Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688): Studien zu einem frühneuzeitlichen Mehrfachherrscher [1 ed.] 9783428553433, 9783428153435

Am 16. Februar 2020 jährte sich der Geburtstag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) zum 400. Mal

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Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688): Studien zu einem frühneuzeitlichen Mehrfachherrscher [1 ed.]
 9783428553433, 9783428153435

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Historische Forschungen Band 119

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) Studien zu einem frühneuzeitlichen Mehrfachherrscher Von Michael Rohrschneider

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL ROHRSCHNEIDER

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688)

Historische Forschungen Band 119

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) Studien zu einem frühneuzeitlichen Mehrfachherrscher

Von Michael Rohrschneider

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p gmbh, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-15343-5 (Print) ISBN 978-3-428-55343-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85343-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Erinnerung an Ernst Opgenoorth (12. Februar 1936 – 2. September 2018)

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Die brandenburg-preußische Mehrfachherrschaft: Strukturen und Probleme Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. Aspekte und Perspektiven der neueren Forschung am Beispiel Brandenburg-Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

II. Persönlichkeiten im Umfeld des Großen Kurfürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693) – ein anhaltischer Fürst im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Johann Moritz von Nassau-Siegen als Scharnier zwischen niederländischer und kurbrandenburgischer Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

„…vndt keine favoritten ahn Euerem hoffe haltet“: Zur Stellung Ottos von Schwerin im Regierungssystem des Großen Kurfürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Fragen der Außen- und Reichspolitik Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Die Statthalter des Großen Kurfürsten als außenpolitische Akteure . . . . . . . . . . . . . 161

8

Inhaltsverzeichnis

IV. Der Große Kurfürst im Spiegel der Historiographie Friedrich der Große als Historiograph des Hauses Brandenburg. Herrscherideal, Selbststilisierung und Rechtfertigungstendenzen in den „Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Die Pommern-Politik des Großen Kurfürsten im Urteil der Geschichtsschreibung

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Drucknachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Einleitung Um das „sonderbare Licht in Teutschland“1 ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 – 1688), vormals eine der „Lichtgestalten“2 der borussischen Historiographie und darüber hinaus lange Jahre zentraler Gegenstand der Erforschung des Alten Reiches im 17. Jahrhundert, ist in der jüngeren Geschichtswissenschaft vergleichsweise selten Gegenstand umfassender monographischer Studien gewesen3. Die im Jahre 2001 erschienene Dissertation von Peter Bahl über den „Hof des Großen Kurfürsten“ zählt zu den wenigen Ausnahmen, auch wenn in dieser prosopographisch angelegten Untersuchung nicht die Person und das Wirken des Herrschers selbst im Mittelpunkt steht4. Zwar liegt seit dem Jahre 2005 mit dem Sammelwerk „Membra unius capitis“, das auf eine wissenschaftliche Tagung in Schloss Oranienburg zurückgeht, eine Veröffentlichung vor, welche die Herrschaft Kurfürst Friedrich Wilhelms erstmals systematisch in den Forschungskontext frühneuzeitlicher „composite monarchies“ einbettet5. Die Zielset1 Vgl. Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990. 2 Johannes Arndt, Der Große Kurfürst, ein Herrscher des Absolutismus? Über die Möglichkeiten und Grenzen monokratischer Herrschaft im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/ Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (Münstersche historische Forschungen, 9), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 249 – 273, hier S. 251. 3 Die bis 2013 erschienene Literatur findet sich verzeichnet in: Gabriele Jochums (Bearb.), Bibliographie Friedrich Wilhelm Kurfürst von Brandenburg. Schrifttum von 1640 bis 2013 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 16), Berlin 2015. 4 Vgl. Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft, 8), Köln/Weimar/Wien 2001. 5 Vgl. Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 7), Berlin 2005. Vorangegangen waren wichtige Arbeiten, die das Feld inhaltlich bereitet haben; vgl. insbesondere Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 5), Köln/Wien 1984; Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87; vgl. nachfolgend auch Helmut Neuhaus, Das Werden Brandenburg-Preußens, in: Hans-Jürgen Becker (Hrsg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte.

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Einleitung

zung des Bandes konzentriert sich aber ebenfalls weniger auf den Hohenzollern selbst als vielmehr auf strukturelle Fragen seiner Herrschaftspraxis. Blickt man zurück auf die Forschungsgenese der letzten rund hundert Jahre, dann ist dieser Befund bemerkenswert. Denn seit dem späten 19. Jahrhundert ist kaum ein Jahrzehnt vergangen, in dem nicht der Versuch unternommen wurde, große Gesamtentwürfe zur Politik Friedrich Wilhelms vorzulegen. Gerade in einer Zeit, in der die Geschichtswissenschaft in bester historistischer Manier mit Vorliebe das Wirken der leitenden Akteure in den Mittelpunkt ihres Erkenntnisinteresses rückte, wurden voluminöse Monographien erarbeitet, deren Fokus ganz auf dem ,Großen‘ Kurfürsten lag6. So legten Autoren wie Martin Philippson, Georges Pagès und Albert Waddington7 allesamt umfassende Darstellungen mit einer erkennbaren Schwerpunktsetzung im Bereich klassischer Themen der (außen)politischen Geschichte vor – ganz abgesehen von den zahlreichen populär gehaltenen Publikationen, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richteten8. Interessanterweise wies aber schon der Droysen-Schüler Bernhard Erdmannsdörffer in seiner Monographie zur Rolle Georg Friedrichs von Waldeck in kurbrandenburgischen Diensten auf das Erfordernis hin, in angemessener Weise auch die Berater des Kurfürsten zu berücksichtigen, um zu einer adäquaten Gesamtbewertung seines politischen Wirkens zu gelangen9. Inzwischen liegen zu den maßgeblichen Persönlichkeiten der kurbrandenburgischen Politik des 17. Jahrhunderts umfangreiche Studien vor10. Dieses erkennbare Abrücken von einer einseitigen Herrscherzentrierung im Rahmen der Erforschung der kurbrandenburgischen Geschichte erhielt gerade in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg durch neue Forschungsansätze wegweisende Impulse. Unter dem Eindruck der Diskreditierung der national- und machtTagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 19.3.–21. 3. 2001 (Beihefte zu „Der Staat“, 16), Berlin 2006, S. 237 – 256. 6 Zur viel diskutierten Frage der historischen Größe Kurfürst Friedrich Wilhelms ist nach wie vor grundlegend: Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, hier Bd. 1, S. 18 f. und Bd. 2, S. 354 – 357; andere Akzente setzt Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640 – 1688), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 95 – 112, hier S. 108 – 112. 7 Vgl. Martin Philippson, Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 3 Bde., Berlin 1897 – 1903; Georges Pagès, Le Grand Electeur et Louis XIV – 1660 – 1688, Paris 1905; Albert Waddington, Le Grand Electeur Frédéric Guillaume de Brandebourg. Sa politique extérieure 1640 – 1688, 2 Bde., Paris 1905 – 1908. 8 Genannt seien exemplarisch Herman von Petersdorff, Der Grosse Kurfürst. Neuausgabe mit einem Nachwort von Paul Kretschmann, Leipzig 1939; Ferdinand Schevill, The Great Elector, Chicago 1947. 9 Vgl. Bernhard Erdmannsdörffer, Graf Georg Friedrich von Waldeck. Ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1869, S. V f. 10 Zu den entsprechenden Arbeiten jüngeren Datums vgl. Anm. 21 und 32.

Einleitung

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staatlich ausgerichteten borussischen Historiographie nach 1945 und des Vordringens der „Annales“-Schule verloren politikgeschichtliche und personenzentrierte Forschungszugänge an Terrain. Insofern entsprach die im Jahr 1971 erfolgte Publikation der Biographien Kurfürst Friedrich Wilhelms von Gerhard Oestreich und Ernst Opgenoorth (beide im Musterschmidt-Verlag!) keineswegs dem damaligen Trend in der historischen Zunft11. Dass Opgenoorths Opus magnum die Bezeichnung der „Große Kurfürst“ im Titel trägt, war, wie er später erklärte, nicht zuletzt eine Geste des Trotzes angesichts der damals virulenten Bedenken, überhaupt noch Biographien zu verfassen12. Bis heute ist Opgenoorths zweibändige Darstellung des Lebens und politischen Wirkens Friedrich Wilhelms die wissenschaftlich maßgebliche Biographie – auch wenn seitdem eine ganze Reihe von neuen Lebensbeschreibungen erschienen ist13. Als im Jahre 1990 der Sammelband „Ein sonderbares Licht in Teutschland“ publiziert wurde, stand der inhaltliche Tenor der Beiträge noch erkennbar im Zeichen der Ergebnisse Opgenoorths. Zu den damals neu gesetzten Akzenten zählt vor allem Anton Schindlings weiterführender Ansatz, die Politik und das Selbstverständnis Friedrich Wilhelms stärker im politischen System des Alten Reiches zu verorten, als dies bis dato in der preußischen Geschichtsschreibung üblich war14. Im weiteren Verlauf der 1990er Jahre kollidierten zwei zentrale neue Forschungsparadigmen mit den Traditionen der Geschichtsschreibung über Kurfürst Friedrich 11

Vgl. Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst (Persönlichkeit und Geschichte, 65), Göttingen/Zürich/Frankfurt am Main 1971; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6). 12 Zudem hat Opgenoorth Zweifel darüber geäußert, ob es angemessen sei, Friedrich Wilhelm das Prädikat der historischen Größe zuzuweisen; so geschehen in einer Lehrveranstaltung des Verfassers an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, an der Opgenoorth am 18. 07. 2002 als Gast teilnahm. 13 Vgl. Barbara Beuys, Der Große Kurfürst. Der Mann, der Preußen schuf, Reinbek bei Hamburg 1979; Ludwig Hüttl, Friedrich Wilhelm von Brandenburg der Große Kurfürst 1620 – 1688. Eine politische Biographie, München 1981; Bruno Gloger, Friedrich Wilhelm. Kurfürst von Brandenburg. Biografie, Berlin(-Ost) 1985; Andreas Nachama, Der Große Kurfürst (Preußische Köpfe, 24), Berlin 1989; Hans-Joachim Neumann, Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst. Der Sieger von Fehrbellin, Berlin 1995; Derek McKay, The Great Elector (Profiles in Power), Harlow [u. a.] 2001; Barbara Szymczak, Fryderyk Wilhelm. Wielki Elektor, Wrocław/ Warszawa/Kraków 2006. 14 Vgl. Anton Schindling, Der Große Kurfürst und das Reich, in: Heinrich, Licht (wie Anm. 1), S. 59 – 74; siehe darüber hinaus auch ders., Kurbrandenburg im System des Reiches während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 33 – 46; Axel Gotthard, Der „Große Kurfürst“ und das Kurkolleg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 6 (1996), S. 1 – 54; Frank Kleinehagenbrock, Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg. unter Mitarbeit von Frank Kleinehagenbrock), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 1: Das 17. und 18. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Mit Beiträgen von Ursula Fuhrich-Grubert [u. a.], Berlin/ New York 2009, S. 853 – 931.

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Einleitung

Wilhelm. Zum einen stellt die Kritik am Terminus technicus „Absolutismus“ als Bezeichnung für die Epoche, die auf das Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung folgte, sowie als Kennzeichnung der vorherrschenden Form monarchischer Herrschaft im frühneuzeitlichen Europa bis heute eine echte Herausforderung für die Preußenforschung dar. Die fundamentale Kritik Nicholas Henshalls15 an den Positionen der älteren Historiographie und die nach wie vor kontroverse Diskussion über die heuristischen Potenziale der tradierten „Absolutismus“-Vorstellungen traf auch Kernaspekte der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms16. Dies gilt insbesondere für die Ständepolitik des Hohenzollern in den verstreuten Territorien seiner „Mehrfachherrschaft“17, bei deren Erforschung die Geschichtswissenschaft seit jeher aufgefordert ist, das charakteristische Spannungsverhältnis von Kooperation und Konfrontation zwischen Landesherrschaft und Landständen auszuloten18.

15 Vgl. Nicholas Henshall, The Myth of Absolutism: Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London/New York 1992. 16 Vgl. hierzu das Urteil von Arndt, Kurfürst (wie Anm. 2), S. 271: „Wenn die Herrschaftsweise Ludwigs XIV. das Attribut ,absolutistisch‘ nur mit großen Einschränkungen verdient, dann darf dies auch dem System des Großen Kurfürsten nicht zugewiesen werden“. Vgl. ferner Duchhardt, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), S. 100 ff. Weitere Reaktionen vonseiten der Preußenforschung ließen nicht lange auf sich warten; vgl. insbesondere Peter Baumgart, Absolutismus ein Mythos? Aufgeklärter Absolutismus ein Widerspruch? Reflexionen zu einem kontroversen Thema gegenwärtiger Frühneuzeitforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2002), S. 573 – 589. Zum Forschungsstand in dieser Frage vgl. zuletzt Lothar Schilling, Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutschfranzösische Bilanz (Pariser historische Studien, 79), München 2008; Martin Faber, Absolutismus ist doch ein Quellenbegriff! Zum Auftauchen des Wortes im 18. Jahrhundert in Polen und zu den Konsequenzen für die Absolutismus-Debatte, in: Zeitschrift für Historische Forschung 44 (2017), S. 635 – 659. 17 In Anlehnung an Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35. Bosbachs Begrifflichkeit wurde dem Sammelband Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 5) zugrunde gelegt und hat seitdem einen festen Platz in der deutschsprachigen Preußenforschung. 18 Am prägnantesten erfolgt dies in den Arbeiten von Michael Kaiser; vgl. z. B. Michael Kaiser, Nähe und Distanz. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen den Landständen von Kleve und Mark und ihrem Landesherrn im 17. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 53 (2003), S. 71 – 108; ders., „pro principe“ auf dem Landtag: Johann Moritz und die Stände von Kleve und Mark, in: Irmgard Hantsche (Hrsg.), Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 13), Münster [u. a.] 2005, S. 85 – 105; ders., Kleve und Mark als Komponenten einer Mehrfachherrschaft: Landesherrliche und landständische Entwürfe im Widerstreit, in: Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 5), S. 99 – 119; ders., Auf dem Weg zur Selbstregierung. Die Landstände von Kleve und Mark in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, in: Michael Rohrschneider/Anuschka Tischer (Hrsg.), Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte N. F., 1), Münster 2018, S. 175 – 203; siehe darüber hinaus auch die Hinweise zu den Arbeiten Kaisers in Anm. 29.

Einleitung

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Der wohl noch wichtigere Neuansatz in der jüngeren Frühneuzeitforschung, der im Verlauf der 1990er Jahre mit Macht in den Vordergrund drängte und die Preußenforschung substanziell bereicherte, war die kulturalistische Wende („cultural turn“). In diesem Kontext lieferten vor allem die frühen Studien von Barbara Stollberg-Rilinger19 zum höfischen Zeremoniell innovative Impulse zur Erforschung der brandenburg-preußischen Geschichte, die bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind – und das, obwohl mit der großangelegten Edition der „Urkunden und Actenstücke“20 seit vielen Jahrzehnten reichhaltiges Quellenmaterial vorliegt, das noch weiterer Auswertung harrt. In jüngerer Zeit ist die kurbrandenburgische Politik des 17. Jahrhunderts und mit ihr die Vita Kurfürst Friedrich Wilhelms zwar wiederholt Gegenstand einschlägiger Forschungen geworden. Genannt seien hier – stellvertretend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die biographischen Überblickswerke zu den Gemahlinnen und wichtigen Amtsträgern des Hohenzollern21, zur Rolle Kurbrandenburgs in den inter-

19 Vgl. insbesondere Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 7 (1997), S. 145 – 176; dies., Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 6), Berlin 2002, S. 1 – 26; dies., Das Berliner Stadtschloss als Bühne der preußischen Königswürde, in: Jürgen Kloosterhuis/Wolfgang Ribbe/Uwe Schaper (Hrsg.), Schloss: Macht und Kultur. Entwicklung und Funktion Brandenburg-Preußischer Residenzen. Ergebnisse einer Tagung aus Anlass des fünfzigjährigen Jubiläums der Historischen Kommission zu Berlin am 19. und 20. Februar 2009 (Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin; Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, 15), Berlin 2012, S. 23 – 44. 20 Vgl. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930; zur Einordnung dieses Editionsunternehmens vgl. Konrad Repgen, Akteneditionen zur deutschen Geschichte des späteren 16. und 17. Jahrhunderts. Leistungen und Aufgaben, in: Lothar Gall/Rudolf Schieffer (Hrsg.), Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Historica und der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, 22./ 23. Mai (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 28), München 1999, S. 37 – 79, hier S. 47 f.; Wolfgang Neugebauer, „Großforschung“ und Teleologie. Johann Gustav Droysen und die editorischen Projekte seit den 1860er Jahren, in: Stefan Rebenich/Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.), Johann Gustav Droysen. Philosophie und Politik – Historie und Philologie (Campus Historische Studien, 61), Frankfurt am Main/New York 2012, S. 261 – 292; ders., Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung. Hofhistoriographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Paderborn 2018, S. 262 – 265. 21 Vgl. Ulrike Hammer, Kurfürstin Luise Henriette. Eine Oranierin als Mittlerin zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 4), Münster [u. a.] 2001; Heinrich Jobst Graf von Wintzingerode, Die Märkische Amazone. Kurfürstin Dorothea von Brandenburg, Göttingen 2012; Holger Kürbis, Johann Moritz von Nassau-Siegen, Erfurt 2005; Frank Göse, Der erste brandenburg-preußische Generalfeldmarschall. Otto Christoph Freiherr von Sparr (Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., 9), Berlin 2006; siehe darüber hinaus die Hinweise in Anm. 32.

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nationalen Beziehungen22, zum brandenburgischen Adel23, zu unterschiedlichen Aspekten des Hofes24, des Militärs25 und der politisch-dynastischen Beziehungen zu den Oraniern26, ferner zur Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik in der Mark Brandenburg27, zum Preußen Königlichen Anteils (Polnisch-Preußen)28 oder auch zum Ver22

Vgl. z. B. Barbara Szymczak, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg und die polnische Königswahl 1648, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 49 (2000), S. 383 – 395; Daniel Riches, Protestant Cosmopolitanism and Diplomatic Culture. BrandenburgSwedish Relations in the Seventeenth Century (The Northern World, 59), Leiden/Boston 2013. 23 Vgl. vor allem Frank Göse, Rittergut – Garnison – Residenz. Studien zur Sozialstruktur und politischen Wirksamkeit des brandenburgischen Adels 1648 – 1763 (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 51), Berlin 2005. 24 Vgl. insbesondere Volker Wittenauer, Im Dienst der Macht. Kultur und Sprache am Hof der Hohenzollern. Vom Großen Kurfürsten bis zu Wilhelm II., Paderborn [u. a.] 2007; PeterMichael Hahn, Calvinismus und Reichsferne. Politische Orientierung und kulturelle Prägung Kurbrandenburgs 1650 – 1700, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 145/146 (2009/ 2010), S. 49 – 93; ders., Innovation gegen Tradition: Der Berliner Hof in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Andreas Keller [u. a.] (Hrsg.), Theorie und Praxis der Kasualdichtung in der Frühen Neuzeit (Chloe. Beihefte zum Daphnis, 43), Amsterdam/New York 2010, S. 245 – 275; Linda Brüggemann, Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit. Das Sterbe- und Begräbniszeremoniell preußischer Herrscher vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm II. (1688 – 1797) (Geschichtswissenschaften, 33), München 2015; Molly Taylor-Poleskey, Speisen und Konsum in den Residenzen des Großen Kurfürsten. Preußen, Kleve und Brandenburg im Vergleich, 1640 – 1688, in: Bernhart Jähnig/Jürgen Kloosterhuis/Wulf D. Wagner (Hrsg.), Preußenland und Preußen. Polyzentrik im Zentralstaat 1525 – 1945. Mit Beiträgen von Eva Börsch-Supan [u. a.] (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 29), Osnabrück 2016, S. 359 – 377; Thomas Throckmorton, Wie man einen interkonfessionellen Konflikt auf die Politica richtet. Die Absetzung des Konsistorialpräsidenten Joachim Kemnitz am Hof des Großen Kurfürsten, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 27 (2017), S. 163 – 193; siehe zusätzlich die in Anm. 19 aufgeführten Arbeiten von Barbara Stollberg-Rilinger. 25 Vgl. z. B. Peter-Michael Hahn, Dynastische Selbstdarstellung und Militärmacht. Kriegerische Symbolik als höfische Zeichensprache in Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, 2), München 2001, S. 115 – 138; Johannes Kunisch, Der Große Kurfürst als Feldherr, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 67 – 87. 26 Vgl. insbesondere Peter-Michael Hahn, Magnifizenz und dynastische Legitimation durch Übernahme kultureller Muster. Die Beziehungen der Hohenzollern zum Haus Oranien und den Niederlanden im 17. Jahrhundert, in: ders./Hellmut Lorenz (Hrsg.), Formen der Visualisierung von Herrschaft. Studien zu Adel, Fürst und Schloßbau vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches, 6), Potsdam 1998, S. 9 – 56; Horst Lademacher (Hrsg.), Onder den Oranje boom. Textband. Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederländischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999; Daniel Schönpflug, Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640 – 1918 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 207), Göttingen 2013. 27 Vgl. Matthias Asche, Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark

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lauf des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits, der 400 Jahre nach seinem Ausbruch 1609 erneut Beachtung fand29. Eine große Synthese des Lebens und Wirkens Friedrich Wilhelms, die den Entwicklungen der jüngeren Forschung Rechnung trägt, steht allerdings bislang noch aus30. * Vor diesem Forschungshintergrund will der vorliegende Band anlässlich des anstehenden 400. Geburtstags Kurfürst Friedrich Wilhelms (16. Februar 1620/2020) auf die unverändert großen Potenziale der Erforschung der kurbrandenburgischen Politik aufmerksam machen. Er versammelt Beiträge des Verfassers, die an verstreuten Orten seit 1997 erschienen sind und hier in einem Band zusammengeführt werden. Der Aufsatz über die Pommern-Politik Friedrich Wilhelms wird erstmals publiziert. Die erste Sektion „Die brandenburg-preußische Mehrfachherrschaft: Strukturen und Probleme“ widmet sich dem neueren Forschungsparadigma der europäischen „composite monarchies“, das seit den 1980er Jahren von Helmut G. Koenigsberger Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006; Ulrich Niggemann, Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England (1681 – 1697) (Norm und Struktur, 33), Köln/Weimar/Wien 2008. 28 Vgl. Karin Friedrich, The Other Prussia. Royal Prussia, Poland and Liberty, 1569 – 1772 (Cambridge Studies in Early Modern History), Cambridge [u. a.] 2000. 29 Vgl. Michael Kaiser, Ein schwieriger Anfang. Die Hohenzollern und die Grafschaft Mark im 17. Jahrhundert, in: Eckard Trox/Ralf Meindl (Hrsg.), Preußen – Aufbruch in den Westen. Geschichte und Erinnerung – die Grafschaft Mark zwischen 1609 und 2009 (Forschungen zur Geschichte Preußens im südlichen Westfalen, 8), Lüdenscheid 2009, S. 13 – 34; ders., Zwischen zwei Herrschern. Die Landstände von Kleve-Mark und Jülich-Berg und die Herrschaftsansprüche Brandenburgs und Pfalz-Neuburgs, in: Sigrid Kleinbongartz (Hrsg.), Fürsten, Macht und Krieg. Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit (Schriftenreihe Stadtmuseum), Düsseldorf 2014, S. 42 – 51; Jürgen Kloosterhuis, Possidierende Probleme. BrandenburgPreußen im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit, 1609 – 1666, in: ders. (Hrsg.), Streifzug durch Brandenburg-Preußen. Archivarische Beiträge zur kulturellen Bildungsarbeit im Wissenschaftsjahr 2010 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 14), Berlin 2011, S. 103 – 124; Olaf Richter, Und die Klugheit hört nicht auf Klugheit zu sein, wenn ihr ein Tröpfchen Trug beigemischt wird. Das Patent des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm zur jülich-klevischen Erbfrage von 1654, in: Düsseldorfer Jahrbuch 80 (2010), S. 15 – 29. 30 Dr. Jürgen Luh (Berlin) bereitet derzeit eine neue Biographie des Kurfürsten vor. Hinzuweisen ist ergänzend auf die Kapitel zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms in den Überblicksdarstellungen jüngeren Datums: Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (Urban-Taschenbücher, 573), Stuttgart/Berlin/Köln 1996; ders., Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 5; Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, 4), Berlin 2001; Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, München 2007; vgl. jüngst auch ders., Von Zeit und Macht. Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten, München 2018.

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und John H. Elliott zur Diskussion gestellt und seitdem auch in der Preußenforschung rezipiert wurde31. Die sehr heterogene, territorial zerstückelte kurbrandenburgische „Mehrfachherrschaft“ bietet in diesem Forschungszusammenhang Anschauungsmaterial, das in exemplarischer Weise charakteristische strukturelle Probleme der europäischen Herrschaftspraxis und Außenbeziehungen aufzuzeigen vermag. Die zweite Sektion vereint Beiträge über drei führende Statthalter bzw. Berater des Kurfürsten: Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, Johann Moritz von NassauSiegen und Otto von Schwerin, der „zweite Mann im Staat“32. Diese Studien knüpfen an Erdmannsdörffers Postulat an, stärker den Anteil der führenden Persönlichkeiten aus dem Umfeld Friedrich Wilhelms an der Gestaltung der kurbrandenburgischen Politik in den Blick zu nehmen33. Die dritte Sektion wendet sich der Außen- und Reichspolitik Brandenburg-Preußens zu. Die Studien korrigieren unter anderem die Tendenz der älteren borussischen Historiographie, den Stellenwert Brandenburg-Preußens im Gefüge des Alten Reiches und in den internationalen Beziehungen zu überschätzen, und zeigen die begrenzten Handlungsspielräume eines Herrschers auf, der nach zeitgenössischen Maßstäben auf europäischer Ebene als Akteur von zweitrangiger Bedeutung galt. Diesen Sachverhalt klar und deutlich dargelegt zu haben, zählt zu den großen Verdiensten der Arbeiten Ernst Opgenoorths. Die hier versammelten Studien stehen erkennbar in dieser Tradition. Die Aufsätze der vierten Sektion folgen primär historiographiegeschichtlichen Fragestellungen und ermöglichen anhand von zwei Fallbeispielen einen Einblick in die Frage, wie das politische Wirken des Kurfürsten von der Nachwelt rezipiert 31 Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History (History series, 49), London/Ronceverte 1986, S. 1 – 25; ders., Zusammengesetzte Staaten, Repräsentativversammlungen und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 399 – 423; John H. Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), S. 48 – 71. 32 Zu Johann Georg II. von Anhalt-Dessau vgl. Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998; zu Schwerin vgl. jüngst Kerrin Gräfin von Schwerin, Otto von Schwerin. Oberpräsident und Vertrauter des Großen Kurfürsten, Berlin 2016 sowie Frank Göse, Der „zweite Mann im Staat“. 400 Jahre Otto von Schwerin, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 67 (2016), S. 75 – 89. Johann Moritz von Nassau-Siegen (der „Brasilianer“) ist jüngst aufgrund seiner Rolle im Sklavenhandel in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten; vgl. hierzu folgende Pressemitteilung des Mauritshuis (Den Haag): https://www.mauritshuis.nl/en/discover/news-archive/2018/bustjohan-maurits (letzter Zugriff 15. 11. 2018); für diesbezügliche Hinweise danke ich Herrn Jonas Bechtold (Bonn); zum Leben und Wirken Johann Moritz‘ vgl. darüber hinaus die beiden einschlägigen jüngeren wissenschaftlichen Sammelbände von Hantsche, Johann Moritz (wie Anm. 18) und Gerhard Brunn/Cornelius Neutsch (Hrsg.), Sein Feld war die Welt. Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 14), Münster [u. a.] 2008. 33 Vgl. Anm. 9.

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und für spezifische Interessen instrumentalisiert wurde. Dienten Friedrich dem Großen die Reflexionen über seinen Vorfahren erkennbar der Selbststilisierung und -rechtfertigung, so lässt sich anhand der Pommern-Politik Friedrich Wilhelms exemplarisch aufzeigen, welche argumentativen Wendungen Johann Gustav Droysen und seine Epigonen vornehmen mussten, um die These von Preußens „deutschem Beruf“34 als Erklärungsmuster für die politischen Orientierungen des Kurfürsten aufrechterhalten zu können. * Zur Einrichtung des vorliegenden Bandes: Die Aufsätze werden, bis auf eine Ausnahme35, in inhaltlich unveränderter Fassung präsentiert. Offenkundige Fehler wurden allerdings korrigiert und redaktionelle Vereinheitlichungen vorgenommen. Bewusst verzichtet wurde – um die Büchse der Pandora nicht zu öffnen – auf eine Ergänzung des Anmerkungsapparates. Aktualisierungen erfolgten daher nur in begründeten Ausnahmefällen. Die Aufsätze spiegeln somit den jeweiligen Forschungs- und Erkenntnisstand zum Zeitpunkt ihrer Publikation wider. Besonders herzlich bedanken möchte ich mich bei Jonas Bechtold M.A., Dominik Antruejo, Philipp Gatzen M.A. und Sandra Otto M.A. für die Unterstützung bei der redaktionellen Einrichtung des Bandes sowie bei Dr. Michael Kaiser für Hinweise zur Einleitung und die langjährige freundschaftliche Verbundenheit. Dr. Stefan Sienell sei ebenfalls sehr herzlich für seine Bereitschaft gedankt, den gemeinsam verfassten Aufsatz zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hier erneut zum Abdruck gelangen zu lassen. Gedankt sei schließlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Duncker & Humblot, insbesondere Heike Frank, die zur Entstehung dieser Publikation beigetragen haben.

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Vgl. Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, Bd. 1, Berlin 1855, S. 4: „Auch Preußen umfaßt nur Bruchtheile deutschen Volkes und Landes. Aber zum Wesen und Bestand dieses Staates gehört jener Beruf für das Ganze, dessen er fort und fort weitere Theile sich angegliedert hat“. Siehe dazu auch die kritischen Auseinandersetzungen mit Droysens Ansatz in Axel Gotthard, Preußens deutsche Sendung, in: Helmut Altrichter/Klaus Herbers/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Mythen in der Geschichte (Rombach Wissenschaften, Reihe Historiae, 16), Freiburg im Breisgau 2004, S. 321 – 369; Ernst Opgenoorth, Johann Gustav Droysens Geschichte der Preußischen Politik. Klassiker – „wissenschaftliche Totgeburt“ – oder was?, in: Patrick Merziger [u. a.] (Hrsg.), Geschichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann zum 65. Geburtstag (Geschichte), Stuttgart 2010, S. 243 – 258; Gerrit Walther, Droysen als Geschichtsschreiber. Beobachtungen zum Beginn der „Geschichte der Preußischen Politik“, in: Rebenich/Wiemer, Droysen (wie Anm. 20), S. 293 – 336; Neugebauer, Preußische Geschichte (wie Anm. 20), S. 217 – 234. 35 Der Aufsatz „Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693) – ein anhaltischer Fürst im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik“ wird hier erstmals in einer mit Anmerkungen versehenen Fassung publiziert.

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Abschließend sei noch eine persönliche Bemerkung erlaubt: Der aufmerksame Leser wird erkennen, wie viel die hier zum Abdruck gelangten Studien den Arbeiten Ernst Opgenoorths inhaltlich zu verdanken haben. Leider kann der Biograph des Großen Kurfürsten das Erscheinen dieses Buches nicht mehr miterleben. Der Verfasser dieser Zeilen, ein Schüler Opgenoorths, ist aber der festen Überzeugung, dass sich sein akademischer Lehrer sehr gefreut hätte zu sehen, in welch hohem Maße die Ergebnisse seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Leben und Wirken Friedrich Wilhelms nachwirken und dass seinem Protagonisten mit dieser Publikation im Vorfeld der anstehenden Erinnerung an dessen Geburt vor 400 Jahren das Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wird, das sicherlich auch in seinen Augen wünschenswert gewesen wäre. Bonn, 12. Februar 2019

I. Die brandenburg-preußische Mehrfachherrschaft: Strukturen und Probleme

Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. Aspekte und Perspektiven der neueren Forschung am Beispiel Brandenburg-Preußens Die Frühneuzeitforschung hat sich in neuerer Zeit verstärkt einem Forschungsfeld zugewandt, das einerseits für die Frage nach der Gestalt frühmoderner Staatlichkeit von zentraler Bedeutung ist, das jedoch andererseits lange Zeit eher beiläufig wahrgenommen wurde. Gemeint ist die Tatsache, dass die Staaten des frühneuzeitlichen Europas einen gänzlich anderen Charakter hatten als die National-, Macht- und Anstaltsstaaten spätneuzeitlicher Prägung und dass sich die frühmodernen politischen Gemeinwesen nicht selten aus zwei oder mehreren Territorien zusammensetzten, die unter der Herrschaft eines Monarchen standen. Der Monarch und seine Dynastie1 bildeten dann gewissermaßen die einigende, integrative Klammer dieser Herrschaftsgebilde, die in politischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht oftmals ausgesprochen heterogen waren. Grundsätzlich zu differenzieren sind in diesem Kontext zum einen zusammengesetzte Staaten, deren einzelne territoriale Bestandteile durch Meere oder andere Territorien voneinander getrennt waren; markante Beispiele hierfür sind das Weltreich der spanischen Habsburger mit den Besitzungen auf der Iberischen Halbinsel, in Italien, in den Niederlanden und in Übersee sowie Brandenburg-Preußen mit seinen Territorien von Ostpreußen bis an den Niederrhein. Zum anderen existierten zusammengesetzte Staaten mit gemeinsamen Grenzen: England und Wales, Savoyen und Piemont oder auch Polen und Litauen sind hier beispielhaft anzuführen. Es ist vor allem das Verdienst angelsächsischer Historiker, die besondere Bedeutung dieses Forschungsareals erkannt und in systematisch-typologisierender Weise wesentliche Merkmale derartiger frühmoderner Staaten erfasst zu haben. Namentlich Helmut G. Koenigsberger und John H. Elliott sind hier in erster Linie zu nennen. Sie haben in grundlegenden Studien zum Thema konzeptionell und begrifflich wichtige Weichenstellungen geleistet, die von der jüngeren Forschung dankbar aufge1

Vgl. schon Johannes Kunisch, La guerre – c’est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 407 – 438, hier S. 427: „Alle diese Staatsgebilde […] ruhten auf der Dynastie, durch deren Heiratsund Eroberungspolitik sie gebildet worden waren. Sie stellten eine dynastische Union von regional geprägten Territorialstaaten dar und konnten ebenso leicht geteilt werden, wie sie zusammengefügt worden waren. Ihre einzige Klammer war die Dynastie oder im übertragenen Sinn die Krone“. Eine ähnliche Fragestellung liegt auch den Beiträgen in folgendem Sammelband zugrunde: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Herrscher in der Doppelpflicht. Europäische Fürsten und ihre beiden Throne (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 43), Mainz 1997.

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nommen wurden. So prägte Koenigsberger in seiner wegweisenden Studie „Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe“2 den Begriff des „composite state“ respektive der „composite monarchy“ zur Kennzeichnung dieser zusammengesetzten frühmodernen Staaten, und Elliott war es, der diese Terminologie Koenigsbergers in einem 1992 publizierten Aufsatz aufnahm und inhaltlich weiter vertiefte3. Diese Begrifflichkeit – „composite state“ oder „composite monarchy“ – ist von der nachfolgenden Forschung übernommen worden. Allerdings wurde vor rund einem Jahrzehnt von deutscher Seite ein sinnvoller terminologischer Alternativvorschlag eingebracht, der in der deutschen Forschung auch positiv rezipiert worden ist. Franz Bosbach hat nämlich den Begriff der Mehrfachherrschaft bzw. des Mehrfachherrschers ins Feld geführt, da auf diese Weise „das in solchen Herrschaftsgebilden stets vorhandene und geradezu unerläßliche monarchisch-personale Element berücksichtigt werden kann“4. Da man nicht von einem zusammengesetzten Herrscher sprechen kann, spricht also vieles dafür, in Anlehnung an Bosbach im Deutschen mit dem Begriff Mehrfachherrscher zu operieren, wenn man den Monarchen eines „composite state“ bzw. einer Mehrfachherrschaft meint. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, Aspekte und Perspektiven der neueren bzw. zukünftigen Forschung zur zusammengesetzten Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit aufzuzeigen und hierbei unter anderem die Möglichkeiten auszuloten, welche diejenigen Fragestellungen und Inhalte bieten, die im Zuge der kulturalistischen Wende und der sogenannten Neuen Politikgeschichte in den Blickpunkt geraten sind. Denn es ist ein auffälliges Manko der Forschung, dass der Kompositcharakter der frühmodernen Staatswesen im Rahmen einer neuen, gerade auch kulturgeschichtlich geprägten Politikgeschichte bislang noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat. Gerade eine Fokussierung auf das spezifische Wesen zusammengesetzter Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit erscheint jedoch besonders gewinnbringend, da somit ein Beitrag dazu geleistet werden kann, die Genese der europäischen Staaten2 Helmut G. Koenigsberger, Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History (History series, 49), London/Ronceverte 1986, S. 1 – 25, hier S. 12. Vgl. auch ders., Zusammengesetzte Staaten, Repräsentativversammlungen und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 399 – 423. 3 John H. Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), S. 48 – 71. 4 Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35, hier S. 23. Vgl. auch ders., Krieg und Mehrfachherrschaft im 17. Jahrhundert, in: Prague Papers on History of International Relations 2000, Prag 2000, S. 69 – 83; ders., Mehrfachherrschaft – eine Organisationsform frühmoderner Herrschaft, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 7), Berlin 2005, S. 19 – 34.

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welt exakter zu erfassen und somit ein besseres Verständnis von den langfristigen Bedingungen des gegenwärtigen sukzessiven Zusammenwachsen Europas zu erlangen. Dass derartige auf die Gegenwart gerichtete Fragestellungen ein durchaus lohnendes Unterfangen sind, konnte jüngst im Rahmen eines Tagungsbandes gezeigt werden, der sich mit zusammengesetzter Staatlichkeit in der europäischen Verfassungsgeschichte befasst und in dem sich neben zahlreichen Beiträgen zu den „composite states“ der Frühen Neuzeit auch ein eigener Aufsatz über Perspektiven der künftigen Rechtsform Europas findet5. Denn ohne Zweifel liefert das frühneuzeitliche Europa konkretes Anschauungsmaterial hinsichtlich der Chancen und Probleme der Integration von selbständigen staatlichen Einheiten und damit eines Prozesses, der für das zusammenwachsende Europa des 21. Jahrhunderts von so prägender Bedeutung ist. Zu Beginn der folgenden Ausführungen gilt es, einen Blick auf die derzeitige Forschungslage zu werfen und nach Möglichkeit terminologische Klarheit zu schaffen (I.). In einem nächsten Schritt werden zentrale Aspekte der frühneuzeitlichen zusammengesetzten Staatlichkeit unter Bezugnahme auf die Ansätze der neueren Forschung behandelt, und zwar anhand des Beispiels par excellence für einen „composite state“, nämlich Brandenburg-Preußen. In diesem Kontext erfolgt zunächst eine Untersuchung der politischen Testamente der Hohenzollern (II.), ehe in einem weiteren Abschnitt die Frage der Integration der heterogenen Bestandteile des Hohenzollernstaats bis zur preußischen Königskrönung 1701 aufgenommen wird, wobei es auch und gerade darum gehen wird, Perspektiven der künftigen Forschung aufzuzeigen (III.). I. Zur Begrifflichkeit: Kultur – Politik – Staat Die historische Forschung hat sich in den letzten Jahren in verstärktem Maße mit der Frage befasst, wie die Ergebnisse der kulturalistischen Wende für die Politische Geschichte fruchtbar gemacht werden können, sei es unter der Bezeichnung Kulturgeschichte des Politischen oder unter dem Terminus Neue Politikgeschichte, wobei die dezidierten Vertreter letzterer Forschungsrichtung ausdrücklich die Kulturgeschichte als integralen Bestandteil ihres Ansatzes verstehen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang etwa auf die Einleitung von Ute Frevert in dem von ihr gemeinsam mit Heinz-Gerhard Haupt herausgegebenen Sammelband „Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung“6 oder auch auf den konzisen Bei5 Christian Hillgruber, Perspektiven der künftigen Rechtsform Europas, in: Hans-Jürgen Becker (Hrsg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 19.03.–21. 03. 2001 (Beihefte zu „Der Staat“, 16), Berlin 2006, S. 257 – 284. 6 Ute Frevert, Neue Politikgeschichte. Konzepte und Herausforderungen, in: dies./HeinzGerhard Haupt (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung (Historische Politikforschung, 1), Frankfurt am Main/New York 2005, S. 7 – 26, hier S. 21 ff.

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trag Freverts zur Neuen Politikgeschichte in dem von Joachim Eibach und Günther Lottes herausgegebenen „Kompass der Geschichtswissenschaft“7. Kulturgeschichte und Politische Geschichte, die lange Jahre als regelrechtes Gegensatzpaar verstanden worden sind, werden in der Zwischenzeit – so hat es jedenfalls derzeit den Anschein – einer Betrachtungsweise unterworfen, die erkennbar integrierende Wirkung hat8. Somit sind die heftigen und unversöhnlichen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts über den Stellenwert der Politikgeschichte, die lange Zeit eine starke Polarisierung der Forschung nach sich gezogen haben – genannt seien an dieser Stelle nur die Namen Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand und Hans-Ulrich Wehler –, wohl endgültig als überholt zu kennzeichnen9. Dies zeigt beispielsweise ein Blick auf die deutsche Forschung, die in jüngerer Zeit konkret nach den Perspektiven der Kulturgeschichte für die Erforschung des Politischen gefragt hat. Zu nennen sind hierbei vor allem die konzeptionellen Überlegungen von Thomas Mergel zu einer Kulturgeschichte der Politik10 sowie die zum

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Ute Frevert, Neue Politikgeschichte, in: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch (UTB für Wissenschaft, 2271), Göttingen 2002, S. 152 – 164. 8 Vgl. etwa jüngst Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 44), München 2007, S. 1 – 12, hier S. 12: „Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, auf den alle Beiträge dieses Bandes gebracht werden können, dann wohl die übereinstimmende Überzeugung, daß es keinen ,Paradigmenwechsel‘ innerhalb der Geschichtswissenschaft von ,alter‘ Politikgeschichte zu ,neuer‘ Kulturgeschichte gibt – und daß es ihn auch nicht geben kann. Das bedeutet kein einseitiges Plädoyer für ,alte‘ Methoden und Themen, sondern gewissermaßen den Willen zu einer wissenschaftlichen Janusköpfigkeit, die alte und neue Themen und Fragestellungen in gleicher Weise aufnimmt, sie gegebenenfalls sogar miteinander kombiniert und in wechselseitiger Gemeinsamkeit fruchtbar zu machen versucht“. Einer solchen vermittelnden Position fühlt sich auch die vorliegende Studie verpflichtet. 9 Vgl. hierzu Andreas Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht, in: Historische Zeitschrift 216 (1973), S. 529 – 552; Hans-Ulrich Wehler, Moderne Politikgeschichte oder „Große Politik der Kabinette“?, in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), S. 344 – 369; Klaus Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte“? Die Notwendigkeit einer Politischen Geschichtsschreibung von den internationalen Beziehungen, in: Historische Zeitschrift 223 (1976), S. 328 – 357; Hans-Ulrich Wehler, „Moderne“ Politikgeschichte? Oder: Willkommen im Kreis der Neorankeaner vor 1914, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 257 – 266. Zu dieser Kontroverse zwischen Hillgruber und Hildebrand auf der einen und Hans-Ulrich Wehler auf der anderen Seite vgl. Eckart Conze, „Moderne Politikgeschichte“. Aporien einer Kontroverse, in: Guido Müller (Hrsg.), Deutschland und der Westen. Internationale Beziehungen im 20. Jahrhundert. Festschrift für Klaus Schwabe zum 65. Geburtstag (Historische Mitteilungen, Beiheft, 29), Stuttgart 1998, S. 19 – 30. Für den Bereich der internationalen Beziehungen vgl. Friedrich Kießling, Der „Dialog der Taubstummen“ ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 275 (2002), S. 651 – 680. 10 Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574 – 606.

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Teil kontroversen Positionen von Achim Landwehr und Thomas Nicklas11. Zahlreiche Anregungen enthält darüber hinaus der von Barbara Stollberg-Rilinger herausgegebene Sammelband „Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?“12, der eine erste Standortbestimmung der diesbezüglichen Forschung darstellt, ohne dass gleichwohl Einigkeit darüber herrscht, was unter Kulturgeschichte und unter dem Politischen eigentlich zu verstehen ist. So ist Wolfgang E. J. Weber uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er jüngst mit Blick auf die Kulturgeschichte resümiert: „Trotz erheblicher Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, eine inhaltlich vollständige und belastungsfähige, allseits anerkannte Begriffsbestimmung zu finden, die den Ansatz von anderen Ansätzen trennscharf abzugrenzen in der Lage wäre“13. Gleiches gilt ohne Zweifel für den Begriff des Politischen bzw. der Politik sowie für den Terminus Kultur, der sich, wie zuletzt nochmals ausdrücklich betont worden ist, bislang einer letztgültigen Definition entzieht14. Im Folgenden wird die eher weit gefasste Begriffsbestimmung von Wolfgang Reinhard zur Grundlage genommen, die darum bemüht ist, Kultur so zu definieren, dass genügend Spielraum bleibt, um auch das wie auch immer geartete Politische integrieren zu können. Reinhard definiert Kultur „als erlerntes Programm zur Regelung von Verhalten samt dem Niederschlag dieses Verhaltens in Objektivationen wie Texten, Bau- und Kunstwerken, Institutionen. Das heißt, es geht zunächst einmal um nicht gesetzmäßig, wohl aber regelmäßig wiederkehrendes, beobachtbares Verhalten, das dem Handeln des Menschen einen gewissen Spielraum läßt, meist freilich keinen allzu weiten“15. Mit dieser Begriffsbestimmung ist für künftige Forschungen eine handhabbare Richtlinie vorgegeben, die die Vielfalt kultureller Phänomene adäquat zu erfassen und auch und gerade politische Phänomene zu integrieren vermag. Im Hinblick auf die Begriffe des Politischen bzw. der Politik lässt sich mit Luise Schorn-Schütte unter Bezugnahme auf Thomas Mergel immerhin bilanzieren, dass gegenwärtig weitgehende Übereinstimmung in der Forschung darüber herrscht, dass „Politik die Dimension ist, in der die fundamentale Ordnungsproblematik verhandelt 11 Achim Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 71 – 117. Vgl. dazu die Replik von Thomas Nicklas, Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 1 – 25. Zum Aufsatz von Nicklas vgl. die kritischen Bemerkungen von Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 35), Berlin 2005, S. 9 – 24, hier S. 15 Anm. 14. 12 Stollberg-Rilinger, Kulturgeschichte (wie Anm. 11). 13 Silvia Serena Tschopp/Wolfgang E. J. Weber, Grundfragen der Kulturgeschichte (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2007, S. 2. 14 Vgl. ebd., S. 28: „In der Tat stellt der Begriff ,Kultur‘ jeden, der sich ihm in definitorischer Absicht zu nähern versucht, vor kaum zu bewältigende Probleme“. 15 Wolfgang Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropologie, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 593 – 616, hier S. 596.

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wird, die allen sozialen Verbänden zu eigen ist“16. Besonders wichtig ist bei dieser Begriffsbestimmung das Moment des Verhandelns; Politik ist folglich, so Mergel, „ein kommunikativer Raum […], in dem Setzungen jeder Art einerseits erst einmal hergestellt werden und mit anderen ausgetauscht werden müssen. Insofern ist Politik zuallererst soziales Handeln“17. Wenden wir uns nun konkret der Begrifflichkeit zu, die im Titel dieser Untersuchung Verwendung findet: Gemeint ist die Bezeichnung Staat oder Staatlichkeit im Hinblick auf die Frühe Neuzeit. Wenn im Folgenden mit dem Terminus technicus Staat operiert wird, dann erfolgt dies unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Vorbehalte, die man bei dieser Begriffsbildung im Hinblick auf die frühmodernen politischen Gemeinwesen in Rechnung stellen muss. Das, was man als modernen Staat zu nennen pflegt, war in der Frühen Neuzeit bekanntlich noch in statu nascendi. Der frühmoderne Staat war folglich alles andere als ein Staatswesen spätneuzeitlicher Prägung, das die typischen Merkmale moderner Staatlichkeit aufweist, nämlich das einheitliche Staatsvolk, das einheitliche Staatsgebiet und die einheitliche Staatsgewalt mit Souveränität nach außen und dem Gewaltmonopol nach innen. Wolfgang Reinhard hat dies wiederholt eindrucksvoll dargelegt18. Daneben gilt es aber auch, auf ein spezifisches Ergebnis der jüngsten Forschung aufmerksam zu machen, die uns in den Bereich der Kulturgeschichte des Politischen und der Neuen Politikgeschichte führt. Gemeint ist die Tatsache, dass diesbezügliche Forschungen in überzeugender Weise den Konstruktcharakter des Phänomens Staat herausgearbeitet haben. Zitiert sei in diesem Zusammenhang Achim Landwehr, der diesen Sachverhalt pointiert formuliert hat: „Ihn [den Staat] als vermeintlich feststehende Totalität zu begreifen, bedeutet, die keineswegs triviale Beobachtung zu übersehen, dass es sich beim Staat weder um eine materiell noch visuell noch auf andere Art und Weise ,greifbare‘ Einheit handelt. Er existiert nur, indem über ihn gesprochen wird. Und doch wird er behandelt als existiere er in Form einer Wesenheit. Aufgabe einer Kulturgeschichte des Politischen wäre es demnach unter anderem, die Konstruktion eines solchen Staats-Effekts zu analysieren […]. Zur Diskussion steht hier also nicht, dass es den Staat gibt – denn das ist nicht zu bezweifeln –, sondern wie es ihn gibt“19. 16 Thomas Mergel, Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte. Konzeptionelle Überlegungen und empirische Beispiele, in: Stollberg-Rilinger, Kulturgeschichte (wie Anm. 11), S. 355 – 376, hier S. 358; vgl. Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, S. 85. 17 Mergel, Wahlkampfgeschichte (wie Anm. 16), S. 358. 18 Vgl. Wolfgang Reinhard, Frühmoderner Staat und deutsches Monstrum. Die Entstehung des modernen Staates und das Alte Reich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), S. 339 – 357. Zum größeren Zusammenhang vgl. ders., Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002. 19 Landwehr, Diskurs (wie Anm. 11), S. 106 und 108. Vgl. auch Wolfgang Reinhard, „Staat machen“. Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1998, München 1999, S. 99 – 118, hier S. 102: „Nun mag der Staat zwar älter sein als die Nation, er ist aber nicht anders als sie erfunden oder konstruiert worden“.

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Von besonderem Erkenntniswert erscheint es in diesem Kontext, gerade die frühneuzeitlichen „composite states“ in den Blickpunkt zu rücken. Denn die Tatsache, dass es sich bei diesen Gemeinwesen nicht um vergleichsweise geschlossene Herrschaftsgebilde moderner Prägung handelt, sondern um Staatswesen, die oftmals lediglich durch die Klammer des Monarchen und der Dynastie zusammengehalten wurden, erlaubt es in besonderem Maße, den staatlichen Konstrukt- bzw. Kompositcharakter sowie die spezifischen Strategien zu ermitteln, die der jeweilige Mehrfachherrscher und seine ausführenden Organe anwendeten, um die einzelnen heterogenen Bestandteile seiner Herrschaft in dem Spannungsfeld von Einheit und Vielheit zu dem zu formen, was man im Allgemeinen den frühmodernen Staat und im Besonderen den „composite state“ zu bezeichnen pflegt. Dabei wird es, wie eingangs bereits erwähnt, von besonderer Bedeutung sein, den für den „composite state“ zentralen Faktor der Integration der einzelnen territorialen Bestandteile in den Blick zu nehmen, wie dies jüngst von Birgit Emich angedacht worden ist20. Wir kommen nun also zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Aspekten und Perspektiven der jüngeren Forschung in ihrer Bedeutung für die Erforschung der frühneuzeitlichen „composite states“. II. Die politischen Testamente der Hohenzollern im Lichte neuerer Fragestellungen Die Herangehensweise an ein solches Thema erlaubt mehrere Zugriffe. Zunächst soll der Blick auf eines der zentralen Postulate der jüngeren Forschung gelenkt werden, nämlich auf die Ermittlung der Erfahrungen, Selbstbilder, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster der historischen Akteure. Im Gegensatz zu Teilen der älteren sozial- und strukturgeschichtlich orientierten Forschung, die sich in ihrem Bemühen um eine strikte Abkehr von der traditionellen, handlungszentrierten Ereignisgeschichtsschreibung lange Zeit ausdrücklich gegen die Relevanz der Erforschung des Denkens und Handelns leitender Akteure ausgesprochen hat, steht die jüngste kulturgeschichtlich geprägte Forschung der Einbeziehung der Perspektive der Herrschenden und deren Eliten durchaus wieder offen gegenüber21. Dies erfolgt allerdings nicht, wirft man beispielsweise einen Blick auf die frühneuzeitliche Diplomatie, gemäß dem Schema „der König dachte, […] der Botschafter sagte“22 ; vielmehr 20

Birgit Emich, Frühneuzeitliche Staatsbildung und politische Kultur. Für die Veralltäglichung eines Konzepts, in: Stollberg-Rilinger, Kulturgeschichte (wie Anm. 11), S. 191 – 205. 21 Vgl. Tschopp/Weber, Kulturgeschichte (wie Anm. 13), S. 79. 22 Hans-Ulrich Wehler, „Historiker sollen auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.“, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, München 2000, S. 240 – 266, hier S. 244. Vgl. auch Arno Strohmeyer, Wahrnehmungen des Fremden: Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert: Forschungsstand – Erträge – Perspektiven, in: Michael Rohrschneider/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert (Schriftenreihe der

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rücken Perzeptionsfragen23 und die Rekonstruktion von Vorstellungswelten der Herrscher sowie deren Handlungslegitimationen und -strategien ins Zentrum der Betrachtung, um hier nur einige wichtige Aspekte zu nennen. Zur Veranschaulichung der genannten Postulate der jüngeren Forschung sei nun der Fall des frühneuzeitlichen Brandenburg-Preußen gewählt. Dieses Beispiel ist aus mehreren Gründen von besonderer Aussagekraft. Zum einen ist Brandenburg-Preußen, wie bereits angedeutet, ein Paradebeispiel für einen frühneuzeitlichen „composite state“, denn der Hohenzollernstaat bestand aus zerstreuten, in ihrer Verfasstheit heterogenen Territorien; der Konstrukt- und Kompositcharakter dieses Staatswesens ist also ausgesprochen auffällig24. Zum anderen ist auf die vergleichsweise günstige Quellenlage zu verweisen. So liegen für die frühneuzeitlichen Herrscher Brandenburg-Preußens seit dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausführliche Schriftsätze vor, die unter dem Begriff politische Testamente25 subsumiert werden und die Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 31), Münster 2007, S. 1 – 50, hier S. 1; Sven Externbrink, Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Kraus/Nicklas, Geschichte (wie Anm. 8), S. 15 – 39, hier S. 15. 23 Für den Bereich der internationalen Beziehungen vgl. als Fallbeispiel Michael Rohrschneider, Tradition und Perzeption als Faktoren in den internationalen Beziehungen. Das Beispiel der wechselseitigen Wahrnehmung der französischen und spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), S. 257 – 282. Vgl. ferner Heidrun Kugeler/Christian Sepp/Georg Wolf, Einführung: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, in: dies. (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven (Wirklichkeit und Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, 3), Hamburg 2006, S. 9 – 35, hier S. 25 f. 24 Vgl. dazu jüngst die Beiträge in Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 4), sowie Helmut Neuhaus, Das Werden Brandenburg-Preußens, in: Becker, Staatlichkeit (wie Anm. 5), S. 237 – 256. 25 Zur Bedeutung der politischen Testamente vgl. vor allem die Einleitung in Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 1 – 176. Vgl. ferner ders., Die Anfänge des preußischen Staatsgedankens in den politischen Testamenten der Hohenzollern, in: Friedrich Benninghoven/Cécile Lowenthal-Hensel (Hrsg.), Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 1 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 14), Köln/Wien 1979, S. 1 – 60; ders., Der preußische Staat und seine Landesteile in den politischen Testamenten der Hohenzollern, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 5), Köln/Wien 1984, S. 1 – 31; Erika Bosbach, Die „Rêveries politiques“ in Friedrichs des Großen politischem Testament von 1752. Historisch-politische Erläuterung (Kölner Historische Abhandlungen, 3), Köln/Graz 1960; Volker Depkat, The Invention of State and Diplomacy. The First Political Testament of Frederick III, Elector of Brandenburg (1698), in: Jessica C. E. Gienow-Hecht/Frank Schumacher (Hrsg.), Culture and International History (Explorations in culture and international history), New York/Oxford 2003, S. 233 – 242; Fritz Hartung, Die politischen Testamente der Hohenzollern, in: ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, S. 112 – 148; Harm Klueting, Politische Testamente, in: Jürgen Ziechmann (Hrsg.), Panorama der Fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche. Ein Handbuch (Forschungen und Studien zur Fridericianischen Zeit, 1), Bremen 1985,

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tiefe Einblicke in die konkrete Perzeption der staatlichen Struktur der Hohenzollernmonarchie seitens der Herrscher erlauben. Diese politischen Testamente gilt es im Folgenden im Hinblick auf die skizzierten Fragestellungen der jüngeren Forschung auszuwerten. Zunächst einmal ist auf den hohen Quellenwert der politischen Testamente aufmerksam zu machen. Diese Schriftsätze waren nicht für die Außenwelt bestimmt, sondern nur für den jeweiligen Nachfolger des Verfassers. Insofern sind die politischen Testamente streng geheime interne Quellen26, bei denen davon auszugehen ist, dass der jeweilige Herrscher seinem Sukzessor genau dasjenige Wissen vermitteln wollte, das er für eine erfolgreiche Regierung für nötig hielt. Der Monarch wollte also sicherstellen, dass auch nach seinem Tode die Prinzipien seiner Herrschaft eingehalten werden. Die politischen Testamente sind folglich als Ego-Dokumente oder Selbstzeugnisse – auf eine definitorische Unterscheidung kann hier verzichtet werden27 – nachhaltig davon geprägt, konkretes Herrschaftswissen zu vermitteln, und zwar solchergestalt, dass sie zugleich Aufschlüsse über die konkreten Vorstellungswelten des Verfassers ermöglichen. Zwar fehlen in diesen Testamenten nicht Züge der Selbststilisierung, wie dies besonders in den beiden Testamenten Friedrichs des Großen von 1752 und 1768 greifbar ist, doch können sie insgesamt gesehen für sich beanspruchen, die subjektiv ehrlichen Überzeugungen der Monarchen widerzuspiegeln. Darüber hinaus erlauben sie es, für einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren Kontinuitätslinien zu ziehen, denn von der Zeit des Großen Kurfürsten (1667) bis zu Friedrich Wilhelm III. (1827) liegen entsprechende Testamente vor. Wie sah nun also die konkrete Perzeption der spezifischen staatlichen Struktur Brandenburg-Preußens durch die Monarchen aus, welche Vorstellungswelten und Handlungsmuster der Herrscher lassen sich aus deren Ausführungen rekonstruieren, und welche Herrschaftslegitimationen und -strategien werden in diesem Zusammenhang erkennbar? Ausgangspunkt für eine solche Betrachtungsweise ist die Prämisse der Kulturgeschichte neuerer Prägung, dass, wie Barbara Stollberg-Rilinger dies in anderem Kontext zutreffend beschrieben hat, „gesellschaftliche Realität nicht unabhängig vom Handeln, von der Wahrnehmung und den Sinnzuschreibungen der Ak-

S. 499 – 503; Gregor Schöllgen, Sicherheit durch Expansion? Die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert im Lichte des Kontinuitätsproblems in der preußischen und deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 22 – 45. 26 Der Große Kurfürst schreibt am Ende seines politischen Testaments: „Vndt hab ich diesses auß meinem eigenhandigen concept abgeschriben, welches ich alsofordt darauf verbrandt“; Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 204. 27 Vgl. dazu den instruktiven Überblick von Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion. Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2, http://www.zeitenblicke.de/2002/02/rutz/index.html (letzter Zugriff 05. 02. 2019), mit der weiterführenden Literatur.

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teure selbst beschrieben werden kann“28. Das heißt der frühneuzeitliche brandenburg-preußische „composite state“ wird im Folgenden gerade als gedanklich-sprachliches Konstrukt seiner Herrscher zu erfassen sein – ein Konstrukt, dessen Analyse aufschlussreiche Erkenntnisse darüber ermöglicht, in welcher Art und Weise die Hohenzollern die von ihnen regierten Territorien im Spannungsfeld von staatlicher Einheit und regionaler Vielfalt wahrnahmen und als gedankliche Einheit kreierten. Werfen wir zunächst einen Blick auf das politische Testament des Großen Kurfürsten von 1667. Bereits Friedrich Wilhelm hinterließ seinem präsumtiven Nachfolger eine eindringliche Ermahnung, die spezifische Qualität des brandenburg-preußischen Territorienkonglomerates im Auge zu behalten. Der Kurfürst schreibt: „Dieweill auch der hochste daß hauß Brandenburg fur andere hausser im Romischen Reich mitt viellen vndt statlichen Landen so reichlich gesegnet, vndt dahero viell feinde hatt, So solchen Segen dem Hausse hertzlich mißgönnen, vndt da Sie vber kurtz oder lang, einige gelegenheitt erlangen, oder fehig werden kontten, Ihr bosses furnehmen zu vergeringerung des hausses ins werck zu richten, vndt selbiges ausser aller consideration zu bringen, nicht vnterlassen wurden, So ist dahin alzeitt zu sehen, das mitt Allen Chur, Fursten vndt Stende des Reichs, so viell nur immer muglich, Ihr in gutter vertraulichkeitt, freundtschaft vndt correspondens lebet, vndt Ihnen keine vrsache zu einigen widerwillen gebet, vndt gutter fride vnterhalten werde, vndt weill Gott vnser Hauß mit viellen Landen reichlich gesegnet, So habt Ihr auff deren conservation alleine zu gedencken, vndt huttet Euch das Ihr durch appetirung mehrer Lande, nicht grossen neidt vndt feindtschaft auff Euch ladet, vndt dadurch auch was Ihr schon habet in gefahr setzet“29. Friedrich Wilhelms konkrete Wahrnehmung der staatlichen Struktur des von ihm regierten Gemeinwesens war also durch zweierlei Aspekte bestimmt: Zum einen konstruierte der Große Kurfürst ein Bild seiner Herrschaft, das vor allem dadurch geprägt war, dass er die außerordentliche Quantität der Besitzungen Kurbrandenburgs in einen argumentativen Zusammenhang mit dem subjektiv empfundenen Erfordernis setzte, eine Politik der Bewahrung, der „conservation“ zu betreiben; dies ist jedenfalls Tenor seiner Empfehlung an den Nachfolger30. Zum anderen belegt das angeführte Zitat, dass in der Vorstellungswelt Friedrich Wilhelms ein Gefühl latenter Bedrohung seines heterogenen Herrschaftsverbandes dominierte, das augenschein28 Barbara Stollberg-Rilinger, Die zeremonielle Inszenierung des Reiches, oder: Was leistet der kulturalistische Ansatz für die Reichsverfassungsgeschichte?, in: Matthias Schnettger (Hrsg.), Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 57), Mainz 2002, S. 233 – 246, hier S. 235. Ähnlich auch dies., Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489 – 527, hier S. 491. 29 Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 187. 30 Inwieweit Kurfürst Friedrich Wilhelm in seiner tatsächlichen Politik darüber hinausging, wäre eine interessante Frage, die hier jedoch nicht beantwortet werden soll.

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lich aus der territorialen Vielheit seiner Herrschaft resultierte. Von einer derartigen Perzeption der grundsätzlich gefährdeten politischen Gesamtlage BrandenburgPreußens führt der Weg im politischen Testament unmittelbar zu einer spezifischen Handlungslegitimation Friedrich Wilhelms, die man als Legitimation der Politik der eigenen Stärke bezeichnen könnte. „Alliancen seindt zwahr gutt, aber eigene krefte noch besser, darauff kan man Sich sicherer verlassen, vndt ist ein herr in keiner consideration, wan er selber nicht mittell vndt volck hatt, den das hatt mich, von der zeitt das Ichs also gehalten, Gott sey gedanck[t] considerabell gemacht“31, heißt es dort mit Blickrichtung auf den Nachfolger. Beleuchtet man dieses Zitat vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Friedrich Wilhelm seit etwa 1643/44 den Aufbau eines stehenden Heeres forciert hat32, dann ist zweierlei auffällig: Zum einen diente die strategische Gesamtlage des kurbrandenburgischen Territorienkonglomerates dem Kurfürsten erkennbar als interne Legitimation des Aufbaus des miles perpetuus; zum anderen wird hier das deutlich, was man im Sinne der jüngsten kulturgeschichtlich geprägten Forschung als konkrete Visualisierung von Herrschaft und Macht bezeichnen könnte. Herrschaft und Macht gründeten nämlich, wie Barbara Stollberg-Rilinger bereits vor rund einem Jahrzehnt in einem wichtigen Aufsatz über die zeremonielle Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes treffend resümiert hat, „durchaus nicht nur oder in erster Linie auf materiellen Ressourcen und physischem Zwang, sondern zu einem nicht geringen Teil auf ihrer bloßen Sichtbarkeit“33. Sich „considerabell“ zu machen, hat Kurfürst Friedrich Wilhelm dieses Verfahren der Sichtbarmachung seiner herrscherlichen Ansprüche und der Erlangung von Prestige und Ansehen genannt, und zwar, so wird man ergänzen können, sowohl im Hinblick auf seine Untertanen als auch hinsichtlich der europäischen Öffentlichkeit. Denn, so heißt es in der Vorrede des 1699 erschienenen „Ceremoniale brandenburgicum“: „Die Hoheit und Macht der Potentaten und Fürsten der Welt/ leuchtet zwar sonderlich in Dero Landen hervor/ … Aber es glänzet dieselbige noch heller/ wann andere Mächtige dieselbe consideriren“34. Für Friedrich Wilhelm ging es also zweifelsohne auch und gerade um Akzeptanz in der Gemeinschaft der europäischen Mächte – eine Akzeptanz, die für alle Beteiligten sichtbar und konkret sinnlich wahrnehmbar gemacht werden musste. Der Aufbau eines stehenden Heeres hat ihm, so lautet das Fazit des Kurfürsten, diese Akzeptanz und den Respekt der europäischen Mächte eingebracht. In anderen Bereichen, etwa auf zeremoniellem Terrain, musste diese Akzeptanz freilich erst noch erlangt werden. Das politische Wirken seines Nachfolgers, Friedrichs III., als König in Preu31

Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 191 f. Vgl. zusammenfassend Peter Kiehm, Anfänge eines stehenden Heeres in Brandenburg 1640 bis 1655 unter Kurfürst Friedrich Wilhelm, in: Militärgeschichte 24 (1985), S. 515 – 520. 33 Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 7 (1997), S. 145 – 176, hier S. 149. 34 Zitiert nach ebd., S. 150 Anm. 14. 32

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ßen Friedrich I., hat mit dem Erwerb der preußischen Königskrone 1701 bekanntlich einen großen Beitrag dazu geleistet, Brandenburg-Preußen in zeremonieller Hinsicht grundsätzliche Gleichrangigkeit mit den gekrönten Häuptern Europas zu verschaffen. Auf ihn ist nun näher einzugehen. In seinem politischen Testament von 1705, also vier Jahre nach der Königsberger Königskrönung, folgt Friedrich I. in ganz augenfälliger Weise bestimmten Herrschaftsstrategien und -legitimationen, die man bereits im politischen Testament seines Vaters antrifft. So ist davon die Rede, dass die Besitzungen Brandenburg-Preußens „sehr weit begriffen“ seien und dass sie „gar viel mächtige und meistentheils in contrairem Interesse gegeneinander stehende, auch über den Anwachs Unsers Hauses nicht wenig Jalousie hegende Nachbaren“35 hätten. Erkennbar wird also Friedrichs Perzeption der staatlichen Struktur Brandenburg-Preußens und der daraus resultierenden Gefährdungen, die ganz im Stile des Argumentationsmusters seines Vorgängers auf den unmittelbaren Zusammenhang von territorialer Streulage des Staatswesens einerseits und potenzieller feindlicher Haltungen der benachbarten Staaten andererseits verweist. Die diesbezüglichen Ratschläge, die Friedrich I. seinem Nachfolger erteilt, stehen ebenfalls in der Tradition der Legitimationsmuster seines Vorgängers: Friedrich verweist ganz entschieden auf die Notwendigkeit, eine Außenpolitik zu führen, die primär auf Friedenserhalt aus ist und die vornehmlich auf militärischer Macht gründet. In seinem Testament heißt es: „Vielmehr wollen wir seine Lbdn. hiemit väterlich erinnert haben, daß, gleichwie Wir die Armatur unsers Hauses durch Gottes Segen und Unsere dabei angewante unablässige Bemühung und Sorgfalt weit höher, als keiner von allen Unsern Vorfahren annoch gethan hat und thuen können, gebracht, und dieses nechst Gottes Hülfe und Beistand das vornemste Mittel ist, wodurch Wir Uns von allen Unsern Nachbaren respectiren machen und den Krieg von allen Unsern Gränzen abgehalten, also Seine Lbdn. dieses Mittels sich auch weiter bedienen und ihre Armatur jedesmal so hoch, als es ihres getreuen Königreichs, Churfürstenthumbs und übriger Lande Zustand erleiden will, einrichten wollen“36. Auch hier ist also von dem militärisch begründeten Respekt die Rede, den der Hohenzollernstaat bei seinen direkten Nachbarn genoss, ganz im Stile der Ausführungen Kurfürst Friedrich Wilhelms. Der Aufbau bzw. der Erhalt einer starken Armee wird also in der Vorstellungswelt des Herrschers ganz deutlich dadurch legitimiert, dass dieses stehende Heer eine zwingende Voraussetzung dafür sei, von den Nachbarn respektiert zu werden und Kriege von den eigenen Grenzen fernzuhalten. In die Ausführungen Friedrichs I. kommt jedoch auch eine Note hinein, die im Hinblick auf den spezifischen Kompositcharakter des von ihm regierten Staatswesens der Tendenz nach über das hinausgeht, was sein Vater in dem politischem Testament von 1667 ausgeführt hat. Friedrich schreibt: „Inmaßen wir dan, wan Gott dermaleinst über Uns gebieten wird, Seiner Lbdn. ohnedem schon so viel und große 35 36

Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 218. Ebd., S. 219.

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Lande hinterlassen, daß sie damit allemal eine considerable Figur unter allen europaeischen Puissancen machen und Gloire genug erwerben werden, wen[n] Sie Unser Haus nur in dem Lustre, Macht und Ansehen, worin Wir solches durch Gottes Beistand gebracht, erhalten“37. Die Tatsache, dass Brandenburg-Preußen aus vielen und großen Territorien bestehe, wird also nach der Auffassung des ersten preußischen Königs quasi zwangsläufig zur Folge haben, dass sein Nachfolger als ein angesehener Potentat unter den europäischen Mächten gelten wird, wenn er den Status quo erhält. „Gloire“ ist das entscheidende Stichwort, das Friedrich I. in diesem Zusammenhang gebraucht, um die fundamentale Kategorie des Erwerbs einer für Brandenburg-Preußen angemessenen Stellung im europäischen Mächtespiel zu charakterisieren, wie sie ganz deutlich in seinem drängenden Bemühen um ein königsgleiches „Tractament“, das 1701 in dem Erwerb der Königswürde gipfelte38, zum Ausdruck gelangte. Dabei wird man, wie Barbara Stollberg-Rilinger dies getan hat, hervorheben müssen, dass derartige Faktoren wie ausgedehnte Länder, militärische Macht, wirtschaftliche oder finanzielle Ressourcen und vor allem auch die nach außen sichtbar gemachte und von Dritten bezeugte Ehre unterschiedliche Faktoren der politisch-sozialen Position eines Herrschers waren, die sich wechselseitig bedingten und letztlich untrennbar zusammengehörten39. Gerade die Nuancen des zeitgenössischen zeremoniellen Zeichensystems, die für den Erwerb und die Visualisierung der Reputation eines frühneuzeitlichen Herrschers so ausschlaggebend waren, waren in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Denn der Rang der Potentaten realisierte sich letztlich nur in der wechselseitigen zeremoniellen Behandlung. Er „bedurfte nicht nur der zeremoniellen Sichtbarmachung, sondern er bestand geradezu darin“40; denn politisch-soziale Ranghierarchien waren letztlich nichts anderes als bloße Fiktionen, die sichtbare Zeichen benötigten, um wahrgenommen und gegebenenfalls bekräftigt oder modifiziert zu werden. Von daher wird es verständlich, dass es Friedrich I. – trotz seiner, wie er es nannte, vielen und großen Länder – nicht bei dem bloßen Faktum seiner ausgedehnten und bedeutenden Territorialherrschaft belassen hatte, sondern dass er wie kein zweiter der frühneuzeitlichen Herrscher Brandenburg-Preußens darauf bedacht gewesen 37

Ebd., S. 218. Aus den zahlreichen Veröffentlichungen anlässlich der preußischen Königskrönung von 1701 sei folgender Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger hervorgehoben, der sich speziell mit der zeremoniellen Bedeutung der Königswürde befasst: Barbara Stollberg-Rilinger, Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 6), Berlin 2002, S. 1 – 26. 39 Stollberg-Rilinger, Öffentlichkeit (wie Anm. 33), S. 149. 40 Barbara Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10 (2003), S. 125 – 150, hier S. 127 (Hervorhebungen im Original). 38

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war, diesen Sachverhalt im zeremoniellen Zeichensystem seiner Zeit sichtbar zu machen. Worum es also ganz entscheidend ging, war die Tatsache, dass der Hohenzoller seine Macht und Größe in der traditionellen Rangordnung der europäischen Mächte nicht mehr adäquat abgebildet gefunden hatte. Es war Friedrich I. folglich mit dem Erwerb der Königswürde im Wesentlichen darum gegangen, die eigenen politischen Geltungsansprüche vor dem Forum der europäischen Mächte sichtbar zu machen und die Anerkennung dieser Geltungsansprüche durch eben diese europäischen Mächte zu erlangen. Um dies zuzuspitzen: Es hatte dem Mehrfachherrscher Friedrich nicht gereicht, allein über ein ausgedehntes, vielgliedriges Staatswesen zu herrschen, sondern er hatte es für das Haus Brandenburg für unbedingt notwendig gehalten, ein äußerlich sichtbares Zeichen zu kreieren, dem vonseiten der übrigen europäischen Mächte Anerkennung gezollt wurde. Mit der internationalen Anerkennung und Sichtbarmachung seiner Königswürde war Friedrich I. laut Aussage seines politischen Testaments faktisch saturiert. Künftig, so legte er es seinem Nachfolger nahe, reiche es, den Status quo in puncto Machtanhäufung und Erwerb von Ansehen zu behaupten; dies werde dem Nachfolger genügen, um „eine considerable Figur“ unter den europäischen Mächten abzugeben, und zwar genau deshalb, weil er eben mit so vielen und bedeutenden Landen ausgestattet sei. Die Qualität und die Quantität der den brandenburg-preußischen „composite state“ konstituierenden Territorien waren also, folgt man der Argumentationsstruktur Friedrichs, nahezu ein Garant dafür, auf dem internationalen Parkett die gewünschte „considerable“ Rolle spielen zu können. Es ist bezeichnend für die Langlebigkeit der in den politischen Testamenten der Hohenzollern auffindbaren Argumentationsmuster und Legitimationsweisen der Herrscher, dass sich auch Friedrich der Große ausdrücklich mit dem Kompositcharakter Preußens beschäftigt hat. Während sein Vater, Friedrich Wilhelm I., in seinem politischen Testament auf die spezifische Streulage der preußischen Territorien nicht weiter eingeht, nimmt Friedrich der Große an mehreren Stellen seiner politischen Testamente von 1752 und 1768 den Gedanken der aufgrund der Verstreutheit der einzelnen Bestandteile gefährdeten Lage des preußischen Staates auf. In seinem Testament von 1752 heißt es: „Die Provinzen der preußischen Monarchie befinden sich fast alle voneinander getrennt“41. Und an späterer Stelle findet sich ein Passus, der erkennbar in der Tradition der Testamente seiner Vorgänger steht. Dort schreibt der König: „Preußen ist von mächtigen Nachbarn und einem unversöhnlichen Feind, dem Hause Österreich, umgeben. Dieses mag Euch darauf vorbereiten, häufig Kriege zu erwarten. Daraus ergibt sich auch, daß dem Militär der erste Rang im Königreich zukommen muß“42. Die Argumentationsstruktur Friedrichs ist also ganz ähnlich geartet wie die des Großen Kurfürsten und Friedrichs I.: Die territoriale Streulage der brandenburg-preußischen Lande bringe es mit sich, dass das König41 Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 331. Hier wie im Folgenden zitiere ich die deutsche Übersetzung in der Edition von Dietrich. 42 Ebd., S. 401.

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reich an zahlreiche Nachbarn grenze, die dem Hohenzollernstaat zum Teil feindlich gesonnen seien; daraus resultiere das zwingende Erfordernis adäquater militärischer Rüstung, um dem spezifischen Sicherheitsdilemma Brandenburg-Preußens Rechnung zu tragen. Doch während der Große Kurfürst und Friedrich I. in ihren Testamenten aus diesem Sachverhalt eine Politik des Primats der Bewahrung, der „conservation“, wie es zeitgenössisch heißt, ableiteten, riet Friedrich der Große seinem präsumtiven Nachfolger nicht ausschließlich zu einer Politik des territorialen Status quo, sondern er ging darüber hinaus, indem er territoriale Expansion ins Auge fasste, und zwar deutlich stärker als seine Vorgänger: „Die erste Sorge eines Fürsten muß darin bestehen, sich zu behaupten, die zweite, sich zu vergrößern“43, schreibt er in seinem politischen Testament von 1768, wobei er eingedenk der Zerrissenheit des preußischen Staatsgebietes empfiehlt: „Ein benachbartes Land, ein Gebiet, das uns abrundet, ist hundertmal wichtiger als ein Land, das von unseren Grenzen getrennt ist“44. Territoriale Arrondierung war also die politische und militärische Konsequenz, die Friedrich aus der geographischen Mittellage Preußens zog. An dieser Stelle sei ein Seitenblick auf das übrige Œuvre Friedrichs erlaubt. In seiner „Histoire de mon temps“ schrieb der König nämlich 1775 im Rückblick auf die Anfänge seiner Herrschaft ausdrücklich: „Das Mißlichste war die unregelmäßige Gestalt des Staates. Schmale und gleichsam verstreute Provinzen erstreckten sich von Kurland bis nach Brabant. Durch diese Zerrissenheit hatte das Land zwar viele Nachbarn, aber keine innere Festigkeit und war weit mehr Feinden ausgesetzt, als wenn es abgerundet gewesen wäre“45. Die inhaltliche Nähe dieser Ausführungen Friedrichs zu seinen politischen Testamenten liegt auf der Hand. Noch bei einem weiteren Sachverhalt erkennt man Kontinuitätslinien zwischen den politischen Testamenten Friedrichs des Großen und denen seiner Vorgänger. Auch Friedrich ging es nämlich ganz entscheidend darum, die Achtung des Staates als „der wichtigsten und notwendigsten Sache in Europa“46 zu wahren. Die Aufrechterhaltung des Ansehens des Staates war für ihn sogar ein legitimer Kriegsgrund47, was auf die große Bedeutung der Faktoren Ehre und Reputation verweist, die in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit bekanntlich eine so herausragende Rolle gespielt haben. Was lässt sich nun im Hinblick auf die konkrete Perzeption der Struktur des Hohenzollernstaates durch dessen Herrscher bilanzieren? Die Rekonstruktion der Vorstellungswelten, der Argumentationslinien und der Handlungslegitimationen in den 43

Ebd., S. 651. Ebd., S. 659. 45 Gustav Berthold Volz (Hrsg.), Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 2: Geschichte meiner Zeit, Berlin 1913, S. 53. 46 Dietrich, Testamente (wie Anm. 25), S. 643. 47 Ebd., S. 557. 44

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politischen Testamenten ergibt ein Bild, das deutlich Kontinuitätslinien erkennbar werden lässt. Kurfürst Friedrich Wilhelm, Friedrich I. und Friedrich der Große perzipierten die staatliche Struktur des von ihnen regierten politischen Herrschaftsgebildes jeweils solchergestalt, dass man von gewissen Übereinstimmungen sprechen kann. Der brandenburg-preußische „composite state“ war aufgrund seiner spezifischen Streulage in der Wahrnehmung seiner Herrscher ein gefährdeter Staat – ein Staat, dessen Behauptung außerordentliche Anstrengungen, vor allem militärischer Art, erforderte. Daneben war die Tatsache, dass die Hohenzollern über eine Vielzahl von Territorien herrschten, ein wesentlicher Faktor dafür, sich „considerabel“ machen zu können, das heißt Ruhm und Ansehen auf dem internationalen Parkett zu erlangen. Mit Blick auf den in den politischen Testamenten entworfenen Charakter des brandenburg-preußischen „composite state“ wird man also festhalten können, dass die hier behandelten Herrscher in ihren Reflexionen ein Bild entwarfen, das wesentlich durch die Konstruktion eines Kompositcharakters geprägt war. Dieser spezifische Kompositcharakter diente erkennbar der Legitimierung einer Politik, die auf dem Primat der Selbstbehauptung im System der europäischen Mächte und auf einer Annahme der Notwendigkeit eigener militärischer Stärke gründete, wobei im Falle Friedrichs des Großen bekanntlich auch und gerade das Moment der Expansion eine große Rolle spielte. Fragt man also, wie es die jüngste kulturgeschichtlich geprägte Forschung in anderem Zusammenhang postuliert hat, nicht nach dem SoSein des brandenburg-preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, sondern nach dem So-Gemacht-Sein48, so wird man bei einer Analyse der politischen Testamente nicht umhin kommen, zu konstatieren, dass aus dem politischen Denken der Hohenzollernherrscher konkrete Handlungsanweisungen für die jeweiligen Nachfolger resultierten, die ganz maßgeblich auf der subjektiven Wahrnehmung der vermeintlichen Heterogenität des brandenburg-preußischen Territorienkonglomerates beruhten. Anhand einer Auswertung der politischen Testamente wird also politische Theorie bzw. politisches Denken einerseits und politisches Handeln andererseits unmittelbar als Einheit greifbar und analysierbar, wie dies zum Beispiel Luise Schorn-Schütte jüngst in anderem Kontext als Aufgabe und Möglichkeit einer als modern verstandenen Historischen Politikforschung angeregt hat49. Zum Abschluss dieses Kapitels sei ein kurzer, exemplarischer Blick über die politischen Testamente hinaus geworfen. Der Inhalt dieser Testamente entstand nämlich nicht gewissermaßen in luftleerem Raum, sondern er war eingebettet in einen zeitgenössischen Diskurs, der sich konkret mit dem zusammengesetzten Charakter des Hohenzollernstaates und mit den daraus resultierenden politischen und militärischen Implikationen auseinandersetzte. So ist in jüngerer Zeit auf ein Gutachten des 48

Vgl. Landwehr, Diskurs (wie Anm. 11), S. 108. Schorn-Schütte, Politikforschung (wie Anm. 16), S. 99. Schorn-Schütte bezieht sich hierbei auf die Charakterisierung der Normen und Werte frühneuzeitlicher politischer Ordnung als Forschungsaufgabe. 49

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bedeutenden deutschen Politikwissenschaftlers Hermann Conring (1606 – 1681) aufmerksam gemacht worden, das dieser für Kurfürst Friedrich Wilhelm verfasste. In diesem Gutachten finden sich interessanterweise ähnliche Argumentationsstrukturen wie im politischen Testament des Großen Kurfürsten. Auch Conring konstatiert den heterogenen Charakter des kurbrandenburgischen Staates, der „mit vielen gantz unterschiedenen und weit von einander liegenden Lændern und dahero dependirenden Gerechtigkeiten von GOtt dem allmæchtigen begabet“50. Und auch hier findet sich der Hinweis auf die Gefährdungen, die Kurbrandenburg vonseiten seiner Nachbarn drohen könnten. Es wäre eine lohnende Aufgabe der Forschung, weitere Gutachten zu ermitteln, die sich mit dem spezifischen Charakter des Hohenzollernstaates als „composite state“ auseinandersetzen51. Dies würde es erlauben, die streng geheimen, internen politischen Testamente einzubinden in einen größeren zeitgenössischen Diskurs, der womöglich sogar über die Grenzen der staatlichen Arkansphäre hinausging. III. Zum Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte: Ergebnisse und Perspektiven der Forschung Die ältere borussische Historiographie hat sich mit besonderem Interesse der Frage gewidmet, wie sich aus dem heterogenen brandenburg-preußischen Territorienkonglomerat des 17. Jahrhunderts ein staatliches Gemeinwesen entwickelte, das mehr war als eine bloße Addition einzelner Territorien und das zumindest der Tendenz nach unifizierenden-vereinheitlichenden Charakter hatte52. Dahinter standen zumeist national-, macht- und anstaltsstaatliche Anschauungen, die auf die Politik des Großen Kurfürsten übertragen wurden, der somit als einer der maßgeblichen Vor-

50 Conringii Consilium an Friederich Wilhelm Churfürsten zu Brandenburg wegen seiner Lænder [1651/52], in: Hermann Conring, Opera, 7 Bde., hrsg. und mit Anmerkungen von Johann Wilhelm Göbel, hier Bd. 1, Braunschweig 1730, ND Aalen 1970, S. 984. Zu diesem Gutachten vgl. Wolfgang E. J. Weber, Erkenntnis: Ihre Bildung und Verbindlichkeit, in: Anette Völker-Rasor (Hrsg.), Frühe Neuzeit. Mit einem Geleitwort von Winfried Schulze (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch), München 2000, S. 277 – 292, hier S. 286 ff. 51 Auszuwerten gilt es noch im Hinblick auf die skizzierte Fragestellung die Protokolle und Relationen des brandenburgischen Geheimen Rates: Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1 posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 41, 54, 55, 66, 80, 89 und 91), Leipzig 1889 – 1919. Die Edition reicht allerdings nur bis 1666. Für die Zeit danach sind die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Protokolle heranzuziehen. 52 Die wichtigste ältere Arbeit in diesem Zusammenhang ist Ludwig Tümpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preussischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609 – 1806) (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 124), Breslau 1915.

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reiter und Gründer eines zentralisierten preußischen Einheitsstaates angesehen wurde53. Dagegen hat die neuere Forschung von einer solchen teleologischen Auffassung Abstand genommen. So hat Wolfgang Neugebauer in einem 1998 erschienenen, wegweisenden Aufsatz über das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740 dezidiert darauf hingewiesen, dass der Vorstellung von einem brandenburg-preußischen Einheitsstaat „das verfassungsgeschichtlich bedeutsame Faktum eines erst dominanten und im 18. Jahrhundert allemal subdominanten Regionalismus“ gegenüberstand, „den der absolutistische Staat allenfalls integrativ zu überformen vermochte. Und es ist noch sehr die Frage, ob denn je etwas anderes, Weitergehenderes vom Kurfürsten [Friedrich Wilhelm] und seinem Führungspersonal intendiert worden ist“54. Allerdings bleibt festzuhalten, wie Ernst Opgenoorth es jüngst mit guten Gründen getan hat, dass es sehr wohl so etwas wie ein Minimalprogramm im Hinblick auf die staatliche Vereinheitlichung unter Kurfürst Friedrich Wilhelm gegeben hat. Opgenoorth benennt hierbei die einheitliche Außenpolitik des Kurfürsten, das stehende Heer und regelmäßige Steuern55. So ganz falsch ist das traditionelle Bild vom Gründervater des absolutistischen Machtstaates, wie Opgenoorth betont, also nicht: „Mit der Entscheidung für eine einheitliche, aktive Außenpolitik und deren militärische, administrative und finanzielle Voraussetzungen beginnt ein Prozeß der inneren Entwicklung Brandenburg-Preußens, der im Hinblick auf zunehmende Vereinheitlichung in sich folgerichtig wenigstens bis 1807 weiterlief“56. Wenn nun im Zentrum der folgenden Ausführungen die Zeit bis zur preußischen Königskrönung von 1701 steht, dann ist dies der Beobachtung geschuldet, dass sich die Integrationsproblematik in Brandenburg-Preußen besonders deutlich im 17. Jahrhundert manifestierte, als sich nämlich durch die Jülich-Klevische Erbfolge, durch den Westfälischen Frieden und den Frieden von Oliva diejenigen territorialen 53 Besonders augenfällig tritt die national-, macht- und anstaltsstaatliche Sichtweise im Werk Heinrich von Treitschkes hervor; vgl. jüngst Eike Wolgast, Die Sicht des Alten Reiches bei Treitschke und Erdmannsdörffer, in: Schnettger, Imperium Romanum (wie Anm. 28), S. 159 – 188. Vgl. ferner Günter Birtsch, Pflichthandeln und Staatsräson. Der Gründer des preußischen Staats Kurfürst Friedrich Wilhelm im Spiegel der Geschichtsschreibung, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 137 – 149. 54 Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87, hier S. 68. Vgl. insgesamt auch ders., Zur Staatsbildung Brandenburg-Preußens. Thesen zu einem historischen Typus, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 49 (1998), S. 183 – 194. 55 Ernst Opgenoorth, Mehrfachherrschaft im Selbstverständnis Kurfürst Friedrich Wilhelms, in: Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 4), S. 35 – 52. 56 Ebd., S. 44.

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Zugewinne ergaben, aus denen besonders markant der spezifische Kompositcharakter des Hohenzollernstaates resultierte und die unmittelbar die Frage nach der zukünftigen politischen Gestaltung der wechselseitigen Beziehungen der Einzelterritorien des „Gesamt“-Staates aufwarfen. Hierbei gilt es nun, weiterführende Perspektiven der Preußen-Forschung darzulegen, die im Rahmen einer Neuen Politikgeschichte bzw. einer Kulturgeschichte des Politischen Berücksichtigung finden und die mutatis mutandis auch für andere frühneuzeitliche „composite states“ von Relevanz sein könnten. So erscheint es besonders gewinnbringend, für das Brandenburg-Preußen des 17. Jahrhunderts in systematischer und vergleichender Perspektive die Landtage und Huldigungen daraufhin zu untersuchen, ob und in welchem Maße in diesem thematischen Umfeld bestimmte landesherrliche Tendenzen dingfest zu machen sind, die integrative Wirkungen entfalten sollten. Dabei geht es nicht, wie so häufig in der älteren Forschung, um die Annahme eines prinzipiellen Gegeneinanders zwischen Landesherrschaft und Ständen, womöglich noch im Stile der älteren borussischen Historiographie, die den Ständen modernisierungshemmenden Partikularismus vorgeworfen hat57. Vielmehr handelt es sich um eine Perspektivenerweiterung, die vor allem darauf abzielt, Formen und Inhalte politischer respektive symbolischer Kommunikation der Akteure zu ergründen. Denn das, was man als Integration der brandenburg-preußischen Territorien zu bezeichnen pflegt, war zweifellos ganz maßgeblich durch persönlichen Austausch und durch Kommunikation der dabei Anwesenden geprägt, also durch Interaktion. Zusammenhalt musste, wie Luise Schorn-Schütte dies in Anlehnung an Barbara Stollberg-Rilinger formuliert hat, „als Ordnungsanspruch stetig neu demonstriert und öffentlich dokumentiert werden“58. Dabei könnte es vor allem um Zeremoniell, Rituale und Symbole gehen59, wie sie zum Beispiel bei den Huldigungen und Landtagen greifbar werden. Denn derartige öffentliche Inszenierungen, die durch zahlreiche zeremonielle, rituelle und symbolische Formen der daran Beteiligten das Ganze der sozialen und politischen Ordnung vor Augen führten, waren zweifellos prägend für die Beziehungen zwischen Landesherrn und Ständen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung festzuhalten, dass, wie Ute Frevert mit Blick auf den Stand der gegenwärtigen Forschung nachdrücklich hervorgehoben hat60, politisches Handeln immer auch kommunikatives Handeln ist und dass das 57

Zum größeren Zusammenhang vgl. jüngst Thomas Nicklas, Politik zwischen Agon und Konsens. Monarchische Macht, ständische Gegenmacht und der Wille zum Zusammenleben im frühneuzeitlichen Europa, in: Kraus/Nicklas, Geschichte (wie Anm. 8), S. 183 – 200. 58 Schorn-Schütte, Politikforschung (wie Anm. 16), S. 105, in Anlehnung an StollbergRilinger, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 28), S. 514. 59 Einen instruktiven Forschungsüberblick mit weiterführenden Fragen leistet Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 389 – 405. 60 Frevert, Neue Politikgeschichte (2002) (wie Anm. 7), S. 158 f.; dies., Neue Politikgeschichte (2005) (wie Anm. 6), S. 15.

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kommunikative Handeln immer auch eine Sprechhandlung und eine Verstehenshandlung bedingt. Politisches Handeln als kommunikatives Handeln reduzierte sich im hier vorliegenden Fall folglich nicht auf einen eindimensionalen Prozess im Stile eines Regierens von oben nach unten, sondern es geht um die Reziprozität des Verhältnisses von Landesfürst und Landständen. Immerhin liegen seit kurzem für die Stände in Kleve-Mark und in Preußen erste Ergebnisse vor, die im Hinblick auf die skizzierten Positionen der jüngeren Forschung aufschlussreich sind. So konnte Michael Kaiser unlängst aufzeigen, dass das komplementäre Begriffspaar Nähe und Distanz gut dazu geeignet ist, die sozialen und politischen Zuordnungen der kleve-märkischen Stände zum Herrscher adäquat zu beschreiben61. Wieviel Distanz war den Ständen erlaubt, und wieviel Nähe zur Obrigkeit war nötig? – eine Fragestellung also, die auch für die Erforschung anderer frühneuzeitlicher „composite states“ erkenntnisfördernd ist. „Am Ende“, so bilanziert Kaiser mit Blick auf Kleve und Mark, „blieb den Ständen die Form des Landtags als Bühne der korporativen Selbstinszenierung (wenn auch nur qua Deputierte) und als (formale) Bestätigungsinstanz“62, wobei die Entwicklung deutlich erkennbar dahin ging, dass sich der Ort der tatsächlichen politischen Entscheidungsfindung im hier behandelten Zeitraum an den Sitz der kurfürstlichen Regierung verlagerte; insofern lässt sich durchaus von einer „fortschreitenden Entwertung der Landtage“63 sprechen. Ein anderes aufschlussreiches Beispiel für die hier verfolgten Fragestellungen ist die Rolle, welche die preußischen Stände im Rahmen der Königskrönung von 1701 gespielt haben. Hier hat wiederum Michael Kaiser bezüglich der Integrationsproblematik herausgearbeitet, dass es mehr als fraglich war, ob das landesherrliche Kalkül im Umfeld der Königskrönung aufging, dass die brandenburg-preußischen Stände ein supraterritoriales gemeinschaftliches Bewusstsein herausgebildet hatten, welches in der konkreten Perzeption auch die jeweils anderen Territorien (und Stände) einschloss. Vielmehr wird man konstatieren müssen, dass der Integrationseffekt der Königskrönung eher gering war. Kaiser resümiert mit Blick auf die preußischen Stände: „Von großer Bedeutung [für die Königskrönung] war die weitgehende Nichtbeteiligung der Stände, die weder in den politischen Verhandlungen im Vorfeld eingebunden waren, noch im Rahmen der Zeremonie eine tragende Rolle spielten. Diese 61 Michael Kaiser, Nähe und Distanz. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen den Landständen von Kleve und Mark und ihrem Landesherrn im 17. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 53 (2003), S. 71 – 108. Vgl. insgesamt auch ders., „pro principe“ auf dem Landtag: Johann Moritz und die Stände von Kleve und Mark, in: Irmgard Hantsche (Hrsg.), Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 13), Münster [u. a.] 2005, S. 85 – 105; ders., Kleve und Mark als Komponenten einer Mehrfachherrschaft: Landesherrliche und landständische Entwürfe im Widerstreit, in: Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 4), S. 99 – 119. 62 Kaiser, Nähe und Distanz (wie Anm. 61), S. 108. 63 Ebd.

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distanzierende Konstruktion, wie sie besonders im Krönungsakt sinnfällig wurde, war ein bewußt inszenierter Schritt, der dem Streben nach Souveränität geschuldet war. Diese mußte eben auch nach innen dokumentiert werden“64. Solche herausragenden Anlässe wie Huldigungen, Landtage und die Königskrönung von 1701 sollten allerdings nicht die einzigen Ansatzpunkte zukünftiger Preußen-Forschung sein, die sich mit spezifisch kulturgeschichtlichen Fragestellungen hinsichtlich des Kompositcharakters des Hohenzollernstaates befasst. Denn es gilt ebenso, nach dem alltäglichen Handeln der Akteure und den sich darin ausdrückenden Werten zu fragen, wie dies jüngst Birgit Emich angeregt hat: „Werte und Einstellungen, das heißt auch Identitäten und Loyalitäten. Daher dürfte über die politische Kultur zu klären sein, ob eine regionale Identität die Integration behinderte und wie solche Gegenidentitäten überwunden werden konnten. […] Politischer Alltag, das ist so, wie es klingt: Alltagsgrau statt festtagsbunt, Korrespondenzen statt Zeremonien, Aktenberge statt Staatsakte“65. Eine solche Betrachtungsweise, die gerade auf die Sinnstiftung durch Sprache abzielt, würde es erlauben, die Integrationsproblematik in neuer, erweiterter Perspektive zu erforschen und gerade das alltäglich Politische in seinen bildlich-sprachlichen Symbolstrukturen innerhalb des Diskurses der Akteure zu erfassen. Für die Regierungszeit des Großen Kurfürsten liegen mit den „Protokollen und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates“66 und den „Urkunden und Actenstücken“67 wertvolle Quellen in edierter Form vor, die in dieser Frage noch auszuwerten wären. Eine solche Perspektivenerweiterung hin zu einer stärkeren Berücksichtigung des Alltags der Akteure und der politischen Kultur, die in diesem Zusammenhang greifbar wird, wäre sicherlich auch für andere „composite states“ wünschenswert, denn in dieser Frage besteht für die Forschung zweifellos noch Nachholbedarf. In diesem Kontext stellt sich dann auch die Frage nach den konkreten sprachlichen Ausdrucks- und Sinngebungsformen, in denen sich das Miteinander der unterschiedlichen Komponenten des jeweiligen „composite state“ manifestierte. Im Falle Brandenburg-Preußens ist beispielsweise die von der landesherrlichen Seite verwendete Begrifflichkeit von „Haupt“ und „Gliedern“ bemerkenswert, wie sie in der viel zitierten Äußerung der Geheimen Räte Kurfürst Friedrich Wilhelms gegenüber den Ständevertretern der Kur und Mark Brandenburg aus dem Jahr 1650 greifbar wird, als die Räte auf das Drängen der Stände auf Senkung der Steuerlast mit Blick auf die fortwährenden Differenzen mit Schweden in der Pommern-Frage erklärten: „Al64

Michael Kaiser, „Optimo Regi Fides Borussorum“. Die Landstände der preußischen Territorien und die Königserhebung Friedrichs III. (I.), in: Kunisch, Königskrönung (wie Anm. 38), S. 73 – 113, hier S. 112. 65 Emich, Staatsbildung (wie Anm. 20), S. 196. Emich definiert politische Kultur vergleichsweise allgemein als „Gefüge der Werte und Einstellungen, die das politische Handeln regulieren“. 66 Vgl. Anm. 51. 67 Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930.

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lein müssen die Land-Stände bedenken, dass nunmehr die Churf[ürstlichen] Lande und Pommern gleichsam membra unius capitis sein“68. Auch für Kleve und Mark ist eine solche Begrifflichkeit nachweisbar, wie jüngst Volker Seresse gezeigt hat69. Für andere Territorien Brandenburg-Preußens wäre dies noch zu untersuchen. Auch in vergleichender Perspektive weitere „composite states“ einzubeziehen, wäre wünschenswert. Will man zusätzliche Aufschlüsse über den spezifischen Konstruktcharakter der frühneuzeitlichen „composite states“ erlangen, dann erscheint es zudem plausibel, in vergleichender Weise die Frage der Herrschaftsdelegation genauer zu untersuchen. Bislang fehlen Untersuchungen, die beispielsweise die brandenburg-preußischen Statthalter mit den spanischen Vizekönigen bzw. Generalgouverneuren vergleichen70. Hier ließen sich wichtige Erkenntnisse darüber erzielen, mit welchen Instrumentarien (zum Beispiel Gewinnbeteiligung, Patronage, symbolisches Kapital) lokale Eliten dafür gewonnen wurden, eine Politik zu unterstützen, die der – oftmals ferne – Herrscher durchzusetzen beabsichtigte. Dies bedeutet freilich nicht, einen grundsätzlichen Interessengegensatz von Zentrum und Peripherie zu konstruieren, wie dies Teile der älteren Forschung getan haben, sondern es geht hierbei um die wechselseitigen Bedingtheiten landesherrlicher und regionaler Interessen im Zeichen von Kompromiss und Kooperation. Auch hier wäre wiederum die Einbeziehung des alltäglichen Handelns und der politischen Kultur der Akteure weiterführend. Denn, wie Birgit Emich dies treffend formuliert und gefordert hat, „der kulturalistische Blick auf die Politik darf nicht bei Zeremonien, Mythen und Symbolen stehenbleiben. Wer die Mikrofundierung von Makroprozessen entdecken will, muß sich auch mit dem politischen Alltag befassen“71. IV. Fazit Die Erforschung der spezifischen Bedingungen und Ausprägungen der europäischen „composite states“ im Allgemeinen und des brandenburg-preußischen „composite state“ im Besonderen ist auch und gerade unter Berücksichtigung der Tendenzen der jüngeren Forschung zur Kulturgeschichte des Politischen und zur Neuen Politikgeschichte eine lohnende Aufgabe, bei der noch viel Arbeit zu verrichten ist. 68

Duplik der Geheimen Räte im Namen des Kurfürsten, Cölln an der Spree 02.[/12.] 12.1650; ebd., Bd. 10, S. 194. 69 Volker Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts. Argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit (Frühneuzeit-Forschungen, 12), Epfendorf am Neckar 2005, S. 148 und 236. 70 Zur integrativen Rolle der brandenburg-preußischen Statthalter vgl. Michael Rohrschneider, Die Statthalter des Großen Kurfürsten als außenpolitische Akteure, S. 161 – 180 in diesem Band. Zur Frage der Herrschaftsdelegation insgesamt vgl. die Untersuchung am Fallbeispiel von Regentschaften von André Corvisier, Les régences en Europe. Essai sur les délégations de pouvoirs souverains. Préface de Pierre Chaunu (Histoires), Paris 2002. 71 Emich, Staatsbildung (wie Anm. 20), S. 204 f.

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Dabei muss es zum einen darum gehen – wie in der vorliegenden Studie anhand der politischen Testamente der Hohenzollern gezeigt wurde –, mit neuen Fragen an die bekannten Quelleneditionen heranzugehen. Zum anderen aber bleibt künftigen Forschern der Weg in die Archive nicht erspart, will man die Vielgestaltigkeit der frühneuzeitlichen „composite states“, die sich auch in der Zerstreutheit des Archivmaterials widerspiegelt, adäquat erfassen. Mit solchen Forschungen könnte ein Weg beschritten werden, der uns den Facettenreichtum staatlicher Entwicklung in der Frühen Neuzeit eindringlich vor Augen führen und der zugleich einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der langfristigen politischen Genese Europas leisten könnte.

Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich Es ist nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahrzehnten gerade angesichts des sukzessiven Zusammenwachsens Europas zu einer wirtschaftlichen und politischen Union seitens der Geschichtswissenschaft das Interesse an denjenigen politischen Organisationsformen zugenommen hat, die in der Vergangenheit eine Alternative zum Typus des neuzeitlichen Nationalstaates bildeten und die Anschauungsmaterial hinsichtlich der Chancen und Probleme der Integration von selbständigen staatlichen Einheiten liefern. Für den Bereich der Frühneuzeitforschung ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Vielzahl an neueren Studien zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu verweisen, das – anders als noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert – gegenwärtig nicht mehr am Ideal des National-, Macht- und Anstaltsstaates gemessen, sondern vielmehr als politischer Organismus sui generis von eher föderalem Zuschnitt verstanden wird1. Ein vergleichbar großes Interesse der Forschung hat auch der Typus eines politischen Gemeinwesens gefunden, der im Zentrum dieser Untersuchung steht. Die Rede ist von denjenigen Herrschaftsgebilden, die von Helmut G. Koenigsberger und John H. Elliott als „composite states“ und „composite monarchies“ oder auch von Franz Bosbach als Mehrfachherrschaften bezeichnet worden sind2. Vereinfacht 1

Vgl. Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 4 Bde., Stuttgart 1993 – 2000; Helmut Neuhaus, Das Reich in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 42), München 1997; Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495 – 1806, München 1999; Heinz Schilling, Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation der Deutschen oder teilmodernisiertes Reichssystem. Überlegungen zu Charakter und Aktualität des Reiches, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 377 – 395; Anton Schindling, Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648 – 1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach/Klaus Malettke/Sven Externbrink (Hrsg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert (Historische Forschungen, 70), Berlin 2001, S. 25 – 54. 2 Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History (History series, 49), London/Ronceverte 1986, S. 1 – 25; ders., Zusammengesetzte Staaten, Repräsentativversammlungen und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 399 – 423; John H. Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), S. 48 – 71; Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35.

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gesagt handelt es sich hierbei um die für den frühmodernen Staat typische Verbindung zweier oder mehrerer Territorien unter der Herrschaft eines Fürsten bzw. Monarchen; dieser bildete das einigende Band, den Integrationspunkt der in politischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht mitunter sehr unterschiedlichen Bestandteile des zusammengesetzten Staates3. Zu unterscheiden sind hierbei zum einen Mehrfachherrschaften, die sich aus Territorien zusammensetzten, die durch Meere oder andere Staaten voneinander getrennt waren; bekannte Beispiele sind das Imperium der spanischen Habsburger mit den Besitzungen auf der Iberischen Halbinsel, in Italien, den Niederlanden und in Übersee sowie Brandenburg-Preußen mit seinen Landen vom Niederrhein bis nach Ostpreußen. Zum anderen existierten Mehrfachherrschaften mit gemeinsamen Grenzen: England und Wales, Savoyen und Piemont oder auch Polen und Litauen sind hier in erster Linie anzuführen4. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, für zwei dieser „composite states“, nämlich Brandenburg-Preußen und Spanien, in vergleichender Perspektive aufzuzeigen, ob und wie die spezifischen Anforderungen und strukturellen Probleme wahrgenommen wurden, die in außenpolitischer Hinsicht aus der erwähnten Tatsache resultierten, dass es sich bei diesen Staaten um Mehrfachherrschaften handelte, die über kein geschlossenes Herrschaftsgebiet verfügten, sondern aus räumlich voneinander getrennten Territorien zusammengesetzt waren. In erster Linie geht es dabei um den Faktor Raum5 als spezifische Rahmenbedingung und Bestimmungsfaktor der Außenpolitik einer Mehrfachherrschaft. Den zeitlichen Schwerpunkt der Untersuchung bildet das 17. Jahrhundert, das in beiden Ländern durch die lange Regierungszeit eines Herrschers geprägt war: Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg6, der Große Kurfürst, leitete fast ein halbes 3

Die Bedeutung der Dynastie in diesem Zusammenhang hebt Johannes Kunisch hervor: „Alle diese Staatsgebilde […] ruhten auf der Dynastie, durch deren Heirats- und Eroberungspolitik sie gebildet worden waren. Sie stellten eine dynastische Union von regional geprägten Territorialstaaten dar und konnten ebenso leicht geteilt werden, wie sie zusammengefügt worden waren. Ihre einzige Klammer war die Dynastie oder im übertragenen Sinn die Krone“; Johannes Kunisch, La guerre – c’est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 407 – 438, hier S. 427. 4 Koenigsberger, Dominium Regale (wie Anm. 2), S. 12; Elliott, Composite Monarchies (wie Anm. 2), S. 50 f. 5 Vgl. jüngst Jürgen Osterhammel, Raumbeziehungen. Internationale Geschichte, Geopolitik und historische Geographie, in: Wilfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten (Studien zur Internationalen Geschichte, 10), München 2000, S. 287 – 308. 6 Grundlegend Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978; vgl. jetzt auch Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640 – 1688), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 95 – 112.

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Jahrhundert, von 1640 bis 1688, die Geschicke des Hohenzollernstaates; König Philipp IV. von Spanien7 regierte von 1621 bis 1665, also ebenfalls über vier Jahrzehnte. Nicht zuletzt die lange Regierungszeit dieser beiden Herrscher hat dazu geführt, dass ihre Namen gleichsam stellvertretend stehen für langfristige Entwicklungen der von ihnen regierten Staatswesen. Ist das Bild des Großen Kurfürsten in der Historiographie untrennbar verbunden mit dem Beginn des Aufstiegs Brandenburg-Preußens zu einer europäischen Macht ersten Ranges, so erscheint Philipp IV. als Repräsentant der sogenannten Dekadenz des spanischen Imperiums, also derjenigen Epoche der Geschichte Spaniens, die den allmählichen Verlust der europäischen Vormachtstellung mit sich brachte8. Im Zeitraum von 1648 bis 1701 manifestierte sich besonders nachdrücklich diese aufsteigende bzw. abfallende Entwicklungslinie Brandenburg-Preußens und Spaniens. Die im Westfälischen Frieden 1648 erlangten territorialen Zugewinne, die internationale Anerkennung der Souveränität über das Herzogtum Preußen im Frieden von Oliva 1660 und die Königskrönung Friedrichs III. im Jahre 1701 waren entscheidende Grundlagen für den im 18. Jahrhundert erfolgten Schritt des Hohenzollernstaates an die Seite der europäischen Großmächte. Die Jahre 1648, 1660 und 1700 verkörpern dagegen das letztlich vergebliche Ringen Spaniens um die Aufrechterhaltung seiner beherrschenden Stellung im europäischen Mächtesystem: Im Frieden von Münster 1648 musste die staatliche Souveränität der Republik der Vereinigten Niederlande endgültig anerkannt werden; die Heirat der spanischen Infantin mit König Ludwig XIV. von Frankreich im Jahre 1660 besiegelte gewissermaßen den im Vorjahr geschlossenen Pyrenäenfrieden, der deutlich zu erkennen gegeben hatte, dass nunmehr Frankreich und nicht mehr Spanien über das Potenzial verfügte, die europäische Politik als Hegemon zu bestimmen; und schließlich waren der Tod Karls II. von Spanien am 1. November 1700 und der sich anschließende Spanische Erbfolge-

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Vgl. jüngst die populär gehaltene Darstellung von Eduardo Chamorro, Felipe IV (Los reyes de España, 6), Barcelona 1998; vgl. ferner Robert A. Stradling, Philip IV and the Government of Spain 1621 – 1665, Cambridge/New York 1988; Carlos Collado Seidel, Philipp IV. (1621 – 1665), in: Walther L. Bernecker/Carlos Collado Seidel/Paul Hoser (Hrsg.), Die spanischen Könige. 18 historische Porträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1997, S. 97 – 114. 8 Zum Bild des Großen Kurfürsten in der Historiographie vgl. Günter Birtsch, Pflichthandeln und Staatsräson. Der Gründer des preußischen Staats Kurfürst Friedrich Wilhelm im Spiegel der Geschichtsschreibung, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 137 – 149. Einen historiographischen Überblick über die Epoche des Niedergangs Spaniens bietet Horst Pietschmann, Spanien im Dreißigjährigen Krieg: Der Niedergang Spaniens in der Historiographie der Nachkriegszeit, in: Heinz Duchhardt/Christoph Strosetzki (Hrsg.), Siglo de Oro – Decadencia. Spaniens Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Münstersche historische Forschungen, 10), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 167 – 188.

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krieg faktisch gleichbedeutend mit dem Ende der spanischen Großmachtstellung in Europa9. So reizvoll ein Vergleich Brandenburg-Preußens und Spaniens angesichts ihrer gegenläufigen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch sein mag, so muss vorab jedoch darauf hingewiesen werden, dass sie zu diesem Zeitpunkt keine Größen bildeten, die einer gleichen Mächterangstufe zuzuordnen sind. Das Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Großen Kurfürsten war – anders als es gerade in den Darstellungen der älteren borussischen Historiographie erscheinen mag10 – eine im europäischen Vergleich zweitrangige Macht; dem Spanien Philipps IV. ist dagegen der Rang einer europäischen Großmacht, trotz empfindlicher Einbußen in seiner Regierungszeit, nicht abzusprechen – auch wenn sich ex post der Eindruck eines Kolosses auf tönernen Füßen aufdrängt. Der Habsburger herrschte auch nach 1648 bzw. 1659/60 über ein Weltreich, wie ein Blick auf seine imponierende, wenn auch selbstverständlich nicht immer tatsächlichen Besitz widerspiegelnde Titulatur leicht zu erkennen gibt: In seinem Testament von 1665 beispielsweise firmiert er unter anderem als König von Kastilien, León, Aragón, beider Sizilien, Portugal, Navarra, beider Indien, als Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Mailand, Graf von Habsburg, Flandern usw. – insgesamt finden sich über dreißig Herrschaftstitel aufgelistet11. Es mag mit diesen unterschiedlichen Größenverhältnissen zusammenhängen, dass vergleichende Darstellungen über die spezifischen Strukturprobleme der beiden zusammengesetzten Staaten Brandenburg-Preußen und Spanien fehlen. Dabei liegen sowohl vonseiten der preußischen als auch der spanischen Forschung zahlreiche Einzelstudien vor, die diese Problematik berühren12. Einige Ansatzpunkte, die im Fol9

Es ist daher zutreffend, Preußen zu den „Aufsteigern“ und Spanien zu den „Absteigern“ im Europa des 18. Jahrhunderts zu rechnen; vgl. Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 4), Paderborn [u. a.] 1997, S. 154 – 172. 10 Vgl. hierzu Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), hier z. B. Bd. 1, S. 11; ders., Der Große Kurfürst, das Reich und die europäischen Mächte, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 19 – 31, hier S. 29. 11 Testamentos de los reyes de la casa de Austria. Edición facsimil. Testamento de Felipe IV. Introducción Antonio Domínguez Ortiz (Colección documenta), Madrid 1982, S. 1. Bezeichnend im hier behandelten Kontext ist, dass zum einen schon bei den Zeitgenossen die Bezeichnungen für das frühneuzeitliche spanische Reich variierten und dass zum anderen auch in der heutigen Forschung diesbezüglich keine einheitliche Terminologie festzustellen ist (z. B. España, Españas, Nación española, Monarquía española, Corona Católica). Vgl. José María Jover Zamora, Sobre los conceptos de monarquía y nación en el pensamiento político español del XVII, in: Cuadernos de Historia de España 13 (1950), S. 101 – 150, hier S. 101; Fernando Sánchez Marcos, Der Westfälische Friede, die spanische Diskussion und Europa (Akademische Reden und Beiträge, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 11), Münster 1995, S. 12; Pietschmann, Spanien (wie Anm. 8), S. 168 f. 12 Für Brandenburg-Preußen vgl. zuletzt insbesondere Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-

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genden nicht behandelt werden, die gleichwohl aber eingehende Untersuchungen auf der Basis einer vergleichenden Perspektive verdienen, seien hier stichwortartig erwähnt. In erster Linie ist das vielfältige Feld der Herrschaftspraxis der Könige von Spanien und der Kurfürsten von Brandenburg zu nennen, hier angedeutet mit den Begriffspaaren Integration und Staatsbildung, Unitarismus und Regionalismus sowie Zentrum und Peripherie. Wie verhielt sich der Herrscher zu den jeweiligen Ständen seiner diversen Territorien? Wie gelang die Delegation von Herrschaft an die obersten Vertreter des Herrschers, die Vizekönige, Gouverneure oder Statthalter, in den einzelnen Provinzen? Wie wirkte sich die Tatsache einer Mehrfachherrschaft auf institutionelle Neubildungen aus? Welche Rolle spielten Militärwesen und Kriegsfinanzierung oder auch der Faktor Dynastie im Integrationsprozess? Wie gestaltete sich der alltägliche Kampf mit den Distanzen oder, wie Braudel es genannt hat, mit dem Feind Nr. 1: dem Raum13? Die Liste ließe sich fortsetzen. Eine vergleichende Darstellung und Zusammenführung der sehr wohl vorhandenen, bislang aber unverbunden nebeneinanderstehenden Einzelforschungen zu den angedeuteten Fragen vor der Folie der in beiden Fällen gegebenen Mehrfachherrschaftsstruktur wäre sicherlich erkenntnisfördernd. * Die Frage nach den Vor- und Nachteilen eines zusammengesetzten Staates mit voneinander getrennt liegenden Territorien gegenüber einem kompakten Staat hat politische Denker seit jeher beschäftigt. Beispielhaft seien an dieser Stelle zwei Italiener erwähnt, die die Herrschaftspraxis Spaniens in den italienischen Besitzungen vor Augen hatten, nämlich Giovanni Botero (um 1544 – 1617) und Tommaso Campanella (1568 – 1639). In seinem klassischen Buch über die Staatsräson „Della ragion di Stato“ (1589) hat sich der piemontesische Politiker und Schriftsteller Giovanni Botero ausführlich mit der geographischen Situation großer Reiche und den daraus resultierenden politischen Konsequenzen befasst14. Das Beispiel des spanischen Imperiums vor Augen, gelangte Botero zu der Ansicht, dass Staaten mit verstreut liegenden Territorien gegenüber einem kompakten Staat unter gewissen Umständen nicht benachteiligt seien. Zwar konstatiert Botero in genanntem Werk die offenkundigen Nachteile der Staaten mit unzusammenhängenden Territorien. So erwähnt er die großen Dispreußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87. Für die spanische Seite vgl. John H. Elliott, Catalunya dins d’una Europa de monarquies compostes, in: Pedralbes. Revista d’Història Moderna 13 (1993), S. 11 – 23; Xavier Gil Pujol, Visió europea de la monarquia espanyola com a monarquia composta, segles XVI i XVII, in: Recerques 32 (1995), S. 19 – 43. 13 Fernand Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., Bd. 2 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1354), Frankfurt am Main 1998, S. 17 – 72. 14 Giovanni Botero, Della ragion di Stato, hrsg. von Chiara Continisio (Biblioteca, 23), Rom 1997, hier S. 14 – 17.

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tanzen als Quelle der Schwäche, ebenso die Möglichkeit, dass die Einzelteile für sich allein genommen zu schwach seien, um den Angriff einer benachbarten Macht zu überstehen, oder auch den Fall, dass sie so situiert seien, dass ein helfendes Eingreifen der anderen Landesteile nicht im Bereich des Möglichen liege. Demgegenüber verfüge ein Reich mit verstreut liegenden Territorien jedoch über gewichtige Vorteile. Infolge seiner großen Ausdehnung könne es nicht überall gleichzeitig angegriffen werden; andere Landesteile könnten dem bedrohten Part notfalls zu Hilfe kommen, Aufstände infolge der unterschiedlichen Verfasstheit der einzelnen Landesteile nicht so leicht übergreifen. Gerade das spanische Imperium, so Botero, sei infolge der Stärke seiner einzelnen Bestandteile und der Möglichkeit, über Seeverbindungen zu verfügen, gegenüber kompakteren Staaten nicht benachteiligt. Boteros Überlegungen stellen im politischen Denken der Zeit keinen Einzelfall dar, wie das Beispiel der 1600 erschienenen Abhandlung „Monarchia di Spagna“ des italienischen Dichters und Staatsphilosophen Tommaso Campanella zeigt, hier zitiert nach einer deutschen Übersetzung des Jahres 1620: „Etliche seind der Meinung“, so Campanella, „das Spanische Reich köndte nicht lang bestehen/ dieweil alle andere Nationen der Spanischen/ gleichsamb von Natur feind seind. Und dieweil auch die jenige Reich und Provintzen/ so der Cron Spanien gehörig/ weit von einander abgesöndert seind/ da ettliche in der Newen Welt/ etliche in Insulen hin vnd wider/ theils in Italien/ theils in Niderlanden/ theils in Affrica seind“15. Das Gegenbeispiel sei das Osmanische Reich, das „seine Reich alle beysamen“16 habe. Zu den Faktoren, die zu bewerkstelligen vermögen, den geschilderten Nachteil der territorialen Streulage zu kompensieren, zählt Campanella bezeichnenderweise, ähnlich wie auch Botero, die Schifffahrt, die unentbehrlich dafür war, die Verbindung zu den überseeischen Besitzungen Spaniens zu erhalten17. Entstanden die beiden genannten Darstellungen in einer Epoche, in der das spanische Weltreich noch als ein im Großen und Ganzen funktionsfähiges Herrschaftssystem erschien, so wandelte sich das Bild in der Regierungszeit Philipps IV., in der in zunehmendem Maße deutlich wurde, dass sich der mächtepolitische Status quo in Europa, d. h. die Bewahrung der spanischen Vormachtstellung, kaum noch gegen die Ambitionen der Generalstaaten und Frankreichs aufrechterhalten ließ. Mehr und mehr wurde im Verlauf des 17. Jahrhunderts das fassbar, was mit dem Begriff der strategischen Überdehnung18 des spanischen Imperiums bezeichnet worden ist: Philipp IV. war offenkundig nicht mehr in der Lage, die innen- und außenpolitischen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, die sich ihm allerorts stellten. Die Aufstände in Katalonien und Portugal 1640, in Neapel und Sizilien 1647/48 und der Frie15

Thomas Campanella, Von der Spanischen Monarchy […], ohne Ort 1620, S. 83. Ebd. 17 Ebd., S. 160. 18 Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000 (Fischer Taschenbuch, 10937), Frankfurt am Main 1992, S. 83. 16

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de, den man am 30. Januar 1648 in Münster mit der Republik der Vereinigten Niederlande unter Preisgabe der Souveränität über die ehemals aufständischen nordniederländischen Provinzen schloss, sind die bekanntesten Beispiele der überall im spanischen Imperium unter der Herrschaft Philipps IV. zutage tretenden Erosionserscheinungen, die schließlich dazu führten, dass das Frankreich Ludwigs XIV. an die Stelle Spaniens als Hegemonialmacht Europas treten konnte19. An Abhandlungen und Memoranden, die sich mit dem Wesen des spanischen Imperiums als eines zusammengesetzten Staates beschäftigten und die Möglichkeiten zur Überwindung der sich abzeichnenden Krise aufzuzeigen suchten, herrschte auch in der Regierungszeit Philipps IV. kein Mangel. So hat die Forschung in diesem Kontext zu Recht immer wieder auf die Schriften der sogenannten Arbitristas20 und auf das „Gran Memorial“ (25. 12. 1624) des Conde-Duque de Olivares (1587 – 1645), des leitenden Ministers Philipps IV., hingewiesen. Hier findet sich das vielzitierte Postulat, die wichtigste Aufgabe des Königs sei es, sich zum „rey de España“ zu machen und sich nicht damit zu begnügen, König von Portugal, von Aragón, von Valencia und Graf von Barcelona zu sein; vielmehr solle Philipp darauf hinarbeiten, diese Reiche, aus denen sich Spanien zusammensetze, den Gepflogenheiten und Gesetzen Kastiliens zu unterwerfen21. Auch die dazu gewissermaßen kontrapunktische Schrift „Juicio interior y secreto de la Monarquía para mí solo“ des Bischofs von Puebla de los Ángeles Juan de Palafox (1600 – 1659) ist wiederholt in den Blickpunkt gerückt. Bei Palafox findet sich unter anderem das konkrete Problem angesprochen, dass erschwerend zur territorialen Streulage der spanischen Besitzungen die Tatsache kam, dass zwischen den einzelnen Teilen des Reiches zum Teil feindlich gesonnene oder rivalisierende Staaten lagen: Zwischen Spanien und Flandern liege, so Palafox, ganz Frankreich, zwischen Neapel und Mailand ganz Italien, und zwischen Flandern und dem Haus Österreich und seinen Besitzungen ganz Deutschland, alles Provinzen feindlicher, abtrünniger oder rivalisierender Fürsten oder solcher, die die Krone letztlich nicht anerkennen22.

19 Zu den Aufständen im spanischen Imperium der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts vgl. Werner Thomas/Bart de Groof (Hrsg.), Rebelión y Resistencia en el Mundo hispánico del Siglo XVII. Actas del Coloquio Internacional Lovaina, 20 – 23 de Noviembre de 1991 (Avisos de Flandes, 1), Löwen 1992; Antonio Simón Tarrés [u. a.], 1640: La monarquía hispánica en crisis. Prólogo de Antonio Domínguez Ortiz (Centre d’Estudis d’Història Moderna „Pierre Vilar“; Serie general „La sociedad“, 221), Barcelona 1992. 20 Vgl. z. B. die klassischen Schriften aus den Jahren 1619 bzw. 1626 von Sancho de Moncada, Restauración política de España, hrsg. von Jean Vilar (Clásicos del pensamiento económico español, 1), [Madrid] 1974, sowie von Pedro Fernández Navarrete, Conservación de Monarquías y discursos políticos, hrsg. von Michael D. Gordon (Clásicos del pensamiento económico español, 7), Madrid 1982. 21 Text in : John H. Elliott/José F. de la Peña (Hrsg.), Memoriales y cartas del Conde Duque de Olivares, Bd. 1: Política interior: 1621 a 1627, Madrid 1978, S. 49 – 100, hier S. 96. 22 Text in: Jover Zamora, Conceptos de monarquía (wie Anm. 11), S. 138 – 150, hier S. 144.

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Derjenige spanische Autor aber, der vielleicht am anschaulichsten den Übergang zu einer tendenziell pessimistischeren Betrachtungsweise der Herrschaftsstruktur der Mehrfachherrschaft Philipps IV. repräsentiert, ist Diego Saavedra y Fajardo23 (1584 – 1648). Er hat insbesondere infolge seiner Doppelrolle als Schriftsteller und Diplomat das gesteigerte Interesse der Forschung gefunden. Seine wichtigsten Stationen in diplomatischen Diensten waren Rom, München und schließlich der Westfälische Friedenskongress, auf dem er von 1643 bis zu seiner vorzeitigen Abberufung 1646 als Gesandter Spaniens agierte. Bekannt geworden ist Saavedra als politisch-theoretischer Schriftsteller insbesondere durch sein 1640 veröffentlichtes, der Gattung der Fürstenspiegel zuzurechnendes emblematisches Werk „Idea de un príncipe político cristiano“24. An dieser Stelle sollen weder das umfangreiche schriftstellerische Œuvre Saavedras noch seine vielfältigen diplomatischen Aktivitäten bilanziert werden. Hervorgehoben seien allerdings zwei Aspekte seines politischen Denkens, die für die vergleichende Perspektive zwischen Spanien und Brandenburg-Preußen von Interesse sind. Sie zeigen ihn als Exponenten einer Zeit, in der die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Friedensordnung unter spanischer Vorherrschaft zwar noch vorhanden war, in der aber sehr wohl Zweifel am langfristigen Bestand einer solchen „Pax hispanica“ erkennbar wurden. Erstens: Die hier behandelte Problematik der außenpolitischen Strukturprobleme von Mehrfachherrschaften findet sich in Saavedras Werk eingekleidet in die Erörterung der Frage nach der rechten Größe eines Reiches und – damit einhergehend – in die Auseinandersetzung über das Erfordernis eines expansiven oder eines eher defensiv-bewahrenden außenpolitischen Kurses. Ganz offenkundig sah er die aus der Größe und damit auch der territorialen Streulage des spanischen Reiches resultierenden strukturellen Probleme als Faktoren an, die als Schlüssel zur Erklärung der in-

23 Zahlreiche bibliographische Angaben zu Saavedra in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Bibliographie zum Westfälischen Frieden, bearb. von Eva Ortlieb und Matthias Schnettger (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 26), Münster 1996, S. 244 f.; zu seinem diplomatischen Wirken grundlegend: Manuel Fraga Iribarne, Don Diego de Saavedra y Fajardo y la diplomacia de su época, Madrid 1955; einführend zu Saavedra als politischem Schriftsteller: John Dowling, Diego de Saavedra Fajardo (Twayne’s world authors series, 437), Boston 1977; vgl. hierzu auch jüngst Christian Bouzy, Diego de Saavedra Fajardo ou le diplomate pamphlétaire: Une vision espagnole de la paix en Europe, in: Jean-Pierre Kintz/Georges Livet (Hrsg.), 350e anniversaire des Traités de Westphalie 1648 – 1998. Une genèse de l’Europe, une société à reconstruire, Strasbourg 1999, S. 323 – 329; ders., Saavedra Fajardo, diplomate et éducateur du prince: une vision emblématique de la guerre et de la paix, in: Heinz Duchhardt/Patrice Veit (Hrsg. unter Mitwirkung von Pierre Monnet), Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Theorie – Praxis – Bilder (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte, Beiheft, 52), Mainz 2000, S. 195 – 205. 24 Benutzt wird folgende deutsche Übersetzung: Diego Saavedra y Fajardo, Abriß Eines Christlich-Politischen Printzens/ in CI anmuthigen Sinn-Bildern/ mit beygefügten Erklärungen […], Jena/Helmstedt 1700.

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neren und äußeren Reibungsverluste der spanischen Monarchie herangezogen werden können. Damit setzte er sich einerseits wesentlich von einigen zeitgenössischen spanischen Autoren ab, die die große geographische Ausdehnung des spanischen Imperiums als Zeichen der Vorsehung und der Auserwählung des spanischen Volkes deuteten25. Andererseits hatte seine Auffassung im politischen Denken der Frühen Neuzeit durchaus Tradition26 und war auch unter seinen Zeitgenossen verbreitet, wie ein Blick auf die Arbeiten des deutschen Rechtsgelehrten und Campanella-Übersetzers Christoph Besold (1577 – 1638) zeigt, auf die in diesem Kontext jüngst hingewiesen worden ist27. Besold schreibt beispielsweise in seiner „Synopse der Politik“: „Wie nämlich der menschliche Körper, wenn er zu groß oder zu aufgeschwollen ist, viele mangelhafte Säfte entwickelt, so leidet ein Reich nicht selten unter seiner Größe, und manchmal rät Zweckdienlichkeit von dieser äußeren Vermehrung ab“28. Und ganz ähnlich heißt es bei Matías de Novoa (1575 – 1652/53) in seinem historiographischen Werk über die Regierungszeit Philipps IV.: Es ist allgemein anerkannt, dass sehr ausgedehnte Monarchien unter ihrem eigenen Gewicht und ihrer eigenen Größe zu leiden haben29. Auch in Saavedras als Antwort auf die 1635 erfolgte Kriegserklärung Frankreichs an Spanien verfassten „Respuesta al manifiesto de Francia“ findet sich ein Plädoyer gegen einen ausufernden Expansionismus mit der Folge einer immer größeren und damit letztlich schädlichen Ausdehnung, veranschaulicht durch das Bild eines langen Stocks oder Pfahls, der leichter zu zerbrechen ist als ein kurzer von gleicher Stärke30. 25 José María Jover, 1635. Historia de una polémica y semblanza de una generación, Madrid 1949, S. 406. 26 Anzuführen ist beispielsweise die entsprechende Passage über das fiktive Volk der Achorier in Thomas Morus’ Utopia: Edward Surtz/J. H. Hexter (Hrsg.), The Complete Works of St. Thomas More, Bd. 4, New Haven [u. a.] 1965, hier S. 88 – 91; zum Problem der Größe eines Reiches im frühneuzeitlichen politischen Denken vgl. ferner Anthony Pagden, Lords of all the World. Ideologies of Empire in Spain, Britain and France c.1500–c.1800, New Haven/ London 1995, S. 103 – 125. 27 John Headley, The Demise of Universal Monarchy as a Meaningful Political Idea, in: Franz Bosbach/Hermann Hiery (Hrsg. in Zusammenarbeit mit Christoph Kampmann), Imperium – Empire – Reich. Ein Konzept politischer Herrschaft im deutsch-britischen Vergleich (Prinz-Albert-Studien, 16), München 1999, S. 41 – 58, hier S. 45 – 55. 28 Christoph Besold, Synopse der Politik, hrsg. von Laetitia Boehm (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, 9), Frankfurt am Main/Leipzig 2000, S. 269. 29 Marqués de la Fuensanta/José Sancho Rayón (Hrsg.), Memorias de Matías de Novoa, ayuda de cámara de Felipe IV, 2. Teil, Bd. 4 (Colección de documentos inéditos para la historia de España, 86), Madrid 1886, S. 281. 30 Text der „Respuesta“ in Auszügen bei Jover, 1635 (wie Anm. 25), S. 512 – 524, hier S. 518; vgl. ebd., S. 406 und ders./María Victoria López-Cordón Cortezo, La imagen de Europa y el pensamiento político-internacional, in: El siglo del Quijote (1580 – 1680), Bd. 1: Religión, filosofía, ciencia (Historia de España, hrsg. von Ramón Menéndez Pidal, 26), 2. Aufl., Madrid 1986, S. 353 – 522, hier S. 461.

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Dass dies nicht zu deuten ist als bloße Rhetorik und Polemik gegen den perzipierten außenpolitischen Expansionismus Frankreichs, der ja den eigentlichen Anlass dieser Schrift bildete, verdeutlicht ein Blick auf Saavedras „Idea de un príncipe político cristiano“: „Allein es ist zu seiner Erhaltung eben nicht allezeit vonnöthen/ daß mann die Gräntzen seines Reichs zu erweitern suche/ welches denn unendlich seyn/ und sich endlich in eine Ungerechtigkeit und Tyranney verändern würde. Ein Land wird sich in seinen Umbkreiß genung erhalten mögen/ jedoch also/ daß es innerhalb solches Begriffs seine Macht zu behalten suche“31. Damit steht er erkennbar in der Tradition früherer Denker, etwa Campanellas, in dessen bereits erwähntem Werk „Monarchia di Spagna“ es unter Bezugnahme auf Ovid heißt: „Es ist kein geringere Tugend/ das gewunnene Gut erhalten/ als Gut gewinnen“32. Auch eines der Mittel, die Saavedra im Hinblick auf die Bewahrung oder gar Ausdehnung des heterogenen Reiches für erforderlich hält, ist durchaus nicht neu, sondern auch bei anderen Autoren, z. B. Botero und Campanella, nachweisbar: „Hispanien“, heißt es in seinem Fürstenspiegel, „welches von dem Pireneischen Gebürg an/ sich zwischen dem Mittelländischen und grossen Meer hinaus strecket/ muß seine Macht zu Wasser haben/ wo es die universalmonarchie wird erlangen und behaupten wollen“33. Zweitens: Saavedras Verhältnis zu einer expansiven Orientierung der Außenpolitik Spaniens bleibt letztlich ambivalent. Zwar wendet er sich gegen eine maßlose Ausweitung des Herrschaftsbereichs, ohne aber Expansion als solche prinzipiell auszuschließen34. Das erwähnte Ziel der Erlangung und Behauptung der Universalmonarchie35 weist ihn letztlich durchaus als Verfechter traditioneller imperialer Zielsetzungen Spaniens aus, die über eine bloß defensiv-bewahrende Gestaltung der Außen31

Saavedra, Abriß (wie Anm. 24), S. 812 f. Campanella, Monarchy (wie Anm. 15), S. 166. Folgerichtig lautet die Empfehlung Campanellas, im Falle einer Expansion des Herrschaftsbereichs, diesen zu arrondieren: „Wann der König andere Land vntter sich bringen/ vnd Krig führen wil/ daß ers eher wider die benachbarte/ als wider weit entlegene Ort vnd Länder/ anstelle vnd fürnemme/ vnd selbst in Person zu Felde ziehe“; ebd., S. 90. Vgl. hierzu die vor dem Hintergrund der vergleichenden Perspektive zwischen Brandenburg-Preußen und Spanien interessanterweise sinngleiche Passage im Politischen Testament Friedrichs des Großen von 1768: „Un pais voesin du Notre, un Terrein qui nous arondit, est Centfois plus Important qu’un pais elloigné et Separé de Nos frontieres“; Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 462 – 697, hier S. 658. 33 Saavedra, Abriß (wie Anm. 24), S. 917. 34 Vgl. Eberhard Straub, Don Diego Saavedra y Fajardo und die Rechtfertigung des spanischen Reiches, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 34 (1971), S. 512 – 546, hier S. 528 f.; ders., Pax et Imperium. Spaniens Kampf um seine Friedensordnung in Europa zwischen 1617 und 1635 (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GörresGesellschaft N. F., 31), Paderborn [u. a.] 1980, S. 47. 35 Grundlegend zum Begriff der Universalmonarchie Franz Bosbach, Monarchia Universalis. Ein politischer Leitbegriff der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 32), Göttingen 1988. 32

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politik hinausgehen, in der damaligen politischen Lage Spaniens allerdings seiner Ansicht nach nicht mehr realisierbar schienen. Dahinter steht Saavedras Anschauung von dem gewissermaßen als Naturgesetz verstandenen Prozess des Aufstiegs und Verfalls großer Reiche: „O subir o bajar“ – wer nicht steigt, der fällt, lautet sein vielzitierter Sinnspruch, der diese Überzeugung prägnant zusammenfasst und mit der Pictura eines nach oben geschossenen Pfeils untermalt wird, der an einem bestimmten Punkt unausweichlich den Weg nach unten nehmen wird. „Alle Dinge/ wann sie auffs höchste kommen/ müssen nothwendig wieder zurück fallen“36. Und weiter heißt es: „Wo das Glück einmahl zu sincken beginnet/ so neiget es sich immer allmählich zum Fall. Und wo es einmahl angefangen zu fallen/ da mags keine menschliche Krafft auffhalten“37. Konsequent weitergedacht war dies gleichbedeutend mit dem Eingeständnis eines langfristig gesehen unausweichlichen Verlustes der spanischen Hegemoniestellung. Denn weitere Expansion musste zukünftig notwendigerweise eine Überdehnung oder Überforderung des Imperiums nach sich ziehen, wohingegen Status quo und Bewahrung der bestehenden Verhältnisse bereits Zeichen des Verfalls waren. * Der Übergang zum Beispiel Brandenburg-Preußen fällt an dieser Stelle nicht schwer. In einem während seiner Kronprinzenzeit 1731 entstandenen Schreiben an seinen Kammerjunker Natzmer hat Friedrich der Große folgender Überzeugung Ausdruck verliehen: „[…] car quand on n’avance pas (je parle des affaires générales), on recule“38; die treffende deutsche Übersetzung in der Werke-Ausgabe von 1913 lautet: „Denn wer nicht vorwärtskommt (ich spreche von der großen Politik), der geht zurück“39. Dieses Diktum ist aufgrund der Bedeutungsverwandtschaft mit dem erwähnten Sinnspruch Saavedras „O subir o bajar“ ein einleuchtendes Beispiel für die gedankliche Nähe, die sich bei spanischen und brandenburg-preußischen politischen Denkern und Herrschern im Hinblick auf die Wahrnehmung der Herrschaftsstruktur des eigenen Staates mitunter konstatieren lässt40.

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Saavedra, Abriß (wie Anm. 24), S. 801. Ebd., S. 802. 38 Druck des Briefes in: Correspondance de Frédéric II roi de Prusse, Bd. 1, Berlin 1850, S. 3 – 6, hier S. 3. 39 Gustav Berthold Volz (Hrsg.), Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 7: Antimachiavell und Testamente, Berlin 1913, S. 197. 40 Auffällig ist die Nähe dieser Überzeugung Saavedras und Friedrichs des Großen zu stoizistischen bzw. neostoizistischen Anschauungen, etwa zur Geschichtsphilosophie Justus Lipsius’. Vgl. z. B. Justus Lipsius, De Constantia. Von der Standhaftigkeit. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Florian Neumann (Excerpta classica, 16), Mainz 1998, 1. Buch, Kap. 16, S. 117: „Oh du wunderbares und stets unbegreifliches Gesetz der Notwendigkeit! Es geht doch alles in diesen vom Fatum bestimmten Zirkel des Wachsens und Absterbens ein. […] Du erhebe dich, du falle!“ 37

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Für Brandenburg-Preußen kann die Forschung hinsichtlich dieser Fragestellung auf den glücklichen Umstand zurückgreifen, dass mit den sogenannten Politischen Testamenten41 der brandenburgischen Kurfürsten bzw. preußischen Könige erstrangige Quellen zur Verfügung stehen, die unmittelbar erkennbar werden lassen, welche außenpolitischen Folgerungen die Herrscher aus der spezifischen Struktur ihrer Mehrfachherrschaften zogen. Quellen mit vergleichbar hoher Aussagekraft für die Auffassung Philipps IV. liegen nur vereinzelt vor, auch wenn sich mit Gewissheit sagen lässt, dass der Habsburger einen direkten Zusammenhang zwischen der Vielzahl der von ihm regierten Länder und der Tatsache kontinuierlicher Kriegführung sah42. Den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen bildet die sogenannte Väterliche Ermahnung (1667) Kurfürst Friedrich Wilhelms an den damaligen Kurprinzen Karl Emil. Dass hier43 wie übrigens auch in den Politischen Testamenten der Nachfolger des Großen Kurfürsten44 die geostrategische Lage, nämlich das Fehlen eines zusammenhängenden Staatsgebietes, als fundamentales außenpolitisches Problem wahrgenommen wird, ist der bisherigen Forschung nicht entgangen. Gregor Schöllgens 1984 erschienener Aufsatz über die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern in ihren Politischen Testamenten und das entsprechende Kapitel der Dissertation von Ulrike Müller-Weil über den Faktor Raum als strukturelle Prämisse der Außen41 Dietrich, Testamente (wie Anm. 32). Zur Bedeutung der Politischen Testamente vgl. die Einleitung ebd., S. 1 – 176; ders., Die Anfänge des preußischen Staatsgedankens in den politischen Testamenten der Hohenzollern, in: Friedrich Benninghoven/Cécile Lowenthal-Hensel (Hrsg.), Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 1 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 14), Köln/Wien 1979, S. 1 – 60; Fritz Hartung, Die politischen Testamente der Hohenzollern, in: ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, S. 112 – 148. 42 Vgl. beispielsweise den Brief Philipps IV. an Juan de Villela vom 05. 08. 1626: „Y es cierto, y la experiencia y ejemplos pasados lo muestran, que tantos reinos y señorios como se han juntado a esta Corona no pueden estar sin guerra en diferentes partes, ya para defender lo adquirido, ya para divertir a los émulos y enemigos de esta grandeza“; José Alcalá-Zamora y Queipo de Llano, En torno a los planteamientos hegemónicos de la monarquía hispana de los Felipes, in: Revista de la Universidad de Madrid 19 (1970), S. 57 – 106, hier S. 93. 43 Vgl. aber z. B. auch die folgende Passage aus einer eigenhändigen Denkschrift Kurfürst Friedrich Wilhelms aus dem Jahre 1647: „[…] dan Wan man betrachtet Wie meine landen gelegen, auff einer seitten ist die Chrohn Schweden auff der anderen der Kayser, undt sitze gleichsahm mitten zwissen Ihnen innen, undt erwahrte, was Sie mitt mir anfangen oder thun Wollen, ob Sie mir das meinige lassen, oder nehmen Wollen“; Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), Bd. 4, S. 552 – 556, hier S. 553. 44 In der Zweiten Ermahnung Friedrichs I. von 1705 ist davon die Rede, dass die Besitzungen Brandenburg-Preußens „sehr weit begriffen“ seien und dass sie „gar viel mächtige und meistentheils in contrairem Interesse gegeneinander stehende, auch über den Anwachs Unsers Hauses nicht wenig Jalousie hegende Nachbaren“ hätten; Dietrich, Testamente (wie Anm. 32), S. 217 – 220, hier S. 218. Im Politischen Testament Friedrichs des Großen von 1752 heißt es: „Les provinces de la Monarchie prussienne Se trouvent presque toutes Separées Les Unes des Autres“ ; ebd., S. 254 – 461, hier S. 330.

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politik Brandenburg-Preußens seien hier als Beispiele aus neuerer Zeit angeführt45. Es kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die Ergebnisse dieser Arbeit zu wiederholen. In den Vordergrund gestellt werden soll jedoch die vergleichende Perspektive mit Spanien, die die bisherige Forschung ergänzt. Vorab sei eine etwas ausführlichere Passage aus dem Politischen Testament Kurfürst Friedrich Wilhelms zitiert, anhand der sich einige grundsätzliche Beobachtungen aufzeigen lassen: „Dieweill auch der hochste daß hauß Brandenburg fur andere hausser im Romischen Reich mitt viellen vndt statlichen Landen so reichlich gesegnet, vndt dahero viell feinde hatt, So solchen Segen dem Hausse hertzlich mißgönnen, vndt da Sie vber kurtz oder lang, einige gelegenheitt erlangen, oder fehig werden kontten, Ihr bosses furnehmen zu vergeringerung des hausses ins werck zu richten, vndt selbiges ausser aller consideration zu bringen, nicht vntterlassen wurden, So ist dahin alzeitt zu sehen, das mitt Allen Chur, Fursten vndt Stende des Reichs, so viell nur immer muglich, Ihr in gutter vertraulichkeitt, freundtschaft vndt correspondens lebet, vndt Ihnen keine vrsache zu einigen widerwillen gebet, vndt gutter fride vnterhalten werde, vndt weill Gott vnser Hauß mit viellen Landen reichlich gesegnet, So habt Ihr auff deren conservation alleine zu gedencken, vndt huttet Euch das Ihr durch appetirung mehrer Lande, nicht grossen neidt vndt feindtschaft auff Euch ladet, vndt dadurch auch was Ihr schon habet in gefahr setzet, Jedoch das Ihr Euch keines weges von Eweren Landen, grenssen, oder woll hergebrachten gerechtigkeitten etwas entziehen oder nehmen lassen sollet“46.

Unter Berücksichtigung weiterer Passagen aus dem Politischen Testament, die hier nicht sämtlich aufgeführt werden sollen, ergeben sich knapp zusammengefasst folgende Beobachtungen: Erstens: Ganz offenkundig nahm Kurfürst Friedrich Wilhelm – wie später auch seine Nachfolger – die Herrschaft über mehrere Territorien als strukturelles außenpolitisches Problem wahr. Zweitens: Hier wie an anderer Stelle47 innerhalb seines Politischen Testaments wird erkennbar, dass Friedrich Wilhelm auch aus der Vielfalt seiner Territorien konkrete Folgerungen für die Gestaltung seiner Beziehungen zu den Ständen des Reiches und den angrenzenden Mächten ableitete. Die Einnahme einer neutralen Haltung lehnte er ab, sicherlich nicht zuletzt aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem 45 Gregor Schöllgen, Sicherheit durch Expansion? Die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert im Lichte des Kontinuitätsproblems in der preußischen und deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 22 – 45; Ulrike Müller-Weil, Absolutismus und Außenpolitik in Preußen. Ein Beitrag zur Strukturgeschichte des preußischen Absolutismus (Frankfurter Historische Abhandlungen, 34), Stuttgart 1992, S. 36 – 46. 46 Dietrich, Testamente (wie Anm. 32), S. 187. 47 Hingewiesen sei insbesondere auf die Tatsache, dass Kurfürst Friedrich Wilhelm im Rahmen der Erörterung seiner Allianzpolitik im Politischen Testament stets der Frage besondere Aufmerksamkeit schenkt, welche Mächte seinen jeweiligen Besitzungen benachbart sind; ebd., S. 188 – 191.

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außenpolitischen Kurs seines Vaters Georg Wilhelm: „[…] Den das ist einmahll gar gewiß, wan Ihr darzu stille sitzen wurdet, vndt gedencken, Das feuer seie noch ferne von Eweren grensen: Ewere Lande Das theaterum sein wurden, Darauff man die tragedi Spillen“48. Stattdessen postulierte er eine aktive Bündnispolitik49 sowie insbesondere eine Stärkung des eigenen militärischen Potenzials: „Alliancen seindt zwahr gutt, aber eigene krefte noch besser, darauff kan man Sich sicherer verlassen“50, lautet eine vielzitierte Sentenz des Kurfürsten aus seinem Politischen Testament. Drittens: Dominierend ist ein am Primat der Sicherheit ausgerichteter außenpolitischer Kurs, der sich am territorialen Status quo und an einer defensiv-bewahrenden Balancepolitik51 orientiert. Viertens: Dennoch – dies klingt in dem angeführten Textbeispiel sehr wohl an – ist eine tendenziell expansive Politik nicht ausgeschlossen. Territoriale Ausdehnung und Arrondierungspolitik werden jedoch nur dann legitimiert, wenn es um die Wahrung und Verteidigung eigener Rechte geht. Dies gilt im Übrigen auch für den in der Forschung vielbeachteten Entwurf Friedrich Wilhelms zur Erwerbung von Schlesien52, der als Musterbeispiel für das expansive Moment der Außenpolitik des Kurfürsten angeführt werden kann, wobei jedoch nicht übersehen werden sollte, dass hier als Ausgangspunkt für die Verfolgung expansiver Zielsetzungen ebenfalls ein eher defensiver Gedanke mit hineinspielt, nämlich die Prävention einer drohenden unrechtmäßigen Aneignung kurbrandenburgischer Rechte durch andere Potentaten. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen im Hinblick auf die Frage nach den Rahmenbedingungen und Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik Brandenburg-Preußens im Besonderen und der Außenpolitik frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften im Allgemeinen ziehen? Die vier herausgehobenen As48 Ebd., S. 188. Vgl. auch die Äußerungen Friedrich Wilhelms in einem Brief an Otto von Schwerin vom 06. 05. 1671 zum Problem der Einnahme einer neutralen Haltung im Vorfeld des Französisch-Niederländischen Krieges: „Was Neutral zu sein ist hab ich schon vor diessen erfahren, vndt wan man schon die allerbesten conditiones hatt, wirdt man doch vbel tractiret, ich hab auch verschworen mein lebenlang nicht neutral zu sein“; UA (wie Anm. 43), Bd. 12, S. 947. 49 Dietrich, Testamente (wie Anm. 32), S. 188 – 193. 50 Ebd., S. 191. 51 „[…] deßgleichen auch daferne Schweden oder Franckreich zu weitt gehen wolten, habt Ihr Euch ahn den kayser vndt dem hausse Ostereich zuhalten, Damitt Ihr schwischen Ihnen allezeitt die rechte Balance halten moget“; ebd., S. 190. Vgl. hierzu Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 97 und 332 f.; siehe auch Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998, S. 184; zur Gleichgewichts-Problematik insgesamt vgl. jüngst zusammenfassend Heinz Duchhardt, Grundmuster der internationalen Beziehungen in der Frühen und Späten Neuzeit, in: Jens Siegelberg/Klaus Schlichte (Hrsg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, Wiesbaden 2000, S. 74 – 85, hier S. 74 – 77. 52 Text des Entwurfs zur Erwerbung von Schlesien bei Dietrich, Testamente (wie Anm. 32), S. 205 – 210; vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 105.

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pekte – erstens: die Wahrnehmung der Gegebenheiten der Mehrfachherrschaft als strukturelles Problem, zweitens: eine an den daraus resultierenden spezifischen Erfordernissen ausgerichtete Außenpolitik, drittens: ein primär defensiver, an der Aufrechterhaltung des Status quo orientierter außenpolitischer Kurs sowie viertens: das Vorhandensein expansiver Momente – finden sich, dies haben die Ausführungen über Saavedra gezeigt, mit entsprechenden Modifikationen auch im spanischen politischen Denken des 17. Jahrhunderts. Ganz offenkundig gelangt man hier an Fragestellungen, Wahrnehmungsmuster und außenpolitische Verhaltensweisen, die, so die hieraus abzuleitende und durch weiterführende Forschungen weiter zu erhärtende These, weniger Ausdruck spezifisch brandenburg-preußischer bzw. spanischer politischer Gegebenheiten sind, sondern die vielmehr generellen Strukturproblemen frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften entspringen. Dies darf, wenn man etwa einen Blick auf die Folgewirkungen wirft, bei der immer noch lebendigen Diskussion über die Bedeutung des preußischen Militarismus für die langfristigen Ursachen der „deutschen Katastrophe“ im 20. Jahrhundert nicht unbeachtet bleiben. Das Beispiel des frühneuzeitlichen spanischen Imperiums zeigt nämlich, dass die Fokussierung auf den Aufbau und die Erhaltung eines effizienten Militärapparates zur Bewahrung und zum Ausbau des verstreut liegenden Staatsgebietes53 kein spezifisch preußisches Phänomen war, sondern letztlich ein Problem, das auch aus der Struktur zusammengesetzter Staaten resultierte. Hinzu kommt ein Weiteres, auf das abschließend hingewiesen werden soll. Dass der Aufbau und Erhalt von Mehrfachherrschaften ein Grund für die vermeintliche Bellizität des 17. Jahrhunderts war54, sollte nicht zu stark akzentuiert werden. Unbestritten war die territoriale Streulage frühneuzeitlicher zusammengesetzter Staaten ein wesentlicher Faktor für den Aufbau schlagkräftiger Militärapparate; die hier behandelten Beispiele Brandenburg-Preußen und Spanien verdeutlichen diesen Sachverhalt par excellence. Offenkundig ist aber auch, dass diese beiden zusammengesetzten Staaten im 17. Jahrhundert in erster Linie die Sicherung des territorialen Status quo betrieben und somit nicht per se kriegsfördernder waren als vermeintlich homogenere, aber nicht saturierte Mächte wie zum Beispiel das Frankreich Ludwigs XIV., dessen Expansionsstreben schließlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur größten Belastung des europäischen Staatensystems wurde.

53 Für Brandenburg-Preußen vgl. z. B. jüngst die Ausführungen Duchhardts: „Man könnte, zumal in einem Zeitalter generell hoher Konfliktbereitschaft, von einer strukturellen Gefährdung des weitgespannten, sich von der Memel bis zum Niederrhein hinziehenden löchrigen Territorienkonglomerats sprechen. Dies machte Militärpräsenz unabdingbar“; Duchhardt, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), S. 106. 54 „Der Krieg war ein ständiger Begleiter für Aufbau, Erhalt und Ausbau der frühneuzeitlichen Mehrfachherrschaften. Das ist – neben anderen – ein Grund, warum das 17. Jahrhundert so kriegerisch war“; Bosbach, Mehrfachherrschaften (wie Anm. 2), S. 35. Als Beleg für die These Bosbachs vom Zusammenhang von Mehrfachherrschaftsstruktur und Krieg ließe sich das in Anm. 42 nachgewiesene Zitat anführen.

II. Persönlichkeiten im Umfeld des Großen Kurfürsten

Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693) – ein anhaltischer Fürst im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik* Das Leben und politische Wirken Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau stand in der bisherigen Forschung eindeutig im Schatten des Interesses am militärischen Werdegang seines Sohnes Leopold, des berühmten Alten Dessauers, dessen Persönlichkeit 1997 anlässlich des 250. Todestages erneut gebührend gewürdigt wurde1. Zwar zeichnet Johann Georg weder die herausragende militärische Befähigung Leopolds aus, noch eignet sich seine Persönlichkeit in ähnlicher Weise zur Anekdoten- und Legendenbildung wie der Charakter und das Schaffen des Alten Dessauers. Bedenkt man aber die Tragweite seines politischen Wirkens, die Langzeitwirkungen seiner Regierungstätigkeit in seinen Stammlanden, so kann es keinen Zweifel daran geben, dass er zu den bedeutendsten anhaltischen Fürsten der Frühen Neuzeit zu zählen ist. Bereits ein kurzer Blick auf markante Lebensstationen und dynastische Verbindungen Johann Georgs verdeutlicht, dass sein politischer Wirkungskreis die Grenzen seines kleinen Fürstentums weit überschritt. Er regierte in Anhalt-Dessau von 1660 bis 1693. Seit 1670 war er zudem als Senior der leitende anhaltische Fürst in Fragen der Politik des Gesamthauses2. Die militärische Lehrzeit des jungen, nach Ruhm strebenden Dessauer Erbprinzen war der Schwedisch-Polnische Krieg, auch 1. Nordischer Krieg genannt, der von 1655 bis 1660 währte. Während der Anfangsjahre dieses Krieges, in den nahezu alle europäischen Mächte verwickelt waren, kämpfte er in der Armee des schwedischen Königs Karl X. Gustav gegen Polen und Dänemark3.

* Um die ursprünglich vorgesehenen Anmerkungen erweiterte Fassung der Erstpublikation, bei der aus Platzgründen schließlich auf einen Fußnotenapparat verzichtet wurde. Die folgenden Ausführungen basieren auf Teilen der Bonner Dissertation des Verfassers: Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998. 1 Vgl. Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676 – 1747). „Der Alte Dessauer“. Ausstellungskatalog zum 250. Todestag, Dessau 1997. 2 Anhalt war seit dem frühen 17. Jahrhundert in mehrere Teilfürstentümer geteilt, wobei der sogenannte Senior, der jeweils älteste anhaltische Fürst, bestimmte Kompetenzen besaß, die sich auf Gesamtanhalt erstreckten, was ihm, quasi als primus inter pares, eine gewisse Vorrangstellung gegenüber den anderen Fürsten einbrachte. 3 Ernst Müsebeck, Der Eintritt des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau in schwedische, sein Übertritt in brandenburgische Dienste und seine Vermählung mit Henriette

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Mitten im Krieg, im Jahre 1658, trat er in die Dienste des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der später der Große Kurfürst genannt wurde. Als Statthalter der Kur und Mark Brandenburg und Kavalleriegeneral, von 1670 an sogar als Generalfeldmarschall, d. h. als Inhaber der höchsten zivilen und militärischen Würden, die der Hohenzollernstaat zu vergeben hatte, war der Dessauer über drei Jahrzehnte lang in vielfältiger Weise für den Großen Kurfürsten und dessen Sohn und Nachfolger, Friedrich III., den späteren ersten preußischen König, politisch, militärisch und diplomatisch aktiv. Zudem band er sich 1659 durch seine Heirat mit Henriette Catharina von Nassau-Oranien, einer Schwester der Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg, eng an das brandenburgische Herrscherhaus und die renommierte Dynastie der Oranier, deren Geschichte untrennbar verbunden ist mit dem berühmt gewordenen Freiheitskampf der Niederlande gegen Spanien im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert4. Kaum ein Ort ist angesichts dieser dynastischen Verbindung zwischen Anhalt-Dessau und Nassau-Oranien geeigneter, das facettenreiche Wirken Johann Georgs zu würdigen, als Oranienbaum, das von ihm in Auftrag gegebene und als Demonstration der Verbundenheit mit dem Haus Nassau-Oranien errichtete Schloss-, Park- und Stadtensemble, das noch heute in eindrucksvoller Weise niederländische Einflüsse auf Anhalt spürbar werden lässt. Welches Bild hat die bisherige Forschung von Johann Georg gezeichnet? Schon von den Zeitgenossen ist der Dessauer Fürst sehr unterschiedlich beurteilt worden. Lobrednerisch überhöhte Charakterisierungen, wie etwa in der „Einleitung zur Sittenlehre“ des berühmten Rechts- und Staatslehrers Christian Thomasius5, finden sich in den überlieferten zeitgenössischen Schilderungen seiner Person ebenso wie kritisch-abwertende Einschätzungen durch seine politischen Feinde, wie z. B. den französischen Gesandten am Berliner Hof, Rébénac6. Ähnlich divergierende Urteile sind auch in der bisherigen Forschung anzutreffen. Die anhaltische Landesgeschichtsschreibung hat den Charakter, die Fähigkeiten und die politischen Leistungen Johann Georgs in der Nachfolge der panegyrischen Darstellung in Johann Christoph Beckmanns 1710 erschienener „Historie des Fürstenthums Anhalt“7 nahezu einhellig positiv beurteilt. Dagegen ist sein Bild in der preußischen Forschung zwiespältig. Besonders in der stark von der Tagespolitik beeinflussten preußisch-kleindeutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist Kritik am Dessauer Fürsten laut geworKatherine von Oranien, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 16 (1903), S. 477 – 515. 4 Zur Hochzeit am 16. 07. 1659 in Groningen vgl. Jan A. Worp, Een vorstelijk huwelijk, in: Groningsche Volksalmanak voor het jaar 1893. Jaarboekje voor geschiedenis, taal- en letterkunde der provincie Groningen, Groningen 1892, S. 88 – 101. 5 Christian Thomasius, Einleitung zur Sittenlehre. Mit einem Vorwort von Werner Schneiders, Hildesheim 1968, ND der Ausgabe Halle 1692, hier ohne Seitenangabe. 6 Albert Waddington, Un mémoire inédit sur la cour de Berlin en 1688, in: Revue historique 78 (1902), S. 72 – 94, hier S. 86. 7 Johann Christoph Beckmann, Historie des Fürstenthums Anhalt […], Zerbst 1710, hier Abt. V/3 S. 245 – 264.

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den. Für sie war die vielfach bezeugte Treue Johann Georgs zu Kaiser Leopold I., die sich nicht zuletzt in der Namenswahl für seinen Sohn Leopold manifestierte, nicht tolerabel. Sie projizierte anachronistischerweise den preußisch-österreichischen Gegensatz des 18. und 19. Jahrhunderts auch auf die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück und nahm das kaiserfreundlich akzentuierte Wirken des Dessauer Fürsten mitunter zum Anlass zu einer sehr kritischen, zum Teil auch unangemessen polemischen Gesamtbeurteilung seiner Persönlichkeit8. In Ansätzen erkannten die preußisch-kleindeutsch orientierten Historiker jedoch richtig, dass das politische Wirken Johann Georgs – dies sei thesenartig den folgenden Überlegungen vorangestellt – entscheidend geprägt war durch die wechselseitigen Abhängigkeiten seiner Handlungsweisen als regierender Fürst von Anhalt einerseits und als Amtsträger und Interessenvertreter auswärtiger Machthaber andererseits, oder, anders ausgedrückt, durch die Interdependenzen seiner verschiedenen politischen Aktivitäten im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik9. * Wie in den bisherigen Ausführungen bereits angedeutet, waren vier Aspekte prägend für das vielgestaltige politische Wirken Johann Georgs: erstens seine Landesherrschaft als Fürst von Anhalt-Dessau und Senior des anhaltischen Gesamthauses, zweitens seine umfassende Tätigkeit in kurbrandenburgischen Diensten, drittens seine Parteigängerschaft für Kaiser Leopold I. sowie viertens seine Aktivitäten als Sachwalter oranischer Interessen. Bei einer Untersuchung seines Schaffens im Bereich der inneren Politik Anhalts bzw. Anhalt-Dessaus stellt sich in Anbetracht der doppelten Aufgabe Johann Georgs als anhaltischer Landesherr und Diener des brandenburgischen Kurfürsten vorab die Frage, wie er die Fülle der Aufgaben, mit denen er alltäglich konfrontiert war, organisatorisch bewältigen konnte. Denn neben seine Tätigkeit als Landesherr und Senior traten zusätzlich die zeitaufwendige Arbeit als Statthalter im brandenburgischen Geheimen Rat sowie zahlreiche militärische und diplomatische Einsätze in kurbrandenburgischen Diensten, um nur die wichtigsten Verpflichtungen zu nennen. Anhand der Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rates, die in der Regel Vermerke über die jeweiligen Teilnehmer an den Ratssitzungen enthalten, sowie anhand der erhaltenen Notizkalender Johann Georgs lässt sich ermitteln, dass der Fürst infolge seiner auswärtigen Verpflichtungen oftmals nicht in Anhalt anwesend war10. Häufig pen8 Als Beispiel genannt sei die Schilderung in: Martin Philippson, Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 3 Bde., Berlin 1897 – 1903, hier Bd. 3, S. 46 – 49. 9 Vgl. z. B. schon Johann Gustav Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Teil IV/4, Leipzig 1870, S. 179. 10 Die Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rates aus der Zeit Kurfürst Friedrich Wilhelms sind bis zum Jahr 1666 ediert: Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1 posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen

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delte er zwischen seiner Residenzstadt Dessau und Berlin bzw. Potsdam. Bei optimaler organisatorischer Vorbereitung, d. h. der Bereitstellung von frischen Pferden, konnte er die Wegstrecke Dessau-Berlin im Bedarfsfall innerhalb von zwölf Stunden zurücklegen. Zumeist machte er jedoch in Potsdam Zwischenstation und reiste erst tags darauf nach Berlin bzw. Dessau weiter. Trotz seiner zahlreichen Aufenthalte außerhalb Anhalts vernachlässigte Johann Georg seine anhaltischen Regierungsaufgaben insgesamt gesehen keineswegs. Instruktionen für seine mit der Regierung beauftragten Beamten regelten das administrative Procedere für den Fall seiner Abwesenheit11. Zudem sollte ein intensiver Schriftwechsel mit den in Dessau zurückgelassenen Räten die aufgrund seiner fehlenden Präsenz vor Ort mitunter entstehenden Informationsdefizite kompensieren helfen. Die zentrale Stellung im Falle erforderlicher auswärtiger Aufenthalte hatte er einem Mann seines besonderen Vertrauens zugedacht: seinem ehemaligen Hofmeister, dem Gesamt- und Geheimen Rat sowie Landeshauptmann des Dessauer Landesteils, Wilhelm Heinrich von Freyberg12. Ihm wies er die Oberaufsicht über das gesamte anhalt-dessauische Staatswesen für die Zeit seiner Aufenthalte außerhalb Anhalts zu. Obwohl Johann Georg auch im Falle seiner Abwesenheit intensiven Anteil am Gang der Regierungsgeschäfte seines Fürstentums nahm, waren die Ergebnisse seiner Bemühungen, eine effiziente Verwaltung Anhalt-Dessaus zu gewährleisten, nicht immer befriedigend. Zwar sorgten die detaillierten Anweisungen, die er in Zeiten seiner Anwesenheit am kurfürstlichen Hof seinen Räten in Dessau zusandte, für einen kontinuierlichen, zumeist reibungslosen Ablauf der Regierungsgeschäfte in Anhalt-Dessau. Auch konnte er seine in kurbrandenburgischen Diensten erworbenen behördenorganisatorischen Erfahrungen bei der Formierung der Regierungskollegien seiner Stammlande einfließen lassen. Generell war er jedoch darauf angewiesen, dass die von ihm hinterlassenen Instruktionen in der alltäglichen politischen Arbeit tatsächlich befolgt und in seinem Sinne interpretiert wurden, was durchaus nicht immer der Fall war. Bisweilen wollte Johann Georg während seiner Anwesenheit am Berliner Hof nicht mit allen Details der Regierungsgeschäfte in Anhalt belastet werden. Zum Staatsarchiven 41, 54, 55, 60, 80, 89, 91), Leipzig 1889 – 1919. Die Schreibkalender Johann Georgs finden sich im Landesarchiv Sachsen-Anhalt (im Folgenden abgekürzt LASA), Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 e Nr. 4. 11 Vgl. hierzu z. B. Wilhelm Klinsmann, Anhalt-Dessaus Stellung zur anhaltischen Gesamtung und seine Behördenorganisation unter Fürst Leopold (1698 – 1747), Diss., Greifswald 1912, hier besonders S. 31 – 54. Klinsmann wertet zwei grundlegende Instruktionen des Fürsten aus den Jahren 1668 und 1674 aus. 12 Zu Freyberg vgl. zusammenfassend Ulla Jablonowski, Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau. 5. Der Wiederaufbau des wirtschaftlichen Lebens nach dem Kriege und der Übergang zum Absolutismus (1648 – 1698), in: Dessauer Kalender 30 (1986), S. 48 – 65, hier S. 50.

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Teil behandelte er seine kurbrandenburgischen Verpflichtungen erkennbar mit Priorität und verschob anhaltische Angelegenheiten auf die Zeit seines nächsten Aufenthalts in Dessau. Zudem musste er vor einer geplanten Reise nach Anhalt in der Regel die förmliche Erlaubnis seines Dienstherrn einholen. Er stand also nicht jederzeit zur Klärung eventueller Probleme in seiner Residenzstadt zur Verfügung13. Dass dadurch Verzögerungen bei den anhaltischen Regierungsangelegenheiten entstanden, war ebenso unvermeidbar wie die augenscheinliche Tatsache, dass seine fehlende Gegenwart in Dessau auf die Leistungsbereitschaft seiner Beamten nicht immer förderlich wirkte. Ein erhaltenes Gutachten des Landeshauptmanns Freyberg aus dem Jahre 1674 verdeutlicht, dass es um die Dienstauffassung der Beamten und Bedienten Johann Georgs nicht immer zum besten bestellt war. Offenbar versuchten sie mitunter, Handlungsspielräume, die sich infolge der Abwesenheit des Fürsten ergaben, zu ihren Gunsten auszunutzen, und vergaßen darüber ihre eigentlichen Aufgaben14. Dennoch vermittelt der intensive Schriftwechsel Johann Georgs mit seiner Dessauer Regierung insgesamt den Eindruck von Einmütigkeit zwischen dem Fürsten und seinen Räten. Vereinzelt überlieferte Beschwerden Johann Georgs über das Verhalten seiner Regierung bilden eher die Ausnahme, Äußerungen der Zufriedenheit über die Handlungen seiner Beamten sind dagegen die Regel. Die wichtigsten Berater des Fürsten, wie z. B. der bereits erwähnte Landeshauptmann Freyberg, der Kanzler August von Milagsheim oder auch der Kammerdirektor Christoph Heinrich von Wülcknitz, blieben meist über Jahrzehnte hinweg, oftmals bis zu ihrem Tod bzw. über den Tod ihres Dienstherrn hinaus, in dessauischen Diensten, was auf eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Fürsten und diesen Räten hindeutet. Unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht die Vorgaben Johann Georgs von seinen Regierungsräten umgesetzt wurden, steht außer Frage, dass eine verstärkte Konzentration seiner politischen Fähigkeiten auf die Gestaltung der inneren Verhältnisse Anhalt-Dessaus positivere Ergebnisse für das kleine Fürstentum hervorgebracht hätte, als es letztlich infolge der Erfordernisse seiner zeitintensiven Aktivitäten als kurbrandenburgischer Amtsträger möglich war. Hoffnungsvolle Initiativen des Fürsten wurden, bedingt eben durch seine Abwesenheit, bisweilen nicht konsequent verfolgt und sogar dringend erforderliche Maßnahmen zum Teil verzögert. Allein der Hinweis darauf, dass durch seine häufigere Anwesenheit in seiner Residenzstadt einige der Probleme, die sich infolge von Nachlässigkeiten seiner Beamten ergaben, sicherlich nicht aufgetreten wären, mag verdeutlichen, wie sehr die Situation in Anhalt-Dessau letztlich davon abhängig war, dass er sich von seinen kurbranden13

Als Beispiel seien in diesem Zusammenhang die ersten Regierungsjahre Johann Georgs angeführt. Der Dessauer gehörte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zu dem engen Personenkreis, der den Kurfürsten auf allen längeren Reisen außerhalb der Mark Brandenburg begleitete, so 1660/61 und 1665/66 nach Kleve und 1662/63 nach Königsberg. 14 Vgl. das Gutachten Freybergs im LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 59, fol. 9 – 12.

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burgischen Dienstverpflichtungen in ausreichendem Maße freimachte, um sich seinen landesherrlichen Aufgaben zu widmen. Dennoch – dies gilt es trotz dieser kritischen Bemerkungen ausdrücklich festzuhalten – hat gerade die Erweiterung seines Erfahrungshorizonts durch seine Aktivitäten in den Diensten Brandenburg-Preußens maßgeblich dazu beigetragen, dass eine Bilanz seiner Regierungstätigkeit in Anhalt-Dessau positiv ausfällt. Denn bei dem Versuch, ein funktionsfähiges und prosperierendes Land zu schaffen, konnte der Fürst auf seine eingehenden Kenntnisse der Verhältnisse in den Territorien des Hohenzollernstaates zurückgreifen. Zu den wichtigsten Ergebnissen und zukunftsweisenden, langfristig strukturverändernd wirkenden Charakteristika seiner Regierungszeit in Anhalt-Dessau ist zuvorderst die erfolgreiche Bewältigung zentraler Probleme des Wiederaufbaus nach dem Dreißigjährigen Krieg zu zählen. Einige Aspekte, die von der Forschung in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt werden, seien hier skizzenartig hervorgehoben15. Als Johann Georg 1660, inzwischen fast 33 Jahre alt, die Regierung übernahm, waren die nachteiligen Auswirkungen des großen Krieges auf das wirtschaftliche und soziale Leben Anhalts noch deutlich spürbar. Sein besonderes Augenmerk richtete der Fürst schon frühzeitig und mit Erfolg auf die Verbesserung der Domänenbewirtschaftung mit dem Ziel einer Erhöhung der Einkünfte und Steigerung der Erträge. Häufig orientierte sich Johann Georg hierbei an den Zuständen in der Mark Brandenburg, wie überhaupt die Mark in zunehmendem Maße Bedeutung für das anhaltische Wirtschaftsleben erlangte. Daneben nahm nach wie vor der Handel mit den kursächsischen Landen eine herausragende Stellung ein. Die schwierige landwirtschaftliche Lage, die Johann Georg bei seinem Regierungsantritt vorfand, besserte sich merklich im Gefolge einer allgemeinen konjunkturellen Erholung im Reich gegen Ende seiner Regierung. Auch im Bereich des Landesausbaus und der Verbesserung der Verkehrswege waren Fortschritte während seiner Regierungszeit zu verzeichnen. Entwässerungsarbeiten, Hochwasserschutz, Brückenbau sowie neue Initiativen im Postwesen seien stellvertretend genannt. Handel und Gewerbe, insbesondere Manufakturen, wurden gefördert. In Dessau wurde seit 1674 wieder gemünzt. Häufig kamen wichtige Impulse von außen, etwa durch den aus der Mark Brandenburg stammenden Münzmeister Pflug oder durch die jüdischen Zuwanderer, denen Johann Georg – möglicherweise nach dem Vorbild Kurfürst Friedrich Wilhelms – den Aufenthalt in seinem Fürstentum erlaubte. Besonders herauszustellen ist Moses Benjamin Wulff, der jüdische Hoffaktor Johann Georgs, dem zahlreiche wirtschaftliche Initiativen zu verdanken waren. Die durch religiöse Toleranz geprägte Bevölkerungspolitik des reformierten Dessauers äußerte sich nicht zuletzt auch in seiner Haltung gegenüber den Anhängern des lutherischen Bekenntnisses. So gestat15 Eine ausgezeichnete Zusammenfassung bietet die Studie von Jablonowski, Bausteine (wie Anm. 12). Wichtig ist in diesem Kontext ferner Franz Brückner, Häuserbuch der Stadt Dessau, Dessau 1975 – 2002.

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tete der Fürst der Dessauer lutherischen Gemeinde gegen Ende seiner Regierung, eine eigene Kirche in der Residenzstadt zu bauen. Auch in dieser Frage korrespondierte seine Politik mit der des ebenfalls reformierten Großen Kurfürsten, dessen politischer Kurs gegenüber den Lutheranern in seinen eigenen Landen von der Forschung mit dem Terminus „Kirchenfriedenpolitik“ umschrieben worden ist16. Gezielt nutzte Johann Georg seine personellen Verbindungen zum Berliner Hof, um Fachleute, Künstler und Gelehrte, die bereits für den Kurfürsten tätig waren, für Arbeiten in Anhalt zu gewinnen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die zahlreichen Niederländer, die häufig zunächst in der Mark Brandenburg und später dann auch in Anhalt wirkten. Damit ist ein Sachverhalt angesprochen, der als weiteres Charakteristikum der Regierungszeit Johann Georgs gelten kann: die Auf- und Übernahme wirtschaftlicher Errungenschaften und geistig-kultureller Anregungen aus den Niederlanden. Dies hing entscheidend mit einem Umstand zusammen, der ein Glücksfall für das kleine Fürstentum war: Mit Henriette Catharina hielt nämlich eine oranische Prinzessin Einzug in die Dessauer Residenz, die es verstand, in ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht Impulse aus den fortschrittlichen Niederlanden zu vermitteln17. Exkursartig soll im Folgenden die Bedeutung niederländischer Einflüsse auf Anhalt skizziert werden18. * Die Niederlande waren noch zum Zeitpunkt der Heirat Johann Georgs und Henriette Catharinas die führende europäische Wirtschaftsmacht, ein Land, das als Folge seiner vielbewunderten kulturellen Blüte, seiner sprichwörtlichen Toleranz und seines regen geistigen Lebens immense Ausstrahlungskraft besaß. Im Bereich des Handels, auf dem gewerblichen und dem landwirtschaftlichen Sektor galt die Innovations- und Modernisierungskraft der Niederlande als vorbildlich. In der Landwirtschaft beispielsweise resultierte ihr Vorsprung aus der Tatsache, dass man langfristig durch den Einsatz großer Kapitalmengen, durch einen hohen Grad an Spezialisierung sowie durch den Einsatz modernster Technologie ein im übrigen Europa unerreichtes Produktionsniveau erzielt und sich in optimaler Weise auf die gesteigerte Nachfrage 16 Vgl. in diesem Zusammenhang die Studie von Ernst Opgenoorth, Die Reformierten in Brandenburg-Preußen. Minderheit und Elite?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 439 – 459. Der Terminus „Kirchenfriedenpolitik“ lässt sich auch auf die Politik Johann Georgs übertragen. 17 Vgl. A.M.H. Smeenge, Henriëtte Catharina van Nassau 1637 – 1708. Eene Oranje prinses en hare omgeving uit de XVIIe eeuw, Amsterdam [1932]. 18 Grundlegend hierzu: Erhard Hirsch, Kulturgeschichtliche Beziehungen Mitteldeutschlands zur „Niederländischen Bewegung“ des 17. Jahrhunderts und ihr Weiterwirken auf den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis, in: Arina Völker/Burchard Thaler (Hrsg.), Die Entwicklung des medizinhistorischen Unterrichts (Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1982, 6 = E 43), Halle/Saale 1982, S. 112 – 146; Hartmut Ross, Niederland, Oranien und Anhalt (insbesondere im 17. Jahrhundert), in: Dillenburger Blätter 10 (1993) Nr. 22, S. 34 – 49.

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nach Agrarprodukten eingestellt hatte. Diese Erfolge hatten sich nur einstellen können, da die Bauern nicht oder nur in geringem Maße durch feudale Strukturen eingeschränkt waren. Sie konnten daher durch die Anwendung modernerer, kapitalistischer Produktionsverfahren und Betriebsformen sehr flexibel wirtschaften19. Henriette Catharina besaß, ähnlich wie auch ihre Schwester Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg, die Eigenschaft, nüchtern und gewinnbringend zu wirtschaften. Durch ihre vielfältigen Aktivitäten im ökonomischen Bereich, die ebenso wie ihr soziales Engagement sicherlich auch ein Resultat ihrer vom Calvinismus und dessen Forderung nach einer aktiven Lebensführung geprägten Erziehung waren, trug sie zur wirtschaftlichen Gesundung ihres durch den Dreißigjährigen Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Fürstentums bei. Nach dem Tod ihres Gatten übernahm sie die Regentschaft in Anhalt-Dessau und übte diese fast fünf Jahre lang bis zum Regierungsantritt Leopolds im Jahre 1698 aus. Henriette Catharina, die in ihrer Jugend die kulturell hochstehenden Entwicklungen am glänzenden Hof ihrer Eltern aufgenommen hatte, zeigte nach ihrer Heirat mit Johann Georg ein Interesse daran, auch in ihrer neuen Heimat künstlerische Impulse aus den Niederlanden aufzunehmen. Besonders deutlich manifestiert sich dies in der noch heute in anhaltischen Museen zu besichtigenden Porträtkunst20. Das Dessauer Fürstenpaar beauftragte mehrere niederländische Maler, die bereits in kurbrandenburgischen Diensten tätig waren, mit der Anfertigung von Porträts. Dabei spielte zum einen die Absicht eine Rolle, eine Ahnen- und Verwandtschaftsgalerie Henriette Catharinas zu erstellen. Zum anderen äußerte sich hierin das im herrscherlichen Selbstverständnis begründete Bedürfnis Johann Georgs, die eigene, d. h. die anhaltisch-askanische Dynastie, durch geeignete repräsentative Porträts zu verherrlichen. Für das Dessauer Fürstenpaar tätig wurde in den sechziger Jahren z. B. Willem van Honthorst, der jüngere Bruder des begabteren Haager Hofmalers Gerard van Honthorst. Jener war seit 1647 in kurbrandenburgischen Diensten tätig, zunächst als Hofmaler in Kleve, wo Johann Moritz von Nassau-Siegen als Statthalter des Großen Kurfürsten zahlreiche kulturelle Initiativen förderte21, später dann auch in Berlin. Die für 19

Heinz Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648 – 1763 (Das Reich und die Deutschen), Berlin 1989, S. 74 ff.; zur Rolle der Niederlande im internationalen System des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. Holger Th. Gräf, Gestaltende Kräfte und gegenläufige Entwicklungen im Staatensystem des 17. und 18. Jahrhunderts: Die Republik der Vereinigten Niederlande als Macht des Übergangs, in: Peter Krüger (Hrsg. unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner), Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 35), München 1996, S. 11 – 25. 20 Zahlreiche Abbildungen in: Erdmute Alex (Hrsg.), Anhaltische Schlösser in Geschichte und Kunst, Niedernhausen/Taunus 1991. 21 Zu Johann Moritz von Nassau-Siegen, dem Mitorganisator der Hochzeitsfeierlichkeiten Johann Georgs und Henriette Catharinas im Juli 1659, vgl. Murk van der Bijl, Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679): eine vermittelnde Persönlichkeit, in: Horst Lademacher (Hrsg.), Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie (Niederlande-Studien, 13), Münster/Hamburg 1995, S. 125 – 154.

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das brandenburgische Kurfürstenpaar arbeitenden Maler Jan Mytens und Adriaen Hanneman fertigten ebenfalls Porträts Henriette Catharinas und Johann Georgs an. Die Praxis, niederländische Maler, die im benachbarten Brandenburg tätig waren, auch nach Dessau zu berufen, setzte das Fürstenpaar in den nächsten Jahrzehnten fort. Zu diesen Künstlern zählten der wahrscheinlich aus Holland stammende brandenburgische Hofmaler Adam de Clerck und der in Flandern gebürtige Maler Jacques Vaillant, der seit 1672 in Berlin wirkte. Weitere Niederländer, die im Auftrag Johann Georgs und Henriette Catharinas malten, waren Maria van der Laeck und Abraham Snaphaen. Zur langfristigen niederländischen Prägung des kulturellen Gesichts Anhalts trugen außerdem die zahlreichen wertvollen Gemälde bei – vor allem Werke flämischer und holländischer Meister –, die Henriette Catharina nach dem Tod ihrer Mutter Amalia im Jahre 1675 geerbt hatte und die den Grundstock der späteren Dessauer Kunstsammlungen bildeten. Eine herausragende Stellung innerhalb der Initiativen Johann Georgs im Bereich des höfisch-kulturellen Lebens in Anhalt nimmt der 1683 begonnene Bau des Schlosses Oranienbaum ein, das bemerkenswerteste Beispiel für das in den späten Lebensjahren Johann Georgs merklich gesteigerte Repräsentationsbedürfnis des Dessauer Fürstenpaares22. Standort dieses Landsitzes war das jahrhundertelang wüst gelegene Dorf Nischwitz, das nachweisbar ab 1673 Oranienbaum genannt wurde. Hier hatte Johann Georgs Mutter 1644/45 ein Wohnhaus, einen Wirtschaftshof, Häuser für die Bedienten sowie ein Bethaus erbauen lassen. Die Notizkalender seines Vaters, Fürst Johann Casimirs, zeigen, dass Nischwitz zudem ein beliebtes Jagdziel war23. Mit dem Bau des etwa zwölf Kilometer von der Residenzstadt entfernt liegenden Schlosses folgten Johann Georg und Henriette Catharina der vom Versailler Beispiel inspirierten, europaweit anzutreffenden Tendenz zur Übersiedlung der Höfe aus der Enge der Residenzstädte hinaus in die Weite des Landes24. Erbauer des Schlosses war der niederländische Baumeister und Architekt Cornelis Ryckwaert25. Ryckwaert, wahrscheinlich ein Schüler des bedeutenden holländischen Architekten Pieter Post, ist ein Paradebeispiel dafür, dass Johann Georg Fachleute, die in kurbranden22 An neueren Forschungen über das Oranienbaumer Schloss-, Park- und Stadtensemble seien hier genannt: Hauptstudienprojekt. Parkpflegeplan Oranienbaum [Außentitel: Projektbericht Oranienbaum. Vorstudie zum Parkpflegewerk]. Technische Universität Berlin, Fachbereich Landschaftsentwicklung. Sommersemester 1992 und Wintersemester 1992/93, Berlin 1993; Monica von Geyr, Oranienbaum – ein holländischer Barockgarten, in: Thomas Weiß (Hrsg.), Das Gartenreich an Elbe und Mulde [Ausstellungskatalog], Wörlitz 1994, S. 113 – 124. 23 Die Schreibkalender Johann Casimirs finden sich im LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 e Nr. 3. 24 Vgl. in diesem Zusammenhang Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 33), München 1995, S. 65. 25 Zu Ryckwaert vgl. aus neuerer Zeit Siegfried Griesa, Die Tätigkeit des Festungsbaumeisters und Architekten Cornelis Ryckwaert in Frankfurt (Oder), in: Vorstand der DeutschNiederländischen Gesellschaft (Hrsg.), Auf den Spuren der Niederländer zwischen Thüringer Wald und Ostsee, Berlin 1992, S. 39 – 44.

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burgischen Diensten standen, für Arbeiten in Anhalt gewinnen konnte. Nachweisbar ab 1662 hatte Ryckwaert mit am Bau der Johanniter-Residenz Schloss Sonnenburg in der Neumark für Johann Moritz von Nassau-Siegen gewirkt. Seit 1667 arbeitete er als technischer Festungsbauleiter in Küstrin für den Großen Kurfürsten. Seit den frühen achtziger Jahren wirkte er gleichzeitig in Anhalt-Zerbst und Anhalt-Dessau. Zunächst war er mit dem Bau des Zerbster Schlosses beschäftigt. Seit Juni 1681 ist seine Beteiligung am Bau der sogenannten Gierbrücke über die Elbe bei Dessau nachweisbar, die schließlich 1682 eingeweiht wurde. Rund ein Jahr später, im Juni 1683, wurden innerhalb von vier Tagen die Grundsteine der von ihm entworfenen Trinitatiskirche in Zerbst sowie des Oranienbaumer Schlosses gelegt. Ryckwaert erarbeitete wahrscheinlich auch einen Entwurf zur Gestaltung der Oranienbaumer Gartenanlage, an der von 1687 an sein Landsmann Jakob de Grande beteiligt war, sowie eine Konzeption für die Anlage der Stadt. Der Schlossbau wurde zu seinen Lebzeiten nicht mehr vollendet. Fortgeführt wurden die Arbeiten nach seinem Tod im Jahre 1693 durch seinen Sohn Adrian Daniel, später dann durch den anhaltischen Baumeister Johann Tobias Schuchart. Das am palladianischen Baustil orientierte Schloss diente Henriette Catharina als Witwensitz. Hier ist sie auch 1708 gestorben. Ebenso wie die ersten Anzeichen einer absolutistischen Stadtplanung in Dessau26 ist die für Johann Georgs herrscherliches Selbstverständnis aufschlussreiche, herrscherzentrierte Gestaltung der Oranienbaumer Anlage als architektonischer Ausdruck des zeittypischen gesteigerten Bedürfnisses nach höfischer Selbstdarstellung und nach Zurschaustellung herrscherlicher Machtvollkommenheit anzusehen. Das Streben nach Prachtentfaltung stieß allerdings auf enge finanzielle Grenzen. Insofern war die bei aller Repräsentativität letztlich schlicht gehaltene, nüchterne Bauweise des Schlosses nicht nur ästhetisch bedingt, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit. Mit gutem Recht ist die Oranienbaumer Anlage als „reinste Verkörperung holländischer Kultur in Anhalt“27 bezeichnet worden. Sie reiht sich ein in die Schloss- und Stadtgründungen im ehemaligen Heiligen Römischen Reich, die auf die vier Töchter Friedrich Heinrichs von Oranien zurückgehen: Stadt und Schloss Oranienburg, die auf die brandenburgische Kurfürstin Louise Henriette verweisen; Schloss Oranienstein an der Lahn, erbaut unter Albertine Agnes von Nassau-Diez; der Oranienhof bei Kreuznach, zurückgehend auf Maria von Pfalz-Simmern; und eben Oranienbaum bei Dessau, das noch heute das Antlitz eines durch die niederländische Kultur des 17. Jahrhunderts maßgeblich geprägten Ortes trägt. Noch in einer weiteren, insgesamt gesehen sehr wichtigen Hinsicht war die oranische Eheschließung Johann Georgs und die daraus resultierende verstärkte Rezeption niederländischer Einflüsse von konkreter Bedeutung für die Gestaltung der Lan26

Vgl. Jablonowski, Bausteine (wie Anm. 12), S. 56 – 65. Julie Harksen, Die Entstehung von Stadt und Schloß Oranienbaum, in: Dessauer Kulturspiegel 9 (1962), S. 364 – 369, hier S. 364. 27

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desherrschaft des Dessauers. Im Rahmen der Verhandlungen mit den anhaltischen Ständen berief sich Johann Georg nämlich immer wieder auf den Grundsatz der „necessitas“, wenn es galt, den Steuerdruck zu erhöhen und Steuern in absolutistischer Weise notfalls auch gegen den Widerspruch der ständischen Seite durchzusetzen. Diese notrechtliche Begründung des eigenen politischen Handelns – frei nach dem Grundsatz „necessitas non habet legem“ – verweist auf niederländisch-neustoizistische Einflüsse28. Der politische und philosophische Neustoizismus entfaltete durch die Schriften des Niederländers Justus Lipsius im Europa des 17. Jahrhunderts große Wirkung und beeinflusste sicherlich auch die Herrschaftspraxis des Dessauer Fürsten. Sowohl die berühmte Fruchtbringende Gesellschaft, der Johann Georg angehörte, als auch die politische Elite, auf die der Dessauer Fürst am Berliner Hof stieß, waren von Auffassungen geprägt, die der neustoizistisch-niederländischen Gedankenwelt entstammten. Wichtige Mitarbeiter des Großen Kurfürsten hatten in den Niederlanden studiert und waren dort mit niederländischem Ideen- und Gedankengut in Berührung gekommen. Auch der Kurfürst selbst hatte sich während seiner Kurprinzenzeit mehrere Jahre in den Niederlanden aufgehalten und seine dort gewonnenen Eindrücke in vielfältiger Weise nach seinem Regierungsantritt in konkrete Politik umgesetzt. Die oranischen Eheschließungen Friedrich Wilhelms und Johann Georgs wirkten ebenfalls in diese Richtung. Olaf Mörke hat auf diesen Sachverhalt jüngst hingewiesen: „Die Oranier und ihr Familiensystem fungierten als Relais für den Theorietransfer zwischen den Niederlanden und dem Reich“29. * Nach diesem „niederländischen“ Exkurs gilt es, auf die konkreten Vorteile zurückzukommen, die sich aus den engen Beziehungen Johann Georgs zum brandenburgischen Kurfürsten für Anhalt ergaben. Der Dessauer Fürst profitierte, um dies noch einmal zu betonen, in administrativer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht von seinen in kurbrandenburgischen Diensten erworbenen Kenntnissen und von seinen Beziehungen zum Berliner Hof. Einen weiteren wichtigen Anknüpfungspunkt bot die gemeinsame Konfession des reformierten Kurfürsten und der anhaltischen Fürsten, die zur Regierungszeit Johann Georgs mit Ausnahme der Zerbster Linie ebenfalls dem reformierten Bekenntnis anhingen. Erst durch die Vermittlungstätigkeit des Großen Kurfürsten, der sich gleichwohl als Interessenvertreter seiner reformierten Glaubensbrüder verstand, konnte 1679 der sogenannte Zerbster Kirchenstreit beigelegt werden. Dieser hatte über lange Jahre hinweg die Beziehungen zwi28 Gerhard Oestreich hat auf die Bedeutung des Neustoizismus und insbesondere der Werke Justus Lipsius’ in zahlreichen Schriften hingewiesen. Eine neuere kritische Auseinandersetzung mit den von ihm vertretenen Positionen liefert Martin van Gelderen, Holland und das Preußentum: Justus Lipsius zwischen niederländischem Aufstand und brandenburgpreußischem Absolutismus, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 29 – 56. 29 Olaf Mörke, Das Haus Nassau-Oranien als Brückenglied zwischen den politischen Kulturen der niederländischen Republik und der deutschen Fürstenstaaten, in: Lademacher, Oranien-Nassau (wie Anm. 21), S. 47 – 67, hier S. 61.

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schen den reformierten anhaltischen Fürsten und der lutherischen Zerbster Linie erheblich belastet30. Positive Ergebnisse für Anhalt ergaben sich aus der Patronage Brandenburg-Preußens bisweilen auch in Reichs- und Kreisangelegenheiten. In richtiger Einschätzung der machtpolitischen Gegebenheiten im Reich hatte Johann Georg die Notwendigkeit erkannt, die Überlebensfähigkeit seines Landes durch eine enge Anlehnung an einen der mächtigeren Nachbarn zu sichern. Denn die von Ludwig XIV. ausgehende Expansionspolitik Frankreichs stellte gerade für die kleineren Stände des Heiligen Römischen Reiches, die oftmals nicht über nennenswerte militärische Kräfte verfügten, eine gefährliche Bedrohung dar. Bereits durch seinen Eintritt in die Dienste Brandenburg-Preußens im Jahre 1658 hatte der Dessauer die zukünftige Orientierung der Politik Anhalts vorgezeichnet: Anhalt trat unter Johann Georg in ein enges Klientelverhältnis zum aufstrebenden Hohenzollernstaat, ein Verhältnis, das, wie die weitere Entwicklung zeigte, nicht nur vorteilhafte Resultate für das kleine Fürstentum zur Folge hatte31. * Zur Erläuterung dieses Sachverhalts ist es zunächst erforderlich, Johann Georgs Rolle in kurbrandenburgischen Diensten näher zu beleuchten. Zunächst gilt es, einen kurzen Blick auf seine Rolle als brandenburgischer Innenpolitiker zu werfen. Bei einer Untersuchung der Frage nach der Bedeutung des Dessauers für die Gestaltung der inneren Politik Brandenburg-Preußens gelangt man zu einem ambivalenten Urteil. Auf der einen Seite war Johann Georg vorrangig an Fragen der Außenpolitik und Diplomatie interessiert. Auf der anderen Seite war er aber erkennbar darum bemüht, auch die umfassenden, sich auf die inneren Verhältnisse der Mark Brandenburg beziehenden Aufgaben, die sich ihm als Statthalter stellten, mit Engagement und Fleiß zu erfüllen. So zeigt eine Analyse seiner langjährigen Tätigkeit im brandenburgischen Geheimen Rat, dass sich seine Funktion als Stellvertreter des Kurfürsten keinesfalls auf einen nominellen Vorsitz im Ratsgremium reduzierte. Vielmehr beschäftigte sich der Dessauer Fürst bis ins Detail hinein auch mit Fragen der inneren Politik Brandenburg-Preußens. Dies bot ihm einen reichen Erfahrungsschatz, der ihm bei der Gestaltung seiner landesherrlichen Politik in Anhalt sehr zugute kam. Seine größte Wirkung in kurbrandenburgischen Diensten erlangte Johann Georg jedoch auf diplomatischem und militärischem Terrain. Als kurbrandenburgischer Militär und Diplomat agierte er mehrfach im Brennpunkt des europäischen Geschehens und konnte auf die Gestaltung der Außenpolitik des Hohenzollernstaates mit30

Hans Saring, Der Große Kurfürst und der Zerbster Kirchenstreit, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 33 (1938), S. 43 – 69. 31 Zur Klientelproblematik insgesamt vgl. Volker Press, Patronat und Klientel im Heiligen Römischen Reich, in: Antoni Ma˛czak (Hrsg. unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner), Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 9), München 1988, S. 19 – 46.

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unter ganz massiv Einfluss nehmen. Einige wichtige Punkte seien aus dem breiten Spektrum seiner Aktivitäten hervorgehoben. Wiederholt übernahm er im Auftrag Kurfürst Friedrich Wilhelms Gesandtschaften an den Kaiserhof, die er zum Teil mit Erfolg absolvierte, mit denen er zum Teil aber auch spektakulär scheiterte, wie im Falle seiner Mission zum Kaiser im sogenannten Türkenjahr 1683, als die kaiserliche Residenzstadt Wien belagert wurde32. Im Winter 1672/73, in der Anfangsphase des sogenannten Französisch-Niederländischen Krieges, nahm er in führender Position am brandenburgisch-kaiserlichen Feldzug gegen die Truppen des renommierten französischen Feldherrn Turenne teil, ohne dabei jedoch die erhofften kriegerischen Meriten zu erlangen33. Während des Schwedeneinfalls in die Mark Brandenburg 1674 – 1675, der mit dem Sieg des Großen Kurfürsten in der legendären Schlacht von Fehrbellin zurückgeschlagen wurde, war er als Statthalter in Berlin mit der wenig beneidenswerten Aufgabe betraut, die Marken so gut wie möglich gegen den übermächtigen Feind zu verteidigen34. Und schließlich sei noch erwähnt, dass er 1686 entscheidenden Anteil hatte am Zustandekommen des berühmt gewordenen kurprinzlichen Reverses über die Rückgabe von Schwiebus, der der Ausgangspunkt dafür war, dass Brandenburg-Preußen in den nächsten Jahrzehnten eine kaiserfreundliche Außenpolitik betrieb, und der sogar noch zu Zeiten Friedrichs des Großen gewisse Bedeutung hatte35. Durch seine kurbrandenburgischen Dienste erhielt Johann Georg Anschluss an die auf höchster europäischer Ebene betriebene Politik. Einen guten Eindruck von den vielfältigen personellen Kontakten zu den europäischen Höfen vermittelt die Darstellung Beckmanns in seiner bereits erwähnten „Historie des Fürstenthums Anhalt“. In diesem voluminösen Werk, das noch heute gewissermaßen als Bibel der anhaltischen Landesgeschichtsschreibung gelten darf, wurden zur Demonstration der Berühmtheit und Bedeutung des Dessauers bevorzugt Korrespondenzen des Fürsten mit den Protagonisten des europäischen Mächtespiels abgedruckt. Schreiben des schwedischen Königs Karl X. Gustav finden sich hier, ebenso Briefe der polnischen Könige Johann Casimir und Johann Sobieski, der Johann Georg sehr schätzte und dessen Neffe, Georg Joseph Radziwiłł, 1687 sogar der Schwiegersohn des Dessauers wurde36. 32

Vgl. Wilhelm Hosäus, Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau vor Wien. Ein Gedenkblatt zur zweiten Säkularfeier des Entsatzes von Wien am 12. September 1683, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Alterthumskunde 3 (1881 – 1883), S. 755 – 771. 33 Vgl. Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, hier Bd. 2, S. 133 – 141. 34 Vgl. ausführlich Erika Herzfeld, Klassenkämpfe in der Kur und Mark Brandenburg während der schwedisch-brandenburgischen Auseinandersetzungen des Jahres 1675 (Nach kurbrandenburgischen Quellen), Diss., Berlin-(Ost) 1961. 35 Vgl. Alfred Francis Pribram, Österreich und Brandenburg 1685 – 1686, Innsbruck 1884. 36 Vgl. etwa Beckmann, Historie (wie Anm. 7), Abt. V/3, S. 247 f. und 258 f.

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Dem Fürsten boten sich gerade durch seine kurbrandenburgischen Dienste vielfältige Möglichkeiten, Kontakte auf europäischer Ebene aufzubauen und Nachrichten über die Vorgänge an auswärtigen Höfen zu erlangen. So konnte er beispielsweise auf das gut ausgebaute Informanten- und Residentensystem Brandenburg-Preußens zurückgreifen. Oftmals erhielt er Auszüge von Gesandtschaftsberichten kurbrandenburgischer Diplomaten an den Kurfürsten. Er verfügte somit in Fragen der europäischen Diplomatie und Außenpolitik sicherlich über einen besseren Informationsstand als etwa seine fürstlichen Vettern in Anhalt. Als lebenslanger Anhänger eines kaiserfreundlichen, seit den siebziger Jahren auch prononciert antifranzösischen außenpolitischen Kurses Kurbrandenburgs hatte der Dessauer nicht immer einen leichten Stand am Berliner Hof. So willkommen dem Großen Kurfürsten die Dienste des Anhalters in Zeiten guter Beziehungen zum Haus Österreich waren, so störend wirkte sich die frankreichfeindliche Orientierung seines Schwagers in den Phasen einer engen Anlehnung Kurbrandenburgs an die Politik Ludwigs XIV. aus. Die Ausrichtung der kurbrandenburgischen Außenpolitik war phasenweise bestimmend für den Anteil Johann Georgs an deren Gestaltung. Bestanden gute Beziehungen zwischen den Höfen von Wien und Berlin, dann nahm er in der Regel eine Schlüsselstellung ein. Verfolgte der Große Kurfürst eine habsburgerfeindliche Linie, so reduzierte sich die politische Bedeutung des Dessauers am kurfürstlichen Hof erheblich37. Grundsätzlich strebte Johann Georg eine nicht zuletzt reichspatriotisch motivierte, dauerhafte außenpolitische Bindung Brandenburg-Preußens an den Kaiser an. Sie sollte das langfristige Ziel haben, dem Vormachtstreben des Sonnenkönigs entgegenzutreten. Kurfürst Friedrich Wilhelm glaubte hingegen, dass seine Schaukelpolitik – das brandenburgische Wechselfieber, wie es die Zeitgenossen nannten – mit der grundsätzlichen Bereitschaft, auch mit Frankreich zu paktieren, sicherheitspolitisch zwingend notwendig war, da Brandenburg nur über ein, im europäischen Maßstab betrachtet, geringes Machtpotenzial verfügte. Schwerwiegende politische Differenzen zwischen dem Kurfürsten und seinem Statthalter waren infolge dieser unterschiedlichen Haltung gegenüber Frankreich unvermeidlich und führten im Jahr 1673 fast zu einem Austritt des Dessauers aus brandenburgischen Diensten38.

37 Am deutlichsten zeigte sich Letzteres in den frühen achtziger Jahren, als der Kurfürst eine profranzösische Außenpolitik betrieb. Zur brandenburgischen Politik in diesem Zeitraum vgl. Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich und die europäischen Mächte, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburgpreußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 19 – 31. 38 Vgl. z. B. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 14/1, S. 694 f. und 699. Die gerade in der älteren anhaltischen Forschung anzutreffende Einschätzung Johann Georgs als treuer Gefolgsmann des Großen Kurfürsten ist sehr stark idealisiert und verdeckt die tatsächlichen Spannungen.

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Die unnachgiebigen Versuche Johann Georgs, selbst in Phasen gespanntester Beziehungen zwischen den Höfen von Wien und Berlin zu einer antifranzösisch orientierten kaiserlich-kurbrandenburgischen Verständigung zu gelangen, erwiesen sich häufig als Ausdruck politischen Wunschdenkens. Aufgrund der Einsicht in die militärische Überlegenheit Frankreichs gingen sowohl der Kaiser als auch der brandenburgische Kurfürst lieber vorübergehende vertragliche Vereinbarungen mit Ludwig XIV. ein, als um jeden Preis eine gemeinsame Allianzpolitik gegen Frankreich zu betreiben, einen Konfliktkurs gegen Frankreich zu steuern und die eigenen Lande unnötigen Gefahren auszusetzen39. Dass Johann Georg dieses Grundproblem kurbrandenburgischer Außenpolitik erkannte und sich der Gefahren einer frankreichfeindlichen Orientierung bewusst war, steht außer Zweifel. Seinem dennoch mit Vehemenz vertretenen Reichspatriotismus und seiner Parteigängerschaft für Kaiser Leopold I. tat dies keinen Abbruch. Vielmehr verweist diese Tatsache auch auf politische Erkenntnisse und Einsichten des Dessauers, die nicht allein aus seinen kurbrandenburgischen Diensten heraus zu verstehen sind, sondern in engem Zusammenhang mit seiner Rolle als Landesherr eines Kleinfürstentums gesehen werden müssen. * Damit ist ein Punkt berührt, der wahrscheinlich wie kein zweiter die Wechselwirkung zwischen der Interessenpolitik Johann Georgs als Vertreter seiner Stammlande einerseits und seiner auf europäischer Ebene geführten Politik als kurbrandenburgischer Amts- und Würdenträger andererseits verdeutlicht. Wie bereits angedeutet, sahen sich viele kleinere Reichsstände wie die anhaltischen Fürsten in Anbetracht ihrer nach dem Westfälischen Frieden von 1648 immer deutlicher zutage tretenden machtpolitischen Unterlegenheit gegenüber den größeren Territorien, die oftmals über ein stehendes Heer verfügten, dazu veranlasst, in Klientelbeziehungen zum Kaiser oder zu größeren Fürstenhöfen zu treten. Unter den zur Verfügung stehenden Optionen war eine Bindung an den direkten Nachbarn und in der Zwischenzeit mächtigsten protestantischen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, sicherlich die erfolgversprechendste für Johann Georg40. Die Motive des Dessauers lagen auf

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Was die kaiserliche Politik anbelangt, ist sicherlich der geheime Vertrag mit Ludwig XIV. vom 19. 01. 1668 über die Teilung des spanischen Erbes als auffälligstes Beispiel für die erkennbare Bereitschaft der Wiener Hofburg anzusehen, im Bedarfsfall mit Frankreich zu kooperieren. Vgl. Jean Bérenger, An Attempted Rapprochement between France and the Emperor: the Secret Treaty of the Partition of the Spanish Succession of 19 January 1668, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis XIV and Europe, London/Basingstoke 1976, S. 133 – 152. Den Höhepunkt der frankreichfreundlichen Politik des Großen Kurfürsten stellte sicherlich die erste Hälfte der achtziger Jahre dar. 40 Brandenburg-Preußen löste Kursachsen als Vormacht des Corpus Evangelicorum in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts faktisch ab. Vgl. in diesem Zusammenhang Peter-Michael Hahn, Kursachsen und Brandenburg-Preußen. Ungleiche Gegenspieler (1485 – 1740), in:

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der Hand. Durch die Konstituierung eines engen, vertrauensvollen Verhältnisses zwischen ihm und seinem brandenburgischen Dienstherrn erhoffte er sich, einen mächtigen Fürsprecher zu gewinnen, der im Bedarfsfall zugunsten der Wahrung der Interessen Anhalts instrumentalisiert werden konnte. Markierte der Eintritt Johann Georgs in kurbrandenburgische Dienste im Jahre 1658 den Beginn der Herausbildung einer verstärkten Anbindung Anhalts an Brandenburg, so erfolgte eine erkennbare Intensivierung dieser Beziehung seit den siebziger Jahren, also zu Zeiten des Seniorats Johann Georgs. Dies wurde dadurch erleichtert, dass der Dessauer als Senior des anhaltischen Gesamthauses zusätzliche Kompetenzen erlangte, die er mitunter großzügig und zu seinen Gunsten interpretierte. Zunehmend dominierte er die übrigen Anhalter Fürsten in Fragen, die das Gesamthaus betrafen, und überging vereinzelt den in der Senioratsverfassung Anhalts vorgesehenen Weg der gemeinschaftlichen Beschlussfassung unter den (Teil-)Fürsten. Besonders die Beziehungen Anhalts zu Brandenburg-Preußen gestaltete er häufig eigenständiger, als es seinen fürstlichen Vettern lieb sein konnte41. Die Gefahr für den schwächeren Part innerhalb einer Klientel- und Patronatsbeziehung, von den politischen Intentionen des Patrons vereinnahmt zu werden, war Johann Georg nur zu bewusst. Es zeugt daher von politischer Weitsicht, dass er sich schon frühzeitig darum bemühte, gute Beziehungen zum Kaiser aufzubauen, dem traditionellen Schutzherrn der kleineren Reichsstände. Der Dessauer Fürst ist ein typisches Beispiel dafür, dass gerade die aggressive Politik Ludwigs XIV. viele Reichsstände zu einer verstärkten Annäherung an den Kaiser bewog. Diese Entwicklung führte faktisch zu einer konfessionsübergreifenden antifranzösischen Interessengemeinschaft, die der alten Formel „Kaiser und Reich“ neues Leben einhauchte42. Dies ist besonders bemerkenswert, da gerade das habsburgische Reichsoberhaupt lange Zeit als potenzieller Störer der 1648 etablierten Friedensordnung galt. Nun war es Frankreich, Garant des Westfälischen Friedens, das diese Ordnung bedrohte43.

Sachsen und die Wettiner. Chancen und Realitäten. Internationale wissenschaftliche Konferenz Dresden vom 27. bis 29. Juni 1989 (Dresdner Hefte), Dresden 1990, S. 93 – 99. 41 Beispiele für Klagen der übrigen anhaltischen Fürsten über das Vorgehen des Seniors liefern z. B. die Briefe Victor Amadeus’ von Anhalt Bernburg an Karl Wilhelm von AnhaltZerbst aus dem Jahre 1692; LASA, Abt. Dessau, Z 87 Hauptarchiv Zerbst XXIX Nr. 8. 42 Heinz Duchhardt, Reich und europäisches Staatensystem seit dem Westfälischen Frieden, in: Volker Press (Hrsg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? Nach dem Tod des Hrsg. bearb. von Dieter Stievermann (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 23), München 1995, S. 179 – 187, hier S. 181. 43 „Seit etwa 1680 erschien im Reich nicht mehr die Restauration der habsburgischen Kaiserposition, sondern die expansive Großmachtpolitik Ludwigs XIV. als Hauptbedrohung des Westfälischen Friedenssystems“; Anton Schindling, Reich und habsburgisch-bourbonischer Antagonismus in der Epoche des Westfälischen Friedens und des Immerwährenden Reichstags, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), In Europas Mitte. Deutschland und seine Nachbarn, Bonn 1988, S. 118 – 122, hier S. 121.

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Es macht das eigentümliche Profil Johann Georgs aus, das sich seine über Jahrzehnte hinweg befolgte kaisertreue Haltung mit einem ausgeprägten Reichspatriotismus verband44. Das Interesse an einem starken Reich, das im Zusammenspiel von Kaiser und Reichsständen Schutz vor auswärtigen Aggressoren, aber auch Rechtssicherheit vor Übergriffen der mächtigeren Reichsstände bot, war eine wichtige Maxime und Konstante seines politischen Denkens und Handelns. Konkrete Gründe anhaltischer Interessenpolitik traten hinzu. Als Fürst eines machtpolitisch eher unbedeutenden Kleinterritoriums war Johann Georg in hohem Grade auf Rückhalt beim Reichsoberhaupt angewiesen, da er oftmals Belange und Ansprüche des anhaltischen Gesamthauses mit Nachdruck zu vertreten hatte, die gerade auf den Widerstand der direkten, mächtigeren Nachbarn stießen. Beispielhaft erwähnt seien hier nur die territorialen Ansprüche Anhalts auf die alte Grafschaft Askanien und auf das Herzogtum Sachsen-Lauenburg, die mit den Interessen Brandenburg-Preußens bzw. Braunschweig-Lüneburgs kollidierten. Eine von Johann Georg an der Seite des brandenburgischen Kurfürsten betriebene frankreichfreundliche Politik wäre angesichts des kaiserlich-französischen Antagonismus für die Durchsetzung anhaltischer Interessen am Kaiserhof sicherlich nicht förderlich gewesen. Doch nicht nur seine anhaltische Interessenpolitik, sondern auch seine politischen und dynastischen Verbindungen zu den Oraniern, der vierte der eingangs erwähnten Hauptpunkte seines Wirkens, müssen im Zusammenhang mit seinen kurbrandenburgischen Diensten und seiner kaisertreuen Ausrichtung gesehen werden. Durch seine Heirat mit Henriette Catharina wurde er in das weit verzweigte Familiensystem der Oranier integriert und damit ein Bestandteil dieses überstaatlichen Netzwerkes, das nicht zuletzt durch das einigende Band der calvinistischen Konfession zusammengehalten wurde45. In konkreter Weise setzte sich das Dessauer Fürstenpaar etwa für die dynastischen Interessen der drei Schwestern Henriette Catharinas ein, womit fast immer auch Fragen der europäischen Diplomatie und Außenpolitik berührt wurden. So unternahm beispielsweise Henriette Catharina 1684 den Versuch, ihren Neffen Wilhelm III. von Oranien, den berühmten Gegenspieler Ludwigs XIV. und späteren englischen König, mit der Stadt Amsterdam sowie mit ihrem Schwiegersohn und Neffen, Heinrich Casimir II. von Nassau-Diez, zu versöhnen46. Heinrich Casimir war der Sohn der Albertine Agnes, der zweitältesten Schwester Henriette Catharinas, Statthalter mehrerer niederländischer Provinzen und, vereinfacht gesagt, ein innenpolitischer Kontrahent Wilhelms III. Er hatte 1683 seine Cousine Amalie, eine Tochter des Dessauer 44 Zum Phänomen des Reichspatriotismus immer noch grundlegend: Adam Wandruszka, Reichspatriotismus und Reichspolitik zur Zeit des Prager Friedens von 1635. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 17), Graz/Köln 1955. 45 Vgl. Mörke, Haus Oranien-Nassau (wie Anm. 29), S. 64. 46 Zusammenfassend hierzu die ältere Darstellung von Nicolas Japikse, Die Oranier. Statthalter und Könige in den Niederlanden, München 1939, S. 261 f.

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Fürstenpaares, geheiratet47. Als er 1696 starb, führte seine Gattin, die anhaltische Fürstentochter, die Vormundschaft und Regentschaft für ihren 1687 in Dessau geborenen unmündigen Sohn Johann Wilhelm Friso. Dieser trat nach erreichter Großjährigkeit die Statthalterschaft in den Provinzen Friesland und Groningen an und überließ seiner Mutter die Regentschaft in Nassau-Diez, die sie dann auch bis zu seinem frühen Tod 1711 führte. Ihr fiel die schwierige Aufgabe zu, die Ansprüche ihres Sohnes auf das Erbe des 1702 kinderlos verstorbenen Wilhelm III. von Oranien zu behaupten. Die Diezer Linie war es, die das oranische Haus fortsetzte, sodass das heutige niederländische Königshaus eine seiner Wurzeln in Anhalt-Dessau hat. Von besonderer Bedeutung waren für Johann Georg die politischen Beziehungen zu seinem Neffen Wilhelm III. von Oranien, dem Haupt der großen antifranzösischen europäischen Koalition48. Beide verband das politische Ziel, dem Expansionsstreben des Sonnenkönigs entgegenzutreten. Wiederholt wandte sich der Oranier in Notlagen an seinen Anhalter Onkel mit der Bitte, im Sinne eines gegen Frankreich gerichteten Engagements auf den Kurfürsten von Brandenburg einzuwirken49. Johann Georgs Beziehungen zu seinem oranischen Neffen hatten phasenweise ganz entscheidende Auswirkungen auf seinen politischen Einfluss am Berliner Hof. Die tragende Rolle, die Johann Georg beispielsweise 1672, im Jahr des französischen Überfalls auf die Niederlande, in der kurbrandenburgischen Politik und Kriegführung einnahm, hing zweifellos unter anderem damit zusammen, dass er damals als Anhänger der Niederlande und der Oranier galt. Und als der Brandenburger zu Beginn der achtziger Jahre eine sehr frankreichfreundliche Politik betrieb, kam Johann Georgs Stellung am Berliner Hof nicht zuletzt deshalb fast politischer Bedeutungslosigkeit gleich, da sich seine Überzeugungen in hohem Maße mit dem antifranzösischen Programm des Oraniers deckten. Man wird sich jedoch davor hüten müssen, die Bedeutung der insgesamt gesehen doch nicht allzu intensiven Beziehungen des Dessauers zu seinem oranischen Neffen überzubewerten. Für Wilhelm III. spielten die Belange seines anhaltischen Onkels letztlich nur eine vergleichsweise nebensächliche Rolle. Er ordnete die anhaltischen Interessen stets seinem großen Ziel unter: der Formierung einer gegen Frankreich

47 Zum Leben und Wirken Amalies vgl. Robert Heck, Amalie von Anhalt Fürstin zu Nassau-Dietz (1666 – 1726) und ihr Grabmal in der Stiftskirche zu Dietz (Veröffentlichungen der Ortsgruppe Dietz des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 9), Dietz 1910. 48 Zum politischen Wirken Wilhelms III. von Oranien vgl. die biographische Doppelstudie von Arie Th. van Deursen, Der Generalstatthalter der Niederlande (1672 – 1702) und von James R. Jones, Der englische König (1689 – 1702), in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Herrscher in der Doppelpflicht. Europäische Fürsten und ihre beiden Throne (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 43), Mainz 1997, S. 141 – 164 bzw. 165 – 186. 49 Vgl. die Briefe Wilhelms III. an Johann Georg aus der zweiten Jahreshälfte 1672; UA (wie Anm. 38), Bd. 3, S. 279 ff. und 305.

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gerichteten Koalition und der Eindämmung des Hegemonialstrebens Ludwigs XIV.50. Gleiches gilt auch für die grundsätzliche Haltung des Kurfürsten von Brandenburg und des Kaisers gegenüber Anhalt. Johann Georgs Rechnung, enge Beziehungen zu den Höfen von Berlin und Wien aufzubauen, um diese gegebenenfalls zugunsten anhaltischer Interessen nutzen zu können, ging nur bedingt auf. Im Laufe seiner Regierung wurden Johann Georg in aller Deutlichkeit die Grenzen der Wirksamkeit seiner Klientelbeziehung zum brandenburgischen Kurfürsten und seiner Parteigängerschaft für Kaiser Leopold I. vor Augen geführt. Er musste vor allem in den späten Jahren seiner Regierung zur Kenntnis nehmen, dass die Durchsetzbarkeit der anhaltischen Interessen von deren Vereinbarkeit mit den Intentionen des brandenburgischen Patrons abhing. Gerade in zugespitzten Krisensituationen konnte der Anhalter nicht auf die Bereitschaft des Kurfürsten bauen, die Belange der anhaltischen Klientel mit Nachdruck zu vertreten. Zum Teil war die enge Anbindung an das mächtigere Brandenburg-Preußen sogar hinderlich für die Politik des schwächeren Parts innerhalb des Klientel- und Patronatsverhältnisses, wie sich anhand des 1689 ausgebrochenen Sachsen-Lauenburgischen Erbfolgestreits aufzeigen lässt. An einer weiteren Machtverschiebung zugunsten des ambitionierten Hohenzollernstaates hatte im Reich des späten 17. Jahrhunderts kaum jemand ein Interesse. Da Anhalt zunehmend als Satellit Brandenburg-Preußens wahrgenommen wurde, reagierten einige Reichsstände bisweilen mit großen Vorbehalten, wenn es um die Verfechtung territorialer Ansprüche Anhalts ging. Denn man glaubte – im Falle des Sachsen-Lauenburger Streits zu Recht –, durch Konzessionen an Anhalt indirekt auch die Macht Brandenburg-Preußens vergrößern zu helfen51. Möglichkeiten, die eigenen Ansprüche im Zweifelsfall auch ohne oder sogar gegen den erklärten Willen des Brandenburgers durchzusetzen, besaßen die Fürsten von Anhalt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur noch bedingt. Immer stärker bestimmte das machtpolitische Kalkül des brandenburgischen Kurfürsten die politischen Entfaltungsmöglichkeiten der kleineren Reichsstände des mittel- und norddeutschen Raumes. Auch die Hoffnung Johann Georgs, die guten Beziehungen zur Wiener Hofburg dauerhaft zugunsten der Interessen seines fürstlichen Hauses ausnutzen zu können, erfüllte sich nur zum Teil. Zwar erweiterten seine Kontakte zum Kaiser seinen Handlungsspielraum phasenweise. Doch war der Habsburger nur begrenzt bereit und in der Lage, sich energisch für die Rechte und Ansprüche Anhalts einzusetzen. Im Kalkül des Wiener Hofes spielten die Ambitionen Johann Georgs, wie die anderer kleinerer Reichsstände auch, nur eine vergleichsweise marginale Rolle. Dies lässt sich wiederum anhand der Auseinandersetzungen um das Erbe in Sachsen-Lauenburg 50 Ein Beispiel hierfür bietet die letztlich nur bedingt kooperative Haltung Wilhelms III. im Sachsen-Lauenburgischen Erbfolgestreit. Vgl. hierzu Gustav Ueberhorst, Der Sachsen-Lauenburgische Erbfolgestreit bis zum Bombardement Ratzeburgs 1689 – 1693 (Historische Studien, 126), Berlin 1915, S. 130 f. 51 Vgl. ebd., z. B. S. 150 f.

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beispielhaft aufzeigen. Für Anhalt eine Verschlechterung der Beziehungen zu einem der größeren Reichsstände zu riskieren, kam für das Reichsoberhaupt nicht in Frage. Kaiser Leopold I. konnte und wollte nicht im kaiserfernen, von Brandenburg-Preußen, Kursachsen und den Welfenterritorien dominierten Raum zugunsten Anhalts eingreifen: zum einen weil die eigenen Interessen, vor allem die Auseinandersetzung mit Frankreich, andere Prioritäten erforderten, zum anderen da auch dem Reichsoberhaupt nur in begrenztem Maße Mittel zur Verfügung standen, seiner traditionellen Rolle als Schutzherr der kleineren Reichsstände und Hüter der Reichsverfassung nachzukommen52. Die Art und Weise, wie die Rechte und Ansprüche Anhalts mitunter den außenund reichspolitischen Zielsetzungen der größeren Reichsstände und des Kaisers untergeordnet wurden, macht auf die Notwendigkeit aufmerksam, die große Wirksamkeit machtstaatlicher Mechanismen und Strukturen im Heiligen Römischen Reich der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angemessen zu berücksichtigen53. Im Sog des aufstrebenden Brandenburg-Preußen, das sich schließlich unter Friedrich dem Großen anschickte, den Status einer europäischen Großmacht zu erlangen, sahen sich die Anhalter mehr und mehr zu einem konformen Verhalten gegenüber dem Hohenzollernstaat gezwungen. Denn das Risiko einzugehen, in Konflikt mit dem mächtigen Nachbarn zu geraten, konnten sie sich kaum leisten. Erst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau ging das Wagnis ein, mit dieser Tradition zu brechen, als er im Siebenjährigen Krieg sehr zum Ärger Friedrichs des Großen den preußischen Militärdienst quittierte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Prozess der engeren Anbindung an Brandenburg-Preußen aus Sicht der Anhalter Fürsten spätestens seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts durchaus ambivalent gestaltete. Anhalt suchte die Annäherung an den mächtigeren Nachbarn, geriet gleichzeitig aber auch in den Sog der werdenden Großmacht; Anhalt profitierte teilweise von der Patronage des Hohenzollernstaates, wurde in seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten jedoch zunehmend durch die ambitionierte Politik des späteren Königreiches eingeschränkt.

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Ein vergleichbares Beispiel ist die Haltung des Kaisers gegenüber den sachsen-lauenburgischen Ambitionen Ludwig Wilhelms von Baden-Baden, des „Türkenlouis“. Auch der berühmte Feldherr hoffte letztlich vergeblich, der Kaiser werde ihn als Dank für seine Verdienste politisch und gegebenenfalls auch militärisch in der Sachsen-Lauenburger Angelegenheit unterstützen; vgl. Christian Greiner, Der „Türkenlouis“ und Österreich – dynastische Interessenpolitik im militärischen Dienst des Hauses Habsburg, in: Österreich in Geschichte und Literatur 37 (1993), S. 239 – 258, hier S. 257. 53 Dies sollte bei aller Berechtigung, im Gegensatz zur älteren Geschichtsschreibung den friedenswahrenden und rechtsgarantierenden Charakter des Reichs-Systems herauszustellen (vgl. hierzu Helmut Neuhaus, Das Reich in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 42), München 1997, S. IX und 58 f.), nicht vergessen werden.

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* Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die Persönlichkeit Johann Georgs, auf seinen Charakter und seine Fähigkeiten geworfen werden. Der Fürst war das, was man heutzutage einen Familienmenschen zu nennen pflegt. Die über drei Jahrzehnte währende, kinderreiche Ehe mit Henriette Catharina verlief – darauf deuten alle Anzeichen hin – sehr harmonisch. Die häufige Abwesenheit von seiner Familie empfand er als schmerzlich. Seine eigenhändigen Briefe an seinen kleinen Sohn Leopold zeugen von dem liebevollen Umgang mit seinen Kindern und von der erwartungsvollen Freude, nach längeren auswärtigen Aufenthalten wieder in die Heimat zurückkehren und seine Familie wiedersehen zu können54. Der Fürst zählt sicherlich nicht zu den bedeutendsten Militärs, die BrandenburgPreußen hervorgebracht hat. Was ihn auszeichnete und gerade auch als Mitarbeiter für die brandenburgischen Kurfürsten so wertvoll machte, war seine mit Hartnäckigkeit gepaarte Belastbarkeit. Johann Georg war kein Politiker, dessen Handeln primär von den zeitgenössischen politischen Theorien ableitbar ist, kein visionärer Vordenker. Vielmehr war er ein sehr praxisorientierter Politiker mit konstanten Überzeugungen, unter denen sein Reichspatriotismus und seine Kaisertreue herausragen. Es trifft daher den Kern seines politischen Wirkens, wenn es in Beckmanns „Historie“ heißt: „Wie sich sein Helden=Stern der Weißheit beigeschwungen Das ward in Schweden erst/ von Deutschland mehr besungen/ Weil Er sein gantzes Hertz dem Kaiser zugeneigt. Ja Anhalt und die Marck hat seine Wunder=Gaben/ Zu Seinem steten Ruhm in Ertz und Stein gegraben“55.

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Johannes Rammelt, Die Briefe des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau an seinen jungen Sohn Leopold, den späteren „Alten Dessauer“, in: Anhaltische Geschichtsblätter 8/9 (1932/33), S. 31 – 45. 55 Beckmann, Historie (wie Anm. 7), Abt. V/3, S. 264.

Johann Moritz von Nassau-Siegen als Scharnier zwischen niederländischer und kurbrandenburgischer Außenpolitik „Freilich kann der, welcher auf zwei Stühlen sitzen soll, nicht mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf jedem der Stühle ruhen“1. Mit dieser bildhaften Umschreibung hat Georg Galland in seiner grundlegenden Arbeit über die Beziehungen zwischen dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Johann Moritz von Nassau-Siegen in fast entschuldigender Weise versucht, die politischen und militärischen Leistungen des letztgenannten Protagonisten seiner Untersuchung angemessen zu würdigen. Dem wohlwollenden Urteil Gallands liegt ein Sachverhalt zugrunde, der das Leben und Wirken Johann Moritz’ rund drei Jahrzehnte lang entscheidend prägte: Der Nassauer war als hochrangiger Befehlshaber in der niederländischen Armee und als kurbrandenburgischer Statthalter gleichzeitig Diener zweier Herren. Diese spannungsreiche und zugleich verheißungsvolle Doppelrolle steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen. Der Fokus wird sich hierbei auf die Aktivitäten Johann Moritz’ im Bereich der Außenpolitik nach 1647 richten, also nach seinem Eintritt in den Dienst Kurbrandenburgs. Diese sind in der bisherigen Forschung eher nachgeordnet behandelt worden, nimmt man den hohen Stellenwert seiner militärischen Leistungen, seiner kulturellen Interessen und seiner inneren Politik als Gouverneur von Brasilien und Statthalter des Großen Kurfürsten in der einschlägigen Literatur zum Vergleichsmaßstab2. 1

Georg Galland, Der Große Kurfürst und Moritz von Nassau, der Brasilianer. Studien zur brandenburgischen und holländischen Kunstgeschichte, Frankfurt am Main 1893, S. 16. Zu einem ähnlichen Urteil über Johann Moritz gelangte auch Otto Hötzsch, Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen als brandenburgischer Staatsmann (1647 bis 1679), in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 19 (1906), S. 89 – 113, hier S. 112: „[…] indem er [i. e. Johann Moritz], zugleich brandenburgischer und niederländischer Beamter, keinem der beiden Staaten angehörte und mit keinem ganz verwuchs, seine Kraft niemals in einer Richtung gesammelt wirksam werden konnte“. (Hervorhebung im Original.) Bezeichnend für die zeitlich aufwendige Doppelrolle des Nassauers ist es beispielsweise, dass er sich als klevischer Statthalter nachweislich rund ein Drittel seiner 32-jährigen Amtszeit nicht in Kleve aufgehalten hat; Klaus Flink, Kleve und Brandenburg. Kurfürst, Statthalter und Stadt (1640 – 1688), in: ders., Kleve im 17. Jahrhundert. Studien und Quellen, 2. Teil (1640 – 1666) (Klever Archiv, 1), Kleve 1979, S. 13 – 44, hier S. 21. 2 Exemplarisch sei auf die drei Ausstellungskataloge hingewiesen, die anlässlich des 300. Todestages bzw. des 400. Geburtstages Johann Moritz’ erschienen sind: Ernst van den Boogaart (Hrsg. in Zusammenarbeit mit H. R. Hoetink und P. J. P. Whitehead), Johan Maurits van Nassau-Siegen 1604 – 1679. A Humanist Prince in Europe and Brazil. Essays on the occasion of the tercentenary of his death, Den Haag 1979; Guido de Werd (Red.), Soweit der Erdkreis reicht. Johann Moritz von Nassau-Siegen 1604 – 1679. Ausstellungskatalog, Kleve

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Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen ist die Frage, inwieweit Johann Moritz als Amtsträger in Diensten der Generalstaaten und Kurbrandenburgs vermittelnde respektive verbindende Wirkung in den außenpolitischen Beziehungen beider Mächte entfaltet hat. Worin bestanden die Möglichkeiten einer solchen Scharnierfunktion, wie es Olaf Mörke treffend umschrieben hat3, und welches waren die damit verbundenen Probleme? Welche Rahmenbedingungen waren dafür erforderlich, dass sich der Nassauer als Bindeglied in die Beziehungen zwischen Den Haag und Berlin einschalten konnte, und welche Interessen lagen dem jeweils zugrunde? In einem ersten Schritt werden wichtige Stationen des politischen und militärischen Werdegangs Johann Moritz’ aufgeführt, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Frage, wie seine beiden Dienstherren seine Doppelrolle und seine Karriereambitionen wahrgenommen haben (I.). Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der wesentlichen außenpolitischen Funktionen, die Johann Moritz in niederländischen und kurbrandenburgischen Diensten zukamen (II.), und auf dieser Grundlage wird schließlich sein konkretes Wirken als verbindender Faktor in dem Kräftedreieck Generalstaaten – Haus Nassau-Oranien – Kurbrandenburg analysiert (III.). I. Diener zweier Herren: Die Doppelfunktion Johann Moritz’ als niederländischer Offizier und kurbrandenburgischer Statthalter Der Beginn der Doppelrolle Johann Moritz’ als Amtsträger in niederländischen und kurbrandenburgischen Diensten datiert aus dem Jahr 16474. Im Frühjahr hatte er sein starkes Interesse an einem Engagement aufseiten des brandenburgischen Kurfürsten, den er bereits 1636 während der Belagerung von Schenkenschanz im niederländisch-spanischen Krieg kennengelernt hatte, signalisiert. Friedrich Wilhelm, dem sehr daran gelegen war, den renommierten Nassauer für seine Dienste zu gewinnen, 1979; Gerhard Brunn (Hrsg. in Zusammenarbeit mit Wolfgang Degenhardt, Katja Happe und Cornelius Neutsch), Aufbruch in neue Welten. Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679), der Brasilianer, Siegen 2004. 3 Zur Veranschaulichung der verbindenden Funktion, die der wetterauische Reichsadel in den niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen hatte – zu denken ist neben Johann Moritz insbesondere auch an Graf Georg Friedrich von Waldeck –, durch das Bild eines Scharniers vgl. Olaf Mörke, ,Stadtholder‘ oder ,Staetholder‘? Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofes in der politischen Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert (Niederlande-Studien, 11), Münster/Hamburg 1997, S. 191. 4 Zum Folgenden vgl. die beiden nach wie vor grundlegenden, wenn auch inzwischen veralteten Monographien über das Leben und Wirken Johann Moritz’ von Ludwig Driesen, Leben des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen […], Berlin 1849, und P. J. Bouman, Johan Maurits van Nassau, de Braziliaan (Groote Figuren uit ons verleden, 2), Utrecht 1947; vgl. ferner die stimmige Synthese von Murk van der Bijl, Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679): eine vermittelnde Persönlichkeit, in: Horst Lademacher (Hrsg.), Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie (NiederlandeStudien, 13), Münster/Hamburg 1995, S. 125 – 154.

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ernannte ihn daraufhin am 29. Oktober 1647 zum Statthalter seiner westlichen Territorien Kleve, Mark und Ravensberg; 1658 kam mit der Statthalterschaft in Minden ein weiterer Statthalterposten hinzu. Diese Ämter als Stellvertreter des brandenburgischen Kurfürsten in dessen westlichen Landen behielt Johann Moritz – abgesehen von einer rund neunjährigen Unterbrechung der Statthalterschaft in Ravensberg (1649 – 1658)5 – bis zu seinem Tode im Jahre 1679 bei. Er ist somit ein besonders augenfälliges Beispiel für die Tatsache, dass es Kurfürst Friedrich Wilhelm gelang, fast alle seine führenden Mitarbeiter jahrzehntelang, oftmals bis zu ihrem Tod, an sich zu binden6. Vor seinem Engagement auf kurbrandenburgischer Seite hatte der Nassauer bereits reichhaltige Erfahrungen als Militär in niederländischen Kriegsdiensten (seit 1620/21) und als Gouverneur von Niederländisch-Brasilien (1637 – 1644) gesammelt. Zum Zeitpunkt seiner Bestallung als Statthalter war er Generalleutnant der Generalstaaten und Kommandant der niederländisch besetzten Festung Wesel, eines wichtigen militärischen Stützpunktes der Generalstaaten im Herzogtum Kleve7. In den nächsten Jahrzehnten stieg er auf der militärischen Karriereleiter weiter nach oben. 1665/66 führte er den Oberbefehl über die niederländischen Truppen in der Auseinandersetzung mit dem Bischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen; 1668 wurde er überdies zum Feldmarschall ernannt und 1674, während des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678/79), zum Gouverneur von Utrecht. Rund drei Jahre vor seinem Tod, im hohen Alter, beendete er seinen aktiven Militärdienst für die Generalstaaten. 5 In diesem Zeitraum waren zunächst Graf Johann VIII. von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (1649 – 1657) und darauf folgend Graf Georg Friedrich von Waldeck (1657 – 1658) Statthalter in Ravensberg und Minden. 6 Vgl. Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, hier Bd. 2, S. 356. 7 Bis in den Französisch-Niederländischen Krieg hinein befanden sich Städte in den niederrheinischen Besitzungen Kurbrandenburgs nicht unter Kontrolle der Landesherrschaft, sondern in der Hand auswärtiger Mächte. So waren die generalstaatischen Besatzungen in den niederrheinischen Festungen ein wichtiger, insgesamt gesehen belastender Faktor in den niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms; vgl. hierzu die Studie von Michael Kaiser, Die vereinbarte Okkupation. Generalstaatische Besatzungen in brandenburgischen Festungen am Niederrhein, in: Markus Meumann/Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, 3), Münster 2006, S. 271 – 314. Zu den westlichen Territorien Kurbrandenburgs zur Zeit des Großen Kurfürsten insgesamt vgl. die instruktiven Überblicksdarstellungen von Gerd Heinrich, „Die isolierte Provinz“. Brandenburg-Preußen und Kleve seit dem 17. Jahrhundert, in: Klaus Flink (Hrsg.), Kleve im 17. Jahrhundert. Studien und Quellen. 3. Teil (1667 – 1688) mit einem Beitrag von Gerd Heinrich (Klever Archiv, 2), Kleve 1980, S. 9 – 31, und Ernst Opgenoorth, Die rheinischen Gebiete Brandenburg-Preußens im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 5), Köln/Wien 1984, S. 33 – 44.

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Dass Johann Moritz die Möglichkeit hatte, in Personalunion die genannten hochrangigen militärischen und politischen Ämter in den Diensten der niederländischen Republik und des Kurfürsten von Brandenburg auszuüben, war nicht selbstverständlich, jedoch kurbrandenburgischerseits zunächst außerordentlich erwünscht. In einem aufschlussreichen Brief an Wilhelm II. von Oranien berichtete Kurfürst Friedrich Wilhelm, er habe Johann Moritz sowohl aufgrund seiner „sonderbaren Qualitäten und guter Wissenschaft, so er von diesem Clevischen wie auch benachbartem Lande und der Einwohner humeur besser als etwa andere Fremde traget, als auch weil er durch sein Dienstverhältnis zu den Generalstaaten persönlich das gute nachbarliche Vertrauen mit ihnen als getreuen Alliirten werde können erhalten helfen, zu seinem Statthalter angeordnet“8. Hier findet sich also der in dieser Studie thematisierte Leitgedanke expressis verbis angesprochen: Bei der Indienstnahme des Nassauers spielte ganz offensichtlich das Kalkül des Kurfürsten eine Rolle, mit Johann Moritz ein Instrument zu erlangen, von dem man sich erhoffte, dass es zukünftig imstande sei, zur langfristigen Etablierung guter Beziehungen zwischen Kurbrandenburg und der niederländischen Republik beizutragen. Die mit dieser personalpolitischen Entscheidung demonstrierte Bereitschaft Friedrich Wilhelms, einen Verständigungskurs gegenüber den Generalstaaten zu steuern, hatte jedoch ihre Grenzen, wie die nachfolgende Entwicklung zeigen sollte. Unter den geänderten politischen Voraussetzungen in den Vereinigten Niederlanden nach dem Tode Wilhelms II. von Oranien im Jahre 1650 verschlechterten sich zunächst, wie noch zu schildern sein wird, die niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen. Weiteren militärischen Rangerhöhungen des Nassauers begegnete man aufseiten Kurbrandenburgs vorläufig mit Skepsis. Als sich Johann Moritz 1655 ohne vorherige Rücksprache mit dem Kurfürsten bemühte, die nach dem Tode Johan Wolferts van Brederode freigewordene niederländische Feldmarschallswürde zu erlangen, reagierte Friedrich Wilhelm ablehnend und drohte ihm sogar mit dem Entzug des Statthalteramtes9. Das vorläufige Scheitern der diesbezüglichen Pläne des Nassauers glättete jedoch die Wogen. Als er schließlich 1668 zum Feldmarschall der Generalstaaten ernannt wurde, stieß dies nicht mehr auf kurbrandenburgischen Protest; vielmehr hat Friedrich Wilhelm die Beförderung seines Statthalters zum damaligen Zeitpunkt ausdrücklich begrüßt10. 8

Brief vom 01. 09. 1648, zitiert nach Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 150. Vgl. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 5, S. 826 ff.; Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 186 f.; Hötzsch, Johann Moritz (wie Anm. 1), S. 91 f.; Ernst Opgenoorth, Johann Moritz von Nassau-Siegen als klevischer Statthalter, in: de Werd, Erdkreis (wie Anm. 2), S. 61 – 70, hier S. 66; van der Bijl, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 148 f. Unter anderem spielte die Frage der oranischen Sukzession eine Rolle; auch wird in der ablehnenden Haltung Friedrich Wilhelms das Misstrauen greifbar, das er zum damaligen Zeitpunkt gegenüber der niederländischen Regentenpartei hegte. 10 Opgenoorth, Johann Moritz (wie Anm. 9), S. 66. Hötzsch deutet das damalige Einverständnis des Kurfürsten als Zeichen dafür, dass die Statthalterwürde allmählich nur noch dekorativen Wert hatte; Otto Hötzsch, Stände und Verwaltung von Cleve und Mark in der Zeit 9

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Auf niederländischer Seite verhielt man sich phasenweise ebenfalls sehr reserviert auf Versuche Johann Moritz’, weitere Ämter und Würden zu erlangen. So äußerte die Provinz Holland im Vorfeld seiner Ernennung zum Feldmarschall massive Bedenken gegen seine Kandidatur; angeführt wurden sowohl die deutsche Abstammung des Fürsten als auch seine vermeintliche Parteigängerschaft für das Haus Nassau-Oranien11. Nach seinem – von den Generalstaaten unerwünschten – militärischen Eingreifen aufseiten Kurbrandenburgs im sogenannten Düsseldorfer Kuhkrieg gegen Pfalz-Neuburg (1651) hatten ihn die Generalstaaten sogar vor die Alternative gestellt, sich zwischen ihrem Dienst und dem Kurbrandenburgs zu entscheiden12. Selbst die Wahl Johann Moritz’ zum Herrenmeister der Ballei Brandenburg des Johanniterordens im Jahre 1652 – er wurde dabei durch den brandenburgischen Kurfürsten protegiert – war von den Generalstaaten erst dann abgesegnet worden, nachdem sie davon überzeugt worden waren, dass seine niederländischen Dienstverpflichtungen nicht beeinträchtigt würden13. Es zeigt sich hier in aller Deutlichkeit, wie schwierig für Johann Moritz der Balanceakt zwischen seinen beiden Dienstherren werden konnte, wenn es um seine persönlichen Belange ging, und dass die Möglichkeit einer Umsetzung seiner Interessen nicht zuletzt auch von der jeweiligen Qualität der niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen abhängen konnte. II. Zu den Funktionen Johann Moritz’ in der niederländischen und der kurbrandenburgischen Außenpolitik Es wurde bereits angedeutet, dass bei der Indienstnahme Johann Moritz’ durch den brandenburgischen Kurfürsten sowohl die vielfältigen Kenntnisse des Nassauers als auch seine Verbindungen in die Niederlande eine Rolle spielten. Diese Auswahlkriterien waren typisch für die Personalpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms, wie überhaupt Johann Moritz in nahezu idealtypischer Weise dem Profil der durch den Großen Kurfürsten rekrutierten Statthalter entsprach14: Er war reformierter Konfesvon 1666 bis 1697 (Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 2), Leipzig 1908, S. 34 f. 11 Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 328. Vgl. auch die Bedenken der Provinz Holland im Sommer 1665, Johann Moritz den Oberbefehl über die niederländischen Truppen zu erteilen; ebd., S. 312 Anm. 2. Die Holländer führten als Grund für ihre Haltung unter anderem die kurbrandenburgischen Dienstverpflichtungen Johann Moritz’ an. 12 UA (wie Anm. 9), Bd. 5, S. 515. Johann Moritz hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm mit Truppen und Munition aus Wesel unterstützt. Es gelang ihm später, dies gegenüber den Generalstaaten zu rechtfertigen; vgl. Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 164 f.; Hötzsch, Johann Moritz (wie Anm. 1), S. 97. 13 Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 302. 14 Zur Statthalterpolitik des Großen Kurfürsten insgesamt vgl. Egloff von Tippelskirch, Die Statthalter des Großen Kurfürsten (Schriftenreihe des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, 31), Heide 1937; Dietrich Kausche, Zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Statthalter, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 52 (1940), S. 1 – 25. Zur Rolle Johann Moritz’ als Statthalter vgl. Opgenoorth, Johann Moritz (wie Anm. 9); ders., Johan Maurits as the Stadholder of Cleves under the

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sion, gehörte dem Hochadel an, zählte seit 1646 infolge der Heirat Friedrich Wilhelms mit Louise Henriette von Nassau-Oranien zur näheren Verwandtschaft des Kurfürsten und verfügte als „Ausländer“ über langjährige politische und militärische Erfahrungen sowie über gute Verbindungen in die den niederrheinischen Besitzungen des Kurfürsten benachbarten Niederlande15. Diese vielversprechenden Eigenschaften ließen nicht nur erhoffen, dass er sich in Abwesenheit des Herrschers gegenüber den lokalen Gewalten der ihm als Statthalter untergeordneten Lande zu behaupten vermochte, sondern angesichts seines Werdeganges war auch offenkundig, dass er dank seiner vielseitigen Qualitäten in den Bereichen Diplomatie und Außenpolitik einsetzbar war. Durch längere diplomatische Missionen für den Kurfürsten ist der Nassauer allerdings lediglich zweimal in den Blickpunkt der europäischen Öffentlichkeit getreten: 1658 war er das Haupt der kurbrandenburgischen Delegation bei der Kaiserwahl Leopolds I., und 1661 reiste er gemeinsam mit dem Geheimen Rat Daniel Weimann zu Bündnisverhandlungen nach England. Weitere längere Gesandtschaften ließ seine zeitraubende Tätigkeit als Statthalter und Militär wohl nicht zu. Auch war offenbar gerade seine Doppelfunktion als niederländischer und kurbrandenburgischer Amtsträger ein Grund dafür, dass ihn seine Dienstherren nicht mit weiteren längeren Missionen betrauten16. Insofern verwundert es nicht, dass er in der bisherigen Forschung zur auswärtigen Politik Kurbrandenburgs keine so bedeutende Rolle gespielt hat wie andere Mitarbeiter Kurfürst Friedrich Wilhelms, etwa Graf Georg Friedrich von Waldeck, der später zu einem der wichtigsten Helfer Wilhelms III. von Oranien avancierte17. Dass Johann Moritz für die beiden genannten wichtigen Missionen ausgewählt wurde, lag zweifellos nicht ausschließlich an seinen langjährigen politischen Erfahrungen, sondern auch an seinem hohen gesellschaftlichen Status – er war 1652 in den Reichsfürstenstand erhoben worden –, an seiner Reputation und an bestimmten persönlichen Voraussetzungen, die er mitbrachte. Gerade das Motiv der kurbrandenburElector of Brandenburg, in: van den Boogaart, Johan Maurits (wie Anm. 2), S. 39 – 53. Vgl. ferner die populär gehaltene Darstellung in Manfred Luda, Kleve-Mark unter dem Großen Kurfürsten. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen (Veröffentlichungen des Heimatbundes Märkischer Kreis), Iserlohn 1996, S. 108 – 141. 15 Zu den Auswahlkriterien der Statthalterpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms vgl. die prägnanten Ausführungen über Johann Moritz in Ernst Opgenoorth, „Ausländer“ in Brandenburg-Preußen als leitende Beamte und Offiziere 1604 – 1871 (Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universität Königsberg/Pr., 28), Würzburg 1967, S. 28 f., und Opgenoorth, Johann Moritz (wie Anm. 9), S. 65 ff. 16 Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten über die in Erwägung gezogene Gesandtschaft des Nassauers zum Friedenskongress nach Nijmegen. 17 Bernhard Erdmannsdörffer, Graf Georg Friedrich von Waldeck. Ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1869; William Jannen jr., ,Das Liebe Teutschland‘ in the Seventeenth Century – Count George Frederick von Waldeck, in: European Studies Review 6 (1976), S. 165 – 195; Gerhard Menk, Georg Friedrich von Waldeck (1620 – 1692). Eine biographische Skizze (Waldeckische Historische Hefte, 3), Arolsen 1992.

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gischen Seite, der europäischen Öffentlichkeit durch die Entsendung einer Persönlichkeit von reichsfürstlichem Rang die Magnifizenz des Hauses Hohenzollern nachhaltig vor Augen zu führen, wird man nicht außer Acht lassen dürfen18. So wies Johann Moritz im Vorfeld seiner Entsendung zum Wahltag nach Frankfurt ausdrücklich darauf hin, dass sich dort auch Repräsentanten auswärtiger Mächte aufhalten würden; eine reiche Ausstattung der kurbrandenburgischen Gesandtschaft erschien ihm vor diesem Hintergrund unumgänglich19. Ähnliche Überlegungen spielten auch eine Rolle, als Kurfürst Friedrich Wilhelm in den späten 1670er Jahren in Erwägung zog, Johann Moritz an der Spitze der kurbrandenburgischen Delegation zum Friedenskongress nach Nijmegen zu entsenden. Der herausgehobene gesellschaftliche Rang des Nassauers sollte der Gesandtschaft den nötigen Glanz verleihen und somit der europäischen Öffentlichkeit das gewachsene Prestige Kurbrandenburgs im Mächtesystem demonstrieren. Die Geheimen Räte des Kurfürsten führten dagegen die hohen Kosten und die im Hinblick auf die Durchsetzung der kurbrandenburgischen Friedensziele nicht unproblematische Doppelstellung des Nassauers als kurbrandenburgischer Amtsträger und niederländischer Militär als Gründe dafür an, von einer Entsendung Johann Moritz’ abzusehen. Friedrich Wilhelm schloss sich diesen Bedenken seiner Räte letztlich an und verzichtete darauf, den Nassauer nach Nijmegen abzuordnen20. Bei der England-Mission Johann Moritz’ im Jahre 1661 war neben seinem hohen gesellschaftlichen Rang noch ein weiterer Faktor von besonderer Bedeutung. Denn dass gerade er vom brandenburgischen Kurfürsten ausgewählt worden war, am englischen Hof gemeinsam mit Daniel Weimann über ein Bündnis und einen Handelsvertrag zu verhandeln und zugleich Gespräche über die Vormundschaft für den zum damaligen Zeitpunkt unmündigen Prinzen Wilhelm III. von Oranien zu führen, lag sicherlich an seinen verwandtschaftlichen Verbindungen zum Hause Nassau-Oranien21. Gerade die Vormundschaftsfrage war ein besonders sensibler Punkt, ging es 18 Zur Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes im 17. Jahrhundert und zu dem Streben nach Zurschaustellung der Magnifizenz durch die Hohenzollern vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 7 (1997), S. 145 – 176; Peter-Michael Hahn, Magnifizenz und dynastische Legitimation durch Übernahme kultureller Muster. Die Beziehungen der Hohenzollern zum Haus Oranien und den Niederlanden im 17. Jahrhundert, in: ders./Hellmut Lorenz (Hrsg.), Formen der Visualisierung von Herrschaft. Studien zu Adel, Fürst und Schloßbau vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur BrandenburgPreußens und des Alten Reiches, 6), Potsdam 1998, S. 9 – 56. 19 Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 192 f. Angesichts dieser kurbrandenburgischen Bemühungen, auf dem Wahltag mit einer illustren Gesandtschaft zu erscheinen, ist es bezeichnend, dass in der Instruktion für Johann Moritz, Königsberg 31. 05. 1657, ausdrücklich auf den reichsfürstlichen Rang des Nassauers als Auswahlkriterium für diese Mission hingewiesen wurde; ebd., S. 198. 20 UA (wie Anm. 9), Bd. 18, S. 551. 21 Zu den Verhandlungen Johann Moritz’ und Weimanns am englischen Hof vgl. Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 246 – 257; Hötzsch, Johann Moritz (wie Anm. 1), S. 94 f.;

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hierbei letztlich doch um die für die Verteilung der politischen Kräfteverhältnisse in den Niederlanden zentrale Frage nach dem weiteren Werdegang des Prinzen von Oranien und seiner zukünftigen Stellung im politischen System der niederländischen Republik22. In Diensten der Generalstaaten agierte Johann Moritz dagegen in erster Linie als Militär. Dass darüber hinaus in Den Haag in Erwägung gezogen wurde, ihn mit wichtigen diplomatischen Missionen zu beauftragen, stellte eher die Ausnahme dar. So planten die Generalstaaten im Jahre 1668, kurz nach seiner Ernennung zum Feldmarschall, eine Gesandtschaft des Nassauers an den Kaiserhof, um Leopold I. zum Beitritt zu der gegen Frankreich gerichteten Tripleallianz (Niederlande, England und Schweden) zu bewegen. Durch den Friedensschluss von Aachen (2. Mai 1668) wurde dieses Bündnisvorhaben jedoch obsolet, sodass von einer Entsendung Johann Moritz’ abgesehen werden konnte23. Das Wirken des Nassauers in den Bereichen Diplomatie und Außenpolitik beschränkte sich gleichwohl nicht auf die wenigen offiziellen Gesandtschaften an auswärtigen Höfen. Dieser Befund ist für eine Gesamtbewertung seiner außenpolitischen Aktivitäten wichtig; denn berücksichtigt man neben den durchgeführten oder nur geplanten Missionen weitere, wenn auch weniger spektakuläre außenpolitische Funktionen, die er erfüllt hat, dann wird deutlich, dass er in vielfältiger Weise die Gestaltung der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms mitgeprägt hat und als wichtiger Faktor in den diplomatischen Beziehungen Kurbrandenburgs zu den Niederlanden gelten kann. Vier Aspekte sind an dieser Stelle hervorzuheben. Nicht übersehen werden darf zum einen, dass Johann Moritz wiederholt im Vorfeld von niederländisch-kurbrandenburgischen Bündnisverhandlungen Sondierungen vorgenommen hat, die zum späteren Zustandekommen einer Allianz beigetragen haben. Auf diese Funktion als wichtiger Wegbereiter von Bündnissen wird noch zurückzukommen sein. Zum anderen spielte Johann Moritz in der außenpolitischen Entscheidungsfindung des Kurfürsten eine nicht unerhebliche Rolle. Zwar hielt sich der Nassauer aufs Ganze gesehen nur gelegentlich am Berliner Hof auf und konnte somit nur selten an den Sitzungen des Geheimen Rates teilnehmen24, doch wurden in seiner KorreKarl Albert, Weimann’s diplomatische Verhandlungen. Ein Beitrag zur politischen Geschichte des Großen Kurfürsten, Diss., Leipzig 1942, S. 207 – 231; Bouman, Johan Maurits (wie Anm. 4), S. 139 – 143; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 17 – 21; Druck der Instruktion für Johann Moritz und Weimann vom 01. 02. 1661 in: UA (wie Anm. 9), Bd. 9, S. 492 – 502. 22 Zur Kritik an den von Johann Moritz und Weimann in der Vormundschaftsfrage erzielten Ergebnissen vgl. die Ausführungen weiter unten. 23 Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 328 f. 24 Vgl. hierzu die Johann Moritz gewidmete Passage in der Neuordnung des brandenburgischen Geheimen Rates von 1651: „Anfänglich haben Wir Johan Moritzen Grafen zu Nassau darumb keine gewisse Expedition auftragen können, weil derselbige nicht allemal bei Uns am Hofe sein möchte. Es sollen aber nicht allein alle nachgesetzte negotia von Unsern Räthen ihm

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spondenz mit dem Kurfürsten auch außenpolitische Fragen angesprochen. Zudem ist nachweisbar, dass er an der Abfassung von schriftlichen Gutachten beteiligt war, in denen die außenpolitische Lage erörtert wurde25. Derartige Gutachten, Denkschriften und Memoranden waren ein wichtiger Bestandteil der außenpolitischen Entscheidungsfindung am brandenburgischen Hof, und gerade den schriftlichen Stellungnahmen der Statthalter kam in dieser Hinsicht eine gewichtige Bedeutung zu26. Zum dritten ist darauf hinzuweisen, dass Johann Moritz, wie die anderen Statthalter des Großen Kurfürsten auch, die für die außenpolitischen Entscheidungen des brandenburgischen Hofes wichtige Funktion hatte, Informationen und Nachrichten einzuholen und an seinen Dienstherren weiterzuleiten. Denn eine möglichst reibungslose Kommunikation zwischen der Berliner Zentrale und den zerstreuten kurbrandenburgischen Landesteilen war eine unabdingbare Voraussetzung für angemessene außenpolitische Entscheidungen, bedenkt man, dass die territorial heterogene kurbrandenburgische Mehrfachherrschaft27 infolge ihrer zum Teil weit auseinanderliegenden Lande nahezu in jeden europäischen Konflikt verwickelt wurde. Die Generalstaaten profitierten in dieser Hinsicht von den kurbrandenburgischen Dienstverpflichtungen Johann Moritz’, da er ihnen während seiner Gesandtschaften für den brandenburgischen Kurfürsten mitunter gezielt Nachrichten zukommen ließ. So informierte er sie im Rahmen seiner Mission zur Kaiserwahl in Frankfurt über die dortigen Ereignisse und beglückwünschte den neuen Kaiser nach dessen Wahl auch im Namen der Generalstaaten28. Mit Blick auf die Niederlande ist auf eine vierte außenpolitische Funktion Johann Moritz’ als Statthalter hinzuweisen. Das Verhältnis zwischen dem Landesherrn und

communiciret werden, sondern stehet demselben auch frei, wann er bei Uns gegenwärtig ist, was er von Unsern Affairen zu expediren nehmen will“; Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1 posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 41, 54, 55, 66, 80, 89 und 91), Leipzig 1889 – 1919, hier Bd. 4, S. 395. 25 Vgl. beispielsweise die gemeinsam mit Konrad von Burgsdorff, Philipp von Horn und Erasmus Seidel verfasste Denkschrift, Kleve 07. 06. 1649, Meinardus, Protokolle (wie Anm. 24), Bd. 4, S. 237 – 241; vgl. ferner das Gutachten Johann Moritz’ und der Geheimen Räte, Kleve 03. 02. 1654, UA (wie Anm. 9), Bd. 4, S. 105 ff. Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass Johann Moritz als außenpolitischer Gutachter bei weitem nicht die Produktivität und Bedeutung eines Georg Friedrich von Waldeck erreichte. 26 Vgl. die Fallbeispiele in Michael Rohrschneider, Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671), S. 121 – 139 in diesem Band. In Diensten der Generalstaaten verfasste Johann Moritz Denkschriften über militärische Fragen; vgl. Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 311. 27 Der Begriff der Mehrfachherrschaft wird hier verwendet in Anlehnung an die Ausführungen von Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35, hier S. 23. 28 Hötzsch, Johann Moritz (wie Anm. 1), S. 94.

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den Ständen29, in das sich der Nassauer, wie die bisherige Forschung in der Regel betont hat, immer wieder vermittelnd eingeschaltet hat30, war im Falle des Herzogtums Kleve auch durch die Tatsache geprägt, dass die klevischen Stände faktisch als selbständig agierende außenpolitische Akteure auftraten und bis 1661 mit Lieuwe van Aitzema sogar einen eigenen Agenten bei den Generalstaaten unterhielten31. Gerade vor diesem Hintergrund war es aus Sicht Friedrich Wilhelms besonders wichtig, mit Johann Moritz über einen Statthalter zu verfügen, der gute Verbindungen in die Niederlande hatte und kraft seines Prestiges und seiner personellen Kontakte möglichen Versuchen der Stände entgegenzuwirken vermochte, in Den Haag um Unterstützung gegen die landesherrliche Politik des Kurfürsten nachzusuchen. III. Das außenpolitische Wirken Johann Moritz’ im Kräftedreieck Generalstaaten – Haus Nassau-Oranien – Kurbrandenburg Die 1647 gefällte personalpolitische Entscheidung Kurfürst Friedrich Wilhelms, Johann Moritz in seine Dienste zu nehmen, kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist in den größeren Zusammenhang der damaligen kurbrandenburgischen Außen- und Reichspolitik einzuordnen. Mit der 1646 erfolgten oranischen Heirat hatte der Kurfürst einen Kurs eingeschlagen, der in der politischen Praxis den Anschluss Kurbrandenburgs an das konfessionell geprägte dynastische Beziehungsnetz des Hauses Nassau-Oranien32 sowie eine verstärkte Rezeption niederländischer Ein29 Zur Ständepolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms in Kleve-Mark vgl. Francis L. Carsten, The Resistance of Cleves and Mark to the Despotic Policy of the Great Elector, in: The English Historical Review 66 (1951), S. 219 – 241; Ernst Opgenoorth, Stände im Spannungsfeld zwischen Brandenburg-Preußen, Pfalz-Neuburg und den niederländischen Generalstaaten: Cleve-Mark und Jülich-Berg im Vergleich, in: Peter Baumgart (Hrsg. unter Mitarbeit von Jürgen Schmädeke), Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung. Mit einem Begleitwort von Otto Büsch (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 55), Berlin/New York 1983, S. 243 – 262; André Holenstein, Formen politischen Handelns der kleve-märkischen Landstände 1640 – 1660, in: Parliaments, Estates and Representation 5 (1985), S. 59 – 70; Andrzej Kamien´ski, Das Ringen der Stände von Kleve-Mark mit den absolutistischen Bestrebungen des Großen Kurfürsten, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 3 (1993), S. 145 – 166; Volker Seresse, Zur Bedeutung der ,necessitas‘ für den Wandel politischer Normen im 17. Jahrhundert. Der Fall Kleve-Mark, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 11 (2001), S. 139 – 159; Michael Kaiser, Nähe und Distanz. Beobachtungen zum Verhältnis zwischen den Landständen von Kleve und Mark und ihrem Landesherrn im 17. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 53 (2003), S. 71 – 108. 30 Vgl. zu dieser Frage allerdings jüngst die einschränkenden Bemerkungen in Kaiser, Nähe (wie Anm. 29), S. 95 f. 31 Zum Wirken Aitzemas vgl. Herbert H. Rowen, Lieuwe van Aitzema: a soured but knowing eye, in: Phyllis Mack/Margaret C. Jacob (Hrsg.), Politics and Culture in Early Modern Europe. Essays in Honor of H. G. Koenigsberger, Cambridge [u. a.] 1987, S. 169 – 182. 32 Vgl. Simon Groenveld, Beiderseits der Grenze. Das Familiengeflecht bis zum Ende der ersten oranisch-nassauischen Dynastie, 1702, in: Horst Lademacher (Hrsg.), Onder den Oranje boom. Textband. Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler

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flüsse in Politik, Wirtschaft und Kultur nach sich zog33. Untersucht man die personellen Strukturen dieses Netzwerkes der Oranier, dann fällt vor allem die hohe Zahl an Offizieren im Heer des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien auf, die aus der nassauischen Familie hervorgingen. Johann Moritz ist ohne Zweifel ein Paradebeispiel für diese – im Übrigen nicht nur auf den Bereich des Militärs beschränkte – Verzahnung des Statthalterhauses mit dem deutschen Reichsadel34. Hierzu zählten neben den Wetterauer Grafen unter anderem auch die preußischen Dohnas – Christian Albrecht Burggraf und Graf zu Dohna wurde ebenfalls ein Statthalter des Großen Kurfürsten35 –, und 1658/59 trat mit Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, der eine Schwester der Oranierin Louise Henriette heiratete und Statthalter in der Kur und Mark Brandenburg wurde, ein weiterer reformierter Reichsfürst hinzu36. Erkennbar wird gerade anhand des letztgenannten Beispiels wie auch im Falle Johann Moritz’, dass die Vergabe hoher politischer und militärischer Ämter durch den Kurfürsten mit einer auf das Haus Nassau-Oranien ausgerichteten verwandtschaftlichen Fundierung des brandenburgischen Dienstverhältnisses einhergehen konnte und nicht zuletzt auch mit dem Ziel der Schaffung einer brandenburgtreuen Klientel im Reich erfolgte; denn „so wenig eine barocke Hofhaltung hochadliger Gesellschafter entbehren konnte, so wenig vermochte Brandenburg-Preußen seine ambitiöse Reichspolitik ohne

niederländischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999, S. 139 – 156; ders., „Tandem fit surculus arbor“. Die soziale und politische Entwicklung einer Adelsfamilie deutscher Herkunft zu einem königlichen Geschlecht in den Niederlanden, in: Zentrum für Niederlande-Studien. Jahrbuch 10/11 (1999/2000), S. 39 – 50; Bernard Woelderink, Die dynastischen Beziehungen zwischen Oranien-Nassau und deutschen Fürstentümern, in: Die Niederlande und Deutschland. Aspekte der Beziehungen zweier Länder im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von der Kulturstiftung DessauWörlitz und der Stiftung Historische Sammlungen des Hauses Oranien-Nassau (Kataloge und Schriften der Kulturstiftung DessauWörlitz, 10), Dessau 2000, S. 43 – 51; zusammenfassend zu den kurbrandenburgisch-oranischen Beziehungen vgl. Klaus Vetter, Oranien-Nassau und die Hohenzollern im 17./ 18. Jahrhundert. Zur Charakterisierung einer Beziehung, Wiederabdruck in: Lademacher, Onder den Oranje boom (wie Anm. 32), S. 213 – 224. 33 Zur sogenannten Niederländischen Bewegung sind nach wie vor die Arbeiten Gerhard Oestreichs heranzuziehen; vgl. z. B. Gerhard Oestreich, Die Niederlande und BrandenburgPreußen, ergänzter Wiederabdruck in: Lademacher, Onder den Oranje boom (wie Anm. 32), S. 187 – 202. Zur Kritik an den Arbeiten Oestreichs vgl. vor allem Martin van Gelderen, Holland und das Preußentum. Justus Lipsius zwischen niederländischem Aufstand und Brandenburg-Preußischem Absolutismus, Wiederabdruck in: ebd., S. 203 – 212. 34 Vgl. Mörke, Stadtholder (wie Anm. 3), S. 188. 35 Vgl. Tippelskirch, Statthalter (wie Anm. 14), S. 49 f. 36 Zum Leben und politischen Wirken Johann Georgs II. vgl. Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998; zu seiner Heirat vgl. ders., Eine anhaltisch-oranische Eheschließung und ihre Folgewirkungen: Überlegungen zu Dynastie und Politik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Beispiel Anhalt-Dessaus, in: Die Niederlande und Deutschland (wie Anm. 32), S. 53 – 58.

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eine Klientel von Reichsständen, die auf Reichs- und Kreistagen dessen Belange vertraten, zu verwirklichen“37. Was der Kurfürst zum Zeitpunkt der Indienstnahme Johann Moritz’ nicht vorhersehen konnte, war die Tatsache, dass sich die politischen Verhältnisse in den Niederlanden nach dem frühen Tod Wilhelms II. von Oranien im Jahre 1650 gravierend veränderten. War mit dem Eintritt des Nassauers in kurbrandenburgische Dienste ursprünglich die Hoffnung verbunden gewesen, mit ihm über ein wichtiges Verbindungsglied zum Hause Nassau-Oranien und damit zugleich auch zur niederländischen Republik zu verfügen38, so stellte sich die Lage nach dem Umschwung von 1650 und in der nachfolgenden statthalterlosen Zeit anders dar39. Es dominierte nunmehr die Regentenpartei, die dem Hause Nassau-Oranien und dessen Angehörigen – den brandenburgischen Kurfürsten eingeschlossen – zutiefst misstraute. Die durch die enge verwandtschaftliche Anbindung an die Oranier vonseiten Kurbrandenburgs erhofften politischen Vorteile in den Beziehungen zu den Vereinigten Niederlanden blieben daher zunächst aus. Bezeichnend ist etwa, dass die zähen Verhandlungen über eine niederländisch-kurbrandenburgische Allianz in den späten 1640er und frühen 1650er Jahren, an denen Johann Moritz zeitweise maßgeblich beteiligt war40, erst im Juli 1655 erfolgreich abgeschlossen werden konnten41. Für den Nassauer bedeutete die Verschlechterung der niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen nach 1650, dass sich seine angedachte Rolle als Mittlerinstanz zwischen Den Haag und Berlin erschwerte: Galt er bei der Regentenpartei als treuer Anhänger der Oranier, so stand er, ähnlich wie Kurfürst Friedrich Wilhelm, dem führenden niederländischen Politiker dieser Jahre und Haupt der Regentenpartei, dem holländischen Ratspensionär Johan de Witt, mit Misstrauen gegenüber42. Er 37

Peter-Michael Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militärischen und höfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650 – 1725, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 1 (1991), S. 161 – 208, hier S. 192. Johann Georg II. war seit 1660 regierender Fürst von Anhalt-Dessau, Johann Moritz seit 1664 regierender Fürst von Nassau-Siegen. 38 Den hohen Stellenwert, den Johann Moritz im direkten Umfeld der Oranier etwa zum Zeitpunkt seines Eintrittes in kurbrandenburgische Dienste hatte, zeigte sich sinnfällig in seiner herrschernahen Position, die er am Sterbebett Friedrich Heinrichs von Nassau-Oranien und während des Trauerzuges nach dessen Tod einnahm; Mörke, Stadtholder (wie Anm. 3), S. 273 und 277. 39 Vgl. hierzu zusammenfassend Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung (Propyläen Geschichte Europas, Ergänzungsband), Berlin 1993, S. 179 – 185, sowie ausführlich Jonathan I. Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477 – 1806 (Oxford History of Early Modern Europe), Oxford 1995, S. 700 – 795. 40 Vgl. UA (wie Anm. 9), Bd. 4, S. 124, 127 f. und 131 f. 41 Die Defensivallianz vom 27. 07. 1655 in: Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des königl. Geh. Staats-Archivs, Berlin 1867, ND 1965, Nr. 102, S. 187 – 190. 42 Vgl. Opgenoorth, Johann Moritz (wie Anm. 9), S. 66 f. Vgl. ferner die heftigen Klagen des Kurfürsten über das Verhalten Hollands in seinem eigenhändigen Schreiben an Johann

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vermied es aber klugerweise, in einen offenen Konflikt mit de Witt und dessen Anhängern zu geraten, und gelangte vielmehr zu einem – wenn auch fragilen – Modus vivendi, der ihm letztlich die weitere militärische Karriere in Diensten der Generalstaaten ermöglichte43. Im Bereich der internationalen Politik machte sich diese Problematik besonders deutlich bemerkbar. Helmut Gabel hat treffend von einer „beträchtlichen Instabilität“44 der niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen im Zeitalter des Großen Kurfürsten gesprochen und dies mit guten Gründen vornehmlich auf die unstete Außenpolitik Friedrich Wilhelms zurückgeführt. Die von den Zeitgenossen als Wechselfieber bezeichnete schwankende Außenpolitik Kurbrandenburgs war freilich keine Folgewirkung willkürlicher, prinzipienloser Entscheidungen des Kurfürsten, sondern, wie die neuere Forschung zu Recht herausgestellt hat, primär Ausdruck der großen Probleme, die eigenen Interessen im europäischen Mächtesystem behaupten zu können45. Dementsprechend waren auch die kurbrandenburgisch-niederländischen Beziehungen immer wieder Schwankungen ausgesetzt, wobei als wesentliche Bestimmungsfaktoren eines guten oder schlechten Einvernehmens zum einen die Haltung der Regentenpartei zu den Oraniern und zum anderen die jeweilige Interessenlage beider Mächte im europäischen Staatensystem ausgemacht werden können. Für Johann Moritz hatte dies faktisch zur Folge, dass er eher in Zeiten einvernehmlicher Beziehungen zwischen Berlin und Den Haag mit Erfolg als vermittelnde Persönlichkeit in den niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen auftreten konnte. Zwei Beispiele seien für diesen Sachverhalt angeführt. Als sich der von England unterstützte Bischof von Münster Christoph Bernhard von Galen im Spätsommer des Jahres 1665 anschickte, einen offenen Krieg gegen die Vereinigten Niederlande anzuzetteln, um auf diese Weise gewaltsam Grenzstreitigkeiten zu regeln, stellte sich dem brandenburgischen Hof die Frage, wie man auf diese erwartete militärische Auseinandersetzung reagieren sollte46. Kurfürst FriedMoritz vom 16./26. 07. 1659, auf das Johann Moritz zustimmend reagierte; UA (wie Anm. 9), Bd. 5, S. 921 f. 43 Vgl. Herbert H. Rowen, John de Witt, Grand Pensionary of Holland, 1625 – 1672, Princeton 1978, S. 156 f. 44 Helmut Gabel, Wilhelm III. von Oranien, die Niederlande und das Reich – Beobachtungen zu den mentalen und verfassungspolitischen Voraussetzungen der Koalitionsbildung gegen Ludwig XIV., in: Lademacher, Oranien-Nassau (wie Anm. 4), S. 69 – 95, hier S. 91. 45 Ernst Opgenoorth hat auf diesen Sachverhalt wiederholt mit Nachdruck hingewiesen; vgl. z. B. Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst und die Annexion Straßburgs 1681, in: Studien der Erwin von Steinbach-Stiftung 5 (1984), S. 63 – 83, hier S. 66. 46 Zum Angriff auf die Niederlande vgl. Wilhelm Kohl, Christoph Bernhard von Galen. Politische Geschichte des Fürstbistums Münster 1650 – 1678 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens, 18; Westfälische Biographien, 3), Münster 1964, S. 206 – 214; vgl. ferner Heinz Duchhardt, Das Fürstbistum Münster und die Niederlande in der Barockzeit. Zur Metamorphose einer schwierigen Nachbarschaft, in: Jahrbuch des Zentrums für Niederlande-Studien 2 (1991), S. 9 – 20; zur kurbrandenburgischen Haltung vgl. insbesondere Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 89 – 93.

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rich Wilhelm zeigte sich trotz des nicht ungetrübten Verhältnisses zu den Generalstaaten entschlossen, ihnen im Kampf gegen die Truppen Galens beizustehen. Einer der Wegbereiter des niederländisch-kurbrandenburgischen Bündnisses, das schließlich am 16. Februar 1666 zustande kam47, war Johann Moritz. Er hatte im September 1665 in Zwolle, wo sich die niederländischen Truppen sammelten, den dort anwesenden Deputierten von Friesland, Overijssel und Groningen vor Augen geführt, wie notwendig eine niederländisch-kurbrandenburgische Allianz angesichts der damaligen internationalen Lage sei. Kurz darauf beschlossen die Generalstaaten auf Gesuch von Overijssel, Bündnisverhandlungen mit Kurbrandenburg aufzunehmen48. Dass der Nassauer den Oberbefehl über die gegen den Münsteraner ins Feld geführten niederländischen Truppen erhielt, kommentierte Kurfürst Friedrich Wilhelm in einem Schreiben vom 7. März 1666 wie folgt: „[…] bin damitt sehr woll zufriden, vndt streittet solches gar nicht gegen mein interesse, bevorab weill wir itzo ahn einem Seille mitt einander ziehen“49. Wenig später konnte der Kurfürst sogar den beachtlichen Prestigeerfolg erzielen, den Frieden von Kleve (18. April 1666) zwischen den Niederlanden und dem Bischof von Münster vermittelt zu haben50. Die Haltung des Kurfürsten in der Auseinandersetzung der Generalstaaten mit Galen und die anschließende Friedensvermittlung stießen auf überaus positive Resonanz in den Niederlanden. Dies wurde deutlich, als Friedrich Wilhelm und Johann Moritz nach Beendigung des Krieges, im Mai 1666, gemeinsam zur niederländischen Flotte reisten. Auf ihrem Weg von Kleve zur Flotte wurden sie im Haag von Wilhelm III. und Vertretern des Staatsrates ehrenvoll begrüßt, und nach ihrer Ankunft in Texel, wo die niederländische Flotte lag, erhielten sie einen eindrucksvollen Empfang51. In diesem Falle konformer Interessen seiner beiden Dienstherren hatte Johann Moritz also erfolgreich als Mittler in die niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen eingreifen und damit in prestigeträchtiger Weise seine eigene Stellung als Exponent eines proniederländischen Kurses Kurbrandenburgs zur Geltung bringen können. Ein zweites, ähnlich geartetes Beispiel soll diesen Befund noch weiter untermauern. 47

Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 41), Nr. 153, S. 272 ff. Vgl. die Resolutionen der Generalstaaten vom 19.08. und 17. 09. 1665; UA (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 153. Zum Kriegsverlauf vgl. die ausführliche Schilderung aus der Sicht Johann Moritz’ bei Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 312 – 327; Bouman, Johan Maurits (wie Anm. 4), S. 149 – 155. 49 Otto Meinardus, Eigenhändige Briefe des Großen Kurfürsten an Johann Moritz von Nassau, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 19 (1906), S. 115 – 155, hier S. 127 f. 50 Zur kurbrandenburgischen Friedensvermittlung vgl. ausführlich Kohl, Galen (wie Anm. 46), S. 214 – 243. 51 Vgl. Theatrum Europaeum […], Bd. 10, Frankfurt am Main 1677, S. 348 f.; Galland, Großer Kurfürst (wie Anm. 1), S. 11 f.; Christoph Voigt, Die Beziehungen des Großen Kurfürsten zu der Stadt Amsterdam, in: Hohenzollern-Jahrbuch 19 (1915), S. 182 – 205, hier S. 203; Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 36), S. 184 f. 48

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Unter veränderten Rahmenbedingungen entfaltete der Nassauer in den frühen 1670er Jahren, im Vorfeld des Französisch-Niederländischen Krieges, diplomatische Aktivitäten. Wiederum lag eine konkrete militärische Bedrohung der Niederlande vor, in diesem Fall ausgehend von Frankreich, und erneut kam es zum Abschluss eines niederländisch-kurbrandenburgischen Bündnisses (6. Mai 1672)52, zu dessen Wegbereitern Johann Moritz zählte53. Schon lange Zeit vor Ausbruch des Krieges hatte der Nassauer den Ratspensionär de Witt über die immer deutlicher zutage tretende französische Bedrohung informiert54, und im unmittelbaren Vorfeld des Krieges stand er in engem Kontakt mit dem niederländischen Gesandten Godert Adriaan, Baron van Reede, Heer tot Amerongen. Dieser machte Ende des Jahres 1671 auf seiner Reise nach Berlin Zwischenstation am Niederrhein, um dort mit dem Statthalter über die am brandenburgischen Hof anstehenden Bündnisverhandlungen zu konferieren. Auch in den nachfolgenden Monaten korrespondierte Amerongen mit dem Nassauer55, der trotz seines hohen Alters nochmals aktiv in den Krieg gegen Frankreich eingriff und in leitender Position bei der letztlich erfolgreichen Verteidigung der Niederlande gegen die französische Invasion mitwirkte56. Das Jahr 1672 war nicht nur aus militärischer Sicht ein Schicksalsjahr für die existenziell bedrohten Niederlande, sondern es markierte bekanntlich auch in innenpolitischer Hinsicht einen Wendepunkt, da mit der Ernennung Wilhelms III. von Oranien zum Generalkapitän und Statthalter die statthalterlose Zeit in der Republik vorläufig ein Ende fand. Aus der Sicht Johann Moritz’ war damit faktisch der Zustand wiederhergestellt, der zum Zeitpunkt seines Eintritts in kurbrandenburgische Dienste geherrscht hatte: Er war zugleich Amtsträger in niederländischen und kurbranden52

Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 41), Nr. 205, S. 359 – 363. Zum diplomatischen Vorspiel dieses Bündnisabschlusses vgl. Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 36), S. 195 – 202, mit einer Kommentierung der Forschungslage ebd., S. 201 f. 53 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bewertung der politischen Maximen des Nassauers durch P. L. Müller, Artikel „Johann Moritz, Fürst von Nassau-Siegen (der Brasilianer oder Amerikaner)“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 14, ND Berlin 1969, S. 268 – 272, hier S. 271: „Er [i. e. Johann Moritz] zählte mit zu den wenigen kleinen Reichsfürsten, die eine energische Action Frankreich gegenüber, ohne sclavische Befolgung der Befehle der Hofburg, und namentlich Anschluß an Brandenburg wollten“. 54 Vgl. Johann Moritz an Johan de Witt, Siegen 23.06./03. 07. 1669; Robert Fruin (Bearb.), Brieven aan Johan de Witt, 2. Teil: 1660 – 1672, hrsg. von Nicolas Japikse (Werken, 3. Serie, 44), Amsterdam 1922, hier S. 437 f. Siehe ferner Bouman, Johan Maurits (wie Anm. 4), S. 160; van der Bijl, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 151. 55 Vgl. UA (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 205 ff., 243 und 260; van der Bijl, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 151 f. 56 Zu den militärischen Aktivitäten des Nassauers im Französisch-Niederländischen Krieg vgl. ausführlich Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 330 – 345; Bouman, Johan Maurits (wie Anm. 5), S. 162 – 192; vgl. ferner die Korrespondenz zwischen Johann Moritz und Wilhelm III. von Oranien in: Nicolas Japikse (Hrsg.), Correspondentie van Willem III en van Hans Willem Bentinck, eersten Graaf van Portland, 2. Gedeelte: Uit engelsche en nederlandsche archieven en bibliotheken, Deel 1 (Rijks Geschiedkundige Publicatiën, 26), ’s-Gravenhage 1932, passim.

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burgischen Diensten und sah diese Doppelrolle gefestigt durch seine guten Beziehungen zum Prinzen von Oranien, der in der Folgezeit zum Spiritus rector des Kampfes gegen das Hegemonialstreben Ludwigs XIV. wurde. Dass Johann Moritz infolge seiner verwandtschaftlichen Verbindungen zum Hause Nassau-Oranien von de Witt und seinen Anhängern als oranischer Parteigänger angesehen worden war und dass dies für seine Karriere während der statthalterlosen Zeit nicht förderlich, sondern eher belastend war, ist bereits angesprochen worden. So zutreffend diese Einschätzung der Regentenkreise aufs Ganze gesehen ist, so problematisch konnte sich die Parteigängerschaft des Nassauers zu den Oraniern im Einzelfall gestalten. Auch zu diesem Punkte sei ein für die schwierige Zwischenstellung Johann Moritz’ aufschlussreiches Beispiel angeführt. Als er 1661 gemeinsam mit Weimann am englischen Hof die erwähnten Verhandlungen führte, war ein wichtiger Punkt die Regelung der Vormundschaft für Wilhelm III. von Oranien. Vormünder des jungen Oraniers waren Kurfürst Friedrich Wilhelm und seine Schwiegermutter Amalia, die Witwe Prinz Friedrich Heinrichs, sowie Maria Henrietta Stuart, die Mutter Wilhelms III. und Schwester des englischen Königs Karl II.57. Als Maria Anfang 1661 verstarb, wurden Verhandlungen mit Karl II. notwendig, da ihm von seiner Schwester die Fürsorge für Wilhelm III. anvertraut worden war. Die von Johann Moritz und Weimann in dieser Frage am englischen Hof erzielten Verhandlungsergebnisse fielen jedoch nicht so aus, wie sich dies die oranische Partei in der Umgebung des Kurfürsten – dazu zählten Amalia und ihrer älteste Tochter, die brandenburgische Kurfürstin Louise Henriette, sowie deren Schwester Henriette Catharina – vorgestellt hatte58. Erst nach Klärung inhaltlicher Differenzen und Ausräumung atmosphärischer Störungen wurden die Resultate der Verhandlungen Johann Moritz’ und Weimanns von Amalia und ihren Töchtern für gut befunden, da die vorab intendierte Anerkennung der Princesse Douairière als faktische Leiterin der Vormundschaft letztlich durchgesetzt worden war. Hier zeigte es sich also, dass die Parteigängerschaft Johann Moritz’ für das Haus Nassau-Oranien nicht unumschränkt war; der Nassauer war alles andere als ein bloßer Erfüllungsgehilfe oranischer Interessen. Zwei Jahre vor seiner Mission nach England hatte Johann Moritz großen Anteil daran gehabt, dass sich die Beziehungen zwischen der Stadt Amsterdam auf der einen, den Nassau-Oraniern und dem Kurfürsten von Brandenburg auf der anderen Seite verbesserten59. Anlass war die Verheiratung Johann Georgs II. von Anhalt-Des57 Auch die Generalstaaten waren interessiert, da Maria an einen zu errichtenden Erziehungsrat für ihren unmündigen Sohn gedacht hatte, für den unter anderem de Witt vorgesehen war. 58 Vgl. UA (wie Anm. 9), Bd. 9, S. 551 – 555, sowie zuletzt Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 36), S. 169 f. 59 Vgl. zum Folgenden J. A. Worp, Een vorstelijk huwelijk, in: Groningsche Volksalmanak voor het jaar 1893. Jaarboekje voor geschiedenis, taal- en letterkunde der provincie Groningen, Groningen 1892, S. 88 – 101; Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 36), S. 66 – 73; ders., Eheschließung (wie Anm. 36).

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sau mit der Oranierprinzessin Henriette Catharina. Diese fand am 16. Juli 1659 in Groningen statt; Organisator der Feierlichkeiten war Johann Moritz60. Auf Einladung Amsterdams reisten die Jungvermählten in Begleitung des Nassauers in die holländische Handelsmetropole, wo ihnen ein ehrenvoller, imposanter Empfang bereitet wurde. Unter anderem wurden sie durch einen Festzug gefeiert, der aus 16 Prachtwagen mit allegorischen Figuren bestand, welche die niederländischen Provinzen, die Taten der Prinzen von Oranien und die Stadt Amsterdam darstellten61. In diesem Festzug „ergänzten sich noch“, so Olaf Mörke, „die ständisch-kommunale und oranisch-patriarchale Komponente der niederländischen Politikkultur zur Gesamtheit republikanischer Selbstdarstellung“62. Hinter diesen aufwendig inszenierten Feierlichkeiten, in die auch Johann Moritz einbezogen war, standen handfeste politische Motive. Denn zum einen konnte Amsterdam durch die prachtvollen Festlichkeiten zu einer Besserung der seit 1650 stark belasteten Beziehungen zu den Oraniern beitragen. Zum anderen kam das Verhalten der Stadt einer Demonstration des Wunsches gleich, auch die Beziehungen zum brandenburgischen Kurfürsten zu verbessern; denn Friedrich Wilhelm hatte sich zuvor sehr verärgert über die seiner Ansicht nach unzureichende Unterstützung durch die von Holland dominierten Generalstaaten im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655 – 1660) gezeigt. Für Johann Moritz, der freundschaftliche Beziehungen zur Amsterdamer Stadtverwaltung unterhielt63, war der Verlauf der Hochzeitsfeierlichkeiten ein großer persönlicher Erfolg, war er doch in prestigeträchtiger Weise als erfolgreicher Mittler zwischen brandenburgischen, nassau-oranischen und niederländischen Interessen aufgetreten. 60 Zur Beteiligung Johann Moritz’ an den Hochzeitsfeierlichkeiten vgl. Driesen, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 230 f.; Galland, Großer Kurfürst (wie Anm. 1), S. 56; Bouman, Johan Maurits (wie Anm. 4), S. 136 f.; Relation aus Den Haag, 28. 07. 1659 (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (im Folgenden abgekürzt GStA PK), I. HA Rep. 34 Nr. 227 i Fasz. 1, fol. 124 – 125); vgl. auch die Aufstellung seines Gefolges in: Koninklijk Huisarchief ’s-Gravenhage, A 14 XIV D – 3, sowie einen Bericht aus Groningen vom 21. 07. 1659 (GStA PK, Brandenburg-preußisches Hausarchiv Rep. 35 Nr. U 2, fol. 77 – 78), dem zu entnehmen ist, dass Johann Moritz indianische Elemente in die Feierlichkeiten integrierte. Bereits im Vorfeld der Hochzeit hatte sich der Bräutigam, Johann Georg von Anhalt-Dessau, bei Johann Moritz für dessen Unterstützung bedankt; Schreiben aus Dessau vom 21.04.[/01.05.]1659; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 170 III Kart. 180 (Mappe fol. 1 – 346), fol. 229 – 230. 61 Zu diesem Festzug vgl. Derk Persant Snoep, Praal en propaganda. Triumfalia in de Noordelijke Nederlanden in de 16de en 17de eeuw, Alphen aan den Rijn 1975, S. 82 – 86; Olaf Mörke, De hofcultuur van het huis Oranje-Nassau in de zeventiende eeuw, in: Peter de Boekhorst/Peter Burke/Willem Frijhoff (Hrsg.), Cultuur en maatschappij in Nederland 1500 – 1850. Een historisch-antropologisch perspectief, Meppel/Amsterdam 1992, S. 39 – 77, hier S. 51 ff. 62 Olaf Mörke, Das Haus Oranien-Nassau als Brückenglied zwischen den politischen Kulturen der niederländischen Republik und der deutschen Fürstenstaaten, in: Lademacher, Oranien-Nassau (wie Anm. 4), S. 47 – 67, hier S. 57. 63 Van der Bijl, Johann Moritz (wie Anm. 4), S. 143 f.

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IV. Resümee Im Rahmen der außenpolitischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Provinzen und Kurbrandenburg nahm Johann Moritz von Nassau-Siegen eine exponierte Stellung ein. Vier Aspekte treten hierbei besonders in den Vordergrund. 1. Durch seine Doppelstellung als militärischer Befehlshaber in Diensten der Generalstaaten und als Statthalter des Großen Kurfürsten war Johann Moritz dafür prädestiniert, in den bilateralen Beziehungen als Ansprechpartner, Informant und Mittlerinstanz zu wirken. Befördert wurde dieser Sachverhalt durch die Tatsache, dass der Nassauer als Statthalter in Kleve residierte, also im Grenzraum zu den Niederlanden. Kleve und Johann Moritz bildeten somit zeitweise gewissermaßen den Integrationspunkt in den außenpolitischen Beziehungen zwischen Den Haag und Berlin. Gleichwohl lässt sich nachweisen, dass infolge seiner doppelten Rolle sowohl auf niederländischer als auch auf kurbrandenburgischer Seite mitunter Vorbehalte gegen seine Person geäußert wurden, die verhinderten, dass er intensiver in die Gestaltung der Außenpolitik beider Mächte einbezogen wurde. 2. Johann Moritz zählte zu den Wegbereitern der niederländisch-kurbrandenburgischen Allianzen von 1655, 1666 und 1672. Zwar gehörte er in den drei genannten Fällen nicht zu den Bevollmächtigten, welche die Bündnisse schließlich unterzeichneten, doch war er jeweils im Vorfeld maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt. 3. Von zentraler Bedeutung für das politische Wirken Johann Moritz’ zwischen Den Haag, Kleve und Berlin waren seine Verbindungen zum Haus Nassau-Oranien, wobei die Qualität der niederländisch-kurbrandenburgischen Beziehungen im hier behandelten Zeitraum maßgeblich von der jeweiligen Stellung des Prinzen von Oranien in der niederländischen Republik abhing. Dies berührte gleichwohl nicht nur die inneren Verhältnisse der Vereinigten Provinzen; auch die europäische Mächtepolitik war von der Frage betroffen, ob und in welchem Maße die Regentenkreise um de Witt oranische Einflüsse auf den politischen Kurs der Generalstaaten zuließen. 4. Phasenweise gelang es Johann Moritz, in verbindender, scharnierartiger Weise zu einer Ausbalancierung der Interessen in dem Kräftedreieck Generalstaaten – Haus Nassau-Oranien – Kurbrandenburg beizutragen. Die beschriebenen Hochzeitsfeierlichkeiten von 1659 sind ein anschauliches Beispiel für diesen Sachverhalt. Sie zeigen eindrucksvoll, dass der Nassauer im Falle günstiger politischer Konstellationen durch seine Integrationskraft und sein persönliches Prestige in der Lage war, Weichen für die Herstellung respektive Bewahrung einvernehmlicher Beziehungen zwischen den Generalstaaten, Kurbrandenburg und dem Haus Nassau-Oranien zu stellen.

„…vndt keine favoritten ahn Euerem hoffe haltet“: Zur Stellung Ottos von Schwerin im Regierungssystem des Großen Kurfürsten Die brandenburg-preußische Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts war und ist zweifellos ein beliebter Untersuchungsgegenstand im Rahmen der Erforschung der frühmodernen Staatsbildung; der „Fall Preußen“ besaß für die Forschung sogar lange Jahre paradigmatischen Charakter1 und hat augenscheinlich, wie das „Preußen-Jahr“ 2001 zeigt, gegenwärtig nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Großes Interesse wird in diesem Kontext seit jeher den gewissermaßen personalen Komponenten des Staatsbildungsprozesses entgegengebracht und hierbei insbesondere derjenigen Personengruppe, die jüngst erneut ins Zentrum der Forschung gerückt ist und im Sinne Wolfgang Reinhards als Machtelite bezeichnet werden kann2. So können Untersuchungen zum politischen Wirken der bedeutendsten Persönlichkeiten im Umkreis des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg auf eine lange Forschungstradition zurückblicken. Spätestens seit der Darstellung Bernhard Erdmannsdörffers der kurbrandenburgischen Jahre des Grafen Georg Friedrich von Waldeck und dem darin erhobenen Postulat, den Anteil führender Mitarbeiter Friedrich Wilhelms an der von ihm geleiteten Politik herauszuarbeiten3, hat die Frage nach deren Stellung im Regierungssystem des Großen Kurfürsten und nach dem wechselseitigen Verhältnis des Hohenzollernherrschers zu seinen Beratern breiten Raum innerhalb der preußischen Forschung eingenommen. Zum einen richtete sich das Augenmerk hierbei frühzeitig auf diejenigen Persönlichkeiten, die in bestimmten Phasen der fast ein halbes Jahrhundert währenden Regierungszeit Friedrich Wilhelms Ämter und Kompetenzen erlangten, die sie phasenweise zum wichtigsten Berater des Herrschers avancieren ließen4; zum anderen ent-

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Wolfgang Neugebauer, Zur Staatsbildung Brandenburg-Preußens. Thesen zu einem historischen Typus, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 49 (1998), S. 183 – 194, hier S. 183. 2 Vgl. Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 17. 3 Bernhard Erdmannsdörffer, Graf Georg Friedrich von Waldeck. Ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1869, S. IX. 4 Vgl. neben Erdmannsdörffer, Waldeck (wie Anm. 3) insbesondere Karl Spannagel, Konrad von Burgsdorff. Ein brandenburgischer Kriegs- und Staatsmann aus der Zeit der Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern, 5; 3. Reihe: Einzelschriften, 3), Berlin 1903.

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standen vergleichende Darstellungen zu Personengruppen, die dem engen Kreis der wichtigsten Berater und Militärs des Großen Kurfürsten zuzurechnen sind5. Freilich dauerte es bis 1929, ehe eine Gesamtbiographie desjenigen Mitarbeiters des Kurfürsten vorlag, der von etwa 1658 bis zu seinem Tod im Jahre 1679 eine Stellung innerhalb der politischen Entscheidungsprozesse am brandenburgischen Hof einnahm, die es insgesamt gesehen als gerechtfertigt erscheinen lässt, ihn als führenden Vertrauten und Berater Friedrich Wilhelms zu bezeichnen: Die Rede ist von Otto von Schwerin und der Darstellung seines Lebens und politischen Wirkens aus der Feder Max Heins6. Auch wenn diese Biographie, wie im übrigen auch die zuvor genannten älteren biographischen Darstellungen, bezüglich ihrer Fragestellung und ihres methodischen Vorgehens als veraltet gelten muss, so liefert sie doch einen soliden Grundstock für weiterführende Forschungen, zumal sie sich wohltuend von der gerade in den älteren biographisch angelegten Untersuchungen borussischer Schule anzutreffenden Tendenz absetzt, sich entweder in einem Lobgesang auf den Herrscher im Spiegel seiner Getreuen zu erschöpfen oder angestrengt nachzuweisen, dass das Wirken der jeweils behandelten Persönlichkeit im Sinne der These Droysens von „Preußens deutschem Beruf“ verlief. Das Leben und das politische Wirken Schwerins können als vergleichsweise gut erforscht gelten. Ausgehend von der Darstellung Heins hat die neuere Forschung ein differenziertes Bild der jahrzehntelangen Dienste Schwerins am brandenburgischen Hof gezeichnet7. Zweifellos vorhandene Forschungslücken sind nicht leicht zu schließen, da der heute im Bundesarchiv Koblenz und im polnischen Staatsarchiv Allenstein aufbewahrte Nachlass Schwerins8 von den erheblichen Verlusten des Graf Schwerinschen Familien- und Gutsarchivs zu Wildenhoff geprägt ist. Somit haben nach wie vor ältere Darstellungen, die noch den vollständigen Nachlass benutzen konnten9, einen nicht zu unterschätzenden Wert für die Forschung. 5 Jüngstes Beispiel: Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft, 8), Köln/Weimar/Wien 2001. 6 Max Hein, Otto von Schwerin. Der Oberpräsident des Großen Kurfürsten, Königsberg i. Pr. 1929; vgl. ferner Ferdinand Hirsch, Otto v. Schwerin, in: Historische Zeitschrift 71 (1893), S. 193 – 259; ders., Artikel „Otto von Schwerin“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35, ND Berlin 1971, S. 754 – 763 (mit Verzeichnis der älteren Literatur); Max Hein, Otto von Schwerin 1616 – 1679, in: Walter Menn (Bearb.), Pommersche Lebensbilder, Bd. 4, Köln/ Graz 1966, S. 9 – 20; Bruno Schumacher, Artikel „Otto von Schwerin“, in: Altpreußische Biographie, hrsg. von Christian Krollmann (†), fortgesetzt von Kurt Forstreuter und Fritz Gause, Bd. 2, Marburg/Lahn 1967, S. 657 f. 7 Vgl. z. B. Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, insbesondere Bd. 1, S. 126 ff. 8 Bundesarchiv Koblenz, N 1063: Nachlass Freiherr Otto von Schwerin. Ebd. finden sich Fotokopien der Nachlassteile aus dem polnischen Staatsarchiv Olsztyn (Allenstein). 9 Vgl. insbesondere Leopold von Orlich, Geschichte des Preußischen Staates im siebzehnten Jahrhundert; mit besonderer Beziehung auf das Leben Friedrich Wilhelm’s des Gro-

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Die ältere und neuere Historiographie hat Schwerin nahezu einstimmig positiv beurteilt. Respekt vor seinen politischen Fähigkeiten und seiner Arbeitsleistung, mitunter sogar unverhohlene Sympathie angesichts seiner Charaktereigenschaften und Persönlichkeit prägen die Darstellungen, die sich mit ihm auseinandersetzen. Die kritischen Töne, die seitens einiger Autoren der preußisch-kleindeutschen Schule vorgebracht wurden und zum Teil auch in der ausländischen Forschung Widerhall fanden10, bilden eher die Ausnahme. Uneinigkeit besteht in der bisherigen Forschung jedoch hinsichtlich der Frage, wie die Position Schwerins im Regierungssystem Kurfürst Friedrich Wilhelms begrifflich zu fassen und zu bewerten ist, ob sie beispielsweise adäquat mit dem Begriff „Favoritentum“ charakterisiert werden kann. Die Kennzeichnung seines Verhältnisses zum Herrscher als Favoritenstellung11 findet sich in jüngeren Darstellungen ebenso wie die strikte Zurückweisung der Annahme, am Hof des Großen Kurfürsten habe es Favoriten oder gar Günstlingswirtschaft gegeben12. Vertreter der zweiten Auffassung können insbesondere auf die Tatsache zurückgreifen, dass eine diesbezügliche programmatische Äußerung Friedrich Wilhelms überliefert ist. In seinem sogenannten Politischen Testament von 1667 weist er seinen präsumtiven Nachfolger, Kurprinz Karl Emil, wie folgt an: „Nur huttet Euch, das Ihr einen diener alleine nicht zu groß machet, vndt Ihme alle autoritet alleine lasset, Sonderen allen so Euch redlich dienen gleiches vertrauen zutraget, vndt gleich gebrauchet, vndt keine favoritten ahn Euerem hoffe haltet, den solche leutte entziehen den herrn Ihre Ehre, die Ihnen alleine gebuhret, bringen Ihn in verachtung, steigen entlich auch dem herrn selbsten vber das haubt, Ich hoffe nicht das Ihr deren leutte vmb Euch dulden oder leiden wer-

ßen Kurfürsten, 3 Bde., Berlin 1838 – 1839; zahlreiche Urkunden aus dem ehemaligen Wildenhoffer Familienarchiv in: L[ouis] Gollmert/Wilhelm Graf von Schwerin/Leonhard Graf von Schwerin (Hrsg.), Geschichte des Geschlechts von Schwerin, Theil 3: Urkundenbuch, Berlin 1878. 10 Vgl. Martin Philippson, Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 3 Bde., Berlin 1897 – 1903, hier Bd. 1, S. 382; Hermann von Petersdorff, Der Grosse Kurfürst, Neuausgabe, Leipzig 1939, S. 86; Albert Waddington, Le Grand Electeur Frédéric Guillaume de Brandebourg. Sa politique extérieure 1640 – 1688, 2 Bde., Paris 1905 – 1908, hier Bd. 1, S. 217. 11 Vgl. Peter-Michael Hahn, Calvinismus und Staatsbildung: Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Meinrad Schaab (Hrsg.), Territorialstaat und Calvinismus (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg: Reihe B, Forschungen, 127), Stuttgart 1993, S. 239 – 269, hier S. 258. 12 Peter Baumgart, Der Große Kurfürst. Staatsdenken und Staatsarbeit eines europäischen Dynasten, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 33 – 57, hier S. 53; Markus Völkel, The Margravate of Brandenburg and the Kingdom of Prussia. The Hohenzollern Court 1535 – 1740, in: John Adamson (Hrsg.), The Princely Courts of Europe. Ritual, Politics and Culture under the Ancien Régime 1500 – 1750, London 1999, S. 211 – 229, hier S. 219.

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det, den es Euch nur verachtung, kleinerung, schaden vndt grosses nachteill verursachen wirdt“13. In der Tat ist dem Großen Kurfürsten langfristig keiner seiner Räte „vber das haubt“ gestiegen; Burgsdorff, der enge Vertraute der frühen Regierungsjahre, wurde gegen Ende seines Lebens ebenso entmachtet wie Waldeck, der phasenweise eine führende Stellung im Umkreis Friedrich Wilhelms eingenommen hatte und dem bezeichnenderweise das Streben „de vouloir gouverner absolument“14 vorgeworfen wurde. Anders verhielt es sich mit Schwerin. Er blieb bis zu seinem Tod, fast vier Jahrzehnte lang, in kurbrandenburgischen Diensten und ist somit ein hervorstechendes Beispiel dafür, dass es der Große Kurfürst verstand, wichtige Berater langfristig an sich zu binden. Sein politisches Wirken fiel in eine Phase der frühneuzeitlichen Geschichte Brandenburg-Preußens, in welcher der allmähliche Übergang hin zu bürokratisierten Formen der politischen Willensbildung erfolgte und in der sowohl institutionell als auch personell Handlungsspielräume für den Herrscher bestanden, die vormals durch ständische Einschränkungen noch nicht gegeben waren15. Wie füllte der Kurfürst diesen Entfaltungsspielraum in personeller Hinsicht aus? Welche Faktoren waren ausschlaggebend dafür, dass Schwerin zum engsten Vertrauten Friedrich Wilhelms wurde? Wie gelang es ihm, sich in dieser Position langfristig zu behaupten? Zunächst, vor der Behandlung dieser Fragen, gilt es jedoch, den Blick auf seine wichtigsten Lebensstationen zu richten. I. Otto von Schwerin wurde am 18. März 1616 als zweiter Sohn des pommerschen Landrates und Amthauptmanns zu Uckermünde und Torgelow Otto von Schwerin (1586 – 1650) auf dem Gut Wittstock bei Greifenhagen im Herzogtum Pommern geboren16. Um 1632 kam er nach Stettin und besuchte die dortige Ratsschule sowie das Pädagogium, dann 1634 – 1637 die pommersche Landesuniversität Greifswald, wo er klassische und theologische Studien betrieb17, und schließlich 1637 die Universität Königsberg in Preußen. Auch trat er zu dieser Zeit vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis über und nahm somit diejenige Konfession an, der auch das brandenburgische Herrscherhaus angehörte. 13 Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 186. 14 Vgl. Susject de la dispute de Mons[ieur] le Baron Suerin avec moy [i. e. Waldeck]; Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 7, S. 332. 15 Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 345. 16 Die folgenden Angaben im Wesentlichen nach Hein, Schwerin (1929) (wie Anm. 6), und Bahl, Hof (wie Anm. 5), S. 584 f. 17 Hirsch, Artikel „Schwerin“ (wie Anm. 6), S. 754.

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In Königsberg gelangte Schwerin, dessen Vater nach dem Tod des letzten Greifenherzogs Bogislaw XIV. im Streit um dessen Erbe als Parteigänger Kurbrandenburgs gegen die schwedischen Besatzer auftrat, in die Dienste des brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm, und zwar zunächst 1638 als Kammerjunker der Kurfürstin. In den Jahren 1638 bis 1640 unternahm er eine standestypische Kavalierstour, die ihn in die Niederlande, nach England und Frankreich führte. Nach seiner Rückkehr setzte er seine Tätigkeit in kurbrandenburgischen Diensten fort. Inzwischen regierte der Sohn Kurfürst Georg Wilhelms, Friedrich Wilhelm, der Schwerin 1641 zunächst zum Hof- und Kammergerichtsrat ernannte und ihn schon bald mit kleineren diplomatischen Sendungen beauftragte. Dies war der Ausgangspunkt für Schwerins steilen Aufstieg in Diensten des neuen Herrschers. Schrittweise wurden seine Aufgabengebiete erweitert. 1645 erfolgte seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat, 1646 wurde er Lehnsrat und Hofmeister, bald Oberhofmeister der Kurfürstin Louise Henriette. Weitere Ämter und Aufgaben folgten: Schwerin wurde Oberpostdirektor (1652), Kammerdirektor (um 1654), Erbkämmerer der Kur und Mark Brandenburg (1654), interimistischer Kanzler (1657), Oberpräsident des Geheimen Rates (1658) sowie Hofmeister der kurfürstlichen Söhne Karl Emil (1662 – 1673), Friedrich (1665 – 1676) und Ludwig (seit 1673). Früh erhielt Schwerin Anerkennungen für seine Dienste: 1648 erhob ihn Kaiser Ferdinand III. in den Reichsfreiherrenstand, und 1654 ernannte ihn der Kurfürst, wie bereits erwähnt, zum Erbkämmerer der Kur und Mark Brandenburg; im November 1657 verlieh ihm der polnische König Johann II. Casimir das Indigenat in Polen; 1661 wurde er Dompropst zu Brandenburg an der Havel. Zudem verstand es Schwerin, seine Stellung in kurbrandenburgischen Diensten zu nutzen, um ein beachtliches Vermögen und Grundbesitz zu erwerben. Schwerin war dreimal verheiratet18; von seinen zahlreichen Kindern wird noch die Rede sein. Er starb nach längerer Krankheit am 14. November 1679 in Cölln an der Spree. II. Die maßgebliche Rolle, die Otto von Schwerin in der Politik Brandenburg-Preußens der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu spielen vermochte, liegt zuvorderst in dem Vertrauensverhältnis begründet, das sich zwischen ihm und seinem vier Jahre jüngeren Dienstherren entwickelte und das trotz Phasen persönlicher wie politischer Differenzen bis zu seinem Tod fortwährte. Der gebürtige Pommer war dem damaligen Kurprinzen Friedrich Wilhelm bereits in Jugendjahren in Stettin begegnet. Als 18 Erste Ehe 1642 mit Elisabeth Sophie von Schlabrendorff (1620 – 1656); zweite Ehe 1656 mit Helena Dorothea (1620 – 1677), geborene von Kreytzen, Witwe des Freiherrn Fabian Truchsess von Waldburg; dritte Ehe 1679 mit der ebenfalls verwitweten Dorothea von Schlieben (gestorben 1692), geborenen von Flemming.

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ersten markanten Beweis der persönlichen Vertrauensstellung, die er bei dem noch jungen Herrscher erlangte, wird man die Tatsache werten können, dass er wenige Tage nach der Vermählung Friedrich Wilhelms mit der Oranierprinzessin Louise Henriette im Dezember 1646 zum Hofmeister der neuen Kurfürstin ernannt wurde. In den folgenden zwei Jahrzehnten, bis zu ihrem Tod 1667, war er ihr unentbehrlicher Berater und Sachwalter ihrer Interessen; die erhaltenen eigenhändigen Briefe der Kurfürstin liefern hierfür eindrucksvolle Belege19. Dass Schwerin 1662 mit der Erziehung des Kurprinzen20, später auch der anderen kurfürstlichen Prinzen betraut wurde, ist ein weiterer augenfälliger Beleg des besonderen Vertrauens des Kurfürstenpaares. Die Hofmeisterstelle implizierte, dass er sich im Regelfall nahezu ständig in der Nähe des Herrschers befand und somit faktisch stets die Möglichkeit hatte, in persönlichen Kontakt mit seinem Dienstherren zu treten. Zugleich bedeutete diese Aufgabe, die er neben seinen übrigen Ämtern erfüllen musste, eine erhebliche Zunahme seiner Arbeitsbelastung, die ohnehin oftmals über die Grenzen des Machbaren hinausging. Über das persönliche Verhältnis Schwerins zum Kurfürsten ist viel geschrieben worden. In dieser Frage kann die Forschung auf eine gute Quellenlage zurückgreifen, denn zahlreiche eigenhändige Schreiben Friedrich Wilhelms sind ediert21. Grundsätzlich wird man die Qualität ihrer Beziehung mit der Trias Ratgeber – Diener – Freund umschreiben können, wie dies schon in älteren Darstellungen zu finden ist22. Dies bringt zum einen die Tatsache zum Ausdruck, dass ihr Verhältnis nicht anhand einer strikt getrennten Betrachtung von dienstlichen und privaten Belangen charakterisiert werden kann. Zum anderen liefert diese Deutung den Ansatzpunkt für eine Erklärung des Sachverhalts, dass sich eine jahrzehntelange Zusammenarbeit ergeben konnte: Selbst in den Zeiten, in denen erhebliche politische Meinungsverschiedenheiten zwischen Schwerin und Friedrich Wilhelm bestanden und andere Räte des Kurfürsten in den Vordergrund drängten, behauptete sich immer noch ihre persönliche Verbundenheit. Ohne bereits jetzt auf die nachfolgend behandelte besondere Rolle Schwerins in der alltäglichen politischen Arbeit am brandenburgischen Hof und auf seine Fähigkeit zur Behauptung dieser Stellung näher einzugehen, wird man bereits an dieser 19 Text der Briefe bei Orlich, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 422 – 478; vgl. dazu die Korrekturen von Ferdinand Hirsch, Die Briefe der Kurfürstin Luise Henriette von Brandenburg an den Oberpräsidenten Otto v. Schwerin, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 8 (1895), S. 173 – 206. 20 Text der Bestallung vom 12.[/22.]8.1662 bei Orlich, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 352 – 360; vgl. Ferdinand Hirsch, Die Erziehung der älteren Söhne des Großen Kurfürsten, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 7 (1894), S. 141 – 171. Schwerin führte ein Tagebuch über die Erziehung der kurfürstlichen Prinzen; es ist auszugsweise gedruckt bei Orlich, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 573 – 636. 21 UA (wie Anm. 14), Bd. 8, S. 737 – 743, Bd. 9, S. 824 – 864, Bd. 12, S. 919 – 952 und Bd. 18, S. 783 – 843. 22 Hirsch, Erziehung (wie Anm. 20), S. 142.

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Stelle resümieren können, dass die Art und Weise, wie Schwerin sein Verhältnis zum Kurfürsten auffasste und in der politischen Arbeit umsetzte, ganz entscheidend dafür verantwortlich war, dass es politisch wie menschlich nicht zu einem Bruch in ihren Beziehungen kam und dass sich langfristig ein enges Zusammenwirken etablieren konnte: Schwerin blieb bei aller sachlichen und inhaltlichen Kritik stets loyaler Diener und Ausführer der Weisungen seines Dienstherren. Nie missbrauchte er seine freundschaftlichen Beziehungen zu Friedrich Wilhelm zu persönlichen Zwecken; nie trachtete er danach, den Kurfürsten zu beherrschen oder seinen Einfluss zur Durchsetzung von persönlichen Überzeugungen und Interessen zu instrumentalisieren, die dem Willen und den Zielen des Herrschers erkennbar zuwiderliefen. Vielmehr erwies sich seine unbedingte Treue, die zu Recht als sein innerster Wesenskern beschrieben worden ist23, zugleich auch als Grundstein für die wichtige Rolle, die ihm Friedrich Wilhelm in der Politik des Hohenzollernstaates zugestand. Hinzu kamen positive Charaktereigenschaften, die ihn nicht nur in den Augen des Kurfürsten als menschlich sympathisch und vertrauenswürdig erscheinen ließen, sondern ihn gleichzeitig auch in politischer Hinsicht vielseitig einsetzbar machten und gerade für schwierige Missionen prädestinierten. Die bisherige Forschung hat diese Charakterzüge immer wieder wortreich herausgestellt. Hervorgehoben wurden mit Recht Schwerins Fleiß, Bildung, Frömmigkeit24 und geistige Selbstständigkeit, gepaart mit großer Arbeitskraft und Verstandesschärfe, seine Loyalität, Treue, Ergebenheit, Bescheidenheit und Verlässlichkeit, sowie seine Konzilianz, Versöhnlichkeit und Gewandtheit, die ihn nicht zuletzt dazu befähigten, als Diplomat, Unterhändler und Höfling taktvoll die Temperamentsausbrüche seines mitunter unbeherrschten Dienstherren auszugleichen. Zugleich war Schwerin jedoch sensibel, leicht zu kränken und verletzlich. Er neigte dazu, sich persönlichen Angriffen seiner Rivalen am Hof ausgesetzt zu sehen, und es bedurfte immer wieder Versicherungen der Gunst Friedrich Wilhelms, um ihn zu bestärken. Dass dies jedoch nur bis zu einem gewissen Grade Ausdruck seiner gerade von der älteren Forschung hervorgehobenen großen persönlichen Empfindlichkeit war25 und dass sich hierin vielmehr besonders markant die Eigentümlichkeit seiner herausgehobenen, gleichwohl nicht unangefochtenen Stellung unter den Mitarbeitern des Kurfürsten manifestierte, wird noch zu zeigen sein.

23 Toni Saring, Luise Henriette von Oranien. Die Gemahlin des Großen Kurfürsten, 2. Aufl., Göttingen 1941, S. 71. 24 Schwerin verfasste Gebete und geistliche Lieder; sie sind gedruckt bei Orlich, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 379 – 410; vgl. Karl Ulrich Niedlich, Otto von Schwerin. Ein christlicher Staatsmann des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Berlin-brandenburgische Kirchengeschichte 47 (1972), S. 55 – 63. 25 Vgl. Petersdorff, Kurfürst (wie Anm. 10), S. 85.

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III. In einem eigenhändigen Brief vom 16. Januar 1662 schrieb Kurfürst Friedrich Wilhelm seinem abwesenden Oberpräsidenten: „Ich wolte wunschen, das Ihr zwene leiber itzo hettet, damitt der eine bey mir vnd der ander in Preussen sein mochte“26. Vordergründig wird man diesen aussagekräftigen, fast einem Hilferuf gleichenden Wunsch des Kurfürsten als Ausdruck der konkreten Lage zu Beginn des Jahres 1662 deuten können. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass Schwerin in Königsberg Verhandlungen mit den preußischen Ständen führte und somit nicht in Berlin zur Verfügung stand. Das Diktum Friedrich Wilhelms spiegelt jedoch zugleich einen grundsätzlichen Sachverhalt wider. Gemeint ist die Tatsache, dass Schwerin im Laufe seiner zu diesem Zeitpunkt bereits über zwei Jahrzehnte andauernden Tätigkeit für den Hohenzollernstaat eine Stellung erlangt hatte, die seine Beteiligung an der Gestaltung der Politik, am alltäglichen Geschäftsablauf am brandenburgischen Hof, als nahezu unverzichtbar erscheinen ließ. Ein Grund für seinen Aufstieg, das persönliche Vertrauensverhältnis zum Herrscher, wurde bereits angesprochen. Ein weiterer, ohne den überdies die Art und Weise, wie sich dieses Vertrauensverhältnis gestaltete, nicht denkbar ist, war die sich auf nahezu alle Bereiche des staatlichen Lebens erstreckende Kompetenz, die sich Schwerin im Laufe seines Lebens erwarb und die ihn, einem Passepartout gleichend, universal einsetzbar machte. Dem Kurfürsten war dies zweifelsohne frühzeitig bewusst. Schon die unter der Ägide Waldecks erfolgte Neuordnung des Geheimen Rates im Jahre 1651 hatte dem insofern Rechnung getragen, als Schwerin Direktor in vier Expeditionen oder Kommissionen wurde und zudem noch in vier weiteren mitarbeitete27. Deutlichster Ausdruck der Tatsache, dass der Kurfürst gewillt war, nach dem Übertritt Waldecks in schwedische Dienste Schwerins bis dahin geleistete Dienste zu würdigen und ihn mit einem Amt zu betrauen, das seine zutage getretenen Fähigkeiten und seine Arbeitskraft bestmöglich nutzbar machte, war jedoch die Ernennung des Pommern zum Oberpräsidenten des Geheimen Rates am 9. September 165828. Dass sich Friedrich Wilhelm genötigt sah, nur wenige Jahre nach der Neuordnung des Geheimen Rates von 1651 erneut mit einer Umgestaltung auf die zunehmenden Anforderungen zu reagieren, die sich seiner Regierung in administrativer Hinsicht stellten, lässt sich mit guten Gründen als Eingeständnis des Scheiterns der früheren Reformversuche auffassen. Die Bestallungsurkunde Schwerins zum Oberpräsidenten macht aus den Defiziten der bisherigen Regierungspraxis keinen Hehl. Schon 26

UA (wie Anm. 14), Bd. 9, S. 835. Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zu der Neuordnung im Jahre 1651. Eine behördengeschichtliche Studie (Berliner Studien zur neueren Geschichte, 1), Würzburg 1937, S. 106 f. 28 Text der Bestallung bei S[iegfried] Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart, Bd. 2: Das Beamtentum im 17. Jahrhundert, Berlin 1878, ND Aalen 1962, S. 362 – 365. 27

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seit langer Zeit habe er, Friedrich Wilhelm, so heißt es dort, „wahrgenommen, daß in mangelung eines gewissen Directorii, und davon dependirenden gueten Ordnungen, […] sich allerhand confusion ereuget, viele sachen unerörtert beliegen blieben, und dahero darüber clage zu führen, ursache entstanden, Weßwegen wir veranlasset worden, unsern Estat etwas besser zu fassen“. Schwerin werde daher „zu einem Obristen Praesidenten unseres geheimbten Raths, und alle in unseren sämmetlichen Landen vorgehenden Estats-Justicien, Lehnsachen und verrichtungen, bestellet, […] dergestalt, daß er nicht allein im geheimbten Rahte, daß directorium führen, sondern auch die sorge tragen soll, daß die auß andern Collegiis dieser und anderer unserer Lande, wie auch außwendig einkommende sachen, so fort unter den Rähten vertheilet, die Rahtgänge darauf zu rechter Zeit angesetzet, die sachen vorgetragen, und ohne seumnüß expediret“ werden. Ausdrücklich wurde ferner festgelegt, dass der Kurfürst diese „charge für die höchste allezeit an unserm Hofe achten“ werde; Schwerin erhielt die Präzedenz vor dem Feldmarschall und Oberkämmerer und musste „niemanden alß Reichsgraffen weichen“29. Zur Bewertung der damaligen Stellung Schwerins ist es zunächst erforderlich, die Arbeitsweise und personelle Zusammensetzung des Geheimen Ratskollegiums kurz darzustellen30. Der Geheime Rat, gegründet 1604, hatte sich bereits zum Zeitpunkt der Ernennung Schwerins zum Oberpräsidenten von einem obersten brandenburgischen Landeskollegium hin zu einer Zentralbehörde entwickelt, die für alle Territorien Kurbrandenburgs zuständig war. Die Tagungen des Kollegiums fanden mehrfach wöchentlich im kurfürstlichen Schloss zu Cölln an der Spree statt. Teilnehmer waren in der Regel der Kurfürst und eine wechselnde Anzahl von Räten. Schwerin war, dies zeigt ein Blick auf die Personalpolitik Friedrich Wilhelms, in mehrfacher Hinsicht ein typischer Geheimer Rat des Kurfürsten. Denn der Hohenzoller rekrutierte gezielt reformierte, bevorzugt adlige und oftmals nicht aus der Mark Brandenburg stammende Persönlichkeiten für den Geheimen Rat31. So umfassend die Zuständigkeiten des Geheimen Rates waren, so zahlreich waren folglich auch die Themen, mit denen Schwerin tagtäglich in Berührung kam. Auf das Ganze der Regierungszeit Friedrich Wilhelms gesehen, war er sicherlich derjenige, der am häufigsten in den Ratssitzungen Tagesordnungspunkte referierte und dann, entsprechend der obligatorischen Vorgehensweise, einen weiterführenden Vorschlag zur ferneren Behandlung des jeweiligen Sachverhalts anschloss32. Das Oberpräsiden-

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Die Zitate nach ebd., S. 362 ff. Zum Folgenden grundlegend Oestreich, Rat (wie Anm. 27). 31 Vgl. jüngst Bahl, Hof (wie Anm. 5), hier zusammenfassend S. 353 – 357. 32 Die Protokolle der Sitzungen des Geheimen Rates während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms sind nur unvollständig ediert (bis 1666): Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1 posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 41, 54, 55, 66, 80, 89 und 91), Leipzig 1889 – 1919; vgl. für die Zeit des politischen Wirkens Schwerins in brandenburgischen Diensten darüber hinaus die Proto30

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tenamt war für Schwerin keineswegs nur eine Art Koordinationsmedium für den Geheimen Rat. Es erforderte vielmehr intensive inhaltliche Arbeit, die seine Sachkenntnis und Fähigkeiten voll in Anspruch nahm und ihm zugleich neue Kompetenz, Einblicke und zusätzliches Detailwissen verschaffte. Mit der dem gesamten Kollegium innewohnenden Tendenz zur Überlastung ging jedoch nahezu unausweichlich auch eine Überforderung des Oberpräsidenten einher. Dass dies mittel- und langfristig Probleme aufwerfen musste, zeigte sich nur allzu schnell. 1663 verfügte der Kurfürst daher auf Ansuchen Schwerins hin eine erneute Modifizierung der Geschäftsordnung, die den Oberpräsidenten, der zudem die Erziehung des Kurprinzen übernommen hatte, entlasten sollte33. An der chronischen Überhäufung Schwerins mit Aufgaben unterschiedlichster Natur änderte sich jedoch langfristig nichts. Mitentscheidend hierfür war, dass Schwerin nicht nur in die Arbeit des Geheimen Rates eingebunden war, sondern immer wieder vom Kurfürsten mit Sonderaufgaben bedacht wurde. Ein Bereich, dem die bisherige Forschung besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, sei hier kurz angeführt: sein Wirken als Vertreter des Kurfürsten in den Verhandlungen mit den Ständen. Für die in diesem Beitrag behandelte Frage nach den Interaktionen zwischen dem Herrscher und seinen führenden Beratern kommt der Tatsache, dass man Schwerin sicherlich als den Ständepolitiker Kurfürst Friedrich Wilhelms bezeichnen kann, besondere Bedeutung zu. Insbesondere seine letztlich gescheiterten Verhandlungen, die er als Landtagskommissar auf dem sogenannten langen Landtag 1661 – 1663 mit den preußischen Ständen führte, haben in der Forschung starke Beachtung gefunden34. Hervorgehoben seien hier drei Aspekte seiner Rolle als Ständepolitiker, die für die Fragestellungen, die dieser Untersuchung zugrunde liegen, von besonderem Interesse sind. Erstens: Schwerin war für die oftmals schwierigen Verhandlungen, die der Kurfürst mit den Ständen seiner Territorien zu führen hatte, in mehrfacher Hinsicht prädestiniert. Er verfügte über die notwendige fachliche Kompetenz, als Angehöriger eines alten Adelsgeschlechts und Oberpräsident über entsprechendes Ansehen und Autorität, und er brachte aufgrund seines Verhandlungsgeschicks sowie seines zum Ausgleich neigenden Charakters ideale Voraussetzungen dafür mit, die grundsätzlich kooperationsbereite, bei Bedarf jedoch auch auf Konfrontationskurs steuern-

kolle der Jahre 1668 – 1679 im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 21 – 127 Nr. 31 – 36. 33 Vgl. Meinardus, Protokolle (wie Anm. 32), Bd. 7/1, S. 128 f. 34 Vgl. z. B. Ernst Opgenoorth, Herzog Friedrich Wilhelm? Das Herzogtum Preußen unter dem Großen Kurfürsten, in: Udo Arnold (Hrsg.), Preußen und Berlin. Beziehungen zwischen Provinz und Hauptstadt (Schriftenreihe Nordost-Archiv, 22; Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung, 2), Lüneburg 1981, S. 83 – 97; Janusz Małłek, Absolutistischer Staatsstreich in Preussen 1663, in: ders., Preußen und Polen. Politik, Stände, Kirche und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Schriften der Mainzer Philosophischen-Fakultätsgesellschaft, 12), Stuttgart 1992, S. 58 – 68.

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de Ständepolitik seines Dienstherren35 erfolgreich gegenüber den Ständen zu verfechten. Zweitens: Schwerin ist zu Recht als Beispiel einer gelungenen und problemlosen Integration eines reformierten Amtsträgers in den Adel der Kurmark und Preußens genannt worden36. Dies erleichterte gewiss seine Stellung in den Ständeverhandlungen. Von großer Bedeutung ist in diesem Kontext seine, wenn man es denn so nennen will, Familienpolitik, der man eine gewisse Planmäßigkeit unterstellen kann. Schwerin hatte, wie Peter-Michael Hahn treffend formuliert hat, „das große Glück, acht erwachsene Töchter einsetzen zu können, um ein weitverzweigtes Netz verwandtschaftlicher Bindungen zu knüpfen, das vom Herzogtum Preußen bis über den Rhein reichte“37. Damit versuchte er nicht nur, seine eigene Stellung zu festigen, sondern wirkte gleichzeitig – wenn auch zum Teil erfolglos – im Sinne einer engeren Bindung der politischen und militärischen Elite der peripher gelegenen Territorien des Hohenzollernstaates an den brandenburgischen Hof38. Drittens: Der nicht zuletzt für die Frage, ob und in welchem Maße der Große Kurfürst ein absolutistischer Herrscher war39, wichtige Zusammenhang zwischen der Indienstnahme von oftmals landfremden Reformierten seitens des Landesherren und der damit einhergehenden Lösung der traditionellen Verflechtung von politischem Ständetum und Amtsträgerschaft40 ist unübersehbar. Die Laufbahn des reformierten, aus Pommern stammenden Schwerin stellt in diesem Kontext ein hervorstechendes Beispiel dar. Er selbst leistete einen nicht unerheblichen Beitrag zu dem erwähnten Loslösungsprozess, indem er im Rahmen der Personalpolitik des Kurfürsten führend am Engagement hochadliger reformierter Amtsträger beteiligt war. So erfolgte die Rekrutierung der späteren Statthalter Boguslaus Radziwiłł und Johann Georg II. von Anhalt-Dessau maßgeblich durch sein Mitwirken41. 35 Zur Ständepolitik Friedrich Wilhelms vgl. zusammenfassend Ernst Opgenoorth, ,Nervus rerum‘. Die Auseinandersetzung mit den Ständen um die Staatsfinanzierung, in: Heinrich, Licht (wie Anm. 12), S. 99 – 111. 36 Ernst Opgenoorth, Die Reformierten in Brandenburg-Preußen. Minderheit und Elite?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 439 – 459, hier S. 458. 37 Peter-Michael Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militärischen und höfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650 – 1725, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 1 (1991), S. 161 – 208, hier S. 198; vgl. ders., Calvinismus (wie Anm. 11), S. 255. 38 Vgl. Hahn, Aristokratisierung (wie Anm. 37), S. 200; ders., Calvinismus (wie Anm. 11), S. 255; Bahl, Hof (wie Anm. 5), S. 161. 39 Vgl. Johannes Arndt, Der Große Kurfürst, ein Herrscher des Absolutismus? Über die Möglichkeiten und Grenzen monokratischer Herrschaft im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (Münstersche historische Forschungen, 9), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 249 – 273. 40 Hahn, Calvinismus (wie Anm. 11), S. 256 und 267. 41 Jörg Jacoby, Boguslaus Radziwill. Der Statthalter des Großen Kurfürsten in Ostpreußen. (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, 40),

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Kommen wir noch einmal zurück zum Ausgangspunkt dieses Kapitels. Der Wunsch des Kurfürsten, Schwerin möge „zwene leiber“ besitzen, ist ganz ohne Zweifel als unverhüllter Ausdruck der Tatsache zu werten, dass sich infolge der umfassenden Kenntnisse und vielseitigen Verwendbarkeit Schwerins sowie der führenden Position, die er in der Hierarchie der kurfürstlichen Mitarbeiter einnahm, eine gewisse Unentbehrlichkeit seiner Dienste eingestellt hatte. Dies darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, er habe unangefochten an der Spitze der politischen und militärischen Elite am Hof des Großen Kurfürsten gestanden. Dass er vielmehr zeit seiner Dienste für den Hohenzollernstaat in ernsthafte Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen verwickelt war, ist im Folgenden näher auszuführen. IV. Eine Geschichte des Wirkens Schwerins in kurbrandenburgischen Diensten ließe sich als Geschichte der Konflikte schreiben, in die er immer wieder, mit wechselnder Schärfe, mit seinen Kollegen geriet. Seine in den Quellen oftmals greifbare Unsicherheit über die ihm gegenüber waltende herrscherliche Gunst oder Ungunst und sein stetes Bemühen, seine eigene Position durch den Kurfürsten absichern zu lassen, sind, wie bereits erwähnt, von der bisherigen Forschung häufig als sichtbares Zeichen seiner ausgeprägten Sensibilität gedeutet worden. Eingedenk der zu konstatierenden ständigen Machtkämpfe unter den kurfürstlichen Beratern und der von Zeit zu Zeit erfolgenden Anfechtungen der führenden Rolle Schwerins durch seine Kollegen greift der alleinige Rekurs auf seine vermeintliche Überempfindlichkeit als Erklärung seines Verhaltens sicherlich zu kurz. Vielmehr wird man zu einer Betrachtung gelangen müssen, die weniger seine charakterliche Veranlagung als vielmehr die strukturellen Probleme seiner Position unter den Mitarbeitern des Kurfürsten ins Visier nimmt. Zunächst einmal ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass er Feinde unter den wichtigsten Beratern Friedrich Wilhelms hatte. Mit Burgsdorff duellierte er sich 1651; Schwerins Stiefsohn starb in einem Duell mit dem Oberstallmeister Georg Bernhard von Pöllnitz42, mit dem Schwerin verfeindet war; ebenfalls zu heftigen Auseinandersetzungen kam es mit Waldeck43, und auch seine Beziehungen zu Johann Georg II. von Anhalt-Dessau blieben nicht spannungsfrei44. Gerade in Zeiten seiner Abwesenheit vom Hof musste Schwerin zudem den wachsenden Einfluss Friedrichs von Jena fürchten, der dann seine Position als engster Mitarbeiter des Kur2. Aufl., Marburg 1960, S. 38 f.; Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998, S. 52 – 56. 42 Vgl. Hein, Schwerin (1929) (wie Anm. 6), S. 45 f. bzw. 217; Bahl, Hof (wie Anm. 5), S. 349. 43 Vgl. insbesondere Erdmannsdörffer, Waldeck (wie Anm. 3), S. 75 ff. und 299; Hein, Schwerin (1929) (wie Anm. 6), S. 56 ff. und 65 ff. 44 Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 41), S. 156.

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fürsten einnahm45. Das Verhältnis dieser beiden engen Mitarbeiter des Kurfürsten verdeutlicht beispielhaft, dass persönliche Differenzen oftmals mit unterschiedlichen politischen Auffassungen einhergingen und demzufolge nicht selten auf politischer Ebene ausgetragen wurden46. Ein zweites Problem bestand für Schwerin darin, sich gegenüber den hochadligen Amtsträgern des Kurfürsten behaupten zu müssen. Ein wesentlicher Faktor der Personalpolitik Friedrich Wilhelms war der Versuch, mittels der Indienstnahme gesellschaftlich hochstehender, renommierter Persönlichkeiten das wachsende Prestige Brandenburg-Preußens sinnfällig zum Ausdruck zu bringen und insbesondere die personellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, die landesherrlichen Interessen in den Verhandlungen mit den Ständen durchzusetzen47. Gerade Statthalter wie Johann Moritz von Nassau-Siegen, Boguslaus Radziwiłł und Johann Georg II. von AnhaltDessau waren infolge ihrer persönlichen Reputation und herausragenden gesellschaftlichen Stellung geeignet, den Kurfürsten auf dem diplomatischen Parkett und in den Ständeverhandlungen angemessen zu repräsentieren und zudem dem brandenburgischen Hof durch ihre Anwesenheit Glanz zu verleihen. Für Schwerin hatte die Tatsache, dass er mit gesellschaftlich hochrangigen Kollegen umgeben war, konkrete Auswirkungen in der alltäglichen politischen Arbeit. Zwar war ihm in seiner Bestallung zum Oberpräsidenten, wie bereits erwähnt, die Präzedenz gegenüber den anderen Räten des Kurfürsten konzediert worden; dies galt jedoch nicht für Amtsträger reichsgräflicher oder gar reichsfürstlicher Herkunft. Von Bedeutung war dies für Schwerin insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit am brandenburgischen Hof mit Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, der sich oftmals gleichzeitig mit ihm in Berlin aufhielt. Dieser, seit 1660 regierender Reichsfürst, zudem Statthalter der Kur und Mark Brandenburg und Generalfeldmarschall, war intensiv an der Arbeit im Geheimen Rat beteiligt und votierte als der nach dem Kurfürsten ranghöchste Anwesende in der Regel als erster, wenn Friedrich Wilhelm in den Ratssitzungen Stellungnahmen seiner Räte einforderte. Bei höfischen Anlässen jedweder Art, Empfängen auswärtiger Potentaten und Diplomaten, Familienfeierlichkeiten oder anderen Festivitäten, kam dem Dessauer, Ehemann einer Prinzessin aus dem angesehenen Haus Oranien-Nassau, eine weit größere repräsentative Bedeutung zu als Schwerin48.

45 Vgl. Eilhart Eilers, Friedrich von Jena. Ein Beitrag zur politischen Geschichte des Großen Kurfürsten, Diss., Leipzig 1935, insbesondere S. 79, 85, 88 f., 95, 126 und 151. 46 Opgenoorth verweist z. B. auf die ständepolitischen Differenzen zwischen dem kompromissbereiteren Schwerin und dem ,absolutistischer‘ denkenden Jena; Opgenoorth, Nervus rerum (wie Anm. 35), S. 109. 47 Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 41), S. 54. 48 Zur Rolle Johann Georgs II. im höfischen Kontext vgl. Michael Rohrschneider, Zwischen Berlin, Wien und Dessau: Anmerkungen zum politischen Wirken Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau in höfischer Perspektive, in: Ulf Christian Ewert/Stephan Selzer (Hrsg.), Ordnungsformen des Hofes. Ergebnisse eines Forschungskolloquiums der Studienstiftung des

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Hinzu kam eine dritte Schwierigkeit, die mit Schwerins führender Rolle im Umkreis des Herrschers kollidierte: Er war kein Militär und musste somit fürchten, im Kriegsfall gegenüber den hohen Offizieren an Boden zu verlieren und seinen gewohnten Einfluss beim Kurfürsten nicht geltend machen zu können49. Immerhin sicherte ihm seine Bestallung zum Oberpräsidenten die Präzedenz gegenüber den Militärs am Hof – sofern sie nicht zumindest reichsgräflicher Herkunft waren –, was wesentlich dazu beitrug, seine Autorität und sein politisches Durchsetzungsvermögen angesichts der oftmals auftretenden Rangstreitigkeiten zwischen „Zivilisten“ und den Inhabern hoher militärischer Chargen zu festigen. Welche Strategien verfolgte Schwerin, um sich gegen diese offenkundigen Gefährdungen seiner bedeutenden Stellung im Umkreis des Herrschers zu behaupten? Zuvorderst ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass es der Oberpräsident verstand, sich unter der politischen und militärischen Elite des Hohenzollernstaates eine bedeutende Anhängerschaft zu sichern50. Freundschaft, Familienpolitik und Einflussnahme auf die Personalpolitik des Herrschers waren die Mittel, die diesbezüglich am deutlichsten zutage treten. Mit Daniel Weimann, dem frühverstorbenen Diplomaten, verband ihn eine enge Freundschaft. Sein jüngerer Bruder, Bogislaw von Schwerin, stieg bis zum Generalmajor auf51. Sein gleichnamiger Sohn Otto trat schon zu seinen Lebzeiten in kurbrandenburgische Dienste52. Seine Töchter verheiratete er bevorzugt an Militärs53. Einer seiner Schwiegersöhne war der kurbrandenburgische Diplomat und Geheime Rat Christoph Kaspar Freiherr von Blumenthal. Eine Reihe von Persönlichkeiten, die später gewichtige Rollen im Dienste Brandenburg-Preußens spielen sollten, zog er in die Dienste Friedrich Wilhelms. Hierzu zählten die bereits erwähnten Statthalter Johann Georg II. von Anhalt-Dessau und Boguslaus Radziwiłł, der gebürtige Pommer Paul von Fuchs ließe sich hinzufügen; auch Eberhard von Danckelman verdankt seinen Aufstieg am brandenburgischen Hof wesentlich der Förderung Schwerins. Zwar war damit kein langfristig enges Zusammenwirken garantiert, doch konnte Schwerin infolge seiner Vermittlungsdienste von einer ihm gegenüber zumindest kurz- und wohl auch mittelfristig wohlwollenden Haltung der Genannten ausgehen. deutschen Volkes (Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sonderheft, 2), Kiel 1997, S. 34 – 41. 49 Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 124. 50 Zum Patronagesystem Schwerins und zu konkurrierenden Familienclans vgl. Hahn, Aristokratisierung (wie Anm. 37), S. 198; vgl. ders., Calvinismus (wie Anm. 11), S. 255. 51 Bahl, Hof (wie Anm. 5), S. 583. 52 Otto von Schwerin der Jüngere (1645 – 1705); vgl. ebd., S. 585 f. 53 Vgl. Peter-Michael Hahn, Dynastische Selbstdarstellung und Militärmacht. Kriegerische Symbolik als höfische Zeichensprache in Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, 2), München 2001, S. 115 – 138, hier S. 130 f.; zu Schwerins Töchtern und Schwiegersöhnen vgl. Bahl, Hof (wie Anm. 5), S. 638 Tafel 13.

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Man wird im Fall Schwerins die Schaffung einer Hausmacht als wesentlichen Faktor der erfolgreichen Behauptung seiner führenden Position unter den Mitarbeitern des Kurfürsten bezeichnen können. Wichtiger dafür, dass der Oberpräsident nicht stürzte, war jedoch die Fähigkeit, seine Kenntnisse und seine Persönlichkeit dergestalt in seine Arbeit und seine Beziehung zum Herrscher einzubringen, dass er dessen Gunst nie dauerhaft verlor. V. Otto von Schwerin stieg in Diensten Brandenburg-Preußens von einem Kammerjunker zum persönlichen Vertrauten und wichtigsten Mitarbeiter Kurfürst Friedrich Wilhelms auf. Entscheidend dafür, dass er diese herausragende Stellung etablieren und langfristig bewahren konnte, waren sein persönliches Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherren, seine Immediatstellung zur Herrscherfamilie, seine großen Fachkenntnisse, seine Loyalität und Integrität sowie die Fähigkeit, seine bedeutende Position im Umkreis des Herrschers gegen konkurrierende Kräfte zu behaupten. Trotz seiner zweifelsohne zentralen Rolle in der kurbrandenburgischen Politik während der Regierungszeit des Großen Kurfürsten wird man ihm nur schwerlich den Status eines Favoriten zuweisen können, will man den Erkenntniswert dieses Begriffs nicht verwässern. Der Oberpräsident war mit klaren amtlichen Kompetenzen ausgestattet. Er war dagegen kein legendenumwobener Günstling, keine Machtpersönlichkeit, der man vorwerfen konnte, sie wolle über ihre Umgebung, den Herrscher eingeschlossen, herrschen. Nicht zuletzt dies trug nicht unwesentlich dazu bei, dass ihm das Schicksal anderer führender Politiker seiner Zeit erspart blieb: Schwerin wurde nicht gestürzt; er blieb bis zu seinem Tod in Diensten Kurfürst Friedrich Wilhelms. Mit Recht hat bereits Ernst Opgenoorth betont, dass der Große Kurfürst „nicht einen Premierminister [brauchte], sondern so etwas wie einen erstrangig qualifizierten Sekretär, einen Mann, dessen Geistesgaben dazu hinreichten, das ganze weitverzweigte Netz der brandenburgischen Staatstätigkeit zu überblicken, und von dessen Treue und Ergebenheit man dennoch erwarten konnte, dass er seinem Herrn nichts vorenthielt, was dieser wissen musste“54. Dies darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, Schwerins politische Leistung in kurbrandenburgischen Diensten habe sich allein in ausführender Tätigkeit erschöpft. Vielmehr war der Oberpräsident eine Persönlichkeit mit eigenständigem politischen Profil, die in führender Position die kurbrandenburgische Politik dieser Jahre mitprägte. Er war jedoch weder ein allmächtiger Minister am brandenburgischen Hof, noch strebte er nach einer de facto Herrschaft über seinen Dienstherren. Er stieg Friedrich Wilhelm nie „vber das haubt“, sondern war, um diese bildliche Ausdrucksweise aus dessen Politischem Testament

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Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 242.

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aufzugreifen und weiterzuführen, gewissermaßen die loyale rechte Hand des Herrschers, die einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Gestaltung der Politik seines Dienstherren hatte.

III. Fragen der Außen- und Reichspolitik

Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671) Die Frage, auf welche Art und Weise sich die nach Größe und politischer Bedeutung sehr unterschiedlichen Stände des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im europäischen Mächtesystem zu behaupten versuchten, ist traditionell ein bevorzugter Gegenstand der historischen Forschung zur Geschichte des Alten Reiches und seiner Außenbeziehungen1. In Abkehr von der Tendenz der älteren Historiographie zur Stigmatisierung des Reiches mit dem Prädikat der außenpolitischen Ohnmacht hat sich die neuere Forschung angesichts „der gründlichen Diskreditierung des deutschen National-, Macht- und Anstaltsstaates in den Jahren von 1933 bis 1945“2 nicht nur aus der Perspektive des Reichsganzen um eine inhaltliche Neubewertung der Rolle des Reiches in der europäischen Staatenwelt bemüht, sondern auch um ein neues Verständnis der Außenbeziehungen seiner Einzelglieder. So sind beispielsweise gerade in jüngerer Zeit die sogenannten mindermächtigen Reichsstände und ihre Anstrengungen, eine eigene Interessenpolitik zu verfolgen, verstärkt in den Blickpunkt gerückt3. Daneben ist nach wie vor das Augenmerk 1 An neueren Gesamtdarstellungen zur frühneuzeitlichen Geschichte des Alten Reiches sind zu nennen Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 4 Bde., Stuttgart 1993 – 2000; Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495 – 1806, München 1999. Nützliche Überblicke über die neuere Forschung zu den Außenbeziehungen des Reiches bieten Alfred Kohler, Das Reich im Kampf um die Hegemonie in Europa 1521 – 1648 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 6), München 1990; Heinz Duchhardt, Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648 – 1806 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 4), München 1990. 2 Helmut Neuhaus, Das Reich in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 42), München 1997, S. IX; vgl. in diesem Zusammenhang auch die grundsätzlichen Überlegungen bei Volker Press, Das Heilige Römische Reich in der deutschen Geschichte, in: ders., Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze, in Verbindung mit Stephanie Blankenhorn, Horst Carl, Gabriele Haug-Moritz und Michael Kaiser hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen, 59), 2. Aufl., Berlin 2000, S. 42 – 66. 3 Vgl. z. B. Ernst Hinrichs, Die großen Mächte… und die kleinen Mächte: Zur Stellung der kleinen niedersächsischen Staaten im europäischen Mächtesystem des 18. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 67 (1995), S. 1 – 22. Wichtig im Kontext der Frage nach der Interessenpolitik der kleinen Reichsstände ist insbesondere der Forschungskomplex Klientel und Patronage, der für das frühneuzeitliche Reich in Ansätzen von Volker Press untersucht worden ist: Volker Press, Patronat und Klientel im Heiligen Römischen Reich, in: Antoni Ma˛czak (Hrsg. unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner), Klientel-

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auf die seit jeher stark beachtete Politik der armierten, größeren Reichsstände gegenüber den europäischen Mächten gerichtet4, allerdings im Unterschied zu vielen älteren Darstellungen getragen von einer sehr viel realistischeren Einschätzung der Gestaltungsmöglichkeiten reichsständischer Außenpolitik. Eines der bekanntesten Beispiele in diesem Zusammenhang ist die Erforschung der Geschichte Brandenburg-Preußens im Zeitalter des Großen Kurfürsten. Hier ist schon vor geraumer Zeit auf die Neigung der borussischen Historiographie aufmerksam gemacht worden, der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms Handlungsspielräume zuzuweisen, die der realen Macht des Hohenzollernstaates nicht entsprachen5. Waren die kleinen und kleinsten Stände des Reiches aus der Gesamtperspektive der europäischen Mächte gesehen zweifellos eine quantité négligeable, so kam im Vergleich dazu, wie die neuere Forschung betont hat, dem Staat des Großen Kurfürsten zwar eine größere, summa summarum jedoch lediglich zweitrangige politische Bedeutung zu. Folgerichtig ist der außenpolitische Spielraum Friedrich Wilhelms als insgesamt gering eingestuft worden6. Gleichzeitig hat man jedoch zu Recht erkannt und gewürdigt, dass es dem Hohenzoller immer wieder gelungen ist – und dies macht vielleicht seine staatsmännische Größe aus –, in Reaktion auf die sich ergebenden dynastischen und territorialen Zwänge mittels einer lavierenden Politik die zwar durchweg engen, aber dennoch vorhandenen außenpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Hierbei profitierte er langfristig gesehen unter anderem von der Tatsache, dass sein Staat infolge des wachsenden militärischen Potenzials mehr und mehr auch als Bündnispartner für die Großen Mächte interessant zu werden begann. Die sich hieraus ergebenden Vorteile waren jedoch stets begleitet von unübersehbaren Gefahren und Risiken. Für den Aufstieg Brandenburg-Preußens im 17. und 18. Jahrhundert wie auch für andere größere Reichsstände in diesem Zeitraum gilt, was zuletzt Dieter Albrecht in seiner großen Biographie des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. im Hinblick auf die Lage Bayerns eindrucksvoll beschrieben hat: Das Ausgreifen eines im europäischen Maßstab zweitrangigen Staates auf weitergesteckte territoriale, dynastische oder sonstige Ziele hatte nahezu unausweichsysteme im Europa der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien, 9), München 1988, S. 19 – 46. 4 Vgl. aus jüngerer Zeit z. B. Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573 – 1651, München 1998. 5 Vgl. etwa Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, hier z. B. Bd. 1, S. 11; ders., Der Große Kurfürst, das Reich und die europäischen Mächte, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburgpreußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 19 – 31, hier S. 29. 6 Johannes Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 9 – 32, hier insbesondere S. 14 und 29; Peter Baumgart, Der Große Kurfürst. Staatsdenken und Staatsarbeit eines europäischen Dynasten, in: ebd., S. 33 – 57, hier S. 45.

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lich zur Folge, ständig in Berührung mit den Einfluss- und Interessensphären der Großmächte zu kommen und in deren Machtauseinandersetzungen verstrickt zu werden7. Die Möglichkeit – dies zeigt die lange Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms (1640 – 1688) in aller Deutlichkeit –, Konflikten in West-, Mittel- und Nordosteuropa aus dem Weg gehen zu können, war gerade angesichts der starken Streuung der Territorien des Hohenzollernstaates vom Niederrhein bis zum Herzogtum Preußen faktisch nicht gegeben: „Their geographical spread meant he [i. e. Kurfürst Friedrich Wilhelm] was inevitably drawn into both local problems and the two major European issues of the mid-seventeenth century – the rise of Bourbon France in the west and of Vasa Sweden in the north“8. Frankreich und Schweden: Dies waren in der Tat die beiden großen Herausforderungen, die sich dem Großen Kurfürsten auf außenpolitischem Terrain stellten. Dabei gilt es zu beachten, dass bis in die sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts hinein Schweden, zunächst Verbündeter, dann aber Gegner im vorangegangenen Schwedisch-Polnischen Krieg (1655 – 1660), von den Brandenburgern als Hauptbedrohung wahrgenommen wurde9. Erst gegen Mitte und Ende der sechziger Jahre, als die Expansionskraft Frankreichs mehr und mehr zutage trat, begann sich das Bild allmählich zu wandeln; tendenziell bereits seit den frühen siebziger, vollends dann in den achtziger Jahren galt es für die politischen Entscheidungsträger am Berliner Hof, die kurbrandenburgische Außenpolitik primär im Hinblick auf die durch die französische Politik vorgegebenen Erfordernisse auszurichten10. 7

Albrecht, Maximilian I. (wie Anm. 4), S. 641. Derek McKay, Small-power diplomacy in the age of Louis XIV: the foreign policy of the Great Elector during the 1660s and 1670s, in: Robert Oresko/G. C. Gibbs/H. M. Scott (Hrsg.), Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Essays in memory of Ragnhild Hatton, Cambridge 1997, S. 188 – 215, hier S. 188. Der Hinweis auf das aus der geographischen Ausdehnung und territorialen Zersplitterung resultierende Sicherheitsproblem des Hohenzollernstaates findet sich fast durchgängig in neueren Arbeiten zur Außenpolitik Brandenburg-Preußens im 17. und 18. Jahrhundert. Vgl. jüngst etwa die beiden Bonner Dissertationen über die preußische Politik in der Phase des Spanischen Erbfolgekrieges und Nordischen Krieges von Christiane Kauer, Brandenburg-Preußen und Österreich 1705 – 1711 (Philosophie und Gesellschaft, 8), Bonn 1999, hier S. 292, und Ulrich Naujokat, England und Preußen im spanischen Erbfolgekrieg (Philosophie und Gesellschaft, 9), Bonn 1999, hier S. 1. Ausführlich zum Faktor Raum als Rahmenbedingung preußischer Außenpolitik: Ulrike Müller-Weil, Absolutismus und Außenpolitik in Preußen. Ein Beitrag zur Strukturgeschichte des preußischen Absolutismus (Frankfurter Historische Abhandlungen, 34), Stuttgart 1992, S. 36 – 46. 9 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind die Ausführungen Kurfürst Friedrich Wilhelms über das Verhältnis zur Krone Schwedens in seinem sogenannten Politischen Testament von 1667; Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 179 – 204, hier S. 190. 10 Höhepunkt dieser Entwicklung war die Phase der ausdrücklich frankreichfreundlichen und gleichzeitig tendenziell kaiserfeindlichen Politik Kurbrandenburgs in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Vgl. Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst und die Annexion Straßburgs 1681, in: Studien der Erwin von Steinbach-Stiftung 5 (1984), S. 63 – 83. 8

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Die Fragen nach dem Verhältnis Kurbrandenburgs zu Schweden und Frankreich sind auch die zentralen Themen der beiden hier behandelten, vom 5.[/15.] Februar 1660 bzw. 30. November[/10. Dezember] 1671 datierenden Gutachten zur außenpolitischen Lage, die jüngst an anderer Stelle kurz angesprochen worden sind und deren Bedeutung es als gerechtfertigt erscheinen lässt11, sie im vollen Wortlaut zu edieren und somit weiterführenden Forschungen zur Verfügung zu stellen. Sie zeigen in eindrucksvoller Weise eines der Grundprobleme der kurbrandenburgischen Außenpolitik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf, das darüber hinaus auch auf andere Reichsstände übertragbar ist und unabhängig von den konkreten Einzelumständen, auf die an späterer Stelle eingegangen wird, wie folgt formuliert werden kann: Mit nur unzureichender militärischer Macht ausgestattet und unter dem Zwang stehend, in einem währenden bzw. bevorstehenden Krieg für oder wider eine Auseinandersetzung mit einer Großmacht Stellung nehmen zu müssen, kam die vorzunehmende Wahl mitunter einer Entscheidung zwischen zwei nahezu gleich großen Übeln gleich. Wählte man den Konfrontationskurs, so stand außer Frage, dass dies den eigenen Staat in existenzielle Gefahr bringen konnte, die nur mit ausreichender Unterstützung von Verbündeten zu verantworten war; vermied man eine direkte Auseinandersetzung, so musste diese Entscheidung unweigerlich Konsequenzen nach sich ziehen, die als unvereinbar mit den eigenen Interessen erschienen. In diesen schwierigen Entscheidungssituationen entschied der Große Kurfürst freilich nicht ohne vorherige Anhörung seiner Berater. Dies konnte in Form einer mündlichen Erörterung im Geheimen Ratskollegium, in Einzelgesprächen oder auch unter Hinzuziehung zuvor angeforderter schriftlicher Stellungnahmen erfolgen. Einer dieser Mitarbeiter, der zum engen Kreis der politischen Entscheidungsträger am brandenburgischen Hof zählte, war der Verfasser der beiden hier behandelten Gutachten, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau12. Der Landesherr des kleinen anhaltischen Fürstentums war bereits 1658, also noch vor dem im September 1660 erfolgten Antritt der Regierung in seinen Stammlanden, nach einem kurzen Engagement in der Armee des schwedischen Königs Karl X. Gustav in die Dienste Kurfürst Friedrich Wilhelms getreten13. Er diente dem Hohenzollernstaat als General, Statthalter der Mark Brandenburg und später auch Generalfeldmarschall bis zu seinem Tod im Jahre 1693, d. h. über den Tod seines ersten Dienstherren und langjährigen 11 Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998, S. 75 ff. und 199 – 202. 12 Zum Leben und politischen Wirken Johann Georgs II. vgl. insgesamt Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 11); vgl. auch zusammenfassend ders., Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693) – ein anhaltischer Fürst im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik, S. 63 – 83 in diesem Band. 13 Ernst Müsebeck, Der Eintritt des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau in schwedische, sein Übertritt in brandenburgische Dienste und seine Vermählung mit Henriette Katherine von Oranien, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 16 (1903), S. 477 – 515.

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Wegbegleiters hinaus bis in die Anfangsjahre Kurfürst Friedrichs III., und war eine der politisch maßgebenden Persönlichkeiten im Umfeld der beiden genannten Kurfürsten. Sein Wirken in kurbrandenburgischen Diensten wurde schon frühzeitig familiär untermauert, denn 1659 heiratete er Henriette Catharina von Nassau-Oranien14, die Schwester der brandenburgischen Kurfürstin Louise Henriette; Kurfürst Friedrich Wilhelm war damit nicht nur sein Dienstherr, sondern auch sein Schwager, Friedrich III. demzufolge sein Neffe. Das außenpolitische Profil des Dessauer Fürsten ist entscheidend durch die Tatsache gekennzeichnet, dass er ein strikter Befürworter einer kaiserfreundlich und spätestens seit den siebziger Jahren zunehmend antifranzösisch ausgerichteten Politik Kurbrandenburgs war. Dies hatte zur Folge, dass sein politischer Einfluss schwankte: War der Kurfürst auf einen prokaiserlichen politischen Kurs bedacht, dann war Johann Georg II. eine wichtige Schaltstelle in den Verhandlungen zwischen den Höfen von Wien und Berlin und dementsprechend einflussreich am brandenburgischen Hof; in den Phasen einer kurbrandenburgischen Verständigungspolitik gegenüber Frankreich war er dagegen infolge seiner allerorts bekannten kaisertreuen Haltung mitunter eine persona non grata in Berlin und mit nur geringen Möglichkeiten ausgestattet, die Politik Friedrich Wilhelms mitzubestimmen. Der Nachlass des Dessauers befand sich früher im Landesarchiv Oranienbaum des Landes Sachsen-Anhalt, in dem Schloss also, das der Fürst seit den frühen achtziger Jahren erbauen und nach der Dynastie seiner oranischen Gemahlin benennen ließ15. Das anhaltische Archiv, aus dem auch die beiden hier edierten Gutachten stammen, beherbergt wichtige Bestände zur Geschichte Brandenburg-Preußens – Johann Georg II. war der Begründer der engen Beziehungen zwischen den anhaltischen Askaniern und den brandenburgischen Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert16 –, die es noch weitgehend aufzuarbeiten gilt17.

14 Ebd., S. 496 – 515; Michael Rohrschneider, Eine anhaltisch-oranische Eheschließung und ihre Folgewirkungen: Überlegungen zu Dynastie und Politik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Beispiel Anhalt-Dessaus, in: Die Niederlande und Deutschland. Aspekte der Beziehungen zweier Länder im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von der Kulturstiftung DessauWörlitz und der Stiftung Historische Sammlungen des Hauses Oranien-Nassau (Kataloge und Schriften der Kulturstiftung DessauWörlitz, 10), Dessau 2000, S. 53 – 58. 15 Zur Geschichte des Schlosses Oranienbaum vgl. zuletzt Reinhard Alex, Stadt, Schloß und Park Oranienbaum. Ein Abriß ihrer Entstehung und Entwicklung, in: Horst Lademacher (Hrsg.), Onder den Oranje boom. Textband. Dynastie in der Republik. Das Haus OranienNassau als Vermittler niederländischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999, S. 355 – 360, 468 f.; Katharina Bechler, Henriette Catharina von Anhalt-Dessau und das Schloß Oranienbaum, ebd., S. 361 – 378, 469 – 474. 16 Man denke in diesem Zusammenhang etwa an den Sohn Johann Georgs II., Leopold I. von Anhalt-Dessau, den sogenannten Alten Dessauer. Zu seinem Leben und Wirken vgl. Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676 – 1747). „Der Alte Dessauer“. Ausstellungskatalog zum 250. Todestag, Dessau 1997.

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Von den wenigen ausführlichen Denkschriften zur außenpolitischen Lage, die der Fürst in den über drei Jahrzehnten seines vielfältigen politischen Wirkens in kurbrandenburgischen Diensten verfasst hat, sind bisher nur zwei veröffentlicht worden. Otto Meinardus hat in seiner bedeutenden, allerdings leider unvollständig gebliebenen Edition der Protokolle und Relationen des Geheimen Rates das wichtige Gutachten Johann Georgs II. vom 20. Januar 1663 abgedruckt und sich dabei ebenso positiv über die gutachterlichen Fähigkeiten und die Bedeutung des Fürsten geäußert wie später Ernst Müsebeck, der eine Denkschrift des Dessauers aus dem Jahre 1679 edierte und lobend kommentierte18. Schon vor diesem Hintergrund erscheint eine Edition weiterer Gutachten des Fürsten wünschenswert. Daneben zeigt aber auch ein Blick auf die Quellenlage, dass nach wie vor Bedarf besteht, für wichtige Momente außenpolitischer Entscheidungen des Großen Kurfürsten die jeweiligen Meinungsbildungsprozesse am brandenburgischen Hof quellenmäßig besser zu dokumentieren. Dies trifft zweifellos für die beiden nachfolgend behandelten Zeiträume zu. Für die Schlussphase des Schwedisch-Polnischen Krieges, aus der das Gutachten Johann Georgs vom 15. Februar 1660 stammt, liegen zwar die Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rates in der Edition Meinardus’ vor19, größere außenpolitische oder militärische Lageanalysen von kurbrandenburgischer Seite sind bisher allerdings noch nicht veröffentlicht worden. Auch aus der Vorphase des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678/79), in der das zweite hier behandelte Gutachten des Dessauer Fürsten entstanden ist, sind kaum Denkschriften ediert, die die am Berliner Hof ablaufenden Entscheidungsprozesse transparent machen20. Hinzu kommt leider, dass Meinardus’ Edition die frühen siebziger Jahre bereits nicht mehr erfasst; diesbezüglich ist man also darauf angewie17

Josef Hartmann, Bestände zur brandenburgisch-preußischen Gesamtstaatsgeschichte im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 2 (1992), S. 251 – 266, hier S. 264 ff. Für das Wirken Johann Georgs II. in kurbrandenburgischen Diensten ist besonders der Bestand Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b zu nennen. 18 Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1, posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 41, 54, 55, 66, 80, 89 und 91), Leipzig 1889 – 1919, hier Bd. 6, S. XXVI und 785 – 788; Ernst Müsebeck, Zur Geschichte Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau. Seine Teilnahme an den Feldzügen des Großen Kurfürsten in Pommern 1675 – 1679 und seine Denkschrift an ihn aus dem Jahre 1679, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Alterthumskunde 8 (1898 – 1901), S. 90 – 98. 19 Meinardus, Protokolle (wie Anm. 18), Bd. 6. 20 Allerdings sind in jüngerer Zeit mehrere bisher unveröffentlichte Schriftsätze des pfalzneuburgischen Gesandten Stratmann aus dem Umfeld seiner damaligen Mission am Berliner Hof veröffentlicht worden; Alexander Koller, Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jülich-bergischen Vizekanzler Stratmann. Pfalz-Neuburg, Frankreich und Brandenburg zwischen dem Frieden von Aachen und der Reichskriegserklärung an Ludwig XIV. (1668 – 1674) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 22), Münster 1995, Quellenanhang I–IV, S. 161 – 172.

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sen, die entsprechenden Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem zu konsultieren21. Die nachfolgende Edition bietet Momentaufnahmen der außenpolitischen Willensbildungsprozesse am Hofe des Großen Kurfürsten, leistet ferner einen Mosaikstein zur Klärung der nach wie vor erörterungsbedürftigen Frage nach dem konkreten Anteil, den die Mitarbeiter des Kurfürsten an der Gestaltung der Außenpolitik hatten22, und ermöglicht nicht zuletzt auch, wie zu zeigen sein wird, einen Einblick in das politische Selbstverständnis und das Selbstbild kurbrandenburgischer Außenpolitiker der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. I. Das Gutachten Johann Georgs von Anhalt-Dessau vom 5.[/15.] Februar 1660 Zu Beginn des Jahres 1660 war eine Beendigung des Schwedisch-Polnischen Krieges23, die nur wenige Monate später, am 3. Mai, mit dem Frieden von Oliva erfolgte, zwar in Sichtweite, aber noch keinesfalls gesichert. Für Schweden, den damaligen Kriegsgegner Kurbrandenburgs, bestand die Aussicht einer stärkeren Unterstützung durch seinen traditionellen Bündnispartner Frankreich, der sich mit dem Pyrenäenfrieden vom 7. November 1659 des seit 1635 währenden Krieges gegen Spanien entledigt hatte, und noch lebte der schwedische König Karl X. Gustav24, dessen Intransigenz sich als ein schwerwiegendes Hindernis für einen Friedensschluss erwiesen hatte. Für das mit dem Kaiser und Polen verbündete Kurbrandenburg galt es, die bisherigen Errungenschaften des Krieges zu sichern: zum einen die in den Verträgen von Wehlau und Bromberg im Herbst 1657 erfolgte Anerkennung der Souveränität über 21

Der Bestand Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA Rep. 21 – 127 Nr. 33 umfasst die Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rates von Januar 1670 bis Juli 1672. 22 Vgl. hierzu Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 5), S. 22 f. 23 Zum Schwedisch-Polnischen Krieg insgesamt vgl. Johannes Kunisch, Der Nordische Krieg von 1655 – 1660 als Parabel frühneuzeitlicher Staatenkonflikte, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 11), Berlin 1991, S. 9 – 42; für die kurbrandenburgische und kaiserliche Politik ist nach wie vor wichtig Eckardt Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655 – 1660. Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge nach Dänemark und Pommern (Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt. Militärgeschichtliche Studien, 10), Boppard am Rhein 1969; die einschlägige polnische Literatur findet sich verarbeitet in der Überblicksdarstellung von Bogdan Wachowiak, Die schwedisch-polnischen Konflikte und die brandenburgischen Kurfürsten im Herzogtum Preußen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 1 (1991), S. 145 – 159, hier besonders S. 152 – 157. 24 Karl X. Gustav verstarb am 23. 02. 1660. Zu seinem Leben und politischen Wirken vgl. Jörg-Peter Findeisen, Das Ringen um die Ostseeherrschaft. Schwedens Könige der Großmachtzeit, Berlin 1992, S. 191 – 207.

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das Herzogtum Preußen durch den polnischen König Johann II. Casimir; zum anderen die im Verlauf des Krieges gemachten Eroberungen in Pommern. Daneben lag es im kurbrandenburgischen Sicherheitsinteresse, einen allgemeinen, beständigen Friedensschluss zu erlangen. Gerade dies gestaltete sich zu Beginn des Jahres 1660 aus Sicht der Brandenburger als ausgesprochen schwierig, da sich Schweden intensiv darum bemühte, die Front seiner Gegner durch Separatverhandlungen zu lockern, und da insbesondere Polen infolge der Bedrohung durch Russland auf einen schnellen Frieden mit Schweden bedacht war und daher eine Inklusion Dänemarks, das seinerseits separat mit Schweden verhandelte, nicht zur Friedensbedingung machte25. Dieses Szenarium bildet den Hintergrund des vorliegenden Gutachtens Johann Georgs von Anhalt-Dessau, dessen konkreter Entstehungszusammenhang dank Meinardus’ Edition der Geheimratsprotokolle nahezu lückenlos erschließbar ist. Am kurfürstlichen Hof verhandelte zu Anfang des Jahres 1660 Petrus Graf Strozzi als Bevollmächtigter des Kaisers und des kaiserlichen Feldherren Montecuccoli. Vorrangig zielte seine Mission darauf ab, konkrete Feldzugsvorbereitungen vorzunehmen, die Haltung der Brandenburger in der Pommern-Frage zu sondieren und sich über ein gemeinsames Auftreten bei den laufenden Friedensverhandlungen in Oliva zu verständigen26. Die Verhandlungen mit Strozzi machten eine Klärung der kurbrandenburgischen Position erforderlich. Der Kurfürst bezog im Geheimen Rat klar Stellung. Im Protokoll der Sitzung vom 6. Februar heißt es: „S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] ließen Sich selbst […] vernehmen, daß Sie nicht allein zu Ihrer eigenen, sondern auch zu des Kaisers und der polnischen Landen Securität nöthig erachteten, daß Sie den Oderstrom freibekämen, damit nicht die Schweden ihres Gefallens in Dero wie auch der kaiserl[ichen] und polnischen Lande gehen könnten“27. Auf seine Bedenken hin, ob dies Strozzi so ausdrücklich mitzuteilen sei, entschloss man sich zu einer unverbindlichen Antwort an den kaiserlichen Gesandten, die mehr offenließ als klärte. Gleichzeitig wurde bestimmt, dass die Geheimen Räte schriftliche Gutachten abfassen sollten, und zwar auf Anregung des Grafen Christian Albrecht von Dohna in Form einer Antwort auf vorformulierte Fragen. Drei Tage später verlas der Oberpräsident des Geheimen Rates, Otto von Schwerin, im Ratskollegium drei von ihm verfasste Fragen, die als Ausgangspunkt für die abzugebenden Gutachten seiner Kollegen dienen sollten; sie wurden vom Kurfürsten und den Geheimen Räten anschließend gebilligt. Da sie die direkte Vorlage für das nachfolgende Gutachten Johann Georgs bilden, seien sie hier im vollen Wortlaut zitiert:

25 Zum Gesamtzusammenhang der Verhandlungen vgl. Karl Friese, Über den äusseren Gang der Verhandlungen beim Frieden von Oliva, Diss., Kiel 1890. 26 Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 8, S. 413 f. 27 Meinardus, Protokolle (wie Anm. 18), Bd. 6, S. 53.

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„1) Weil man aus allen einkommenden Relationen ersehe, daß Polen so gar eifrig auf die Tractaten dringe und durchaus auf Dennemarck nicht warten wolle, was S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] darbei zu thun: ob Sie Polen hierunter ferner entgegenarbeiten und mit aller Macht auf die Inclusion Dennemarcks bestehen solle? 2) Wann mit Ausschließung der Kron Dennemarck, es sei mit oder ohne S[einer] Ch[urfürstlichen] D[urchlaucht] Belieben, der Friede in Polen und Preußen gemacht, S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] auch wegen Preußen und was mehr in den Brombergischen Pacten enthalten, Contentement erhielte, der Kaiser aber die Friedenstractaten nicht mit einginge, ob S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] alsdann nebst dem Kaiser den Krieg continuiren, oder auf was Art Sie Sich sonst in sichern Zustand setzen sollen oder können? 3) Weil das pommerische Werk, so viel als S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] angehet, wohl die meisten Difficultäten bei Schweden verursachen könnte, worauf S[eine] Ch[urfürstliche] D[urchlaucht] desfalls auf’s äußerste zu bestehen?“28.

Wiederum einen Tag später, am 10. Februar, übergab Schwerin jedem der Geheimen Räte eine Abschrift der am Tag zuvor verlesenen drei Fragen, wobei festgelegt wurde, dass die Gutachten am kommenden Montag, den 16. Februar, vorgelegt werden sollten29. Außer dem Gutachten Johann Georgs hat sich, wie Meinardus anmerkt, offenbar keine der Stellungnahmen der übrigen Räte des Kurfürsten erhalten30. Inhaltlich gesehen ist das in diesem Gutachten enthaltene umsichtige Votum des Anhalter Fürsten in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Angesichts der konkreten politischen und militärischen Lage im Februar 1660, in der eine Fortsetzung des Krieges ebenso möglich erschien wie ein baldiger Frieden, wandte er sich mit Recht explizit gegen einen übereilten Friedensschluss, der die erlangten militärischen Vorteile aus der Hand zu geben drohte und dem Kriegsgegner Schweden Luft zur militärischen Erholung verschaffen konnte. Zugleich sprach er sich für den Abschluss eines allgemeinen, sicheren Friedens unter Einschluss Dänemarks aus. Folgerichtig erscheint in diesem Kontext auch das für die langfristige Perspektive der Außenpolitik des Großen Kurfürsten bedeutsame Bekenntnis Johann Georgs für ein enges Zusammenwirken mit dem Kaiser. Dieses wurde nicht nur zur persönlichen Maxime des Dessauers, der nicht zuletzt infolge seiner doppelten Rolle als kleiner Reichsfürst und Mitarbeiter des brandenburgischen Kurfürsten ein Interesse an einer kaiserfreundlichen Orientierung der Außen- und Reichspolitik seines Dienstherren haben musste; eine einvernehmliche Politik mit dem Reichsoberhaupt zu führen, wurde auch zur Richtlinie, der Kurfürst Friedrich Wilhelm in den Jahren nach dem Friedensschluss von Oliva folgte und die erst gegen Ende der sechziger Jahre von einem zunehmend distanzierten Verhältnis der Höfe von Berlin und Wien abgelöst wurde31. 28

Ebd., S. 54. Ebd., S. 55. 30 Ebd., S. 54 Anm. 1. 31 Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts vgl. die ältere Arbeit von Adolf Schultz, Die Beziehungen des grossen Kurfürsten zum Kaiser von der Wahl Leopolds I. bis zum Jahre 1673, Diss., Kiel 1896, S. 29 – 64. 29

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Zur Edition32 Die vorliegende Edition folgt den editionstechnischen Regeln der Acta Pacis Westphalicae. Eine eckige Klammer […] weist auf eine Ergänzung des Editors hin, eine spitze Klammer auf eine unsichere Lesart. Johann Georg II. von Anhalt-Dessau hat den Buchstaben „d“ in der Buchstabenkombination „dt“ häufig sehr flüchtig geschrieben; im Zweifelsfall wird daher zu „dt“ vereinheitlicht, insbesondere bei dem Wort „und“, das durchgängig in der Form „undt“ wiedergegeben wird. Gutachten Johann Georgs von Anhalt-Dessau, Berlin 1660 Februar 5.[/15.], eigenhändige Ausfertigung: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3, fol. 1 – 4. Durchleüchtigster Churfürst, gnädigster Herr. Auff Euer Gnaden mir gnädigst zugestellete drey fragen, deren die erste, weil sie in zwey fragen bestehet, billig auch mit einer zweyfachen antwort muß beantworttet werden, alß Erstlich, ob man Pohlen ferner entgegenarbeitten solle, weil es so gar eifferig auff die tractaten dringet? Zum andern, weil Pohlen auff Dennemarck nicht wartten will, ob dennoch Euer Churfürstliche Gnaden auff die inclusion Dennemarcks bestehen sollen? Auff die erste frage soll ich jedoch ohne einige maßgebung darfürhalten, das ohngeachtet albereitz viel mühe undt fleiß angewendet worden, diese Polnische tractaten etwas auffzuhalten, man annoch darin continuiren undt Pohlen ferners alle dasjenige kundtmachen solle, was zu diesem zweck dienlich sein kan. 1. Ihnen fürstellen den schlegten itzo befindtlichen zustandt des feindes waffen, wie sich solcher seiner eigenen außage nach, laut der intercipirten schreiben, in denen zwey noch inhabenden posten33 nicht mehr lang halten kan, undt also unfehlbarlich sich in gar kurtzer zeit in ihre clementz ergeben muß. 2. Da sie vor der zeit mit Schweden friede machen solten, würden sie die noch considerable krigsmacht, so in diesen zwo guarnisonen alß Elbingen undt Maryenburg noch bestehet, zwar durch tractaten soweit auß ihrem lande bringen, hingegen aber dem feindt das schwerdt wieder in die hände geben, wodurch er sich dan hefftig verstercken undt die alliirten34, die doch so viel umb der Pohlen willen undt rettung gewaget undt zugesetzet, mercklich damit wirdt incommodiren können. 3. Was es für ein gefährliches absehen bey den alliirten gewinnen würde, wan sie itzo zu der zeit, da sie es am wenigsten benötiget undt glei[ch]sam ihren feindt in agone liegen sehen, durch 32

Für editorische Hinweise sei Frau Dr. Maria-Elisabeth Brunert gedankt. Die beiden preußischen Städte Elbing und Marienburg waren die einzigen Eroberungen, die den Schweden nach ihrer militärischen Verdrängung aus dem Herzogtum Preußen 1659 verblieben waren; vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 394. 34 Brandenburg war seit den Verträgen von Wehlau (19. 09. 1657) und Bromberg (06. 11. 1657) mit Polen und seit dem Bündnisvertrag vom 30.01./09. 02. 1658 mit dem Kaiser verbündet; vgl. Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des königl. Geh. Staats-Archivs, Berlin 1867, ND 1965, Nr. 121a–f und Anhang I bzw. Nr. 123a–c. 33

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einen uhnzeittigen undt schädtlichen frieden undt durch die dem feindt so vorteihlhafftige tractaten, allen alliirten zum grösten praejuditz, ihn [!] wieder lufft geben undt auffhelffen wolten. 4. Den Pohlen sinceriren, das man ferner allezeit bey ihnen festhalten würde undt das der feindt keine rettung in Preüßen zu hoffen, viel weniger sie sich zu befürchten hetten, das der sedes belli sich wieder in Preüßen undt Liefflandt anspinnen undt hienzihen dürffte, weil man künfftigen frühling, gelibt’s Gott, dem feindt in Pommern undt anderwertz so viel diversiones undt sonsten gnug zu thun machen würde, das er daran gnug zu arbeitten haben undt darüber Preüßen undt Pohlen alß ohnedas schon verlohren wohl vergeßen werde. Was nun die andere nebenfrage betrifft, weil Pohlen auff Dennemarck durchauß nicht wartten will, ob mit aller macht auff die inclusion Dennemarcks soll bestanden werden, würde es sehr unbillich zu sein scheinen, wan dieses nicht geschehen solte, zumahlen Dennemarck allezeit undt nun itzo noch durch den gesandten35 versichern läßet, das es allezeit bestendig undt zu keinem particularfrieden oder -tractaten sich einlaßen wolle36, welches dan, wan alle alliirten dergleichen thun, die einige hoffnung undt das einige mittel ist zu einem allgemeinen undt sichern frieden, undt könte dieses den Pohlen auch fürgestellet werden, das dafern sie den anfang zu unzeittigen undt particularfriedenstractaten machen undt solche schließen würden, sie dadurch von allen alliirten sich separiren, die conditiones, so Dennemarck bey einem allgemeinen friede[n] zu hoffen, schwerer machen undt den feindt in solche postur wieder bringen werden, wodurch er Dennemarck undt Pohlen vor wie nach undt fast beßer nach seinem gefallen, weil bey solcher beschaffenheit der separirung kein gutt zutrauen unter die alliirte alßdan mehr sein dürffte, überzihen undt bestricken kan. Was die andere hauptfrage betrifft, wan mit außschliesung der cron Dennemarck, es sey mit oder ohne Seiner Churfürstlichen Durchlaucht belieben, der friede in Pohlen undt Preüßen gemacht, Seine Churfürstliche Gnaden auch wegen Preüßen undt was mehr in den Brombergischen pactis37 enthalten, contentement erhielten, der Keyser38 aber die friedenstractatus nicht mit einginge, ob Seine Churfürstliche Gnaden alßdan nebst dem Keyser den krieg continuiren oder auff was artt sie sich sonsten in sichern zustandt setzen sollen oder können? Soll ich gehorsambst der meinung sein undt darauff antwortten, wan Seine Churfürstliche Gnaden wegen Preüßen undt was in den Brombergischen pactis enthalten, ein völliges contentement erhalten können, Sie dahin sehen solten, was das hertzogthumb Preüßen anlanget, nebst Pohlen mit Schweden in einen frieden zu tretten, doch also, das sie allezeit mit dem Keyser vor wie nach in der allience bleiben, undt, weil Schweden nichts anders alß immerdar von particulartractaten redet undt allezeit separatim tractiren will, man also auch Schweden zu verstehen 35

Detlef von Ahlefeldt führte von Januar bis Juli 1660 Verhandlungen in Berlin, vornehmlich über Quartier-, Versorgungs-, Werbungs- und andere militärorganisatorische Fragen; UA (wie Anm. 26), Bd. 8, S. 614 und Bd. 9, S. 717. 36 Dennoch schloss Dänemark am 06. 06. 1660 in Kopenhagen einen Separatfrieden mit Schweden; Druck des Vertrags: Jean DuMont, Corps universel diplomatique du droit de gens, Bd. 6/2, Amsterdam/Den Haag 1728, S. 319 – 326. 37 Die Ratifikation und Ergänzung des Wehlauer Vertrags mit Polen erfolgte am 06. 11. 1657 in Bromberg (siehe Anm. 34). Der langfristig gesehen wichtigste Bestandteil dieser beiden Verträge war, dass dem Kurfürsten vom polnischen König Johann II. Casimir die Souveränität über das Herzogtum Preußen zugestanden wurde. 38 Kaiser Leopold I. (1658 – 1705). Zu seinem Leben und politischen Wirken zusammenfassend Anton Schindling, Leopold I. 1658 – 1705, in: ders./Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 169 – 185.

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geben solle, das, was die expedition in Pommern anlanget, solches dem Polnischen wesen nichts angehe39, sondern sey geschehen der chron Dennemarck etwas lufft zu machen undt zu derer rettung, am meisten aber, umb desto beßer den könig in Schweden40 zu einem allgemeinen undt sichern frieden zu lencken undt zu bewegen, auch das Seine Churfürstliche Gnaden fest undt steiff in dieser ihrer intention zu verharren hetten undt nebest Ihrer Keyserlichen Majestät den krieg mit einem gutten nachdruck continuiren solten, biß sie ihre christliche intention, einen allgemeinen, sichern frieden zu haben, erreichet hetten, undt wirdt dieses das sicherste sein, sich in einen sichern zustandt zu setzen, wan man beständig bey der intention, einen allgemeinen frieden zu erhalten, verbleibet. Die dritte frage betreffende, weil das Pommerische werck, soviel Seine Churfürstlichen Gnaden angehet, wohl die meiste difficulteten bey Schweden veruhrsachen könte, worauff Seine Churfürstliche Gnaden deßfals auff das eyserste zu bestehen, werde ich gehorsambst beantwortten, das, solang Schweden sich nicht zu einem algemeinen frieden verstehen wolle, Seine Churfürstliche Gnaden nicht allein auff die albereitz occupirte plätze in Pommern auff das eüserste bestehen, sondern sich auch durch ihre undt dero alliirten waffen auff das fleißigste bearbeitten sollen, derer noch mehr undt die von mehrerer importantz sein zu erobern, undt allezeit, solang dieser krieg wehret, die Keyserliche undt Polnische allience steiff undt ungeendert behalten, alles, was jalousien undt mißverstände veruhrsachen kan, so viel müglich evitiren, was zum gutten vertrauen undt verstäntnüß dienlich herbeybringen, undt sowohl bößes alß guttes miteinander außstehen undt gewertig sein. Ob man auch schon scrupuliren undt sagen möchte, das unsern alliirten wegen so gar diversen interressen nicht viel zu trauen stünde, so ist doch hierrauff zu wißen, das wan ja dem also, es doch viel besser seye, sich bey den Keyserlichen oder Pohlen allererst deßen zu befahren, was man von Schweden albereitz mehr dan zuviel versichert ist, ja lieber mit ettwas gefahr undt hazard Charybdin vorbeyzuschiffen, alß wißentlich wieder Scyllam anlauffen undt zugrunde gehen41. Dieses seindt also meine wenige undt geringe, jedoch treugehorsambste meinungen undt erinnerungen auff Euer Gnaden gnädiges begehren. Gott, der der beste rahtgeber ist, wirdt wolle Euer Gnaden [!] in den sinn geben, was Euer Gnaden undt dero lande undt leütte möge nützlich undt ersprießlich sein. Ich verbleibe biß in mein grab Euer Churfürstlichen Gnaden gehorsambster undt getreuester knecht.

39 Die Brandenburger hatten stets versucht, den 1659 erfolgten Pommernzug kaiserlicher und brandenburgischer Truppen mit dem Hilfsbegehren Dänemarks, das Entlastung gegen Schweden suchte, zu legitimieren und die Verantwortung für den Angriff auf Pommern den anderen Kriegsgegnern Schwedens zuzuschieben; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 401. 40 König Karl X. Gustav (1654 – 1660). Vgl. Findeisen, Das Ringen um die Ostseeherrschaft (wie Anm. 24), S. 191 – 207. 41 Scylla und Charybdis: In Homers „Odyssee“ sechsköpfiges Ungeheuer, das vorüberfahrende Seeleute verschlingt, bzw. gefährlicher Meeresstrudel gegenüber der Scylla. Die Redewendung „zwischen Scylla und Charybdis“ bedeutet: wer, zwischen zwei Gefahren stehend, die eine meidet, erliegt zwangsläufig der anderen.

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II. Das Gutachten Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau vom 30. November[/10. Dezember] 1671 Die Frage nach Krieg oder Frieden stellte sich Kurfürst Friedrich Wilhelm zu Beginn der siebziger Jahre erneut mit aller Vehemenz, freilich im Vergleich zur Schlussphase des Schwedisch-Polnischen Krieges unter umgekehrten Vorzeichen. War der Ausklang des Krieges gegen Schweden 1659/60 aus Sicht der Brandenburger nicht zuletzt geprägt von der Tatsache, mit dem Kaiser und Polen über Alliierte zu verfügen, deren Assistenz eine mögliche Fortsetzung der militärischen Auseinandersetzung gegen die nordische Großmacht letztlich verantwortbar zu machen schien, so konnte von einer bündnispolitisch abgesicherten Lage Kurbrandenburgs am Vorabend des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678/79) keine Rede sein. Die französischen Bemühungen, die Republik der Vereinigten Niederlande diplomatisch zu isolieren, um somit den gewünschten Krieg gegen die Handelsrepublik vom Zaun brechen zu können, waren zunehmend von Erfolg gekrönt; England, Schweden, den Kaiser und zahlreiche Reichsstände hatte die französische Diplomatie neutralisiert oder sogar für ein offensives Vorgehen gegen die Niederlande gewinnen können42. Für den von Ludwig XIV. und den Generalstaaten umworbenen brandenburgischen Kurfürsten stellte sich die vielleicht schwerste außenpolitische Frage seiner Regierungszeit: Konnte es verantwortet werden, die militärisch bedrohten und diplomatisch isolierten Niederländer in ihrem bevorstehenden Kampf gegen den schier übermächtigen Gegner Frankreich zu unterstützen? Konfessionelle Überlegungen und die außenpolitische Orientierung am Prinzip der Balance of Power, wie sie im abgelaufenen Jahrzehnt in der kurbrandenburgischen Politik maßgeblich gewesen war43, sprachen für ein Eintreten zugunsten der Republik. Eine am Primat der Sicherheit und Selbstbehauptung im System der Mächte ausgerichtete kurbrandenburgische Interessenpolitik und zu erwartende mögliche Zugewinne – territorialer oder anderer Art – ließen dagegen angesichts des geringen militärischen Potenzials des eigenen Staates ein Auftreten an der Seite des Sonnenkönigs als verheißungsvoll erscheinen. 42

Aus der umfangreichen Literatur über die diplomatischen Vorbereitungen Frankreichs im Vorfeld des Französisch-Niederländischen Krieges und in der ersten Kriegsphase seien genannt Klaus Peter Decker, Frankreich und die Reichsstände 1672 – 1675. Die Ansätze zur Bildung einer „Dritten Partei“ in den Anfangsjahren des Holländischen Krieges (Pariser Historische Studien, 18), Bonn 1981; Paul Sonnino, Louis XIV and the origins of the Dutch War, Cambridge [u. a.] 1988; Koller, Vermittlung (wie Anm. 20); siehe in diesem Zusammenhang auch die vergleichende deutsch-niederländische Perspektive bei Helmut Gabel, Wilhelm III. von Oranien, die Niederlande und das Reich – Beobachtungen zu den mentalen und verfassungspolitischen Voraussetzungen der Koalitionsbildung gegen Ludwig XIV., in: Horst Lademacher (Hrsg.), Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie (Niederlande-Studien, 13), München/Hamburg 1995, S. 69 – 95. 43 Dass das Gleichgewichtsdenken Leitlinie der kurbrandenburgischen Außenpolitik der sechziger Jahre gewesen sei, betont Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 73.

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Dass sich Kurfürst Friedrich Wilhelm letztlich dazu durchrang, den zu erwartenden Gefahren zu trotzen und zum Schutz seiner westlichen Besitzungen und seiner kalvinistischen niederländischen Glaubensbrüder einen Allianzvertrag mit den Generalstaaten einzugehen44, war unter seinen Räten heftig umstritten. Nur zu deutlich standen jedermann die Risiken einer kurbrandenburgischen Parteinahme gegen Frankreich vor Augen. Dennoch blieb Friedrich Wilhelm mit seiner grundsätzlichen Überzeugung, im äußersten Notfall einer Niederwerfung der Niederlande entgegentreten zu müssen, nicht allein, wie das nachfolgende Gutachten seines Schwagers, Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau, verdeutlicht. Auskunft über den konkreten Anlass zur Erstellung dieser Denkschrift gibt die einleitende Passage. Der Kurfürst habe ihm, so beginnt der Dessauer Fürst seine Ausführungen, mündlich befohlen, sich gutachterlich auf eine eigenhändig verfasste Frage zu äußern. Die Folgerungen, die Johann Georg II. in diesem Gutachten aus der schwierigen außenpolitischen Lage zieht, sind klar und überzeugend formuliert. Der Kurfürst habe die Möglichkeit zu einer Parteinahme für Frankreich oder die Niederlande, zur Einnahme einer neutralen Haltung oder zur Bildung einer Dritten Partei45 zwischen den verfeindeten Mächten. Die tatsächliche Alternative bestand für den Dessauer jedoch nur zwischen einer Entscheidung für Frankreich oder die Niederlande. Neutralität lehnte er ebenso ab wie die seiner Ansicht nach zwar prinzipiell zu begrüßende, jedoch in der momentanen Situation zu langwierige Formierung einer Dritten Partei. Kurzfristig gesehen, dies erkannte der Fürst zu Recht, verspreche die Parteinahme für Frankreich den meisten Erfolg. Unterlegt mit einer reichspatriotischen und an Gleichgewichtsvorstellungen appellierenden Argumentation, die auf die nachteiligen Konsequenzen einer Unterstützung Ludwigs XIV. für das Reich und die gesamte Christenheit aufmerksam machte, verwies er jedoch in sehr suggestiver Weise auf die Absicht des Kurfürsten, den Frieden befördern und auf territoriale Expansion verzichten zu wollen. Dies entsprach zum einen voll und ganz den leitenden politischen Maximen des Dessauers, der infolge seiner prohabsburgischen und reichspatriotischen Einstellung ein weiteres Anwachsen der mehr und mehr als Bedrohung wahrgenommenen Macht Frankreichs strikt ablehnte46. Sein Verweis auf die Orientierung 44 Der Vertrag datierte vom 06. 05. 1672. Vgl. Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 34), Nr. 205. Die in neuerer Zeit insbesondere von Peter Kiehm vertretene These, das langfristige Ziel einer Eroberung Vorpommerns habe bei der Entscheidung für die Niederlande eine Rolle gespielt, ist von der neueren Forschung in Frage gestellt worden. Vgl. Peter Kiehm, Brandenburgische Innen- und Außenpolitik 1660 bis 1679. Ein Beitrag zur Regierungspolitik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Diss., Greifswald 1986, S. 88 f. und 130 f.; Koller, Vermittlung (wie Anm. 20), S. 35; Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 11), S. 201 f. 45 Vgl. zur Gesamtproblematik Decker, Frankreich und die Reichsstände (wie Anm. 42). 46 Zudem ist im Zusammenhang der Kennzeichnung der Haltung Johann Georgs II. im Vorfeld des Französisch-Niederländischen Krieges zu berücksichtigen, dass er durch seine Heirat mit Henriette Catharina dem Hause Oranien eng verbunden war. Zu seinen Verbin-

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der kurbrandenburgischen Politik am territorialen Status quo kongruierte zum anderen in auffälliger Weise mit der Wahrnehmung der kurbrandenburgischen Politik durch Kurfürst Friedrich Wilhelm selbst, wie sie sich beispielsweise in seinem Politischen Testament von 1667 widerspiegelt47. Auch wenn der Anhalter letztlich keinen Zweifel daran ließ, dass er es insgesamt gesehen für notwendig hielt, im Notfall den Niederlanden militärisch zu assistieren, hütete er sich klugerweise davor, dem Kurfürsten ein frühzeitiges offenes Auftreten gegen Ludwig XIV. anzuraten. Vorrangig müsse man alle friedlichen Mittel ausschöpfen, die Reaktion der anderen Mächte und die Angebote der Generalstaaten abwarten und sich möglichst gut militärisch vorbereiten. Illusionen über die Möglichkeiten, den erwarteten Schlag Frankreichs gegen die Handelsrepublik noch zu verhindern, machte sich der Dessauer Fürst allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr – berechtigterweise, wie die nachfolgende Entwicklung zeigen sollte. Gutachten Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau, Cölln an der Spree 1671 November 30[/Dezember 10], eigenhändiges Konzept, halbbrüchig geschrieben: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 19, fol. 610 – 613’48. Durchleüchtigster Churfürst. Auff empfangenen gnädigsten mündtlichen befehl, mein geringes gutachten auff die von Euer Churfürstlichen Gnaden mit eigener handt außgestelten vorstellung undt frage schrifftlich abzufaßen, werde ich so willig alß schuldig hiermit nach meinem besten wißen ein gehorsahmes genügen thun. Ich erinnere mich anfangs, das [ich] in wehrenden nunmehr fast 14 jahren, das ich in Euer Churfürstlichen Gnaden diensten gestanden49, unterschiedtliche[n] undt zwar schwehren consultationi beygewohnet habe, da ich dan allemahl observiret, das Euer Churfürstliche Gnaden bey ihr selbst die beste resolution gefaßet undt der sachen den besten außschlag gegeben haben, also will ich zu Gott hoffen, er werde auch anitzo Euer Churfürstlichen Gnaden in den Sinn geben, was die zu erhaltung gemeiner ruhe undt friede undt zu conservation Euer Churfürstlichen Gnaden lande undt leutte, au zu dero gantzen estats sicherheit, zulänglich undt ersprießlich sein wirdt.

dungen zu Wilhelm III. von Oranien in diesem Zeitraum vgl. Michael Rohrschneider, Die Oranier und Anhalt. Verflechtungen und Beziehungen, in: Lademacher, Onder den Oranje boom (wie Anm. 15), S. 225 – 235, 453 ff., hier S. 233 f. 47 „[…] vndt weill Gott vnser Hauß mit viellen Landen reichlich gesegnet, So habt Ihr auff deren conservation alleine zu gedencken, vndt huttet Euch das Ihr durch appetirung mehrer Lande, nicht grossen neidt vndt feindtschaft auff Euch ladet, vndt dadurch auch was Ihr schon habet in gefahr setzet“; Dietrich, Testamente (wie Anm. 9), S. 187. 48 Die editorischen Vorbemerkungen zum Gutachten vom 5.[/15].02.1660 gelten auch für das nachfolgende Gutachten. 49 Der Eintritt Johann Georgs II. in brandenburgische Dienste erfolgte im August 1658; Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 11), S. 60.

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Wir alß mentschen können von zukünfftigen dingen, oder was vor einen außgang dieser oder jener krieg nehmen werde, mit bestande nicht wohl judiciren, undt ist es anders nicht alß eine große temerität von denjenigen, so einige sicherheit darauff setzen wollen. Das man aber auff das gegenwertige reflectire undt sein absehen darnach richte, ist üblich auch thunlich. Weil aber, wie bekandt, die zeitten undt deren so wunderbahre begebenheitten so vielfaltig mutiren, so kan auch nimmer ein solch consilium gegeben oder ein solcher schluß genommen werden, das zu allen zeitten ziel undt maß geben könte, oder darnach man sich immerdar zu reguliren hette, also finde ich auch bey itziger conjunctur unmüglich zu sein, etwas schlüßiges Euer Churfürstlichen Gnaden gehorsambst anzurahten, das nicht durch allerhandt unvermühtete zufälle ein undt anderer veränderung unterwürffig sein solte. Meines wenigen bedünckens stehen anitzo Euer Churfürstlichen Gnaden vier wege offen, von welchen sie aller apperentz nach einen zu wehlen veranlaßet werden dürfften: 1. entweder die partey mit F anzunehmen, 2. oder mit Hollandt, 3. gantz neuteral zu bleiben, 4. oder eine aparte partie zu machen. Bey dem ersten dürfften Euer Churfürstliche Gnaden wohl insonderheit anfangs am meisten lucriren. Weil mir aber bewust, das Euer Churfürstliche Gnaden allezeit diese christliche undt genereuse maxime geführet haben, das sie mit denen landen, so sie itzo besitzen, vergnüget sein undt ihre gräntzen nicht zu erweittern trachten, noch ihren nachtbahren, solang alß sie friede haben wollen, denselben ihnen zu entzihen nimahls gesinnen, sondern allemahl, wie genugsamb bekandt ist, den frieden möglichst befordert undt zuwege gebracht haben50, so werde ich nicht derjenigen [!] sein, der Euer Churfürstlichen Gnaden diesen ersten weg zu erhlen anrahten wirdt, zumahlen es auch wider alle maximen lauffen würde, einer albereitz so formidab macht, welche itzo fast die gantzen [!] christenheit in d harnisch jaget, helffen zu ergrößern, welches gewiß gutte patten, so friede undt ruhe, auch die sicherheit undt libertät des Römischen Reiches lieben, billich meiden sollen. 2. Für Hollandt sich zu ercklären undt deßen partey wieder Franckreich zu nehmen, kan ich nicht absehen, was noch zur zeit Euer Churfürstlichen Gnaden darzu bewegen solte, dadurch sie gleichsam der erste sein würden, der, ohne empfangene offence, mit Franckreich brechen undt sich einen so mächtigen könige51 zum feinde machen wolte, bevorab da man noch nicht recht wißen kan, noch versichert ist, was der Römische Keyser52, Spanien, Engelandt undt sonderlich Schweden bey dieser weitausehenden conjonctur zu thun resolviren werden. Zudem haben auch noch bißhero die General Staden53 sich umb Euer Churfürstlichen Gnaden assistentz wenig oder

50 Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte den am 18. 04. 1666 unterzeichneten Frieden von Kleve zwischen der Republik der Vereinigten Niederlande und dem Bischof von Münster Christoph Bernhard von Galen vermittelt; Wilhelm Kohl, Christoph Bernhard von Galen. Politische Geschichte des Fürstbistums Münster 1650 – 1678 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens, 18; Westfälische Biographien, 3), Münster 1964, S. 214 – 243. 51 König Ludwig XIV. (1643 – 1715). Zu seinem Leben und politischen Wirken vgl. Klaus Malettke, Ludwig XIV. von Frankreich. Leben, Politik und Leistung (Persönlichkeit und Geschichte, 143 – 145), Göttingen/Zürich 1994. 52 Kaiser Leopold I. (1658 – 1705). Vgl. Schindling, Leopold I. (wie Anm. 38). 53 Bezeichnung für die Republik der Vereinigten Niederlande.

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gar nicht beworben, undt wirdt zu erwarten stehen, worinnen des von Amerongen54 anbringen bestehen wirdt. 3. In der neuteralität zu verbleiben, wan es zur ruptur undt offentlichen kriege kommen solte, darzu kan keiner von Euer Churfürstlichen Gnaden getreuen dienern rahten, weil albereitz genugsamb bekant, das einem so oischen gemüht, gleich Euer Gnaden haben, insurportabel fället, alle den schaden, verdruß undt die affronte zu erdulden, so die neuteralität nach sich zeügt. 4. Eine dritte partie zu machen, wehre zwar wohl nicht zu wiederrahten, dafern es dahin, undt zwar noch zur rechten zeit, zu bringen wehre. Die erfahrung aber ezeüget es gnug, wie schwehr undt langsamb es mit dergleichen verfaßungen dahergehet undt wie leicht solche können durchlöchert undt zunichte gemachet werden, undt darff man nur die augen auff die Regenspurgische relationes55 werffen, so ist man deßen genugsamb überzeüget. Ich könte mich zwar auff diese materia viel weiter extendiren, darüber raisoniren, auch exempel gnug allegieren, die bey dergleichen conjuncturen, alß die itzige sich anläßet, sich begeben haben. Weil aber Euer Churfürstliche Gnaden dieses alles beßer undt zur gnüge wißen, auch vielleicht von theils dero ministris schon wirdt weitleüffig vorgestellet worden sein, so will ich der gedult, so Euer Churfürstliche Gnaden haben werden, ihre augen auff diese schrifft zu werffen, nicht mißbrauchen undt mit wenig wortten meine [!] unmaßgebiges sentiment undt eigentliche, devotiste meinung Euer Churfürstlichen [Gnaden] gehorsambst entdecken. Wan der Holländische gesandte alhier wirdt angelanget sein, undt das man nach gehaltenen conferentzen wirdt vernehmen können, was eigentlich die herrn Staden bey dieser itzigen conjunctur undt befahrenden ruptur mit Franckreich zu resolviren undt zu prestiren willens sein, das Euer Churfürstliche Gnaden alßdan mit ihnen, jedoch in allergeheimb, auff die apparentlichste conjunctur einen gewißes blanc formiren könten undt zu determiniren hetten, was bey dieser oder anderer occurentz vorzunehmen seye, wie starck die verfaßung sein müße, wieviel sie auß ihren mitteln beyzutragen resolviren wolten, wie weit ein theil dem andern zu assistiren sich obligiren solte, was für fürstliche heüser man noch weiters an sich zu zihen undt dero assistentz zu hoffen hette, auch wie die auff den beinen gebrachte kriegsmacht füglich zu vertheilen seye undt an ort undt ende (welches zwar des feindes anfall am besten lehren wirdt), unter der conduite erfahrener hohen kriegsofficire, nützliche operationes undt tapffere resistentz verrichten könne. Undt damit man so viel alß immer müglich, solang alß es sich thun laßen will, Franckreich ouvertement nicht choquiren, so solte ich nicht zweiffeln, das unter der handt undt in geheim von den Holländern eine ansehnliche summe werb- auch unterhaltungsgelder zu erhalten stünde, welche sie alsofort in den ersten monathen außzahlen müsten, damit Euer Churfürstliche

54 Der niederländische Gesandte Godert Adriaan van Reede van Amerongen traf am 16. 01. 1672 in Berlin ein; Koller, Vermittlung (wie Anm. 20), S. 31. 55 Gemeint sind die Gesandtschaftsberichte vom seit 1663 in Regensburg tagenden Reichstag. Grundlegend zu diesem Reichstag: Anton Schindling, Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, 143; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 11), Mainz 1991.

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Gnaden alß auch andere fürstliche heüser undt sonderlich Lüneburg56 sich in zeitten in starcke kriegsverfaßung setzen könten. Euer Churfürstliche Gnaden müsten aber darbey bedingen, das sie nicht gehalten sein könten, alß allererst im mohnaht Augusti oder auf das eheste im monath Iulii damit zu agiren, inzwischen aber nochmahls alle dienliche undt ersinliche mittel an die handt nehmen, Franckreich zu einem accomodement zu bewegen, undt ob zwar wohl zu vermuhten stehet, das solches von Franckreich gar nicht attendiret, noch das geringste fruchten möchte, so wirdt doch dadurch der gantzen weldt Euer Churfürstlichen Gnaden friedtliebendes gemüth je mehr undt mehr kundt gethan undt das odium auff Franckreich geweltzet, undt Euer Churfürstliche Gnaden gewinnen zeit, sich in gutte postur zu setzen, undt können inzwischen sehen, was die andere benachtbarte potentaten für contenance halten werden. Ferners könten auch Euer Churfürstliche Gnaden alle officia anwenden, damit der Keyser undt Schweden alß auch das gantze Römische Reich sich in gutte undt starcke kriegsverfaßung setzen möchten, allem besorglichen unheil undt gefahr im Römischen Reich, auch in den benachtbarten Vereignigten [!] Provincien vorzukomen undt zu steuern. Solten aber Euer Churfürstliche Gnaden sehen, das der erste anfall von frantzösischer seitten den herrn Staden bey ihrer albereitz itzigen verfaßung alleine zu wiederstehen zu schwehr fallen wolte, auch kein accomodement nach allem gehabten fleiß von Franckreich zu hoffen wehre, so ist alßdan anders nichts zu thun, alß das man mit aller macht nach eüßersten vermögen undt kräfften Hollandt assistire undt von der gewalt undt überzihung so viel alß müglich mit Göttlicher hülffe befreie. Dieses, Gnädigster Churfürst undt Herr, seindt meine unmaßgebige gedanken, welche ich auff Euer Churfürstlichen Gnaden gnädigsten befehl zu papier gehorsambst habe bringen sollen. Gott der Allerhöchste, der allezeit Euer Churfürstliche Gnaden stärcksten beystandt in so vielen gefährlichen leüfften gewesen ist, wolle auch in dieser itzigen gefährlichen begebnüß Euer Churfürstliche Gnaden nicht verlaßen, dero consilia segnen, alle dero hohe heroische actiones einen glücklichen undt erwüntscheten außgang geben, dero churfürstlichen thron je mehr undt mehr befestigen undt dero lande undt leütte in gewüntscheter ruhe undt beständigem frieden erhalten, undt mir die gnade undt kräffte verleihen, das ich Euer Gnaden mütliche, treue undt anständige dienste mit raht undt that undt der setzung leibes undt lebens prestiren können.

* Kurfürst Friedrich Wilhelm sah sich im Laufe seiner fast ein halbes Jahrhundert währenden, vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Vorabend des Neunjährigen Krieges57 reichenden Regierungszeit (1640 – 1688) wiederholt vor die Entscheidung

56 Immerhin gelang es den Brandenburgern, die welfischen Herzöge von Celle und Wolfenbüttel dazu zu bewegen, gemeinsam mit dem Kaiser, dem König von Dänemark und der Landgräfin von Hessen-Kassel am 12./22. 09. 1672 ein auf drei Jahre befristetes Defensivbündnis mit Kurbrandenburg abzuschließen. Vgl. Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 34), Nr. 209. 57 Die hier verwendete Bezeichnung „Neunjähriger Krieg“ für den in der Forschung uneinheitlich bezeichneten militärischen Konflikt von 1688 bis 1697, der mit dem Frieden von Rijswijk beendet wurde, folgt der Konvention des nachfolgenden Tagungsbandes. Zur Terminologie vgl. Heinz Duchhardt, Vorwort, in: ders. (Hrsg. in Verbindung mit Matthias Schnettger und Martin Vogt), Der Friede von Rijswijk 1697 (Veröffentlichungen des Instituts

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über Krieg oder Frieden gestellt. Ein Votum für oder wider eine kriegerische Verwicklung Kurbrandenburgs konnte angesichts des im Vergleich mit den europäischen Mächten geringen Machtpotenzials des Hohenzollernstaates und des engen außenpolitischen Handlungsspielraums, der dem Kurfürsten in der Regel zur Verfügung stand, mitunter einer Wahl zwischen Scylla und Charybdis gleichkommen, wie man in Anspielung an die Schlusspassage des ersten hier edierten Gutachtens zugespitzt formulieren könnte. Gerade in diesen außenpolitischen Entscheidungsmomenten bedurfte der Kurfürst der Unterstützung durch zuverlässige Mitarbeiter, die ihre Kompetenz und persönlichen Fähigkeiten für ihren Dienstherren in die Waagschale warfen, und man wird im Rückblick auf seine Regierungszeit feststellen könne, dass es ihm immer wieder gelungen ist, fähige Männer, wie zum Beispiel Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, in seine Dienste zu ziehen und über lange Jahre hinweg an sich zu binden. Ausführliche Gutachten von seinen Räten einzufordern und sich somit zusätzliche Möglichkeiten zu verschaffen, ein differenziertes Meinungsbild zu gewinnen, war für Friedrich Wilhelm ein gängiges und bei komplexen Problemen unumgängliches Mittel im politischen Willensbildungsprozess, gerade auch in den Phasen außenpolitischer Krisen und drohender kriegerischer Verwicklungen. Die beiden vorliegenden Gutachten sind Beispiele für diesen Sachverhalt, für den Friedrich Wilhelm in seinem Politischen Testament von 1667 ein treffendes Bild gefunden hat, das abschließend zitiert sein soll: „[…] vndt seidt gleich den Bienen, die den besten Saft auß den Blumen saugen“58.

für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 47), Mainz 1998, S. VII f., hier S. VIII. 58 Dietrich, Testamente (wie Anm. 9), S. 187.

Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts* Feindselig ist daher die Politik derer, die Oesterreich und Preußen, als ewige Nebenbuhler, als nie zu versöhnende Gegner betrachten1. Johann Gottfried Herder

Die Geschichte der kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat seit jeher die besondere Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft erregt2. Vor allem die borussische Historiographie des 19. Jahrhunderts hat unter dem unmittelbaren Eindruck der preußischösterreichischen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Reichsgründung von 1871 der langfristigen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Berlin und Wien großes Interesse entgegengebracht3. Fasziniert vom Aufstieg Brandenburg-Preußens zu einer europäischen Großmacht, konstruierte diese preußisch-kleindeutsch orientierte Geschichtsschreibung für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Gegensatzpaar, das eindeutig von national-, macht- und anstaltsstaatlichen Idealen geprägt war: Hier Kaiser Leopold I., wie die Kaiser aus dem Hause Habsburg vor und nach ihm Exponent einer als Fehlentwicklung und Verfallsprozess gedeuteten Geschichte des frühneuzeitlichen Rei-

* Mitverfasser dieses Beitrags ist Dr. Stefan Sienell (Wien), dem ich sehr herzlich für sein Einverständnis zum Wiederabdruck danke. 1 Johann Gottfried Herder, Preußische Krone, in: ders., Adrastea (Herders Sämmtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, 23), Berlin 1885, ND Hildesheim 1967, S. 455 – 463, hier S. 463. 2 Vgl. aus neuerer Zeit z. B. Volker Press, Austria and the Rise of Brandenburg-Prussia, in: Charles W. Ingrao (Hrsg.), State and Society in Early Modern Austria, West Lafayette/Indiana 1994, S. 298 – 311, hier S. 303 ff.; Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von AnhaltDessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998, passim; Christine Roll, Die preußische Königserhebung im politischen Kalkül der Wiener Hofburg, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), 300 Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 6), Berlin 2002, S. 189 – 227; für die Regierungszeit Josephs I. vgl. jüngst Christiane Kauer, Brandenburg-Preußen und Österreich 1705 – 1711 (Philosophie und Gesellschaft, 8), Bonn 1999. 3 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, 14 Bde., Leipzig 1855 – 1886.

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ches4, dort die brandenburgischen Herrscher und allen voran der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm, willig und fähig, den Erfordernissen der Zeit zu entsprechen und eine spezifisch deutsche Interessenpolitik zu verfolgen5. Anachronistischerweise projizierten Historiker wie Johann Gustav Droysen und seine Epigonen somit den preußisch-österreichischen Dualismus späterer Jahrhunderte6 auf die Zeit des Großen Kurfürsten und Kaiser Leopolds I. zurück7. Nicht erst die jüngste Forschung hat demgegenüber aufgezeigt, dass die Interpretation der Droysen-Schule tagespolitisch bedingt war. Schon 1896 bezeichnete Paul Haake Droysens „Geschichte der Preußischen Politik“ zugespitzt als „Vorpostengefecht vor dem Tage von Königgrätz“8. Auch in neueren Studien ist das DualismusModell zur Beschreibung der kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frage gestellt worden. Im Unterschied zur Überschätzung des kurbrandenburgischen Machtpotenzials durch die borussische Historiographie des 19. Jahrhunderts ist vielmehr darauf aufmerksam gemacht worden, dass um das Jahr 1700 der Kaiser eindeutig die dominierende Stellung im Reich

4 Zur jüngsten – umfangreichen – Forschung über das Alte Reich vgl. bilanzierend Heinz Duchhardt, Perspektivenwechsel. Das Alte Reich als politischer Organismus, in: Historische Zeitschrift 268 (1999), S. 673 – 680; Anton Schindling, Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648 – 1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach/Klaus Malettke/Sven Externbrink (Hrsg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert (Historische Forschungen, 70), Berlin 2001, S. 25 – 54; Heinz Schilling, Reichs-Staat und frühneuzeitliche Nation der Deutschen oder teilmodernisiertes Reichssystem. Überlegungen zu Charakter und Aktualität des Reiches, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 377 – 395, sowie die Replik von Georg Schmidt, Das frühneuzeitliche Reich – komplementärer Staat und föderative Nation, in: ebd. 273 (2001), S. 371 – 399. 5 Vgl. z. B. Droysen, Geschichte (wie Anm. 3), hier Bd. 4/1, S. 15 f. Bezeichnenderweise trägt das letzte Kapitel des ersten Bandes den Titel „Hohenzollern oder Habsburg?“. Hintergrund dieser Anschauung ist die These Droysens von Preußens „deutschem Beruf“: „Auch Preußen umfaßt nur Bruchtheile deutschen Volkes und Landes. Aber zum Wesen und Bestand dieses Staates gehört jener Beruf für das Ganze, dessen er fort und fort weitere Theile sich angegliedert hat“; ebd., Bd. 1, S. 4. 6 Vgl. hierzu jetzt Peter Baumgart, Absolutismus ein Mythos? Aufgeklärter Absolutismus ein Widerspruch? Reflexionen zu einem kontroversen Thema gegenwärtiger Frühneuzeitforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 573 – 589, hier S. 573 ff. 7 In welch hohem Maße diese Anschauung offenbar den politischen Zeitgeist in Preußen widerspiegelte, verdeutlicht besonders augenfällig das vielbeachtete Eingangskapitel der „Gedanken und Erinnerungen“ Otto von Bismarcks, in dem es heißt: „Jeder deutsche Fürst, der vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich; vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urtheilen und natürlich zu finden, daß der siebenjährige Krieg sich vorbereitete“; Otto von Bismarck, Werke in Auswahl, Bd. 8, Teil A: Erinnerung und Gedanke. Unter Mitarbeit von Georg Engel hrsg. von Rudolf Buchner (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, 10a), Darmstadt 1975, S. 1 f. 8 Paul Haake, Brandenburgische Politik und Kriegführung in den Jahren 1688 und 1689 (Beiträge zur deutschen Territorial- und Stadtgeschichte, 1. Serie, 2), Kassel 1896, S. 4.

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behaupten und Brandenburg-Preußen noch nicht als europäische Großmacht gelten konnte9. Ziel dieser Untersuchung ist es nun, unter Einbeziehung jüngerer Arbeiten zu den Entscheidungsfindungsprozessen am Kaiserhof unter Leopold I.10 und ausgewählter archivalischer Quellen aus den Brandenburgica-Beständen der Staatenabteilung des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs die kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen im Zeitalter des Großen Kurfürsten und Leopolds I. erneut auf den Prüfstand zu stellen, um konkrete Befunde hinsichtlich der Frage nach dem vermeintlichen antagonistisch-dualistischen Verhältnis zwischen diesen beiden Mächten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu erlangen. Dies wird in einem Dreischritt erfolgen. Einleitend stehen die Fragen der wechselseitigen Perzeption und des herrscherlichen Selbstverständnisses im Zentrum (I.). Dann erfolgt ein Überblick über die reichs- und außenpolitischen Beziehungen zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm und Kaiser Leopold I., der Aufschlüsse in der Frage nach dem Mit- und/oder Gegeneinander der von den Höfen von Berlin und Wien verfolgten Politik 1658 – 1688 liefern soll (II.). Und vor dieser Folie werden schließlich (III.) anhand eines konkreten Beispiels, nämlich einer Untersuchung kurbrandenburgischer Beratungsgegenstände in der Geheimen Konferenz Leopolds I., quantifizierende Befunde über den Stellenwert, der dem Faktor Kurbrandenburg im Rahmen der Gestaltung der kaiserlichen Außenpolitik zukam, in den Blickpunkt gerückt. I. Wechselseitige Wahrnehmung und herrscherliches Selbstverständnis Wie gestaltete sich also das Verhältnis Kurbrandenburgs, das noch beim Regierungsantritt des Großen Kurfürsten im Jahre 1640 zweifellos zu den „petites puissan9

Anton Schindling, Kurbrandenburg im System des Reiches während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 33 – 46, hier S. 45; vgl. auch Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (Urban-Taschenbücher, 573), Stuttgart/ Berlin/Köln 1996, S. 180; Anton Schindling, Leopold I. 1658 – 1705, in: ders./Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 169 – 185, hier S. 176: „Jedoch ist es wohl verfehlt, Leopold I. und Kurfürst Friedrich Wilhelm bereits in dem Raster des späteren Dualismus verorten zu wollen – zu groß waren noch immer die Macht- und Prestigeunterschiede zwischen den beiden Höfen in Wien und Berlin, zu sehr war Friedrich Wilhelm ein zwar eigenwilliger, aber im Grundsätzlichen doch loyaler Reichsfürst“. 10 Vgl. insbesondere Stefan Sienell, Die Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. Personelle Strukturen und Methoden zur politischen Entscheidungsfindung am Wiener Hof (Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, 17), Frankfurt am Main [u. a.] 2001; zu dem Projekt „Verzeichnis der Sitzungen der Geheimen Konferenz unter Kaiser Leopold I.“ (unter der Leitung von Leopold Auer, gefördert durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Projekt-No. P11304-HIS) vgl. Stefan Sienell, Die Sitzungen der Geheimen Konferenz unter Kaiser Leopold I., in: Frühneuzeit-Info 8/2 (1997), S. 211 – 214.

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ces très secondaires“11 zu zählen war, zum Reichsoberhaupt? Wie wurde die Politik der Brandenburger bzw. des Kaisers von den politischen Verantwortlichen an beiden Höfen wechselseitig wahrgenommen? Und welches herrscherliche Selbstverständnis prägte die gegenseitigen Beziehungen? Ein durch Samuel von Pufendorf überliefertes Diktum des österreichischen Hofkanzlers Johann Paul Hocher ist von der Forschung immer wieder als Schlüsselzitat zum Verständnis der grundsätzlichen Haltung der Wiener Hofburg gegenüber der kurbrandenburgischen Politik herangezogen worden. Angesichts des offensiven militärischen Vorgehens Kurfürst Friedrich Wilhelms in der zweiten Hälfte des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678/79) erklärte Hocher, es gefiele dem Kaiser gar nicht, dass sich ein neuer „Rex Vandalorum“ an der Ostsee erhebe12. Auch die vielzitierte Äußerung des Fürsten von Lobkowitz aus der Anfangsphase des Krieges, „dass man Kur-Brandenburg als ein ungezäumtes wildes Pferd considerieret“13, verdeutlicht in markanter Weise, wie misstrauisch die Absichten des Kurfürsten in der engsten Umgebung des Kaisers beäugt wurden. Noch ein weiteres aussagekräftiges Beispiel lässt sich als Beleg für den angesprochenen Sachverhalt anfügen. Als der Kaiser zu Beginn des Jahres 1658 das Für und Wider einer Allianz mit Kurbrandenburg erörtern ließ, verfasste einer seiner führenden Ratgeber, Johann Weikhard von Auersperg, auf den schon Ferdinand III. große Stücke gehalten hatte14, 11 In Anlehnung an die vielzitierte Äußerung des Fürsten von Kaunitz aus seinem Gutachten vom 07. 09. 1778, in dem er von der „réduction de la Maison de Brandebourg à son état primitif de petite puissance très secondaire“ spricht. Gedruckt bei Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heiliges Römisches Reich 1776 – 1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, 2 Bde. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Abt. Universalgeschichte, 38), Wiesbaden 1967, hier Bd. 2, S. 2. 12 Samuel von Pufendorf, De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni, Electoris Brandenburgici, commentariorum Libri novendecim, Berlin 1695, Liber XV § 20, S. 1131: „Caesari haut placere novum Regem Vandalorum ad Mare Balticum exsurgere“. Zum politischen Wirken des Großen Kurfürsten insgesamt vgl. die grundlegende Biographie von Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978; vgl. jüngst auch Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640 – 1688), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 95 – 112; Derek McKay, The Great Elector (Profiles in Power), Harlow [u. a.] 2001. 13 Karl Gustav Helbig (Hrsg.), Esaias Pufendorf’s, kngl. schwedischen Gesandten in Wien, Bericht über Kaiser Leopold I., seinen Hof und die österreichische Politik 1671 – 1674, Leipzig 1862, S. 26. Wenzel Eusebius von Lobkowitz war bis in die frühen siebziger Jahre der einflussreichste Berater des Kaisers. Zu seinem politischen Wirken ist nach wie vor grundlegend Adam Wolf, Fürst Wenzel Lobkowitz, erster geheimer Rath Kaiser Leopold’s I. (1609 – 1677). Sein Leben und Wirken, Wien 1869. Die gerade für die Zeit Wenzel Eusebius’ äußerst umfänglichen Quellen des Familienarchives in Zˇ itenice sind seither quasi unbearbeitet geblieben. 14 Auersperg war u. a. Obersthofmeister Ferdinands IV. gewesen und wurde nach dessen Tod mit den schlesischen Herzogtümern Münsterberg und Frankenstein ausgezeichnet. Zu Auersperg vgl. Grete Mecenseffy, Im Dienste dreier Habsburger. Leben und Wirken des Fürsten Johann Weikhard Auersperg (1615 – 1677), in: Archiv für Österreichische Geschichte 114 (1938), S. 295 – 509.

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ein Votum „in negtio coniunctionis mit Brandenburg“15, in dem er klar ausführt, dass dem Kurfürsten nicht zu trauen sei: „[…] endtlich wirdt dießer Herr non obstante qualicunque foedere das ienige thuen, waß ihme allein nutzt, pro temporis diversitate“16. Die Tendenz der angeführten Aussprüche ist eindeutig: Vor dem Hintergrund der Bemühungen der Wiener Hofburg, die durch die Friedensschlüsse von 1648 erschütterte Führungsstellung der Casa de Austria zu konsolidieren und verlorene kaiserliche Positionen nach und nach wiederzugewinnen17, wurde Friedrich Wilhelm als nur schwer berechenbarer Unruheherd wahrgenommen. Jedoch waren die Beziehungen zum Großen Kurfürsten, wie noch ausführlicher zu zeigen sein wird, meist nur ein Tagesordnungspunkt unter vielen auf der Agenda der Hofburg. Von dem Bewusstsein und dem Anspruch kaiserlicher Autorität erfüllt, blieb für Leopold I. zudem letztlich stets die Perspektive des Reichsoberhauptes bei der Gestaltung der Beziehungen zu Kurbrandenburg vorherrschend, das im Bedarfsfall ohne Unterschied die Dienste seines kurfürstlichen Vasallen wie die jedes anderen Reichsstandes auch einfordern konnte18. In diesem Zusammenhang ist ein kurzer Blick über die Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms hinaus aufschlussreich. Denn die grundsätzliche Skepsis der Wiener Hofburg gegenüber der Politik des zur zweitstärksten Macht im Reich avancierenden Kurbrandenburg dominierte nicht nur während der Regierungszeit des Großen Kurfürsten. Sie manifestierte sich immer wieder auch im Verhältnis zu Friedrich III./I., obwohl Kaiser Leopold den weniger impulsiven und damit berechenbareren Nachfolger des Großen Kurfürsten offenbar persönlich schätzte. So berichtete Christian Friedrich von Bartholdi, der langjährige Gesandte Friedrichs am Kaiserhof, ein knappes Jahr nach dem Tod Leopolds: „[…] und ist es zwar an dem, daß der in Gott ruhende Kayser Ew. Königl. Mayestät viel guthes erwiesen, […] es ist auch nicht zu laügnen, daß Höchstgedachter Kayser viel aus einer personellen Hochachtung vor Ew. Königl. Mayestät gethan, und daß deswegen an die maximen, woraus man hier ein Interesse perpetuum sich formiret, daß nemlich der mächtigsten Stände des Reichs aggrandissement zu verhindern, Er sich so sehr nicht gebunden“19. Die Einschätzung Bartholdis wurde an dieser Stelle deshalb so ausführlich zitiert, weil sie auch ein bezeichnendes Licht auf die Frage wirft, wie die Politik des Kaisers gegenüber Kurbrandenburg von den politischen Entscheidungsträgern am Berliner 15 Abschriftlich erhalten in: Österreichisches Staatsarchiv: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Staatenabteilungen (im Folgenden abgekürzt HHStA, StAbt), Brandenburgica, K. 16, Konv. ,1657 – 1659‘, fol. 12r–21v. 16 Ebd., fol. 15r. 17 Vgl. hierzu grundlegend Volker Press, Österreichische Großmachtbildung und Reichsverfassung. Zur kaiserlichen Stellung nach 1648, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 98 (1990), S. 131 – 154. 18 Vgl. etwa Arnold Berney, König Friedrich I. und das Haus Habsburg (1701 – 1707), München/Berlin 1927, S. 121. 19 Relation Bartholdis vom 02. 03. 1706. Gedruckt ebd., S. 261 – 275, hier S. 262 f. (Hervorhebungen im Original).

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Hof perzipiert wurde. Denn die Auffassung, dass es zu den Konstanten und primären Zielen der kaiserlichen Außen- und Reichspolitik gehörte, dem „aggrandissement“ der mächtigsten Reichsstände entgegenzuwirken, war spätestens seit den für Kurfürst Friedrich Wilhelm enttäuschend verlaufenden Friedensschlüssen von Nimwegen und Saint-Germain 1678/79 prägend für die Haltung des Berliner Hofes. Bereits das sogenannte Politische Testament des Großen Kurfürsten aus dem Jahre 1667 verdeutlicht in eindrucksvoller Weise, dass Friedrich Wilhelm die Politik der Hofburg mit Misstrauen wahrnahm. Angetrieben von einer reichspatriotischen, auf die Wahrung der reichsständischen Rechte bedachten Grundeinstellung, stand er einer vorbehaltlosen Parteinahme für das habsburgische Kaisertum mit Skepsis gegenüber. Auch das konfessionelle Moment ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Für den mächtigsten protestantischen Kurfürsten, der Kursachsen als Vormacht des Corpus Evangelicorum faktisch abgelöst hatte, stellte der Schutz der Evangelischen zweifellos ein wichtiges politisches Handlungsmotiv dar. Keine zwei Jahrzehnte nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges war also die Sorge vor möglichen Bestrebungen des Kaisers, den Westfälischen Frieden zu revidieren, noch nahezu unvermindert präsent20. Auch hier ist wiederum eine Einbeziehung der mittel- und langfristigen Entwicklung interessant. Denn die skizzierte, maßgeblich durch die Erfahrungen seiner ersten Regierungsjahre geprägte Perspektive Friedrich Wilhelms trat bereits in der nächsten Generation erkennbar in den Hintergrund: Mit Kurfürst Friedrich III. übernahm 1688 ein Herrscher die Regierung, der den Dreißigjährigen Krieg nur noch aus den Erzählungen anderer kannte und der sich eindeutiger als sein Vater zur kaiserfreundlichen Partei bekannte21. Dementsprechend forderte Friedrich seinen Nachfolger in seiner sogenannten Ersten Ermahnung auf, „mit dem Ertzhertzoglichen hause Östreich allezeit in guhter verständnüß zu stehen. Dan gewiß ist es, daß mein hauß allemahl viel guhtes von demselben empfangen hat“22. Von entscheidender Bedeutung für das Selbstverständnis dieser beiden Kurfürsten und damit auch für die konkrete Gestaltung der kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen war die Tatsache, dass die Hohenzollern seit 1657 bzw. 1660 als souve20 So riet der Kurfürst seinem präsumtiven Nachfolger: „Mitt den kayser als oberhaubt, vndt wegen der Schlesie nahen, angrensenden Landen, kündt Ihr sehr woll in gutter Alliance stehen, iedoch aber solcher gestalt, das Ihr furnehmlich auff des Reichs, der Evangelischen vndt Ewerer wolfahrt fleissige acht habet, vndt Darin dem Kayser nichts einreummet, so dawider vndt zu des Reichs vndt der Evangelischen vntergang vndt benehmung Der Teutschen freiheitt gereichen mochte“; Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 188; zur Bedeutung der Konfession für die Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms vgl. z. B. Gottfried Hensell, Das protestantische Moment in der Außenpolitik des Großen Kurfürsten von 1672 bis 1688, Diss., Hamburg 1927. 21 Zusammenfassend zum Leben und politischen Wirken Friedrichs III./I. vgl. jüngst Wolfgang Neugebauer, Friedrich III./I. (1688 – 1713), in: Kroll, Herrscher (wie Anm. 12), S. 113 – 133. 22 Dietrich, Testamente (wie Anm. 20), S. 212.

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räne Herzöge von Preußen über einen Herrschaftsbereich verfügten, der außerhalb des Reiches lag und der schließlich zur territorialen und rechtlichen Grundlage für die Konstituierung der Königswürde im Jahr 1701 wurde23. Für das Verhältnis zum Reichsoberhaupt hatte die erworbene Souveränität zur Folge, dass man auf kurbrandenburgischer Seite nun verstärkt mit dem Anspruch auftrat, bilaterale Verhandlungen als prinzipiell gleichberechtigte Macht führen zu können24. Mit großer Verbitterung nahmen die Brandenburger daher jede von Vertretern des Kaisers veranlasste Brüskierung kurbrandenburgischer Gesandter und Diplomaten in Zeremonial- und Rangfragen zur Kenntnis. So schrieb beispielsweise der Große Kurfürst im Anschluss an eine solche zeremonielle Streitigkeit zwischen kaiserlichen und kurfürstlichen Abgeordneten in einem eigenhändigen, von großer innerer Erregung zeugenden Brief an seinen engen Vertrauten Otto von Schwerin: „Das ist der danck dass ich Ihme [Kaiser Leopold] die Chron aufgesetz habe, die zeitt kan kommen das ich Ihn die ab vndt einen anderen, der es besser meritirt als er, wider aufsetze“25. Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass die hier zur Verdeutlichung der wechselseitigen Wahrnehmung sowie des herrscherlichen Selbstverständnisses des Kurfürsten bzw. des Kaisers ausgewählten Beispiele aufzeigen, in welch grundlegendem Maße nach wie vor das Reich den Bezugsrahmen und den Ausgangspunkt für die Bewertung der Politik des jeweils anderen Hofes bildete und wie davon ausgehend Skepsis und Misstrauen hinsichtlich jedweder – tatsächlichen oder lediglich perzipierten – Bestrebungen dominierten, die entweder die überkommene Ordnung vermeintlich zu stören beabsichtigten oder den eigenen, subjektiv als rechtens empfundenen Ansprüchen zuwiderliefen.

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Vgl. hierzu etwa die Ausführungen Friedrichs III. über die Möglichkeit der Schaffung einer preußischen Königskrone: „Wan Ich die Königliche Dignitet auf meine Brandenburgische Lande nehmen will, so bin ich Kein souverainer König sondern ein Lehn König, und werde ich deshalb mit dem gantzen Reich zu thun haben, und bekommen; wan Ich aber wegen Preussen die Königliche Dignitet annehme, so bin ich ein independanter König“; Albert Waddington, L’acquisition de la couronne royale de Prusse par les Hohenzollern (Bibliothèque de la Faculté des lettres de Lyon, 9), Paris 1888, S. 408 (Hervorhebungen im Original). 24 Vgl. Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich und die europäischen Mächte, in: Hauser, Preußen (wie Anm. 9), S. 19 – 31, hier S. 27. 25 Brief des Kurfürsten vom 23.03/02. 04. 1670 in: Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 12, S. 935; vgl. in diesem Zusammenhang Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 7 (1997), S. 145 – 176, hier S. 160 f. Bezeichnenderweise entstand etwa zur gleichen Zeit eines der in der Forschung meistdiskutierten Projekte der Regierungszeit Friedrich Wilhelms, nämlich sein Entwurf zur Erwerbung Schlesiens, ein detaillierter Plan, der für den Fall des Aussterbens des Hauses Österreich ein militärisches Vorgehen Kurbrandenburgs zur Verfechtung eigener Erbansprüche in Schlesien vorsah. Der Entwurf bei Dietrich, Testamente (wie Anm. 20), S. 205 – 210.

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II. Die reichs- und außenpolitischen Beziehungen zwischen Kurbrandenburg und dem Kaiser im Spannungsfeld von Kooperation und Konfrontation (1658 – 1688) Die konkreten Beziehungen zwischen Kurbrandenburg und Kaiser Leopold I. spielten sich im Wesentlichen auf zwei Ebenen ab. Zum einen besaßen beide mit dem seit 1663 in Permanenz tagenden Reichstag in Regensburg ein multilaterales Forum, auf dem Fragen der Außen- und Reichspolitik diskutiert werden konnten und das sowohl zur Präsentation als auch zur Rechtfertigung der eigenen Politik instrumentalisierbar war26. Zum anderen pflegten der Berliner und der Wiener Hof intensive bilaterale Beziehungen. So führte bereits seit 1627 ein Resident die laufenden Geschäfte Kurbrandenburgs in Wien27, während der Kaiser faktisch erst seit 1665 einen ständigen Vertreter am brandenburgischen Hof unterhielt28. In Fragen der Reichspolitik standen sich die kurbrandenburgischen und kaiserlichen Vertreter auf dem Regensburger Reichstag oftmals als Kontrahenten gegenüber. Der Streit um die Extension des Paragraphen 180 des Jüngsten Reichsabschieds, die ständigen Querelen in Quartierfragen oder auch die Diskussion über die Aufstellung eines stehenden Reichsheeres seien stellvertretend hierfür genannt29.

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Zum Immerwährenden Reichstag vgl. die grundlegende Arbeit von Anton Schindling, Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, 143; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 11), Mainz 1991. 27 Else Jagenburg, Die Diplomatie Brandenburgs zur Zeit des Großen Kurfürsten, Diss., Bonn 1936, S. 4. 28 Klaus Müller, Das kaiserliche Gesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden (1648 – 1740) (Bonner Historische Forschungen, 42), Bonn 1976, S. 73; vgl. hierzu auch Volker Press, Die kaiserliche Stellung im Reich zwischen 1648 und 1740 – Versuch einer Neubewertung, in: Georg Schmidt (Hrsg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 29), Stuttgart 1989, S. 51 – 80, hier S. 64. Nach Press verdeutlicht die Tatsache, dass Wien erst zu einem relativ späten Zeitpunkt einen ständigen Gesandten in Berlin unterhielt, „die lange Unterschätzung der aufkommenden brandenburg-preußischen Position in Norddeutschland“ durch die Hofburg. 29 Der Paragraph 180 des Jüngsten Reichsabschieds verpflichtete die Landstände, die zur Reichsverteidigung und Landfriedenswahrung benötigten Festungen und Garnisonen ihrer Landesherren zu finanzieren. Kurbrandenburg zählte zu den Befürwortern einer Verschärfung dieses Paragraphen zuungunsten der Landstände. Vgl. hierzu Schindling, Kurbrandenburg (wie Anm. 9), S. 41 ff.; ders., Der Große Kurfürst und das Reich, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 59 – 74, hier S. 69 ff.; zu den Quartierstreitigkeiten und der Diskussion um die Errichtung eines stehenden Reichsheeres vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 130, 175, 225 f.

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Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass es zum Beispiel in der Frage der kurfürstlichen Präeminenz sowie in den Verhandlungen über die Errichtung einer beständigen kaiserlichen Wahlkapitulation durchaus zu einer – wenn auch taktisch bedingten – Zusammenarbeit zwischen Kurbrandenburg und dem Kaiser kam. Zweifellos hat der Berliner Hof durch diese Haltung letztlich mit dazu beigetragen, die traditionelle hierarchische Ordnung des Reiches zu konsolidieren30. Dennoch ist auch eine gegenläufige Tendenz zu konstatieren, die in auffälliger Weise dem Selbstverständnis Friedrich Wilhelms und auch Friedrichs III./I. widersprach. Denn ihre reichsloyalen und -patriotischen Bekundungen in den Politischen Testamenten standen bisweilen in einem Spannungsverhältnis zu der tatsächlich verfolgten Politik31. Bei aller erkennbaren Identifikation mit der vorgegebenen politischen Gestalt des Reiches steuerten beide faktisch einen Kurs, der die eigenen dynastischen Interessen den Belangen von Kaiser und Reich überordnete. Gerade der ausgeprägte Machtwille des Großen Kurfürsten, der in diesem Zusammenhang zu Recht hervorgehoben wurde, bewirkte, dass Kurbrandenburg schon in seiner Regierungszeit mitunter eine Politik verfolgte, die sich zwar nicht explizit gegen Kaiser und Reich richtete, aber doch zumindest neben ihnen her führte32. Unter dem Primat der Selbstbehauptung im System der Mächte und im Bewusstsein der souveränen Herrschaft im Herzogtum Preußen schuf Friedrich Wilhelm die Grundlagen dafür, dass der Hohenzollernstaat im 18. Jahrhundert schließlich den Status einer europäischen Großmacht erlangte, die sich nicht mehr in das Reichs-System integrieren ließ33. 30

Schindling, Kurbrandenburg (wie Anm. 9), S. 39 f.; ders., Kurfürst (wie Anm. 29), S. 68 f.; Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 24), S. 26; Wolfgang Neugebauer, Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: Ingo Materna/Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 291 – 394, hier S. 319 f.; zur Frage der kurfürstlichen Präeminenz jetzt ausführlich Axel Gotthard, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, Teilbd. 2: Wahlen. Der Kampf um die kurfürstliche „Präeminenz“ (Historische Studien, 457/2), Husum 1999, S. 653 – 840; vgl. auch ders., Der „Große Kurfürst“ und das Kurkolleg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 6 (1996), S. 1 – 54. 31 Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 133; ders., Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 24), S. 24. 32 Schindling, Kurbrandenburg (wie Anm. 9), S. 39. 33 Nicht nur vor diesem Hintergrund erscheinen die neueren Forschungen zu den politischen Strukturen des Alten Reiches, die im Gegensatz zur älteren borussischen Historiographie und deren Idealisierung des nationalen Macht- und Anstaltsstaates zu Recht die friedenswahrende und rechtsgarantierende Kraft der Reichsverfassung positiv hervorheben, im Hinblick auf die Politik Brandenburg-Preußens während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ergänzungsbedürftig. So kann etwa anhand des Beispiels der anhaltischen Fürstentümer aufgezeigt werden, dass die Interessenpolitik der Fürsten dieser mindermächtigen, in der direkten Nachbarschaft armierter Reichsstände gelegenen Territorien immer mehr in die Abhängigkeit von der Zustimmung des brandenburgischen Kurfürsten geriet und dass die Rechte und Ansprüche Anhalts den außen- und reichspolitischen Zielen Brandenburg-Preußens bisweilen untergeordnet wurden. Insofern ist es die Aufgabe zukünftiger Forschungen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, die Wirksamkeit machtstaatlicher Strukturen im

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Ähnlich wie in Fragen der Reichspolitik waren die Beziehungen Kurbrandenburgs zum Kaiser während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch auf außenpolitischem Terrain ausgesprochen zwiespältiger Natur und von einem wechselnden Mit- und Gegeneinander geprägt. Die Ausgangslage stellte sich für die Höfe von Berlin und Wien wie folgt dar: Leopold I. sah sich vor die doppelte Herausforderung gestellt, im Westen dem Hegemonialanspruch des Sonnenkönigs und gleichzeitig im Südosten dem Expansionsdrang des Osmanischen Reiches begegnen zu müssen. Die Sicherung der spanischen Erbfolge und die Behauptung im Kampf gegen die Türken waren zeit seiner Regierung die entscheidenden Bestimmungsfaktoren seiner Politik34. Der Faktor Brandenburg-Preußen stellte vor diesem Hintergrund zugleich eine Chance und eine Gefahr dar: Auf der einen Seite ließ sich das militärische Potenzial des aufstrebenden Hohenzollernstaates im Bündnisfalle zur Durchsetzung eigener Zielsetzungen instrumentalisieren; auf der anderen Seite konnte sich gerade der durch den Großen Kurfürsten begründete Aufbau einer regionalen Vormachtstellung im Norden des Reiches in Phasen gespannter Beziehungen als gewichtiger Hemmschuh für die eigene Politik erweisen. Die Außenpolitik Kurbrandenburgs im hier behandelten Zeitraum war, wie die neuere Forschung im Unterschied zur borussischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts überzeugend nachgewiesen hat, entscheidend von dem primär defensiven Bemühen geprägt, zur Behauptung der in den Friedensschlüssen von 1648 und 1660 errungenen Stellung den Frieden und das europäische Gleichgewicht zu wahren. Expansive Zielsetzungen, die phasenweise durchaus vorhanden waren, traten demgegenüber erkennbar zurück35. Angesichts der Diskrepanz zwischen dem gedirekten Umfeld der armierten, mächtigeren Reichsstände angemessen zu berücksichtigen. Mit dem Klientel- und Patronatsverhältnis zwischen Anhalt und Brandenburg-Preußen befasst sich eingehend Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 2). 34 Zur kaiserlichen Politik in der Frage der spanischen Erbfolge vgl. zusammenfassend Leopold Auer, Österreichische und europäische Politik um das spanische Erbe, in: Elisabeth Springer/Leopold Kammerhofer (Hrsg. unter Mitarbeit von Leopold Auer u. a.), Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, 20), München/Wien 1993, S. 96 – 109; vgl. jüngst auch Christine Roll, Im Schatten der spanischen Erbfolge? Zur kaiserlichen Politik auf dem Kongreß von Rijswijk, in: Heinz Duchhardt (Hrsg. in Verbindung mit Matthias Schnettger und Martin Vogt), Der Friede von Rijswijk 1697 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft, 47), Mainz 1998, S. 47 – 91; Stefan Sienell, Die kaiserlichen Beratungsgremien und die spanische Erbfolgefrage (1699/1700), in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47 (1999), S. 117 – 145. 35 Die Maximen der Außenpolitik des Großen Kurfürsten sind treffend zusammengefasst bei Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 24), S. 31; im Gegensatz dazu vgl. die Auffassung von Peter Kiehm, der die Expansivität der kurbrandenburgischen Außenpolitik in den Vordergrund stellt: Peter Kiehm, Brandenburgische Innen- und Außenpolitik 1660 bis 1679. Ein Beitrag zur Regierungspolitik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Diss., Greifswald 1986, besonders S. 88 f. und S. 130 f. sowie ders., Zu den Feldzügen des brandenburgischen

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ringen eigenen machtpolitischen Potenzial und der Tatsache, dass Kurbrandenburg aufgrund seiner verstreuten Territorien nahezu in jeden internationalen Konflikt verwickelt wurde36, besaß der Große Kurfürst nur sehr geringen Handlungsspielraum bei der Gestaltung der Außenpolitik37 und blieb bei der Verfolgung seiner dynastischen Interessen im Spiel der Mächte letztlich immer auf die Unterstützung anderer angewiesen. Eine bündnispolitische Anlehnung an den Kaiser stellte insofern eine wichtige Option für ihn dar. Die Voraussetzungen für eine langfristige gemeinsame Außenpolitik waren beim Regierungsantritt Leopolds I. durchaus gegeben. Die Kaiserwahl war nicht zuletzt dank der Unterstützung Friedrich Wilhelms zugunsten des jungen Habsburgers ausgefallen, und seit dem Februar 1658 agierte man als Verbündete im Schwedisch-Polnischen Krieg38. Bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre hinein sollte das gegenseitige gute Einvernehmen, das zum Beispiel mit der Defensivallianz vom Mai 1666 zum Ausdruck gebracht wurde, andauern39. Dabei darf jedoch die Tatsache nicht übersehen Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Vorpommern 1675 – 1679. Hintergründe und Ziele, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 15/2 (1988), S. 108 – 115. 36 Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst und die Annexion Straßburgs 1681, in: Studien der Erwin von Steinbach-Stiftung 5 (1984), S. 63 – 83, hier S. 66; zum Faktor Raum als Determinante der Außenpolitik Brandenburg-Preußens vgl. Ulrike Müller-Weil, Absolutismus und Außenpolitik in Preußen. Ein Beitrag zur Strukturgeschichte des preußischen Absolutismus (Frankfurter Historische Abhandlungen, 34), Stuttgart 1992, S. 36 – 46 und Michael Rohrschneider, Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich, S. 45 – 59 in diesem Band. 37 Dies betonen in neuerer Zeit z. B. Johannes Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte, in: Heinrich, Licht (wie Anm. 29), S. 9 – 32, hier S. 14 und 29, und Peter Baumgart, Der Große Kurfürst. Staatsdenken und Staatsarbeit eines europäischen Dynasten, in: ebd., S. 33 – 57, hier S. 45. 38 Zur gemeinsamen Politik im Schwedisch-Polnischen Krieg grundlegend Eckardt Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655 – 1660. Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge nach Dänemark und Pommern (Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt. Militärgeschichtliche Studien, 10), Diss., Bonn 1968, Boppard am Rhein 1969; zum Verhalten des Kurfürsten bei der Kaiserwahl 1658 vgl. Adolf Schultz, Die Beziehungen des großen Kurfürsten zum Kaiser von der Wahl Leopolds I. bis zum Jahre 1673, Diss., Kiel 1896, S. 7 – 19. Die Entscheidung für eine Allianz mit Kurbrandenburg war in der Wiener Hofburg 1658 keinesfalls unumstritten. Leopold widersetzte sich hierbei der Meinung seines Ratgebers Auersperg (siehe das in Anm. 16 angeführte Zitat). Für ein besseres Verständnis mit Kurbrandenburg standen dagegen offenbar der Reichsvizekanzler Ferdinand Sigismund von Kurz, den der Kurfürst mit eigenen Schreiben bedachte (vgl. z. B. HHStA, StAbt, Brandenburgica, K. 16, Konv. ,1657 – 1659‘, fol. 129 – 132), und besonders der kaiserliche Obersthofmeister Johann Ferdinand von Portia. 39 Zu den Beziehungen während der sechziger Jahre vgl. Schultz, Beziehungen (wie Anm. 38), S. 29 – 64; die Allianz vom 10. 05. 1666 bei Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 – 1700. Nach den Originalen des königl. Geh. StaatsArchivs, Berlin 1867, ND 1965, S. 279 f. Ein Überblick über die kurbrandenburgische Außenpolitik während der sechziger und siebziger Jahre findet sich neuerdings bei Derek McKay, Small-power diplomacy in the age of Louis XIV: the foreign policy of the Great Elector during

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werden, dass die wechselseitigen Beziehungen selbst in dieser Phase des verstärkten Miteinanders von einem Problem überschattet wurden, welches schon zu diesem Zeitpunkt ein Dauerthema an beiden Höfen war und dies auch in den nächsten Jahrzehnten bleiben sollte, nämlich die kurbrandenburgischen Ansprüche auf einige schlesische Gebiete. Kaiser Ferdinand II. hatte 1621 über Herzog Johann Georg von Jägerndorf, einen Parteigänger Friedrichs V. von der Pfalz, die Reichsacht verhängt und dessen schlesischen Besitz als heimgefallenes Lehen der Krone Böhmen eingezogen. Kurfürst Friedrich Wilhelm dagegen, der sich als Erbe des 1642 verstorbenen Markgrafen Ernst von Brandenburg-Ansbach, dem Sohn Herzog Johann Georgs, verstand, erhob Ansprüche auf den ehemaligen Besitz der fränkischen Hohenzollern in Schlesien, konnte sich aber mit dieser Auffassung in Wien letztlich nicht durchsetzen40. Zu einem ersten Tiefpunkt in den Beziehungen kam es aufgrund der zurückhaltenden Politik der Hofburg gegenüber Frankreich im Devolutionskrieg sowie der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Kaisers in der Frage der polnischen Königswahl. Verärgert über das Vorgehen Leopolds, von dessen geheimer Übereinkunft mit Ludwig XIV. bezüglich der Teilung des spanischen Weltreiches die Brandenburger im Laufe des Jahres 1669 wohl zunehmend Kenntnis erhielten, sah sich nun auch Kurfürst Friedrich Wilhelm gezwungen, ein Geheimbündnis mit Frankreich abzuschließen41. Der Ausbruch des Französisch-Niederländischen Krieges im Jahre 1672 führte zu einer erneuten Annäherung zwischen den Höfen von Berlin und Wien42. Zwar gelang the 1660s and 1670s, in: Robert Oresko/Graham C. Gibbs/Hamish M. Scott (Hrsg.), Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Essays in memory of Ragnhild Hatton, Cambridge 1997, S. 188 – 215. 40 Zur rechtlichen Lage im Streit um Jägerndorf vgl. Matthias Weber, Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, 1), Köln/Weimar/Wien 1992, S. 188 – 194 und 259 ff. sowie Werner Bein, Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, 26), Sigmaringen 1994, S. 90 – 98; zur schlesischen Frage in den kaiserlich-kurbrandenburgischen Beziehungen zur Zeit Kaiser Leopolds I. insgesamt vgl. ebd., S. 99 – 131. Auch hinsichtlich der Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg gestalteten sich die Beziehungen nicht unproblematisch. Am 08. 07. 1657 empfahl der Geheime Rat dem jungen Leopold, in der Korrespondenz mit dem brandenburgischen Kurfürsten ihn mit jener Titulatur anzusprechen, die dieser für sich selbst verwende. Herzog von Jülich, Kleve und Berg solle der Kurfürst jedoch nur so lange genannt werden, bis Leopold Kaiser sei, da Ferdinand II. dem Kurfürsten diesen Titel „gegeben habe“, als er selbst erst König von Böhmen und Ungarn, aber noch nicht Kaiser gewesen sei; HHStA, StAbt, Brandenburgica, K. 16, Konv. ,1657‘, fol. 338r. 41 Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 100 – 105; das Bündnis vom 31. 12. 1669 bei Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 39), S. 691 – 696. 42 Das Bündnis vom 13./23. 06. 1672 bei Moerner, Staatsverträge (wie Anm. 39), S. 364 ff.; zur kurbrandenburgischen Politik im Französisch-Niederländischen Krieg insgesamt vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 123 – 197; zur Entstehung und zu den Anfangsjahren des Krieges vgl. zuletzt Alexander Koller, Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jülich-bergischen Vizekanzler Stratmann. Pfalz-Neu-

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es dem Kurfürsten zunächst, den Kaiser zum Eintritt in ein Bündnis zu bewegen; dieses erwies sich jedoch für die Brandenburger in der Folgezeit faktisch als wertlos, da sich Leopold vorerst noch nicht in der Lage sah, den Wünschen Friedrich Wilhelms entsprechend einen völligen Bruch mit Ludwig XIV. zugunsten der existenziell bedrohten Niederlande zu wagen. Angesichts der militärisch und finanziell äußerst prekären Lage schloss der Kurfürst daher 1673 in Vossem einen Sonderfrieden mit Frankreich und schied vorläufig aus dem Kampf gegen den Sonnenkönig aus. Schon im Jahr darauf führte jedoch die Reichskriegserklärung43 gegen Frankreich, durch die sich Friedrich Wilhelm nicht mehr an den Vossemer Frieden gebunden fühlte, sowie der Entschluss der Wiener Hofburg, die bisherige Neutralitätspolitik aufzugeben und unmittelbar gegen Frankreich vorzugehen, zu einem erneuten Engagement an der Seite des Kaisers. Der Kurfürst operierte mit seinen Truppen zunächst gemeinsam mit den Kaiserlichen am Oberrhein und im Elsass. Doch veranlasste ihn der um die Jahreswende 1674/75 erfolgte Einfall der Schweden in die Mark Brandenburg, den Kriegsschauplatz zu wechseln. Der nun folgende Siegeszug der Brandenburger wurde in Wien, wie bereits erwähnt44, zurückhaltend aufgenommen. Ein regelmäßig wiederkehrendes Thema in der kurbrandenburgisch-kaiserlichen Korrespondenz dieser Zeit war die Subsidienfrage, in der sich der Kaiser gelegentlich tatsächlich indirekt – für eine direkte Förderung fehlte dem kaiserlichen Haushalt das Geld – für Friedrich Wilhelm stark machte45, während es in Wien die vornehmste Aufgabe des kurfürstlichen Gesandten Lorenz Georg von Crockow war, dem Kaiser Finanzmittel und Winterquartiere zu entlocken, weil „die schweden meine lande gentzlich ruiniret“ hätten, wie der Kurfürst am 13. Februar 1676 eigenhändig an Leopold schrieb46. Gerade Hinweise auf die Gefährdung des Reiches und die damit verbundene Verpflichtung des Kaisers wurden vom Kurfürsten nur zu gerne als Druckmittel verwenburg, Frankreich und Brandenburg zwischen dem Frieden von Aachen und der Reichskriegserklärung an Ludwig XIV. (1668 – 1674) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 22), Münster 1995; Michael Rohrschneider, Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671), S. 121 – 139 in diesem Band. 43 Vgl. Klaus Müller, Zur Reichskriegserklärung im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abt. 90 (1973), S. 246 – 259; siehe dazu die Korrekturen von Christoph Kampmann, Reichstag und Reichskriegserklärung im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 41 – 59. 44 Vgl. Anm. 12. 45 So erhielt beispielsweise der kaiserliche Gesandte in Madrid, Ferdinand Bonaventura von Harrach, am 08. 08. 1675 Order, der Königin in einer Audienz ein Schreiben zu übergeben, wonach die seit acht Monaten ausständigen Subsidienzahlungen direkt für Kurbrandenburg zu verwenden seien. Harrach möge dieses Ansinnen mit seinen „nachtruckhlichen officien beglaiten“; HHStA, StAbt, Brandenburgica, K. 18, Konv. ,1675‘, fol. 16r. 46 Ebd., Konv. ,Jan.–März 1676‘, fol. 45r–46v, hier fol. 45v ; Teildruck in: UA (wie Anm. 25), Bd. 14/2, S. 848 f.

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det, von Leopold Unterstützungen in vielfältiger Hinsicht einzufordern. Schließlich liege es, so die kurbrandenburgische Sicht, in der Verantwortung des Kaisers, für die Sicherheit des Reiches zu sorgen. Das selbständige außenpolitische Agieren der armierten Reichsstände, insbesondere derjenigen, wie Brandenburg-Preußen, die geographisch gesehen an den Reichsgrenzen lagen, wurde somit spätestens in dem Moment für die Wiener Hofburg problematisch, in dem es zum Krieg kam und finanzielle und personelle Forderungen an den Kaiser als Reichsoberhaupt gerichtet wurden. Leopold geriet in diesen Fällen eher in die Position eines ,normalen‘ Bündnispartners, als in die eines regierenden Reichsoberhauptes, das aktiv auswärtige Politik im Namen des gesamten Reiches betrieb. Dass sich die Wiener Hofburg in der Endphase des Französisch-Niederländischen Krieges schließlich nicht in der Lage sah, die Eroberungen des Kurfürsten in Pommern gegen den politischen Druck Frankreichs zu behaupten, nahm Kurfürst Friedrich Wilhelm mit großer Verbitterung auf und trat infolge der mangelnden kaiserlichen Unterstützung nach dem Frieden von Saint-Germain 1679 in das französische Lager über. Im nächsten halben Jahrzehnt blieben die kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen demzufolge äußerst gespannt47. Selbst Verhandlungen über die Beteiligung brandenburgischer Truppen am Entsatz der von den Türken eingeschlossenen Stadt Wien im Sommer 1683 scheiterten aufgrund der frankreichfreundlichen Tendenz der kurfürstlichen Politik48. Enttäuscht erklärte der Kaiser vor den Räten der Geheimen Konferenz am 29. März 1684: „Mit Brandenb[urg] nit ferner zu hoffen“49. Erst in den letzten Lebensjahren des Großen Kurfürsten erfolgte ein erneuter Kurswechsel des Berliner Hofes50. Im Laufe des Jahres 1685 kam es zu einer erheblichen Verschlechterung der kurbrandenburgisch-französischen Beziehungen, die 47

Zur kurbrandenburgischen Politik in der ersten Hälfte der achtziger Jahre vgl. besonders Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 24), S. 28 – 31; ders., Annexion (wie Anm. 36), S. 69 – 83; Margarete Werners, Die Reichspolitik des Großen Kurfürsten im Rahmen seiner europäischen Politik von 1679 – 1684 (vom Frieden von St. Germain bis zum Regensburger Waffenstillstand), Diss., Bonn 1937. In dieser Zeit rückte auch der schwelende Konflikt um das Herzogtum Jägerndorf wieder in den Blick. Vorbeugend stellte der Wiener Hof ein Dossier mit Aktenabschriften in dieser Causa zusammen, „so denen außländischen Herren Ministris nicht zu dem endt, daß sie hieraus ein negotium machen, sondern bloß zur nachricht, und damit sie auff dem fahl, da Churbrandenburg dießfahls was bey Franckreich, Engelland, Dennemarck oder Hollandt auch Sachßen anbringen, und selbe dießfahls hierüber befragt werden möchten, wie zu antwortten wissen mögen, zu communiciren sein wirdt“, wie es in einem Begleitschreiben der böhmischen Hofkanzlei an die Reichshofkanzlei vom 21. 01. 1681 heißt; HHStA, StAbt (wie Anm. 15), Brandenburgica, K. 20, Konv. ,1681‘, fol. 29v–30r, die Abschriftensammlung ebd., fol. 32 – 68. 48 Vgl. Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 2), S. 293 – 307. 49 HHStA, StAbt, Brandenburgica, K. 21, Konv. ,1684‘, fol. 22r. Behandelt wurden an diesem Tag ein kurfürstliches Schreiben sowie einige Relationen des kaiserlichen Gesandten Johann Philipp von Lamberg aus Berlin. 50 Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 256 – 269.

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mit dem Edikt von Potsdam – der Reaktion des Kurfürsten auf die Hugenottenverfolgungen in Frankreich – ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Bezeichnend für die verhärteten Fronten zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten war jedoch die Tatsache, dass es einer Intrige des kaiserlichen Gesandten am Berliner Hof bedurfte, um ein gemeinsames Bündnis und damit die endgültige Abkehr Friedrich Wilhelms von Frankreich zu erreichen: Während der Kaiser der geforderten Abtretung des Kreises Schwiebus als Kompensation für die Aufgabe der brandenburgischen Ansprüche auf einige schlesische Fürstentümer scheinbar zustimmte, fand sich der damalige Kurprinz Friedrich in einem geheimen Revers bereit, dieses Territorium nach seiner Regierungsübernahme zurückzugeben51. Dieser Revers wurde somit letztlich zum Ausgangspunkt dafür, dass in den nächsten Jahrzehnten der prinzipielle Wille zur Kooperation prägend für das Verhältnis zwischen Wien und Berlin wurde. Von der großen Hoffnung, die man am Wiener Hof auf den Kurprinzen setzte, zeugt ein Gutachten kaiserlicher Räte vom 3. Mai 1685. Sie waren vom Kaiser zusammengerufen worden, um sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie der Kurfürst „von dem bißherigen abweege, auff E.K.M. seithen widerumb zu bringen“ sei52. Die Räte führen ausführlich die gegenwärtige Unberechenbarkeit der kurbrandenburgischen Politik aus: „Des Churfürsten zu Brandenburg genius et indoles seye dermassen beschaffen, daß wan er einmahl eine partheye erwehlet, daß er selbige, mehr dan von nöthen, ad extremum usque gradum portire, und solchergestelt bald wider davon ablasse“. Man meine aber, dass der Kurfürst nicht mehr lang leben werde und „altershalber ganz unbeständig“ geworden sei; „er thue sich beeden theilen [dem Kaiser und Frankreich] verkauffen, aber keinem extradiren“53. Insgesamt gesehen waren die kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Bereich der Außenpolitik davon bestimmt, dass die wechselnden Konstellationen des internationalen Systems beiden Mächten nicht immer erlaubten, die eigenen Interessen durch eine gemeinsame Bündnispolitik zu verfolgen. Gerade gegenüber dem als militärisch überlegen wahrgenommenen Frankreich taktierten sowohl der Große Kurfürst als auch der Kaiser zumeist mit großer Vorsicht und waren nur unter bestimmten Voraussetzungen bereit, die Unwägbarkeiten eines Kriegskurses gegen Ludwig XIV. auf sich zu nehmen. Besonders der Kurfürst Friedrich Wilhelm erkannte die Notwendigkeit, aufgrund des geringen eigenen Machtpotenzials eine flexible Außenpolitik führen zu 51 Zum kurprinzlichen Revers vgl. Alfred Francis Prˇibram, Österreich und Brandenburg 1685 – 1686, Innsbruck 1884; Bein, Schlesien (wie Anm. 40), S. 118 – 123; Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 2), S. 327 – 341. 52 HHStA, StAbt, Brandenburgica, K. 21, Konv. ,1685‘, fol. 11r–17r, hier fol. 11r. 53 Ebd., fol. 15r und 13r. Auch mit kleinen Aufmerksamkeiten versuchte der Kaiser, sein Bemühen um den Kurprinzen zu beweisen. Als die Nachricht von einer gefährlichen Erkrankung Friedrichs den Wiener Hof erreichte, wurde ihm ein Giftstein zur Linderung übersandt. Der Kurprinz bedankte sich; er sei bereits vor dessen Eintreffen wieder genesen. Vgl. ebd., K. 22, Konv. ,1687‘, fol. 2rv und 6r.

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müssen, die auch vorübergehende vertragliche Vereinbarungen mit dem Sonnenkönig nicht ausschloss54. Erkennbar ist aber auch, dass Kurbrandenburg und der Kaiser im halben Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden zumeist, wenn auch zum Teil nur formal, als Verbündete gegen die Hegemonialbestrebungen auswärtiger Aggressoren agierten und dass die Phasen eines konsequenten Gegeneinanders demgegenüber nur von kurzer Dauer waren. III. Kurbrandenburg als Beratungsgegenstand der Geheimen Konferenz Kaiser Leopolds I. (1665 – 1683) Als eine Möglichkeit, den Stellenwert adäquat einschätzen zu können, der Kurbrandenburg innerhalb der kaiserlichen Politik während der Regierungszeit Leopolds I. bzw. des Großen Kurfürsten beigemessen wurde, ist die Erforschung der Tätigkeit der kaiserlichen Geheimen Konferenz anzusehen55. Wie oft und in welchem Ausmaß beschäftigte sich dieses wichtigste Beratungsgremium Leopolds mit kurbrandenburgischen Themen bzw. mit jenen, in denen es zu direkten Interessenskonflikten mit Kurfürst Friedrich Wilhelm kam? Zunächst, vor Beantwortung dieser Frage, gilt es jedoch, die Genese dieses Gremiums zu skizzieren. Die Geheime Konferenz entstand in einem organischen Prozess, der sich bis in die erste Zeit nach dem Tode Ferdinands III. zurückverfolgen lässt; von einer in der Literatur stets tradierten eigenständigen Gründung kurz vor dem Sturz Auerspergs (Dezember 1669) kann keine Rede sein. Der personell zu umfängliche Geheime Rat wurde als Kollegium schrittweise zugunsten eines kleineren Zirkels von Geheimen Räten aus den wichtigsten außenpolitischen Agenden ausgeschlossen. Dieser kleinere Kreis von Räten firmierte in den Quellen noch längere Zeit unter dem Begriff des Geheimen Rates – bis Ende der 1660er Jahre ist daher zwischen einem (vollständigen) Geheimen Rat und einem (engeren) Geheimen Rat zu unterscheiden; für Letzteren kann ab Januar 1665 die Bezeichnung Geheime Konferenz verwendet werden, da dieses Kollegium seither einen klar umrissenen Personenkreis umfasste mit einer klaren Stellung innerhalb des politischen Entscheidungsfindungsprozesses am Wiener Hof. Bis zu Beginn der 1680er Jahre wurden die schwierigsten politischen Fragen in der Geheimen Konferenz erörtert, sodass zumindest für diese zwei Dezennien die Agenden dieses Beratungsgremiums als ein Maßstab für den Stellenwert einzelner außenpolitischer Fragen angenommen werden können. Grundsätzlich kann hinsichtlich der behandelten Gegenstände zwischen Relationen der kaiserlichen Gesandten – 54 „Das ,Wechselfieber‘, wie es die Zeitgenossen spöttisch nannten, war keine Laune Kurfürst Friedrich Wilhelms, sondern eine Notwendigkeit kurbrandenburgischer Außenpolitik“; Opgenoorth, Annexion (wie Anm. 36), S. 66. Aus dieser Notwendigkeit, schnelle Bündniswechsel vollziehen zu können, resultierten auch die Bevorzugung bilateraler Bündnisse durch den Großen Kurfürsten sowie seine Zurückhaltung gegenüber der zeittypischen Assoziationspolitik anderer Reichsstände; Schindling, Kurbrandenburg (wie Anm. 9), S. 38. 55 Vgl. hierzu und zum Folgenden die in Anm. 10 genannte Literatur.

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oder Heerführer – von deren Missionen und den mündlichen oder schriftlichen Eingaben auswärtiger Gesandter am Kaiserhof unterschieden werden. Mit dem Tod einiger seiner bedeutendsten Ratgeber 1683 konnte Leopold die Gelegenheit nutzen, seine eigene Person mehr und mehr in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungsfindungsprozesse zu setzen. Zum einen ist dies an einem deutlich nachweisbaren Zunehmen der eigenhändigen Approbationen zu erkennen, mit denen er Voten untergeordneter Instanzen zur Entscheidung brachte. Zum anderen verlor die Geheime Konferenz ihren Einfluss an spezialisierte Kommissionen, von denen es zahlreiche oftmals nur für einige wenige Sitzungen oder Wochen gegeben hat; eben solange, bis das Thema abgehandelt war, für das diese Kommission zusammengestellt worden war. Für die Jahre 1665 bis 1670 lassen sich 190 Sitzungen der Geheimen Konferenz nachweisen, in denen jeweils bis zu vier Gegenstände behandelt wurden56. In 46 dieser Sitzungen (davon 45 in den Jahren 1665 bis 1668) wurden auch kurbrandenburgische Themen, überwiegend Relationen der kaiserlichen Gesandten vom kurbrandenburgischen Hof, behandelt, was knapp einem Viertel aller Sitzungen entspricht. Insgesamt gesehen dominierte freilich der Blick über die Reichsgrenzen hinaus [Polen (39), Spanien (38), die Niederlande (32), Schweden (31), England (27) und Frankreich (17)]. Kurbrandenburg führt damit nicht nur die Liste jener Länder an, mit denen sich die Geheime Konferenz beschäftigte, sondern rangiert auch mit großem Abstand vor den nächsten Reichsständen: Die Rheinlande (Gesandtschaftsmission Sinzendorfs 1667) und Sachsen folgen mit jeweils elf Behandlungen; Braunschweig, Bayern und PfalzNeuburg sind mit fünf bzw. drei und drei Sitzungen kaum erwähnenswert. Kurbrandenburg stellte demnach in diesen Jahren innerhalb des Reiches den sensibelsten Faktor für die Wiener Hofburg dar, dessen Politik mit der größten Aufmerksamkeit beobachtet wurde. Dies tritt in quantitativer Hinsicht gerade in der Frage der polnischen Thronfolge zutage, in die Kurbrandenburg während jener Jahre massiv verwickelt war, sodass kurbrandenburgische Themen auch in den Sitzungen der Geheimen Konferenz dieser Zeit sehr präsent waren. Auf der anderen Seite fällt auf, dass der Hohenzollernstaat in der Geheimen Konferenz der Jahre 1669 bis 1671 eine marginale Rolle gespielt hat. Nur in drei von 38 nachweisbaren Sitzungen wurden auch kurbrandenburgische Agenden behandelt. Es dominieren nach wie vor Fragen zu außerhalb des Reiches gelegenen Ländern; hinsichtlich der Reichsterritorien ist eine Abnahme des Stellenwerts Kurbrandenburgs zugunsten der rheinischen Kurfürstentümer (Relationen Granas und kurmainzische und -trierische Nachrichten) zu konstatieren. Ein Blick auf die allgemeinen politischen Entwicklungen dieser Jahre, insbesondere auf die sich abzeichnende Bedrohung des Reiches durch die Politik Frankreichs, genügt, um eine Verschiebung 56 Bei den nachfolgenden Zahlen handelt es sich um erste quantitative Auswertungen der Erträge des in Anm. 10 genannten Projektes „Verzeichnis der Sitzungen der Geheimen Konferenz“.

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der Prämissen von den östlichen zu den westlichen Reichsgrenzen zu erklären. Die Zahlen ändern sich freilich auffälligerweise erneut in der Anfangsphase des Französisch-Niederländischen Krieges 1672/73, für die ein markanter Anstieg der Brandenburgica als Beratungsgegenstände festzustellen ist, der sicherlich aus dem – mehr oder weniger – gemeinsamen Agieren als Bündnispartner gegen Frankreich resultierte. Der Gesamtblick auf die Tätigkeit der Geheimen Konferenz während der ersten Jahre ihres Bestehens verdeutlicht, dass Kurbrandenburg zweifelsfrei die auffälligste Rolle unter den Reichsterritorien gespielt hat. Es würde den Umständen allerdings nicht gerecht werden, wenn man von diesem Befund ausgehend die Verhältnisse innerhalb des Reiches auf einen kurbrandenburgisch-kaiserlichen Dualismus reduzieren würde. In der Hofburg hat man oft mit einem skeptischen Blick nach Berlin geschaut, aber in Zeiten, in denen die Schwerpunkte der kaiserlichen Politik nicht bei Themen lagen, die vorrangig Berührungspunkte mit dem Hohenzollernstaat aufwiesen, wandte sich Wien selbstverständlich verstärkt anderen Reichsfürsten zu. Betrachtet man alle Gegenstände der Geheimen Konferenz bis 1683 und vergleicht die Zahlen mit jenen Sitzungen, in denen auch Probleme um einzelne Reichsterritorien behandelt wurden, so fällt auf, dass das Verhältnis fast konstant bleibt. In allen Phasen wurden anteilsmäßig in etwa gleich viele Gegenstände betreffend das Reich behandelt; proportional dazu wurde auch über Brandenburgica beraten. Kurbrandenburg spielte stets eine besondere Rolle hinsichtlich der Wertigkeit innerhalb der Wiener Politik, die jedoch ebenso konsequent Schwankungen unterworfen war. In einzelnen Phasen machte der Anteil der kurbrandenburgischen Gegenstände einen überwiegenden Teil der reichischen Gegenstände aus; zu anderen Zeiten fiel dieser Anteil doch deutlich zurück. Köln/Mainz, Dresden, Braunschweig oder München rückten dann verstärkt in den Mittelpunkt der kaiserlichen Interessen. Von dem seitens der älteren Forschung postulierten Dualismus kann nach quantifizierender Betrachtung der Gegenstände der kaiserlichen Geheimen Konferenz zwischen 1665 und 1683 somit nicht die Rede sein. IV. Fazit Die kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen im hier untersuchten Zeitraum waren von einem wechselhaften und nie unproblematischen Mit- und Gegeneinander geprägt. Das Interpretationsmodell preußisch-kleindeutscher Provenienz mit seiner Tendenz zur Konstruierung eines grundsätzlichen Antagonismus zwischen Hohenzollern und Habsburg vermag es somit nicht – dies lässt sich bestätigend zu den Ergebnissen der jüngeren Forschung sagen –, das Verhältnis der Höfe von Berlin und Wien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts adäquat zu erfassen. Quantitativ lässt sich dies nun anhand der Untersuchungsbefunde zu den Brandenburgica als Beratungsthemen der Geheimen Konferenz Kaiser Leopolds I. belegen: Kurbrandenburg hat keineswegs dauerhaft die Position innerhalb der politischen Einschätzungen

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Leopolds I. gespielt, die diesem Kurfürstentum von der älteren Forschung gerne zugeschrieben worden ist. Allerdings zeigen die ermittelten Zahlen in aller Deutlichkeit an, dass der Hohenzollernstaat während der Regierungszeit Leopolds I. zwar letztlich noch ein Beratungsgegenstand unter vielen im Rahmen der außenpolitischen Entscheidungsprozesse der Wiener Hofburg war, aber bereits als besonders gewichtiger Faktor anzusehen ist. Bis zum preußisch-kaiserlichen Dualismus, wie er im 18. Jahrhundert mit Vehemenz zutage trat, war es allerdings noch eine weite Wegstrecke57. Wie wenig das preußisch-habsburgische Verhältnis bislang distanziert-wissenschaftlich durchdrungen wurde und wie sehr in diesem Bereich mitunter immer noch Emotionalität regiert, zeigt sich, wenn man den Blick auf das Reichsganze richtet, in der Diskussion um „Das Reich und Österreich 1648 – 1740“58. Es fällt auf, dass für die derzeitige österreichische Geschichtsforschung die Habsburger und ihr Regierungsgebaren insbesondere im Hinblick auf das Reich erst ab jenem Moment von verstärktem Interesse zu sein scheinen, in dem Österreich – wie auch immer man dies in der Barockzeit definieren will – aus dem Reich herausgewachsen war. Abschließend sei daher dem Wunsch Ausdruck verliehen, dass vor dem Hintergrund dieser Forschungsdiskussion auch und gerade österreichische Historiker wieder stärker, als es in neuerer Zeit geschehen ist, Beiträge zu dieser Diskussion leisten und zum Beispiel die so wichtigen habsburgischen Herrscherpersönlichkeiten des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts59 erneut in das Zentrum der Forschung rücken.

57 Es verwundert daher nicht, sondern ist vielmehr bezeichnend, dass beim Tode Leopolds I. im Mai 1705 überall in Brandenburg-Preußen vierzehn Tage lang jeweils um die Mittagszeit Trauer geläutet sowie für den neuen Kaiser und das Reich gebetet wurde. Arnold Berney hat diesen Sachverhalt treffend kommentiert: „Bis zur Kabinettsordre Friedrichs des Großen vom 24. Juni 1750, welche die kirchliche Fürbitte für den Kaiser verbot, war noch ein weiter Weg“; Berney, Friedrich I. (wie Anm. 18), S. 128. 58 So der Beitrag von Harm Klueting in: Wilhelm Brauneder/Lothar Höbelt (Hrsg.), Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996 – 1806, Wien 1996, S. 162 – 287; in überarbeiteter Form monographisch erschienen: Harm Klueting, Das Reich und Österreich 1648 – 1740 (Historia profana et ecclesiastica, 1), Münster/Hamburg/London 1999; vgl. hierzu die Internet-Rezension von Wolfgang Burgdorf in Perform 1 (2000), Nr. 5, http://www.sehepunkte.de/ perform/reviews.php?id=6 (letzter Zugriff 07. 02. 2019). 59 Es sei nur an die Habsburger-Biographien des Grazer Styria-Verlages von US-Amerikanern zu Leopold I. (John P. Spielman, Leopold I. Zur Macht nicht geboren, Graz/Köln/Wien 1981, engl. 1977) oder zu Joseph I. (Charles W. Ingrao, Joseph I. Der „vergessene“ Kaiser, Graz/Köln/Wien 1982, engl. 1979) erinnert. Mit Herrschaftsstrukturen am Wiener Hof beschäftigten sich während des 20. Jahrhunderts monographisch allein der US-Amerikaner Henry F. Schwarz, The imperial privy council in the seventeenth century (Harvard Historical Studies, 53), Cambridge 1943 und der Franzose Jean Bérenger, Finances et absolutisme autrichien dans la seconde moitié du XVIIe siècle (Publications de la Sorbonne, Série Sorbonne, 1; Travaux du Centre de Recherches sur la Civilisatione de l’Europe Moderne, 17), Paris 1975, zuletzt auch der in Wien lebende Ko-Autor Sienell, Geheime Konferenz (wie Anm. 10).

Die Statthalter des Großen Kurfürsten als außenpolitische Akteure Zu den zentralen strukturellen Determinanten der Regierungspraxis frühneuzeitlicher Mehrfachherrscher1 zählte das Erfordernis der Delegation von Herrschaft2. Der Monarch, der eigentliche Integrationspunkt der unterschiedlich beschaffenen, räumlich zum Teil voneinander getrennten Bestandteile dieser frühmodernen Staatswesen, trat zwar mit dem grundsätzlichen Anspruch auf, in jedem einzelnen seiner Lande Regierungsgewalt unabhängig davon auszuüben, ob er selbst anwesend war oder nicht. In der Regierungspraxis gestaltete sich jedoch eine Herrschaft aus der Ferne oftmals weitaus schwieriger als im Falle der Möglichkeit, vor Ort in persona unmittelbaren Einfluss auf den Gang des Geschehens nehmen zu können. Dies galt beispielsweise, wirft man einen vergleichenden Blick auf die europäischen Mehrfachherrscher des 17. Jahrhunderts, für den König von Spanien als Gebieter über ein weltumspannendes Imperium nicht weniger als für den Kurfürsten von Brandenburg mit seinen verstreuten Territorien vom Niederrhein bis nach Preußen. Das strukturelle Problem fehlender Dauerpräsenz in den einzelnen Territorien stellte sich beiden, wenngleich dem Habsburger infolge der großen räumlichen Ausdehnung seines Reiches zweifellos noch augenfälliger als dem Hohenzoller3. Zur Kompensierung dieses Defizits griff man bevorzugt auf zwei traditionelle Mittel zurück: Zum einen stand der bewährte, jedoch logistisch sehr aufwendige Be1 Zur Begrifflichkeit „Mehrfachherrscher“ bzw. „Mehrfachherrschaft“ vgl. Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35, hier S. 23. Im Folgenden wird der Begriff „Mehrfachherrschaft“ in Anlehnung an die Ausführungen Bosbachs den Termini „composite state“ bzw. „composite monarchy“, die von Koenigsberger und Elliott eingeführt worden sind, vorgezogen; vgl. Helmut G. Koenigsberger, Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale: Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History (History series, 49), London/Ronceverte 1986, S. 1 – 25; John H. Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), S. 48 – 71. 2 Vgl. hierzu jüngst die Ausführungen über das Problem der Herrschaftsdelegation am Fallbeispiel von Regentschaften in André Corvisier, Les régences en Europe. Essai sur les délégations de pouvoirs souverains. Préface de Pierre Chaunu (Histoires), Paris 2002. 3 Erste Ansätze zu einem Vergleich zwischen der spanischen Monarchie und Kurbrandenburg vor der Folie der strukturellen Gegebenheiten frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften finden sich bei Michael Rohrschneider, Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich, S. 45 – 59 in diesem Band.

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helf der Herrscherreisen zur Verfügung4, zum anderen bediente man sich des Konstruktes, mittels der Etablierung eines dauerhaft anwesenden Alter Ego des Monarchen in den betreffenden Landesteilen Herrschaftsausübung und -kontrolle auch für den Fall der Abwesenheit des Souveräns zu gewährleisten. In einem Zeitalter, in dem Autorität und Herrschaft noch weitgehend personal verstanden und ausgeübt wurden, kam es somit entscheidend darauf an, geeignete Persönlichkeiten zu finden, von denen aufgrund ihres gesellschaftlichen Ranges, ihrer Fähigkeiten und ihrer bereits erworbenen Reputation zu erwarten war, dass sie die herrscherlichen Interessen gegenüber den lokalen Gewalten auch dann mit Erfolg durchzusetzen vermochten, wenn der Landesherr nicht anwesend sein konnte. Während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms wurden in Kurbrandenburg mit dieser Aufgabe Statthalter betraut. Ihrer Rolle als außenpolitische Akteure werden sich die nachfolgenden Ausführungen widmen. Nach einleitenden Ausführungen zu den hier verwendeten zentralen Termini (Außenpolitik, Akteure und Statthalter) sowie zum Forschungsstand und zur Genese des Statthalteramtes erfolgt in einem zweiten Schritt eine Darstellung der grundsätzlichen außenpolitischen Funktionen der Statthalter. Auf dieser Grundlage wird dann drittens anhand eines Fallbeispiels eine dieser zu benennenden Funktionen näher beleuchtet, die in der bisherigen Forschung vernachlässigt worden ist, jedoch im Hinblick auf die konkrete Regierungspraxis einer frühneuzeitlichen Mehrfachherrschaft besonders aufschlussreich erscheint, nämlich die Rolle der Statthalter als Informationsvermittler im Rahmen der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms.

I. Spricht man von der Außenpolitik des Großen Kurfürsten, dann ist im hier behandelten Zusammenhang zuvorderst darauf hinzuweisen, dass der Bewahrung der territorialen Integrität des kurbrandenburgischen Territorienkonglomerates nach außen sowohl im herrscherlichen Selbstverständnis als auch in der tatsächlichen Politik Friedrich Wilhelms große Bedeutung zukam5. Wenn der Kurfürst beispielsweise in seinem sogenannten Politischen Testament (1667) von den „viellen vndt statlichen 4 Abgesehen von seinem bereits stark durch Alter und Krankheit geprägten letzten Lebensjahrzehnt regierte Kurfürst Friedrich Wilhelm phasenweise in der Tat wie ein Reiseherrscher. Wolfgang Neugebauer bezeichnet diese Regierungspraxis sogar als „Rückfall in ältere Formen kurfürstlicher Reiseherrschaft“; Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87, hier S. 72. Hinzuweisen ist hierbei vor allem auf die längeren Aufenthalte Friedrich Wilhelms am Niederrhein und in Preußen während der 1660er Jahre. Hinzu kamen noch seine längeren Aufenthalte außerhalb der Mark infolge des Schwedisch-Polnischen sowie des Französisch-Niederländischen Krieges in der zweiten Hälfte der 1650er Jahre bzw. in den 1670er Jahren. 5 Vgl. hierzu zuletzt Rohrschneider, Strukturprobleme (wie Anm. 3).

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Landen“6 schreibt, mit denen das Haus Brandenburg gesegnet sei und deren „conservation“7 angestrebt werden müsse, oder wenn er hier wie andernorts8 die schwierige geostrategische Lage seines zusammengesetzten Staatswesens erwähnt, dann offenbart sich zum einen dieser defensiv-bewahrende Zug seiner Außenpolitik. Zum anderen deuten sich aber zugleich auch expansive Tendenzen an, denn die territoriale Beschaffenheit der kurbrandenburgischen Mehrfachherrschaft lud förmlich zum Mittel der Arrondierung ein. Der in der Forschung stark beachtete Entwurf des Großen Kurfürsten zur Erwerbung von Schlesien ließe sich als Beispiel für eine solche Politik anführen, die Expansion als Mittel zur Erlangung größerer Sicherheit wenn nicht ausdrücklich befürwortete, so doch zumindest nicht ausschloss9. Unabhängig davon, wie die angestrebte „conservation“ seiner Lande zu erlangen war, hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm ein untrügliches Gespür dafür, dass dieses grundlegende Ziel nur unter der Voraussetzung zu erreichen war, dass die mitunter divergierenden Interessen seiner einzelnen Territorien in den auswärtigen Beziehungen nicht gegeneinander ausgespielt wurden. In der Praxis gestaltete sich dies nicht immer einfach. Ein aufschlussreiches Beispiel sei hier erwähnt. Als sich die diplomatischen Vertreter des Kurfürsten, darunter der kleve-märkische Statthalter Johann Moritz von Nassau-Siegen, Anfang des Jahres 1650 im Haag um eine Allianz mit den Generalstaaten bemühten, war eine wesentliche Ursache des Scheiterns dieser Verhandlungen, dass die Niederländer nicht bereit waren, die pommerischen und preußischen Lande des Kurfürsten in das projektierte Bündnis aufzunehmen10. Ganz offenbar wurde also hier die spezifische Struktur der kurbrandenburgischen Mehrfachherrschaft von seinen Verhandlungspartnern als ein Faktor wahrgenommen, den es außenpolitisch ins Kalkül zu ziehen galt und der bei Bedarf entsprechend instrumentalisiert werden konnte. Eine Verhandlungsführung der auswärtigen Mächte, die der Prämisse folgte, sämtliche kurbrandenburgische Lande in außenpolitischer Hinsicht als Einheit anzusehen, war also keinesfalls zwingend gegeben11. 6 Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 187. 7 Ebd. 8 Vgl. etwa folgende Passage aus einer eigenhändigen Denkschrift Kurfürst Friedrich Wilhelms aus dem Jahre 1647: „[…] dan Wan man betrachtet Wie meine landen gelegen, auff einer seitten ist die Chrohn Schweden auff der anderen der Kayser, undt sitze gleichsahm mitten zwissen Ihnen innen, undt erwahrte, was Sie mitt mir anfangen oder thun Wollen, ob Sie mir das meinige lassen, oder nehmen Wollen“; Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930 (im Folgenden abgekürzt UA), hier Bd. 4, S. 553. 9 Druck des Entwurfes bei Dietrich, Testamente (wie Anm. 6), S. 205 – 210. Vgl. zu dem angesprochenen Zusammenhang von Sicherheit und Expansion Gregor Schöllgen, Sicherheit durch Expansion? Die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert im Lichte des Kontinuitätsproblems in der preußischen und deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 22 – 45. 10 Vgl. UA (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 91; vgl. auch ebd., S. 93 f. und 101 f. 11 Gerade von der älteren preußisch-kleindeutschen Historiographie, die dazu tendierte, die Politik Friedrich Wilhelms als zielgerichtetes Streben nach staatlicher Einheit zu deuten, ist

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Kommen wir zum Begriff der außenpolitischen Akteure. In Abkehr von der oftmals auf die Lebensleistung der großen politischen Gestalter fixierten Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts12 hat sich die historische Forschung in den letzten Jahrzehnten eingehend darum bemüht, auch den Anteil von Persönlichkeiten an der Gestaltung von Außenpolitik zu ermitteln, die nicht das Format eines Mazarin oder eines Wilhelm III. von Oranien hatten, um hier zwei berühmte Zeitgenossen Kurfürst Friedrich Wilhelms zu nennen. Als Akteure werden in diesem erweiterten Sinn der jüngeren Forschung im Folgenden ausdrücklich auch die zweit- und drittrangigen Amtsträger sowie nichtstaatliche Träger der Außenpolitik, etwa Geistliche oder auch Gelehrte, verstanden13. Die kurbrandenburgischen Statthalter des 17. Jahrhunderts zählten insgesamt gesehen zweifellos zu diesem Personenkreis, dem nach Maßstab der großen Mächtepolitik nachgeordnete Bedeutung zukam, auch wenn sie bisweilen an den Brennpunkten des europäischen Geschehens agierten. Nun zu den Statthaltern selbst: Mit diesem Terminus werden zum einen diejenigen Akteure der brandenburgischen Politik bezeichnet, die seit dem 16. Jahrhundert zu Stellvertretern des Herrschers in der Mark Brandenburg im Falle seiner Abwesenheit von Berlin ernannt wurden und die später dann (seit 1658) in Permanenz, das heißt auch bei Anwesenheit des Kurfürsten in der Residenzstadt, dieses Amt ausübten14. Davon zu unterscheiden sind zum anderen die Statthalter in den übrigen kurbrandenburgischen Landesteilen, die Kurfürst Friedrich Wilhelm dauerhaft mit seiner Stellvertretung beauftragte15. diese wichtige Rahmenbedingung seiner Regierungszeit in auffälliger Weise vernachlässigt worden. Zum größeren historiographischen Zusammenhang vgl. jetzt Wolfgang Neugebauer, Das alte Preußen. Aspekte der neuesten Forschung, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 463 – 482, hier S. 467 ff. 12 Vgl. aber im Hinblick auf die kurbrandenburgische Politik des 17. Jahrhunderts das zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt erhobene Postulat Erdmannsdörffers, den Anteil leitender Mitarbeiter Kurfürst Friedrich Wilhelms an der von ihm geführten Politik zu ermitteln; Bernhard Erdmannsdörffer, Graf Georg Friedrich von Waldeck. Ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1869, S. IX. 13 Vgl. z. B. Holger Thomas Gräf, Funktionsweisen und Träger internationaler Politik in der Frühen Neuzeit, in: Jens Siegelberg/Klaus Schlichte (Hrsg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, Wiesbaden 2000, S. 105 – 123. 14 In der Kur und Mark Brandenburg waren während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms folgende Statthalter tätig: 1640 – 1641 Graf Adam von Schwarzenberg, 1641 – 1642 Markgraf Ernst von Brandenburg-Jägerndorf, 1643 Samuel von Winterfeldt, 1655 – 1657 Graf Johann VIII. von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, 1658 – 1693 Johann Georg II. von AnhaltDessau (1658 – 1659 vertreten durch Christian Albrecht Burggraf und Graf zu Dohna). 15 Während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms waren als Statthalter tätig: in Kleve-Mark 1643/44 – 1646 Johann von Norprath (nicht nominell) und 1647 – 1679 Johann Moritz von Nassau-Siegen; in Ravensberg (ab 1649 auch in Minden) 1647 – 1649 und 1658 – 1679 Johann Moritz von Nassau-Siegen, 1649 – 1657 Graf Johann VIII. von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein und 1657 – 1658 Graf Georg Friedrich von Waldeck; in Preußen 1657 – 1669 Boguslaus Radziwiłł und 1670 – 1684 Ernst Bogislaw von Croy; in Halberstadt 1649 – 1657

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Die Forschung hat sich erst vergleichsweise spät diesen Amtsträgern, die insbesondere im Verlaufe des 17. Jahrhunderts politische Bedeutung erlangten, zugewandt. Zwar lagen bereits frühzeitig biographische Gesamtdarstellungen zu einzelnen Statthaltern vor, in denen mehr oder weniger ausführlich auch das jeweilige Wirken in kurbrandenburgischen Diensten thematisiert wurde16. Aber erst seit der Dissertation von Egloff von Tippelskirch aus dem Jahre 1937 und den diesbezüglichen Korrekturen und Ergänzungen Dietrich Kausches kann das politische Wirken dieser führenden Mitstreiter des Großen Kurfürsten als ansatzweise systematisch erforscht gelten17. Neuere biographisch angelegte Untersuchungen haben wichtige Lücken in diesem Punkt geschlossen und über die jeweils behandelte Einzelpersönlichkeit hinaus auch Fragen grundsätzlicher Art zur Funktion und Bedeutung dieses Amtes behandelt18. Für den inhaltlichen Kontext der Mehrfachherrschaften ist es hierbei wichtig festzuhalten, dass der Statthalterpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms gerade in der älteren Forschung eine gesamtstaatliche Orientierung unterstellt worden ist. So heißt es bei Egloff von Tippelskirch: „Die Einsetzung der Statthalter berührt die Schicksalsfrage für Brandenburg-Preußen: würde es gelingen den einzelnen Territorien, deren partikulare Interessen sowohl im Innern wie nach außen nichts miteinander gemein hatten, einen Gemeingeist einzuhauchen, und ihre Kräfte einem Willen dienstbar zu Joachim Friedrich von Blumenthal und 1657 – 1677 Christian Albrecht Burggraf und Graf zu Dohna; in Pommern 1650 – 1653 Philipp von Horn und 1665 – 1678 Ernst Bogislaw von Croy. Nicht berücksichtigt sind hier die Personen, die Friedrich Wilhelm – verstärkt gegen Ende seiner Regierung – ehrenhalber zu Statthaltern ernannte, um ihnen die mit diesem Amt verbundenen Einkünfte zukommen zu lassen, ohne dass sie aber de facto dieses Amt ausgeübt hätten. Als Beispiel sei der Generalfeldmarschall Georg von Derfflinger genannt, der 1678 zum Statthalter von Pommern ernannt wurde. 16 Vgl. etwa Ludwig Driesen, Leben des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen […], Berlin 1849; Karl Großmann, Graf Johann VIII. von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. Ein Lebensbild aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges und ein Beitrag zur Geschichte der Graffschaft Wittgenstein, Laasphe 1922. 17 Egloff von Tippelskirch, Die Statthalter des Großen Kurfürsten (Schriftenreihe des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, 31), Heide 1937; Dietrich Kausche, Zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Statthalter, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 52 (1940), S. 1 – 25. 18 Vgl. Jörg Jacoby, Boguslaus Radziwiłł. Der Statthalter des Großen Kurfürsten in Ostpreußen (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, 40), Marburg/Lahn 1959; Ernst Opgenoorth, Johann Moritz von Nassau-Siegen als klevischer Statthalter, in: Guido de Werd (Red.), Soweit der Erdkreis reicht. Johann Moritz von NassauSiegen 1604 – 1679. Ausstellungskatalog, Kleve 1979, S. 61 – 70; Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998; Ludwig Biewer, Ernst Bogislaw Herzog von Croy (1620 – 1684). Statthalter in Pommern und in Preußen, in: Bernhart Jähnig/Georg Michels (Hrsg.), Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europäische Region in ihren geschichtlichen Bezügen. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag gewidmet von den Mitgliedern der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 20), Lüneburg 2000, S. 133 – 149.

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machen“19? In den Darstellungen jüngeren Datums finden sich solche explizite Hervorhebungen der vermeintlichen einheitsstiftenden Funktion dieser Amtsträger nicht mehr, auch wenn noch jüngst betont worden ist, dass die Statthalter in gewissem Maße als Klammer der Mehrfachherrschaft Friedrich Wilhelms dienten20. Der Personenkreis, aus dem Friedrich Wilhelm seine Statthalter rekrutierte, war vergleichsweise klein. Vier wesentliche Gesichtspunkte waren im Hinblick auf die Auswahl der in Frage kommenden Persönlichkeiten konstitutiv. Zum einen spielten konfessionelle Erwägungen in der Personalpolitik des reformierten Kurfürsten eine wichtige Rolle21, was auch im Hinblick auf die Statthalter eine Bevorzugung von Glaubensgenossen nach sich zog; Lutheraner bildeten gegenüber den reformierten Statthaltern die Minderheit22. Zum anderen ist auf die bereits angedeutete bewusste Heranziehung hochadliger Repräsentanten, die bei Bedarf ihren hervorragenden gesellschaftlichen Rang in die Waagschale legen konnten, aufmerksam zu machen23. Zum dritten ist die auffällige Tatsache zu nennen, dass Friedrich Wilhelm gezielt „Ausländer“ in seine Dienste zog, die bereits über einschlägige politische Erfahrungen, persönliche Meriten und Einfluss in dem Nachbarland desjenigen Territoriums verfügten, in dem sie künftig den Statthalterposten bekleiden sollten24. Und schließlich ist zum vierten der Faktor Verwandtschaft zu nennen. Tatsächliche oder künst19 Tippelskirch, Statthalter (wie Anm. 17), S. 28 (Hervorhebungen im Original). Vgl. als Fallbeispiel auch die Kennzeichnung Radziwiłłs, der nach Ansicht seines Biographen „zu den vornehmsten Helfern Friedrich Wilhelms bei der Errichtung des neuen absolutistischen Einheitsstaates gehörte“; Jacoby, Radziwiłł (wie Anm. 18), S. 3. 20 Vgl. jüngst Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft, 8), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 94. 21 Vgl. hierzu die folgende vielzitierte Passage aus dem Politischen Testament Kurfürst Friedrich Wilhelms: „[…] wan Solche Subiecta von der Revormirten Religion in Eweren Landen Sich befinden, So da qualificirt vndt geschickt, fur andere zu denen bedinungen vndt officien, zu hoffe vndt im Lande annehmet vndt bestellet, Ja da auch in der Chur Brandenburg keine verhanden, auß der frembde annehmet, vndt den Lutterischen furziehet“; Dietrich, Testamente (wie Anm. 6), S. 182. 22 Von den in den Anm. 14 und 15 genannten Statthaltern waren nur Blumenthal, Croy, Derfflinger und vermutlich Horn lutherischer Konfession, Schwarzenberg war Katholik. Die konfessionelle Zugehörigkeit Norpraths konnte nicht ermittelt werden. 23 Dies ist nicht nur im Hinblick auf die Verhandlungen mit den Ständen der jeweiligen Territorien zu berücksichtigen; auch die Bemühungen des Großen Kurfürsten, sich eine Klientel zu schaffen, die in Fragen der Reichs- und Kreispolitik dem brandenburgischen Kurs zu folgen bereit war, spielten hierbei eine Rolle; vgl. hierzu die Ausführungen am Beispiel Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau in Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 18), S. 126 – 134. 24 Vgl. mit Blick auf Johann Moritz von Nassau-Siegen und Boguslaus Radziwiłł Ernst Opgenoorth, „Ausländer“ in Brandenburg-Preußen als leitende Beamte und Offiziere 1604 – 1871 (Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universität Königsberg/Pr., 28), Würzburg 1967, S. 28 f. Siehe ferner Neugebauer, Staatliche Einheit (wie Anm. 4), S. 72, der betont, dass die Statthalter somit „bei allen Zentralisierungsbestrebungen also doch nicht eigentlich ganz landfremde Personen“ gewesen seien.

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lich durch Verschwägerung hergestellte Verwandtschaft konnte ein zusätzliches Fundament der vom Herrscher erhofften vertrauensvollen Zusammenarbeit mit seinem jeweiligen Stellvertreter bilden25. Sie war jedoch keine Gewähr für ein uneingeschränkt loyales Verhalten der Statthalter. Im Rahmen der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms, auf die im Folgenden näher einzugehen ist, hat sich dies in aller Deutlichkeit gezeigt. II. In der bisherigen Forschung ist das politische Wirken der kurbrandenburgischen Statthalter des 17. Jahrhunderts insgesamt gesehen vornehmlich mit Blick auf das Verhältnis zwischen Kurfürst und Ständen untersucht worden. Zwar fehlt in den vorliegenden Gesamtwürdigungen der Statthalter nicht der Hinweis auf ihre Tätigkeit auf außenpolitischem Terrain26. Eine systematische Darlegung der außenpolitischen Funktionen dieser Amtsträger ist bislang aber noch nicht erfolgt. Sechs zentrale Aspekte des außenpolitischen Wirkens der Statthalter in Diensten des Großen Kurfürsten sind hervorzuheben: 1. Kurfürst Friedrich Wilhelm beauftragte seine Statthalter wiederholt mit Verhandlungen an auswärtigen Höfen. Hierbei war der hohe gesellschaftliche Rang der Statthalter mit Blick auf eine angemessene Repräsentation ebenso ein Auswahlkriterium wie die oftmals bereits gesammelte außenpolitische und diplomatische Erfahrung oder auch bestimmte persönliche Voraussetzungen, welche die Aussichten auf einen erfolgreichen Verlauf der Verhandlungen erhöhten. Als beispielsweise Johann Moritz von Nassau-Siegen im Jahre 1661 als kurbrandenburgischer Gesandter gemeinsam mit dem Geheimen Rat Daniel Weimann am englischen Hof Gespräche über den Abschluss eines Bündnisses und eines Handelsvertrags führte und dort gleichzeitig auch über Fragen der Vormundschaft für Wilhelm III. von Oranien verhandelte, war seine Verwandtschaft zum Hause Nassau-Oranien zweifellos ein Faktor, den der Kurfürst ins Kalkül gezogen hatte27. In ostentativer Weise günstige per25

Vgl. z. B. die Indienstnahme und Verheiratung Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau: Michael Rohrschneider, Eine anhaltisch-oranische Eheschließung und ihre Folgewirkungen: Überlegungen zu Dynastie und Politik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Beispiel Anhalt-Dessaus, in: Die Niederlande und Deutschland. Aspekte der Beziehungen zweier Länder im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von der Kulturstiftung DessauWörlitz und der Stiftung Historische Sammlungen des Hauses Oranien-Nassau (Kataloge und Schriften der Kulturstiftung DessauWörlitz, 10), Dessau 2000, S. 53 – 58. 26 Vgl. die Ansätze einer vergleichenden, personenübergreifenden Betrachtungsweise bei Tippelskirch, Statthalter (wie Anm. 17), S. 57 – 62. 27 Zu den Verhandlungen Johann Moritz’ und Weimanns am englischen Hof vgl. Otto Hötzsch, Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen als brandenburgischer Staatsmann (1647 bis 1679), in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 19 (1906), S. 89 – 113, hier S. 94 f.; Karl Albert, Weimann’s diplomatische Verhandlungen. Ein Beitrag zur politischen Geschichte des Großen Kurfürsten, Diss., Leipzig 1942, S. 207 – 231; Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biogra-

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sonelle Rahmenbedingungen für anstehende diplomatische Verhandlungen zu schaffen, war allerdings keine Erfolgsgarantie. Ein solches Vorgehen konnte sich, zum Beispiel infolge von Loyalitätskonflikten der Statthalter, durchaus als kontraproduktiv erweisen. Als Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, Statthalter der Kur und Mark Brandenburg und Protagonist der kaisertreuen Partei am brandenburgischen Hof, im Jahre 1683 zu Verhandlungen mit dem Kaiser entsandt wurde, war die Auswahl dieses bekanntermaßen habsburgerfreundlich eingestellten Schwagers Friedrich Wilhelms als Signal an die kaiserliche Seite gedacht. Statt der erhofften kurbrandenburgisch-kaiserlichen Annäherung kam es jedoch zu einer weiteren Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Grund war das Verhandlungsgebaren des Anhalter Fürsten, der sich von seiner grundsätzlichen prokaiserlichen Einstellung leiten ließ: Er machte sich aus kurbrandenburgischer Sicht zu sehr den Verhandlungsstandpunkt der Kaiserlichen zu eigen, überschritt bewusst und eigenmächtig die Instruktionen des Kurfürsten und wurde demzufolge schließlich von Friedrich Wilhelm desavouiert28. 2. Die Statthalter erfüllten nicht nur auswärtige Missionen, sondern sie wurden auch in diplomatischen Verhandlungen am brandenburgischen Hof eingesetzt. In diesem Punkt ergeben sich ähnliche Befunde wie im Hinblick auf ihre Gesandtschaften an anderen europäischen Höfen. Kurfürst Friedrich Wilhelm bediente sich seiner Statthalter nicht nur, indem er ihre diplomatischen Fähigkeiten und außenpolitischen Kenntnisse nutzte und sie als Verhandlungspartner auswärtiger Diplomaten einsetzte29, sondern er brachte vielmehr gezielt ihre hohe Abstammung im Sinne einer Demonstration der Exklusivität der brandenburgischen Hofgesellschaft ins Spiel, um das wachsende Prestige Kurbrandenburgs in der europäischen Mächtepolitik sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Denn hochadlige Mitarbeiter vermochten durch ihren herausgehobenen gesellschaftlichen Rang wichtige Funktionen im Rahmen der an die europäische Öffentlichkeit gerichteten zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes zu übernehmen30. Dies war vor allem im Falle der Abwesenheit des Kurfürsten unerlässlich. So enthielten beispielsweise die Instruktionen an die jeweiligen Statthalter in Berlin genaue, abgestufte Angaben darüber, welche Unterkünfte auswärtigen Gesandten zur Verfügung gestellt werden sollten, wo genau die Verhandlungen stattzufinden hatten und wie die entsprechenden Räumlichkeiten phie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, insbesondere Bd. 2, S. 17 – 21. 28 Zur Mission des Statthalters an den Kaiserhof 1683 vgl. Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 18), S. 293 – 307. 29 Nachweisbar ist, dass diplomatische Verhandlungen wiederholt in den Gemächern stattfanden, die der Statthalter Johann Georg II. im Cöllner Schloss bewohnte; UA (wie Anm. 8), Bd. 22, S. 124 und 156. 30 Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 7 (1997), S. 145 – 176.

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auszugestalten waren31. Die Statthalter bewegten sich in solchen Fällen bildlich gesprochen auf sehr glattem diplomatischen Parkett, da sie die Verantwortung dafür trugen, das differenzierte Repertoire der zeremoniellen Zeichensprache bei entsprechenden Empfängen und Verhandlungen situationsbezogen richtig anzuwenden. Gerade infolge der Ambitionen Kurfürst Friedrich Wilhelms, auf der europäischen Mächteebene in zeremonieller Hinsicht ein „königsgleiches Tractament“ zu erwirken, war dies zweifellos ein schwieriges Unterfangen32. 3. Die außenpolitische Entscheidungsfindung am brandenburgischen Hof erfolgte in der Regel im Zusammenspiel zwischen dem Herrscher und seinen wichtigen Mitarbeitern. Friedrich Wilhelm hat dieses von ihm praktizierte Verfahren seinem präsumtiven Nachfolger in seinem Politischen Testament mittels eines aussagekräftigen Bildes nahegelegt: „[…] vndt seidt gleich den Bienen, die den besten Saft auß den Blumen saugen“33. Die außenpolitischen Entscheidungsprozesse spielten sich in verschiedenen Formen ab. Mündliche Erörterungen im Geheimen Ratskollegium zählten ebenso zum Herrschaftsalltag wie entsprechende Einzelgespräche mit dem Herrscher oder die Erstellung ausführlicher schriftlicher Gutachten. Die Rolle der Statthalter wird man in diesen außenpolitischen Willensbildungsprozessen nicht unterschätzen dürfen. So nahm der Statthalter der Kur und Mark Brandenburg an den Sitzungen des Geheimen Rates teil und votierte aufgrund seines sozialen Ranges und seines hohen Amtes in der Regel als erster34. Er und seine Statthalterkollegen waren darüber hinaus Persönlichkeiten, deren schriftlichen Gutachten zur außenpolitischen Lage insgesamt gesehen großes Gewicht beizumessen ist35. Gemeinsam mit 31 Vgl. die Instruktionen Kurfürst Friedrich Wilhelms vom 19. 01. 1641 (Otto Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 1 – 6, Bd. 7/1 posthum hrsg. von Ernst Müller (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 41, 54, 55, 66, 80, 89 und 91), Leipzig 1889 – 1919, Bd. 1, S. 103 f.), vom 02. 09. 1655 (ebd., Bd. 5, S. 32), vom 25.07.[/04.08.]1668 (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (im Folgenden abgekürzt GStA PK), I. HA Rep. 21 Nr. 135 a Bd. II, fol. 109 – 118, hier Instruktionspunkt 8) und vom 30. 12. 1678 [/09. 01. 1679] (Landesarchiv Sachsen Anhalt (im Folgenden abgekürzt LASA), Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 6/II, fol. 505 – 515, hier Instruktionspunkt 8). 32 Vgl. Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit (wie Anm. 30), S. 163. 33 Dietrich, Testamente (wie Anm. 6), S. 187. 34 So sah die Praxis der Geheimen Ratssitzungen aus. In seinem Politischen Testament hat Kurfürst Friedrich Wilhelm eher das Gegenteil vorgesehen: „[…] die vrsache ist diesse, Das wegen der grossen Autoritet der Alten Rähtte die Jungen Ihre meinung vndt gedancken nicht erofnen oder frey sagen durffen, weill Sie ofters von den Alten Rahtten durch die hechell gezogen, vndt vbers maull gefahren werden“; ebd. 35 Zur Praxis der Einholung außenpolitischer Gutachten vgl. jüngst Michael Rohrschneider, Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671), S. 121 – 139 in diesem Band. Schon Meinardus und Müsebeck haben anhand von Fallbeispielen herausgearbeitet, welchen Wert Gutachten eines Statthalters für die Gestaltung der kurbrandenburgischen Außenpolitik besaßen; vgl. Ernst Müsebeck, Zur Geschichte Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau. Seine Teilnahme an den Feldzügen des Großen Kurfürsten in Pommern 1675 – 1679 und seine Denkschrift an ihn aus dem Jahre 1679, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Alterthums-

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den entsprechenden schriftlichen Stellungnahmen der übrigen engen Mitarbeiter des Kurfürsten bildeten sie bisweilen die Grundlage, auf der Friedrich Wilhelm seine Entscheidungen fällte. 4. Die Funktion der Statthalter als Instrumente landesherrlicher Politik gegenüber den Ständen hatte auch eine spezifisch außenpolitische Dimension, wie vor allem der Blick auf die weit im Westen und Osten gelegenen Lande des kurbrandenburgischen Territorialbesitzes, Kleve-Mark und Preußen, zeigt. Wie bereits angedeutet, spielte es bereits bei der Auswahl der Statthalter durch den Kurfürsten eine nicht unbeträchtliche Rolle, dass der entsprechende Kandidat über Verbindungen in das benachbarte Ausland verfügte. Dahinter stand in den beiden genannten Fällen das grundsätzliche Problem für den Landesherrn, dass die Stände ihrerseits als selbständig handelnde außenpolitische Akteure auftraten. So unterhielten die klevischen Stände mit dem niederländischen Publizisten Lieuwe van Aitzema einen eigenen Agenten bei den Generalstaaten in Den Haag36. Und die preußischen Stände hatten infolge der bis 1657 bzw. 1660 bestehenden Lehnsabhängigkeit des Herzogtums Preußen vom polnischen König traditionell die Möglichkeit genutzt, den brandenburgischen Landesherrn und den polnischen Lehnsherrn im Sinne der Wahrung eigener Interessen gegeneinander auszuspielen37. Gerade vor diesem Hintergrund war es für Kurfürst Friedrich Wilhelm von Bedeutung mit Johann Moritz von Nassau-Siegen und Boguslaus Radziwiłł über Persönlichkeiten als Statthalter zu verfügen, die gegebenenfalls ihre Kontakte ins benachbarte Ausland und ihre dortige Stellung zugunsten der außenpolitischen Interessen des Kurfürsten ins Feld führen konnten. Johann Moritz war als Verwandter des Hauses Nassau-Oranien und Militär in Diensten der niederländischen Republik ebenso prädestiniert für diese Aufgabe wie Radziwiłł, der einer führenden litauischen Magnatenfamilie entstammte und Stimmrecht auf den polnischen Reichstagen hatte. kunde 8 (1898 – 1901), S. 90 – 98; Meinardus, Protokolle (wie Anm. 31), Bd. 6, S. XXVI und 785 – 788. Die Frequenz, in der solche Gutachten erfolgten, ist bislang noch nicht erforscht. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die hochrangigen Mitarbeiter des Kurfürsten unterschiedlich oft als außenpolitische Gutachter in Erscheinung traten. So hat Georg Friedrich von Waldeck zahlreiche ausführliche Memoranden zur außenpolitischen Lage verfasst; von anderen, wie zum Beispiel Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, sind dagegen weit weniger Gutachten überliefert. 36 Zu Aitzema vgl. Herbert H. Rowen, Lieuwe van Aitzema: a soured but knowing eye, in: Phyllis Mack/C. Jacob (Hrsg.), Politics and Culture in Early Modern Europe. Essays in Honor of H. G. Koenigsberger, Cambridge [u. a.] 1987, S. 169 – 182. 37 Zur Ständepolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms im Herzogtum Preußen vgl. den Problemaufriss von Ernst Opgenoorth, Herzog Friedrich Wilhelm? Das Herzogtum Preußen unter dem Großen Kurfürsten, in: Udo Arnold (Hrsg.), Preußen und Berlin. Beziehungen zwischen Provinz und Hauptstadt (Schriftenreihe Nordost-Archiv, 22; Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 2), Lüneburg 1981, S. 83 – 97; vgl. ferner Esther-Beate Körber, Ständische Positionen in Preußen zur Zeit des Großen Kurfürsten, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 7), Berlin 2005, S. 171 – 192.

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5. Wichtige Kompetenzen wurden den Statthaltern in militärischen Angelegenheiten übertragen, also auf einer der wichtigen Schnittstellen zwischen innerer und äußerer Politik. Über die Bestimmungen der allgemeinen Statthalterinstruktionen hinausgehend, regelten Sonderinstruktionen die genaue Vorgehensweise in militärischen Fragen38. Wichtig ist es, im hier thematisierten Zusammenhang der Außenpolitik hervorzuheben, dass zum Beispiel die Zusatzinstruktionen für den Statthalter in Berlin konkrete Anweisungen für den Fall eines Angriffs auf die kurbrandenburgischen Lande enthielten und entsprechend weitgehende Vollmachten des kurfürstlichen Stellvertreters vorsahen. So heißt es in der Instruktion Friedrich Wilhelms vom 7. Januar 1679: „[…] im Fall auch wider alles Vermuten Sr. Churfl. Durchl. Lande von jemand feindlich angegriffen werden sollten, dessen sich doch Se. Churfl. Durchl. zu niemand versehen, noch dazu einige Ursachen geben werden, alsdann können Ihre F. Durchl. [i. e. Johann Georg II. von Anhalt-Dessau] alle Rettungs- und Defensions-Mittel ergreifen, welche Sie zur Hand zu bringen vermögen, […] auch Sr. Churfl. Durchl. von allem schleunigst berichten, welche alsdann nicht ermangeln werden, zureichende Anstalt zu verfügen“39. In Vertretung des Kurfürsten oblag dem Statthalter somit die wichtige Aufgabe, die Verteidigungsfähigkeit der angegriffenen kurfürstlichen Lande herzustellen und in Absprache mit dem Herrscher Mittel und Wege zu finden, gegen die äußeren Invasoren vorzugehen. 6. Damit ist zugleich ein inhaltlicher Aspekt berührt, der nun eingehender dargestellt wird. Gemeint ist das Problem der Kommunikation und Informationsvermittlung zwischen den Statthaltern und dem Kurfürsten in Fragen der Außenpolitik. Thesenartig sei den folgenden Ausführungen die Behauptung vorangestellt, dass eine wichtige außenpolitische Funktion der Statthalter die Einholung von Nachrichten sowie deren Filterung und Weiterleitung an den Herrscher war. Auch in diesem Punkte ist ein Blick auf die entsprechenden statthalterlichen Instruktionen aufschlussreich. So enthielten die Instruktionen für den Statthalter der Kur und Mark Brandenburg jeweils die konkrete Aufforderung, während der herrscherlichen Abwesenheit alle wichtigen Informationen an den Kurfürsten zu übermitteln40. Durchgängig findet 38 Dies galt nicht nur für den Statthalter der Kur und Mark Brandenburg; vgl. etwa die militärische Sonderinstruktion für Croy, Cölln an der Spree 10.[/20.]04.1670, paraphrasiert in Karl Bruns, Die Verhandlungen bei der Übernahme der Statthalterschaft des Herzogs Ernst Bogislav von Croy im Herzogtum Preussen und die Verfassung Preussens im Jahre 1670, Diss., Greifswald, Hildesheim 1919, S. 23 – 26. 39 Instruktion vom 28. 12. 1678[/07. 01. 1679] in Friedrich Wolters, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 – 1697. Darstellung und Akten, 2. Bd.: Die Zentralverwaltung des Heeres und der Steuern (Urkunden und Actenstücke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1/2), Leipzig/München 1915, S. 417 f.; siehe ferner die militärische Sonderinstruktion für den Statthalter der Kur und Mark Brandenburg vom 15.[/25.]07.1674 im LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 4, fol. 253 – 256. 40 Laut kurfürstlicher Instruktion vom 19. 01. 1641 sollte dies wöchentlich erfolgen: „Auf daß Wir auch des Verlaufs aller Sachen aus Unserm Churfürstenthumb stete Nachricht haben mügen, so wolle deshalb Unser Statthalter wöchentlich eine Relation an Uns begreifen, auch was in Krieges-, Landes-, Reichs- und Clevischen Sachen zu referiren, jedes in absonderliche

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sich zudem die Weisung, mit den benachbarten Reichsständen zu korrespondieren und entsprechende Informationen über die außenpolitische Lage einzuziehen. Auch der Nachrichtenaustausch mit den Statthalterkollegen war vorgesehen41. Wie sich diese Art der Informationserlangung und -übermittlung konkret gestaltete und welche Aufschlüsse dies über die Rolle der Statthalter als außenpolitische Akteure ermöglicht, wird nun anhand eines Fallbeispiels ausführlicher dargelegt. Es zeigt besonders eindringlich die strukturellen Probleme auf, die aus der Tatsache resultierten, dass Kurfürst Friedrich Wilhelm als Herrscher über einen sich weit erstreckenden Territorienverbund im Kriegsfall nicht an allen Brennpunkten des Geschehens gleichzeitig sein konnte. Im Folgenden rücken also der Einfall der Schweden auf kurbrandenburgisches Territorium im Winter 1674/75 und das nachfolgende politische und militärische Geschehen bis zum berühmten Gefecht von Fehrbellin in den Blickpunkt.

III. Die Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhems war in außenpolitischer Hinsicht entscheidend davon geprägt, dass Kurbrandenburg infolge der verstreuten Lage seiner einzelnen territorialen Bestandteile nahezu unausweichlich von fast jedem europäischen Krieg tangiert wurde. Besonders prekär war die Lage dann, wenn mehrere Konfliktherde gleichzeitig aufbrachen. Die Ereignisse der Jahre 1674/75 belegen dies besonders nachdrücklich. Der Kurfürst hatte 1673 den Sonderfrieden von Vossem mit Frankreich geschlossen und war somit zwischenzeitlich aus dem Kampf gegen Ludwig XIV. im Französisch-Niederländischen Krieg (1672 – 1678/79) ausgeschieden. Im folgenden Jahr trat er jedoch unter geänderten außen- und reichspolitischen Konstellationen wieder auf die Seite des Kaisers und führte seine Truppen an den Oberrhein und in das Elsass, wo er gemeinsam mit den Kaiserlichen gegen die französischen Armeen kämpfte42. In Berlin hatte er den Statthalter der Kur und Mark Brandenburg, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, zurückgelassen. Dieser sah sich um die Jahreswende 1674/75 – Friedrich Wilhelm weilte nach wie vor am westlichen Kriegsschauplatz – damit konfrontiert, dass schwedische Truppen in die Uckermark einmarschierten und in der Folgezeit auch Teile von Hinterpommern, der Mittel- und Schreiben oder Postscripta verfassen und die Posten den sichersten Weg gehen lassen“; Meinardus, Protokolle (wie Anm. 31), Bd. 1, S. 105. 41 Vgl. z. B. die Instruktion für Sayn-Wittgenstein vom 02. 09. 1655; ebd., Bd. 5, S. 29. 42 Zum Frieden von Vossem vgl. Alexander Koller, Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jülich-bergischen Vizekanzler Stratmann. Pfalz-Neuburg, Frankreich und Brandenburg zwischen dem Frieden von Aachen und der Reichskriegserklärung an Ludwig XIV. (1668 – 1674) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., 22), Münster 1995. Grundlage des erneuten Engagements auf der Seite des Kaisers war das Bündnis Kurbrandenburgs mit dem Kaiser, Spanien und den Niederlanden vom 01. 07. 1674; vgl. Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des königl. Geh. Staats-Archivs, Berlin 1867, ND 1965, Nr. 218.

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der Neumark besetzten43. Der Statthalter sah sich nun vor das Problem gestellt, die kurbrandenburgischen Lande mit nur unzureichenden militärischen Mitteln gegen die überlegenen schwedischen Truppen behaupten zu müssen. Seine mit zunehmender Dauer der schwedischen Invasion immer verzweifelteren Versuche, den Kurfürsten zum Verlassen des westlichen Kriegsschauplatzes und zur Rückkehr in die Mark zu bewegen, waren erst im Frühjahr 1675 von Erfolg gekrönt. Der vielbeschriebene Rückmarsch des Kurfürsten mit seinen Truppen vom Rhein zum Rhin und der Sieg gegen die schwedischen Invasoren bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 befreiten den Statthalter schließlich aus seiner prekären Lage. Zu einer wesentlichen Grundlage der politischen und militärischen Entscheidungen des Kurfürsten in diesem Zeitraum wurde das dichte Nachrichtennetz, das Johann Georg II. in seiner Funktion als Statthalter weisungsgemäß errichtete und in dem all die Informationen aufgefangen und weitervermittelt wurden, die Kenntnisse über das schwedische Vorgehen versprachen. Wie verliefen nun konkret die Einholung und der Austausch von Nachrichten, und welche Probleme ergaben sich diesbezüglich für den Statthalter und den Kurfürsten? Der wichtigste Korrespondenzstrang für den Informationsaustausch war zweifellos der direkte Schriftwechsel zwischen dem Statthalter und seinem Dienstherren44. In dichter Abfolge, zum Teil mit mehreren Schreiben täglich, berichtete Johann Georg II. gemeinsam mit den in der Mark zurückgebliebenen Geheimen Räten oder in eigenhändigen Separatschreiben über alle relevanten Vorkommnisse an Friedrich Wilhelm. Dieser antwortete ebenfalls mit eigenhändigen Briefen an seinen Statthalter oder mit Schreiben, die an den Statthalter und die Geheimen Räte gemeinsam gerichtet waren. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass Johann Georg II. die Relationen an den Kurfürsten nicht nur als bloßes Medium des Nachrichtenaustausches nutzte, sondern zugleich immer wieder in suggestiver Weise versuchte, Friedrich Wilhelm die Notlage seiner Lande vor Augen zu führen und ihn somit von einem Wechsel der militärischen Prioritäten von den westlichen Landen hin zur Mark zu überzeugen45.

43 Zum kurbrandenburgisch-schwedischen Konflikt 1674/75 vgl. Erika Herzfeld, Klassenkämpfe in der Kur und Mark Brandenburg während der schwedisch-brandenburgischen Auseinandersetzungen des Jahres 1675 (Nach kurbrandenburgischen Quellen), Diss., Berlin(-Ost) 1961, sowie die Darstellung aus der Perspektive des Statthalters bei Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 18), S. 231 – 259. 44 Auszüge des Schriftwechsels zwischen Johann Georg II. und Kurfürst Friedrich Wilhelm in den Jahren 1674/75 sind gedruckt bei Leopold von Orlich, Geschichte des Preußischen Staates im siebzehnten Jahrhundert; mit besonderer Beziehung auf das Leben Friedrich Wilhelm’s des Großen Kurfürsten, 3. Theil, Berlin 1839; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 381 – 436. Vgl. darüber hinaus vor allem folgende Archivbestände: GStA PK, I. HA Rep. 11, 1 – 18 Anhalt Nr. 39 D und Nr. 39 E; ebd., Rep. 21 Nr. 136 u Bd. III und Bd. IV; ebd., Rep. 131 K 126 C 22; LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 4 und Nr. 6. 45 Vgl. Statthalter und Geheime Räte an den Kurfürsten, Cölln an der Spree 24.01.[/03.02.] 1675; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 415 ff.

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Beinahe genauso wichtig wie die Schreiben des Statthalters und des Kurfürsten selbst waren die zugleich übersandten Beilagen. Sie wurden zum Teil im Original, als Kopie oder Auszug angefügt und dienten der Übermittlung zusätzlicher Informationen, die in den Hauptschreiben nicht eigens aufgeführt waren. Befördert wurde dieser Schriftwechsel zwischen der Berliner Residenz und dem kurfürstlichen Hauptquartier auf dem Postwege, zum Teil, bei gebotener Dringlichkeit und bei Zweifeln am Eingang bereits abgesandter Schreiben, durch Expresskuriere46 oder auch durch eigens ausgewählte Boten, die zusätzlich mündlichen Bericht abstatteten47. Die kurbrandenburgische Politik konnte immerhin schon zu diesem Zeitpunkt auf ein gut ausgebautes Postnetz zurückgreifen, das nahezu durchgehend die Landesteile von Kleve über Berlin nach Königsberg verband48. „[…] die Postreiter Kurbrandenburgs waren in den 1650er Jahren als fliegende Posten bezeichnet worden und galten als Inbegriff der Geschwindigkeit“49, konstatierte jüngst Wolfgang Behringer im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der kurbrandenburgischen Post während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms. Neben der Korrespondenz mit dem Herrscher selbst hatte das besondere Augenmerk des Statthalters dem Schriftwechsel mit auswärtigen Höfen und Persönlichkeiten zu gelten. Der Kurfürst hatte vor seiner Abreise entsprechende Weisungen hinterlassen, denn ein schwedischer Einfall war im Vorfeld seines Aufbruchs zum westlichen Kriegsschauplatz nicht ausgeschlossen worden. Die Invasion hatte die Brandenburger somit nicht gänzlich unerwartet getroffen. Bereits in den Instruktionen für den Statthalter und die Geheimen Räte waren konkrete Maßnahmen für den Fall eines drohenden oder tatsächlichen feindlichen Übergriffs bei Abwesenheit des Kurfürsten anvisiert worden. Der Statthalter wurde angewiesen, sich mit dem Kaiser und den benachbarten Kur- und Reichsfürsten, insbesondere Kursachsen, in Verbindung zu setzen, sollte sich eine solche Notlage ergeben. Zudem sollte er mit dem Statthalter von Preußen und Hinterpommern, Ernst Bogislaw von Croy, dem Kommandanten 46 Vgl. z. B. Kurfürst Friedrich Wilhelm an Johann Georg II., Colmar 22.11.[/02.12.]1674 und Lippstadt 01./11. 03. 1675; ebd., S. 391 bzw. 427. 47 Vgl. z. B. Johann Georg II. an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Cölln an der Spree 20./30. 12. 1674; ebd., S. 402; Kurfürst Friedrich Wilhelm an Johann Georg II., Laufen 15.[/25.]01.1675; ebd., S. 418 f. 48 Zur brandenburg-preußischen Post vgl. jüngst Joachim Kundler, Kommunikation als Instrument der Durchsetzung von Herrschaftsinteressen. Die Post in Brandenburg-Preußen 1646 – 1713, in: Ralf Pröve/Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600 – 1850 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens e. V., 2), Berlin 2001, S. 33 – 48; Jürgen Wilke, Nachrichtenvermittlung und Informationswege im 17. und 18. Jahrhundert in Brandenburg/Preußen, in: Bernd Sösemann (Hrsg.), Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, 12), Stuttgart 2002, S. 72 – 84, hier S. 77 f.; Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 189), Göttingen 2003, S. 230 f. und 244 – 253. 49 Behringer, Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 48), S. 644 f.

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der Festung Kolberg, Generalmajor Bogislaw von Schwerin, und weiteren Militärs in den Grenzbezirken in enge Kommunikation treten50. Ferner erhielten die kurbrandenburgischen Diplomaten in Stockholm, Kopenhagen, Warschau, Hamburg, Wien und Den Haag die Weisung, den Statthalter über alle relevanten Nachrichten zu informieren51. Zusätzlich knüpfte Johann Georg II. briefliche Kontakte mit wichtigen Politikern und Militärs, von denen man sich entsprechende Unterstützung der kurbrandenburgischen Belange und gesicherte Nachrichten über die Vorgänge auf oberster politischer und militärischer Ebene erhoffte. Hierzu zählten Wilhelm III. von Oranien, dessen wichtiger Mitarbeiter Graf Georg Friedrich von Waldeck sowie der kaiserliche Feldherr Montecuccoli52. Entsprechend der ausdrücklichen Order des Kurfürsten trat der Statthalter zudem in Verbindung mit dem Feldherrn Karl Gustav Wrangel, der die feindlichen schwedischen Truppen kommandierte53. Johann Georg II. korrespondierte brieflich mit Wrangel und entsandte wiederholt Sonderbevollmächtigte in das schwedische Hauptquartier, zum einen um den Feldherrn nach Möglichkeit vom gänzlichen Bruch mit Kurbrandenburg abzuhalten, zum anderen aber auch um konkrete Informationen über die lange Zeit unklaren Ziele der Schweden zu erlangen. Er bot Wrangel sogar eine persönliche Zusammenkunft an, die dieser jedoch höflich ablehnte54. Entscheidende Bedeutung kam der Frage zu, ob es dem Statthalter gelingen konnte, aus den Gebieten, welche direkt von dem schwedischen Einmarsch betroffen waren, hinreichende Informationen zu erlangen. Denn dies war für eine angemessene Einschätzung der militärischen Gesamtlage unerlässlich. Dementsprechend intensiv waren die Bemühungen, an geeignete Nachrichten zu kommen. So lassen sich aus der Korrespondenz des Statthalters mit dem Kurfürsten Belege dafür finden, dass dichte Nachrichtenverbindungen hergestellt wurden, die einen möglichst schnellen Informationstransfer gewährleisten sollten. „[…] weil bis Prenzlau von 2 zu 2 Meilen alles mit Postreitern unterlegt ist“55, erwarte er stündlich Nachricht über das Vorge50 Vgl. die allgemeine Instruktion für den Statthalter und die Geheimen Räte, Cölln an der Spree 15.[/25.]07.1674, GStA PK, I. HA Rep. 21 Nr. 135 a Bd. II, hier fol. 150’, sowie die militärische Sonderinstruktion vom 15.[/25.]07.1674 im LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 4, hier fol. 255 – 255’. Die Korrespondenz zwischen Johann Georg II. und Bogislaw von Schwerin im hier behandelten Zeitraum findet sich ebd., A 9 a II b Nr. 8/I sowie im GStA PK, I. HA Rep. 63 Nr. 505. 51 Siehe hierzu Rohrschneider, Johann Georg II. (wie Anm. 18), S. 246 – 249. 52 Der Statthalter führte in seinen Schreiben an den Kurfürsten jeweils ausdrücklich auf, welche Korrespondenzen er führte. Vgl. im Hinblick auf Wilhelm III., Waldeck und Montecuccoli z. B. Johann Georg II. an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Cölln an der Spree 06./16. 12. 1674 und 30. 12. 1674[/09. 01. 1675]; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 395 f. bzw. 405. 53 Vgl. ebd., insbesondere S. 437 – 464; ergänzend hierzu siehe LASA, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 52, fol. 43 – 54. 54 Vgl. die Relation des Sondergesandten Micrander, Cölln an der Spree 26.10.[/05.11.] 1674; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 442. 55 Johann Georg II. an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Cölln an der Spree 09./19. 12. 1674; ebd., S. 397.

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hen der Schweden, meldete der Statthalter dem Kurfürsten am 19. Dezember 1674. Auffällig ist dabei der bevorzugte Einsatz von Militärs als Kundschafter und Informationsbeschaffer. Zum Teil scheute man sich auch nicht vor gewaltsamen Übergriffen. Angetrieben von dem Wunsch, genaue Informationen über die Beziehungen Schwedens zu seinem Alliierten Frankreich zu erlangen, wies der Kurfürst seinen Statthalter an, einen französischen Unterhändler, der sich auf dem Weg nach Polen befand, abzufangen: „Ew. Ld. würden mich mit solchem Fang höchstlich obligiren; könnte man ihn nicht lebendig bekommen, so müsste man ihn tot schiessen und die Briefe nehmen, so er bei sich haben wird, denn da würde man viel Nachricht bei finden“56. Die Lage in Hinterpommern war aufgrund des schwedischen Vorrückens besonders gefährdet. Gerade hier war es außerordentlich wichtig, dass der Informationsfluss gewährleistet blieb. So wies der Kurfürst seinen Statthalter Anfang Dezember 1674 an, er habe „von allen der Schweden Vorhaben aufs fleissigste Kundschaft einzuziehen und zu solchem Ende einige Leute in Pommern zu halten, die von allem stündlich berichten“57. Diese Informationsgewinnung war nicht nur ein vorrangiges Interesse des Kurfürsten und des Statthalters in Berlin, die zur Einschätzung des schwedischen Vorgehens sehr auf eingehende Nachrichten aus Pommern angewiesen waren, sondern Informationsbedarf bestand auch seitens der hinterpommerischen Regierung, die wiederholt bei Johann Georg II. mit der Bitte um Weitergabe von Nachrichten vorstellig wurde58. Die Abstimmung des Vorgehens der Regierungen in Berlin und Stargard sowie der wechselseitige Austausch von Informationen waren in dieser außerordentlich gefährdeten Lage wichtiger denn je. Für den Statthalter ergaben sich aber sehr bald unvorhergesehene Schwierigkeiten, die wie in einem Brennspiegel die Probleme territorienübergreifender Kooperation in einer frühneuzeitlichen Mehrfachherrschaft vor Augen führen. Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund war die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt, Mitte der 1670er Jahre, die politische Funktion des kurfürstlichen Statthalters in Hinterpommern faktisch auf die eines landesherrlichen Repräsentationsorgans gegenüber den Ständen reduziert war59. Ernst Bogislaw von Croy, der zum damaligen Zeitpunkt dieses Amt innehatte, spielte bei weitem nicht eine solch wichtige politische Rolle wie etwa Johann Georg II. in der Mark Brandenburg oder Johann Moritz von Nassau-Sie-

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Kurfürst Friedrich Wilhelm an Johann Georg II., Schweinfurt 22. 02. 1675; ebd., S. 427. Von einer erfolgreichen Interzeption berichtete der Statthalter dem Kurfürsten in einem Schreiben vom 09./19. 06. 1675; GStA PK, I. HA Rep. 11, 1 – 18 Anhalt Nr. 39 E, fol. 101’. 57 Kurfürst Friedrich Wilhelm an Johann Georg II., Colmar 22.11.[/02.12.]1674; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 391. 58 Vgl. die Schreiben der hinterpommerischen Regierung an Johann Georg II., Stargard 30.10.[/09.11.] und 13.[/23.]11.1674; ebd., S. 467 f. 59 Kausche, Statthalter (wie Anm. 17), S. 3 f. und 16 – 21; Biewer, Croy (wie Anm. 18), S. 142.

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gen in Kleve-Mark60. Die eigentlichen Regierungsgeschäfte führten in Hinterpommern die kurfürstlichen Regierungsräte. Johann Georg II. hatte ihnen im Vorfeld des schwedischen Truppeneinfalls reskribiert, an sie gerichtete diesbezügliche Begehren an ihn weiterzuleiten61. Als sich die schwedische Armee näherte, flohen die Regierungsräte aus Stargard, dem eigentlichen Sitz der Regierung, nach Kolberg. Von dort aus war die Kommunikation mit dem Statthalter jedoch schwieriger als von dem näher an Berlin gelegenen Stargard62. Teile der pommerischen Landstände forderten daraufhin energisch die Rückkehr der Regierung, „damit die communicatio Consiliorum zwischen beider Churfürstl. Märkischer und Pommerischer Regierung, da beide Länder zugleich bequartieret, desto besser und sicherer gepfleget […] werde“63. Johann Georg II. musste angesichts der bedrohten Lage ein besonderes Interesse daran haben, dass sich die hinterpommerischen Stände nach Möglichkeit nicht über den Kopf der kurfürstlichen Regierung hinweg mit den Schweden arrangierten. Folgerichtig bat er die Regierungsräte, nach Stargard zurückzukehren64, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Vielmehr musste der Statthalter erkennen, dass er selbst in dieser höchst gefährdeten Lage nicht aus eigener Machtvollkommenheit und ohne energischen Rückhalt seitens des Kurfürsten in der Lage war, die kurfürstliche Regierung in Hinterpommern nach seinen Wünschen zu dirigieren. Die von den Ständen eingeforderte „communicatio Consiliorum“ blieb auch weiterhin angesichts der bedrängten Lage ein schwieriges Unterfangen. Diese hier vorgestellten wichtigen Korrespondenzstränge bildeten in ihrer Gesamtheit ein Informationsnetz, in dessen Mitte der Statthalter in Berlin saß, der seinerseits ebenfalls als Sender und Verteiler der eingekommenen Nachrichten fungierte. Dass dieses Netz nicht problemlos funktionierte und dass die zeittypischen Probleme der Nachrichtenübermittlung nicht immer die erwünschte schnelle und sichere Zustellung der jeweiligen Informationen zuließen, ist gerade eingedenk der Kriegssituation nicht verwunderlich. Erschwerende Faktoren waren Raum und Zeit, die Gefahr von Interzeptionen sowie die Frage der Zuverlässigkeit der einkommenden Nachrichten. Zunächst zu den räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen des Nachrichtentransfers. Es stellte sich als äußerst problematisch für den Statthalter in Berlin heraus, dass er in seinen Entscheidungen letztlich vom Plazet des Kurfürsten abhängig 60

Vgl. Hans Branig, Die Statthalter von Pommern, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 99 (1963), S. 135 – 152, hier S. 138. 61 Reskript Johann Georgs II., Cölln an der Spree 16.[/26.]11.1674; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 468. 62 Darauf wies der kurfürstliche Kammerrat Friedrich Creitzen in einem Schreiben an Johann Georg II., Stargard 31.05.[/10.06.]1675, ausdrücklich hin; GStA PK, I. HA Rep. 30 Nr. 226 b–c, unfoliiert. 63 Schreiben der Landstände des Herzogtums Hinterpommern, Stargard 04.[/14.]01.1675; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 474. 64 Reskripte Johann Georgs II., Cölln an der Spree 07.[/17.]01.1675; ebd., S. 474 f.

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war. Daraus ergaben sich schon allein aufgrund der zeitlichen Verzögerungen, die durch die großen Distanzen verursacht wurden, welche bei der Übersendung der Korrespondenz bewältigt werden mussten, erhebliche Probleme. Denn bisweilen trafen die Weisungen Friedrich Wilhelms zu spät in Berlin ein, sodass sie zum Teil kaum noch eine sinnvolle Grundlage oder ein Orientierungsmaßstab für die Handlungen des Statthalters waren. So klagte der Statthalter in einem Schreiben an den Geheimen Rat Lorenz Christoph von Somnitz vom 3. November 1674, dass die Briefe von Berlin bis Straßburg zwölf Tage unterwegs seien und dass es allemal drei Wochen dauere, ehe man vom Kurfürsten Antwort erhalte65. Darüber hinaus ist auf das Problem von Interzeptionen hinzuweisen. Die wiederholten Hinweise des Statthalters auf fehlenden Posteingang lassen darauf schließen, dass nicht alle abgesandten Schreiben des Kurfürsten tatsächlich in seiner Berliner Residenz eintrafen. Hinweise auf Interzeptionen sind auch in anderen Korrespondenzen Friedrich Wilhelms dieser Zeit nachweisbar und dokumentieren die grundsätzliche Schwierigkeit einer sicheren Informationsübermittlung66. Neben den ausbleibenden oder verspäteten Nachrichten waren die Zuverlässigkeit respektive die Unzuverlässigkeit der eingeholten Informationen wichtige Faktoren, die es in den außenpolitischen Entscheidungsprozessen zu beachten galt. Wendungen wie „ich weiss auch von sicherer Hand“67 oder ähnliche Beurteilungen des jeweiligen Wahrheitsgehaltes der gemeldeten Nachrichten waren wichtige Bestandteile der Korrespondenz und zugleich wesentliche Voraussetzungen einer angemessenen Entscheidungsfindung. Dies waren selbstverständlich keine spezifisch kurbrandenburgischen Probleme, aber sie waren im hier behandelten Zusammenhang von außerordentlicher Bedeutung. Nicht vergessen werden darf der Hinweis auf die zusätzlichen Probleme des Statthalters, die aus der Tatsache resultierten, dass Friedrich Wilhelm ihn zeitweise nicht ausreichend über seine Absichten in Kenntnis setzte. „Daß Euer Liebden Meine Intention begehren zu wissen, solches ist noch nicht von der Zeit, da niemand als der Prinz von Oranien und Ich solches wissen, Euer Liebden aber werde Ich schon bei Zeiten hierauf Part geben“, antwortete der Kurfürst seinem zunehmend entrüsteten Stellvertreter im Februar 1675 auf dessen in immer drängenderem Ton abgefassten Schreiben68. Die Statthalter fungierten zwar, dies wird anhand dieses Beispiels sehr deutlich, als Repräsentanten und wichtige Mitarbeiter des Herrschers. Dies garantier65 Johann Georg II. an Somnitz, Cölln an der Spree 24.10.[/03.11.]1674; GStA PK, I. HA Rep. 21 Nr. 136 u. Bd. III, fol. 69. 66 Vgl. auch entsprechende Vermutungen über Interzeptionen in dem Schreiben Christian Albrechts Graf zu Dohna an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Küstrin 28.11.[/08.12.]1674; UA (wie Anm. 8), Bd. 17, S. 438. 67 Johann Georg II. an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Cölln an der Spree 06./16. 12. 1674; ebd., S. 395. 68 Kurfürst Friedrich Wilhelm an Johann Georg II., Hauptquartier zu Schweinfurt 05./ 15. 02. 1675, in: Melle Klinkenborg (Hrsg.), Fehrbellin. Nach Berichten und Briefen der führenden Männer (Voigtländers Quellenbücher, 50), Leipzig 1913, S. 37.

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te ihnen jedoch keinesfalls die ständige Einbeziehung in die Arcana der Außenpolitik. Als außenpolitische Akteure blieben sie letztlich trotz beträchtlicher Handlungsspielräume, die ihnen mitunter zur Verfügung standen, entscheidend von der Bereitschaft des Kurfürsten abhängig, sie an seinen Intentionen und Entscheidungen teilhaben zu lassen. IV. Welche Rückschlüsse erlauben die vorangegangenen Ausführungen im Hinblick auf den eingangs angedeuteten möglichen Zusammenhang zwischen dem Wirken der Statthalter einerseits und der Genese einer landesherrlichen Politik andererseits, der in Bezug auf Fragen von territorienübergreifender Bedeutung bis zu einem bestimmten Grade integrative, „gesamtstaatliche“ Wirkung beizumessen ist? Sicherlich ist der Bereich der Außenpolitik zu denjenigen Politikfeldern zu zählen, für die man belegen kann, dass die Regierungspraxis Kurfürst Friedrich Wilhelms in seinen Landen der Tendenz nach transterritorial ausgerichtet war. Das Wirken der Statthalter stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, ganz abgesehen davon, dass die Aufgaben des Statthalters der Kur und Mark Brandenburg spätestens seit 1658 nicht auf spezifisch märkische Fragen der Politik des Kurfürsten beschränkt waren69. Das Fallbeispiel der Kommunikation zwischen dem Herrscher und seinem Statthalter in Berlin während des Schwedeneinfalls 1674/75 hat darüber hinaus gezeigt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt bestimmte strukturelle Rahmenbedingungen gegeben waren, wie zum Beispiel geeignete Postverbindungen und ein Netz diplomatischer Vertreter an auswärtigen Höfen, die unerlässliche Voraussetzungen für den schnellen und zuverlässigen Erwerb und die Weitergabe außenpolitischer Informationen darstellten. Damit ist zugleich auch der gerade von der jüngeren Forschung70 herausgearbeitete Zusammenhang von Herrschaft, Kommunikation und Verkehr angesprochen, der auch und gerade im Bereich der Außenpolitik wirkungsmächtig war. Denn dass Kurfürst Friedrich Wilhelm die Statthalter in der beschriebenen Weise als Relais und Filter für den Transfer von Nachrichten einsetzen und ihnen somit einen gewichtigen Anteil an der Schaffung entsprechender Grundlagen für die außenpolitische Entscheidungsfindung zukommen lassen konnte, wäre ohne derartige territorienübergreifend wirksame Strukturen nicht möglich gewesen. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Anhand des Vorgehens des Statthalters der Kur und Mark Brandenburg während der schwedischen Invasion konnte aufgezeigt wer69

Dies wird jüngst betont von Bahl, Hof (wie Anm. 20), S. 94. Grundlegend hierzu ist die Arbeit von Behringer, Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 48); vgl. darüber hinaus für Brandenburg-Preußen die einleitenden Überlegungen von Ralf Pröve, Herrschaft als kommunikativer Prozess: das Beispiel Brandenburg-Preußen, in: ders./Winnige, Wissen ist Macht (wie Anm. 48), S. 11 – 21; vgl. auch ders., Brandenburger unterwegs. Materielle Kommunikationsmöglichkeiten um 1700, in: Frank Göse (Hrsg.), Im Schatten der Krone. Die Mark Brandenburg um 1700 (Brandenburgische Historische Studien, 11), Potsdam 2002, S. 217 – 242, hier S. 229 f. 70

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den, dass sein Handeln bisweilen über die Grenzen der Mark hinausgriff. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass seine an die hinterpommerische Regierung gerichteten Reskripte nicht in jedem Fall zwingend umgesetzt wurden. Hier zeigen sich exemplarisch die Reibungsverluste in der Regierungspraxis der kurbrandenburgischen Mehrfachherrschaft und die deutlichen Grenzen territorienübergreifenden statthalterlichen Wirkens, dessen Reichweite und Durchsetzungskraft selbst in Phasen existenzieller außenpolitischer Bedrohung in entscheidendem Maße vom Willen des Herrschers abhängig blieb.

IV. Der Große Kurfürst im Spiegel der Historiographie

Friedrich der Große als Historiograph des Hauses Brandenburg. Herrscherideal, Selbststilisierung und Rechtfertigungstendenzen in den „Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg“* Es zählt bekanntlich zu den bemerkenswerten Facetten der Persönlichkeit Friedrichs des Großen, dass er in besonders ausgeprägter Weise die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion besaß und dass sich diese Eigenschaft nicht zuletzt in einer umfangreichen schriftstellerischen Produktion manifestierte. Gerade das Bedürfnis, die determinierenden Grundlagen und Rahmenbedingungen des eigenen Wirkens zu ergründen und zugleich Rechenschaft über sein Handeln abzulegen, hat den Preußenkönig immer wieder angetrieben, sich geistig mit seiner vielgestaltigen Rolle als Herrscher auseinanderzusetzen und seine dabei gewonnenen Einsichten schriftlich darzulegen. Dies ist schon frühzeitig von seinen Zeitgenossen als außergewöhnlich wahrgenommen worden, und man wird auch den Reiz, den Friedrich auf die Nachwelt im Allgemeinen und auf die historische Forschung im Besonderen ausübt, in nicht unerheblichem Maße auf diesen Sachverhalt zurückführen können. In diesen Kontext ist die Tatsache einzuordnen, dass Friedrich den Ehrgeiz und den Willen aufbrachte, sich neben seinen Regierungsgeschäften im Stile eines Historikers intensiv mit dem Zeitgeschehen und der Geschichte seiner Dynastie zu befassen. Dass es sich dabei, wie noch ausführlich darzulegen sein wird, um weit mehr als um eine bloße Laune eines Herrschers handelte, der daran Gefallen fand, über seine historischen Wurzeln und seinen persönlichen Anteil an der Geschichte seiner Zeit zu räsonieren, sondern dass dahinter vielmehr der mit Ernsthaftigkeit betriebene Versuch stand, durch die eigenen Forschungen nutzbare Erkenntnisse zu vermitteln, macht die Beschäftigung mit dem historiographischen Œuvre Friedrichs ebenso reizvoll wie gewinnbringend. So verwundert es nicht, dass in kaum einer Gesamtdarstellung seines Lebens und Wirkens der Hinweis auf seine Rolle als Geschichtsschreiber und eine Darstellung seiner diesbezüglichen Vorstellungswelt fehlt. Gleichwohl ist der bislang maßgeblichen Bibliographie zum Schrifttum über den Preußenkönig zu entnehmen, dass es an umfangreicheren, auf dem Stand der neueren Forschung stehenden Studien zu seinen Geschichtswerken und zu seinem Geschichtsverständnis * Überarbeitete Fassung des Vortrags, den der Verfasser am 14. 12. 2005 im Rahmen seines Habilitationskolloquiums an der Universität zu Köln gehalten hat.

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mangelt1. Eine Bilanz der bisherigen Forschung ziehend, stellte Ulrich Muhlack im Jahr 1988 zu Recht fest, dass der Historiker Friedrich vergleichsweise wenig bekannt sei: „Alles in allem genommen, bleibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun“2, heißt es dort in Anbetracht der insgesamt nicht zufriedenstellenden Forschungslage. Auch für den gegenwärtigen Stand der Forschung kann dieser Befund Gültigkeit beanspruchen, denn nach wie vor ist das Themenfeld der Geschichtsschreibung des Preußenkönigs bei weitem nicht ausgereizt. Darauf wird an späterer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein. Ziel der vorliegenden Studie ist es, einen Beitrag zur Erforschung der historiographischen Schriften Friedrichs zu leisten. Dabei wird ein zentrales Werk der friderizianischen Geschichtsschreibung in den Mittelpunkt rücken, das wiederholt das Interesse der Historiker auf sich gezogen hat, dessen Inhalt jedoch noch nicht hinreichend ausgewertet worden ist: Gemeint sind die „Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg“3 beziehungsweise, wie es in der maßgeblichen, im Folgenden der Einfachheit halber benutzten deutschen Übersetzung treffend heißt, die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“4. Zu Beginn der vorliegenden Untersuchung erfolgt ein kurzer Blick auf den Forschungsstand und auf ausgewählte grundsätzliche Aspekte der Geschichtsschreibung des Preußenkönigs, nämlich auf die Entstehung seiner historischen Schriften und auf seine damit verfolgten Erkenntnisinteressen (I.). In einem nächsten Schritt richtet sich das Augenmerk dann auf die „Denkwürdigkeiten“ selbst, auf ihr Vorbild, ihren Aufbau und ihre Quellen (II.), ehe dann eingehend ein ausgewähltes Beispiel untersucht wird, das weiterführende Aufschlüsse über die Geschichtsschreibung Friedrichs liefert, nämlich die Art und Weise, wie der Preußenkönig die Regierungszeiten der brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm (1619 – 1640) und Friedrich Wilhelm (1640 – 1688) in den „Denkwürdigkeiten“ dargestellt hat (III.). Dadurch werden nicht nur Friedrichs Vorgehensweise als Historiker und sein herrscherliches Selbstverständnis weiter erhellt, sondern zugleich wird auch ersichtlich, wie das Leben und das Wirken der beiden genannten Kurfürsten von dem „roi philosophe“ konkret wahrgenommen, zugunsten eigener Interessen instrumentalisiert und der europäischen Öffentlichkeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts in historiographischer Form vermittelt wurden. 1

Vgl. Herzeleide und Eckart Henning (Bearb.), Bibliographie Friedrich der Große 1786 – 1986. Das Schrifttum des deutschen Sprachraums und der Übersetzungen aus Fremdsprachen, Berlin/New York 1988, hier S. 347 – 350. 2 Ulrich Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung bei Voltaire und Friedrich dem Großen, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Persönlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 9), Köln/Wien 1988, S. 29 – 57, hier S. 32. 3 Johann David Erdmann Preuß (Hrsg.), Œuvres de Frédéric le Grand, 30 Bde., Berlin 1846 – 1856, hier Bd. 1, Berlin 1846. 4 Gustav Berthold Volz (Hrsg.), Die Werke Friedrichs des Großen, 10 Bde., Berlin 1912 – 1914, hier Bd. 1: Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, Berlin 1913.

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I. Die historiographischen Werke Friedrichs des Großen: Forschungsstand, Entstehung und Erkenntnisinteressen Wie einleitend bereits angedeutet worden ist, betritt man bei der Erforschung der historiographischen Werke Friedrichs zwar keine terra incognita, wohl aber ein Gebiet, das nach wie vor zahlreiche offene Fragen bereithält. Das ist vor allem dadurch bedingt, dass sich die Forschung lange Zeit vorrangig mit der Textgenese und Textkritik der Geschichtswerke des Königs beschäftigt hat. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die in der Historischen Zeitschrift um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausgetragene Debatte über die Quellen der friderizianischen „Histoire de mon temps“5. Erst die nachfolgende Friedrich-Forschung hat den Fokus beträchtlich erweitert, ohne dabei aber bislang einen Stand erreicht zu haben, der als hinlänglich bezeichnet werden könnte. Auf verbliebene Desiderate hat bereits 1962 Wilfried Herderhorst mit Nachdruck aufmerksam gemacht. So konstatierte er treffend, dass „Fragen nach Anlage und Struktur der Werke, nach den Prinzipien der Darstellung und der Art der Auswahl des Stoffes noch nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt worden“6 sind. Dies haben die Studien, die sich speziell mit dem geschichtlichen Denken Friedrichs befasst haben, in der Tat noch nicht in umfassender Weise geleistet. Denn konsultiert man die einschlägigen Arbeiten von Georg Küntzel7, Else Kunze-Hartmann8, Arnold Berney9, Annaliese Bergner10, Leonhard von Muralt11 oder auch Wilfried Herder5

Vgl. hierzu zusammenfassend Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 31 f. Anm. 17; Jürgen Ziechmann, Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hrsg.), Panorama der Fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche. Ein Handbuch (Forschungen und Studien zur Fridericianischen Zeit, 1), Bremen 1985, S. 84 – 93, hier S. 89 f. 6 Wilfried Herderhorst, Zur Geschichtsschreibung Friedrichs des Großen (Studien zum Geschichtsbild, 10), Göttingen 1962, S. 4. 7 Georg Küntzel, Der junge Friedrich und die Anfänge seiner Geschichtsschreibung, in: Festgabe Friedrich von Bezold. Dargebracht zum 70. Geburtstag von seinen Schülern, Kollegen und Freunden, Bonn/Leipzig 1921, S. 234 – 249. Bereits Küntzel hat den besonderen Einfluss Montesquieus auf das Denken Friedrichs herausgearbeitet. 8 Else Kunze-Hartmann, Ein Beitrag zum Verständnis der historischen Arbeits- und Denkweise Friedrichs des Großen, Diss., Frankfurt 1923. Diese Dissertation geht vergleichsweise ausführlich auf die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ ein (ebd., S. 4 – 52), sie bleibt jedoch bei der Analyse zumeist an der Oberfläche. 9 Arnold Berney, Über das geschichtliche Denken Friedrichs des Großen, in: Historische Zeitschrift 150 (1934), S. 86 – 115. Bei Berney findet sich unter anderem ein kurzer Abriss des in der vorliegenden Untersuchung im Mittelpunkt stehenden dynastiegeschichtlichen Denkens des Königs. 10 Annaliese Bergner, Heldenverehrung und Ruhm bei Friedrich dem Großen, Diss., München 1945. Diese Arbeit, die nicht frei von Anklängen an nationalsozialistisches Gedankengut ist, ist bis heute die wohl umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Geschichtsdenken Friedrichs. 11 Leonhard von Muralt, Friedrich der Große als Historiker. Eine methodologische Studie, in: ders., Der Historiker und die Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Zürich 1960, S. 19 – 29. Muralt geht am Beispiel Friedrichs der Frage nach der „Bedeutung der Per-

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horst12, die es hier in erster Linie zu nennen gilt, dann erkennt man sehr schnell die Notwendigkeit weiterführender Detailuntersuchungen. Immerhin liegen aus jüngerer Zeit zwei kenntnisreiche Einzelstudien vor, die das Verhältnis der Geschichtsschreibung Friedrichs zur Historiographie Voltaires und Montesquieus herausgearbeitet haben13. Sie zeigen überzeugend auf, wie gewinnbringend eine intensive Beschäftigung mit dem historiographischen Œuvre des Königs sein kann, und lassen somit indirekt die unverkennbaren Defizite der diesbezüglichen Friedrich-Forschung umso klarer hervortreten. Dieser Befund wird durch einen Blick auf die einschlägigen Friedrich-Biographien bestätigt. So leistet etwa George Peabody Gooch, der den historischen Schriften des Königs vergleichsweise großen Platz in seiner Untersuchung eingeräumt hat, kaum mehr als eine Inhaltsangabe der von ihm herangezogenen Werke14. Weiterführende Gedanken finden sich dagegen bei Theodor Schieder, der sich in einem knappen Kapitel eigens mit der friderizianischen Geschichtsschreibung befasst15, und bei Johannes Kunisch, der im hier behandelten Zusammenhang vor allem die prägenden Lektüreerfahrungen Friedrichs während seiner Kronprinzenzeit herausstellt16. Da es jedoch nicht Ziel und Aufgabe der genannten Gesamtdarstellungen war, den Historiker Friedrich in umfassender Weise zu würdigen, bleibt das Erfordernis weiterführender Studien zur Denk- und Arbeitsweise des Königs als Geschichtsschreiber trotz oder gerade wegen der Impulse, die von den genannten Darstellungen ausgehen, nach wie vor bestehen. sönlichkeit und der geschichtlichen Stellung des Historikers für sein historiographisches Schaffen“ (ebd., S. 20) nach. 12 Herderhorst, Geschichtsschreibung (wie Anm. 6). 13 Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2); Vanessa de Senarclens, Missverständnisse – Friedrich der Große als Leser von Montesquieus Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence (1734), in: Barbara Schmidt-Haberkamp/Uwe Steiner/Brunhilde Wehinger (Hrsg.), Europäischer Kulturtransfer im 18. Jahrhundert. Literaturen in Europa – Europäische Literatur? (Aufklärung und Europa, 13), Berlin 2003, S. 149 – 162; vgl. auch Horst Möller, Montesquieu im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte, in: Sven Externbrink/Jörg Ulbert (Hrsg.), Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke zum 65. Geburtstag (Historische Forschungen, 71), Berlin 2001, S. 69 – 76, hier S. 73 – 76. 14 George Peabody Gooch, Friedrich der Große. Herrscher – Schriftsteller – Mensch. Mit einem Geleitwort von Willy Andreas, Göttingen 1951, S. 330 – 361. 15 Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche. Ausgabe Ex Libris, Berlin/Frankfurt am Main 1987, S. 365 – 374. Die Darstellung Schieders ist unter anderem für einen vergleichenden Blick auf die Geschichtsschreibung Friedrichs und Voltaires wertvoll. 16 Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, hier besonders S. 101 ff. und 119 ff. Kunisch hebt mit guten Gründen den Einfluss Montesquieus auf das Geschichtsdenken Friedrichs hervor. Auch die zweite umfangreiche Friedrich-Biographie, die 2004 erschienen ist, geht – allerdings vergleichsweise kurz – auf die Rolle Friedrichs als Historiker ein, ohne jedoch neue Akzente zu setzen; vgl. Jean-Paul Bled, Frédéric le Grand, Paris 2004, S. 520 – 524.

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Im Hinblick auf die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“, die im Mittelpunkt dieser Ausführungen stehen, lässt sich allerdings nun auf eine jüngst erschienene Studie von Brunhilde Wehinger zurückgreifen17. Dieser Untersuchung gelingt es zwar überzeugend, Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ als aufgeklärtes Geschichtswerk zu verorten und ein stimmiges Panorama der Zeit zu entwerfen, doch hat sie den Mangel, die bisherige Literatur zum Geschichtsdenken Friedrichs und zur Rolle des Königs als Historiker so gut wie gar nicht rezipiert zu haben. Auch gelangen die Ausführungen über die eigentlichen Inhalte der „Denkwürdigkeiten“ kaum über das hinaus, was die bisherige Forschung erarbeitet hat. Hier gilt es also nach wie vor, sich den bereits von Herderhorst benannten Forschungsdesideraten zuzuwenden, will man neue Erkenntnisse erzielen. Kommen wir nun zur Entstehungsgeschichte der historiographischen Werke Friedrichs. In diesem Punkt hat bereits die ältere Forschung wünschenswerte Klarheit geschaffen18. Es reicht daher aus, kurz die wichtigsten Fakten zu rekapitulieren. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass die Beschäftigung des Königs mit der Abfassung historischer Schriften ein Prozess war, der sich, längere Unterbrechungen ausgenommen, nahezu über seine gesamte Regierungszeit erstreckte. Den Anfang machte Friedrichs Darstellung der ersten beiden Schlesischen Kriege in seinem Werk „Histoire de mon temps“19, dessen Titel gewissermaßen programmatisch für eines der zentralen Anliegen des Königs im Rahmen seiner Geschichtsschreibung steht: für die geistige Auseinandersetzung mit der Geschichte seiner eigenen Zeit. Diese „Histoire de mon temps“, wie Friedrich das Werk in seiner 1775 erfolgten letzten Redaktion nannte, basierte auf einer Fassung von 1746/4720, in die wiederum eine 1742/43 entstandene Darstellung des ersten Schlesischen Krieges eingearbeitet worden ist21. Gewissermaßen als Vorgeschichte dieser Darstellung seines Zeitgeschehens hat Friedrich seine „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ konzipiert, an denen er seit 1746 gearbeitet hat. Sie waren im Februar 1748 fertig und wurden in Teilen in den Sitzungen der Berliner Akademie der Wissenschaften verlesen und in deren Berichten auszugsweise veröffentlicht. 1751 sind sie dann, nach

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Brunhilde Wehinger, Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg. Friedrich der Große als Autor der Geschichte seiner Dynastie, in: Günther Lottes (Hrsg.), Vom Kurfürstentum zum „Königreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung (Aufklärung und Europa, 10), Berlin 2004, S. 137 – 174. 18 Vgl. vor allem Max Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen. Erörterungen und Actenstücke, in: Miscellaneen zur Geschichte König Friedrichs des Grossen, hrsg. auf Veranlassung und mit Unterstützung der Königlich Preussischen Archiv-Verwaltung, Berlin 1878, S. 205 – 494. 19 Preuß, Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), hier Bd. 2 und 3, Berlin 1846; Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), hier Bd. 2: Geschichte meiner Zeit, Berlin 1912. 20 Vgl. Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 271 – 275. 21 Vgl. ebd., S. 1 – 7.

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vorheriger gründlicher Überarbeitung, als Ganzes gedruckt worden22. Die „Denkwürdigkeiten“, die nach einem kurzen Vorspann im Wesentlichen die brandenburgische Geschichte von 1415 bis 1740 behandeln, sollten nach Friedrichs Vorstellung gemeinsam mit der „Histoire de mon temps“ eine Gesamtdarstellung der brandenburgischen Geschichte bilden, eine zusammenhängende „Histoire de Brandebourg“, wie der König es nannte. Den „Denkwürdigkeiten“ kommt insofern eine besondere Stellung innerhalb der friderizianischen Geschichtsschreibung zu, als sie das einzige Geschichtswerk sind, das der König zu seinen Lebzeiten publizieren ließ. Sie stießen offenbar auf großes Interesse. Nach neueren Forschungen sind bis zum Jahre 1800 immerhin fast neunzig Ausgaben erschienen, nämlich ca. fünfzig französische, zwanzig deutsche, zehn englische, fünf italienische sowie je eine holländische und eine schwedische Ausgabe23. Friedrich hat nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges den Faden wiederaufgenommen und auch in der Folgezeit das Zeitgeschehen historiographisch verarbeitet: 1763/64 entstand seine „Histoire de la guerre de sept ans“, in der einleitend die Zwischenkriegszeit von 1746 bis 1756 zusammengefasst wurde24. 1775 folgten die „Mémoires depuis la paix de Hubertsbourg, 1763, jusqu’à la fin du partage de la Pologne, 1775“, deren Vorstudien in das Jahr 1773 zurückreichen. Friedrich überarbeitete diese „Mémoires“ 1779 und ergänzte sie um die „Mémoires de la guerre de 1778“ inklusive einer Geschichte der Jahre 1774 bis 177825. Ein Textfragment aus dem Jahre 1784 mit dem Titel „De la politique“ behandelt schließlich die Geschichte seit dem Frieden von Teschen (1779)26. Somit, so lässt sich bilanzieren, liegt nahezu die gesamte Regierungszeit Friedrichs samt deren Vorgeschichte in der eigenen Darstellung des Königs vor, wobei einschränkend darauf hinzuweisen ist, dass die innere Politik in diesen Werken, sieht man einmal von den „Denkwürdigkeiten“ ab, weitgehend ausgeklammert ist. Soweit zu der zeitlichen Entstehung der historiographischen Schriften des Königs. 22 Zur Entstehungsgeschichte der „Denkwürdigkeiten“ vgl. Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 18), S. 222 – 312, sowie Hans Droysen, Die Entstehung der Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 17 (1904), S. 179 – 192. 23 Gerhard Knoll, Probleme eines Verzeichnisses der bis ca. 1800 erschienenen Drucke von Werken Friedrichs II., in: Martin Fontius (Hrsg.), Friedrich II. und die europäische Aufklärung (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 4), Berlin 1999, S. 87 – 102, hier S. 92. 24 Preuß, Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), hier Bd. 4 und 5, Berlin 1847; Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), hier Bd. 3 und 4: Geschichte des Siebenjährigen Krieges, Berlin 1913. 25 Preuß, Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), hier Bd. 6, Berlin 1847; Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), hier Bd. 5: Altersgeschichte. Staats- und Flugschriften, Berlin 1913, S. 3 – 150. 26 Max Lehmann, Zwei politische Testamente und die Anfänge eines geschichtlichen Werkes von Friedrich dem Großen, in: Historische Zeitschrift 60 (1888), S. 255 – 268, hier S. 266 ff.; Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 5, S. 153 ff.

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Welches waren nun die bewegenden Motive, der Zweck und die Erkenntnisinteressen Friedrichs bei der Abfassung der genannten Werke? Der König hat zu dieser Frage in seinen Briefen und in den Vorreden seiner historiographischen Werke wiederholt Stellung genommen und seine Beweggründe klar und deutlich dargelegt. Reduziert man seine zahlreichen diesbezüglichen Äußerungen auf die eigentlichen Kerngedanken, dann treten folgende vier Aspekte in den Vordergrund: 1. Friedrich hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es ihm bei seiner Geschichtsschreibung besonders darauf ankomme, die Wahrheit zu berichten. In seiner Einführung zu den „Denkwürdigkeiten“ hat er dies prononciert zum Ausdruck gebracht: „Ich machte mir zum Gesetz, die Dinge unparteiisch und mit dem Auge des Philosophen zu betrachten; denn ich bin überzeugt, daß des Geschichtsschreibers vornehmste Pflicht ist, wahr zu sein“27. Dementsprechend tadelt er an gleicher Stelle den Franzosen Anton Teissier28, der 1692 nach Berlin übergesiedelt und zu Beginn des 18. Jahrhunderts für Friedrich I. mit zwei historiographischen Arbeiten über die Kurfürsten von Brandenburg hervorgetreten war, in scharfen Worten: „Leider gab der [i. e. Teissier] statt einer geschichtlichen Darstellung einen Panegyrikus. Er wußte wohl nicht, daß Wahrheit so zum Wesen der Geschichte gehört wie zum menschlichen Leibe die Seele“29. In diesem Punkt erwies sich der Preußenkönig erkennbar als Kind seiner Zeit, denn wahrheitsgetreue Darstellungsweise und Unparteilichkeit zählten ohne Zweifel zu den zentralen Postulaten aufgeklärter Geschichtsschreibung30. Dass dieser Anspruch Friedrichs allerdings kritisch zu betrachten ist und dass er in den „Denkwürdigkeiten“ sehr wohl Partei ergriff, darauf wird noch zurückzukommen sein. 2. Ein weiteres Hauptanliegen Friedrichs lässt sich mit dem Topos der „historia magistra vitae“ beschreiben. Auch in diesem Zusammenhang sei wiederum ein Zitat aus seiner Einführung zu den „Denkwürdigkeiten“ angeführt, das diesen Sachverhalt besonders eindrucksvoll illustriert: „Die Geschichte“, so heißt es in der Eingangspassage seiner Einführung, „gilt als die Schule der Fürsten. Sie gibt ihnen ein bleibendes Bild der Regierung der Herrscher, die Väter des Vaterlandes waren, sowie der Tyrannen, die es verheerten. Sie zeigt ihnen die Ursachen für der Reiche Wachstum wie für ihren Niedergang. Sie bringt dabei eine solche Fülle von Charaktergestalten ans Licht, dass Ähnlichkeiten mit Fürsten unserer Tage sich ohne weiteres aufdrängen; und wenn sie über die Toten ihr Urteil spricht, richtet sie stillschweigend 27 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 9. Vgl. auch Friedrichs Vorworte von 1742 und 1746 zu seiner später sogenannten „Histoire de mon temps“: „Viele haben Geschichte geschrieben, aber sehr wenige haben die Wahrheit gesagt“; ebd., Bd. 2, S. 1 und 271. 28 Zu Teissier vgl. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 42, Leipzig/Halle 1744, ND Graz 1962, S. 621 ff. 29 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 9. 30 Dies betont ausdrücklich Horst Möller, Friedrich der Große und der Geist seiner Zeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Analecta Fridericiana (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 4), Berlin 1987, S. 55 – 74, hier S. 61.

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über die Lebenden mit. Ihre Vorwürfe über die Laster derer, die nicht mehr sind, geben den Lebenden eine Lehre der Tugend, als wollte sie ihnen enthüllen, welches Urteil die Nachwelt über sie fällen wird“31. Die Beschäftigung mit der Geschichte war für den König folglich kein Selbstzweck, sondern ihr lag ein didaktischer Impetus zugrunde, der in letzter Konsequenz auf die konkrete Vermittlung von Handlungswissen abzielte: Friedrich schrieb und dachte als König von Preußen, der für sich selbst und für seine Nachfolger versuchte, Erkenntnisse aus der Geschichte zu gewinnen, die helfen sollten, in politischen wie militärischen Fragen den zukünftig einzuschlagenden Kurs Preußens zu bestimmen. Es ging ihm also ganz entscheidend um die Demonstration richtigen oder falschen Handelns anhand von aussagekräftigen historischen Exempeln32. 3. Der Preußenkönig hat sich in seinen historiographischen Werken zum Teil veranlasst gesehen, sein Handeln vor der Nachwelt zu rechtfertigen. Seine „Histoire de la guerre de sept ans“ markiert in dieser Frage, wie Theodor Schieder betont hat33, einen wichtigen Einschnitt, denn hier manifestierte sich besonders deutlich das Bedürfnis einer Rechtfertigung seines politischen und militärischen Vorgehens. Anliegen war es zu beweisen, so schreibt der König, „daß die Vermeidung des Krieges nicht von mir abhing und daß Ehre und Wohlfahrt des Staates mir die Annahme anderer Friedensbedingungen verboten, als solcher, unter denen der Friede zustande gekommen ist“34. Friedrich zielte also in diesem Fall ganz augenscheinlich darauf ab, die Schuld für den Ausbruch und die Länge des Krieges von sich zu weisen, was in der „Histoire de la guerre de sept ans“ nicht zuletzt durch einen Anhang mit ausgewählten Dokumenten, die sein Handeln rechtfertigen sollten, untermauert 31 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 7; vgl. auch Friedrichs Vorwort zu seiner „Histoire de mon temps“ von 1775: „Die Geschichte ist die Schule der Herrscher: sie müssen aus den Fehlern der vergangenen Jahrhunderte lernen, um sie zu vermeiden“; ebd., Bd. 2, S. 17. Darauf, dass die „Schule der Fürsten“ als Motiv bereits in Friedrichs „Antimachiavell“ nachweisbar ist, verweist Wehinger, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 139 mit Anm. 5. 32 Vgl. vor allem die treffenden Überlegungen bei Herderhorst, Geschichtsschreibung (wie Anm. 6), S. 19 – 22, und Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 52 – 55, die überzeugend das didaktische Moment der Geschichtsdarstellungen Friedrichs herausarbeiten. Der König hat diesen spezifischen Antrieb seines historiographischen Schaffens in einem Brief an Voltaire vom 22. 02. 1747 besonders anschaulich zum Ausdruck gebracht: „Je suis du sentiment que de grands faits de guerre, écrits avec concision et vérité, où on s’applique principalement à développer les raisons qu’un chef d’armée a eues, en les faisant, et ce qui a été l’âme de ses opérations; je dis que de pareils écrits doivent servir d’instruction à tous ceux qui font profession des armes. Ce sont des leçons qu’un anatomiste fait à des sculpteurs, par lesquelles ils apprennent par quelles contractions des muscles les membres du corps humain se remuent. Tous les arts ont des exemples et des préceptes: pourquoi la guerre, qui défend la patrie et sauve les peuples d’une ruine assurée, n’en aurait-elle pas?“; Reinhold Koser/Hans Droysen (Hrsg.), Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire, Bd. 1 – 3, nebst Nachtrag (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 81, 82, 86 und 90), Leipzig 1908 – 1917, hier Bd. 2, S. 229. 33 Schieder, Friedrich der Große (wie Anm. 15), S. 366 f. 34 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 3, S. 3.

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wurde. Auf das Motiv der Rechtfertigung wird an späterer Stelle noch ausführlicher zurückzukommen sein. 4. Die historiographischen Werke dienten Friedrich immer auch als Medium der Selbstreflexion zur Bestimmung des eigenen Standortes und zur politischen Selbstbesinnung. Insofern hat die Forschung zu Recht darauf hingewiesen, dass das Interesse des Königs an der Auseinandersetzung mit der Geschichte auch und gerade politisch bedingt war35. Denn selbst wenn die literarischen Ambitionen des „roi philosophe“ als Motiv für die Beschäftigung mit der Geschichte nicht außer Acht gelassen werden dürfen, so war letztlich doch sein Bedürfnis vorrangig, sich anhand der Geschichte über den eigenen politischen Standort bewusst zu werden. Horst Möller hat diesen wichtigen Sachverhalt treffend umschrieben: „Das historische Interesse Friedrichs war zugleich ein politisches Interesse, das die eigene Standortbestimmung immer auf dem Weg über die Geschichte vornahm. Schon in dieser Hinsicht war er ein Aufklärer, denn die Aufklärung war tatsächlich alles andere als eine ahistorische Bewegung“36. Dass gerade die „Denkwürdigkeiten“ in dieser Hinsicht ein besonders augenfälliges, wahrscheinlich sogar das markanteste Beispiel sind, gilt es noch näher zu untersuchen. Sie rücken im Folgenden in den Mittelpunkt der Darstellung. II. Die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“: Vorbild, Aufbau und Quellen Die Entstehungsgeschichte der „Denkwürdigkeiten“ ist untrennbar verbunden mit Friedrichs intensiver Rezeption von Voltaires „Siècle de Louis XIV“37. Die Anfänge dieser Rezeption reichen bis in die Kronprinzenzeit Friedrichs und in die Anfänge des beiderseitigen Briefwechsels zurück38. Voltaires „Siècle“, dessen Entstehung Friedrich mit dem größten Interesse verfolgte39, wurde so prägend für die Arbeit 35 Vgl. exemplarisch die besonders markanten Ausführungen von Herderhorst, Geschichtsschreibung (wie Anm. 6), S. 12 f. und 31. 36 Möller, Friedrich der Große (wie Anm. 30), S. 58. 37 Voltaire, Œuvres historiques. Texte établi, annoté et présenté par Réné Pomeau (Bibliothèque de la Pléiade, 128) Paris 1957, S. 603 – 1220; zum Folgenden vgl. insbesondere Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), der detailliert Friedrichs Rezeption von Voltaires „Siècle“ und die mannigfaltigen Einflüsse des Voltaireschen Werkes auf die „Denkwürdigkeiten“ herausgearbeitet hat. 38 Vgl. Friedrich an Voltaire, Rheinsberg 07. 04. 1737; Koser/Droysen, Briefwechsel (wie Anm. 32), Bd. 1, S. 48. Zur Korrespondenz zwischen Friedrich und Voltaire vgl. jüngst Brunhilde Wehinger, Zwischen Literatur und Politik. Zur literarischen Korrespondenz Friedrichs II, in: dies. (Hrsg.), Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte, Berlin 2005, S. 61 – 72. 39 Vgl. z. B. Friedrich an Voltaire, Berlin 27. 01. 1739; Koser/Droysen, Briefwechsel (wie Anm. 32), Bd. 1, S. 248: „Je brûle d’impatience d’avoir la fin du Siècle de Louis le Grand; cet ouvrage est incomparable“. Friedrich ließ in seinen Briefen an Voltaire keinen Zweifel daran, dass er den in Entstehung begriffenen „Siècle“ als ein Meisterwerk ansah; vgl. z. B. Friedrich an Voltaire, Ruppin 31. 03. 1738 und Rheinsberg 09. 11. 1738; ebd., S. 168 f. bzw. 222.

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an den „Denkwürdigkeiten“, dass die Forschung mit guten Gründen von einem „evidenten Wirkungszusammenhang“ zwischen beiden Werken gesprochen hat oder genauer gesagt sogar von einer „Einwirkung des Voltaireschen auf das friderizianische Werk“40. Wie sah nun diese Einwirkung konkret aus? Man wird bei einer Darstellung der Gemeinsamkeiten der „Denkwürdigkeiten“ mit dem „Siècle“ zuvorderst auf die augenfälligen Parallelen hinweisen müssen, die sich in einer analogen Gliederung der beiden Werke niedergeschlagen haben. Voltaire entwickelte in seinem „Siècle“ das Modell einer umfassenden Zivilisationsgeschichte, die sich nicht auf die Wiedergabe der politischen und militärischen Ereignisgeschichte reduziert, sondern deren besonderes Augenmerk auch der Zustandsbeschreibung der Sitten, Institutionen und Gebräuche gilt. Der französische Philosoph hat die Zielsetzung seines Werkes in einem Brief an Friedrich vom 18. Januar 1739 wie folgt zusammengefasst: „Mon grand but, après tout, n’est pas l’histoire politique et militaire; c’est celle des arts, du commerce, de la police, en un mot, de l’esprit humain“41. Dementsprechend findet sich in Voltaires „Siècle“ nach einem ersten Teil, der vornehmlich den Haupt- und Staatsaktionen des ludovizianischen Zeitalters gewidmet ist, ein zweiter Teil, der strukturgeschichtliche Betrachtungen über die innere Politik, die Finanzen, die Wissenschaften und Schönen Künste sowie die religiösen Verhältnisse dieser Zeit enthält; ein dritter Teil liefert, gewissermaßen in Form eines Anhangs, prosopographisches Material über die Familie Ludwigs XIV., die übrigen Herrscher dieser Zeit, die obersten militärischen und politischen Amtsträger Frankreichs sowie die französischen Schriftsteller, Musiker, Maler und bildenden Künstler. Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ adaptieren im Wesentlichen die Gliederung der ersten beiden Teile des Voltaireschen „Siècle“. Ihr erster Teil schildert, nach einer vorhergehenden kurzen Skizze der Geschichte des Hauses Hohenzollern vor 1415, in chronologischer Reihenfolge – und zwar nach Herrschern unterteilt – die politischen und militärischen Ereignisse der kurbrandenburgischen Geschichte von der Übertragung der Kurwürde auf Burggraf Friedrich VI. von Hohenzollern bis zum Tode König Friedrich Wilhelms I. Daran schließt ein zweiter Teil an, der chronologisch übergreifende strukturgeschichtliche Darstellungen enthält. Friedrich schildert dort die innere Verfassung, die kurbrandenburgischen Gebietserweiterungen, die Finanzen, das Heerwesen, Aberglaube und Religion, Sitten, Gebräuche, Industrie, Wissenschaften und Künste. Beiden Werken gemein ist somit der Anspruch einer umfassenden zivilisationsgeschichtlichen Ausrichtung, die weit mehr als bloß die politische Geschichte im engeren Sinn zu erfassen beabsichtigt. Dessen ungeachtet unterscheiden sich Voltaires „Siècle“ und Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ fundamental in einem wesentlichen Punkt, auf den bereits Ulrich

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Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 36. Voltaire an Friedrich, Cirey 18. 01. 1739; Koser/Droysen, Briefwechsel (wie Anm. 32), Bd. 1, S. 235. 41

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Muhlack aufmerksam gemacht hat42 : In Voltaires zivilisationsgeschichtlichem Ansatz kommt der Darstellung der politischen Geschichte im allgemeinen und der politisch-militärischen Ereignisgeschichte im Besonderen letztlich nur eine untergeordnete, eine dienende Funktion zu. Die Kenntnis der politischen Geschichte ist als Rahmenbedingung zwar erforderlich für das Verständnis des Fortschritts des menschlichen Geistes, also des bereits zitierten „esprit humain“, um den es Voltaire in erster Linie geht und der nach seiner Vorstellung jeweils an der Entwicklung von Wissenschaften und Künsten ablesbar ist; die politische Geschichte rangiert aber in ihrer Wertigkeit keinesfalls über den strukturgeschichtlichen Zustandsbeschreibungen der Zivilisation des ludovizianischen Zeitalters. Dagegen ist die Darstellung der politisch-militärischen Ereignisgeschichte in Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ den Schilderungen der inneren Verhältnisse erkennbar übergeordnet: Der König schreibt über wirtschaftliche, soziale und religiöse Zustände nicht um ihrer selbst willen, sondern primär um die Rahmenbedingungen der Ereignisgeschichte, nämlich die Mittel für die Zwecke von Kriegsführung und Diplomatie, kenntlich zu machen. Insofern liegt den „Denkwürdigkeiten“ keine epigonale Transferierung der Voltaireschen zivilisationsgeschichtlichen Konzeption des „Siècle“ auf den Fall Brandenburg-Preußen zugrunde, sondern sie sind, bei allen äußeren Gemeinsamkeiten, ein eigenständiger Entwurf, der sich von seinem ursprünglichen Vorbild in konzeptioneller Hinsicht durchaus emanzipiert hat. Dahinter stand nicht zuletzt auch das Selbstbewusstsein des preußischen Herrschers, der für sich selbst als maßgeblicher Akteur der Mächtepolitik und des Kriegsgeschehens in Europa ein höheres Maß an Kompetenz bei der Erfassung der politischen und militärischen Ereignisgeschichte reklamierte, als er es Voltaire zuzugestehen bereit war43. Von dem königlichen Selbstbewusstsein, wie kaum ein anderer in der Lage zu sein, die Gegenstände seiner historischen Forschungen in ihrem wesentlichen Kern erfassen und darstellen zu können, zeugen auch Friedrichs tendenziell abfällige Äußerungen über die bisherigen historiographischen Werke zur Geschichte Brandenburg-Preußens, gipfelnd in folgendem Diktum in der Einleitung zu den „Denk42

Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), vor allem S. 47 – 51. Dies wurde besonders im Rahmen der Korrespondenz Friedrichs mit Voltaire über dessen Plan einer Darstellung des Österreichischen Erbfolgekrieges deutlich, die schließlich fragmentarisch 1755 erschienen ist; vgl. Voltaire, Œuvres historiques (wie Anm. 37), S. 1573 – 1656; Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 44 f.; vgl. auch den in Anm. 32 nachgewiesenen Brief Friedrichs an Voltaire vom 22. 02. 1747. Der König machte aus seiner Überzeugung, als zeitgenössischer Akteur die politische und militärische Ereignisgeschichte am kompetentesten erfassen und darstellen zu können, keinen Hehl. So heißt es in dem Vorwort von 1742 zu seiner „Histoire de mon temps“: „In der Überzeugung, daß es nicht irgendeinem Pedanten, der im Jahre 1840 zur Welt kommen wird, noch einem Benediktiner der Kongregation von St. Maur zusteht, über Verhandlungen zu reden, die in den Kabinetten der Fürsten stattgefunden, noch die gewaltigen Szenen darzustellen, die sich auf dem europäischen Theater abgespielt haben, will ich selbst die Umwälzungen beschreiben, deren Augenzeuge ich war und an denen ich den regsten Anteil hatte“; Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 1. Vgl. zum Gesamtkontext auch Wehinger, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 149 f. 43

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würdigkeiten“: „Alle gesitteten Völker Europas fanden ihre Geschichtsschreiber, nur die Preußen nicht“44. So führt er ausdrücklich die bisherigen Historiographen der kurbrandenburgischen Geschichte, darunter Samuel von Pufendorf45, an, um ihnen allesamt abzusprechen, dass ihre Werke mehr als bloße „Nachschlagebücher“46 seien: „Schreiber dieser Gattung“, so führt der König in seiner Einleitung der „Denkwürdigkeiten“ aus, „sind eben nur Handlanger: emsig, aber wahllos schleppen sie einen Haufen von Bausteinen zusammen, die so lange unverwertet liegen bleiben, bis ein Baumeister ihnen die rechte Gestalt verleiht“47. Dass Friedrich für sich selbst beanspruchte, die Fähigkeiten eines solchen Baumeisters oder Architekten zu besitzen, erübrigt sich fast zu sagen48. Wichtig für eine Einschätzung der Arbeitsweise des Königs und der Quellengrundlage seiner „Denkwürdigkeiten“ ist der Hinweis darauf, dass sich Friedrich nicht darauf beschränkte, die ihm vorliegenden Werke zur kurbrandenburgischen Geschichte auszuwerten, sondern dass er den Weg über die archivalischen Quellen nicht scheute. Darauf hat er in seiner Vorrede zu den „Denkwürdigkeiten“ und in seiner Einführung zu diesem Werk ausdrücklich hingewiesen49, und die Forschungen Max Posners50 haben dies bestätigt. Posner konnte detailliert nachweisen, dass sich der König immer wieder ganz gezielt mit Anfragen an seine Mitarbeiter wandte, wenn er Informationsbedarf sah und archivalische Auskünfte benötigte. Wiederholt konsultierte er beispielsweise seinen Kabinettsminister Heinrich von Podewils, um sich in Fragen der Außenpolitik die notwendigen Informationen für seine Darstellung zu verschaffen, und in Militaria-Fragen griff er bisweilen auf die Kenntnisse seines Generalfeldmarschalls Leopold I. von Anhalt-Dessau zurück. Darüber hinaus verfügte der König über historisches Wissen, das er sich aus eigener Anschauung angeeignet hatte und auf das er nun bei der Abfassung der „Denkwürdigkeiten“ zurückgreifen konnte. So ist überliefert, dass Friedrich im Jahre 1737, also noch während seiner Kronprinzenzeit, den Schauplatz des brandenburgischschwedischen Gefechts von Fehrbellin aus dem Jahre 1675, das den militärischen Ruhm des Großen Kurfürsten maßgeblich mitbegründet hat, aufsuchte51. 44

Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 8. Samuel von Pufendorf, De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni Electoris Brandenburgici commentariorum libri novendecim, Berlin 1695. Friedrich hat dieses Werk in der deutschen Übersetzung von E[rdmann] U[hse], Friederich Wilhelms des Grossen/ ChurFürstens zu Brandenburg Leben und Thaten, Berlin/Frankfurt 1710, benutzt. 46 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 8. 47 Ebd. 48 Vgl. hierzu Wehinger, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 17), S. 153 f. 49 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 5 und 9. 50 Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 18), passim. 51 Vgl. Berney, Über das geschichtliche Denken Friedrichs des Großen (wie Anm. 9), S. 111. Zum Mythos um Fehrbellin vgl. zuletzt Peter-Michael Hahn, Dynastische Selbstdarstellung und Militärmacht. Kriegerische Symbolik als höfische Zeichensprache in Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), 45

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Zudem ist ein prominentes Beispiel anzuführen, das zeigt, wie der König darum bemüht war, sich Sachwissen anzueignen und von kompetenter Seite Anregungen zu erhalten, die seine erworbenen Quellenkenntnisse zu erweitern vermochten. Die Ankunft Voltaires in Potsdam im Juli 1750 führte nämlich dazu, dass Friedrich die Drucklegung der „Denkwürdigkeiten“ unterbrach und dass er sie in der Folgezeit seinem illustren Gast vorlegte, der dann nicht nur Korrekturvorschläge in stilistischsprachlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht unterbreitete, die Friedrich zu einer nochmaligen Überarbeitung veranlassten52. Schließlich sind dann die „Denkwürdigkeiten“ – übrigens ebenso wie Voltaires „Siècle“ – 1751 in Berlin erschienen. III. Die Regierungszeit der brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm im Spiegel der „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ Die Schilderung der brandenburgischen Geschichte und der brandenburgischen Kurfürsten des 17. Jahrhunderts in Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ wird überstrahlt von der verehrend-idealisierenden Darstellung des Großen Kurfürsten53. Der König hat die Persönlichkeit und das Wirken Friedrich Wilhelms in einer Art und Weise geschätzt, wie er es kaum einem anderen Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts zuteilwerden ließ54. Indikator dieser außerordentlichen Wertschätzung ist beispielsweise die Tatsache, dass der König seinem Urgroßvater das Prädikat der historischen Größe zubilligte. So heißt es in einer aussagekräftigen Passage seines Politischen Testamentes von 1768: „Es kam der Kurfürst Friedrich Wilhelm, der den Namen Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt (Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, 2), München 2001, S. 115 – 138, hier S. 126 f. und vor allem 136 f. 52 Vgl. die Anmerkungen Voltaires zu den „Denkwürdigkeiten“, gedruckt bei Posner, Zur literarischen Thätigkeit Friedrichs des Grossen (wie Anm. 18), S. 263 – 282. Voltaire äußerte sich im Übrigen gegenüber dem Grafen d’Argental positiv über Friedrichs „Denkwürdigkeiten“, denen er für den Fall, dass der König sie sorgfältig durchsehe und korrigiere, den Rang eines Meisterwerkes zuzubilligen bereit war; vgl. hierzu Herderhorst, Geschichtsschreibung (wie Anm. 6), S. 8. 53 Zum Leben und zur Regierungszeit des Großen Kurfürsten ist nach wie vor grundlegend Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978. Vgl. ergänzend dazu: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990; Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 7), Berlin 2005. 54 Als Friedrich 1750 die Särge der Mitglieder des Herrscherhauses in den neuen Dom umbetten ließ, veranlasste er, den Sarg des Großen Kurfürsten zu öffnen. Bei dessen Anblick soll er seinem Gefolge unter Tränen zugerufen haben: „Messieurs, der hat viel getan!“; vgl. Franz Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen. Gedenkausgabe zum 150. Todestag des großen Königs, Leipzig o. J., S. 224.

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der Große wohl verdient hat, nicht nur weil er selbst regierte, sondern weil er den Staat wiederherstellte und er es war, der die solide Grundlage zu seiner Größe schuf“55. Noch eindringlicher und zugleich pathetischer klingt es zu Beginn des Kapitels über die Regierungszeit Friedrich Wilhelms in den „Denkwürdigkeiten“, wo Friedrich anhand einer kurzen Charakterskizze des Kurfürsten gewissermaßen die Folie entwirft, auf der sich die nachfolgende Darstellung des politischen und militärischen Wirkens Friedrich Wilhelms entfaltet. Der König schreibt: „Friedrich Wilhelm wurde am 16. Februar 1620 zu Berlin geboren. Er war des Namens der Große würdig, den seine Völker und die Nachbarn ihm einstimmig verliehen haben. […] Die Talente eines großen Königs waren bei ihm an das bescheidene Los eines Kurfürsten gebunden. Über seinen Rang herausragend, entfaltete er während seiner Regierung die Vorzüge einer starken Seele und eines überlegenen Geistes. Bald zügelte er seinen Heldenmut durch seine Klugheit, bald gab er sich ganz der schönen Begeisterung hin, die uns zur Bewunderung fortreißt. Durch weise Fürsorge richtete er seine alten Staaten wieder auf und erwarb durch seine Politik neue hinzu. Er entwarf Pläne und brachte sie selber zur Ausführung. Infolge seiner Redlichkeit stand er seinen Verbündeten bei; dank seiner Kühnheit beschützte er sein Volk. In unvermuteter Gefahr fand er ungeahnte Hilfsmittel. In Kleinigkeiten wie in bedeutenden Dingen, immer erschien er gleich groß“56. Unabhängig davon, ob es aus heutiger Sicht angebracht erscheint, Friedrich Wilhelm als den Großen Kurfürsten zu kennzeichnen57, ist sich die Forschung darüber einig, dass seine Regierungszeit eine der richtungsweisenden Etappen der Geschichte Brandenburg-Preußens war. Der Aufbau eines stehenden Heeres, die Zurückdrängung des Einflusses der Stände, der Erwerb neuer Territorien und die Erringung wachsender Bedeutung im europäischen Mächtespiel waren wesentliche Resultate seines Wirkens, das in vielerlei Hinsicht die Grundlagen dafür schuf, dass es Preußen im 18. Jahrhundert gelang, sich gerade auf Kosten Österreichs als europäische Groß55 Zitiert in deutscher Übersetzung nach: Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 613. Der aussagekräftigere französische Originaltext lautet: „Vient L’Electeur federic Guillaume qui a bien Merité le Nom de Grand, non seullement parce quil a tout fait luy meme, Mais parcequil est Le Restorateur de L’Etat, et celuy qui a jetté les Solides fondements De Sa Grandeur“; ebd., S. 612. 56 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 54 f. Vgl. hierzu auch die entgegengesetzte, für die Wahrnehmung Friedrichs III./I. durch Friedrich den Großen bezeichnende Charakterisierung des ersten Preußenkönigs in den „Denkwürdigkeiten“: „Alles in allem: er [i. e. Friedrich III./I.] war groß im Kleinen und klein im Großen“; ebd., S. 119. Zu Friedrichs Bild vom Charakter und von der Regierungszeit seines Großvaters vgl. insgesamt Johannes Kunisch, Friedrich der Große und die preußische Königskrönung von 1701, in: ders. (Hrsg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 6), Berlin 2002, S. 265 – 284. 57 Vgl. hierzu zuletzt Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640 – 1688), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 95 – 112, hier S. 108 – 112.

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macht zu etablieren. Von daher verwundert es nicht, dass der Kurfürst später zu einer der „Lichtgestalten der preußisch-kleindeutschen Schule“58 wurde, deren teleologisch ausgerichtete These von Preußens deutschem Beruf auch und gerade auf einer aus heutiger Sicht zweifellos fragwürdigen Deutung seiner Politik gründete59. Wirft man einen näheren Blick auf die Anlage und die genaue Stoffauswahl in dem Kapitel der „Denkwürdigkeiten“ über die Regierungszeit des Großen Kurfürsten, dann wird sehr schnell erkennbar, dass Friedrich mit seiner Darstellung einen Beitrag dazu geleistet hat, das Wirken Friedrich Wilhelms in eine Interpretation der brandenburg-preußischen Geschichte einzufügen, welche die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts als Vorlauf künftiger Größe verortet hat. Friedrich selbst nannte seinen Vorfahren in diesem Zusammenhang explizit den „Schöpfer von Brandenburgs Macht“60, und bezeichnenderweise hat auch Voltaire den Kurfürsten – zweifellos geprägt durch die „Denkwürdigkeiten“ – als „précurseur de grand“61, also als Vorläufer von Großem charakterisiert. Wie genau äußert sich diese Deutung in den „Denkwürdigkeiten“? Zunächst einmal fällt auf, dass der König die Regierungszeit Friedrich Wilhelms in scharfer Weise von der vorausgegangen Regierungszeit Kurfürst Georg Wilhelms62 absetzt. Georg Wilhelm war für Friedrich in mehrerer Hinsicht das Gegenteil von dem, was er von einem Herrscher erwartete. In der Darstellung des Königs erscheint er als schwankender und von seinem prokaiserlichen Günstling Schwarzenberg dominierter Kurfürst, der letztlich nicht in der Lage gewesen sei, die Herausforderungen und Belastungen zu bewältigen, die der Dreißigjährige Krieg ihm und seinen Landen aufbürdete. „Alle Plagen der Erde“, so schreibt Friedrich, „stürzten mit einemmal auf die unglückliche Kurmark herab. An der Spitze stand ein unfähiger Fürst, der einen Va58 Johannes Arndt, Der Große Kurfürst, ein Herrscher des Absolutismus? Über die Möglichkeiten und Grenzen monokratischer Herrschaft im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch/ Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (Münstersche historische Forschungen, 9) Köln/Weimar/Wien 1996, S. 249 – 273, hier S. 251. 59 Vgl. Johann Gustav Droysen, Geschichte der preußischen Politik. 14 Bde., Leipzig 1855 – 1886, hier Bd. 1, S. 4: „Auch Preußen umfaßt nur Bruchtheile deutschen Volkes und Landes. Aber zum Wesen und Bestand dieses Staates gehört jener Beruf für das Ganze, dessen er fort und fort weitere Theile sich angegliedert hat“. Vgl. in diesem Zusammenhang jüngst Axel Gotthard, Preußens deutsche Sendung, in: Helmut Altrichter/Klaus Herbers/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Mythen in der Geschichte (Rombach Wissenschaften. Reihe Historiae, 16), Freiburg im Breisgau 2004, S. 321 – 369. 60 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 89. 61 Voltaire an Friedrich, Ferney [04.]09.1773; Koser/Droysen, Briefwechsel (wie Anm. 32), Bd. 3, S. 271. 62 Zur Regierungszeit Georg Wilhelms ist jetzt grundlegend Ulrich Kober, Eine Karriere im Krieg. Graf Adam von Schwarzenberg und die kurbrandenburgische Politik von 1619 bis 1641 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 24), Berlin 2004; vgl. aus jüngerer Zeit auch die biographische Skizze des Kurfürsten von Axel Gotthard, Zwischen Luthertum und Calvinismus (1598 – 1640), in: Kroll, Preußens Herrscher (wie Anm. 57), S. 74 – 94, hier S. 87 – 94.

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terlandsverräter zu seinem Minister gewählt hatte“63. Und weiter heißt es: „Fortwährend schwankend, was er tun sollte, kraft- und machtlos, schlug er sich jedesmal, gutwillig oder gezwungen, auf die Seite des Stärkeren. Und das Glück, das unaufhörlich von den kaiserlichen zu den schwedischen und wieder von den schwedischen zu den kaiserlichen Heeren überging, gefiel sich darin, den Kurfürsten zum Opfer seines Unbestandes zu machen“64. Der Kontrast der nachfolgenden Darstellung der Regierungszeit Friedrich Wilhelms zu der Schilderung der Persönlichkeit und des Wirkens Georg Wilhelms könnte kaum größer sein. Zugespitzt lässt sich sagen: Gerade dadurch, dass der König die Regierungszeit Georg Wilhelms in den düstersten Farben zeichnet, bereitet er sein Anliegen vor, die Lebensleistung des Großen Kurfürsten in umso hellerem Licht erstrahlen zu lassen. Anhand einer chronologischen Darstellung der politischen und militärischen Ereignisgeschichte der Jahre 1640 bis 1688 schildert Friedrich nämlich den Aufstieg Brandenburg-Preußens von einem, wie es in den „Denkwürdigkeiten“ heißt, unter Trümmern begrabenen zu einem blühenden Staat65, einen Aufstieg, den er in ganz eindeutiger, unmissverständlicher Weise dem Wirken Friedrich Wilhelms zuschrieb. Stellvertretend hierfür sei die Bilanz zitiert, die der König gegen Ende seines Kapitels über den Großen Kurfürsten zog: „Er ward der Neubegründer und Verteidiger seines Vaterlandes, der Schöpfer von Brandenburgs Macht, der Schiedsrichter für seinesgleichen, der Stolz seines Volkes. Mit einem Wort: sein Leben bedeutet seinen Ruhm“66. Der König hob Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seiner in nahezu jeder Hinsicht positiven, ganz offensichtlich sein staatsmännisches Ideal67 widerspiegelnden Würdigung jedoch nicht nur auf den Sockel heroischer Größe, sondern – dies sei den nachfolgenden Ausführungen thesenartig vorangestellt – er nutzte die Darstellung der Regierungszeiten Friedrich Wilhelms und Georg Wilhelms nicht zuletzt auch für sein Bedürfnis zur Selbststilisierung und gezielten Rechtfertigung seines eigenen Handelns. Dieser Sachverhalt, der in der bisherigen Forschung zu den „Denkwürdigkeiten“ noch nicht erkannt worden ist, soll im Folgenden anhand von drei ausgewählten Aspekten verdeutlicht werden: Zum einen wird die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dass Friedrich den Großen Kurfürsten als Herrscher beschreibt, der die politischen wie militärischen Geschicke des von ihm geleiteten Staatswesens persönlich in die Hand nahm; zum anderen wird die charakteristische Art und Weise untersucht, wie der König das Verhältnis Brandenburg-Preußens zum Kaiser schildert; und zum dritten wird aufgezeigt, wie Friedrich das Bündnisverhalten der beiden brandenburgischen Kurfürsten wertet.

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Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 37. Ebd., S. 53. 65 Ebd., S. 90. 66 Ebd., S. 89 f. 67 Zu diesem Urteil gelangt auch Gooch, Friedrich der Große (wie Anm. 14), S. 334. 64

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Zunächst also zu Friedrichs Darstellung der Herrschaftsweise Friedrich Wilhelms. Der König hat im Rahmen seiner Schilderung der Persönlichkeit und des Wirkens des Großen Kurfürsten in den „Denkwürdigkeiten“ an mehreren Stellen ausdrücklich hervorgehoben, dass Friedrich Wilhelm „sein eigener Minister und Feldherr war“68. Das unterscheidet ihn nicht nur von seinem Vorgänger Georg Wilhelm, der es zuließ, dass sein Factotum69, Graf Schwarzenberg, maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der kurbrandenburgischen Politik ausübte, sondern in der Wahrnehmung Friedrichs lag darin auch ein maßgeblicher Unterschied zu Ludwig XIV. von Frankreich, dessen politisches Wirken der Preußenkönig in vergleichender Perspektive in die Betrachtungen über den Großen Kurfürsten einfügte. Gegen Ende des Kapitels der „Denkwürdigkeiten“ über die Regierungszeit Friedrich Wilhelms heißt es: „Der französische Monarch ist des Lobes wert, da er den Ruhmesweg ging, den Richelieu ihm bereitet hatte. Der deutsche Held tat mehr: selber bahnte er sich den Weg“70. Im Hinblick auf die militärischen Leistungen des Großen Kurfürsten und des „roi soleil“ findet sich ein ähnliches Urteil: „Ludwigs XIV. Stern glänzte nur so lange, als Colbert, Louvois und die großen Heerführer Frankreichs am Leben waren. Friedrich Wilhelms Glück blieb sich jederzeit gleich; es war ihm treu, so oft er an der Spitze seiner eignen Heere stand. Es scheint also, die Größe des einen war das Werk seiner Minister und Generale, das Heldentum des anderen gehörte einzig ihm selbst“71. Dass der Preußenkönig damit ein staatsmännisches Ideal, dem er sich selbst verpflichtet fühlte, postulierte, liegt auf der Hand. Bereits in seinem „Antimachiavell“ hatte er dieses Ideal entworfen, damals noch in „visionäre[r] Vorwegnahme seines eigenen Fürstenregiments“72. Man wird jedoch noch einen Schritt weiter gehen dürfen. Friedrich nahm zum Zeitpunkt der Abfassung der „Denkwürdigkeiten“ ohne Zweifel für sich selbst in Anspruch, diesem Vorbild durch seine Regierungsweise und durch sein persönliches Handeln als oberster militärischer Befehlshaber zu entsprechen. Insofern ist dieses in das historische Gewand des 17. Jahrhunderts eingekleidete Herrscherideal bis zu einem gewissen Grad als Akt der Selbststilisierung vor der europäischen Öffentlichkeit zu werten. Denn dem kundigen Beobachter der zeitgenössischen europäischen Mächtepolitik und Kriegführung war nicht verborgen geblieben, dass der Preußenkönig in den beiden ersten schlesischen Kriegen als „roi 68

Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 90. Vgl. Ulrich Kober, Der Favorit als „Factotum“. Graf Adam von Schwarzenberg als Oberkämmerer und Direktor des Geheimen Rates unter Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg, in: Michael Kaiser/Andreas Pecˇ ar (Hrsg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 32), Berlin 2003, S. 231 – 252. 70 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 91. 71 Ebd., S. 92. 72 Kunisch, Friedrich der Große (wie Anm. 16), S. 130; vgl. auch ebd., S. 431 f. Vgl. ferner Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 7: Antimachiavell und Testamente, Berlin 1912, hier S. 49 f. und 92 ff. 69

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connétable“ mit seinen Armeen persönlich ins Feld gezogen und somit kommandierender General und regierender Fürst in einer Person gewesen war73. Indem er nun, im Jahre 1751, ein historiographisches Werk publizieren ließ, das eine Heroisierung der persönlichen Leistungen des Großen Kurfürsten an der Spitze seiner Armeen enthielt, lenkte er indirekt die Aufmerksamkeit auch auf die Tatsache, dass er selbst ebenfalls nicht nur den formellen Oberbefehl über seine Truppen übernommen, sondern dass er sie sogar in persona in die Schlacht geführt hatte. Es zeigt sich hier also exemplarisch, dass sich die historischen Darstellungen Friedrichs nicht auf bloße Rekapitulationen vergangener Ereignisse reduzierten, sondern dass sie bisweilen in mehrfacher Hinsicht konkreten Gegenwartsbezug hatten. Die bereits erwähnte Vermittlung konkreter historischer Erkenntnisse im Sinne des Topos der „historia magistra vitae“ zählte ebenso hierzu wie die Tendenz, mittelbar auch über das eigene Handeln zu reflektieren und es überdies sogar unter dem Deckmantel der historischen Erzählung mit kalkulierter Außenwirkung zu stilisieren. Dieser Gegenwartsbezug der friderizianischen Geschichtsschreibung wird auch in dem nächsten Sachverhalt erkennbar, der die These von Friedrichs Selbststilisierung und Rechtfertigung des eigenen Handelns in seinen „Denkwürdigkeiten“ untermauern soll. Gemeint ist die charakteristische Art und Weise, wie der König die kaiserliche Politik in seinen Schilderungen der Regierungszeiten Kurfürst Georg Wilhelms und Friedrich Wilhelms dargestellt hat. In diesem Zusammenhang fällt zuvorderst auf, dass Friedrich die kaiserliche Politik und Kriegführung im Dreißigjährigen Krieg mit unverhohlener Kritik anprangert und mit einer Wortwahl kennzeichnet, die keinen Zweifel an seiner antikaiserlichen Grundeinstellung lassen. Ferdinand II., „der trotzige Zwingherr Deutschlands“74, herrschte „nahezu als Despot im Reich“75 und verfolgte „ehrsüchtige 73 Vgl. Johannes Kunisch, Friedrich der Große als Feldherr, Wiederabdruck in: ders., Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 83 – 106, hier insbesondere S. 96 – 99. 74 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 50. Die Charakterisierung Ferdinands II. in Friedrichs „Denkwürdigkeiten“ ist ein anschauliches, frühes Beispiel dafür, dass das Bild dieses Kaisers unter dem Eindruck des preußisch-österreichischen Gegensatzes in der borussischen Historiographie verzerrt wurde. Auf die offenkundige Vernachlässigung Ferdinands II. in der Forschung verweist in jüngerer Zeit Alfred Kohler, Kontinuität oder Diskontinuität im frühneuzeitlichen Kaisertum: Ferdinand II., in: Heinz Duchhardt/Matthias Schnettger (Hrsg.), Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte, Beiheft, 48), Mainz 1999, S. 107 – 117, hier S. 107. Ein stimmiges Charakterbild Ferdinands II. enthält die knappe Studie von Dieter Albrecht, Ferdinand II. 1619 – 1637, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 125 – 141. Zu den Kriegszielen Ferdinands II. vgl. Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte N. F., 25) Paderborn [u. a.] 2011. 75 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 37; vgl. auch ebd., S. 38.

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Pläne“76, die unter anderem auf die „Erniedrigung der Reichsfürsten“77 abzielten. Seine Armeen behandelten die Mark Brandenburg mit „maßloser Härte“78; „die unglückliche Stadt“79 Magdeburg wurde das weithin sichtbare Opfer ihrer „Grausamkeit“ und „Unmenschlichkeit“80. Zu allem Überfluss, so könnte man im Sinne Friedrichs ergänzen, ließ es Kurfürst Georg Wilhelm zu, dass mit seinem Vertrauten Schwarzenberg gerade ein Katholik, der überdies ein Parteigänger des Kaisers war, eine führende Rolle im Rahmen der kurbrandenburgischen Politik erringen konnte81. In Friedrichs Darstellung der kaiserlichen Politik und Kriegführung während der Regierungszeit des Großen Kurfürsten fällt die Kritik am Vorgehen Wiens in der Wortwahl zwar weniger drastisch, wenngleich aber unvermindert deutlich aus. Tenor der diesbezüglichen Passagen in den „Denkwürdigkeiten“ ist, dass die Hofburg auf die militärischen Erfolge Friedrich Wilhelms mit Neid reagiert habe. Darauf verweist der König schon im Zusammenhang der Schilderung des schwedisch-brandenburgischen Sieges in der Schlacht von Warschau (1656)82 im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655 – 1660), und in Bezug auf die kurbrandenburgischen Erfolge in der zweiten Hälfte des Französisch-Niederländischen Krieges (1672 – 1678/79) berichtet er: „Die glänzenden Erfolge, die der Kurfürst über seine Feinde errang, riefen am kaiserlichen Hofe nicht den günstigen Eindruck hervor, den man hätte erwarten sollen. Der Kaiser wünschte sich schwache Vasallen und bescheidene Untertanen, nicht reiche Fürsten, machtvolle Kurfürsten. Da das Ziel seiner Politik war, ein despotisches Regiment zu errichten, durfte die Macht der Fürsten ein bescheidenes Maß nicht übersteigen. Sie mußten also in ihrer Ohnmacht gehalten werden“83. 76

Ebd., S. 40. Ebd. 78 Ebd., S. 41. 79 Ebd., S. 44. 80 Ebd., S. 45. Die Zerstörung Magdeburgs 1631 hat seit jeher die besondere Aufmerksamkeit der Forschung gefunden; vgl. zuletzt Michael Kaiser, Die ,Magdeburgische‘ Hochzeit. Gewaltphänomene im Dreißigjährigen Krieg, in: Eva Labouvie (Hrsg.), Leben in der Stadt. Eine Kultur- und Geschlechtergeschichte Magdeburgs, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 195 – 213. 81 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 52: „Wenn er [i. e. Kurfürst Georg Wilhelm] schwere Fehler begangen hat, so bestanden sie darin, dass er sein Vertrauen dem Grafen Schwarzenberg schenkte, der ihn verriet. Nach einigen Geschichtsschreibern hegte Schwarzenberg sogar den Plan, sich zum Kurfürsten von Brandenburg aufzuschwingen. Er war katholisch, hatte immer für den Kaiser Partei genommen und rechnete mit […] Zuversicht auf dessen Beistand“. 82 Ebd., S. 64. Zur Schlacht von Warschau vgl. ausführlich Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 53), Bd. 1, S. 336 – 343. 83 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 80. Bezeichnend für die antikaiserliche Tendenz des Kapitels der „Denkwürdigkeiten“ über die Regierungszeit des Großen Kurfürsten ist auch, dass Friedrich hier die Misserfolge der alliierten kurbrandenburgisch-kaiserlichen Armeen in der ersten Hälfte des Französisch-Niederländischen Krieges allein auf die Kriegsführung der Kaiserlichen zurückführt; vgl. ebd., S. 70 – 74. Darüber hin77

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Friedrichs Darstellung der kaiserlichen Politik im 17. Jahrhundert erweckt somit den Eindruck kontinuierlicher kaiserlicher Ambitionen auf eine dominierende Stellung im Reich, wohingegen die Reichsstände, darunter Kurbrandenburg, auf die Wahrung ihrer althergebrachten Libertät bedacht gewesen seien84. Zugleich suggerieren die entsprechenden Passagen der „Denkwürdigkeiten“ einen nahezu perpetuierten Antagonismus zwischen dem Kaiser und Brandenburg-Preußen, der zwar für die Zeit Friedrichs des Großen als gegeben angesehen werden kann, der jedoch, wie die neuere Forschung herausgearbeitet hat, für die Beziehungen der Höfe von Wien und Berlin während des 17. Jahrhunderts keineswegs maßgeblich und handlungsleitend war85. Dessen ungeachtet wird man mit guten Gründen annehmen können, dass der Preußenkönig der subjektiv ehrlichen Überzeugung war, die kaiserliche Politik ziele traditionell auf die Erlangung eines Dominats im Reich ab. Darüber hinaus wird erkennbar, dass Friedrich ein nachvollziehbares Interesse daran hatte, seinen Nachfolgern und der europäischen Öffentlichkeit ein Bild von der kaiserlichen Politik zu vermitteln, das vermeintlich ungerechtfertigte Besitz- und Herrschaftsansprüche der Wiener Hofburg akzentuierte. Besonders deutlich wird dies in der Darstellung der Zurückweisung der als berechtigt dargestellten Rechtsansprüche Brandenburg-Preußens auf schlesische Territorien durch Kaiser Leopold I.86, ein Sachverhalt also, aus macht er auf das strukturelle Problem der kaiserlichen Kriegsführung aufmerksam, das daraus resultierte, dass die kaiserlichen Generäle bei ihren militärischen Operationen daran gebunden blieben, die Weisungen der Hofburg einzuholen. Dass die verwickelten politischen und militärischen Entscheidungsbefugnisse auf kaiserlicher Seite noch im 18. Jahrhundert einen strukturellen Nachteil gegenüber der preußischen Kriegsführung bedeuteten, der nicht zuletzt ein Grund dafür war, dass sich Friedrich in seinen Kriegen gegen Österreich militärisch behaupten konnte, hat Johannes Kunisch wiederholt hervorgehoben; vgl. vor allem Johannes Kunisch, Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges. Ein Beitrag zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 173 – 222, hier S. 208 ff.; ders., Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München/Wien 1978, S. 83 – 86; ders., Die große Allianz der Gegner Preußens im Siebenjährigen Krieg, in: Bernhard R. Kroener (Hrsg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kriege (Beiträge zur Militärgeschichte, 26), München 1989, S. 79 – 97, hier S. 93 ff. 84 Die Frage, ob und in welchem Maße die kaiserliche Politik ,reichsabsolutistische‘ bzw. zentralistische Ziele verfolgte, ist in der Forschung nach wie vor umstritten; vgl. hierzu jüngst den Überblick bei Thomas Brockmann, Gegenreformation und habsburgische Behauptungspolitik. Ferdinand II., der Papst, die Jesuiten und die Frage der protestantischen Religionsrechte im Erzherzogtum Österreich 1619/20, in: Jörg Engelbrecht/Stephan Laux (Hrsg.), Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag (Studien zur Regionalgeschichte, 18), Gütersloh 2004, S. 147 – 198, hier S. 148 Anm. 4. 85 Vgl. hierzu Michael Rohrschneider/Stefan Sienell, Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, S. 141 – 159 in diesem Band. 86 Zur schlesischen Frage in den kaiserlich-kurbrandenburgischen Beziehungen zur Zeit Kaiser Leopolds I. vgl. ausführlich Werner Bein, Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein

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der zum Zeitpunkt des Erscheinens der „Denkwürdigkeiten“ und vor dem Hintergrund der beiden ersten Schlesischen Kriege an Brisanz kaum zu überbieten war. Friedrich schreibt: Kaiser „Leopold aber kannte keine anderen Rechte als seine eigenen, keine Ansprüche außer denen des Hauses Österreich und keinen Rechtsgrundsatz als seinen Hochmut“87. Indem er also die Berechtigung der Ansprüche seines Hauses auf schlesische Territorien hervorhob, zielte Friedrich erkennbar auf die Demaskierung der kaiserlichen Politik gegenüber Preußen ab und rechtfertigte somit indirekt seinen nur wenige Jahre zuvor erfolgten Zugriff auf schlesisches Territorium. Kommen wir nun zu dem dritten Sachverhalt, der aufzeigen soll, dass der Preußenkönig die Darstellung der Politik der Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm in den „Denkwürdigkeiten“ wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Motivs entwarf, sich selbst zu stilisieren beziehungsweise seine eigene Politik zu rechtfertigen: Es handelt sich hierbei um die charakteristische Art und Weise, wie Friedrich das Bündnisverhalten der beiden genannten Kurfürsten schildert. Von der Kritik des Königs an der schwankenden Haltung Georg Wilhelms zwischen dem Kaiser und den Schweden war bereits die Rede. Friedrich warf dem Kurfürsten ausdrücklich vor, versäumt zu haben, ein 20.000 Mann starkes Heer aufzustellen, mit dem seiner Ansicht nach eine Behauptung der kurbrandenburgischen Interessen im Dreißigjährigen Krieg möglich gewesen wäre88. Da Georg Wilhelm dies unterlassen habe, sei er schließlich nicht mehr in der Lage gewesen, den Kurs der kurbrandenburgischen Außenpolitik aktiv zu bestimmen. Vielmehr habe sich der Kurfürst wiederholt gezwungen gesehen, den sich wandelnden Kräfteverhältnissen Tribut zu zollen und sich jeweils auf die Seite des Stärkeren zu schlagen. Machte der König somit bis zu einem gewissen Grade persönliche Versäumnisse Georg Wilhelms verantwortlich dafür, dass Kurbrandenburg im Verlaufe des Großen Krieges zu einem Spielball der Mächte und wiederholt gezwungen wurde, die Partei zu wechseln, so verhielt es sich mit der Außenpolitik des Großen Kurfürsten nach Auffassung Friedrichs anders. Dass sich auch Friedrich Wilhelm im Laufe seiner Regierung mehrfach veranlasst sah, seinen außenpolitischen Kurs zu wechseln und bestehende Bündnisse zu lösen, lag nach Ansicht des Königs nicht in persönlichen Fehlleistungen des Kurfürsten, sondern letztlich in dem jeweiligen Zwang der Umstände begründet. Die Notwendigkeit ist hier das Schlüsselwort, das Friedrich wiederholt anführt, um die schwankende Allianzpolitik Friedrich Wilhelms verstehbar zu machen89. Der König macht hier auf einen Umstand aufmerksam, der in der neueren Forschung durchaus umstritten ist. Während sich nach wie vor Stimmen finden, welche Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, 26), Sigmaringen 1994, S. 99 – 131. 87 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 86. 88 Ebd., S. 52 f. 89 Vgl. ebd., S. 64 und 93.

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die schwankende Außenpolitik Friedrich Wilhelms aus Sicht des Reiches an den Pranger stellen – so hat Axel Gotthard jüngst hervorgehoben, Friedrich Wilhelm habe „eine ziemlich unappetitliche Schaukelpolitik zwischen Teutschland und dem erklärten Reichsfeind Frankreich betrieben“90 –, hat vor allem Ernst Opgenoorth mit guten Gründen auf die engen Handlungsspielräume des Großen Kurfürsten bei der Gestaltung seiner Außenpolitik aufmerksam gemacht: „Das ,Wechselfieber‘, wie es die Zeitgenossen spöttisch nannten, war“, so Opgenoorth, „keine Laune Kurfürst Friedrich Wilhelms, sondern eine Notwendigkeit kurbrandenburgischer Außenpolitik“91. Dass die Deutung der kurbrandenburgischen Außenpolitik durch Friedrich den Großen exakt der letztgenannten Forschungsmeinung über das Wesen der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms entspricht, ist im hier behandelten Zusammenhang bemerkenswert. Denn bedenkt man, dass der König in den Augen der zeitgenössischen Öffentlichkeit „eklatanten Vertragsbruch“92 begangen hatte, als er im Juni 1742 mit dem Präliminarfrieden von Breslau die Auflösung des Bündnisses Preußens mit Frankreich herbeigeführt hatte, dann wird verständlich, weshalb er in so nachhaltiger Weise das Gebot der Notwendigkeit als Determinante der brandenburg-preußischen Außenpolitik in den „Denkwürdigkeiten“ herausstellt. Offenbar ging es Friedrich ganz entscheidend darum, durch den fernen Spiegel des 17. Jahrhunderts die bewegenden Kräfte der Außenpolitik Berlins kenntlich und vor diesem Hintergrund verständlich zu machen, dass eine am Staatsnutzen orientierte brandenburg-preußische Interessenpolitik auf außenpolitischem Terrain notfalls auch auf das Mittel des Vertragsbruchs zurückgreifen müsse. Damit nahm der König Gedanken auf, die er bereits im „Antimachiavell“ zum Ausdruck gebracht und auch in den verschiedenen Fassungen seiner Vorreden zur „Histoire de mon temps“ thematisiert hatte93. Dort heißt es unmissverständlich: „[…] es ist also besser, der Herrscher bricht seinen Vertrag, als daß das Volk zugrunde geht“94. Hier und an anderer Stelle95 wird deutlich erkennbar, dass der König das offenkundige Bedürfnis hatte, die Kriterien zu benennen, die es aus seiner Sicht rechtfertigten, Vertrags- und Allianzbruch zu begehen. Und man wird vor diesem Hintergrund schließlich nicht umhin kommen, auch seine Darstellung der Außenpolitik des Großen Kurfürsten als Versuch zu deuten, seinen Nachfolgern und dem zeitgenössi90

Gotthard, Sendung (wie Anm. 59), S. 336. Vgl. beispielshalber auch Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), Stuttgart 1993, S. 409 Anm. 14: „Die Würdelosigkeit des Brandenburgers [i. e. Kurfürst Friedrich Wilhelm] gegenüber Ludwig XIV., dessen Gefährlichkeit ihm durchaus bewußt war, kannte in dieser Zeit [in den frühen 1680er Jahren] keine Grenzen“. 91 Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfürst und die Annexion Straßburgs 1681, in: Studien der Erwin von Steinbach-Stiftung 5 (1984), S. 63 – 83, hier S. 66. 92 Schieder, Friedrich der Große (wie Anm. 15), S. 110. 93 Vgl. hierzu die prägnanten Ausführungen ebd., S. 109 – 113. 94 Volz, Werke Friedrichs des Großen (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 273. 95 Vgl. vor allem ebd., S. 13 f.

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schen Leser anhand dieses historischen Beispiels eindringlich das Erfordernis einer flexiblen, zur Selbstbehauptung und zur Sicherung eigener Rechte notfalls mit wechselnden Bündnissen operierenden Außenpolitik Preußens vor Augen zu führen. IV. Fazit Es hat sich gezeigt, dass Friedrich der Große mit seinen „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“ ein historiographisches Werk geschaffen hat, das nicht nur darum bemüht war, die brandenburgische Geschichte von ihren Anfängen bis zum Jahre 1740 der interessierten europäischen Öffentlichkeit näherzubringen, sondern das darüber hinaus auch eine Reihe von zum Teil brisanten politischen Gegenwartsbezügen aufwies. Anhand einer Untersuchung der Anlage und der Stoffauswahl in den Kapiteln der „Denkwürdigkeiten“, die sich mit den Regierungszeiten der Kurfürsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm befassen, konnte auf die von der bisherigen Forschung in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigte Tendenz des Königs zur Selbststilisierung und Rechtfertigung seiner eigenen Politik aufmerksam gemacht werden. Denn für den kundigen zeitgenössischen Leser war nicht zu übersehen, dass die Art und Weise, wie Friedrich die kurbrandenburgische Politik des 17. Jahrhunderts in den „Denkwürdigkeiten“ schildert, und dass insbesondere die verklärend-idealisierende Darstellung der Persönlichkeit und des Wirkens Kurfürst Friedrich Wilhelms bis zu einem gewissen Grade auch dazu gedacht waren, auf bestimmende Faktoren und gestaltende Kräfte der gegenwärtigen Politik Preußens sowie auf die persönlichen Leistungen Friedrichs selbst hinzuweisen. So besaß das durch den König in den „Denkwürdigkeiten“ postulierte Ideal eines Herrschers, der zugleich Souverän und kommandierender General war, ebensolche Gegenwartsund Selbstbezüge wie die Hervorhebung des Moments der Konfrontation in den Beziehungen Kurbrandenburgs zum Kaiser im 17. Jahrhundert oder auch die legitimierende Darstellung der Bündniswechsel des Großen Kurfürsten. Friedrich nutzte somit, dies lässt sich abschließend konstatieren, das Medium der Historiographie nicht nur mit dem herkömmlichen Ziel dynastischer Traditionspflege, sondern er verwies in seinen „Denkwürdigkeiten“ in gegenwartsbezogener Weise indirekt auch auf persönliche Regierungsmaximen und offenbarte überdies aufschlussreiche subjektive Reflexionen über das Wesen brandenburg-preußischer Außenpolitik. Mit diesen Ergebnissen ist somit ein Beitrag zu der in der gegenwärtigen Forschung stark beachteten Frage geleistet, über welches Repertoire ein frühneuzeitlicher Herrscher wie Friedrich verfügte, wenn es galt, die eigene Politik und Herrschaftsweise vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit in reputationsfördernder Weise zu stilisieren.

Die Pommern-Politik des Großen Kurfürsten im Urteil der Geschichtsschreibung* Zu den prominenten Narrativen der Geschichtsschreibung zum Leben und Wirken Kurfürst Friedrich Wilhelms von Brandenburg zählt die Annahme, der Hohenzoller sei im Sinne einer „geopolitische[n] Konstante“1 seines Hauses kontinuierlich auf den Erwerb eines Ostseezugangs Kurbrandenburgs fixiert gewesen. Der Große Kurfürst, so liest man in zahlreichen Darstellungen, habe in seiner Jugend die florierende niederländische Vorreitergesellschaft kennengelernt und daraus politische und wirtschaftliche Zielsetzungen abgeleitet, deren Kern der Wunsch gewesen sei, Kurbrandenburg nach niederländischem Vorbild in eine See- und Handelsmacht zu transformieren2. Beispielhaft zitiert sei an dieser Stelle Peter Baumgart, der in einem 1990 publizierten Aufsatz über „Staatsdenken und Staatsarbeit“ des Kurfürsten konstatiert: „Ohne das niederländische Vorbild ließe sich Friedrich Wilhelms hartnäckig verfolgter, obschon utopischer Plan nicht verstehen, Kurbrandenburg zu einer auf die Ostsee orientierten See- und Handelsmacht umzuformen. Von dort her erklärt sich auch die überragende Bedeutung, die er dem dynastisch lange vorbereiteten Erwerb Pommerns samt den Odermündungen und dem Seehafen Stettin zeitlebens beimaß, so daß sie seine gesamte Reichs- und Außenpolitik überlagern und bestimmen konnte“3. * Die folgende Untersuchung basiert auf dem gleichnamigen Vortrag, den der Verfasser am 23. 10. 2015 im Rahmen der Tagung der Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte „Preußen als Ostsee-Anlieger“ in Greifswald gehalten hat. 1 Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (Urban-Taschenbücher, 573), Stuttgart/Berlin/Köln 1996, S. 151. 2 Ein typisches Beispiel für die Betonung der außerordentlichen Wirkung, welche die Niederlande in ihrem Goldenen Zeitalter auf den noch jungen Kurprinzen ausgeübt haben, findet sich in der biographischen Skizze von Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst (Persönlichkeit und Geschichte, 65), Göttingen/Zürich/Frankfurt am Main 1971, S. 17 f.: „Hier mag er sich ausgemalt haben, wie zukünftig Brandenburgs Schiffe zwischen Stettin und Königsberg hin- und hersegeln, wie Handel und Geschäftigkeit zunehmen, die Kurmark aus ihrer wirtschaftsgeographischen Isolierung herauskommt und über die Odermündung verbunden wird mit den Ostseeländern“. Vgl. ferner Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971 – 1978, hier Bd. 1, S. 30 f. sind die Beweggründe des kurbrandenburgischen Hofes geschildert, den Kurprinzen in die Niederlande reisen zu lassen. 3 Peter Baumgart, Der Große Kurfürst. Staatsdenken und Staatsarbeit eines europäischen Dynasten, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640 – 1688) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 8), Berlin 1990, S. 33 – 57, hier S. 42.

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Damit ist bereits die zentrale Thematik dieser Untersuchung angesprochen, die sich in folgenden Leitfragen bündeln lässt: Wie beurteilt die bisherige historische Forschung die Pommern-Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms? War die politisch und militärisch umkämpfte Pommern-Frage in der Tat ein dominierender Faktor der Außen- und Reichspolitik des Hohenzollern? Oder neigt diese Lesart doch zu einer Überschätzung der Bedeutung Pommerns im Gesamtkalkül Friedrich Wilhelms? Ziel der folgenden Ausführungen ist es somit ausdrücklich nicht, einen neuerlichen Interpretationsversuch zu liefern, der die persönliche Haltung des Kurfürsten gegenüber Pommern noch einmal auf den Prüfstand stellt. Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ist vielmehr explizit historiographiegeschichtlich angelegt. Vor allem Kontinuität und Wandel der Urteile der Geschichtsschreibung in der kontrovers diskutierten Pommern-Frage rücken in den Blickpunkt. In einem ersten Schritt wird aufgezeigt, wie die preußisch-kleindeutsch orientierte Geschichtsschreibung die Pommern-Problematik bewertet hat. Die Untersuchung setzt dementsprechend mit Droysen und seinen Schülern ein; ältere Werke, wie zum Beispiel Pufendorfs grundlegende Geschichte der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms4, bleiben dagegen ausgeklammert (I.). In einem zweiten Schritt wird der Neuansatz analysiert, den Ernst Opgenoorth in den 1970er und 1980er Jahren vorgenommen und der die bis dato dominierende Interpretation der preußisch-kleindeutschen Schule erheblich relativiert hat (II.). In einem dritten Schritt ist schließlich auf ein Forschungsparadigma einzugehen, das in jüngerer Zeit verstärkt in den Vordergrund gerückt ist und die Pommern-Thematik in einem neuen Licht erscheinen lässt. Es handelt sich hierbei um den Deutungsansatz, die Strukturen der in Entstehung begriffenen frühneuzeitlichen Staatswesen explizit als „Mehrfachherrschaften“ oder „composite states/monarchies“ zu charakterisieren (III.). Die nachfolgende Studie beansprucht somit nicht, die gesamte Forschung zur Genese der Pommern-Frage detailliert zu rekapitulieren, sondern anhand von ausgewählten, besonders aufschlussreichen Beispielen sollen die großen Züge der diesbezüglichen Diskussion nachgezeichnet werden, sodass am Ende der Ausführungen der Kern des skizzierten Forschungsproblems deutlich vor Augen liegt. I. Die Pommern-Frage im Urteil der preußisch-kleindeutsch orientierten Historiographie Johann Gustav Droysens „Geschichte der Preußischen Politik“5 hat im Hinblick auf die Bewertung der Außen- und Reichspolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms lang4 Vgl. Samuel von Pufendorf, De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni Electoris Brandenburgici commentariorum libri novendecim, Berlin 1695. 5 Für die Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms vgl. insbesondere Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, Bd. III/1 – 3, Leipzig 1861 – 1865; vgl. zu Droysens Opus magnum insgesamt die ausführliche Würdigung und kritische Einordnung von

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fristig gesehen großen Einfluss auf die Forschung ausgeübt. Dies gilt auch und gerade, wie im Folgenden erkennbar wird, für die Pommern-Frage. Nukleus der Ausführungen Droysens ist seine viel diskutierte These von Preußens „deutschem Beruf“. Im ersten Band seiner „Geschichte der Preußischen Politik“ heißt es gleich einleitend: „Auch Preußen umfaßt nur Bruchtheile deutschen Volkes und Landes. Aber zum Wesen und Bestand dieses Staates gehört jener Beruf für das Ganze, dessen er fort und fort weitere Theile sich angegliedert hat“6. In diese teleologische Gesamtinterpretation, der die letztlich anachronistische Vorstellung zugrunde liegt, die brandenburgisch-preußischen Herrscher hätten kontinuierlich eine Politik betrieben, die der Wahrung spezifisch deutscher Interessen diente, ist auch Droysens Darstellung der Pommern-Politik des Großen Kurfürsten einzuordnen. Um die Positionen Droysens und der nachfolgenden Historiographen angemessen einordnen zu können, ist es zunächst erforderlich, einen kurzen Blick auf die Faktenlage vorzuschalten. Unstrittig sind in der Forschung folgende Punkte: Dem Kurfürsten von Brandenburg stand nach dem Tod des letzten Greifenherzogs Bogislaw XIV. im Jahre 1637 das pommersche Erbe aufgrund einer Erbanwartschaft in rechtlich eindeutiger Weise zu7. Dennoch gelang es König Gustav II. Adolf von Schweden im Zuge seines EinErnst Opgenoorth, Johann Gustav Droysens Geschichte der Preußischen Politik. Klassiker – „wissenschaftliche Totgeburt“ – oder was?, in: Patrick Merziger [u. a.] (Hrsg.), Geschichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann zum 65. Geburtstag (Geschichte), Stuttgart 2010, S. 243 – 258; siehe ferner auch Wolfgang Neugebauer, Die Anfänge strukturgeschichtlicher Erforschung der preußischen Historie, in: ders./Ralf Pröve (Hrsg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (Innovationen, 7), Berlin 1998, S. 383 – 429, hier S. 385 f. (mit weiteren Literaturhinweisen); vgl. zudem die sehr kritische Auseinandersetzung mit der borussischen Schule in Axel Gotthard, Preußens deutsche Sendung, in: Helmut Altrichter/Klaus Herbers/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Mythen in der Geschichte (Rombach Wissenschaften, Reihe Historiae, 16), Freiburg im Breisgau 2004, S. 321 – 369, hier S. 329 die Bezeichnung von Droysens „Geschichte der Preußischen Politik“ als „eines der Prunkstücke des Historismus und […] opus maximum des Borussianismus“. Droysen selbst wird von Gotthard als „Chefmystifikator“, „Möchtegernpolitiker“ und „Nolensvolenshistoriker“ bezeichnet; ebd., S. 327 ff. 6 Droysen, Geschichte (wie Anm. 5), hier Bd. 1, Leipzig 1855, S. 4. 7 Gute Zusammenfassungen der Rechtslage im Konflikt um Pommern bieten z. B. Peter Baumgart, Schlesien und Pommern in der Politik des brandenburgisch-preußischen Staates, in: Rainer Riemenschneider (Red.), Schlesien und Pommern in den deutsch-polnischen Beziehungen vom 16. bis 18. Jahrhundert. XIV. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker vom 9. bis 14. Juni 1981 in Zamos´c´ (Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, 22/5), Braunschweig 1982, S. 11 – 30, hier S. 12 – 16; Maria-Elisabeth Brunert, Der Mehrfachherrscher und das politische System des Reiches. Das Ringen um Pommern auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F, Beiheft, 7), Berlin 2005, S. 147 – 169, hier S. 148 f.; vgl. darüber hinaus auch die Schilderung der Genese der kurbrandenburgischen Pommern-Politik im 17. Jahrhundert von Bogdan Wachowiak, Die Erwerbung Pommerns in der brandenburgischen Politik des 17. Jahrhunderts, in: Horst Wernicke/Hans-Joachim Hacker (Hrsg.), Der Westfä-

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greifens in den 1618 ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieg mit einer „Mischung aus Überredung und Gewaltandrohung“8 vertragliche Vereinbarungen durchzusetzen, die der kurbrandenburgischen Erbnachfolge in Pommern zunächst einen Riegel vorschoben9. Legitimiert hat der Schwedenkönig dieses Vorgehen in dezidierter Weise mit dem Kriegsrecht, was er dem letzten Pommernherzog und den pommerschen Ständen in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben hat. Viel zitiert ist in diesem Zusammenhang ein Diktum Gustav Adolfs vom 22. August 1630: „Nun seind aber arma nostra in urbe vestra; jure belli seid Ihr mein“10. Dass dieses Vorgehen des Schwedenkönigs als Paradebeispiel für das Prinzip „Macht vor Recht“ gelten kann, ist unstrittig. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung der Pommern-Frage im Westfälischen Frieden von 1648 als Kompromiss zu werten. Zwar konnte sich Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seinem entschieden vertretenen Anspruch auf das gesamte pommersche Erbe nicht durchsetzen11; immerhin gelang der kurbrandenburgischen Diplomatie lische Frieden von 1648 – Wende in der Geschichte des Ostseeraums. Für Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Ewe zum 80. Geburtstag (Greifswalder Historische Studien, 3), Hamburg 2001, S. 85 – 100. 8 Maria-Elisabeth Brunert, Schweden und Kurbrandenburg von der Landung Gustavs II. Adolf in Pommern (1630) bis zum Westfälischen Frieden, in: Inken Schmidt-Voges/ Nils Jörn (Hrsg.), Mit Schweden verbündet – von Schweden besetzt. Akteure, Praktiken und Wahrnehmungen schwedischer Herrschaft im Alten Reich während des Dreißigjährigen Krieges (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft, 10), Hamburg 2016, S. 73 – 97, hier S. 96. 9 Hintergrund war, dass insbesondere Vorpommern aus schwedischer Sicht ein attraktiver Vorposten und zugleich eine mögliche Angriffsbasis auf Reichsboden war; vgl. Helmut Backhaus, Reichsterritorium und schwedische Provinz. Vorpommern unter Karls XI. Vormündern (1660 – 1672) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 25), Göttingen 1969, S. 137; zur strategischen Bedeutung Vorpommerns für die Anrainer vgl. zusammenfassend auch Martin Meier, Brandenburg und Dänemark im Kampf um Rügen und Vorpommern während des 17. Jahrhunderts, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 12 (2008), S. 174 – 205, hier insbesondere S. 179 f. 10 Max Bär, Die Politik Pommerns während des dreißigjährigen Krieges (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, 64), Leipzig 1896, S. 278. Wie der schwedische König die damaligen Machtverhältnisse einschätzte, zeigt auch folgende rhetorische Frage, die er den pommerschen Landständen stellte: „Ich habe Stettin in Henden, den Herzog, die furstlichen Rete, den Rat, und Ihr wollet noch an dem Feind hangen?“ Ebd. 11 Vgl. die entsprechenden Regelungen in Artikel XI des Instrumentum Pacis Osnabrugensis: Antje Oschmann (Bearb.), Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Abt. B: Verhandlungsakten, Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, 1. Teil: Urkunden, Münster 1998, S. 136 – 141. Zu diesem Themenkomplex sind grundlegend: Gustav Breucker, Die Abtretung Vorpommerns an Schweden und die Entschädigung Kurbrandenburgs. Ein Beitrag zur Geschichte des Westfälischen Friedens, Diss., Halle/Saale 1879; Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, 7. Aufl., hrsg. von Konrad Repgen, Münster 1998, insbesondere S. 316 – 324; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 162 ff.; Peter Baumgart, Kurbrandenburgs Kongreßdiplomatie und ihre Ergebnisse, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. Redaktion: Eva Ortlieb (Historische Zeitschrift, Beihefte, N. F., 26), München 1998, S. 469 – 484; Herbert Langer, Die pommerschen Landstände und der Westfälische Friedenskongreß,

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aber ein Teilerfolg: Hinterpommern wurde Kurbrandenburg zugeschlagen, und als Äquivalent für Vorpommern, das mit Stettin und der Odermündung als Satisfaktion Schweden zugesprochen wurde, gelangten auch die vormaligen Stifter Halberstadt, Minden und Kammin an die Hohenzollernmonarchie, die überdies eine 1680 realisierte Anwartschaft auf das Erzstift (und spätere Herzogtum) Magdeburg erlangte12. Insgesamt gesehen hatten diese friedensvertraglichen Regelungen eine „Schwerpunktverlagerung“13 der kurbrandenburgischen „composite monarchy“ hin zu den nordwestdeutschen Kerngebieten des Alten Reiches zur Folge, die ursprünglich nicht gewollt war und zudem nicht dem Rechtsverständnis Friedrich Wilhelms entsprach14. Der Kurfürst war vielmehr fest von der Berechtigung seiner Ansprüche auf in: ebd., S. 485 – 499; ders., Die Entwicklung der Pommernfrage bis zum Friedensschluß in Münster und Osnabrück 1648, in: Wernicke/Hacker, Frieden (wie Anm. 7), S. 65 – 83. 12 Treitschke vermochte bezeichnenderweise – ganz im charakteristischen Stil seiner nationalgeschichtlich verengten Geschichtsschreibung – dieser aus der subjektiven Sicht Friedrich Wilhelms enttäuschenden Regelung noch Positives abzugewinnen; vgl. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 1. Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden (Staatengeschichte der neuesten Zeit, 24), 10. Aufl., Leipzig 1918, S. 33: „Friedrich Wilhelm hat es nie verwunden, daß er seine pommerschen Erbansprüche im Westfälischen Frieden gegen den Widerstand Österreichs und Schwedens nicht behaupten konnte. […] Doch selbst diese diplomatische Niederlage ward ein Glück für den Staat; sie bewahrte ihn vor einem halbdeutschen baltischen Sonderleben, verstärkte seine zentrale Stellung und zwang ihn teilzunehmen an allen Händeln der binnendeutschen Politik“. 13 Baumgart, Kongreßdiplomatie (wie Anm. 11), S. 483: „Mit der Brückenbildung zu den westlichen Territorien wurde zugleich eine Schwerpunktverlagerung des bisher eher einseitig nach Ostmitteleuropa orientierten Kurstaats gefördert. Seine Kerngebiete wurden durch die Stiftslande nach Westen hin abgerundet, die brandenburgische Position im NiederrheinischWestfälischen Reichskreis durch das strategisch wichtige Minden erheblich gestärkt; mit der Festung Magdeburg erhielt Kurbrandenburg eine beherrschende Stellung an der Elbe. Die territorialen Regelungen von Osnabrück verwiesen Kurbrandenburg stärker auf das nordwestdeutsche Binnenland und bewirkten zugleich eine engere Verflechtung in die Reichsangelegenheiten“. In diesem Sinne schon Martin Philippson, Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 3, Berlin 1897 – 1903, hier Bd. 1, S. 110: „Auch wurde durch die Neugestaltung Brandenburg seines überwiegend östlichen Charakters entkleidet, auf die universal deutschen und europäischen Beziehungen hingewiesen“. Frank Göse betont hingegen, dass die territorialen Zugewinne im Westfälischen Frieden „die Hohenzollermonarchie in ungleich stärkerem Maße als vor dem Krieg in das nordosteuropäische Kräftefeld“ brachte; Frank Göse, Von dynastischer Kooperation zu politischer Übermächtigung: Die brandenburgisch-mecklenburgischen Beziehungen in der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 49 (2003), S. 149 – 194, hier S. 172. 14 Vgl. hierzu die an seinen präsumtiven Nachfolger gerichtete dringende Empfehlung Kurfürst Friedrich Wilhelms in seinem Politischen Testament von 1667, keinesfalls auf die seinem Haus zustehenden Rechte zu verzichten: Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Köln/Wien 1986, S. 187: „[…] Jedoch das Ihr Euch keines weges von Eweren Landen, grenssen, oder woll hergebrachten gerechtigkeitten etwas entziehen oder nehmen lassen sollet“. Schon bei Ranke liest man über die Haltung Friedrich Wilhelms: „Das war die peinliche Alternative, die man ihm vorlegte: entweder Einwilligung in die Abtretung Vorpommerns oder Verlust des gesammten Landes. Sein dynastisches Bewußtsein empörte sich gegen das eine wie gegen das andere: denn wie könne man seinem Hause zumuthen, den vornehmsten

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das gesamte pommersche Erbe überzeugt und verlor eine Revision der auf dem Westfälischen Friedenskongress etablierten Regelung auch nach 1648 nicht aus dem Blick15. Gleichwohl halfen die im Westfälischen Frieden neu hinzugewonnenen Territorien langfristig gesehen, die vom Niederrhein bis nach Ostpreußen weit verstreuten kurbrandenburgischen Lande im Sinne einer Brückenbildung zu verbinden16. Wie bereits angedeutet, versuchte Kurfürst Friedrich Wilhelm nach 1648 wiederholt, auf militärischem Wege doch noch das gesamte pommersche Erbe an sich zu bringen. Sowohl im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655 – 1660) als auch im Französisch-Niederländischen Krieg (1672 – 1678/79) gelangen ihm substanzielle Eroberungen auf pommerschem Boden, welche die Hoffnung nährten, die 1648 etablierte Regelung revidieren zu können17. Beide Male konnte sich Friedrich Wilhelm mit seinen Ambitionen auf Vorpommern aber politisch nicht durchsetzen, was ihn insbesondere nach den Friedensschlüssen mit Frankreich von 1678/1679 zutiefst verbitterte18. In diesen genannten Punkten ist sich die Forschung grundsätzlich einig. Nachtheil eines Krieges zu tragen, an dem es keine Schuld gehabt habe“; Leopold von Ranke, Zwölf Bücher Preußischer Geschichte (Leopold von Ranke’s Sämmtliche Werke, 25/26), Leipzig 1874, S. 236. 15 Heinz Duchhardt hat hervorgehoben, dass die Pommern-Regelung des Westfälischen Friedens „zu einer schweren Hypothek der brandenburgischen Politik werden [sollte], freilich zugleich auch zu einem Antriebsmoment, die Entscheidung von 1648 zu revidieren, auf das manche Kapriolen der Außenpolitik Friedrich Wilhelms zurückzuführen waren“; Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640 – 1688), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 95 – 112, hier S. 98. Peter Baumgart spricht sogar von einer regelrechten Fixierung der kurbrandenburgischen Politik auf Pommern während der Regierungszeit Kurfürst Friedrich Wilhelms; vgl. Baumgart, Schlesien (wie Anm. 7), S. 17 f. Zu den weiteren territorialen Zugewinnen Brandenburg-Preußens in Pommern nach 1648 siehe zusammenfassend Helmut Neuhaus, Das Werden Brandenburg-Preußens, in: Hans-Jürgen Becker (Hrsg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 19.3.–21. 3. 2001 (Beihefte zu „Der Staat“, 16), Berlin 2006, S. 237 – 256, hier S. 242. 16 Zu den mittel- und langfristigen Sicherheitsproblemen, die aus der charakteristischen Streulage der kurbrandenburgischen „composite monarchy“ resultierten, für die preußische und deutsche Geschichte vgl. insgesamt Gregor Schöllgen, Sicherheit durch Expansion? Die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert im Lichte des Kontinuitätsproblems in der preußischen und deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 22 – 45. 17 Ausführlich hierzu Hermann Klaje, Des Großen Kurfürsten Stürme auf Greifswald im Jahre 1659, in: Pommersche Jahrbücher 10 (1909), S. 75 – 148; Eckardt Opitz, Österreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655 – 1660. Vorbereitung und Durchführung der Feldzüge nach Dänemark und Pommern (Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt. Militärgeschichtliche Studien, 10), Boppard am Rhein 1969; Ernst Müsebeck, Die Feldzüge des Großen Kurfürsten in Pommern 1675 – 1677, in: Baltische Studien N. F. 1 (1897), S. 1 – 141; Peter Kiehm, Zu den Feldzügen des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Vorpommern 1675 – 1679. Hintergründe und Ziele, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 15/2 (1988), S. 108 – 115. 18 Vgl. die Tendenz zur Überzeichnung dieser Haltung in der älteren Forschung: Herman von Petersdorff, Der Grosse Kurfürst, Gotha 1926, S. 191: „Mit größerer Bitterkeit hat wohl

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Umstritten sind aber weitere Schlussfolgerungen und Interpretationen der Pommern-Politik Friedrich Wilhelms, die Droysen lancierte. Er entwarf ein Bild der politischen und militärischen Haltung des Kurfürsten in der Spätphase des Holländischen Krieges, das ganz maßgeblich von der Vorstellung geprägt war, Friedrich Wilhelm habe nicht nur in kurbrandenburgischem, sondern auch in deutschem Interesse alles darangesetzt, Schweden vom Reichsboden zu vertreiben und Europa zugleich vor der Dominanz Frankreichs zu retten19. Diese Deutung lag letztlich in der Logik der generellen Argumentationsführung Droysens begründet, denn es ging ihm stets darum, die Außen- und Reichspolitik Friedrich Wilhelms in sein telelogisches Gesamtkonstrukt einzubinden. Dass Droysens Positionen schon zeitgenössisch Kritik herausforderten, verwundert nicht, zumal sein Anliegen als Historiker genuin politisch ausgerichtet war. Die Geschichtswissenschaft stellte er „in den Dienst einer praktisch-politischen Aufgabe: Handlungsmaximen für die auswärtige Politik zu erarbeiten“20, wobei seine „Geschichte der Preußischen Politik“ erkennbar darauf abzielte, zu demonstrieren, dass die beiden klassischen liberalen Forderungen nach nationaler Einheit und mehr Freiheit „nur eben vom preußischen Staat verwirklicht werden konnten und daß die preußische Politik immer schon, bewußt oder unbewußt, der Schrittmacher zu diesem geschichtlichen Fortschritt gewesen sei“21. Gerade der an die österreichische Adresse gerichtete Vorwurf Droysens, im Gegensatz zu Kurfürst Friedrich Wilhelm habe die Wiener Hofburg eine ausgeprägt partikularistische Interessenpolitik betrieben22, forderte Widerspruch regelrecht heraus. So entgegnete der Wiener Historiker Alfred Francis Pribram, ein ausgewiesener Experte der kaiserlich-kurbrandenburgischen Beziehungen, in einem in der Zeitschrift „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ 1892 erschienen Aufsatz „Zur auswärtigen Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg“: „Es hieße daher der staatsmännischen Befähigung des Kurfürsten zu nahe treten, es hieße aus dem Realpolitiker einen Phantasten machen, wollte man, wie dies geschehen ist und noch heute gelegentlich geschieht, jedweden Schritt, den er unter-

nie ein Fürst einen Friedensvertrag unterzeichnet, als es von Friedrich Wilhelm hier geschah“. Siehe hierzu ferner Thierry Carpent, Die Darstellung des französischen Bündnisses des Großen Kurfürsten (1679 – 1685) in der deutschen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Jean Schillinger (Hrsg.), Louis XIV et le Grand Siècle dans la culture allemande après 1715, Nancy 2012, S. 269 – 288, hier S. 276 ff. 19 Vgl. Droysen , Geschichte (wie Anm. 5), Bd. III/3, S. 649. 20 Wolfgang Hardtwig, Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und Borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus, in: Historische Zeitschrift 231 (1980), S. 265 – 324, hier S. 274. 21 Ebd., S. 278. 22 Vgl. Droysen, Geschichte (wie Anm. 5), Bd. III/3, S. 519.

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nommen, vom Standpunkte eines bewußten Handelns im Sinne der Herstellung eines großen einigen Deutschlands auffassen“23. Dieses Verdikt richtete sich nicht nur gegen Droysen selbst, sondern wohl auch und gerade gegen dessen Schüler, die aus der Rückschau betrachtet in einer teilweise geradezu bizarr anmutenden Weise versuchten, auch noch die letzte außenpolitische Wendung des brandenburgischen „Wechselfiebers“, wie Zeitgenossen die außenpolitische Schaukelpolitik des Großen Kurfürsten zu nennen pflegten, im Sinne einer bewussten deutschen Interessenpolitik zu stilisieren24. Schon Ernst Opgenoorth hat darauf in seiner Habilitationsschrift und in nachfolgenden Aufsätzen zur profranzösischen Phase der Außenpolitik Friedrich Wilhelms während der ersten Hälfte der 1680er Jahre hingewiesen25. So liest man, um hier ein konkretes Beispiel aus der älteren Forschung zu nennen, in Martin Philippsons voluminöser Biographie Friedrich Wilhelms: „Es hieße den Charakter dieses Fürsten völlig verkennen, wenn man annähme, er habe nach dem großen Fehlschlage des Jahres 1679 seine Pläne der Eroberung Vorpommerns aufgegeben. Der zähe Sinn, der ihn stets veranlaßte, das einmal als erstrebenswert Erkannte immer von neuem in den Kreis seiner Entwürfe aufzunehmen, solchem, wenn es auf dem einen Wege nicht zu erlangen gewesen, auf einem andern nachzugehen, flößte ihm nunmehr den Entwurf ein, die Vertreibung der Schweden aus Deutschland, die im Gegensatze zu Frankreich nicht gelungen war, künftighin mit dessen Beistand zu suchen“26. Der Hintergrund einer solchen Interpretation liegt auf der Hand: Wollte man das Denken und Handeln des Kurfürsten vornehmlich als ,deutsch‘ charakterisieren, dann musste man erklären, weshalb sich Friedrich Wilhelm nach den Friedensschlüssen von 1678/79 mit dem ,Erbfeind‘ Frankreich verbündete, obwohl er doch eigentlich „die Rettung Europas vor dem Dominat Frankreichs“27 angestrebt habe. Der Verweis auf seine angebliche Absicht, gerade deshalb ein Bündnis mit Ludwig XIV. zu schließen, um Pommern erwerben und Schweden vom Reichsboden vertreiben zu

23 Alfred Francis Pribram, Zur auswärtigen Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 5 (1892), S. 103 – 133, hier S. 105. 24 Siehe schon die ausführliche kritische Auseinandersetzung mit der älteren Literatur bei Ferdinand Fehling, Frankreich und Brandenburg in den Jahren 1679 bis 1684. Beiträge zur Geschichte der Allianzverträge des Großen Kurfürsten mit Ludwig XIV., Leipzig 1906, S. 1 – 34. 25 Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (wie Anm. 2), vor allem Bd. 2, S. 203 – 207; ders., Der Große Kurfürst und die Annexion Straßburgs 1681, in: Studien der Erwin von SteinbachStiftung 5 (1984), S. 63 – 83; ders., Der Große Kurfürst, das Reich und die europäischen Mächte, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 7), Köln/Wien 1987, S. 19 – 31. 26 Philippson, Kurfürst (wie Anm. 13), Bd. 2, S. 437. 27 Droysen, Geschichte (wie Anm. 5), Bd. III/3, S. 649.

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können, schien dann die Quadratur des Kreises und die Ehrenrettung des ,deutschen‘ Helden zu ermöglichen28. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Der französische Historiker Thierry Carpent hat jüngst darauf hingewiesen, dass sich in der Wortwahl derjenigen borussischen Historiker, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert die französische Bündnisphase Kurfürst Friedrich Wilhelms untersucht haben, in aller Deutlichkeit die machtund nationalstaatlichen Vorstellungen ihrer Zeit manifestieren. So bezeichneten Historiker wie Bernhard Erdmannsdörffer und Richard Fester die Anwesenheit der Schweden auf Reichsboden ausdrücklich als Fremdherrschaft und somit als Unrecht29, sodass das vermeintliche Ziel des Kurfürsten, die Schweden aus Pommern zu vertreiben, als legitim erschien. Allerdings sollte man sich davor hüten, die Urteile der preußischen Historiker der zweiten Hälfte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts in den hier skizzierten inhaltlichen Fragen in einem allzu homogenen Licht erscheinen zu lassen. Schon Bernhard Erdmannsdörffer, ein Schüler Droysens und Freund Heinrich von Treitschkes, schrieb in seiner „Deutschen Geschichte“ in deutlicher Abgrenzung zu Droysen mit Blick auf Brandenburg-Preußen: „[…] dieser Staat war sich selbst oberster Zweck; mit robustem Egoismus verfolgt er seine Ziele, wie alle anderen es tun, und den Idealismus einer bewußten, oder gar aufopfernden allgemein nationalen Politik findet darin nur, wer ihn mit falschen Deutungskünsten hineinträgt“30. Erdmannsdörffers „Deutsche Geschichte“ stellt, wie Wolfgang Neugebauer sehr zu Recht betont hat, eine echte Zäsur in der Preußenforschung dar31. Denn Erdmannsdörffer erteilte teleologischen Konstruktionen im Stile von Droysens These von Preußens „deutschem Beruf“ eine deutliche Absage. Im Unterschied zu seinem akademischen Lehrer betrieb Erdmannsdörffer, der sich bekanntlich große Verdienste um die Edition der „Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg“32 erwarb, Geschichte als „Wissenschaft ohne forcierte 28 Zur Haltung der borussischen Forschung in dieser Frage vgl. Carpent, Darstellung (wie Anm. 18), S. 274 ff. Exemplarisch verwiesen sei auf die Beurteilung der außenpolitischen Situation im Jahre 1681 bei Hans Prutz, Aus des Grossen Kurfürsten letzten Jahren. Zur Geschichte seines Hauses und Hofes, seiner Regierung und Politik, Berlin 1897, S. 243: „Die Aussicht den bevorstehenden Bruch zwischen Frankreich und Schweden zur Eroberung Pommerns benutzen zu können hatte für den Kurfürsten geradezu etwas Bestrickendes. Tag und Nacht hing er diesem Gedanken nach“; vgl. auch die Quellenauszüge ebd., S. 359 – 368. 29 Vgl. Carpent, Darstellung (wie Anm. 18), S. 276. 30 Bernhard Erdmannsdörffer, Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen 1648 – 1740, 2 Bde., ND Darmstadt 1962, hier Bd. 1, S. 684 f.; vgl. hierzu auch Opgenoorth, Droysens Geschichte (wie Anm. 5), S. 252. 31 Vgl. Neugebauer, Anfänge (wie Anm. 5), S. 388. 32 Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1 – 23, Berlin/Leipzig 1864 – 1930; zu dieser Großedition vgl. Konrad Repgen, Akteneditionen zur deutschen Geschichte des späteren 16. und 17. Jahrhunderts. Leistungen und Aufgaben, in: Lothar Gall/Rudolf Schieffer (Hrsg.), Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Historica und der Historischen Kom-

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politische Pädagogik“33, und anders als sein Freund Treitschke war er auch nicht tagespolitisch engagiert. Erdmannsdörffers Arbeiten zur brandenburgisch-preußischen Geschichte des 17. Jahrhunderts zeichnen sich vielmehr durch einen vergleichsweise nüchternen, mit Werturteilen eher zurückhaltenden Stil aus. Erdmannsdörffer blieb in seiner Zeit aber nicht der einzige Preußen-Historiker, der Droysens Deutung der Politik des Großen Kurfürsten dezidiert ablehnte. Auch Ferdinand Fehling, der sich 1906 mit einer Arbeit über die Jahre des kurbrandenburgisch-französischen Bündnisses 1679 – 1684 habilitierte und Droysen „großartige Einseitigkeit“34 vorwarf, stellte gleich in der Einleitung dieser Arbeit unmissverständlich klar: „Die Politik des Großen Kurfürsten trägt im wesentlichen brandenburg-preußischen, nicht deutschen Stempel“35. Fehlings Arbeit ist überdies ein gutes Beispiel dafür, wie schwer sich die historische Zunft jener Jahre damit tat – und zwar nicht nur in der Pommern-Frage – die Außen- und Reichspolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms einzuordnen: Wenn er schon keine spezifisch ,deutsche‘ Politik betrieb, welche Ziele verfolgte er dann? Eine reichspatriotische Politik mit dem Reichs-System als fester Bezugsgröße und Orientierungspunkt? Dahin geht die Tendenz der neueren Forschung36. Oder doch vielmehr eine brandenburg-preußische Interessenpolitik in Reinkultur, die auf Kaiser mission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München, 22./23. Mai 1998 (Historische Zeitschrift, Beihefte, N. F., 28), München 1999, S. 37 – 79, hier S. 47 f.; Wolfgang Neugebauer, „Großforschung“ und Teleologie. Johann Gustav Droysen und die editorischen Projekte seit den 1860er Jahren, in: Stefan Rebenich/Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.), Johann Gustav Droysen. Philosophie und Politik – Historie und Philologie (Campus Historische Studien, 61), Frankfurt am Main/New York 2012, S. 261 – 292. 33 Eike Wolgast, Die Sicht des Alten Reiches bei Treitschke und Erdmannsdörffer, in: Matthias Schnettger (Hrsg.), Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher ReichsStaat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte, Beiheft, 57), Mainz 2002, S. 169 – 188, hier S. 182. 34 Fehling, Frankreich (wie Anm. 24), S. 6. 35 Ebd., S. 2. Anders klingt es z. B. bei Philippson, Kurfürst (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 362 f.: „Nicht als ob Friedrich Wilhelm sich in erster Linie von allgemein deutschen Rücksichten hätte leiten lassen; vielmehr im Vordergrunde stand ihm, wie das damals nur allzu natürlich war, der eigene Staat; aber die Dinge lagen doch so, daß die Freiheit und Größe Brandenburg-Preußens am Rhein, an der Oder und am Niemen auf das engste mit der Freiheit und Größe Deutschlands verknüpft waren“. 36 Vgl. insbesondere Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 25); Anton Schindling, Der Große Kurfürst und das Reich, in: Heinrich, Licht (wie Anm. 3), S. 59 – 74; Frank Kleinehagenbrock, Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg. unter Mitarbeit von Frank Kleinehagenbrock), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 1: Das 17. und 18. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Mit Beiträgen von Ursula Fuhrich-Grubert [u. a.], Berlin/New York 2009, S. 853 – 931, hier S. 904 – 907. Dass Reichspatriotismus und -treue keineswegs gleichbedeutend waren mit unbegrenztem Gehorsam gegenüber dem Reichsoberhaupt, betont sehr zu Recht Axel Gotthard, Der „Große Kurfürst“ und das Kurkolleg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 6 (1996), S. 1 – 54, hier S. 14.

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und Reich letztlich keine Rücksicht mehr nahm, wie es die ältere Forschung zu suggerieren pflegte? II. Die Neubewertung der Pommern-Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms in den 1970er und 1980er Jahren Die eben geschilderte Lesart der Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms, wie sie sich im späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte, blieb lange Zeit vorherrschend. Erst Ernst Opgenoorth hat die Interpretamente der älteren borussischen Forschung einer grundlegenden Kritik unterworfen. Im Hinblick auf die Pommern-Problematik treten dabei mehrere Aspekte besonders in den Vordergrund. Die Einschätzung der Pommern-Frage ist in den Arbeiten Opgenoorths in eine fundamentale Neubewertung der Außenpolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms eingebettet. Kern dieser Revision ist die entschiedene Ablehnung der Überzeugung der älteren preußischen Forschung, „unabhängig vom Bewußtsein ihrer Träger könne schon die Politik des brandenburgisch-preußischen Absolutismus in eine nationalstaatlich verstandene Kontinuität eingeordnet, als ,Vorgeschichte‘ der Reichsgründung von 1871 gedeutet werden“37. Damit ging eine Neubewertung der Möglichkeiten und Ziele der Außen- und Reichspolitik Friedrich Wilhelms einher. Opgenoorth gelangte hierbei zu dem überzeugenden Befund, dass die ältere Forschung die Handlungsspielräume der kurbrandenburgischen Außenpolitik im 17. Jahrhundert überschätzte38. So lasse sich das viel zitierte brandenburgische „Wechselfieber“ in der Bündnispolitik auch und gerade dadurch erklären, dass der Kurfürst ein – in europäischen Maßstäben gesehen – letztlich zweitrangiger Akteur gewesen sei, der stets darauf angewiesen blieb, seine begrenzten Spielräume voll und ganz auszuschöpfen, um eine am Primat der Sicherheit orientierte Interessenpolitik verfolgen zu können. Bündniswechsel waren ein mögliches Instrument in diesem Kontext39. Für die Beurteilung der Pommern-Politik des Großen Kurfürsten hat diese Einschätzung Konsequenzen. Opgenoorth hat sich entschieden gegen die Deutung der älteren borussischen Forschung ausgesprochen, die nach dem Friedensschluss von 37

Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 25), S. 20. Vgl. ders., Friedrich Wilhelm (wie Anm. 2), hier pointiert Bd. 2, S. 203 – 207 und 331 – 335. Die Betonung der engen Handlungsspielräume Friedrich Wilhelms durchzieht die neuere Forschung wie ein roter Faden; siehe z. B. Johannes Kunisch, Kurfürst Friedrich Wilhelm und die Großen Mächte, in: Heinrich, Licht (wie Anm. 3), S. 9 – 32, hier S. 14; Baumgart, Kurfürst (wie Anm. 3), S. 45. 39 Teile der neueren Forschung beurteilen die Bündniswechsel Kurfürst Friedrich Wilhelms in moralisierender Weise; vgl. insbesondere Gotthard, Sendung (wie Anm. 5), S. 336 („ziemlich unappetitliche Schaukelpolitik“); Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 4 Bde., Stuttgart 1993 – 2000, hier z. B. Bd. 1, S. 409 („Würdelosigkeit des Brandenburgers gegenüber Ludwig XIV.“); ähnliche kritische Äußerungen finden sich ebd., S. 268 ff.; zur Einschätzung der Haltung Aretins vgl. Carpent, Darstellung (wie Anm. 18), S. 281 – 285. 38

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1679 erfolgte Anlehnung an Frankreich sei primär mit dem Ziel erfolgt, Vorpommern doch noch zu erobern und Schweden aus dem Reich zu vertreiben. „Gerade das Verhalten des Kurfürsten gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn zeigt alle Merkmale einer auf Erhaltung des Friedens und des Status quo gerichteten Gleichgewichtspolitik […]. Expansive Vorstellungen fehlen nicht völlig, stehen aber deutlich in zweiter Linie“40. Dieser Befund gilt auch und gerade im Hinblick auf Pommern. Zwar spielten Pläne zur Eroberung Vorpommerns in der kurbrandenburgischen Außenund Reichspolitik noch 1684 nachweislich eine Rolle. Allerdings nahmen sie, so Opgenoorth, nicht die beherrschende Stellung ein, wie es die ältere Forschung annahm41. Opgenoorth verortet Friedrich Wilhelm in den geschilderten Kontexten primär als Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches, der die gegebene politische und verfassungsmäßige Ordnung nicht grundsätzlich in Frage stellte und dessen politisches Handeln und reichsfürstliches Selbstverständnis zudem nachweislich reichspatriotische Züge aufwiesen42. Auch wenn es, so könnte man ergänzen, Phasen erheblicher Spannungen in den Beziehungen zum Wiener Hof gab43, rüttelte Friedrich Wilhelm doch niemals an den Fundamenten des prinzipiellen Zusammenwirkens von Kaiser und Reich. Sein Denkrahmen war und blieb letztlich das Alte Reich44. Opgenoorths Deutung ist nicht unwidersprochen geblieben. Ausgehend von der Annahme einer grundsätzlichen Expansivität der kurbrandenburgischen Außenpolitik, hat Peter Kiehm die These aufgestellt, Kurfürst Friedrich Wilhelm habe seine Entscheidung, im Jahre 1672 der Republik der Vereinigten Niederlande in ihrem Krieg gegen Frankreich militärisch beizustehen, in provokatorischer Absicht gegenüber Schweden und mit dem langfristigen Ziel getroffen, Vorpommern zu erobern45. Anhand der Quellen eindeutig belegen lässt sich dies beim gegenwärtigen Stand der

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Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 25), S. 31. Vgl. ebd. 42 Prägnant zusammengefasst ebd., S. 25 f. 43 Vgl. Michael Rohrschneider/Stefan Sienell, Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, S. 141 – 159 in diesem Band. 44 Vgl. zusammenfassend Opgenoorth, Der Große Kurfürst, das Reich (wie Anm. 25), S. 26 f.; in diesem Sinne dezidiert auch Schindling, Kurfürst (wie Anm. 36), S. 73: „Daß der von ihm zugrunde gelegte brandenburgisch-preußische Gesamtstaat ein Jahrhundert später dann aus dem Reichs-System hinauswuchs und bewußt hinaustrat, war von dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm so weder vorauszusehen noch gar vorausgeplant“. Vgl. auch ders., Kurbrandenburg im System des Reiches während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze, in: Hauser, Preußen (wie Anm. 25), S. 33 – 46, hier die Bilanz S. 45 f. 45 Vgl. Peter Kiehm, Brandenburgische Innen- und Außenpolitik 1660 bis 1679. Ein Beitrag zur Regierungspolitik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Diss., Greifswald 1986, S. 88 f.; ders., Zu den Feldzügen (wie Anm. 17), hier vor allem S. 108. 41

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Forschung allerdings nicht46. Auch ist darauf zu verweisen, dass Friedrich Wilhelm territoriale Expansion in den frühen 1670er Jahren sicherlich eher an der Seite Frankreichs hätte erzielen können, nicht aber als zunächst einziger Verbündeter der diplomatisch nahezu vollständig isolierten Niederlande. Auch Karl Otmar von Aretin hat sich in seiner mehrbändigen Geschichte des Alten Reiches den Positionen der älteren Forschung vor Opgenoorth angeschlossen. Über die Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms nach dem Friedensschluss von 1679 schreibt Aretin: „Hinter seiner Politik standen allerdings sehr egoistische Motive. Enttäuscht über den Frieden von Nimwegen, der ihn zur Rückgabe seiner Eroberungen in Pommern an Schweden gezwungen hatte, hatte er sich Ludwig XIV. in der Hoffnung in die Arme geworfen, mit seiner Hilfe Hinterpommern [sic!] erobern zu können“47. Kurz einzugehen ist an dieser Stelle noch auf die pommersche Landesgeschichtsschreibung. Deutlich erkennbar ist, dass die einschlägigen landesgeschichtlichen Arbeiten, in denen die Pommern-Politik des Großen Kurfürsten ausführlicher behandelt werden, gegenüber den geschilderten Positionen der Preußenforschung keine substanziell abweichenden Thesen aufweisen. Insgesamt gesehen lässt sich vielmehr konstatieren, dass eine Tendenz besteht, die traditionelle Lesart von der großen, ja sogar überragenden Bedeutung Pommerns im Gesamtgefüge der Außen- und Reichspolitik Friedrich Wilhelms zu übernehmen48. Dies gilt auch für die Arbeiten der polnischen Forschung, die, sofern sie in deutscher Sprache publiziert wurden, für diese Studie konsultiert wurden49. III. Die Pommern-Frage im Spiegel jüngerer Forschungstendenzen Seit den 1990er Jahren hat in der Geschichtswissenschaft das Interesse an denjenigen politischen Organisationsformen deutlich zugenommen, anhand derer man die Probleme der neuzeitlichen Staatsbildung im Spannungsfeld von staatlicher Einheit einerseits sowie Fortbestehen regionaler Vielfalt andererseits besonders gut aufzuzeigen vermag. Gemeint sind diejenigen politischen Gemeinwesen, die von Helmut G. Koenigsberger und John H. Elliott als „composite states“ bzw. „composite monarchies“ oder auch – um hier die von Franz Bosbach geprägte deutsche sprachliche

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Vgl. Michael Rohrschneider, Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693). Eine politische Biographie (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 16), Berlin 1998, S. 201 f. 47 Aretin, Reich (wie Anm. 39), Bd. 1, S. 283. 48 Siehe exemplarisch Martin Wehrmann, Geschichte der Stadt Stettin, ND Frankfurt am Main 1979, S. 288. 49 Vgl. Wachowiak, Erwerbung (wie Anm. 7), S. 99; Zygmunt Szultka, Das Verhältnis der hinterpommerschen Stände zu Brandenburg und Schweden in den Jahren 1648/53 bis 1660, in: Wernicke/Hacker, Frieden (wie Anm. 7), S. 101 – 120, hier S. 107.

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Variante zu nennen – als „Mehrfachherrschaften“ bezeichnet worden sind50. Hierbei handelte es sich um die für den in Entstehung begriffenen frühmodernen ,Staat‘ typische Verbindung zweier oder mehrerer Territorien unter der Herrschaft eines Monarchen, der das einigende Band der mitunter sehr unterschiedlich verfassten und oftmals sogar unverbundenen Bestandteile seines Territorienkonglomerates bildete51. Das „Konstrukt ,Brandenburg-Preußen‘“52 mit seinen verstreuten Landen vom Niederrhein bis nach Ostpreußen ist ein vorzügliches Beispiel hierfür53. Gleiches gilt etwa für die spanische Monarchie des 16. und 17. Jahrhunderts, die sicherlich das Beispiel par excellence für diesen Sachverhalt darstellt54. 50

Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale. Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: ders., Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History (History series, 49), London/Ronceverte 1986, S. 1 – 25; ders., Zusammengesetzte Staaten, Repräsentativversammlungen und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 399 – 423; John H. Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), S. 48 – 71; Franz Bosbach, Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (Bayreuther Historische Kolloquien, 11), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19 – 35; ders., Krieg und Mehrfachherrschaft im 17. Jahrhundert, in: Prague Papers on History of International Relations 2000, Prag 2000, S. 69 – 83; ders., Mehrfachherrschaft – eine Organisationsform frühmoderner Herrschaft, in: Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 7), S. 19 – 34. 51 Die Bedeutung der Dynastie hebt Johannes Kunisch in diesem Zusammenhang hervor: „Alle diese Staatsgebilde […] ruhten auf der Dynastie, durch deren Heirats- und Eroberungspolitik sie gebildet worden waren. Sie stellten eine dynastische Union von regional geprägten Territorialstaaten dar und konnten ebenso leicht geteilt werden, wie sie zusammengefügt worden waren. Ihre einzige Klammer war die Dynastie oder im übertragenen Sinn die Krone“; Johannes Kunisch, La guerre – c’est moi! Zum Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 407 – 438, hier S. 427. 52 Neuhaus, Werden (wie Anm. 15), S. 240. 53 Grundlegend hierzu sind die Beiträge in Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 7); vgl. ferner auch Joachim Eibach, The Composite State and the Classic Narratives of Ranke, Droysen and Hintze: Regional Identity in 17th-century Prussia between Brandenburg and Poland, in: Steven G. Ellis/Raingard Eßer (Hrsg.), Frontiers and the Writing of History, 1500 – 1850 (The Formation of Europe, 1), Hannover-Laatzen 2006, S. 167 – 192; Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87; Michael Rohrschneider, Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. Aspekte und Perspektiven der neueren Forschung am Beispiel Brandenburg-Preußens, S. 21 – 43 in diesem Band; Karin Friedrich, Brandenburg-Prussia, 1466 – 1806. The Rise of a Composite State (Studies in European History), Basingstoke/New York 2012; wichtig für die Gesamtthematik ist auch folgende Fallstudie: Nadir Weber, Lokale Interessen und große Strategie. Das Fürstentum Neuchâtel und die politischen Beziehungen der Könige von Preußen (1707 – 1806) (Externa, 7), Köln/Weimar/ Wien 2015. 54 Siehe die vergleichende Perspektive bei Michael Rohrschneider, Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich, S. 45 – 59 in diesem Band.

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Für eine Bewertung der Pommern-Politik Kurfürst Friedrich Wilhelms bietet dieser neue Forschungsansatz, der gleichwohl in einer langen Tradition steht55, einige interessante Perspektiven: Wie ging Kurfürst Friedrich Wilhelm mit der Tatsache um, dass das von ihm regierte politische Gemeinwesen durch die Regelungen von 1648 eine territorial vollkommen veränderte Struktur aufwies? Und welche Konsequenzen hatte dies für seine Haltung gegenüber seinen neuen Untertanen in Hinterpommern? Der 2005 erschienene Sammelband „Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688)“ enthält interessante Antworten auf diese Fragen. Zwei Aspekte rücken hierbei in den Vordergrund. Zum einen hat Ernst Opgenoorth in seinem Beitrag über das Selbstverständnis des Großen Kurfürsten als Mehrfachherrscher herausgearbeitet, dass Friedrich Wilhelm seine politische Aufgabe gegenüber den Untertanen seiner heterogenen Lande im Prinzip einheitlich verstand – auch wenn ihm die Mark Brandenburg, sein Stammland, zweifellos emotional näher stand als seine übrigen Territorien, wie zum Beispiel Pommern56. Mit diesem herrscherlichen Selbstverständnis stand der Kurfürst am Anfang eines langfristigen Prozesses hin zu einer Vereinheitlichung der unterschiedlichen Territorien Brandenburg-Preußens57. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, Friedrich Wilhelm habe bewusst ein politisches Programm verfolgt, das auf strikte Vereinheitlichung seines Territorienkonglomerates abzielte. Vielmehr beschränkte er sich auf ein „Mindestprogramm, das ihm reichlich Raum ließ, die historisch gewordene Eigenart seiner Herrschaftsgebiete zu berücksichtigen“58. Dieses Minimalprogramm umfasste im Wesentlichen drei Punkte: eine einheitliche Außenpolitik, die Schaffung eines stehenden Heeres und die Erhebung regelmäßiger Steuern. In die langfristig gewachsene ständische Ordnung seiner einzelnen Territorien habe der Kurfürst dagegen, so Opgenoorth, nur so weit eingegriffen, wie es zur Realisierung dieses Minimalprogramms unerlässlich gewesen sei59. Diese Einschätzung korrespondiert mit den Ergebnissen der bisherigen Forschung zu den Beziehungen zwischen dem Kurfürsten und den hinterpommerschen Landständen. Die Ständepolitik Friedrich Wilhelms in Hinterpommern war nämlich – nicht zuletzt aus außenpolitischen Gründen – durch Behutsamkeit und erkennbare Zurückhaltung geprägt. 55 Vgl. beispielshalber die mit Blick auf die Monarchie der österreichischen Habsburger geprägte klassische Formulierung Otto Brunners, die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt wird: „Die Monarchie erweist sich als eine monarchische Union ihrer Königreiche und Länder, die jede für sich Ständestaaten waren“; Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 4. Aufl., Wien/Wiesbaden 1959, S. 447. 56 Vgl. Ernst Opgenoorth, Mehrfachherrschaft im Selbstverständnis Kurfürst Friedrich Wilhelms, in: Kaiser/Rohrschneider, Membra (wie Anm. 7), S. 35 – 52. 57 So ebd., S. 44 die Einschätzung Opgenoorths. 58 Ebd., S. 51. 59 Ebd., S. 45 f.

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Zu dramatischen Konflikten mit den dortigen Landständen ist es während seiner Regierungszeit jedenfalls nicht gekommen60. Abschließend sei noch ein zweiter, ganz anders gearteter Befund der jüngeren Forschung angesprochen. In einer Untersuchung zu den Verhandlungen über Pommern auf dem Westfälischen Friedenskongress ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass es für einen Mehrfachherrscher wie Friedrich Wilhelm zweifelsohne einen Vorteil bedeutete, gerade aufgrund der Vielzahl seiner Territorien in den wichtigen Institutionen des Reiches besonders präsent gewesen zu sein61. So führte der Kurfürst aufgrund der Bestimmungen des Westfälischen Friedens zusätzliche Voten im Fürstenrat des Reichstags. Auch dass Kurbrandenburg in insgesamt drei Reichskreisen vertreten war (Obersächsischer, Niedersächsischer und Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis), gereichte der Politik Friedrich Wilhelms sicherlich nicht zum Nachteil. Dies ist zweifellos eine wichtige Perspektivenerweiterung seitens der jüngeren Forschung, die über die traditionell als Vorteile erkannten räumlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Integration neuerworbener Gebiete hinausgeht und Kurbrandenburg noch stärker im politischen System des Reiches verortet, als dies die bisherige Forschung getan hat. IV. Fazit Die Pommern-Politik zählt nicht nur zu den traditionellen Lieblingsthemen der Geschichtsschreibung über Kurfürst Friedrich Wilhelm, sondern sie offenbart in exemplarischer Weise die Zeitbedingtheit der historischen Urteile, die in diesem Kontext gefällt wurden. So war es nahezu unausweichlich, dass Droysen, wollte er seine politisch motivierte These von Preußens „deutschem Beruf“ auch im Hinblick auf die Politik des Großen Kurfürsten aufrechterhalten, spätestens in dem Moment in Argumentationsnöte geriet, in dem er erklären musste, wie seine Prämissen damit vereinbar waren, dass sich Friedrich Wilhelm nach dem Französisch-Niederländischen Krieg mit Ludwig XIV. verbündete. Gleiches galt für Droysens Schüler und Nachfolger, die gerade die vermeintlichen Pommern-Pläne des Kurfürsten dazu heranzogen, seine Politik an der Seite des französischen ,Erbfeindes‘ zu legitimieren. 60 Vgl. Gerd Heinrich, Ständische Korporationen und absolutistische Landesherrschaft in Preußisch-Hinterpommern und Schwedisch-Vorpommern (1637 – 1816), in: Peter Baumgart (Hrsg. unter Mitarbeit von Jürgen Schmädeke), Ständetum und Staatsbildung in BrandenburgPreußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 55), Berlin/New York 1983, S. 155–169; Neugebauer, Staatliche Einheit (wie Anm. 53), S. 70; vgl auch Werner Buchholz, Die pommerschen Landstände unter brandenburgischer und schwedischer Landesherrschaft 1648 – 1815. Ein landesgeschichtlicher Vergleich, in: ders./Günter Mangelsdorf (Hrsg.), Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe 5: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 29), Köln/ Weimar/Wien 1995, S. 427 – 455, hier S. 436. 61 Vgl. Brunert, Mehrfachherrscher (wie Anm. 7), S. 168 f.

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Ernst Opgenoorths Neuinterpretation in den 1970er und 1980er Jahren war dagegen von dem Bemühen geprägt, die mit den deutlich gegenwartsbezogenen Positionen der älteren preußisch-kleindeutschen Historiographie einhergehenden Anachronismen und Schieflagen zu beseitigen. Darauf, dass die mit seinen Forschungen erreichten Erkenntnisfortschritte keineswegs den Anspruch erheben können, jedweder Subjektivität enthoben zu sein, hat Opgenoorth in der für ihn typischen Art selbst hingewiesen. In einem 1987 publizierten Aufsatz über die Außen- und Reichspolitik Kurfürst Friedrich Wilhelms schreibt er ausdrücklich: „Es gilt […], der Vermutung entgegenzutreten, ein solcher Wechsel der Perspektive garantiere als solcher schon Fortschritt der Erkenntnis; er bietet die Möglichkeit dazu, aber nicht mehr. Droysens Deutung preußischer Politik stand in ähnlicher Weise in Beziehung zu den damaligen politischen Problemen wie die heute vorherrschende Sicht des Alten Reiches zu den unseren […]. Die Frage nach der Geschichte der deutschen Nation und ihres Nationalbewußtseins stellt sich angesichts der Teilung in Ost und West heute anders dar, aber sie bleibt aktuell“62. Inzwischen ist die deutsche Geschichte weitergegangen, die Teilung Deutschlands in Ost und West ist aufgehoben, und wir ringen gegenwärtig im Zuge globaler Herausforderungen um die zukünftige Gestalt des gemeinsamen europäischen Hauses. Insofern verwundert es auch nicht – und damit wird der Bogen zur jüngsten Forschung geschlagen –, dass im Zuge des europäischen Integrationsprozesses offenbar ein verstärktes Interesse an historischen Untersuchungen besteht, die aufzeigen, welche Chancen und Probleme mit dem Spannungsverhältnis von Einheit und regionaler Vielfalt in der Vergangenheit einhergingen. Die kurbrandenburgische Mehrfachherrschaft im Allgemeinen und die Pommern-Politik des Großen Kurfürsten im Besonderen bieten dazu nach wie vor reichhaltiges Anschauungsmaterial.

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Opgenoorth, Der Große Kurfürst, Reich (wie Anm. 25), S. 21 f.

Drucknachweise

Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. Aspekte und Perspektiven der neueren Forschung am Beispiel Brandenburg-Preußens, in: Archiv für Kulturgeschichte 90 (2008), S. 321 – 349. Außenpolitische Strukturprobleme frühneuzeitlicher Mehrfachherrschaften – Brandenburg-Preußen und Spanien im Vergleich, in: Jürgen Frölich/Esther-Beate Körber/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Preußen und Preußentum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beiträge des Kolloquiums aus Anlaß des 65. Geburtstages von Ernst Opgenoorth am 12. 2. 2001, Berlin 2002, S. 55 – 69. Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 – 1693) – ein anhaltischer Fürst im Spannungsfeld von territorialer und europäischer Politik, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 6 (1997), S. 11 – 25 (um die ursprünglich vorgesehenen Anmerkungen erweiterte Fassung). Johann Moritz von Nassau-Siegen als Scharnier zwischen niederländischer und kurbrandenburgischer Außenpolitik, in: Irmgard Hantsche (Hrsg.), Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 – 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 13), Münster [u. a.] 2005, S. 187 – 205. „…vndt keine favoritten ahn Euerem hoffe haltet“: Zur Stellung Ottos von Schwerin im Regierungssystem des Großen Kurfürsten, in: Michael Kaiser/Andreas Pecˇ ar (Hrsg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 32), Berlin 2003, S. 253 – 269. Krieg oder Frieden? Entscheidungsmomente kurbrandenburgischer Außenpolitik im Spiegel zweier Gutachten (1660/1671), in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 11 (2001), S. 1 – 22. Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 13 (2003), S. 61 – 81 (gemeinsam mit Stefan Sienell). Die Statthalter des Großen Kurfürsten als außenpolitische Akteure, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F., Beiheft, 7), Berlin 2005, S. 213 – 234. Friedrich der Große als Historiograph des Hauses Brandenburg. Herrscherideal, Selbststilisierung und Rechtfertigungstendenzen in den „Mémoires pour servir à l’histoire de la maison

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Drucknachweise

de Brandebourg“, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 17 (2007), S. 97 – 121. Die Pommern-Politik des Großen Kurfürsten im Urteil der Geschichtsschreibung (Erstveröffentlichung).

Personenregister Das Register erfasst die Namen der im Text und in den Fußnoten genannten Personen. Nicht aufgenommen wurden allerdings Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Personen (insbesondere moderne Historikerinnen und Historiker) in bibliographischen Hinweisen in den Fußnoten. Abkürzungen: Bf. = Bischof; F. = Fürst; Fn. = Fürstin; Gf. = Graf; Hzg. = Herzog; Hzgn. = Herzogin; Kf. = Kurfürst; Kfn. = Kurfürstin; Kg. = König; Kgn. = Königin; Ks. = Kaiser; Pz. = Prinz; Pzn. = Prinzessin Agnes von Hessen-Kassel, Fn. von AnhaltDessau 71 Ahlefeldt, Detlef von 131 Aitzema, Lieuwe van 94, 170 Albertine Agnes von Oranien-Nassau, Fn. von Nassau-Diez 72, 79 Albrecht, Dieter 122 Amalia von Solms-Braunfels, Pzn. von Oranien-Nassau 70 f., 100 Amalie von Anhalt-Dessau, Fn. von NassauDiez 79 f. Amerongen, Godert Adriaan van Reede van 99, 137 Aretin, Karl Otmar von 217, 219 Argental, Charles Augustin de Ferriol, Comte d’ 195 Auer, Leopold 143 Auersperg, Johann Weikhard F. von 144, 151, 156 Bahl, Peter 9 Bartholdi, Christian Friedrich von 145 Baumgart, Peter 207, 212 Beckmann, Johann Christoph 64, 75, 83 Behringer, Wolfgang 174 Bergner, Annaliese 185 Berney, Arnold 159, 185 Besold, Christoph 53 Bismarck, Otto von 142 Blumenthal, Christoph Kaspar von 116 Blumenthal, Joachim Friedrich von 165 f. Bogislaw XIV., Hzg. von Pommern 107, 209 f.

Bosbach, Franz 12, 22, 45, 59, 161, 219 Botero, Giovanni 49 f., 54 Braudel, Fernand 49 Brederode, Johan Wolferts van 88 Brunner, Otto 221 Burgsdorff, Konrad von 93, 106, 114 Campanella, Tommaso 49 f., 53 f. Carpent, Thierry 215 Christian V., Kg. von Dänemark 138 Clerck, Adam de 71 Colbert, Jean-Baptiste 199 Conring, Hermann 37 Creitzen, Friedrich 177 Crockow, Lorenz Georg von 153 Croy, Ernst Bogislaw Hzg. von 164 ff., 171, 174, 176 Danckelman, Eberhard von 116 Derfflinger, Georg von 165 f. Dohna, Christian Albrecht Gf. zu 95, 128, 164 f., 178 Dorothea von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, Kfn. von Brandenburg 13 Droysen, Johann Gustav 10, 17, 104, 142, 208 f., 213 – 216, 222 f. Duchhardt, Heinz 59, 212 Eibach, Joachim 24 Elisabeth Charlotte von der Pfalz, Kfn. von Brandenburg 107 Elliott, John H. 16, 21 f., 45, 161, 219

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Personenregister

Emich, Birgit 27, 41 f. Erdmannsdörffer, Bernhard 10, 16, 104, 164, 215 f. Ernst, Markgraf von Brandenburg-Ansbach, Hzg. von Jägerndorf 152, 164 Fehling, Ferdinand 216 Ferdinand II., Ks. 152, 200 f. Ferdinand III., Ks. 56, 107, 144, 156, 163 Ferdinand IV., römisch-deutscher Kg. 144 Fester, Richard 215 Frevert, Ute 23 f., 39 Freyberg, Wilhelm Heinrich von 66 f. Friedrich III./I., Kf. von Brandenburg, Kg. in Preußen 31 – 36, 47, 56, 64, 75, 107, 125, 145 ff., 149, 155, 189, 196 Friedrich II., Kg. von Preußen 17, 29, 34 ff., 54 ff., 75, 82, 159, 183 – 205 Friedrich V., Kf. von der Pfalz 152 Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg 192 Friedrich Heinrich, Pz. von Oranien-Nassau 70, 72, 95 f., 100 Friedrich Wilhelm I., Kg. von Preußen 34, 146, 192 Friedrich Wilhelm III., Kg. von Preußen 29 Fuchs, Paul von 116 Gabel, Helmut 97 Galen, Christoph Bernhard von, Fürstbischof von Münster 87, 97 f., 136 Galland, Georg 85 Georg Wilhelm, Kf. von Brandenburg 58, 107, 184, 195, 197 – 201, 203, 205 Georg Wilhelm, Hzg. von BraunschweigLüneburg 138 Göse, Frank 211 Gooch, George Peabody 186 Gotthard, Axel 204, 209 Grana, Otto Heinrich Gf. Carretto di 157 Grande, Jakob de 72 Gustav II. Adolf, Kg. von Schweden 209 f. Haake, Paul 142 Hahn, Peter-Michael 113 Hanneman, Adriaen 71 Harrach, Ferdinand Bonaventura Gf. von 153 Haupt, Heinz-Gerhard 23

Hedwig Sophie von Brandenburg, Landgräfin von Hessen-Kassel 138 Hein, Max 104 Heinrich Casimir II., F. von Nassau-Diez 79 f. Henriette Catharina von Oranien-Nassau, Fn. von Anhalt-Dessau 64, 69 – 72, 79, 83, 95, 100 f., 115, 125, 134 Henshall, Nicholas 12 Herder, Johann Gottfried 141 Herderhorst, Wilfried 185 ff. Hildebrand, Klaus 24 Hillgruber, Andreas 24 Hocher, Johann Paul 144 Hötzsch, Otto 88 Homer 132 Honthorst, Gerard van 70 Honthorst, Willem van 70 Horn, Philipp von 93, 165 f. Jena, Friedrich von 114 f. Johann II. Casimir, Kg. von Polen 75, 107, 128, 131 Johann III. Sobieski, Kg. von Polen 75 Johann Casimir, F. von Anhalt-Dessau 71 Johann Georg, Hzg. von Jägerndorf 152 Johann Georg II., F. von Anhalt-Dessau 16, 63 – 83, 95 f., 100 f., 113 – 116, 124 – 139, 164, 166 – 180 Johann Moritz, F. von Nassau-Siegen 16, 70, 72, 85 – 102, 115, 163 – 167, 170, 176 f. Johann Wilhelm Friso, F. von Nassau-Diez 80 Joseph I., Ks. 159 Kaiser, Michael 12, 40 Karl II., Kg. von England, Irland und Schottland 100 Karl II., Kg. von Spanien 47 Karl X. Gustav, Kg. von Schweden 63, 75, 124, 127, 132 Karl Emil, Kurprinz von Brandenburg 56, 105, 107 f., 112 Karl Wilhelm, F. von Anhalt-Zerbst 78 Kaunitz, Wenzel Anton F. von 144 Kausche, Dietrich 165 Kiehm, Peter 134, 150, 218 Klinsmann, Wilhelm 66 Klueting, Harm 159

Personenregister Koenigsberger, Helmut G. 15, 21 f., 45, 161, 219 Küntzel, Georg 185 Kunisch, Johannes 46, 186, 202, 220 Kunze-Hartmann, Else 185 Kurz von Senftenau, Ferdinand Sigismund Gf. 151 Laeck, Maria van der 71 Lamberg, Johann Philipp Gf. von 154 Landwehr, Achim 25 f. Leopold I., Ks. 65, 75 – 79, 81 ff., 90, 92 f., 128 – 133, 136, 138, 141 – 159, 168, 172, 174, 201 ff. Leopold I., F. von Anhalt-Dessau 63, 65, 70, 83, 125, 194 Leopold III. Friedrich Franz, F. von AnhaltDessau 82 Lipsius, Justus 55, 73 Lobkowitz, Wenzel Eusebius F. von 144 Lottes, Günther 24 Louise Henriette von Oranien-Nassau, Kfn. von Brandenburg 13, 64, 70 ff., 79, 90, 95, 100, 107 f., 125 Louvois, François Michel Le Tellier, Marquis de 199 Ludwig, Pz. von Brandenburg 107 Ludwig XIV., Kg. von Frankreich 12, 47, 51, 59, 74, 76 – 81, 100, 133 ff., 136, 150, 152 f., 155 f., 172, 192, 199, 204, 214, 217, 219, 222 Ludwig Wilhelm, Markgraf von BadenBaden 82 Luh, Jürgen 15 Maria von Oranien-Nassau, Hzgn. von PfalzSimmern 72, 79 Maria Anna von Österreich, Kgn. von Spanien 153 Maria Henrietta Stuart, Pzn. von OranienNassau 100 Maria Theresia von Spanien, Kgn. von Frankreich 47 Maximilian I., Kf. von Bayern 122 Mazarin, Jules 164 Meinardus, Otto 126, 128 f., 169 Mergel, Thomas 24 ff. Micrander, Georg Adolf von 175

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Milagsheim, August von 67 Möller, Horst 191 Mörke, Olaf 73, 86, 101 Montecuccoli, Raimund F. von 128, 175 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de 185 f. Morus, Thomas 53 Müller-Weil, Ulrike 56 Müsebeck, Ernst 126, 169 Muhlack, Ulrich 184, 192 f. Muralt, Leonhard von 185 Mytens, Jan 71 Natzmer, Karl Dubislaw von 55 Neugebauer, Wolfgang 38, 162, 215 Nicklas, Thomas 25 Norprath, Johann von 164, 166 Novoa, Matías de 53 Oestreich, Gerhard 11, 73, 95 Olivares, Gaspar de Guzmán, Conde-duque de 51 Opgenoorth, Ernst 11, 16, 18, 38, 97, 115, 117, 204, 208, 214, 217 ff., 221, 223 Ovid 54 Pagès, Georges 10 Palafox, Juan de, Bf. von Puebla de los Ángeles 51 Pflug, Christoph 68 Philipp IV., Kg. von Spanien 47 f., 50 – 53, 56 Philippson, Martin 10, 214 Podewils, Heinrich von 194 Pöllnitz, Georg Bernhard von 114 Portia, Johann Ferdinand F. von 151 Posner, Max 194 Post, Pieter 71 Press, Volker 121, 148 Pribram, Alfred Francis 213 Pufendorf, Samuel von 144, 194, 208 Radziwiłł, Boguslaus F. von 113, 115 f., 164, 166, 170 Radziwiłł, Georg Joseph, Hzg. von Olyka 75 Ranke, Leopold von 211 Rébénac, François de Pas, Comte de 64 Reinhard, Wolfgang 25 f., 104

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Personenregister

Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Duc de 199 Rudolf August, Hzg. von Braunschweig-Lüneburg 138 Ryckwaert, Adrian Daniel 72 Ryckwaert, Cornelis 71 f. Saavedra y Fajardo, Diego 52 – 55, 59 Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Johann VIII., Gf. von 87, 164, 172 Schieder, Theodor 186, 190 Schindling, Anton 11 Schöllgen, Gregor 56 Schorn-Schütte, Luise 25, 36, 39 Schuchart, Johann Tobias 72 Schwarzenberg, Adam Gf. von 164, 166, 197 ff., 201 Schwerin, Bogislaw von 116, 175 Schwerin, Dorothea von, geb. von Flemming 107 Schwerin, Elisabeth Sophie von, geb. von Schlabrendorff 107 Schwerin, Helena Dorothea von, geb. von Kreytzen 107 Schwerin, Otto von (Vater des Oberpräsidenten) 106 Schwerin, Otto von (d. Ä.) 16, 58, 103 – 118, 128 f., 147 Schwerin, Otto von (d. J.) 116 Seidel, Erasmus 93 Seresse, Volker 42 Sinzendorf, Rudolf Gf. von 157 Snaphaen, Abraham 71 Somnitz, Lorenz Christoph von 178

Stollberg-Rilinger, Barbara 13, 25, 29, 31, 33, 39 Stratmann, Theodor Altet Heinrich von 126 Strozzi, Petrus Gf. 128 Teissier, Anton 189 Thomasius, Christian 64 Tippelskirch, Egloff von 165 Treitschke, Heinrich von 38, 211, 215 f. Turenne, Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de 75 Vaillant, Jacques 71 Victor Amadeus, F. von Anhalt-Bernburg 78 Villela, Juan de 56 Voltaire 186, 190 – 193, 195, 197 Waddington, Albert 10 Waldburg, Fabian Truchsess von 107 Waldburg, Gebhard Truchsess von 114 Waldeck, Georg Friedrich F. von 10, 86 f., 90, 93, 104, 106, 110, 114, 164, 170, 175 Weber, Wolfgang E. J. 25 Wehinger, Brunhilde 187 Wehler, Hans-Ulrich 24 Weimann, Daniel 90 ff., 100, 116, 167 Wilhelm II., Pz. von Oranien-Nassau 88, 96 Wilhelm III., Pz. von Oranien-Nassau, Kg. von England, Schottland und Irland 79 ff., 90 ff., 98 ff., 135, 164, 167, 175, 178 Winterfeldt, Samuel von 164 Witt, Johan de 96 f., 99 f., 102 Wrangel, Karl Gustav 175 Wülcknitz, Christoph Heinrich von 67 Wulff, Moses Benjamin 68