieser Volksgruppe oder von Teilen derselben dadurch gefährdet wird.“744 Eine „Volksgruppe“ ist in diesem Zusammenhang als Teil eines Volkes zu verstehen, die durch Merkmale wie eigene Sprache, Kultur oder Traditionen gekennzeichnet ist (ethnische Gemeinschaft745). 2. Praktische Relevanz: die Quinghai-Komponente des westchinesischen Armutbekämpfungsprojekts Ob das Völkermenschenrecht Bevölkerungsgruppen vor „Verdrängung“ und „Unterwanderung“ als Folge einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung schützt, ist durchaus von praktischer Bedeutung, wie Fälle derartiger Politiken aus jüngerer Zeit zeigen. Beispielhaft hierfür sei das westchinesische Armutbekämpfungsprojekt (China: Western Poverty Reduction Project) genannt, dass unter anderem wegen seiner nachteiligen Folgen für die aufnehmende Bevölkerung international für Aufsehen gesorgt hat. Offiziell erklärtes Ziel dieses Projektes ist es, die absolute Armut in abgelegenen und unzugänglichen Dörfern in der inneren Mongolei sowie der westchinesischen Region Quinghai zu reduzieren. Die Quinghai-Komponente des Armutbekämpfungsprojekts sah die Ansiedlung von ungefähr 60.000 Landwirten746 in dem Trockengebiet der tibetanischen und mongolischen autonomen Präfektur Haixi vor. Sie hatten in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet regenabhängige Hochlandlandwirtschaft betrieben. Das Neuansiedlungsgebiet sollte mit verschiedenen Staudämmen bewässert werden, die noch zu bauen waren.747 742

Du Buy, S. 50. Ebd. 744 Theodor Veiter, Volkstod durch Unterwanderung, in: Europa Ethnica 18/I (1958), Sonderheft, S. 10 (22). 745 Vgl. ebd., S. 13. 746 Die Zahlen variieren zwischen 57.775 (Angabe des Weltbank Inspection Panels) und 61.775 (Angabe des International Committee of Lawyers for Tibet). 743

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die Weltbank hat das Quinghai-Projekt im Januar 1997 in ihr China-Portfolio aufgenommen.748 Die Veröffentlichung eines Artikels des Tibet Information Network (TIN) im Frühjahr 1999 hat weltweit eine öffentliche Diskussion über die Sozial- und Umweltverträglichkeit des Projekts ausgelöst. In ihrem Artikel kritisierte TIN in erster Linie die vorgesehene Umsiedlung ethnischer Chinesen in traditionell tibetanisches Gebiet.749 Am 18. Juni 1999 reichte die International Campaign for Tibet (ICT), eine in Washington D. C. ansässige NGO, im Namen der im Projektgebiet ansässigen tibetanischen und mongolischen ethnischen Völker („Tibetan and Mongolian ethnic peoples“) ein Untersuchungsgesuch beim Inspection Panel der Weltbank ein.750 Das Panel sollte das Quinghai-Projekt auf seine Vereinbarkeit mit den Operational Policies der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen, auf die später noch ausführlich eingegangen wird,751 untersuchen.752 Die ICT machte in ihrem Gesuch zuvörderst geltend, dass sich die Umsiedlung der Landwirte unmittelbar nachteilig auf die einheimische – 4.000 Personen zählende – tibetanische Bevölkerung auswirkte und zu ethnischen Spannungen sowie Konflikten über die Nutzung der Ressourcen in der Region führen könne.753 Das International Committee of Lawyers for Tibet (ICLT) hat ebenfalls im Juni 1999 eine Stellungnahme zu den völkerbzw. menschenrechtlichen Aspekten des westchinesischen Armutsbekämpfungsprojekts veröffentlicht, in der es die geplante Umsiedlung für völker747 Vgl. The Inspection Panel, The Inspection Panel Investigation Report: The Quinghai Project – A Component of the China: Western Poverty Reduction Project, Credit No. 3255-CHA and Loan No. 4501-CHA, 28. April 2000, S. 3–4. Der Bericht ist auf der Website des Inspection Panels abrufbar unter . 748 Vgl. The World Bank, China: Strategies for Reducing Poverty in the 1990s, Bericht Nr. 10409–CHA, 29. Juni 1992. 749 Siehe Tibet Information Network, World Bank Funds Controversial Population Transfer Scheme, in: News Updates, 27. April 1999, abrufbar unter . 750 Vgl. die Presseveröffentlichung der International Campaign for Tibet (ICT) vom 24. Juni 1999: World Bank Approves Chinese Population Transfer – ICT Inspection Panel Claim Delays Project Implementation & Funding; abrufbar unter . 751 Siehe unten, unter Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 752 Ausführlich zu der Untersuchung des Quinghai-Projektes durch das Inspection Panel siehe Stefanie Ricarda Roos, The World Bank Inspection Panel in its Seventh Year: An Analysis of its Process, Mandate, and Desirability with special reference to the China (Tibet) case, in: Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 473–521. 753 Vgl. The Inspection Panel, Report and Recommendation on Request for Inspection; Re: Request for Inspection China: Western Poverty Reduction Project, Credit No. 3255-CHA und Loan No. 4501-CHA, 24. August 1999, S. 2, Para. 6.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 229

rechtswidrig erklärt.754 Das Umsiedlungsprojekt verletze nicht nur die IV. Genfer Konvention755 sowie das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes,756 sondern auch das völkerrechtliche Verbot der Durchführung von Bevölkerungstransfers, die ohne die freie und informierte Zustimmung der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe stattfinden.757 Diese Verletzungen könnten auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass das Projekt der Armutsbekämpfung diene: „It does not matter that the project may purport to alleviate poverty among the settlers or to develop Tulan County. The Special Rapporteur’s Final Report in particular notes that the implantation of settlers is unlawful even when carried on under the guise of economic development and even when ‚subtle and incremental‘. Absent consent, it is simply not legal to deny the Tibetans their right to decide on their own economic development or to burden the Tibetans with implanted settlers.“758

Die beanstandete Bevölkerungsumsiedlung im westchinesischen Armutbekämpfungsprojekt ist beispielhaft für die chinesische Besiedlungspolitik, 754 International Committee of Lawyers for Tibet, Legal Arguments in Reference to the World Bank’s Proposed China Western Poverty Reduction Project, Juni 1999. Der Bericht ist abrufbar unter . 755 Ebd. Vgl. Art. 49 Uabs. 6 IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II, S. 917 (934): „Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken.“ 756 Vgl. International Committee of Lawyers for Tibet, Legal Arguments: „Even if Tibet were not illegally occupied, the resettlement project would still violate Tibetan’s right of self-determination. [. . .] The Tibetans are a people with a distinct language, culture, religion and history and are thus possessed of a right to self-determination provided under international law. The United Nations’ Special Rapporteur on Population Transfer has observed more specifically that a people with a right of self-determination have the right to control their economic, cultural and political destiny free of domination by implanted settlers. The Qaidam Basin resettlement plan, which does not have the consent of the Tibetan people, denies the Tibetans in Tulan County their right to control their own cultural, economic and political destiny.“ 757 Ebd.: „The Bank does not even have to determine that the Tibetans are a ‚people‘ in order to conclude that the resettlement will violate international law. The Special Rapporteur has defined population transfer as ‚a practice or policy having the purpose or effect of moving persons into or out of an area, either within or across an international border, or within, into or out of an occupied territory, without the free and informed consent of the transferred population and any receiving population.‘ The salient feature of population transfer is thus a government-sponsored movement of people without the ‚free and informed consent‘ of those living in the area to be resettled. This project is government-sponsored and no consent has been obtained.“ 758 Ebd.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

die Mitte der 1950er Jahre mit Mao begann und von der chinesischen Regierung auch heute noch verfolgt wird: Wenige Jahre nach der chinesischen Invasion Tibets am 7. Oktober 1950 wurden erstmals chinesische Landwirte nach Ost-Tibet geschickt. Ende der 1980er Jahre waren in Tibet bereits Millionen von Chinesen angesiedelt. Zu den jüngeren Beispielsfällen von Umsiedlungen zählen neben dem Quinghai-Projekt die Relokation von 300.000 Chinesen, die im Zuge eines Entwicklungsprojektes im YarlungTal in landwirtschaftlichem Gebiet in Südtibet angesiedelt wurden.759 3. Das Recht auf den Schutz der demographischen und kulturellen Integrität eines Siedlungsgebiets „Displacement is prohibited, no matter what the circumstances, when it seeks to alter the ethnic, religious, or racial composition of particular areas.“760

Als Folge der „Ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass das Völkerrecht Maßnahmen verbietet, die darauf abzielen, die demographische Zusammensetzung einer bestimmten Region bzw. eines Wohn- oder Siedlungsgebiets zu verändern. So hat zum Beispiel der Rassendiskriminierungsausschuss der Vereinten Nationen761 in seinem Beschluss 2 (47) vom 17. August 1995 zur Lage in Bosnien und Herzegowina festgestellt, dass jeder Versuch, die demographische Zusammensetzung eines Gebietes gegen den Willen seiner Einwohner zu verändern oder eine entsprechende Manipulation aufrechtzuerhalten, ungeachtet der angewandten Mittel Völkerrecht verletze.762 Erklärungen jüngeren Datums von Völkerrechtsgesellschaften gehen ebenfalls von der Existenz eines entsprechenden völkerrechtlichen Verbots aus. So erklärt zum Beispiel die Völkerrechtsgesellschaft (ILA) in Artikel 4 Absatz 3 der oben 759

Zur chinesischen Besiedlungspolitik in Tibet im Allgemeinen siehe Kolodner, S. 185 ff.; John S. Hall, Chinese Population Transfer in Tibet, in: Cardozo Journal of International and Comparative Law 9 (2001), S. 173–199; Susan K. McCarthy, The State, Minorities, and Dilemmas of Development in Contemporary China, in: The Fletcher Forum of World Affairs Summer/Fall (2002), S. 107–117. 760 The Brookings Institution, Handbook, S. 16. 761 Der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung ist das Vertragsorgan des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; vgl. Art. 8 ff. Rassendiskriminierungsabkommen. 762 Committee on the Elimination of Racial Discrimination, Decision 2 (47): „The situation in Bosnia and Herzegovina“, UN GAOR 50th Sess., Suppl. No. 18 (A/50/18), 22. September 1995, S. 11: „Decides: (a) Firmly to re-emphasize that any attempt to change or to uphold a changed demographic composition of an area against the will of the original inhabitants, by whatever means, is a violation of international law.“

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 231

erwähnten Declaration of International Law Principles on Internally Displaced Persons: „Measures aimed at deliberate alteration of the demographic composition of a given region (e. g., ‚ethnic cleansing‘) or at genocide are strictly prohibited.“763

Nach Principle 6 Abs. 2 der Guiding Principles on Internal Displacement sind von dem Verbot willkürlicher Dislokationen auch Umsiedlungen erfasst: „(a) When it is based on policies of apartheid, ‚ethnic cleansing‘ or similar practices aimed at/or resulting in altering the ethnic, religious or racial composition of the affected population.“764

Welche individuellen und kollektiven Minderheitenrechte im Einzelnen vor der demographischen Veränderung einer bestimmten Region schützen, führen jedoch weder der Ausschuss noch die Erklärungen näher aus. a) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnungsumfelds als Bestandteil des internationalen Grundrechts auf Achtung der Wohnung und Privatsphäre? Im EGMR-Fall Zypern ./. Türkei hat die zypriotische Regierung (Beschwerdeführerin) vorgebracht, dass das Recht der ursprünglichen Einwohner eines Siedlungsgebiets auf die demographische und kulturelle Integrität ihres Wohnungsumfelds vom Grundrecht auf Achtung der Wohnung und der Privatsphäre des Art. 8 EMRK umfasst sei.765 Die Begriffe „Wohnung“ (home) und „Privatleben“ ( private life) seien weit genug, um darunter auch das Recht zu fassen, bestehende kulturelle Beziehungen innerhalb eines althergebrachten vorhandenen kulturellen Umfeldes aufrechterhalten zu können.766 Durch die Ansiedlung einer großen Anzahl türkischer Staatsangehöriger im griechisch-zypriotischen Nordteil der Insel als Teil der türkischen Siedlungspolitik sei diese Möglichkeit bewusst vereitelt worden.767 Die Ansiedlung türkischer Staatsbürger habe zu einer wesentlichen Veränderung des kulturellen Umfelds geführt. Dadurch sei das Recht auf Ach763

Declaration of International Law, Art. 4 (3). Guiding Principles, Principle 6 – 2.(a). Siehe auch The Brookings Institution, Handbook, S. 16. 765 Vgl. Cyprus v. Turkey, no. 25781/94, § 167, ECHR 2001-IV, Urteil des EGMR vom 10. Mai 2001 (künftig Cyprus v. Turkey). 766 Ebd.: „[T]he notions of ‚home‘ and ‚private life‘ were broad enough to subsume the concept of sustaining existing cultural relationships within a subsisting cultural environment.“ 767 Ebd.: „The applicant Government contended that his policy was based on the implantation of massive numbers of settlers from Turkey with the intention and the consequences of eliminating Greek presence and culture in northern Cyprus.“ 764

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

tung der Wohnung der durch die Ansiedlung verdrängten Personen verletzt worden.768 Sowohl die Europäische Menschenrechtskommission wie der EGMR haben in diesem Fall die Frage offen gelassen, ob die gerügte Manipulation des demographischen und kulturellen Wohnungsumfelds das Grundrecht auf Achtung der Wohnung (Art. 8 EMRK) verletzt. Sie hielten eine diesbezügliche Prüfung am Maßstab des Wohnungsgrundrechts für entbehrlich, da sie bereits festgestellt hatten, dass die Rückkehrverweigerung das Recht auf Achtung der Wohnung dauerhaft verletze.769 Nach den Ausführungen des Gerichtshofs in der Sache Noack u. a. ./. Deutschland ist indes anzunehmen, dass der EGMR die Frage heute bejahen würde. Schützt nämlich Artikel 8, wie vom EGMR in seiner Horno-Entscheidung festgestellt, das Recht einer Minderheit auf ihren besonderen Lebensstil, berühren nicht nur Zwangsentfernungen, sondern auch die Ansiedlung einer Bevölkerungsgruppe in einem Siedlungsraum den Schutzbereich von Art. 8 EMRK, sofern diese zur demographischen und kulturellen Veränderung des von einer Minderheitengruppe bewohnten Gebietes führt. Die Frage, ob das Grundrecht auf Achtung der Wohnung und der Privatsphäre in seinem Schutzbereich ein individuell und/oder kollektiv ausgeprägtes Menschenrecht auf die demographische und kulturelle Integrität des Umfeldes einer Wohnung umfasst, ist aber nach dem Schutzzweck des Wohnungsgrundrechts und den diesbezüglichen Ausführungen zur Gewährleistung eines heimatrechtlichen Bleiberechts770 zu verneinen. Das kulturelle Wohnungsumfeld bzw. dessen demographische Zusammensetzung ist im Unterschied zu der Privatzone „Wohnung“ der identitätsstiftende Lebenszusammenhang, der nur in und durch die Gemeinschaft, nicht aber in Abschottung von derselben besteht. Es würde nach alledem im Widerspruch zum Schutzzweck des Wohnungsgrundrechts als Bestandteil des Rechts auf Sicherung der Privatsphäre stehen, „Wohnung“ weit, und zwar als räumlich-soziale, auf die Gesellschaft gerichtete Einheit zu verstehen. Damit könnte zwar dem Bedürfnis Rechnung getragen werden, die Bestimmungen der allgemeinen Menschenrechtsverträge, die Individualrechte verbürgen, minderheitenschützend auszulegen. Eine derart weite Auslegung des Wohnungsgrundrechts würde aber wohl an die Grenzen einer noch zulässigen evolutiven Interpretation stoßen. Eine „Verdrängung“ kann insofern 768 Ebd., § 167: „Having regard to the destructive changes being wrought to that environment by the respondent State, it could only be concluded that the rights of the displaced persons to respect for their . . . home were being violated in this sense also.“ 769 Ebd., § 176. Vgl. auch ebd., § 170. 770 Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. 6.

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 233

den Schutzbereich des Grundrechts auf Achtung der Wohnung berühren, als die hiervon betroffenen Personen durch ihre „Flucht“ der geschützten Privatzone „Wohnung“ verlustig gehen. Das Recht auf Aufrechterhaltung kultureller Beziehungen bzw. die Integrität eines bestimmten kulturellen Wohnungsumfeldes oder gar dessen demographische Zusammensetzung gewährleistet dieses Wohnungsgrundrecht so, wie es in Art. 17 IPBPR, Art. 8 EMRK und Art. 11 Abs. 2 AMRK festgeschrieben ist, aber nicht. b) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität eines Wohnungsumfelds als Bestandteil des internationalen Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit? Näherliegender erscheint es, das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnungsumfelds im Schutzbereich des internationalen Grundrechts auf Wohnsitzfreiheit verbürgt zu sehen. Auch dies lässt sich indes ebenso wenig überzeugend begründen, wie auch ein heimatrechtliches Individualbleiberecht aus der Wohnsitzfreiheit nicht problemlos hergeleitet werden kann. Das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes schützt zwar die Entscheidung, sich an einem Ort freier Wahl niederzulassen, den man zum Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse machen möchte.771 Es gewährleistet „[im] Blick auf Religion, Weltanschauung, politische Verhältnisse und Kultur . . . den Hin- und Wegzug zu und von denjenigen Gegenden, wo die Menschen gleich oder anders denken.“772 Insofern verbürgt die Wohnsitzfreiheit, die wesentlicher Bestandteil des Rechts auf persönliche Freiheit ist, ein Recht, in das demographische und kulturelle Umfeld zu ziehen, in dem man seine Persönlichkeit am besten entfalten kann. Den Bestand dieses Lebensumfeldes garantiert es jedoch nicht. Die Wohnsitzfreiheit entfaltet allerdings in dem Umfang, wie sie vor Zwangsentfernungen schützt, auch eine – jedenfalls begrenzte – Schutzwirkung vor „Verdrängung“. Diese zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass sich Menschen, die zu einer bestimmten Volksgruppe gehören, durch die Ansiedlung fremder Personen gezwungen sehen, den Lebensraum zu verlassen, dem sie sich zugehörig fühlen, wo die Menschen wohnen, die gleich leben und denken. Insofern kann das internationale Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit hinsichtlich eines bestimmten demographischen und kulturellen Lebensraumes die Vorbedingung verbürgen, aus diesem Ort nicht ausgewiesen oder sonst entfernt zu werden. Es garantiert aber nicht die Faktoren, die 771

Siehe hierzu oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. a) aa). Pernice, Art. 11 Rdn. 10, bez. des nationalen Grundrechts der Wohnsitzfreiheit. Die Ausführungen gelten für das internationale Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit entsprechend. 772

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

das Wohngebiet zu dem ethnisch geschlossenen, organisch gewordenen Siedlungsraum einer bestimmten Volksgruppe machen.773 c) Das Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnumfelds als Bestandteil kollektiver Menschenrechte Es erscheint nach alledem erfolgversprechender, die Grundlage für ein Recht auf die demographische und kulturelle Integrität des Wohnumfelds, das gegen Verdrängung und Unterwanderung gerichtet ist, in kollektiven Menschenrechten zu suchen. aa) Das Selbstbestimmungsrecht Sofern die aufnehmende Bevölkerungseinheit ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk ist,774 kann sie sich gegen die Ansiedlung einer fremden Bevölkerungsgruppe in ihrem Siedlungsgebiet, die zu einer Veränderung der demographischen Komposition und kulturellen Integrität ihres Siedlungsraumes führt, unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht wehren.775 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ansiedlung zur Vereitelung der Selbstbestimmung führt: „When an unwanted influx of alien people [enters] into the land, economy, and culture of an ethnically distinct people, dominates it politically, exploits it economically, and subjugates it culturally’, the host population no longer has control over its status and development.“776 773 Aus dem selben Grunde ist das „heimatrechtliche Bleiberecht“ bzw. das „Recht auf die Heimat“ auch nicht vollständig vom Schutzbereich der Wohnsitzfreiheit umfasst. Vgl. die entsprechende Argumentation Gusys im Kontext der nationalen Freizügigkeitsgarantie (Art. 11 GG): Christopher Gusy, Artikel 11, in: Christian Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, vierte, vollstdg. neubearb. Aufl., 1999, Art. 11 Rdn. 30. Siehe hierzu auch oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. 6. 774 Zur Frage, wer Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts ist, siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. III. – Siehe hierzu im Kontext des Schutzes der aufnehmenden Bevölkerung vor Ansiedlungen auch Goebel, S. 21: „By virtue of selfdetermination’s applicability, the original inhabitants on the receiving end of such removals must have unique identifiable characteristics, including race or ethnicity, language, religion, culture, tradition and history, that set them apart form their neighbors. . . . [T]he unit of self-determination of original inhabitants may be as an ethnic minority, indigenous people, nation without a state, or people in a territory under occupation.“ 775 Ausführlich hierzu siehe Kolodner, S. 196 ff.; 223 f., der auch das externe Selbstbestimmungsrecht untersucht. 776 Ebd., S. 206. Siehe auch Goebel, S. 20 ff., insbes. 21 f., m. w. N.: „For example, if the sheer scale of a population transfer causes original inhabitants to become

2. Kap.: Kollektive Menschenrechte zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen 235

Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt wegen der Gefahren, die mit einer Ansiedlung einhergehen, dass die selbstbestimmungsberechtigte „host population“ einer Neuansiedlung im Sinne eines „prior, free and informed consent“ zustimmen muss: „[A]lthough a segment of a population may consent to relocate, the validity of such consent may be subject to the wishes of the inhabitants of the place of settlement. Where a minority claims an exclusive right to movement and residence in a given area, consent on the part of other persons to relocate to the area in question must be weighed against minority claims on the basis that freedom of movement and choice of residence within a State may be restricted to protect the rights of others. This argument is worthy of emphasis because the consent of an ambient population to relocate can be used to implant settlers in areas inhabited by minorities. While the principle of consent safeguards the forcible removal and dispersal of minority and indigenous groups settled in a distinct homeland, it cannot be used to achieve chauvinist overlaying of national areas by planting of settlements, and the imposition of cultural hegemony upon minorities.“777

Die Ansiedlung einer fremden Bevölkerungsgruppe ohne die Zustimmung der aufnehmenden Gruppe kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, dass diese im Interesse der „host community“ erfolge, weil damit zum Beispiel einem „zurückgebliebenen“, „unterentwickelten“ Volk geholfen werden soll, sich kulturell, sozial und wirtschaftlich zu entwickeln. Das Selbstbestimmungsrecht ist – wie dargelegt – im Lichte des Programmsatzes „Recht auf Entwicklung“ zu lesen. Was dabei unter Entwicklung zu verstehen ist, kann aber nicht staatlicherseits einseitig diktiert werden. Das Selbstbestimmungsrecht schützt vielmehr eine selbstbestimmungsberechtigte Bevölkerungsgruppe davor, dass das Ob und Wie ihrer Entwicklung fremdbestimmt wird. bb) Sonstige (kollektive) Menschenrechte, die vor Veränderungen der demographischen und kulturellen Zusammensetzung eines Siedlungsgebietes schützen In seiner Untersuchung des „Rechts auf die Heimat“ hat Du Buy 1974 vorgebracht, dass die mit einer Unterwanderung konfrontierte Volksgruppe dies „selbstverständlich [. . .] als eine Bedrohung für die Erhaltung ihres Volkstums“ betrachtet.778 Da also die Ansiedlung einer Bevölkerungsgruppe in einem ethnisch und kulturell homogenen Siedlungsraum die kulturelle Ina minority in their own homeland, that dampens the possibility that they will ever realize self-determination.“ 777 Progress Report, Para. 30. 778 Du Buy, S. 51.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

tegrität und Identität der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe gefährden kann, kommt als Schutzrecht gegen eine Zwangsumsiedlung, die zu einer Überfremdung des Neuansiedlungsgebiets führt, neben dem Selbstbestimmungsrecht das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens (Art. 27 IPBPR) mit den Gewährleistungen in Betracht, die auch die umzusiedelnde Volksgruppe vor einer Zwangsumsiedlung schützen.779 Insofern kann ferner das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot bedeutsam werden: „The implantation of settlers will violate the principle of non-discrimination where the settlers receive preferential treatment vis-à-vis the population into whose territory they move and where this results in institutionalized discrimination against the affected population.“780

Das Diskriminierungsverbot ist somit auch im Zusammenhang mit dem Schutz der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe vor einer Zwangsumsiedlung als Teil des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes anzusehen.781 Liegt die Absicht der Gruppenzerstörung vor, kann schließlich auch die „Zersiedlung“ den Tatbestand des Völkermordes erfüllen und das Völkermordverbot vor derartigen Ansiedlungen schützen.782 Diesbezüglich stellen sich die schon zuvor erörterten Fragen und Probleme zum Tatbestand des Genozides. Gleiches gilt für die Einordnung einer bevölkerungspolitisch motivierten Ansiedlung einer Bevölkerungsgruppe in dem Siedlungsgebiet einer geschlossenen Volksgruppe, die zu einer „Zersiedlung“ führt, als „Verbrechen gegen die Menschheit“.783 Sie wird nur in den seltensten Fällen gelingen. Zwangsumsiedlungen, die zum Zwecke der „Ethnischen Säuberung“ des Neuansiedlungsgebietes durchgeführt werden (so genannte „umgekehrte Ethnische Säuberungen“ – ethnic cleansing in reverse), können völkerrechtlich niemals gerechtfertigt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie auch eine entwicklungsfördernde Wirkung haben. Sie sind immer willkürlich und damit unzulässig.784

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Siehe hierzu bereits oben, unter Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 2. Compilation II, S. 6, Rdn. 15. Siehe in diesem Zusammenhang auch Kolodner, S. 192 ff. 781 Siehe hierzu bereits oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, E. 782 Kolodner argumentiert ebenfalls, dass „Besiedlung“ grundsätzlich Völkermordcharakter tragen kann, Kolodner, S. 169. 783 Zum „Verbrechen gegen die Menschheit“ siehe bereits oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. II. 4. 784 Vgl. Kälin, Annotations, S. 17: „[F]orced population transfers for the purpose of ‚ethnic cleansing‘ can never be justified under international law and, therefore, always have to be considered arbitrary.“ 780

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cc) Das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz Nationaler Minderheiten Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995785 schreibt in Artikel 16 ausdrücklich ein Verbot demographischer Manipulationen eines Siedlungsgebiets fest: „Die Vertragsparteien sehen von Maßnahmen ab, die das Bevölkerungsverhältnis in von Angehörigen nationaler Minderheiten bewohnten Gebieten verändern und darauf gerichtet sind, die Rechte und Freiheiten einzuschränken, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben.“

Das Übereinkommen ist allerdings in seiner Reichweite begrenzt. Zum einen gilt es nur für die Mitgliedstaaten des Europarats, welche die Rahmenkonvention ratifiziert haben.786 Zum anderen gewährt das Übereinkommen keine unmittelbar anwendbaren Rechte, sondern lediglich Zielvorgaben, die von den zuständigen nationalen Organen durch entsprechende Gesetze und Verwaltungspraxis in nationales Recht „umzusetzen“ sind.787 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Rahmenübereinkommen nur für nationale Minderheiten gilt. Eine Definition des Begriffs „Minderheit“ enthält die Konvention indes nicht. Das ist insofern bedauerlich, als das Übereinkommen hier „ein Manko des allgemeinen Völkerrechts hätte überwinden können.“788 Bei der Ausarbeitung des Übereinkommens gelang aber keine Einigung auf einen Minderheitenbegriff, der für alle Mitgliedstaaten des Europarats akzeptabel ist. Daher haben die meisten Vertragsstaaten bei der Ratifizierung eine Erklärung abgegeben, in der sie dargelegt haben, welche Gruppen nach ihrem Verständnis jeweils unter den Anwendungsbereich der Konvention fallen. In der Bundesrepublik Deutschland sind danach die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit nationale Minderheiten. Das Rahmenübereinkommen findet ferner auf die Angehörigen der traditio785 BGBl. 1997 II, S. 1408. – Das Rahmenübereinkommen wurde am 10. November 1994 vom Ministerkomitee des Europrats angenommen. Es ist am 1. Februar 1998 (auch für die Bundesrepublik Deutschland) in Kraft getreten. Allgemein zum Rahmenübereinkommen siehe z. B. Rainer Hofmann, Die Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten, in: MenschenRechtsMagazin 5/2 (2000), S. 63–73; Frank Steketee, The Framework Convention: A Piece of Art or a Tool for Action?, in: International Journal on Minority and Group Rights 8 (2001), S. 1–15. 786 Zum Stand der Ratifikationen siehe die Website des Europarats unter . 787 Zur Überwachung der Durchführung des Übereinkommens, siehe Klaus Hüfner u. a., Menschenrechtsverletzungen: Was kann ich dagegen tun?, 2. Aufl., 2004, S. 250 f. 788 Ebd., S. 249.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

nell in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen sowie der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit Anwendung.789 II. Schlussbemerkungen zum (gruppen)menschenrechtlichen Schutz der aufnehmenden Bevölkerung Staaten, die unter dem Deckmantel der Entwicklungsförderung eine bewusste Besiedlungspolitik mit dem Ziel betreiben, die aufnehmende Bevölkerungsgruppe zu zerstören, können auf den ersten Blick legitime Rechtfertigungsgründe für die Notwendigkeit einer Umsiedlung anbieten. Während die internationale Gemeinschaft traditionell davon abgesehen hat, diese Fälle näher zu untersuchen, weil sie dies als Eingriff in die staatliche Souveränität ansah, können Staaten heute nicht mehr ohne weiteres der Kontrolle der Völkerrechtsgemeinschaft entgehen. Der Rechtfertigungsdruck auf Staaten, die „Besiedlungspolitik“ betreiben und diese als Entwicklungsförderungsmaßnahmen verkaufen, ist vielmehr in dem Maße gewachsen, wie das Bewusstsein dafür gereift ist, dass eine Reihe internationaler Rechte die aufnehmende Bevölkerungsgruppe vor Ansiedlungen in ihr Siedlungsgebiet schützen, die zu bewusster „Verdrängung“ und „Unterwanderung“ führen. Vor einer „Verdrängung“ sind die ursprünglichen Siedler zunächst durch die Individualrechte geschützt, die als Abwehrrechte gegen den unfreiwilligen Verlust der Wohnung, des Grund und Bodens und des Wohnsitzes bzw. Siedlungsgebietes gerichtet sind, d.h. die Grundrechte, die in ihrem Schutzbereich ein menschenrechtliches Bleiberecht umfassen.790 Die Neuansiedlung einer Bevölkerungsgruppe in einem geschlossenen Siedlungsraum sind ferner am Maßstab kollektiver Menschenrechte zu messen. Die aufnehmende Bevölkerung muss nicht nur vor der Ansiedlung einer anderen Bevölkerungsgruppe in ihrem Siedlungsgebiet geschützt werden, wenn dies mit nachteiligen politischen Nebenabsichten verbunden ist. Auch eine Ansiedlung, die nicht als bevölkerungspolitische Maßnahme geplant ist, kann sich nachteilig auf die Bewohner des Neuansiedlungsgebiets auswirken. Der menschenrechtliche Schutz vor Ansiedlungen kommt ihnen in dem Maße zu, wie dies zur Wahrung ihrer und der öffentlichen Interessen notwendig ist. 789

Die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 11. Mai 1995, wer in der BRD als Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens anzusehen ist, ist abgedruckt in: Sartorius II. Internationale Verträge – Europarecht. Nr. 120 a. E. 790 Vgl. Meindersma, Legal Issues, S. 67: „Whether people are forcibly relocated within a country, or settlements of others on their lands is encouraged, [. . .] these practices violate a people’s basic right to remain.“

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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Drittes Kapitel

Die Sicherung des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch Partizipationsrechte Die Analyse des völkerrechtlichen Menschenrechts hat eine Reihe individueller und kollektiver Menschenrechte aufgezeigt, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Der normative Schutz dieser Rechte deckt sich nicht immer mit deren effektiven Gewährleistung. Für die Personen und Bevölkerungsgruppen, die von einer Zwangsumsiedlung betroffen sind, ist daher entscheidend, wie sich völkerrechtlich gewährleistete Menschenrechte, die vor unfreiwilligen Dislokationen schützen, effektiv sichern bzw. verwirklichen lassen. Neben Instrumenten und Verfahren, welche die Durchsetzung dieser Rechte garantieren sollen,791 spielen diesbezüglich grundrechtssichernde Garantien, wie Partizipations- und Verfahrensrechte, eine wichtige Rolle. Sie dienen der präventiven Sicherung und Verwirklichung von Menschenrechten in dem Sinne, dass sie Menschenrechtsverletzungen verhindern sollen. Hiervon zu unterscheiden sind international anerkannte Verfahrensgarantien, die dem repressiven Menschenrechtsschutz dienen, wie sie zum Beispiel in Art. 2 Abs. 3 IPBPR gewährleistet sind.792 Letztere sollen die Voraussetzung für die effektive Durchsetzung von Menschenrechten in den Fällen schaffen, in denen bereits eine Menschenrechtsverletzung eingetreten ist.

A. Die Bedeutung öffentlicher Beteiligung an Entwicklungsvorhaben für den Schutz und die Verwirklichung von Menschenrechten Es ist heute allgemein anerkannt, dass „öffentliche Beteiligung“ (popular participation) bzw. „Gemeindebeteiligung“ (community participation) mit 791

Die Menschenrechtsschutzverfahren universeller und regionaler Menschenrechtsabkommen und der UN werden unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, ausführlich analysiert. 792 Art. 2 Abs. 3 IPBPR lautet: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben; b) dafür Sorge zu tragen, daß jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen“.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

das wichtigste Mittel ist, um den effektiven (präventiven) Schutz von Menschenrechten zu sichern.793 Auch die besondere Bedeutung von Partizipation als „Kernelement“ der hier relevanten Entwicklungsprozesse ist unumstritten.794 Prominenter Beleg hierfür aus jüngerer Zeit ist die viel beachtete Studie der Weltkommission für Staudämme (WCD) über die Wirksamkeit von Großstaudämmen im Entwicklungsprozess, die der frühere südafrikanische Präsident Nelson Mandela im November 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt hat.795 In ihrem 404 Seiten umfassenden Bericht „Staudämme und Entwicklung – Ein neuer Rahmen zur Entscheidungsfindung“ ist die WCD unter anderem zu dem Ergebnis gekommen, dass Entscheidungsträger von Entwicklungsprojekten in der Vergangenheit häufig versäumt haben, die Rechte der betroffenen Personen, und zwar insbesondere auch derer, die entwicklungsbedingt umgesiedelt wurden, im Entscheidungsprozess angemessen zu berücksichtigen.796 Dies habe regelmäßig dazu geführt, dass die Entwicklungsvorhaben sozialunverträglich und wenig dauerhaft waren. Die WCD stellte aufgrund dieser Einsicht die folgende Forderung für zukünftige Entwicklungsprojekte auf: „To be socially legitimate and produce positive and lasting outcomes, development projects should provide for greater involvement of all interested parties. A fair, informed and transparent decision-making process, based on the acknowledgment and protection of existing rights and entitlements, will give all stakeholders the opportunity to fully and actively participate in the decision-making process.“797 793 Siehe z. B. den Bericht der Vereinten Nationen über die „Global Consultation on the Realization of the Right to Development“, die vom 8. bis 12. Januar 1990 in Genf stattgefunden hat: Global Consultation on the Right to Development as a Human Right. Report prepared by the Secretary-General pursuant to Commission on Human Rights resolution 1989/45, UN Doc. E/CN.4/1990/9/Rev. 1, 26. September 1990, insbes. Para. 65–66 und Para. 114. 794 Vgl. Andreas Auprich, Das Recht auf Entwicklung als kollektives Menschenrecht, 2000, S. 100 ff. Siehe auch Celia R. Taylor, The Right of Participation in Development Projects, in: Dickinson Journal of International Law 13 (1994), S. 69–102; James C. N. Paul, International Development Agencies, Human Rights and Humane Development Projects, in: Denver Journal of International Law & Policy 17 (1988), S. 67 (81) m. w. N.; David P. Forsythe, The United Nations, Human Rights, and Development, in: Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 334–349. 795 WCD-Report. – Die WCD hat als eine unabhängige, mit zwölf Fachleuten unterschiedlichster Herkunft besetzte Weltkommission gearbeitet. Zur Zusammensetzung und Entstehungsgeschichte siehe World Commission on Dams, Staudämme und Entwicklung: ein neuer Rahmen zur Entscheidungsfindung – Bericht der Weltkommission für Staudämme, Ein Überblick, November 16, 2000, abrufbar unter . – Zu dem Bericht selbst siehe z. B. Daniel D. Bradlow, The World Commission on Dams’ Contribution to the Broader Debate on Development Decision-Making, in: American University International Law Review 16 (2001), S. 1531–1572. 796 Siehe WCD-Report, Chapter 4. Vgl. hierzu auch Auprich, S. 270.

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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Die Weltkommission für Staudämme zählt „participatory decision-making“, d.h. eine Entscheidungsfindung unter Beteiligung aller Personen und Bevölkerungsgruppen, die von einem Entwicklungsprojekt betroffen sind, zu insgesamt fünf Grund-Werten (core values) eines sozialverträglichen Entwicklungsprozesses, der auf der Anerkennung und dem Schutz von Rechten und Ansprüchen (rights and entitlements) beruht.798 Partizipation soll nämlich gewährleisten, „dass die Nutznießer von Entwicklungsprojekten an allen Phasen der Planung, Durchführung und auch der Risikoverteilung selbstverantwortlich teilhaben, um das Projekt bestmöglich und im Einklang mit den Bedürfnissen der Betroffenen umzusetzen.“799 Sie ist folglich für die Verwirklichung von Menschenrechten, und zwar auch solchen, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind, wesentlich, da sie ihrerseits dem Schutz und der Garantie von Bedürfnissen und Prioritäten dient.800 Der amerikanische Entwicklungsvölkerrechtler Paul hat dies bereits Anfang der 1990er Jahre auf den Punkt gebracht: „The denial of full and effective rights of participation in project activities constitutes not only a violation of fundamental political rights central to our concepts of human rights, it leads directly to the violation of other basic rights. Protection of basic interests of project-affected people requires their informed, self-reliant participation: the varying social impacts and consequences of development interventions can never be determined a priori; adequate knowledge of these impacts and of all the steps necessary to prevent harms (or to provide full redress for them where they are determined to be acceptable) can only be generated through full disclosure, and open debate and review of project plans and actions proposed.“801 797

WCD-Report, S. 215 (Hervorh. d. Verf.). Vgl. ebd., S. 199. Für ihre Empfehlung hat die WCD Beifall geerntet; siehe z. B. den Bericht von Schmidt-Soltau über eine vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) organisierte Podiumsdiskussion in Johannesburg, Südafrika. Ziel der Veranstaltung war es, die Reaktionen auf den Bericht der WCD einer ersten Revision zu unterziehen. Kai Schmidt-Soltau, Resettlement at the World Summit on Sustainable Development, 31. August 2002, auf der Website des Verfassers abrufbar unter . – Neuland hat die WCD mit ihrer Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Öffentlichkeit an entwicklungsbezogenen Entscheidungsprozessen allerdings nicht betreten. „Partizipation“, so Nuscheler in seinem Beitrag über das „Recht auf Entwicklung“, „gehörte auch schon zur Lyrik der Grundbedürfnisstrategie und bildet wieder eine Schlüsselkategorie in dem vom Human Development Report propagierten Konzept von human development.“ Franz Nuscheler, Recht auf Entwicklung – Involution zum „Recht auf alles“?, in: Klaus Dicke u. a. (Hrsg.), Menschenrechte und Entwicklung, 1997, S. 77 (87). 799 Auprich, S. 270 m. w. N. Vgl. auch Sabine Schlemmer-Schulte, The World Bank and Human Rights, in: Austrian Review of International & European Law 4 (1999), S. 230 (244). 800 Vgl. Taylor, S. 69; Schlemmer-Schulte, ebd. 801 James C. N. Paul, The Human Right to Development: Its Meaning and Importance, in: Third World Legal Studies 1992, S. 17 (30). Siehe auch Taylor, ebd., 798

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Paul ist zu dem Schluss gekommen, dass Partizipation als Kernelement des Entwicklungsprozesses eine menschenrechtliche Vorstellung von Beteiligung ist, die „much more ‚tough‘ and explicit“ sei, als „the ‚soft‘ notion often propounded by development ‚experts‘ who discuss participation as if it was some sort of discretionary policy to be determined by those who control projects.“802 Das wirft die Frage auf, wie die auf breiter Front eingeforderte „Partizipation in Entwicklungsprozessen“ rechtlich zu qualifizieren ist. Stellt die von der WCD als „core value“ beschriebene „vitale Komponente jeder Entwicklungsstrategie“803 juristisch betrachtet bereits mehr als einen irgendwie im Entwicklungsverfahren zu beachtenden Wert dar? Findet sich für das Konzept der Mitgestaltung aller Betroffenen bei der Planung und Durchführung eines Entwicklungsprojekts auch eine Grundlage im Völkermenschenrecht?

B. Die völkerrechtliche Grundlage entwicklungsbezogener Partizipationsrechte „The right to participation is a well-known concept in international human rights law and has been identified as a cornerstone in the implementation of the right to development.“804

I. Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 und regionale Menschenrechtskonventionen als Rechtsgrundlage für entwicklungsbezogene Partizipationsrechte Als Rechtsgrundlage für ein „Recht auf Partizipation am Entwicklungsprozess“ kommen neben den bereits genannten besonderen Schutzrechten für indigene und in Stämmen lebende Völker805 und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker806 eine Reihe weiterer völkervertraglich gewährleisS. 69–102; Sigrun I. Skogly, The Position of the World Bank and the International Monetary Fund in the Human Rights Field, in: Raija Hanski/Markku Suksi (Hrsg.), An Introduction to the International Protection of Human Rights, 1999, S. 231 (239) m. w. N. 802 James C. N. Paul, Law and Development into the ’90s: Using International Law to Impose Accountability to People on International Development Actors, in: Third World Legal Studies 1992, S. 1 (7). 803 Vgl. Auprich, S. 104. 804 Anne-Christine Bloch, Minorities and Indigenous Peoples, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 309 (316). 805 Siehe oben, unter Erster Teil, Zweites Kapitel. 806 Art. 1 Abs. 1 der Menschenrechtspakte von 1966. Siehe hierzu bereits oben, unter Erster Teil, Zweites Kapitel, D.

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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teter allgemeiner Menschenrechte in Betracht.807 Hierzu zählen insbesondere die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit,808 die Meinungsfreiheit,809 die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit,810 das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen,811 und das Recht auf freie Ausübung der Kultur812. Die Normen, die diese Grundrechte schützen, garantieren entweder ausdrücklich oder implizit, als Begleitrechte sozusagen, ein Recht auf Mitwirkung von Personen und Bevölkerungsgruppen813 an Entscheidungsprozessen in der Gemeinschaft sowie auf Teilhabe am kulturellen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben. Insbesondere hinsichtlich des „Rechts auf Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten“, das in Art. 25 a) IPBPR, Art. 23 Abs. 1 lit. 1 AMRK und Art. 13 Abs. 1 Banjul-Charta normiert ist, kann man argumentieren, dass dessen Gewährleistungsbereich – der besonderen Bedeutung von „Partizipation“ für die präventive Sicherung von Menschenrechten entsprechend – großzügig zu bestimmen ist. Art. 25 a) IPBPR garantiert danach nicht nur die Teilhabe an nationaler, regionaler und lokaler Verwaltung, sondern erstreckt sich auch auf halb-öffentliche und halb-private Einrichtungen, weitergehend noch auf alle Entscheidungsprozesse von öffentlichem Interesse im Allgemeinen.814 Nach dieser weiten Auslegung von Art. 25 a) IPBPR, Art. 23 Abs. 1 lit. 1 AMRK 807

Vgl. Paul, International Development Agencies, S. 81. Art. 18 IPBPR; Art. 9 EMRK; Art. 12 u. 13 AMRK; Art. 8 Banjul-Charta; siehe auch Art. 18 AEMR. 809 Art. 19 IPBPR; Art. 10 EMRK; Art. 13 AMRK; Art. 9 Abs. 2 Banjul-Charta; siehe auch Art. 19 AEMR. 810 Art. 21 und 22 IPBPR; Art. 8 IPWKSR; Art. 11 EMRK; Art. 15 u. 16 AMRK; Art. 11 u. 11 Banjul-Charta; siehe auch Art. 20 AEMR. 811 Art. 25 a) IPBPR; Art. 23 AMRK; Art. 13 Banjul-Charta; siehe auch Art. 21 AEMR. – Zum „Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen“, als normative Grundlage für entwicklungsbezogene Partizipationsrechte siehe Skogly, Position of the World Bank, S. 239. 812 Art. 27 IPBPR; Art. 17 Abs. 2 Banjul-Charta; siehe auch Art. 27 AEMR. – Zum „Recht auf freie Ausübung der Kultur“ als Schutzrecht, das gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist, siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 2. – Paul zählt zu den Rechtsgrundlagen von Partizipationsrechten ferner das Recht, Bildungseinrichtungen zu schaffen (Art. 13 Abs. 4 IPWSKR); siehe Paul, International Development Agencies, S. 81. Für die normative Begründung eines entwicklungsbezogenen Partizipationsrechts spielt Art. 13 Abs. 4 IPWSKR aber eine lediglich untergeordnete Rolle. 813 Das Partizipationsrecht ist gleichzeitig Individual- und Kollektivrecht; vgl. Bloch, S. 316. 814 Vgl. – auch bez. des nahezu wortgleichen Art. 21 AEMR – Skogly, Position of the World Bank, S. 239. 808

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

und Art. 13 Abs. 1 Banjul-Charta ist vom „Recht auf Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten“ auch ein Recht umfasst, die Planung und Durchführung entwicklungsfördernder Maßnahmen mitzugestalten.815 Ausdrücklich gewährleistet indes keines der genannten Grundrechte, so sie in den Menschenrechtsabkommen festgeschrieben sind, ein „Recht auf Teilnahme am Entwicklungsgeschehen“. II. Das „Recht auf Entwicklung“ als Rechtsgrundlage eines „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ Ein spezielles entwicklungsbezogenes Partizipationsrecht ist aber, wie im Abschnitt über das Selbstbestimmungsrecht der Völker bereits erwähnt816, in der Erklärung der UNO-Vollversammlung über das „Recht auf Entwicklung“ von 1986817 mehrfach als Bestandteil des gleichnamigen Rechts (right to development) festgeschrieben. Schon die Präambel dieser Erklärung betont, dass Entwicklung als umfassender Prozess zu verstehen ist, der „auf der Basis der aktiven, freien und bedeutungsvollen Beteiligung“ der gesamten Bevölkerung und aller Personen gründet.818 Art. 2 Abs. 1 bekräftigt diese Forderung. Der Mensch wird danach zum zentralen Subjekt von Entwicklung erklärt, das aktiver Teilnehmer und Nutznießer des „Rechts auf Entwicklung“ sein müsse.819 Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 3 enthalten weitere Gewährleistungen hinsichtlich entwicklungsbezogener Partizipationsrechte. Schließlich fordert Art. 8 Abs. 2 die Staaten auf, die Beteiligung aller Menschen in allen Bereichen des Entwicklungsprozesses zu fördern und zu unterstützen.820 Angesichts der Bedeutung, welche die „Erklärung über das Recht auf Entwicklung“ der Partizipation als vitaler Komponente eines jeden Entwicklungsgeschehens beimisst, verwundert es kaum, dass das „Recht auf bedeutungsvolle Partizipation in allen Phasen entwicklungsbezogener Entscheidungsprozesse“ im 815

So im Ergebnis auch Taylor, S. 99. Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. 817 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. a). 818 Präambel, Para. 2: „Recognizing that development is a comprehensive economic, social, cultural and political process, which aims at the constant improvement of the well-being of the entire population and of all individuals on the basis of their active, free and meaningful participation in development and in the fair distribution of benefits resulting therefrom.“ (Hervorh. d. Verf.). 819 Art. 2 Abs. 1: „The human person is the central subject of development and should be the active participant and beneficiary of the right to development.“ Siehe auch schon Präambel, Para. 13: „Recognizing that the human person is the central subject of the development process and that development policy should therefore make the human being the main participant and beneficiary of development.“ 820 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, D. II. 3. a). 816

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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Schrifttum als das „normative Kernstück“ des „Rechts auf Entwicklung“ angesehen wird.821 1. Die völkerrechtliche Anerkennung des „Rechts auf Entwicklung“ Als normative Grundlage eines Menschenrechts auf entwicklungsbezogene Partizipation kommt das „Recht auf Entwicklung“ nur in Betracht, wenn es als Rechtssatz des Völkerrechts anerkannt ist. Mit der klassischen Rechtsquellenlehre des Völkerrechts lässt sich aber nicht überzeugend nachweisen, dass das „Recht auf Entwicklung“ bereits auf universeller Ebene normativ geschützt ist. Das „right to development“ ist völkervertraglich einzig in Art. 22 Banjul-Charta ausdrücklich festgeschrieben: Nach Art. 22 Abs. 1 haben alle Völker „ein Recht auf eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung unter angemessener Berücksichtigung ihrer Freiheit und Identität sowie auf gleichmäßige Beteiligung an dem gemeinsamen Erbe der Menschheit.“ Art. 22 Abs. 2 normiert, dass die Staaten „einzeln oder gemeinsam, verpflichtet [sind], die Ausübung des Rechts auf Entwicklung sicherzustellen“.822 Die Banjul-Charta gilt jedoch nur partikulär. Für (Industrie)länder außerhalb des afrikanischen Kontinents, die nicht Vertragsparteien sind, kann sie keine Rechtspflichten erzeugen. In der Vergangenheit waren es aber gerade Industriestaaten, die sich gegen die Anerkennung eines „Rechts auf Entwicklung“ als verbindliche Völkerrechtsnorm ausgesprochen haben. Sie befürchten, dass Entwicklungsländer unter Berufung auf das „Recht auf Entwicklung“ Ansprüche darauf geltend machen, dass die Industriestaaten ihnen Ressourcen zur Verfügung stellen.823 Auch die „Erklärung über das Recht auf Entwicklung“ der UN-Vollversammlung kann für die Mitglieder der Vereinten Nationen keine Rechtspflicht zur Achtung des „Entwicklungsrechts“ und damit zur Gewährleistung entwicklungsbezogener Partizipationsrechte begründen. Die Vollversammlung hat die Erklärung zwar mit großer Mehrheit angenommen – 133 Ja-Stimmen, 11 Nein-Stimmen, darunter die vier G-8-Staaten Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA, bei zwölf Enthaltungen überwiegend westlicher Staaten.824 Rechtlich verbindlich ist 821

So Nuscheler, S. 87. Auch die Präambel der Banjul-Charta, hebt in Uabs. 8 die Bedeutung des „Rechts auf Entwicklung“ hervor. 823 Vgl. Allan Rosas, The Right to Development, in: Asbjørn Eide u. a. (Hrsg.), Economic, Social and Cultural Rights, 1995, S. 247 (248) m. w. N. 824 Vgl. Eibe Riedel, Die Menschenrechte der dritten Generation als Strategie zur Verwirklichugn der politischen und sozialen Menschenrechte, in: Adolfo Perez 822

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

die Erklärung als solche aber nicht.825 Sie kann allenfalls Völkergewohnheitsrecht reflektieren oder eine Rechtsüberzeugung (opinio iuris) dokumentieren, die Voraussetzung für die Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Völkerrechtsnorm ist. Ein völkergewohnheitsrechtlicher Rechtssatz des Inhalts „Recht auf Entwicklung“ hat sich aber trotz einer zunehmenden „normativen Verdichtung“ seit der Verabschiedung der gleichnamigen Erklärung, jedenfalls in der Gesamtheit, wie dieses Recht in der UN-Erklärung festgeschrieben ist, noch nicht herausgebildet.826 Aus völkerrechtlicher Sicht stellt das „Recht auf Entwicklung“ zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich einen „Menschenrechtsstandard“ im Sinne der von Riedel verwendeten Terminologie dar.827 Der Begriff „Menschenrechtsstandard“ erfasst danach „die Entwicklung eines im Völkerrecht Gestalt annehmenden Maßstabes für das Verhalten der Staaten, etwa im Sinne der formalrechtlich unverbindlichen AEMR von 1948, die von der Vollversammlung als ‚common standard of achievement‘ qualifiziert wurde.“828 Menschenrechtsstandards in dem so verstandenen Sinne können „bei offenen Normen als Generalklauseln [. . .] zur inhaltlichen Konkretisierung herangezogen werden, als an sich unverbindliche Richtschnur für Richter oder sonstige Rechtsanwender, aber auch für den Gesetzgeber, bei der Ausfüllung, Auslegung und Sinnermittlung unbezweifelt geltender, offener Normen.“829 Hieraus folgt die Bedeutung des „Rechts auf Entwicklung“, wie es in der Erklärung von 1986 beschrieben ist, für die Herleitung entwicklungsbezogener Partizipationsrechte aus den vorgenannten normativ geschützten Teilnahmerechten. Sie sind im Lichte der „Erklärung über das Recht auf Entwicklung“ dahingehend auszulegen, dass sie – je nach den Umständen des Einzelfalles – ein Menschenrecht auf Beteiligung an allen Phasen der Planung und Durchführung von Entwicklungsprojekten begründen. Das Verdienst des „Rechts auf Entwicklung“ ist es also, dass es bereits anerkannte Menschenrechte wie die allgemeinen Partizipationsrechte auf ein Esquivel (Hrsg.), Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht, 1989, S. 49 (61). – Zu den Entwicklungen, die zur Verabschiedung der Erklärung über das „Recht auf Entwicklung“ geführt haben, siehe Juan Alvarez Vita, Derecho al Desarrollo, 1988, S. 41–64. 825 Zur Bindungswirkung von Erklärungen der GA siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b) bb). 826 Vgl. Rosas, Right to Development, S. 249 ff. 827 Eibe H. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards: Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen, 1986. 828 Ebd., S. 258. 829 Ders., Menschenrechte der dritten Generation, S. 66.

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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bedeutsames Gebiet internationaler Aktivitäten, den Entwicklungsbereich, anwendet.830 2. Das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ als eigenständiger Rechtssatz des menschenrechtlichen Völkergewohnheitsrechts Aus dem Befund, dass das „Recht auf Entwicklung“ in der Gesamtheit, wie es in der UN-Erklärung festgeschrieben ist, den Status eines anerkannten Völker-Rechts noch nicht besitzt, folgt nicht zwangsläufig, dass dies auch für dessen Teilkomponente, das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“, gilt. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob es heute einen Rechtssatz des menschenrechtlichen Völkergewohnheitsrechts mit dem Inhalt gibt, dass jeder Mensch, der von einem Entwicklungsprojekt betroffen ist, ein Recht darauf hat, an dem Entwicklungsgeschehen beteiligt zu werden. Taylor kam 1994 in einem Aufsatz über das Recht auf Partizipation in Entwicklungsprojekten zu dem Schluss, dass die Anerkennung von „Partizipation in Entwicklungsprozessen“ als Recht zwar durch eine Kombination aus ständiger Praxis und der Verkündung dieses Konzepts gefördert wurde, diesbezüglich aber nach wie vor die erforderliche Beständigkeit und Entschiedenheit fehle, die notwendig sei, um die Kontroverse über die Einordnung von entwicklungsbezogener Partizipation als normatives Recht zu beenden.831 Seit dieser Einschätzung ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen, in dem das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ maßgeblich weiterentwickelt wurde. Es erfüllt heute alle Voraussetzungen, von denen die Anerkennung eines Anspruchs als Menschenrecht einerseits und eines Rechtssatzes als Norm des Völkergewohnheitsrechts andererseits abhängt.832 a) Die Einordnung des „Rechts auf Entwicklung“ als unveräußerliches Menschenrecht Zur Charakterisierung des Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation als „Menschenrecht“ ist zunächst anzumerken, dass die lange umstrittene Frage, ob das „Recht auf Entwicklung“ als Menschenrecht anzusehen ist, jedenfalls für die Vereinten Nationen und ihre Gremien und Sonderberichterstatter spätestens seit der Verabschiedung des Abschlussdokuments der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz geklärt ist.833 Die Delegierten haben 830

Vgl. Paul, Right to Development, S. 18. Taylor, S. 97. 832 Siehe hierzu im Einzelnen oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. II. 1. 833 Vgl. die Studie des unabhängigen UN-Experten Arjun K. Sengupta über den gegenwärtigen Stand der Umsetzung des „Rechts auf Entwicklung“ aus dem Jahre 831

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

sich in der „Vienna Declaration and Programme of Action“ vom 25. Juni 1993 darauf geeinigt, dass das „Recht auf Entwicklung“ als „universelles, unveräußerliches Recht“ und „integraler Bestandteil fundamentaler Menschenrechte“ zu qualifizieren ist.834 Was aber auf das „Mutterrecht“ – das „Recht auf Entwicklung“ – in seiner Gesamtheit zutrifft, muss erst Recht für dessen Einzelgewährleistungen gelten. Das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ ist folglich ebenfalls der Kategorie der universellen, unveräußerlichen Menschenrechte zuzuordnen.

1999: Study on the current state of progress in the implementation of the right to development submitted by Mr. Arjun K. Sengupta, independent expert, pursuant to Commission resolution 1998/72 and General Assembly resolution 53/155, UN Doc. E/CN.4/1999/WG.18/2, 27. Juli 1999, Para. 17. 834 Vienna Declaration and Programme of Action vom 25. Juni 1993, Abschn. I., Punkt 10., Abs. 1: „The World Conference on Human Rights reaffirms the right to development, as established in the Declaration on the Right to Development, as a universal and inalienable right and an integral part of fundamental human rights.“ Vienna Declaration and Programme of Action, UN Doc. A/CONF.157/23, 12. Juli 1993, S. 5. Zum „Recht auf Entwicklung“ siehe auch schon oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. a). In Folge der Erklärung über das „Recht auf Entwicklung“ vom 4. Dezember 1986, wurde das gleichnamige Recht zunächst in der Rio-Deklaration von 1992, sowie sodann im Abschlussdokument der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz als das erklärt, was es auch heute noch – nach allgemeiner Ansicht – ist: „ein universelles und unveräußerliches Recht und integraler Bestandteil der grundlegenden Menschenrechte“. – Die UN-Menschenrechtskommission und die UN-Vollversammlung haben die Auffassung, wonach das „Recht auf Entwicklung“ ein universelles und unveräußerliches Menschenrecht ist, in verschiedenen Resolutionen bestätigt; siehe z. B. Commission on Human Rights Resolution 1998/72: „The right to development“, 22. April 1998, Präambel, Uabs. 3, abgedruckt in: UN ESCOR 1998, Suppl. No. 3 (E/1998/23, E/CN.4/1998/177), S. 229–234 (229); General Assembly Resolution 49/183: „Right to development“, 23. Dezember 1994, Präambel Uabs. 10, abgedruckt in: UN GAOR 49th Sess., Suppl. No. 49 (A/49/49) Vol. I, S. 200–202; General Assembly Resolution 50/184: „Right to development“, 22. Dezember 1995, Präambel, Uabs. 9, abgedruckt in: UN GAOR 50th Sess., Suppl. No. 49 (A/50/49), S. 246–247; General Assembly Resolution 51/99: „Right to development“, 12. Dezember 1996, Präambel, Uabs. 11, abgedruckt in: UN GAOR 51st Sess., Suppl. No. 49 (A/51/49), Vol. I, S. 244–246; sowie aus jüngerer Zeit General Assembly Resolution 54/175: „The right to development“, 17. Dezember 1999, Präambel, Uabs. 4, abgedruckt in: UN GAOR 54th Sess., Suppl. No. 49 (A/54/49), Vol. I, S. 313–315; General Assembly Resolution 55/108: „The right to development“, 4. Dezember 2000, Präambel, Uabs. 3, abgedruckt in: UN GAOR 55th Sess., Suppl. No. 49 (A/55/49), Vol. I, S. 405–407; General Assembly Resolution 56/150: „The right to development“, 19. Dezember 2001, Präambel, Uabs. 3, abgedruckt in: UN GAOR 56th Sess., Suppl. No. 49 (A/56/49), Vol. I, S. 338–341; General Assembly Resolution 58/172: „The right to development“, 22. Dezember 2003, Präambel, Uabs. 5, abgedruckt in: UN GAOR 58th Sess., Suppl. No. 49 (A/58/49), Vol. I, S. 406–409.

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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b) Die Qualifizierung des Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation als juristisches Menschenrecht und Rechtssatz des Völkergewohnheitsrecht Dieses Ergebnis hält auch einer näheren Überprüfung anhand der Kriterien stand, die ein „Anspruch“ bzw. „(An)Recht“ erfüllen muss, um als juristisches Menschenrecht im Sinne des Völkerrechts zu qualifizieren.835 Ramcharan zufolge sind Menschenrechte juristische Rechte, wenn sie eine oder mehrere der folgenden qualitativen Eigenschaften besitzen: – appurtenance to the human person or group, – universality, – essentiality to human life, security, survival, dignity, liberty, equality, – essentiality for international order, – essentiality in the conscience of mankind, – essentiality for the protection of vulnerable groups.836 An der Qualifizierung des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ als Menschenrecht bestehen danach angesichts dessen, was zuvor zur Bedeutung von „Partizipation“ für die Verwirklichung anderer Menschenrechte gesagt wurde, keine Bedenken. Es erfüllt darüber hinaus auch die Anforderungen, die das Völkerrecht an die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht stellt. Dies lässt sich mit verschiedenen bilateralen, regionalen und internationalen Abkommen sowie der Rechtspraxis internationaler Entwicklungsorganisationen und einzelner Staaten hinsichtlich der Förderung ausländischer Entwicklungsvorhaben belegen. Beispielhaft hierfür seien die „African Charter for Popular Participation in Development and Transformation“ aus dem Jahre 1990837 sowie die Schutzvorschriften und Handbücher multilateraler Entwicklungshilfefinanzorganisationen genannt, die die Beteiligung projektbetroffener Personen und Bevölkerungsgruppen zur Voraussetzung einer Entwicklungsförderung ma835 Als Reaktion auf die zunehmende Proklamation von Menschenrechten in den vergangenen Jahrzehnten weltweit haben Wissenschaftler – insbesondere Anfang der 1980er Jahre – verschiedene Kriterien für die Einordnung eines „Anspruchs“ als Menschenrecht aufgestellt; siehe z. B. Philip Alston, Conjuring Up New Human Rights: A Proposal for Quality Control, in: The American Journal of International Law 78 (1984), S. 607 ff. (insbes. 615); Bertrand G. Ramcharan, The Concept of Human Rights in Contemporary International Law, in: Canadian Human Rights Yearbook 1983, S. 267 (280); Skogly, Human Rights Obligations, 2001, S. 45 ff. 836 Ramcharan, ebd., S. 280. 837 African Charter for Popular Participation in Development and Transformation (Arusha 1990), 16. Februar 1990, UN Doc. A/45/427, 22. August 1990, Appendix II, S. 5–19.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

chen.838 Auch sie spiegeln eine bedeutende Rechtsansicht im Sinne einer opinio iuris wider, die Voraussetzung für die Entstehung eines Rechtssatzes des Völkergewohnheitsrechts ist. Insofern ist schließlich auch bedeutsam, dass verschiedene, insbesondere afrikanische Länder die Empfehlungen der Weltkommission für Staudämme bezüglich entwicklungsbezogener Partizipation bereits in eine nationale Politik öffentlicher Beteiligung bzw. entsprechende Gesetze umgesetzt haben.839

C. Der Gewährleistungsinhalt des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ Wie bereits erörtert, ist es eine wesentliche Funktion von Partizipationsrechten, die Verwirklichung und den Schutz anderer Menschenrechte zu sichern.840 Die Aufgabe des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ ist dementsprechend auch darin zu sehen, internationale Menschenrechte zu verwirklichen, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Diese Aufgabe kann das „Recht auf Partizipation im Entwicklungsprozess“ aber nur erfüllen, wenn sein materieller Gehalt und die Reichweite dieses Rechts feststehen. Es ist daher zu klären, welche Einzelgewährleistungen das „Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation“ in seinem Schutzbereich umfasst und wie diese umzusetzen sind. In den vergangenen Jahren haben Schrifttum und Praxis verschiedene Teilkomponenten eines entwicklungsbezogenen Partizipationsrechts herausgearbeitet, die für den effektiven Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen unmittelbar bedeutsam sind. Danach steht fest, dass eine Zwangsumsiedlung nicht schon deshalb gerechtfertigt und damit rechtmäßig ist, weil die betroffenen Personen auf irgendeine beliebige Art und Weise in die Projektplanung und -durchführung einbezogen wurden. Deren Beteiligung und Mitgestaltung muss nach heute einhelliger Meinung vielmehr „aktiv, frei und bedeutungsvoll“ (active, free and meaningful) sein.841 Zu untersuchen ist deshalb, was das konkret heißt.

838

Siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. III. 2. Vgl. Schmidt-Soltau. 840 Vgl. bez. entwicklungsbezogener Partizipationsrechte Paul, International Development Agencies, S. 90. 841 Siehe z. B. Comprehensive Human Rights Guidelines, Präambel, Uabs. 5; WCD-Report, z. B. S. 215 ff. 839

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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I. Konsultations- und Informationsrechte: the right to prior, timely and informed consultation „Protection of the basic interests of project-affected people requires their informed, self-reliant participation.“842

Wesentlicher Bestandteil eines entwicklungsbezogenen Partizipationsrechts ist zunächst das Recht auf Konsultierung mit den projektbetroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen. Beratende Gespräche sind mit den Betroffenen vor und während der Planung und Durchführung eines Entwicklungsprojekts durchzuführen. Das Teil-„Recht auf Beratung“ erfordert ferner in qualitativer Hinsicht, dass die Beteiligten umfassend und angemessen über Ausmaß und mögliche Folgen des geplanten Projekts informiert werden. So verstanden gewährt das „Recht auf Partizipation“ unter anderem ein „Recht auf informierte Konsultierung“, wobei die Informationen rechtzeitig vor dem beratenden Gespräch bereitzustellen sind.843 Für die Beantwortung der Frage, welchen Anforderungen Konsultierungen im Falle einer geplanten entwicklungsbedingten Umsiedlung genügen müssen, sind die „Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-based Displacement“ aus dem Jahre 1997 aufschlussreich. Bei der Entscheidung darüber, ob eine Umsiedlung mit den Guidelines vereinbar ist, haben Staaten unter anderem sicherzustellen, dass die Beratung folgende Kriterien erfüllt: „Sufficient information shall be provided to affected persons, groups and communities concerning all State projects as well as to the planning and implementation processes relating to the resettlement concerned, including information concerning the purpose to which the eviction dwelling or site is to be put and the persons, groups or communities who will benefit from the evicted site. Particular attention must be given to ensure that indigenous peoples, ethnic minorities, the landless, women and children are represented and included in this process.“844

Die Bedeutung solcher Beratungen für den Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen hat das Projekt über Binnenvertreibungen der Brookings Institution in dem Handbuch über die Anwendung der Guiding Principles anschaulich beschrieben: „One of the best ways to protect people from arbitrary displacement is to involve them in the decisions about their future. Sometimes, consulations with the populations to be displaced will identify some possible alternatives to displacement. The 842

Paul, Right to Development, S. 29–30. Vgl. Paul, International Development Agencies, S. 81. Zur „informierten Partizipation“ siehe auch die Empfehlungen der World Commission on Dams, WCDReport, z. B. S. 215 ff. 844 Comprehensive Human Rights Guidelines, Section Five: Legal Remedies, Resettlements, Para. 28 (f). 843

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

local population is often better informed about the options than the national authorities. Other times, consulations will make clear that there are no alternatives. Often, people will move voluntarily if they understand the reasons that the movement is necessary and feel they have taken part in the decision.“845

Beratungen können danach auf verschiedene Weise eine Schutzwirkung gegenüber unfreiwilligen Umsiedlungen entfalten: Konsultierungen bieten den betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen zunächst die Möglichkeit, im Gespräch mit den planenden Akteuren zu erläutern, welche Risiken die geplante Umsiedlung für sie birgt, und ihre diesbezüglichen Rechte und Ansprüche geltend zu machen. Darüber hinaus können im Rahmen von Beratungsgesprächen Alternativen zu erzwungenen Dislokationen diskutiert bzw. ausfindig gemacht und unfreiwillige Umsiedlungen dadurch verhindert werden. Personen und Bevölkerungsgruppen, die in den Planungsprozess miteinbezogen und über hinreichende Informationen bezüglich der Konditionen einer Umsiedlung, insbesondere der Bedingungen am Wiederansiedlungsort, verfügen, sind nämlich häufig bereit, freiwillig umzusiedeln. Mit der Durchführung von Beratungen kommen die Verantwortlichen von Entwicklungsprozessen ihrer Pflicht zur Erforschung möglicher Projektalternativen nach, die mit dem Recht der Betroffenen auf relevante Information und Konsultierung korrespondiert. Entsprechend schreiben die Menschenrechtsrichtlinien über entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen vor: „States should fully explore all possible alternatives to any act involving forced eviction. In this regard, all affected persons, including women, children and indigenous peoples shall have the right to all relevant information and the right to full participation and consultation throughout the entire process and to propose any alternatives.“846

II. Das Zustimmungsgebot: the requirement of prior, free, and informed consent „Consent as a basis for relocation is more relevant to situations of settlement within States on account of development projects such as hydro-electric dams.“847

Wesentlicher Bestandteil des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ ist ferner das „Zustimmungsgebot“. Für entwicklungsbedingte Umsiedlungen folgt daraus, dass diese nur mit der vorherigen, freien und infor845

The Brookings Institution, Handbook, S. 18. Comprehensive Human Rights Guidelines, Section Three: Preventative Obligations, The Obligation to Explore All Possible Alternatives, Para. 16. 847 Progress Report, Para. 29. 846

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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mierten Zustimmung der betroffenen Personen erfolgen dürfen (sog. prior, free, and informed consent requirement).848 Die Beachtung des „Zustimmungsgebots“ zählt auch nach Ansicht von UN-Sonderberichterstatter Al-Khasawneh zu den Voraussetzungen einer nach menschenrechtlichen Maßstäben zulässigen entwicklungsbedingten Umsiedlung. So hat Al-Khasawneh in seinem Zwischenbericht über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers ausdrücklich erklärt, dass Umsiedlungen im Kontext von Entwicklungsprojekten strikt von der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung abhängig zu machen sind.849 Der Sonderberichterstatter hat zwar das Zustimmungsgebot nicht explizit zu den Komponenten eines entwicklungsbezogenen Partizipationsrechts gezählt. Seine Ausführungen zum erforderlichen Einverständnis der Betroffenen als Voraussetzung für Umsiedlungen lassen aber darauf schließen, dass dieses als Gewährleistung eines Menschenrechts auf entwicklungsbezogene Partizipation angesehen werden kann. Dies folgt insbesondere aus den Feststellungen Al-Khasawneh zur Frage, wie eine „freie Zustimmung“ sicherzustellen ist: „The important thing is to develop sufficient monitoring mechanisms to ensure that consent is freely given by means of verified agreement between a Government and an affected population.“850

Eine echte Übereinkunft ohne vorherige Konsultationen ist aber kaum denkbar. Das Zustimmungsgebot ist daher als Komponente des Partizipationsrechts zu betrachten. Dieses Ergebnis wirft die weitere Frage auf, welchen Inhalt das „Zustimmungsgebot“ als Bestandteil des „Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation“ hat. Denkbar wäre einerseits, es als Gewährleistung eines Vetorechts der Personen anzusehen, die von einer Umsiedlung betroffen sind. Möglich wäre aber auch, das „Zustimmungsgebot“ im Sinne einer verfahrensrechtlichen Garantie aufzufassen. Für diese Lesart hat sich die WCD in ihren Empfehlungen entschieden. Das Gebot des „free, prior and informed consent“ ist danach als das Recht bzw. die Befugnis indigener und in Stämmen lebender Völker zu verstehen, einem Projekt zuzustimmen und die Bedingungen, zu denen dieses durchgeführt wird, auszuhandeln.851 Es ist also als ein „Recht auf Verhandlungen“ anzusehen, die nachweislich dazu führen müssen, dass die Betroffenen dem geplanten Projekt zustimmen. Die Zustimmung ist – entsprechend der von 848 Zum Zustimmungsgebot als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. a). 849 Progress Report, a. a. O., Para. 64. 850 Ebd., Para. 29. 851 WCD-Report, S. 219.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Al-Khasawneh aufgestellten Forderung – durch ein verbindliches formelles Abkommen zwischen den betroffenen Parteien zu dokumentieren: „Negotiations should result in demonstrable public acceptance of binding formal agreements among the interested parties with clear, implementable institutional arrangements for monitoring compliance and redressing grievances.“852

Sollte trotz umfassender Beratungen, die den oben beschriebenen Anforderungen entsprechen, keine Einigung über mögliche Alternativen zu einer unfreiwilligen Umsiedlung erzielt werden, schlagen die Menschenrechtsrichtlinien über entwicklungsbedingte Umsiedlungen die Einberufung eines unabhängigen Gremiums, wie zum Beispiel eines Gerichts, eines Tribunals oder eines Ombudsmannes vor.853 Das so verstandene Zustimmungsgebot ist also nicht mit einem schlichten Vetorecht im Sinne eines bedingungslosen Abwehrrechts gleichzusetzen. Es verlangt vielmehr, dass Entscheidungsprozesse im Bezug auf Entwicklungsprojekte, mit denen Umsiedlungen einhergehen, auf der bereitwilligen Teilnahme aller am Entwicklungsprozess beteiligten Parteien durch ständige Verhandlungen nach Treu und Glauben beruhen und sich von der freien, vorangehenden und informierten Zustimmung leiten lassen.854 Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit nach erfolgten Konsultationen von einer „freiwilligen“ Umsiedlung gesprochen werden kann, hat das Inspection Panel der Weltbank herausgearbeitet.855 Ob das entwicklungsbezogene Partizipationsrecht darüber hinaus ein Vetorecht im Sinne eines Rechts enthält, ein geplantes Projekt abzulehnen, ist aber nach wie vor umstritten.856 Selbst unter denjenigen, die das Zustimmungsgebot als Vetorecht verstehen, ist nach wie vor die Frage ungeklärt, ob das Erfordernis des „prior, free and informed consent“ im Sinne einer 100%igen oder einer Zustimmung der Mehrheit (z. B. 51% der Betroffenen) zu deuten ist.857 Weiter stellt sich die Frage, in welchem Verfahren die Zustimmung der betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen zu ermitteln ist. Ist darüber in einer demokratischen Mehrheitsabstimmung oder nach den speziellen 852

WCD-Report, S. 217. Comprehensive Human Rights Guidelines, Section Three: Preventative Obligations, The Obligation to Explore All Possible Alternatives, Para. 16. 854 WCD-Report, S. 217. – Zum „option assessment“ als möglichem Mittel, die Zustimmung der Betroffenen zu erreichen, siehe Schmidt-Soltau; Fergus MacKay, Universal Rights Or A Universe Unto Itself? Indigenous Peoples’ Human Rights and the World Bank’s Draft Operational Policy 4.10 on Indigenous Peoples, in: American University International Law Review 17 (2002), S. 527 (606). 855 Siehe hierzu unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. V. 2. d) cc) (2). 856 Vgl. Schmidt-Soltau. 857 Vgl. ebd. 853

3. Kap.: Menschenrechtsschutz durch Partizipationsrechte

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Entscheidungsfindungsverfahren des betroffenen Volkes zu entscheiden? Ferner ist zu berücksichtigen, dass von einer Umsiedlung nicht nur die Umzusiedelnden selbst, sondern auch die aufnehmende Bevölkerung betroffen sind.858 Auch ihnen kommt das Zustimmungsgebot zugute. Al-Khasawneh hat hierauf in seinem Zwischenbericht aufmerksam gemacht und erklärt, dass die Rechtsgültigkeit der Zustimmung der umzusiedelnden Bevölkerungsgruppe vorbehaltlich der Wünsche der aufzunehmenden Bevölkerung sei.859 Nur so könne verhindert werden, dass das Zustimmungsgebot, das vor Zwangsumsiedlungen schützen soll, zu bevölkerungspolitischen Zwecken missbraucht würde: „While the principle of consent safeguards the forcible removal and dispersal of minority and indigenous groups settled in a distinct homeland, it cannot be used to achieve chauvinist overlaying of national areas by planting of settlements, and the imposition of cultural hegemony upon minorities.“860

Als geltender Rechtssatz des Völkermenschenrechts ist das Zustimmungsgebot im Sinne eines absoluten Vetorechts heute jedenfalls noch nicht anzusehen. Es stellt allenfalls einen so genannten „emergent human rights standard“ dar. III. Das Recht auf gemeinsames Handeln und das Versammlungsrecht Abschließend sei auf zwei häufig übersehene Komponenten entwicklungsbezogener Partizipationsrechte hingewiesen: das Recht auf gemeinsames Handeln und das Versammlungsrecht. Sie stellen für Paul die wichtigsten Bestandteile von Partizipationsrechten dar. Der amerikanische Wissenschaftler begründet dies wie folgt: „Since, individually, poor people are usually uninformed, powerless and historically ignored, their participation can only be developed and exercised through the formation of self-created, self-managed organizations. Rights of project-affected people to form such groups – and enjoy outside help on this endeavour – have been clearly recognized and emphasized in many international instruments but seldom promoted.“861

Das Recht auf gemeinsames Handeln und das Versammlungsrecht spielen auch bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen als Komponenten des entwicklungsbezogenen Partizipationsrechts eine wichtige Rolle. Sie sind insbesondere für indigene und in Stämmen lebende Völker, die nicht das Indivi858 Zu dem menschenrechtlichen Schutz, welcher der aufzunehmenden Bevölkerung zugute kommt, siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, F. 859 Progress Report, Para. 30. 860 Ebd. 861 Paul, Law and Development, S. 7.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

duum, sondern die Verbindung mit der Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellen, eine Grundvoraussetzung für die effektive Ausübung ihres Rechts, an der Planung und Durchführung eines Entwicklungsvorhabens teilzunehmen, das ihre Umsiedlung vorsieht. IV. Zusammenfassung zum Recht auf entwicklungsbezogene Partizipation Die Beteiligung der Personen und Bevölkerungsgruppen, die entwicklungsbedingt umzusiedeln sind, ist eine notwendige Voraussetzung für die Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Dies gilt sowohl für individuelle Rechte als auch für Gruppenrechte. Eine Entscheidung über ein Entwicklungsvorhaben, mit dem Umsiedlungen einhergehen, darf danach nicht getroffen werden, ohne den Betroffenen vorher eine Gelegenheit zu geben, sich zu der beabsichtigten Dislokation zu äußern. Dem völkerrechtlich anerkannten Menschenrecht auf entwicklungsbezogene Partizipation ist dabei nicht mit einer bloßen Anhörung Genüge getan. Partizipation setzt vielmehr eine bedeutungsvolle Konsultierung auf der Grundlage ausreichender Information voraus. Viertes Kapitel

Die Grenzziehung zwischen völkerrechtmäßigen und völkerrechtswidrigen Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken Die völkerrechtlichen Menschenrechte, die potenziell vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, bieten in der Regel keinen absoluten Schutz vor erzwungenen Dislokationen. Sie sind vielmehr als Abwehrrechte zu verstehen, die gegen willkürliche Zwangsumsiedlungen gerichtet sind, d.h. gegen unfreiwillige Umsiedlungen, die sich nicht durch zwingende und überwiegende öffentliche Interessen rechtfertigen lassen.862 Bei der Abwägung zwischen der Völkerrechtmäßigkeit und Völkerrechtswidrigkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen ist zu beachten, dass rechtmäßige Zwangsumsiedlungen Ausnahmen von dem menschenrechtlichen Verbot unfreiwilliger Umsiedlungen darstellen. Erzwungene Dis862 Vgl. Guiding Principles, Principle 6.2 (c); The Brookings Institution, Handbook, S. 17.

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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lokationen sind daher auf die Fälle zu begrenzen, in denen „unter den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und des höchstmöglichen Menschenrechtsschutzes keine andere Möglichkeit verbleibt.“863 Der Grundsatz, dass ein Eingriff in die Menschenrechte nicht weitergehen soll als zur Verwirklichung eines zwingenden, überwiegenden Allgemeininteresses erforderlich, haftet sowohl dem Individual- als auch dem Minderheitenrechtsschutz gleichsam an, „da dieser ohne diese ‚Schranken-Schranke‘ kaum Wirkung entfalten würde.“864 Den Beweis dafür, dass ein Eingriff in Menschenrechte, mithin auch in solche, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, ausnahmsweise erforderlich ist, haben traditionell die Staaten als primäre Adressaten menschenrechtlicher Pflichten zu erbringen.865 Ihnen steht bei der Entscheidung darüber, ob eine Zwangsumsiedlung verhältnismäßig ist, grundsätzlich ein Spielraum zu, der die Wirksamkeit des menschenrechtlichen Schutzes gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen einschränken kann. Die Vertragsorgane universeller und regionaler Menschenrechtsabkommen sind dementsprechend zurückhaltend, entwicklungsfördernde bzw. wirtschaftlich wichtige Maßnahmen, die ein Vertragsstaat unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten für rechtmäßig hält, zu beanstanden: „Die Parallelen zur beschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Planungsentscheidungen liegen auf der Hand.“866 Um zu vermeiden, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung auf eine bloße Plausibilitätsprüfung beschränkt bleibt, und um sicherzustellen, dass unfreiwillige Umsiedlungen nur in den wenigen wirklich unvermeidbaren Fällen erfolgen, müssen rationale inhaltliche Maßstäbe aufgestellt werden, die den Umfang des staatlichen Beurteilungsspielraums bei Planungsentscheidungen über die Notwendigkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen festlegen. An ihnen müssen sich nicht nur die staatlichen Entscheidungsträger, sondern auch die Vertragsorgane internationaler Menschenrechtsabkommen in ihrer Rechtsprechungspraxis orientieren. Die entscheidende Frage ist dabei, welche Kriterien der Verhältnismäßigkeit eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung aus menschenrechtlicher Sicht ausnahmsweise rechtfertigen. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt 863 Fiedler, Völkerrechtlicher Stellenwert, S. 130. Vgl. auch Comprehensive Human Rights Guidelines, Section One: Background Issues, Para. 4; Stavropoulou, Environment, S. 110. 864 Krugmann, S. 69, allerdings nur bez. des Individualrechtsschutzes. 865 Hinsichtlich Beschränkungen von Menschenrechten im Allgemeinen vgl. Skogly, Human Rights Obligations, 2001, S. 48. 866 Lenz, S. 448.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

sein, damit auch unter Berücksichtigung des höchstmöglichen Menschenrechtsschutzes ausnahmsweise keine andere Möglichkeit besteht, als Personen und Bevölkerungsgruppen im Zuge der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens gegen ihren Willen umzusiedeln?

A. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke menschenrechtsbeschränkender Zwangsumsiedlungen Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz generell auch für den – allgemeinen wie besonderen internationalen – Menschenrechtsschutz gilt,867 verlangt, dass der Zweck, der mit einer grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahme verfolgt wird, als solcher berechtigt und die Maßnahme zu dessen Erreichung geeignet und notwendig sowie verhältnismäßig im engeren Sinne, d.h. angemessen bzw. zumutbar ist.868 I. Die Geeignetheit eines Entwicklungsprojekts zur Entwicklungsförderung Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gehen per definitionem mit Vorhaben zur Förderung der Entwicklung eines Landes oder einer bestimmten Region einher. Es steht außer Frage, dass ein Staat den Zweck der Entwicklungsförderung berechtigterweise verfolgen darf. Dies gilt umso mehr, als heute das „Recht auf Entwicklung“ jedenfalls als ein von allen Staaten zu beachtender Programmsatz anerkannt ist.869 Daraus folgt aber nicht, dass eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung zwangsläufig auch unter dem Aspekt der Geeignetheit verhältnismäßig ist. Die Geeignetheit eines Mittels im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist nämlich nur zu bejahen, wenn dieses zur Erreichung des angestrebten Zwecks tauglich ist. Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen sind meist nötig, um die Infrastruktur für neue Industriezweige, Bewässerungsanlagen, Autobahnen, Energieanlagen oder für Stadtentwicklungspro867 Zur generellen Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Individualrechtsschutz siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. e) cc) sowie die dortigen Nachweise. Vgl. auch Frowein/Peukert, Artikel 1 des 1. ZP (Schutz des Eigentums), die auf die Rechtsprechung des EGMR verweisen, wonach das Prinzip der Verhältnismäßigkeit dem gesamten System der EMRK inhärent und daher bei jeder Beschränkung eines Konventionsrechts zu beachten ist. 868 Vgl. Friedrich-Christian Schroeder, Wer Wind sät . . . – Läßt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit präzisieren?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 261, 8. November 2004, S. 9. Zum „Abwägungsgebot“ und dessen Inhalt im Zusammenhang mit dem Menschenrechtsschutz siehe Krugmann, S. 76–80. 869 Siehe oben, Erster Teil, Drittes Kapitel, B. II.

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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jekte wie Krankenhäuser, Schulen und Flughäfen zu schaffen oder die Armut einer Bevölkerungsgruppe durch so genannte Armutsbekämpfungsprogramme zu reduzieren. Derartige Vorhaben tragen in der Regel zur wirtschaftlichen Verbesserung jedenfalls eines Teils der Bevölkerung bei: „They improve many people’s lives, provide employment, and supply better services.“870 So gesehen ließe sich die Geeignetheit einer Zwangsumsiedlung, die mit einem Entwicklungsvorhaben einhergeht, zur Erreichung des Ziels Entwicklungsförderung bejahen. Sie könnte aber in Frage zu stellen sein, wenn man bei ihrer Prüfung die Empfehlungen der Weltkommission über Staudämme zugrunde legt. Die WCD geht nämlich davon aus, dass der „Zweck“ eines jeden Entwicklungsprojekts darin bestehen muss, das Wohlergehen der Menschen nachhaltig zu verbessern. Gemeint ist damit „eine signifikante Verbesserung der menschlichen Entwicklung auf einer wirtschaftlich tragfähigen, sozial gerechten und nachhaltig umweltverträglichen Grundlage“871. Kann aber unter Berücksichtigung dieser Definition ein Entwicklungsprojekt, mit dem eine Zwangsumsiedlung einhergeht, überhaupt zur Erreichung des angestrebten Zwecks der Förderung von Entwicklung tauglich sein? Dies ist jedenfalls zu verneinen, wenn das Entwicklungsvorhaben für die Personen und Bevölkerungsgruppen, die von der Umsiedlung betroffen sind, einen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet. Ein Entwicklungsprojekt, das zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse eines Teils der Projektbetroffenen führt, kann nämlich kaum zur nachhaltigen Verbesserung menschlicher Entwicklung auf einer sozial gerechten Grundlage beitragen. Es ist vielmehr zur Entwicklungsförderung untauglich. Der Hinweis auf die Bedeutung eines entwicklungspolitischen Vorhabens für das wirtschaftliche Wohl bzw. die Entwicklung des Wohls der Allgemeinheit als solcher reicht also nicht aus, um ein Projekt, das eine Zwangsumsiedlung zur Folge hat, als zur Entwicklungsförderung geeignet anzusehen.872 II. Die Notwendigkeit eines Entwicklungsprojekts mit Zwangsumsiedlungen Eingriffe in Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, sind ferner nur in dem Maße zulässig, in dem sie 870

Cernea, Risks, S. 11 f. World Commission on Dams, Überblick, S. 4. 872 Siehe in diesem Zusammenhang Vienna Declaration and Programme of Action, Punkt 10, Abs. 3: „While development facilitates the enjoyment of all human rights, the lack of development may not be invoked to justify the abridgment of internationally recognized human rights.“ 871

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

auch unter dem Aspekt der Notwendigkeit verhältnismäßig sind.873 Notwendig im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist eine Maßnahme nur, wenn es kein milderes Mittel gibt, das angestrebte Ziel gleich wirksam zu fördern. Die grundsätzliche Notwendigkeit entwicklungsfördernder Maßnahmen ist dabei nicht mit deren konkreter Notwendigkeit gleichzusetzen. Letztere ist vielmehr nur zu bejahen, wenn der Entscheidungsträger im Planungsstadium alle Alternativen zu einem Projekt, mit dem eine unfreiwillige Umsiedlung einhergeht, erforscht und sichergestellt hat, dass sich das Vorhaben hinsichtlich des damit verfolgten Entwicklungsziels ohne eine Zwangsumsiedlung nicht gleichermaßen wirksam durchführen lässt. Die aktuelle Schutzvorschrift der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen vom Dezember 2001 (Revised April 2004)874 stellt dies in der Beschreibung ihrer Ziele (Policy Objectives) ausdrücklich klar. Darin heißt es: „Involuntary resettlement should be avoided where feasible, or minimized, exploring all viable alternative project designs.“875

Die Beweislast dafür, dass alle alternativen Projektmöglichkeiten erforscht wurden, trägt grundsätzlich der Staat, in dessen Territorium das Entwicklungsvorhaben durchgeführt wird. Die projektbetroffenen und sonstige Interessengruppen sind bereits in die Phase der Erforschung von Projektalternativen einzubeziehen. III. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: das Kriterium der Angemessenheit und Zumutbarkeit Die Verhältnismäßigkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung steht und fällt schließlich mit der Antwort auf die Frage, ob zwingende Gründe des Allgemeininteresses an der Durchführung eines bestimmten Entwicklungsvorhabens das Interesse der Umsiedlungsbetroffenen, in ihrer Wohnstätte, auf ihrem Grund und Boden und in ihrem Siedlungsgebiet zu verbleiben, überwiegen. Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – auch Angemessenheit oder Zumutbarkeit genannt – ist eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung nur verhältnismäßig, wenn als Ergebnis einer umfassenden Güter- bzw. Interessenabwägung das Entwicklungsvorhaben den höheren Rang hat. Die Durchführung der entwicklungsfördernden Maßnahme, 873

Vgl. Kälin, International Journal, S. 559. The World Bank Operational Manual, Operational Policies: OP 4.12 December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004). Ausführlich hierzu unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 875 OP 4.12, ebd., Para. 2 (a) (Hervorh. d. Verf.). 874

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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mit der eine Zwangsumsiedlung einhergeht, darf also unter Berücksichtigung des Eingriffs in die Rechte der Betroffenen nicht außer Verhältnis zu deren rechtlich geschützten Interessen stehen. Die Prüfung der Angemessenheit und Zumutbarkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung setzt danach zunächst voraus, dass die widerstreitenden Interessen und Bedürfnisse im Planungsstadium sorgfältig identifiziert werden. Im Anschluss daran sind die jeweils einschlägigen öffentlichen und privaten Güter und Interessen eigenständig zu gewichten und abzuwägen. Nur wenn danach das „öffentliche“ Interesse an der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens, mit dem eine Zwangsumsiedlung einhergeht, höher zu gewichten ist als das Recht der umzusiedelnden Personen und Bevölkerungsgruppen, in ihrer Wohnstätte, auf ihrem Grund und Boden oder in ihrem Wohn- bzw. Siedlungsgebiet zu verbleiben, ist ein unfreiwillige Dislokation menschenrechtsgemäß. 1. Das Kriterium des „größeren Nutzen für die größere Anzahl von Menschen“ versus der gerechten Teilhabe an den Vorteilen eines Entwicklungsvorhabens Ob eine unfreiwillige Umsiedlung überwiegend im öffentlichen Interesse liegt und daher gerechtfertigt ist, wird traditionell auf der Grundlage einer makroökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung nach dem Grundsatz des größeren Nutzens für die größere Anzahl von Menschen (the greater good for the larger number) bestimmt.876 Dieser Ansatz ist in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten, weil er im Ergebnis zu einer unbilligen Verteilung der Kosten und Nutzen eines Entwicklungsvorhabens führt.877 So hat zum Beispiel die Weltkommission für Staudämme erklärt: „Where the broader costs and benefits – economic, environmental and social – fall unequally within society, decision-making on project appraisal and selection based simply on summing up the positives and negatives is inadequate on equity grounds.“878 876

Vgl. Cernea, Risks, S. 12. Siehe z. B. Smitu Kothari, Whose Nation? – The Displaced as Victims of Development, in: Economic and Political Weekly, 12. Juni 1996; Arundhati Roy, The Greater Common Good, April 1999, abrufbar unter ; Pettersson, S. 17; siehe auch Bradford Morse/Thomas R. Berger, Sardar Sarovar: The Report of the Independent Review, 1992, Chapter 3: Resettlement and Human Rights, S. 17: „[Involuntary resettlement] is not, however, simply a question of weighing the numbers on each side, not simply a question of statistical relativism, but a question of human rights.“ 878 WCD-Report, S. 98. Siehe auch die entsprechende Kritik bei Cernea, Risks, S. 12. 877

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die WCD hat weiter ausgeführt, dass eine ungleiche Verteilung der Kosten und Nutzen von Entwicklungsprojekten vermeidbar sei: „At the same time it is clear from the emerging experience with good practice on benefit sharing mechanisms and reparations detailed in the Knowledge Base that a continuation of the legacy of inequity associated with many large dams is not only unacceptable, but unnecessary.“879

Die Ausarbeitung von Maßstäben für die Prüfung der menschenrechtlichen Zulässigkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen muss diese Erkenntnis berücksichtigen. Eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung kann daher im engeren Sinne nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn nicht allein die von der Umsiedlung betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen den Preis für das Entwicklungsprojekt zahlen müssen, sondern diese auch in gleicher Weise wie andere Mitglieder der Gesellschaft von dessen Nutzen profitieren. Die Pflicht, das Kriterium der gerechten Teilhabe an den Vorteilen eines Entwicklungsvorhabens (equitable development benefits) als Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit und Zumutbarkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung heranzuziehen, ist nicht nur aus Gründen der Billigkeit (equity) geboten. Sie folgt auch aus dem menschenrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Ausgangspunkt dieses Abschnitts über die Grenzziehung zwischen völkerrechtmäßigen und völkerrechtswidrigen entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen war die These, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen nur durch „zwingende und überwiegende Interessen der Allgemeinheit“ gerechtfertigt werden können. Bei der Bestimmung des „öffentlichen Interesses“ wird aber häufig ein enges Verständnis von „Allgemeinheit“ zugrunde gelegt. Die entscheidende „Öffentlichkeit“ besteht danach aus einer Bevölkerungsminderheit, die das politische und wirtschaftliche Sagen hat. Das traditionelle Konzept der Rechtfertigung entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen durch „zwingende und überwiegende öffentliche Interessen“ (compelling and overriding public interest) wird daher zunehmend kritisiert.880 Ein europäischer Kommentator hat die entsprechende Kritik wie folgt zusammengefasst: „Who is ‚the public‘? If we accept that international human rights are universal in scope it follows that the ‚public‘ is the whole population in a given area and not only the economic and political elite.“881

Aus dem Gleichheitsgrundsatz bzw. dem allgemeinen Diskriminierungsverbot folgt, dass in die Bestimmung des Allgemeininteresses an Entwick879 880 881

WCD-Report, S. 98. Siehe z. B. Smitu Kothari. Pettersson, S. 17.

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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lungsförderung die gesamte Bevölkerung, inklusive die von der Umsiedlung betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen, eingeschlossen ist. Nur wenn das Entwicklungsprojekt, mit dem eine Zwangsumsiedlung einhergeht, allen Mitgliedern einer Gesellschaft zugute kommt, kann es auch im Interesse der Allgemeinheit ( public) sein. Daher sind Entwicklungsvorhaben, von denen nur ein bestimmter gesellschaftlicher Sektor profitiert, nicht nur moralisch verwerflich. Sie sind auch durch den menschenrechtlichen Gleichheitsgrundsatz untersagt.882 Das Gebot der gerechten Teilhabe an den Vorteilen eines Entwicklungsvorhabens hat in der vorerwähnten Schutzvorschrift der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen (OP 4.12) seinen Niederschlag gefunden.883 Sie kann insofern als Maßstab für die menschenrechtliche Prüfung der Angemessenheit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung herangezogen werden. OP 4.12 stellt folgende Anforderungen an entwicklungsbedingte Umsiedlungsmaßnahmen: „Where it is not feasible to avoid resettlement, resettlement activities should be conceived and executed as sustainable development programs, providing sufficient investment resources to enable the persons displaced by the project to share in project benefits.“884

Die Weltbank hat damit klargestellt, dass unfreiwillige Umsiedlungen zu Entwicklungszwecken zwar unter Umständen notwendig, die ungleiche Verteilung der „gains and pains“ entwicklungsfördernder Maßnahmen aber nicht nur zu vermeiden sind, sondern eine Gewinnbeteiligung der Personen, die von der Umsiedlung betroffen sind, Voraussetzung für eine unfreiwillige Dislokation ist. In diesem Zusammenhang ist abschließend ein Kernproblem der menschenrechtlich gebotenen Interessenabwägung im Falle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen zu betrachten. Nach den bisherigen Ausführungen sind letztere nur zulässig, wenn auch die Umsiedlungskomponente eines Entwicklungsvorhabens als entwicklungsfördernde Maßnahme konzipiert ist. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Entwicklung und Fortschritt als solche grundsätzlich erstrebenswert sind. Problematisch ist aber der Fall einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung, der indigene und in Stäm882 Vgl. hierzu auch Cernea, Risks, S. 13: „Development will continue, however, to require changes in land use and water use and thus make various degrees of population relocation at times unavoidable. Yet, this does not mean that the inequitable distribution of development’s gains and pains is itself inevitable, or ethically justified. [. . .] Adherence to social justice and equity norms and respect for civil rights and people’s entitlements should remain paramount whenever development brings about risks and exacts predictable tolls.“ 883 Siehe hierzu auch unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. III. 4. 884 OP 4.12, Para. 2 (b).

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

men lebende Völker oder gefährdete ethnische Minderheiten betrifft. Diese trachten häufig gerade nicht nach dem mit einer Entwicklung einhergehenden Fortschritt. Ihr Bemühen ist es vielmehr, den status quo zu bewahren. Eine „Gewinnbeteiligung“ im oben beschriebenen Sinne ist hierzu aber regelmäßig kontraproduktiv. In den Fällen, in denen die Betroffenen eine Umsiedlung unter Berücksichtigung des Konzepts der Profitbeteiligung ablehnen, wird es kaum möglich sein, das Allgemeininteresse an Entwicklungsförderung bzw. Wirtschaftsfortschritt und das Partikularinteresse an Bewahrung des Status Quo in Einklang zu bringen. Ein billiger Ausgleich ist in einem solchen Fall nur dadurch zu schaffen, dass die Lebensverhältnisse der betroffenen Völker nach der Umsiedlung „artgerecht“ wiederhergestellt werden. 2. Die Interessenabwägung im Fall Noack et autres c. Allemagne Für die Beantwortung der Frage, welche Elemente in die Interessenabwägung einzustellen sind, die im Anschluss an die Identifizierung aller hinsichtlich eines Entwicklungsvorhabens relevanten Bedürfnisse und Interessen vorzunehmen ist, ist das bereits mehrfach zitierte Urteil des EGMR in der Sache Noack et autres c. Allemagne aufschlussreich. Der Gerichtshof bezog sich darin bezüglich der Notwendigkeit des Eingriffs in das Recht auf Achtung der Privatsphäre und der Wohnung nach Art. 8 EMRK durch die geplante Zwangsumsiedlung885 zwar auf seine ständige Rechtsprechung, wonach den Konventionsstaaten ein Ermessenspielraum bei der Beurteilung der Notwendigkeit zusteht. Er betonte aber gleichzeitig, dass der Umfang des staatlichen Beurteilungsspielraums von der Natur des betroffenen Konventionsrechts, der Bedeutung für die Betroffenen und von der Art des umstrittenen Eingriffs abhängt.886 Bei der Prüfung der Interessenabwägung berief sich der EGMR zunächst auf die Zugehörigkeit der von einer Umsiedlung betroffenen Personen zu einer Minderheit als gewichtiges Abwägungselement: „Bei geschützten Minderheiten, wie den Sorben, erhöhen sich auf diese Weise die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs, fühlt sich der Gerichtshof ‚zu noch größerer Wachsamkeit‘ verpflichtet.“887 Dass der EGMR gleichwohl keine Verletzung von Art. 8 EMRK durch die mit dem Braunkohleabbau einhergehenden Zwangsumsiedlungen annahm, lag daran, dass seiner Mei885 Der EGMR handelte die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne unter dem Prüfungspunkt „Notwendigkeit“ ab. – Zum Erforderlichkeitsgebot als Grundsatz des Individualrechtsschutzes siehe Krugmann, S. 68 f. 886 Siehe hierzu die nachfolgenden Nachweise. 887 Lenz, S. 448 mit Verweis auf die Urteilsbesprechung in Landeskommunal-Verwaltung (2001), S. 71.

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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nung nach eine Reihe von Aspekten für die Verhältnis- und damit Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsumsiedlung sprachen: Die Bewohner Hornos sollten geschlossen an einen Ort umgesiedelt werden, der nur 20 km entfernt von Horno und damit noch innerhalb des traditionellen Siedlungsgebiets der Sorben liegt. „Damit sei es den Betroffenen möglich, ein Leben innerhalb der alten Nachbarschaft und Gemeinschaft, der Traditionen der Region und im kulturellen Umfeld fortzusetzen. So sei auch die Erhaltung der sorbischen Sprache, Gebräuche, Identität und kulturellen Gemeinschaft gewährleistet.“888 Positiv wertete der Gerichtshof ferner, dass der streitgegenständliche Braunkohleplan verschiedene die Umsiedlung begleitende und fördernde Maßnahmen vorsah, „qui prennent dûment en compte la nécessité de préserver et d’encourager le maintien de la communauté villageoise et l’identité culturelle des Sorabes, visent à rendre le transfert le moins pénible possible sur les personnes concernées.“889

Zu Gunsten der Zulässigkeit der geplanten Zwangsumsiedlung fielen darüber hinaus der Ablauf des innerstaatlichen Entscheidungsfindungsprozesses und die Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten der Betroffenen innerhalb dieses Entscheidungsfindungsprozesses ins Gewicht. Der EGMR bewertete diesbezüglich positiv, „daß das behördliche Verfahren zur Ausdehnung des Braunkohletageabbaus sich über Jahre gestreckt habe in dem Bemühen, allen Betroffenen, Interessengruppen, Umweltgruppen, Experten immer wieder die Möglichkeit zur Einflussnahme und Stellungnahme zu gewähren.“890

Schließlich standen den von der Umsiedlung betroffenen Personen verschiedene Wiederansiedlungs-Orte zur Auswahl. Hierüber wurden sie rechtzeitig informiert. Die Mehrheit der Bewohner Hornos hatte bei der im Braunkohlegrundlagengesetz vorgesehenen Abstimmung für den Ort ihrer Neuansiedlung gestimmt. 888 Noack u. a. ./. Deutschland, in: MenschenRechtsMagazin, S. 195. Siehe Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 531: „Un élément déterminant pour la Cour réside également dans le fait que les habitants de Horno seront transférés en bloc vers une ville située à un vingtaine de kilomètres de leur village d’origine, dans la zone d’implantation originelle des Sorabes, pour laquelle ils ont opté majoritairement après avoir été consultés quant au choix de leur lieu de destination. Même si ce transfert implique un déménagement et la réorganisation de la vie dans la zone de réinstallation, les habitants résideront dans la même région et dans le même environnement culturel, où la protection des droits des Sorabes est assurée conformément à l’article 25 de la Constitution du Land de Brandebourg [. . .], où leur langue est enseignée dans les écoles et utilisée par les autorités administratives, et où ils pourront continuer à pratiquer leur coutumes et notamment suivre l’office religieux en langue sorabe.“ 889 Noack et autres c. Allemagne, En Droit, Rdn. 1, S. 531 f. 890 Noack u. a. ./. Deutschland, in: MenschenRechtsMagazin, S. 195.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Der EGMR stellt in dem Horno-Urteil zwar keine abschließende Liste aller Elemente auf, die in eine Abwägung zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung einzubeziehen sind. Eine solche Liste kann es gar nicht geben, ist doch die Interessenabwägung stets einzelfallbezogen. Das Urteil zeigt aber beispielhaft, welche Voraussetzungen – jedenfalls bei einer unfreiwilligen Umsiedlung einer Minderheitengruppe – erfüllt sein müssen, damit diese, gemessen an den Grundrechten, die potenziell vor Zwangsentfernungen schützen, gerechtfertigt ist. Das Urteil des EGMR ist im Zusammenhang mit der Erörterung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ferner deshalb zu beachten, weil sich der Gerichtshof darin unter anderem auf die Gewährleistung der Menschenrechte der Betroffenen am Neuansiedlungsort als Abwägungselement beruft. Der EGMR bestätigt damit den Grundsatz, dass Zwangsumsiedlungen nur angemessen und zumutbar sein können, wenn dadurch keine anderen Menschenrechte verletzt und die negativen Auswirkungen auf ein Minimum reduziert werden.891 Das Recht, nicht an einem Ort angesiedelt zu werden, an dem Leib, Leben, Sicherheit, persönliche Freiheit, Gesundheit oder andere – insbesondere auch kulturelle – Rechte der Betroffenen gefährdet sind, folgt als Begleitrecht aus den Menschenrechtsgewährleistungen, die vor entwicklungsbedingten Umsiedlungen schützen: „Internally displaced persons have the right to be protected against [. . .] resettlement in any place where their life, safety, liberty, and/or health would be at risk. [. . .] This principle has particular import for internally displaced persons because it is the loss of their ability to remain in their original homes that characterizes their plight. Further depriving them of their right to seek safety adds even greater injury to them.“892

Bei der Abwägung zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung wird schließlich auch relevant, ob die betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen an dem Neuansiedlungsort rehabilitiert, d.h. entsprechend ihren bisherigen Berufen beschäftigt, in kürzester Zeit entschädigt und angemessen im Sinne des Rechts auf Unterbringung angesiedelt werden.893 891

Vgl. The Brookings Institution, Handbook, S. 17. Ebd., S. 29. 893 Die Erfüllung dieser Kriterien wird bereits in völkerrechtswissenschaftlichen Abhandlungen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit von Bevölkerungstransfers genannt; siehe z. B. Werner Höxter, Bevölkerungsaustausch als Institut des Völkerrechts, 1932, S. 50. 892

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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B. Das Sonderproblem der „angemessenen“ Entschädigung als notwendige Voraussetzung einer rechtmäßigen Zwangsumsiedlung Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Entschädigung umsiedlungsbetroffener Personen und Bevölkerungsgruppen eine notwendige Voraussetzung für die Völkerrechtsmäßigkeit einer unfreiwilligen Umsiedlung ist.894 Die staatliche Verpflichtung, „die Wirkungen der Durchbrechung der primären Garantie durch die Anerkennung und Aktualisierung der sekundären Garantie zu kompensieren“895, folgt aus dem Wesen des Menschenrechtsgedankens selbst. Danach ist die Entschädigungsgarantie eine „inhärente Komponente“ der entsprechenden Menschenrechtsgarantien.896 Problematisch und nach wie vor ungeklärt ist, welchen Inhalt und Umfang der menschenrechtliche Entschädigungsanspruch im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung hat. Nach der traditionellen und auch heute noch vorherrschenden power of eminent domain-Theorie897 werden entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen als gerechtfertigt angesehen, wenn (1) das Entwicklungsprojekt, mit dem die Umsiedlung einhergeht, dem öffentlichen Interesse dient und der Gesellschaft im Ganzen förderlich ist; (2) für die umsiedlungsbedingten Enteignungen eine gesetzliche Grundlage besteht, und diese (3) eine „gerechte“ Entschädigung ( just compensation) vorsieht.898 Die größten Schwierigkeiten bereitet dabei die dritte Voraussetzung. Danach muss eine Entschädigung „just“ sein. Wie aber muss eine Entschädigung ausgestaltet sein, um als „gerecht“ zu gelten? Ist dies schon dann der Fall, wenn – wie traditionell geschehen – der materielle Wert des verlorenen Eigentums finanziell ersetzt wird (cash compensation)? 894 Vgl. z. B. The Brookings Institution, Handbook, S. 17: „Even where such public interest is established, those displaced by development projects should be consulted and compensated.“ 895 Dolzer, Eigentum, S. 136. 896 So im Ergebnis auch Dolzer, ebd., S. 135 f., bez. der „Entschädigungsgarantie als inhärente Komponente der menschenrechtlichen Eigentumsgarantie“. – Zur Rechtsgrundlage für den völkermenschenrechtlichen Entschädigungsanspruch siehe auch bereits oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 3. d) bb). 897 Vgl. hierzu Carlos R. Escudero, Involuntary Resettlement in Bank-Assisted Projects, 1988, S. 2, Fn. 2: „In most countries, the power of eminent domain is embodied in the constitution. The process by which the power of eminent domain is exercised is commonly referred to as ‚expropriation‘.“ 898 Vgl. Escudero, ebd., S. 2. – Ausführlich zur power of eminent domain-Theorie siehe Smitu Kothari.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

Die nach wie vor gängige Praxis legt es nahe, diese Frage zu bejahen. Sie missachtet aber zweierlei: Zum einen wirkt sich eine rein finanzielle Entschädigung für entzogenes Land insbesondere für indigene und in Stämmen lebende Völker und andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen häufig negativ aus: „Tribal economies are in large part non-monetized, based on reciprocal exchange of goods and services; therefore, people are not well accustomed to managing cash. There is a popular saying among the Havasupai Apache Indians in the United States, a people displaced repeatedly by development projects: ‚Land is like diamonds but money is like ice.‘“899

In diesen Fällen ist eine Entschädigung gerecht, wenn sie einen Land-fürLand-Austausch vorsieht. Dies folgt zum anderen auch aus dem zweiten zu berücksichtigenden Aspekt, dass nämlich auch die Entschädigung für eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung nach den Maßstäben der menschlichen Entwicklung auf einer nicht nur wirtschaftlich tragfähigen, sondern auch sozial gerechten und nachhaltigen Grundlage zu erfolgen hat. „Gerecht“ ist eine Entschädigung für entwicklungsbedingt entzogenes Eigentum nicht schon unbedingt dann, wenn eine neue Wohnung zur Verfügung gestellt wird: „Ein Dach überm Kopf der Entwurzelten verstellt [nämlich, d. Verf.] den Blick der Verantwortlichen auf das Elend, das sie schaffen.“900 „Gerecht“ bzw. „angemessen“ ist eine Entschädigung im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung vielmehr nur, wenn sie ausreicht, um eine neue, gleichwertige Existenzgrundlage zu schaffen.901 Eine „einfache“ Entschädigung genügt danach in den seltensten Fällen den Anforderungen einer „gerechten“ Entschädigung.902 Das 1996 Oxford Statement on Reconstructing Livelihoods of Displaced People nennt den Grund hierfür: 899 M. Q. Zaman, Land Acquisition and Compensation in Involuntary Resettlement, in: Cultural Survival Quarterly 14 (4), S. 63. 900 Bernhard Mogge, Monster aus Beton, in: Merkur plus, Nr. 18 (2001), S. 30. 901 Vgl. Ibrahim F. I. Shihata, The World Bank in a Changing World: Selected Essays, 1991, S. 130: „[C]ompensation cannot and is not intended to fully compensate for the emotional and cultural loss which occurs when people are cut off from their traditional habitats. Nowhere is this more acute than in the case of indigenous classes or tribal people in whose case there is danger of the extinction of their entire life-style. Thus compensation, however just, may not by itself constitute an adequate means to reestablish the standard of living of the affected population and provide for their welfare.“ 902 Siehe hierzu auch Mogge, Monster, S. 30: „Kompensation wird häufig versprochen, aber selten gewährt; und wenn, dann reicht es nicht, um eine neue, gleichwertige Existenzgrundlage zu schaffen. Wie auch will jemand, der seine Hütte am Fluss hatte und als Fischer seine Familie ernähren konnte, jetzt leben – in einem neuen Haus vielleicht, aber ohne Arbeit, in fremder Umgebung?“

4. Kap.: Abgrenzung völkerrechtsmäßiger und -widriger Umsiedlungen

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„Ample social knowledge has established that simple compensation or relief does not permit the displaced to reconstruct and improve their livelihoods on a productive basis nor does it protect the integrity of societal and cultural groups.“903

„Entschädigung“ ist also im weiten Sinne, d.h. so auszulegen, dass sie auch Rehabilitierungsmaßnahmen umfasst. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat dies in seinem Bericht über die „Guidelines on international events and forced evictions“ klargestellt: „Rehabilitation refers to measures to re-establish those displaced. This goes beyond cash compensation. It involves active replacement of housing and income-generating possibilities.“904 Das Expertenseminar über Praktiken der Zwangsentfernung hat die Erklärung des Generalsekretärs bekräftigt und darüber hinaus betont, dass der weite Entschädigungsanspruch auch denjenigen zusteht, deren Eigentumsrechte nicht nach nationalem Recht anerkannt sind: „All persons subjected to any forced eviction not in full accordance with the present Guidelines, should have a right to compensation for any losses or land or personal, real or other property or goods, including rights or interests in property not recognized in national legislation, incurred in connection with forced eviction. Compensation should include land and access to common property resources and should not be restricted to cash payments.“905

Das Konzept der „gerechten Entschädigung“ für entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen ist im Lichte des „Rechts auf angemessene Unterbringung“ auszulegen, das als das Recht einer jeden Frau, eines jeden Mannes und Kindes zu verstehen ist, „to gain and sustain a secure home and community in which to live in peace and dignity.“906 An diesem Maßstab muss sich auch die Entschädigung im weiteren Sinne für die Folgen einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung messen lassen. Sie umfasst danach zwingend neben der finanziellen Kompensation die Bereitstellung angemessener Mittel zur Rehabilitation. Der Anspruch auf Umsiedlungsunterstützung und Wiederansiedlungshilfe ist für alle umzusiedelnden Personen, insbesondere aber auch für jene ohne anerkannte Rechtstitel oder sonstige Ansprüche auf das von ihnen vor der Umsiedlung besetzte Land, relevant.

903 1996 Oxford Statement on Reconstructing Livelihoods of Displaced People, abrufbar unter . 904 Guidelines on international events and forced evictions – Report of the Secretary General, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/1996/11, 10. Juli 1996, Para. 21. 905 Comprehensive Human Rights Guidelines, Section Five: Legal Remedies, Compensation, Para. 24. 906 Miloon Kothari, Global struggle, S. 85.

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1. Teil: Die völkerrechtlichen Grundlagen des Menschenrechtsschutzes

C. Schlussbemerkung zur Rechtfertigung entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen Der Soziologe Cernea hat ein Kernproblem entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen auf den Punkt gebracht: „Compulsory displacements that occur for development reasons embody a perverse and intrinsic contradiction in the context of development. They raise major ethical questions because they reflect an inequitable distribution of development’s benefits and losses.“907

Cerneas Bemerkung verdeutlicht, dass sich die Abwägung zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen nicht in einer formellen Kosten-Nutzen-Rechnung auf der Grundlage des Konzepts des größeren Nutzens für die größere Anzahl von Menschen erschöpfen kann. Die traditionellen Vorstellungen, wonach der Einzelne Sonderopfer für die Allgemeinheit zu erbringen hat und der souveräne Staat als „Herrscher“ über das Gemeinwohl das Recht besitzt, Personen auch gegen ihren Willen zu enteignen und zwangsweise umzusiedeln, ohne gleichzeitig für „equitable development benefits“ zu sorgen, ist angesichts des neuen, umfassenden Verständnisses von Entwicklung nicht länger menschenrechtskonform. Das Konzept der nachhaltigen menschlichen Entwicklung (sustainable human development), wonach Entwicklung als ein umfassender wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Prozess zu verstehen ist, der auf die ständige Verbesserung der Lebensbedingungen aller Mitglieder einer Gesellschaft gerichtet ist,908 muss vielmehr als Maßstab einer jeden Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich unfreiwilliger Umsiedlung gelten. So verstanden läuft die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf eine umfassende Sozial- und Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung (SMVP) unter Beteiligung aller Personen und Bevölkerungsgruppen, die von einer Zwangsumsiedlung betroffen sind, hinaus. Das Recht auf die Durchführung einer SMVP folgt als Begleitrecht aus den Menschenrechten, die dem Grunde nach gegen entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen schützen.

907

Cernea, Risks, S. 11. Vgl. zu dieser Definition von Entwicklung im Zusammenhang mit entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen z. B. Comprehensive Human Rights Guidelines, Präambel, Uabs. 5. 908

Zweiter Teil

Die Durchsetzung und Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen Das bisherige Untersuchungsergebnis hat gezeigt, dass sowohl auf universeller als auch auf regionaler Ebene ein weit reichender normativer Schutz verschiedener individueller und kollektiver Menschenrechte besteht, die potenziell vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen. Mit diesen Rechten korrespondiert eine dreifache völkerrechtliche Verpflichtung menschenrechtlicher Art: die Pflicht, diese Menschenrechte zu achten, sie zu schützen und zu verwirklichen.1 Ihre Adressaten2 sind also nicht nur „negativ“ verpflichtet, eigene Eingriffe in Menschenrechte zu unterlassen, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen schützen. Für sie gilt darüber hinaus auch eine positive Pflicht, zur Sicherung dieser Rechte tätig zu werden, das heißt, sie durch gesetzgeberische und andere Maßnahmen zu verwirklichen und gegen Angriffe privater Dritter zu schützen.3 Als Schutzrechte vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen entfalten die vorstehend analysierten Menschenrechte überhaupt nur dann eine Wirkung, wenn sowohl ihr materieller Gehalt und damit ihre Substanz geklärt sind, als auch die damit einhergehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen menschenrechtlicher Art feststehen. Sie allein stellen aber noch keinen effektiven Schutz dieser Rechte dar. Entscheidend ist vielmehr, dass Instrumente und Verfahren bestehen, die diesen Schutz auch gewährleisten. Die Fra1 Zur Dreiteilung menschenrechtlicher Pflichten siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. b) (3) m. w. N. 2 Adressaten dieser Pflichten sind unstreitig die Vertragsparteien des jeweiligen Menschenrechtsabkommens bzw. – sofern völkergewohnheitsrechtlich gewährleistete Menschenrechte in Frage stehen – alle Staaten. Zur Frage, ob darüber hinaus auch internationale Organisationen und sonstige nichtstaatliche Akteure Zuordnungsadressat völkerrechtlicher Pflichten menschenrechtlicher Art sind, siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, D. und E. 3 Vgl. Eckart Klein, Welcome and Introduction, in: ders. (Hrsg.), The Duty to Protect and to Ensure Human Rights, 2000, S. 19.

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

ge, die in diesem Kapitel zu beantworten ist, lautet daher, ob es auf universeller und regionaler Ebene solche Menschenrechtsschutzverfahren gibt. Erstes Kapitel

Die Menschenrechtsschutzverfahren universeller und regionaler Menschenrechtsabkommen und der Vereinten Nationen Zu den internationalen Verfahren zur Sicherung der Menschenrechte zählen zunächst die Mechanismen zur Überwachung und Durchsetzung völkervertraglich gewährleisteter Menschenrechte, die in den universellen und regionalen Menschenrechts-Übereinkommen selbst vorgesehen sind. Sie gehören teilweise zum vertraglichen Kernbestand, der allein schon durch die Ratifikation des Vertragswerkes selbst verbindlich wird. Zum Teil setzen sie aber auch besondere Unterwerfungsklauseln voraus. Daneben bestehen außervertragliche Verfahren zur Menschenrechtssicherung, für welche die politischen Gremien der Vereinten Nationen, die Generalversammlung und die Menschenrechtskommission zuständig sind.

A. Der prozedurale Menschenrechtsschutz universeller Menschenrechtsverträge I. Die Durchsetzungsmechanismen des IPBPR Der IPBPR sieht zur Durchsetzung der Paktrechte ein dreistufiges Instrumentarium vor. Dieses besteht aus einem periodischen, obligatorischen Staatenberichtssystem (vgl. Art. 40 Abs. 1 IPBPR) und zwei unterschiedlichen Beschwerdeverfahren: dem fakultativen Staatenbeschwerdeverfahren (vgl. Art. 41 IPBPR) und einem Individualbeschwerdeverfahren, das in einem separaten Fakultativprotokoll zum IPBPR geregelt ist. 1. Das Staatenberichtsverfahren des IPBPR Nach Art. 40 Abs. 1 IPBPR sind die Vertragsparteien des Zivilpakts verpflichtet, dem Menschenrechtsausschuss regelmäßig – in der Ausschusspraxis sind es alle fünf Jahre – einen Bericht zum Stand der Umsetzung der Paktrechte einzureichen.4 Die Signatarstaaten müssen dem Ausschuss in 4 Ausführlich zum Staatenberichtsverfahren siehe z. B. Klaus Hüfner u. a., Menschenrechtsverletzungen: Was kann ich dagegen tun?, 2. Aufl., 2004, S. 64 f.; Eckart

1. Kap.: Vertragliche Menschenrechtsschutzverfahren und -instrumente

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ihren Berichten über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der im IPBPR garantierten Rechte ergriffen haben, sowie über die diesbezüglich erzielten Fortschritte Rechenschaft ablegen. Der Menschenrechtsausschuss diskutiert den Bericht in Anwesenheit eines Staatenvertreters, der zu den einzelnen Aspekten befragt werden kann. Anschließend verabschiedet der Ausschuss seine eigenen Berichte bzw. ihm geeignet erscheinende Allgemeine Bemerkungen hierzu (vgl. Art. 40 Abs. 4 IPBPR). Ziel dieser Berichte und Bemerkungen ist es, nach dem Grundsatz der Kooperation eine bestmögliche Umsetzung des IPBPR in dem jeweiligen Vertragsstaat zu erreichen.5 Das Staatenberichtsverfahren ist zwar kein juristisches Verfahren, an dessen Ende eine Verurteilung stehen kann. Durch die Veröffentlichung der Berichte wird aber ein gewisser Druck auf die Staaten ausgeübt, im Sinne des Ausschusses zu handeln. Diese Folge des Berichtssystems könnte auch für die Verwirklichung und Sicherung der Rechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, wie die Wohnsitzfreiheit, das Recht auf Achtung der Wohnung und das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens, bedeutsam sein. So hat Pettersson die Vereinten Nationen in seinem Beitrag zum menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Dislokationen aufgefordert, von den Vertragsparteien der UN-Menschenrechtspakte im Zusammenhang mit den Berichterstattungsverfahren länderspezifische Informationen über Zwangsumsiedlungen im Kontext von Entwicklungsvorhaben einzufordern.6 Fraglich ist, was geschieht, wenn ein Staat gar nicht berichtet oder offensichtlich fehlerhaft. Ein ehemaliges deutsches Mitglied des Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung hat diese Frage für die vergleichbaren Berichtspflichten der Vertragsparteien des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung beantwortet: Wenn ein Land nicht gemeldet habe, sei man offen dazu übergegangen, andere Quellen – etwa von Menschenrechtsorganisationen – zu verwenden. Das habe durchaus disziplinierend gewirkt.7 Ein solches Vorgehen ist auch hinsichtlich der Berichtspflichten des IPBPR wünschenswert. Klein, The Reporting System under the International Covenant on Civil and Political Rights, in: ders. (Hrsg.), The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, 1998, S. 17–29. 5 Vgl. Michèle Roth, Zwischen Vertrauen in die Mitgliedstaaten und internationaler Kontrolle – Menschenrechtsabkommen und ihre Durchsetzungsmechanismen, in: Projektgruppe „UNO“ von WEED (Hrsg.), Belohnen, Beschämen, Bestrafen. Globale Vereinbarungen und ihre Durchsetzung, April 1999, S. 14–20, abrufbar unter . 6 Pettersson, S. 18. 7 Siehe Reinhard Müller, Auch ohne Sanktion bindend, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Oktober 2004, Nr. 248, S. 8, den Direktor des Heidelberger Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Rüdiger Wolfrum, zitierend.

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

2. Das Staatenbeschwerdeverfahren des IPBPR Das Staatenbeschwerdeverfahren des IPBPR spielt als Durchsetzungsmechanismus des Zivilpakts eine lediglich untergeordnete Rolle. Nach Art. 41 IPBPR ist der Menschenrechtsausschuss berechtigt, die Beschwerde eines Vertragsstaats zu untersuchen, wonach ein anderer Vertragsstaat seine Verpflichtungen aus dem IPBPR nicht erfüllt hat. Diese Kompetenz besteht allerdings nur, wenn beide Parteien eine Erklärung abgegeben haben, dass sie die Zuständigkeit des Ausschusses anerkennen, „Mitteilungen“ von Vertragsstaaten entgegenzunehmen und zu prüfen. Bisher hat noch keine Vertragspartei des IPBPR eine Staatenbeschwerde eingereicht. Als Instrument zur Sicherung der Paktrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, taugt es daher kaum. 3. Das Individualbeschwerdeverfahren nach dem Fakultativprotokoll zum IPBPR Das Individualbeschwerdeverfahren nach dem Fakultativprotokoll zum IPBPR8 besitzt im Gegensatz zum Staatenbeschwerdeverfahren erhebliche Bedeutung,9 wie die oben erwähnten Fälle zum Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens zeigen, die auf Individualbeschwerden beruhen.10 Einzelpersonen, die behaupten, dass ein Vertragsstaat des IPBPR ihre aus dem Pakt resultierenden Rechte missachtet habe, können danach beim Menschenrechtsausschuss eine schriftliche Mitteilung zur Prüfung einreichen (Art. 2 Fakultativprotokoll). Voraussetzung hierfür ist allerdings zum einen, dass der Betroffene zuvor den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpft hat. Zum anderen gilt das Individualbeschwerdeverfahren des IPBPR nur für Rechtsunterworfene der Vertragsparteien, die das Fakultativprotokoll zum IPBPR ratifiziert haben. Am 24. November 2004 waren dies 104 der insgesamt 154 Vertragsstaaten des Zivilpakts.11 Der Menschenrechtsausschuss teilt sowohl dem betroffenen Vertragsstaat als auch dem Beschwerdeführer nach der Zulässigkeits- und Begründet8 Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966, BGBl. 1992 II, S. 1246. 9 Ausführlich zum Individualbeschwerdeverfahren siehe Bernhard Schäfer, Die Individualbeschwerde nach dem Fakultativprotokoll zum Zivilpakt, April 2004. 10 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 2. bb). 11 Siehe Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Ratifications and Reservations: 5. Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, New York, 16 December 1966, abrufbar unter . – 33 weitere Vertragsparteien des IPBPR haben das Fakultativprotokoll unterzeichnet; siehe ebd.

1. Kap.: Vertragliche Menschenrechtsschutzverfahren und -instrumente

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heitsprüfung sowie abgeschlossener Beratung seine Empfehlungen mit (Art. 5 Abs. 4 Fakultativprotokoll). Diesen fehlt, der Qualifikation als bloßer „Ansichten“ (views) wegen, allerdings die rechtliche Verbindlichkeit.12 Einen vollstreckbaren Titel geben sie daher nicht. Aus diesem Grunde besteht nach wie vor ein Problem der Nicht-Umsetzung von Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses.13 Der Ausschuss konnte dieses auch dadurch nicht signifikant lösen, dass er im Juli 1990 den Posten eines Sonderberichterstatters zur Weiterverfolgung seiner Entscheidungen (sog. Special Rapporteur for Follow-up on Views) geschaffen hat.14 In diesem Zusammenhang darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass es immer wieder Staaten gibt, welche die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses nicht nur akzeptieren, sondern den darin enthaltenen Empfehlungen auch folgen, indem sie zum Beispiel ihre innerstaatliche Gesetzgebung ändern oder Wiedergutmachung gewähren.15 II. Die Durchsetzungsmechanismen des IPWSKR Der IPWSKR sieht im Unterschied zum IPBPR bisher nur ein Berichterstattungssystem vor (vgl. Art. 16 und 17 IPWSKR).16 Die Staatenberichte gelangen zum Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, zu den UN-Sonderorganisationen und gelegentlich zur UN-Vollversammlung. Ebenso wie die beim Menschenrechtsausschuss eingereichten Berichte führen auch sie gemäß Art. 21 IPWSKR höchstens zu „Empfehlungen allgemeiner Art“. Die „Berichtsmoral“ der Vertragsparteien lässt daher nach wie vor zu wünschen übrig.17 Um sie zu erhöhen, hat der Ausschuss beschlossen, auf jeder Tagung die Situation bezüglich der Umsetzung der im Sozialpakt ent12 Vgl. Christian Tomuschat, Einführung: Die Vereinten Nationen und Menschenrechte, in: ders. (Hrsg.), Menschenrechte, 2. Aufl., 2002, S. 13 (30). 13 Vgl. Klein, Menschenrechte, S. 18 f.: „Von den Erkenntnissen, mit denen der Menschenrechtsausschuß zur Feststellung einer Konventionsverletzung gelangt, werden etwa 50% von den Staaten ohne weiteres akzeptiert; weitere 30% nach einiger Zeit, nachdem der Ausschuß auf verschiedenen Wegen versucht hat, die betreffenden Regierungen dazu zu bewegen, die notwendigen Schritte zur Wiedergutmachung zu ergreifen. Etwa 20% der Entscheidungen des Ausschusses werden nicht befolgt.“ 14 Vgl. Hüfner, S. 66. – Zu den Weiterverfolgungsmechanismen der Vertragsorgane internationaler Menschenrechtsverträge im Allgemeinen siehe Markus G. Schmidt, Follow-Up Mechanisms Before UN Human Rights Treaty Bodies and the UN Mechanisms Beyond, in: Anne F. Bayefsky (Hrsg.), The UN Human Rights Treaty System in the 21st Century, 2000, Chapter 18, S. 233–249. 15 Vgl. hierzu mit Beispielen Hüfner, S. 66. 16 Siehe ebd., S. 79 ff., m. w. N. 17 Vgl. ebd., S. 79 f.

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

haltenen Menschenrechte in mindestens einem Vertragsstaat zu behandeln, der noch keinen Bericht erstattet hat.18 Verletzungen der Rechte des IPWSKR, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, wie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich einer angemessenen Unterbringung,19 können bisher noch nicht im Wege einer Individualbeschwerde geltend gemacht werden. Die Ausarbeitung eines Fakultativprotokolls zum IPWSKR, das Beschwerden hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte in einem internationalen Verfahren zulässt,20 wird aber nicht nur seit Jahren von verschiedenen Seiten eingefordert,21 wobei als Argument unter anderem die Unteilbarkeit und Interdependenz aller Menschenrechte angeführt wird.22 Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat vielmehr die Notwendigkeit, ein förmliches Individualbeschwerdeverfahren für die Rechte des IPWSKR einzurichten, erkannt und der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (MRK) im Dezember 1996 einen Entwurf für ein Fakultativprotokoll zum Sozialpakt vorgelegt.23 Die MRK hat in Reaktion hierauf unter anderem 18 Vgl. ebd., S. 80. Siehe auch United Nations High Commissioner for Human Rights and the Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Plan of Action to Strengthen the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, abrufbar unter . 19 Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. 20 Hüfner weist darauf hin, dass das Grundprinzip, Beschwerden unter einem internationalen Verfahren hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zuzulassen, weder neu noch innovativ sei, sondern vielmehr bereits in der UNESCO und ILO wie auch in dem Verfahren existiert, das durch die ECOSOC-Resolution 1503 (XLVIII) vom 27. Mai 1970 geschaffen wurde; Hüfner, S. 82. – Zur Resolution 1503 (XLVIII) siehe unten, Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. IV. 21 So hat z. B. die Weltkonferenz über die Menschenrechte, die 1993 in Wien stattfand, die Ausarbeitung eines Fakultativprotokolls zum IPWSKR, das dem Zusatzprotokoll zum IPBPR vergleichbar ist, ausdrücklich gefordert; siehe Konferenzdokument der Wiener Menschenrechtskonferenz UN Doc. A/CONF.157/PC/62/ Add. 5, 26. März 1993, S. 7. – Zur Diskussion über die Verabschiedung eines Fakultativprotokolls zum IPWSKR siehe auch Andrew Byrnes, An Effective Complaints Procedure in the Context of International Human Rights Law, in: Bayefsky, Chapter 10, S. 139 (160–162). 22 In diese Richtung argumentiert z. B. Hüfner, S. 82: „Wenn das Prinzip der Unteilbarkeit und Interdependenz von bürgerlichen und politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in der Arbeit der Vereinten Nationen umgesetzt werden soll, ist es wichtig, dass ein solches Beschwerdeverfahren auch für den Sozialpakt geschaffen wird, um das bestehende Gleichgewicht abzubauen.“ 23 Der Entwurf ist als Annex – Report of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights to the Commission on Human Rights on a draft optional protocol for the consideration of communications in relation to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, enthalten in: United Nations, Economic

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eine förmliche Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Entwurfs für ein Zusatzprotokoll eingesetzt.24 Eine abschließende Entscheidung über die Verabschiedung eines Fakultativprotokolls zum IPWSKR hat die MRK bisher allerdings noch nicht getroffen.25 III. Verfahren zur Durchsetzung der Gewährleistungen von ILO-Übereinkommen 169 Die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation26 sieht für alle ILO-Konventionen ein ordentliches sowie außerordentliches Überwachungsverfahren vor.27 1. Das Berichterstattungsverfahren Das ordentliche Überwachungsverfahren ist ein den UN-Menschenrechtspakten vergleichbares Staatenberichtsverfahren. Nach Art. 22 S. 1 ILO-Verfassung sind die Vertragsstaaten eines ILO-Übereinkommens, mithin auch die Parteien des hier relevanten ILO-Übereinkommens über indigene und in Stämmen lebende Völker (ILO-Konvention 169), verpflichtet, der Arbeitsorganisation jährlich einen Bericht zu erstatten, welche Maßnahmen sie zur Durchführung bzw. innerstaatlichen Umsetzung der Übereinkommen, denen sie beigetreten sind, ergriffen haben.28 Ein unabhängiger Sachverständigenausschuss prüft daraufhin die Staatenberichte. Seine Beurteilungen und Aband Social Council, Commission on Human Rights, Status of the International Covenants on Human Rights: Draft optional protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, UN Doc. E/CN.4/1997/105, 18 December 1996. 24 Zu den diesbez. von der Menschenrechtskommission eingeleiteten Maßnahmen siehe Hüfner, S. 82; Office of the High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet No. 16 (Rev. 1), The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Nr. 8: Towards a formal complaints procedure (optional protocol), abrufbar unter . 25 Vgl. die Website des Office of the High Commissioner for Human Rights, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, abrufbar unter . 26 Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation und Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz, Internationales Arbeitsamt, Genf, Juni 1999, abrufbar unter . 27 Ausführlich zu den ILO-Verfahren siehe Hüfner, S. 198–206; siehe auch die Website der ILO unter . 28 Siehe auch Art. 22 S. 2 ILO-Verfassung: „Die Form dieser Berichte bestimmt der Verwaltungsrat; sie haben die von ihm geforderten Einzelheiten zu enthalten.“ – Daneben haben Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen die Möglichkeit, ihren

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

hilfeempfehlungen werden von einem ILO-Ausschuss zusammen mit Regierungsvertretern der betroffenen Länder erörtert. Verbindliche Entscheidungen kann dieser allerdings ebenso wenig treffen wie die Vertragsorgane des IPBPR und IPWSKR. 2. Das Klage- und Beschwerdeverfahren bezüglich der Durchführung eines ILO-Übereinkommens Als außerordentliches Überwachungsverfahren sieht die ILO zunächst ein Klageverfahren wegen der unbefriedigenden Durchführung eines ILO-Übereinkommens vor: Nach Art. 26 ILO-Verfassung kann ein Mitgliedstaat, ein Delegierter der ILO oder der ILO-Verwaltungsrat ein solches Verfahren einleiten. Voraussetzung im erstgenannten Fall ist, dass der klagende Staat das streitgegenständliche Übereinkommen selbst ratifiziert hat. Bezüglich ILOÜbereinkommen 169 ist daher nur eine begrenzte Anzahl von Staaten klageberechtigt.29 Sofern die Klage als zulässig erachtet wird, kann eine Untersuchungskommission eingesetzt werden, die gegebenenfalls – rechtlich wiederum nicht verbindliche – Abhilfeempfehlungen an die beklagte Regierung richtet. Ein Beschwerderecht betroffener indigener Völker zur Durchsetzung der in ILO-Konvention 169 gewährten Rechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, besteht nach wie vor nicht. Nach Art. 24 ILO-Verfassung kann zwar eine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisation beim International Labour Office geltend machen, dass ein bestimmter Staat ein von ihm ratifiziertes ILO-Abkommen nicht einhält.30 Auch diesbezüglich kann ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden, der gegebenenfalls einen Bericht nebst Empfehlungen für Abhilfemaßnahmen vorlegt. Indigenen Völkern steht nach dem Wortlaut von Art. 24 ILO-Verfassung aber kein Beschwerderecht zur Geltendmachung der Missachtung von ILOKonvention 169 zu, obgleich diese eine Konvention im Sinne von Art. 24 ILO-Verfassung darstellt. Beschwerdebefugt ist danach ausschließlich ein „Berufsverband von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern“. Denkbar wäre aleigenen Standpunkt zur Umsetzung eines ILO-Übereinkommens der Arbeitsorganisation unmittelbar mitzuteilen. 29 Zum Ratifizierungsstand von ILO-Übereinkommen 169 und der Diskussion um die Erweiterung des Kreises der Vertragsparteien siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. II. 30 Art. 24 ILO-Verfassung, lautet: „Richtet ein Berufsverband von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern an das Internationale Arbeitsamt eine Beschwerde, dass irgendein Mitglied die Durchführung eines Übereinkommens, dem es beigetreten ist, nicht in befriedigender Weise sichergestellt habe, so kann der Verwaltungsrat sie der betreffenden Regierung übermitteln und diese Regierung einladen, sich in einer ihr geeignet erscheinenden Weise zur Sache zu äußern.“

1. Kap.: Vertragliche Menschenrechtsschutzverfahren und -instrumente

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lenfalls eine analoge Anwendung dieser Norm auf indigene Völker. Dies setzt aber eine planwidrige Regelungslücke voraus, die im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Indigene und in Stämmen lebende Völker können daher nur auf die Wirkungen der auch für ILO-Konvention 169 geltenden Überwachungsverfahren setzen. Sie beruhen auf einer Kombination aus Öffentlichkeitsdruck, Überzeugung und dem Angebot von Hilfe bezüglich der Verbesserung der Normenanwendung. Zwangsmittel zur Durchsetzung der Vertragspflichten eines ILO-Übereinkommens existieren nicht. IV. Schlussfolgerungen aus der Analyse universeller Menschenrechtsschutzverfahren Der prozedurale Menschenrechtsschutz, den die universellen Menschenrechtsverträge im Allgemeinen und, bezüglich der Rechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, im Besonderen bieten, ist begrenzt. Keiner der Verträge sieht ein Kontrollorgan vor, das mit Exekutivbefugnissen ausgestattet ist. Alternative – effektive – Mechanismen zur Umsetzung der Entscheidungen und Empfehlungen des jeweiligen Sachverständigenausschusses gibt es nach wie vor nicht. Auch die außervertraglichen Menschenrechtsschutzverfahren der Vereinten Nationen, wie zum Beispiel das vertrauliche „1503-Verfahren“ der UN-Menschenrechtskommission, das ein Auffangverfahren für Beschwerden ist, für die kein spezielleres Verfahren existiert,31 sind in ihrer Wirkung als Instrumente zur Menschenrechtssicherung beschränkt.32 31 Procedure for dealing with communications relating to violations of human rights and fundamental freedoms – Resolution 1503 (XLVIII) of the Economic and Social Council, 1693rd plenary meeting, 27 May 1970. Die Resolution 1503 ist auf der Website des Hochkommissariats für Menschenrechte unter abrufbar. Sie ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 94–96. – Nach dem „Verfahren für die Behandlung von Mitteilungen mit Bezug auf Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten“ (1503-Verfahren) können sowohl Personen oder Gruppen, die Opfer einer Verletzung der Menschenrechte sind, als auch Personen, Gruppen oder Organisationen, die direkte und zuverlässige Informationen über solche Verletzungen haben beim Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte eine Beschwerde einreichen, die zunächst von einer Arbeitsgruppe für Mitteilungen, gegebenenfalls letztendlich von der Menschenrechtskommission selbst in nichtöffentlichen Sitzungen unter Beteiligung des betroffenen Staates erörtert werden. Siehe ausführlich hierzu Hüfner, S. 57–60 m. w. N. 32 Neben dem vertraulichen 1503-Verfahren besteht ein öffentliches Verfahren entsprechend der Entschließung 1235 (XLII) des ECOSOC, für das ebenfalls die Menschenrechtskommission zuständig ist. Siehe Resolution 1235 (XLII) des Wirtschafts – und Sozialrats vom 6. Juni 1967, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 92–93. Siehe auch Hüfner, S. 62.

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Die neunte Internationale Konferenz Amerikanischer Staaten hat schon 1948 in ihrer Resolution XXXI mit dem Titel „Inter-American Court to Protect the Rights of Man“ erklärt, dass der Schutz der Menschenrechte durch ein Gerichtsorgan ( juridical organ) garantiert werden müsse: „inasmuch as no right is genuinely assured unless it is safeguarded by a competent court. [. . .] [W]here internationally recognized rights are concerned, juridical protection, to be effective, should emanate from an international organ.“33

Die internationale Staatengemeinschaft ist dieser Aufforderung bisher nicht nachgekommen. Ein internationaler Menschenrechtsgerichtshof existiert auf universeller Ebene nach wie vor nicht.34 Gerichtsförmige Verfahren, die der Kontrolle und Durchsetzung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte dienen, bestehen aber – teilweise schon seit mehreren Jahrzehnten – auf regionaler Ebene.35

B. Die Menschenrechtsschutzverfahren regionaler Menschenrechtsverträge I. Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention Das Rechtsschutzsystem der EMRK mitsamt ihrer Zusatzprotokolle stellt angesichts seiner besonderen Kontrollmechanismen und -verfahren einen internationalen Menschenrechtsschutz „im echten Sinne“ dar.36 Bedeutendstes gerichtliches Organ des Straßburger Kontrollsystems ist der nach dem Zusatzprotokoll Nr. 11 von 1994 reformierte, nunmehr ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).37 An ihn können sich nach Art. 34 33 International Conferences of American States, Second Supplement, S. 270, enthalten in: Inter-American Court of Human Rights, General Information: Basic Documents Pertaining to Human Rights in the Inter-American System, OEA/Ser. L. V/ II.82 doc. 6 rev. 1 at 13 (1992), abrufbar unter . 34 Die Errichtung eines universellen Menschenrechtsgerichtshofs wurde gerade auch von deutscher Seite wiederholt gefordert. Siehe hierzu die Nachweise bei Klein, Menschenrechte, S. 19, Fn. 65. 35 Ein Vergleich der Rechtsschutzsysteme von EMRK, AMRK und Banjul-Charta findet sich in Tabellenform bei Association for the Prevention of Torture, Occasional Paper: The African Court on Human and Peoples’ Rights, January 2000, Annex I, abrufbar unter . 36 Vgl. Otto Kimminich, Die Positivierung der Menschenrechte, in: Politische Studien, Heft 349, 47. Jahrgang, September/Oktober 1996, S. 71 (87). – Ein Überblick über das Rechtsschutzsystem der EMRK findet sich bei Hüfner, S. 209–231, m. w. N. 37 Der neue EGMR löst zwei der ursprünglich von der EMRK geschaffenen Kontrollorgane ab, die Kommission und den ehemaligen Gerichtshof. – Zum reformier-

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EMRK Individuen, nichtstaatliche Organisationen und Personengruppen direkt, das heißt ohne Zwischenschaltung der Menschenrechtskommission wenden,38 um Verletzungen ihrer Konventionsrechte durch einen Vertragsstaat zu rügen und gegebenenfalls Wiedergutmachung bzw. eine gerechte Entschädigung zugesprochen zu bekommen.39 Durch die Begründung einer unmittelbaren Klagebefugnis nach dem Zusatzprotokoll Nr. 11, das am 1. November 1998 in Kraft getreten ist, erkennt Art. 34 EMRK betroffenen Einzelpersonen die ihnen bis dahin versagte Stellung als Verfahrenspartei zu. Dies ist als großer Fortschritt in der Weiterentwicklung des Rechtsschutzsystems der EMRK von einem zwischenstaatlich geprägten zu einem echten gerichtlichen, individualschützenden System zu werten.40 Die Urteile des Gerichtshofs sind für die Vertragsstaaten verbindlich.41 Ihre Befolgung wird von dem Ministerkomitee des Europarats überwacht.42 Das im System der Vereinten Nationen gebräuchliche Instrument des Staatenberichtsverfahrens kennt das Kontrollsystem der EMRK nicht. Allerdings kann nach Art. 33 EMRK jeder Konventionsstaat den EGMR wegen jeder behaupteten Verletzung der Konvention und der Zusatzprotokolle durch einen anderen Konventionsstaat anrufen (Staatenbeschwerde). Die Europäische Menschenten Gerichtssystem siehe Ingrid Siess-Scherz, Das neue Rechtsschutzsystem nach dem Protokoll Nr. 11 zur EMRK über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus, in: Christoph Grabenwarter/Rudolf Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK, 1999, S. 1–19; Volker Schlette, Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, in: Juristen Zeitung 5 (1999), S. 219–226. 38 Art. 34 – Individualbeschwerden – lautet: „Der Gerichtshof kann von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe, die behauptet durch einen der Hohen Vertragschließenden Teile in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden.“ (Hervorh. d. Verf.). 39 Ausführlich zum Verfahrensablauf der Individualbeschwerde siehe Schlette, S. 223–224. Zum Verfahren nach Inkrafttreten des 11. ZP siehe auch Vincent Berger u. a., La procédure devant la nouvelle Cour européenne des droits de l’homme après le Protocole nº 11, 1999. 40 Vor Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls gelangten alle Individualbeschwerden zunächst an die aus Staatenvertretern bestehende Menschenrechtskommission. In den Fällen, in denen die Beschwerde nicht innerhalb von drei Monaten an den Gerichtshof weitergeleitet wurde, entschied das Ministerkomitee – ein politisches Organ des Europarats –, ob eine Konventionsverletzung vorlag. 41 Vgl. Art. 46 Abs. 1 EMRK: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ 42 Vgl. Art. 46 Abs. 2 EMRK: „Das endgültige Urteil des Gerichtshofs ist dem Ministerkomitee zuzuleiten, dieses überwacht seine Durchführung.“ – Das Ministerkomitee setzt sich aus den Außenministern der Mitgliedstaaten bzw. deren Vertretern zusammen.

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rechtskonvention erkennt folglich „in den Staaten und im Individuum die natürlichen Wächter der Menschenrechte“ an.43 II. Das Rechtsschutzsystem der Amerikanischen Menschenrechtskonvention Der Durchsetzung der Menschenrechte, die in der AMRK normativ geschützt sind, dient eine fakultative Staaten- sowie eine obligatorische Individualbeschwerde.44 Für deren Prüfung sind die Interamerikanische Menschenrechtskommission45 und der 1979 geschaffene Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte46 zuständig. Im Unterschied zum Rechtsschutzsystem der EMRK sieht das Interamerikanische System keine unmittelbare Klagebefugnis betroffener Einzelpersonen am Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof vor. Individuen können Menschenrechtsbeschwerden nur bei der Kommission einreichen, die daneben auch für Staatenbeschwerden zuständig ist.47 Eine Individualbeschwerde kann dabei auch von Personengruppen oder Einzelpersonen erhoben werden, die nicht selbst von einer Konventionsverletzung betroffen sind.48 Aufgabe der Menschenrechtskommission ist es, nach Eingang einer Beschwerde zunächst eine friedliche Lösung anzustreben. In den Fällen, in denen dies nicht gelingt, kann sie „einschlägige Empfehlungen“ unterbreiten sowie die Vertragspartei, gegen welche die Beschwerde gerichtet ist, auffordern, die menschenrechtswidrige Praxis innerhalb einer von der Kommission 43

Hüfner, S. 209. Ausführlich zu den Durchsetzungsmechanismen der AMRK siehe Dinah Shelton, Implementation Procedures of the American Convention on Human Rights, in: German Yearbook of International Law 26 (1983), S. 238 ff., sowie aus jüngerer Zeit Jo M. Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2003. 45 Vgl. Kapitel VII, Art. 41 lit. f) AMRK: „Hauptaufgabe der Kommission ist die Förderung der Achtung und Verteidigung der Menschenrechte. In Erfüllung ihres Auftrages hat sie die folgenden Aufgaben und Befugnisse: f) zu Eingaben und anderen Mitteilungen im Rahmen ihrer Befugnisse entsprechend den Bestimmungen der Art. 44 bis 51 dieser Konvention das Entsprechende zu veranlassen.“ 46 Vgl. Kapitel VIII AMRK. – Allgemeine Informationen über den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte finden sich z. B. bei University of Minnesota, Human Rights Library, Inter-American Court of Human Rights, General Information, abrufbar unter . 47 Vgl. Art. 41 lit f. AMRK sowie Art. 44–51 AMRK. 48 Vgl. Art. 44 AMRK, der lautet: „Jede Person oder Gruppe von Personen und jede in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Organisation anerkannte nichtstaatliche rechtliche Einheit kann bei der Kommission Eingaben machen, die Anzeigen oder Beschwerden über eine Verletzung dieser Konvention durch einen Vertragsstaat enthalten.“ 44

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gesetzten Frist einzustellen. Verstreicht diese fruchtlos, kann die Kommission beschließen, einen Bericht über den streitigen Fall zu veröffentlichen. Daneben hat sie die Möglichkeit, den Gerichtshof anzurufen. Zugang zum Gerichtshof haben neben der Kommission nur Vertragsstaaten. Sie müssen die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Streitigkeiten, die aus der AMRK entstehen, ausdrücklich anerkennen. Die Urteile des Gerichtshofs sind endgültig49 und für die Vertragsstaaten rechtsverbindlich.50 Der Gerichtshof kann den Beschwerdeführern Schadenersatz zusprechen.51 III. Das afrikanische Rechtsschutzsystem Das afrikanische Rechtsschutzsystem ist das jüngste und bisher noch schwächste der drei regionalen Systeme zur Menschenrechtssicherung.52 1. Das Kontrollsystem der Banjul-Charta Die Banjul-Charta sieht im Gegensatz zu der europäischen bzw. amerikanischen Menschenrechtskonvention keine echten Gerichts- oder Exekutivorgane vor. Der Schutz der in der Charta gewährleisteten Rechte obliegt danach allein der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker (African Commission on Human and Peoples’ Rights). Sie ist ein quasi-gerichtliches Organ, das dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen nachgebildet ist. Die Kommission ist in erster Linie für Dokumentation und Information, Beratung für die nationale Menschenrechts-Gesetzgebung und – auf Nachfrage einer Vertragspartei, der Organisation Afrikanischer Einheit oder einer von dieser anerkannten Organisation – für die Interpretation der Charta-Bestimmungen zuständig.53 Darüber hinaus ist es Aufgabe der Kommission, Staatenberichte sowie „Mitteilungen“ (communications) zu prüfen, mit denen Staaten, Einzelpersonen und öffentliche oder private Einrichtungen eine Verletzung der Banjul-Charta geltend machen.54 Die Berichte, welche die Kommission mit Zustimmung55 49

Vgl. Art. 67 AMRK. Vgl. Art. 68 Abs. 1 AMRK. 51 Vgl. Art. 68 Abs. 2 AMRK. 52 Zum afrikanischen Menschenrechtssystem im Allgemeinen siehe George William Mugwanya, Human Rights in Africa: Enhancing Human Rights Through the African Regional Human Rights System, 2003; Malcolm D. Evans (Hrsg.), The African Charter on Human and Peoples’ Rights, 2002. 53 Vgl. Project on International Courts and Tribunals (PICT) Resources, African Court of Human and Peoples’ Rights – Description [2004] PICTRes 13 (18. April 2004), abrufbar unter . 54 Vgl. Hailbronner, Staat, 3. Abschn., Rdn. 266. 50

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der Versammlung der Staats- und Regierungschefs veröffentlicht, entfalten nur äußerst geringe Rechtswirkungen gegenüber dem Staat, der die Charta verletzt hat. Das verwundert indes kaum: „The scantiness of the enforcement and compliance control mechanism contained in the African Charter, however, is hardly surprising. At the time the OAU adopted the African Charter, very few African States (i. e., Gambia, Senegal, and Botswana), could vaunt of a democratic regime respectful of at least the fundamental human rights.“56

2. Der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker Die Demokratisierungsentwicklungen in vielen afrikanischen Ländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben aber das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Sicherung der Menschenrechte auf dem Kontinent verbessert werden musste. Seit 1993 wurde daher ein Zusatzprotokoll zur Banjul-Charta ausgearbeitet, das die Schaffung eines eigenen Gerichtsorgans für das afrikanische Menschenrechtssystem vorsieht, den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker (African Court on Human and Peoples’ Rights, AGMRV).57 Das Protokoll wurde am 9. Juni 1998 von 32 Staaten gezeichnet.58 Der Gerichtshof ist zwar noch nicht errichtet, da das Protokoll in Ermangelung ausreichender Ratifizierungen noch nicht in Kraft getreten ist. Dem AGMRV kann aber, sobald er seine Arbeit aufnimmt, eine große Bedeutung bezüglich der Sicherung international anerkannter Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, zukommen. Der afrikanische Menschenrechtsgerichtshof hebt sich nämlich in einem entscheidenden Punkt von seinen Vorläufern, dem EGMR und AGMR, ab: Das Protokoll zur Banjul-Charta sieht vor, dass mit Klagen, die beim AGMRV eingereicht werden, nicht nur Verletzungen der Charta selbst, sondern eines jeden internationalen Menschenrechtsinstru55

Vgl. Hobe/Kimminich, Kap. 13, 13.2.3., S. 422. Project on International Courts and Tribunals (PICT) Resources. 57 The Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Establishment of an African Court on Human and Peoples’ Rights, abrufbar unter . – Eine ausführliche Darstellung, Analyse und Kommentierung des Protokolls findet sich bei: Association for the Prevention of Torture, – Zur Errichtung des AGMRV siehe auch Nsongurua J. Udombana, Towards the African Court on Human and Peoples’ Rights: Better Late Than Never, in: Yale Human Rights & Development Law Journal 3 (2000), S. 45–110. – Zum Gerichtshof selbst siehe Project on International Courts and Tribunals (PICT) Resources. 58 Vgl. Hobe/Kimminich, Kap. 13, 13.2.3., S. 422. 56

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mentes, das von dem betroffenen Staat ratifiziert wurde, geltend gemacht werden können.59 Dementsprechend kann der AGMRV Klagen auf der Grundlage eines jeden völkermenschenrechtlichen Vertrags entscheiden, sofern dieser einschlägig ist: „In other words, the ACHPR [AGMRV] could become the judicial arm of a panoply of human rights agreements concluded under the aegis of the United Nations (e. g., the International Covenant on Civil and Political Rights, [. . .], or of any other relevant legal instrument codifying human rights (e. g., [. . .] those adopted by the International Labour Organization).“60

Der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof könnte so auf dem afrikanischen Kontinent die „Sicherungslücken“ schließen, welche hinsichtlich der Durchsetzungs- und Kontrollverfahren universeller Menschenrechtsverträge bestehen: „at least potentially, several African states could end up with a dispute settlement and implementation control system stronger and with more bite than the one ordinarily provided for by those treaties for the rest of the world.“61

C. Abschließende Bewertung: Die Durchsetzungsschwäche des internationalen Menschenrechtsschutzes Die Mechanismen zur Sicherung der individuellen und kollektiven Grundrechte und -freiheiten, die in den universellen Menschenrechtsverträgen garantiert sind, vermögen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, die vereinbarten Normen gleichmäßig durchzusetzen und dadurch einen wirksamen Schutz dieser Rechte zu gewährleisten: Kontrollorgane, die mit Exekutivbefugnissen ausgestattet sind, existieren für die – ohnehin lediglich fakultativen – (Individual)beschwerdeverfahren nicht. Insbesondere gibt es nach wie vor keinen internationalen Menschenrechtsgerichtshof. Die Kompetenzen der Sachverständigenausschüsse sind durch zahlreiche Sicherungen zugunsten der Souveränität der Staaten eng begrenzt. Als funktionsfähiges Kontrollorgan können sie daher kaum angesehen werden.62 Auch die Staatenberichtsverfahren dienen nur begrenzt als Mittel zur Förderung und zum Schutz der Vertragsrechte. 59

Siehe Art. 3 Abs. 1 des Protokolls: „The jurisdiction of the Court shall extend to all cases and disputes submitted to it concerning the interpretation and application of the Charter, this Protocol and any other relevant Human Rights instrument ratified by the states concerned.“ 60 Project on International Courts and Tribunals (PICT) Resources, abrufbar unter . 61 Ebd. 62 Vgl. Kimminich, Positivierung, S. 78, bez. des Menschenrechtsausschusses des IPBPR.

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In Ermangelung vertraglich vereinbarter Spezialvorschriften richtet sich die Überwachung der Vertragstreue nach allgemeinem Völkerrecht. Kimminich zufolge tritt an dieser Stelle „die grundlegende Schwäche des internationalen Menschenrechtsschutzes zutage“: „Während bei anderen bilateralen oder multilateralen Verträgen im Falle einer Vertragsverletzung der geschädigte Staat zu denjenigen Mitteln greifen kann, die ihm das allgemeine Völkerrecht bietet [. . .], erheben sich bei Verletzungen der Menschenrechtspakte rechtstechnische Probleme, wenn diese Verletzungen ausschließlich die eigenen Staatsangehörigen des betreffenden Staates treffen.“63

In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob ein Staat behaupten kann, er sei in seinen Rechten verletzt worden, wenn ein anderer Staat seine eigenen Staatsangehörigen menschenrechtswidrig behandelt. Die Völkerrechtsordnung hat sich zwar in den vergangenen Jahren, was den Grundsatz der Souveränität von Staaten anbetrifft, zugunsten eines effektiveren internationalen Menschenrechtsschutzes stark verändert. Die von Kimminich aufgeworfene Frage lässt sich aber dennoch nur für die wenigsten der völkervertraglich garantierten Menschenrechte bejahen: „Die menschenrechtswidrige Behandlung eigener Staatsangehöriger ist zwar eine Verletzung der jeweils einschlägigen Bestimmungen eines der beiden Menschenrechtspakte [. . .], aber von der Vertragsverletzung ist eben kein anderer Signatarstaat des betreffenden Menschenrechtspaktes betroffen.“64

Von der Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht menschenrechtlicher Art sind zwar dann alle Staaten betroffen, wenn es sich bei dieser um eine so genannte erga-omnes-Verpflichtung handelt. Eine solche begründen aber die wenigsten Menschenrechte, nämlich zum Beispiel das Völkermordverbot65, das Selbstbestimmungsrecht der Völker66, sowie das Verbot der Sklaverei und der Rassendiskriminierung67. Die meisten Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, wie die Wohnsitzfreiheit, das Recht auf Achtung der Wohnung, das Recht auf angemessene Unterbringung, das Eigentumsrecht und die entwicklungsbezogenen Partizipationsrechte begründen indes keine Pflichten eines Staates, die ihm der Staatengemeinschaft als Einheit gegenüber obliegen (erga-omnesPflicht). Vertragliche Pflichten, die ein Staat in einem völkerrechtlichen 63

Ebd., S. 80. Ebd., S. 80 f. 65 Zur Einordnung des Völkermordverbotes als erga-omnes-Verpflichtung, siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. 66 Zur Einordnung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als erga-omnes-Verpflichtung, siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. I. 67 Zur Einordnung des Verbots der Sklaverei und der Rassendiskriminierung als erga-omnes-Verpflichtung siehe Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Judgment, ICJ Reports 1970, S. 3 (32), Para. 33 und 34. 64

1. Kap.: Vertragliche Menschenrechtsschutzverfahren und -instrumente

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Menschenrechtsinstrument übernommen hat, sind zwar Pflichten gegenüber allen anderen Vertragsparteien. Das berechtigt letztere aber nicht, eine staatliche Vertragstreue gerichtlich zu erzwingen. Sie sind allerdings unter anderem befugt, den angeblichen „Verletzerstaat“ auf die geltend gemachte Verletzung hinzuweisen und diesen dazu aufzufordern, seine menschenrechtswidrige Praxis einzustellen.68 Der dadurch erzeugte politische und moralische Druck, der durch die Tätigkeit der Menschenrechtskommission und der vorerwähnten beiden Menschenrechtsausschüsse noch erhöht werden kann, sollte nicht unterschätzt werden. Ein Ersatz für die immer noch fehlende Exekutivgewalt der organisierten Staatengemeinschaft und eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit ist dies aber nicht.69 Diese „grundlegende Schwäche des internationalen Menschenrechtsschutzes“ betrifft auch völkergewohnheitsrechtlich begründete Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, wie das gewohnheitsrechtliche Bleiberecht, das Völkermordverbot und das Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens. Auch diesbezüglich fehlt es nach wie vor an einem international anerkannten Rechtsverfahren, um deren Einhaltung zu erzwingen. Die Fälle, in denen Verletzungen international – insbesondere auch völkergewohnheitsrechtlich – anerkannter Menschenrechte vor nationalen Gerichten geltend gemacht wurden, haben zwar in den vergangenen Jahren zugenommen.70 Das grundsätzliche Problem der effektiven Verwirklichung der Menschenrechte auf globaler Ebene löst dieser Ansatz aber nicht. Klein ist angesichts dieser Situation zu dem Ergebnis gekommen, dass das Recht in diesen Fällen „nur von den Staaten in die eigenen Hände genommen werden“ könne: „Was ihnen bleibt sind Retorsion und Repressalie. Letztere erlaubt den Einsatz an sich völkerrechtswidriger Mittel, um Beugezwang auf den Verletzerstaat auszuüben; dabei ist allerdings der Zugriff auf eigene menschenrechtliche Verpflichtungen ausgeschlossen. Eröffnet ist den Staaten jedoch neben Protest und Demarche vor allem der breite Bereich wirtschaftlicher Sanktionen, bis hin zum totalen Handelsembargo.“71

Auch diese Instrumente sind jedoch in ihrer praktischen Wirkung begrenzt, wie Klein zugestanden hat: „Es liegt auf der Hand, daß hier bei jedem Staat auch politische Erwägungen zum Zuge kommen. Ein Staat hat nicht nur seiner nach außen gerichteten Menschen68 Zu weiteren Durchsetzungsmöglichkeiten siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel. 69 Vgl. Kimminich, Positivierung, S. 81. 70 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. III. 1. a). 71 Klein, Menschenrechte, S. 19.

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rechtsverantwortung gerecht zu werden, so wichtig diese ist und so wenig ihr oft das angemessene Gewicht gegeben wird. Unabdingbar sollte allerdings sein, daß Menschenrechtsverletzungen auch im Verhältnis zu großen, mächtigen Staaten und bedeutenden Handelspartnern offen beim Namen genannt werden, da andernfalls jede Glaubwürdigkeit verloren zu gehen droht.“72

Die regionalen Menschenrechtsschutzsysteme scheinen besser geeignet, international anerkannte Menschenrechte effektiv zu gewährleisten. Sie haben gegenüber dem universellen Menschenrechtssystem, was die Sicherung der Durchsetzung internationaler Grundrechte anbetrifft, den entscheidenden Vorteil, dass über die Einhaltung der dadurch begründeten Pflichten – jedenfalls in Europa und Amerika – Gerichtshöfe wachen.73 Der regionale Menschenrechtsschutz ist aber ebenfalls begrenzt. Wo die Grenzen der innerstaatlichen Rechtswirkung von Konventionsrechten der EMRK sowie Entscheidungen des EGMR liegen, hat der Beschluss des Zweiten Senats des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 anschaulich gezeigt.74 Er macht deutlich, dass selbst Staaten, welche die verbindliche Rechtsprechungskompetenz der Vertragsorgane grundsätzlich anerkannt haben, die Reichweite der Wirkung sowohl der Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention als auch der Entscheidungen ihres Spruchkörpers für sich selbst bestimmen.75 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass auch Menschenrechtsbeschwerden, die bei dem EGMR eingereicht werden, dort als Instrument zur Menschenrechtssicherung an ihre Grenzen stoßen, wo der EGMR mit einem Beurteilungsspielraum des angeblichen „Verletzerstaats“ arbeitet und dessen Entscheidung deshalb nur beschränkt überprüft. Dies trifft insbesondere auf Planungsentscheidungen zu, die in den gerichtlich zu 72

Ebd. Vgl. in diesem Zusammenhang Gerhard Stuby, Universalismus versus Partikularismus: Die Menschenrechte der dritten Generation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46–47/98, 6. November 1998, S. 27 (32), für den gerichtsförmige Verfahren die effektivste Form der Kontrolle von Menschenrechten der ersten Kategorie darstellen. 74 BVerfG, 2 BvR 1481/04, Absatz-Nr. (1–73), Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Oktober 2004, abrufbar unter . 75 Der Beschwerdeführer hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde, die dem Beschluss des BVerfG zu Grunde lag, die aus seiner Sicht mangelhafte Umsetzung des in seiner Sache ergangenen Urteils des EGMR gerügt. Das BVerfG hat hierzu u. a. entschieden: „Die über das Zustimmungsgesetz ausgelöste Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs erfordert zumindest, dass die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts, der zuständigen Behörde oder des Gesetzgebers einfließen. Das nationale Recht ist unabhängig von dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit Völkerrecht auszulegen.“ Ebd. (Hervorh. d. Verf.). 73

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entscheidenden Fällen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen regelmäßig Streitgegenstand sind.76 Angesichts der aufgezeigten Schwächen der Durchsetzungsmechanismen internationaler Menschenrechts-Schutzinstrumente stellt sich die Frage, ob bzw. welche alternativen Möglichkeiten es gibt, die Um- und Durchsetzung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, die potenziell vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, effektiv zu sichern. Zweites Kapitel

Die Sicherung von Menschenrechten zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen durch Recht und Praxis der Weltbank Entwicklungsprojekte, die zu Zwangsumsiedlungen größeren Ausmaßes führen, stellen in der Regel nicht allein nationale Vorhaben dar. Sie erreichen vielmehr meist eine Größenordnung, die die Einbindung multilateraler Institutionen, insbesondere der internationalen Entwicklungsbanken, erforderlich macht. Ohne deren technische und finanzielle Unterstützung lassen sich solche Projekte häufig nicht realisieren. Es liegt daher nahe zu untersuchen, ob und in welchem Maße internationale Entwicklungshilfeorganisationen wegen ihrer Möglichkeiten der Einflussnahme auf Planung, Durchführung und Follow-up von Entwicklungsvorhaben die Sicherung von Menschenrechten garantieren können, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind.

A. Vorbemerkungen I. Die Forderungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der die Umsetzung des IPWSKR überwacht, hat schon 1990 in seiner Allgemeinen Bemerkung zu Art. 22 IPWSKR77 – General Comment No. 2 – 76 Zu den diesbezüglichen Grenzen der Individualbeschwerde beim EGMR siehe Lenz, S. 446–448. 77 Art. 22 IPWSKR lautet: „Der Wirtschafts- und Sozialrat kann anderen Organen der Vereinten Nationen, ihren Unterorganen und denjenigen Sonderorganisationen, die sich mit technischer Hilfe befassen, alles aus den in diesem Teil erwähnten

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an Organe, Unterorgane und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, appelliert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Rechte, die in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen gewährleistet sind, in jeder Phase eines Entwicklungsprojekts (Projektidentifizierung, -entwurf, -durchführung und abschließende Evaluierung) angemessen berücksichtigt werden.78 Er hat zusätzlich noch konkrete Menschenrechtspflichten dieser Organisationen, und zwar auch bezüglich entwicklungsbedingter Massenumsiedlungen, benannt: „United Nations agencies involved in the promotion of economic, social and cultural rights should do their utmost to ensure that their activities are fully consistent with the enjoyment of civil and political rights. In negative terms this means that the international agencies should scrupulously avoid involvement in projects which, for example [. . .] promote or reinforce discrimination against individuals or groups contrary to the provisions of the Covenant, or involve large-scale evictions or displacement of persons without the provision of all appropriate protection and compensation. In positive terms, it means that, wherever possible, the agencies should act as advocates of projects and approaches which contribute not only to economic growth or other broadly defined objectives, but also to enhanced enjoyment of the full range of human rights.“79

Der Ausschuss steht mit seiner Forderung, die er 1997 in seiner Allgemeinen Bemerkung über das Recht auf angemessene Unterbringung hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsentfernungen wiederholt hat,80 nicht allein. In den vergangenen Jahren wurde vielmehr auch von anderer Seite, Berichten mitteilen, was diesen Stellen helfen kann, in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich über die Zweckmäßigkeit internationaler Maßnahmen zur wirksamen schrittweisen Durchführung dieses Paktes zu entscheiden.“ 78 CESCR, Fourth session (1990), General Comment No. 2, International technical assistance measures (art. 22 of the Covenant), Rdn. 8 (d), enthalten in: UN Doc. E/1990/23, annex III, sowie in: United Nations, International Human Rights Instruments, Compilation of General Comments and General Recommendations Adopted by Human Rights Treaty Bodies, UN Doc. HRI/GEN/1/Rev. 7, 12 May 2004, S. 12–14. 79 Ebd., Para. 6 (Hervorh. d. Verf.); siehe auch Resolution 1990/17. Human rights dimensions of population transfer, including the implantation of settlers and settlements, Para. 3, der UN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten vom 30. August 1990, in der die Unterkommission unter anderem bez. des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen auf General Comment 2 verweist. Die Resolution ist enthalten in: UN Doc. E/ CN. 4/1991/2, E/CN.4/Sub. 2/1990/59, S. 41. 80 General Comment No. 7 (1997), Para. 17: „The Committee is aware that various development projects financed by international agencies within the territories of State parties have resulted in forced evictions. In this regard, the Committee recalls its General Comment No. 2 (1990).“ Ausführlich zu General Comment No. 7 (1997) siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 4. b) aa) (2).

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unter anderem von der UN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten, erklärt, dass neben Staaten auch andere Akteure, wie zum Beispiel internationale Finanzorganisationen und -institutionen, menschenrechtliche Pflichten im Zusammenhang mit Entwicklungsaktivitäten haben.81 Seit der Verabschiedung von General Comment No. 2 sind fünfzehn Jahre vergangen. Fraglich ist, ob die Institutionen, an die der Ausschuss seine Empfehlungen gerichtet hat, diesen nachgekommen sind. Stellen UN-Entwicklungshilfeorganisationen also durch ihre Rechtspraxis sicher, dass international anerkannte Menschenrechte, insbesondere solche, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, in von ihnen geförderten Entwicklungsvorhaben gewährt und gewahrt werden? II. Die Weltbank als Beispielsfall Diese Frage soll nachfolgend primär am Beispiel der Weltbank, einer der bedeutendsten Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, erörtert werden. Sie besteht aus zwei Institutionen der Weltbankgruppe82, der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank for Reconstruction and Development, IBRD), die 1944 zugleich mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gegründet wurde,83 und ihrer Tochterorganisation, der Interna81 Siehe z. B. Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-based Displacement, Para. 5: „While forced evictions can be carried out, sanctioned, demanded, proposed, initiated or tolerated by a variety of distinct actors, responsibility for forced evictions under international law, ultimately, is held by States. This does not, however, relieve other entities from obligations in this regard, in particular . . . international financial and other institutions or organizations, transnational corporations and individual third parties, including public and private landlords or land owners.“ – Siehe auch – im Bezug auf die Pflichten von MLIs bez. der Achtung von Menschenrechten im Entwicklungsbereich allgemein – Human rights as the primary objective of trade, investment and financial policy, Sub-Commission resolution 1998/12, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/Res/1998/12, 20. August 1998; Working paper submitted by J. Oloka-Onyango and Deepika Udagama, insbes. Para. 36; United Nations, Economic and Social Council, Commission on Human Rights, Economic, Social and Cultural Rights: Globalization and its impact on the full enjoyment of human rights: Progress report submitted by J. Oloka-Onyango and Deepika Udagama, in accordance with Sub-Commission resolution 1999/8 and Commission on Human Rights decision 2000/102, UN Doc E/CN.4/Sub. 2/2001/10, 2. August 2001, insbes. Para. 54. 82 Die Weltbankgruppe umfasst fünf rechtlich selbstständige Institutionen. Neben der Weltbank (IBRD und IDA) zählen zu ihr die 1956 gegründete Internationale Finanzkorporation (IFC) (s. u.), die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA) sowie das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID).

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tionalen Entwicklungsorganisation (International Development Association, IDA). Letztere wurde 1960 errichtet.84 Als größter einzelner Kreditgeber zugunsten von Entwicklungsländern steht die Weltbank heute an der Spitze internationaler Finanzinstitutionen. Im Finanzjahr 2004 hat die IBRD 20,1 Milliarden US-$ für 245 Entwicklungsprojekte zur Verfügung gestellt.85 Bei der IDA belief sich das Kreditvolumen auf 9 Milliarden US-$ für 158 Projekte in 62 Ländern.86 Mit ihren projektgebundenen Krediten fördert die Weltbank unter anderem Projekte zum Auf- und Ausbau von Produktionsmöglichkeiten, Landwirtschaft, Transportverkehrslinien, Telefonleitungen, Bewässerungs- und Energiegewinnungsanlagen und zur Stadtentwicklung sowie Armutsreduzierungsprogramme. Die IBRD vergibt dabei Kredite an Länder mit „mittlerem Entwicklungsstand“, die eine Laufzeit von 15 (ausnahmsweise 25) Jahren haben und verzinst werden (sog. „harte Kredite“).87 Im Unterschied hierzu gewährt die IDA zinslose oder niedrig verzinsliche Kredite an die ärmsten Länder mit einer Laufzeit von regelmäßig fünfzig Jahren (sog. „weiche Kredite“).88 Kreditnehmer können sowohl Mitgliedstaaten als auch Privatunternehmen sein. Voraussetzung dafür, dass letztere einen Weltbankkredit erhalten, ist, dass der Staat, auf dessen Gebiet das Projekt ausgeführt werden soll, eine Garantie für die Rückzahlung des Darlehens abgibt.89 Aufgrund ihrer hervorragenden Stellung im Bereich der internationalen Kreditfinanzierung, insbesondere auch wegen des Größenmaßes der von ihr geförderten Projekte, übt die Weltbank traditionell nicht nur auf die Kreditnehmerländer maßgeblichen Einfluss aus: „Their [Weltbank und IWF, Anm. d. Verf.] pre-eminence is such that what they say or do has significant impact on how private capital and financial markets behave. Their operations are conducted at so large a scale that the impacts of such operations are most grave and far-reaching. Because of their pre-eminence and 83 Siehe Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 1.–22. Juli 1944, BGBl. 1952 II, S. 664. Das Abkommen ist in deutscher und englischer Version abgedruckt in: Martina Ernst u. a. (Hrsg.), Weltbankgruppe und Internationaler Währungsfonds – Gründungsdokumente, 1988, S. 11 ff. 84 Siehe Abkommen über die Internationale Entwicklungsorganisation vom 1. Januar 1960, BGBl. 1960 II, S. 2138. Das Abkommen ist in deutscher und englischer Version abgedruckt in: Ernst, S. 123 ff. 85 Vgl. The World Bank Group, About Us: What is the World Bank, abrufbar auf der Website der Weltbank unter (Stand: Januar 2005). 86 Siehe ebd. 87 Vgl. Dolzer, Wirtschaft, 6. Abschn. Rdn. 113. 88 Vgl. ebd. 89 Vgl. Ignaz Seidl-Hohenveldern und Gerhard Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl., 2000, Rdn. 3302.

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power they are uniquely placed to influence governmental policies of developing countries. Similarly, they do constitute an important precedent for other development agencies such as Regional Banks, and bilateral development assistance agencies.“90

Diese Möglichkeiten der Weltbank erklären, warum sich diese internationale Finanzinstitution zur Erörterung der Frage nach alternativen Menschenrechtssicherungsinstrumenten anbietet.

B. Die Safeguard Policies der Weltbank bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen I. Entstehungsgeschichte Die Weltbank hat als erste multilaterale Finanzinstitution bereits Anfang der 1980er Jahre bankinterne Vorschriften erlassen, welche die Sozial- und Umweltverträglichkeit insbesondere auch jener Projekte sicherstellen sollen, die zu unfreiwilligen Umsiedlungen führen.91 Sie hat damit auf die Kritik einzelner Geberländer und nichtgouvernementaler Organisationen (NGOs) in den 1970er Jahren an den umwelt- und sozialschädigenden Folgen bankfinanzierter Projekte reagiert, die sich in erster Linie auf die damalige Umsiedlungspraxis der Weltbank bezog.92 Die Kritik rührte in erster Linie daher, dass die Weltbank die Verantwortlichkeit für die Umsiedlungskomponente eines Entwicklungsprojekts regelmäßig bei dem Darlehensnehmer gesehen hatte. Während sie Aspekte wie technische Planung, Finanzierung und Management im Rahmen der Projektevaluierung sorgfältig untersuchte, spielten Umsiedlungsaspekte für die Entscheidung über die Kreditwürdig90 Clarence J. Dias, Influencing the Policies of the World Bank and the International Monetary Fund, in: Lars Adam Rehof/Claus Gulmann, Human Rights in Domestic Law and Development Assistance Policies of the Nordic Countries, 1989, S. 53 (55 f.). 91 Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) hat zwar schon 1971 ein Policy Statement über ihre Umsiedlungspolitik erlassen (vgl. World Commission on Dams, Dams, Indigenous Peoples and Ethnic Minorities, Review Draft, March 2000, S. 60, Fn. 280). Die erste Schutzvorschrift der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen (Operational Manual Statement (OMS) No. 2.33, s. u.) war im Vergleich hierzu aber nicht nur um einiges detaillierter. Sie bezog sich vielmehr auch auf unfreiwillige Umsiedlungen, die mit Entwicklungsprojekten gleich welcher Art einhergingen. Das Policy Statement der FAO war hingegen nur auf Zwangsumsiedlungen im Kontext von Großstaudammbauten anwendbar; vgl. Carlos R. Escudero, Involuntary Resettlement in Bank-Assisted Projects, 1988, S. 5. 92 Vgl. z. B. Erin K. MacDonald, Playing by the Rules: The World Bank’s Failure to Adhere to Policy in the Funding of Large-Scale Hydropower Projects, in: Environmental Law 31 (2001), S. 1011 (1012 f.).

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keit eines Projekts keine Rolle.93 Für die Betroffenen unfreiwilliger Umsiedlungen, die fast immer ohne vorherige Konsultierung disloziert wurden – im Rahmen bankfinanzierter Projekte waren dies bisher schätzungsweise drei Millionen94 –, hatte dies aber meist verheerende Folgen: Die regelmäßig entschädigungslosen Zwangsumsiedlungen zerstörten Existenzgrundlagen und machten Lebensplanungen zunichte. Den umgesiedelten Personen gelang es häufig nicht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Armut, Alkoholismus und Krankheiten waren die Konsequenzen.95 1. Die Umsiedlungsvorschriften: Vom Operational Manual Statement No. 2.33 zur Operational Policy und Bank Procedure 4.12 Involuntary Resettlement Die Weltbank hat anerkannt, dass sich bankfinanzierte Projekte mit Umsiedlungskomponenten häufig nachteilig auf die betroffenen Personen auswirkten und zu Menschenrechtsverletzungen führten.96 Sie hat daher im Februar 1980 ihre erste Schutzvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen (Operational Manual Statement (OMS) No. 2.33 – Social Issues Associated With Involuntary Resettlement in Bank-Financed Projects)97 erlassen.98 Sinn und Zweck dieses Arbeitsleitfadens war es, die negativen Auswirkungen unfreiwilliger Dislokationen in bankfinanzierten Projekten zu minimie93 Vgl. William L. Partridge, Involuntary Resettlement in Development Projects, in: Journal of Refugee Studies 2 (1989), S. 373 (377). 94 Genaue Angaben darüber, wie viele Menschen in der Vergangenheit im Rahmen bankfinanzierter Entwicklungsprojekte zwangsumgesiedelt wurden, existieren nicht. Die Weltbank hat 1999 eine Bestandsaufnahme aller Projekte veröffentlicht, die Umsiedlungskomponenten enthielten. Danach waren schon damals mehr als 2,6 Millionen Menschen von solchen Projekten betroffen; siehe The World Bank, Inventory of Projects with Involuntary Resettlement, Washington, D. C. 1999; vgl. auch Dana L. Clark, The World Bank and Human Rights: The Need for Greater Accountability, in: Harvard Human Rights Journal 15 (2002), S. 205 (212, Fn. 23) m. w. N. 95 Siehe Cernea, Risks, S. 20. 96 Zu den Menschenrechtsverletzungen, die durch Zwangsumsiedlungen im Rahmen bankfinanzierter Projekte erfolgten, siehe auch Bruce Rich, Mortgaging the Earth, 1994, S. 25; Brian B. A. McAllister, The United Nations Conference on Environment and Development: An Opportunity to Forge a New Unity in the Work of the World Bank Among Human Rights, the Environment, and Sustainable Development, in: Hastings International and Comparative Law Review 16 (1993), S. 689 (701 ff.). 97 Weltbankinternes Dokument. Eine Kopie befindet sich bei der Verfasserin. 98 Auslöser hierfür waren insbesondere die Kritik an der Weltbank und ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit dem Sobrdinho-Projekt in Brasilien, das Massenzwangsumsiedlungen mit nachteiligen Auswirkungen zur Folge hatte; vgl. Erklärung von Bern (EvB), Die Achillessehne von Weltbankprojekten, März 1994.

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ren.99 Er legte die Grundsätze fest, an denen sich Bankmitarbeiter in Projekten, die Umsiedlungskomponenten umfassten, zu orientieren hatten, beschrieb das Verfahren, das bei der Vorbereitung, Bewertung und Überwachung von Umsiedlungsprogrammen zu befolgen war, und bestimmte, welche Auflagen Kreditnehmer und andere für die Ausführung der Umsiedlungskomponente zuständige Organe diesbezüglich zu erfüllen hatten. 1986 verabschiedete die Weltbank in Ergänzung zu OMS No. 2.33 eine so genannte Operations Policy Note.100 Diese beiden Vorschriften wurden im Juni 1990 durch die Operational Directive (OD) 4.30 Involuntary Resettlement ersetzt.101 Operational Policy (OP) und Bank Procedure (BP) 4.12 Involuntary Resettlement vom Dezember 2001 bzw. April 2004 lösten ihrerseits wiederum OD 4.30 ab.102 Sie wurden durch OP 4.12 – Annex A: Involuntary Resettlement Instruments ergänzt.103

99 Das Operational Manual Statement basiert u. a. auf den Untersuchungsergebnissen von Gesellschaftsanthropologen, die in den 1970er Jahren Fallstudien zu den gesellschaftlichen Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen durchgeführt haben; vgl. Partridge, S. 374, der auf die Studie von Elizabeth Colson, The Social Consequences of Resettlement, 1971 verweist. 100 Operations Policy Note (OPN) 10.08 – Operations Policy Issues in the Treatment of Involuntary Resettlement in Bank-Financed Projects (weltbankinternes Dokument; eine Kopie befindet sich bei der Verf.). – Hierzu und ausführlich zu den Policy Guidelines, die in den 1980er Jahren für bankfinanzierte Projekte mit Umsiedlungskomponenten galten, siehe Michael M. Cernea, Involuntary Resettlement in Development Projects: Policy Guidelines in World Bank-Financed Projects, World Bank Technical Paper No. 80, 1988. 101 Die Arbeitsanweisungen (Operational Policies) der Weltbank waren bis zu ihrer Umstrukturierung im Jahre 1987 hauptsächlich in so genannten „Operational Manual Statements“ (OMSs) und „Operations Policy Notes“ (OPNs) zusammengefasst, die beide mit der Genehmigung des Weltbankpräsidenten vom „Senior Vice President, Operations“ in Form allgemeiner Anweisungen erlassen wurden. Infolge der Umstrukturierung wurden die OMSs in so genannte „Operational Directives“ (ODs) umgenannt; zur Umstrukturierung siehe Ibrahim F. I. Shihata, The World Bank Inspection Panel, 1994, S. 42 f. 102 The World Bank Operational Manual, Operational Policies: OP 4.12, December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004) (künftig OP 4.12) bzw. Bank Procedures: BP 4.12, December 2001, Involuntary Resettlement (künftig BP 4.12). OP/BP 4.12 sind auf der Website der Weltbank abrufbar unter . Sie sind in Anhang I (OP 4.12) und III (BP 4.12) abgedruckt. – Ausführlich zur aktuellen Umsiedlungsvorschrift (OP/BP 4.12) siehe unten, insbes. Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. und III. 103 The World Bank Operational Manual, Operational Policies: OP 4.12 – Annex A, December 2001, Involuntary Resettlement Instruments, abrufbar unter . OP 4.12 – Annex A ist in Anhang II abgedruckt.

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2. Die Bankvorschriften über indigene Völker: Vom Operational Manual Statement No. 2.34 zur Operational Policy 4.10 Indigenous Peoples In engem Zusammenhang mit den policy statements über unfreiwillige Umsiedlungen sind die Schutzvorschriften über indigene Völker zu sehen. Die Weltbank hat im Februar 1982 erstmals eine Arbeitsanweisung für die Bankmitarbeiter über die Behandlung indigener und in Stämmen lebender Völker bei bankfinanzierten Projekten herausgegeben.104 Sie hat damit dem Anfang der 1980er Jahre wachsenden Bewusstsein Rechnung getragen, dass Entwicklungsvorhaben, die darauf abzielten, abgelegene Randgebiete zu entwickeln, häufig negative Folgen für die dort lebenden indigenen Bevölkerungsgruppen hatten.105 Die Weltbank hat das policy statement über indigene Völker und weitere später erlassene Bankvorschriften, die zum Beispiel auf den Schutz der Umwelt,106 kulturellen Eigentums107 und natürlicher Lebensräume108 abzielen, regelmäßig überarbeitet und damit auf externe Kritik an den Bankvorschriften,109 auf völkerrechtliche Entwicklungen110 sowie den Paradigmenwechsel in der Entwicklungsdiskussion und der internationalen Politik reagiert.111 Seit 1991 gilt für Entwicklungspro104 Operational Manual Statement (OMS) No. 2.34 – Tribal People in Bank-Financed Projects (weltbankinternes Dokument; eine Kopie befindet sich bei der Verf.); vgl. hierzu Escudero, S. 10 ff. 105 Vgl. ebd., S. 10, Robert Goodland, Tribal Peoples in Economic Development: Human Ecological Considerations, Washington, D. C., Worldbank 1982, S. 1, Para. 1 zitierend. Siehe auch Forsythe, S. 340. 106 Die Weltbank hat 1989 ihre erste Vorschrift über projektbezogene Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) erlassen. Gegenwärtig gilt OP/BP 4.01 – Environmental Assessment, January 1999 (Revised August 2004). Sinn und Zweck dieser Bankvorschriften ist es, dass umweltpolitische Defizite so früh wie möglich im Projektzyklus erkannt werden und hierauf entsprechend reagiert wird, um so den Umweltschaden bankfinanzierter Projekte so gering wie möglich zu halten oder ihn zu kompensieren. OP/BP 4.01 sind abrufbar unter . 107 Gegenwärtig ist Operational Policy OP 4.11 – Cultural Property in Bearbeitung. Bis zu deren Verabschiedung gilt Operational Policy Note (OPN) No. 11.03 – Management of Cultural Property in Bank-Financed Projects, September 1986, abrufbar unter . 108 OP/BP 4.04 – Natural Habitats, June 2001 (Revised August 2004), abrufbar unter ebd. 109 Vgl. bez. der Umsiedlungsrichtlinie Frank Bliss, New Standards for Involuntary Resettlement – The World Bank’s New Draft Strategy Does not Go Far Enough, in: D + C Development and Cooperation 4 (2001), S. 17. 110 OMS No. 2.34 – Tribal People in Bank-Financed Projects wurde z. B. in Reaktion auf Veränderungen im Bereich des ILO-Rechts überarbeitet. 111 Vgl. Günther Handl, Multilateral Development Banking, 2001, S. 9.

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jekte, die indigene Völker betreffen, Operational Directive (OD) 4.20 Indigenous Peoples.112 Die Richtlinie zählt ebenso zu den insgesamt zehn so genannten Safeguard Policies der Weltbank wie die Schutzvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen.113 Sie soll sicherstellen, dass indigene Völker von Entwicklungsvorhaben profitieren und dass deren nachteilige Auswirkungen vermieden bzw. ausgeglichen werden.114 Besondere Vorsicht ist nach OD 4.20 in den Fällen geboten, in denen Investitionen der Weltbank indigene und in Stämmen lebende Völker, ethnische Minderheiten oder andere Bevölkerungsgruppen betreffen, welche aufgrund ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status nicht in der Lage sind, ihre Interessen und Rechte an ihrem Grund und Boden sowie anderen produktiven Ressourcen geltend zu machen.115 Am 28. Februar 2005 wurde das öffentliche Konsultierungsverfahren bezüglich Draft Operational Policy OP 4.10 vom 1. Dezember 2004116 abgeschlossen. Der Entwurf steht gegenwärtig zur Verabschiedung durch die Exekutivdirektoren der Weltbank an. Die künftige Operational Policy 4.10 Indigenous Peoples soll die gegenwärtig geltende OD 4.20 ersetzen. 3. Die Umsiedlungsvorschriften anderer Finanzund Entwicklungshilfeinstitutionen, insbesondere der IFC sowie nationaler Kreditanstalten In den vergangenen Jahren haben sich verschiedene multilaterale und bilaterale Finanzinstitutionen und Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit der Weltbank angeschlossen und Richtlinien über die Handhabung unfreiwilliger Umsiedlungen im Zusammenhang mit von ihnen unterstütz112 Operational Directive (OD) 4.20 – Indigenous Peoples, September 1991, abrufbar unter . OD 4.20 wird gegenwärtig überarbeitet. 113 Die Safeguard Policies sollen sicher stellen, dass bankfinanzierte Projekte ökonomisch tragbar, umweltpolitisch nachhaltig und sozial gerecht sind. – Zu den Safeguard Policies zählen neben den Schutzvorschriften über indigene Völker und unfreiwillige Umsiedlungen OP/BP 4.01 – Environmental Assessment; OP/BP 4.04 – Natural Habitats; OP 4.09 – Pest Management, December 1998; OPN 11.03 – Management of Cultural Property in Bank-Financed Projects; OP/BP 4.36 – Forests, November 2002 (Revised August 2004); OP/BP 4.37 – Safety of Dams, October 2001; OP/BP 7.50 – Projects on International Waterways, June 2001 und OP/BP 7.60 – Projects in Disputed Areas, June 2001, alle abrufbar unter . 114 OD 4.20, Para. 2. 115 Ebd. 116 Draft OP 4.10 ist auf der Website der Weltbank abrufbar unter .

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ten Entwicklungsvorhaben oder Auslandsinvestitionen erlassen. Hierzu zählen unter anderem die regionalen Entwicklungsbanken – Interamerikanische Entwicklungsbank (IADB),117 Asiatische Entwicklungsbank (ADB),118 Afrikanische Entwicklungsbank119 – und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).120 Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch die Rechtspraxis der Internationalen Finanzkorporation (IFC), die wie IBRD und IDA zur Weltbankgruppe zählt.121 Die IFC unterscheidet sich von der Weltbank dadurch, dass sie ausschließlich Privatinvestitionen in Entwicklungsländern fördert. Kredite an Staaten vergibt sie nicht.122 Ihre Bedeutung als Kreditgeber ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, weil Ent117 Siehe Inter-American Development Bank, OP-710 Involuntary Resettlement, August 1998, abrufbar unter . – Die Exekutivdirektoren der IADB haben OP-710 Involuntary Resettlement am 22. Juli 1998 verabschiedet. Entwürfe für die Umsiedlungs-Policy wurden zuvor mit NGOs auf dem sechsten beratenden Treffen der IADB über Umweltpolitik, das vom 27.–30. November 1995 in Curitiba, Brasilien, stattfand, sowie auf verschiedenen Folgetreffen im Hauptquartier der IADB in Washington, D. C. und über das Internet diskutiert. Seit Juli 1996 hat sich der Politische Ausschuss des Exekutivrates der IADB mit dem Entwurf für die Umsiedlungsvorschrift befasst. Ausführlich zur Umsiedlungs-Policy der IADB siehe Inter-American Development Bank – Sustainable Development Department – Indigenous Peoples and Community Development Unit, Involuntary Resettlement: Operational Policy and Background Paper, No. IND-103, Washington, D. C., October 1998; siehe auch Inter-American Development Bank – Sustainable Development Department, Involuntary Resettlement in IDB Projects. Principles and Guidelines, Washington, D. C., November 1999. 118 Siehe Operations Manual Bank Policies (BP), OM Section F2/BP, 29 October 2003, abrufbar unter . Siehe auch Asian Development Bank, Involuntary Resettlement: Policy Papers, R1-79-95, August 1995, abrufbar unter . 119 Siehe African Development Bank/African Development Fund, Involuntary Resettlement Policy, November 2003, abrufbar unter . 120 Im Dezember 1991 haben die Umwelt- und Entwicklungshilfeminister der OECD der Annahme von insgesamt vier Richtlinien im Bereich Entwicklungshilfe und Umwelt zugestimmt, zu denen auch eine Richtlinie über entwicklungsbedingte Dislokationen und Umsiedlungen zählt. Diese sog. „Guidelines for Aid Agencies on Involuntary Resettlement in Development Projects“ legen dar: „– what basic elements should be considered in preparing a resettlement action plan, – how the local community can be involved, – what role the donor can assume in the process, and – what consequences of planning and implementation are effective.“ Siehe OECD Development Assistance Committee, Guidelines on Aid and Environment: No. 3 – Guidelines for Aid Agencies on Involuntary Displacement and Resettlement in Development Projects, Paris 1992, abrufbar unter . 121 Allgemein zur IFC siehe deren Website .

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scheidungen über die Finanzierung von Entwicklungsvorhaben zunehmend im Privatsektor getroffen werden: Die privaten Kapitalflüsse in Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht.123 Parallel zu dieser Entwicklung hat sich die IFC in jüngerer Zeit verstärkt darum bemüht, dass auch Projekte des Privatsektors umwelt- und sozialverträglich sind und dabei international anerkannte Menschenrechte beachtet werden, und zwar auch von Privatunternehmen.124 Sie wendet daher die Safeguard Policies der Weltbank, unter anderem auch über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker, an.125 Da sich diese nicht immer unmittelbar auf die von der IFC geförderten Projekte des Privatsektors übertragen lassen,126 führt die Internationale Finanzkorporation gegenwärtig unter anderem unter Beteiligung privater Finanzinstitutionen eine „Safeguard Review“ durch. Nach deren Abschluss sollen die Schutzvorschriften 122 Die Gründung der IFC im Jahre 1956 erwies sich als erforderlich, weil die Gründungsverträge (Articles of Agreement) von IBRD und IDA die Vergabe von Krediten an private Investoren nicht vorsahen. 123 Vgl. Rudolf Dolzer, Umweltbelange im Recht der Weltbank, in: Rüdiger Breuer (Hrsg.), Regelungsmaß und Steuerungskraft des Umweltrechts, 2000, S. 73 (76). 124 Das Bestreben der IFC, die Beachtung der Menschenrechte durch private Unternehmen zu fördern, ist u. a. in dem 19 Seiten umfassenden Paper des Compliance and Advisor Ombudsman (CAO) der IFC dokumentiert, der die Internationale Finanzkorporation u. a. im Bereich des Policy-Making berät; siehe CAO, Business and Human Rights – Some Considerations, November 2002, auf der Website der IFC abrufbar unter . – Ausführlicher zum CAO siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. V. 2. e). 125 Gegenwärtig (Stand: Dezember 2004) gelten für IFC-Projekte die vormalige Umsiedlungsvorschrift der Weltbank, OD 4.30, Involuntary Resettlement (June 1990) sowie die Richtlinie über indigene Völker, OD 4.20, Indigenous Peoples, September 1991 (künftig OD 4.20). Hierzu und zu den weiteren Safeguard Policies der Weltbank, welche für IFC-Projekte gelten, siehe die Website der IFC, . 126 Die Anwendung der Umsiedlungsvorschriften der Weltbank auf von der IFC geförderte Privatsektorprojekte bereiten der Internationalen Finanzkorporation die größten Schwierigkeiten. In einem Berichtsentwurf des CAO über die IFC-Safeguard Policies vom Herbst 2002 gab der CAO hierfür u. a. folgende Gründe an: „Of all the policies, the involuntary resettlement brings to the fore the operational constraints of translating Bank policies to the private-sector activities of the IFC. The respective roles of the private sector and government authorities in each country where IFC operates differ slightly, but in all cases, the responsibility of involuntary resettlement lie with the government authorities. For example, the private sector acquires land ‚free and clear‘. Therefore, the policy needs to be given specificity in terms of guidance on application and implementation for private-sector sponsors. This guidance may need to be sector specific, for example, in infrastructure projects dealing with concessions.“ Draft Report for Comment of the CAO’s Review of IFC’s Safeguard Policies, Para. 5.22.

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von IBRD und IDA in an die Bedürfnisse des Privatsektors angepasster Form als IFC-eigene „Social and Environmental Sustainability and Performance Standards“ gelten. Der künftige Performance Standard 5 betrifft unfreiwillige Umsiedlungen.127 Die IFC nimmt, was die Integration umweltbezogener und sozialer Belange in Projekte des Privatsektors anbetrifft, eine Führungsrolle ein. Sie ist damit Vorbild für private Finanzinstitutionen und Unternehmen.128 So haben am 4. Juni 2003 zehn führende internationale Privatbanken aus sieben Ländern, unter anderem aus den USA, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, die Verabschiedung der so genannten Equator Principles bekannt gegeben.129 Dabei handelt es sich um eine Reihe von Richtlinien für die Handhabung von Umwelt- und Sozialaspekten in Entwicklungsvorhaben, die ein Gesamtfinanzvolumen von mindestens 50 Millionen US-$ aufweisen und an denen sich die Banken durch die Finanzierung von Investitionen beteiligen. Die Richtlinien, welche die Banken freiwillig und unabhängig von der IFC und der Weltbank annehmen und umsetzen, beruhen auf den Safeguard Policies der IFC. Projekte, die diesen Standards nicht entsprechen, sollen keine Finanzierung erhalten.130 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch die Finanzierungskonditionen einiger staatlicher Anstalten, die Kredite zur Finanzierung von Investitionsgüterexporten und damit verbundenen Leistungen nach Entwicklungsländern gewähren, ökologische und soziale Standards umfassen, die zum Teil auf den Safeguard Policies der Weltbank basieren.131 Die Bei127 Zu der „Safeguard Review“ siehe die Website der IFC unter . 128 Vgl. Carol F. Lee, International Finance Corporation: Financing Environmentally and Socially Sustainable Private Investment, in: Sabine Schlemmer-Schulte/ Ko-Yung Tung (Hrsg.), Liber Amicorum I. F. I. Shihata, 2001, S. 469 (480). 129 Die Equator Priniples sind abrufbar unter . – Zu den Banken, die die Equator Principles verabschiedet haben, zählt auch die Westdeutsche Landesbank (WestLB AG), die ein Branchenführer bei der Finanzierung internationaler Entwicklungsprojekte ist. Eine Auflistung aller Einrichtungen, die zwischenzeitlich die „Äquator-Prinzipien“ angenommen haben, findet sich auf der Website der „Equator Principles“, . – Zur Kritik an der Umsetzung der Prinzipien durch die WestLB AG, siehe Heffa Schücking/Steffen Jörg, Das Umweltmanagement der WestLB und die „Equator principles“, in: Südwind/Urgewald (Hrsg.), International und katastrophal: Das Projektfinanzierungsgeschäft der WestLB, 2004, S. 55–57. 130 Ausführlich zu den „Äquator-Prinzipien“ siehe deren Website, The Equator Principles: A Framework for financial institutions to manage environmental and social issues in project financing, . 131 Siehe z. B. die „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes“, den der Interministerielle Ausschuss für Ausfuhrge-

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spiele machen deutlich, dass die Institutionen der Weltbankgruppe geistige Wegbereiter im Bereich des Policy-Making bezüglich umwelt- und sozialbezogener Schutzvorschriften sind.132 II. Der Anwendungsbereich der aktuellen Weltbankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen 1. Der persönliche Anwendungsbereich: „displaced persons“ Die aktuelle Umsiedlungs-Policy der Weltbank, OP 4.12 Involuntary Resettlement, ist auf „displaced persons“ anwendbar. Für die persönliche Reichweite des Schutzes, den OP 4.12 projektbetroffenen Personen gewährt, ist bedeutsam, dass diese im Unterschied zu der Vorgängervorschrift, OD 4.30 Involuntary Resettlement, und der daran ausgerichteten Umsiedlungsrichtlinie der IADB133 den Begriff der displaced persons weit auslegt. Als solche sind nach OP 4.12 alle Personen anzusehen, die auf eine der in Para. 3 OP 4.12 beschriebenen Weise von einem bankfinanzierten Entwicklungsprojekt betroffen sind.134 Para. 3 stellt klar, dass sich die Umsiedlungs-Policy auf unmittelbare wirtschaftliche und soziale Auswirkungen bezieht, „that both result from Bank-assisted investment projects, and are caused by (a) the involuntary taking of land resulting in (i) relocation or loss of shelter; (ii) lost of assets or access to assets; or (iii) loss of income sources or means of livelihood, whether or not the affected persons must move to another location; or (b) the involuntary restriction of access to legally designated parks and protected areas resulting in adverse impacts on the livelihoods of the displaced persons.“

Die Schutzmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen, welche die aktuelle Umsiedlungsvorschrift der Weltbank im Falle einer unfreiwilligen Umsiedlung vorsieht, setzen also keine physische Dislokation voraus. Als „displaced person“ im Sinne der Bankvorschrift gilt vielmehr auch, wer infolge währleistungen (IMA) Ende April 2001 für die Ausfuhrgewährleistungen zur Förderung deutscher Exporte (Hermes-Deckungen) offiziell verabschiedet hat. Siehe ferner die diesbez. Praxis der amerikanischen Overseas Private Investment Corporation (OPIC), vgl. OPIC Environmental Handbook – February 2004, abrufbar unter . 132 Zur Vorbildfunktion der Weltbank im Bereich des Policy Making siehe McAllister, S. 702 ff., m. w. N. 133 OP-710 Involuntary Resettlement vom August 1998. 134 Vgl. OP 4.12, Fn. 3.

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eines bankgeförderten Projekts Grund und Boden oder eine andere Subsistenzgrundlage verliert, ohne dass er umgesiedelt wird.135 Fälle, in denen Mitgliedern einer Gemeinde (community) der Zugang zu natürlichen Ressourcen durch einen Gemeindebeschluss versperrt wird, fallen allerdings dann nicht unter OP 4.12, wenn die Gemeinde nachgewiesen hat, dass der Entscheidungsfindungsprozess, der zu dem Beschluss geführt hat, angemessen (adequate) war. Darüber hinaus müssen Vorkehrungsmaßnahmen dafür getroffen worden sein, dass die Nachteile, die den betroffenen Gemeindemitgliedern durch die Beschränkung des Zugangs zu den natürlichen Ressourcen entstehen, ausgeglichen werden.136 Als Spezialvorschrift für die Fälle unfreiwilliger Umsiedlungen schließt OP 4.12 ferner Flüchtlinge, die Opfer von Naturkatastrophen, Krieg oder bürgerlichen Aufständen sind, von seinem persönlichen Anwendungsbereich aus. Für sie gilt OP/BP 8.50 Emergency Recovery Assistance.137 2. Der sachliche Anwendungsbereich Sachlich finden OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement, die für alle bankfinanzierten Projekte gelten, für die frühestens am 1. Januar 2002 eine Überprüfung des Projektentwurfs (sog. Project Concept Review) stattgefunden hat,138 auf alle Bestandteile eines Projekts Anwendung, das eine unfreiwillige Umsiedlunge zur Folge hat, und zwar unabhängig davon, von wem die Finanzierung für diese Komponente stammt.139 „It also applies to other activities resulting in involuntary judgment of the Bank, are (a) directly and significantly sisted project, (b) necessary to achieve its objectives as documents; and (c) carried out, or planned to be carried with the project.“140

resettlement, that in the related to the Bank-asset forth in the project out, contemporaneously

Der sachliche Anwendungsbereich ist damit ebenfalls weit gefasst. 135

Vgl. aber im Unterschied hierzu OP-710 Involuntary Resettlement, Definition and Scope: „This policy covers any involuntary physical displacement of people caused by a Bank project.“ (Hervorh. d. Verf.) Nicht-physische Formen von displacement sind vom Anwendungsbereich der IADB-Vorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen nicht erfasst. 136 Siehe OP 4.12, Fn. 6. 137 Ebd., Fn. 6, S. 2. OP-710 Involuntary Resettlement schließt darüber hinaus auch Besiedlungsprogramme (colonization schemes) aus; siehe ebd., Definition and Scope. 138 Vgl. OP 4.12, Note: „OP and BP 4.12 together replace OD 4.30, Involuntary Resettlement. This OP and BP apply to all projects for which a Project Concept Review takes place on or after January 1, 2002.“ 139 OP 4.12, Para. 4, S. 1. 140 Ebd., Para. 4, S. 2.

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III. Die wesentlichen Grundsätze von OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, die Safeguard Policies der Weltbank dienten der Verwirklichung von Menschenrechten projektbetroffener Personen und Bevölkerungsgruppen.141 Die Verifizierung dieser Aussage setzt eine genaue Analyse des materiellen Gehalts der Bankvorschriften voraus. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung ist diesbezüglich von Interesse, ob die policies und procedures der Weltbank bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen die völkerrechtlich gewährleisteten Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, transformieren. 1. Der Grundsatz der Vermeidung unfreiwilliger Umsiedlungen OP 4.12 Involuntary Resettlement stellt zunächst den Grundsatz auf, dass unfreiwillige Umsiedlungen wegen ihrer nachteiligen Folgen für die Betroffenen möglichst zu vermeiden, jedenfalls aber auf das notwendige Maß zu beschränken sind.142 Für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Zwangsumsiedlung sind alle vernünftigen Projektalternativen zu erforschen.143 Die Umsiedlungsvorschrift setzt insofern Aspekte des völkermenschenrechtlichen Grundsatzes um, der besagt, dass „willkürliche“ Zwangsumsiedlungen unzulässig sind.144 Eine erzwungene Dislokation ist „willkürlich“, wenn sie nicht aus zwingenden Gründen erforderlich, mithin zur Erreichung des damit verfolgten Ziels nicht notwendig ist.145 Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn es vertretbare Alternativen zu dem Projekt gibt, das eine Umsiedlungskomponente vorsieht. Als Schutzvorschrift vor unfreiwilligen Umsiedlungen ist OP 4.12 allerdings nicht konzipiert. Im Rahmen der öffentlichen Beratungen über den Bankentwurf dieser Policy146 haben zwar verschiedene Kommentatoren, wie zum Beispiel das Bank Information Center (Bicusa)147 angeregt, die neu 141 Siehe z. B. Sabine Schlemmer-Schulte, The World Bank and Human Rights, in: Austrian Review of International & European Law 4 (1999), S. 230–268, insbes. 255. 142 Siehe OP 4.12, Para. 2.(a). 143 Siehe ebd. 144 Siehe oben, Erster Teil, Viertes Kapitel. 145 Siehe oben, ebd. 146 Der Entwurf für OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement (December 2001) wurde zwischen Juli und November 1999 in elf Sprachen mit der Aufforderung an die Öffentlichkeit in die Website der Weltbank eingestellt, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Die Weltbank hat daraufhin ungefähr 300 substanziierte Stellungnahmen unter anderem von Regierungsvertretern kreditnehmender Länder, lokalen und inter-

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zu fassende Arbeitsanweisung über „involuntary resettlement“ als Vorschrift zu entwerfen, die primär gegen Zwangsumsiedlungen und deren Vermeidung gerichtet ist.148 Die Weltbank ist diesem Vorschlag aber nicht gefolgt: OP 4.12 legt, sieht man einmal von der oben genannten Ausnahme des Erfordernisses der Erforschung alternativer Projektmöglichkeiten ab, nicht dar, wie Zwangsumsiedlungen vermieden werden können. Die Umsiedlungs-Policy zählt vielmehr die Maßnahmen auf, die im Falle einer ausnahmsweise erforderlichen Zwangsumsiedlung zu ergreifen sind, um die Verarmungsrisiken, die unfreiwilligen Dislokationen inhärent sind, so gering wie möglich zu halten.149 Sie betrifft also in erster Linie die Sekundärebene des menschenrechtlichen Schutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. 2. Der Grundsatz der Konsultierung und Partizipation In Para. 2. (b) S. 2 schreibt OP 4.12 den Grundsatz der bedeutungsvollen Konsultierung und Beteiligung von „displaced persons“ an der Planung und Durchführung der Umsiedlungskomponente eines Entwicklungsvorhabens fest.150 Die Weltbank trägt damit zum einen der Bedeutung entwicklungsbezogener Partizipation als Mittel zur Sicherung von Interessen und Bedürfnissen der Personen Rechnung, die von einer Umsiedlung betroffen sind. Sie hebt zum anderen – wie übrigens auch durch die Aufnahme des Grundsatzes der Konsultierung und Partizipation in andere Bankvorschriften151 – hervor, wie wichtig menschenrechtliche Beteiligungsrechte im Entwicklungsgeschehen sind: „[T]he World Bank’s new practice of requiring participation by primary stakeholders in the design and implementation of its projects is, in effect, a statement about the importance of political rights in the development process.“152 nationalen NGOs, Wissenschaftlern und lokalen Organisationen zum Schutz von IDPs erhalten. Sie sind zum Teil in die überarbeitete OP/BP 4.12 eingeflossen. 147 Bicusa ist eine in Washington D. C. ansässige NGO, deren Hauptanliegen es ist, dass die von der Weltbank und anderen multilateralen Entwicklungsbanken geförderten Entwicklungsvorhaben sozial gerecht und ökologisch nachhaltig sind; siehe die Website von Bicusa, . 148 Siehe Bank Information Center, Comments on the World Bank’s Draft Operational Policy 4.12: Involuntary Resettlement, November 1999, abrufbar unter . 149 Vgl. OP 4.12, Para. 1. 150 Ebd., Para. 2. (b) S. 2 lautet: „Displaced persons should be meaningfully consulted and should have opportunities to participate in planning and implementing resettlement programs.“ 151 Siehe z. B. OD 4.20, insbes. Para. 15 (d) – Strategy for local Participation; OP 4.01 – Environmental Assessment, Para. 14 (Public Consultation); OP 4.04 – Natural Habitats, Para. 10.

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Die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Oloka-Onyango und Udagama, sind der Ansicht, dass die Weltbank verpflichtet ist, das Recht auf bedeutungsvolle Beratung und Beteiligung in ihrer Praxis zu beachten, wie sie in ihrem Arbeitspapier zum Thema „Human rights as the primary objective of international trade, investment and finance policy and practice“ festgestellt haben: „Although its concern is primarily with the relationship between the individual and the State, the ‚right to participate‘ (particularly with respect to matters concerning development) has over time been expanded to encompass the obligations of non-state entities like MLIs and development agencies.“153

Mit der Aufnahme des Beteiligungsgrundsatzes in die UmsiedlungsPolicy kam die Weltbank dieser Verpflichtung nach. Ob es sich hierbei um eine völkerrechtlich begründete Pflicht der Weltbank handelt, menschenrechtliche Partizipationsrechte in bankfinanzierten Projekten zu achten und deren Gewährleistung sicherzustellen, ist eine Frage, die später ausführlich erörtert wird.154 3. Die Sondervorschriften zum Schutz indigener Völker in der Umsiedlungs-Policy OP 4.12 Involuntary Resettlement ist für wicklungsbedingten Zwangsumsiedlung, von sind, als Ergänzung zu OD 4.20 Indigenous die Umsiedlungsvorschrift verweist.156 Die

den speziellen Fall einer entder indigene Völker betroffen Peoples anzusehen,155 die auf Weltbank erkennt darin aus-

152 Daniel Bradlow, The World Bank, IMF, and Human Rights, in: Transnational Law and Contemporary Problems 6 (1996), S. 47 (49 f.). So im Ergebnis auch Koen de Feyter, Self-regulation, in: Willem Van Genugten u. a. (Hrsg.), World Bank, IMF and Human Rights, 2003, S. 79 (103). – Die Partizipationskomponente von OP 4.12 Involuntary Resettlement (December 2001) ist allerdings mit der Begründung teilweise auf Kritik gestoßen, dass sie nicht den Empfehlungen der WCD entspreche. Siehe z. B. K. Horstmann, WB-Umsiedlungsrichtlinie OP/BP 4.12 (Draft 24. Juli 2001): The World Bank Draft OP/BP 4.12, Involuntary Resettlement, Dortmund, 02. September 2001, B. Consideration of the recommendations of the World Commission on Dams (WCD), Rdn. 13: „There is also a fundamental difference regarding the co-operation between developer and affected people: WCD focuses on comprehensive and intensive participation and mutual agreements, OP/BP 4.12 on consultation.“ Eine Kopie des Dokuments befindet sich bei der Verf. 153 Human rights as the primary objective, Rdn. 19. 154 Siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 155 Vgl. OP 4.12, Fn. 2 und 15. 156 OD 4.20, Fn. 2 lautet: „Displacement of indigenous people can be particularly damaging, and special efforts should be made to avoid it. See OP 4.12, Involuntary Resettlement, for additional policy guidance on resettlement issues involving indigenous people.“

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drücklich an, dass es verschiedene verwundbare Bevölkerungsgruppen gibt, auf deren Bedürfnisse bei der Planung und Durchführung von Entwicklungsvorhaben besonders einzugehen ist. Hierzu zählen nach der Umsiedlungs-Policy neben Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben – Kindern, Frauen und Senioren sowie dislozierten Personen, die nicht durch nationale Entschädigungsgesetze geschützt sind – insbesondere auch ethnische Minderheiten und indigene Völker.157 Para. 9 OP 4.12 Involuntary Resettlement geht ausführlich auf deren Bedürfnisse und besondere Schutzbedürftigkeit hinsichtlich unfreiwilliger Umsiedlungen ein: „Bank experience has shown that resettlement of indigenous peoples with traditional land-based modes of production is particularly complex and may have significant adverse impacts on their identity and cultural survival. For this reason, the Bank satisfies itself that the borrower has explored all viable alternative project designs to avoid physical displacement of these groups. When it is not feasible to avoid such displacement, preference is given to land-based resettlement strategies for these groups (see para. 11) that are compatible with their cultural preferences and are prepared in consultation with them (see Annex A, para. 11).“158

Die Umsiedlungs-Policy enthält in Para. 9 also eine besondere Schutzvorschrift für indigene Völker. Die Weltbank hat damit die aus dem internationalen Menschenrechtsschutz bekannte Zweiteilung in allgemeine und besondere Schutzvorschriften auf OP 4.12 Involuntary Resettlement übertragen. a) Der Grundsatz des Vorrangs landbasierter Umsiedlungsstrategien In dieser Sondervorschrift für indigene Völker (Para. 9 OP 4.12) finden sich wesentliche Aspekte der ILO-Konvention 169 wieder. Sie stimmt weitestgehend mit Artikel 16 dieser Konvention159 überein: Para. 9 wiederholt zunächst den allgemeinen Grundsatz, dass unfreiwillige Umsiedlungen möglichst zu vermeiden sind ( principle of avoidance).160 Mit dem darin festgeschriebenen Erfordernis landbasierter Umsiedlungsstrategien (landbased resettlement strategies) stellt OP 4.12 in Para. 9 an ausnahmsweise erforderliche Zwangsumsiedlungen Anforderungen, die den in Art. 16 Abs. 4 ILO-Konvention 169 genannten Voraussetzungen entsprechen.161 Die Weltbank trägt damit dem Grundsatz des besonderen Völkermenschenrechts 157

Siehe OP 4.12, Para. 8. Ebd., Para. 9. 159 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. I. 160 Vgl. Art. 16 Abs. 1 ILO-Konvention 169: „Vorbehaltlich der nachstehenden Absätze dieses Artikels dürfen die betreffenden Völker aus dem von ihnen besiedelten Land nicht ausgesiedelt werden.“ 161 Vgl. Art. 16 Abs. 4 ILO-Konvention 169: „Ist eine solche Rückkehr nicht möglich, [. . .], ist diesen Völkern in allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestens gleich gutem Rechts158

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Rechnung, dass im Falle einer Umsiedlung von Personen und Bevölkerungsgruppen mit landgebundenen Bedürfnissen monetäre Entschädigungen allein nicht ausreichen. Eine Umsiedlung ist in diesen Fällen vielmehr nur an einen Ort zulässig, an dem das indigene Volk als solches fortbestehen kann. Para. 9 OP 4.12 setzt folglich das Gruppenmenschenrecht auf physische und kulturelle Existenz um.162 Die Eignung von OP 4.12 als Instrument zur Sicherung der diesbezüglichen besonderen Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen indigener Völker schützen, wird allerdings durch die unverbindliche Formulierung von Para. 9 abgeschwächt. Landbasierten Umsiedlungsstrategien ist danach nämlich lediglich „der Vorzug zu geben“. Zwingend sind sie, wie insbesondere auch aus Para. 11 OP 4.12 hervorgeht,163 nicht. Die Umsiedlungs-Policy ist deswegen in Schrifttum und Praxis auf Kritik gestoßen. So hat zum Beispiel Clark, die das Revisionsverfahren bezüglich OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement von Anfang an aktiv begleitet hat, in einem Brief an die amerikanische Exekutivdirektorin der Weltbank vom 10. Oktober 2001 kritisiert, dass Para. 9 von OP 4.12 die Rechte indigener Völker unterminiere. Diese Bestimmung sei „implicitly permissive of the forcible displacement of indigenous peoples even in situations where it threatens their cultural survival, and even if replacement land is not offered. Ironically, Bank Management claims that his new language was developed in response to Board concerns about resettlement impacts on indigenous peoples.“164

MacKay hat die Umsiedlungsvorschrift aus dem gleichen Grund beanstandet und diesbezüglich vorgebracht: „Rather than prohibit involuntary resettlement as a gross violation of indigenous peoples’ rights to, among others, cultural integrity and survival, the Bank will finance activities involving resettlement, even resulting in significant adverse impacts on their cultural survival, if it is satisfied that all feasible project design alternatives are explored by the Borrower.“165 status zuzuweisen, dessen Ertrag ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt.“ 162 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, C. II. und III. 163 OP 4.12, Para. 11 lautet: „Preference should be given to land-based resettlement strategies for displaced persons whose livelihoods are land-based.“ (Hervorh. d. Verf.). 164 Dana Clark, Center for International Environmental Law (CIEL), Re: Revisions to Resettlement Policy, S. 2. Clarks Brief an Ms. Carole Brookins ist auf der Website von CIEL abrufbar unter . 165 Fergus MacKay, Universal Rights or a Universe Unto Itself? Indigenous Peoples’ Human Rights and the World Bank’s Draft Operational Policy 4.10 on

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Wenn man OP 4.12 Involuntary Resettlement unter dem Gesichtspunkt eines größtmöglichen Menschenrechtsschutzes indigener Völker vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen betrachtet, ist der von Clark und MacKay geäußerten Kritik beizupflichten. Insofern wäre es tatsächlich wünschenswert gewesen, dass die Weltbank die Entscheidungspraxis der Vertragsorgane internationaler Menschenrechtsinstrumente aufgegriffen und in OP 4.12 klargestellt hätte, dass unvermeidbare Zwangsumsiedlungen indigener Völker nur zulässig sind, wenn sichergestellt ist, dass die notwendigen Vorkehrungsmaßnahmen dafür getroffen wurden, dass deren physischer und kultureller Fortbestand nach der Umsiedlung nicht gefährdet ist. Diesen Ansatz hat die Weltbank indes nicht gewählt. OP 4.12 geht vielmehr davon aus, dass die Verarmungsrisiken, die unfreiwillige Umsiedlungen in sich bergen, weitestgehend zu vermeiden sind, sich Umsiedlungen aber in bestimmten Fällen auch dann nicht umgehen lassen, wenn dadurch für die betroffene Bevölkerungsgruppe Gefahren drohen.166 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber, dass die Bank in OP 4.12 diesbezüglich eine Sicherheitsklausel eingebaut hat. Danach muss der Kreditnehmer nachweisen, dass für die umzusiedelnden Personen und Bevölkerungsgruppen kein „angemessenes Land“ zur Verfügung steht: „The lack of adequate land must be demonstrated and documented to the satisfaction of the Bank.“167 Diese Sicherheitsklausel kann man allerdings auch als „Freibrief“ für den Kreditnehmer ansehen, der so von seiner Schutzpflicht entbunden wird. b) Konsultierungs- versus Zustimmungsgebot: Stellt die Umsiedlungs-Policy der IADB eine nachahmenswerte Vorschrift dar? Eine weitere Kritik, die im Revisionsverfahren häufig an OP 4.12 geäußert wurde, betrifft das darin vorgesehene spezielle Gebot, indigene Völker vor einer geplanten Dislokation zu konsultieren. Nach Para. 9 OP 4.12 sind Indigenous Peoples, in: American University International Law Review 17 (2002), S. 527 (614). 166 Der damalige deutsche Exekutivdirektor (ED) bei der Weltbank, Helmut Schaffer, hat sich in der Abstimmung über den Entwurf von OP/BP 4.12 am 23. Oktober 2001 als einziger ED der Stimme enthalten. Ihm sind die Umsiedlungsvorschriften in vielen Bereichen – unter anderem, was den Schutz der betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen anbetrifft – nicht weit genug gegangen. Einer der Kritikpunkte war, dass die Umsiedlungs-Policy nicht beschrieb, unter welchen Umständen von der Durchführung eines Entwicklungsprojektes wegen der vorhersehbaren Umsiedlungsprobleme abzusehen war. Informationen des damaligen Beraters von Helmut Schaffer in einem Gespräch mit der Verfasserin am 3. April 2002 in Washington D. C. 167 OP 4.12, Para. 11 S. 5.

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die landbezogenen Umsiedlungsstrategien mit den betroffenen Gemeinden im Rahmen eines beratenden Gesprächs auszuarbeiten. Ein darüber hinaus gehendes Zustimmungsgebot, wie es Art. 16 Abs. 2 S. 1 ILO-Konvention 169 normiert,168 sieht OP 4.12 nicht vor. Clark schlug der Weltbank noch vor der Annahme der aktuellen Umsiedlungsvorschrift durch die Exekutivdirektoren der Bank im Oktober 2001 folgende Formulierung für Para. 9 vor: „For this reason, the Bank will finance projects involving the resettlement of indigenous peoples or other ethnic minority communities only if the Bank can ascertain that: (a) the resettlement will take place only after the indigenous peoples have given their free and informed consent.“169

Zur Begründung verwies Clark unter anderem auf die UmsiedlungsPolicy der Interamerikanischen Entwicklungsbank, OP-710 Involuntary Resettlement.170 Diese schreibt in einem Sonderabschnitt unter „Special Considerations – Indigenous Communities“171 vor, dass die IADB Entwicklungsvorhaben, die die Umsiedlung indigener oder anderer ethnischer Minderheitengemeinden zur Folge haben, nur fördert, wenn sichergestellt ist, dass die Betroffenen über die Umsiedlung und die vorgesehenen Entschädigungsmaßnahmen informiert wurden und diesen zugestimmt haben: „Those indigenous and other low income ethnic minority communities whose identity is based on the territory they have traditionally occupied are particularly vulnerable to the disruptive and impoverishing effects of resettlement. [. . .] The Bank will, therefore, only support operations that involve the displacement of indigenous communities or other low income ethnic minority communities, if the Bank can ascertain that: [. . .] (iv) the people affected have given their informed consent to the resettlement and compensation measures.“172

„Zustimmung“ (consent) im Sinne dieser Bestimmung ist als echtes VetoRecht zu verstehen.173 Insofern geht OP-710 Involuntary Resettlement über 168

Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. Clark/Center for International Environmental Law, Re: Revisions, S. 2. 170 Siehe oben, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 3. 171 Die IADB verfügt im Unterschied zur Weltbank noch über keine spezielle Policy über indigene Völker. Der Entwurf einer solchen wird aber gegenwärtig diskutiert. Siehe hierzu die Website von Bicusa, . 172 Hervorh. d. Verf. 173 Information einer Beraterin der Indigenous Peoples and Community Development Unit, Inter-American Development Bank, in einem Interview mit der Verfasserin am 15. April 2002 in Washington D. C. – Die Aufnahme eines Zustimmungsgebots in OP-710 Involuntary Resettlement war während der Verhandlungen über die Verabschiedung der Umsiedlungsvorschrift der IADB Gegenstand kontroverser Diskussionen. Dass sich der „informed consent“-Ansatz letztlich durchgesetzt hat, lag weniger an dem Druck, der von außen (z. B. von NGOs) auf die IADB ausgeübt wurde, als vielmehr daran, dass die Mehrheit der Exekutivdirektoren selbst davon 169

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das hinaus, was ILO-Konvention 169 in Artikel 16 fordert. Nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 der ILO-Konvention sind unfreiwillige Umsiedlungen nämlich ausnahmsweise auch ohne die Zustimmung der betroffenen indigenen Völker zulässig, sofern die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.174 Für die Beantwortung der Frage, ob es im Interesse eines größtmöglichen Menschenrechtsschutzes ist, dass die Weltbank der Umsiedlungs-Policy der IADB in punto Zustimmungsgebot folgt, ist zunächst zu bedenken, dass die diesbezügliche Bestimmung von OP-710 Involuntary Resettlement in der Praxis der Interamerikanischen Entwicklungsbank kaum zur Anwendung kommt. Der damit eingeführte hohe Standard für Entwicklungsvorhaben, mit denen unfreiwillige Umsiedlungen einhergehen, hat nämlich dazu geführt, dass einige lateinamerikanische Länder, wie zum Beispiel Brasilien, davon abgesehen haben, bei der IADB einen Antrag auf finanzielle und technische Unterstützung von Projekten zu stellen, deren Realisierung die Umsiedlung indigener Völker oder ethnischer Minderheitengruppen erforderten. Die Interamerikanische Entwicklungsbank fördert daher heute kaum mehr Projekte mit Umsiedlungskomponenten. Clark wertet dies als Erfolg. Die IADB setze dadurch ein positives Signal.175 Tatsächlich hatte dies in der jüngeren Vergangenheit aber zur Folge, dass Entwicklungsprojekte mit wesentlich niedrigeren Sicherheitsstandards durchgeführt wurden, als dies bei einer Bankbeteiligung der Fall gewesen wäre. Das wirft die Frage auf, ob dem Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen durch die Festschreibung eines Zustimmungsgebots in Bank-Policies wirklich ein Dienst erwiesen wäre.176 Es ist letztendlich eine rechtspolitische Frage, ob man der Weltbank zu der Aufnahme eines Zustimmungsgebots in ihre Umsiedlungsvorschrift raten soll.177 Eine völkerrechtliche Pflicht der Bank sicherzustellen, dass indiüberzeugt war, dass die Aufnahme eines Zustimmungsgebots in die Umsiedlungsrichtlinie nicht nur wünschenswert, sondern auch erforderlich war. 174 Siehe oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. 175 Information in einem Gespräch mit der Verfasserin im April 2002 in Washington D. C. 176 Siehe zu dieser Problematik auch noch unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. VI. I. 177 Einem solchen Rat würde die Weltbank höchstwahrscheinlich ohnehin nicht folgen. Der Entwurf für die neue Bankvorschrift über indigene Völker (Draft OP 4.10) macht dies deutlich. Die Weltbank spricht sich darin ausdrücklich dagegen aus, den Beteiligungsrechten ein Vetorecht zu entnehmen. Siehe Draft OP 4.10, Fn. 4: „‚Free, prior and informed consultation with the affected Indigenous Peoples’ communities‘ refers to a culturally appropriate and collective decision-making process subsequent to meaningful and good faith consultation and informed participation regarding the preparation and implementation of the project. It does not constitute a veto right for individuals or groups.“ (Hervorh. d. Verf.).

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gene Völker in bankfinanzierten Projekten nur mit deren vorheriger Zustimmung umgesiedelt werden, besteht nicht. Das gilt unabhängig davon, ob man, was später noch ausführlich zu diskutieren sein wird, bejaht, dass die Weltbank grundsätzlich völkerrechtliche Pflichten menschenrechtlicher Art hat. Der Grundsatz des prior and informed consent ist nämlich, wie oben dargelegt, sofern man diesen als Vetorecht auslegt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht völkermenschenrechtlich anerkannt.178 4. Die Entschädigungsaspekte der Umsiedlungsvorschrift Da Sinn und Zweck der Weltbankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen ist, im Falle unvermeidbarer Zwangsumsiedlungen die nachteiligen Folgen für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten, spielen Entschädigungsaspekte in der Resettlement-Policy eine große Rolle. Hierzu zählen unter anderem die Behandlung formalrechtlich nicht geschützter Landrechte, das Prinzip der Wiederherstellung oder Verbesserung von Einkommensmöglichkeiten sowie die Teilhabe am Profit eines Entwicklungsprojekts und das Land-für-Land-Entschädigungskonzept. a) Die Behandlung formalrechtlich nicht geschützter Landrechte Nach Para. 15 OP 4.12 haben folgende Personen, sofern sie displaced persons im Sinne der Umsiedlungs-Policy sind, einen Anspruch auf Entschädigung oder Unterstützung: „(a) those who have formal legal rights to land (including customary and traditional rights recognized under the laws of the country); (b) those who do not have formal legal rights to land at the time the census begins but have a claim to such land or assets – provided that such claims are recognized under the laws of the country or become recognized through a process identified in the resettlement plan; and (c) those who have no recognizable legal right or claim to the land they are occupying.“

Para. 16 OP 4.12 stellt klar, dass Personen, die unter Para. 15 (a) und (b) fallen, sowohl Entschädigung für verlorenes Land als auch andersartige Umsiedlungsunterstützung erhalten. Personen ohne anerkannte Rechtstitel oder sonstige Ansprüche auf das von ihnen besetzte Land sollen zwar keine Entschädigung, dafür aber andere Unterstützung erhalten, die erforderlich ist, die Ziele der Umsiedlungsvorschrift zu erreichen. OP 4.12 Involuntary Resettlement sieht Umsiedlungshilfen unter anderem in Form von Grund und Boden, anderen Vermögenswerten und Bargeld so178

Siehe oben, Erster Teil, Drittes Kapitel, C. II.

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wie einer Beschäftigung vor.179 Die Weltbank bekennt sich damit in Teilen zu dem weiten Entschädigungskonzept, das sich aus dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard inklusive des Rechts auf angemessene Unterbringung sowie aus anderen fundamentalen Grundrechten ergibt.180 b) Das Prinzip der Wiederherstellung oder Verbesserung von Einkommensmöglichkeiten und das Land-für-Land-Entschädigungskonzept Eine der verbreitetsten Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen ist die Verarmung der betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen.181 Den Verarmungsrisiken, die Zwangsumsiedlungen inhärent sind, will die Weltbank mit Operational Policy 4.12 unter anderem dadurch entgegenwirken, dass sie folgende Anforderungen an die Umsiedlungskomponenten bankfinanzierter Projekte stellt: „Displaced persons should be assisted in their efforts to improve their livelihoods and standards of living or at least to restore them, in real terms, to pre-displacement levels or to levels prevailing prior to the beginning of project implementation, whichever is higher.“182

Diese Vorschrift ist in Verbindung mit Para. 2. (b) S. 1 OP 4.12 zu lesen, wonach Umsiedlungsmaßnahmen als Programme nachhaltiger Entwicklung (sustainable development programs) zu konzipieren und die Voraussetzungen für eine Teilhabe am Profit des Entwicklungsprojektes zu schaffen sind: „Where it is not feasible to avoid resettlement, resettlement activities should be conceived and executed as sustainable development programs, providing sufficient investment resources to enable the persons displaced by the project to share in project benefits.“183

In diesem Zusammenhang ist auch das grundsätzliche Erfordernis einer Land-für-Land-Entschädigung zu sehen, für das sich die Weltbank in OP 4.12 Involuntary Resettlement ausspricht.184 Die Umsiedlungsvorschrift macht die Zulässigkeit einer Zwangsumsiedlung zwar nicht zwingend davon abhängig, dass eine Land-für-Land-Entschädigung gewährleistet wird; ausnahmsweise sind auch andere Entschädigungen vorgesehen: Nach Para. 11 S. 3 OP 4.12 ist in den Fällen, in denen ausreichendes Land nicht zu einem 179 180 181 182 183 184

Siehe OP 4.12, Fn. 20 zu Para. 16. Siehe oben, Erster Teil, Viertes Kapitel, D. Vgl. Cernea, Risks, S. 12. OP 4.12, Para. 2. (c). Ebd. Para. 2. (b) S. 1. Ebd., Para. 11.

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vernünftigen Preis zu erhalten ist, eine finanzielle Entschädigung für den Verlust von Land oder sonstigem Vermögen zu leisten. Die Umsiedlungsvorschrift geht allerdings auch in diesen Fällen über das rein monetäre Entschädigungskonzept hinaus. Neben einer finanziellen Entschädigung sind nämlich nach Para. 11 S. 3 OP 4.12 zusätzlich nicht-landbasierte Alternativen anzubieten, durch die eine Beschäftigung im Angestelltenverhältnis oder als Selbstständiger sichergestellt wird.185 Auch insofern setzt die Weltbank mit ihrer Umsiedlungs-Policy Aspekte eines „Rechts auf eine angemessene Entschädigung“ um. Sie trägt insoweit dem menschenrechtlichen Konzept einer „gerechten“ Entschädigung Rechnung.186 5. Schlussbemerkungen zu den Grundsätzen von OP/BP 4.12 Involuntary Resettlement Die Bank Policy und Procedure über unfreiwillige Umsiedlungen und die Operational Directive der Weltbank über indigene Völker enthalten eine Reihe von Bestimmungen, in denen die Bank explizit Standards zum Schutz vor nachteiligen Folgen von entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen benennt, die im völkerrechtlichen Menschenrecht, sieht man einmal von den Vorschriften der ILO-Konvention 169 (Indigene Völker) ab, nur implizit normiert sind. Hierzu zählen der Grundsatz, dass entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen möglichst zu vermeiden sind, das Gebot der Partizipation und Konsultierung projektbetroffener Personen im Entwicklungsgeschehen, der Grundsatz, dass unfreiwillige Umsiedlungen als Programme nachhaltiger Entwicklung durchzuführen und die Betroffenen an dem Profit des jeweiligen Entwicklungsprojekts zu beteiligen sind, sowie das Erfordernis einer „angemessenen“ Entschädigung, die grundsätzlich über eine rein monetäre hinauszugehen hat. Die Weltbank spielt insofern eine wichtige Rolle bei der inhaltlichen Klärung und Fortentwicklung völkerrechtlich gewährleisteten Menschenrechts. Ihre Schutzvorschriften entfalten eine über den Weltbankbereich hinausgehende Wirkung, welche die World Commission on Dams wie folgt beschrieben hat: „MDBs [Multilaterale Entwicklungsbanken, Anm. d. Verf.] need to recognise that the norms that they have established have wider implications beyond their own performance and the quality of the projects they fund. They influence national laws in borrower countries, shape the policies of other aid agencies and interna185

Ebd., Para. 11, S. 3: „If [. . .] sufficient land is not available at a reasonable price, non-land-based options built around opportunities for employment or self-employment should be provided in addition to cash compensation for land and other assets lost.“ 186 Zum Recht auf eine „angemessene“ bzw. „gerechte“ Entschädigung siehe oben, Erster Teil, Viertes Kapitel, B.

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tional bodies and may even contribute to emerging principles of international law.“187

Dabei stellt sich die Frage, ob es möglich ist, so weit zu gehen und die bankinternen Safeguard Policies bzw. Teile davon unter eine der Rechtsquellen des Völkerrechts zu subsumieren. Hierzu müssten die nach der klassischen Rechtsquellenlehre anerkannten Rechtsquellen (völkerrechtlicher Vertrag; Völkergewohnheitsrecht; Allgemeine Rechtsgrundsätze; richterliche Entscheidungen; Lehrmeinungen)188 progressiv ausgelegt werden: „Because operational policies of such agencies are not treaties or state practice or solemn declarations, they do not fit well into standard catalogues of the sources of international law [. . .]. It may be possible to remain within the traditional catalogue and analyse the development of operational policies and practices of international institutions through an expanded understanding of customary law principles, or general principles of law. This involves recognition that general principles are identifiable not only within state legal systems, but also within the practice of international organizations.“189

Eine solche Position hat gegenwärtig noch keine allgemeine Anerkennung gefunden. Daran, dass die Weltbank – wie auch regionale Entwicklungsbanken – einen wesentlichen Einfluss auf die Fortentwicklung völkerrechtlichen Entwicklungs- und Menschenrechts sowie nationalen Rechts haben, ändert dieses Ergebnis aber nichts. Für die Sicherung eines effektiven Menschenrechtsschutzes vor unfreiwilligen Umsiedlungen und ihren Folgen ist wesentlich, dass sich die Weltbank in ihren Schutzvorschriften nicht darauf beschränkt, die Grundsätze, die bei Entwicklungsvorhaben mit Umsiedlungskomponenten zu beachten sind, lediglich zu benennen. Sie beschreibt in den Safeguard Policies und deren Anhängen vielmehr detailliert, welchen materiellen Gehalt diese Prinzipien haben und wie sie in der Praxis umzusetzen sind. Die Weltbank leistet dadurch einen wesentlichen Beitrag dazu, völkerrechtlich gewährleistete Menschenrechte, die potenziell vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, operabel zu machen.190 187

World Commission on Dams, Indigenous Peoples, S. 63. In diese Richtung argumentiert auch Benedict Kingsbury, Operational Policies of International Institutions as Part of the Law-Making Process: The World Bank and Indigenous Peoples, in: Guy S. Goodwin-Gill/Stefan Talmon (Hrsg.), The Reality of International Law: Essays in Honour of Ian Brownlie, 1999, S. 323 (339). 188 Ausführlich zu den Rechtsquellen des Völkerrechts siehe Graf Vitzthum, Begriff, 1. Abschn., Rdn. 113–159 m. w. N. 189 Kingsbury, Operational Policies, S. 339 f. 190 Vgl. zu dieser Funktion der Safeguard Policies der Weltbank allgemein Laurence Boisson de Chazournes, Compliance with Operational Standards: The Contribution of the World Bank Inspection Panel, in: Gudmundur Alfredsson/Rolf

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Die Schutzvorschriften können aufgrund der Mindestanforderungen, die sie an die Zulässigkeit einer unfreiwilligen Umsiedlung stellen, bzw. ihrer speziellen Berücksichtigungsgebote, wie dem Erfordernis, die Bedürfnisse verletzbarer Bevölkerungsgruppen besonders zu beachten,191 auch als Richtschnur bei der Interessenabwägung dienen, die im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung – auch aus Sicht des völkerrechtlichen Menschenrechts – stets durchzuführen ist: „[E]ven in projects where specific international institutional policies are not directly applicable, the corpus of such policies may come to set a benchmark in national or international tribunals or review bodies, for instance in determining [. . .] what is unjustified discrimination.“192

Diesbezüglich kann insbesondere auch die Umsiedlungsvorschrift der IADB (OP-710 Involuntary Resettlement) bedeutsam sein. Sie benennt in Grundsatz 1 eine Reihe von Faktoren, die bei der Abwägung für oder gegen die Durchführung einer unfreiwilligen Umsiedlung zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen u. a. die Anzahl und Verwundbarkeit der betroffenen Personen, die erwarteten Umsiedlungskosten sowie sozio-kulturelle Überlegungen: „In examining the trade-offs between alternatives, it is important to have a reasonable estimate of the numbers of people likely to be affected, and an estimate of the costs of resettlement. Particular attention must be given to socio-cultural considerations, such as the cultural or religious significance of the land, the vulnerability of the affected population, or the availability of in-kind-replacement for assets, especially when they have important intangible implications.“193

Diese Aspekte sind teilweise als Berücksichtigungs- bzw. Einstellungsgebote auch in der gegenwärtig geltenden Weltbankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen enthalten. Ihr gegenüber weist OP-710 Involuntary Resettlement der IADB einen weiteren Unterschied auf, der für die Sicherung des Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen wesentlich ist. Die Interamerikanische Entwicklungsbank spricht sich in ihrer UmsiedlungsPolicy ausdrücklich dafür aus, sich in Fällen, in denen von der Umsiedlung besonders viele Personen betroffen bzw. die nachteiligen Auswirkungen nur schwer auszugleichen sind, gegen diese Umsiedlungen zu entscheiden: „When a large number of people or a significant portion of the affected community would be subject to relocation and/or impacts affect assets and values that Ring (Hrsg.), The Inspection Panel of the World Bank: A Different Complaints Procedure, 2001, S. 67 (77). 191 Vgl. z. B. OP 4.12, Para. 8: „To achieve the objectives of this policy, particular attention is paid to the needs of vulnerable groups among those displaced.“ 192 Kingsbury, Operational Policies, S. 339. 193 Hervorh. d. Verf.

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are difficult to quantify and to compensate, after all other options have been explored, the alternative of not going ahead with the project should be given serious consideration.“194

Die Weltbank spricht sich in OP 4.12 nicht so ausdrücklich gegen Umsiedlungen aus. OP 4.12 Involuntary Resettlement weist schließlich eine weitere Schwäche auf, was deren Tauglichkeit als Hilfsinstrument für die Bestimmung der Notwendigkeit und damit ausnahmsweisen Zulässigkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung betrifft. Nach OP 4.12 sind alle vernünftigen Projektalternativen zu erforschen und unfreiwillige Umsiedlungen, sofern möglich, zu vermeiden.195 Die Umsiedlungsvorschrift verweist zwar bezüglich der Aspekte, die bei der Entscheidung über die Durchführung eines Projekts mit einer Umsiedlungskomponente zu berücksichtigen sind, auf andere Safeguard Policies der Weltbank, wie die Schutzvorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung, natürliche Lebensräume, indigene Völker und den Schutz kulturellen Eigentums.196 Beispiele dafür, wie sich entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen vermeiden bzw. minimieren lassen, nennt OP 4.12 im Gegensatz zu ihrer Vorgängervorschrift aber nicht. OD 4.30 Involuntary Resettlement schrieb diesbezüglich vor: „Involuntary resettlement should be avoided or minimized where feasible, exploring all viable alternative project designs. For example, realignment of roads or reductions in dam height may significantly reduce resettlement needs.“197

OP 4.12 Involuntary Resettlement ist wegen des Verzichts auf diese Vorschrift auf Kritik gestoßen.198 Die diesbezügliche Schwäche der Umsiedlungsvorschrift könnte künftig dadurch ausgeglichen werden, dass die Umsiedlungs-Policy konsequent im Zusammenhang mit anderen Richtlinien und verwandten Vorschriften gelesen bzw. ausgelegt wird, welche konkret benennen, wie sich unfreiwillige Umsiedlungen vermeiden lassen. Hierzu zählen insbesondere auch die Empfehlungen der World Commission on Dams. 194

OP-710 Involuntary Resettlement (Hervorh. d. Verf.). OP 4.12, Para. 2.(a). 196 Vgl. ebd. Fn. 2. 197 OD 4.30, Para. 3. (a). (Hervorh. d. Verf.). 198 Siehe z. B. Horstmann, A. General comments on the revised version of 24 July 2001, Rdn. 3: „The revised draft of the World Bank OP/BP 4.12, Involuntary Resettlement, still presents a reduction of the safeguarding regulations of the previous OD 4.30. This refers to procedural aspects as well as to the treatment of the affected people. The following items may serve as examples of proof. [. . .] 3. The prerequisites for resettlement have been reduced. The former resettlement policy explicitly addressed e. g. reductions in dam height as feasible measures to reduce resettlement needs; this is not mentioned any more.“ 195

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IV. Rechtsnatur und -wirkung der Safeguard Policies Ob die Safeguard Policies der Weltbank, insbesondere die Bank Policy und Procedure über unfreiwillige Umsiedlungen, ein effektives Instrument sind, bei bankfinanzierten Projekten Menschenrechte zu sichern, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, hängt entscheidend davon ab, welche Rechtsnatur und -wirkung diese policy statements haben. 1. Die Innenwirkung der Safeguard Policies: unverbindliche Richtschnuren oder rechtsverbindliche Schutzvorschriften? Bei den Safeguard Policies handelt es sich zunächst um Arbeitsanweisungen für den internen Gebrauch der Bankmitarbeiter. Sie haben die policies und procedures bei der Projektevaluierung, -planung und -überwachung zu beachten. Die Frage, wie weit diese Beachtungspflicht reicht, wird indes nach wie vor kontrovers diskutiert. Strittig ist dabei insbesondere, ob bzw. inwieweit die Bankvorschriften eine flexible Handhabung bei ihrer Auslegung, Anwendung und Durchsetzung gestatten. Dieses Problem stellte sich in der Vergangenheit insbesondere auch bezüglich der Richtlinien über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker: „Episodes of non-compliance with policies relating to indigenous peoples and involuntary resettlement seem often to have been dealt with flexibly by superiors as part of the overall structure of management, with the focus usually on ameliorating project failures and learning for the future. The Operational Directives have thus been understood to be ‚binding‘ on Bank staff within the Bank management structure, but applied and enforced flexibly rather than ‚legalistically‘.“199

Die Mehrheit der Bankmitarbeiter hat vor der Gründung des Inspection Panels der Weltbank im Jahre 1993200 die Ansicht vertreten, dass die policy statements der Weltbank flexibel statt streng legalistisch anzuwenden und durchzusetzen seien. Diese Auffassung herrschte aber auch noch vor, nachdem das Inspektionsgremium, das die Durchsetzung der Bankvorschriften überwacht, seine Arbeit aufgenommen hatte. Der Untersuchungsbericht dieses Panels im oben erwähnten Quinghai-Fall vom 28. April 2000 illustriert dies anschaulich. Das Inspection Panel hat sich darin besorgt über die divergierenden Ansichten der Bankmitarbeiter bezüglich der Rechtswirkungen der Bankvorschriften geäußert. Es hat die unterschiedlichen Meinungen in seinem Quinghai-Bericht wie folgt zusammengefasst: 199 200

V. 2.

Kingsbury, Operational Policies, S. 329. Ausführlich zum Inspection Panel siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel,

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„Certain staff members felt that the Bank’s Operational Directives and other policies were simply idealized policy statements, and should be seen largely as a set of goals to be striven after. According to this view, very little, if anything is mandatory. What would be more important is the overall trend in the Bank, which should work toward the achievement of these goals. In the meantime, one may have to accept what might appear to be a failure in achieving the sometimes high standards embodied in the policies. Others of equal or more senior rank disagreed with this view, feeling that this interpretation could render the policies virtually meaningless and certainly incapable of being employed as benchmarks against which to measure compliance.“201

Der ehemalige Chefjustitiar der Weltbank, Shihata, hat die Frage, ob die in den Weltbank-Policies festgeschriebenen Standards rechtsverbindlich sind – im Gegensatz zu einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht202 – für die Operational Directives dahingehend beantwortet, dass diese von den Bankmitarbeitern nicht immer zwingend zu befolgen seien: „[N]ot all the standards provided for in the ODs are binding (it depends on the wording of each standard), those stated in binding terms create a duty for the staff to exert their best efforts to achieve them.“203

Die Unsicherheit über die rechtliche Verbindlichkeit von Operational Directives der Weltbank, mithin auch der nach wie vor gültigen OD 4.20 Indigenous Peoples, hängt in erster Linie damit zusammen, dass ODs eine Mischung aus Arbeitsanweisungen ( policies), Verfahrensleitlinien ( procedures) und allgemeinen Richtschnuren (guidance) enthalten, die sich nicht immer ohne weiteres voneinander unterscheiden lassen. Diese Schwierigkeit und damit auch die Kontroverse um die Rechtsverbindlichkeit der Safeguard Policies dürfte aber bald beseitigt sein. Die Weltbank hat nämlich Anfang der 1990er Jahre damit begonnen, Operational Directives nach und nach in ein neues System, bestehend aus Operational Policies und Bank Procedures einerseits sowie Good Practices (GPs) andererseits, umzuwandeln.204 Damit 201

The Inspection Panel, The Quinghai Project, S. 19 f., Rdn. 35. Dafür, dass die policies und procedures für Bankmitarbeiter stets rechtlich verbindlich und daher zwingend einzuhalten sind, haben sich z. B. ausgesprochen: Sabine Schlemmer-Schulte, The World Bank, its Operations, and its Inspection Panel, in: Recht der internationalen Wirtschaft 3 (1999), S. 175 (178); Boisson de Chazournes, Compliance, S. 69 ff.; De Feyter, Self-regulation, S. 109. 203 Shihata, World Bank Inspection Panel, 1994, S. 45. Vgl. hierzu z. B. OD 4.30 Involuntary Resettlement und OD 4.20, die beide folgenden Einleitungssatz enthalten: „This directive was prepared for the guidance of staff of the World Bank and is not necessarily a complete treatment of the subjects covered.“ (Hervorh. d. Verf.). 204 Die Weltbank definiert die unterschiedlichen Kategorien ihrer policy statements wie folgt: „Operational Polices (OPs) are short, focused statements that follow from the Bank’s Articles of Agreement, the general conditions, and policies approved by the Board. OPs establish the parameters for the conduct of the operations; they also describe the circumstances under which exceptions to policy are admissible 202

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soll die Arbeit der Bankmitarbeiter sowie des Inspection Panels erleichtert und verbindliche Klarheit über die Rechtswirkungen der Bankvorschriften geschaffen werden. Auch außenstehende Dritte sollen von der Neusystematisierung profitieren. OPs und BPs sind danach als rechtsverbindliche Vorschriften anzusehen. GPs geben hingegen lediglich „international best practice“ wieder. Sie stellen daher keine zwingend zu befolgenden Vorschriften dar.205 Das Konvertierungsverfahren ist für die Umsiedlungsvorschriften der Weltbank bereits abgeschlossen. OP/BP 4.12 sind danach für die Bankmitarbeiter rechtsverbindlich. Dies geht auch aus OP/BP 4.12 selbst hervor: Während OD 4.30 die Operational Directive über unfreiwillige Umsiedlungen als „Richtschnur“ für die Bankmitarbeiter verstanden haben wollte,206 enthält die aktuelle OP/BP 4.12 die entsprechende Formulierung von OD 4.30 – „This directive was prepared for the guidance of the staff of the World Bank“207 – nicht mehr. Darin heißt es vielmehr schlicht: „These policies were prepared for use by World Bank staff.“ (Hervorh. d. Verf.) Sobald OD 4.20 Indigenous Peoples in das neue Format umgewandelt ist, kann auch diesbezüglich kein Streit mehr über die juristische Verbindlichkeit der Bankvorschrift über indigene Völker bestehen. 2. Die Außenwirkungen der Safeguard Policies Im Außenverhältnis werden die Safeguard Policies durch ihre Aufnahme in die Verträge gegenüber dem Kreditnehmer juristisch verbindlich. Fraglich und für den Menschenrechtsschutz wesentlich ist, ob sie auch gegenüber projektbetroffenen Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen Rechtswirkungen entfalten. and spell out who authorizes exceptions. Bank Procedures (BPs) explain how Bank staff carry out the policies set out in the OPs. They spell out the procedures and documentation required to ensure Bank-wide consistency and quality. Good Practices (GPs) contain advice and guidance on policy implementation for example, the history of the issue, the sectoral context, analytical framework, best practice examples. Operational Directives (ODs) contain a mixture of policies, procedures, and guidance.“ Siehe The World Bank Group, The World Bank Operational Manual, abrufbar unter . 205 Vgl. The Inspection Panel, Investigation Report: The Quinghai Project, S. 18, Para. 30, m. w. N. 206 Siehe oben, Anm. 197. 207 Hervorh. d. Verf. – Die Umsiedlungs-Policy der IADB enthält eine ähnliche Formulierung; siehe OP-710 Involuntary Resettlement, Note: „The operational policies of the Inter-American Development Bank are intended to provide operational guidance to staff in assisting the Bank’s borrowing member countries.“ (Hervorh. d. Verf.) Die Streitfrage der Rechtsverbindlichkeit stellt sich danach auch für OP-710 Involuntary Resettlement.

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Die Schutzvorschriften der Weltbank erzeugen zwar keine unmittelbaren „Rechte“ von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen, auf die sich die von einer Umsiedlung Betroffenen direkt gegenüber der Bank oder dem Kreditnehmer berufen können. Vertragspartner der Weltbank ist nämlich ausschließlich das Kreditnehmerland.208 Sie begründen im Unterschied zu nationalen Verwaltungsvorschriften, die in grundrechtsbegründeten Ausnahmefällen Drittwirkungen entfalten,209 auch keine so genannten „subjektiven öffentlichen Rechte“. Die zwei wesentlichen Gründe, die gegen eine diesbezügliche Angleichung der Bankvorschriften an Verwaltungsvorschriften sprechen, hat Schlemmer-Schulte genannt: „The context in which the Bank’s policies and procedures are applied is not a single, domestic legal order in which constitutional law permeates the other sources of domestic law (in a downward way), but several legal orders, including the internal Bank law of the policies which as sources of internal Bank law are only through inclusion in loan agreements, turned into international treaty obligations of the borrowers (in a horizontal contractual relationship). The Bank’s policies and procedures may, if they are transformed further by the borrower, even become domestic law obligations of the borrower vis-à-vis affected people but, at no point of the transformation of Bank policy implications, however, are substantive rights of affected people against the Bank created.“210

Ohne jegliche Außenwirkung sind die Safeguard Policies der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker gegenüber Einzelpersonen, denen die Entwicklungsförderung der Weltbank letztlich zugute kommen soll, aber nicht. Seit 1994 kann sich nämlich eine Gruppe von Personen, die in dem Gebiet des Kreditnehmerlandes leben, mit der Behauptung an das oben erwähnte Inspection Panel der Weltbank wenden, dass ihre Rechte oder Interessen dadurch nachteilig betroffen seien, dass sich die Weltbank bei der Planung, Bewertung und/oder Umsetzung eines von ihr finanzierten Projektes nicht an ihre eigenen Schutzvorschriften gehalten habe. Damit wurde für Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit geschaffen, ein bedeutendes Verfahren zur Durchsetzung der Bankvorschriften und damit – jedenfalls indirekt – zugleich zum Schutz ihrer Rechte und Interessen einzuleiten.211 208 Vgl. Schlemmer-Schulte, The World Bank, its Operations, S. 177: „The Bank’s interactions with these individuals [. . .] are of a different nature. With the consent of the government of the member country in which the project financed by the Bank is located, such interactions take place in accordance with Bank policies and procedures throughout the various stages of the so-called ‚project cycle‘, as the unique work by the Bank that accompanies its lending for specific development projects is called.“ 209 Zu den Fällen, in denen nach deutschem Verwaltungsrecht Verwaltungsvorschriften ausnahmsweise Außenwirkung entfalten, siehe z. B. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., 2004, S. 632–641, Rdn. 20–31. 210 Schlemmer-Schulte, World Bank and Human Rights, S. 251; siehe auch dies., The World Bank, its Operations, S. 178, Fn. 23.

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V. Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung und Durchsetzung von Safeguard Policies „The true test of a policy lies in its implementation.“212

Das Bekenntnis der Weltbank in ihren Safeguard Policies zu Grundsätzen, die vor unfreiwilligen Umsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, reicht allein nicht aus, um die projektbetroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen tatsächlich vor den negativen Auswirkungen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen zu bewahren. Es gilt vielmehr, die Kluft zwischen den policy statements der Bank und ihrer Umsetzung in der Praxis zu überwinden, die in den 1980er und -90er Jahren besonders groß war, wie bankinterne Studien über die Handhabung der Umsiedlungs- und anderer Schutzvorschriften belegen.213 1. Allgemeine bankinterne Überwachungsmechanismen Der Missstand bezüglich der Umsetzung bankeigener policies und procedures ist nach wie vor nicht völlig behoben,214 obgleich innerhalb der Weltbank eine Reihe unterschiedlicher Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung und Durchsetzung von Safeguard Policies bestehen. Diesbezüglich verdient zunächst das Involuntary Resettlement Team Erwähnung, das in der Social Development-Gruppe der Weltbank angesiedelt ist. Das Zwangsumsiedlungs-Team zeichnet dafür verantwortlich, unfreiwillige Umsiedlungen zu identifizieren, zu planen, zu implementieren und deren Durchfüh211 Ausführlich hierzu siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, V. 2. b). Siehe auch David Hunter, Using the World Bank Inspection Panel to Defend the Interests of Project-Affected People, in: Chicago Journal of International Law 4/1 (2003), S. 201–211, insbes. 207 ff. 212 James D. Wolfensohn, President, Memorandum to the Executive Directors: Operational Policy on Involuntary Resettlement, Draft OP/BP 4.12, September 28, 2001, S. 1, abrufbar unter . 213 Siehe z. B. The World Bank, Resettlement and Development: The Bankwide Review of Projects Involving Resettlement 1986–1993, 2/2, 1994; siehe insbes. auch Operations Evaluation Department, Report No. 17538: Recent Experience With Involuntary Resettlement – Overview, 2. Juni 1998; siehe dort z. B. S. 3, Rdn. 9: „Bank Performance. The scorecard is not as good as OED had anticipated. Projects appraised in the mid-1980s still suffered from underdeveloped resettlement components. The Bank played a less prominent role than expected, both in strengthening components during appraisal and in monitoring them in the first few years of implementation.“ Vgl. auch Clark, The World Bank and Human Rights, S. 206; 212 f., m. w. N. 214 Siehe z. B. die diesbez. Kritik, welche Bosshard jüngst an der Kreditvergabepraxis der Weltbank hinsichtlich risikoreicher Großvorhaben geäußert hat, Peter Bosshard, Aus alten Fehlern nichts gelernt? – Kritik an der Grossprojekt-Strategie der Weltbank, in: Neue Zürcher Zeitung, 17./18. Juli 2004, Nr. 164, S. 19.

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rung zu überwachen, um Dislokationen auf das nötige Mindestmaß zu reduzieren und die Wiederherstellung der Einkommensmöglichkeiten zu garantieren.215 Für die Überwachung der Einhaltung von Safeguard Policies ist ferner Operations Policy and Country Services (OPCS) zuständig, das im Januar 2001 errichtet wurde. OPCS geht aus einer Fusion der Operations Policy and Strategy Vice Presidency Unit (OPS) und der Operational Core Services VPU hervor. OPS hat 1997 ein Policy-Reformprogramm ins Leben gerufen, das unter anderem zum Ziel hat, die „monitoring compliance“ innerhalb der Bank zu verbessern.216 Zu den Aufgaben von OPCS zählt neben der Überwachung der Einhaltung von Safeguard Policies auch die Überarbeitung dieser Bankvorschriften (Policy Review) sowie deren Verbreitung.217 1998 hat die Weltbank unter anderem in Reaktion auf die Ergebnisse, welche die Untersuchungen des Inspection Panels zutage gefördert haben, die so genannte Quality Assurance and Compliance Unit gegründet. Sie soll dazu beitragen, das Thema der „Verantwortlichkeit“ (accountability) stärker ins Bewusstsein der Bankmitarbeiter zu bringen. Zu diesem Zweck kann die Unit externen Hinweisen, zum Beispiel von NGOs, nachgehen und untersuchen, ob die Mitarbeiter der Weltbank in bankfinanzierten Projekten die von ihnen zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die Feststellung der Verletzung einer Schutzvorschrift hat zur Folge, dass das jeweilige Regionalteam der Weltbank unverzüglich eine entsprechende öffentliche Erklärung abgibt. Es kann auch zu Sanktionen kommen.218 Eine bankinterne Überwachung der Durchsetzung der Schutzvorschriften findet schließlich durch das Operations Evaluation Department (OED)219 215 Siehe hierzu die Website der Weltbank unter . – Die Social Development-Gruppe gehört dem Environmentally and Socially Sustainable Development (ESSD) Network der Weltbank an. Ihre Mitarbeiter sind dafür verantwortlich, Policies und Projekte zu entwerfen, die den Zweck verfolgen, Menschen, die traditionell von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ausgeschlossen waren, in den Entwicklungsprozess zu integrieren. 216 OPS hatte sich insbesondere dafür eingesetzt, die Überwachung der Durchsetzung von Bankvorschriften durch die Einheiten, die für die Safeguard und Fiduciary Policies der Weltbank verantwortlich sind, zu verbessern. 217 Siehe hierzu z. B. Diamax Information Systems Corporation, Operations Policy and Country Services (OPCS), abrufbar unter . 218 Ausführlich zur Quality Assurance and Compliance Unit siehe Bank Information Center, The World Bank’s Policy Framework: The ‚Safeguard‘ Policies, Compliance and the Independent Inspection Panel, abrufbar auf der Website von Bicusa, . 219 Siehe hierzu Thomas Buß, Zwischen Immunität und Rechtsschutz: Das Inspection Panel innerhalb der Weltbankgruppe, in: Recht der Internationalen Wirtschaft 5 (1998), S. 352 (354).

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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und die Rechtsabteilung der Weltbank statt.220 Die Befugnisse des OED sind dabei allerdings darauf beschränkt, die Durchführung und Auswirkungen bereits abgeschlossener Investitionsprojekte zu bewerten.221 Mit Ausnahme der Quality Assurance and Compliance Unit der Weltbank handelt es sich bei den beschriebenen Mechanismen allesamt um rein bankinterne Verfahren. Außenstehende Dritte, wie projektbetroffene Personen und Bevölkerungsgruppen, können hierauf keinen Einfluss nehmen. Sie haben aber, wie gesagt, die Möglichkeit, bei dem Inspection Panel der Weltbank eine Beschwerde einzureichen, mit der sie eine Überprüfung der Beachtung von Safeguard Policies durch Bankmitarbeiter im Verlaufe eines bankfinanzierten Projekts auslösen können. Die Konzepte der „Volksbeteiligung“ ( popular participation), der Transparenz und der „Ermächtigung“ der Allgemeinheit (empowerment) haben sich damit auch im Bereich der binnenorganisatorischen Kontrolle der Einhaltung und Durchsetzung bankeigener policies und procedures niedergeschlagen.222 2. Das Weltbank Inspection Panel a) Hintergrund und Entstehungsgeschichte Das Inspection Panel der Weltbank wurde am 22. September 1993 von dem Exekutivdirektorium der Bank gegründet,223 um die Durchsetzung ih220

Vgl. hierzu Kingsbury, Operational Policies, S. 329. Zum OED siehe . 222 Ausführlich hierzu siehe Laurence Boisson de Chazournes, Le Panel d’Inspection de la Banque Mondiale: À Propos de la Complexification de l’Espace Public International, in: Revue Générale de Droit International Public 105 (2001), S. 145–162; Dana Clark/David Hunter, The World Bank Inspection Panel: Amplifying Citizen Voices for Sustainable Development, in: Alfredsson/Ring, S. 167–189, insbes. 170 f. 223 Das Inspection Panel wurde durch zwei identische Resolutionen des Exekutivdirektoriums der Weltbank errichtet: Resolution of the Executive Directors establishing the Inspection Panel for the International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) (No. 93-10) bzw. for the International Development Association (IDA) (No. IDA 93-6), jeweils vom 22. September 1993, Dokument Nr. SecM93988 (IBRD) und SecM93-313 (IDA) (fortan: Resolution). Die Resolutionen haben zugleich das operative Rahmenwerk für das Inspection Panel geschaffen. Sie sind mit einer Einführung von Maurizio Ragazzi abgedruckt in: ILM 34 (1995), S. 520 ff. – Das Exekutivdirektorium der Weltbank hat das Inspection Panel, wie in den Gründungsresolutionen vorgesehen, 1996 und 1999 jeweils einer Revision unterzogen. Im Anschluss daran hat es erläuternde Klarstellungen (Clarifications) bez. der Gründungsresolutionen herausgegeben. Der Text der Clarifications ist veröffentlicht als: The Inspection Panel, Resolution – Review of the Resolution Establishing the Inspection Panel: Clarifications of Certain Aspects of the Resolution, 17. Oktober 221

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rer policies und procedures sowie die Transparenz der Weltbank und deren Verantwortlichkeit gegenüber der Außenwelt zu verbessern.224 Die Einrichtung dieses „quasi-unabhängigen“ Inspektionsgremiums,225 das aus drei von den Exekutivdirektoren der Weltbank ernannten Personen unterschiedlicher Nationalität aus Mitgliedstaaten von IBRD und IDA besteht,226 geht – wie die Verabschiedung der Schutzvorschriften – auf Kritik der Zivilgesellschaft und einzelner Mitgliedstaaten der Weltbank Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre zurück.227 Sie wurde durch eine Reihe von Fällen ausgelöst, bei denen die Missachtung der Bankvorschriften teilweise verheerende Auswirkungen für die projektbetroffenen Menschen hatte. aa) Das Sardar Sarovar-Projekt und seine Folgen: die erste unabhängige Überprüfung eines bankfinanzierten Projekts Das prominenteste Beispiel hierfür ist das Vorgehen der Weltbank im Sardar Sarovar-Projekt (SSP), das insbesondere auch wegen seiner Umsiedlungskomponente weltweite Proteste hervorrief.228 Das SSP ist ein gigantisches Bewässerungs- und Wasserkraftwerkprojekt in Indien, das den Bau 1996, sowie als Resolution – Conclusions of the Board’s Second Review of the Inspection Panel vom 20. April 1999. Die „Klarstellungen“ sind als autoritative Kommentare zu den Gründungsresolutionen anzusehen. 224 Ausführlich zu den Motiven, die zur Gründung des Inspection Panels geführt haben, siehe Ibrahim F. I. Shihata, The World Bank Inspection Panel: In Practice, 2. Aufl., 2000, S. 1 ff.; siehe auch ders., The World Bank Inspection Panel – Its Historical, Legal and Operational Aspects, in: Alfredsson/Ring, S. 7–45. – Zum Inspection Panel selbst siehe aus jüngerer Zeit insbes. sowie Edward S. Ayensu (Hrsg.), Accountability at the World Bank: The Inspection Panel 10 years over, 2003, das eine umfassende Bibliographie enthält; siehe auch Ina Tjardes, Das Inspection Panel der Weltbank, 2003. 225 Die Exekutivdirektoren der Weltbank haben zwar seit der Schaffung des Inspection Panels wiederholt betont, wie wichtig dessen Unabhängigkeit sei (ausführlich hierzu Roos, Inspection Panel, S. 481 f. m. w. N.). Um ein wirklich unabhängiges Organ, wie dies nationale oder internationale Gerichte sind, handelt es sich bei dem Inspection Panel aber schon deshalb nicht, weil dieses Gremium in vielen Bereichen gegenüber dem Exekutivdirektorium nur empfehlende Befugnisse hat. – Zur Einordnung des Inspection Panels als „quasi-judicial supervisory body“ siehe Daniel Bradlow, International Organizations and Private Complaints: The Case of the World Bank Inspection Panel, in: Virginia Journal of International Law 34 (1994), S. 553 (602); Kingsbury, Operational Policies, S. 332 f. 226 Zur Zusammensetzung und Arbeitsweise des Inspection Panels siehe Ayensu, S. 5. – Die ersten drei Inspektoren wurden im April 1994 ernannt. Sie haben ihr Amt im August 1994 angetreten. 227 Vgl. Clark, The World Bank and Human Rights, S. 206. 228 Ausführlich hierzu Morse/Berger. Siehe auch Rich, S. 150–153 u. 249–254; Arundhati Roy, The Greater Common Good, April 1999, abrufbar unter .

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des Sardar Sarovar-Damms und weiterer 3000 Staudämme sowie von insgesamt 47.000 Meilen Wasserkanälen umfasst. Sinn und Zweck des Projekts ist es, 1.450 Megawatt Strom, die Bewässerung für 4,4 Millionen Morgen Land sowie Trinkwasser für 40 Millionen Menschen zu produzieren.229 Die Weltbank bewilligte 1985 eine Kreditfinanzierung für einen Teil des SSP, ohne zuvor eine umfassende Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung durchgeführt zu haben.230 Dies hat insbesondere Umweltund Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Ihre Proteste veranlassten die Weltbank, die erste unabhängige Überprüfung eines bankfinanzierten Entwicklungsprojekts in Auftrag zu geben, die 1991 von dem US-Amerikaner Bradford Morse, der ehemals das Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) leitete, und Thomas R. Berger, einem Richter am Obersten Gerichtshof Kanadas, durchgeführt wurde. Morse und Berger wiesen in ihrem umfassenden Untersuchungsbericht eine Reihe von Versäumnissen der Weltbank im Bereich des Umweltschutzes sowie unfreiwilliger Umsiedlungen nach: „We have made findings that reveal a failure to incorporate Bank policies into the 1985 credit and loan agreements and subsequent failure to require adherence to enforceable provisions of these agreements. Much of what has gone wrong with Sardar Sarovar Projects is the result of such failures over a range of resettlement and rehabilitation and environmental matters.“231

Die Weltbank förderte das SSP gegen die Stimmen einiger Mitgliedstaaten dennoch weiter. Parallel hierzu setzte sie Indien bis zum 31. März 1993 eine Frist, bis zu der es verschiedene Auflagen im Bereich Umwelt und Umsiedlung zu erfüllen hatte, wie zum Beispiel den Entwurf eines Programms für die Umsiedlung von mehr als 200.000 projektbetroffenen Personen.232 Am 30. März 1993 hat die indische Regierung auf einen Teil des Weltbankkredits in Höhe von insgesamt 450 Millionen US-$ verzichtet. Als Begründung führte sie an, die Auflagen nicht erfüllen zu können. Die Weltbank zog sich darauf hin aus der Finanzierung des SSP zurück. Sie hatte bis dahin bereits 280 Millionen US-$ an Indien ausbezahlt. Die indische 229 Vgl. Steven A. Holmes, India Cancels Dam Loan From World Bank, in: The New York Times, 31. März 1993, S. A 5. 230 Siehe Morse/Berger, Chapter 17, Findings and Recommendations, S. 349: „The Bank and India both failed to carry out adequate assessments of human impacts of the Sardar Sarovar Projects. Many of the difficulties that have beset implementation of the Projects have their origin in this failure. There was virtually no basis, in 1985, on which to determine what the impacts were that would have to be ameliorated. This led to an inadequate understanding of the nature and scale of resettlement.“ 231 Ebd., S. 349–358 (353). 232 Vgl. Holmes. – Zu dem Ausmaß der Umsiedlungen, die im Rahmen des SSP vorgesehen waren, siehe Uday Turaga, Damming waters and wisdom: protest in the Narmada River Valley, in: Technology in Society 22 (2000), S. 237 (248–250).

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Regierung erklärte danach offiziell, das Sardar Sarovar-Projekt dennoch beenden zu wollen.233 bb) Der Wapenhans-Bericht Der Morse-Berger-Bericht machte deutlich, wie wichtig die unabhängige Überwachung der Durchsetzung bankeigener policies und procedures bereits während der Durchführung eines bankfinanzierten Projekts ist. Er löste innerund außerhalb der Weltbank eine rege Diskussion über die Frage aus, wie die Kontrolle der Einhaltung der Bankvorschriften verbessert werden könne. Fast zeitgleich mit dem Morse-Berger-Bericht erschien im November 1992 der so genannte „Wapenhans-Report“. Er fasste die Ergebnisse einer Untersuchung über die Effizienz der Tätigkeit der Weltbank bei der Umsetzung von Projekten zusammen, die der damalige Weltbankpräsident Preston in Reaktion auf die – interne und externe – Kritik an der unzulänglichen Beachtung bankeigener policies und procedures in Auftrag gab.234 Beide Berichte führten 1993 zu einer Reihe von Vorschlägen für die Gründung einer effektiven Kontrollinstanz,235 die teilweise in dem Konzept für das im selben Jahr geschaffene Inspection Panel der Weltbank ihren Niederschlag fanden. Mit der Einrichtung des Inspection Panels hat die Weltbank, wie schon bei der Verabschiedung ihrer Schutzvorschriften, Pionierarbeit geleistet. Sie hat damit als erste Internationale Organisation für Einzelpersonen die Möglichkeit geschaffen, in einem internationalen Forum eine Beschwerde mit 233

Für die Weltbank war das Kapitel „SSP“ mit ihrem Rückzug von der Projektfinanzierung allerdings noch nicht beendet. Seit der Oberste Gerichtshof Indiens (Indian Supreme Court) am 18. Oktober 2000 entschieden hat, dass die Arbeit am SSP wieder aufgenommen werden durfte, sieht sich die Weltbank Forderungen von NGOs ausgesetzt, Verantwortung für ihr Engagement im SSP und dessen nachteiligen Folgen zu übernehmen. So hat z. B. das International Rivers Network im November 2000 einen Brief an Weltbankpräsident Wolfensohn adressiert, in dem es u. a. heißt: „We, the undersigned organizations, are writing to point out the continuing plight of people affected by the Sardar Sarovar (SSP) and to call on the Bank to assume its responsibility to the people of the Narmada valley. [. . .] The rights of people affected by the project for reasons other than submergence continue to be violated and ignored by project authorities. [. . .] Further construction of the Sardar Sarovar Project will have grave consequences. The Bank has already accepted its responsibility to ensure that its loan agreements are complied with. We call on the World Bank to turn its words into action and ensure that the Government of India meets its obligations to the people affected by the Sardar Sarovar Project.“ Eine Kopie des Briefes befindet sich bei der Verfasserin. 234 Die Ergebnisse der Untersuchung sind zusammengefasst in: The World Bank, Getting Results: The World Bank’s Agenda for Improving Development Effectiveness, 1993, S. 1–7. Zu den Hintergründen der Untersuchung siehe Shihata, Historical, Legal and Operational Aspects, S. 8–9 m. w. N. 235 Vgl. Shihata, ebd., S. 13.

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der Behauptung einzureichen, ihre Rechte oder Interessen seien dadurch betroffen, dass diese Organisation im Rahmen ihrer Tätigkeit ihre eigenen internen Vorschriften nicht beachtet habe. Dies stellt eine bedeutende Neuerung im Bereich der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen sowie der Durchsetzung ihres internen Rechts dar: „Not only is the Inspection Panel innovative from an institutional viewpoint, but it also provides a mechanism by which to increase scrutiny over the Bank’s activities in shedding light on a feature of great interest, i. e., the standards governing the operational activities of an international organization – in the present case, the World Bank – and the extent to which the organization ensures its respect in its lending activities.“236

b) Die Funktionsweise des Inspection Panels: das Untersuchungsverfahren Das Untersuchungsverfahren des Inspection Panels verläuft grundsätzlich in zwei Phasen: Zulässigkeitsphase (eligibility phase) und Untersuchung des Gesuchs in der Sache.237 aa) Die Zulässigkeitsphase (1) Zuständigkeit ratione personae und ratione materiae An das Inspection Panel der Weltbank kann sich eine Gruppe von mindestens zwei Personen (Gesuche einzelner Betroffener sind ausgeschlossen) wenden, die im Hoheitsgebiet eines Kreditnehmerlandes leben.238 Die Beschwerdeführer müssen mit ihrem Untersuchungsgesuch geltend machen, dass die Weltbank bei der Planung, Bewertung und/oder Umsetzung eines bankfinanzierten Projekts ihre policies und procedures nicht beachtet hat239 236

Boisson de Chazournes, Compliance, S. 67. – Zur Frage, ob das Inspection Panel ein denkbares Modell für andere Internationale Organisationen ist, siehe Sabine Schlemmer-Schulte, The World Bank Inspection Panel: A Model for Other International Organizations?, in: Niels M. Blokker/Henry G. Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, 2001, S. 483–548. 237 Ausführlich zum Untersuchungsverfahren des Inspection Panels siehe Ayensu, Chapt. 1 und 2, S. 2–38. 238 Nach der Resolution sind hiervon „a community of persons such as an organization, association, society or other grouping of individuals“ erfasst, die im Land des Kreditnehmers leben; vgl. Resolution, Para. 12. 239 Nach der Gründungsresolution und den in Ergänzung hierzu erlassenen Operating Procedures [– das Inspection Panel hat im August 1994 Verfahrensvorschriften (Operating Procedures) verabschiedet, die die Gründungsresolutionen um prozedurale Bestimmungen ergänzen. Siehe The Inspection Panel, Operating Procedures, August 19, 1994. Die Operating Procedures sind auf der Website des Inspection

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und sich dies unmittelbar nachteilig auf ihre Rechte und Interessen auswirkt. Der – bereits eingetretene oder zu befürchtende – Nachteil muss materieller Art sein.240 Diese Zulässigkeitsvoraussetzung hat nicht nur die Funktion, Untersuchungsgesuche auszuschließen. Sie hat vielmehr auch einen inkludierenden Zweck. Er besteht darin: „to broaden the scope of coverage [. . .] so as to include not only titles, powers, and privileges protected by law but also substantiated claims to such titles, powers, and privileges and the avoidance of harm (in the sense of bodily injury or financial loss) that otherwise may affect the requester.“241

Für die hier zu erörternde Frage, inwiefern sich Recht und Praxis der Weltbank zur Menschenrechtssicherung eignen, ist bedeutsam, dass sich die Rechte und Interessen, deren Beeinträchtigung die Beschwerdeführer rügen müssen,242 auf das Recht des Landes beziehen müssen, in dem der behauptete Nachteil eingetreten bzw. zu befürchten ist. Hiervon sind auch Verträge erfasst, die das Kreditnehmerland in nationales Recht umgesetzt hat, sofern diese privaten Parteien Rechte einräumen.243 Die Antragsteller können folglich geltend machen, dass Menschenrechte, die in internationalen Menschenrechtsinstrumenten gewährleistet sind, beeinträchtigt werden, sofern diese im nationalen Recht des betroffenen Schuldnerstaats der Weltbank gelten. Im Zusammenhang mit der Zuständigkeit des Inspektionsgremiums ratione personae verdient schließlich Erwähnung, dass die betroffenen Personen das Untersuchungsgesuch nicht persönlich einreichen müssen. Für sie Panels abrufbar unter –] ist das Inspection Panel für Beschwerden, die ausschließlich Handlungen Dritter, insbesondere des Kreditnehmers, betreffen, ratione materiae unzuständig (vgl. Resolution, Para. 14 (a); Operating Procedures, I. Subject Matter of Requests – Scope, Para. 2 (a)). Gleiches gilt für Beschwerden, die Lieferanten von Gütern und Dienstleistungen gegen Vergabeentscheidungen des Darlehennehmers der Weltbank geltend machen, sowie für Beschwerden über den Ausfall von Zahlungsansprüchen für die Lieferung derselben. (Resolution, Para. 14 (b); Operating Procedures, I. Subject Matter of Requests – Scope, Para. 2 (b)). 240 Vgl. Resolution, Para. 12 S. 3: „material adverse effect“. 241 Shihata, The World Bank Inspection Panel, 2000, S. 57. Seit Erlass der zweiten klarstellenden Erläuterungen bez. der Gründungsresolutionen aus dem Jahre 1999 misst das Inspection Panel der Zulässigkeitsvoraussetzung eines geltend gemachten materiellen Nachteils indes weniger Bedeutung bei als der Voraussetzung der Nichteinhaltung bankeigener Vorschriften; vgl. Sabine Schlemmer-Schulte, Introductory Note to the Conclusions of the Second Review of the World Bank Inspection Panel, in: ILM 39 (2000), S. 243 ff. 242 Vgl. Resolution, Para. 12: „The affected party must demonstrate that its rights or interests have been or are likely to be directly affected by an action or omission of the Bank as a result of a failure of the Bank to follow its operational policies and procedures.“ Ausführlich zu den Begriffen „rights and interests“ im Kontext dieser Vorschrift siehe Shihata, World Bank Inspection Panel, 2000, S. 56 ff. 243 Vgl. ebd., S. 57.

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kann vielmehr auch ein Vertreter handeln.244 Die Vertretung soll zwar grundsätzlich örtlich (local) sein. Von diesem Kriterium kann das Exekutivdirektorium – nicht aber das Inspection Panel245 – aber eine Ausnahme machen, wenn eine angemessene örtliche Vertretung nicht zu finden ist.246 Diese Regelung erlangte erstmals im oben erwähnten Quinghai-Fall praktische Bedeutung. Dort hatte eine in Washington, D. C. ansässige NGO, die International Campaign for Tibet (ITC), das Untersuchungsgesuch für und im Namen von „Tibetan and Mongolian ethnic peoples“, die in dem Projektgebiet lebten, eingereicht.247 Die Exekutivdirektoren stimmten angesichts der Dringlichkeit des Falles der Einleitung eines Untersuchungsverfahrens zu, ohne näher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung von dem Örtlichkeitserfordernis vorlagen.248 Die Vertretungsmöglichkeiten, welche die Verfahrensvorschriften des Inspection Panels für NGOs vorsehen, sowie die Handhabung dieser Bestimmungen in der Praxis belegt, dass Nichtregierungsorganisationen als Verfahrensbeteiligte in internationalen Streitschlichtungsverfahren sowie gerichtlichen und quasi-gerichtlichen Verfahren eine wachsende Rolle spielen.249 (2) Die Schlüssigkeitsprüfung In der Zulässigkeitsphase hat das Inspection Panel neben seiner Zuständigkeit ratione personae und materiae ferner zu prüfen, ob sich das Bankmanagement bereits mit der Angelegenheit befasst hat und nicht in der Lage war darzulegen, dass es den Bankvorschriften gefolgt ist, oder aber 244

Vgl. Resolution, Para. 12. Zu den Gründen, die dazu führten, die Entscheidungsbefugnis über die Zulässigkeit einer Beschwerde, die von einer nichtörtlichen Vertretung eingereicht wurde, den Exekutivdirektoren einzuräumen, siehe Shihata, World Bank Inspection Panel, 1994, S. 57 f. 246 Vgl. Resolution, Para. 12. 247 Siehe International Campaign for Tibet (ICT), Request for Inspection: China Western Poverty Reduction Project, Credit No. 32550 CHA and Loan No. 4501CHA, INSP/R99-6 vom 18. Juni 1999. 248 Vgl. IDA and IBRD, Proposed Decision on Request for Inspection – China: Western Poverty Reduction Project, Credit No. 32550 CHA and Loan No. 4501 – CHA, INSP/R99-6/2 vom 7. September 1999. 249 Ausführlich hierzu siehe Ulrich Beyerlin, The Role of NGOs in International Environmental Litigation, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 61 (2001), S. 357–378. – Für eine umfassende Untersuchung der Rechtsnatur, des Mandats und der Befugnisse von NGOs siehe Waldemar Hummer, Internationale Nichtstaatliche Organisationen im Zeitalter der Globalisierung – Abgrenzung, Handlungsbefugnisse, Rechtsnatur, in: Klaus Dicke (Hrsg.), Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, 2000, S. 45 –230. 245

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angemessene Schritte unternommen hat, die policy statements einzuhalten250 und der streitgegenständliche Kredit noch nicht abgeschlossen bzw. überwiegend ausgezahlt ist.251 Das Inspection Panel darf sich darüber hinaus noch nicht mit derselben Sache beschäftigt und eine diesbezügliche Empfehlung ausgesprochen haben. Von dieser Voraussetzung darf nur abgewichen werden, wenn neue Tatsachen oder Umstände vorgetragen werden, die zum Zeitpunkt des früheren Gesuches nicht bekannt waren.252 Sofern das Inspection Panel von seinem Sitz in Washington, D. C. aus nicht klären kann, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind und das Gesuch damit schlüssig ist, kann es bereits in der Zulässigkeitsphase das Projektland besuchen.253 Die Zulässigkeitsphase endet damit, dass das Inspection Panel die Ergebnisse seiner vorläufigen Untersuchung in einem Bericht zusammenfasst und dem Exekutivdirektorium gegebenenfalls empfiehlt, ein förmliches Untersuchungsverfahren einzuleiten. bb) Die Untersuchung in der Sache Das Inspektionsgremium darf ohne die Zustimmung des Exekutivdirektoriums keine förmliche Untersuchung in der Sache beginnen.254 In den Fällen, in denen das Direktorium einer positiven Empfehlung des Inspection Panels zur Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens zustimmt, überträgt dessen Vorsitzender einem oder mehreren Inspektoren die Verantwortung für die Durchführung der Untersuchung in der Sache. Die Untersuchungsphase endet damit, dass das Panel dem Direktorium und dem Präsidenten der Weltbank seinen Abschlussbericht vorlegt. Er enthält die Ergebnisse der Untersuchung darüber, ob die Weltbank alle einschlägigen Bankvorschriften eingehalten hat, sowie alle relevanten Fakten.255 Das Bank250

Resolution, Para. 13. Ebd. Para. 14 lit. (c). 252 Ebd. Para. 14 lit. (d). 253 Vgl. Para. 7 der Klarstellungen von 1999. – Zu den Clarifications siehe oben, Anm. 223. 254 Die Tatsache, dass die Entscheidungsbefugnis über die Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens nicht bei dem Inspection Panel selbst, sondern bei dem Exekutivdirektorium der Weltbank liegt, zeigt einmal mehr, dass das Panel kein wirklich unabhängiges Organ ist; vgl. Buß, S. 357: „Hätte man eine derartige Entscheidungsbefugnis und damit das letzte Wort über die Einleitung eines förmlichen Untersuchungsverfahrens nicht dem Direktorium, sondern dem Inspection Panel eingeräumt, hätte dies sicher dazu beigetragen, die Unabhängigkeit des Panels zu unterstreichen. Daß die Sichtweise des Direktoriums letztverbindlich sein soll, ist aber so lange hinnehmbar, wie das Direktorium den Abschlußbericht des Inspection Panel nicht schlicht ignoriert oder sich willkürlich darüber hinwegsetzt.“ 255 Resolution, Para. 22. 251

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management muss innerhalb von sechs Wochen, nachdem das Direktorium den Bericht erhalten hat, Empfehlungen bezüglich der Untersuchungsergebnisse aussprechen.256 Das Exekutivdirektorium entscheidet abschließend auf der Grundlage sowohl des Panel-Berichts als auch der Empfehlungen des Bankmanagements darüber, wie auf das Untersuchungsergebnis zu reagieren ist.257 Es teilt diese Entscheidung zusammen mit dem Untersuchungsergebnis dem Beschwerdeführer innerhalb von zwei Wochen mit.258 c) Die Folgen der Untersuchungen und Berichte des Inspection Panels Die Inspektionsberichte sowie die Empfehlungen, welche das Inspection Panel nach abgeschlossener Untersuchung an das Exekutivdirektorium der Weltbank ausspricht, bleiben in der Regel nicht folgenlos.259 Ungefähr die Hälfte aller Gesuche, die bisher bei dem Inspektionsgremium eingegangen sind, haben zu einem positiven Ergebnis für die Beschwerdeführer und andere projektbetroffene Personen geführt. In einigen Fällen haben die Weltbank und/oder der Kreditnehmer den Projektentwurf bzw. dessen Implementierung im Sinne der Panel-Empfehlungen nachgebessert, indem sie zum Beispiel Aktionspläne aufgestellt, unabhängige Investigatoren ernannt260 oder einen örtlichen Untersuchungsausschuss eingerichtet haben.261 Die Einreichung eines Gesuchs führte dabei nicht nur dann zu positiven Ergebnissen für die Beschwerdeführer, wenn das Inspection Panel dem Exekutivdirektorium die Durchführung einer Untersuchung empfohlen hat. Auch in anderen Fällen zeitigte schon allein die Beschwerde positive Folgen. Als Beispiel hierfür sei das Jamuna River-Projekt in Bangladesh ange256

Ebd. Para. 23. Ebd. 258 Ebd. 259 Vgl. Bank Information Center, Table 1: Official Responses to the World Bank Inspection Panel Claims, abrufbar unter . 260 Dies war z. B. das Ergebnis einer Beschwerde bez. des Pangue Dam-Projekts in Chile. Da es sich dabei um ein Projekt handelte, das von der IFC gefördert wurde, war das Inspection Panel der Weltbank für die Beschwerde nicht zuständig. Entsprechend konnte es auch keine Empfehlung zur Einleitung einer förmlichen Untersuchung aussprechen. Statt dessen ernannte Weltbankpräsident Wolfensohn einen unabhängigen Inspektor (Dr. Jay Hair), der die Beschwerde untersuchen sollte; vgl. Alvaro Umana Quesada (Hrsg.), The World Bank Inspection Panel, 1998, S. 9; vgl. auch Bank Information Center, Table 1. 261 Dies war z. B. im Singrauli Coal-Projekt in Indien der Fall. Das Inspection Panel hatte den Exekutivdirektoren eine Untersuchung empfohlen. Diese stimmten der Empfehlung mit der Einschränkung zu, dass die Untersuchung am Schreibtisch erfolgen müsse (sog. desk review). Die Überprüfung vor Ort fand daher durch ein lokales Monitoring-Panel statt; vgl. Bank Information Center, Table 1. 257

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führt, das den Bau einer Brücke über den Jamuna-Fluss vorsah. Obwohl das Bankmanagement nicht zugestand, dass Bankmitarbeiter Schutzvorschriften verletzt hatten, und das Inspection Panel keine Untersuchungsempfehlung aussprach, führte das Gesuch dennoch dazu, dass ein Aktionsplan aufgestellt wurde, um offensichtliche Mängel des Projekts – unter anderem bezüglich unfreiwilliger Umsiedlungen – zu beseitigen. So wurden zum Beispiel 70.000 Personen in einen Umsiedlungsplan aufgenommen, von dem sie zuvor ausgeschlossen waren.262 Andere Untersuchungsgesuche führten zu einer zusätzlichen Finanzierung, um nachteilige Umwelt- und Sozialauswirkungen der in Rede stehenden bankfinanzierten Projekte anzugehen.263 Im umstrittenen Arun III Proposed Hydroelectric Project in Nepal264 und dem Quinghai-Fall hatten die Untersuchungen des Inspection Panels schließlich zur Folge, dass sich die Weltbank von der Projektfinanzierung zurückzog bzw. der Kreditnehmer den Kreditantrag zurücknahm, weil er die neuen Auflagen der Weltbank nicht erfüllen konnte oder wollte.265 Ein solcher Fall wirft die Frage auf, ob das Inspection Panel als Instrument zur Durchsetzung der Safeguard Policies inklusive der damit umgesetzten Menschenrechtsstandards taugt, wenn seine Untersuchungen dazu führen können, dass sich die Weltbank aus der Projektfinanzierung zurückund sich damit ihrer Kontrollmöglichkeit entzieht. So bezeichnete der britische Entwicklungshilfeminister Short den Ausgang des Quinghai-Falles denn auch als Pyrrhussieg, den die Unterstützer der betroffenen Tibeter erstritten hätten.266 Buß hat in seinem Aufsatz über das Inspection Panel die in diesem Zusammenhang entscheidenden Fragen formuliert: „Welche Folgen hat der Rückzug der Bank aus einem Projekt für Umwelt und Menschen? Muß sich die Bank mit geringeren Standards in den Bereichen ‚Umwelt‘, ‚unfreiwillige Umsiedlung‘, ‚indigene Völker‘ und ‚Kulturschutz‘ zufrieden geben, wenn die Gefahr besteht, daß nach einem Rückzug der Bank private Investoren einspringen, die keine oder jedenfalls wesentlich geringere Anforderungen 262 Vgl. hierzu Daniel D. Bradlow, Precedent-Setting NGO Campaign Saves the World Bank’s Inspection Panel, in: Human Rights Brief 6/3 (1999), abrufbar unter . Siehe auch Bank Information Center, Table 1. 263 Vgl. Bradlow, ebd. 264 Vgl. hierzu Alfred Escher, World Bank Withdraws from Arun III Project at Inspection Panel’s Recommendation, in: Human Rights Brief 3/1 (1995), abrufbar unter . 265 Zu den Folgen der Quinghai-Untersuchung siehe z. B. Roos, Inspection Panel, S. 478–479. 266 Vgl. Sathnam Sanghera/Nancy Dunne, China Drops Request to World Bank for Tibetan Scheme, in: Financial Times, July 7, 2000, abrufbar unter .

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an den Schutz von Umwelt, Mensch und Kultur stellen? Stellen die [. . .] Operational Policies und Directives [. . .] absolute Standards auf, deren Nichterfüllung notwendigerweise zum Scheitern des Projektes führt? Oder sind die in ihnen gesetzten Standards nur relative in dem Sinne, dass die Nichterreichung eines größtmöglichen Schutzes der Durchführung eines Projekts jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn bei einem Rückzug der Bank aus dem Projekt überhaupt kein oder ein deutlich geringerer Schutz gewährleistet ist?“267

Eine pauschale Antwort auf diese Fragen gibt es nicht. Sie hängt vielmehr von der Antwort auf viele weitere Fragen ab. So ist unter anderem entscheidend, ob die Weltbank völkerrechtlich verpflichtet ist, Fragen der Menschenrechtsverträglichkeit bankfinanzierter Projekte im Einzelfall gesondert zu prüfen und diese zur Bedingung einer Projektförderung zu machen. Bejahendenfalls wäre es IBRD und IDA völkerrechtlich verwehrt, Projekte zu finanzieren, bei denen die in den Safeguard Policies umgesetzten Menschenrechtsstandards nicht eingehalten werden.268 Unabhängig davon darf schließlich die Signalwirkung, welche die Weltbank mit einem Rückzug aus der Projektfinanzierung setzt, nicht unterschätzt werden. Durch die Beteiligung der Weltbank an einem Entwicklungsprojekt erhält dieses ein Gütezeichen, das für Kofinanzierungen, zum Beispiel durch öffentliche Einrichtungen wie die Europäische Investmentbank, verschiedene Exportkreditagenturen, aber auch Privatbanken, häufig wesentliche Voraussetzung ist.269 Der Rückzug der Weltbank von einem Projekt hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass – gerade auch private – Investoren dem Vorbild der Bank Folge geleistet und sich ebenfalls aus einer Projektfinanzierung zurückgezogen haben.270 Dabei handelte es sich in ers267

Buß, S. 357. Ausführlich zur Frage, ob das Völkerrecht eine Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank begründet, siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. 269 Vgl. hierzu bez. des Tschad/Kamerun-Öl- und Pipeline-Projekts, Korinna Horta, Internationale Finanzinstitutionen und Menschenrechte, in: von Arnim u. a., S. 167 (170). 270 Beispielhaft hierfür sei das Verhalten des Siemens-Konzerns bez. des umstrittenen Baus des Maheshwar-Staudamms und Wasserkraftwerks am Narmada-Fluss im Bundesstaat Madhya Pradesh in Indien angeführt, der Bestandteil des großangelegten Sardar Sarovar-Projektes ist. Siemens zog seinen Antrag auf Hermes-Bürgschaft zurück, nachdem bekannt wurde, dass durch den Staudamm bis zu 40 000 Menschen umgesiedelt werden müssen. Zuvor hatten sich schon das Bayernwerk und VEW wegen dessen mangelnder Sozialverträglichkeit von dem Projekt zurückgezogen; siehe z. B. Erhard Haubold, „Nicht transparent, nicht demokratisch“ – Kritik an der deutschen Beteiligung am Bau des Maheshwar-Staudamms, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03. Juli 2000, Nr. 151, S. 12; Klaus Welzel, Von Staudämmen und Rüstungsexporten – Die Grünen stehen unter Druck: Das Aus für ein indisches Großprojekt kommt da gerade zur rechten Zeit, in: Rhein-Neckar-Zeitung, 02./03. September 2000, Nr. 203, S. 2. 268

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

ter Linie um Investoren, deren Finanzierungskonditionen ökologische und soziale Standards nach dem Muster der Bankvorschriften enthalten.271 Im konkreten Einzelfall mag dies nicht zur Gewährleistung von Menschenrechten projektbetroffener Personen beitragen. Langfristig könnte die umfassende Verweigerung einer Projektfinanzierung bzw. eine strenge Förderungskonditionierung durch die Weltbank indes zur Sicherung staatlicher Menschenrechtspflichten führen. Dies setzt indes voraus, dass sich künftig auch private Investoren, welche die finanzielle Unterstützung eines Entwicklungsprojekts bisher noch nicht von der Einhaltung sozialer Standards abhängig machen, weigern würden, Projekte zu finanzieren, die mit den sozialen Schutzvorschriften der Bank unvereinbar sind. Solange private Investoren im Falle eines Rückzuges der Weltbank einspringen und Entwicklungsprojekte ohne soziale Auflagen fördern, können die Finanzierungskonditionen der Weltbank ihre volle Wirkung nicht entfalten. d) Die Handhabung von Beschwerden durch das Inspection Panel Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, die gesamte Praxis des Inspection Panels bezüglich Beschwerden darzustellen, durch die eine Nichtbeachtung der Umsiedlungsvorschriften der Weltbank geltend gemacht wurde.272 Bis Ende 2004 sind beim Inspection Panel 29 Gesuche eingegangen.273 Die Mehrzahl der Untersuchungsgesuche betraf unter anderem die Involuntary Resettlement-Policy.274 In den meisten Fällen wurden gleichzeitig auch Verletzungen der Bankvorschriften über indigene Völker und die Umweltverträglichkeitsprüfung gerügt.275 Im Folgenden sollen einige Aspekte näher erörtert werden, die für die Beantwortung der Frage bedeutsam sind, inwiefern sich das Inspection Panel als Instrument zur Sicherung von Menschenrechten eignet, die vor ent271

Siehe hierzu oben, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 3. Ausführlich hierzu siehe Stefanie Ricarda Roos, Resettlement Monitoring Performed by the World Bank Inspection Panel, in: Proceedings of International Symposium on Resettlement & Social Development, May 12–14, 2002, Nanjing, PRC, S. 375–387 (auf chinesisch). Eine englische Fassung des Papers ist abrufbar unter . 273 Eine Auflistung aller Gesuche, die bis Ende 2004 beim Inspection Panel eingereicht wurden, findet sich auf der Website des Inspection Panels unter .; eine Auflistung der Gesuche, die bis zum 1. Juni 2003 eingereicht wurden, ist in Ayensu, Annex VI. – C. Alleged Violations of World Bank Policies and Procedures per Request, S. 131–133, veröffentlicht. 274 Vgl. die Auflistung der bis zum 1. Juni 2003 eingereichten Gesuche bei Ayensu, Annex VI. – C. Alleged Violations of World Bank Policies and Procedures per Request, S. 131–133. 275 Siehe ebd. 272

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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wicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen. aa) Der Umfang der Prüfungskompetenz des Inspection Panels: Lesotho und Tschad Die Kontrollbefugnis des Inspection Panels ist in den Gründungsresolutionen eindeutig festgelegt. Das Inspektionsgremium darf danach nur Beschwerden untersuchen, mit denen geltend gemacht wird, dass die Weltbank ihre eigenen policies und procedures nicht beachtet hat.276 Rechtlicher Maßstab einer Paneluntersuchung ist folglich ausschließlich internes Bankrecht. Das Inspection Panel ist nicht befugt, explizit festzustellen, dass die Weltbank Rechtssätze des völkerrechtlichen Menschenrechts verletzt hat.277 Die Inspektoren haben sich daran in ihrer bisherigen Praxis gehalten. Beispielhaft hierfür seien der Bericht und die Empfehlungen des Inspection Panels bezüglich des Lesotho Highlands Water-Projekts angeführt.278 Die Beschwerdeführer haben in diesem Fall mit ihrer Beschwerde geltend gemacht, dass die Weltbank UN-Resolutionen verletzt habe, die 1991 Wirtschafts- und Handelssanktionen gegen Südafrika verhängt hatten.279 Das Inspektionsgremium erklärte sich als nicht zuständig für die Beschwerde, da diese eindeutig außerhalb ihres Mandats liege.280 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der Untersuchungsbericht des Inspection Panels vom 17. September 2002 zu dem Tschad/Kamerun-Öl- und Pipeline-Projekt,281 das insbesondere wegen seiner Implikationen für indigene Völker weltweit für Aufsehen sorgte.282 Das Tschad/Kamerun-Projekt ist das größte Erdölgewinnungs- und Infrastruktur276

Vgl. Resolution, Para. 12. Vgl. De Feyter, Self-regulation, S. 111. 278 The Inspection Panel, Report and Recommendation on Request for Inspection, Re: Request for Inspection from Swissbourgh Diamond Mines (Pty) Ltd. & OthersLesotho: Lesotho Highlands Water Project (Loan No: 4339-LSO), July 19, 1999. Der Bericht ist auf der Website des Inspection Panels abrufbar unter . 279 Ebd., Rdn. 7. 280 Ebd. 281 The Inspection Panel, Investigation Report: Chad-Cameroon Petroleum and Pipeline Project (Loan No. 4558-CD); Petroleum Sector Management Capacity Building Project (Credit No. 3373-CD); and Management of the Petroleum Economy (Credit No. 3316-CD), September 17, 2002. Der Bericht ist auf der Website des Inspection Panels abrufbar unter . 282 Ausführlich hierzu siehe z. B. Horta, Internationale Finanzinstitutionen, S. 170–174. Siehe auch Theodore E. Downing, Comments on Chad-Cameroon Pipeline Project’s Impact on Bakola Pygmy Indigenous People’s Plan, May 1999, 277

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programm auf dem afrikanischen Kontinent. Es umfasst unter anderem die Errichtung von Öl-Förderungsanlagen im Dobabecken im südlichen Tschad sowie den Bau einer mehr als 1000 Kilometer langen Pipeline durch Kamerun bis an die Atlantikküste.283 Die Gesamtkosten des Tschad/KamerunProjekts belaufen sich auf fast vier Milliarden US-$. Die Weltbank bewilligte es im Juni 2000. Am 22. März 2001 reichte ein Mitglied der parlamentarischen Nationalversammlung im Tschad für sich und stellvertretend für mehr als 100 Bürger, die im Einzugsgebiet des Pipeline-Projekts leben, beim Inspection Panel ein Untersuchungsgesuch ein.284 Es machte unter anderem geltend, dass das Pipeline-Projekt örtliche Gemeinden bedrohe und deren kulturelles Eigentum sowie die Umwelt gefährde. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass mit der lokalen Bevölkerung keine angemessenen Beratungsgespräche geführt und sie nicht hinreichend über das Projekt informiert worden seien. Mit ihrem Untersuchungsgesuch rügte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung der „[d]irectives on proper governance“ und der „[d]irectives on respect for human rights.“285 Das Inspection Panel ist in überraschender Länge auf diese Beschwerdepunkte eingegangen.286 Es hat zunächst klargestellt, dass es nicht in seinen Zuständigkeitsbereich falle, die allgemeine Menschenrechtssituation im Tschad isoliert zu untersuchen. Dies sei Aufgabe anderer Institutionen, wie z. B. der Menschenrechtsorgane der Vereinten Nationen.287 Das Inspection Panel hat aber sodann erklärt: „However, the Panel felt obliged to examine whether the issues of proper governance or human rights violations in Chad were such as to impede the implementation of the Project in a manner compatible with the Bank’s policies.“288

Das Inspektionsgremium hat damit die wichtige Aussage getroffen, dass die Frage, ob die Weltbank ihre eigenen Schutzvorschriften bei der Planung, Bewertung und/oder Umsetzung eines bankfinanzierten Projektes beachtet 16. September 1999, abrufbar unter . 283 Vgl. The Inspection Panel, Investigation Report: Chad-Cameroon, Executive Summary, S. ix, Rdn. 1. 284 Vgl. ebd., S. 4, Rdn. 4. 285 Vgl. ebd., Abschn. 20. Governance and Human Rights, S. 60, Rdn. 210 m. w. N. 286 Siehe ebd., S. 60–63. 287 Ebd. S. 62, Rdn. 215: „It is not within the Panel’s mandate to assess the status of governance and human rights in Chad in general or in isolation, and the Panel acknowledges that there are several institutions (including UN bodies) specifically in charge of this subject.“ 288 Ebd.

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hat, in bestimmten Fällen nur unter Berücksichtigung der allgemeinen Menschenrechtssituation in dem Kreditnehmerland beantwortet werden kann. Diese menschenrechtsfreundliche Methode der Auslegung seines Mandats stellt zweifelsohne einen Fortschritt in der Praxis des Inspection Panels dar. Ihre Befugnisse haben die Inspekteure damit aber nicht überschritten. Sie haben vielmehr gemäß ihrem Mandat überprüft, ob die Weltbank, wie von den Beschwerdeführern geltend gemacht, ihre eigenen Vorschriften, unter anderem über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Indigene Völker und unfreiwillige Umsiedlungen, verletzt hat.289 Was das Vorgehen des Inspektionsgremiums in diesem Fall von vorangehenden Untersuchungen unterscheidet, ist lediglich das Ausmaß, mit dem die Inspektoren Menschenrechtsverletzungen untersuchten, die ihrer Ansicht nach in Zusammenhang mit der Einhaltung bankeigener policies und procedures stehen. Damit haben sie eine Frage beantwortet, die im Schrifttum in den vergangenen Jahren wiederholt gestellt wurde: „[T]o what extent the Inspection Panel considers human rights violations allegedly related to a Bank failure to comply with its operational policies.“290 bb) Die Auslegung der Bankvorschriften im Lichte des völkerrechtlichen Menschenrechts Eine weitere Frage, die für die Beurteilung der Eignung des Inspection Panels als „Transformator von Menschenrechten“291 bedeutsam ist, lautet, ob das Panel befugt ist, das bei seinen Untersuchungen anwendbare Recht (Operational Policies und Procedures der Weltbank sowie Kreditabkommen) im Lichte des völkerrechtlichen Menschenrechts auszulegen.292 Kingsbury hat dies im Ergebnis bejaht und diesbezüglich vorgebracht, „that such standards might properly be invoked as part of the corpus of norms and practice that may guide the Panel in making useful recommendations.“293 Boisson de Chazournes hat ähnlich argumentiert und plädiert, dass internationale Rechtsinstrumente auch dann als Hilfsmittel bei der Auslegung der Bankvorschriften herangezogen werden können, wenn diese darauf nicht ausdrücklich Bezug nehmen.294 Dies gelte jedenfalls für völ289

Vgl. zu dem Untersuchungsgesuch ebd., S. 5, Rdn. 6–8. De Feyter, Self-regulation, S. 111. 291 Vgl. Schlemmer-Schulte, World Bank and Human Rights, S. 255. 292 Vgl. De Feyter, Self-regulation, S. 111. Ausführlich zu den Methoden, die das Inspection Panel allgemein zur Auslegung der Bankvorschriften angewandt hat, siehe Roos, Inspection Panel, S. 503–514. 293 Kingsbury, Operational Policies, S. 331. 294 Boisson de Charzournes, Compliance, S. 78 f. 290

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kerrechtliche Instrumente, die von dem Kreditnehmer ratifiziert worden seien, sowie für international anerkannte „good practices“, sofern diese in den Anwendungsbereich der in Frage stehenden Policy fallen.295 Morse und Berger haben ihr Mandat zur Untersuchung des Sardar Sarovar-Projekts in diesem Sinne ausgeübt. Die terms of reference ihres Überprüfungsauftrags vom 14. März 1991 sahen unter anderem vor: „to conduct an assessment of the implementation of the ongoing Sardar Sarovar projects as regards (a) the resettlement and rehabilitation of the population displaced/affected [. . .], with reference to ‚existing Bank operational directives and guidelines‘.“296

Bei der danach gebotenen Überprüfung, ob die Weltbank ihre eigenen Vorschriften unter anderem über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker bei der Planung, Bewertung und Umsetzung des von ihr finanzierten Teils des Sardar Sarovar-Projekts beachtet hat, haben die Inspektoren die Schutzvorschriften im Lichte völker(menschen)rechtlicher Standards gewürdigt und angewendet.297 Sie haben dabei mit Sinn und Zweck der policies und procedures argumentiert: „The Bank’s principles with respect to tribal peoples arose from a concern for human rights. Failure to design or implement policies that put these principles into effect places these rights at risk.“298

Ein entsprechendes Vorgehen wäre danach durchaus auch hinsichtlich der Bankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen möglich. Auch sie rührt, wie gezeigt, von der Sorge der Weltbank über die nachteiligen Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen für die betroffenen Personen her. Der Begriff der Menschenrechte taucht darin zwar nicht ausdrücklich auf.299 Die Weltbank hat aber mit ihrer Umsiedlungs-Policy, wie gezeigt, wesentliche Standards des internationalen Menschenrechtsschutzes umgesetzt. Ein Rückgriff auf entsprechende Instrumente des Völkermenschenrechts sowie die oben erwähnten Richtlinien und Erklärungen über den menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen300 als Mittel zur 295 Ebd., S. 79: „The fact of taking into consideration the international instruments to which a borrowing country has committed itself or which are considered as reflecting agreed international good practices, shows the close relationship of the operational policies and procedures with international law principles and standards in areas which fall within the scope of application of the policies.“ 296 Vgl. Shihata, World Bank Inspection Panel, 1994, S. 11 (Hervorh. d. Verf.). 297 Vgl. Kingsbury, Operational Policies, S. 330. 298 Morse/Berger, S. 78. 299 Ausführlich hierzu siehe unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. VI. 300 Zu denken ist z. B. an die Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-based Displacement, die Guiding Principles on Internal Displacement und

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Auslegung der Umsiedlungsvorschriften ist daher vom Mandat des Inspection Panels noch gedeckt.301 cc) Die Auslegung der Umsiedlungsvorschriften durch das Inspection Panel Das Inspection Panel hat durch seine Arbeit nicht nur maßgeblich zur Klärung von Inhalt und Reichweite der Safeguard Policies, insbesondere auch der Bankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen, beigetragen. Es hat auch wesentliche Hinweise dafür gegeben, was völkermenschenrechtliche Standards, welche die Bank mit ihren policies und procedures umgesetzt hat, im Einzelnen verlangen. Dies soll im Folgenden an zwei Beispielen bezüglich der Interpretation der hier relevanten Schutzvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker illustriert werden. (1) Der Inhalt von Konsultierungs- und Partizipationsrechten: India Ecodevelopment Project – Rajiv Ghandi (Nagarahole) National Park Eine unterbliebene bzw. unangemessene Konsultierung im Projektverfahren ist eine der häufigsten Verletzungen der Involuntary Resettlement Policy, die mit Panel-Gesuchen geltend gemacht wird. Die aktuelle Umsiedlungsvorschrift der Weltbank schreibt, wie oben erwähnt, lediglich vor, dass mit den „displaced persons“ bedeutungsvolle beratende Gespräche zu führen bzw. landbasierte Umsiedlungsstrategien in Konsultationen mit projektbetroffenen indigenen Völkern auszuarbeiten sind.302 Welche Voraussetzungen ein Konsultierungsgespräch erfüllen muss, um „bedeutungsvoll“ (meaningful) zu sein, lässt die Umsiedlungs-Policy indes offen. Das Inspection Panel hat in seinem Bericht und den Empfehlungen hinsichtlich der Beschwerden, die das India Ecodevelopment Project – Rajic Ghandi (Nagarahole) National Park betrafen, klärend gewirkt. Das India Ecodevelopment-Projekt soll zum einen dazu beitragen, die Verwaltung geschützter Gebiete zu unterstützen, die über eine signifikante umfassende Biodiversität verfügen. Zum anderen soll es die Bevölkerung schützen, die in diesem Gebiet bzw. seinen Randgebieten lebt.303 Ein hiervon betroffenes Stammesvolk hatte beim Inspection Panel ein Untersudie Declaration of International Law Principles on Internally Displaced Persons der ILA, inklusive ihrer jeweiligen Kommentierungen. 301 Vgl. hierzu De Feyter, Self-regulation, S. 111 m. w. N. 302 OP 4.12, Para. 2. (b) S. 2 bzw. Para. 9 S. 3; siehe hierzu oben, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. 303 Vgl. The Inspection Panel, Report and Recommendation on Request for Inspection: India Ecodevelopment Project – Rajiv Ghandi (Nagarahole) National Park,

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chungsgesuch eingereicht, mit dem es geltend machte, dass für die indigenen Völker kein spezieller Entwicklungsplan mit ihrer informierten Beteiligung vorbereitet wurde.304 Die Beschwerdeführer äußerten sich besorgt darüber: „that an anticipated forceful eviction of the tribal population from the project area will result in them being uprooted from their forest habitats, which are their socio-cultural life base.“305

Sie trugen vor, dass ihnen durch die Missachtung unter anderem der Bankvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker bereits Nachteile entstanden bzw. solche künftig zu befürchten seien.306 Die unterlassene Konsultierung habe sie in ihren Rechten, unter anderem auf Selbstbestimmung und Fortbestand als Volk, verletzt: „Jenu Kuruba, Betta Kuruba and other adivasi peoples (scheduled tribes) are the indigenous people of the territory that presently constitutes the Rajiv Gandhi National Park and we have never been consulted prior and/or during the design of the Eco-development project. We think that is a violation of our basic right to determine our future and to oppose a project that we think will have a negative impact on our lives, livelihood and on the survival of our people.“307

Das Bankmanagement wies die Behauptung zurück, dass die betroffenen Stammesvölker nicht bedeutungsvoll und gut informiert an dem Projektentwurf beteiligt worden seien. Der „meaningful and informed participation“ sei vielmehr dadurch entsprochen worden, dass fünf NGOs an Workshops und Studien zu dem streitgegenständlichen Projekt beteiligt worden seien.308 Das Inspection Panel gab hingegen den Beschwerdeführern Recht. Von einer „angemessenen und informierten Konsultierung“ (adequate and informed consultation) könne nur dann die Rede sein, wenn die projektbetroffenen Personen und Völker selbst an der Projektplanung beteiligt werden. In Bezug auf das Konsultierungserfordernis der Bankvorschrift über indigene Völker führte das Panel aus: „The consultation required by OD 4.20 is clearly meant to involve the ‚. . . informed participation of the potentially affected peoples themselves‘. It is not meant to be restricted mainly to institute-type NGOs, as valuable as their views may be, as a result of their surveys of potentially affected peoples. In fact, conApril 2, 1998, Executive Summary, Rdn. I, abrufbar unter . 304 Vgl. ebd. 305 Ebd. 306 Ebd. Hinsichtlich der vorgeblich verletzten Policies siehe ebd., Rdn. 20. 307 Ebd., Rdn. 37. 308 Ebd., Rdn. 40.

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sultation with NGOs is the subject of another OD entirely, namely OD 14.70 ‚Involving Nongovernmental Organizations in Bank-Supported Activities‘.“309

In seinem Bericht und den Empfehlungen an das Exekutivdirektorium hat das Inspection Panel auch zur Klärung der Frage beigetragen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von einer „informierten“ Konsultierung die Rede sein kann. Das Panel stellte diesbezüglich klar, dass wesentliches Erfordernis hierfür eine vorherige Unterrichtung in der eigenen Stammessprache sei: „Information disclosure in a language understandable to the affected people is an obvious prerequisite to ‚meaningful and informed‘ consultation.“310

Das Inspektionsgremium schlug dem Exekutivdirektorium vor, eine förmliche Untersuchung des India Ecodevelopment-Projekts einzuleiten. Die EDs folgten der Empfehlung zwar nicht.311 Dies mindert aber die Bedeutung der Ausführungen des Inspection Panels in seinem vorläufigen Bericht für die Bestimmung des Inhalts von Konsultierungs- und Partizipationsrechten indigener Völker nach den Bankvorschriften nicht. Sie geht nämlich über das bankinterne Recht hinaus: Die diesbezüglichen Ergebnisse des Panels können auch bei der Auslegung der entsprechenden völkermenschenrechtlichen Gewährleistungen herangezogen werden. (2) Die Voraussetzungen für eine „freiwillige“ Umsiedlung – China: Western Poverty Reduction Project (Quinghai Component) Auch im bereits mehrfach erwähnten Quinghai-Fall hat das Inspection Panel, wenn auch nicht in der gleichen Deutlichkeit wie in seinem Bericht zum India Ecodevelopment-Projekt, zur inhaltlichen Klärung der Bankvorschriften, insbesondere der Schutzvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen (OD 4.30), beigetragen. Einer der Hauptstreitpunkte war dabei die Frage, wann eine Umsiedlung als „freiwillig“ (voluntary) im Sinne der Operational Directive anzusehen ist.312 Während die aktuelle Umsiedlungsvorschrift (OP 4.12) unter „involuntary resettlement“ eine Handlung versteht, die ohne die unterrichtete Zustimmung oder Wahlmöglichkeit der 309

Ebd., Rdn. 41. Ebd., Rdn. 42. 311 Das Exekutivdirektorium hat das Bankmanagement stattdessen angewiesen, mit offiziellen indischen Regierungsvertretern zusammenzuarbeiten, um angemessen auf die vorläufigen Ergebnisse und Empfehlungen des Inspection Panels zu reagieren. Das Bankmanagement sollte dem Exekutivdirektorium sechs Monate später einen Bericht über ihre Arbeit erstatten; vgl. The Inspection Panel, Annual Report, August 1, 2000 to July 31, 2001, Summary of Requests for Inspection as of July 2001, S. 23. 312 Zur Schwierigkeit, eine „freiwillige“ von einer „unfreiwilligen“ Umsiedlung abzugrenzen, siehe oben, Einleitung, B. III. 310

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„displaced persons“ erfolgt,313 fehlte eine solche Begriffsbestimmung in OD 4.30 noch. Das Inspection Panel hat deshalb zwar im Ergebnis dem Bankmanagement darin zugestimmt, dass OD 4.30 auf die 60.000 Migranten des so genannten Move-out-Gebiets nicht anwendbar war: „OD 4.30 does not give clear guidance on the quality of full and informed choice that is needed to consider a resettlement as ‚voluntary‘.314 [. . .] Thus, the Panel accepts Management’s view that OD 4.30 does not apply to the migrants from the Move-out area.“315

Die diesbezüglichen Ausführungen des Inspektionsgremiums sind aber für die Beantwortung der Frage, unter welchen Umständen von einer freiwilligen Umsiedlung gesprochen werden kann, dennoch aufschlussreich. Das Panel hat hierzu nämlich zum einen festgestellt, dass eine Umsiedlung nur dann „freiwillig“ (voluntary) ist, wenn sie in Ausübung einer „wirklichen und unterrichteten Wahl“ ( full and informed choice) erfolgt.316 Nach Ansicht des Panels setzt das insbesondere voraus, dass die Betroffenen über die Umstände am Neuansiedlungsort umfassend informiert wurden.317 Daneben ist zum anderen entscheidend, ob die Möglichkeit der Rückkehr an den ursprünglichen Siedlungsort besteht: „Most of the farmers interviewed by the Team understood that they could move back within the first two years. This is important when considering whether the resettlement is ‚voluntary‘. [. . .] The Panel is satisfied that it is possible for a resettler to rescind his decision to resettle within the first two years, with the families of the resettlers continuing to farm their land during a transition period. This supports Management’s contention that the choice to resettle from the Move-out area is a voluntary one.“318

Für die Einordnung einer Umsiedlung als freiwillig ist schließlich die Fußnote in dem Untersuchungsbericht des Inspection Panels zu dieser Schlussfolgerung relevant. Das Panel schränkt darin seine Aussage, dass die Umsiedlung aus dem Move-out-Gebiet als freiwillig anzusehen ist, dahingehend ein, dass dies nicht zu bejahen sei, wenn nicht alle beteiligten Familien der Umsiedlung aus freien Stücken zugestimmt haben: „A senior Chinese official informed the Panel that a high priority had been given to moving the entire village so that the nature reserve could be expanded. At the 313 Siehe OP 4.12, Fn. 7: „For purposes of this policy, ‚involuntary‘ means actions that may be taken without the displaced person’s informed consent or power of choice.“ 314 The Inspection Panel, The Quinghai Project, S. 2, Rdn. 355. 315 Ebd., Rdn. 356 a. E. 316 Ebd., Rdn. 355. 317 Ebd., Rdn. 354. Im Quinghai-Fall umfasste das Informationen über: „desert climate, poor soils, danger of salinization, and the long start-up time needed before farms would be functioning in the new irrigation areas“; vgl. ebd. 318 Ebd., Rdn. 356.

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same time, some villagers informed the Panel that certain families would have chosen to stay in Daheigou rather than move to Haixi, because they did not have adequate labor in the family to begin a new farm in Haixi. Nevertheless, they decided to move since they could not maintain a viable village on their own. If this information is correct, the provisions of OD 4.30 should be applied to the involuntary resettlement from this village.“319

Das Inspection Panel hat damit anerkannt, dass die „Rechte“, die vor den nachteiligen Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen schützen, betroffenen Personen auch dann zugute kommen, wenn zwar die Mehrheit der Betroffenen der Umsiedlung zustimmt, einzelne aber den Verbleib am Ursprungsort bevorzugt hätten, was aber wegen der Umsiedlung der gesamten Gruppe und der damit einhergehenden Zerstörung des wirtschaftlichen und sozialen Umfelds nicht als wirkliche Alternative erscheint. Das Panel bestätigt damit zwar nicht die Existenz eines verschiedentlich eingeforderten Vetorechts einzelner in Fällen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen. Damit würde es insofern sein Mandat überschreiten, als die Bankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen keine Vorschrift zum Schutz gegen erzwungene Dislokationen, sondern vor deren nachteiligen Auswirkungen ist. Diese Ausführungen, wann eine Umsiedlung freiwillig ist, könnten aber bei der Diskussion über die Frage, wie der völkermenschenrechtliche Grundsatz des „prior and informed consent“ auszulegen ist, förderlich werden. Das Inspection Panel hat nämlich klargestellt, dass im Falle einer Umsiedlung die Stimme einer jeden einzelnen Person, die davon betroffen ist, zählt. Auch ihre Interessen und Bedürfnisse sind in der Vorbereitungsphase angemessen zu berücksichtigen und in einen gerechten Ausgleich mit den damit konkurrierende Interessen zu bringen. Sie gehen jedenfalls nicht schon deshalb ihrer „Rechte“ verlustig, weil die Mehrheit der umzusiedelnden Gruppe, der sie angehören, der Dislokation zugestimmt hat. Das Panel hat dies mit seiner Aussage geklärt, dass auch in einem Fall, in dem nur einzelne gegen die Umsiedlung sind, die Schutzvorschrift der Weltbank über Involuntary Resettlement zur Anwendung kommt und dementsprechend ein Umsiedlungsplan aufzustellen ist. e) Abschließende Bemerkungen zum Inspection Panel Die vorangehenden Ergebnisse der Analyse des Inspection Panels bestätigen die im Schrifttum vertretene Ansicht,320 dass das Panel durch die Über319

Ebd., Fn. 238 zu Rdn. 356. In diese Richtung argumentiert z. B. Schlemmer-Schulte, World Bank and Human Rights, S. 255. 320

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wachung der Einhaltung und Durchsetzung bankeigener Safeguard Policies die Rolle der Weltbank als Menschenrechtstransformatorin verstärkt und ergänzt.321 Dies trifft insbesondere auch auf die Vorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen zu, sofern diese Standards des Völkermenschenrechts umsetzen, die vor den nachteiligen Folgen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen schützen. Das Inspektionsgremium der Weltbank hat maßgeblich dazu beigetragen, den materiellen Gehalt dieser Standards zu bestimmen. Es hat die Safeguard Policies dadurch in ihrer sozialschützenden Wirkung deutlich aufgewertet. Es steht außer Frage, dass das Inspection Panel in seiner Bedeutung als Instrument zur Durchsetzung von Menschenrechten, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, dadurch erhöht würde, dass es Beschwerden, mit denen Beeinträchtigungen von Rechten und Interessen geltend gemacht werden, unmittelbar am Maßstab des Völkermenschenrechts prüfen und eine Verletzung desselben feststellen könnte. Dies trifft jedenfalls auf die oben erwähnten Fälle zu, in denen die Schutzvorschriften der Weltbank einen weiten Handlungsrahmen für den Kreditnehmer eröffnen und im Ergebnis Projekte zulassen, die nicht dem völkermenschenrechtlich anerkannten Standard entsprechen.322 Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das Inspection Panel nicht als internationaler Menschenrechtsgerichtshof, sondern als interne Kontrollinstanz zur binnenorganisatorischen Durchsetzung der bankeigenen policies und procedures konzipiert wurde. Dies entspricht nach wie vor dem Willen des Exekutivdirektoriums der Weltbank, wie die Clarifications von 1999 zur Frage des Nachweises einer nachteiligen Folge für die Beschwerdeführer zeigen. Das Inspection Panel hat danach der behaupteten Verletzung von Bankvorschriften ein wesentlich höheres Gewicht beizumessen als der geltend gemachten Rechtsverletzung.323 Dieses Vorgehen entspricht dem weiteren Verfahren nach Einreichung eines Gesuchs: Die Beschwerdeführer können lediglich den Anstoß für die Einleitung einer Untersuchung geben. Nach der Einreichung des Gesuches spielen sie in dem Untersuchungsverfahren offiziell keine weitere Rolle. Das Inspection Panel ist im Bereich internationaler Beschwerdeverfahren trotzdem neu: 321 Das ehemalige Panel-Mitglied Jim MacNeill hat die Rolle des Inspection Panels in einem Gespräch mit der Verfasserin am 25. April 2002 in Washington, D. C. ähnlich beschrieben. Seiner Ansicht nach implizieren die Safeguard Policies verschiedene menschenrechtliche Annahmen (assumptions). Aufgabe des Panels sei es, diese zu ermitteln und operabel zu machen. MacNeill hat diese Aufgabe gemeistert, wie u. a. der Untersuchungsbericht im Chad-Cameroon Petroleum and Pipeline Project zeigt, an dem er maßgeblich beteiligt war. 322 Siehe hierzu oben, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. III. 323 Siehe oben, Anm. 224.

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„By allowing external challenges to an international organisation, the Inspection Panel expands on the mandate of other international complaints procedures which focus on the performance of States.“324

Drei regionale Entwicklungsbanken – IADB, ADB sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) – sind dem Beispiel der Weltbank gefolgt und haben ebenfalls „unabhängige“ Untersuchungsmechanismen geschaffen.325 Da sich das Mandat des Weltbank Inspection Panels nur auf Projekte erstreckt, die von IBRD und IDA gefördert werden,326 bestand – insbesondere auch angesichts der Vervielfachung privater Kapitalflüsse in Entwicklungsländer – die Notwendigkeit, auch für die Internationale Finanz-Korporation und die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA) einen entsprechenden Kontrollmechanismus zu schaffen.327 Bei IFC und MIGA nimmt der 1999 errichtete Compliance Advisor/Ombudsman (CAO) eine besondere Funktion bezüglich Beschwerden projektbetroffener Personen wahr.328 Er hat im Wesentlichen drei Aufgaben: „First, as ombudsman, the CAO uses mediation and other conflict resolution approaches to assist the IFC and MIGA in resolving complaints raised by people 324

Göran Melander, Preface, in: Alfredsson/Ring, S. viii. Der Untersuchungsmechanismus der IADB, der sog. Independent Investigation Mechanism, unterscheidet sich vom Weltbank Inspection Panel dadurch, dass er nicht aus einem ständigen Inspektionsgremium mit einem eigenen Sekretariat besteht. Die IADB verfügt vielmehr über eine Namensliste, aus der sie im Bedarfsfalle die Panelmitglieder auswählt, die eine Untersuchung durchführen sollen. Zum Independent Investigation Mechanism siehe die Website der IADB unter . Siehe auch Gay Davis Miller, The Independent Investigation Mechanism of the Inter-American Development Bank, in: Alfredsson/Ring, S. 209–218. – Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) besaß von 1995 bis 2003 einen vergleichbaren Untersuchungsmechanismus wie die ADB. Siehe hierzu Eugenia McGill, The Inspection Policy of the Asian Development Bank, in: Alfredsson/Ring, S. 191–207. Im Mai 2003 hat die ADB ein Compliance Review Panel (CRP) errichtet, das den alten Untersuchungsmechanismus ablöst. Das CRP besteht aus drei – ständigen – Mitgliedern, die von einem Sekretariat (Office of the Compliance Review Panel) unterstützt wird. Ausführlich zu Zusammensetzung, Funktionsweise und bisheriger Tätigkeit des CRP siehe die Website der ADB unter . – Zum Independent Recourse Mechanism der EBRD siehe deren Website unter . 326 Vgl. hierzu Shihata, Historical, Legal and Operational Aspects, S. 17 m. w. N. 327 Die Notwendigkeit eines eigenen Überwachungsmechanismus für die IFC wurde insbesondere durch die obenerwähnte Einreichung eines Gesuchs beim Inspection Panel deutlich, welches das von der IFC geförderte Pangue-Projekt, betraf; siehe oben, Anm. 260. 328 Zur Entstehungsgeschichte des CAO und den Gründen, die zur Schaffung eines vom Inspection Panel unterschiedlichen Überwachungsmechanismus führten, siehe die Website der IFC, . 325

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

who feel they have been or will be affected by IFC- and MIGA-supported projects. Second, as compliance auditor, the CAO carries out compliance and effectiveness audits of selected projects. Finally, as adviser, the CAO provides independent advice to Senior Management with respect to specific projects or, more generally, with respect to the overall application and effectiveness of IFC and MIGA policies.“329

Der Aufgabenbereich des CAO ist also wesentlich weiter als der des Inspection Panels gesteckt. Der Compliance Advisor/Ombudsman hat nicht nur eine Kontroll-, sondern – was besonders bedeutsam ist – auch eine Streitschlichtungsfunktion. Schließlich nimmt er gegenüber dem Management von IFC und MIGA beratende Aufgaben unter anderem im Bereich des Policy-Making wahr.330 VI. Schlussfolgerungen aus der Analyse der Safeguard Policies „It is apparent that multilateral institutions like the Bank, the IMF and WTO need to be continuously reminded of the human rights obligations established by international law. [. . .] But more importantly, MLIs must also respect and apply those standards to their own internal processes of policy formulation, or else those obligations cease to be of any import.“331

Die Analyse der Safeguard Policies, ihrer Rechtswirkungen und der diesbezüglichen Kontrollmechanismen hat gezeigt, dass die Weltbank mit ihren Schutzvorschriften einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, den Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen zu verbessern. Die Bankvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker setzen grundlegende menschenrechtliche Garantien um und dienen dadurch der Verwirklichung einzelner Rechte und Interessen der von einer Umsiedlung betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen.332 Dies trifft jedenfalls auf Entschädigungs- sowie Konsultierungs- und Partizipationsrechte zu. Die Safeguard Policies über unfreiwillige Umsiedlungen sind für einen projektbezogenen Menschenrechts329

Ayensu, Chapter 1, S. 16. Zum Compliance Advisor/Ombudsman (CAO) siehe sowie . 331 Human rights as the primary objective, Para. 36. 332 In diese Richtung argumentiert auch Schlemmer-Schulte, World Bank and Human Rights, S. 255. 330

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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schutz insbesondere auch deshalb wesentlich, weil sie Standards enthalten, die international gewährleistete Menschenrechte operabel machen.333 Die Eignung der Schutzvorschriften für die Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind, wird allerdings zum einen dadurch abgeschwächt, dass die Policies in den oben beschriebenen Fällen eine Hintertür für Umsiedlungslösungen öffnen, die unter dem international anerkannten Menschenrechtsstandard liegen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Bankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen keine explizite Bestimmung enthält, wonach bei, während und nach der Umsiedlung von Seiten des Kreditnehmers sicherzustellen ist, dass völker- wie nationalrechtlich gewährleistete Menschenrechte, die vor Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, garantiert werden. Schließlich kann auch das Inspection Panel nicht explizit eine Verletzung von Normen des Völkermenschenrechts durch die Weltbank oder den Darlehensnehmer feststellen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob und wie sich die Safeguard Policies als Instrumente zur Sicherung und Durchsetzung von Menschenrechten, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, verbessern lassen. 1. Die Menschenrechtsklausel von Operational Direcctive (OD) 4.20 Indigenous Peoples als Modellvorschrift? Im Schrifttum wird argumentiert, dass sich die Schutzvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen als Instrument zur Verwirklichung international gewährleisteter Menschenrechte unter anderem durch die Aufnahme einer expliziten Menschenrechtsklausel optimieren ließen. Die Operational Policy und Bank Procedure 4.12 Involuntary Resettlement enthalten bisher keinen ausdrücklichen Verweis auf Menschenrechte. Der Begriff „Menschenrechte“ taucht darin nicht auf. Im Unterschied hierzu nimmt die Bankvorschrift über indigene Völker ausdrücklich auf Menschenrechte Bezug. In Para. 6 OD 4.20 Indigenous Peoples formuliert die Weltbank es als ihr Ziel, sicherzustellen dass der Entwicklungsprozess die volle Achtung der Würde, Menschenrechte und kulturellen Einzigartigkeit nicht nur indigener Völker, sondern aller in ihren Mitgliedsstaaten lebenden Menschen fördert: „The Bank’s broad objective towards indigenous people, as for all the people in its member countries is, to ensure that the development process fosters full respect for their dignity, human rights and cultural uniqueness.“334 333 Zur Operationalisierung von Menschenrechten durch Entwicklungsaktivitäten der Weltbank allgemein siehe Alfredo Sfeir-Younis, Human Rights and Economic Development: Can They Be Reconciled? A View from the World Bank, in: Van Genugten u. a., S. 1 (13–14). 334 OD 4.20, Para. 6.

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

Fraglich ist, wie diese Zielbestimmung zu verstehen ist. De Feyter legt Para. 6 als Selbstverpflichtung der Weltbank aus, sicherzustellen dass im Entwicklungsprozess die Menschenrechte besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen beachtet werden. Er misst der Klausel im Hinblick auf ihre praktischen Auswirkungen auf die Gewährleistung des Menschenrechtsschutzes daher große Bedeutung bei.335 Dem ist zwar insofern beizupflichten, als es zweifelsfrei als großer Fortschritt in der Geschichte des internen Rechts der Weltbank im Allgemeinen und der Safeguard Policies im Besonderen zu werten ist, dass die Bank in einer Schutzvorschrift die Sicherstellung der Beachtung von Menschenrechten im Entwicklungsprozess ausdrücklich zu ihrem Ziel erklärt. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Para. 6, der im Abschnitt Objective and Policy steht, eine bloße Zielbestimmung ist, die offen lässt, welche konkreten Pflichten sich hieraus für die Bankmitarbeiter im Rahmen der Planung und Überwachung bankfinanzierter Projekte hinsichtlich der Einhaltung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen der Kreditnehmer ergeben. Eine menschenrechtliche Unterlassungspflicht der Bank, Projekte dann nicht zu finanzieren, wenn diese gegen internationale Menschenrechte verstoßen, wird man in Para. 6 kaum hineinlesen können. Dies würde Sinn und Zweck einer allgemeinen Zielbestimmung widersprechen, aus der sich grundsätzlich gerade keine konkreten Anweisungen bzw. Pflichten ableiten lassen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem oben erwähnten Entwurf für eine Operational Policy über indigene Völker.336 Draft OP 4.10 Indigenous Peoples sieht in Para. 1 vor: „This policy contributes to the Bank’s mission of poverty reduction and sustainable development by ensuring that the development process fully respects the dignity, human rights, economies and cultures of Indigenous Peoples.“337

Auch nach dieser Formulierung ist die Sicherstellung der Beachtung von Menschenrechten im Entwicklungsgeschehen nur als allgemeines Ziel der künftigen Bankvorschrift über indigene Völker anzusehen. Paragraph 1 von Draft OP 4.10 scheint somit ebenso wenig wie die Bestimmung des Paragraphen 6 OD 4.20 die Lösung für das Problem der Menschenrechtssicherung in bankfinanzierten Entwicklungsprojekten zu sein. Dies gilt umso mehr, als sich der diesbezügliche Verweis in Draft OP 4.10 nunmehr nur noch auf die Menschenrechte indigener Bevölkerungsgruppen bezieht. 335 De Feyter, Self-regulation, S. 98: „The Operational Directive commits the World Bank to ensuring that the human rights of groups vulnerable to being disadvantaged are respected in the development process. The importance and practical consequence of this commitment should not be underestimated.“ 336 Draft OP 4.10, December 1, 2004, Indigenous Peoples. 337 Ebd., Para. 1 (Hervorh. d. Verf.).

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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2. Die Menschenrechtsklausel von Operational Policy (OP) 4.01 Environmental Assessment als Modellvorschrift? Eine Möglichkeit, den projektbezogenen Menschenrechtsschutz umfassender und verbindlicher zu gewährleisten, wäre, eine spezielle Menschenrechtsvorschrift (Human Rights Policy) zu verabschieden, die unter anderem ausdrücklich bestimmt, dass die Weltbank keine Projekte finanziert, denen völkerrechtlich begründete Pflichten menschenrechtlicher Art des Kreditnehmers entgegenstehen.338 Eine entsprechende Klausel wäre sinnvoller Weise auch in die geltenden Safeguard Policies aufzunehmen. Hierfür hat sich unter anderem auch Clark im Rahmen der Beratungen über die Änderung der vormaligen Bankvorschrift über unfreiwillige Umsiedlungen ausgesprochen. Sie hatte das Exekutivdirektorium in dem oben erwähnten Brief an die amerikanische Exekutivdirektorin aufgefordert, in die neue Umsiedlungsvorschrift einen Paragraphen aufzunehmen, wonach die Bank zu einer Sozialverträglichkeitsprüfung (SVP) verpflichtet ist. In dieser sollten die durch nationales und internationales Recht begründeten Menschenrechtsverpflichtungen des Kreditnehmers evaluiert werden. Die Safeguard Policies über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker sollten darüber hinaus vorschreiben, dass die Bank kein Projekt finanziert, das gegen die in der Sozialverträglichkeitsprüfung ermittelten Verpflichtungen des Kreditnehmers verstoßen.339 Mit einer Bankvorschrift, die vorsieht, dass die Weltbank die Kreditvergabe an die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen des Kreditnehmers knüpft, würde die Bank kein rechtliches Neuland betreten. Eine entsprechende Klausel findet sich bereits in Safeguard Policies, die dem öko338 Im internen Recht der Weltbank gibt es nach wie vor keine spezielle Menschenrechtsschutzvorschrift im Sinne einer Safeguard Policy, welche die Bankmitarbeiter ausdrücklich anweist, wie menschenrechtliche Belange im Allgemeinen und völkerrechtlich begründete Menschenrechtspflichten der Kreditnehmer im Besonderen bei der Planung und Überwachung eines bankfinanzierten Entwicklungsvorhabens zu berücksichtigen sind. Die Weltbank verfolgt in Bezug auf den Menschenrechtsschutz bis heute einen piece-meal approach. Welche menschenrechtlichen Belange in den Safeguard Policies Berücksichtigung finden, hängt davon ab, welche Bedeutung die Bank dem jeweiligen Belang insbesondere auch im Hinblick auf ihre praktische Arbeit beimisst; vgl. Boisson de Chazournes, Compliance, S. 69. – Ausführlich zu der Berücksichtigung von Menschenrechten in den geltenden Operational Policies der Weltbank siehe De Feyter, Self-regulation, S. 96–110. 339 Clark/Center for International Environmental Law, Re: Revisions, Fn. iii: „The paragraph should also require a social assessment to evaluate ‚the obligations of the country, pertaining to project activities, under relevant domestic and international law regarding indigenous peoples.‘ It should further clarify that The Bank does not finance projects that would contravene such country obligations, as identified during the social assessment.“

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logischen Schutz dienen. So schreibt die Bankvorschrift über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vor, dass bei der danach zwingend durchzuführenden UVP neben sozialen Gesichtspunkten (unfreiwillige Umsiedlung, indigene Völker und kulturelles Eigentum) auch die völkerrechtlichen umweltpolitischen Verpflichtungen des Kreditnehmers zu berücksichtigen sind. Nach Para. 3 der UVP-Richtlinie vergibt die Weltbank keinen Kredit, wenn feststeht, dass die Projektaktivität einer solchen völkerrechtlichen Verpflichtung entgegensteht.340 Eine nahezu identische Vorschrift enthält die Safeguard Policy über Forstwirtschaft: „The Bank does not finance projects that contravene applicable international environmental agreements.“341

Die Weltbank lehnt es nach wie vor ab, in die sozialen Safeguard Policies eine vergleichbare Klausel aufzunehmen, welche sich auf die völkerrechtlich begründeten Pflichten menschenrechtlicher Art des Kreditnehmers bezieht. Als Argument führt die Bank an, dass dies zu einer Menschenrechtskonditionalisierung der Kreditvergabe führe. Eine solche sei aber durch die Gründungsverträge von IBRD und IDA verboten. In Wissenschaft und Praxis ist die unterschiedliche Behandlung von umweltvölkerrechtlichen Verpflichtungen des Kreditnehmers einerseits und völkerrechtlich begründeten Pflichten menschenrechtlicher Art andererseits auf Kritik gestoßen. So hat Kingsbury unter Bezugnahme auf OD 4.20 Indigenous Peoples eingewandt, dass es angesichts der Verweisnormen in den umweltbezogenen Safeguard Policies nicht gerechtfertigt sei, dass die Vorschriften über indigene Völker nicht ausdrücklich auf die ILO-Konvention 169 sowie andere, für den Schutz indigener Völker relevante völkerrechtliche Abkommen verweist.342 In diese Richtung argumentiert auch De Feyter. Er bringt vor, dass die unterschiedliche Behandlung von Umweltvölkerrecht und internationalem Menschenrecht nicht nur einer völkerrechtlichen Grundlage entbehre, sondern auch der Logik der Bankvorschriften widerspreche: „Human rights law is not less binding than international environmental law. [. . .] Nor can it be argued that one set of standards is of relevance to the Bank’s work, while the other is not. OP 4.01 clearly takes the view that environmental assess340 OP 4.01 – Environmental Assessment (January 1999), Para. 3: „EA [. . .] takes into account [. . .] the country’s overall policy framework, national legislation, and institutional capabilities related to the environment and social aspects; and obligations of the country, pertaining to project activities, under relevant international environmental treaties and agreements. The Bank does not finance project activities that would contravene such country obligations, as identified during the EA.“ (Hervorh. d. Verf.). 341 OP 4.36 – Forests, Para. 6. 342 Kingsbury, Operational Policies, S. 326 f.

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ments need to go beyond the environmental consequences, but also include ‚social aspects‘: involuntary resettlement, indigenous peoples and cultural property. [. . .] It is submitted that the different treatment of international environmental and international human rights law contradicts both the logic of the Bank’s self-adopted rules and the logic of international law in the field of sustainable development.“343

Angesichts dieser Kritik ist zu fragen, ob die Position, welche die Weltbank hinsichtlich der Aufnahme einer „Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung“ in die Safeguard Policies, die soziale Belange betreffen, vertritt, rechtlich haltbar ist. Verbieten die Gründungsstatute von IBRD und IDA es der Weltbank tatsächlich, die Einhaltung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten eines potenziellen Kreditnehmers im Rahmen eines bankfinanzierten Projektes zur Bedingung einer Kreditvergabe zu machen? Ist es IBRD und IDA also verfassungsrechtlich untersagt, die Implementierung völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge zu garantieren und damit eine aktive Rolle in der Menschenrechtssicherung bzw. der Durchsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen zu spielen? Oder ist die Weltbank nicht vielmehr sogar völkerrechtlich verpflichtet, Fragen der Menschenrechtsverträglichkeit ihrer Projektfinanzierung in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und eine Kreditvergabe zu unterlassen, wenn nicht sichergestellt ist, dass im Rahmen des zu fördernden Projekts der internationale Menschenrechtsschutz gewährleistet ist? Dies scheint jedenfalls die Resolution der UN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten zum Thema „Human rights as the primary objective of trade, investment and financial policy“ vom 20. August 1998 nahe zu legen, wenn die Unterkommission erklärt: „Convinced of the need to re-emphasize the centrality and primacy of human rights obligations in all areas of [. . .] development, including international and regional trade, investment and financial policies, agreements and practices, [. . .] 2. Urges United Nations agencies, including the International Monetary Fund and the World Bank, to at all times be conscious of and respect the human rights obligations of the countries with which they work.“344

C. Die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten der Weltbank hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes Die Frage, ob und in welchem Umfang die Weltbank völkerrechtlich berechtigt oder sogar verpflichtet ist, im Rahmen ihrer Entwicklungshilfeaktivitäten international gewährleisteten Menschenrechten Rechnung zu tragen, 343

De Feyter, Self-regulation, S. 101–102. Human rights as the primary objective of trade, investment and financial policy, Sub-Commission resolution 1998/12, UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/Res/1998/12, 20. August 1998. 344

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

ist in den vergangenen Jahren vielfach Gegenstand völkerrechtswissenschaftlicher Untersuchungen gewesen.345 Zentraler Erörterungspunkt war dabei meist die Frage, ob die Bank berechtigt ist, einem Mitgliedsland wegen dessen allgemeiner Menschenrechtspolitik oder seines politischen Charakters Entwicklungshilfe zu versagen. Dieses Problem der allgemeinen Menschenrechtskonditionalisierung ist von dem Fall der hier zu untersuchenden projektbezogenen Menschenrechtskonditionalisierung zu unterscheiden. Bei letzterer wird ein Kredit nur vergeben, wenn sichergestellt ist, dass im Rahmen der zu finanzierenden Entwicklungsvorhaben keine Menschenrechte verletzt werden bzw. dass diesem keine (völker)rechtlichen Pflichten menschenrechtlicher Art des Kreditnehmers entgegenstehen. Nur dieser zweite Fall einer projektspezifischen Menschenrechtskonditionalisierung ist Gegenstand der folgenden Analyse. I. Die Völkerrechtssubjektivität der Weltbank als Voraussetzung für völkerrechtliche Menschenrechtspflichten und -rechte Die Antwort auf die Frage, ob und in welchem Umfang die Weltbank menschenrechtspflichtig und – berechtigt ist, hängt zunächst davon ab, wie die Rechtsstellung von IBRD und IDA ausgestaltet ist bzw. ob und in welchem Umfang diese Institutionen völkerrechtsfähig sind. 1. Die Qualifizierung der Weltbank als Internationale Organisation Es ist heute allgemein anerkannt,346 dass IBRD und IDA nicht als bloße vertraglich festgeschriebene Formen intergouvernementaler Kooperation,347 345 Siehe z. B. die Monographien jüngeren Datums: Mac Darrow, Between Light and Shadow: The World Bank, the International Monetary Fund and International Human Rights Law, 2003; Skogly, Human Rights Obligations, 2001; Ulrike Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, 1999. Siehe auch Sigrun I. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, in: Van Genugten u. a., S. 45–78; Halim Moris, The World Bank and Human Rights: Indispensable Partnership or Mismatched Alliance?, in: ILSA Journal of International and Comparative Law 4 (1997), S. 173 ff. – Zum Thema „Weltbank und Menschenrechte“ siehe auch die nachfolgenden Nachweise sowie die diversen Publikationen Shihatas zu diesem Thema; siehe statt vieler z. B. Ibrahim F. I. Shihata, Human Rights, Development, And International Financial Institutions, in: ders. (Hrsg.), The World Bank in a Changing World, Vol. II, 1995, Chapter 18, S. 553–578. 346 Siehe z. B. Suchsland-Maser, S. 11 f.; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rdn. 3301 ff. 347 Zur Abgrenzung einer bloßen, vertraglich festgeschriebenen Form intergouvernementaler Kooperation von einer Internationalen Organisation siehe Matthias Pechstein/Christian Koenig, Die Europäische Union, 3., neubearb. Aufl., 2000, Rdn. 62.

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sondern als Internationale Organisationen (I. O.)348 geschaffen wurden: Bei beiden Einrichtungen handelt es sich um mitgliedschaftlich strukturierte Zusammenschlüsse mehrerer Staaten zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles, nämlich der Entwicklungsförderung. Hierzu und für die Führung der Geschäfte der Bank haben deren Mitglieder eigene Organe geschaffen (Gouverneursrat, Exekutivdirektoren, Präsident).349 Die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer innerhalb der Weltbank ist auf unbegrenzte Dauer angelegt. Schließlich folgt der Wille der Gründungsmitglieder von IBRD und IDA, diese Institutionen als I. O. zu schaffen, auch aus der Überschrift zu Art. V Abschn. 8 IBRD-Abkommen bzw. Art. VI Abschn. 7 IDA-Abkommen, „Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen“. Die Wortwahl „zu anderen Internationalen Organisationen“ würde nämlich keinen Sinn machen, wenn es sich nicht auch bei IBRD und IDA um Internationale Organisationen handeln würde. Aus der Organisationseigenschaft der Weltbank als solcher folgt jedoch nicht zwingend, dass IBRD und IDA Zuordnungsadressaten menschenrechtsbezogener Rechte, Pflichten oder Zuständigkeiten der Völkerrechtsordnung und damit insofern völkerrechtsfähig sind. Zuordnungsadressaten völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten sind zunächst und traditionell die Staaten. Es ist primär ihre Aufgabe, Menschenrechte einzuhalten und durchzusetzen.350 Allein den souveränen Staaten ist nämlich die Fähigkeit, Träger aller Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten der Völkerrechtsordnung zu sein, mithin die unbeschränkte Völkerrechtssubjektivität, angeboren. Sie sind „originäres“ oder „geborenes“ Völkerrechtssubjekt.351 Im Unterschied hierzu ist die Völkerrechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen von ihren Mitgliedsstaaten abgeleitet und durch diese funktionell begrenzt (derivative, partielle Völkerrechtsfähigkeit).352 Ob und in welchem 348 Zum Begriff „Internationale Organisation“ und den Voraussetzungen, die eine Einrichtung erfüllen muss, um sich als solche zu qualifizieren, siehe z. B. Matthias Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, 1993, S. 11–13. 349 Zu den Organen und der Arbeitsweise der Weltbank siehe z. B. Ralf Freiberg/ Thomas Jürgens, Rechtsgrundlagen der Entwicklung, des Aufbaus und der Befugnisse der Weltbankgruppe, in: Thomas U. Koll (Hrsg.), Die Weltbank, 1988, S. 11 (30 ff.). 350 Vgl. z. B. Kirsten Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, in: Archiv des Völkerrechts 39/1 (2001), S. 57 (61 f.). Vgl. auch Rosas, Right to Development, S. 253: „Human rights concern, above all, the relations between the State and its own population, where individuals and groups are the beneficiaries while the obligation lie on the States.“ 351 Vgl. statt vieler Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 8; Kimminich, Positivierung, S. 75. 352 Vgl. Hailbronner, ebd., 3. Abschn. Rdn. 9.

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Umfang eine I. O. nach dem Willen ihrer Gründungsmitglieder völkerrechtsfähig ist, ergibt sich aus den satzungsrechtlichen Vorschriften des Gründungsvertrags der jeweiligen Organisation, das heißt der „Verfassung“ der Internationalen Organisation.353 2. Die allgemeine Völkerrechtsfähigkeit Die Gründungsabkommen von IBRD und IDA regeln nicht explizit, ob die Weltbank überhaupt völkerrechtsfähig ist.354 Art. VII IBRD-Abkommen – „Rechtsstellung, Immunitätsrechte und Privilegien“ – bezieht sich nur auf die Rechtsstellung der IBRD in dem Territorium eines Mitgliedstaates.355 Welche Rechtsstellung die Entwicklungsbank in der internationalen Gemeinschaft hat, schreibt Art. VII nicht fest.356 Der Wille der Gründungsmitglieder der IBRD, dieser grundsätzlich Völkerrechtspersönlichkeit zu verleihen, kann jedoch durch Auslegung des Bankstatuts unter Berücksichtigung von Zweck und Aufgabe der Weltbank ermittelt werden.357 So schließt Suchsland-Maser zu Recht aus der Gesamtheit der Vorschriften des IBRD-Abkommens, „insbesondere aus ihrer länderübergreifenden Zielsetzung in Art. 1 sowie den Ermächtigungsvorschriften zur Kooperation mit anderen Internationalen Organisationen und zur Möglichkeit der vertraglichen Verpflichtung gegenüber solchen Organisationen“ 353

Vgl. Eckart Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4. Abschn. Rdn. 94. Siehe dort auch zur Einordnung der satzungsrechtlichen Vorschriften einer I. O. als deren „Verfassung“, Rdn. 37 m. w. N. 354 Dies ist in den Verfassungen der wenigsten Internationalen Organisationen der Fall. Eine Ausnahme stellt insofern das Gründungsabkommen der Afrikanischen Entwicklungsbank (Agreement Establishing the African Development Bank) vom 4. August 1963 dar. Dieses schreibt in Art. 50 S. 1 fest: „To enable it to fulfil its purposes and the functions with which it is entrusted, the Bank shall possess full international personality.“ (Hervorh. d. Verf.); internationale Quelle: UNTS 46 (1964), S. 510. 355 Siehe Artikel VII, Abschnitt 1 (Zweck des Artikels) und 2 (Rechtsstellung der Bank): „Um der Bank die Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben zu ermöglichen, sind ihr in den Territorien eines jeden Mitglieds die Rechtsstellung, die Immunitätsrechte und die Privilegien, wie sie in diesem Artikel näher bezeichnet sind, einzuräumen.“ (Abschn. 1) – „Die Bank besitzt die vollen Rechte einer juristischen Person und insbesondere die Fähigkeit: (i) Verträge abzuschließen; (ii) unbewegliches und bewegliches Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen; (iii) Prozesse zu führen.“ (Abschn. 2). 356 Vgl. Suchsland-Maser, S. 13. 357 Zur Ermittlung des Willens der Mitglieder einer Internationalen Organisation durch Interpretation des Gründungsvertrages siehe Klein, Organisationen, 4. Abschn. Rdn. 94.

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auf die bestehende Völkerrechtssubjektivität dieser Institution.358 Einen entsprechenden Schluss lassen die Articles of Agreement der IDA zu. Für die grundsätzliche Völkerrechtssubjektivität von IBRD und IDA spricht schließlich auch, dass sie Sonderorganisationen der Vereinten Nationen sind.359 3. Die mandatsbegrenzte Völkerrechtsfähigkeit Für die Beantwortung der Ausgangsfrage ist indes entscheidend, in welchem Umfang die Weltbank völkerrechtsfähig ist. Erstreckt sich ihre Völkerrechtspersönlichkeit auch auf den Bereich des internationalen Menschenrechts? Reicht die Völkerrechtsfähigkeit von IBRD und IDA also so weit, dass sie auch Berechtigte und Verpflichtete des Völkermenschenrechts ist? Ausgangspunkt einer Untersuchung dieser Fragen sind wiederum die Gründungsabkommen dieser Internationalen Organisationen. Sie legen nämlich den Organisationszweck der Weltbank fest. Er begrenzt die Völkerrechtssubjektivität von IBRD und IDA funktionell.360 Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob die Weltbank nach der Funktion, welche ihr in den Gründungsstatuten zugedacht ist, Träger menschenrechtsschützender Rechte und Pflichten sein kann. Primärer Maßstab für diese Analyse, bei der es sowohl um das rechtliche „Dürfen“ als auch um das „Müssen“, das heißt die Verpflichtung zu einer projektgebundenen Menschenrechtskonditionalisierung geht, sind die jeweiligen Art. 1 des IBRD- bzw. IDA-Abkommens, aus denen der „verfassungsrechtliche“ Organisationszweck dieser Institutionen folgt. Sie sind im Lichte von Art. IV Abschn. 10 IBRD-Statut bzw. des korrespondierenden Art. V Abschn. 6 IDA-Abkommen zu lesen, die ihrem Wortlaut nach den Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Bank beschränken und daher einem nach dem Organisationszweck möglicherweise nicht auszuschließenden Menschenrechtsmandat von IBRD und IDA verfassungsrechtliche Grenzen setzen könnten.361

358 Suchsland-Maser, S. 14. Zu den Voraussetzungen, die eine zwischenstaatliche Internationale Organisation erfüllen muss, um als Völkerrechtspersönlichkeit anerkannt zu werden, vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rdn. 0105. 359 Siehe hierzu unten, Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b). 360 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rdn. 0107. 361 Zur Frage, ob bzw. in welchem Umfang IFIs, insbesondere die Weltbank und der IWF, nach ihrem Mandat rechtmäßig menschenrechtliche Aspekte berücksichtigen können, siehe Darrow, Chapter IV, To What Extent Can the World Bank and IMF Deal with Human Rights? A Brief Exploration of their Legal Mandates, S. 113–194.

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a) Der „verfassungsrechtliche“ Organisationszweck der Weltbank nach Art. 1 IBRD/IDA-Abkommen Der Organisationszweck der IBRD ist nach Art. 1 IBRD-Abkommen – zusammengefasst – darin zu sehen, durch monetäre Hilfe zur Entwicklung und zum Wiederaufbau von ärmeren Ländern beizutragen. Zu diesem Zweck soll die Internationale Entwicklungsbank primär projektgebundene Kredite bereitstellen und projektunabhängige Darlehen und Kreditbeteiligungen organisieren. Das Gründungsstatut der Internationalen Entwicklungsorganisation hebt in seinem Art. I – „Zweck“ – die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Entwicklungsgebieten der Welt, die in die Mitgliedschaft der IDA einbezogen sind, als herausragende vertragliche Zielsetzung hervor. Zu diesem Zweck hat die Internationale Entwicklungsorganisation Finanzierungsmittel zur Deckung der wichtigsten Entwicklungsbedürfnisse dieser Gebiete zur Verfügung zu stellen. Sie soll dadurch die Entwicklungsziele der IBRD fördern und deren Tätigkeit ergänzen.362 Die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zum Schutz und zur Sicherung international gewährleisteter Menschenrechte sowie zur Durchsetzung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten ist nicht ausdrücklich von dem Mandat erfasst, welches der Weltbank in ihren Gründungsstatuten zugedacht ist. Der Begriff „Menschenrechte“ findet sich darin nicht. Verwunderlich ist das nicht: Der internationale Menschenrechtsschutz war zum Zeitpunkt der Gründung von IBRD und IDA – 1944 bzw. 1960 – rechtlich noch kaum ausgestaltet, und die Verpflichtung zur Achtung und Verwirklichung von Menschenrechten noch nicht als allgemeine Rechtspflicht des Völkerrechts anerkannt. Das erste universelle Menschenrechtsinstrument, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wurde erst vier Jahre nach Gründung der IBRD verabschiedet. Rechtsverbindlich war die AEMR aber nicht.363 Auch die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, der IPBPR und der IPWSKR, sind erst nach der Verabschiedung der Weltbankstatute, nämlich 1966, angenommen worden. Eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht des Inhalts, Menschenrechte zu achten und zu schützen, war zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls noch nicht anerkannt. Die entscheidende Frage lautet nunmehr, ob der Weltbank die Fähigkeit, Zuordnungsadressat menschenrechtsbezogener Rechte, Pflichten und Berechtigungen zu sein, abzusprechen ist, weil die Gründungsverträge von IBRD und IDA den Menschenrechtsschutz nicht explizit als Organisationszweck dieser Institutionen ansprechen. Sie ist zu verneinen, wenn der Auftrag der Weltbank, die Entwicklung zu fördern, auch den Schutz der Men362 363

Vgl. Art. I – „Zweck“ – IDA-Abkommen. Siehe oben, Erster Teil, Erstes Kapitel, A. I. 1. b) bb).

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schenrechte umfasst, obgleich dies nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich geregelt ist. b) Die Veränderung der Entwicklungsstrategien der Weltbank: vom ökonomisch determinierten Entwicklungsansatz zum Comprehensive Development Framework Die Untersuchung dieser Frage hat bei dem Entwicklungsbegriff anzusetzen, der den Gründungsverträgen (Articles of Agreement) von IBRD und IDA zugrunde liegt. Dabei ist wesentlich, was unter Entwicklung zu verstehen ist. Art. I IBRD-Abkommen ist für die Beantwortung dieser Frage wenig aufschlussreich. Die Vorschrift sieht als Aufgabe der IBRD schlicht die Unterstützung der „Entwicklung der Gebiete der Mitglieder“ an und legt fest, wie diese Unterstützung zu erfolgen hat.364 Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Aufgaben, welche die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in der ersten Phase ihrer Entwicklungsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Länder nach dem Zweiten Weltkrieg bewältigen sollte. Die Vorgaben des Artikel 1, welche Entwicklungsziele die Bank nach Abschluss dieser Phase zu verfolgen hatte, sind vage. 364 Art. I IBRD-Abkommen – Aufgaben – lautet: „Die Aufgaben der Bank sind: (i) Den Wiederaufbau und die Entwicklung der Gebiete der Mitglieder zu unterstützen durch Erleichterung der Kapitalanlage für produktive Zwecke, einschließlich der Wiederherstellung durch den Krieg zerstörter oder zerrütteter Volkswirtschaften, der Umstellung der Produktionsanlagen auf den Friedensbedarf und der Förderung der Entwicklung von Produktionsanlagen und Hilfsquellen in weniger entwickelten Ländern. (ii) Die private ausländische Investitionstätigkeit durch die Übernahme von Garantien oder durch Beteiligung an Darlehen und anderen von privaten Geldgebern durchgeführten Investitionen zu fördern, und wenn privates Kapital nicht zu annehmbaren Bedingungen erhältlich ist, die private Investitionstätigkeit dadurch zu ergänzen, dass sie aus ihrem eigenen Kapital, aus von ihr aufgebrachten Geldern oder aus ihren anderen Mitteln zu geeigneten Bedingungen Kapital für produktive Zwecke bereitstellt. (iii) Eine auf lange Sicht ausgewogene Ausdehnung des internationalen Handels und die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Zahlungsbilanzen durch die Anregung internationaler Investitionen zwecks Entwicklung der Produktionsquellen von Mitgliedern zu fördern und damit zu einer Hebung der Produktivität des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen in deren Gebieten beizutragen. (iv) Die von ihr gewährten oder garantierten Anleihen mit auf anderem Wege gewährten internationalen Anleihen abzustimmen, so dass die nützlicheren und dringlicheren Projekte, große und kleine in gleicher Weise, zuerst bearbeitet werden. (v) Ihre Geschäfte unter gebührender Berücksichtigung der Wirkung internationaler Investitionen auf die Geschäftsbedingungen in den Gebieten von Mitgliedern zu führen und dazu beizutragen, dass in den ersten Nachkriegsjahren ein reibungsloser Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft erfolgt. Die Bank wird sich in allen ihren Entscheidungen von den oben niedergelegten Zielen leiten lassen.“

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

Auch Art. 1 IDA-Abkommen gibt hierüber keine eindeutige Auskunft. Nach dieser Vorschrift hat die Internationale Entwicklungsorganisation Finanzierungsmittel „zur Deckung der wichtigsten Entwicklungsbedürfnisse“365 der von ihr geförderten Entwicklungsgebiete bereitzustellen und hierdurch „die Entwicklungsziele der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ zu fördern. Bei dem Begriff der „wichtigsten Entwicklungsbedürfnisse“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von der IDA einzelfallbezogen auszulegen ist. Die Weltbank hat den diesbezüglichen Gestaltungsspielraum in ihrer nunmehr 60-jährigen Tätigkeit genutzt und ihre Entwicklungsstrategien den veränderten Bedürfnissen der Entwicklungsländer bzw. dem Paradigmenwechsel in der internationalen Entwicklungspolitik angepasst:366 In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung verfolgte die Weltbank eine rein ökonomisch determinierte Entwicklungsstrategie. „Entwicklung“ wurde danach als Synonym für wirtschaftliches Wachstum im engeren Sinne verstanden, bei dem fast ausschließlich technische Überlegungen eine Rolle spielten. Soziale oder ökologische Gesichtspunkte wurden weitgehend außer Acht gelassen.367 Dieser Entwicklungsansatz entsprach dem zum damaligen Zeitpunkt allgemein vorherrschenden technokratischen Verständnis von Entwicklung, nach dem Entwicklungsfortschritt ausschließlich an wirtschaftlichen Faktoren festgemacht wurde. An dieser Entwicklungsstrategie hält die Weltbank nicht mehr fest. Sie vertritt heute vielmehr einen umfassenden Entwicklungsansatz, der dem der „Menschlichen Entwicklung“ (human development) ähnelt, wie ihn seit den 1980er Jahren die Vereinten Nationen propagieren.368 Entwicklung wird danach nicht länger als Synonym für Wirtschaftswachstum, sondern als eine auf den Menschen als ihren hauptsächlichen Betreiber und Nutznießer ausgerichtete nachhaltige Entwicklung verstanden,369 die versucht, wirtschaft365

Hervorh. d. Verf. Zu den unterschiedlichen Entwicklungsstrategien der Weltbank von 1948 bis 1980 siehe z. B. Christian Theobald, Zur Ökonomik des Staates: Good Governance und die Perzeption der Weltbank, 2000, S. 84 ff. 367 Vgl. z. B. Forsythe, S. 334, m. w. N. 368 Siehe z. B. United Nations Development Programm, Integrating human rights with sustainable human development: A UNDP policy document, January 1998, abrufbar unter . – Zum UNDP-Konzept des human development und seinen Auswirkungen auf die Arbeit der UN-Sonderorganisationen, zu denen auch die Weltbank zählt, sowie anderer Finanzinstitutionen, siehe Koen de Feyter, World Development Law, 2001, S. 3 f. 369 Zur Akzeptanz des Konzepts der „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable development) durch die Weltbank und den Implikationen für deren Recht und Praxis siehe Charles E. Di Leva, Sustainable Development and the World Bank’s Millenium Development Goals, in: Natural Resources and Environment 19 (2004), S. 13–19. 366

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liche, soziale, kulturelle und politische Interessen in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Ziel dieses Konzepts ist es, dass der Entwicklungsprozess der ständigen Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen dient.370 Das Bekenntnis der Weltbank zu diesem holistischen Entwicklungsansatz ist unter anderem in einer Ansprache von Weltbankpräsident Wolfensohn an den Entwicklungsausschuss von Weltbank und IWF im Herbst 2000 dokumentiert, in der er eine Rückschau über die Entwicklungen bezüglich der Arbeit der Bank von 1995–2000 hält: „This five year period has seen a broadening of the development agenda to reflect our improved understanding of poverty and its causes. Our ‚Voices of the Poor‘ study underscored that the experience and determinants of poverty are multidimensional. A better quality of life for poor people requires not only higher incomes; it also calls for individual security and empowerment; improved and more equitable opportunities for education and jobs; better health and nutrition; a cleaner and more sustainable natural environment; a well-functioning judicial and legal system; greater civil and political liberties and freedom; and a richer cultural life. We are now using this understanding to implement our core mission of reducing poverty. This is an extensive agenda both for developing countries and the international community. The key to giving it focus is the approach that underlies the Comprehensive Development Framework (CDF).“371

Wesentlicher Aspekt des auch von der Weltbank anerkannten umfassenden Entwicklungsansatzes ist, dass die Anerkennung von Rechten im Vordergrund steht.372 Dies geht unmissverständlich aus Art. 1 Abs. 1 der Erklärung zum Recht auf Entwicklung hervor, der lautet: „Das Recht auf Entwicklung ist ein unveräußerliches Menschenrecht, kraft dessen alle Menschen und Völker Anspruch darauf haben, an einer wirtschaftlichen, so370

Siehe hierzu oben, Erster Teil, Zweites Kapitel, D. II. 3. a) und Drittes Kapitel, B. II. 371 Development Committee (Joint Ministerial Committee of the Boards of Governors of the Bank and the Fund on the Transfer of Real Resources to Developing Countries), Note from the President of the World Bank, DC/2000-21, Prague, September 18, 2000, S. 1. 372 Vgl. zu diesem Entwicklungsverständnis auch das Partnerschaftsabkommen zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (sog. Abkommen von Cotonou), unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000 (Amtsblatt L 317 vom 15.12.2000), Erste Säule: Eine Politische Dimension, wo es heißt: „Das Abkommen legt den Schwerpunkt noch stärker auf die politische Dimension, die sich auf alle Ziele des Abkommens und darin vorgesehenen Maßnahmen erstreckt und zu umfassenden Verpflichtungen seitens der AKP-Staaten führt. Diese Säule besteht aus folgenden wesentlichen Elementen: [. . .] Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips sowie eine transparente und verantwortliche Staatsführung. Dies sind die drei wesentlichen Elemente der Partnerschaft und der nachhaltigen Entwicklung.“ Das Cotonou-Abkommen ist in deutscher Fassung abrufbar unter .

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zialen, kulturellen und politischen Entwicklung, in der alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können, teilzuhaben, dazu beizutragen und daraus Nutzen zu ziehen.“

Die Weltbank hat in den vergangenen Jahren wiederholt offiziell verlauten lassen, dass sie sich dem so verstandenen holistischen Entwicklungsansatz aus menschenrechtlichen Gründen verpflichtet fühlt,373 wie aus verschiedenen Statements des Weltbankpräsidenten hervorgeht. So hat Wolfensohn beispielsweise seine Ansprache an den Gouverneursrat vom 26. September 2000 mit folgendem Plädoyer geschlossen: „Wir müssen zusammenarbeiten, um die Vorteile der Globalisierung dazu einzusetzen, Wohlstand für die breiten Massen und nicht nur einige wenige zu schaffen. Es handelt sich hier um mehr als ein neues Wirtschaftsprogramm. Es handelt sich um eine Verpflichtung – eine Verpflichtung, die in gemeinsamen moralischen und sozialen Werten und Menschenrechten wurzelt. Darüber hinaus ist sie eine Verpflichtung, die auch auf aufgeklärtem Selbstinteresse beruht. Es ist die Verpflichtung, der nächsten Generation eine bessere Welt, die von Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit geprägt ist, zu hinterlassen.“374

Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch die Publikation der Weltbank aus dem Jahre 1998 zum Thema „Development and Human Rights: The Role of the World Bank“, welche die Bank anlässlich des 50. Jahrestags der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte herausgegeben hat.375 In deren Einleitung ist zu lesen: „The World Bank believes that creating the conditions for the attainment of human rights is a central and irreducible goal of development. By placing the dignity of every human being – especially the poorest – at the very foundation of its approach to development, the Bank helps people in every part of the world build lives of purpose and hope. [. . .] This fiftieth anniversary of the Universal Declaration of Human Rights gives us the opportunity to assess our role and to identify areas where we can do even more to reflect the principles enshrined in the Declaration into all of our work.“376

Der neue, integrierte Entwicklungsansatz der Weltbank, welcher die sozialen und menschlichen Aspekte von Entwicklung aufwertet, findet sich 373

Vgl. Korinna Horta, Rhetoric and Reality: Human Rights and the World Bank, in: Harvard Human Rights Journal 15 (2002), S. 227–243. 374 James D. Wolfensohn, Der Aufbau einer fairen Welt, Rede an den Verwaltungsrat, Prag, Tschechische Republik, 26. September 2000, S. 17, abrufbar unter . 375 The International Bank for Reconstruction and Development, Development and Human Rights: The Role of the World Bank, 1998, S. 2, abrufbar unter . – Zur Position der Weltbank bez. menschenrechtlicher Aspekte von Bankaktivitäten siehe auch Stefanie Killinger, The World Bank’s Non-Political Mandate, 2003, S. 120–127. 376 Development and Human Rights, ebd.

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indes nicht nur in Reden und Dokumenten der Weltbank wieder.377 Er hat sich vielmehr auch in der konkreten Arbeit von IBRD und IDA niedergeschlagen. Ihrem neuen Verständnis einer umfassenden menschlichen Entwicklung entsprechend, unterstützt die Bank heute Entwicklungsprogramme in den sozialen Bereichen, wie dem Bildungs- und Gesundheitswesen, der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie der sozialen Sicherheit und dem Umweltschutz.378 Außerdem hilft sie Entwicklungsländern bei der Entwicklung und Umsetzung von Good Governance, zu deren maßgeblichen Strukturen sie die Bereiche Public Sector Management, Verantwortlichkeit von Staats- und Verwaltungshandeln sowie einen sicheren Rechtsrahmen für den Entwicklungsprozess zählt.379 Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob nicht auch der projektbezogene Menschenrechtsschutz zu dem Aufgabenkatalog von IBRD und IDA zählt. Wird also vom verfassungsrechtlich statuierten Auftrag der Bank, Entwicklung zu fördern, auch das Mandat zur Achtung, Förderung und Verwirklichung der Menschenrechte im Entwicklungsgeschehen umfasst? c) Die projektbezogene Menschenrechtssicherung als Aufgabe der Weltbank-Entwicklungsförderung? – Die Einordnung sozialer, ökologischer und staatsorganisatorischer Probleme als wirtschaftlich relevante Aspekte Die Erkenntnis, dass sowohl Probleme im sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Bereich380 als auch innerstaatliche Missstände wie Rechts377 Ausführlich zu diesem neuen, umfassenden Entwicklungsansatz der Weltbank, seiner Entwicklung und den Implikationen für die Praxis siehe aus jüngerer Zeit Sfeir-Younis, insbes. S. 20–30. 378 Siehe zu alledem die Website der Weltbank unter . 379 Siehe hierzu Helmut Schaffer, Weltbank und Menschenrechte, in: von Arnim u. a., S. 179–183. – Zum Good Governance-Diskurs innerhalb der Weltbank sowie den Grenzen des Governance-Konzepts der Weltbank siehe Christian Theobald, Zehn Eckpunkte zu Good Governance, in: Klaus König/Markus Adam (Hrsg.), Governance als entwicklungspolitischer Ansatz, 2001, S. 35–65 (insbes. S. 42); Killinger, S. 7–39. – Ausführlich zur Genesis von good governance und der Anerkennung des Konzepts der good governance in der Entwicklungspolitik siehe Rudolf Dolzer, Good Governance: Neues transnationales Leitbild der Staatlichkeit?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 64 (2004), S. 535–546. 380 Beispielhaft hierfür sei das HIV/Aids-Problem angeführt. Krankheiten wie Aids bedrohen die menschliche Wohlfahrt, das sozio-ökonomische Fortkommen, die Produktivität, den sozialen Zusammenhalt und sogar die nationale Sicherheit. Ihre Auswirkungen lassen sich folglich auch wirtschaftlich erfassen. Gegen sie ist daher mit Entwicklungsförderungsmaßnahmen anzugehen. Die Weltbank trägt dieser Erkenntnis mit ihren Programmen zur Bekämpfung von HIV/Aids Rechnung. Sie zählt

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unsicherheit, das Fehlen effizienter und transparenter öffentlicher Institutionen und Korruption381 erhebliche Hindernisse für den Entwicklungsfortschritt darstellen können und sich folglich auch ökonomisch erfassen lassen, trifft ebenso auf nachteilige Sozial- und Umweltauswirkungen bankfinanzierter Projekte zu. Das Dislokations-Gefahrenmodell Cerneas382, der bei der Ausarbeitung der Weltbankvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen federführend war, verdeutlicht dies. Cernea zählt zu den „Verarmungsrisiken“ (impoverishment risks) entwicklungsbedingter Dislokationen unter anderem Land-, Arbeits- und Obdachlosigkeit, die Marginalisierung der betroffenen Bevölkerungsgruppe, Nahrungsunsicherheit, eine steigende Sterblichkeitsrate sowie den Verlust allgemein zugänglicher Ressourcen.383 Das Eintreffen dieser Gefahren hat nicht nur die Verarmung eines Teils der Bevölkerung, nämlich der projektbetroffenen Personen, zur Folge. Es wirkt sich vielmehr seinerseits wiederum negativ auf die gesamtwirtschaftliche Situation des Projektlandes aus. Berücksichtigt man nun, dass den genannten Gefahren durch die Beachtung einer Reihe international anerkannter Menschenrechte, wie entwicklungsbezogenen Konsultierungs- und Partizipations-, sowie Entschädigungsrechten vorgebeugt werden kann, wird deutlich, warum die Sicherung – jedenfalls dieser Rechte – und damit der projektbezogene Menschenrechtsschutz auch bei einer rein ökonomistischen Betrachtungsweise vom Mandat der Weltbank umfasst ist. Die Missachtung dieser Rechte bei der Planung und Durchführung von Entwicklungsvorhaben unterminiert nämlich deren Ziel, die Wirtschaftsförderung. Auf dieser Erkenntnis beruhen die Safeguard Policies der Weltbank und anderer Entwicklungsbanken ja gerade. Die Involuntary Resettlement-Policy der Asiatischen Entwicklungsbank vom August 1995 hat das ausdrücklich formuliert: „Impoverished people are a drain on the national economy; thus, avoiding or minimizing displacement as well as proper rehabilitation of those displaced make good economic sense as well as being fair to those adversely affected.“384

Respekt für die Achtung bzw. die Sicherung der grundlegenden Menschenrechte projektbetroffener Personen und Bevölkerungsgruppen, die gegen Verarmungsrisiken schützen, ist folglich nicht nur ein völkermenschenrechtliches, sondern auch ein wirtschaftliches Gebot. Sie muss zu den dringzu den größten Förderern von Anti-Aids-Programmen weltweit; siehe die Website der Weltbank, HIV/AIDS, unter . 381 Zum Korruptionsbekämpfungsprogramm der Weltbank und den Motiven hierfür siehe die Website der Weltbank unter „Anticorruption“, abrufbar unter . 382 „Displacement risks model“. Ausführlich hierzu Cernea, Risks, S. 11–55. 383 Ebd., S. 20, 22 ff. 384 Asian Development Bank, Involuntary Resettlement, August 1995, Rdn. 29.

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lichen Aufgaben der Entwicklungsförderung zählen. Als solche ist der Schutz dieser Rechte vom Mandat der Weltbank umfasst.385 d) Das „Verbot politischer Betätigung“ als verfassungsrechtliche Schranke einer Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung? Die Weltbank lehnt eine projektgebundene Menschenrechtskonditionalisierung offiziell in dem Sinne ab, dass Voraussetzung für die Förderung eines Entwicklungsprojekts dessen Menschenrechtsverträglichkeit gemessen an den national- und völkerrechtlichen Verpflichtungen des Kreditnehmers ist. Sie verweist dabei auf das „Verbot politischer Betätigung“ (Political Activity Prohibited), das in den Gründungsverträgen von IBRD und IDA normiert ist.386 Eine Menschenrechtskonditionalisierung sei danach von Verfassungs wegen untersagt.387 Fraglich ist, ob dieses Argument einer rechtlichen Untersuchung der Gründungsverträge standhält. Die insofern entscheidenden Normen sind Art. IV Abschn. 10 IBRD-Abkommen bzw. Art. V Abschn. 6 IDA-Abkommen. Art. IV Abschn. 10 der Articles of Agreement der IBRD besagt: „Die Bank und ihre Beamten sollen sich nicht in die politischen Angelegenheiten eines Mitglieds einmischen; sie dürfen sich in ihren Entscheidungen auch nicht von dem politischen Charakter des betreffenden Mitglieds oder der betreffenden Mitglieder beeinflussen lassen. Für ihre Beschlüsse müssen ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend sein und diese sind unparteiisch zu wägen, damit die in Artikel I genannten Zwecke erreicht werden.“

Die Neutralitätsklausel des Art. IV wird durch Art. III Abschn. 5b IBRDAbkommen ergänzt. Danach hat die IBRD dafür zu sorgen: „dass Darlehensbeträge nur für diejenigen Zwecke verwendet werden, für die das Darlehen gewährt worden ist, wobei Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und des Nutzeffekts gebührend zu berücksichtigen und politische oder andere nicht wirtschaftliche Momente oder Überlegungen außer Acht zu lassen sind.“

Art. V Abschn. 6 IDA-Abkommen enthält eine entsprechende Regelung.388 Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur Art. IV Abschn. 10 385

Cernea, Risks, S. 20. Ausführlich zum „Verbot politischer Betätigung“ und den Implikationen der Neutralitätsklausel für die Arbeit von IBRD und IDA aus Sicht der Weltbank siehe Ibrahim F. I. Shihata, The World Bank Legal Papers, 2000, Chapter 9: Political Activity Prohibited, S. 219–244. Siehe auch ders., Political Limitations on the Bank’s Work, in: ders. (Hrsg.), The World Bank in a Changing World, Vol. III, 2000, Chapter 5, S. 155–186. – Siehe hierzu aus jüngster Zeit inbes. auch Killinger, S. 77–113. 387 Mit diesem Verfassungsargument wird auch eine Verpflichtung des IWF, internationale Menschenrechte zu beachten, abgelehnt; siehe Klaus Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten, 1999, insbes. S. 236 ff. 386

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IBRD-Abkommen analysiert. Die dabei angestellten Überlegungen gelten für Art. V Abschn. 6 IDA-Abkommen entsprechend. aa) Die grammatikalische Interpretation der Neutralitätsklausel Der Wortlaut von Art. IV Abschn. 10 IBRD-Abkommen ist klar. Nach dieser Vorschrift dürfen andere als wirtschaftliche Überlegungen bei der Entscheidung der IBRD über die Finanzierung eines Entwicklungsvorhabens keine Rolle spielen. Nach dem zuvor zu den wirtschaftlichen Implikationen der Missachtung bestimmter Menschenrechte im Rahmen von Entwicklungsaktivitäten Gesagten, steht die Neutralitätsklausel des IBRD-Abkommens aber auch bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung einer projektgebundenen Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung (MVP) grundsätzlich nicht entgegen. Art. IV setzt einer projektbezogenen MVP bei einer streng grammatikalischen Interpretation allenfalls bezüglich solcher Menschenrechte „verfassungsrechtliche“ Grenzen, deren Missachtung sich nicht auch ökonomisch erfassen lässt. Die überwiegende Zahl der Menschenrechte, die vor den nachteiligen Auswirkungen von Entwicklungsprojekten schützen, haben aber auch wirtschaftliche Implikationen. Dies gilt, wie gezeigt, insbesondere für die Grundrechte und -freiheiten, die sich gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen richten. In jüngster Zeit scheint sich die Weltbank dieser Argumentation zu öffnen. Beispielhaft hierfür sei die Antwort des Managements der Bank auf das Untersuchungsgesuch im vorerwähnten Tschad/Kamerun-Öl- und Pipeline-Projekt angeführt. Das Inspection Panel hat sie in seinem Untersuchungsbericht wie folgt zusammengefasst: „As for human rights, Management states in its Response to the Panel that ‚The Bank is concerned about violations of human rights in Chad as elsewhere while respecting the Bank’s Articles of Agreement which require the Bank to focus on economic considerations and not on political or other non-economic influences as the basis for its decisions. In evaluating the economic aspects of any project, human rights issues may be relevant to the Bank’s work if they may have a significant direct economic effect on the project.‘ [. . .] In other words, according to the Management Response, if human rights issues have ‚significant direct eco388 Art. V Abschn. 6 IDA-Abkommen – Verbot politischer Betätigung lautet: „Die Organisation und ihre leitenden Angestellten dürfen sich weder in die politischen Angelegenheiten eines Mitglieds einmischen noch sich bei ihren Entscheidungen von den politischen Verhältnissen des oder der betreffenden Mitglieder beeinflussen lassen. Bei ihren Entscheidungen dürfen nur wirtschaftliche Überlegungen maßgebend sein; diese Überlegungen sind im Interesse der Verwirklichung der Ziele dieses Abkommen unparteiisch abzuwägen.“ – Siehe auch Art. V Abschn. 1 – Verwendung der Mittel und Finanzierungsbedingungen – (g), der mit Art. III Abschn. 5b IBRD-Abkommen vergleichbar ist.

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nomic effects‘ on a Bank financed project, they become a matter of concern to the Bank.“389

Die Weltbank ist danach befugt, menschenrechtliche Aspekte in die Entscheidung über eine Projektfinanzierung einzubeziehen, wenn diese für die Verwirklichung des Ziels, auf das das in Frage stehende Entwicklungsvorhaben gerichtet ist, bedeutsam sind. Für die Beantwortung dieser Frage ist auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine Prognose aufzustellen. Ist danach zu vermuten, dass sich die Missachtung von Menschenrechten negativ auf den wirtschaftlichen Erfolg des zu fördernden Projekts auswirken wird, ist auch die Frage nach der Beachtung der damit korrespondierenden Menschenrechtspflicht ein wirtschaftlicher Aspekt im Sinne von Art. IV Abschn. 10 IBRD-Abkommen. In diesen Fällen ist eine projektbezogene Menschenrechtskonditionalisierung nicht verfassungsrechtlich untersagt. Aus alledem folgt aber auch, dass die Neutralitätsklausel dem Mandat der Weltbank keine absoluten „verfassungsrechtlichen“ Grenzen der Art zu setzen vermag, dass diese grundsätzlich nicht berechtigt ist, Fragen der Menschenrechtsverträglichkeit einer Projektfinanzierung zu prüfen und eine Entwicklungsförderungsmaßnahme gegebenenfalls unter Verweis auf menschenrechtliche Aspekte abzulehnen. bb) Die teleologische Interpretation der Neutralitätsklausel Auch nach Sinn und Zweck der Neutralitätsklausel steht diese weder einer projektbezogenen MVP noch einer Menschenrechtskonditionalisierung kategorisch entgegen. Das „Verbot politischer Betätigung der Weltbank“ wurde in die Gründungsverträge von IBRD und IDA aufgenommen, um eine politische Konditionierung der Entwicklungshilfe und damit eine politische Bevormundung der Mitgliedsländer zu verhindern. Ein Fall der politischen Bevormundung liegt aber dann nicht vor, wenn die Entwicklungsförderung eines Staates davon abhängig gemacht wird, dass er sich an Regeln hält, die zu befolgen er sich in Ausübung seiner Souveränitätsrechte freiwillig verpflichtet hat. Buergenthal hat in einer Rede, die er 1999 im Rahmen eines von der Rechtsabteilung der Weltbank organisierten Seminars zum Thema „Human Rights: A Legal Perspective“ gehalten hat, ähnlich argumentiert: „[I]nternational human rights [. . .] are international treaty obligations that permit states and intergovernmental organizations to demand compliance or, at the very least, to use the rules proclaimed in these treaties in formulating policy standards applicable to their relations with the states parties to these treaties. A state that has ratified one or more of these treaties cannot invoke the doctrine of 389

The Inspection Panel, Investigation Report: Chad-Cameroon, S. 61, Rdn. 212.

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non-intervention in its domestic affairs when it is called upon to fulfil its treaty obligations.“390

So verhält es sich aber im hier zu untersuchenden Fall einer projektbezogenen MVP bzw. Menschenrechtskonditionalisierung durch die Weltbank. Bedingung einer Entwicklungsförderung ist danach nicht, dass der Kreditnehmer über ein bestimmtes Regierungssystem verfügt, dass die Weltbank bzw. die Mitglieder, die über die meisten Stimmrechte verfügen, favorisieren, oder dass der Kreditnehmer Menschenrechte im Allgemeinen beachtet. Die Entwicklungsförderung wird vielmehr davon abhängig gemacht, dass sich der potenzielle Kreditnehmer an die von ihm eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen hält, und zwar ausschließlich insoweit, als diese im Kontext des zu finanzierenden Projekts relevant werden. Von dem „Verbot politischer Betätigung“ ist diese operation-spezifische Art der Menschenrechtskonditionalisierung391 nach Sinn und Zweck der Neutralitätsklausel also nicht erfasst. Der Political Acitivity-Klausel wird damit auch nicht ihre grundsätzliche Berechtigung abgesprochen. Vielmehr soll durch die hier vorgetragene Argumentation verhindert werden, dass sich Staaten treuwidrig auf die Neutralitätsklausel berufen, um sich ihrer völkerrechtlich begründeten Menschenrechtspflichten zu entledigen: „A state that has ratified a human rights treaty should not be allowed to argue that a legal norm it has bound itself to observe in that treaty must be excluded from a loan agreement on the grounds that human rights are ‚political‘ and a matter of domestic jurisdiction. In other words, international human rights agreements permit institutions such as the World Bank to depoliticize human rights and to rely on and resort to international human rights law in articulating basic economic development standards.“392

4. Zwischenergebnis Die Untersuchung der Gründungsverträge von IBRD und IDA hat gezeigt, dass die „Verfassung“ der Weltbank eine projektgebundene Menschenrechtskonditionalisierung nicht grundsätzlich verbietet. Als Zwischenergebnis ist danach festzuhalten, dass die Weltbank berechtigt ist, die Implementierung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtsverpflichtungen der Kreditnehmer dadurch sicherzustellen, dass sie in ihren Safeguard Policies eine projektbezogene MVP verbindlich vorschreibt. Eine Rechtspflicht zur projekt390 Thomas Buergenthal, The World Bank and Human Rights, in: Edith Brown Weiss u. a. (Hrsg.), The World Bank, International Financial Institutions, and the development of International Law, Studies in Transnational Legal Policy No. 31, 1999, S. 94 (97). 391 Siehe Schlemmer-Schulte, World Bank and Human Rights, S. 260. 392 Buergenthal, S. 100.

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bezogenen Menschenrechtskonditionalisierung erzeugen die Gründungsverträge allerdings nicht. Angesichts der Ausgangsüberlegung, ob sich die Weltbank als Implementierungsgarant menschenrechtsschützender Völkerrechtsnormen eignet, stellt sich daher die Frage, ob Völkerrechtsnormen, die außerhalb der Gründungsverträge von IBRD und IDA liegen, eine Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank-Entwicklungshilfe begründen. Sie bietet Stoff für eine eigene, weitere Arbeit. Im Folgenden können mögliche Antworten auf diese Frage daher nur angedeutet werden.393 II. Begründung der Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank-Entwicklungshilfe durch Völkerrechtsnormen außerhalb des Bankrechts Zur Beantwortung der Frage, ob sich völkerrechtliche Pflichten menschenrechtlicher Art von IBRD und IDA mit Normen begründen lassen, die außerhalb ihrer Charta liegen, ist von vornherein eine wichtige Klarstellung geboten: Die Weltbank kann sich nicht mit dem Argument ihrer Menschenrechtspflichtigkeit entziehen, dass ihre Tätigkeit ausschließlich ihrer eigenen Rechtsordnung, mithin dem Bankrecht unterstehe.394 Es entsprach dem Willen der Gründungsmitglieder von IBRD und IDA, diese Institutionen als internationale Organisationen mit Völkerrechtspersönlichkeit zu schaffen. Als solche unterliegen sie jedenfalls den allgemeinen Regeln des Völkerrechts sowie Rechtssätzen des Völkergewohnheitsrechts. Als Rechtsgrundlage für die völkerrechtliche Begründung menschenrechtlicher Pflichten der Weltbank kommt daneben Völkervertragsrecht in Betracht. 1. Völkervertragsrechtlich begründete Menschenrechtspflichten der Weltbank a) Unmittelbare Bindungswirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge Vertragspartei internationaler Menschenrechtsverträge, deren Gewährleistungen menschenrechtliche Beachtungs-, Schutz- und Verwirklichungspflichten erzeugen, können bisher nur einzelne Staaten sein. Gemäß Art. 26 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV)395 bindet 393 Ausführlich zu dieser Frage siehe die in Anm. 345 aufgeführten Monographien. 394 Zu dem Streit, wie sich das interne Recht einer Internationalen Organisation zum Völkerrecht verhält, siehe Matthias Mosler, Finanzierung durch die Weltbank, 1987, S. 118 ff. 395 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl. II 1985, S. 926.

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ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich die Vertragsparteien. Aus Art. 34 WÜRV folgt, dass ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Rechte noch Pflichten begründet. Der pacta tertiis-Grundsatz, der auch auf menschenrechtliche Verträge Anwendung findet, muss für Völkerrechtssubjekte, die schon nach dem Wortlaut der Übereinkommen nicht Vertragspartei sein können, erst recht gelten. Eine unmittelbare Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank-Entwicklungshilfe begründen internationale Menschenrechtsabkommen für die Weltbank somit nicht. b) Abgeleitete Bindungswirkung völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge: das Mitgliedsstaatenargument Heißt das aber, dass diese Übereinkommen für die Entwicklungsförderung der Weltbank bedeutungslos sind? Denkbar wäre es, eine Bindung von IBRD und IDA an völkervertraglich gewährleistete Menschenrechte über die Mitgliedsstaaten der Weltbank zu konstruieren.396 Dem steht aber entgegen, dass nicht hinsichtlich aller internationalen Menschenrechtsverträge eine Deckungsgleichheit ratione personae zwischen den Mitgliedern der Weltbank einerseits und universellen Menschenrechtsabkommen andererseits besteht. Eine indirekte Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank lässt sich allerdings teilweise über ihre Mitgliedstaaten schaffen. Die Exekutivdirektoren der Weltbank, welche von den Mitgliedstaaten ernannt wurden, die internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert haben, sind nämlich in ihrem Stimmverhalten397 an die Rechtspflichten gebunden, die aus diesen Verträgen resultieren. Die „Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights“ von 1997 haben dies bezüglich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte ausdrücklich klargestellt: „The obligations of States to protect economic, social and cultural rights extend also to their participation in international organizations, where they act collectively. It is particularly important for States to use their influence to ensure that violations do not result from the programmes and policies of the organizations of which they are members.“398

Gleiches muss aber angesichts der Wechselbeziehung und gegenseitigen Abhängigkeit aller Menschenrechte auch für politische und bürgerliche Rechte gelten. 396 Die IBRD zählt 184 Mitglieder (Stand: Dezember 2004); für eine Auflistung aller Mitglieder siehe die Website der Weltbank, . – Der IDA gehören 165 Mitgliedstaaten an (Stand: Dezember 2004); siehe ebd. 397 Die Exekutivdirektoren sind für die Führung der Geschäfte der Bank verantwortlich. Abstimmungen finden nach dem Prinzip der Stimmenwägung (weighted voting) unter Berücksichtigung der gezeichneten Kapitalanteile statt. 398 Maastricht Guidelines, Para. 19.

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c) Die Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank aufgrund der Stellung von IBRD und IDA im System der Vereinten Nationen: das Sonderorganisationsargument Eine Menschenrechtspflichtigkeit der Weltbank-Entwicklungsförderung könnte aus dem bedeutendsten aller völkerrechtlichen Verträge, der Charta der Vereinten Nationen folgen. Sie erzeugt in Artikel 55c die Pflicht der Vereinten Nationen, die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern. Nach Art. 56 UN-Charta sind die Mitgliedstaaten der UNO verpflichtet, untereinander und mit den Vereinten Nationen die in Artikel 55 festgesetzten Ziele zu erreichen. Daneben kennt die Charta der Vereinten Nationen weitere moralische und politische Förderungspflichten.399 Fraglich ist, ob diese Normen auch für die Weltbank Menschenrechtspflichten begründen können. Eine Bindung von IBRD und IDA an die Charta der Vereinten Nationen könnte aus der Stellung dieser Institutionen im System der UNO folgen.400 Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hat 1947 mit den Vereinten Nationen ein Beziehungsübereinkommen abgeschlossen, durch das sie als Sonderorganisation der UN errichtet worden und dadurch mit dieser in Verbindung getreten ist.401 1961 wurde die Internationale Entwicklungsorganisation Sonderorganisation der Vereinten Nationen.402 Eine im Schrifttum verbreitete Ansicht leitet aus der Stellung der Weltbank im System der Vereinten Nationen eine Völkerrechtspflicht der Bank ab, nicht zu Menschenrechtsverletzungen beizutragen. So trägt zum Beispiel de Feyter vor: „As with any other specialised agency, the commitment to the objectives of international economic and social co-operation as set out in the UN Charter implies a duty not to contribute to violations of human rights.“403 399

Vgl. z. B. Weigeldt, S. 235. Zum Verhältnis der Weltbank zu den Vereinten Nationen siehe Shihata, World Bank Legal Papers, Chapter 32: The Relationship Between the United Nations and the World Bank, S. 799–813. 401 Agreement Between the United Nations and the International Bank for Reconstruction and Development, November 15, 1947, UNTS 16 (1948), S. 346. 402 Agreement Between the United Nations and the International Development Association. Approved by the Board of Governors of the International Development Association on 24 February 1961 and by the General Assembly of the United Nations on 27 March 1961, UNTS 394 (1961), S. 222. 403 De Feyter, World Development Law, S. 272. Siehe auch Daniel Bradlow, Symposium: Social Justice and Development: Critical Issues Facing the Bretton Woods System: The World Bank, the IMF, and Human Rights, in: Transnational Law & Contemporary Problems 6 (1996), S. 47 (63). Bradlow argumentiert ebenfalls, dass die Weltbank als Sonderorganisation der Vereinten Nationen verpflichtet sei, in Übereinstimmung mit der UN-Charta zu handeln. 400

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

Danach wäre es der Weltbank untersagt, Projekte zu fördern, deren Menschenrechtsverträglichkeit nicht feststeht. Mit dieser Unterlassungspflicht würde die positive Pflicht von IBRD und IDA korrespondieren, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Beachtung internationaler Menschenrechte im Rahmen bankfinanzierter Projekte sichergestellt würde. Eine solche Maßnahme könnte sein, in die Safeguard Policies eine Bestimmung über eine projektbezogene MVP im vorbeschriebenen Sinne aufzunehmen. Aus der UN-Charta als solcher folgt jedoch keine unmittelbare Rechtspflicht der Weltbank, die Menschenrechte ungeteilt zu fördern, zu achten und zu schützen. Die Charta erzeugt in Arttikel 55c und 56 die Pflicht der Vereinten Nationen und ihrer Mitglieder, die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern. Mitglied der Vereinten Nationen ist die Weltbank, die ein eigenständiges, von ihren Mitgliedstaaten zu unterscheidendes Völkerrechtssubjekt ist, nicht. Folglich kann die UN-Charta für sie auch keine unmittelbaren Rechtspflichten erzeugen. Auch Art. 103 UN-Charta, der den Vorrang der Charta vor anderen von Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen festschreibt, kann somit für die Weltbank selbst nicht gelten.404 Dass die Weltbank als Sonderorganisation der Vereinten Nationen keine aktiven Maßnahmen ergreifen darf, die die Ziele der Weltorganisation unterminieren, steht bei alledem allerdings außer Frage. Insofern besteht also eine gewisse – wenn auch nach wie vor vage – mitgliedschaftliche Pflicht der Bank, die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte durch ihre Entwicklungsaktivitäten nicht zu vereiteln. 2. Völkergewohnheitsrechtlich begründete Menschenrechtspflichten der Weltbank Abschließend stellt sich die Frage, ob die Weltbank aufgrund von Völkergewohnheitsrecht zur ungeteilten Förderung und zum Schutz internationaler Menschenrechte und damit möglicherweise zur Durchführung einer projektbezogenen Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung verpflichtet ist. Die in Art. 55c UN-Charta normierte Pflicht, die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern, ist heute als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt bzw. als allgemeiner Völkerrechtsgrundsatz anzusehen, der für alle Völkerrechtssubjekte, also nicht nur 404 Art. 103 UN-Charta besagt: „Widersprechen sich Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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für Staaten, gilt. Sie folgt aus dem Grundgedanken des Schutzes der Menschenrechte, der im geltenden Völkerrecht alle Rechtsgebiete durchzieht und entsprechend in allen Lebensbereichen zu berücksichtigen ist.405 Eine Grundlage für eine allgemeine Pflicht zur Achtung und Förderung von Menschenrechten bildet darüber hinaus das Menschenwürdeargument, das zum Beispiel in Art. 1 AEMR festgeschrieben ist.406 Oloka-Onyango und Udagama leiten daraus die folgende Beachtungspflicht ab, die danach auch für die Weltbank gilt: „Under article 1 [der AEMR; Anm. d. Verf.] it is incumbent upon individuals, institutions or organizations involved in the formulation of international trade, investment and finance policy to be mindful of the impacts on human dignity that those policies may have. Not to do so places them in contravention of the obligation imposed under this universal standard.“407

Die Weltbank kommt dieser Einstellungs- bzw. Beachtungspflicht mit ihren Safeguard Policies – jedenfalls teilweise – heute schon nach. Fraglich ist, welche Konsequenzen sich aus der Pflicht zur Förderung und Respektierung aller Menschenrechte für die Weltbank und andere Institutionen der Entwicklungshilfe im Einzelnen ergeben. Im geltenden Völkerrecht wird man vergeblich eine Antwort auf diese Frage suchen. Das Völkerrecht hat bislang – sieht man einmal von der allgemeinen Beachtungs- und Förderungspflicht ab – nämlich noch keine konkreten Menschenrechtspflichten nichtstaatlicher Akteure entwickelt. Diesbezüglich bedarf es erst noch einer Konkretisierung.

D. Zusammenfassende Würdigung Es steht außer Frage, dass die Weltbank mit ihren Safeguard Policies wichtigen Belangen des projektgebundenen Menschenrechtsschutzes Rechnung trägt. Insbesondere die Bankvorschriften über unfreiwillige Umsiedlungen und indigene Völker tragen wesentlich dazu bei, Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Dislokationen und ihren nachteiligen Folgen schützen, operabel zu machen und dadurch zu sichern. Ihre diesbezügliche Funktion und Wirkung wird durch die Arbeit des Inspection Panels maßgeblich unterstützt und verstärkt. Die Schutzvorschriften stellen gleichzeitig bedeutsame Instrumente dar, das erklärte Entwicklungsziel der Weltbank zu erreichen, das darauf gerichtet ist, eine umfassende menschliche Entwicklung zu fördern, die wirt405

Vgl. diesbez. Hobe/Kimminich, S. 392. Art. 1 S. 1 AEMR lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ 407 Human rights as the primary objective, Para. 14. 406

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

schaftliche, soziale, kulturelle und politische Interessen zu einem gerechten Ausgleich bringt. Damit setzt die Weltbank wesentliche Aspekte des „Rechts auf Entwicklung“ um, die in der gleichnamigen Erklärung festgeschrieben sind. Letztere kann für die Weltbank zwar keine unmittelbare Rechtspflicht erzeugen, da sie bisher juristisch nicht verbindlich ist. Das „Recht auf Entwicklung“ ist aber für die Entwicklungshilfearbeit der Weltbank und anderer internationaler Entwicklungshilfeinstitutionen dennoch nicht bedeutungslos. Es ist vielmehr mit Paul als ein – wenn auch rechtlich nicht durchsetzbares – Mandat im Sinne eines an die maßgeblichen Akteure eines Entwicklungsprozesses gerichtetes Gebot anzusehen, in diesem Menschenrechte zu fördern und zu schützen. Das „Recht auf Entwicklung“ ist danach „the ‚inalienable human right‘ of peoples affected by ‚development processes‘ to realize existing, universally recognized human rights in and through ‚development processes‘, and it is the duty of those who control these processes to protect and promote those rights.“408

Diesen Auftrag erfüllt die Weltbank, wie gezeigt, jedenfalls teilweise heute schon. Die Auftragsausführung ist aber – insbesondere wegen der aufgezeigten Schwächen ihrer Schutzvorschriften, was die Sicherung von Menschenrechten und den damit einhergehenden Pflichten anbetrifft – nicht kritiklos hinzunehmen. IBRD und IDA müssen sich vielmehr unter anderem vorhalten lassen, dass die Position, welche sie bezüglich der Aufnahme einer Menschenrechtsverträglichkeitsklausel in die Safeguard Policies vertritt, politisch motiviert ist; einer Prüfung am Maßstab des Organisationsrechts der Bank hält sie nicht stand. So hat die Analyse ihrer Gründungsverträge gezeigt, dass es der Weltbank aufgrund ihrer Statute nicht untersagt ist, Fragen der Menschenrechtsverträglichkeit ihrer Projektfinanzierung im Einzelfall gesondert zu prüfen und zur Bedingung einer Förderung zu machen, dass sich der Kreditnehmer an die Verpflichtungen hält, denen er auf Grund des Völkerrechts im Hinblick auf die Respektierung von Menschenrechten unterliegt. Insbesondere findet sich auch keine rechtlich plausible Begründung dafür, warum die Bank berechtigt sein soll, eine Kreditvergabe von der Einhaltung umweltpolitischer Völkerrechtspflichten potenzieller Kreditnehmer abhängig zu machen, ihr dasselbe Vorgehen aber hinsichtlich völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten verwehrt sein soll. Die Abgrenzung nach den Kriterien politisch/apolitisch überzeugt in diesem Zusammenhang nicht. Auch das Mandat der Weltbank zum Schutz der Umwelt, das heute im Grundsatz akzeptiert ist,409 kann nicht zu unterschät408 409

Vgl. Paul, Right to Development, S. 33. Vgl. Dolzer, Umweltbelange, S. 73–87.

2. Kap.: Menschenrechtssicherung durch Recht und Praxis der Weltbank

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zende politische Wirkungen haben. Dennoch hält die Bank es – gemessen an den Gründungsverträgen – für „verfassungsgemäß“. Die Frage der Zulässigkeit einer Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung lässt sich überzeugender auf der Grundlage einer ökonomischen Betrachtungsweise beantworten. Danach ist zu fragen, ob die Verletzung der Menschenrechte, um deren Einhaltung es im Rahmen bankfinanzierter Projekte geht, auch wirtschaftlich messbar ist. Bejahendenfalls wäre es als wirtschaftlicher Gesichtspunkt im Sinne der Neutralitätsklausel anzusehen, die Förderung eines Projekts von ihrer Beachtung abhängig zu machen. Auf die Missachtung der Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, trifft dies, wie gezeigt, regelmäßig zu. Aus alledem ist – in Beantwortung der Ausgangsfrage – festzuhalten, dass die Gewährleistung international anerkannter Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, durch die Einbindung der Weltbank und anderer multilateraler Finanz- und Entwicklungshilfeinstitutionen sichergestellt werden kann. Effektiv lässt sich die Implementierung menschenrechtsschützender Völkerrechtsnormen dadurch aber nur garantieren, wenn der Menschenrechtsschutz dieser Organisationen nicht nur wirtschaftlich motiviert ist, da dies die Gefahr einer Abweichung von anerkannten Menschenrechtsstandards im Einzelfall aus wirtschaftlichen Gründen in sich birgt. Ein Tätigwerden der Weltbank und anderer Entwicklungsakteure im Bereich des – projektbezogenen – Menschenrechtsschutzes müsste vielmehr aus deren Überzeugung herrühren, zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte auch rechtlich verpflichtet zu sein, was Paul schon vor mehr als zehn Jahren gefordert hat: „[T]he human rights obligations of ‚development actors‘ – state agencies, IDAs [International Development Agencies, Anm. d. Verf.] and those who act under their auspices – should now be treated as binding legal (as well as moral) duties; there is no discretion to ignore this mandate.“410

Zu dieser Überzeugung müssen neben (zwischen)staatlichen Einrichtungen auch private Akteure wie Banken und multinationale Unternehmen gelangen.411 Der Compliance and Advisor Ombudsman der Internationalen 410

Paul, Right to Development, S. 19. Zu der Diskussion, ob multinationale Unternehmen und andere private Akteure Träger völkerrechtlich begründeter Menschenrechtspflichten sind, siehe David Kinley/Junko Tadaki, From Talk to Walk: The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at International Law, in: Virginia Journal of International Law 44 (2004), S. 931–1021; Schmalenbach, S. 57–81; Michael K. Addo, Human rights standards and the responsibility of transnational corporations, 1999. Siehe auch die Human Rights Principles and Responsibilities for Transnational Corporations and Other Business Enterprises der Vereinten Nationen, die mit einer 411

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2. Teil: Die Durchsetzung und Sicherung materieller Menschenrechte

Finanzkorporation hat hierauf in einem Paper zum Thema „Business and Human Rights“ vom November 2002 ausdrücklich verwiesen: „Just as the development of human rights law was initially a response to the power of the state, so it now needs to respond to the emerging power of business to effect the lives of millions of people around the world. The rights and power of business need to be balanced with responsibility.“412

Erste Anzeichen in diese Richtung sind – insbesondere bezüglich der Finanzierung von Investitionen im Privatsektor – schon zu erkennen, obgleich die Selbstverpflichtungen der oben erwähnten privaten Finanzinstitutionen im Umwelt- und Sozialbereich fast immer mit dem Zusatz erfolgen, dass diese freiwillig und ohne rechtliche Bindung eingegangen worden seien. Eine effektive und umfassende Sicherung von Menschenrechten, und zwar insbesondere auch solcher, die vor den nachteiligen Folgen von Entwicklungsvorhaben schützen, zu denen die negativen Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen zählen, lässt sich aber ohne die – auch rechtlich durchsetzbare – Verpflichtung nicht-staatlicher Akteure zum Menschenrechtsschutz langfristig nicht garantieren.413

Kommentierung enthalten sind in: UN Doc. E/CN.4/Sub. 2/2002/WG.2/WP.1/ Add. 2, 3. Juni 2002. 412 CAO, Business and Human Rights, S. 1, der aus einem Newsletter von Amnesty International, Spring/Summer 2001, zum Thema „Voluntarism v Regulation – the greater debate“, Human Rights & Business Matters zitiert. 413 In diesem Sinne hat auch Shelton in ihrem Aufsatz über die Folgen der Globalisierung für den Menschenrechtsschutz gefolgert: „Globalization has created centers of power that are alongside, even in competition with the power of states. Accountability for human rights violations and prevention of future ones must today and in the future take into account these non-state actors: the media, corporations, and international organizations such as the WTO and the World Bank. States and their agents are no longer the only or sometimes even the key actors responsible for ensuring that human rights and freedoms are guaranteed.“ Dinah Shelton, Protecting Human Rights in a Globalized World, in: Boston College International and Comparative Law Review 25 (2002), S. 273 (321).

Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen I. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Völkerrecht das Phänomen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen und deren nachteilige Folgen zur Kenntnis genommen hat und den Betroffenen einen normativen Menschenrechtsschutz angedeihen lässt. Die Entwicklungsförderung stellt somit keinen völkerrechtlichen Freiraum mehr dar. Entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen stehen vielmehr unter dem Vorbehalt der Grenzen des geltenden Menschenvölkerrechts. II. In der positiven Völkerrechtsordnung haben sich zwar noch keine Normen herausgebildet, die ausdrücklich ein Menschenrecht verbürgen, das speziell gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist. Menschenrechte, die explizit vor Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken schützen, sind bisher nur in den UN Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-based Displacement, den Guiding Principles on Internal Displacement des Vertreters für Binnenvertriebene des UN-Generalsekretärs, den International Law Principles on Internally Displaced Persons der Völkerrechtsgesellschaft (ILA) und ähnlichen Erklärungen und Richtlinien festgeschrieben, die allesamt nicht rechtsverbindlich sind. Es lässt sich aber im internationalen Menschenrechtsschutz sowohl auf universeller als auch auf regionaler Ebene ein Bestand an juristisch verbindlichen Normen aufweisen, denen Menschenrechtsgarantien zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen zu entnehmen sind. Hierzu zählen sowohl Bestimmungen, die individualrechtlich schützen, wie auch spezielle Vorschriften des Minderheitenschutzrechtes. Letztere räumen Bevölkerungsgruppen, welche eines Sonderschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bedürfen, kollektivrechtliche Schutzpositionen gegenüber unfreiwilligen Umsiedlungen ein.

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Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen

III. Den Kern individuell ausgeprägter Menschenrechte zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bilden das internationale Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit, das Recht auf Achtung der Wohnung und das Eigentumsrecht. Diese Grundrechte sind mit Ausnahme des letzteren, welches als solches in universellen Menschenrechtsübereinkommen nicht explizit gewährleistet ist, im internationalen Menschenrechtsschutz auf universeller wie regionaler Ebene völkervertraglich garantiert. Sie verbürgen ein menschenrechtliches Bleiberecht (right to stay; right to remain), das als Abwehrrecht gegen zwangsweise Entfernungen von Personen aus ihren Wohnstätten, von ihrem Grund und Boden und/oder aus ihrem Wohngebiet ( forced evictions) gerichtet ist. Die Vertragsorgane internationaler Menschenrechtskonventionen, Organe und Berichterstatter bzw. Vertreter der Vereinten Nationen sowie internationale Völkerrechtsorganisationen haben in den vergangenen Jahren wesentlich dazu beigetragen, Inhalt und rechtliche Tragweite von Menschenrechtsgarantien, die gegen Zwangsentfernungen gerichtet sind, nach den maßgeblichen Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes zu klären. Danach steht fest, dass das menschenrechtliche Bleiberecht, welches diesen Bestimmungen zu entnehmen ist, grundsätzlich auch Personen zugute kommt, die von einer entwicklungsbedingten Zwangsentfernung betroffen sind. Sie entfalten ihre Schutzwirkungen auch dann, wenn einzelne Personen von einer Massenzwangsentfernung betroffen sind. IV. Das Recht auf angemessene Unterbringung, das völkervertraglich explizit allein auf universeller Ebene, und zwar im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR), normativ geschützt ist, erfüllt hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen ebenfalls eine abwehrrechtliche Funktion. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass der IPWSKR das Recht auf angemessene Unterbringung der Gruppe der Menschenrechte der „zweiten Generation“ (WSK-Rechte) zuordnet. Denn die Ansicht, dass Menschenrechte der „zweiten Generation“, die in ihrer ursprünglichen Konzeption Anspruchs-, Forderungs- und Leistungsrechte markieren, keine unmittelbar anwendbaren Rechtspflichten erzeugen, kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Es hat sich vielmehr in den vergangenen Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten unteilbar und interdependent sind, dass der Realisierung, der Förderung und dem Schutz der

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bürgerlichen und politischen wie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte insbesondere auch im Hinblick auf die Förderung der Entwicklung gleiche Aufmerksamkeit und dringliche Beachtung zu schenken ist und dass die Zuordnungsadressaten völkerrechtlicher Menschenrechtsverpflichtungen hinsichtlich aller Menschenrechte drei Pflichten unterliegen: der Pflicht zu beachten (obligation to respect), der Pflicht zu schützen (obligation to protect) und der Pflicht, die Menschenrechte zu verwirklichen (obligation to fulfil). Das Recht auf angemessene Unterbringung ist demnach mehr als eine bloße Zielvorgabe für staatliches Handeln. Es begründet wie das Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit, das Recht auf Achtung der Wohnung und das Eigentumsrecht einen Individualanspruch, der darauf ausgerichtet ist, in Sicherheit, Würde und Frieden leben zu können. Dem Recht auf angemessene Unterbringung ist folglich eine Menschenrechtsgarantie immanent, nicht zwangsweise aus der Wohnung entfernt zu werden, wenn dies zum dauerhaften Verlust einer „angemessenen Unterbringung“ führt. Eine entsprechende Garantie ist nach der Jurisdiktion der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker der Banjul-Charta bei einer Gesamtschau der darin verbürgten Menschenrechte zu entnehmen. V. Völkerrechtliche Grundlage für ein menschenrechtliches Bleiberecht, das gegen Zwangsentfernungen bzw. unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet ist, sind nicht nur Normen des Völkervertragsrechts. Das Bleiberecht ist heute vielmehr auch völkergewohnheitsrechtlich garantiert. Die Rechtsrealität würde verkannt, wenn das „right to stay“ bzw. das Recht, nicht zwangsweise von der Wohnstätte entfernt zu werden, lediglich als ein Menschenrecht beschrieben würde, das sich in der Entstehung eines Grundsatzes des Völkergewohnheitsrechts befindet, dort aber noch keinen festen Platz eingenommen hat. Es rät nämlich nicht nur die Humanität davon ab, Menschen zwangsweise von ihrer (gewohnten) Umgebung zu entfernen und unter vielfach sehr erschwerten Lebensbedingungen an einem unvertrauten Ort neu anzusiedeln. Vielmehr ist es auch ein völkergewohnheitsrechtlich anerkanntes Gebot, von solchen Maßnahmen abzusehen. Eine diesbezügliche Rechtsüberzeugung (opinio juris) ist in Empfehlungen und Resolutionen verschiedener Organe und Gremien der Vereinten Nationen sowie in mehreren zwischenstaatlichen Abkommen jüngeren Datums dokumentiert. Sie betonen, dass jede Person das Recht hat, in ihrer eigenen Wohnung, auf ihrem Grund und Boden und in ihrem Land verbleiben und von dort nicht zwangsweise entfernt werden zu können bzw. dass vertriebene und

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Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen

auf sonstige Weise dislozierte Personen das Recht haben, in Sicherheit und Würde an ihren Ursprungsort zurückzukehren, wovon auf die Anerkennung eines Bleiberechts geschlossen werden kann. Die entsprechenden Abkommen dienen zugleich als Nachweis für eine gewohnheitsrechtsbildende Staatenpraxis. Während das menschenrechtliche Bleiberecht als solches heute völkergewohnheitsrechtlich gilt, sind dessen Inhalt und die Reichweite des Schutzes, den das völkergewohnheitsrechtlich gewährleistete „right to stay“ vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bietet, noch nicht abschließend geklärt. Die UN Comprehensive Human Rights Guidelines, die Guiding Principles on Internal Displacement und die International Law Principles on Internally Displaced Persons sowie die Umsiedlungsrichtlinien internationaler Finanzinstitutionen haben zwar in den vergangenen Jahren wesentlich zu deren Bestimmung beigetragen. Es ist aber fraglich, ob man die darin festgeschriebenen Standards bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ansehen kann. Eine diesbezügliche Entwicklung zeichnet sich angesichts der zunehmenden Umsetzung und Anwendung dieser Grundsätze und Richtlinien auf nationaler Ebene deutlich ab. Man wird jedenfalls festhalten können, dass die darin enthaltenen Garantien „Schwellenrechte“ darstellen, die schon in Kürze zu positivem Völkerrecht erstarken könnten. VI. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich nicht eindeutig beantworten lässt, ob ein spezielles „heimatrechtliches“ Bleiberecht als individuell ausgeprägtes Menschenrecht vom Völkergewohnheitsrecht geschützt ist. Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, wie man den Begriff der Heimat juristisch versteht. Ein allgemein anerkannter völkerrechtlicher Heimatbegriff existiert nicht. Nach dem engen Verständnis des Begriffs der Heimat, welches der vorliegenden Untersuchung zu Grunde liegt, ist es eher zweifelhaft, dass ein Individualrecht, in der „Heimat“ verbleiben und von dort nicht zwangsweise entfernt werden zu können, bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Angesichts der Vielzahl internationaler Erklärungen, die von einem Recht, in der „Heimat“ zu bleiben bzw. dorthin zurückzukehren, sprechen, lässt sich allerdings nicht ignorieren, dass „Heimat“ heute trotz oder vielmehr gerade wegen der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung an Bedeutung gewonnen hat und auch die Beziehung von Einzelmenschen zu ihrer persönlichen „Heimat“ als schützenswert und schutzbedürftig angesehen wird.

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VII. Die maßgebenden Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes, welche das Grundrecht auf Wohnsitzfreiheit, das Recht auf Achtung der Wohnung, das Eigentumsrecht und das Recht auf angemessene Unterbringung verbürgen, enthalten zwar allesamt ein menschenrechtliches Bleiberecht, das als Abwehrrecht vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützt. Ein absolutes „right to stay“ im Sinne eines unbeschränkbaren „Widerstandrechts“ (right to resist) gewährleisten diese Menschenrechte aber nicht. Die genannten Grundrechte sind samt des ihnen immanenten Bleiberechts vielmehr dadurch charakterisiert, dass der Entzug des durch sie geschützten Gutes – Wohnung, Wohnort, Immobiliar- und gegebenenfalls auch Mobiliareigentum – unter bestimmten Voraussetzungen als rechtmäßig anerkannt wird. Dies trifft auch auf die Fälle eines Rechtsgutentzuges durch entwicklungsbedingte Zwangsentfernungen zu. Die Garantie eines menschenrechtlichen Bleiberechts in den jeweiligen Bestimmungen des internationalen Menschenrechtsschutzes ist daher nicht als absolute Bestandsgarantie, sondern als Recht zu verstehen, nicht „willkürlich“ zwangsweise von der Wohnung, dem Grund und Boden und/oder dem Wohngebiet entfernt zu werden. VIII. Der italienische Rechtsphilosoph Norberto Bobbio hat „das unaufgebbare Recht des Einzelnen gegenüber jeder Art von Menge, Masse oder Gemeinschaft“ zu seinen ethischen und politischen Grundkategorien gezählt.1 Der Wert, „der gegenüber dem Staat, der alles sein will, hervortritt“, sei das Individuum.2 Die Analyse des internationalen Menschenrechtsschutzes vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen hat deutlich gemacht, dass dem eine weitere Grundkategorie hinzuzufügen ist: das Recht einer Minderheit, d.h. einer Gruppe von Staatsangehörigen, „die numerisch kleiner als der Rest der Bevölkerung eines Staates ist, sich in einer schwächeren Position befindet und bestimmte ethnische, religiöse oder sprachliche Eigenschaften besitzt, die sie vom Rest der Bevölkerung unterscheidet“3, gegenüber der Allgemeinheit, in deren Interesse Entwicklungsvorhaben liegen, mit denen Zwangsumsiedlungen einhergehen. Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass das Völkerrecht den Eigenwert der ethnischen Identität und 1 Vgl. „Wir wissen immer weniger“, Interview mit Norberto Bobbio über universale Menschenrechte, die Macht der Religion und die Zukunft der Aufklärung in: DIE ZEIT, 29. Dezember 1999, Nr. 1, S. 41. 2 Ebd. 3 Hobe/Kimminich, Kap. 15, S. 430.

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Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen

Integrität anerkennt und Minderheiten individual- wie kollektivrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen angedeihen lässt. IX. Indigenen Völkern kommt aufgrund des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation über eingeborene Bevölkerungsgruppen eine Sonderbehandlung zu. ILO-Übereinkommen 169 enthält als einziges minderheitenschutzrechtliches Instrument neben Bestimmungen, denen Schutzgarantien bezüglich Eigentums- und Besitzrechten, traditionell genutztem Grund und Boden sowie natürlicher Ressourcen zu entnehmen sind, eine ausdrückliche Umsiedlungsvorschrift (Artikel 16). Sie normiert ein Zwangsentfernungsverbot indigener Völker aus ihrem Siedlungsgebiet, aus dem ein kollektives Bleiberecht folgt. Dieses ist wie das individuell ausgeprägte Bleiberecht nicht absolut. Es kann vielmehr unter Beachtung der in Artikel 16 festgeschriebenen sowie ungeschriebener Voraussetzungen eingeschränkt werden. Die Möglichkeit einer – auch entwicklungsbedingten – Zwangsumsiedlung hängt danach insbesondere von der Beachtung verfahrensrechtlicher Mindestanforderungen ab, wie der Beteiligung der betroffenen eingeborenen Bevölkerungsgruppe an dem Entscheidungsfindungs- und Umsiedlungsprozess. Die Schutzwirkung von ILO-Übereinkommen 169 gegenüber entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen könnte dadurch erweitert werden, dass auch Staaten, auf deren Territorium keine indigenen Bevölkerungsgruppen leben, dieses Abkommen ratifizieren. Sie würden dann nämlich unter anderem der Verpflichtung unterliegen, ihre Entwicklungszusammenarbeit an den in ILO-Übereinkommen 169 enthaltenen Schutzbestimmungen zu orientieren. X. Den Kern der Minderheitenschutzrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und ihren nachteiligen Folgen schützen, bildet das Recht einer Minderheitengruppe sowie ihrer Angehörigen auf physische und kulturelle Existenz, die Sicherung ihrer kulturellen Identität und Integrität sowie das Recht auf Eigenständigkeit im Sinne einer frei gewählten, selbstständigen Daseinsgestaltung. 1. Die Verwendung der Begriffe „Entwicklungsvölkermord“ (developmental genocide), „Entwicklungsethnozid“ (developmental ethnocide) und „Ent-

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wicklungs-Säuberung“ (development cleansing) zur Beschreibung von Fällen, die vernichtende Folgen für den physischen und kulturellen Fortbestand der von einer Zwangsumsiedlung betroffenen Minderheitengruppe haben, ist kaum geeignet, diese Fälle völkermenschenrechtlich voll zu erfassen. a) Schutzzweck des Völkermordverbotes, das völkervertraglich und -gewohnheitsrechtlich gilt, ist zwar das Recht einer „nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen“ Gruppe auf physische Existenz (right to physical existence). Das Genozidverbot kommt deshalb prinzipiell als Grundlage für ein völkerrechtliches Gruppenrecht auf physischen Fortbestand in Betracht, das auch gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist, die zur Vernichtung der betroffenen Gruppe bzw. ihrer Angehörigen führen würde. In der Praxis wird sich eine betroffene Gruppe in der überwiegenden Zahl entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen jedoch nicht auf diese Schutzbestimmung berufen können. Denn die Qualifizierung einer unfreiwilligen Umsiedlung als Völkermord setzt den Nachweis einer speziellen Zerstörungsabsicht voraus. Er kann aber nur gelingen, wenn Beweise vorliegen, dass die – wenn auch schleichende – Vernichtung der betroffenen Minderheitengruppe beabsichtigt war. Die Zwangsumsiedlung muss danach planmäßig – jedenfalls auch – gerade zu dem Zweck erfolgen, die Gruppe als Gruppe wegen ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Andersartigkeit zu zerstören. Auch bei einer großzügigen Lesart des subjektiven Völkermordtatbestandes, die im Interesse eines größtmöglichen Minderheitenschutzes geboten sein mag, kann es zur Bejahung der Völkermordabsicht nicht ausreichen, wenn die Zwangsumsiedlung „lediglich“ Bestandteil einer staatlichen Entwicklungspolitik ist, ohne dass eine weiter gehende Absicht erkennbar ist. b) Fälle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen, die auf die Zerstörung der kulturellen Existenz der betroffenen Minderheitengruppe (Ethnozid) abzielen, sind nicht vom völkerrechtlichen Genozidverbot erfasst. Handlungen, die zu Umsiedlungen ohne körperliche Zerstörung führen, sind nämlich – nach allerdings umstrittener Ansicht – nicht unter den objektiven Tatbestand des „Völkermordes“ zu subsumieren. Das Völkermordverbot scheidet daher als Grundlage eines Gruppenrechts auf kulturellen Fortbestand zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen, die einen Angriff auf den kulturellen Fortbestand der betroffenen Gruppe darstellen, aus.

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Gesamtergebnis: Zusammenfassung in Thesen

c) Die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bemühen sich seit vielen Jahren, den rechtlichen Schutz eingeborener Bevölkerungsgruppen u. a. vor Angriffen auf deren physische und kulturelle Integrität und Identität zu normieren. Die Proposed American Declaration of Rights of Indigenous Peoples der OAS von 1997 schreibt ein explizites Verbot staatlicher bzw. staatlich geförderter Maßnahmen fest, die zur Zerstörung der Kultur bzw. der Vernichtung eines indigenen Volkes führen. Sie garantiert daneben ausdrücklich ein Recht indigener Völker auf kulturelle Integrität. Die Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples aus dem Jahre 1993 räumt indigenen Völkern ebenfalls ein Individual- wie Kollektivrecht zum Schutz vor Ethnozid und kulturellem Genozid ein. Die noch unverabschiedete American Declaration entfaltet schon heute unter anderem dadurch erste rechtliche Wirkungen, dass sich oberste Gerichte lateinamerikanischer Länder offiziell auf sie berufen. Auch die UN-Erklärung zeitigt bereits Wirkungen auf die aktuelle Politik verschiedener Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Erklärungen sind aber noch nicht Bestandteil des geltenden Völkerrechts. 2. Rechtlich verbindliche Schutzbestimmungen hinsichtlich entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen zu Gunsten von Minderheitengruppen und deren Angehörigen enthält Art. 27 IPBPR. Diese Vorschrift stellt die Kernnorm des internationalen Menschenrechtsschutzes zum Schutz der kulturellen Integrität und Identität einer Minderheitengruppe dar. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat durch seine Spruchpraxis maßgeblich zur Klärung der Frage beigetragen, welche Garantien Art. 27 IPBPR hinsichtlich entwicklungsfördernder Maßnahmen, die sich nachteilig auf den kulturellen Fortbestand von Minderheitengruppen auswirken, zu entnehmen sind. Danach steht zunächst fest, dass vom Recht auf die Pflege des kulturellen Lebens, welches Art. 27 IPBPR verbürgt, kulturelle Praktiken im weitesten Sinne umfasst sind. Die Schutzpflicht, welcher Staaten auf Grund Art. 27 IPBPR unterliegen, erstreckt sich auch auf wirtschaftliche Aktivitäten einer Minderheitengruppe, sofern diese Teil der kulturellen Identität und Integrität der betroffenen Minderheitengruppe sind. Vom Schutzbereich des Art. 27 IPBPR ist daher auch eine besondere Lebensweise umfasst, die mit traditionellen Formen der Nutzung von Landressourcen zusammenhängt.

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Art. 27 IPBPR schützt zwar nicht absolut vor jeder Art von Entwicklungsmaßnahmen, die sich auf das kulturelle Leben einer Minderheitengruppe auswirken. Ein Entwicklungsvorhaben, mit dem eine Zwangsumsiedlung einhergeht, ist aber mit den Schutzbestimmungen des Art. 27 IPBPR unvereinbar, wenn die Dislokation zur Folge hat, dass die betroffene Minderheitengruppe bzw. ihre Angehörigen nach der Umsiedlung ihre Kultur nicht mehr ausüben können. In den Fällen, in denen die Zwangsumsiedlung die Rechte des Art. 27 IPBPR zwar beeinträchtigt, aber nicht vereitelt, hängt deren Zulässigkeit von dem Ergebnis einer sorgfältigen Interessenabwägung ab. Der Streit über die dogmatische Struktur des Art. 27 IPBPR (Gruppenoder Individualrecht) hat durch die Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses an Bedeutung verloren. Danach steht fest, dass sowohl Einzelne als auch mehrere Angehörige einer Minderheitengruppe zusammen bei dem Ausschuss eine Individualbeschwerde einreichen können, mit der sie eine Verletzung der Rechte des Art. 27 IPBPR geltend machen. 3. In den zentralen Vertragswerken des regionalen Menschenrechtsschutzes besteht eine Regelungslücke hinsichtlich des normativen Schutzes kollektiver Rechte auf Bestandschutz, Achtung, Schutz und Förderung der kulturellen Identität sowie auf wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit einer Minderheitengruppe. Die Rechtsprechungsorgane von EMRK und AMRK lassen Minderheitengruppen aber auf der Grundlage ursprünglich rein individuell ausgeprägter Menschenrechte einen – jedenfalls indirekten – Schutz angedeihen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Horno-Urteil festgestellt, dass das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Wohnung (Art. 8 EMRK) auch das Recht einer Minderheit auf ihren besonderen Lebensstil umfasst. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof (AGMR) hat im Awas-Tingni-Fall entschieden, dass die Eigentumsgarantie des Art. 21 AMRK als Schutzbestimmung auch zu Gunsten indigener Bevölkerungsgruppen anzusehen sei. Nach der Lesart des AGMR ist Art. 21 AMRK ein kollektiver Gehalt, nämlich das Recht auf Gemeinschaftseigentum, zu entnehmen. Hierauf können sich Minderheitengruppen bzw. deren Angehörige künftig in den Fällen entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen berufen. 4. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker stellt eine weitere wichtige Grundlage für den internationalen Minderheitenschutz vor entwicklungs-

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bedingten Zwangsumsiedlungen dar. Während über die rechtliche Qualifizierung des Selbstbestimmungsrechts heute Einigkeit besteht, ist nach wie vor nicht ganz deutlich, welche dogmatische Struktur die Bestimmung der Art. 1 IPBPR bzw. IPWSKR hat, welche das Selbstbestimmungsrecht garantieren. Auch ist umstritten, welcher materielle Gehalt diesem Recht in seiner völkervertraglichen wie -gewohnheitsrechtlichen Ausgestaltung zu entnehmen ist. Für die Beantwortung dieser Streitfragen ist eine Interpretation des Selbstbestimmungsrechts zu wählen, die der Gesamtrichtung der dogmatischen Entwicklung entspricht. Diese ist maßgeblich von der Fortentwicklung der Menschenrechte und der Erkenntnis geprägt, dass Menschenrechte Kernelemente des Entwicklungsprozesses sind. Danach folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ein spezifischer Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen. a) Dem Selbstbestimmungsrecht lassen sich im Wesentlichen drei Minderheitenrechtsgarantien entnehmen, die für den Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bedeutsam sind: • ein kollektiv ausgeprägtes heimatrechtliches Bleiberecht; • das Recht eines selbstbestimmungsberechtigten Volkes auf Sicherung seiner Eigenständigkeit und Existenz, wozu das Recht eines „Volkes“ zählt, seine spezifischen Eigenarten zu pflegen und zu bewahren; sowie • das Recht eines selbstbestimmungsberechtigten Volkes, seine wirtschaftliche Entwicklung frei zu gestalten, was im Lichte der partizipationsrechtlichen Teilkomponente des „Rechts auf Entwicklung“ zu lesen ist und demzufolge – in seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung – die Möglichkeit der entwicklungsbedingten Umsiedlung einer selbstbestimmungsberechtigten Bevölkerungsgruppe von deren Zustimmung im Sinne eines free, prior and informed consent abhängig macht. Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt ferner das Verbot, ein selbstbestimmungsberechtigtes Volk unter Aufhebung seiner Rechte an traditionellen Ressourcen und dem angestammten Land zwangsweise umzusiedeln, wenn dies zum Entzug der Subsistenzgrundlage des betroffenen Volkes führt. Die genannten Garantien sind Bestandteil des internen Selbstbestimmungsrechts. Sie sind als Abwehrrechte gegen zwangsweise Entfernungen selbstbestimmungsberechtigter Völker von ihrem angestammten Siedlungsgebiet gerichtet.

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Das selbstbestimmungsrechtliche Bleiberecht ist allerdings nicht absolut. Ob einem selbstbestimmungsberechtigten Volk kraft dieses Rechts ein „Vetorecht“ im Sinne eines unbeschränkten „right to resist“ zusteht, oder ob das betroffene „Volk“ seine Selbstbestimmungsrechte und Interessen dem Allgemeininteresse an der Durchführung eines Entwicklungsvorhabens unterzuordnen hat, ist eine Abwägungsfrage. Sie ist von Fall zu Fall zu entscheiden. b) Auch die Beantwortung der Frage, wer Rechtsträger der Garantien des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, hat eine dem geltenden Völkerrecht angemessene Systemgerechtigkeit zu respektieren. Das Völkerrecht erkennt heute Minderheiten, insbesondere indigenen Völkern, individuelle wie kollektive Rechtspositionen zu. Die Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts, das konzeptionell aufs engste mit dem Territorium als Lebensgrundlage eines Volkes verbunden ist, sollte sich im Interesse eines bestmöglichen Schutzes von Minderheiten hinsichtlich der Komponenten, welche die Eigenständigkeit und Existenz eines „Volkes“ sichern, auch auf Minderheitengruppen erstrecken. Die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker erkennt indigenen Bevölkerungsgruppen ein Recht auf innere Selbstbestimmung innerhalb der jeweiligen staatlichen Ordnung zu. Es bleibt abzuwarten, ob die Erklärung letztendlich so verabschiedet wird. Die Erklärung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein Bestandteil der positiven Völkerrechtsordnung. XI. Das geltende Minderheitenschutzrecht lässt auch der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe (host population) einen menschenrechtlichen Schutz vor entwicklungsbedingten Ansiedlungen in ihr Siedlungsgebiet angedeihen. Die Interessen und Bedürfnisse der host community unterscheiden sich, was den Schutz vor Bedrohungen ihres physischen und kulturellen Fortbestands, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Selbstbestimmung sowie die Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Rahmen von Entwicklungsvorhaben anbetrifft, nicht wesentlich von den Interessen der umzusiedelnden Bevölkerungsgruppen. Die entsprechenden individuellen und kollektiven Menschenrechte stehen daher grundsätzlich auch der aufnehmenden Bevölkerungsgruppe zu. Sie sind durch das Recht auf die Sicherung der demographischen und kulturellen Integrität des Wohnungsumfelds insbesondere durch das interne Selbstbestimmungsrecht geschützt, das auch gegen die

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Politik der „Unterwanderung“ und „Verdrängung“ einer Bevölkerungsgruppe durch entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet ist. Die Ansiedlung einer fremden Bevölkerungsgruppe im Siedlungsgebiet einer altansässigen, ethnisch, kulturell oder religiös homogenen Volksgruppe ohne deren Zustimmung kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, dass dies im Interesse der Betroffenen erfolge, weil diesen dadurch geholfen würde, sich kulturell, sozial und wirtschaftlich zu entwickeln. Das Selbstbestimmungsrecht ist vielmehr im Lichte des Programmsatzes „Recht auf Entwicklung“ zu lesen, wonach Entwicklung ein umfassender Prozess ist, „der die ständige Steigerung des Wohls der gesamten Bevölkerung und aller Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer aktiven, freien und sinnvollen Teilhabe am Entwicklungsprozeß . . . zum Ziel hat.“ (Vgl. Erklärung zum Recht auf Entwicklung, Präambel, Uabs. 2). Was dabei unter Entwicklung bzw. Fortschritt zu verstehen ist, kann nicht einseitig staatlicherseits diktiert werden. Das Selbstbestimmungsrecht schützt vielmehr eine selbstbestimmungsberechtigte Bevölkerungseinheit auch davor, dass das Ob und Wie ihrer Entwicklung fremdbestimmt wird. XII. Für die Sicherung individueller wie kollektiver Menschenrechte, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, sind entwicklungsbezogene Partizipationsrechte wesentlich. Sie haben ihre normative Grundlage in völkervertraglich garantierten Beteiligungsrechten, die im Lichte des Programmsatzes „Recht auf Entwicklung“ als entwicklungsbezogene Partizipationsrechte auszulegen sind. Das „Recht auf Entwicklung“ ist zwar in der Gesamtheit, wie es in der gleichnamigen Erklärung der Vereinten Nationen von 1986 festgeschrieben ist, noch nicht als Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts anerkannt. Sein normatives Kernstück, das Recht auf Beteiligung an allen Phasen der Planung und Durchführung von Entwicklungsvorhaben, gilt allerdings heute schon völkergewohnheitsrechtlich. Es begründet für alle Völkerrechtssubjekte Verpflichtungen im Hinblick auf seine Respektierung im Zusammenhang mit entwicklungsbezogenen Aktivitäten. Noch nicht abschließend geklärt ist hingegen, welchen konkreten Inhalt die menschenrechtliche Partizipationsgarantie hat. Einigkeit scheint heute darüber zu bestehen, dass das Menschenrecht auf entwicklungsbezogene Beteiligung zunächst ein Recht auf informierte Konsultierung (right to prior, timely, and informed consultation) einräumt. Nach wie vor umstritten ist indes, ob auch das Zustimmungsgebot ( prior, free, and informed consent requirement) als Komponente des Rechts auf entwick-

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lungsbezogene Partizipation anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn man das Zustimmungsgebot nicht als schlichtes Vetorecht im Sinne eines bedingungslosen Abwehrrechts gleichsetzt, welches ein Recht gewährt, sich Entwicklungsvorhaben einschließlich seiner Folgen zu blockieren. Es verlangt vielmehr, dass Entscheidungsprozesse bezüglich Entwicklungsvorhaben, die Dislokationen zur Folge haben, auf der bereitwilligen Teilnahme aller am Entwicklungsgeschehen beteiligten Parteien durch ständige Verhandlungen nach Treu und Glauben beruhen und sich von der freien, vorangehenden und informierten Zustimmung der Betroffenen leiten lassen. Als geltender Rechtssatz des Völkermenschenrechts ist das Zustimmungsgebot im Sinne eines absoluten Vetorechts heute noch nicht anzusehen. XIII. Als Ergebnis der Untersuchung ist festzuhalten, dass das geltende Völkerrecht „willkürliche“ entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen verbietet. Eine Umsiedlung gilt demnach als „willkürlich“, wenn sie die Voraussetzungen für legitime Eingriffe in völkerrechtlich gewährleistete Menschenrechte nicht erfüllt. Hierzu gehören sowohl geschriebene als auch ungeschriebene, dem System des internationalen Menschenrechtsschutzes inhärente Schranken. Letztere umfassen unter anderem die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, zu denen auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zählt. Er gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz generell für den individuellen wie kollektiven Menschenrechtsschutz. Sein Geltungsgrund ergibt sich aus dem Wesen des Menschenrechtsgedankens selbst. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt im Zusammenhang mit der Frage, wie weit der rechtliche Schutz aktuell reicht, den völkerrechtlich gewährleistete Menschenrechte vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen bieten, eine besondere Bedeutung zu. Er begrenzt staatliche Eingriffe in diese Rechte darauf, was im zwingenden und überwiegenden Gemeinwohlinteresse erforderlich ist, um das streitgegenständliche Entwicklungsvorhaben zu realisieren. 1. Im Falle entwicklungsbedingter Zwangsumsiedlungen stehen sich regelmäßig zwei gegenläufige Interessen gegenüber. Dies ist zum einen das Streben des (souveränen) Staates nach Entwicklung, die meist mit Wirtschaftsfortschritt gleichgesetzt wird. Ihm können sich Menschen und Minderheitengruppen entgegenstellen, die bestrebt sind, gegebenenfalls traditionelle räumliche Bindungen aufrechtzuerhalten bzw. ihre Kultur, Tradition und Lebensweise zu bewahren. Im Falle indigener Völker kommt das Interesse

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an einer frei gewählten, selbstständigen Daseinsgestaltung hinzu. Während der Fortschritt von den einen als Chance angesehen wird, stellt er für andere eine Bedrohung dar. Die Untersuchung hat nun gezeigt, dass diese Interessen nach dem völkerrechtlichen Abwägungsgebot in einen „gerechten“ Ausgleich zu bringen sind. Eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen ist danach nur menschenrechtsgemäß, wenn das Gemeinwohlinteresse an der Umsetzung des jeweiligen Entwicklungsvorhabens höher zu gewichten ist als das menschenrechtlich geschützte Interesse der Betroffenen, in ihrer Wohnung, auf ihrem Grund und Boden und/oder in ihrem Wohnort bzw. Siedlungsgebiet zu verbleiben. Das Gemeinwohl ist – abstrakt gesprochen – das, was Frieden und Gerechtigkeit im Kreise der Rechtsgenossen gewährleistet. Hieran hat sich die Entscheidung, ob das Gemeininteresse so groß ist, dass die Interessen einzelner übergangen werden dürfen, auch im Falle einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung zu orientieren. Das Konzept der Gerechtigkeit ist im Völkerrecht noch nicht zu einem Abschluss gelangt. So bestehen nach wie vor Ungewissheiten darüber, welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung als „gerecht“ qualifiziert werden kann. Eine Antwort hierauf kann sich einerseits aus der Zusammenschau der Kriterien, welche die Vertragsorgane internationaler Menschenrechtsübereinkommen für die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in Menschenrechte aufgestellt haben, andererseits aus dem Programmsatz „Recht auf Entwicklung“ sowie dem Wesen des Menschenrechtsgedankens ergeben. Letzteres besteht darin, dem Einzelnen und heute auch Minderheitengruppen Rechte gegenüber den Interessen der Allgemeinheit zuzuweisen. 2. Daraus folgt zunächst, dass die Frage, ob ein Entwicklungsvorhaben, mit dem eine Zwangsumsiedlung einhergeht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, nicht allein auf der Basis einer makroökonomischen KostenNutzen-Rechnung nach dem Grundsatz des größeren Nutzens für die größere Anzahl von Menschen (the greater good for the larger number) bestimmen lässt. Als Maßstab für die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung ist vielmehr das Kriterium der gerechten Teilhabe an den Vorteilen eines Entwicklungsvorhabens heranzuziehen, das nicht nur aus Gründen der Billigkeit geboten ist, sondern auch aus dem menschenrechtlichen Gleichheitsgrundsatz bzw. dem allgemeinen Diskriminierungsverbot abzuleiten ist. Bei Entwicklungsvorhaben, die nicht allen Mit-

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gliedern einer Gesellschaft zugute kommen, kann deshalb fraglich sein, ob diese im Interesse der Allgemeinheit ( public) sein können. 3. Aus dem Wesen des Menschenrechtsgedankens ergibt sich sodann, dass ein ausnahmsweise zulässiger Eingriff in Menschenrechte zum Schutz gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen nur völkerrechtmäßig ist, wenn er durch die Entschädigung der Betroffenen ausgeglichen wird. Wie eine danach stets erforderliche Entschädigung (sekundäre Garantie) auszusehen hat, ist der verletzten primären Menschenrechtsgarantie selbst zu entnehmen. So ist ein Eingriff in das Recht auf angemessene Unterbringung nur zulässig, wenn neben einer finanziellen Kompensation ausreichend Mittel zur Rehabilitation an dem Ansiedlungsort zur Verfügung gestellt werden, die einen angemessenen Lebensstandard garantieren. Dies folgt für die Durchbrechung primärer Menschenrechtsgarantien zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen aus dem Programmsatz „Recht auf Entwicklung“, wonach Entwicklung die ständige Steigerung des Wohls aller Einzelpersonen und deren Teilhabe an der gerechten Verteilung der daraus erwachsenden Vorteile zum Ziel hat. Rechtsfolge der Verletzung einer bleiberechtlichen Menschenrechtsgarantie ist danach zwingend eine „gerechte“ Entschädigung ( just compensation), die regelmäßig nicht nur finanzielle, sondern umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen zu umfassen hat. 4. Aus alledem folgt schließlich eine menschenrechtlich begründete Pflicht, vor jeder entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlung eine so genannte Sozial- bzw. Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung (MVP) durchzuführen. Sie soll sicherstellen, dass Zwangsumsiedlungen nur in den wenigen Ausnahmefällen erfolgen, in denen sie im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wirklich notwendig sowie sozial verträglich sind. Die Pflicht zur Durchführung einer MVP ist den Menschenrechten, die vor Zwangsentfernungen schützen, immanent. Dass dadurch die Umsetzung von Entwicklungsprojekten möglicherweise verzögert wird, ist im Interesse eines effektiven Menschenrechtsschutzes hinzunehmen. XIV. Die Durchsetzungsschwäche des Völkerrechts ist am Beispiel völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte zum Schutz vor entwicklungsbe-

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dingten Zwangsumsiedlungen deutlich zu sehen. Normatives Gebot und Befolgungsbereitschaft fallen hier häufig weit auseinander. Eine zentrale Instanz zur Durchsetzung völkerrechtlicher Menschenrechtsgarantien existiert auf universeller Ebene nach wie vor nicht. Die Kontrollinstrumente universeller Menschenrechtsübereinkommen, welche Garantien zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen enthalten, sind nur teilweise obligatorisch. Insbesondere das Instrument der Staatenund Individualbeschwerde ist fakultativ. Alternative Durchsetzungsinstrumente sind sowohl im Falle einer fehlenden Unterwerfungserklärung des Vertragsstaates als auch in den Fällen notwendig, in denen ein Staat, in dessen Territorium eine entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung erfolgt, nicht Vertragspartei eines internationalen Menschenrechtsübereinkommens ist und unfreiwillige Umsiedlungen somit nur vom Völkergewohnheitsrecht geschützte Menschenrechte verletzen können. XV. Bei der Durchsetzung völkerrechtlicher Normen spielt immer auch das Verhältnis von Macht und Recht eine Rolle. Dies trifft insbesondere auf die Umsetzung völkerrechtlich begründeter Menschenrechts-Schutzvorschriften zu. Die Untersuchung am Beispiel der Weltbank zeigt, dass die Einbindung multilateraler Finanzinstitutionen in die Menschenrechtssicherung eine mögliche Alternative zu bestehenden Schutzverfahren bzw. Durchsetzungsmechanismen ist. Die Machtposition dieser Institutionen begründet sich damit, dass sich groß angelegte Entwicklungsprojekte, die zu Zwangsumsiedlungen größeren Ausmaßes führen, häufig nicht ohne die finanzielle Unterstützung internationaler Finanzinstitutionen realisieren lassen. Dies trifft selbst auf die zunehmenden Fälle zu, in denen Entscheidungen über die Finanzierung von Entwicklungsvorhaben im Privatsektor getroffen werden. Denn auch Privatunternehmen sind häufig auf die finanzielle Unterstützung internationaler Institutionen, wie zum Beispiel der Internationalen Finanzkorporation, angewiesen. XVI. Die Weltbank hat sich insbesondere im vergangenen Jahrzehnt als Transformatorin von Menschenrechtsgarantien erwiesen, die dem Schutz vor unfreiwilligen Umsiedlungen bzw. deren nachteiligen Auswirkungen dienen. Das von ihr 1993 errichtete Inspection Panel hat die Rolle der Weltbank als Menschenrechtstransformatorin verstärkt und wesentlich ergänzt. Für die Umsetzung und Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte,

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die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen, sind in erster Linie die Safeguard Policies über die Handhabung unfreiwilliger Umsiedlungen in bankfinanzierten Projekten relevant. Das Inspection Panel hat nicht nur entscheidend zur Klärung von Inhalt und Reichweite dieser Schutzvorschriften beigetragen. Es hat durch seine Entscheidungspraxis auch wesentliche Hinweise für die inhaltliche Bestimmung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtsgarantien gegeben, welche die Bank mit ihren Safeguard Policies umgesetzt hat. Auf sie kann bei der Auslegung der maßgeblichen Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes zurückgegriffen werden. Das Inspection Panel der Weltbank ist für die Sicherung dieser Garantien insofern von großer Bedeutung, als mit seiner Errichtung für Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit geschaffen wurde, ein Verfahren zur Durchsetzung der Safeguard Policies und damit – jedenfalls indirekt – zugleich zum Schutz ihrer Rechte und Interessen einzuleiten. Dadurch konnte die Diskrepanz zwischen den in den Umsiedlungsrichtlinien und anderen Schutzvorschriften enthaltenen Arbeitsanweisungen und der Bereitschaft der Bankmitarbeiter, diese zu befolgen, verringert werden. 1. Die Safeguard Policies über unfreiwillige Umsiedlungen gehen von dem Grundsatz aus, dass unfreiwillige Umsiedlungen wegen ihrer nachteiligen Folgen für die Betroffenen möglichst zu vermeiden, zumindest aber auf das notwendige Maß zu beschränken sind. Die Weltbank trägt damit dem völkerrechtlichen Verbot „willkürlicher“ Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken Rechnung. Mit den diesbezüglichen Bestimmungen der Umsiedlungsrichtlinie hat sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umgesetzt. 2. In der Umsiedlungsrichtlinie der Weltbank über unfreiwillige Umsiedlungen finden sich auch wesentliche Aspekte des Menschenrechts auf Partizipation am Entwicklungsgeschehen wieder: Sie schreibt vor, dass displaced persons bedeutungsvoll zu konsultieren und an der Planung und Durchführung der Umsiedlungskomponente eines bankfinanzierten Entwicklungsvorhabens zu beteiligen sind. Das Inspection Panel hat hinsichtlich des materiellen Gehalts dieses Teilaspekts des Rechts auf entwicklungsbezogene Partizipation klärend gewirkt. Es hat in seinen Untersuchungsberichten festgestellt, dass eine Konsultierung nur „angemessen und informiert“ bzw. „bedeutungsvoll“ ist, wenn die projektbetroffenen Personen und Völker selbst

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an der Projektplanung beteiligt werden. Das Kriterium der „informierten“ Konsultierung ist danach nur erfüllt, wenn die vorherige Unterrichtung unter Offenlegung aller wesentlichen Projektdokumente in der (indigenen) Sprache der betroffenen Personen und Bevölkerungsgruppen erfolgt.

3. Wie der internationale Menschenrechtsschutz lässt auch die Weltbank indigenen Bevölkerungsgruppen einen Sonderschutz im Zusammenhang mit entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen angedeihen. Sie setzt in ihrer Umsiedlungsvorschrift, die in Verbindung mit der Safeguard Policy über indigene Völker zu lesen ist, Aspekte des internationalen Minderheitenschutzrechtes um. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Anforderungen, welchen unfreiwillige Umsiedlungen nach ILO-Übereinkommen 169 genügen müssen. 4. Die Umsiedlungsrichtlinie der Weltbank ist nicht als Schutzvorschrift konzipiert, die gegen unfreiwillige Umsiedlungen gerichtet ist. Sinn und Zweck der Safeguard Policy über Involuntary Resettlement ist es, Standards festzuschreiben, die dem Ausgleich nachteiliger Auswirkungen ausnahmsweise erforderlicher Zwangsumsiedlungen in bankfinanzierten Projekten dienen. Das Policy Statement über unfreiwillige Umsiedlungen setzt daher auch weniger primäre Menschenrechtsgarantien um, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen sollen, als vielmehr wesentliche Aspekte sekundärer Menschenrechtsgarantien, welche die Wirkungen von Durchbrechungen primärer Garantien, die dem Schutz vor Zwangsumsiedlungen dienen, kompensieren sollen. Hierzu zählen das Erfordernis landbasierter Umsiedlungsstrategien, die Respektierung formalrechtlich nicht geschützter Landrechte, das Prinzip der Wiederherstellung oder Verbesserung von Einkommensmöglichkeiten, der Grundsatz, dass unfreiwillige Umsiedlungen als Programme nachhaltiger Entwicklung durchzuführen sind, sowie dass die Teilhabe aller Betroffenen am Profit eines Entwicklungsprojekts sicherzustellen ist. Hierin ist die eigentliche Bedeutung der Safeguard Policy als Instrument zur Verwirklichung und Sicherung internationaler Menschenrechtsgarantien zu sehen. Die vorgenannten sekundären Garantien sind inhärente Komponenten völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte. Sie sind im internationalen Menschenrecht nicht explizit juristisch geschützt. Die Weltbank ist insofern ein wichtiger Teilnehmer am internationalen Normschaffungsverfahren.

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5. Die Entscheidungspraxis des Inspection Panels ist schließlich auch für die Beantwortung der Frage wesentlich, wie eine freiwillige – und daher völkerrechtlich als solche nicht zu beanstandende – Umsiedlung zu Entwicklungszwecken von einer Zwangsumsiedlung abzugrenzen ist. Das Inspektionsgremium hat klargestellt, dass das Kriterium der „Freiwilligkeit“ nur erfüllt ist, wenn die Dislokation in Ausübung einer freien, echten und unterrichteten Entscheidung der Betroffenen erfolgt. Voraussetzung hierfür ist zum einen, dass die umzusiedelnden Personen umfassend über die am Neuansiedlungsort anzutreffenden Verhältnisse aufgeklärt werden. Für die Qualifizierung einer Umsiedlung als „freiwillig“ ist zum anderen wesentlich, dass eine genuine Möglichkeit der Rückkehr an den ursprünglichen Siedlungsort besteht. Schließlich hat das Inspection Panel klargestellt, dass einer Einzelperson die Rechte, welche vor nachteiligen Auswirkungen unfreiwilliger Umsiedlungen schützen, auch dann zugute kommen, wenn die Mehrheit der Betroffenen der Umsiedlung zugestimmt hat. Für die Geltendmachung dieser Rechte ist also wesentlich, ob sich die Umsiedlung aus Sicht der individuell betroffenen Person als eine freiwillige oder unfreiwillige darstellt. Die diesbezüglichen Ausführungen des Inspection Panels könnten für die Klärung der nach wie vor umstrittenen Frage, wie der völkerrechtliche Grundsatz des prior and informed consent hinsichtlich unfreiwilliger Umsiedlungen zu verstehen ist, bedeutsam werden. XVII. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Safeguard Policies trotz der unzweifelhaft wichtigen Funktion, welche sie hinsichtlich der Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen erfüllen, nur begrenzt taugen, um die Implementierung dieser Rechte sowie die Durchsetzung der durch sie erzeugten Verpflichtungen des Kreditnehmerlandes zu garantieren. Die Safeguard Policies über unfreiwillige Umsiedlungen sind nämlich zum einen teilweise so formuliert, dass – in begründeten Fällen – Abweichungen von den völkerrechtlich garantierten Mindeststandards zulässig sind. So ist zum Beispiel landbasierten Umsiedlungsstrategien lediglich „der Vorzug“ zu geben. Zwingend vorgeschrieben sind sie nicht. Die Tauglichkeit der Umsiedlungsrichtlinie als Instrument zur Sicherung völkerrechtlich gewährleisteter Menschenrechte wird zum anderen dadurch geschmälert, dass sie keine explizite Menschenrechtsklausel enthält, wonach bei der Sozialverträglichkeitsprüfung, die vor einer Umsiedlung stets durchzuführen ist, auch die menschenrechtlichen Verpflichtungen zu berücksichti-

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gen sind, denen der Kreditnehmer auf Grund des Völkerrechts im Hinblick auf die Respektierung von Menschenrechten zum Schutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen unterliegt. XVIII. Die Analyse der Gründungsverträge von IBRD und IDA (Weltbank) hat gezeigt, dass deren Articles of Agreement eine projektgebundene Menschenrechtskonditionalisierung nicht grundsätzlich verbieten. Die Weltbank ist nach ihren Gründungsverträgen vielmehr berechtigt, die Implementierung völkerrechtlich begründeter Menschenrechtsverpflichtungen der Kreditnehmer dadurch sicherzustellen, dass sie in ihren Safeguard Policies eine projektbezogene MVP verbindlich vorschreibt und die Kreditvergabe von der Respektierung aller Menschenrechte abhängig macht, die vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen schützen. 1. Der Organisationszweck der Weltbank, welcher die Völkerrechtssubjektivität von IBRD und IDA funktionell begrenzt, ist im Lichte der Entwicklungsstrategie festzulegen, welche die Weltbank heute verfolgt. Danach ist Entwicklung als eine auf den Menschen als ihren hauptsächlichen Betreiber und Nutznießer ausgerichtete nachhaltige Entwicklung zu verstehen, welche die Anerkennung von Rechten im Entwicklungsgeschehen in den Vordergrund stellt (sog. rights-based approach). Dieser Entwicklungsansatz, welcher die sozialen und menschlichen Aspekte von Entwicklung aufwertet, findet sich nicht nur in Reden und Dokumenten der Weltbank wieder. Er hat sich auch in der konkreten Arbeit von IBRD und IDA niedergeschlagen. 2. Auch das „Verbot politischer Betätigung“, das in den Articles of Agreement festgeschrieben ist und für die Beschlüsse der Weltbank ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte gelten lässt, kann heute nicht mehr per se als Verbot einer projektgebundenen Menschenrechtskonditionalisierung verstanden werden. Die entsprechenden Bestimmungen in den Gründungsverträgen setzen einer projektbezogenen MVP selbst bei einer streng grammatikalischen Interpretation allenfalls bezüglich solcher Menschenrechte „verfassungsrechtliche“ Grenzen, deren Missachtung sich nicht auch ökonomisch erfassen lässt. Die überwiegende Zahl der Menschenrechte, die vor den nachteiligen Auswirkungen von Entwicklungsprojekten schützen, haben

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aber auch wirtschaftliche Implikationen. Dies gilt in besonderem Maße für Individual- und Kollektivrechte, die gegen entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlungen gerichtet sind. Zu einem anderen Ergebnis führt auch die teleologische Interpretation der Neutralitätsklausel nicht. Ihr Sinn und Zweck ist darin zu sehen, eine politische Konditionierung der Entwicklungshilfe und damit eine politische Bevormundung der Mitgliedsländer zu verhindern. Ein solcher Fall liegt aber dann nicht vor, wenn die Entwicklungsförderung eines Staates davon abhängig gemacht wird, dass er sich an Regeln hält, die zu befolgen er sich in Ausübung seiner Souveränitätsrechte freiwillig verpflichtet hat. Dies trifft auch auf Verpflichtungen menschenrechtlicher Art zu. 3. Die Gründungsverträge von IBRD und IDA berechtigen die Weltbank nach alledem, in ihre Safeguard Policy über unfreiwillige Umsiedlungen eine Menschenrechtsklausel im vorbeschriebenen Sinne aufzunehmen. Eine Rechtspflicht zur projektbezogenen Menschenrechtskonditionalisierung erzeugen sie allerdings nicht. XIX. Die Weltbank unterliegt aber auf Grund von Völkerrechtsnormen, die außerhalb ihrer Gründungsverträge liegen, einer Menschenrechtspflichtigkeit im Zusammenhang mit bankfinanzierten Entwicklungsvorhaben. Diese folgt zum einen aus dem Grundgedanken des Schutzes der Menschenrechte, der heute alle Rechtsgebiete durchzieht und wonach eine allgemeine Pflicht zur Respektierung der Menschenrechte besteht. Eine Pflicht der Weltbank, Menschenrechte in ihrer Arbeit zu achten und zu fördern ist auch dem Menschenwürdeargument des Art. 1 AEMR zu entnehmen, der heute völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Dieser Menschenrechtspflichtigkeit kann sich die Weltbank insbesondere aufgrund ihrer Eigenschaft als Sonderorganisation der Vereinten Nationen heute nicht mehr entziehen. Nach wie vor ungeklärt ist allerdings, welche Folgen sich aus der Beachtungs- und Förderungspflicht für die konkrete Arbeit der Weltbank im Einzelnen ergeben. Sofern man diese als Einstellungspflicht versteht, kommt ihr die Weltbank mit ihren Safeguard Policies – jedenfalls teilweise – bereits nach. XX. Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen hat sich im vergangenen Jahrzehnt erstaunlich schnell

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weiterentwickelt. Dies trifft insbesondere auf die Klärung des materiellen Gehalts menschenrechtlicher Primärgarantien zum Schutz vor Zwangsumsiedlungen zu Entwicklungszwecken zu. Zu einem Abschluss ist diese Entwicklung aber noch lange nicht gekommen. Entwicklungspotenzial besteht vor allem im Bereich der Sekundärgarantien sowie effektiver Durchsetzungsmechanismen und der Frage, welche nichtstaatlichen Akteure in welchem Umfang auf Grund des Völkerrechts Verpflichtungen im Hinblick auf die Respektierung völkerrechtlich begründeter Menschenrechte unterliegen. Angesichts der umfassenden diesbezüglichen (Kodifizierungs-)Bemühungen – insbesondere auf nationaler Ebene – ist jedoch zu erwarten, dass auch die Standards zum Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen, die gegenwärtig noch nicht Bestandteil der positiven Völkerrechtsordnung sind, in absehbarer Zeit völkergewohnheitsrechtlich gelten werden.

Anhang I: OP 4.12 December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004) OP 4.12 December 2001 These policies were prepared for use by World Bank staff and are not necessarily a complete treatment of the subject.

Involuntary Resettlement (Revised April 2004) (Revised April 2004) OP 4.12 (revised April 2004) applies only to projects that are governed by OP/BP 6.00, Bank Financing – that is, those in countries with approved country financing parameters. Other operational policy statements governing Bank financing that have been amended to reflect OP/BP 6.00 also apply to these projects, click to view a full Table of Contents (blue). Projects in countries without approved country financing parameters continue to be subject to other operational policy statements governing Bank financing; click here for a full Table of Contents (yellow) that includes these statements. Note: OP and BP 4.12 together replace OD 4.30, Involuntary Resettlement. These OP and BP apply to all projects for which a Project Concept Review takes place on or after January 1, 2002. Questions may be addressed to the Director, Social Development Department (SDV). 1. Bank1 experience indicates that involuntary resettlement under development projects, if unmitigated, often gives rise to severe economic, social, and environmental risks: production systems are dismantled; people face impoverishment when 1 “Bank” includes IBRD and IDA; “loans” includes IDA credits and IDA grants, guarantees, Project Preparation Facility (PPF) advances and grants; and “projects” includes projects under (a) adaptable program lending; (b) learning and innovation loans; (c) PPFs and Institutional Development Funds (IDFs), if they include investment activities; (d) grants under the Global Environment Facility and Montreal Protocol, for which the Bank is the implementing/executing agency; and (e) grants or loans provided by other donors that are administered by the Bank. The term “project” does not include programs under development policy lending operations. “Borrower” also includes, wherever the context requires, the guarantor or the project implementing agency.

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their productive assets or income sources are lost; people are relocated to environments where their productive skills may be less applicable and the competition for resources greater; community institutions and social networks are weakened; kin groups are dispersed; and cultural identity, traditional authority, and the potential for mutual help are diminished or lost. This policy includes safeguards to address and mitigate these impoverishment risks. Policy Objectives 2. Involuntary resettlement may cause severe long-term hardship, impoverishment, and environmental damage unless appropriate measures are carefully planned and carried out. For these reasons, the overall objectives of the Bank’s policy on involuntary resettlement are the following: (a) Involuntary resettlement should be avoided where feasible, or minimized, exploring all viable alternative project designs.2 (b) Where it is not feasible to avoid resettlement, resettlement activities should be conceived and executed as sustainable development programs, providing sufficient investment resources to enable the persons displaced by the project to share in project benefits. Displaced persons3 should be meaningfully consulted and should have opportunities to participate in planning and implementing resettlement programs. (c) Displaced persons should be assisted in their efforts to improve their livelihoods and standards of living or at least to restore them, in real terms, to predisplacement levels or to levels prevailing prior to the beginning of project implementation, whichever is higher.4 Impacts Covered 3. This policy covers direct economic and social impacts5 that both result from Bank-assisted investment projects6, and are caused by 2 In devising approaches to resettlement in Bank-assisted projects, other Bank policies should be taken into account, as relevant. These policies include OP 4.01, Environmental Assessment, OP 4.04, Natural Habitats, OP 4.10, Indigenous Peoples, and OP 4.11, Physical Cultural Resources. 3 The term “displaced persons” refers to persons who are affected in any of the ways described in para. 3 of this OP. 4 Displaced persons under para. 3(b) should be assisted in their efforts to improve or restore their livelihoods in a manner that maintains the sustainability of the parks and protected areas. 5 Where there are adverse indirect social or economic impacts, it is good practice for the borrower to undertake a social assessment and implement measures to minimize and mitigate adverse economic and social impacts, particularly upon poor and vulnerable groups. Other environmental, social, and economic impacts that do not result from land taking may be identified and addressed through environmental assessments and other project reports and instruments. 6 This policy does not apply to restrictions of access to natural resources under community-based projects, i. e. where the community using the resources decides to

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(a) the involuntary7 taking of land8 resulting in (i) relocation or loss of shelter; (ii) lost of assets or access to assets; or (iii) loss of income sources or means of livelihood, whether or not the affected persons must move to another location; or (b) the involuntary restriction of access9 to legally designated parks and protected areas resulting in adverse impacts on the livelihoods of the displaced persons. 4. This policy applies to all components of the project that result in involuntary resettlement, regardless of the source of financing. It also applies to other activities resulting in involuntary resettlement, that in the judgment of the Bank, are (a) directly and significantly related to the Bank-assisted project, (b) necessary to achieve its objectives as set forth in the project documents; and (c) carried out, or planned to be carried out, contemporaneously with the project. 5. Requests for guidance on the application and scope of this policy should be addressed to the Resettlement Committee (see BP 4.12, para. 7).10 Required Measures 6. To address the impacts covered under para. 3(a) of this policy, the borrower prepares a resettlement plan or a resettlement policy framework (see paras. 25–30) that covers the following: restrict access to these resources, provided that an assessment satisfactory to the Bank establishes that the community decision-making process is adequate, and that it provides for identification of appropriate measures to mitigate adverse impacts, if any, on the vulnerable members of the community. This policy also does not cover refugees from natural disasters, war, or civil strife (see OP/BP 8.50, Emergency Recovery Assistance). 7 For purposes of this policy, “involuntary” means actions that may be taken without the displaced person’s informed consent or power of choice. 8 “Land” includes anything growing on or permanently affixed to land, such as buildings and crops. This policy does not apply to regulations of natural resources on a national or regional level to promote their sustainability, such as watershed management, groundwater management, fisheries management, etc. The policy also does not apply to disputes between private parties in land titling projects, although it is good practice for the borrower to undertake a social assessment and implement measures to minimize and mitigate adverse social impacts, especially those affecting poor and vulnerable groups. 9 For the purposes of this policy, involuntary restriction of access covers restrictions on the use of resources imposed on people living outside the park or protected area, or on those who continue living inside the park or protected area during and after project implementation. In cases where new parks and protected areas are created as part of the project, persons who lose shelter, land, or other assets are covered under para. 3(a). Persons who lose shelter in existing parks and protected areas are also covered under para. 3(a). 10 The Involuntary Resettlement Sourcebook provides good practice guidance to staff on the policy.

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(a) The resettlement plan or resettlement policy framework includes measures to ensure that the displaced persons are (i) informed about their options and rights pertaining to resettlement; (ii) consulted on, offered choices among, and provided with technically and economically feasible resettlement alternatives; and (iii) provided prompt and effective compensation at full replacement cost11 for losses of assets12 attributable directly to the project. (b) If the impacts include physical relocation, the resettlement plan or resettlement policy framework includes measures to ensure that the displaced persons are (i) provided assistance (such as moving allowances) during relocation; and (ii) provided with residential housing, or housing sites, or, as required, agricultural sites for which a combination of productive potential, locational advantages, and other factors is at least equivalent to the advantages of the old site.13 (c) Where necessary to achieve the objectives of the policy, the resettlement plan or resettlement policy framework also include measures to ensure that displaced persons are (i) offered support after displacement, for a transition period, based on a reasonable estimate of the time likely to be needed to restore their livelihood and standards of living;14 and (ii) provided with development assistance in addition to compensation measures described in paragraph 6(a) (iii), such as land preparation, credit facilities, training, or job opportunities. 11 “Replacement cost” is the method of valuation of assets that helps determine the amount sufficient to replace lost assets and cover transaction costs. In applying this method of valuation, depreciation of structures and assets should not be taken into account (for a detailed definition of replacement cost, see Annex A, footnote 1). For losses that cannot easily be valued or compensated for in monetary terms (e. g., access to public services, customers, and suppliers; or to fishing, grazing, or forest areas), attempts are made to establish access to equivalent and culturally acceptable resources and earning opportunities. Where domestic law does not meet the standard of compensation at full replacement cost, compensation under domestic law is supplemented by additional measures necessary to meet the replacement cost standard. Such additional assistance is distinct from resettlement assistance to be provided under other clauses of para. 6. 12 If the residual of the asset being taken is not economically viable, compensation and other resettlement assistance are provided as if the entire asset had been taken. 13 The alternative assets are provided with adequate tenure arrangements. The cost of alternative residential housing, housing sites, business premises, and agricultural sites to be provided can be set off against all or part of the compensation payable for the corresponding asset lost. 14 Such support could take the form of short-term jobs, subsistence support, salary maintenance or similar arrangements.

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7. In projects involving involuntary restriction of access to legally designated parks and protected areas (see para. 3(b)), the nature of restrictions, as well as the type of measures necessary to mitigate adverse impacts, is determined with the participation of the displaced persons during the design and implementation of the project. In such cases, the borrower prepares a process framework acceptable to the Bank, describing the participatory process by which (a) specific components of the project will be prepared and implemented; (b) the criteria for eligibility of displaced persons will be determined; (c) measures to assist the displaced persons in their efforts to improve their livelihoods, or at least to restore them, in real terms, while maintaining the sustainability of the park or protected area, will be identified; and (d) potential conflicts involving displaced persons will be resolved. The process framework also includes a description of the arrangements for implementing and monitoring the process. 8. To achieve the objectives of this policy, particular attention is paid to the needs of vulnerable groups among those displaced, especially those below the poverty line, the landless, the elderly, women and children, indigenous peoples,15 ethnic minorities, or other displaced persons who may not be protected through national land compensation legislation. 9. Bank experience has shown that resettlement of indigenous peoples with traditional land-based modes of production is particularly complex and may have significant adverse impacts on their identity and cultural survival. For this reason, the Bank satisfies itself that the borrower has explored all viable alternative project designs to avoid physical displacement of these groups. When it is not feasible to avoid such displacement, preference is given to land-based resettlement strategies for these groups (see para. 11) that are compatible with their cultural preferences and are prepared in consultation with them (see Annex A, para. 11). 10. The implementation of resettlement activities is linked to the implementation of the investment component of the project to ensure that displacement or restriction of access does not occur before necessary measures for resettlement are in place. For impacts covered in para. 3(a) of this policy, these measures include provision of compensation and of other assistance required for relocation, prior to displacement, and preparation and provision of resettlement sites with adequate facilities, where required. In particular, taking of land and related assets may take place only after compensation has been paid and, where applicable, resettlement sites and moving allowances have been provided to the displaced persons. For impacts covered in para. 3(b) of this policy, the measures to assist the displaced persons are implemented in accordance with the plan of action as part of the project (see para. 30). 11. Preference should be given to land-based resettlement strategies for displaced persons whose livelihoods are land-based. These strategies may include resettlement on public land (see footnote 1 above), or on private land acquired or purchased for resettlement. Whenever replacement land is offered, resettlers are provided with 15

See OP/BP 4.10, Indigenous Peoples.

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land for which a combination of productive potential, locational advantages, and other factors is at least equivalent to the advantages of the land taken. If land is not the preferred option of the displaced persons, the provision of land would adversely affect the sustainability of a park or protected area,16 or sufficient land is not available at a reasonable price, non-land-based options built around opportunities for employment or self-employment should be provided in addition to cash compensation for land and other assets lost. The lack of adequate land must be demonstrated and documented to the satisfaction of the Bank. 12. Payment of cash compensation for lost assets may be appropriate where (a) livelihoods are land-based but the land taken for the project is a small fraction17 of the affected asset and the residual is economically viable; (b) active markets for land, housing, and labor exist, displaced persons use such markets, and there is sufficient supply of land and housing; or (c) livelihoods are not land-based. Cash compensation levels should be sufficient to replace the lost land and other assets at full replacement cost in local markets. 13. For impacts covered under para. 3(a) of this policy, the Bank also requires the following: (a) Displaced persons and their communities, and any host communities receiving them, are provided timely and relevant information, consulted on resettlement options, and offered opportunities to participate in planning, implementing, and monitoring resettlement. Appropriate and accessible grievance mechanisms are established for these groups. (b) In new resettlement sites or host communities, infrastructure and public services are provided as necessary to improve, restore, or maintain accessibility and levels of service for the displaced persons and host communities. Alternative or similar resources are provided to compensate for the loss of access to community resources (such as fishing areas, grazing areas, fuel, or fodder). (c) Patterns of community organization appropriate to the new circumstances are based on choices made by the displaced persons. To the extent possible, the existing social and cultural institutions of resettlers and any host communities are preserved and resettlers’ preferences with respect to relocating in preexisting communities and groups are honored. Eligibility for Benefits18 14. Upon identification of the need for involuntary resettlement in a project, the borrower carries out a census to identify the persons who will be affected by the project (see the Annex A, para. 6(a)), to determine who will be eligible for assistance, and to discourage inflow of people ineligible for assistance. The borrower 16

See OP 4.04, Natural Habitats. As a general principle, this applies if the land taken constitutes less than 20% of the total productive area. 18 Paras. 13–15 do not apply to impacts covered under para. 3(b) of this policy. The eligibility criteria for displaced persons under 3(b) are covered under the process framework (see paras. 7 and 30). 17

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also develops a procedure, satisfactory to the Bank, for establishing the criteria by which displaced persons will be deemed eligible for compensation and other resettlement assistance. The procedure includes provisions for meaningful consultations with affected persons and communities, local authorities, and, as appropriate, nongovernmental organizations (NGOs), and it specifies grievance mechanisms. 15. Criteria for Eligibility. Displaced persons may be classified in one of the following three groups: (a) those who have formal legal rights to land (including customary and traditional rights recognized under the laws of the country); (b) those who do not have formal legal rights to land at the time the census begins but have a claim to such land or assets – provided that such claims are recognized under the laws of the country or become recognized through a process identified in the resettlement plan (see Annex A, para. 7(f)); and19 (c) those who have no recognizable legal right or claim to the land they are occupying. 16. Persons covered under para. 15(a) and (b) are provided compensation for the land they lose, and other assistance in accordance with para. 6. Persons covered under para. 15(c) are provided resettlement assistance20 in lieu of compensation for the land they occupy, and other assistance, as necessary, to achieve the objectives set out in this policy, if they occupy the project area prior to a cut-off date established by the borrower and acceptable to the Bank.21 Persons who encroach on the area after the cut-off date are not entitled to compensation or any other form of resettlement assistance. All persons included in para. 15(a), (b), or (c) are provided compensation for loss of assets other than land. Resettlement Planning, Implementation, and Monitoring 17. To achieve the objectives of this policy, different planning instruments are used, depending on the type of project: (a) a resettlement plan or abbreviated resettlement plan is required for all operations that entail involuntary resettlement unless otherwise specified (see para. 25 and Annex A); (b) a resettlement policy framework is required for operations referred to in paras. 26–30 that may entail involuntary resettlement, unless otherwise specified (see Annex A); and 19 Such claims could be derived from adverse possession, from continued possession of public lands without government action for eviction (that is, with the implicit leave of the government), or from customary and traditional law and usage, and so on. 20 Resettlement assistance may consist of land, other assets, cash, employment, and so on, as appropriate. 21 Normally, this cut-off date is the date the census begins. The cut-off date could also be the date the project area was delineated, prior to the census, provided that there has been an effective public dissemination of information on the area delineated, and systematic and continuous dissemination subsequent to the delineation to prevent further population influx.

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(c) a process framework is prepared for projects involving restriction of access in accordance with para. 3(b) (see para. 31). 18. The borrower is responsible for preparing, implementing, and monitoring a resettlement plan, a resettlement policy framework, or a process framework (the “resettlement instruments”), as appropriate, that conform to this policy. The resettlement instrument presents a strategy for achieving the objectives of the policy and covers all aspects of the proposed resettlement. Borrower commitment to, and capacity for, undertaking successful resettlement is a key determinant of Bank involvement in a project. 19. Resettlement planning includes early screening, scoping of key issues, the choice of resettlement instrument, and the information required to prepare the resettlement component or subcomponent. The scope and level of detail of the resettlement instruments vary with the magnitude and complexity of resettlement. In preparing the resettlement component, the borrower draws on appropriate social, technical, and legal expertise and on relevant community-based organizations and NGOs.22 The borrower informs potentially displaced persons at an early stage about the resettlement aspects of the project and takes their views into account in project design. 20. The full costs of resettlement activities necessary to achieve the objectives of the project are included in the total costs of the project. The costs of resettlement, like the costs of other project activities, are treated as a charge against the economic benefits of the project; and any net benefits to resettlers (as compared to the “without-project” circumstances) are added to the benefits stream of the project. Resettlement components or free-standing resettlement projects need not be economically viable on their own, but they should be cost-effective. 21. The borrower ensures that the Project Implementation Plan is fully consistent with the resettlement instrument. 22. As a condition of appraisal of projects involving resettlement, the borrower provides the Bank with the relevant draft resettlement instrument which conforms to this policy, and makes it available at a place accessible to displaced persons and local NGOs, in a form, manner, and language that are understandable to them. Once the Bank accepts this instrument as providing an adequate basis for project appraisal, the Bank makes it available to the public through its InfoShop. After the Bank has approved the final resettlement instrument, the Bank and the borrower disclose it again in the same manner.23 22 For projects that are highly risky or contentious, or that involve significant and complex resettlement activities, the borrower should normally engage an advisory panel of independent, internationally recognized resettlement specialists to advise on all aspects of the project relevant to the resettlement activities. The size, role, and frequency of meeting depend on the complexity of the resettlement. If independent technical advisory panels are established under OP 4.01, Environmental Assessment, the resettlement panel may form part of the environmental panel of experts. 23 See The World Bank Policy on Disclosure of Information, para. 34, (Washington, D. C.: World Bank, 2002).

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23. The borrower’s obligations to carry out the resettlement instrument and to keep the Bank informed of implementation progress are provided for in the legal agreements for the project. 24. The borrower is responsible for adequate monitoring and evaluation of the activities set forth in the resettlement instrument. The Bank regularly supervises resettlement implementation to determine compliance with the resettlement instrument. Upon completion of the project, the borrower undertakes an assessment to determine whether the objectives of the resettlement instrument have been achieved. The assessment takes into account the baseline conditions and the results of resettlement monitoring. If the assessment reveals that these objectives may not be realized, the borrower should propose follow-up measures that may serve as the basis for continued Bank supervision, as the Bank deems appropriate (see also BP 4.12, para. 16). Resettlement Instruments Resettlement Plan 25. A draft resettlement plan that conforms to this policy is a condition of appraisal (see Annex A, paras. 2–21) for projects referred to in para. 17(a) above.24 However, where impacts on the entire displaced population are minor,25 or fewer than 200 people are displaced, an abbreviated resettlement plan may be agreed with the borrower (see Annex A, para. 22). The information disclosure procedures set forth in para. 22 apply. Resettlement Policy Framework 26. For sector investment operations that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that the project implementing agency screen subprojects to be financed by the Bank to ensure their consistency with this OP. For these operations, the borrower submits, prior to appraisal, a resettlement policy framework that conforms to this policy (see Annex A, paras. 23–25). The framework also estimates, to the extent feasible, the total population to be displaced and the overall resettlement costs. 27. For financial intermediary operations that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that the financial intermediary (FI) screen subprojects to be financed by the Bank to ensure their consistency with this OP. For these operations, the Bank requires that before appraisal the borrower or the FI submit to the Bank a resettlement policy framework conforming to this policy (see Annex A, paras. 23–25). In addition, the framework includes an assessment of the institutional capacity and 24

An exception to this requirement may be made in highly unusual circumstances (such as emergency recovery operations) with the approval of Bank Management (see BP 4.12, para. 8). In such cases, the Management’s approval stipulates a timetable and budget for developing the resettlement plan. 25 Impacts are considered “minor” if the affected people are not physically displaced and less than 10% of their productive assets are lost.

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procedures of each of the FIs that will be responsible for subproject financing. When, in the assessment of the Bank, no resettlement is envisaged in the subprojects to be financed by the FI, a resettlement policy framework is not required. Instead, the legal agreements specify the obligation of the FIs to obtain from the potential subborrowers a resettlement plan consistent with this policy if a subproject gives rise to resettlement. For all subprojects involving resettlement, the resettlement plan is provided to the Bank for approval before the subproject is accepted for Bank financing. 28. For other Bank-assisted project with multiple subprojects26 that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that a draft resettlement plan conforming to this policy be submitted to the Bank before appraisal of the project unless, because of the nature and design of the project or of a specific subproject or subprojects (a) the zone of impact of subprojects cannot be determined, or (b) the zone of impact is known but precise sitting alignments cannot be determined. In such cases, the borrower submits a resettlement policy framework consistent with this policy prior to appraisal (see Annex A, paras. 23–25). For other subprojects that do not fall within the above criteria, a resettlement plan conforming to this policy is required prior to appraisal. 29. For each subproject included in a project described in paras. 26, 27, or 28 that may involve resettlement, the Bank requires that a satisfactory resettlement plan or an abbreviated resettlement plan that is consistent with the provisions of the policy framework be submitted to the Bank for approval before the subproject is accepted for Bank financing. 30. For projects described in paras. 26–28 above, the Bank may agree, in writing, that subproject resettlement plans may be approved by the project implementing agency or a responsible government agency or financial intermediary without prior Bank review, if that agency has demonstrated adequate institutional capacity to review resettlement plans and ensure their consistency with this policy. Any such delegation, and appropriate remedies for the entity’s approval of resettlement plans found not to be in compliance with Bank policy, are provided for in the legal agreements for the project. In all such cases, implementation of the resettlement plans is subject to ex post review by the Bank. Process Framework 31. For projects involving restriction of access in accordance with para. 3(b) above, the borrower provides the Bank with a draft process framework that conforms to the relevant provisions of this policy as a condition of appraisal. In addition, during project implementation and before to enforcing of the restriction, the borrower prepares a plan of action, acceptable to the Bank, describing the specific measures to be undertaken to assist the displaced persons and the arrangements for their implementation. The plan of action could take the form of a natural resources management plan prepared for the project. 26 For purpose of this paragraph, the term “subprojects” includes components and subcomponents.

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Assistance to the Borrower 32. In furtherance of the objectives of this policy, the Bank may at a borrower’s request support the borrower and other concerned entities by providing (a) assistance to assess and strengthen resettlement policies, strategies, legal frameworks, and specific plans at a country, regional, or sectoral level; (b) financing of technical assistance to strengthen the capacities of agencies responsible for resettlement, or of affected people to participate more effectively in resettlement operations; (c) financing of technical assistance for developing resettlement policies, strategies, and specific plans, and for implementation, monitoring, and evaluation of resettlement activities; and (d) financing of the investment costs of resettlement. 33. The Bank may finance either a component of the main investment causing displacement and requiring resettlement, or a free-standing resettlement project with appropriate cross-conditionalities, processed and implemented in parallel with the investment that causes the displacement. The Bank may finance resettlement even though it is not financing the main investment that makes resettlement necessary.

Anhang II: Annex OP 4.12 – Annex A, December 2001, Involuntary Resettlement (Revised April 2004) OP 4.12 – Annex A January 2001 These policies were prepared for use by World Bank staff and are not necessarily a complete treatment of the subject. Involuntary Resettlement Instruments 1. This annex describes the elements of a resettlement plan, an abbreviated resettlement plan, a resettlement policy framework, and a resettlement process framework, as discussed in OP 4.12, paras. 17–31. Resettlement Plan 2. The scope and level of detail of the resettlement plan vary with the magnitude and complexity of resettlement. The plan is based on up-to-date and reliable information about (a) the proposed resettlement and its impacts on the displaced persons and other adversely affected groups, and (b) the legal issues involved in resettlement. The resettlement plan covers the elements below, as relevant. When any element is not relevant to project circumstances, it should be noted in the resettlement plan. 3. Description of the project. General description of the project and identification of the project area. 4. Potential impacts. Identification of (a) the project component or activities that give rise to resettlement; (b) the zone of impact of such component or activities; (c) the alternatives considered to avoid or minimize resettlement; and (d) the mechanisms established to minimize resettlement, to the extent possible, during project implementation. 5. Objectives. The main objectives of the resettlement program. 6. Socioeconomic studies. The findings of socioeconomic studies to be conducted in the early stages of project preparation and with the involvement of potentially displaced people, including (a) the results of a census survey covering (i) current occupants of the affected area to establish a basis for the design of the resettlement program and to exclude subsequent inflows of people from eligibility for compensation and resettlement assistance;

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(ii) standard characteristics of displaced households, including a description of production systems, labor, and household organization; and baseline information on livelihoods (including, as relevant, production levels and income derived from both formal and informal economic activities) and standards of living (including health status) of the displaced population; (iii) the magnitude of the expected loss – total or partial – of assets, and the extent of displacement, physical or economic; (iv) information on vulnerable groups or persons as provided for in OP 4.12, para. 8, for whom special provisions may have to be made; and (v) provisions to update information on the displaced people’s livelihoods and standards of living at regular intervals so that the latest information is available at the time of their displacement. (b) Other studies describing the following (i) land tenure and transfer systems, including an inventory of common property natural resources from which people derive their livelihoods and sustenance, non-title-based usufruct systems (including fishing, grazing, or use of forest areas) governed by local recognized land allocation mechanisms, and any issues raised by different tenure systems in the project area; (ii) the patterns of social interaction in the affected communities, including social networks and social support systems, and how they will be affected by the project; (iii) public infrastructure and social services that will be affected; and (iv) social and cultural characteristics of displaced communities, including a description of formal and informal institutions (e. g., community organizations, ritual groups, nongovernmental organizations (NGOs)) that may be relevant to the consultation strategy and to designing and implementing the resettlement activities. 7. Legal framework. The findings of an analysis of the legal framework, covering (a) the scope of the power of eminent domain and the nature of compensation associated with it, in terms of both the valuation methodology and the timing of payment; (b) the applicable legal and administrative procedures, including a description of the remedies available to displaced persons in the judicial process and the normal timeframe for such procedures, and any available alternative dispute resolution mechanisms that may be relevant to resettlement under the project; (c) relevant law (including customary and traditional law) governing land tenure, valuation of assets and losses, compensation, and natural resource usage rights; customary personal law related to displacement; and environmental laws and social welfare legislation; (d) laws and regulations relating to the agencies responsible for implementing resettlement activities; (e) gaps, if any, between local laws covering eminent domain and resettlement and the Bank’s resettlement policy, and the mechanisms to bridge such gaps; and

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(f) any legal steps necessary to ensure the effective implementation of resettlement activities under the project, including, as appropriate, a process for recognizing claims to legal rights to land-including claims that derive from customary law and traditional usage (see OP 4.12, para. 15(b)). 8. Institutional Framework. The findings of an analysis of the institutional framework covering (a) the identification of agencies responsible for resettlement activities and NGOs that may have a role in project implementation; (b) an assessment of the institutional capacity of such agencies and NGOs; and (c) any steps that are proposed to enhance the institutional capacity of agencies and NGOs responsible for resettlement implementation. 9. Eligibility. Definition of displaced persons and criteria for determining their eligibility for compensation and other resettlement assistance, including relevant cut-off dates. 10. Valuation of and compensation for losses. The methodology to be used in valuing losses to determine their replacement cost; and a description of the proposed types and levels of compensation under local law and such supplementary measures as are necessary to achieve replacement cost for lost assets.1 11. Resettlement measures. A description of the packages of compensation and other resettlement measures that will assist each category of eligible displaced persons to achieve the objectives of the policy (see OP 4.12, para. 6). In addition to being technically and economically feasible, the resettlement packages should be compatible with the cultural preferences of the displaced persons, and prepared in consultation with them. 12. Site selection, site preparation, and relocation. Alternative relocation sites considered and explanation of those selected, covering 1 With regard to land and structures, “replacement cost” is defined as follows: For agricultural land, it is the pre-project or pre-displacement, whichever is higher, market value of land of equal productive potential or use located in the vicinity of the affected land, plus the cost of preparing the land to levels similar to those of the affected land, plus the cost of any registration and transfer taxes. For land in urban areas, it is the pre-displacement market value of land of equal size and use, with similar or improved public infrastructure facilities and services and located in the vicinity of the affected land, plus the cost of any registration and transfer taxes. For houses and other structures, it is the market cost of the materials to build a replacement structure with an area and quality similar to or better than those of the affected structure, or to repair a partially affected structure, plus the cost of transporting building materials to the construction site, plus the cost of any labor and contractors’ fees, plus the cost of any registration and transfer taxes. In determining the replacement cost, depreciation of the asset and the value of salvage materials are not taken into account, nor is the value of benefits to be derived from the project deducted from the valuation of an affected asset. Where domestic law does not meet the standard of compensation at full replacement cost, compensation under domestic law is supplemented by additional measures so as to meet the replacement cost standard. Such additional assistance is distinct from resettlement measures to be provided under other clauses in OP 4.12, para. 6.

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(a) institutional and technical arrangements for identifying and preparing relocation sites, whether rural or urban, for which a combination of productive potential, locational advantages, and other factors is at least comparable to the advantages of the old sites, with an estimate of the time needed to acquire and transfer land and ancillary resources; (b) any measures necessary to prevent land speculation or influx of ineligible persons at the selected sites; (c) procedures for physical relocation under the project, including timetables for site preparation and transfer; and (d) legal arrangements for regularizing tenure and transferring titles to resettlers. 13. Housing, infrastructure, and social services. Plans to provide (or to finance resettlers’ provision of) housing, infrastructure (e. g., water supply, feeder roads), and social services (e. g., schools, health services);2 plans to ensure comparable services to host populations; any necessary site development, engineering, and architectural designs for these facilities. 14. Environmental protection and management. A description of the boundaries of the relocation area; and an assessment of the environmental impacts of the proposed resettlement3 and measures to mitigate and manage these impacts (coordinated as appropriate with the environmental assessment of the main investment requiring the resettlement). 15. Community participation. Involvement of resettlers and host communities,4 including (a) a description of the strategy for consultation with and participation of resettlers and hosts in the design and implementation of the resettlement activities; (b) a summary of the views expressed and how these views were taken into account in preparing the resettlement plan; (c) a review of the resettlement alternatives presented and the choices made by displaced persons regarding options available to them, including choices related to forms of compensation and resettlement assistance, to relocating as individuals families or as parts of preexisting communities or kinship groups, to sustaining existing patterns of group organization, and to retaining access to cultural property (e. g. places of worship, pilgrimage centers, cemeteries);5 and 2

Provision of health care services, particularly for pregnant women, infants, and the elderly, may be important during and after relocation to prevent increases in morbidity and mortality due to malnutrition, the psychological stress of being uprooted, and the increased risk of disease. 3 Negative impacts that should be anticipated and mitigated include, for rural resettlement, deforestation, overgrazing, soil erosion, sanitation, and pollution; for urban resettlement, projects should address such density-related issues as transportation capacity and access to potable water, sanitation systems, and health facilities. 4 Experience has shown that local NGOs often provide valuable assistance and ensure viable community participation. 5 OP 4.11, Physical Cultural Resources.

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(d) institutionalized arrangements by which displaced people can communicate their concerns to project authorities throughout planning and implementation, and measures to ensure that such vulnerable groups as indigenous people, ethnic minorities, the landless, and women are adequately represented. 16. Integration with host populations. Measures to mitigate the impact of resettlement on any host communities, including (a) consultations with host communities and local governments; (b) arrangements for prompt tendering of any payment due the hosts for land or other assets provided to resettlers; (c) arrangements for addressing any conflict that may arise between resettlers and host communities; and (d) any measures necessary to augment services (e. g., education, water, health, and production services) in host communities to make them at least comparable to services available to resettlers. 17. Grievance procedures. Affordable and accessible procedures for third-party settlement of disputes arising from resettlement; such grievance mechanisms should take into account the availability of judicial recourse and community and traditional dispute settlement mechanisms. 18. Organizational responsibilities. The organizational framework for implementing resettlement, including identification of agencies responsible for delivery of resettlement measures and provision of services; arrangements to ensure appropriate coordination between agencies and jurisdictions involved in implementation; and any measures (including technical assistance) needed to strengthen the implementing agencies’ capacity to design and carry out resettlement activities; provisions for the transfer to local authorities or resettlers themselves of responsibility for managing facilities and services provided under the project and for transferring other such responsibilities from the resettlement implementing agencies, when appropriate. 19. Implementation schedule. An implementation schedule covering all resettlement activities from preparation through implementation, including target dates for the achievement of expected benefits to resettlers and hosts and terminating the various forms of assistance. The schedule should indicate how the resettlement activities are linked to the implementation of the overall project. 20. Costs and budget. Tables showing itemized cost estimates for all resettlement activities, including allowances for inflation, population growth, and other contingencies; timetables for expenditures; sources of funds; and arrangements for timely flow of funds, and funding for resettlement, if any, in areas outside the jurisdiction of the implementing agencies. 21. Monitoring and evaluation. Arrangements for monitoring of resettlement activities by the implementing agency, supplemented by independent monitors as considered appropriate by the Bank, to ensure complete and objective information; performance monitoring indicators to measure inputs, outputs, and outcomes for resettlement activities; involvement of the displaced persons in the monitoring process; evaluation of the impact of resettlement for a reasonable period after all resettlement and related development activities have been completed; using the results of resettlement monitoring to guide subsequent implementation.

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Abbreviated Resettlement Plan 22. An abbreviated plan covers the following minimum elements:6 (a) a census survey of displaced persons and valuation of assets; (b) description of compensation and other resettlement assistance to be provided; (c) consultations with displaced people about acceptable alternatives; (d) institutional responsibility for implementation and procedures for grievance redress; (e) arrangements for monitoring and implementation; and (f) a timetable and budget. Resettlement Policy Framework 23. The purpose of the policy framework is to clarify resettlement principles, organizational arrangements, and design criteria to be applied to subprojects to be prepared during project implementation (see OP 4.12, paras. 26–28). Subproject resettlement plans consistent with the policy framework subsequently are submitted to the Bank for approval after specific planning information becomes available (see OP 4.12, para. 29). 24. The resettlement policy framework covers the following elements, consistent with the provisions described in OP 4.12, paras. 2 and 4: (a) a brief description of the project and components for which land acquisition and resettlement are required, and an explanation of why a resettlement plan as described in paras. 2–21 or an abbreviated plan as described in para. 22 cannot be prepared by project appraisal; (b) principles and objectives governing resettlement preparation and implementation; (c) a description of the process for preparing and approving resettlement plans; (d) estimated population displacement and likely categories of displaced persons, to the extent feasible; (e) eligibility criteria for defining various categories of displaced persons; (f) a legal framework reviewing the fit between borrower laws and regulations and Bank policy requirements and measures proposed to bridge any gaps between them; (g) methods of valuing affected assets; (h) organizational procedures for delivery of entitlements, including, for projects involving private sector intermediaries, the responsibilities of the financial intermediary, the government, and the private developer; 6 In case some of the displaced persons lose more than 10% of their productive assets or require physical relocation, the plan also covers a socioeconomic survey and income restoration measures.

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(i) a description of the implementation process, linking resettlement implementation to civil works; (j) a description of grievance redress mechanisms; (k) a description of the arrangements for funding resettlement, including the preparation and review of cost estimates, the flow of funds, and contingency arrangements; (l) a description of mechanisms for consultations with, and participation of, displaced persons in planning, implementation, and monitoring; and (m) arrangements for monitoring by the implementing agency and, if required, by independent monitors. 25. When a resettlement policy framework is the only document that needs to be submitted as a condition of the loan, the resettlement plan to be submitted as a condition of subproject financing need not include the policy principles, entitlements, and eligibility criteria, organizational arrangements, arrangements for monitoring and evaluation, the framework for participation, and mechanisms for grievance redress set forth in the resettlement policy framework. The subproject-specific resettlement plan needs to include baseline census and socioeconomic survey information; specific compensation rates and standards; policy entitlements related to any additional impacts identified through the census or survey; description of resettlement sites and programs for improvement or restoration of livelihoods and standards of living; implementation schedule for resettlement activities; and detailed cost estimate. Process Framework 26. A process framework is prepared when Bank-supported projects may cause restrictions in access to natural resources in legally designated parks and protected areas. The purpose of the process framework is to establish a process by which members of potentially affected communities participate in design of project components, determination of measures necessary to achieve resettlement policy objectives, and implementation and monitoring of relevant project activities (see OP 4.12, paras. 7 and 31). 27. Specifically, the process framework describes participatory processes by which the following activities will be accomplished (a) Project components will be prepared and implemented. The document should briefly describe the project and components or activities that may involve new or more stringent restrictions on natural resource use. It should also describe the process by which potentially displaced persons participate in project design. (b) Criteria for eligibility of affected persons will be determined. The document should establish that potentially affected communities will be involved in identifying any adverse impacts, assessing of the significance of impacts, and establishing of the criteria for eligibility for any mitigating or compensating measures necessary. (c) Measures to assist affected persons in their efforts to improve their livelihoods or restore them, in real terms, to pre-displacement levels, while maintaining

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the sustainability of the park or protected area will be identified. The document should describe methods and procedures by which communities will identify and choose potential mitigating or compensating measures to be provided to those adversely affected, and procedures by which adversely affected community members will decide among the options available to them. (d) Potential conflicts or grievances within or between affected communities will be resolved. The document should describe the process for resolving disputes relating to resource use restrictions that may arise between or among affected communities, and grievances that may arise from members of communities who are dissatisfied with the eligibility criteria, community planning measures, or actual implementation. Additionally, the process framework should describe arrangements relating to the following (e) Administrative and legal procedures. The document should review agreements reached regarding the process approach with relevant administrative jurisdictions and line ministries (including clear delineation for administrative and financial responsibilities under the project). (f) Monitoring arrangements. The document should review arrangements for participatory monitoring of project activities as they relate to (beneficial and adverse) impacts on persons within the project impact area, and for monitoring the effectiveness of measures taken to improve (or at minimum restore) incomes and living standards.

Anhang III: BP 4.12 December 2001, Involuntary Resettlement OP 4.12 January 2001 These policies were prepared for use by World Bank staff and are not necessarily a complete treatment of the subject. Involuntary Resettlement This Operational Policy statement was revised in April 2004 to ensure consistency with the requirements of OP/BP 6.00, issued in April 2004. These changes may be viewed here. OP 4.12 (revised April 2004) applies only to projects that are governed by OP/ BP 6.00, Bank Financing – that is, those in countries with approved country financing parameters. Other operational policy statements governing Bank financing that have been amended to reflect OP/BP 6.00 also apply to these projects, click to view a full Table of Contents (blue). Projects in countries without approved country financing parameters continue to be subject to other operational policy statements governing Bank financing; click here for a full Table of Contents (yellow) that includes these statements. Note: OP and BP 4.12 together replace OD 4.30, Involuntary Resettlement. These OP and BP apply to all projects for which a Project Concept Review takes place on or after January 1, 2002. Questions may be addressed to the Director, Social Development Department (SDV). 1. Bank1 experience indicates that involuntary resettlement under development projects, if unmitigated, often gives rise to severe economic, social, and environ1 “Bank” includes IBRD and IDA; “loans” includes IDA credits and IDA grants, guarantees, Project Preparation Facility (PPF) advances and grants; and “projects” includes projects under (a) adaptable program lending; (b) learning and innovation loans; (c) PPFs and Institutional Development Funds (IDFs), if they include investment activities; (d) grants under the Global Environment Facility and Montreal Protocol, for which the Bank is the implementing/executing agency; and (e) grants or loans provided by other donors that are administered by the Bank. The term “project” does not include programs under development policy lending operations. “Borrower” also includes, wherever the context requires, the guarantor or the project implementing agency.

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mental risks: production systems are dismantled; people face impoverishment when their productive assets or income sources are lost; people are relocated to environments where their productive skills may be less applicable and the competition for resources greater; community institutions and social networks are weakened; kin groups are dispersed; and cultural identity, traditional authority, and the potential for mutual help are diminished or lost. This policy includes safeguards to address and mitigate these impoverishment risks. Policy Objectives 2. Involuntary resettlement may cause severe long-term hardship, impoverishment, and environmental damage unless appropriate measures are carefully planned and carried out. For these reasons, the overall objectives of the Bank’s policy on involuntary resettlement are the following: (a) Involuntary resettlement should be avoided where feasible, or minimized, exploring all viable alternative project designs.2 (b) Where it is not feasible to avoid resettlement, resettlement activities should be conceived and executed as sustainable development programs, providing sufficient investment resources to enable the persons displaced by the project to share in project benefits. Displaced persons3 should be meaningfully consulted and should have opportunities to participate in planning and implementing resettlement programs. (c) Displaced persons should be assisted in their efforts to improve their livelihoods and standards of living or at least to restore them, in real terms, to predisplacement levels or to levels prevailing prior to the beginning of project implementation, whichever is higher.4 Impacts Covered 3. This policy covers direct economic and social impacts5 that both result from Bank-assisted investment projects6, and are caused by 2

In devising approaches to resettlement in Bank-assisted projects, other Bank policies should be taken into account, as relevant. These policies include OP 4.01, Environmental Assessment, OP 4.04, Natural Habitats, OP 4.10, Indigenous Peoples, and OP 4.11, Physical Cultural Resources. 3 The term “displaced persons” refers to persons who are affected in any of the ways described in para. 3 of this OP. 4 Displaced persons under para. 3(b) should be assisted in their efforts to improve or restore their livelihoods in a manner that maintains the sustainability of the parks and protected areas. 5 Where there are adverse indirect social or economic impacts, it is good practice for the borrower to undertake a social assessment and implement measures to minimize and mitigate adverse economic and social impacts, particularly upon poor and vulnerable groups. Other environmental, social, and economic impacts that do not result from land taking may be identified and addressed through environmental assessments and other project reports and instruments.

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(a) the involuntary7 taking of land8 resulting in (i) relocation or loss of shelter; (ii) lost of assets or access to assets; or (iii) loss of income sources or means of livelihood, whether or not the affected persons must move to another location; or (b) the involuntary restriction of access9 to legally designated parks and protected areas resulting in adverse impacts on the livelihoods of the displaced persons. 4. This policy applies to all components of the project that result in involuntary resettlement, regardless of the source of financing. It also applies to other activities resulting in involuntary resettlement, that in the judgment of the Bank, are (a) directly and significantly related to the Bank-assisted project, (b) necessary to achieve its objectives as set forth in the project documents; and (c) carried out, or planned to be carried out, contemporaneously with the project. 5. Requests for guidance on the application and scope of this policy should be addressed to the Resettlement Committee (see BP 4.12, para. 7).10

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This policy does not apply to restrictions of access to natural resources under community-based projects, i. e. where the community using the resources decides to restrict access to these resources, provided that an assessment satisfactory to the Bank establishes that the community decision-making process is adequate, and that it provides for identification of appropriate measures to mitigate adverse impacts, if any, on the vulnerable members of the community. This policy also does not cover refugees from natural disasters, war, or civil strife (see OP/BP 8.50, Emergency Recovery Assistance). 7 For purposes of this policy, “involuntary” means actions that may be taken without the displaced person’s informed consent or power of choice. 8 “Land” includes anything growing on or permanently affixed to land, such as buildings and crops. This policy does not apply to regulations of natural resources on a national or regional level to promote their sustainability, such as watershed management, groundwater management, fisheries management, etc. The policy also does not apply to disputes between private parties in land titling projects, although it is good practice for the borrower to undertake a social assessment and implement measures to minimize and mitigate adverse social impacts, especially those affecting poor and vulnerable groups. 9 For the purposes of this policy, involuntary restriction of access covers restrictions on the use of resources imposed on people living outside the park or protected area, or on those who continue living inside the park or protected area during and after project implementation. In cases where new parks and protected areas are created as part of the project, persons who lose shelter, land, or other assets are covered under para. 3(a). Persons who lose shelter in existing parks and protected areas are also covered under para. 3(a). 10 The Involuntary Resettlement Sourcebook provides good practice guidance to staff on the policy.

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Required Measures 6. To address the impacts covered under para. 3(a) of this policy, the borrower prepares a resettlement plan or a resettlement policy framework (see paras. 25–30) that covers the following: (a) The resettlement plan or resettlement policy framework includes measures to ensure that the displaced persons are (i) informed about their options and rights pertaining to resettlement; (ii) consulted on, offered choices among, and provided with technically and economically feasible resettlement alternatives; and (iii) provided prompt and effective compensation at full replacement cost11 for losses of assets12 attributable directly to the project. (b) If the impacts include physical relocation, the resettlement plan or resettlement policy framework includes measures to ensure that the displaced persons are (i) provided assistance (such as moving allowances) during relocation; and (ii) provided with residential housing, or housing sites, or, as required, agricultural sites for which a combination of productive potential, locational advantages, and other factors is at least equivalent to the advantages of the old site.13 (c) Where necessary to achieve the objectives of the policy, the resettlement plan or resettlement policy framework also include measures to ensure that displaced persons are (i) offered support after displacement, for a transition period, based on a reasonable estimate of the time likely to be needed to restore their livelihood and standards of living;14 and 11 “Replacement cost” is the method of valuation of assets that helps determine the amount sufficient to replace lost assets and cover transaction costs. In applying this method of valuation, depreciation of structures and assets should not be taken into account (for a detailed definition of replacement cost, see Annex A, footnote 1). For losses that cannot easily be valued or compensated for in monetary terms (e. g., access to public services, customers, and suppliers; or to fishing, grazing, or forest areas), attempts are made to establish access to equivalent and culturally acceptable resources and earning opportunities. Where domestic law does not meet the standard of compensation at full replacement cost, compensation under domestic law is supplemented by additional measures necessary to meet the replacement cost standard. Such additional assistance is distinct from resettlement assistance to be provided under other clauses of para. 6. 12 If the residual of the asset being taken is not economically viable, compensation and other resettlement assistance are provided as if the entire asset had been taken. 13 The alternative assets are provided with adequate tenure arrangements. The cost of alternative residential housing, housing sites, business premises, and agricultural sites to be provided can be set off against all or part of the compensation payable for the corresponding asset lost. 14 Such support could take the form of short-term jobs, subsistence support, salary maintenance or similar arrangements.

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Anhang III (ii) provided with development assistance in addition to compensation measures described in paragraph 6(a) (iii), such as land preparation, credit facilities, training, or job opportunities.

7. In projects involving involuntary restriction of access to legally designated parks and protected areas (see para. 3(b)), the nature of restrictions, as well as the type of measures necessary to mitigate adverse impacts, is determined with the participation of the displaced persons during the design and implementation of the project. In such cases, the borrower prepares a process framework acceptable to the Bank, describing the participatory process by which (a) specific components of the project will be prepared and implemented; (b) the criteria for eligibility of displaced persons will be determined; (c) measures to assist the displaced persons in their efforts to improve their livelihoods, or at least to restore them, in real terms, while maintaining the sustainability of the park or protected area, will be identified; and (d) potential conflicts involving displaced persons will be resolved. The process framework also includes a description of the arrangements for implementing and monitoring the process. 8. To achieve the objectives of this policy, particular attention is paid to the needs of vulnerable groups among those displaced, especially those below the poverty line, the landless, the elderly, women and children, indigenous peoples,15 ethnic minorities, or other displaced persons who may not be protected through national land compensation legislation. 9. Bank experience has shown that resettlement of indigenous peoples with traditional land-based modes of production is particularly complex and may have significant adverse impacts on their identity and cultural survival. For this reason, the Bank satisfies itself that the borrower has explored all viable alternative project designs to avoid physical displacement of these groups. When it is not feasible to avoid such displacement, preference is given to land-based resettlement strategies for these groups (see para. 11) that are compatible with their cultural preferences and are prepared in consultation with them (see Annex A, para. 11). 10. The implementation of resettlement activities is linked to the implementation of the investment component of the project to ensure that displacement or restriction of access does not occur before necessary measures for resettlement are in place. For impacts covered in para. 3(a) of this policy, these measures include provision of compensation and of other assistance required for relocation, prior to displacement, and preparation and provision of resettlement sites with adequate facilities, where required. In particular, taking of land and related assets may take place only after compensation has been paid and, where applicable, resettlement sites and moving allowances have been provided to the displaced persons. For impacts covered in para. 3(b) of this policy, the measures to assist the displaced persons are implemented in accordance with the plan of action as part of the project (see para. 30). 11. Preference should be given to land-based resettlement strategies for displaced persons whose livelihoods are land-based. These strategies may include resettlement 15

See OP/BP 4.10, Indigenous Peoples.

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on public land (see footnote 1 above), or on private land acquired or purchased for resettlement. Whenever replacement land is offered, resettlers are provided with land for which a combination of productive potential, locational advantages, and other factors is at least equivalent to the advantages of the land taken. If land is not the preferred option of the displaced persons, the provision of land would adversely affect the sustainability of a park or protected area,16 or sufficient land is not available at a reasonable price, non-land-based options built around opportunities for employment or self-employment should be provided in addition to cash compensation for land and other assets lost. The lack of adequate land must be demonstrated and documented to the satisfaction of the Bank. 12. Payment of cash compensation for lost assets may be appropriate where (a) livelihoods are land-based but the land taken for the project is a small fraction17 of the affected asset and the residual is economically viable; (b) active markets for land, housing, and labor exist, displaced persons use such markets, and there is sufficient supply of land and housing; or (c) livelihoods are not land-based. Cash compensation levels should be sufficient to replace the lost land and other assets at full replacement cost in local markets. 13. For impacts covered under para. 3(a) of this policy, the Bank also requires the following: (a) Displaced persons and their communities, and any host communities receiving them, are provided timely and relevant information, consulted on resettlement options, and offered opportunities to participate in planning, implementing, and monitoring resettlement. Appropriate and accessible grievance mechanisms are established for these groups. (b) In new resettlement sites or host communities, infrastructure and public services are provided as necessary to improve, restore, or maintain accessibility and levels of service for the displaced persons and host communities. Alternative or similar resources are provided to compensate for the loss of access to community resources (such as fishing areas, grazing areas, fuel, or fodder). (c) Patterns of community organization appropriate to the new circumstances are based on choices made by the displaced persons. To the extent possible, the existing social and cultural institutions of resettlers and any host communities are preserved and resettlers’ preferences with respect to relocating in preexisting communities and groups are honored. Eligibility for Benefits18 14. Upon identification of the need for involuntary resettlement in a project, the borrower carries out a census to identify the persons who will be affected by the 16

See OP 4.04, Natural Habitats. As a general principle, this applies if the land taken constitutes less than 20% of the total productive area. 18 Paras. 13–15 do not apply to impacts covered under para. 3(b) of this policy. The eligibility criteria for displaced persons under 3(b) are covered under the process framework (see paras. 7 and 30). 17

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project (see the Annex A, para. 6(a)), to determine who will be eligible for assistance, and to discourage inflow of people ineligible for assistance. The borrower also develops a procedure, satisfactory to the Bank, for establishing the criteria by which displaced persons will be deemed eligible for compensation and other resettlement assistance. The procedure includes provisions for meaningful consultations with affected persons and communities, local authorities, and, as appropriate, nongovernmental organizations (NGOs), and it specifies grievance mechanisms. 15. Criteria for Eligibility. Displaced persons may be classified in one of the following three groups: (a) those who have formal legal rights to land (including customary and traditional rights recognized under the laws of the country); (b) those who do not have formal legal rights to land at the time the census begins but have a claim to such land or assets-provided that such claims are recognized under the laws of the country or become recognized through a process identified in the resettlement plan (see Annex A, para. 7(f)); and19 (c) those who have no recognizable legal right or claim to the land they are occupying. 16. Persons covered under para. 15(a) and (b) are provided compensation for the land they lose, and other assistance in accordance with para. 6. Persons covered under para. 15(c) are provided resettlement assistance20 in lieu of compensation for the land they occupy, and other assistance, as necessary, to achieve the objectives set out in this policy, if they occupy the project area prior to a cut-off date established by the borrower and acceptable to the Bank.21Persons who encroach on the area after the cut-off date are not entitled to compensation or any other form of resettlement assistance. All persons included in para. 15(a), (b), or (c) are provided compensation for loss of assets other than land. Resettlement Planning, Implementation, and Monitoring 17. To achieve the objectives of this policy, different planning instruments are used, depending on the type of project: (a) a resettlement plan or abbreviated resettlement plan is required for all operations that entail involuntary resettlement unless otherwise specified (see para. 25 and Annex A); 19 Such claims could be derived from adverse possession, from continued possession of public lands without government action for eviction (that is, with the implicit leave of the government), or from customary and traditional law and usage, and so on. 20 Resettlement assistance may consist of land, other assets, cash, employment, and so on, as appropriate. 21 Normally, this cut-off date is the date the census begins. The cut-off date could also be the date the project area was delineated, prior to the census, provided that there has been an effective public dissemination of information on the area delineated, and systematic and continuous dissemination subsequent to the delineation to prevent further population influx.

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(b) a resettlement policy framework is required for operations referred to in paras. 26–30 that may entail involuntary resettlement, unless otherwise specified (see Annex A); and (c) a process framework is prepared for projects involving restriction of access in accordance with para. 3(b) (see para. 31). 18. The borrower is responsible for preparing, implementing, and monitoring a resettlement plan, a resettlement policy framework, or a process framework (the “resettlement instruments”), as appropriate, that conform to this policy. The resettlement instrument presents a strategy for achieving the objectives of the policy and covers all aspects of the proposed resettlement. Borrower commitment to, and capacity for, undertaking successful resettlement is a key determinant of Bank involvement in a project. 19. Resettlement planning includes early screening, scoping of key issues, the choice of resettlement instrument, and the information required to prepare the resettlement component or subcomponent. The scope and level of detail of the resettlement instruments vary with the magnitude and complexity of resettlement. In preparing the resettlement component, the borrower draws on appropriate social, technical, and legal expertise and on relevant community-based organizations and NGOs.22 The borrower informs potentially displaced persons at an early stage about the resettlement aspects of the project and takes their views into account in project design. 20. The full costs of resettlement activities necessary to achieve the objectives of the project are included in the total costs of the project. The costs of resettlement, like the costs of other project activities, are treated as a charge against the economic benefits of the project; and any net benefits to resettlers (as compared to the “without-project” circumstances) are added to the benefits stream of the project. Resettlement components or free-standing resettlement projects need not be economically viable on their own, but they should be cost-effective. 21. The borrower ensures that the Project Implementation Plan is fully consistent with the resettlement instrument. 22. As a condition of appraisal of projects involving resettlement, the borrower provides the Bank with the relevant draft resettlement instrument which conforms to this policy, and makes it available at a place accessible to displaced persons and local NGOs, in a form, manner, and language that are understandable to them. Once the Bank accepts this instrument as providing an adequate basis for project appraisal, the Bank makes it available to the public through its InfoShop. After the Bank has approved the final resettlement instrument, the Bank and the borrower disclose it again in the same manner.23 22 For projects that are highly risky or contentious, or that involve significant and complex resettlement activities, the borrower should normally engage an advisory panel of independent, internationally recognized resettlement specialists to advise on all aspects of the project relevant to the resettlement activities. The size, role, and frequency of meeting depend on the complexity of the resettlement. If independent technical advisory panels are established under OP 4.01, Environmental Assessment, the resettlement panel may form part of the environmental panel of experts.

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23. The borrower’s obligations to carry out the resettlement instrument and to keep the Bank informed of implementation progress are provided for in the legal agreements for the project. 24. The borrower is responsible for adequate monitoring and evaluation of the activities set forth in the resettlement instrument. The Bank regularly supervises resettlement implementation to determine compliance with the resettlement instrument. Upon completion of the project, the borrower undertakes an assessment to determine whether the objectives of the resettlement instrument have been achieved. The assessment takes into account the baseline conditions and the results of resettlement monitoring. If the assessment reveals that these objectives may not be realized, the borrower should propose follow-up measures that may serve as the basis for continued Bank supervision, as the Bank deems appropriate (see also BP 4.12, para. 16). Resettlement Instruments Resettlement Plan 25. A draft resettlement plan that conforms to this policy is a condition of appraisal (see Annex A, paras. 2–21) for projects referred to in para. 17(a) above.24 However, where impacts on the entire displaced population are minor,25 or fewer than 200 people are displaced, an abbreviated resettlement plan may be agreed with the borrower (see Annex A, para. 22). The information disclosure procedures set forth in para. 22 apply. Resettlement Policy Framework 26. For sector investment operations that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that the project implementing agency screen subprojects to be financed by the Bank to ensure their consistency with this OP. For these operations, the borrower submits, prior to appraisal, a resettlement policy framework that conforms to this policy (see Annex A, paras. 23–25). The framework also estimates, to the extent feasible, the total population to be displaced and the overall resettlement costs. 27. For financial intermediary operations that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that the financial intermediary (FI) screen subprojects to be financed by the Bank to ensure their consistency with this OP. For these operations, the Bank requires that before appraisal the borrower or the FI submit to the Bank a 23 See The World Bank Policy on Disclosure of Information, para. 34, (Washington, D. C.: World Bank, 2002). 24 An exception to this requirement may be made in highly unusual circumstances (such as emergency recovery operations) with the approval of Bank Management (see BP 4.12, para. 8). In such cases, the Management’s approval stipulates a timetable and budget for developing the resettlement plan. 25 Impacts are considered “minor” if the affected people are not physically displaced and less than 10% of their productive assets are lost.

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resettlement policy framework conforming to this policy (see Annex A, paras. 23–25). In addition, the framework includes an assessment of the institutional capacity and procedures of each of the FIs that will be responsible for subproject financing. When, in the assessment of the Bank, no resettlement is envisaged in the subprojects to be financed by the FI, a resettlement policy framework is not required. Instead, the legal agreements specify the obligation of the FIs to obtain from the potential subborrowers a resettlement plan consistent with this policy if a subproject gives rise to resettlement. For all subprojects involving resettlement, the resettlement plan is provided to the Bank for approval before the subproject is accepted for Bank financing. 28. For other Bank-assisted project with multiple subprojects26 that may involve involuntary resettlement, the Bank requires that a draft resettlement plan conforming to this policy be submitted to the Bank before appraisal of the project unless, because of the nature and design of the project or of a specific subproject or subprojects (a) the zone of impact of subprojects cannot be determined, or (b) the zone of impact is known but precise sitting alignments cannot be determined. In such cases, the borrower submits a resettlement policy framework consistent with this policy prior to appraisal (see Annex A, paras. 23–25). For other subprojects that do not fall within the above criteria, a resettlement plan conforming to this policy is required prior to appraisal. 29. For each subproject included in a project described in paras. 26, 27, or 28 that may involve resettlement, the Bank requires that a satisfactory resettlement plan or an abbreviated resettlement plan that is consistent with the provisions of the policy framework be submitted to the Bank for approval before the subproject is accepted for Bank financing. 30. For projects described in paras. 26–28 above, the Bank may agree, in writing, that subproject resettlement plans may be approved by the project implementing agency or a responsible government agency or financial intermediary without prior Bank review, if that agency has demonstrated adequate institutional capacity to review resettlement plans and ensure their consistency with this policy. Any such delegation, and appropriate remedies for the entity’s approval of resettlement plans found not to be in compliance with Bank policy, are provided for in the legal agreements for the project. In all such cases, implementation of the resettlement plans is subject to ex post review by the Bank. Process Framework 31. For projects involving restriction of access in accordance with para. 3(b) above, the borrower provides the Bank with a draft process framework that conforms to the relevant provisions of this policy as a condition of appraisal. In addition, during project implementation and before to enforcing of the restriction, the borrower prepares a plan of action, acceptable to the Bank, describing the specific measures to be undertaken to assist the displaced persons and the arrangements for 26 For purpose of this paragraph, the term “subprojects” includes components and subcomponents.

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their implementation. The plan of action could take the form of a natural resources management plan prepared for the project. Assistance to the Borrower 32. In furtherance of the objectives of this policy, the Bank may at a borrower’s request support the borrower and other concerned entities by providing (a) assistance to assess and strengthen resettlement policies, strategies, legal frameworks, and specific plans at a country, regional, or sectoral level; (b) financing of technical assistance to strengthen the capacities of agencies responsible for resettlement, or of affected people to participate more effectively in resettlement operations; (c) financing of technical assistance for developing resettlement policies, strategies, and specific plans, and for implementation, monitoring, and evaluation of resettlement activities; and (d) financing of the investment costs of resettlement. 33. The Bank may finance either a component of the main investment causing displacement and requiring resettlement, or a free-standing resettlement project with appropriate cross-conditionalities, processed and implemented in parallel with the investment that causes the displacement. The Bank may finance resettlement even though it is not financing the main investment that makes resettlement necessary.

Literaturverzeichnis Im Folgenden ist nur hinter den Nachweisen die Zitierweise genannt, die in der Arbeit mehrfach zitiert werden. Abi-Saab, George u. a.: Opinion: Legal Issues arising from Certain Population Transfers and Displacements on the Territory of the Republic of Cyprus in the Period since 20 July 1974, Genf 26.–27. Juni 1999. Addo, Michael K.: Human rights standards and the responsibility of transnational corporations, The Hague u. a. 1999. Aird, Sarah C.: China’s Three Gorges: The Impact of Dam Construction on Emerging Human Rights, in: Human Rights Brief 8/2 (Winter 2001), S. 24–37 (zit.: Aird). Alfredsson, Gudmundur: The Right to Development: Perspectives from Human Rights Law, in: Lars Adam Rehof/Claus Gulmann (Hrsg.), Human Rights in Domestic Law and Development Assistance Policies of the Nordic Countries, Dordrecht u. a. 1989, S. 83–90. Alfredsson, Gudmundur/Ring, Rolf (Hrsg.): The Inspection Panel of the World Bank: A Different Complaints Procedure, The Hague 2001 (zit.: Alfredsson/Ring). Alston, Philip: Opinion: The U. S. and the Right to Housing – A Funny Thing Happened on the Way to the Forum, in: European Human Rights Law Review 1 (1996), S. 120–133. – Conjuring Up New Human Rights: A Proposal for Quality Control, in: The American Journal of International Law 78 (1984), S. 607–621. Anaya, S. James: International Human Rights and Indigenous Peoples: The Move Toward the Multicultural State, in: Arizona Journal of International and Comparative Law 21 (2004), S. 13–61. – International Developments Regarding Indigenous Peoples, in: World Bank Lawyer’s Forum II, 4.–5. November 1999. Archer, Heather S.: Effect of United Nations Draft Declaration on Indigenous Rights on Current Policies of Member States, in: Journal of International Legal Studies 5 (1999), S. 205–241 (zit.: Archer). Association for the Prevention of Torture: Occasional Paper: The African Court on Human and Peoples’ Rights – Presentation, analysis and commentary: The Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights, establishing the Court, Geneva January 2000, abrufbar unter . Auprich, Andreas: Das Recht auf Entwicklung als kollektives Menschenrecht, Frankfurt am Main u. a. 2000 (zit.: Auprich).

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Stichwortverzeichnis ADB siehe Asiatische Entwicklungsbank AEMR siehe Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AERPM siehe Amerikanische Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen African Charter for Popular Participation in Development and Transformation 249 Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (Banjul-Charta) 46, 58, 67 f., 77, 86, 98, 103 ff., 107, 109, 117 f., 122 f., 125, 201, 204, 224, 243 ff., 280, 283 f., 377 Afrikanische Entwicklungsbank siehe Entwicklungsbank Afrikanische Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker 68, 117 f., 122, 283, 377 Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker 284 AGMR siehe Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Alien Torts Claim Act 164, 173, 181 Allgemeine Bemerkung 273; siehe auch General Comment – Nr. 4 zum Recht auf angemessene Unterbringung 113 ff. – Nr. 7 zum Recht auf angemessene Unterbringung 113 ff., 290 – Nr. 16 zu Art. 17 IPBPR 88 f. – Nr. 27 (67) – Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 12) 52, 54 f., 75 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 47, 56 ff., 70, 86, 97, 111, 246, 356, 371, 395

American Declaration of the Rights and Duties of Man siehe Amerikanische Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen Amerikanische Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen 63 Amerikanische Konvention über Menschenrechte 46, 58, 62 ff., 76 ff., 82 f., 86, 95 f., 98, 100 ff., 122, 233, 243, 282 f., 383 AMRK siehe Amerikanische Konvention über Menschenrechte AMRV siehe Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker Articles of Agreement siehe Weltbank Asiatische Entwicklungsbank siehe Entwicklungsbank ATCA siehe Alien Torts Claim Act Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte siehe Vereinte Nationen Banjul-Charta siehe Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker Bank Procedure 4.12 Involuntary Resettlement siehe Weltbank Bedürfnis, öffentliches 104 Beteiligung, öffentliche 239, 250; siehe auch Participation Bevölkerungstransfer, menschenrechtliche Aspekte 30, 69, 72, 253 Bleiberecht siehe auch right to remain, right to stay

Stichwortverzeichnis – heimatrechtliches 125 ff., 141 ff., 205, 234, 378, 384; siehe auch right to live and remain in one’s homeland – menschenrechtliches 44 f., 55, 58, 68, 70, 73, 77, 84 f., 90, 95 f., 98 f., 104, 108, 110, 117, 124, 134 ff., 143 ff., 238, 376 ff. Bundesverfassungsgericht 107, 182, 288 BVerfG siehe Bundesverfassungsgericht Charta der Vereinten Nationen siehe Vereinte Nationen Collective right siehe Gruppenrecht Committee on Economic, Social and Cultural Rights siehe Vereinte Nationen; siehe auch Vereinte Nationen, Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Community participation siehe Gemeindebeteiligung Comprehensive Development Framework 357, 359; siehe auch Entwicklung Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-based Displacement 251, 375, 378 Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua siehe Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Cyprus ./. Turkey siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Declaration of International Law Principles on Internally Displaced Persons 74, 231, 339, 375, 378 Declaration of International Law Scholars on Forced Relocation 48, 59, 68, 96, 100 Development siehe auch Entwicklung – development(al) ethnocide siehe Ethnozid – development-induced siehe Entwicklung

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– human 241, 270, 358; siehe auch Entwicklung, menschliche – sustainable 312, 348, 351, 358; siehe auch Entwicklung, nachhaltige Diskriminierungsverbot 111, 209, 224, 236; siehe auch Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung – allgemeines 263, 388 – menschenrechtliches 223, 236 Displacement siehe auch Umsiedlung – Guiding Principles on Internal Displacement 39, 48, 69, 71, 74, 89, 146, 148, 231, 338, 375, 378 Dolus specialis siehe Völkermordtatbestand Draft United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples 183, 195, 382; siehe auch Völker EBRD siehe Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EGMR siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Eigentum siehe auch Entschädigung – Eigentumskonzept indigener Gemeinden 102 – Eigentumsrecht 96 ff., 102 ff., 123 ff., 269, 286, 376 f., 379 – Gemeinschaftseigentum 101 f., 124, 383 EMRK siehe Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Entschädigung 104 ff., 121, 154 f., 267 ff., 281, 307, 311 ff., 389 – Enteignungsentschädigung 106 – Entschädigungspflicht 105 – just compensation 267, 389 – Land-für-Land 107, 154, 311 f. Entwicklung; siehe auch Comprehensive Development Framework und Development – Entwicklungsbank siehe Entwicklungsbank

470

Stichwortverzeichnis

– entwicklungsbedingt 33 – entwicklungsbedingte Zwangsumsiedlung siehe Zwangsumsiedlung; siehe auch Umsiedlung – Entwicklungs-Säuberung 160, 380 – Entwicklungsvölkermord siehe Völkermord; siehe auch Ethnozid – Erklärung über das Recht auf Entwicklung 210 f., 244 ff., 248, 359, 386 – menschliche 259, 268, 270, 358, 361, 371 – nachhaltige 358, 394 – Partizipationsrechte, entwicklungsbezogene siehe Partizipationsrechte – Zwangsumsiedlung zu Entwicklungszwecken siehe Zwangsumsiedlung; siehe auch Umsiedlung Entwicklungsbank; siehe auch Weltbank – Afrikanische Entwicklungsbank 298 – Asiatische Entwicklungsbank 30, 298, 345, 362 – Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 345 – Interamerikanische Entwicklungsbank 62, 298, 309 f., 315 – International Bank for Reconstruction and Development siehe Weltbank – Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung siehe Weltbank – multilaterale 304, 313 Equator Principles 300 Erga-omnes-Verpflichtung 161, 176, 204, 224, 286 „Erstgenerationsrechte“ siehe Rechte erzwungen siehe zwangsweise; siehe auch involuntary Ethnozid 159 f., 173, 177 ff., 182 ff., 208, 381 f.; siehe auch Völkermord – Entwicklungsethnozid 160, 380 – ethnocide, developmental 160, 380 – Ethnozidverbot 179, 182 f.

Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung siehe Entwicklungsbank Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 46, 58, 98 – Protokoll Nr. 4 46 Europäische Menschenrechtskommission 59, 92, 99 ff., 232 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 59, 61 f., 68, 80 ff., 88, 91 ff., 99 f., 103, 106 f., 199 f., 231, 258, 262, 264 ff., 280 f., 284, 288 f., 383 – Cyprus v. Turkey 91 f., 99, 231 – Noack et autres c. Allemagne 59 ff., 81 ff., 91 f., 106 f., 199 f., 264 ff. Europarat 237, 281 Fakultativprotokoll zum IPBPR siehe Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Finanzinstitutionen – bilaterale 297 – internationale 217, 292 f., 378, 390 – multilaterale 30, 42, 293, 297, 373, 390, 464 – private 299 f., 374 Flucht 31 f., 34, 125, 128, 233 Forced eviction siehe Zwangsentfernung Forcible displacement 31, 138, 143, 307; siehe auch Zwangsentfernung Freedom of movement (article 12) 53, 67, 73 ff., 83 ff., 138, 142, 235; siehe auch Freizügigkeitsgarantie und General Comment No. 27 Freizügigkeitsgarantie 49 f., 61, 74, 234 Gemeindebeteiligung 239 Gemeinschaftseigentum siehe Eigentum Gemeinwohlinteresse 89, 104, 387 f. General Comment siehe auch Allgemeine Bemerkung

Stichwortverzeichnis – No. 4 – The right to adequate housing 114 f., 123 – No. 7 – The right to adequate housing 37, 112, 114 ff., 123, 290 – No. 27 (67) – Freedom of movement (article 12) 53, 76, 78 f. Genocide siehe Völkermord Genozid siehe Völkermord Gleichheitsgrundsatz 262 f., 388 Grundrecht – Grundrechtsschranken 41, 43, 70 f., 76 f., 100, 105, 194, 257, 387 – internationales, Begriff 38, 153 – Schrankenvorbehalt 77 f., 80, 88, 95, 103 f. Gruppenrecht 40, 127, 147, 162 f., 195 f., 222, 256, 381 Guiding Principles on Internal Displacement siehe Displacement Heimat 31 f., 34, 99, 125 ff., 130 ff., 136, 141 ff., 145, 178, 205 f., 226, 378 – Begriff 128 ff., 132 f., 378 – Recht auf siehe Recht auf Host community siehe Host population Host population, Begriff 36 Human Development siehe Development; siehe auch Entwicklung Human Rights 47, 54 f., 75, 92 ff., 116, 143, 152, 162, 179, 191 f., 241 f., 251, 255, 262, 284 f., 290, 305, 336 ff., 346 ff., 360, 364 ff., 369, 371 ff., 378; siehe auch Menschenrechte Human Rights Chamber for Bosnia and Herzegovina 92 Human Rights Committee siehe Vereinte Nationen, Menschenrechtsausschuss IADB siehe Interamerikanische Entwicklungsbank

471

IBRD siehe International Bank for Reconstruction and Development; siehe auch Weltbank ICTY siehe Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien IDA siehe Internationale Entwicklungsorganisation IFC siehe Internationale Finanzkorporation IGH siehe Internationaler Gerichtshof ILA siehe Internationale Völkerrechtsgesellschaft ILO siehe Internationale Arbeitsorganisation ILO-Konvention siehe Internationale Arbeitsorganisation ILO-Übereinkommen siehe Internationale Arbeitsorganisation Indigene und in Stämmen lebende Völker siehe Völker Indigene Völker siehe Völker; siehe auch Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples Individualbeschwerde 223, 274, 276, 281 f., 289, 383, 390 Individualbeschwerdeverfahren 190, 196, 222 f., 272, 274, 276 Informationsrechte; siehe Recht auf Inspection Panel siehe Weltbank Interamerikanische Entwicklungsbank siehe Entwicklungsbank Interamerikanische Kommission für Menschenrechte 65 ff., 101, 167, 174, 201, 222 – Yanomami-Entscheidung 66 f. Interamerikanische Menschenrechtskommission siehe Interamerikanische Kommission für Menschenrechte Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 64, 65, 100 f., 282, 383 – Comunidad Mayagna (Sumo) Awas Tingni ./. Nicaragua 65, 100 f., 222

472

Stichwortverzeichnis

Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof siehe Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Interesse, öffentliches 76 f., 80 ff., 85, 103 f., 238, 243, 256, 261 f., 267, 388 International Bank for Reconstruction and Development siehe Weltbank International Covenant on Civil and Political Rights siehe Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte International Development Association siehe Internationale Entwicklungsorganisation International Finance Corporation siehe Internationale Finanzkorporation International Law Association siehe Internationale Völkerrechtsgesellschaft Internationale Arbeitsorganisation 149, 277, 380 – ILO-Konvention siehe ILO-Übereinkommen – ILO-Übereinkommen 107, 149 ff., 152 ff., 277 ff., 306, 309 f., 313, 350, 380, 392 Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 291 f., 357 f., 369; siehe auch Weltbank Internationale Entwicklungsorganisation siehe Weltbank Internationale Finanzkorporation siehe Weltbank Internationale Organisationen 69 f., 134 ff., 138, 144, 269, 292, 326 f., 352 ff., 367 Internationale Völkerrechtsgesellschaft 69, 74 f., 230, 339, 375 Internationaler Gerichtshof 135, 139 f., 204, 210 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 46 ff, 73 ff., 82 ff., 96 f., 107, 113, 127, 131, 187 ff., 192 ff., 201, 210, 213, 218 f., 221, 223 ff., 233, 236, 239, 243, 272 ff., 278, 285, 356, 382 ff., 385

– Fakultativprotokoll zum IPBPR 190, 196, 223, 270, 272, 274 ff. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 47, 97, 109, 111 f., 120 f., 124, 127, 187, 207, 210, 213, 219, 275 f., 278, 289, 356, 376, 384 Internationaler Strafgerichtshof 175 – Statut 175 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien 140, 162, 164 Internationaler Währungsfonds 41, 291 f., 355, 359, 363 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung 224, 230, 273 Involuntary, Begriff 34; siehe auch Umsiedlung I.O. siehe Internationale Organisationen IPBPR siehe Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPWSKR siehe Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte IStGSt siehe Internationaler Strafgerichtshof Ius cogens 161, 204, 224 IWF siehe Internationaler Währungsfonds Jubilee Charter for Rights of Displaced People 137, 142 Konsultation, Recht auf informierte Konsultierung siehe Recht auf Kultur 129, 148, 150, 177 f., 181 f., 186 ff., 190 ff., 199 ff., 208, 215, 227, 233, 243, 333, 382 f., 387 – kulturelle Identität 177, 183, 186, 201, 217, 382 – kulturelle Integrität 177 f., 183, 185 f., 201, 231 ff. siehe auch Recht auf

Stichwortverzeichnis

473

– kultureller Völkermord siehe Völkermord

– projektgebundene siehe projektbezogene

Landrechte siehe Rechte

– projektspezifische siehe projektbezogene

Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights 109, 118, 368 Massenzwangsentfernungen siehe Zwangsentfernungen Menschenrechte 29 f., 36 ff., 50, 56 ff., 62, 64 ff., 83, 85, 97 f., 102, 105, 107 ff., 117 ff., 121 f., 124 ff., 130 f., 133, 136 ff., 140 ff., 146 f., 150, 161, 177, 183, 186, 195, 198, 200, 201, 210 f., 214, 221, 226, 232, 234, 238 ff., 245 ff., 253, 256 f., 259, 266, 270 ff., 276, 279 f., 282 ff., 286 ff., 299, 303, 307, 313 ff., 317, 328, 334 f., 337 f., 344, 346 ff., 350 ff., 355 f., 359 ff., 368 ff., 383 ff. – allgemeine 38, 125, 144, 195, 243 – besondere 200 – der „ersten Generation“ siehe Rechte – der „zweiten Generation“ siehe Rechte – Konditionalisierung siehe Menschenrechtskonditionalisierung – spezielle, Begriff 39 – Standards siehe Menschenrechtsstandards – Verträglichkeitsprüfung siehe Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung Menschenrechtskommission – der Vereinten Nationen siehe Vereinte Nationen – Europäische 59, 92, 99 f., 232, 281 f. Menschenrechtskonditionalisierung 42, 350, 352, 363, 365 ff., 394 f. – projektbezogene 42, 352, 355, 363, 365 ff., 394 f.

Menschenrechtsstandard 42, 246, 332 f., 347, 373 Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung 270, 351, 363 f., 370, 373, 389 MIGA siehe Multilaterale InvestitionsGarantie-Agentur Minderheit 32, 37, 52, 60, 72 f., 102, 127 f., 130, 147 f., 157 ff., 176, 186 ff., 194 ff., 207 f., 213 f., 218 ff., 222, 225, 232, 237 f., 264, 297, 306, 379 ff., 383, 385 – ethnische 147 f., 190, 264, 297, 306 – Minderheitengruppe siehe Minderheit – Minderheitenschutz 43, 147, 187, 218 f., 225, 236, 381 ff. – Minderheitenschutzrechte 43, 147, 375, 380, 385, 392 – nationale 130, 147, 198 f., 207, 213, 218, 237 Miskitos 65 f., 222 – Miskito-Report 65, 222 MLIs siehe Multilaterale Institutionen MRK siehe Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Multilateral Investment Guarantee Agency siehe Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur Multilaterale Entwicklungsbanken siehe Entwicklungsbank Multilaterale Finanzinstitutionen siehe Finanzinstitutionen Multilaterale Institutionen 41, 289, 346 Multilaterale Investitions-GarantieAgentur siehe Weltbank MVP siehe Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung

474

Stichwortverzeichnis

Neutralitätsklausel 363 ff., 373, 395 Noack et autres c. Allemagne siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte OAS siehe Organisation Amerikanischer Staaten Obligation to fulfil 118 f., 377 Obligation to protect 118 f., 149, 377 Obligation to respect 118 f., 377 OD siehe Operational Directive öffentlich – Bedürfnis 104 – Interesse 76 f., 80 ff., 85, 103 f., 238, 243, 256, 261 f., 267, 388 – Ordnung 76, 80, 104 Operational Directive (OD) – 4.20 Indigenous Peoples siehe Weltbank – 4.30 Involuntary Resettlement siehe Weltbank Operational Manual Statement No. 2.33 siehe Weltbank Operational Policy siehe Weltbank Organisation Amerikanischer Staaten 67, 174, 183, 382 Participation; siehe auch Beteiligung und Partizipationsrechte; siehe auch African Charter for Popular Participation in Development and Transformation – community participation 239 – popular 239, 249, 323; siehe auch Beteiligung, öffentliche Partizipationsrechte 40, 89, 155 f., 211 f., 239, 242 ff., 250 f., 253 ff., 286, 305, 339, 341, 346, 386 – entwicklungsbezogene 40, 156, 242 ff., 250 f., 253 ff., 286, 386 Power of eminent domain-Theorie 267 „Prior, free and informed consent“ siehe Zustimmung

Proposed American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples 170; siehe auch Indigene Völker Protokoll Nr. 4 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten siehe Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Quality Assurance and Compliance Unit siehe Weltbank Rassendiskriminierung siehe Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Recht auf – Achtung der Wohnung 45, 60, 81, 85 ff., 104, 130 f., 231 ff., 273, 286, 376 f., 379 – angemessene Unterbringung 45, 108, 110 ff., 119 ff., 269, 276, 286, 290, 312, 376 f., 379, 389 – Entwicklung 109, 208, 210 f., 235, 240 f., 244 ff., 258, 359, 372, 384, 386, 388 f.; siehe auch right to development – Fortbestand 159, 160 ff., 168, 171, 174 f., 177, 183 f., 186, 198, 340, 381 – Heimat 125 ff., 131 ff., 136, 141 ff., 145, 205 ff., 234 f.; siehe auch Heimat – Information 251 – informierte Konsultierung 251, 340 f., 386, 392 – kulturelle Integrität 183, 185, 382 – Partizipation 242, 247, 250 f.; siehe auch Partizipationsrechte – Privatleben 61, 86, 91, 95, 199, 231, 383 – Verhandlungen 253 – Versammlung 255 – Veto siehe Rechte

Stichwortverzeichnis – Wohnsitzfreiheit 45 ff., 55, 59, 61 ff., 66, 68, 70 ff., 88 ff., 95, 130, 132 f., 142, 233 f., 273, 286, 376 f., 379 Rechte – der „ersten Generation“ 108, 122 – der „zweiten Generation“ 108 ff., 112, 118 f., 122, 376 – Gruppenrechte 40, 127, 147, 162 f., 195 f., 222, 256, 381 – Landrechte 108, 213, 311, 392 – Minderheitenschutzrechte siehe Minderheiten – Partizipationsrechte siehe Partizipationsrechte – Vetorecht 221, 253 ff., 310 f., 343, 385, 387 – WSK-Rechte 109, 111, 113, 117 ff., 376 Rechtsquellen 314 Rechtsquellenlehre 140, 245, 314 resettlement siehe Umsiedlung – involuntary 27, 31 ff., 34, 260 f., 294 f., 298 f., 301 ff., 315 ff., 321, 334, 339, 341, 343, 347, 351, 362; siehe auch Umsiedlung, unfreiwillige right – collective 124, 222; siehe auch Gruppenrecht – not to be forcefully evicted 44, 115, 120 – to adequate housing 37, 110 ff., 114 f., 120, 123 – to development 210 f., 240, 242, 244, 248; siehe auch Entwicklung – to live and remain in one’s homeland 128 f., 143; siehe auch Bleiberecht – to remain 44, 73, 238, 376; siehe auch Bleiberecht – to stay 44 f., 85, 104, 110, 145, 376 ff.; siehe auch Bleiberecht „rights-based-approach“ 29, 170, 183, 394

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Safeguard Policies siehe Weltbank Sardar Sarovar-Projekt 324 ff., 338 Selbstbestimmungsrecht – der Völker 127, 202 ff., 209 ff., 216, 218 ff., 242, 244, 286, 383 f. – externes 205 – inneres siehe internes – internes 156, 205, 207 f., 216 f., 220, 384 f. Soft law 73 Sonderberichterstatter der UN-Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten siehe Vereinte Nationen Sonderberichterstatter über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers einschließlich Formen von Besiedlungspolitik siehe Vereinte Nationen Sondervertreter des UN-Generalsekretärs für Binnenvertriebene siehe Vereinte Nationen Sozialverträglichkeitsprüfung 270, 325, 349, 389, 393 SSP siehe Sardar Sarovar-Projekt SVP siehe Sozialverträglichkeitsprüfung Umsiedlung; siehe auch Guiding Principles on Internal Displacement – Begriff 31 f., 39 f. – entwicklungsbedingt 30 f., 33 f. – erzwungene 31 f., 34, 36, 39, 53, 96, 137, 150 f., 167, 173, 175 ff., 213, 225, 252, 256, 303, 343 – resettlement siehe resettlement, involuntary – unfreiwillige 28, 31 f., 33 ff., 38, 40, 42 ff., 53, 60, 66, 68, 73, 81, 91, 98, 100, 102 f., 108, 125, 150 f., 153, 155, 158, 163 f., 177, 189, 194, 202, 205, 212 f., 228, 238 f., 252, 254 ff., 260 f., 263, 266 f., 270, 293 ff., 299 ff., 306, 308, 310 ff., 319 ff., 325, 332, 337 ff., 343 f., 346 f.,

476

Stichwortverzeichnis

349 f., 362, 371, 374, 377, 381, 390 ff., 395 – Zwangsumsiedlung 28 ff., 31 ff., 50, 53 f., 56, 58 ff., 62 f., 65 ff., 71 ff., 76, 79, 81, 83 ff., 89, 91 f., 94, 96, 100, 103 ff., 107 f., 110, 119, 124 f., 127 ff., 133 f., 141, 143 ff., 163, 165, 167 ff., 171 ff., 183 ff., 194, 196 f., 199 ff., 205, 207 ff., 215, 217 f., 220 ff., 225 ff., 236, 239, 241, 243, 250 ff., 255 ff., 273 f., 276, 278 f., 284, 286 f., 289 ff., 293 f., 303 ff., 310 ff., 321, 335, 338, 343 f., 346 f., 364, 373, 375 f., 378 ff., 396; siehe auch unfreiwillige Umsiedlung und Zwangsumsiedlung – zwangsweise 34 f., 48, 177, 209; siehe auch Zwangsumsiedlung Umweltverträglichkeitsprüfung 296, 350 UN siehe auch Vereinte Nationen – Committee on Economic, Social and Cultural Rights 113, 121, 276 f.; siehe auch Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples 183, 195, 382; siehe auch Indigene Völker – United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization 179 UNESCO siehe UN unfreiwillig; siehe auch zwangsweise und Umsiedlung – Begriff 34 ff. UNO siehe Vereinte Nationen Unterwanderung 226 f., 234 f., 238, 386 UVP siehe Umweltverträglichkeitsprüfung Verbrechen gegen die Menschheit 171, 175 f., 236 Verbrechen gegen die Menschlichkeit siehe Verbrechen gegen die Menschheit

Verdrängung 226 f., 232 ff., 238, 386 Vereinte Nationen – Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 37, 113, 117, 121, 123, 276, 289 – Charta der 203, 369 – Menschenrechtsausschuss 52 ff., 75, 78, 87 f., 90, 96, 113, 117, 187 f., 190 ff., 197, 200, 211, 213, 222 f., 225, 283, 382 f. – Menschenrechtskommission 52, 69, 72, 110, 112, 138 f., 183, 210, 248, 276, 279 – Sonderberichterstatter der UN-Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten 69 – Sonderberichterstatter über die menschenrechtlichen Aspekte von Bevölkerungstransfers einschließlich Formen von Besiedlungspolitik 72 ff., 81, 152, 169, 209, 214, 217, 253 – Sonderorganisation 149, 179, 275, 289 ff., 355, 358, 369 f., 395 – Sondervertreter des UN-Generalsekretärs für Binnenvertriebene 69, 375 – Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten 69, 72, 110, 112, 138, 141, 226, 290 f., 351 – Begriff 32 Verhältnismäßigkeit 82, 85, 106, 153, 257 f., 260, 264, 387 – Grundsatz der 82, 85, 258, 387 – Prüfung der 153, 212, 257, 270 Vertreibung 30 ff., 34, 92 ff., 133, 136, 152, 173 ff., 181 f. Vetorecht siehe Rechte Vis absoluta 34 Völker – indigene 39, 52, 154 ff., 159, 174 ff., 178, 185 f., 188, 191, 196 f., 207, 215, 218, 307, 382 – indigene und in Stämmen lebende 39, 102, 108, 147, 149 ff., 155 ff.,

Stichwortverzeichnis 196, 212 ff., 217 f., 222, 242, 253, 255, 268, 277, 279, 296 f. Völkergewohnheitsrecht 57 f., 134 f., 139, 140, 144, 161, 202, 204, 246 f., 249 f., 314, 367, 370, 377 f., 386, 390 – Opinio juris siehe Rechtsüberzeugung – Rechtsüberzeugung 135, 139, 377 – Staatenpraxis 135 f., 138 ff., 174, 378 – Übung siehe Staatenpraxis Völkermord; siehe auch Ethnozid – Entwicklungsvölkermord 159, 173 f., 380 – Genocide, cultural 160, 173, 184 – Genocide, developmental 159, 380 – Genozid 160, 162 ff., 170, 172, 174, 180 ff., 231, 236, 382 – kultureller 159, 172, 179, 181 f. Völkermordkonvention 161 ff., 170 f., 175, 179 f., 182 ff., 188 Völkermordtatbestand 162 ff., 167, 170 f., 182, 381 – dolus specialis 165, 170 f. – objektiver 164 – specific intent 169 f. – subjektiver 163, 167, 170, 381 Völkermordverbot 161, 163, 167 f., 171, 173 f., 179, 182, 236, 286 f., 381 Völkerrechtsfähigkeit 353 ff. – allgemeine 354 – mandatsbegrenzte 355 Völkerrechtspersönlichkeit 353 ff., 367 Völkerrechtssubjekt 134, 144, 353, 368, 370, 386 Völkerrechtssubjektivität 352 f., 355, 394 Wapenhans-Bericht 326 WB siehe Weltbank WCD siehe Weltkommission für Staudämme

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Weltbank 30, 41 f., 62, 134, 165, 228, 254, 260, 263, 289, 291 ff., 303 ff., 343 ff., 389 ff., 394 f. – Articles of Agreement 42, 299, 318, 355, 357, 363 f., 394 – Bank Procedure 4.12 Involuntary Resettlement 294 f., 318 f., 347 – Inspection Panel 227 f., 254, 295, 314 f., 317 ff., ,326 ff., 334 ff. 364 f., 371, 390 f., 393 – International Bank for Reconstruction and Development 291 f., 298 f., 300, 323 f., 333, 345, 350 ff., 361, 363 ff., 394 f. – International Development Association siehe Internationale Entwicklungsorganisation – Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung siehe International Bank for Reconstruction and Development – Internationale Entwicklungsorganisation 249, 291 f., 298 ff., 324, 333, 345, 350 ff., 353 ff., 361, 363 ff., 394 f. – Internationale Finanzkorporation 291, 297 ff., 331, 345 f., 390 – Multilateral Investment Guarantee Agency siehe Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur – Multilaterale Investitions-GarantieAgentur 291, 345 f. – Operational Directive (OD) 4.20 Indigenous Peoples 297, 305, 318 f., 340, 347 f., 350 – Operational Directive (OD) 4.30 Involuntary Resettlement 295, 301, 316, 318 f., 342 f. – Operational Manual Statement No. 2.33 294 f. – Operational Policy 204, 294 ff., 312, 347 ff. – Quality Assurance and Compliance Unit 322 f.

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Stichwortverzeichnis

– Safeguard Policies 293, 297, 299 f., 303, 314, 316 ff., 332 f., 339, 344, 346 ff., 362, 366, 370 ff., 391, 393 ff. Welthandelsorganisation 41, 217, 346, 374 Weltkommission für Staudämme 27, 172, 240 ff., 250, 253, 259, 261 f., 305, 313, 316 – Studie der 147, 240 Westdeutsche Landesbank 300 WestLB siehe Westdeutsche Landesbank Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 367 Wohnsitzfreiheit siehe Recht auf Wohnung 32, 34, 36 f., 44 f., 50, 60 f., 81, 85 ff., 99 f., 103 f., 108, 110 ff., 118, 120 f., 124 f., 128, 130 f., 134, 136, 144 f., 224, 231 ff., 238, 264, 268, 273, 286, 376 f., 379, 383, 385, 388 World Commission on Dams siehe Weltkommission für Staudämme World Trade Organization siehe Welthandelsorganisation WSK-Rechte siehe Rechte WTO siehe Welthandelsorganisation WÜRV siehe Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

Zustimmung 34, 36, 102, 113, 133, 151 f., 211 f., 221, 229, 235, 253 ff., 283, 309 ff., 330, 341, 368, 384, 386 f. – „prior, free, and informed consent“ 252 f., 386 – Zustimmungserfordernis 212 – Zustimmungsgebot 252 ff., 308 ff., 386 f. Zwangsentfernung 36 ff., 40, 44, 50 ff., 61, 68, 70, 75 ff., 85 ff., 100, 103 ff., 107, 111 ff., 115 ff., 120 f., 124 f., 133, 138, 144, 148, 151, 221, 232 f., 266, 269 f., 290, 376 f., 379 f., 389 – Begriff 36 f. – forced eviction 37, 110 ff., 115 ff., 121, 123, 138, 252, 269, 290 f., 376 – Massenzwangsentfernung 50 ff., 376 Zwangsumsiedlung siehe auch Umsiedlung – entwicklungsbedingt 30 f., 33; siehe auch Umsiedlung – zu Entwicklungszwecken 30 f., 33; siehe auch Umsiedlung zwangsweise; siehe auch unfreiwillig und Umsiedlung – Begriff 34 ff.