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German Pages 566 [568] Year 1995
Der >gesäuberte< Antifaschismus
Der >gesäuberte< Antifaschismus Die SED und die roten Kapos von Buchenwald Dokumente Herausgegeben von Lutz Niethammer unter Mitarbeit von Karin Hartewig, Harry Stein und Leonie Wannemacher Eingeleitet von Karin Hartewig und Lutz Niethammer
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der „gesäuberte" Antifaschismus : die SED und die roten Kapos von Buchenwald ; Dokumente / hrsg. von Lutz Niethammer. Unter Mitarb. von Karin Hartewig ... Eingel. von Karin Hartewig und Lutz Niethammer. - Berlin : Akad. Verl., 1994 ISBN 3-05-002647-2 NE: Niethammer, Lutz [Hrsg.]
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1994 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Dieter Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
INHALT Vorwort des Herausgebers
11
EINLEITUNG I
FUNKTIONSHÄFTLING UND FUNKTIONÄR Die KPD in der "Selbstverwaltung" des KZ
1.1 1.2 1.3
Terror und Selbstverwaltung Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg Grenzen der Kaderschonung 1.3.1 Kaderschonung in der Zwangsarbeiterverwaltung 1.3.2 Disziplin und Privileg 1.3.3 Der Opfertausch 1.3.4 Bündnispragmatik und Zielhierarchie Die Wiederkehr der Politik Endkontrolle
1.4 1.5 II
DIE „SÄUBERUNG" DER KÄMPFER "Geheimakte Buchenwald"
II. 1 11.2 11.3
Die Untersuchung der Amerikaner vom April 1945 Untersuchung und Abwehr durch die SED 1946/47 Sowjetische „Säuberung" 1950-1955 Exkurs "X": Busse vor dem Sowjetischen Militärtribunal Rehabilitierung und Öffentlichkeit 1955-1990
11.4 III
KADERKÖPFE AUS DEM KZ Lebenläufe. Generationen. Netzwerke?
III. 1
Häftlingsmacht und Lebenslinie III. 1.1 Wer war Ernst Busse? III. 1.2 Strippenzieher im Keller: Harry Kuhn III. 1.3 Gezeiten der Gewalt: Erich Reschke Abbildungen III. 1.4 Verspäteter Protagonist: Walter Bartel III. 1.5 Der jugendliche Held als graue Eminenz: Willi Seifert
27 33 42 46 51 55 59 63
68 71 77 79 92
95 104 108 113 129 133
6 111.2 111.3
Die Generationen des Parteiaktivs der KPD Buchenwald Buchenwalder Netzwerke in der Nachkriegspolitik?
IV
ERINNERUNGSAKTE Zur Semantik und Inquisition des Parteigedächtnisses
IV. 1 IV.2 IV.3 IV.4 IV. 5
Lagersprache, Kaderwelsch Überblendung, Vergessen und Andeutung Das Zeugnis des Angeklagten Schuldbiografie und verwaltete Fama Anachronistische Verfahren
138 142
147 151 158 161 163
DOKUMENTE I
FRÜHE ZEUGNISSE NACH DER BEFREIUNG
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Erste Verlautbarungen, 11.4.1945 Sitzung des KPD-Parteiaktivs, 12.4.1945 Der amerikanische Bericht über Buchenwald, 24.4.1945 Bericht von E. Kogon u.a., 10.5.1945 Erinnerungsberichte, April-Mai 1945 1.5.1 Krankenbau 1.5.2 Arbeitsstatistik 1.5.3 Lagerschutz 1.5.4 An der inneren Front 1.5.5 Abtrünnige Kapos 1.5.6 Arbeit unter Berufsverbrechern und Grünen 1.5.7 Im Kleinen Lager W. Bartel: Geschichte des Parteiaktivs, Juni 1945
1.6 II
KADERKONTROLLE 1946 In der Angelegenheit des Genossen Ernst Busse
II. 1
Frühe Anlässe zur Überprüfung der Widerstandskader der KPD II. 1.1 Deutsche Kommunisten in Auschwitz II. 1.2 Dirlewanger-Division, Gestapo-Verpflichtungen, 27.6.1945 Verhalten von deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald Untersuchungskommission gegen E. Busse
11.2 11.3
171 173 180 198 206 215 220 222 224 227 232 235
257 259 264 269
7 11.4
Gegenüberstellung Busse, Waibel, Drewnitzki, 8.10.1946
271
11.5
11.6 11.7 11.8
Einzelvernehmungen, 9.-19.10.1946 11.5.1 H.Brandt 11.5.2 U. Osche 11.5.3 H.Thiemann 11.5.4 H.Zilles 11.5.5 M.Pawel 11.5.6 E.Bär 11.5.7 F.Dobermann 11.5.8 R.Jahn 11.5.9 O. Kipp 11.5.10 F.Männchen 11.5.11 R. Großkopf 11.5.12 E.Reschke 11.5.13 K. Gärtig 11.5.14 W. Jurich 11.5.15 W. Bartel O. Sepke an F. Dahlem, 23.10.1946 Untersuchungsergebnis in der Angelegenheit Busse, 7.11.1946 Erneuerte Vorwürfe, 4.2.1947
282 283 284 286 287 288 292 297 302 304 308 309 310 312 314 320 322 327
III
ANTIFASCHISMUS IM KALTEN KRIEG
III. 1 111.2 111.3 111.4 111.5 111.6
H. Neupert aus dem US-Lager Dachau, 14.9.1946 331 O. Kipp über seine US-Haft, 19.10.1946 334 F. Dahlem über den amerikanischen Buchenwald-Prozeß, 2.10.1946 348 W. Bartel über bedrohte Prominente, 10.2.1947 349 E. Busse an Freunde aus dem Lager, 25.2.1947 351 „Konstruktion der Parteigeschichte der Illegalität 1933-1945" (Frühjahr 1947) 111.6.1 Beschluß 354 111.6.2 Aufruf 355 111.6.3 Richtlinien 356 L. Gehm: Auf Befehl der Illegalen, 4.7. 1947 358 F. Dahlem über E. Busse, 2.5.1947 359 "Kommunistische Grausamkeiten in Buchenwald", 1947 111.9.1 Robinson-Artikel, 29./30. 4. 1947 360 111.9.2 H. Kuhn: Gegendarstellung zu D.B. Robinson, 14.6.1947 366 111.9.3 "KZ-Opfer zu Henkern gestempelt", 14.9.1947 369 111.9.4 Erklärung des Buchenwald-Komitees, 28.12.1947 372
III. 7 111.8 111.9
8 III. 10
Mutmaßungen über französische Ermittlungen, 8.9.1948
373
III.l 1
W. Bartel zur Abwehr des Robinson-Artikels, 16.6.1950
374
IV
SPUREN IN DEN GULAG
IV.l
G. Keilson gegen Einschaltung von E. Mielke, 23.5.1947
375
IV.2 IV.3
G. Keilsons Verwunderung über Versetzung E. Busses, 23.5.1947 Denunziation und Apologie unter Kameraden IV.3.1 U. Osche, 11.9.1947 IV.3.2 W. Bartel, 22.1.1948 Emst Busse in Land und Forst IV.4.1 E. Busse an F. Dahlem und E. Gniffke, 20.4.1948 IV.4.2 E. Busse über seine Vernehmung durch die SMAD, 16.9.1948 IV.4.3 E. Busse an F. Dahlem, 25.10.1948 IV.4.4 E. Busse an W. Bartel, 3.10.1949 K. Reimann: Meine Widerstandsarbeit mit Busse, 10.7.1950 Anna Busse sucht ihren Mann IV.6.1 Briefwechsel A. Busse und H. Matern, 1950 IV.6.2 Briefwechsel A. Busse und W. Pieck, Mai 1951 IV.6.3 A. Busse an W. Ulbricht, 8.8.1951 A. Ullrich zu Gerüchten über die Verurteilung Busses, 27.8.1951 Ernst Busse kehrt nicht zurück IV.8.1 A. Busse an W. Pieck, 20.10.1953 IV.8.2 A. Busse an O. Winzer, 4.11.1955 E. Reschke über seine SMT-Verurteilung, November 1955
375
IV.4
IV.5 IV.6
IV.7 IV.8
IV.9 V
KADERKONTROLLE 1950-1955 Im Schatten von Säuberung und SchauprozeB
V. 1
Abgang der Kameraden V.l.l R. Siewert, 14.4.1950 V.l.2 W. Bartel, 24.5.1950 V.l.3 H.Kuhn, 26.2.1951 V.l.4 E.Brandt, 18.6.1951 V.l.5 H. Zilles/O. Halle, 3.4.1952 V.l.6 T.Waibel, 4.4.1952 V.l.7 F. Männchen, 20.7.1953 V.l.8 W. Jurich, 27.3.1954 H. Mißlitz über W. Seifert und den Slänsky-Prozeß, 27.4.1953
V.2
376 379 381 3 82 383 385 386 393 394 395 395 397 399 400
403 403 405 405 407 407 408 409 410
9 V.3
V.5
W. Bartel und der Slänsky-Prozeß V.3.1 Fragenkatalog der ZPKK, 29.5.1953 412 V.3.2 Zweite Befragung vor der ZPKK, 29.5.1953 414 V.3.3 Denunziation unter Kameraden, 5.6.1953 432 V.3.4 W. Bartels Rechtfertigung: "Zur prinzipiellen Frage", 6.6.1953 434 V.3.5 ZPKK-Beschluß, 4.8.1953 446 V.3.6 ZK der SED-Beschluß, 10.9.1953 448 Erneut Material über Parteileitung im KZ Buchenwald, 1953/54 V.4.1 Aus dem ZPKK-Apparat, 8.10.1953 449 V.4.2 Aus dem MfS-Apparat, 26.10.1953 450 V.4.3 Rundfrage der SED-Kaderregistratur an W. Bartel u.a., 8.12.1953.... 454 V.4.4 Berichts. Heymann, 11.1.1954 454 V.4.5 Bericht K. Feuerer, 25.1.1954 458 V.4.6 Bericht A. Groel, 9.2.1954 461 V.4.7 Bericht W. Wolf, 20.4.1954 463 V.4.8 Bericht E. Carlebach, (1954) 466 Durchsetzung des ZPKK-Beschlusses über W. Bartel, Februar 1955 471
VI
UNZEITIGE REHABILITIERUNGEN
VI.l VI.2
Bestätigung für W. Bartels Parteitreue, 15.5.1945 473 R. Siewerts „Schlacken" VI.2.1 Siewerts Kritik der KPO, 25.2.1951 474 VI.2.2 Inoffizielle Beurteilung, 30.7.1952 477 Reschke und Busse 1956 VI.3.1 Anerkennung von E.Resche als VdN, 24.5.1956 477 VI.3.2 ZPKK rehabilitiert E.Busse, 29.8.1956 478 VI.3.3 Buchenwaldkomitee an ZPKK fiir Reschke und Busse, 10.10.1956 ..479 VI.3.4 Vorladung zur Mitteilung an A. Busse, 12.10.1956 479 VI.3.5 Ankündigung von Einkommen und Ehre, 17.10.1956 480 Dienstliche Beurteilung E. Reschkes im Strafvollzug, 27.5.1958 480 Abstimmung eines Ordensvorschlags fur W. Bartel, 9.7.1959 481 Veröffentlichung der Rehabilitierung E. Busses durch die SED VI.6.1 W.Bartel an O. Funke, 23.8.1972 482 VI.6.2 E. Mückenberger an E. Honecker, 19.10.1972 483 VI.6.3 Kraftquell Solidarität, 25.11.1972 485 Urne H. Kuhns beigesetzt, 23.5.1973 485 MfS-Vermerk: E. Resche ist kein Kriegsverbrecher, 21.7.1978 486 Erneute Rehabilitierung E. Busses durch die PDS, 31.3.1990 487 Busse und Reschke in Moskau nicht rehabilitiert (1994) 488
V.4
VI.3
VI.4 VI.5 VI.6
VI.7 VI.8 VI.9 VI. 10
10
ANLAGEN I II III IV V VI VII VIII IX X
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwalder KZ-Häftlinge (soweit ermittelbar) Chronologische Übersicht über Lagerälteste, ausgewählte Kapos und die Parteileitungen der illegalen KPD im KZ Buchenwald Chronologische Übersicht der Blockbelegung des KZ Buchenwald von Max Mayr Plan des KZ Buchenwald Glossar Abkürzungsverzeichnis Archiwerzeichnis Literaturverzeichnis Personenindex Sachindex
493 520 521 529 530 536 540 542 555 561
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Seit Frühjahr dieses Jahres gibt es in den Medien eine Diskussion um eine sog. Geheimakte Buchenwald, deren Inhalt aber verborgen blieb. Dieses Buch soll durch ihre Edition dazu beitragen, die Diskussion auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Es handelt sich um eine SED-Parteiuntersuchung von 1946 gegen den früheren Lagerältesten und Kapo des Häftlingskrankenbaus des KZ Buchenwald und seinerzeitigen Thüringer Innenminister Ernst Busse (KPD/SED) - mit ihr ediert werden zahlreiche andere Dokumente über die innerkommunistische Behandlung der roten Kapos von Buchenwald in der Geschichte der SBZ/DDR, welche die Vernehmungen von 1946 erst ins rechte Licht rücken. Als Leonie Wannenmacher vor zwei Jahren die Protokolle der Untersuchung gegen Busse von 1946 in den neu zugänglich gewordenen Akten der SED im Berliner Zentralen Parteiarchiv im Zuge von Archivarbeiten für ein anderes Promotionsthema auffand, über den Inhalt erregt war und mich um Rat fragte, ob sie diese nicht eilends publizieren müsse, habe ich sie auf die Schwierigkeiten, dieses Aussagengestrüpp historisch aufzuschließen, hingewiesen. Mir schien der Fund zwar gewichtig, aber weniger sensationell, denn diese Akte enthält einen Widerlegungsversuch einer These, die im Westen schon in der Nachkriegszeit weidlich publiziert worden war. Sie besagte, daß die deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald im Zweiten Weltkrieg eine privilegierte Stellung in der inneren Verwaltung des Lagers eingenommen und unter dem Terror der SS - teilweise ihm widerstehend, teilweise mit ihm kollaborierend - ein eigenes Terrorregime über die Masse der Häftlinge, die weder Kommunisten noch Deutsche waren, ausgeübt hätten. Differenzierte Einsichten in die prekäre Zwischenstellung der sogenannten Selbstverwaltung im KZ und in ihre kommunistische Dominierung in Buchenwald gehörten seit Eugen Kogons grundlegenden Werk „Der SS-Staat" (1946), d.h. von allem Anfang an, hier zum Basiswissen jedes zeitgeschichtlich Interessierten. Jorge Sempruns postkommu- nistische Gedächtnisarbeit zu Buchenwald in „Was fur ein schöner Sonntag!" (1980) hat in jüngerer Zeit auch fur eine breitere literarische Rezipientenschicht auf eindringliche Weise die Zwischenstellung der deutschen Kommunisten in der Verwaltung des KZs Buchenwald zugänglich gemacht. Sensationell ist der Inhalt dieser Protokolle eher in der Hinsicht, daß sie belegen, auch in eingeweihten Kreisen der DDR gab es jenseits des offiziellen Antifaschismus ein Wissen um abgründige Verstrickungen der gefeierten Widerstandshelden. Weitere Recherchen verlohnte
12
Vorwort
diese Akte nicht so sehr im Zusammenhang der KZ-Forschung als vielmehr im Zusammenhang der Vielschichtigkeit des Antifaschismus-Mythos als Staatsideologie der DDR. Welche politische Sprengkraft diese Verdrängungen in Ostdeutschland bis in die Gegenwart behalten haben, ist mir deutlicher geworden, seitdem ich 1993 an die Friedrich-Schiller-Universität Jena und auch in das Kuratorium der Gedenkstätte Buchenwald berufen worden bin. Zu meinem seinerzeitigen Rat, diese Dokumente ohne Zeitdruck und in Zusammenarbeit mit Sachkennern aus der Gedenkstätte Buchenwald zu erschließen, will ich auch heute noch gerne stehen, denn es schien mir notwendig, die beteiligten Personen sorgfältig zu ermitteln und auch den Spuren in andere Archive bis nach Rußland und Amerika nachzugehen. Zumindest das erste haben damals Leonie Wannenmacher vom Lüdenscheider „Institut für Geschichte und Biographie" der FernUniversität in Hagen und Dr. Harry Stein von der Weimarer „Gedenkstätte Buchenwald" auch verabredet, und die weitere Materialsammlung in Weimarer und Berliner Archiven begann. Nun hat sich die Sache aber durch mancherlei persönliche Umstände, auch weil in Buchenwald eine Neufassung der dortigen Ausstellung mit Priorität vorbereitet werden mußte, länger als gedacht hingezogen. Und den Beteiligten ist in der Öffentlichkeit - im Rahmen von in den Medien zu konzeptionellen Gegensätzen aufgedonnerten personellen Querelen an der Gedenkstätte - der Vorwurf gemacht worden, dort werde aus politischer Voreingenommenheit eine „Geheimakte Buchenwald" vor der Öffentlichkeit verborgen. Das ist natürlich Unsinn, denn die Protokolle liegen im Berliner Zentralen Parteiarchiv der SED und werden von der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) jedem Interessierten zugänglich gemacht. Darüberhinaus begann BILD (Thüringen) am 23.2.1994 zur Unterstützung dieser Kampagne unter der Überschrift „SED-Geheimakte Buchenwald" eine Serie von Andreas Möller mit Titeln wie „So halfen Kommunisten den Nazis beim Morden" oder „Wer KPD-Bonzen stört, landet im Todesstollen" zu publizieren. Sie wiederholt im wesentlichen in marktschreierischer Zusammenfassung einen amerikanischen Zeitschriften-Artikel von 1946, der nun wahrlich kein Geheimnis war, und reicherte ihn mit Zitatausrissen aus den Vernehmungen an, um ihm jene sensationelle Authentizität zu geben, die durch die Protokolle gerade nicht zu gewinnen ist. Weil ich diesen Umgang mit dem Thema als die schlechtestmögliche Variante empfand, die eine kritische geschichtliche Neubesinnung eher blockieren als befördern wird, und durch meinen Rat zu vorsichtiger und entsprechend zeitraubender Professionalität in der Erschließung dieser Protokolle dazu beigetragen hatte, daß eine wissenschaftliche Auswertung oder Edition jetzt dieser Sensationshascherei noch nicht entgegengestellt werden konnte, und da mir als einem der Kuratoren der Gedenkstätte deren aufklärerische Aufgabe wichtig ist, habe ich mich vor einigen Monaten in Absprache mit Harry Stein und Leonie Wannenmacher entschlossen, die Verantwortung für eine beschleunigte kritische Edition dieser Dokumente zu übernehmen. Wir haben seit Ostern ein Team gebildet, zu dem Dr. Karin Hartewig (Berlin/Jena) als eine besonders gute Kennerin des SED-Parteiarchivs und der biografischen Verstrickungen von Kommunismus und Antifaschismus hinzukam. Sie trug in den letzten Monaten die Hauptar-
13 beit der zusätzlichen archivalischen Dokumentenerschließung und übernahm mit mir zusammen die editorische Bearbeitung der Dokumente und die Einleitung zu diesem Band. Sie ist verantwortlich für den zweiten Teil der Einleitung (Kap. III. 1.2-1.5, III.3 und IV) und fur die Bearbeitung der Dokumente in den Kapiteln III und V (die übrigen Teile habe ich bearbeitet) sowie den biografischen Anhang, das Glossar und die Abbildungen. Harry Stein und Leonie Wannenmacher, durch andere Projekte gebunden, haben uns ihr ursprüngliches Material zur Verfügung gestellt, viele Dutzende von Einzelrecherchen übernommen und ein Schema der Lagerselbstverwaltung bzw. den Index dieses Bandes erarbeitet und an der Endredaktion durch kritische Rückfragen und tatkräftige Hilfen mitgewirkt. Der Akademie Verlag teilte mit uns das Interesse, die Dokumente der Öffentlichkeit möglichst kurzfristig zur Verfugung zu stellen und hat es übernommen, den in wenigen Monaten erarbeiteten Band binnen weniger Wochen zu produzieren. In Heidemarie Kraschwitz und Dr. Otto Matthies haben wir auch in der Hektik sorgfältige und ermunternde Lektoren gefunden. Stud. jur. Andreas Hoffmann hat beim Tippen der Dokumente und bei der Satzeinrichtung auch inhaltlich mitgedacht. Und wie immer hat Cathrin Tennigkeit M.A. in Jena auf ihre unnachahmlich umsichtige, ruhige und freundliche Weise den ganzen Trubel koordiniert. Durch die Bildung unseres Teams und die Intensität der Zusammenarbeit konnte mehr erschlossen und zusammengetragen werden, als das einem einzelnen in weniger als einem halben Jahr möglich gewesen wäre. Zudem wurden wir von vielen Seiten unterstützt: stellvertretend fur die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Archiven und Behörden (wie des Bundesarchivs in Potsdam und Hoppegarten, des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehem. DDR, des Bundesinnenministeriums, der National Archives in Washington, des Staatsarchivs Weimar und etlicher weiterer regionaler und lokaler Archive), die uns z.T. in Rekordzeit ihre Bestände zugänglich gemacht oder Anfragen beantwortet haben, möchte ich Sabine Stein vom Buchenwald-Archiv fur ihre nimmermüde und präzise Fahndung nach einer Unzahl von Einzelinformationen und Dokumenten danken. Und ebenso herzlich möchten wir uns bei den Mitarbeiterinnen des Zentralen Parteiarchivs der SED/PDS in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, dem der größte Teil der hier edierten Dokumente entstammt, Dr. Elisabeth Ittershagen, Volker Lange, Solweig Nestler, Grit Ulrich und Dr. Elke Warning, für ihre anhaltende Geduld und ihre zahlreichen sachkundigen Hinweise bedanken. Sonja Axen hat den Nachlaß ihrer Eltern Harry und Maria Kuhn-Wiedmaier, Dr. Anette Leo Erinnerungen ihres Onkels Fritz Leo an den Häftlingskrankenbau in Buchenwald, Verwandte von Ernst Busse haben privates Fotomaterial und Ursula Junk und Claudia van Laak wichtige Zeitzeugeninterviews aus ihren Rundfunksendungen über Buchenwald im WDR 1989 bzw. MDR 1994 zugänglich gemacht. Kollegen und Freunde haben uns viele wichtige Hinweise und Hilfestellungen gegeben, von ihnen seien wenigstens Dr. Arnd Bauernkämper, Dr. Peter Erler, Dr. Jan Foitzik, Prof. Dr. Olaf Groehler, Prof. Dr. Jürgen John, Dr. Volkhard Knigge, Kerstin Kohts M.A., Dr. Susanne Nieß, Dr. Alexander von Plato, Dr. Ralf Possekel, Dr. Bodo Ritscher, Arseni Roginski, Irina Scherbakowa, Prof. Dr. Regina Schulte, Dr. Meinhard Stark,
14
Vorwort
Dr. Rüdiger Stutz, Prof. Dr. Hermann Weber und Bernd Wittich, der an diesem Thema mit einem interessanten Interpretationsansatz weiterarbeitet, mit besonderem Dank erwähnt. Trotz aller Hilfen waren unsere Kräfte bei dem Versuch, Sorgfalt mit einer schnellen Dienstleistung für die öffentliche Geschichtsdebatte zu verbinden, begrenzt. Unsere Einleitung kann die präsentierten Dokumente nicht interpretatorisch ausschöpfen, sondern soll nur die Sicht auf historische Zusammenhänge und auf die Eigentümlichkeiten des Umgangs der KPD/SED mit ihrer Geschichte beispielhaft erleichtern und Interpretationsmöglichkeiten anreißen. Noch immer eine ganze Reihe der in den Dokumenten erwähnten Personen konnten wir entweder gar nicht oder nur mit wenigen Daten (z.B. fehlen häufig Berufs- und Todesangaben) identifizieren. Wir haben dabei einer baldigen Präsentation der Dokumente und der ziemlich zahlreichen biografischen Angaben, die wir ermitteln konnten, gegenüber weiterem Verzug durch Perfektion in der Personenerschließung den Vorzug gegeben. Am meisten bedauert haben wir, daß es uns trotz größter Bemühungen nicht gelungen ist, die letzten Jahre unseres Protagonisten archivalisch zu klären. Ernst Busse wurde im Frühjahr 1950 von sowjetischen Dienststellen in Berlin verhaftet und ist im Sommer 1952 im GULag ums Leben gekommen. Mehr war in deutschen Archiven darüber nicht zu finden. Die verbliebenen „human documents" seines Verschwindens sind im Dokumentenkapitel IV versammelt. Erst vor kurzem haben wir erfahren, daß Busse - zusammen mit dem ehemaligen Lagerältesten im KZ Buchenwald und ersten Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern in der SBZ, Erich Reschke (KPD/SED) - von einem Sowjetischen Militärtribunal in Berlin am 22.2.1951 nach dem Kontrollratsgesetz über Kriegsverbrechen vom 20.12.1945 zu lebenslänglicher Haft verurteilt und in ein Straflager in Rußland eingewiesen worden ist. Über die Umstände seines dortigen Todes konnten wir noch nichts herausfinden, weil einschlägige Lagerakten - so sie denn existieren - auch im neuen Rußland bisher noch nicht zugänglich gemacht werden. Es existiert jedoch eine umfängliche Akte der Vorermittlungen des SMTVerfahrens, in die wir jedoch keinen Einblick nehmen konnten, da Busse und Reschke von den sowjetischen und russischen Behörden nicht rehabilitiert worden sind und die Akten von nicht rehabilitierten Verurteilten nicht zugänglich gemacht werden. Kenner hielten einen Rehabilitationsantrag weder zeitlich fur absehbar noch in der Sache für vielversprechend. Wir haben uns deshalb entschließen müssen, unsere Dokumentation zum jetzigen Zeitpunkt ohne die Protokolle der sehr ausführlichen sowjetischen Vernehmungen herauszubringen. Im Zuge unserer Recherchen sind wir indessen auf Personen gestoßen, die Einblick in das seinerzeitige Verfahren hatten und sich wegen der Ungewöhnlichkeit des Falles - immerhin ging es um langjährige Kommunisten, exemplarische Widerstandskämpfer und leitende Staatsfunktionäre der SBZ - Notizen über den Vernehmungsablauf bis hin zu wörtlichen Zitaten von Kernstellen gemacht haben. Sie haben uns mündlich, z.T. auf russisch, über diese Aufzeichnungen berichtet, wollen aber nicht genannt sein. Sie sind im übrigen überzeugt, daß es sich nicht um einen der üblichen spätstalinistischen Terrorprozesse, sondern um eine sachkundige und sorgfältige Ermittlung handelte. Eine solche Überlieferungsgeschichte kann Historiker nicht befriedigen; indessen schienen uns die auf diesem Wege zu-
15 gekommenen Kenntnisse und Zitate bei allem Vorbehalt ihrer Unüberprüfbarkeit von so großem inhaltlichem Interesse und auch - wo immer wir sie auf ihre sachliche Richtigkeit hin überprüfen konnten - fur so glaubwürdig, daß wir zwar keine Zitate in die Dokumentation aufgenommen haben, jedoch über ihren wesentlichen Gehalt in einem Exkurs zum Abschnitt II.3 der Einleitung informieren. Statt einer Quellenangabe werden solche Auskünfte und Zitate mit „X" ausgewiesen. Abschließend möchte ich einige Hinweise zum Aufbau, zur Textgestalt und Benutzung geben und zunächst einige Worte über die Begriffe des Titels „rote Kapos" und „gesäuberter Antifaschismus" voranschicken. Wie für so viele Sachverhalte in diesem Buch gibt es auch bei den „roten Kapos" Gründe fur eine unterschiedliche Sichtweise. Die Nazis haben „Kapo" zunächst als Abkürzung fur Kameradschaftspolizei - eine der Selbstdisziplinierung der Häftlinge im KZ dienende Einrichtung - benutzt, und die „Roten" waren dort die politischen Häftlinge wegen ihres roten Winkels (zur Unterscheidung von „Grünen", „Schwarzen" für sog. „Berufsverbrecher" und „Asoziale"). Politische Häftlinge gab es aus den verschiedensten politischen Richtungen, allerdings stellten die Kommunisten unter den in einer Partei organisierten deutschen politischen Häftlingen - und diese waren in den letzten Kriegsjahren eine kleine Minderheit in den KZs - die Mehrheit. Im Selbstverständnis der Häftlinge wurde „Kapo", das technisch fur den Leiter eines Arbeitskommandos verwendet wurde, aber anders abgeleitet, nämlich aus dem Italienischen in der Bedeutung von Kopf, Führer - der Ausdruck kommt aus dem Süddeutschen, wo „Capo" schon seit der Jahrhundertwende fur die Vorarbeiter italienischer Saisonarbeiterbrigaden eingedeutscht worden war. Und da die Kommunisten unter den deutschen politischen Häftlingen meist die Mehrheit stellten und in Buchenwald auch alle entscheidenden Posten erlangten, die Häftlinge überhaupt bekommen konnten, kam es im Rückblick zu einer Überblendung aller dieser Bedeutungen. Wir verwenden deshalb den KapobegrifF außer in seiner technischen in einer erweiterten Bedeutung, um jene Führungsschicht der sog. Selbstverwaltung im KZ oder der Funktionshäftlinge - also Lagerälteste, Kontrolleure, Blockälteste, Leiter von Arbeitskommandos und Lagerinstitutionen (Kapos im engeren Sinne), Vorarbeiter, Sekretäre, den Lagerschutz, die Lagerfeuerwehr etc. - unter den Häftlingen zu bezeichnen, die in Buchenwald (und anscheinend nur hier) seit Mitte des Zweiten Weltkriegs eng mit der illegalen Führung der KPD im Lager verbunden war. Zwar gab es auch einige aus anderen politischen Richtungen in den unteren Rängen dieser Schicht, die Privilegien, aber keine Macht hatten, und darunter sind wiederum einige wie Hermann Brill und Eugen Kogon später sehr bekannt geworden; im Lager fielen sie aber kaum ins Gewicht. Die roten Kapos von Buchenwald wurden zum einen von der SS als nationales Ordnungsinstrument zur inneren Organisation der multinationalen Lagergesellschaft benutzt, zum anderen waren sie bestimmender Teil der von deutschen Kommunisten (mit internationalen Verbindungen) beherrschten Widerstandsorganisation. Antifaschismus gehörte im offiziellen Wertgefuge der DDR zu den Grundnormen. Je weniger dem Sozialismus die Zukunft zu gehören schien, um so wichtiger wurde die Ersatz-
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Vorwort
wert-Tradition einer antifaschistischen Vergangenheit. Diese offizielle Tradition, die Antonia Gronenberg jüngst als einen „deutschen Mythos" einer eindringlichen Kritik unterzogen hat und die wir hier als bekannt voraussetzen, hatte aber mit der Wirklichkeit der Opfer und Gegner des Nationalsozialismus im Dritten Reich wenig zu tun. Soweit sie Kommunisten waren, hatte sie Ulbricht schon im Mai 1945 in ihrer Mehrheit als „sektiererisch" eingeschätzt. Am Buchenwalder Beispiel - und Buchenwald war das KZ, in dem der kommunistische Widerstand am erfolgreichsten war - zeigt dieses Buch, wie die roten Kapos, nachdem sie sich anfangs mit Verve in die Politik gestürzt und in ihrer Partisanenmentalität über die Hälfte der Polizei der S B Z unter ihr Kommando gebracht hatten, im ersten Nachkriegsjahrzehnt über verschiedene Untersuchungen und „Säuberungen" in ihrem Pathos gebrochen und aus Machtpositionen vertrieben wurden. Zum Schluß war von den Buchenwalder roten Kapos - neben einigen höheren Stasi-Chargen (deren Akten aber in der Gauck-Behörde im Gegensatz zu manch kleinkariertem IM-Zeug noch nicht aufgefunden werden konnten) - nur noch der stellvertretende Polizeiminister der DDR, Willi Seifert, in einer Spitzenstellung übriggeblieben. Er koordinierte 1961 mit derselben verschwiegenen Effizienz den Bau des „antifaschistischen Schutzwalls", wie er schon als noch nicht einmal Dreißigjähriger im Krieg den Buchenwalder Häftlingseinsatz - unter dem Befehl der SS und im Interesse der KPD - geleitet hatte und zu einem der mächtigsten Männer im KZ diesseits der schwarzen Uniformen aufgestiegen war. Nach Stalins Tod und dem 17. Juni 1953 durften die aus Machtpositionen „gesäuberten" Widerstandskämpfer zwar auf zweitklassige Posten zurückkehren und wurden als - wie Marx gesagt hätte - Charakterlarven der offiziellen antifaschistischen Heldenlegende eingesetzt. Aber sie mußten über die Erfahrung ihrer „Säuberung" schweigen. Geschwiegen werden mußte auch über die Ambivalenzen ihrer konkreten Existenz im Lager: darüber daß ihr Widerstandserfolg ohne Zusammenarbeit mit der SS nicht zu haben war, daß er viele Opfer unter den Häftlingen anderer Kategorien und Nationen gekostet hatte, daß die Häftlingsgesellschaft keine egalitäre Solidargemeinschaft gewesen war, sondern eine vom Terror der SS entmenschte Wolfsgesellschaft, in deren harten Hierarchien es jedoch verschiedene Solidargemeinschaften gab und die deutschen Kapos eine privilegierte Oberschicht mit erheblicher Macht über die anderen Häftlinge darstellten, daß die übergreifende antifaschistische Kameradschaft im Kem das Überleben der kommunistischen Kader bedeutete und daß die Volksfrontpolitik der KPD im Überlebenskampf des Lagers kaum über die Rolle eines taktischen Zugeständnisses hinausgekommen war. Manche dieser Tabuisierungen waren zunächst gewiß den Verarbeitungszwängen der befreiten Häftlinge geschuldet, etwa die Betonung dessen, daß es trotz alledem doch Solidaritätserfahrungen auch im KZ gegeben hatte. Die DDR hat diese kompensatorischen Erinnerungen zu einem zensierten kollektiven Gedächtnis systematisiert und die konkretisierende Annäherung der Erinnerung an die spezifische Wirklichkeit dem gesellschaftlichen Vergessen und dem Heroenkult überantwortet. Durch die Ausblendung dieser subjektiven Erfahrungen war die antifaschistische Legende, die zum Gründungsmythos der DDR wurde, von Beginn an hohl und brüchig.
17 In der Einleitung entwerfen wir in Kap. I zunächst in skizzenhafter Form eine politische Geschichte, nämlich des Verhältnisses zwischen der sog. Selbstverwaltung und den deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald, wie sie sich aus den hier veröffentlichten Erinnerungsmaterialien gewinnen läßt und zugleich als grobe Vorstellung deren Verständnis erleichtert. Sie gibt Einblick in die Strukturen der Häftlingsgesellschaft und in die Macht der Kapos als Zwischenschicht zwischen der SS und der Masse der Häftlinge, in die Kämpfe um diese Macht und in deren Gebrauch als Widerstand, als Ordnungsfaktor und als Überlebensgemeinschaft. Sodann geben wir in Kap. II einen Überblick über die drei Wellen von Untersuchungen über die Buchenwalder Kapos in der Nachkriegszeit: nämlich eine amerikanische unmittelbar nach der Befreiung, eine innerparteiliche in der SED 1946/47 in der defensiven Frontstellung des Kalten Krieges, in der sich die Moskauer Emigrantenfraktion in ihrer Skepsis über den Widerstand ihrer Genossen aus den Lagern zunächst nicht durchzusetzen vermochte, und schließlich eine sowjetische von 1950, die dann auf die innerparteiliche drastisch durchschlug. Ab 1956 ist dann eine zähe Rehabilitierungsgeschichte bis über das Ende der DDR hinaus nachzutragen. In Kap. III verfolgen wir die biografischen Spuren der fünf wichtigsten roten Kapos und KPD-Funktionäre, die das KZ Buchenwald überlebt haben, um die Voraussetzungen ihres Einsatzes im Lager besser verstehen zu können und ihre Rolle in der Geschichte der DDR anschaulich werden zu lassen. Dem schließt sich eine zusammenfassende Analyse der Generationen des Parteiaktivs der illegalen KPD im Lager, ihrer Prägungen und ihrer Rolle in der „Selbstverwaltung" an. Am Ende werfen wir einige erfahrungsgeschichtliche Fragen an die Formierung dieses Funktionärskorps im Lager auf. In Kap. IV schließlich versuchen wir, den Blick für die Semantik der Vernehmungen und die Struktur der parteilichen Verfahren zu schärfen, die ja zugleich Erinnerungsquellen an eine extreme Erfahrung mündlicher Herrschaft und Verschriftlichungen innerparteilicher Inquisition und ihrer apologetischen und denunziatorischen Begleiterscheinungen produziert haben. Hier geht es um die Überblendungen der lakonischen Lagersprache mit den Sprachregelungen des Kaderwelsch, die den Ausdruck der Erinnerungen in den Vernehmungen formen. Zugleich geht es aber auch um die Verwaltung der Erinnerung als Herrschaftsinstrument der Partei und um die der Rechtsentwicklung der Bürgerlichen Gesellschaft zuwiderlaufenden Verfahren der Wahrheits- und Schuldermittlung, zu deren Verständnis wir vormoderne Analogien aus dem Gemeinschafts-, Kirchen-, Standes- und Kriegsrecht heranziehen, die in die Utopie, die Zivilreligion, das Avantgardepostulat und die latente Bürgerkriegsannahme des Kommunismus projeziert wurden. Die Dokumente sind - trotz einiger thematischer Überlappungen - in der Regel chronologisch angeordnet. Der sog. Geheimakte Buchenwald in Kap. II ist ein Kapitel mit frühen, bisher nicht oder nur in stark redigierter Form veröffentlichten Erinnerungszeugnissen kurz nach der Befreiung vorangestellt. Auch sie sind vielfach schon von apologetischen Erinnerungsstrukturen geprägt, reichen in Diktion und Detail aber sehr viel näher an die Lagererfahrung heran, als es der defensive Entwirklichungsprozess des späteren kollektiven Gedächt-
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Vorwort
nisses unter dem Druck herrschaftlicher Zensuren noch zuläßt. Am anderen Ende gelingen unter dem größten Druck der spätstalinistischen Verhöre Anfang der 50er Jahre einigen Protagonisten wie Busse und Bartel einprägsame strukturelle Einsichten, die mit dem Detailreichtum und den Implikationen der frühen Erinnerungen verbindbar sind, aber damals nicht sagbar waren. All das verschwindet aber in den Akten, während das öffentliche Erscheinungsbild des Antifaschismus immer holzschnittartiger wird und sich zunehmend auf das Phantom der paramilitärischen Selbstbefreiung konzentriert. Den größeren Vernehmungen und Erinnerungsquellen in den Kap. II und V haben wir - vor allem in den Kap. III (über den Aufbau eines antifaschistischen Kontroll- und Propagandaapparats im Kalten Krieg), IV (über Busses Abstieg und Verschwinden im GULag) und VI (über die Opportunität der Urteilsrevisionen) - kleinere Aktenstücke beigefugt, um Entscheidungsstil und politische Kultur der SED-Führung im Umgang mit dem Problem, das die roten Kapos von Buchenwald für sie darstellten, greifbar zu machen. Fast alle Dokumente, auch wo ihre Lektüre große Geduld erfordert, bringen wir ungekürzt, um eine verläßliche Grundlage für weitere Interpretationen zu liefern. Kürzungen sind durchweg angemerkt. Der Stil der Dokumente ist belassen; wo er schwer verständlich ist, werden in den Anmerkungen Lesarten angeboten. Hingegen ist die Rechtschreibung meist stillschweigend bereinigt, da viele Dokumente derart von Schreib- und Tippfehlern übersät sind, daß eine originalgetreue Wiedergabe die Lektüre stark beeinträchtigen würde. Systematische Fehlschreibungen von Eigennamen bei einem Autor sind beim ersten Auftreten belassen und in einer eckigen Klammer berichtigt, im weiteren Verlauf dann stillschweigend korrigiert. Ungebräuchliche Ausdrücke erschließt das Glossar, Abkürzungen das Abkürzungsverzeichnis, oder sie sind, wo es angezeigt schien, durch Anmerkungen oder Hinzufügungen in eckigen Klammern aufgelöst. Das letztere gilt auch für die Ergänzung fehlender Worte oder Wortteile. Wo viele sehr kurze Absätze in den Originalen auftauchen, sind sie in der Druckfassung aus raumökonomischen Gründen z.T. zusammengefaßt, die ursprünglichen Absätze aber durch einen Schrägstrich / bezeichnet. Aus denselben Gründen sind in den Einzelverhören z.T. die Namen der Sprechenden durch F für Frage und Α für Antwort ersetzt. Alle Hervorhebungen im Original, seien sie nun durch Sperrdruck, Versalien oder Unterstreichungen erzielt, erscheinen in der Druckfassung einheitlich als Kursivdruck. Die Dokumente werden in der Regel in der Anmerkung zum Dokumentenkopf beschrieben, z.T. auch ihr Kontext oder Verfasser erläutert. Im Dokumentenkopf wurde meist die Überschrift oder der Betreff des Originals übernommen, die dann in Anführungszeichen gesetzt sind; wo solche fehlten oder nichtssagend waren, haben wir einen Betreff (ohne Anführungszeichen) hinzugefügt. Thematisierende Kapitel- und Zwischenüberschriften, die den Überblick über eine Reihe zusammengehöriger Dokumente erleichtern sollen, sind durchweg von den Bearbeitern. Briefköpfe, Adressen, etc. sind weggelassen, irgendwie bedeutsam erscheinende Bearbeitungsvermerke jedoch angemerkt oder im Haupttext mitabgedruckt. Notwendige Sacherläuterungen sind angemerkt, wobei nur sehr sparsam auf weitere Literatur verwiesen wird. Hierzu wird auf das Literaturverzeichnis verwiesen.
19 Wegen der sehr großen Zahl von Personenerwähnungen haben wir ein System der Personenerläuterung gewählt, das Raumökonomie mit Leserfreundlichkeit verbinden soll. Alle mehrfach erwähnten politischen Häftlinge aus dem KZ Buchenwald, über die wir Lebensdaten ermitteln konnten, sind in einem biografischen Anhang alphabetisch geordnet; diese Namen sind beim ersten Auftreten in einem Dokumentzusammenhang mit einem nachfolgenden Stern (z.B. Busse*) bezeichnet. Alle anderen Namen - soweit es sich nicht um allgemein bekannte Personen handelt - werden beim ersten Auftreten oder dort erläutert, wo der Personenhintergrund fur die Lektüre besonders nützlich erschien. Für Querverweise möge man den Personenindex konsultieren. Aus demselben Grund sind hier und da Kurzangaben zu Personen - z.B. die seinerzeitige Funktion bei Dokumentenverfassern - wiederholt. Von uns nicht identifizierte Personen sind als solche angemerkt. Einige Namen von Personen, über die im Text Nachteiliges bemerkt wird, ohne daß dies für den zeitgeschichtlichen Zusammenhang von Bedeutung wäre, sind anonymisiert. Es versteht sich von selbst, daß Herausgeber und Bearbeiter sich mit keinen Wertungen oder sonstigen Aussagen über Personen, die in den Dokumenten auftreten, identifizieren. Da kommunistische Organisationen und Regime wesentlich durch Personalpolitik und über z.T. auch sehr persönliche Aussagen in Kader- u.a. internen Akten gesteuert werden, werden ggf. bei Thematiken wie der unsrigen alle ihre Funktionäre und Mitglieder zu Personen der Zeitgeschichte. Wir hoffen auch, daß die Leserinnen spüren werden, daß es nicht unsere Absicht ist, mit dieser Veröffentlichung den kommunistischen Widerstand im Dritten Reich im ganzen oder den Buchenwalder im besonderen zu schmähen. Im Gegenteil: Wir wollen ihm - nach einer langen Zeit tödlicher Heroisierung und Legendenbildung - den Respekt der genauen, der kritischen, auch der tragischen Wahrnehmung nach seinen eigenen Aussagen verschaffen, und wir wollen den Blick dafür schärfen, wo er selbst Opfer wurde und wo ihm andere zum Opfer fielen. Walter Benjamin hätte wohl von rettender Kritik gesprochen. Die Vernehmungsprotokolle und Erinnerungsberichte, die wir in diesem Band zugänglich machen, und die Frage nach den dahinterstehenden geschichtlichen Wirklichkeiten, die aber durch ihre Brechungen hindurch kaum mehr als erahnbar werden, bedürfen sorgfältiger Lektüre und verdienen eingehende Diskussion. Die Quellen werden vorgelegt, um anderen eine Weiterarbeit an dieser letztlich unlösbaren Rekonstruktionsaufgabe zu erleichtem und um eine vorschnelle Urteilsbildung zu erschweren. Jena, im August 1994
Lutz Niethammer
EINLEITUNG
I
FUNKTIONSHÄFTLING UND FUNKTIONÄR Die KPD in der „Selbstverwaltung" des KZ
Als nach dem Ende der DDR eine Expertenkommission die „Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald" bewertete und Richtlinien fur ihre Fortentwicklung und die Neugestaltung ihrer Dauerausstellung erarbeitete 1 , stellte sie vier Hauptdefizite in der bisherigen Gedenkstättenarbeit fest: (1) das Verschweigen des sowjetischen Sonderlagers, das 1945 bis 1950 in den Gebäuden und Einrichtungen des KZs bestanden hat;2 (2) die unzureichende Information über das Schicksal der ca. 240.000 Menschen, die als ΚΖ-Häftlinge in Buchenwald eingeliefert wurden, von denen allein ca. 34.000 ins Sterberegister eingetragen sind und ungezählte weitere tausende auf Evakuierungsmärschen u.ä. zu Tode kamen und die in ihrer Masse Ausländer und rassistisch Verfolgte waren; (3) die unzureichende Information über den Rassismus des Dritten Reiches und die SS als sein Exekutivorgan in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und (4) die Konzentration der Widerstandsthematik auf die „Heldentaten" der kommunistischen „Kämpfer gegen den Faschismus" und deren traditionsbildende Verherrlichung als „Vorbildern der jungen Generation"3. An allen diesen Defiziten wird seither gearbeitet. Der vorliegende Band kann als Beitrag zur Überwindung des letzten Defizits verstanden werden. Allerdings geht aus den hier vorgelegten Quellen so gut wie nichts über das Verhalten und den Widerstand anderer Häftlingsgruppen hervor. Sie enthüllen aber, was in der Frühgeschichte der SBZ/DDR an Verdrängungen hinter der späteren Verherrli1 2 3
Vgl. Zur Neuorientierung der Gedenkstätte Buchenwald. Die Empfehlungen der vom Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Thüringen berufenen Historikerkommission, Weimar-Buchenwald 1992. Vgl. dazu jetzt Bodo Ritscher: SpezLager Nr. 2 Buchenwald. Zur Geschichte des Lagers Buchenwald 1945 bis 1950, Weimar 1993. So Erich Honecker in seinem Geleitwort zu der offiziellen Dokumentation: Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung. Dokumente und Berichte, hg. von der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald in Zusammenarbeit mit der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora beim Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, 4. völlig neu bearbeitete Aufl. Berlin (DDR) 1983. (Im Folgenden zitiert als „BWMuV"). Im Einzelfäll ist es nützlich, die 1. Aufl. dieses Werkes (Berlin 1960) zu vergleichen, die noch einige frischere Berichte enthält und von manchen späteren Konstruktionen frei ist. Trotz mancher entstellender und entstellter Dokumente und der Suggerierung einer falschen Legende im Ganzen bleiben viele in diesem Band veröffentlichte Materialien und Forschungsinformationen für jede weitere Beschäftigung mit dem KZ Buchenwald unverzichtbar. Ahnliches gilt von Klaus Drobisch: Widerstand in Buchenwald, Berlin (DDR) 1977, der einige wichtige Materialien im Faksimile präsentiert, und von manchen der seit 1976 von der Mahn- und Gedenkstätte hg. ca. 30 „Buchenwaldhefte", meist hekt. Vor- und Detailstudien und Materialsammlungen ihrer Forschungsabteilung. Den derzeit besten im Druck greifbaren kurzen Überblick über die Forschungsergebnisse der DDR-Zeit mit reichem Bildmaterial gibt „Konzentrationslager Buchenwald Post Weimar/Thür." Katalog zu der Ausstellung aus der DDR im Martin-Gropius-Bau Berlin (West), April-Juni 1990, hg. von der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald, o.O. u.J. (im folgenden zitiert „Katalog").
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I Funktionshäftling und Funktionär
chungstendenz steckt, und erlauben auch - trotz aller Brechung der Erinnerungen durch innerparteiliche Fraktionskämpfe, Frontstellungen des Kalten Krieges und Mechanismen von „Säuberung" und Inquisition - einen neuen Blick auf den Widerstand der KPD in Buchenwald. Es kann u.E. nicht Aufgabe einer neuen und realistischeren Sichtweise auf die Geschichte dieses Konzentrationslagers sein, das in der DDR Überbetonte nunmehr auszusparen und durch das seinerzeit Ausgesparte zu ersetzen. Denn soviel bleibt richtig: Es war der KPD in Buchenwald wie in keinem anderen Konzentrationslager gelungen, diesseits der Terrorherrschaft der SS über das Lager zur entscheidenden Macht innerhalb der Häftlingsgesellschaft zu werden. Es kann deshalb im Falle Buchenwalds nicht darum gehen, diese geschichtliche Tatsache zu leugnen oder gering zu schätzen, sondern es ist zu fragen, wodurch sie diese Macht erwarb und wozu sie sie gebrauchte. Das entscheidende Instrument ihres Machterwerbs war die von den Nazis sogenannte Selbstverwaltung des Lagers, die noch wenig erforscht ist. 4 In diesem Abschnitt der Einleitung soll deshalb zunächst eine politische Strukturgeschichte des Zusammenhangs zwischen KPD-Funktionären - einer kleinen, aber organisationsfähigen Minderheit unter den Häftlingen - und dem System der Funktionshäftlinge im KZ skizziert werden, wie sie sich aus den hier vorgelegten Quellen gewinnen läßt und deren Kenntnis zugleich die Lektüre dieser Quellen erleichtert. Dabei will das Wort Skizze betont sein, denn es kann sich hier nur um einen knappen Rohentwurf handeln, zu dessen Absicherung noch viel quellenkritische Einzelforschung zu leisten wäre. Außer den in diesem Band zugänglich gemachten Quellen verdankt die Sichtweise dieser Skizze, fur die es so gut wie keine zeitgleichen schriftlichen Quellen gibt, die also ganz auf der Ausweitung der Verschriftlichung von Erinnerungen der unterschiedlichsten Art und Zeit5 an eine Zeit extremer
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Grundlegend ist der in seiner vergleichenden Konzeption noch immer gültige Aufsatz von Hans Günther Adler: Selbstverwaltung und Widerstand in den Konzentrationslagern der SS, in: VfZG 8 (1960) S. 221-236. Aus der neueren Lit. vgl. unten Pingel (historisch) und Sofsky (soziologisch); grundlegend war Kogon. Für die Sicht kommunistischer Beteiligter vgl. zusammenfassend Hermann Langbein: ...nicht wie Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938-1945, Frankfurt/M. 1980, S. 31-56; Herbert Weidlich: Häftlinge in Lagerorganen - Stützen der internationalen Widerstandsorganisation, Buchenwaldhefte 5, 1977 (2. Aufl. 1983). Als Einzelbericht H. Naujoks: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936-1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten, Köln 1987; zu einzelnen anderen Lagem vgl. Livia Rothkirchen: The Zionist Character of the „Self-Government" of Terezin (Theresienstadt). A Study in Historiography, in: Yad Wäschern Studies 11 (1976), S. 56-90; W. Kirstein: Das Konzentrationslager als Institution totalen Terrors. Das Beispiel des KL Natzweiler, Pfaffenweiler 1992, S. 72 ff.; Hermann Kaienburg: Vernichtung durch Arbeit. Der Fall Neuengamme. Die Wirtschaftsbestrebungen der SS und ihre Auswirkungen auf die Existenzbedingungen der KZ-Gefangenen, 2. Aufl. Bonn 1991, S. 156 ff. Zu den Strukturen des Erinnerns ehemaliger KZ-Häftlinge vgl. vor allem Michael Pollak: L Experience concentrationaire. Essai sur le maintien de l'identite sociale, Paris 1990 und ders.: Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und Identitätsarbeit, Frankfurt/New York 1988. Siehe auch John S. Conway: Frühe Augenzeugenberichte aus Auschwitz. Glaubwürdigkeit und Wirkungsgeschichte, in: VfZG 27 (1979), S. 260-284, und zu den Problemen bildlicher Wahrnehmung und Erinnerung Ziva Amishai-Maisels: The Complexities of Witnessing, in: Holocaust and Genocide Studies 2 (1987), Η. 1, S. 123-147. Eine gründliche Erschließung der Vernehmungen in den amerikanischen SS-Ärzte-Prozessen speziell zu Buchenwald gibt Wemer Scherf: Die Verbrechen der SS-Ärzte im KZ Buchenwald. Der antifaschistische Widerstand im Häftlingskrankenbau. Juristische Probleme, jur. Diss. hekt. Humboldt-Universität zu Berlin (DDR) 1987.
25 Erfahrung mündlicher Macht angewiesen ist, viel der nicht heroisch entlastenden, sondern in ihrer Konkretionsbemühung peinigenden Erinnerungsliteratur von Häftlingen. Sie hatte grob gesprochen zwei besonders fruchtbare Konjunkturen: Einerseits in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die Aufzeichnung der noch frischen Erfahrungen bei Eugen Kogon 6 , Karl Barthel 7 , Robert Antelme 8 u.a. und in Sammlungen wie dem „Bericht des Internationalen Lagerkomitees" von 1946 9 ; andererseits in späteren Jahren in einer reflexiven Gedächtnisarbeit. Diese zweite Welle wurde insgesamt durch Erinnerungen wie die von Primo Levi 10 und Jean Amery 11 eingeleitet, eroberte durch Filme wie Claude Lanzmanns „Shoah" 12 die Leinwand und vermittelte durch zusammenfassende und ordnende Forschungen wie die von Falk Pingel 13 und Wolfgang Sofsky 14 vergleichende Einsichten. In Jorge Sempruns postkommunistischer Erfahrungsverarbeitung15 fand sie speziell für Buchenwald einen vorläufi6
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Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, (zuerst 1946, mittlerweile 23. Auflage im Taschenbuch, München 1991) hier zitiert nach einer Aufl. Frankfurt/M. 1960, zur Selbstverwaltung S. 64 ff. u.ö. Weitere verwissenschaftlichte Erfahrungsberichte aus Buchenwald mit wichtigen Analysen zur Häftlingsgesellschaft stammen vor allem von dem österreichischen Sozialisten (1938-42 und 1945 im KZ Buchenwald) Benedict Kautsky: Teufel und Verdammte. Erfahrungen und Erkenntnisse aus sieben Jahren in deutschen Konzentrationslagern, Zürich 1946 (bes. Abschnitt III u. IV), sowie von dem österreichischamerikanischen Psychoanalytiker (1938/39 im KZ Buchenwald) Bruno Bettelheim: Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft, (amerik. 1960) Frankfurt/M. 1989; Erziehung zum Überleben. Zur Psychologie von Extremsituationen, (amerik. 1979), München 5. Aufl. 1992. (Diesen überarbeiteten Sammlungen liegen Essays zur Psychologie von Extremsituationen in deutschen Konzentrationslagern zugrunde, die seit 1943 in USA und seit 1955 in Westdeutschland publiziert wurden.) Karl Barthel: Die Welt ohne Erbarmen. Bilder und Skizzen aus dem KZ, Rudolstadt 1946; für die Frühzeit des Lagers vgl. Emst Wiechert: Der Totenwald, Zürich 1946 u.ö.; Walter Poller: Arztschreiber in Buchenwald. Bericht des Häftlings 996 aus Block 39, Hamburg 1947. Robert Antelme: Das Menschengeschlecht. Als Deportierter in Deutschland, (zuerst franz. 1957) München 1990 (Eine erste Fassung ist 1946/47 geschrieben und 1949 unter dem Titel „Die Gattung Mensch" in Berlin erschienen). Vgl. außerdem z.B.: Das war Buchenwald. Ein Tatsachenbericht. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudi Jahn. Hg. KPD Leipzig, Leipzig 1945; W.A.Beckert: Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Mit einem Geleitwort von Ernst Busse, (Weimar 1945); Conrad Finkelmeyer: Die braune Apokalypse. Erlebnisbericht eines ehemaligen Redakteurs der [SPD-] Arbeiterpresse aus der Zeit der Nazityrannei, Weimar 1947. Primo Levi: Ist das ein Mensch? Die Atempause, (zuerst ital. 1958 bzw. 1963) München 1988. Jean Amery: Jenseits von Schuld und Sühne, München 1966. Der Text der den Film tragenden Interviews in: Claude Lanzmann: Shoah, mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir, Düsseldorf 1986. Falk Pingel: Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1978, zur Selbstverwaltung aufgrund einer breiten vergleichenden Auswertung der Häftlingsberichte und ihrer Zuordnung zu den einzelnen Stufen der Entwicklung des KZ-Systems passim, bes. S 56 ff., 102 ff., 159 ff, 198 ff. Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager, Frankfurt/M. 1993, zur Selbstverwaltung und Machtstaffelung S. 152 ff. und zur Häftlings-"Aristokratie" S. 169 ff. Sofsky gibt zwar eingangs einen kurzen Überblick über die Geschichte des KZ-Systems, sieht in seiner Analyse der Häftlingsgesellschaft unter der instituionalisierten „Totalen Macht" des Lagers aber davon ab, wodurch die auf dieser Ebene wichtige und mögliche politische Dimension aus dem Blick gerät. Als soziologische Synthese weniger gelungen Gerhard Armanski: Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne, Münster 1993, obwohl ein solcher Vergleich wichtig wäre. Dafür immer noch grundlegend, aber für eine Geschichte der Zwischenschichten der Lager unergiebig Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, (zuerst amerik. 1951) Frankfurt 1961 u.ö., S. 644. Jorge Semprun: Was fur ein schöner Sonntag! (zuerst franz. 1980) Frankfurt/M. 1984. Was dieses Buch so glaubwürdig macht, ist seine durch viele Gedächtnisschichten hindurch wiedergewonnene Komplexität der
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gen Höhepunkt. Es ist hier nicht der Ort, um sich ausführlicher mit dieser Literatur zur KZErfahrung und zur Geschichte der KZs im ganzen oder Buchenwalds im besonderen auseinanderzusetzen, zumal wir bei diesem spezielleren Projekt zur Quellenerschließung allgemeine Kenntnisse zur Geschichte des Dritten Reiches, der SS und ihrer Verfolgungs-, Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik voraussetzen müssen. 16 Hinzu kommt in diesem Band ein weiteres Erkenntnisinteresse bezüglich der Buchenwalder Kommunisten. Sie haben in der Geschichte der SBZ und teilweise auch noch der DDR eine erhebliche politische Rolle gespielt. Aus ihren Reihen kamen - um nur die Spitzenpositionen zu nennen - auf Zonenebene: der Präsident der Innenverwaltung und einer seiner Stellvertreter, der später der Polizeichef der DDR wurde, sowie zwei stellvertretende Präsidenten anderer Zentralverwaltungen; auf Länderebene: ein Ministerpräsident in Brandenburg17 und zwei stellvertretende Ministerpräsidenten und Innenminister in SachsenAnhalt und Thüringen, hier auch der Landesdirektor für Wirtschaft, der Volksbildungsminister und der Landespolizeichef, in Sachsen-Anhalt der Landwirtschaftsminister, in Sachsen ein Landespolizeichef und sein Stellvertreter, der Chef der Kripo, der Chef K-5 (politische Polizei), der Bezirkschef der Stasi und der Polizeipräsident von Leipzig. In der Südhälfte der SBZ saßen Buchenwalder in vielen Bezirks- und Landesleitungen der KPD und SED, waren Kaderchefs und andere Leitungsfünktionäre von Behörden. Zu Zeiten saßen Buchenwalder Kommunisten im Vorzimmer Wilhelm Piecks, des Ko-Vorsitzenden der SED, leiteten die
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Wahrnehmung. Bei welchen anderen kommunistischen Häftlingen könnte man einen Satz finden wie: „Und immerhin war Buchenwald ohne Zarah Leander nicht wirklich Buchenwald" (S. 53)? Für den Historiker ist sein Buch auch insofern nützlich, als er die Lagerkonstellationen (z.B. die Arbeitsstatistik) mit Klarnamen beschreibt. Einen nützlichen Überblick über die Forschungsgeschichte und die Vielartigkeit der Lager (einschließlich der Konzentrationslager) im Dritten Reich gibt Gudrun Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, Frankfurt/M. 1990; nach Kogons Buch und der beispielhaften Lokalstudie von Hans-Günther Adler: Theresienstadt 19411945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1955, waren grundlegend die Gutachten von Martin Broszat für den Auschwitz-Prozeß in Frankfurt (Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933-1945, in: ders. u.a.: Anatomie des SS-Staates, Freiburg/Olten 1965, Bd. 2) und die von ihm hg. Lokalstudien: Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, Stuttgart 1970. Eine knappe Synthese der DDR-Forschung gibt Heinz Kühnrich: Der KZ-Staat. Die faschistischen Konzentrationslager 1933-1945, zuerst Berlin (DDR) 1960, 2. neubearb. Aufl. 1980. Die beste Gesamtdarstellung ist noch immer Olga Wormser-Migot: Le systeme concentrationnaire nazi (1933-1945), Paris 1968. Seither hat sich die Erforschung durch zahlreiche Einzelstudien (vgl. Schwarz, a.a.O.) verbessert, von denen hier nur die Klärung der institutionellen Frühgeschichte erwähnt werden kann. Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Organisationsgeschichte und Funktion der „Inspektion der Konzentrationslager" 1934-1938, Boppard 1991. Eine neuere historische Gesamtdarstellung wie auch eine Geschichte des KZ Buchenwalds fehlen. Indessen liegt ein erster Band vor von Klaus Drobisch und Günther Wieland: System der Konzentrationslager 1933-1939, Berlin 1993. Aktuelle lexikalische Kurzinformationen in Israel Gutman u.a. (Hg ): Enzyklopaedie des Holocaust, (zuerst israel. 1990), 3 Bde. Berlin 1993. Wenn man hier den Thüringer Ministerpräsidenten während der amerikanischen Besatzungszeit 1945, Hermann Brill (SPD), nicht hinzurechnen will, obwohl er im Rahmen der Volksfrontöffiiung der Buchenwalder Kommunisten 1943/44 mit diesen kooperiert, sich nach der Befreiung aber mit dem sozialistischen „Buchenwalder Manifest" von ihnen abgesetzt hatte. Vgl. Hermann Brill: Gegen den Strom, Offenbach 1946. Das Buchenwalder Manifest, eines der eindrucksvollsten programmatischen Dokumente deutscher Politik im Jahr 1945, ist auch abgedr. bei Kautsky, a.a.O., S. 299 ff. zusammen mit einer Liste der erstaunlich wenigen Buchenwalder demokratischen Sozialisten. Vgl. auch Manfred Overesch: Hermann Brill in Thüringen 1895-1946. Ein Kämpfer gegen Hitler und Ulbricht, Bonn 1992, der dessen Rolle und Eigenständigkeit im KZ Buchenwald ähnlich wie sein Held selbst überschätzt.
1.1 Terror und Selbstverwaltung
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Kulturabteilung des ZK der SED und stellvertretend auch deren Parteiorgan „Neues Deutschland", steuerten die VVN, kommandierten das Gelbe Elend in Bautzen und befehligten das Berliner Wachregiment des MfS „Feliks Dzierzynski" - allerhand fur eine KPDGruppe von rund 600 Mitgliedern oder für ein engeres „Parteiaktiv" von rund 75 Funktionären, von denen etwa zwei Drittel nach der Befreiung in der SBZ geblieben sein mögen. Und wie in den Dokumenten gezeigt wird, haben sie alle - mit Ausnahme der Dresdner Fraktion in den „Bewaffneten Organen" - diese Funktionen vorzeitig wieder räumen müssen, obwohl in der DDR der 50er Jahre wahrlich großer Mangel an bewährten kommunistischen Kadern war. Was hatte das Buchenwalder Netzwerk so stark, was hatte es für die in Berlin herrschenden Kommunisten so problematisch gemacht? Was hatte den - wie ihr Parteileiter am Tage nach der Befreiung 1945 sagte - in Buchenwald „gestählten Kader" der KPD geprägt, was hatte er im Lager gelernt, was war seine Botschaft und was sein Geheimnis? Walter Bartel hat einmal vom Lager als „Schule des Sozialismus" gesprochen. Explizit ist damit immer der Kampf gegen den Faschismus und die parteien- und nationenübergreifende Solidarität unter den Häftlingen verstanden worden. Aber was war der geheime Lehrplan dieser Schule, was waren die Lehren, die man nicht gelernt haben sollte oder mochte und doch nicht vergessen konnte?
1.1
Terror und Selbstverwaltung
Buchenwald wurde als ein Musterlager in der Systematisierungsphase des SSKonzentrationslagersystems gegründet. Mitte der 30er Jahre schien die Terrorwelle gegen Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Juden, von denen viele im ersten Jahr des Regimes in zahlreiche wilde Lager verschleppt worden waren, nachzulassen. Etwa Dreiviertel der im ersten Jahr in Lager verschleppten ca. 27.000 politischen Gegner wurden wieder entlassen, kleinere Lager wurden geschlossen und die verbliebenen Häftlinge in wenige größere Lager zusammengefaßt und einem einheitlichen Regime unterstellt. Es gab Diskussionen in der NS-Führung, das System der Schutzhaftlager als außenpolitische Belastung ganz aufzugeben. Auf der anderen Seite wurden weiterhin viele Funktionäre und Mitglieder besonders der KPD, die sich in den ersten Monaten in die Illegalität begeben hatten, aufgespürt und in der Regel wegen Hochverrats zu mehrjährigen Zuchthausstrafen abgeurteilt, die sie meistens in regulären Haftanstalten verbüßten.18 Nach der Haft wurden sie aber oft nicht 18
Zu den frühen Jahren der KPD in der Illegalität und der weitgehenden Verhaftung ihrer Kader bis 1935 im Reich vgl. Horst Duhnke: Die KPD von 1933 bis 1945, (zuerst 1971) Wiener Neustadt 1973, S. 101 ff., 194 ff.; die DDR-Sicht bei Klaus Mammach: Die KPD und die antifaschistische Widerstandsbewegung 19331939, Berlin (DDR) 1974, und als kanonische Grundlage: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 8 Bde. Berlin (DDR) 1966, hier Bd. 5; zuletzt Sieg-
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I Funktionshäftling und Funktionär
freigelassen, sondern in eines der Lager in „Schutzhaft" genommen, die insofern als eine Art politische Sicherungsverwahrung ohne gerichtliche Beteiligung zu verstehen ist. Dadurch kamen vermehrt in der Illegalität erfahrene, höhere Funktionäre in die Lager, die zur Bildung von illegalen Organisationskernen geeignet waren. Noch bedeutsamer für die Stabilisierung des KZ-Systems in der Mitte der 30er Jahre 19 war jedoch die sozialrassistische Erweiterung der Repressionspolitik, die durch Himmlers Berufung zum Chef der Deutschen Polizei nunmehr das SS-Imperium weit über den Kreis politischer Gegner hinausgreifen ließ, zumal sich nun auch in den ökonomischen Kapazitätsengen der Vorkriegsrüstung die Lagerinsassen als SS-eigene Bausklaven einsetzen ließen. Bedarf nach neuer Lagerkapazität entstand nun vor allem durch die Einweisung von Bettlern und Landstreichern (im Nazi-Jargon „Asoziale") und von mehrfach Vorbestraften und Sicherheitsverwahrten („Berufsverbrecher") ins KZ, in geringerem Umfang auch von Homosexuellen sowie Zeugen Jehovas („Bibelforscher"), die den Wehrdienst verweigerten. Zugleich sollten die Lager aber auch zur Vorbereitung auf den Krieg, wo sie der terroristischen Stabilisierung der Heimatfront dienen sollten, in ihrer Kapazität ausgebaut werden, und ihre Insassen die dort auszubildenden SS-Totenkopfverbände und -Soldaten an den „herrschaftlichen" Umgang mit Entrechteten gewöhnen. Sachsenhausen 1936 und Buchenwald 1937 waren die ersten Neugründungen aus dieser Systematisierungsphase, die in spezifisch gestufter Architektur als von der Außenwelt abgegrenzte SS-Kolonien großräumig angelegt wurden. Anders als in der Machtergreifungsphase waren hier nicht mehr politische Gegner des NS unter sich, sondern von Anfang an die „Roten" (politische Häftlinge) und die „Grünen" (Berufsverbrecher) und die „Schwarzen" (Asoziale) zusammengesperrt. In der Anfangszeit waren ca. drei Viertel der Häftlinge „Rote". Ihr Anteil sank aber schnell und betrug Ende 1938 weit weniger als die Hälfte, als im Gefolge des Reichspogroms vom 9. November 1938 allein nach Buchenwald - das von Ende 1937 bis Herbst 1938 um ca. 7.500 auf ca. 10.000 Häftlinge angewachsen war - rund 10.000 Juden ohne jede Vorbereitung eingeliefert wurden, um sie zur Auswanderung zu pressen, was auch in den meisten Fällen im Laufe der nächsten drei
19
fried Vietzke (Lehrstuhl Geschichte der SED, Parteihochschule Karl Marx beim ZK der SED): Die KPD im Kampf gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1945), Berlin (DDR) 1985. Zu den Voraussetzungen vgl. Hermann Weber (Hg ): Kommunismus in Deutschland 1918-1945, Dokumente, Köln 3. Aufl. 1973, ders. (Hg.): Die Generallinie. Rundschreiben des Zentralkomitees der KPD an die Bezirke 1929-1933, Düsseldorf 1981; Siegfried Bahne: Die KPD und das Ende von Weimar. Das Scheitern einer Politik 1932-1935, Frankfurt/M.New York 1976; Peer H. Lange: Stalinismus versus „Sozialfaschismus" und „Nationalfaschismus" . Revolutionspolitische Praxis unter Stalin 1927-1935, Göppingen 1969; Thomas Weingartner: Stalin und der Aufstieg Hitlers. Die Deutschlandpolitik der Sowjetunion und die Kommunistische Internationale, Berlin (West) 1970. Zusammenfassende Überblicke über die Fraktionen der politischen Linken im Widerstand in Lutz Niethammer, Ulrich Borsdorf u. Peter Brandt (Hg ): Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976, hier S. 25 ff. zur KPD von Arnold Sywottek. Vgl. Tuchel, a.a.O., S. 297 ff., zur Gründung von Buchenwald bes. S. 335 ff. Zum sozialrassistischen Hintergrund vgl. zusammenfassend Detlev Peukert: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde, Köln 1982; seiner unmittelbaren Wirksamkeit auf die SS- und Polizeipraxis der zweiten Hälfte der 30 Jahre Ulrich Herbert: Werner Best. Eine biografische Studie über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, Habil. masch. Hagen 1991, Kap. III.4ff.
1.1 Terror und Selbstverwaltung
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Monate geschah. 20 Als im April 1939 zu Hitlers 50. Geburtstag in einer „Gnadenaktion" über 2.000 politische Häftlinge entlassen wurden, hatte sich im Sommer 1939 gegenüber dem Jahr zuvor die Anzahl der Häftlinge fast halbiert, und unter ihnen dürften die KPDMitglieder deutlich unter 10 Prozent ausgemacht haben; allerdings waren darunter mittlere und höhere Funktionäre sowie Widerstandsaktivisten, die nach einer früheren Verhaftung sich erneut politisch betätigt hatten (sog. politisch Rückfällige), besonders zahlreich. Die innere Organisation der neuen Lager wurde vom KZ Dachau übernommen, das als einziges der ursprünglichen Lager von 1933 bestehen blieb und dessen SS-Kommandant nun der Leiter des ganzen zu errichtenden KZ-Imperiums wurde. 21 Das Dachauer Lagerreglement sah eine sog. Selbstverwaltung vor, d.h. daß Vertrauensleute der einzelnen Lagerblocks (Älteste) und Arbeitskommandos (Kapos) sowie des Lagers insgesamt (Lagerälteste oder Lagerkapos) eingesetzt wurden, die dem jeweiligen SS-Block- oder ArbeitskommandoFührer bzw. dem Lagerfiihrer gegenüber fur die Einhaltung der von der SS erlassenen drakonischen Lagerordnung bzw. für die Erledigung der jeweils zugewiesenen Aufgaben verantwortlich waren. Diese „Funktionshäftlinge" konnten im Prinzip von den Häftlingen - d.h. in der Regel vom Lagerältesten, dessen Kompetenzen sich dadurch besonders zur Klientelbildung eigneten - vorgeschlagen werden und wurden von der SS ernannt, die sich aber an Vorschläge nicht zu halten brauchte. Aus dem Gesichtspunkt der SS hatte dieses System zunächst nur Vorteile, da sich ihre wenig qualifizierten und gewaltbereiten Mannschaften und Unterfuhrer aufs Fordern und Strafen beschränken konnten - vom individuellen oder kollektiven Essensentzug über Strafappelle und Strafarbeit, persönliches Zuschlagen, dem rituellen Vollzug der Prügelstrafe und der Einweisung in Arrest bis hin zum Erschlagen, Erschießen oder formellen öffentlichen Exekutionen. Mit anderen Worten: Sie konnte das Lager durch die Ausübung negativer Sanktionsmacht regieren und brauchte sich um seine innere Daseinsvorsorge, Konfliktregelung und um die fachliche Anleitung der auszuführenden Arbeiten nicht zu kümmern. Vom Standpunkt der Häftlinge mußte die Selbstverwaltung ambivalenter erscheinen, jedenfalls war sie unter den politischen Fraktionen der „Roten" auch in der Dachauer Frühzeit, als die Häftlingsgesellschaft noch national homogen war und durchweg aus politischen Oppositionellen bestand, umstritten, zumal die jeweiligen politischen Richtungen sehr unterschiedlich auf die Besetzung solcher Lagerfunktionen vorbereitet waren. Grob gesprochen kann man eine sozialdemokratische Zurückhaltung gegenüber der Besetzung von Lagerfunktionen von einer kommunistischen Bereitschaft dazu unterscheiden. Sozialdemokraten waren in den Lagern in der Minderheit, untereinander nicht an autoritäre Befehlsverhältnisse gewöhnt oder in Konspiration geübt, wie sie für solche Funktionen notwendig waren; zudem 20
21
Vgl. Harry Stein: Juden in Buchenwald 1937-1942, Weimar 1992, bes. S. 38 ff. Durch viele Erinnerungsberichte ist belegt, daß die eingelieferten deutschen und österreichischen Juden von der SS mit größter Brutalität behandelt und ausgeraubt sowie von BVern, die damals die meisten Lagerfunktionen innehatten, und ihren Cliquen in ihrer Not aufs gemeinste ausgebeutet wurden. Etwa indem den tagelang völlig unversorgt Zusammengesperrten ein Trunk Wasser nur gegen die Auslieferung von Wertsachen „verkauft" wurde. Zu Dachau vgl. Tuchel, a.a.O., S. 121 ff.; Pingel, a.a.O., S. 35 ff.
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I Funktionshäftling und Funktionär
waren sie im Vergleich zu den Kommunisten weniger in handwerklichen Berufen ausgebildet. Sie schätzten zumeist die Selbstverwaltung als ein Unterdrückungssystem der Häftlinge gegen sich selbst und als eine Hilfestellung an die SS zur Ausbeutung der Häftlinge ein. Die Kommunisten sahen eher die Vorteile, die das System bot: die Mäßigung der Gewalt der SS gegenüber dem einzelnen Häftling, die Gewinnung von Informationen, das Schaffen von Abhängigkeiten und Korrumpierungsmöglichkeiten gegenüber den SS-Führern, den Schutz und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der eigenen Kader. Außerdem konnten sie auf die in der KP eingeübte Befehlsdisziplin und Führungsautorität zurückgreifen, wodurch die Übernahme entsprechender Verantwortlichkeiten für Funktionshäftlinge weniger gefährlich wurde, als wenn sie als Individuen zwischen SS und der Masse der Häftlinge gestanden hätten. 22 Sollten die kleinen Machtbefugnisse und Privilegien gegen die SS ausgenutzt werden und nur dann waren sie zu verantworten und durch den Gehorsam der an solchen Gewinnen Beteiligten zu realisieren - , so mußte die Ausübung solcher Funktionen in einem konspirativen und arbeitsteiligen Zusammenhang erfolgen. Eine Voraussetzung funktionierender konspirativer Organisation bestand in der Trennung von politischer Führung und Funktion im Lager, da es zu gefährlich und auch kaum realisierbar erscheinen mußte, die auch nach außen prominentesten Funktionäre in solche Posten zu schieben. Nur sie aber besaßen die Autorität, die dem Funktionshäftling die Loyalität der im Idealfall durch ein illegales Zellensystem organisierten Mitgliedschaft sichern konnte. Deshalb waren die Funktionshäftlinge in den ersten Jahren in der Regel kommunistische Funktionäre aus dem zweiten Glied 2 3 , die im Gegenzug die prominenteren Führer durch privilegierte Arbeitsplätze, Unterbringung oder Versorgung sichern und schonen sollten. Ihrerseits wurden sie durch die Kontrolle der im Hintergrund bleibenden Führer daran gehindert, ihre Macht nur fur sich selbst und nicht für die in die konspirative Organisation einbezogenen Genossen insgesamt auszuüben. Wie unter Kriegsbedingungen waren die Sanktionen fur die Verletzung der Konspiration drastisch: nämlich der „soziale Tod" durch das sog. Abhängen, d.h. die Isolierung von aller Information und Solidarität, die auch eine gelegentliche Zuwendung von Seiten der SS nicht aufwiegen konnte, oder der physische Tod bzw. die ausgesprochene oder unausgesprochene Drohung, „abgehängt" oder ausgeliefert zu werden. Dieses in größerem Umfang nur den Kommunisten aus der Zeit vor der Verhaftung mögliche System hatte sich in Ansätzen in verschiedenen Lagern bereits bewährt, bevor Buchenwald gegründet wurde. Die Verhältnisse in den relativ kleinen und neu gegründeten Lagern aber hatten - zusammen mit dem schnellen Wechsel der Häftlinge und der Konkurrenz der politischen Gruppen - eine Durchorganisie-
22 23
Vgl. Pingel, a.a.O., S. 57 ff. In Buchenwald waren auch im Krieg die „roten" Funktionshäftlinge in der Regel keine prominenten Kommunisten, aber vorwiegend deshalb, weil keine Prominenten mehr im Lager waren. Emst Busse gehörte zu den verbliebenen prominentesten der zweiten Reihe und nahm sowohl Parteileitungs- als auch Kapo-Funktionen wahr. Nachdem die Organisation aber etabliert war, wurden die anderen Parteileitungsmitglieder Bartel und Kuhn obwohl nur qua Funktion und nicht persönlich aus ihrer früheren Parteilaufbahn prominent - in stillen Positionen abgesichert.
1.1 Terror und Selbstverwaltung
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rung, geschweige denn Verselbständigung dieser mafiosen Struktur kollektiver Selbstbehauptung gegen den physischen Terror der SS bisher verhindert. In der Gründungsphase des KZs Buchenwald, die mit der sozialrassistischen Ausweitung der Häftlingsgruppen zusammenfiel, veränderte sich jedoch die Funktion der Selbstverwaltung dadurch, daß die SS nunmehr auch auf Funktionshäftlinge zurückgreifen konnte, die nicht aus dem Lager der politischen Opposition kamen. Tatsächlich setzte sie bei der Gründung von Buchenwald bevorzugt „Grüne" in Lagerfiinktionen ein, angefangen bei den zwei Lagerältesten, die wegen mehrfacher Vorstrafen unter der Kategorie Berufsverbrecher ins Lager gekommen waren. Tatsächlich waren sie aber zugleich ehemalige Anführer Berliner SA-Schlägertrupps24 - und es gab augenscheinlich ein ganzes Reservoir unter den „Grünen", das solche Doppelqualifikationen fur die SS mitbrachte, um die „Roten" aus den Machtpositionen in der Häftlingsgesellschaft herauszuhalten und das Lager durch die Konkurrenz rivalisierender Klientelsysteme, die aus Mangel an irgendwie gearteter Grundsolidarität auch vor wechselseitigen Denunziationen nicht zurückschreckten, mit geringem Aufwand in Schach zu halten. Eine konsequente Bevorzugung „brauner Grüner" in der Selbstverwaltung mußte auf die Dauer aber mindestens zwei gravierende Nachteile haben. Erstens waren unter den „roten" Konkurrenten auch mehrere Führer des Rotfrontkämpferbunds und des Militär- und Abwehrapparats der KPD, so daß die Fronten der politischen Straßen- und Saalschlachten der späten Weimarer Republik im Lager wieder aufzuleben drohten und die SS kaum Loyalität von eingekerkerten SA-Leuten oder straffälligen Soldaten zu erwarten hatte. Das konnte die Verhältnisse zumindest unkalkulierbar machen, und nur ein ebenso korrupter wie perverser Lagerkommandant wie Karl Koch 25 mochte sich einbilden, eine bald auf zehn-, dann auf zwanzigtausend Männer anwachsende Kleinstadt mit einem Verbrechersyndikat regieren und die seitens seiner Vorgesetzten zunehmend erwarteten wirtschaftlichen Leistungen erbringen zu können. Der zweite Nachteil, und der war langfristig der entscheidende, war, daß eine solche, auf bloße Gewaltherrschaft und Ausbeutung orientierte Selbstverwaltung der Häftlingsgesellschaft die Kompetenzdefizite der SS nicht kompensieren und weder die innere Ordnung des Lagers noch die fachliche Anleitung der Häftlingsarbeit verbürgen konnte. Andere meinen, Koch habe seine Kommandantur selbst als Verbrechersyndikat gefuhrt und in der „grünen" Selbstverwaltung zunehmend eine Konkurrenz in der Ausplünderung neuer Häftlinge und in der Drangsalierung der alten gesehen und deshalb die BVer in großem Stil zum Aufbau des neuen KZ Flossenbürg und nach Neuengamme abgeschoben. Denn in dieser Phase habe die SS die Häftlinge im wesentlichen noch im Bereich Bau, Steine, Erden beschäftigt, wozu physische Gewalt statt indirekter Herrschaftsmethoden ausgereicht hätten.
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Kogon, SS-Staat, S. 64 f.; vgl. Dok. 1.5.4 ff. Vgl. das Porträt bei Tom Segev: Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Kommandanten, (amerik. 1988) Reinbek 1992, S. 175 ff; Arthur L. Smith jr.: Die Hexe von Buchenwald. Der Fall Ilse Koch, 2. Aufl. Weimar/Köln/Wien 1994.
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I Funktionshäftling und Funktionär
Ob es nun der Mangel an einer Alternative oder der Sachzwang zur Zusammenarbeit mit der einzigen politisch organisationsfähigen Kraft im KZ war, mag dahinstehen. Jedenfalls wurde nach einjährigem Experiment mit einer „grünen" Selbstverwaltung deren Vorherrschaft Mitte 1938 zurückgeführt. Neben bereits eingesetzten „roten" Blockältesten und Kapos in Arbeitskommandos wurden nun auch alle drei Lagerälteste durch Kommunisten (Wyschka, Männchen, Barthel) gestellt. Wer sie ausgewählt hat, ist imbekannt. Jedenfalls waren sie alle keine prominenten Funktionäre. Von Wyschka wissen wir so gut wie nichts, und von den beiden anderen haben ihre Genossen später ihren Geltungsdrang und ihr undurchsichtiges Gebaren erinnert (vgl. Dok. II.4 ff.) und sie beide unmittelbar nach der Befreiung 1945 noch in Buchenwald aus der Partei ausgeschlossen.26 Die Verhältnisse waren noch unüberschaubar. Nach wenigen Monaten wurden Wyschka und Barthel wieder ausgewechselt, und den letzten, der für einige Zeit in eine andere Haftanstalt verlegt worden war, ersetzte nun erneut der Führer des Berliner Rollkommandos der SA, bis er im März 1939 in dem von ihm erfundenen Schwarzen Bunker „zur Strecke gebracht" wurde. Nun zog wiederum Barthel für jeweils wenige Monate zuerst als 3. und dann als 1. Lagerältester in die Leitungsbaracke ein. Eine Kontrolle der Funktionshäftlinge durch die KPD als Partei im Lager war zu dieser Zeit noch kaum möglich. Denn ein organisierter Zusammenhang bestand erst in Rudimenten und gründete auf der landsmannschaftlichen Bekanntschaft kleinerer Gruppen von Genossen aus unterschiedlichen Reichsteilen. Hier im Muster-KZ in der Mitte Deutschlands standen die Gruppen aus Sachsen und Thüringen, die sich schon zuvor in den regionalen KZs Sachsenburg und Lichtenburg zusammengefunden hatten, im Vordergrund, und ihr Sprecher, Walter Jurich aus Leipzig, betonte, daß es bei diesen informellen Gruppierungen, die sich aus alter Bekanntschaft kontrollieren konnten, aus Sicherheitsgründen bleiben sollte. Die Übernahme von Funktionen war Ende der 30er Jahre auch unter den Kommunisten noch umstritten, und gerade ein alter Draufgänger wie Toni Waibel (vgl. Dok. II.4) stand ihr ziemlich skeptisch gegenüber. Grundsätzlich scheint sie aber mehrheitlich bejaht worden zu sein, und dafür gab es zwei Gründe: vor allem die üblen Erfahrungen, die man im ersten Jahr mit den „braunen Grünen" als Lagerältesten gemacht hatte. Außerdem - und darauf hat Walter Bartel in späten Vernehmungen aufmerksam gemacht (vgl. Dok. V.3.2)überblickten ja auch die führenden Genossen im Lager noch nicht dessen künftige Entwicklungen, sondern urteilten aus Erfahrung. Ihre Erfahrung war in aller Regel das Zuchthaus, und dort hatten sie die Nützlichkeit von Funktionshäftlingen, den Kalfaktoren, für die Kommunikation zwischen den Häftlingen und andere kollektive Vorteile kennengelernt. Aber das KZ war kein Staatsgefangnis, und Kapos waren keine Kalfaktoren, sondern eine herrschende Zwischenschicht im Machtgefüge des Lagers.
26
SAPMO-BA, ZPA I 2/3/154, Bl. 211 ff.
1.2 Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg
1.2
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Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg
Die prominenteren Kommunisten im Lager kannten sich aus dem Apparat, aus den Parlamenten und aus den Zuchthäusern. Sie bildeten eine Gruppe für sich, die als einzige eine überregionale Koordinierung der landsmannschaftlichen Gruppierungen der Genossen im Lager herbeifuhren konnte. Durch ihren wechselnden Einsatz in den früheren KPD-Bezirken kannten sie Genossen in den unterschiedlichsten Landsmannschaften. Unter ihnen warben sie nun mit ihrer persönlichen Autorität „Aktivisten für eine gewöhnliche Parteiarbeit" im KZ, d.h. für eine zentralisierte konspirative Organsiation.27 Mit diesem Anspruch konnten sie sich jahrelang nicht entscheidend unter den Genossen durchsetzen, denn sie kamen aus dem Rheinland, aus Thüringen, Berlin und Hessen, aber die Sachsen um Jurich wollten für sich bleiben. Und als die Prominentesten - Neubauer und Geschke - 1939/40 vorzeitig entlassen wurden und Stoecker starb, ruhte ihr Anspruch im wesentlichen auf der persönlichen Autorität von Albert Kuntz, der leitende Stellungen im Parteiapparat in Berlin und Frankfurt innegehabt, die Kl-Schule in Moskau besucht und einen Sitz im Preußischen Landtag erworben hatte, sowie auf der Einsatzbereitschaft von Walter Krämer und Ernst Busse, beide aus dem Rhein-Ruhrgebiet und wenigstens dem Titel nach Abgeordnete des Preußischen Landtags bzw. des Reichstags 28 . Daß sie sich schließlich trotz des hohen Risikofaktors, den eine zentralisierte Organisation unter Lagerbedingungen darstellen mußte, dennoch durchsetzten, hängt mit der Zentralisierung der Häftlingsselbstverwaltung, der Multinationalisierung der Häftlingsgesellschaft im Krieg, dem Hitler-Stalin-Pakt und dem nach seinem Ende erneut ausbrechenden Krieg „Grün" gegen „Rot" unter der Lagerprominenz zusammen. Hatte schon die Einlieferung jüdischer und österreichischer Häftlinge 1938/39, die das Lager kurzzeitig auf die doppelte Belegung mit Gefangenen anschwellen ließ, die Lagerbedingungen wesentlich verändert und die Gewaltbereitschaft der SS teilweise von den „Roten" abgelenkt, so veränderte seit Beginn des Zweiten Weltkriegs die schnell zunehmende Einlieferung von Häftlingen aus den besetzten Gebieten (Tschechen, Polen, später auch von der Westfront) die Häftlingsgesellschaft wie auch die Bedürfhisse der SS grundlegend. 27
28
Vgl. Dok. II.5.8. Die Rivalität zwischen den regionalen Freundschaftsgmppen und der Prominentengruppe um Neubauer, Stoecker und Kuntz durchzieht als Grunderfahrung alle Vernehmungen der frühen Kader im KZ (Dok. II.4 ff ). Ironischerweise sollte sie sich erst 1943 zugunsten der Zentralisierung vollends durchsetzen, als keiner ihrer in der Partei wirklich prominenten Anwälte mehr in Buchenwald war, sondern mittlere und jüngere Funktionäre der zweiten Linie ihr Erbe angetreten hatten. Die Hälfte der Abgeordneten des Reichstags und des Preußischen Abgeordnetenhauses unter den Buchenwalder Kommunisten hatte erst bei einer der Wahlen von 1932 (Brandt, Busse, Kayser, Krämer, Kuntz) - und einer sogar in den Märzwahlen 1933 (Ullrich) - erstmalig ein Mandat erworben, aber wohl nie wirklich ausgeübt. Solche nur dem Titel nach MdR bzw. MdA gewordene Regionalfunktionäre waren insofern nur vom Etikett her parteipolitische Prominenz ohne Praxis auf der Zentralebene. Langjährige Parlamentarier waren hingegen Stoecker (MdR 1920-32, teilweise Fraktionsvorsitzender), Neubauer (MdL Thüringen 1921, MdR 1924-33), Geschke (MdR 1924-32), Schreck (MdL Baden 1926, MdR 1928-32) und von den Jungen vielleicht noch Karl Barthel (MdL Thüringen 1929, MdR 1932). Unter den Landespolitikern war der prominenteste Renner (MdL Sachsen seit 1920 und später Fraktionsvorsitzender), daneben Eyermann (MdL Thüringen 1925), Hamann (MdL Hessen 1927).
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I Funktionshäftling und Funktionär
Da sich die Österreicher, Tschechen, Polen, Belgier und Franzosen im wesentlichen separat zu halten versuchten und die Verständigungsschwierigkeiten wuchsen, wurde der Bedarf nach einer vermittelnden Zwischenschicht, die zumindest Brückenköpfe der Verständigung mit den anderen Sprachgruppen schaffen konnte, für die Ordnung und Arbeitsanleitung im Lager offensichtlich. Sie lag aber auch im Interesse koordinierter Solidaraktionen und eines kalkulierbaren Zusammenhalts unter den Häftlingen. Mit anderen Worten: Die SS wurde zunehmend auf den kommunistischen Internationalismus, der ein unter den Häftlingen einzigartiges Widerstandspotential darstellte, als Infrastruktur der inneren Lagerordnung verwiesen. Dieser Bedarf der SS traf die Kommunisten im Lager in ihrer tiefsten Orientierungskrise. Vor allem der Abschluß des Hitler-Stalin-Pakts am 23.8.1939 irritierte fast alle Linken in Deutschland und Westeuropa zutiefst, 29 und darin machten auch die Kommunisten aus dem inneren Widerstand und in den Lagern keine Ausnahme. Nachdem bereits nach dem Münchner Abkommen aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Nazis und den Sowjets die wechselseitige Polemik gedämpft worden war und die Komintern auch die KPD zum Leisetreten und zu anderer Feindorientierung (Imperialismus, Sozialdemokratie) angehalten hatte, wurde die Lage (in den KZ) nun extrem widersprüchlich. Auf der einen Seite mag es auch bei der SS ein Umdenken gegeben haben, ob man nicht nach innen sich die disziplinierten Kommunisten zunutze machen könne, da - wie in der Außenpolitik bei der vierten Teilung Polens gemeinsame Interessen bei hinlänglichem Pragmatismus vorstellbar waren. Auf der anderen Seite rollte die Gestapo in der Phase des Nichtangriffspakts fast alle verbliebenen Organisationsstrukturen der KPD im Reich auf und kappte ihre Verbindungen in die Emigration 30 . Außerdem bekam sie noch deutsche Kommunisten aus der Sowjetunion ausgeliefert, die dort im Zuge der großen „Säuberung" und einer grassierenden Ausländer-Raus-Hysterie inhaftiert worden waren 3 1 . Eine vermehrte Einweisung von Kommunisten ins Lager mußte aber nicht eine pragmatische Haltung zu kooperationsbereiten KPD-Funktionären seitens der SS im Lager ausschließen. Doch damit nicht genug der Widersprüche. In Buchenwald scheint den Inhaftierten jedenfalls wenn man dem Zeugnis von Walter Bartel glauben darf - die große Wende der strategischen Linie der Komintern vom gleichberechtigten Kampf gegen Sozial- und National-Faschismus hin zur antifaschistischen Volksfront-Politik, wie sie auf dem VII. Weltkon29
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Vgl. Duhnke, a.a.O., S. 333 ff.; Beatrix Herlemann: Auf verlorenem Posten. Kommunistischer Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Die Knöchel-Organisation, Bonn 1986, S. 17 ff. zeigt auch die extremen Schwierigkeiten der Moskauer Exilfuhrung der KPD, sich auf die neue Lage einzustellen (hier auch die neuere Lit.); Wolfgang Leonhardt: Der Schock des Hitler-Stalin-Pakts. Erinnerungen aus der Sowjetunion, Westeuropa und den USA, Freiburg u.a. 1986. Vgl. das Beispiel der Abschnittsleitung Nord bei Herlemann, a.a.O., S. 37. Zu diesem Tiefpunkt in den Belastungsproben des Verhältnisses deutscher Kommunisten zur Sowjetunion vgl. Hans Schafranek: Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland 1937-1941, Frankfurt/M. 1990; zum Hintergrund der deutschen Emigration in der Sowjetunion und zur Haltung der KPD-Exil- und späteren SED-Führung zu den „Säuberungen" jetzt Meinhard Stark: Deutsche Frauen des GULag. Eine lebensgeschichtliche Befragung, phil. Diss, masch. Humboldt-Universität Berlin 1994; zu den Opfern Hermann Weber: „Weiße Flecken" in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Frankfurt/M. 1989.
1.2 Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg
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greß der Komintern 1935 definiert und in der Folge auf einer-zur Deckung „Brüsseler Konferenz" 32 genannten - Veranstaltung bei Moskau für die KPD konkretisiert worden war, bis nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verborgen geblieben zu sein. Die KPDKader im Lager waren dem traditionellen Glauben der Jahre 1928-34 verhaftet, die Alternative zu bürgerlicher Republik und Nazi-Diktatur sei der Kampf für ein Sowjet-Deutschland. Bartel beanspruchte jedenfalls später immer wieder fur sich (vgl. Dok.1.6 u.a.), daß erst mit seiner Einlieferung in Buchenwald der neue und jetzt schon fast wieder überholte Kurs im Lager bekannt geworden 33 und zunächst bei den Genossen auf Unglauben gestoßen sei. In mehreren Vernehmungen von 1946 (vgl. Dok. II.4 ff.) klingen die hitzigen und offenbar langanhaltenden Debatten über die neue Linie einer Kooperation mit allen Hitler-Gegnern nach. Erst als 1943 mit Ulrich Osche ein Teilnehmer der „Brüsseler Konferenz" - nach mehljähriger Haft im Zuchthaus Siegburg - ins KZ Buchenwald eingeliefert wurde, konnten die letzten Widerstrebenden bekehrt werden. Bartel schien nämlich manchen ein zwielichtiger Zeuge, weil e r - w i e viele-bei seiner Entlassung aus dem Zuchthaus 1935 eine Gestapo-Verpflichtung unterschrieben hatte und - wie wenige - deshalb im Prager Exil aus der KPD ausgeschlossen worden war (vgl. Dok. II. 1.2, V.l.2, VI.l), also kaum in Parteiinterna eingeweiht sein konnte. Bartel traf aber in der Buchenwalder Prominentengruppe auf seinen alten Freund Albert Kuntz - sie hatten schon im Berliner Apparat und dann auf der Lenin-Schule in Moskau gemeinsame Erfahrungen gemacht - und wurde auf der oberen Ebene integriert. Wie und von wem immer die Nachricht gekommen sein mag, jedenfalls kam sie zur Unzeit. Denn der Hitler-Stalin-Pakt führte die KPD fast in die völlige Isolierung unter der Opposition gegen den Nationalsozialismus, die den Kommunisten nun unisono braun-rote Kameraderie vorwarf. Da dieser Widerhall der noch kaum vernommenen oder verdauten neuen Volksfront-Linie von vornherein jede Grundlage entzog, war die Krise unter den Kommunisten in der Abgeschlossenheit des KZ noch vollständiger als für die Genossen aus dem inneren Widerstand im Reich. Im Gegensatz zu draußen gab es im KZ aber etwas zu tun. „Die SS-Leute" - analysierte im Rückblick nach 50 Jahren der Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora und Stasi-General Kurt Köhler, der von 1938 bis 1945 im KZ Buchenwald war 34 - „waren uns im Prinzip, uns Deutschen ausgeliefert, uns deutschen politischen Häftlingen. Wir sprachen die gleiche Sprache wie sie. Wir kannten ihre Schwächen. Ohne uns hätten sie diesen komplizierten Apparat von zehn-, zwanzigtausend Menschen gar nicht bewältigen können. Da muß die Wäsche gewaschen werden, da muß die Hygiene in Kraft treten, da muß die Krankenfursorge/organisiert werden. Wir haben drum gekämpft, diese Hilfe zu geben, um die Befehle in ihr Gegenteil zu verkehren, sie [die SS] uns auszuliefern. Jeder dieser SS-Chargen wollte ja bei seinem Vorgesetzten glänzen. Und 32 33 34
Teile des Protokolls wurden veröffentlicht von Klaus Mammach (Hg ): Die Brüsseler-Konferenz der KPD (3 15.0ktober 1935), Berlin (DDR) 1975. Ob es dessen bedurft hat, ist schwer auszumachen, denn es wurden ja viele Österreicher, aber auch einige deutsche Emigranten aus der CSR (wie Herbert Weidlich) und in der Folge auch einige Spanienkämpfer nach Buchenwald eingeliefert, die die KI-Wendung von 1935 längst kennen mußten In einem Tonband-Interview mit Ursula Junk (WDR Sendung „Buchenwald" vom 13.4.1989).
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I Funktionshäftling und Funktionär
wenns in seinem Arbeitskommando klappte, dann hatte er seinen Profit davon. Und deshalb glaubten sie wirklich und sie waren überzeugt, durch unser diszipliniertes Verhalten, daß wir vergessen hatten, daß wir mal gegen den Faschismus waren. Wir müssen sehen: wir kannten uns alle untereinander, wir deutschen Antifaschisten, wie man so sagt, nackt. Wir bezogen in unsere illegale Arbeit nur solche Kameraden ein, von denen wir wußten, daß sie mutig sind, daß sie schweigen können und daß sie bereit sind, alles zu geben. Kameraden, die im Lauf der Jahre mal gestrauchelt waren, die haben wir in unsere Arbeit nicht einbezogen. Und wir haben von jeder Nation, haben wir immer so die besten ausgesucht, wo wir glaubten, wir können uns auf sie verlassen." Versteht man recht, daß in Köhlers Sprache unter „deutschen Antifaschisten" Mitglieder der KPD und unter den ,festen" der anderen Nationalitäten deren Kommunisten zu verstehen sind, so ist dies eine ziemlich realistische Sicht. Jedenfalls scheint die Orientierungskrise der Buchenwalder Kommunisten 1939 organisationspolitisch gelöst worden zu sein, indem sich die mittlere Generation der Apparat-Kader, die seit kurzem Funktionshäftlinge geworden waren oder nun wurden, in die innere Organisation der Häftlingsgesellschaft stürzte.35 Dadurch hat sich die Funktionsteilung zwischen politischen und Lagerfunktionären verwischt. Diese massive Zentralisierung und Vermengung der verbliebenen minder prominenten KPD-Funktionäre36 mit der Lagerleitung erlaubte auf der anderen Seite ein umfassendes Patronage-System, mit dem nach und nach die wichtigsten Positionen der Funktionshäftlinge an KPD-Funktionäre vergeben wurden. Offenbar muß die SS in dieser Zeit mit diesem sich verfestigenden System zufrieden gewesen sein, zumal die Funktionäre von Kuntz die Weisung erhalten hatten, sie sollten sich so verhalten, daß die SS mit ihnen zufrieden sei und sie ihren Posten nicht wieder verlören (vgl. Exkurs „X")· 35
Alle drei Lagerältesten-Posten waren seit der Ermordung des letzten „grünen" Lagerältesten 1939 wieder in kommunistischer Hand, wobei zum ersten Mal auch mit Ernst Frommhold ein prominenterer ApparatFunktionär -Absolvent der Moskauer Lenin-Schule, Untergaufuhrer des RFB in Berlin und Mitglied der Thüringer Bezirksleitung der KPD - beteiligt wurde, nachdem bereits im April Walter Krämer und Hans Neumeister in die zukünftigen Schlüsselstellungen des Oberpflegers im Häftlingskrankenbau bzw. des Kapos der Schreibstube gelangt waren. Andere Kapo-Funktionen sollten folgen. Der frühere LA I Wyschka und der prominenteste kommunistische Häftling Theodor Neubauer wurden im selben Monat in einer großen Gnadenaktion zu Hitlers Geburtstag entlassen, mit der allein in Buchenwald 2.300 Häftlinge - darunter viele oft später wiederverhaftete Kommunisten - freikamen. Im Sommer wurde dieses System weiter ausgebaut, indem mit Ernst Busse ein weiterer mittlerer Kader LA II wurde, Frommhold den offenbar schwer lenkbaren Karl Barthel als LA I ersetzte und auch der LA III mit einem weiteren Kommunisten, Johannes Bechert, besetzt wurde. Von Bechert, der sich über zwei Jahre an der Lagerleitung halten konnte, seit Herbst 1940 als LA II, haben wir aber außer den Geburts- und Einlieferungs-Daten auf der SS-Karteikarte nichts herausfinden können, da er der „roten" Feme verfiel und am 2.3. 1943 im Häftlingskrankenbau zu Tode kam (vgl. Dok. II.4). Dadurch scheint er zur Unperson geworden zu sein. Als auch Frommhold ein halbes Jahr später freikam, wurde Busse LA I und mit Erich Reschke ein lokaler RFB-Führer aus Hamburg, der sich bereits als Kapo eines Baukommandos bewährt hatte, in die Lagerleitung geholt. Selbst der illegale Parteiführer Albert Kuntz wurde nun als Kapo im Baubüro eingebaut, während sein Berater Walter Bartel dort als Buchhalter abgesichert wurde.
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Jedenfalls ist auffallig, daß 1939/40 die beiden prominentesten KPD-Funktionäre in Buchenwald, Neubauer und Geschke, beide bekannte Reichstagsabgeordnete, die keine Lagerfunktionen übernommen hatten, ebenso wie die beiden kommunistischen Spitzenfunktionäre der Lagerleitung, Wyschka und Frommhold, aus dem KZ entlassen wurden. Die SS wollte offenbar Zeichen setzen, daß sich einerseits politisches Stillhalten und andererseits Funktionserfullung in der Selbstverwaltung lohnten. Auch August Thöne, das von uns nicht näher identifizierbare Parteileitungsmitglied unter Kuntz, scheint in dieser Phase aus dem Lager entlassen worden zu sein.
1.2 Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg
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In der kommunistischen Traditionsbildung wurde diese Phase der ersten umfassenden Etablierung der KPD in der Lagerselbstverwaltung Buchenwalds nicht gepflegt; ihre Rahmenbedingung - der Hitler-Stalin-Pakt - blieb aus dem Blick, die Datenangaben sind dürftig und auch in der Tat schwer zu rekonstruieren, weil mehrere der damaligen Leitungsfiguren wie Frommhold und Jurich entlassen oder später - wie Kuntz und Krämer - von der SS oder wie Bechert und Stelzmann - von den eigenen Leuten umgebracht oder - wie Männchen, Karl Barthel und Scherlinski - bedroht und „abgehängt", wenn auch nicht getötet wurden (vgl. Dok. 1.5 ff., II.4 ff.). Die Traditionsbildung lag in den Händen der Übriggebliebenen aus dieser Phase: den frühen Blockältesten und Kapos - aus der Lagerleitung Reschke, aus der Parteileitung Bartel und aus beidem Busse. Man darf sich wohl diese erste Phase der zunehmenden Kontrolle der inneren Häftlingsgesellschaft durch die KPD nicht als eine planvolle Aktion vorstellen, sondern eher als ein Hineinwachsen in ambivalente Funktionen, das von vielerlei Zufallen geprägt war, die aber angesichts der ideologisch-politischen Verwirrung und moralischen Isolierung der Kommunisten in den ersten beiden Kriegsjahren als praktische Chancen ergriffen wurden. Die Vorteile, die fur viele Genossen daraus erwuchsen, konnten im Sinne wachsender Widerstandsmacht legitimiert und durch praktische Hilfen im Alltag beglaubigt werden. Das Gefühl, daß die Kompromittierung der Funktionshäftlinge, die z.B. im Krankenbau gerade in dieser Phase besonders unerfahrenen und z.T. völlig perversen Ärzten zur Hand gehen mußten (vgl. Dok. 1.5.1), durch Erleichterungen, durch erste Rettungserfolge, durch eine kalkulierbare Ordnung mit ansprechbaren Repräsentanten aufgewogen werden könne, ist auch in der Erinnerung vieler Betroffener gegenwärtig. Eine durchorganisierte illegale Parteiorganisation darf man sich für diese Zeit, in der selbst die wenigen Daten oft nur mit großer Unsicherheit rekonstruiert werden können, ebenfalls nicht vorstellen. Eher handelt es sich um regionale Freundschaftsgruppen, die schon aus Angst vor Spitzeln sich eher unter sich hielten, und zwischen denen einige aus der Prominentengruppe, die viele persönliche Bekanntschaften hatten, sich zugleich aber besonders zurückhalten mußten, vermitteln konnten. Durch das Ausscheiden der politisch Erfahrensten und Angesehensten aus dieser Gruppe lag ihre Substituierung durch klientelbildende Organisationsmacht der Selbstverwaltung nahe. Sie erlaubte, nach und nach auch die mittleren und unteren Funktionsstellen mit Genossen zu besetzen und damit die sichernde Kontrolle, die die Voraussetzung konspirativer Erfolge war, auszubauen. Auch an die Futterkrippen - die Küchen und Kammern (Magazine) - kam man heran, um die Selbstversorgung zu verbessern, über Mittel zur Bestechung der SS-Leute zu verfügen und dem Schwarzmarkt der Ganoven im Lager Paroli bieten zu können. Denn nur durch die individuelle „Korrumpierung der SS", wie die sich erinnernden Kapos es immer wieder ausdrücken, konnte dieses Ordnungssystem aufrechterhalten werden. An diese, allerdings zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakt noch gemäßigten Vorteile erinnerten sich die Genossen, als sie 1943 mit Mord und Totschlag um die Funktionsstellen kämpften; an diese Phase erstmals funktionierender Ordnung und Disziplin im Lager muß sich auch die SS erinnert haben, als ihre neuen Technokraten 1943 über ideologi-
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I Funktionshäftling und Funktionär
sehe Bedenken hinweggingen und wieder auf die „Roten" zurückgriffen, nachdem sie sich zwischenzeitlich mit den „Grünen" eingelassen hatte. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, der fur die fuhrenden Kommunisten in der Partei- und Lagerleitung völlig überraschend kam, ging die Zeit der ersten Kooperation zwischen SS und „roten" Funktionshäftlingen zu Ende. Sie hatte den Zusammenhalt der kommunistischen Kader, die durch den Paktabschluß in äußere Isolierung und ideologische Turbulenzen zu geraten drohten, durch die materiellen Vorteile der Privilegienwirtschaft gefestigt, sie in eine funktionsteilige Überlebensgemeinschaft umgeformt und den Blick von der unseligen großen Politik auf die praktische Arbeit im Lager gewendet. Nachdem im Juni 1941 der Bolschewismus wieder zum Hauptfeind des Dritten Reiches geworden war, vernarbten zwar die Wunden im Weltbild der Kommunisten, aber zugleich ging das Dritte Reich von der Verfolgung, Unterdrückung und Ermordung einzelner und spezifischer Gruppen zur Massenvernichtung über. Vor diesem Hintergrund brachte das zweite Halbjahr 1941 und das Jahr 1942 für die Buchenwalder Häftlinge einen Schock nach dem anderen. Versuche an lebenden Menschen wurden erst von einzelnen SS-Ärzten ausprobiert und dann mit dem Aufbau einer Fleckfieberversuchsstation am Jahresende systematisch eingeführt. Der Krankenbau wurde seit dem Sommer 1941 ein Selektionszentrum für die sog. Euthanasie, also die Ermordung Behinderter, Kranker, von Juden und anderen „Ballastexistenzen" in besonderen Tötungsanstalten wie in Bernburg. Schon im Winter 1941 mehrten sich die Vorgänge, das Lager Judenfrei" zu machen, bevor der größte Teil der Juden im Herbst 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Die ersten im Oktober 1941 ankommenden russischen Kriegsgefangenen waren im allererbärmlichsten Zustand und wurden - wie einst die Juden 1938 in besonderen Gehegen einfach zusammengepfercht. Ganze Transporte von politischen Kommissaren, Juden und Intelligenzlern der Roten Armee, insgesamt über 8.000 Menschen, wurden nach Buchenwald gebracht und im September 1942 zunächst auf einem Schießplatz der SS und seit dem Winter in einem zur Genickschußanlage umgebauten Pferdestall nahe beim Lager reihenweise abgeschlachtet.37 Zu diesem Zeitpunkt sahen einige der BVer, deren Massenbasis sich bei Kriegsbeginn durch eine Großrazzia der Polizei im Reich wieder erweitert hatte, ihre Stunde gekommen, die von der SS geduldete Herrschaft der „Roten" abzuschütteln und wieder selbst an die Fleischtöpfe zu gelangen, freilich nur um persönlicher und nicht um kollektiver Vorteile willen. Sie hatten aber von den „Roten" gelernt, daß die Zeit der Individualisten und der kleinen Cliquen vorbei war und daß sich auch das Verbrechen im Lager organisieren mußte. In der zweiten Jahreshälfte 1941 wurde das Leben auch für die „Roten" unmittelbar härter. Das hatte unterschiedliche Gründe und lag nicht nur an jener Solidaritätsaktion für die ersten ankommenden russischen Kriegsgefangenen, die Walter Bartel im Sommer 1945 als Generalursache darstellte (vgl. Dok. 1.6). Auch eine Rolle spielte, daß die Korruptionsherrschaft des Lagerkommandanten Koch selbst innerhalb der SS umstritten war und im Zuge seiner Ab37
Vgl. zur neuen Dimension der SS-Verbrechen in dieser Phase zusammenfassend Stein, Juden, a.a.O., S. 107 ff.; Katalog, a.a.O., S. 111 ff.; BW-MuV, S. 300 ff.
1.2 Nichtangriffspakt und Häftlingskrieg
39
Schiebung nach Lublin im Winter 1941/42 alte Beweise vernichtet wurden und neues Personal kam. Nach dem Bericht von Kogon38 ließ Koch die beiden Kapos des Krankenbaus, Krämer und Peix, von denen er seine Syphilis hatte kurieren lassen, als Mitwisser beseitigen, wodurch diese Schlüsselstelle zur Schonung und Rettung von Kadern fur einige Monate den Kommunisten entglitt. Verhängnisvoller sollte sich auswirken, daß einer der neuen Lagerfiihrer, Obersturmführer Wolfgang Plaul 39 , der andernorts mit „Grünen" zusammengearbeitet hatte und jetzt wohl einen Ostfeldzug auch in seiner KZ-Etappe starten wollte, Busse als LA I wegen mangelnder Wirksamkeit absetzte und dafür den BV-Häftling Josef Ohles zum Lagerältesten machte. Denn dieser wollte die „rote" Vorherrschaft unter den Häftlingen insgesamt brechen und zog nun mit 76 anderen „Grünen" ein System von Spitzeln und Provokateuren auf. 40 Der neue Lagerälteste hatte den schwachen Punkt der Kommunisten erkannt: er konnte nicht in mangelnder Funktionserfullung oder einzelnen Disziplinverstößen gesucht werden, denn in der Gewährleistung von Ordnung und Disziplin waren sie im KZ unübertroffen. Der schwache Punkt war der Krieg und die Politik. Dabei konnte man von den nie ganz ausgestandenen Führungsrivalitäten innerhalb der KPD lernen. Im Sommer 1941 hatte sich nämlich der mit seiner antizentralistischen Konzeption unterlegene Führer der sächsischen Gruppe, Walter Jurich, von seinen Leuten im Elektrikerkommando ein Radio zusammenbasteln lassen und die alte Devise, Wissen ist Macht, gegen die Macht in den eigenen Reihen ausgespielt. Er ließ seine Parteileitung voll in die Falle des Nichtwissens über den Angriff auf die Sowjetunion tappen. Dies mußte, die Autorität der „kleinen Stalins" im Lager nicht minder beschädigen, wie Hitlers Überfall die Autorität des großen Stalin bedrohte. Jurich wurde diszipliniert und mußte das Radio an die Zentrale abliefern (vgl. Dok. 1.6), die nun ihrerseits das Gehörte fur sich behielt, denn es war im Zuge des deutschen Vormarschs auf Moskau ja unerfreulich genug. In der Gerüchteküche des Lagers muß diese Geschichte im Sommer 1941 der Clou gewesen sein. Ohles stellte sie ein halbes Jahr später nach, um die kommunistische Fühningsschicht insgesamt zu diskreditieren, denn wenn ruchbar wurde, daß die Kommunisten im Lager nicht mehr die besten Ordnungsgaranten waren und mit Feindnachrichten hausieren gingen, mußte die Toleranzschwelle der SS angesichts des vor Moskau steckengebliebenen Ostfeldzugs überschritten sein. Der Plan muß anderen Ganoven eingeleuchtet haben, denn sie schufen ein arbeitsteiliges Syndikat, das sich ebenfalls ein Radio zu verschaffen vermochte. Sie begannen zu Dutzenden per Mundpropaganda unter den „Roten" die neuesten antifaschistischen Nachrichten und Losungen von draußen zu streuen, wobei sie sich der Dienste des seit dem 10.9.1941 aus Moskau sendenden „Deutschen Volkssenders" versichern konn38 39
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Kogon, SS-Staat,S. 305. Wolfgang Plaul (geb. 1909 in Freiberg in Sachsen), seit 1931 NSDAP und SS, war seit 1933 zunächst als SSUnterfuhrer in den KZ Sachsenburg, Sachsenhausen und seit 1939 Kommando- und dann Schutzhaftlagerfuhrer an der Wewelsburg, auf derselben Ebene war er dann in Buchenwald tätig. Soll für den SD gearbeitet haben. Gilt seit 1945 als verschollen. Zum folgenden vgl. ebenda, S. 312 ff., sowie Dok. 1.4; 1.5.4 f f , 1.6.
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1 Funktionshäftling und Funktionär
ten, der täglich unter der Losung „Hitler hat den Krieg begonnen. Hitlers Sturz wird ihn beenden!" die Tagesparolen der KPD-Exilführung ausstrahlte. Daraufhin wurden die „Roten", die diese Neuigkeiten weitergaben, von „grünen" Zinkern denunziert. Da die Gestapo dieselben Feindnachrichten abhörte, konnte sie deren Übereinstimmung mit den Neuigkeiten der „Roten" im Lager erkennen, ohne den „Roten" aber das Abhören von Feindsendern oder gar weitergehende organisierte Verbindungen nach draußen nachweisen zu können. Daraufhin Heß Plaul am 27.3.1942 summarisch 48 der bekannteren „roten" Funktionshäftlinge absetzen und in eine besonders harte Division des Strafkommandos stecken und den Parteiführer Kuntz in den Bunker werfen. Die freien Kapo-Stellen besetzte Ohles mit seinen Verschwörern. Einige der „Roten" blieben freilich übrig. So hatte der SS-Lagerarzt Hoven den ehemaligen LA I Busse als neuen Kapo in den Krankenbau geholt, als der Ersatz fur Krämer bei einer Schiebung erwischt worden war. Als Busse von Plaul in den Steinbruch geschickt werden sollte, entdeckte ihn Hoven, der bereits mit Krämer gut zusammengearbeitet hatte und dem ein Faible für Kommunisten nachgesagt wurde, durch Zufall am Lagertor und bekam ihn als unabkömmlich frei.41 Auch die beiden „roten" Lagerältesten, die unter Ohles im Amt geblieben waren, scheinen verschont geblieben zu sein. Der neue Lagerkommandeur, SS-Oberführer Hermann Pister 42 , hatte an dem Kapo der Friseure, dem Düsseldorfer Kommunisten Franz Eichhorn Gefallen und ließ sich täglich von ihm bedienen, wodurch der Barbier ihm gezielte Nachrichten stecken oder Vorschläge für Postenbesetzungen in der Selbstverwaltung machen konnte und von der Strafkompanie verschont blieb. 43 Daß das Elektrikerkommando der „Roten" das Radio der „Grünen" im Keller unter der Schreibstube geortet und diese bei der SS denunziert hatte, überlebte Ohles. Als aber Eichhorn bald darauf Ohles bei Pister denunzieren konnte, der sich herausgenommen hatte, als LA I einen SS-Befehl zu beglaubigen - offenbar etwas viel Schlimmeres, als mit Zinkereien 50 Kommunisten in ein Himmelfahrtskommando zu bringen - , mußte der „grüne" Lagerälteste in den Steinbruch und wurde dort schon am nächsten Tag, es war der 8.6.1942, von „roten" (und auch einigen nicht berücksichtigten „grünen") Häftlingen erschlagen. Auch fünf weitere seiner engsten Gefolgsleute ereilte alsbald dasselbe Schicksal. Lassen wir da41
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Dies berichtet Busse in der SMT-Untersuchung („X"). Vgl. auch die durchgestrichene Passage in Dok. IV. 5. Offenbar war es Busse später peinlich, daß er als abgesetzter LA I mitten in der Zinkerperiode wieder von der SS auf einen Schlüsselposten geholt wurde. Jedenfalls hat er in den Lebensläufen fur seine Kaderakte eingetragen, daß er damals auch in der Strafkompanie gewesen sei, und an anderer Stelle gesagt, daß er den problematischen Posten im Krankenbau auf Drängen der Partei übernommen habe. Hermann Pister (1885-1948), SS seit 1932, 1939-41 Kommandant des SS-Sonderlagers Hinzert (ein Speziallager für Bauarbeiter der Organisation Todt beim Autobahnbau mit mehreren Außen- und Polizeihaftlager), 21.1.1942-5.4.1945 Kommandant des KZ Buchenwald im Rang eines SS-Oberführers. 1947 vom USMilitärgericht zum Tode verurteilt und in der Haft verstorben. Eine biografische Studie über Pister fehlt; im Gegensatz zu seinem Vorgänger sind von ihm keine Extravaganzen bekannt. Sachkenner sehen in ihm und einigen der neuen Offiziere seines Stabes, wie SS-Hauptsturmfiihrer Albert Schwartz (geb. 1905), seit Ende 1942 Arbeitseinsatzführer in Buchenwald, Technokraten, die das KZ auf seine neue Rolle als Arbeitskräftereservoir einer SS-eigenen Rüstungsfertigung vorbereiten und dann den Häftlingsverleih an die Privatindustrie organisieren sollten. Tonbandinterview mit Franz Eichhorn von Ursula Junk (WDR-Sendung „Buchenwald" v. 13.4.1989).
13 Grenzen der Kaderschonung
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hingestellt, ob solche Geschichten zur „roten" Legende vom schwarzen Tölpel in der Kommandantur gehören, oder ob Pister jeder Anlaß recht war, das dysfiinktionale Syndikat zu beseitigen, ohne den „Roten" recht zu geben. Jedenfalls wurde das Strafkommando fur die „roten" Kapos drei Wochen nach Ohles Tod aufgelöst und nach und nach ihre „grünen" Nachfolger durch die bewährten Kräfte wieder ersetzt.44 Solche Details aus dem vielbeschworenen Krieg um die Lagerfuhrung zeigen, an welch dünnen Fäden die strukturellen Faktoren, die eine „rote" Vorherrschaft in der Häftlingsgesellschaft begünstigt hatten, in Krisenzeiten hängen konnten. Mit anderen Worten: jede Vorherrschaft, die sich der Selbstverwaltungsinstitutionen bediente, war eine durch und durch abgeleitete Herrschaft, die vor allem von den Bedürfnissen, aber auch von den Launen und Cliquenkämpfen innerhalb der SS 45 abhing.
1.3 Grenzen der Kaderschonung
Die rote Vorherrschaft in der Häftlingsgesellschaft, die sich während des Hitler-Stalin-Pakts konsolidiert hatte, schien also im Winter 1941/42 an ein jähes Ende gekommen. Die Botschaften, die sich den „Roten" aus dieser Zeit eingeprägt haben, forderten sie zu einem engeren organisierten Zusammenrücken auf, denn die SS entfaltete in dieser Zeit deutlich sichtbar eine Vernichtungsenergie, von der auch viele deutsche Kommunisten sich unmittelbar bedroht fühlten. Die Erfahrung der Strafkompanie fur die Masse ihrer Funktionshäftlinge schien ihnen zudem gezeigt zu haben, daß sie die nächsten sein konnten, wenn es ihnen nicht gelang, alle Führungsalternativen in der Häftlingsgesellschaft mit größter Abwehrenergie zu unterdrücken. Die durchlaufene Krise hatte einen „Schub an Gruppenegoismus"46 zur Folge,
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46
Diese Vorgänge sind anscheinend nicht mehr dokumentierbar. Sowohl die „grünen" Funktionshäftlinge aus der Zinkerperiode als auch die Wehrmachtsoffiziere unter den Häftlingen, die Pister und Wolff an ihre Stelle setzen wollten oder gesetzt haben, sind noch nicht einmal dem Namen nach bekannt. Auch die Datierung der Ernennung roter Kapos und Blockältester - von geringeren Funktionen wie Vorarbeitern, Stubendiensten, Bürokräften etc. ganz abgesehen - gelingt nur in wenigen Ausnahmefallen. Ihre Rekonstruktion aus Erinnerungsberichten ist mit großen Fehlerquellen behaftet. Da die Geschichte der SS in Buchenwald noch weitgehend unerforscht ist, erschließen sich solche Grundeinsichten eher aus ereignisgeschichtlichen Konstellationen, als daß sie auch für den Lageralltag bereits im einzelnen nachgewiesen werden könnten. Ein Ausdruck von Harry Stein, dem ich an dieser Stelle fur zahlreiche kritische Hinweise besonders zum konzeptionellen Verständnis der Jahre 1941/42 anhand einer früheren Version dieses Textes danken möchte, ohne ihn mit einer Mitverantwortung an meiner Interpretation zu belasten. (L.N.) Eine der Folgen des Bedrohungsgefiihls der kommunistischen Häftlingen 1941/42 scheint gewesen zu sein, daß das Anlaufen einer Gewehrfabrikation beim Lager von den Häftlingen benutzt wurde, sich insgeheim eine - im Verhältnis sehr geringe - Anzahl an Waffen zu besorgen und jüngere Genossen in ihrem Gebrauch zu unterweisen. Daraus ist später eine mehrjährige strategisch geplante Internationale Militärorganisation zur Vorbereitung der Selbstbefreiung konstruiert worden - das wirkt ohne alles Augenmaß, wenn es vielleicht auch half, den Tatendrang jüngerer Häftlinge in ei-
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/ Funktionshäftling und Funktionär
sie stärkte den Wunsch nach schützender Organisation und entlastete das Gewissen bei der Ausübung ordnender Gewalt im KZ. Als Überlebensgemeinschaft mußte sich danach die KPD in der Organisierung und Disziplinierung des Lagers bei der SS unentbehrlich machen, denn als einziges deutsches Kollektiv verfügte sie aus ihrem Herkommen über drei dafür wesentliche Ressourcen: arbeitsteilige Disziplin, Verbindungen zu ihrerseits organisationsfähigen Zellen in den anderen Nationalitäten im Lager und ein breites Angebot von ausgebildeten Facharbeitern für Vorarbeiterfunktionen in vielen Branchen. Und in der Tat wuchs 1942/43 durch eine Neubestimmung der Funktion der KZs der Bedarf der Lagerführung nach zuverlässigen, kompetenten und untereinander organisationsfahigen Funktionshäftlingen.
1.3.1
Kaderschonung in der Zwangsarbeiterverwaltung
1942 sollte sich die innere Struktur der Konzentrationslager im Reich grundsätzlich ändern. Es brach nun eine Phase an, von der die Kommunisten, die von Anfang an im Lager gewesen waren, erschreckten Neuankömmlingen sagten, sie hätten erst die Qualen der Frühzeit miterleben müssen, um zu erkennen, daß Buchenwald jetzt ein „Sana" sei, ein Sanatorium.47 Jorge Semprun, der diese Auskunft erinnert, war ein spanischer Kommunist aus der französischen Resistance, der 1944 ins KZ Buchenwald eingeliefert worden war und die Komplexitäten des letzten Jahres in der Arbeitsstatistik kennenlernte, wo ihn die deutschen Genossen untergebracht hatten. Vom Kapo der Arbeitsstatistik, Willi Seifert, der im Lager erwachsen geworden war und nun mit 29 Jahren den wichtigsten Posten im Lager, auf den die Häftlinge Einfluß hatten, bekleidete, hat er ein außerordentliches Charakterbild persönlicher Autorität und Führungseigenschaften gezeichnet, angsteinflößend und respektgebietend zugleich.48 Seifert war kein Mann der Reden und Erklärungen, sondern ein Tatmensch des geringeren Übels - denn zwischen anderem zu wählen, hatte das Lager ihm keine Gelegenheit gegeben - , und bei aller jungenhaften Erscheinung, die er bis ins höhere Alter behalten sollte, hatte er von früh an den Blick fürs Wesentliche in den Konstellationen purer Macht erworben. Das Feld, in dem er seit 1942 agierte, hat er 49 im Bericht der Arbeitsstatistik vom April oder Mai 1945 (vgl. Dok. 1.5.2) in zwei Stichworten mit lakonischer Kürze umrissen:
47 48 49
ne Disziplin zu lenken, die verhinderte, daß aus dreijähriger Bewaffnung auch nur einem einzigen SS-Mann Schaden erwuchs. Semprun, a.a.O., S. 45. Ebenda, Kap. Eins, S. 23 ff. Semprun beschreibt hier auch die Arbeitsräume der Arbeitsstatistik, in denen Seifert damals 1944 insgesamt 74 Kommandierte beschäftigte, darunter 28 Tschechoslowaken, 24 Deutsche, je 7 Polen und Sowjetbürger, 3 Franzosen, zwei Österreicher und je einen Holländer, Belgier und Spanier. Verfasser könnte auch der Stellv. Kapo Herbert Weidlich, der fünf Jahre ältere Assistent Seiferts, gewesen sein, der in einem späten Erinnerungsbericht im BWA erwähnt, Seifert sei bereits im Sommer 1941 von der Parteileitung in die Arbeitsstatistik geschickt worden und habe sich deren Intemationalisierung ausbedungen.
1.3.1 Kaderschonung in Zwangsarbeiterverwaltung
43
„1. Wandlung vom bloßen Vemichtungs- und Konzentrationslager der den Nazis als unsicher und ihnen direkt gefahrlich erscheinenden Elemente zum Zwangsarbeitslager. 2. Vom brutalen Einzelmord zum Massenmord und der damit notwendig gewordenen Organisierung gegen die SS. Eroberung von Schlüsselstellungen, besonders der Arbeitsstatistik und Ausschaltung von SS-hörigen Häftlingen." Als er mitten im Häftlingskrieg Anfang 1942 „als Bindeglied" und als „Beauftragter" (der Reste der illegalen KPD-Führung) in die Arbeitsstatistik geschickt worden sei, sei es darum gegangen, dort Schritt für Schritt eine „internationale Basis" (unter Einschluß der Juden) aufzubauen, um „dem Lager in seiner Gesamtheit zu helfen, ohne Rücksicht auf Einzelschicksale". Ein unbekannter 27jähriger Parteibeauftragter fühlte sich also - wenn wir seinem späteren Zeugnis denn glauben dürfen berufen, den Überlebenswillen des ideellen Gesamthäftlings ohne Rücksicht auf Einzelschicks^le zu vollstrecken und glaubte, daß er in dem Büro mit dem unscheinbaren Namen „Arbeitsstatistik" dafür eine Schlüsselstellung erobert hatte. Zumindest in der zweiten Einschätzung hatte er recht. Zur selben Zeit, als in Buchenwald die während des Hitler-Stalin-Pakts herangewachsene breite Schicht der „roten" Kapos gestürzt wurde, aber Busse und Seifert in ihre Schlüsselstellungen einrückten, wurde im März 1942 im Führerhauptquartier die Generalmobilmachung des Arbeitsmarkts für die Rüstungsindustrie erörtert und im wesentlichen auf die Gewinnung von Fremd- und Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten abgestellt. Himmler wurde beauftragt, sein Terrorimperium umzuorganisieren und die Arbeitskräfteressourcen der Konzentrationslager auf dieses Prioritätsziel hin zu mobilisieren. Er selbst wollte zwar diesen Auftrag nutzen, um in den Lagern eine SS-eigene Rüstungsproduktion aufzuziehen, wofür Buchenwald mit seiner angelagerten Gewehrfabrik ein Modell werden sollte. Als dieses Modell aber am Widerstand der Privatindustrie, die den Transfer ihres technischen know-how verweigerte, aufs Ganze gesehen scheiterte, setzte sich mehrheitlich das umgekehrte Modell durch, nämlich die KZ-Häftlinge zur Auslastung der Rüstungskapazitäten der Privatindustrie in sog. Außen- und Arbeitskommandos an deren Standorte zu bringen. Dadurch wurden die Stammlager zu einem Durchlaufbetrieb, um einen jeweiligen Archipel von privatwirtschaftlich genutzten Klein-KZs - der sich im Falle Buchenwalds quer durch die Mitte Deutschlands von Leipzig bis ins Ruhrgebiet erstreckte und im thüringischen Umfeld verdichtete mit einem Nachschub von Arbeitssklaven zu versorgen. Und da der Rüstungseinsatz der Häftlinge „im wahrsten Sinne erschöpfend" sein sollte, die eingesetzten Menschen also bald „vernutzt" waren, wurde immer neuer Nachschub durch massenweise Einlieferungen in die KZs bereitgestellt. Im wesentlichen konnten sie nicht auf dem durch Militärgestellungen und die Aufblähung der Rüstungsindustrie leergefegten deutschen Arbeitsmarkt eingefangen werden, sondern mußten-jenseits der regulären Fremdarbeiterrekrutierung - aus den kolonialen Reserven des Reiches im Krieg gepreßt werden. 50 Dafür gab es verschiedene Quel50
Vgl. Pingel, a.a.O., S. 123 ff.; einige der zentralen Dokumente sind abgedr. in BW-MuV, S. 248 ff.; zur forcierten Rekrutierung von Fremdarbeitern vor allem im Osten seit der zweiten Jahreshälfte 1941 als allgemeiner Hintergrund der spezielleren KZ-Politik vgl. Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „AusländerEinsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1985, Kap. VI ff.
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1 Funktionshäftling und Funktionär
len: regulär rekrutierte Fremdarbeiter, die wegen Verweigerung der ihnen auferlegten drakonischen Arbeitsdisziplin im Reich in abschreckende Arbeitserziehungslager oder gleich in KZs eingeliefert wurden; diejenigen rassisch Verfolgten (d.h. vor allem Juden, Zigeuner und slawische Oberschichten), deren Vernichtung unter dem Gesichtspunkt ihrer Ausbeutbarkeit zurückgestellt worden war; Kriegsgefangene vor allem aus dem Ostfeldzug, in dem man sich an keine internationalen Konventionen gebunden fühlte, und Gefangene aus dem sog. Bandenkrieg, soweit die Partisanen nicht sofort exekutiert worden waren; Personen aus den besetzten Gebieten, die politisch, polizeilich oder sonstwie auffallig geworden und dadurch in den Zugriff von SS, Gestapo u.a. Terroragenturen geraten waren; und schließlich, wenn auch in weniger ergiebigen Kopfzahlen, jene Deutschen, die bei der Gestapo denunziert oder schon früher in ihre Karteien geraten und wieder in den frühen Phasen der KZs entlassen worden waren und nun im Krieg, besonders dann später nach dem 20. Juli 1944, erneut verhaftet werden konnten. Außerdem gab es ein ständiges Geschiebe von vielen hunderten und manchmal tausenden von Häftlingen zwischen den einzelnen Stammlagem der verschiedenen KZ-Archipele, die besonders viele Opfer kosteten und deren bürokratischer Zweck noch kaum erforscht ist; erst am Ende des Krieges ist dieser Zweck klar: die jeweils frontnächsten KZs sollten evakuiert werden, teilweise um den menschlichen Rohstoff an anderem Ort noch weiter verwerten zu können, teilweise um die Verbrechensbelege nicht in die Hände des Kriegsgegners gelangen zu lassen. In Buchenwald gab es von 1942 an alle drei Varianten: das Stammlager mit seinen der Eigenversorgung dienenden internen Werkstätten, Einrichtungen und Betrieben; angrenzende SS- und semiöffentliche Rüstungsbetriebe, die aufgebaut und beschickt werden mußten und von denen die modern und großzügig angelegten GustlofF-Werke II gleich neben dem Lager ein größeres Territorium beanspruchten als das Lager selbst, aber bald nach ihrer Fertigstellung Mitte 1944 durch ein alliiertes Bombardement ausgeschaltet wurden; und eine große Anzahl von Außen- und Unterkommandos in Mittel- und Westdeutschland, von denen der Suchdienst des Roten Kreuzes in der Nachkriegszeit über 130 nachgewiesen hat und unter denen das Außenlager Mittelbau-Dora bei Nordhausen, dessen Häftlinge Kali-Bergwerke in unterirdische Raketenfabriken ausbauen sollten, so bedeutsam und umfangreich wurde, daß es am 1.11.1944 zu einem eigenen KZ „erhoben" wurde, d.h. zu einem eigenen Archipel wurde, von dem aus Häftlingseinsätze in fast 30 weitere Außenkommandos, vor allem in Nordthüringen, erfolgten. 51 Seit Frühjahr 1942 sind in den drei verbleibenden Jahren fast zweihunderttausend Menschen durch Buchenwald gegangen oder verwaltet worden, ungefähr funfinal so viele, wie in den fünf Jahren seit der Errichtung des Lagers 1937 in dieses eingeliefert worden waren. Dabei verblieb die Lagerstärke 1942 bei unter 10.000 Häftlingen, stieg im ersten Halbjahr 1943 auf ca. 15.000, um sich im zweiten Halbjahr mehr als zu verdoppeln und von 1944 auf 1945 51
Vgl. Internationaler Suchdienst des Roten Kreuzes (Hg.): Vorläufiges Verzeichnis der Konzentrationslager und deren Außenkommandos sowie anderer Haftstätten unter dem Reichsfuhrer-SS in Deutschland und deutsch besetzten Gebieten (1933-1945), Arolsen 1969, S. 24 ff.
1.3. J Kaderschonung in Zwangsarbeiterverwaltung
45
noch einmal - inklusive aller Außenkommandos - von ca. 40.000 auf ca. 80.000 emporzuschnellen. Das Weimarer Stammlager selbst wuchs in dieser Zeit von einer Größenordnung von 10.000 Häftlingen auf das dreifache. 52 In den Erinnerungen der Häftlinge lag in dieser Zeit ständig der süßliche Geruch des Rauchs aus dem Schornstein des Krematoriums über dem Lager; die höchste Verbrennungskapazität seiner sechs Öfen wurde auf 300 bis 400 Leichen pro 24 Stunden geschätzt (vgl. Dok. 1.3). Sie wurde in den letzten Wochen des Lagers erreicht und überschritten. Die Zahl der im Zuständigkeitsbereich des KZ Buchenwald getöteten und verstorbenen Häftlinge wird auf eine Größenordnung von ca. 50.000 geschätzt; ins Sterbebuch des Standesamts Weimar II wurden zwischen 1937 und März 1945 33.791 Buchenwalder Häftlinge eingetragen. Wieviele deutsche Kommunisten jemals in Buchenwald waren, wissen wir nicht. Überlebt haben den April 1945 796 Genossen, von denen die damalige Parteiüberprüfung 626 als ordentliche Mitglieder feststellte.53 Die SED hat später versucht, ihre Toten in Buchenwald namentlich auszumachen und verzeichnete 115 Opfer, darunter 72 frühere Kommunisten und 14 frühere Sozialdemokraten. Wie die restlichen 29 Toten, die parteilos waren oder fur die keine Angaben vorlagen, der Tradition der SED zugerechnet werden konnten, ist nicht bekannt. Die Liste verzeichnet unter diesen 115 Toten in den knapp acht Jahren, in denen das KZ Buchenwald bestand, einen Selbstmord und 17 Kommunisten sowie 7 Sozialdemokraten, die durch unmittelbare Gewalteinwirkung wie Erschießung, „Vernichtung" oder Exekutionen durch den Strang zu Tode kamen. 54 Diese Zahlen beschreiben einen außerordentlichen Erfolg der KPD als Überlebensgemeinschaft im KZ. 55 Obwohl sie in den Anfangsjahren des Dritten Reiches als die Hauptgegnerin des Regimes galt und in der Verhaftungspraxis der Gestapo und SS auch so behandelt worden war, war es ihr zumindest in Buchenwald gelungen, ihre Funktionäre und Anhänger mit einem weit geringeren Blutzoll durch den Terror des Lagers zu bringen als ir-
52 53 54
55
Zahlen nach BW-MuV, S. 698 ff. Bericht über die Tätigkeit der Parteikontrollkommission der KPD Partei-Aktiv Buchenwald v. 27.4.1945, in: SAPMO-BA, ZPAI 2/3/154, Bl. 211 ff. (vgl. dazu 1.5). Ebenda, ZPA I 2/3/155, Bl. 4 ff. Die Liste ist vermutlich nicht vollständig, gibt aber zumindest eine Größenordnung, deren Kontrast zu den anderen Häftlingen auch dann noch augenfällig genug bliebe, wenn man (obwohl es dafür keinen Anhalt gibt) ihre Opferzahlen verdoppelte. Die verhältnismäßig höchsten Todesraten unter den Buchenwalder Kommunisten - in Klammern die Zahlen, bei denen der Name des Toten mit einem Vermerk wie „erschossen, vernichtet, gehenkt" versehen ist - liegen in den ersten Monaten des Jahres 1945 mit neun (2), sowie in den Jahren 1944 mit 15 (2) und 1940 mit 11 (3) Opfern. Dies deutet draufhin, daß auch bei den Kommunisten die allgemeine gesundheitliche Zerrüttung und die Seuchengefahr im Lager die meisten Opfer kosteten. Geht man von einer durchschnittlichen Belegungsstärke des Lagers zwischen 1938 (ca. 2.500) und 1945 (ca. 80.000) von ca. 15.000 Häftlingen aus, die vor dem Juni 1943 niemals erreicht wurde, so beträgt die Rate auch nur der registrierten Toten - bezogen auf die durchschnittliche Lagerstärke - über 200 % und bezogen auf den End-Häftlingsbestand knapp 50 %. Unterstellt man, daß 1939 mehrere hundert Kommunisten aus dem KZ Buchenwald entlassen wurden und schätzt deshalb ihre Lagerstärke (viel zu hoch) auf durchschnittlich 1000, so lauten die Vergleichszahlen über 7 % (bezogen auf die durchschnittliche Lagerstärke) bzw. unter 10 % (bezogen auf den End-Häftlingsbestand). Solche Rechnungen sind ebenso ungesichert wie grausig. Sie sollen hier auch nur einen (zugegebenermaßen rohen) empirischen Anhalt für die obige Feststellung bieten (vgl. auch Dok. 1.2).
46
I Funktionshäftling und Funktionär
gendeine andere der Häftlingsgruppen. Das Geheimnis dieser Kaderschonung hieß Selbstverwaltung und Opfertausch. 56
1.3.2
Disziplin und Privileg
Der Krieg „Grün" gegen „Rot" in Buchenwald 1942 schien zunächst auf einen Pyrrhussieg der „Roten" hinauszulaufen: Die kurzzeitige Machtübernahme der „Grünen" war zwar gescheitert, aber die Masse der „roten" Kader wurde in der Sonderabteilung der Strafkompanie festgehalten und gequält. Für das Frühjahr 1942 verzeichnet die Buchenwalder Totenliste der SED allerdings nur sozialdemokratische Opfer. Offenbar ist es der KPD gelungen, die Repression der SS damals ohne Todesopfer durchzustehen. Obwohl die SS angesichts der neuen Aufgabenstellung, das Lager in eine Etappe spezialisierter industrieller Zwangsarbeit umzuwandeln, ohne eine funktionsfähige innere Lagerordnung völlig überfordert gewesen wäre, kam ein sofortiger spektakulärer Rückgriff auf die guten Erfahrungen, die man mit den Kommunisten während des Hitler-Stalin-Pakts gemacht hatte, nicht in Frage. Der neue Lagerkommandant Pister versuchte vielmehr zunächst, die Disziplin durch den Einsatz von Wehrmachtsoffizieren in der Selbstverwaltung herzustellen und setzte den straffällig gewordenen jüdischen Reserveoffizier Fritz Wolff, der als politischer Häftling klassifiziert war, als LA I ein. Für die deutschen Kommunisten war er ein Übergangskandidat, der zunächst auch mit ihnen zur Zusammenarbeit bereit schien 57 , zumal er zwei kommunistische Stellvertreter vorgefunden hatte. Außerdem wurde die Sonderkompanie für die roten Kapos nach einigen Wochen aufgelöst, ihr Führer aus dem Bunker entlassen und die „grünen" Funktionshäftlinge aus der Zeit von Ohles Schritt fur Schritt wieder durch „rote" ersetzt 58 , weil der Sachzwang der neuen Aufgabenstellung des KZ stärker war. Offenbar wollte sich Wolff aber nicht völlig zum Vollzugsorgan der ihn umgebenden „roten" Funktionshäftlinge machen lassen, und manches spricht dafür, daß auch sein Stellvertreter Bechert, obwohl selbst Kommunist, die
56
57 58
Die miteinander verschränkte Problematik von Rettungsabsicht, Selektivität, Mittäterschaft, Privilegierung und Instrumentalisierung hat sich zur selben Zeit in den in der jüdischen Welt stark diskutierten Judenräten oder Judenältesten, die Heydrich seit 22.9.1939 in Polen durch die Einsatzgruppen bei der Vorbereitung des Holocaust bilden ließ, zugespitzt. Vgl. z.B. Bernard Klein: The Judenrat, in: Jewish Social Studies 22 (1960) Η. 1, S. 6784; I. Trunk: Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York 1972; Dan Diner: Jenseits des Vorstellbaren - der Judenrat als Situation, in Jüdisches Museum Frankfurt (Hg.): „Unser einziger Weg ist Arbeit". Das Getto Lodz 1940-1944, Wien 1990, S. 32-40; sowie die Artikel Judenrat und Judenpolizei von Aharon Weiss in Enzyklopädie des Holocaust, a.a.O., Bd. 2. Jedenfalls soll es sogar mehrere Gespräche mit dem Parteichef der illegalen KPD Kuntz gegeben haben, vgl. Dok. 1.5.5. Verstreute Bemerkungen in den Vernehmungen und Erinnerungen legen nahe, daß die meisten der Funktionshäftlinge der sog. „Zinkerperiode" der „roten" Feme verfielen und auf unklärbare Weise das Lager nicht überlebt haben.
1.3.2 Disziplin und Privileg
47
Weisungen seiner Parteileitung ignorierte, so daß man ihn im Krankenbau „offiziell" an Typhus" sterben ließ. Wolff wurde auch von einer im Zuge der Arbeitskräftemobilisierung fur die innerdeutsche Industrie neu ins Lager gekommenen Häftlingsgruppe umworben, nämlich Polen aus dem KZ Auschwitz. Sie hatten dort eine ähnlich dominierende Stellung in der Häftlingsgesellschaft eingenommen wie die „Roten" in Buchenwald und versuchten nun hier, ebenfalls Einfluß auf die Selbstverwaltung zu erlangen. Sie sollen Wolff aufgrund seiner homosexuellen Neigungen gefällig gewesen sein; ob die Zusammenarbeit nun, wie ein kommunistischer Bericht suggeriert, auf dieser Ebene eingeleitet wurde oder ob es aus ethnischer Affinität dazu kam, denn die Mehrheit der Polen aus Auschwitz waren Juden, können wir nicht wissen. Als Wolff sich aber aus seiner „roten" Umrahmung frei machen wollte und Ernst Brand von der illegalen Parteileitung der KPD mit der Denunziation seiner konspirativen Rolle bei der SS bedrohte, lancierten die „Roten" bei der SS das Gerücht eines bevorstehenden polnischen Aufstandsversuchs, fur den sich Wolff aufgrund seiner Abhängigkeit gebrauchen lasse. Die SS schickte Wolff daraufhin in ein Außenkommando nach Peenemünde, wo er bald umgekommen sein soll. Außerdem startete die SS einen Mordzug gegen Polen, von denen viele im Krankenbau und in der Fleckfieberstation von SS-Ärzten mit Giftspritzen getötet worden sein sollen. In der nicht von Kommunisten beherrschten Fleckfieberstation konnten - nach Kogons Bericht59 - noch mehrere von ihnen gerettet werden. Damit war der Weg frei fur Erich Reschke, zum LA I zu avancieren. Wie erinnerlich, war er während des Hitler-Stalin-Pakts zum ersten Mal in die Lagerleitung gekommen und hatte als einziger Kommunist die ganze (von den Kommunisten sog.) „Zinkerperiode" im Amt überdauert. Wie er während dieser turbulenten Phase des inneren Lagerregimes das Vertrauen sowohl der SS als auch der KPD behielt, ist sein Geheimnis geblieben. Busse hat jedenfalls später vor dem sowjetischen Untersuchungsbeamten erinnert, sie von der illegalen Parteileitung hätten mit ihm zusammengearbeitet, und Reschke habe alle Befehle der SS „pünktlich" durchgesetzt. Er stand fur die akkurate Einhaltung der Lagerordnung der SS, die er mit Geschrei, zuweilen auch mit Schlägen oder den wirksameren Massenstrafen, wie Sonderappelle oder überlanges Appellstehen erzwang, weil dann die Disziplin ohne Denunziation von den Häftlingen selbst gegen Abweichende in ihren Reihen durchgesetzt wurde. Wohl als Konsequenz aus der „Zinkerperiode", in der „grüne" Rollkommandos die „Roten" eingeschüchtert und die Juden erpreßt hatten, wurde zu Reschkes Amtsantritt auch bei der SS die Erlaubnis zur Aufstellung einer Häftlingspolizei mit primitiver Bewaffnung unter der Führung eines schwäbischen RFB-Führers erwirkt: der in der Folge bald ausgeweitete und dann auch noch um Ergänzungen wie Feuerwehr und Bergungstruppe erweiterte „Lagerschutz" (vgl. Dok. 1.5.3). Obwohl darunter auch einige Schlägertypen waren, und die „Roten" das Schlagen unter den Häftlingen unterbinden wollten, genoß der Lagerschutz unter den „Roten" Respekt 60 und dürfte allgemein das Sicherheitsgefiihl der deutschen Häftlinge verstärkt haben, die nun immer mehr zu einer kleinen Minderheit wurden. 59 60
Vgl. Dok. 1.4 sowie Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 313 f. In den Vernehmungen von 1946 (Dok. II.4 ff.) wird er durchweg grundsätzlich gutgeheißen.
48
I Funktionshäftling und Funktionär
Nach Busses Zeugnis war der Amtsantritt Reschkes auch mit einem spürbaren Ausbau des Privilegiensystems fur die Schicht der Ältesten und Kapos verbunden.61 Sie waren von der Lagerordnung ausgenommen und brauchten nicht Handarbeit zu leisten, sondern nur zu beaufsichtigen. Sie mußten nicht Sträflingskleidung zu tragen, sondern trugen Zivilkleidung, die sie sich in der Schneiderei anmessen lassen konnten. Sie bekamen gute Anzüge von in Auschwitz vergasten Juden. Sie lebten in gesonderten Räumen. Sie erhielten besondere Rationen, und da die roten Kapos nun auch vollends die Magazine und Küchen übernahmen, konnte auch über solche Rationen für die parteilichen Hintermänner der Kaposchicht etwas abgezweigt werden. Woraus sich die Parteikasse ganz gut auffüllte, wenn nicht aus dem Eigentum ankommender Häftlinge oder den Effekten von „Abgängen", ist nicht recht klar. Bartel erwähnt aber, daß die regelmäßige Versorgung der Genossen mit Zigaretten wohl einen großen Posten ausmachte. Die SS schenkte Reschke zu seiner Beförderung einen großen Hund zum Selbstschutz, und dieser trennte sich nie von seiner „Bella". Ob das Lagerbordell 1943 von der SS bevorrechtigt für die Kaposchicht oder als Gratifikation für besonders tüchtige Häftlinge in der Rüstungsindustrie eingerichtet wurde, ist unter den Vernommenen umstritten. Mehrere Kapos gingen jedenfalls gern hin, und es erscheint nach Reschkes eigenem Zeugnis (vgl. Dok. II.5.12) zweifelhaft, ob er - wie Kogon berichtete 62 -von der SS gezwungen werden mußte, es zu seiner Eröffnung als erster zu benutzen. In der Partei war das Bordell jedenfalls ein Streitpunkt ersten Ranges, teilweise aus Mitge-
61
62
Auch den Kapo des Buchenwalder Krankenhaus darf man sich nicht als hungerleidenden Tragenschlepper im Sträflingszebra vorstellen, sondern-und das gilt in den Jahren seit Anfang 1942 zunehmend - eher in der Dienstleistungsfunktion eines Verwaltungsdirektors eines ständig überforderten Krankenhauses. Für ihn gilt die Lagerordnung nicht; er und die seinen müssen nicht zum Appell, sondern führen die Zählung intern durch. Er hat ein Zimmer fur sich und arbeitet auf einem Louis-Seize-Stuhl, er trägt einen guten Anzug oder im Dienst einen Arztkittel; er muß und kann sich sauberhalten. Im Krankenbau gibt es natürlich ein WC. Die Revierküche versorgt ihn mit - ihm amtlich zustehenden - Sondenationen, unter denen auch Butter und Weißbrot nicht fehlen. Er beaufsichtigt ein Personal von Dutzenden von anderen Häftlingen, von den Häftlingsärzten abwärts über zig Pfleger und das Personal der reviereigenen Küche bis zu einem persönlichen Laufburschen, obwohl er auch Telefon hat, und er scheint auch ziemlich freie Hand darin zu haben, dieses Personal auszuwählen und einzustellen. Mit anderen Häftlingen zusammen plant er Neubauten des Reviers und organisiert deren Ausstattung, und gelegentlich sieht er auch etwas von der Außenwelt, wenn er mit SS-Dienstgraden zusammen Beschämungen in den umliegenden Städten macht. Daß er dabei, wenn auch sehr selten, seine Freundin sehen darf, ist eine sonst kaum gekannte Vergünstigung; daß sie ihn sogar einmal im Krankenbau besuchen darf, ist so außergewöhnlich, daß es ihn unter den Genossen und Kameraden in Verruf bringt. Daß SS-Leute gelegentlich einen Gruß oder ein Päckchen an Verwandte zustellen, kommt eher vor. Nur einmal - im Winter 1944/45 - scheint ihm allerdings gestattet worden zu sein, seinen Geburtstag im Kreis von einem Dutzend Kameraden zu feiern - es gab Hasenbraten, Schnaps und Bier. Vergleicht man eine solche Skizze mit den tausendfach bezeugten und vielfach publizierten Lebensbedingungen der gewöhnlichen Häftlinge und besonders der Osteuropäer und der Juden (vgl. z.B. Dok. 1.5.7 oder auch V.4.8), so wird deutlich, was H.G.Adler, Selbstverwaltung , a.a.O. in einer ausgezeichneten vergleichenden Analyse meint, wenn er S. 227 zusammenfaßt: „Als unmittelbare Folge der Selbstverwaltung erreichten die sozialen Gegensätze im Lager Ausmaße, wie sie eine normale Gesellschaft nie aufzuweisen hat", und dafür drastische Beispiele - allerdings von BVer-Kapos aus Auschwitz - zitiert. Auch Kautsky, a.a.O., S. 198 f. betont, daß die realen Unterschiede zwischen Kapo und Muselmann im KZ alle, selbst die extremsten sozialen Gegensätze in einer zivilen kapitalistischen Gesellschaft bei weitem überträfen. Vgl. Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 194 ff.; Semprun, a.a.O., S. 361 ff.
1.3.2 Disziplin und Privileg
49
fühl mit den aus dem KZ Ravensbrück herbeigeschafften Frauen 63 , teilweise aus Sicherheitsbedenken, teilweise aus moralischen Bedenken und weil in einem Lager von vielen Tausend Männern der beim Revier gelegene Sonderbau mit seinen Dutzend Frauen zum Brennpunkt aller möglichen Phantasien und Korruptionen werden mußte. Indessen faßte die Partei keinen Beschluß, den Besuch des Bordells zu untersagen, weil sie wußte, daß dessen verbreitete Nicht-Befolgung durch Funktionäre nur die Parteidisziplin untergraben mußte (vgl. Dok. 1.6; II.4 ff.). Der Besuch des Bordells war Reichsdeutschen vorbehalten; Ausländer (später: Russen) und Juden hatten keinen Zutritt. Bei Reschkes Amtsantritt kurz nach der Kriegswende in Stalingrad faßten nicht nur mutlos gewordene Kommunisten wieder Zuversicht, sondern die Struktur der Häftlingsgesellschaft hatte sich mit dem Funktionswandel des KZ nachhaltig verändert. Selbst im Stammlager auf dem Ettersberg waren die deutschen (einschließlich der österreichischen) Häftlinge jeder Couleur - die sich nach Möglichkeit dem Transport in meist gefährliche, vereinzelnde und häufig einfach unbekannte Außenkommandos entzogen und deshalb im Stammlager konzentrierten - zu einer Minderheit von etwas über 15 Prozent geworden. Dagegen waren damals mehr als doppelt so viele Franzosen und auch deutlich mehr Tschechen als Deutsche in Buchenwald. Der Rest verteilte sich auf fast alle europäischen Nationen, wobei vor allem die Russen und Jugoslawen noch größere Gruppen stellten. Dieser Trend sollte sich fortsetzen: Ende 1944 hatte sich die Belegung des Stammlagers auf 24.531 Häftlinge verdoppelt, die Deutschen und Österreicher waren nun unter 10 Prozent gefallen; die größte Gruppe waren die Franzosen mit allein ca. 40 Prozent, die mit den Belgiern zusammengenommen rund die Hälfte des Lagers ausmachten, gefolgt von den Slawen mit ca. einem Drittel, darunter die Tschechen mit ca. 15 und die Russen mit ca. 10 Prozent. Der im Frühjahr 1942 eingeleitete Funktionswandel hatte ein Jahr später voll auf die Lagerwirklichkeit durchgeschlagen. In der zweiten Jahreshälfte wuchs die Zahl der Außenkommandos rapide, und am Jahresende waren schon zwei Drittel der Buchenwald-Häftlinge in Außenlagern, außer Kapos und Vorarbeitern fast alles Ausländer. Obwohl sich auch die Häftlingszahl des Stammlagers im folgenden Jahr verdoppelte, blieb diese Relation 1944 etwa konstant. 64 Durch diese internationale Unterschichtung wurden die deutschen Häftlinge so etwas wie die Mittelschicht des Lagers, innerhalb derer die organisationsfähigen deutschen Kommunisten die Oberschicht und die Lagerprominenz stellten. Schritt fur Schritt ging die wachsende 63
64
Vgl. Christa Schulz: Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in Bordellen der Männerkonzentrationslager, in: Claudia Füllberg-Stolberg u.a. (Hg.): Frauen in Konzentrationslagern, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Bremen 1994, S. 135-146. Sie zitiert Dokumente, die belegen, daß die Bordelle seit 1942 in verschiedenen KZs und auch ausdrücklich in Buchenwald (seit Frühjahr 1943) von Himmler zur Abwehr von Homosexualität und vor allem als Akkordanreiz installiert wurden. Die SS-Amtskasse betätigte sich anfangs als Zuhälter und strich etwa die Hälfte des Liebeslohns ein; ab Frühjahr hat sie darauf verzichtet und dadurch den Bordellbesuch auf eine Mark verbilligt. Die Frauen waren überwiegend, aber keineswegs ausschließlich frühere Prostituierte, die als „Asoziale" ins KZ eingeliefert wurden und mit der Aussicht, nach 6 Monaten freizukommen, geködert und danach auf entwürdigende Weise von der SS selektiert worden waren. Die Verf. kommt anhand allerdings nur weniger Einschätzungen zu dem Schluß, daß die Bordelle hauptsächlich von BVern und politischen Funktionshäftlingen aufgesucht worden seien. Zahlen nach BW-MuV, S. 707.
50
I Funktionshäftling und Funktionär
Zahl der Vorarbeiter-, Kapo- und Ältestenpositionen an Mitglieder der KPD über, so daß ein Mitglied der Parteileitung am Tag nach der Befreiung sagen konnte: „Es gibt heute kein Lagerorgan mehr..., das nicht nach den Anweisungen der Partei arbeitet." (Dok. 1.2) Dieselbe Sprache wie die SS-Führer und Mannschaften zu sprechen war ein wesentlicher Vorteil, wenn es um deren Mäßigung, Korrumpierung oder auch nur um zweckgerichtete Anweisungen ging; dieselbe Sprache zu sprechen hieß aber auch, in der Wahrnehmung von 90 % der Häftlinge mehr mit der SS gemein zu haben als mit den nach Deutschland Verschleppten. Die kommunistische Lagerprominenz sprach aber nicht nur dieselbe Sprache, sie hatte auch einige Grundeinstellungen mit ihren Bedrückern gemeinsam. Es war nicht eine bewußte ideologische oder politische Kollaboration, auf die sich die Deutschen von links und rechts in der Beherrschung des Lagers der späteren Kriegsjahre einließen. Es findet sich aufs Ganze gesehen nichts in den in diesem Buch erschlossenen Quellen, was auf einen Verrat der Kommunisten an ihrer Sache schließen ließe, und für die Willkür und Grausamkeit der SS-Herrschaft in den Lagern finden sich auch gegenüber deutschsprachigen Kommunisten nach 1942/43 hinreichend Belege. Was sie unbewußt verband, konnte nur der sehen, der ihnen fremd war. Auf der allgemeinsten Ebene waren dies die deutschen Sekundärtugenden von formaler Ordnung und militärischer Disziplin, von Einordnungs- und Leistungsbereitschaft, die Verdrängung von Spontaneität, Natur und auch Spiel. Semprun hat in eindrucksvollen Bildern beschrieben, daß die wirklichen Russen und vor allem die jungen Ukrainer - die als der neue Mensch des Sowjet-Vaterlandes ideologisch doch eigentlich von den deutschen Kommunisten bewundert werden sollten - in Wirklichkeit ihr Anathema waren: undisziplinierbar, unberechenbar, wild, der Rückhalt des Schwarzmarkts im Lager, der Quell des Ausbruchs selbstzerstörerischer Gewalt unter den Häftlingen und ungewinnbarer Kämpfe gegen die SS. 65 In den Vernehmungsdokumenten dieses Bandes wird dieser Urkonflikt in der Verdrängung der Geschichte von Grigorij symbolisiert 66 , jenes russischen Soldaten, der den SSLeuten, die ihn, wie so viele andere russische Soldaten, umbringen sollten, zweimal entwischte: einmal über die Palisade des Krematoriums sprang, im Lager untertauchte, von den Ordnungskräften der von KPD-Leuten geleiteten Selbstverwaltung aufgespürt und ausgeliefert und nach abermaligem Ausbruch erneut von den deutschen Funktionären zusammengeschlagen und dann von der SS erschossen wurde. Grigorij war ein Symbol des irrationalen Aufstandes, das die unbewußt gemachte Einfügung in die Machthierarchien des Lagers in den Seelen der Mithäftlinge aufbrach - ein unvergeßliches Symbol für alle, die im Lager keine Mitverantwortung für seine Ordnung übernommen hatten. Daß Busse sich dieses Vorfalls, der im Frühjahr 1944 das Gespräch des Lagers für Wochen prägte, standhaft nicht erinnert (vgl. Dok. II.4), wäre mit dem Begriff des Leugnens verharmlost. Nach allen Quellen in diesem Band traf Busse an der Auslieferung des Russen keine persönliche Schuld. Aber keiner seiner Kameraden kann ihm glauben, daß er davon nicht gehört haben sollte. Wir treffen hier auf eine tiefere Verdrängungsebene als die der 65 66
Semprun, a.a.O., S. 90 ff. Vgl. Dok. II.2; Karl Barthel, a.a.O., S. 71 ff.
1.3.3 Opfertausch
51
Leugnung von Schuld. Was nicht wahrgenommen, was schon in der Wahrnehmung verdrängt wurde, kann nicht erinnert werden: Für Busse als einen der paradigmatischen roten Kapos der zweiten Kriegshälfte war das Symbol des Anderen, des sich angesichts des Todes chancenlos aufbäumenden Russen, einer jener tausend bedauerlichen Disziplinverstöße mit ihren unabwendbaren Konsequenzen, die man ihm schon genauer datieren und benennen müßte, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Zugleich ist Grigorij das Symbol einer politischen Überlebensschuld, gegen die die fuhrenden KPD-Funktionäre vom ersten Tag der Befreiung an zwanghaft angeredet und gegen die sie den kleinen symbolischen Aufstand der letzten Stunde, den sie tatsächlich gemacht haben und der als Symbol seine moralische Würde behalten hätte, über die Jahrzehnte zur generalstabsmäßigen Selbstbefreiung hochphantasiert haben.67 Angesichts der drohenden Todesmärsche bei der von der SS anbefohlenen Evakuierung des Lagers haben die Lagerfunktionäre der KPD im März und April 1945 auf Zeit gespielt und mit ihrer Vormacht unter der internationalen Häftlingsgesellschaft erzwungen, die Entsetzung des Lagers durch die Amerikaner über qualvolle Tage abzuwarten. Das war vernünftig genug, denn eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der SS, bevor die Amerikaner in Sicht und die Nazis auf der Flucht waren, hätte bei einer Waffenrelation von 50 zu 1 fur das gesamte Lager statt Befreiung den Untergang in der Götterdämmerung der Totenkopfverbände bedeutet. Die Vernunft, den Aufstand auf jenes symbolische Maß und auf jenen späten Zeitpunkt zu beschränken, an dem er gegen die Nachhut der abgezogenen und bereits von amerikanischen Tanks verfolgten SS gewonnen werden konnte, hatte aber Kosten. Die Macht der Kommunisten war nicht groß genug, zuvor die Evakuierung völlig hinauszuzögern, sondern nur sie entsprechend der Rassenhierarchie der SS zu rationieren: die Juden und die Slawen waren insofern die gefahrdetsten, und unter den sowjetischen Kriegsgefangenen, die dann auf die Todesmärsche geschickt wurden, war der Drang zum spontanen Aufstand groß gewesen. Die deutschen Genossen haben ihn verhindert, die Russen und viele Juden notwendigerweise preisgegeben und damit zwei Drittel des Lagers gerettet, darunter die eigenen Kader. Mit dieser Leistung zu leben war schwer, zumal für kommunistische Politiker unter russischer Besatzung. Mit der Legende der Selbstbefreiung haben sie sich entlastet.
1.3.3
Der Opfertausch
In den Dokumenten dieses Bandes gibt es keine ernstzunehmenden Belege einer rot-braunen Kameraderie in der entscheidenden Frage des Dritten Reiches, der Rassenideologie und ge67
Siehe beispielhaft BW-MuV, Kap. 5 „Die illegale Militärorganisation und die Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald". Es sei daran erinnert, daß am Ende der Dauerausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald fur die NVA werbende Großaufnahmen das Lemziel der Darbietung symbolisierten.
52
I Funktionshäftling und Funktionär
nauerhin des Rassenantisemitismus. Vor und während des Dritten Reiches hat die KPD Juden in ihre eigenen Reihen aufgenommen und wegen ihres meist höheren Bildungsgrades eher bewundert als diskriminiert. Ausweislich der Zeugnisse z.B. von Georg Krausz, Stefan Heymann und Emil Carlebach in diesem Band (vgl. Dok. 1.5.4; V.4.4 und 4.8), von denen die letzten beiden aus einer Zeit stammen, als der Spätstalinismus die antisemitischen Vorurteile des Georgiers in blockweite Repressalien auch und gerade gegen Kommunisten jüdischer Herkunft (als „Agenten des Imperialismus") losgetreten hatte, haben die Buchenwalder Kommunisten ihre Juden zu schützen versucht und auch etlichen nicht-kommunistischen, vor allem deutschen und westeuropäischen Juden geholfen. Das festzustellen, ist für die Geschichte Deutschlands im Dritten Reich wahrlich keine Selbstverständlichkeit, und es soll ob seiner Seltenheit auch nicht vergessen werden. Aber die Buchenwalder Kommunisten waren Deutsche. Was sie mit der SS teilten, waren nicht deren politische Ideologie und Ausmerzungsstrategien, sondern-wie die meisten Deutschen - der konventionalisierte alltägliche Sozialrassismus. Die Nazi-Begriffe „Berufsverbrecher" oder „Asoziale" gingen ihnen ohne Zögern von den Lippen, Zigeuner hielten sie wie die meisten Deutschen fur undurchsichtiges Gesindel, die konventionellen Stereotype der Deutschen über ihre Nachbarnationen waren den meisten von ihnen nicht bewußter als dem Rest der Gesellschaft, die Slawen waren ihnen um so fremder, je mehr sie sie am ideologischen Modell des neuen Sowjetmenschen maßen, und genauere (auch Sprach-) Kenntnis wie bei den Moskau-erfahrenen Funktionären der Kriegsfolgegeneration hat diese Fremdheit eher vertieft als gemildert. Und wenn den meisten Deutschen die Ostjuden als unerschöpfliche Immigrationsreserve des mitteleuropäischen Ganoventums erschien, warum sollten sie darin eine Ausnahme machen, hatten sie doch den scheinbaren Beweis in etlichen Juden unter den gegnerischen „Grünen" im Lagerkampf vor Augen, wie Carlebach in einem hier nicht aufgenommenen Bericht von 194568 illustriert. Das KZ hat die alltäglich latenten Vorurteile nicht durch eine Solidargemeinschaft aufgelöst, sondern sie in der Härte der Überlebenskonkurrenz im Lager aktualisiert und zu Ingroup-Outgroup-Identifikationen werden lassen, die in kritischen Situationen durchaus mörderische Konsequenzen haben konnten. 69 Der Opfertausch - neben der Disziplinverbürgung das Hauptinstrument der Kaderschonung der KPD im KZ - ist als konkreter Tatbestand in den meisten Erinnerungsquellen dieses Bandes gleichzeitig allpräsent und doch kaum greifbar. Hatte man sich einmal in die societas leonina des Verantwortungsethikers begeben und war dadurch in die Lage gekommen, Mithäftlinge vor Gefahren schützen und aus unmittelbarer Todesgefahr retten zu können - und das war der moralische Alltag in den Krankenrevieren, im Arbeitseinsatz, in der Transportverschickung und weniger ausgeprägt auch im Lagerschutz und erneuerte die Loyalität der konspirativen Klientelverbände und damit die Rettungsmacht selbst - , so war die Begrenztheit dieser Macht jedem Sehenden unter den Funktionshäftlingen nur allzu klar 68 69
BWA, Sammlung Otto Halle. Vgl. Semprun, a.a.O., S. 257 ff. für eine klassische Szene sowohl für den Opfertausch wie fiir den Ausbnich des Alltagsantisemitismus bei einem deutschen Kommunisten der Arbeitsstatistik, wo es im Kern immer um Tod und Leben ging.
1.3.3 Opfertausch
53
und damit die tragische Schuldverstrickung unausweichlich. Es ist leicht, sich im Komfort des Rechtsstaates die Hände in Unschuld zu waschen; aber es ist ein Selbstbetrug, die Augen vor den „Kosten" der Rettung zu verschließen. Gewiß hat es tolle Schwejkiaden auch gegenüber der SS in den Lagern gegeben, die nur genützt und nichts als Mut gekostet haben, etwa den legendären Austausch von Todeskandidaten in medizinischen Versuchsstationen gegen Karteileichen. Aber aufs Ganze gesehen, waren die Konflikte unter der Herrschaft der SS härter und unmittelbarer gewaltsam. Busse hat in der SMT-Untersuchung bezeugt 70 , was die anderen Quellen nahelegen: Wenn die SS-Ärzte „Menschenmaterial" für ihre meist tödlichen Versuchsreihen und Vivisektionen anforderten, so hatten die Kapos meist die Macht, Genossen oder andere ihnen wichtige Personen von den Listen zu streichen, aber die Quantität der zugefuhrten „Lieferung" mußte stimmen. Statt der Genossen mußten andere Häftlinge auf die Listen geschrieben werden. Die Rettung der einen bedeutete die Verdammnis anderer. Die Rettung durch Opfertausch - und weiter reichte die Macht der Kapos an den beiden entscheidenden Schaltstellen zwischen Leben und Tod, den Krankenrevieren und der Arbeitsstatistik, in der Regel nicht - war ein grausiges Nullsummen-Spiel. Was im Krankenbau en detail und im Angesicht der Folgen vertauscht wurde, darüber wurde bei der Zusammenstellung der Transportlisten fur den Arbeitseinsatz in der Arbeitsstatistik en gros und auf Nimmerwiedersehen disponiert. Hier war der Opfertausch für die Funktionshäftlinge an der großen Kartei moralisch erträglicher, denn der Tod der Betroffenen war weniger sicher 71 , wenn auch in absoluten Zahlen weitaus häufiger als im Revier. Zwar hatten die Funktionshäftlinge auf dem Ettersberg Nachrichten, daß die Überlebenschancen derjenigen, die z.B. 1944 in die Stollen von Dora geschickt wurden, gegen Null tendierten, daß der Steinbruch eine Menschenmühle war und daß man in der Gärtnerei den Quälereien der SS viel unmittelbarer ausgesetzt war als in Magazinen des Lagers oder gar in spezialisierteren Werkstätten der Privatwirtschaft, aber ausgeschlossen waren die Überlebenschancen nicht. Und je mehr sich die Krake mit 70
71
Vgl. Exkurs „X". Es ist fraglich, ob die hier entwickelte Kategorie des Opfertauschs, die sich aus einem defensiven Gruppenegoismus herleitet, auch noch jene Handlungen mitumgreifen kann, die Busse in „X" am Ende gesteht: nämlich selbst auf Anforderung der SS dreimal Listen von Todeskandidaten in einem Gesamtumfang von ca. 150 Personen zusammengestellt zu haben. Die Grenze der Mittäterschaft erscheint hier überschritten, besonders da Busse die möglichen Konsequenzen einer Weigerung unklar bleiben. Er sagt, er habe möglicherweise im Falle der Weigerung Strafe und Amtsenthebung zu erwarten gehabt. Er sagt nicht, er wäre erschossen worden, was auch bei den personalisierten Beziehungen zwischen den SS-Ärzten und ihren langjährigen Funktionshäftlingen wenig überzeugend wäre. In bezug auf die Gefahr der Amtsenthebung drängt der sowjetische Untersuchungsoffizier immer wieder nach einer Auskunft, was sie durch die Funktionsstellen denn grundsätzlich erreicht hätten, worauf Busse regelmäßig wenig überzeugende Antworten gibt (wie etwa, daß sie von der SS die Bildung eines Häftlingsorchesters hätten erwirken können). Insofern ist auch die über den Opfertausch im Interesse des eigenen Überlebenskollektivs hinausgehende Tatbereitschaft letztendlich auf die potentielle Befähigung zu künftiger Einzelrettung durch Opfertausch rückbezogen. Solange die Protokolle des SMT-Verfahrens nicht vorliegen, stehen solche Erwägungen aber insofern auf einer schwankenden Grundlage, als man sich keine quellenkritische Meinung über den Realitätsgehalt von Busses Geständnis bilden kann. Die Form des letztlichen Geständnisses erinnert fatal an die sowjetischen Schauprozesse wie an die von Frank über seine Funktion in der Arbeitsstatistik im Slänsky-Prozeß; die Fragmente des Verhörverlaufs im ganzen, über die wir informiert worden sind, stützen diesen Vergleich jedoch nicht. Dieser Punkt ist Bartel in seiner ZPKK-Vemehmung von 1953 besonders wichtig (vgl. Dok. V.3.2).
54
1 Funktionshäftling und Funktionär
ihren 130 Außenkommandos in weiter entfernte Gebiete ausbreitete, desto anonymer wurden die Einsatzdispositionen, die in eine tagtägliche Routine der Listenzusammenstellung eingebettet blieb. Die Quellen dieses Bandes enthalten keine Nachrichten darüber, daß gerade jene Funktionäre, die wie Busse und Seifert an die Schaltstellen des Opfertauschs geschickt worden waren, persönlich besonders gewaltsam, pervers, SS-hörig, moralisch verkommen oder auch nur unempfindlich gewesen wären. So einfache Abwehrmöglichkeiten, wie sie die KZ-Literatur über die SS weithin zur Verfugung gestellt hat, sollten sich die Leser von diesen Quellen über die Verstrickung der roten Kapos nicht versprechen. Die psychischen Mechanismen, die den Funktionshäftlingen die begrenzte Einwirkung auf die Selektion der SS ermöglichten, waren vielmehr im Kollektiven begründet, im Sozio-kulturellen wie im Politischen. Die entscheidende Voraussetzung dafür war eine rigide Identifizierung mit einem Kollektiv, die nicht durch eine menschliche Grundsolidarität unterfangen und relativiert war, sondern die von einer Außenwelt prinzipieller gestufter Minderwertigkeit umgeben wurde. Das rigide Wir-Bewußtsein bezog sich auf die Genossen der KPD und besonders den Elitekader der Berufsrevolutionäre des engeren Parteiaktivs. Gerade weil deren Auftrag außer aller Diskussion gestellt und in wissenschaftlicher Scheingewißheit aus den höchsten Zielen allgemeinmenschlicher Befreiimg abgeleitet war, stellte sich beim Opfertausch für sie nicht das moralische Problem einer arbeitsteiligen Überlebensgemeinschaft auf Kosten anderer, sondern dieses konnte in die objektive Frage der Schonung der revolutionären Kader für ihren späteren Auftrag im Rahmen eines auf Dauer gestellten Bürgerkriegs, der im KZ seinen zugespitzten institutionellen Ausdruck gefunden hatte, transformiert werden. Das Gefühl, prinzipiell geschichtlich im Recht zu sein, enthob die berufsrevolutionären Funktionäre im Parteiauftrag 72 aller rechtlichen Abwägung, für die im Unrechtskosmos des KZ auch keinerlei äußerer Anhalt gegeben war. Der Rest war Pragmatik und gewann seine Imperative aus politischen Gesichtspunkten und unbewußten sozio-kulturellen Vorurteilen. Zu diesen zuerst. Solche stützende Pragmatik gründete zunächst in der allgemeinen - auch im Rückblick kaum bestreitbaren - Gewißheit, daß ein offener Kampf gegen die SS im KZ Selbstmord gleichkam. Sie entsprang nicht der Feigheit spezifischer Funktionäre, sondern war unter den deutschen Häftlingen fast aller Richtungen Konsens. Kogon hat ihn stellvertretend und 72
Bei der Lektüre der Vernehmungen mag sich der Leser manchmal fragen, welche Rolle eigentlich die ständig in Anspruch genommene Parteiorganisation für die Kapos spielte, da die Macht, soweit sie überhaupt bei Häftlingen lag, und auch die konkreten handlungsrelevanten Informationen bei ihnen lagen, wohingegen eine Partei, die im wesentlichen aus einem Dreierkopf ohne etwas darüber oder darunter bestand, angesichts der konspirativen Bedingungen in bezug auf Information und Entscheidungen chronisch überfordert sein mußte. Rein organisatorisch gesehen, war „die Partei" als Entscheidungszentrum weitgehend eine Fiktion, aber diese Fiktion gewann ihre Realität aus den Entlastungsbedürfnissen der tatsächlich Entscheidenden. Nur durch diesen Rückbezug konnten sie sich sagen, daß sie nicht als Individuum zwischen Individuen entschieden. Die Partei lebte insofern im Kern nicht als Apparat, sondern aus der Verschiebung der Verantwortung und der Zufuhr von Bedeutung. Das hat auch noch Konsequenzen fur die Nachkriegszeit, nämlich daß die ehemaligen Kapos der Partei auch dann innerlich ausgeliefert sind, wenn sie sich gegen sie wendet. Als Individuen könnten sie mit ihren KZ-Erfahrungen, die deutlich über den individuellen Überlebenskampf hinausgehen, nicht leben, als Agenten der Partei wohl.
1.3.4 Bündnispragmatik und Zielhierarchie
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bündig formuliert (vgl. Dok. 1.4). Es ist eine ergreifende Stelle in der Vernehmung Walter Bartels in der Vorbereitung eines deutschen Slänsky-Prozesses, als von seinen stalinistischen Inquisitoren diese Voraussetzung in Zweifel gezogen und ihm als dem politischen Leiter der Nach-Prominenten-Generation der KPD im Lager vorgeworfen wird, sie hätten den Massenkampf gegen die SS entfachen müssen (vgl. Dok. V.3.2). Es spricht für seine widerständige Qualität, die von anderen in den stalinistischen Inquisitionsritualen nicht eben häufig zu belegen ist, daß er ziemlich unverblümt diesen Vorwurf des Kapitulantentums als das Lebensfremdeste, was er seit 1935 gehört hatte, zurückweist und seine Position auch im Hausarrest in einer Grundsatz-Denkschrift untermauert (vgl. Dok. V.3.3). Der zweite Teil dieser Pragmatik besteht in der Voraussetzung, daß es menschliches Leben gäbe, das in kritischen Situationen ausgelöscht werden müsse („Zinker gehen über den Rost") oder ausgelöscht werden könne („Minderwertige", „Asoziale", „völlig Disziplinlose"). In der Sicht auf das KZ als institutionalisierten Bürgerkrieg ist der erste Teil dieser Aussage, der die Exekution von Verrätern („Liquidierung") und gefahrlos zu beseitigenden Feinden meint, kaum überraschend, der zweite jedoch um so irritierender. Denn er signalisiert, daß im Opfertausch eine in alltäglichen Vorurteilen begründete latente Gemeinsamkeit mit der sozialpräventiven „Ausmerze" lebensunwerten Lebens durch die SS aktualisiert wurde. Die roten Kapos haben diese „Ausmerze" nicht betrieben, und manche mögen - obwohl dies in unseren Quellen nicht belegbar wird - sich ihrer Praxis entgegengestellt haben. Der Opfertausch definierte andere Opfer. Sie wurden aus Gruppen gewählt, die in den Vernehmungen mehrfach mit den eben zitierten Deckbegriffen der Minderwertigkeit bezeichnet werden, wohinter man unter den deutschen Häftlingen sozial Unangepaßte wie Trinker, Ganoven, Schwule, Neurotiker, insbesondere aber auch ethnisch Verachtete wie Ostjuden, Zigeuner und Slawen, die drastisch vom Bild des neuen „homo sovieticus" abwichen, vermuten muß.
1.3.4
Bündnispragmatik und Zielhierarchie
Soweit erkennbar, gibt es in diesen Texten keine Belegstellen dafür, daß auch ehemalige politische Gegner wie Sozialdemokraten oder bürgerliche Politiker - als im Unterschied zu Feinden (wie Provokateure, Zinker) oder Konkurrenten um die Kommandohöhen in der Häftlingsgesellschaft (wie „BVer" oder Polen) - der „roten" Feme oder dem Opfertausch verfallen wären. Im Gegenteil: Im Zuge der Umstellung der Führung der KPD im Lager und nur sie scheint in konzeptionellen Fragen das Sagen gehabt zu haben - auf die Volksfrontpolitik wurden diese ehemaligen Gegner in die Vorhöfe der Wir-Identität hereingenommen. Äußeres Signum dieses Bündnisstatus ist die Titulierung als „Kamerad" und nicht als „Genösse". Kameraden kommen in den Vernehmungen dieses Bandes extrem selten vor;
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I Funktionshäftling und Funktionär
warme Worte gibt es für sie nur bei offiziellen Anlässen, bei denen auch die Genossen, um die es im internen Verkehr fast ausschließlich geht, als „Antifaschisten" etikettiert werden (vgl. z.B. Dok. III.9.4). Unmittelbare Lebensrettung von Kameraden im Sinne des Opfertauschs ist aus den kommunistischen Kapo-Hochburgen namentlich nicht erwähnt, wohl aber die Vermittlung privilegierter Positionen im Sinne von wenig beaufsichtigten Arbeiten in Innenräumen oder Unterbringung in besseren Blocks, Verkürzung oder Herausnahme aus den hochgefahrlichen Rites de passage wie Kleines Lager oder Steinbruch, denen die SS normalerweise die Neuankömmlinge unterwarf, Befreiung aus überfordernden oder sonst gefahrlichen Arbeitskommandos fur Kranke und Erschöpfte zugunsten einer Unterbringimg in „Schonung" oder in einem der Reviere. Solche soziale Fürsorge und materielle Privilegierung fur politische Bündnispartner sind zumindest aus der zweiten Kriegshälfte auch in der sonstigen Literatur breit belegbar und begründeten das Prestige der Buchenwalder Kommunisten und die Dankbarkeit bei solchen Kameraden, die oft in differenzierten Ausdrucksformen weit über die Befreiung hinausreichten. Daß eine amerikanische publizistische Aufbereitung der Buchenwalder Kapo-Problematik mit einem gegenteiligen Zitat eines anonymen Sozialdemokraten beginnt 73 , scheint in diesem Zusammenhang uncharakteristisch. In die politische Pragmatik fallen auch die Beziehungen zu den ausländischen Genossen einerseits und den deutschen und ausländischen Kameraden andererseits. Von beiden ist namentlich nur selten die Rede; sie sind offenbar in der Erinnerung der deutschen kommunistischen Funktionäre als Einzelpersonen nur selten plastisch, während von deutschen Genossen in einer reichen Fülle von Namen gesprochen wird. Die Beziehungen zu anderen Gruppenvertretern scheinen unter den Bedingungen der Konspiration selten bis zu persönlicher Vertrautheit gediehen zu sein, wobei auch das Sprachproblem hinderlich war. Es gehört aber zu den bemerkenswerten Zügen der Politik der KPD in Buchenwald, daß es ihr gelungen ist, solche Beziehungen unter den Bedingungen der Konspiration zu institutionalisieren. Begünstigend dürfte gewirkt haben, daß der Wert der Zusammenarbeit mit den roten Kapos für die SS in der zweiten Kriegshälfte entscheidend in ihrer rudimentären internationalen Koordinierungsfähigkeit der ganz überwiegend aus Ausländern bestehenden Häftlingsgesellschaft für die inneren Abläufe und die Ordnung des Lagers und seiner Außenkommandos lag. In dem Maße, wie die deutschen Kapos vermehrt seit 194374 Vertreter anderer Nationalitäten als Vor- und Hilfsarbeiter in ihre Kommandos zogen, konnte eine solche koordinierende Funktion auch tatsächlich wirksam werden. Die Form der konspirativen Zusammenarbeit scheint dabei strikt die Verknüpfung von kommunistischen Parteien, unter der Führung der Partei des Gastlandes, angenommen zu haben. Mit anderen Worten: Man organisierte die internationale Zusammenarbeit nach dem Vorbild der Komintern mit dem sog. Internationalen Lagerkomitee, das aber wohl erst am Tag nach der Befreiung seine erste Plenarsitzung abhalten konnte, als Miniform des EKKI, 73 74
Vgl. die Eröffnung des Robinson-Artikels (Dok. III.9.1) mit seiner Vorlage (Dok. 1.3). Mitte 1944 wurden zum ersten Mal Ausländer in den Lagerschutz aufgenommen, was einen qualitativen Schritt bezeugt.
13.4 Bündnispragmatik und Zielhierarchie
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wobei die illegale KPD-Leitung die Rolle Moskaus spielte. Diese Führungsrolle wurde in den ersten Tagen nach der Befreiung noch nachdrücklich betont 75 , wobei sich auch hier und da in den frühen Texten die Bezugnahme auf die KI-Terminologie erhalten hat 7 6 , die in der späteren Traditionsbildung zugunsten einer Art von Völkerbund von Volksfrontausschüssen ausgetauscht wurde, was natürlich unter konspirativen Bedingungen völlig unmöglich gewesen wäre. In der Abgeschlossenheit der Lagerbedingungen war es nämlich den führenden kommunistischen Häftlingen offenbar entgangen, daß just zu der Zeit, als sie 1943 die KI im Kleinen in Buchenwald reorganisierten, die eigentliche Komintern in Moskau aufgelöst und durch ein Netzwerk bilateraler, von der sowjetischen Außenpolitik abgestützter Beziehungen zwischen jeweiligen nationalen Befreiungsausschüssen und je besonderen nationalen Wegen zum Sozialismus ersetzt worden war. In Buchenwald wurden die Ansätze zu Volksfrontausschüssen der einzelnen Nationalitäten eher als integrative Nebenorganisationen einer KI gefuhrt, allerdings mit nationalen Variationen und einer größeren Bedeutung, besonders wenn es um die Abgrenzung von deutschen Interessen ging wie bei den Österreichern, Tschechen und Franzosen, bis hin zu kaum ernst genommenen Bündnisexperimenten wie im deutschen Fall die Programmdiskussionen mit Brill und Hilpert.77 In unserem Zusammenhang sind diese Strukturfragen der Zusammenarbeit insofern von Belang, als auch die ausländischen Genossen (eher als die Kameraden) Anspruch auf Kaderschonung bis hin zum Opfertausch erhoben und - soweit sie nicht Selbstjustiz betrieben offenbar auch die „Liquidierung" von Zinkem und Parteifeinden aus ihren Reihen beschlossen und die Exekution ggf. bei den zuständigen deutschen Kapos vorschlagen konnten. In den Vernehmungen in der SBZ/DDR tritt weniger das Problem der „Liquidierungen" als solches auf, als vielmehr - und diskutiert werden nur russische Fälle - die Zuständigkeitsfrage. Haben sich die deutschen Vollstrecker ein Urteil über innersowjetische Säuberungsfalle angemaßt, dort mit den richtigen Leuten zusammengearbeitet oder etwa Vollstreckungsbeschlüsse von Provokateuren angenommen? Die deutschen Kapos berufen sich im Rückblick darauf, daß sie trotz gelegentlicher Versehen nur nach Beschlußlage der jeweiligen Bruderpartei „liquidiert" hätten, indem z.B. ein das Revier aufsuchender Delinquent dort nicht aufgenommen, sondern in eine verseuchte Baracke oder einen Block für medizinische Versuche eingewiesen worden sei. An der Zuständigkeitsfrage in einem konkreten Fall, der sich durch die Vernehmungen nicht mehr zweifelsfrei aufklären läßt und schließlich auf den Beschwer-
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77
Das wird besonders in den Protokollen des ILK nach der Befreiung und in einer Niederschrift über ein Zusammentreffen der Vertreter der kommunistischen Parteien unter der Leitung von Bartel deutlich, die in BWA und ZPA erhalten sind. Vgl. Dok. 1.2. So wird in den Dokumenten durchgehend in unmittelbarer Übernahme der Terminologie der sozialistischen und kommunistischen Internationale von Nationalitätenvertretem als „Sektionen" gesprochen, hie und da wird aber auch das ILK als KI bezeichnet. Der ganze Zusammenhang internationaler Beziehungen in der Häftlingsgesellschaft bedürfte einer eingehenden Untersuchung. In den hier veröffentlichten inneren SED-Dokumenten sind diese Beziehungen aufs Ganze gesehen ein Randphänomen, das nur in bezug auf die Russen - und auch da nur wegen der sowjetischen Interventionen in die Verfahren zur Klärung der Kapo-Erfährung - irgendwie konkretisiert wird. Vgl. Dok. 1.6.
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1 Funktionshäfiling und Funktionär
defuhrer (Drewnitzki) zurückfällt 78 , wird plötzlich eine sonst verborgen gebliebene Praxis (wohl vor allem in der Beziehung mit den Russen) sichtbar, über deren Umfang wir nichts wissen. Zusammenfassend läßt sich fur die zweite Etablierungsphase der KPD in der Machthierarchie des Lagers Buchenwald 1943-44 sagen, daß die Partei drei Ziele verfolgte: (1) Sie war ein arbeitsteiliges Überlebenskollektiv, das wie keine andere Gruppe seine Mitglieder vor den Gefahren des Häftlingslebens im KZ zu schützen verstand, indem es weitgehende Mitverantwortung für die innere Ordnung des Lagers übernahm, innerhalb der Häftlingsgesellschaft und in von der SS-Lagerfuhrung abgeleiteter Autorität eine fast flächendeckende Kontrolle ausübte und zunehmend alle wesentlichen Funktionshäftlinge stellte. (2) Sie betrieb eine aktive Bündnispolitik, indem sie dieses Schutz- und Trutz-Verhältnis auf Anforderung hin auch auf KP-Gruppen in den anderen Nationalitäten des Lagers ausdehnte und ihren Vertretern Zugang zu besseren Arbeitsbedingungen verschaffte (und zwar gerade auch in den beiden wichtigsten und problematischsten Bollwerken ihrer Rettungsmacht, dem Krankenbau und der Arbeitsstatistik), und sie stützte kooperationsbereite Nichtkommunisten vor allem unter den deutschsprachigen politischen Häftlingen durch Vermittlung in privilegierte Positionen unterhalb der Kapo-Ebene. (3) Sie hat das Lager diszipliniert, im Rahmen des Möglichen hygienisiert (jedenfalls außerhalb des Kleinen Lagers), sie baute Ordnungstruppen und Informationsdienste als Kontrolle gegen die inneren Gewaltpotentiale im KZ und die Kriminalität unter den Häftlingen auf, sorgte für qualifiziertere Arbeitsanleitung (und damit weniger Konflikte mit der SS) und machte damit das Leben aller anpassungsbereiten Häftlinge kalkulierbarer. In der Verfolgung dieses mehrfach belegbaren Prioritätenprogramms hatte die KPD in dieser Phase erstaunliche Erfolge, zumal der letzte und teilweise auch der mittlere Punkt im wohlverstandenen Interesse der SS lagen, die mit der inneren Organisation des Lagers unter dem Gesichtspunkt der multinationalen Arbeitskräftemobilisierung fur die Rüstungsindustrie völlig überfordert gewesen wäre. Für diese Erfolge der Kaderschonung, der politischen Umfeldprivilegierung und der gefahrenvermindernden Disziplinierung des Gesamtlagers mußte sie politische und moralische Preise entrichten. Sie wurde nicht nur objektiv in die Rassenhierarchie der SS verrechnet, sondern sie erwarb von der SS legitimierte Funktionen, die sich fur andere Häftlinge als Teil der deutschen Herrschaft über das Lager darstellten und die ihre wichtigsten Funktionäre in die moralischen Grenzsituationen des Opfertauschs führte.
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Dieser exemplarische Fall zieht sich durch alle Vernehmungen, angefangen von den Vorwürfen in Dok. II.2 bis zum SMT.
1.4 Die Wiederkehr der Politik
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1.4 Die Wiederkehr der Politik
Im letzten Jahr des Lagers sollten sich diese ,Josten" der Kaderschonung zuspitzen und zugleich deren Grenzen deutlich werden. Spätestens seit Mitte des Jahres 1944 war das Ende des Dritten Reiches militärisch absehbar geworden, der Widerstand im Reich hatte sich aktiviert, um der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zuvorzukommen und die Selbstzerstörung des Endkampfs abzukürzen. Sein Scheitern führte einerseits zur letzten großen Terrorwelle im Reich, die noch einmal zahlreiche Oppositionelle in Haft oder zu Tode brachte, andererseits zu hektischen Umgruppierungen in Himmlers KZ-Reich, teilweise um die Häftlinge und Lager nicht in die Hände der Alliierten fallen zu lassen, teilweise um die Häftlinge bis zum Schluß als Arbeitskraftressource zu behalten. Auf beiden Ebenen waren in Buchenwald drastische Rückwirkungen zu spüren. Nach dem 20. Juli 1944 versuchte das Dritte Reich, mit hektischen Schlägen alle Arten von Opposition zu ersticken, wodurch die Zahl der politischen Häftlinge auch in Buchenwald vergrößert und ihr Leben bedrohter wurde; zugleich fühlten sie sich jedoch durch das herannahende Ende des Dritten Reiches zu aktiverem Auftreten herausgefordert, so wie auch außerhalb des Lagers die NKFD-Propaganda des Moskauer Rundfunks in dieser Zeit manche in den Siegeszeiten des Dritten Reiches eingeschlafene Zelle und gar nicht so selten Personen, die sich bisher nie politisch betätigt hatten, aufgeweckt und zu Kontakten und Flugblättern gegen den Katastrophenkurs der Nazis ermuntert hat. 79 In Buchenwald kam diese neue Lage in zweifacher Weise zum Ausdruck. Zunächst dadurch, daß es fur die KPD - soweit wir den Erinnerungsdokumenten entnehmen können - zum ersten Mal seit fiinf Jahren wieder erheblich schien, über eine Politik außerhalb des Lagerkosmos und über programmatische Inhalte nachzudenken. Die letzte Gelegenheit dazu war das fast gleichzeitige Verdauen der Nachrichten von der Wendung der KI zur Volksfrontlinie und der Hitler-Stalin-Pakt gewesen, die 1939 das Lager erreichten. Die Basis hatte seinerzeit gemurrt, die Kameraden hatten sich abgewandt und die junge Führung der Moskau-Pilger die Tagesprobleme der Häftlinge und die Vorteile der Selbstverwaltung in den Vordergrund gerückt und damit tatsächlich weitgehend die Kader zusammenhalten können und im Krieg „Grün" gegen „Rot" als Abwehrgemeinschaft zusammengeschweißt. Seither war Politik Lagerpolitik gewesen, und die Inhalte waren sowieso klar. Nachdem die Russen im Baltikum standen, vor Warschau verharrten, den Balkan aufrollten und die Westalliierten in der Normandie gelandet waren und de Gaulle am 25.8.1944 in Paris eingezogen war, mußte man sich wieder mit Politik beschäftigen. 79
Zu den Kommunikationsbedingungen der KPD im inneren Widerstand mit dem Ausland und zu ihrer revolutionären Uminterpretation der Bündnispolitik der KPD-Exilfuhrung in der Phase der NKFD-Propaganda, die auch für die programmatische Orientierung der Buchenwalder Kommunisten vor und unmittelbar nach Kriegsende gilt, vgl. zusammenfassend meinen Beitrag in Niethammer/Borsdorf/Brandt, a.a.O., S. 179 ff. (dort die weitere Speziallit.) Harmonisierend hingegen Günter Benser: Die KPD im Jahr der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der legalen kommunistischen Massenpartei (Jahreswende 1944/1945 bis Herbst 1945), Berlin (DDR) 1985, S. 31 ff.
60
1 Funktionshäftling und Funktionär
Walter Bartel war der Polleiter, und er tippte im September 1944 in irgendeinem der KapoBüros ungelenk ein zweiseitiges konspiratives Schriftstück, das in einem einzigen Exemplar zur Selbstverständigung im engsten Kreis der fuhrenden Genossen herumgereicht wurde: „Grundsätzliches zur Lage Ende September 1944" 80 . Es handelt sich um das erste und einzige überlieferte programmatische Schriftstück der Buchenwalder Kommunisten aus der Zeit vor der Befreiung 81 . Es ist schwach in der Lageanalyse - und wen könnte das angesichts der Isolierung im KZ, in der man immer nur auf wenige Informationsbruchstücke angewiesen war, erstaunen? aber stark in drei Punkten: im Glauben an die Ehrlichkeit der Moskauer Rundfunkpropaganda fur das NKFD, in seiner traditionell-revolutionären Frontstellung gegen die „imperialistischen" Westmächte und schließlich in seinen nationalkommunistischen Aufstands-Appellen.82 Zur selben Zeit, als Stalin die auf Sichtweite herangerückte Rote Armee buchstäblich zuschauen ließ, wie die Deutschen den Warschauer und dann auch den Slowakischen Aufstand mit größter Brutalität niederschlugen 83 , glaubten die Genossen in Buchenwald noch an die Moskauer Losungen: je früher der Aufstand, desto größer die nationale Autonomie in der Nachkriegszeit. „Das deutsche Volk muß sein Recht auf nationale Selbständigkeit im Kampfe beweben [erwerben] . [...] Je früher der Sturz [Hitlers], um so geringer die Opfer, um so stärker die Kraft gegen jeden Versuch der Zerreißung D. [Deutschlands] als Nation. Der Kampf des N-K [Nationalkomitees] wird zum Kampf gegen [gemeint ist: fur] die nat. [tionale] Existenz D. [Deutschlands]." Gewiß war dieser Kassiber ein allererster und noch wenig auf Wirksamkeit bedachter Selbstverständigungsversuch; aber in der Folge scheint sich doch einiges im übrigen Lager herumgesprochen zu haben, nämlich daß unter den Kommunisten ein Komplott zur Bildung einer neuen deutschen Regierung geschmiedet werde (vgl. Dok. 1.3). Jedenfalls scheint sich die Gerüchteküche des Lagers diesen Reim auf einige dramatische Verhaftungen unter den bekanntesten roten Kapos in denselben Wochen des Herbstes 1944 gemacht zu haben. Der 80 81
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Ein Teil-Faksimile abgedr. bei Drobisch, Widerstand, a.a.O., S. 119. Es hatte zwar von Brill verfaßte Volksfront-Programmatiken in Schriftform gegeben, die in langwierigen Diskussionen in einem deutschen interfraktionellen Ausschuß seit 1943 behandelt worden waren; sie wurden aber im Herbst 1944 zum Schutz vor einem Zugriff der Gestapo vernichtet, so daß wir nur die Erinnerungen Brills an seine Vorstellungen kennen. Die Kommunisten hatten den Ausschuß aber eher pflichtgemäß eingerichtet (in dem sie von Walter Wolf und gelegentlich wohl auch von Harry Kuhn vertreten wurden), waren von seinen langatmigen inhaltlichen Debatten enerviert, lehnten Brills Volksfrontverständnis ab, waren seiner Dialektik aber nicht gewachsen und ließen die Sache im Sande verlaufen. Es spiegelt darin ein Grundgefiihl der internationalen kommunistischen Kader im Lager, von denen wichtige Aktivgruppen aus der Partisanenbewegung in vielen Teilen Europas gekommen waren und die am Ende des Zweiten Weltkriegs gebannt auf den Bürgerkrieg in Griechenland schauten. Vgl. dazu Heinz Richter: Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946), Frankfurt/M. 1973; Dominique Eudes: Les Kapetanios. La guerre civile grecque 1943-1949, Paris 1970; zur Rezeption im Lager Semprun, a.a.O., S. 29 u.ö. und Dok. 1.2. Vgl. auch die vom selben Geist revolutionärer Uminterpretation getragene Entschließung der Delegierten-Konferenz des Parteiaktivs der KP-Buchenwald v. 22.4.1945, abgedr. als Faksimile bei Drobisch, Widerstand, a.a.O., S. 163 f. Dieser Grundansatz der Buchenwalder Kommunisten, in dem sie durchaus repräsentativ waren für den inneren Widerstand der KPD im Reich, sollte dann Ulbrichts Mißtrauen gegen die „sektiererische" Basis, auf die er im Mai 1945 in Berlin getroffen war, auf das ganze Buchenwalder Netzwerk und besonders seine Hochburg in Thüringen erweitem. Vgl. Hans von Krannhals: Der Warschauer Aufstand, Frankfurt/M. 1962; Wolfgang Venohr: Aufstand fur die Tschechoslowakei. Der slowakische Freiheitskampf von 1944, Hamburg 1969.
1.4 Die Wiederkehr der Politik
61
Zusammenhang war aber anders, genauer gesagt: Es bestand gar kein unmittelbarer Zusammenhang. Schon Mitte August war der frühere Führer der KPD, Emst Thälmann, aus seiner Einzelhaft in Bautzen in einer Geheimaktion nach Buchenwald gebracht und dort auf Befehl Hitlers an Himmler erschossen worden. Einen speziellen Anlaß hatten die Kommunisten fur diesen symbolischen Mord nicht geliefert; Hitlers Paranoia nach dem Attentat Stauffenbergs wollte nur Terror an der Heimatfront verbreiten. Als Thälmanns Tod als angebliche Folge des alliierten Bombardements der Rüstungswerke in Buchenwald, bei dem der außerhalb des Stammlagers in Sonderhaft gehaltene sozialdemokratische Führer Rudolf Breitscheid am 24.8.1944 tatsächlich getötet worden war, von der NS-Presse bekanntgegeben wurde, kam es zu einer Aktion im Lager, die viele Interpretationen auslösen sollte. Die illegale KPDLeitung glaubte nämlich (auch nach der Befreiung) nicht, daß Thälmann in Buchenwald ermordet worden sei, und sah keinen Anlaß zu irgendwelchen Aktionen. Gegen ihren Willen organisierte daraufhin eine kleine Gruppe prominenter roter Kapos eine eigenständige Demonstration, darunter führend der langjährige Kapo der Effektenkammer Willi Bleicher (ein junger Stuttgarter DMV-Funktionär und als Kommunist Versöhnler, wenn nicht KPO, der später zur SPD gehen und ein legendärer Führer der IG-Metall werden sollte), der langjährige Senior der roten Kapos Robert Siewert (Chef eines Baukommandos und ehemaliger Reichsorganisationsleiter der KPD-Opposition im Widerstand) sowie der langjährige Kapo der Pathologie, die er zu einem konspirativen Zentrum der KPÖ gemacht hatte, der österreichische Ingenieur Gustav Wegerer. Ein seltsames Trio ausgerechnet fur diesen Anlaß. Mit ca. 20 weiteren Genossen begingen sie am 18.9.1944 im Keller der Effektenkammer eine Gedenkveranstaltung für Thälmann: mit Reden, Musik, Fahnen und Pylonen mit Trauerfeuer-mitten im KZ ein erstaunlicher Ausdruck des Selbstbewußtseins, der Organisationsmacht und der Romantik führender Kapos. Ausgerechnet der KPO-Führer hielt die Trauerrede auf seinen ehemaligen Gegner, der ihn im Zuge der Stabilisierung der KPD aus der Partei ausgeschlossen hatte. 84 Angesichts solchen mythogenen Aktivismus kam die Parteileitung offenbar unter Legitimationsdruck und veranstaltete bei nächster sich bietender Gelegenh e i t - d e r Berliner RGO Führer Albert Kayser war an Typhus gestorben-am 22.10.1944 eine im selben Stil inszenierte und noch um eine Totenwache von vier Rotgardisten erweiterte Trauerfeier mit sogar 30 Genossen, auf der Walter Bartel für die Parteileitung sprach, allerdings - in konspirativen Dingen gewitzter - hinter einem Vorhang.85 Bei beiden Anlässen war ein österreichischer Spitzel zugegen. Während dieser von der ersten Veranstaltung der 84
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Vgl. Siewerts späte Erinnerung von 1954 in BW-MuV, S. 476 f.; er hatte unter dem Druck der Parteisäubening 1951 bereits in einer spektakulären Selbstkritik seine KPO-Vergangenheit und seine ehemaligen Genossen verraten, vgl. dazu Dok. VI.2.1. Als die Ermordung Ernst Thälmanns in Buchenwald - hier noch eine Oppositionsmeinung - später herrschende Lehre der KPD/SED wurde, hat die Versammlung im Keller der Buchenwalder Effektenkammer im Rückblick noch gewaltigen Zulauf von den stärkeren Batallionen erhalten. Bis zur offiziellen Biografie des IML (Hg ): Emst Thälmann, Berlin (DDR) 1980, S. 776 f. war sie nun schon auf den vierfachen Umfang angewachsen, und unter ihren 80 Teilnehmern war nun natürlich auch als Zeuge Walter Bartel; siehe Bartel: Unser Ernst Thälmann, in: Einheit (1974), S. 943. Vgl. den Erinnerungsbericht von Herbert Sandberg von 1947, in: BW-MNV, S. 479.
62
I Funktionshäftling und Funktionär
Gestapo fast die ganze Teilnehmerliste und vor allem die österreichischen Kommunisten übermitteln konnte, fahndete man im zweiten Fall nach einem kleinen Berliner - Bartel war nur nach Statur und Stimme beschreibbar geworden, aber namentlich unerkannt geblieben. 86 Jedenfalls begann Ende Oktober eine spektakuläre Verhaftungswelle unter den Kommunisten der Selbstverwaltung, wobei die Gestapo ungewöhnlicherweise die Kapos aus dem KZ heraus nach Weimar holte, wohl um die ihr verdächtige SS-Lagerfiihrung mit Nachrichten, daß sie mit kommunistischen Aktivisten paktiere, vorzuführen. Nach dem Zeugnis Bartels löste die Gefahr der „Dekonspirierung" der KP-Organisation „krisenhafte Stimmungen" und „die Frage der Ablösung der Parteileitung" aus. Er selbst ftihlte sich indessen sicher, denn „die Partei war durch ihre Verbindung zur politischen] Abteilung [d.h. zur Buchenwalder Gestapo] und zu einigen SS-Führern über den Gang der Vernehmungen ständig genauest informiert" (vgl. Dok. 1.6). Ob alle Verhafteten den Vernehmungsmethoden der Weimarer Gestapo, die offenbar ziviler waren als die im Buchenwalder Bunker, widerstanden, ist nicht mehr aufzuklären. Jedenfalls wurde in diesen Tagen Bartels Vorgänger, die bis zum Herbst 1943 beherrschende Figur der Buchenwalder KPD, Albert K u n t z - den viele nach seinem damaligen Rückzug auf ein Außenkommando und seiner dortigen Verhaftung fur tot hielten, der aber tatsächlich zwischenzeitlich Kapo der Entwässerung in Dora geworden war - am 20.11.1944 in Nordhausen verhaftet und nach brutalsten Verhören durch die dortige SS zusammen mit den beiden kommunistischen Lagerältesten von Dora am 23.1.1945 ermordet. In Buchenwald hingegen geschahen merkwürdige Dinge, die für neue Gerüchte sorgten. Ein Teil der Verhafteten (die Österreicher) wurde von Weimar ins nahegelegene thüringische Gestapo-Gefängnis nach Ichtershausen verlegt, ein anderer Teil außerhalb des Lagers im Weimarer Stammbetrieb der Gustloff-Werke untergebracht, ein dritter Teil kehrte aus Weimar ins Lager zurück, Robert Siewert wurde in den Bunker geworfen, einer der Verhafteten, Heinz Bausch, wurde statt Bleicher zum Kapo der Effektenkammer eingesetzt, wo auch der dort arbeitende Spitzel, der zur Deckung mitverhaftet worden war, weiterarbeiten konnte. Dem LA I Reschke wurde beim Abendappell des 27.11.1944 von der SS gesteckt, daß nunmehr er am nächsten Morgen verhaftet würde, obwohl er - soweit bekannt - an keiner der Trauerveranstaltungen teilgenommen hatte. Die SS muß wohl mehr als ein Auge zugedrückt haben, wenn richtig sein sollte, was Reschke 1957 erinnerte, nämlich daß er sich in der verbleibenden Nacht noch mit Bartel getroffen habe. Der rief sofort eine Sitzung mit Busse (Parteileitung), Keim (Lagerschutz) und dem LA II Eiden (Lagerleitung) ein, auf der Reschkes Nachfolge geklärt wurde - Hans Eiden 87 wurde in der Tat von der SS zum LA I eingesetzt, und der Kontrolleur Karl Pankow 88 rückte in die Lagerleitung vor. Nach dieser
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Vgl. Dok. 1.6. Auch Busse hat nach „X" darüber berichtet. Ein rheinischer Kommunist der Kriegsfolgegeneration, ohne Apparatfunktion, in der Wirtschaftskrise lange Jahre arbeitslos, seit 1936 in Haft, seit 1939 in Buchenwald, seit Juni 1943 LA II. Ein pommerscher KJVD-Bezirksleiter derselben Generation, seit 1933 in Haft, zunächst in Dachau, seit 1937 in Buchenwald. Pankow soll sogar zu den von der Weimarer Gestapo verhafteten gehört haben.
1.5 Endkontrolle
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protokollgerechten Amtsabwicklung, die wie eine gemeinsame Sitzung von Partei- und Staatsfuhrung klingt, hielt Reschke ab nächsten Morgen in Weimar offenbar stand und wurde nach Ichtershausen verlegt. Die lagerfremde Gestapo der Stadt tappte in den auf dem Ettersberg ohnehin bekannten Kapo-Strukturen im Dunkeln und konnte das Zentrum der KPDLeitung (Bartel, Busse, Kuhn) nicht ausheben. Vier Monate später schöpften die Interogators der amerikanischen PWD noch ab, wie sich die Gerüchteküche des Lagers die ungewöhnlichen Ereignisse der Herbstkrise 1944 zurechtgelegt hatte. In Buchenwald habe es ein Komplott deutscher und österreichischer Kommunisten für eine - offenbar großdeutsche Regierungsalternative (Nationalkomitee)89 gegeben, in das auch die Gestapo verwickelt sei, denn sonst wären nicht einige der Kapos wieder ins Lager zurückgekommen, und es seien dieselben Leute, die jetzt, wenige Tage nach der Befreiung, in Weimar die Polizei aufbauten. Mit anderen Worten: das rot-braune Komplott dauere an (vgl. Dok. 1.3). Wahr daran war lediglich: Nach seiner Befreiung aus Ichtershausen wurde Reschke zum Aufbau der Thüringer Landespolizei nach Weimar geholt, und er beteiligte daran Heinz Bausch, der in der Folge dann dieselbe Aufgabe in Sachsen übernahm.
1.5
Endkontrolle
Der Schluß dieser merkwürdigen Geschichte ragt in die Endkrise des Lagers hinein. Der Gestapospitzel in der Effektenkammer blieb noch einige Wochen aktiv, bevor er sich zur Waffen-SS-Division Dirlewanger, für die Ende 1944 unter den politischen Häftlingen sonst weitgehend erfolglos geworben worden war, absetzte. 90 Die Zeit genügte, um der Gestapo noch eine Liste von weiteren 46 fuhrenden Lagerfunktionären der Kapo- und VorarbeiterEbene zu hinterlassen, auf der auch die meisten fuhrenden Funktionshäftlinge der KPD von Kuntz 91 , Busse und Seifert abwärts standen, nicht aber die beiden Parteileitungsmitglieder Bartel und Kuhn sowie der Leiter ihrer Militär- und Abwehrgruppe Otto Roth, die keine Lagerfunktionen übernommen hatten, sondern abgesichert worden waren. Insofern ist richtig, daß zumindest das letzte Geheimnis der kommunistischen Führungsschicht in Buchenwald der Gestapo wohl bis zum Ende verborgen geblieben ist. Als die 46 am 6.4.1945 - fünf Tage vor der Befreiung - ans Lagertor gerufen werden sollten, waren sie jedoch gewarnt, weil Ei89
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Diese Gerüchte spielten sogar noch 1947 in der SED eine Rolle, wo dissentierende Buchenwalder Kommunisten ihre Vorwürfe gegen Bartel, Busse und Reschke mit dem Hinweis spickten, diese hätten von Buchenwald aus ein „ZK" - gemeint ist ein Zentralkomitee der KPD - ausrufen wollen, wobei sie Bartels Abkürzung des NKFD als „NK" aufgesessen zu sein scheinen. Sojedenfalls Kogon; anders Bartel in Dok. 1.6. Daß der Name von Kuntz auf der Liste (vgl. BW-MuV, S. 490 f.) stand, der ja bereits seit anderthalb Jahren nicht mehr im Stammlager und seit drei Monaten ermordet war, spricht dafür, daß der Spitzel keine genauere Kenntnis der Kader besaß, sondern deren Fama unter den Funktionären notiert hatte, wodurch auch einige völlig Unbeteiligte auf die Liste kamen.
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I Funktionshäftling und Funktionär
den und der mit dem Aufruf beauftragte Kapo der Schreibstube Hans Neumeister (KPD), der selbst auf der Liste stand, fürchteten, die SS wolle sie im letzten Moment liquidieren, um den Widerstand gegen die Evakuierung des Lagers zu brechen. Daß alle 46 trotz mehrerer Suchaktionen im Lager über fünf Tage verborgen werden konnten und die kommunistische Lagerleitung im Amt blieb, läßt an der letzten Entschlossenheit der bereits in Auflösimg begriffenen SS zweifeln. Das Lager war freilich auch für die SS in den letzten Monaten völlig unüberschaubar geworden. Woche fur Woche waren mehrere Transporte mit einigen hundert, oft auch weit über tausend Häftlingen aus frontnahen KZs vor allem im Osten, aber auch aus Frankreich und zum Schluß sogar aus Dachau und Flossenbürg in die thüringische Reichsmitte geschafft worden: im August 1944 kamen 17.170 „Zugänge" in den Zuständigkeitsbereich des KZ Buchenwald, im November 10.305, im Dezember 12.555, im Januar 1945 24.197 und im Februar 13.066. Die Lagerstärke, die bis September 1944 auf 84.505 Häftlinge hochgeschnellt war, erreichte auch nach der verwaltungsmäßigen Ausgliederung von 35.760 Häftlingen in Dora nach kurzer Zeit schon wieder diese Höhe und übertraf sie im Februar mit 86.323 Häftlingen, davon ein Drittel im Stammlager. Bis 1941 waren in Buchenwald zwischen einund zweitausend Häftlinge im Jahr gestorben oder ermordet worden, 1942 waren es fast dreitausend, 1943 dreieinhalbtausend, 1944 schnellt die Zahl auf 8.644 empor, um allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1945 das unvorstellbare Ausmaß von 13.056 zu erreichen, rund 140 Menschen starben in diesen letzten Monaten im Lager pro Tag mit sprunghaft zunehmender Tendenz. 92 Das ohnehin dicht gedrängte Stammlager wurde nun mit mehr als dreimal so vielen Häftlingen wie gewohnt belegt, fast alles Ausländer und Juden, viele am Ende ihrer körperlichen und seelischen Widerstandskraft. Seuchen drohten sich auch im Hauptlager auszubreiten, die Absperrung der Neuzugänge im Kleinen Lager, in dem katastrophale Zustände herrschten, mußte nun vom Lagerschutz mit äußerster Härte betrieben werden. Häftlingspfleger der Reviere assistierten SS-Ärzten, die Moribunde und andere nicht mehr Arbeitsfähige aus den ankommenden Transporten selektierten und mit Giftspritzen töteten. Die Arbeitsstatistik versuchte, die Flut der Neuzugänge nach Möglichkeit am Lager vorbei direkt in Außenkommandos umzuleiten, deren Umfang zwar kleiner, deren Infrastrukturen aber meist noch viel weniger belastet waren als diejenigen des Stammlagers. Was im einzelnen in diesen letzten Monaten geschehen ist, dürfte sich nicht mehr rekonstruieren lassen. Ab März wurde das Steuer von der SS herumgeworfen: nun sollte auch Buchenwald evakuiert werden, und der Stammbelegschaft drohte dasselbe Schicksal wie den Neuzugängen, aber auf Todesmärschen zu Fuß. Sie krallten sich im Lager fest, verzögerten mit allen Kräften die Evakuierung im Ganzen, und als das nicht mehr ging, hatte man der SS-Logik, Juden und Slawen zuerst auf die Todesmärsche zu schicken, nichts mehr entgegenzusetzen. Mit den seit längerem in militärischen Grundfertigkeiten unterwiesenen jungen Leuten einen Aufstand loszutreten, vermied man auch gegen den todesbereiten Wunsch derer, denen die 92
Zahlen nach BW-MuV, S. 700 ff.
1.5
Endkontrolle
65
Evakuierung unmittelbar drohte. Angesichts von ca. 100 leichten Waffen in den Händen der Häftlinge gegenüber ca. 5.000 Mann SS-Truppen in den umliegenden Kasernen erschien diese Verzögerungstaktik der deutschen Kommunisten als ein Gebot der nackten Selbsterhaltung. 93 Als die amerikanischen Tanks am 11.4.1945 gesichtet wurden und sich die SS zurückzog, wurden die Lagertürme und das Tor von bewaffneten Häftlingen der Militärorganisation besetzt und versprengte SS-Leute eingefangen,94 aber die sofort einsetzenden Sicherheitsmaßnahmen wandten sich ebensosehr gegen die Masse der verbliebenen Häftlinge: die Absperrung des Kleinen Lagers sollte erhalten und das Lager zunächst geschlossen bleiben (vgl. Dok. 1.1). Die wilde Bewaffnung ausländischer Häftlinge aus verbliebenen SS-Beständen sah man mit großer Besorgnis, die ausländischen Vertreter im Internationalen Lagerkomitee wurden von Walter Bartel beschworen, nun Rachefeldzügen gegen alles Deutsche entgegenzutreten, und einige besonders umstrittene Repräsentanten der Kapo-Macht, die in den letzten Tagen verborgen worden waren, scheinen aus ihren Verstecken erst nach Tagen herausgekommen zu sein und sich gleich abgesetzt zu haben. Andeutungen in den Quellen (vgl. Dok. 1.2, V.3.2) sprechen dafür, daß darunter der Kontrolleur Hein Hauptmann und der Kapo des Krankenbaus Ernst Busse waren. Der erste war ein im ganzen Lager berüchtigter Schläger aus der Lagerleitung, der zweite, in dessen Person sich Lager- und Parteileitung verbanden, war nach seinem eigenen Geständnis im Krankenbau über die Grenzsituationen des Opfertauschs hinausgegangen und hatte auf Anforderung der SS auch selbständig Todeslisten zusammengestellt (vgl. Exkurs „X"). Am Tag nach der Befreiung trifft sich das „Parteiaktiv" der KPD im Lager in den Räumen der Arbeitsstatistik (vgl. Dok. 1.2). Von den insgesamt 796 deutschen Genossen im Lager nehmen 55 an dieser ersten legalen, wenn nicht überhaupt der ersten Sitzung des Parteiaktivs teil, offenbar die Funktionäre des inneren Kreises, die 21 Parteibezirke repräsentieren. Busse ist nicht unter ihnen, aber er wird einstimmig zusammen mit Bartel und Kuhn, die hier das Wort fuhren, als Parteileitung bestätigt, und als künftiges Parteizentrum wird das Arztzimmer im Krankenbau bestimmt, „wo Ernst Busse fungieren wird". Die Sitzung beginnt mit einer Totenehrung und dem dreifachen „Rotfront!"-Gruß aller Anwesenden. Bartel schließt sie später mit der Wiederholung dieses Grußes und den Worten: „Ran an die Parteiarbeit, vorwärts zum endgültigen Sieg mit der Partei, fur die deutsche Arbeiterklasse, für das deutsche Volk!" Harry Kuhn hält das Referat über „die Arbeit der Partei in Vergangenheit und Zukunft", betont, daß man sich immer an die Linie des VII. Weltkongresses der Komintern, d.h. die Volksfrontpolitik gehalten und ein Volksfrontkomitee, in dem „auch Sozialdemokraten" seien, im Lager gegründet habe. Außerdem hätten „noch zehn ausländische Sektionen der Parteileitung unter der Führung der deutschen Genossen" gestanden, die dadurch dieselbe Linie verfolgten. Als im letzten Jahr zahlreiche Genossen aus Thüringen und Sachsen ins 93 94
Vgl. Dok. 1.2 und 1.6. Die Rechtfertigung dieser Entscheidungen durchzog auch die Äußerungen der KPDFührer unmittelbar nach der Befreiung bei den Appellen und im ILK. Zum Ablauf dieses symbolischen und Sicherungsaufstands im Niemandsland vgl. jetzt am besten die Zusammenfassung von Manfred Overesch, Brill, a.a.O., S. 295 ff. und die dort angegebene Lit.
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I Funktionshäftling und Funktionär
Lager eingeliefert worden seien, habe man festgestellt, daß unter ihnen „linke Tendenzen bestanden, z.B. der Faschismus sei nur durch die proletarische Diktatur zu beseitigen", und sie durch Schulung auf Linie gebracht. In der in den letzten Wochen umstrittenen Frage des Aufstandes habe sich die deutsche Leitung mit ihrer Verzögerungstaktik (offenbar gegen den Wunsch ausländischer Sektionen, früher loszuschlagen) durchgesetzt, wodurch allerdings „der Abtransport der sowjetrussischen Kriegsgefangenen nicht mehr verhindert werden konnte". Die deutschen Kommunisten seien dabei Jedoch allein nicht entscheidend", vielmehr „das internationale Urteil maßgebend" gewesen. Mit anderen Worten: man sei für die kampflose Preisgabe der Russen im Sinne der Kaderschonung im übrigen nicht verantwortlich. Auf der anderen Seite gebe es „heute kein Lagerorgan mehr, vom Kommandanten bis zum letzten Feuerwehrmann, das nicht nach den Anweisungen der Partei arbeitet", d.h. der deutschen Parteileitung der KPD im Lager. Nachdem er als unmittelbare Zukunftsaufgaben die Herstellung einer Lagerordnung in „höchster Disziplin" gegen „kriminelle und asoziale Elemente" und darüber hinaus vor allem weiteren Kampf, weil „die Faschisten erst ausgerottet werden" müssen, hervorgehoben hatte, schließt Kuhn sein Referat mit der Hoffnung 95 : „... wir können zweifellos der Partei einen Kader von guten Kommunisten aus der Haft mit nach Hause bringen, die nicht nur die Härten und Leiden des KZ ohne Murren ausgehalten und im Lager mutig gekämpft haben, sondern die auch mit altem Elan und neuer Härte an die kommenden Aufgaben herangehen werden, einen Kader, auf den sich die KPD unbedingt verlassen kann." Schon einen Tag nach der Befreiung des Lagers wird die Einsetzung einer „ParteiKontroll-Kommission der K.P.D., Partei-Aktiv Buchenwald" vollzogen, die alle Genossen im Lager Bezirken zuordnet und die politische Vergangenheit und ihr Verhalten im Lager überprüft: 59 Überprüfte werden gestrichen (vorwiegend weil sie ohne Parteiauftrag geflohen sind), 111 Genossen werden in den Kandidatenstand eingereiht oder zurückgestuft, gegen 15 werden Rügen ausgesprochen und 626 werden als Parteiaktiv festgestellt. 96 Eine Auswertung der namentlich begründeten Parteistreichungen in diesem aufschlußreichen Dokument eines ersten Selbstreinigungsversuchs, der auf dem Leumund der Betroffenen vorwiegend bei ihren bezirklichen Genossen beruht, ergibt als häufigste Streichungsgründe: 26 Lager ohne Parteiauftrag verlassen, 13 inaktiv oder Parteiarbeit verweigert, 7 inaktiv und parteischädigendes Verhalten bzw. Belastung für Partei, zwei inaktiv und charakterlich unsauber, zwei inaktiv und Unterschlagungen. Von den Aktiven werden zwei weitere als Belastung für die Partei, drei wegen zu enger Zusammenarbeit mit der SS (einer wegen Geldschiebereien, ein Vorarbeiter der SS-Schneiderei wegen seiner „intimsten Freundschaft mit der SS" sowie der Kapo der Feuerwehr), zwei „wegen Weitererzählens von Dingen, die nicht weitergegeben 95
96
Er erwartete die Bildung eines deutschen Nationalkomitees als Übergangsregierung unter den Alliierten und bechwor „das Gespenst einer Auseinandersetzung zwischen der SU [Sowjetunion] und den Westmächten", wodurch das deutsche Proletariat sich vielleicht schon bald vor eine ähnliche Lage gestellt sehen könnte wie das griechische, d.h. einen bewaffneten Aufstand unter kommunistischer Führung gegen die Westmächte zu fuhren. PKK Buchenwald an Sekretariat der Leitung der KPD Buchenwald, Partei-Aktiv Buchenwald v. 27.4.45 mit undat. Bericht über die Tätigkeit der PKK (Abschriften in SAPMO-BA, ZPA 1 2/3/154, Bl. 211 ff ).
1.5 Endkontrolle
67
werden sollen (Effektenkammergeschichten)", einer als zu vernichtendes „negatives Element"97 , einer wegen Zerstörung eines Radios, einer weil er einen von der Partei zur Liquidierung bestimmten Kapo geschützt habe 98 , einer wegen politischer Abweichungen und Krankheit und einer, der zu SPD wechseln, aber mit der KPD weiter zusammenarbeiten wolle. 99 Drei der Ausgeschlossenen100 werden später auch in den Vernehmungen in der Untersuchung gegen Busse als Negativbeispiele erwähnt oder erörtert, zwei der Ausgeschlossenen101 gehören 1946 zu seinen Belastungszeugen, sind also offenbar wieder aufgenommen worden, davon einer zugleich im höheren Polizeidienst.
97 98
99 100
101
„...schon immer im Lager negatives Element. Deshalb nach Auschwitz geschickt. Die ungarischen] Juden, die mit ihm von Auschwitz kamen, bezeichnen ihn nur als Massenmörder." „pol. S.-V. [politischer Sicherheits-Verwahrter], mehr Schwierigkeiten gemacht als genützt, unter anderem den Oberkapo von Auschwitz, W., der von der Partei als geiährl. Element bezeichnet wurde und eingehen sollte, immer wieder gestützt und ihm Harri Kuhn bezeichnet als den Mann mit der Brille, der im Keller sitzt und alle Fäden in der Hand hat." Alles nach „Bericht über die Tätigkeit der PKK", a.a.O. Nämlich: der westdeutsche Kapo eines Materiallagers Heinz Dose („Bei aller Berücksichtigung seines schwierigen Kommandos, wäre es dennoch unverantwortlich, ihn im Aktiv zu belassen, da seine Vergehen jedem im Lager bekannt sind."); er wird später in der DDR 1. Sekr. der SED auf Kreisebene und Präsident eines Sportverbands der DDR. Der auch in dem amerikanischen Bericht über Buchenwald v. 24.4.1945 belastete Kontrolleur aus Hamburg, Hein Hauptmann („Hat sich zwar aus dem Lager entfernen müssen, aber er war mehr negativ als positiv, so daß er nur eine Belastung für die Partei wäre.") sowie der ehem. KPD-Abgeordnete und Lagerälteste Karl Barthel („Muß man infolge seiner früheren Qualität besonders scharf beurteilen, weil sein Geltungsbedürfnis ihn hier im Lager nicht davon abhielt, sich dauernd mit parteischädlichen Elementen abzugeben, ja sogar mit O. hatte er Zusammenarbeit. Seine Arbeit fur die Partei trotz dauernder Aufforderung ist gleich null, seine Arbeit aber gegen die Partei zumindestens im parteischädigenden Sinne sehr groß."); er lebte in der DDR politisch zurückgezogen in Jena. Nämlich Toni Waibel aus Württemberg („Als einer der ehemaligen führenden Funktionäre der Partei haben wir auch nicht das geringste in Buchenwald von organisierter Arbeit, trotz aller Bemühungen um ihn, gesehen; darum muß man ihn schärfer anfassen wie andere mit weniger Qualität ") und Fritz Männchen aus Ostsachsen („Die gesamte Vergangenheit von Männchen im Lager ist so bekannt, daß es keiner weiteren Begründung bedarf, ebenfalls fehlt bei ihm die illegale Arbeit "). In seiner Vernehmung v. 14.10.1946 sagte er: „Ich war Blockältester vom 17.10.37 auf Block 23, das war ein politischer Block. Einige Monate später bekam ich den Bibelforscherblock, dann wurde ich aufgrund meiner früheren polizeilichen Tätigkeit Lagerältester im Block 2, und zwar von [19]38 zu 39. Dann wurde ich abgelöst und sollte zu Hitlers Geburtstag entlassen werden; dann wurde ich Lagerkapo [was später Lagerältester hieß], kam dann strafweise in den Steinbruch, wo ich ca. 1 Jahr war. Dann wurde ich wieder Blockältester und Kontrolleur. Dann wurde ich 1943 abgelöst und ging auf Veranlassung von Rudi Hempel [auf ein Außenkommando] nach Leipzig. Da wurde ich Lagerältester. Erst am 5.4.[1945] ging ich wieder nach Buchenwald und bin dann wieder bis zur Befreiung dageblieben."
II.
DIE „SÄUBERUNG" DER KÄMPFER „Geheimakte Buchenwald"
II.l
Die Untersuchung der Amerikaner vom April 19451
Schon in den ersten Tagen, nachdem am 11.4.1945 die Amerikaner die Verantwortung für die verbliebenen ca. 21.000 Häftlinge auf dem Ettersberg übernommen hatten, wurden diese von deutschsprachigen Offizieren und Zivilspezialisten der Abteilung für Psychologische Kriegführung (PWD) beim Hauptquartier der 12. US-Armeegruppe nach ihren Erfahrungen und nach der Geschichte des Konzentrationslagers befragt. Ihre erste vorläufige Auswertung dieser Interviews legten Egon W. Fleck und Edward A. Tenenbaum schon in der zweiten Woche nach der Befreiung des Lagers vor (vgl. Dok. 1.3). Der Bericht begann mit den Worten: „Die volle Wahrheit über Buchenwald wird niemals bekannt werden." Zu groß wäre der dafür notwendige Befragungsaufwand, zu groß wäre die Angst der befragten Häftlinge, zumindest solange sie noch in Buchenwald unter der Herrschaft des kommunistisch dominierten Lagerkomitees seien. Der Chef der geheimdienstlichen Abteilung stufte in einem Begleitschreiben den Bericht als „kontrovers" ein, empfahl ihn zugleich aber besonderer Aufmerksamkeit, weil er nicht einfach ein weiterer Bericht über ein befreites Lager sei und sich auch nicht nur mit den „Brutalitäten der unmenschlichen Nazis" beschäftige. „Es ist der Bericht von Rädern im Getriebe. Der Bericht schildert, wie die Häftlinge selbst einen tödlichen Terror innerhalb des Nazi-Terrors organisierten." Mit spürbarem Erstaunen teilen die Interviewer mit, was ihnen offenbar vor allem von nicht-deutschen Häftlingen, darunter zwei alliierten Geheimdienstleuten, berichtet worden war. Zum ersten Mal in einem alliierten KZ-Bericht rückte neben den Greueltaten der SS das im Krieg forcierte und von den „Kriminellen" an die „Politischen" übergegangene System einer Häftlingsselbstverwaltung und des Lagerschutzes in den Vordergrund, in denen deutsche Kommunisten das Sagen gehabt hätten. Sie stellten die meisten Lager- und viele Blockältesten, kommandierten die Lagerpolizei und besetzten die wesentlichen Kapo-Funktionen. Die deutschen Kommunisten hätten insbesondere die Lebensmittelverwaltung, die Effektenkammer, die Krankenreviere (einschließlich der Fleckfieber-Versuchsstation), die Ατι
Dieses Kapitel der Einleitung möchte einen Überblick über die edierten Dokumente und ihren historischen Zusammenhang zwischen 1945 und der Gegenwart geben. Es verweist deshalb Abschnitt fur Abschnitt auf die Dokumente und verzichtet im ganzen auf Literaturverweise, die ggf. in die Annotierung der Dokumente eingegangen sind.
11.1 Die Untersuchung der Amerikaner vom April 1945
69
beitsstatistik (mit ihrer Aufgabe, Arbeitskommandos und Transporte zusammenzustellen) und den Lagerschutz in ihre Hand gebracht. Nach eigenen Angaben übernahmen sie diese Funktionen, um die Herrschaft der Kriminellen, deren Führer von einem mit den Kommunisten kooperierenden SS-Arzt mit Injektionen getötet worden seien, abzuschütteln. Tatsächlich hätten die ca. 300 deutschen Kommunisten, die von einer geheimen politischen Leitung gesteuert würden, aber in ihrer Mehrheit ein eigenes Terror- und Privilegiensystem über die Masse der anderen Häftlinge ausübten, sich durch ihre Ordnungsfunktion für die SS (wie übrigens auch fur die Amerikaner) unentbehrlich gemacht. Sie hätten dabei aber auch aus eigener Initiative verübte Härten und Verbrechen an den Häftlingen zu verantworten, insbesondere die Aussonderung von Gegnern und Konkurrenten fur Transporte zu todgeweihten Arbeitskommandos und fur medizinische Versuche im Krankenbau. Zweitens hätten sie sich eine bevorzugte Lebensmittel- und Medikamentenversorgung erwirtschaftet und sich das Eigentum ankommender Häftlinge und die fur westeuropäische Häftlinge bestimmten Paketsendungen angeeignet: Man erkenne sie an „ihren rosigen Wangen und ihrer robusten Gesundheit". Drittens hätten Kommunisten im September 1944 begonnen, ein Komplott zur Aufstellung einer neuen deutschen Regierung zu schmieden. Daran seien insbesondere ein österreichischer Kommunist und die Kapos der EfFektenkammer beteiligt gewesen, die auch Verbindungen mit Häftlingen in Dora und Sachsenhausen in dieser Sache aufzunehmen verstanden hätten. Die Sache sei aber aufgeflogen, und die Beteiligten seien der Gestapo in Weimar übergeben worden, was fur gewöhnlich den sicheren Tod bedeutete. In Sachsenhausen seien deshalb 36 deutsche Kommunisten ermordet worden. Zum Erstaunen der Buchenwalder Häftlinge seien aber eine Reihe der in Weimar Verhafteten, darunter der erste Lagerälteste Erich Reschke, lebend ins Lager zurückgekommen. Allerdings seien nicht alle kommunistischen Führer „schlecht". Der Bericht nennt bewußt nur relativ wenige Namen: Z.B. sei der Leiter des Lagerschutzes Hein Hauptmann ein Sadist, dessen ,Augen funkeln vor Vergnügen, wenn er erzählt, wie 'wir dieses Lager diszipliniert haben'", und der Kapo der Fleckfieberstation des Blocks 46, Arthur Dietzsch, werde als „privater Hinrichtungsbeamter" charakterisiert. Besonders genannt wurde auch der Kapo der Effektenkammer, Heinz Bausch, KP-Funktionär aus Dresden. Auf der anderen Seite werde der derzeitige erste Lagerälteste - das war Hans Eiden - "als aufrichtiger und guter Mensch respektiert". Insgesamt kommt der Bericht zu einer prägnanten Erläuterung der Motive und des Verhaltens der deutschen Kommunisten im Lager: „Sie übernahmen die Führung, um Buchenwald zu einem besseren Lebensbereich zu machen. Um das zu erreichen, mußten sie eine bestimmte Arbeitsleistung, Ordnung und Disziplin erzielen. Somit waren ihre Mittel durch das Ziel gerechtfertigt. Die Motive der Kommunisten sind insofern, als sie nachvollzogen werden können, vollständig human. Nur der Tüchtigste konnte 12 Jahre Konzentrationslager überleben. Die Tüchtigkeit bestand darin, die SS von der eigenen Nützlichkeit zu überzeugen, und in dem Kampf fur das Überleben mußte dieses Merkmal hervortreten. Gestützt
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II Die Säuberung der Kämpfer
durch den geheiligten Egoismus ihrer Mission, durch den Lebenswillen, um ein kommunistisches Deutschland zu formen, verloren sie ihren menschlichen Idealismus. Sie wurden hart, wollten nicht für sich selbst überleben, sondern im Namen der proletarischen Zukunft Deutschlands und rechtfertigten dadurch viele extreme Mittel des Überlebens. Für sie sind die meisten anderen 'Banditen'. Sie betrachten sich selbst fast als den einzigen wertvollen Rest des großen Auswahlprozesses, den das System der Konzentrationslager darstellte." Dieser Bericht - trotz mancher Ungenauigkeiten und Übertreibungen im einzelnen insgesamt eine erstaunliche Rechercheleistung nach nur einer Woche Interviews - sollte weitreichende Wirkungen haben sowohl in politischer wie in publizistischer Hinsicht. Zunächst wurde die Recherche fortgesetzt, und einer, der wohl zu den Hauptinformanten gehörende österreichische Katholik Eugen Kogon, leitete nun selbst die Untersuchungsequipe aus Häftlingen, die am 10.5.1945 ihren „Bericht über Buchenwald" (vgl. Dok. 1.4) vorlegte, der an den Oberkommandierenden der Westalliierten in Europa, General Eisenhower, ging und von da nach Washington weitergeleitet worden sein soll. Kogon arbeitete in der Folge dieses Material zu seinem 1946 erschienen Buch „Der SS-Staat" aus, d a s - i n der Funktion und Machart ähnlich wie später Alexander Solschenyzins „Archipel GULag", aber in der Freiheit und wissenschaftsförmiger geschrieben - im Westen das Bild der Konzentrationslager in der Nachkriegsöffentlichkeit wesentlich bestimmen sollte. Im Osten wurde es nicht gedruckt. Noch bevor es ins Englische übersetzt wurde, griff ein ehemaliger Militärhistoriker im Stab der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland, Donald B. Robinson, im Zuge der Zuspitzung des Kalten Krieges auf den ihm dienstlich bekannt gewordenen PWD-Bericht vom April 1945 zurück und publizierte seine Substanz und gerade die fragwürdigeren Details - in journalistischer Aufmachung und um die differenzierten Einsichten des Originals vermindert - unter der reißerischen Überschrift „Kommunistische Greueltaten in Buchenwald" im Herbst 1946 im „American Mercury" (vgl. Dok. III.9.1). Eine deutsche Übersetzung verbreitete ein halbes Jahr später der Londoner Sopade-Informationsdienst der Sozialdemokraten, die sich nach dem Ende einer selbständigen SPD in der SBZ nichts entgehen ließen, um die Kommunisten im Osten zu kritisieren. Von dort gelangte die Geschichte über die Herrschaft der roten Kapos in mehrere westdeutsche Zeitungen2 - als Begleitmusik zum Buchenwald-Prozeß vor dem Amerikanischen Militärgericht in Dachau im April 1947. Das „Geheimnis von Buchenwald" begann also in der Nachkriegszeit mit seiner weidlichen Bekanntmachung - allerdings im Westen. Darüber hinaus hatte der Bericht aber auch noch eine unmittelbare politische Wirkung. Denn dieses Verfahren hatten die Amerikaner als besetzende Militärmacht, die nach der Befreiung des Lagers in Thüringen die verbliebenen SS-Verantwortlichen verhaftet hatte, an sich gezogen und führten es nach ihrem Rückzug auf ihre Besatzungszone in Dachau durch. Zumindest in den Vorermittlungen beschuldigten sie dabei neben diesen Nazis als Hauptangeklagten auch (vorwiegend kommunistische) Funktionshäftlinge der Mittäterschaft an Ver2
Vgl. z.B. „Verwandschaft der Seelen", in: Südwestdeutsche Volkszeitung v. 24.5.1947; „Disziplin war sein Lieblingswort", in: Aachener Nachrichten v. 16.5.1947. Siehe auch Dok. III.9.
II. 2 Untersuchung und Abwehr durch die SED 1946/47
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brechen gegen die Menschheit. Denn aufgrund der Häftlingsbefragungen hatten die Amerikaner auch belastete Häftlinge wie den Kapo der Fleckfieberstation, Arthur Dietzsch, und den stellvertretenden Kapo des Krankenbaus, Otto Kipp, inhaftiert, den letzteren allerdings bereits Mitte 1946 ohne Verfahren wieder auf freien Fuß gesetzt (vgl. Dok. III.2). Andere, wie der hessische Landtagsabgeordnete Wilhelm Hamann, der Lagerälteste Hans Neupert (vgl. Dok. III. 1) und der Kapo Alois Mossbauer, alle Kommunisten, blieben länger in Haft, aber keiner von ihnen scheint angeklagt worden zu sein.
II.2.
Untersuchung und Abwehr durch die SED 1946/47
Die Hilfsgesuche der Buchenwalder Genossen aus Dachau waren nicht der einzige Grund, warum in Ost-Berlin das Problem der Funktionshäftlinge in Buchenwald im Parteivorstand der SED im Herbst 1946 aufgegriffen wurde (vgl. Dok. II. 1). Aber halt: das ist schon falsch ausgedrückt. Wir schreiben jetzt zwar ein halbes Jahr nach der Gründung der SED, aber die gefundenen Akten firmieren noch immer unter „Politbüro der KPD", und so werden sie auch im Schöße der SED über fast ein halbes Jahrhundert aufbewahrt. Die SED ist zwar gegründet, aber die größere Hälfte der Einheitspartei kommt in dieser internen Behandlung der Widerstandsgeschichte so gut wie nicht vor. Wenn von Genossen gesprochen wird, sind Kommunisten gemeint. Offenbar kann auch nach der Partei-Vereinigung die schmutzige Wäsche noch immer zu Hause gewaschen werden. Neben den Hilfsersuchen derer, die in die Hände des imperialistischen Klassenfeindes geraten sind, gibt es nun Äußerungen und Eingaben von Genossen, die Buchenwald überlebten, zum Verhalten der Führungsfunktionäre als Funktionshäftlinge (vgl. Dok. II.2). Allerdings zögern sie, ihre Erinnerungen publik zu machen, weil die Partei jene Genossen, deren Verhalten im Lager sie nicht vergessen können, an prominente Stellen piaziert hat. Viele sind nun in der inneren Verwaltung, sprich: Polizei. Und der Prominenteste von ihnen, Emst Busse - Mitglied des Reichstags, Lagerältester und Kapo in jenem Krankenbau, in dem auch der Dreierkopf der illegalen deutschen Parteileitung und das Internationale Lagerkomitee zusammengekommen waren, denen er angehörte - , ist nun nicht nur maßgebend in der Bezirksleitung Thüringen der Partei, sondern auch Innenminister dieses Landes und 1. stellvertretender Landespräsident. Der Kaderspezialist unter den aus Moskau zurückgekehrten Emigranten, Walter Ulbricht, der den im Reich fuhrungslos gebliebenen Genossen ohnehin mit Skepsis gegenübersteht, verspricht ihnen eine Untersuchung und bringt sie in Gang. Auf die Liste mit der Zusammenstellung der Vorwürfe schreibt er:
72
II Die Säuberung der
Kämpfer
„Vorschlag: Untersuchung gegen Busse und Barthel [sie!.]3 Bis dahin sollen Funktionen ruhen[.] U." Moskauer Emigranten beginnen, mit den Inlandskommunisten aufzuräumen, zumindest Material über sie zu sammeln, sollen sie doch 1945 versucht haben, aus den KZs heraus ein eigenes Zentralkomitee aufzubauen. Daß man sich Anfang Oktober 1946 damit beeilt, wird seinen Grund darin haben, daß Ende September ein anderer prominenter Genösse aus Buchenwald, der ehemalige hessische Landtagsabgeordnete Wilhelm Hamann, in der amerikanischen Zone vom CIC unter der Anschuldigung, Mithäftlinge mißhandelt zu haben, verhaftet worden war, und der Kaderchef der SED Franz Dahlem sogar mit der Tartarennachricht drängte, Ernst Busse und Eugen Kogon sollten im Dachauer Kriegsverbrecherprozeß von den Amerikanern angeklagt werden (vgl. Dok. III.3). Unter dem Vorsitz eines Mitglieds der früheren „Gruppe Ackermann" wird eine Kommission aus durchweg kommunistischen Mitarbeitern des ZK der SED, die überwiegend aus der Emigration heimgekehrt sind, gebildet (vgl. Dok. III.3). Diese fordert nun Stellungnahmen der erreichbaren Überlebenden unter den Führungskadern der KPD im Lager ein bzw. vernimmt sie. Ihre Arbeit beginnt am 8.10.1946 mit einer Gegenüberstellung des Hauptbeschuldigten Ernst Busse mit zwei prominenten Altkommunisten aus den Westsektoren Berlins, die zu den ungenannten Beschwerdeführern gehört haben könnten, Toni Waibel aus Hermsdorf (ursprünglich aus Stuttgart) und Victor Drewnitzki aus Spandau (vgl. Dok. II.4). Vom Vorsitzenden der Kommission werden außerdem in den nächsten Tagen besonders ausfuhrlich Rudi Jahn, Franz Dobermann, Fritz Männchen in Dresden sowie Max Pawel vernommen. Mündliche oder schriftliche Aussagen machen außerdem: Walter Bartel, Hermann Zilles, Ullrich Osche, Helmut Thiemann, Heinz Brandt, Karl Gärtig, Walter Jurich, Richard Großkopf, Erich Reschke, Erich Bär, Otto Kipp und Karl Pankow (so die Folge in der Akte, vgl. II.5.1 bis II.5.15). Alle sind Altkommunisten und ehemalige Buchenwalder Häftlinge, die meisten waren dort Kapos oder hatten leitende Partei-Funktionen. Zur Lagerprominenz gehörten neben Busse Jurich (Führer der in den ersten Jahren tonangebenden sächsischen Kommunisten), Kipp (2. Kapo im Revier) und Reschke (im Krieg 2. und später 1. Lagerältester). Von den beiden anderen überlebenden Mitgliedern der illegalen KPD-Parteileitung in Buchenwald, Walter Bartel und Harry Kuhn, ist nur der erste mit einem eigenen Beitrag in dieser Parteiuntersuchung vertreten, in der er herausstreicht, daß er bei seiner Einlieferung ins Lager 1939 die überraschten Genossen dort mit der neuen Volksfrontlinie (von 1935) vertraut gemacht und sie darin geschult habe. Beide sind damals aber auf wichtigen Posten in Berlin - Bartel als Bürochef Wilhelm Piecks, Kuhn als Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge. Letzterer mag also auch auf andere Weise gehört worden sein. Waibel galt zwar als bekannter Kommunist, der schon in der Zeit der Bayerischen Räterepublik und dann 1920-22 in Moskau beim Aufbau der Schulung der Komintern eine Rolle gespielt hatte; im Lager hielt er jedoch die Übernahme von Funktionen für problematisch und wurde auf der 3
Gemeint ist höchstwahrscheinlich Walter Bartel.
II. 2 Untersuchung und Abwehr durch die SED 1946/47
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ersten Sitzung des Buchenwalder Parteiaktivs nach der Befreiung am 12.4.1945 wegen „Passivität" aus der KPD ausgeschlossen. In der „Gegenüberstellung" wird er jedoch als Genösse angesprochen, denn er ist mittlerweile KPD-Sekretär in einem Westberliner Arbeiterbezirk. Die meisten der Befragten - nur Drewnitzki, Waibel und Zilles kommen aus den Westzonen - sind nun in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder im sowjetischen Sektor von Berlin leitend im Parteiapparat oder besonders in der „inneren Verwaltung" tätig, mehrere mit dem Aufbau der Polizei befaßt. Reschke war 1945 Polizeichef in Thüringen und ist gerade Präsident der Deutschen Verwaltung des Innern der SBZ in Berlin, d.h. Chef der Volkspolizei der Zone geworden, Jahn wird bald Ministerpräsident von Brandenburg werden, Thiemann und Großkopf sind höhere Polizeichargen und werden später ins zweite Glied der Leitungsebene des MfS (in Sachsen) aufsteigen. Zwei der prominentesten Buchenwalder KP-Kapos, Robert Siewert und Willi Seifert, die hier noch nicht befragt werden (s.u.), waren mittlerweile Innenminister bzw. Polizeichef von Sachsen-Anhalt und Sachsen geworden, die hier befragten Fritz Männchen und Franz Dobermann leiteten den Aufbau der Kripo in Dresden, Walter Jurich war Polizeipräsident in Leipzig usw. Mit anderen Worten: Rund zwei Drittel der deutschen bewaffneten Organe der SBZ standen unter dem Kommando Buchenwalder Kapos oder illegaler Parteiaktivisten, die ein Netzwerk unmittelbarer Macht aufgebaut hatten. Die Untersuchungen bezogen sich auf fünf Komplexe: „1. Allgemeine politische Halt u n g - 2 . Übernahme von Funktionen im L a g e r - 3 . Todesspritzen - Bedrohungen von Gen o s s e n - 4 . Anschuldigungen betreffend konkreter Fälle im L a g e r - 5 . Moralische Haltung einzelner Genossen." Schon nach einem Monat, am 7.11.1946, legte die Kommission ihr „Untersuchungsergebnis in der Angelegenheit des Genossen Busse betr. Beschuldigungen gegen Genossen der Parteileitung der Partei-Organisation im KZ Buchenwald" vor (vgl. Dok. II.7), mit dem das Verfahren im wesentlichen niedergeschlagen wurde: Die Haltung der Parteileitung sei fest geblieben, die Übernahme von Funktionen in der Häftlingsverwaltung sei richtig gewesen, um dem Terror der SS und der Willkür der Kriminellen entgegenzuwirken, die Todesspritzen seien von den SS-Ärzten verabfolgt worden, aber die Kapos hätten Verschiedene durch Auswechslung von Todeskandidaten retten können und nur in geringer Zahl und nur auf Beschluß der Parteileitungen der einzelnen Nationen selbst „liquidiert". In diesem Bereich sei jedoch keine volle Klarheit zu erzielen, weil die „Beteiligten in ihren Aussagen zurückhaltend" seien. Auch die vorgebrachten Einzelfälle von zwei Russen, an deren Tod kommunistische Kapos beteiligt gewesen sein sollten, konnten nicht abschließend geklärt werden-jedenfalls seien sie der Parteileitung nicht anzulasten. Vertretbar sei auch, daß sich die fuhrenden Genossen, die besonderen Gefahren ausgesetzt gewesen seien, Privilegien verschafft hätten. Zu verurteilen sei hingegen, daß solche Vergünstigungen wie Lebensmittel, Kleidung usw. von einzelnen Genossen - namentlich genannt wurden sechs untere Funktionäre - zu ihren Geliebten ins Lagerbordell mitgebracht worden seien, und in diesem Punkt sei auch die Haltung Busses „nicht einwandfrei" gewesen.
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Π Die Säuberung der Kämpfer
Obwohl in den Vernehmungen Waibels Skepsis gegenüber der Übernahme von Funktionen sowie mehrere Beschuldigungen - vor allem von unteren Funktionären - bekräftigt worden waren, sah die Kommission das Problem nicht bei den Beschuldigten, sondern bei jenen, die Beschuldigungen erhoben. Aus dem Blickwinkel der „indifferenten Masse" könnten die Funktionshäftlinge als bevorzugte Schicht und einzelne sogar als Stützen der SSLagerordnung erscheinen, weil sie nicht verstanden habe, daß im Interesse des Lagers die SS-Leute mit allen Mitteln hätten korrumpiert werden müssen. Es sei daher nicht auszuschließen, daß Anschuldigungen gegen leitende Funktionäre und besonders gegen Busse auf „verschiedene Motive" zurückgingen. Die Kommission war hingegen überzeugt, daß sich die Führungskader in Buchenwald „hervorragende Verdienste" erworben hätten, indem sie unter großen Gefahren erfolgreich für die Erhaltung „antifaschistischer Kader" aller Nationen gesorgt, einen Teil der Lagerinsassen beeinflußt und die Verhältnisse des Lagerlebens erleichtert hätten. In dieser Reihenfolge. Auf den an sich naheliegenden Gedanken, die Vorwürfe gerichtlich nachprüfen zu lassen und dadurch professionelle Ermittlungen und die Vernehmung auch unbeteiligter Zeugen - immerhin ging es im Kern um Mordverdacht - auszulösen, war die Kommission nicht gekommen. Moralische Bedenken lösten allein die Besuche einzelner Funktionäre im Lagerbordell und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Unterschlagungen aus. Solche Bedenken sind jedoch nicht erkennbar in der Frage von „Liquidierungen", solange sie auf förmlichen Beschluß des Dreierkopfs einer jeweiligen Parteileitung hin vorgenommen wurden; daß ein solcher Beschluß jeweils nur der unmittelbaren Gefahrenabwehr im allgemeinen oder einem sonst übergeordneten Interesse diente, wird unterstellt. Als übergeordnetes Interesse erscheint vor allem das Überleben der kommunistischen Kader. Denn nur von ihnen und von russischen Militärs ist in den Vernehmungen die Rede, wenn es um Tod und Leben ging. Das Untersuchungsergebnis setzt dann für kommunistisch einfach antifaschistisch ein. Dieses Untersuchungsergebnis hätte in einer größeren Öffentlichkeit schwerlich Verständnis finden können, und es war auch eine offene Frage, da die ganze Untersuchung geheim blieb, ob es von der Parteidisziplin getragen worden wäre. Es diente also nicht eigentlich der dauernden Entlastung der Beschuldigten, sondern der Rückversicherung der Parteiführung, ob und wie öffentliche oder parteiinterne Beschuldigungen abgewehrt werden sollten. Aber auch diese - durch kein Rechtsverfahren unterstützte - Sicherheit erwies sich als brüchig, denn vier Monate später wurden die Verdachtsmomente gegen Busse und seinen Genossen in der Buchenwalder Parteileitung, Walter Bartel, erneut im inneren Kreis erörtert, aber offenbar erneut beigelegt (vgl. Dok. II.8). Zu Bedenken hatte auch ein Rundschreiben Busses (auf dem Kopfbogen des Thüringischen Innenministers) „an alle alten Freunde und Bekannten aus dem Lager Buchenwald" v. 25.2.1947 (vgl. Dok. III.5) Anlaß gegeben, in dem er die Adressaten (zum Zwecke einer alsbaldigen Veröffentlichung in der Form einer Dokumentation zum „Buchenwaldtag" am 11.4.1947) um die Beantwortung von fünf Fragen bat:
11.2 Untersuchung und Abwehr durch die SED 1946/47
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„1. Was war Dein schönstes Erlebnis in Buchenwald? 2. Würdest Du noch leben, wenn die Kampfgemeinschaft uns nicht zusammengeschmiedet hätte? 3. Waren unsere, von uns selbst gegebenen Gesetze nicht hart; aber war diese Härte nicht Voraussetzung fur unseren Erfolg? 4. War nicht das, was wir von Einzelnen an Mut und Einsatzbereitschaft forderten, mehr, als man von einem Menschen verlangen kann? 5. Haben wir nicht Übermenschliches von uns selbst gefordert, und waren wir nicht dennoch auch nur Menschen? Und heute! Versucht man nicht, weil wir nur Menschen waren und auch menschliche Fehler hatten, uns und unsere Sache zu diffamieren? Müssen wir das tatenlos zusehen? Ich meine nicht? [sie!]" Das mochte nach einer selbstorganisierten Verteidigungskampagne aussehen, die einem beschuldigten und parteiintern entlasteten Kommunisten nicht zustand. Außerdem mochte es den parteiintern zu behandelnden Verdacht in die Öffentlichkeit tragen und dort größeren Schaden anrichten. Dazu trug die Furcht der Beteiligten bei, daß die leitenden Funktionshäftlinge aus Buchenwald, von denen jetzt zahlreiche leitende Staats- und Parteifunktionäre vor allem in der SBZ geworden waren, im Zuge des Dachauer Buchenwald-Prozesses öffentlich beschuldigt werden könnten. In einem Brandschreiben Walter Bartels an den Kaderchef im SED-Zentralvorstand, Franz Dahlem, vom 10.2.1947 (vgl. Dok. III.4) wurden in diesem Sinne zwei stellvertretende Ministerpräsidenten von Ländern der SBZ, ein leitender und zwei weitere Ministerialbeamte in Thüringen und Sachsen-Anhalt, zwei leitende Kräfte der Innenverwaltung der Zone sowie in den Westzonen zwei KPD-Bezirksleiter und der Redakteur einer Tageszeitung - darunter je vier ehemalige Lagerälteste und Kapos zentraler Einrichtungen - als besonders gefährdet eingeschätzt. Auch seien gegen ähnliche Spitzenfunktionäre in Frankreich und der CSR bereits „seitens der im Lager inhaftierten Faschisten Angriffe gerichtet" worden, und ähnliches sei auch für Jugoslawien, Österreich, Belgien und Holland zu befürchten. Zur Koordinierung der Abwehr schlug er deshalb vor, den dritten Mann in der Buchenwalder Parteileitung und jetzigen Abteilungsleiter in der Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge, Harry Kuhn, kurzfristig freizustellen, um „von vornherein durch die Presse und den Rundfunk dem Prozeß ein bestimmtes Gesicht zu geben". Außerdem griff Bartel Busses Idee einer entlastenden Erinnerungskampagne auf und lenkte sie in die angemessenen parteiinternen Bahnen, indem er fortfuhr: „Es wäre wohl an der Zeit, die Rolle der Widerstandsgruppen im Lager Buchenwald aufzuzeigen, das Echo, das sie bei den nichtdeutschen Häftlingen fanden, und die Anerkennung, die den deutschen Antifaschisten im Lager auch heute noch zuteil wird." Er schlug vor, den anstehenden zweiten Jahrestag der Befreiung des Lagers zu einer Veranstaltung in Weimar zu benutzen, „um den Willen der Buchenwald-Häftlinge zu dokumentieren". Außerdem regte er eine umfassende Material-
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II Die Säuberung der Kampfer
Sammlung an und benannte als Hauptzeugen neben Kuhn und sich selbst den Hauptbeschuldigten des gerade erst abgeschlossenen Verfahrens, Ernst Busse. Diese vorsorgliche Abwehraktion war die Geburtsstunde der parteioffiziellen antifaschistischen Geschichtsforschung und Traditionspflege zu Buchenwald und nicht nur dazu 4 (vgl. Dok.III.6). Am 3.3.1947 beschloß das Zentralsekretariat der SED auf Antrag von Dahlem, „mit der Rekonstruktion der illegalen Tätigkeit der Parteiorganisationen der KPD und SPD in der Zeit von 1933 bis 1945 zu beginnen". Die Mitglieder wurden aufgefordert, detaillierte Erinnerungsberichte unter Nennung aller Namen abzugeben und Material zur Verfügung zu stellen. Von Interesse seien auch Diskussionen, gegensätzliche Meinungen und Stellungnahmen. In der Kaderabteilung wurde eine Unterabteilung „Parteigeschichte der Illegalität" unter Karl Schirdewan gebildet und diese mit der Sammlung und Auswertung des Materials in einem karteimäßigen Erfassungssystem beauftragt. Die Angesprochenen mögen den polizeilichen Ton herausgehört und auch die Adresse der Kaderabteilung richtig gedeutet haben; jedenfalls geht aus der weiteren Akte hervor, daß sich die Mitglieder zunächst nur sehr schleppend zur Einreichung des gewünschten Materials bewegen ließen und daß sich in der Sache auch vor allem fur die Periode 1939-1943 nur noch wenig Zweckdienliches vermelden ließ, weil die vereinzelten Genossen und kleinen Gruppen im Reich sich tief mißtraut hatten und kaum illegale Arbeit machen konnten. Erfolgreicher als die Geschichtsforschung war die Geschichtspropaganda: Nachdem der erwähnte Artikel von Robinson vom Sopade-Informationsdienst in Deutschland verbreitet worden war, koordinierte Harry Kuhn fur das „Komitee ehemaliger Buchenwalder" mit Rundschreiben vom 14.6.47 - der Kalte Krieg spitzte sich gerade mit der amerikanischen Marshallplan-Initiative zu - die Abwehr (vgl. Dok. III.9.2). Er übersandte eine Liste von 16 kurzen, in der Art einer westlichen Gegendarstellung abgefaßten Richtigstellungen zu Details der Behauptungen Robinsons, die einerseits nebensächlich waren, anderseits aber dessen Glaubwürdigkeit insgesamt ruinieren sollten. Zweitens forderte er dazu auf, überall Sitzungen der Buchenwalder einzuberufen und insbesondere die Sozialdemokraten und Bürgerlichen unter den ehemaligen Häftlingen „durch Namensunterschrift" gegen den Artikel in die Pflicht zu nehmen. Und drittens bat er, solche Resolutionen nach Berlin zu schicken, damit von hier gegen die antibolschewistische Hetze agitiert werden könnte, ohne die Substanz der Anschuldigen in der SBZ veröffentlichen zu müssen (vgl. jedoch Dok. III.9.3). „Von einer Publikation unsererseits in der Öffentlichkeit bitten wir Abstand zu nehmen, weil wir sonst gezwungen wären, den Inhalt der Artikel zumindest teilweise zu veröffentlichen und damit unserer Sache selbst nur schaden würden. Sollten später evtl. irgendwelche Angriffe dieser Art, wie z.B. in der Berliner Presse (Westsektoren) erfolgen, kann man ihnen an Hand der uns zugesandten Entschließungen etc. sehr wirksam entgegentreten." Das war die Hohe Schule der Selbstzensur: Sich aus dem Westen ein moralisch empörtes Dementi zu organisie-
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Vgl. zum Umfeld neuerdings Olaf Groehler: Integration und Ausgrenzung von NS-Opfem. Zur Anerkennungsund Entschädigungsdebatte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 bis 1949, in: Jürgen Kocka (Hg ): Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien, Berlin 1993, S. 105 ff
II. 3 Sowjetische Säuberung J950-1955
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ren, ohne überhaupt mitteilen zu müssen, worum es ging. In einer Presseerklärung vom 30.11.1947 des Buchenwald-Komitees, dessen drei kommunistische SBZ-Mitglieder Bartel, Busse und Kuhn hießen, klang dies dann z.B. so: „Robinson war nie in Buchenwald. Sein Machwerk ist eine infame Verleumdung nicht nurder ehemals in Buchenwald inhaftierten Kommunisten, sondern der gesamten inhaftierten Widerstandsbewegung des Lagers, in deren Reihen bekanntlich Kommunisten, christliche, sozialdemokratische und parteilose Antifaschisten vieler Nationen kämpften." Zum Vergleich: In der ersten legalen Sitzung des Parteiaktivs der KPD in Buchenwald am 12.4.1945 hatte Harry Kuhn noch in seinem einleitenden Bericht gesagt: „Es gibt heute kein Lagerorgan mehr, vom Kommandanten bis zum letzten Feuerwehrmann, das nicht nach den Anweisungen der Partei arbeitet. Alle Parteigenossen müssen sich rücksichtslos hinter die Anordnungen der Parteiorgane stellen...", worauf in der Diskussion Robert Siewert „empfahl, nicht jedem zu erzählen, daß alle Organe nach den Anweisungen der Partei arbeiten. Die maßgebende Instanz für die Lageröffentlichkeit ist das Internationale Komitee." (vgl. Dok. 1.2) Die VVN im Westen tat nun wie ihr geheißen: Sie fuhr die Volksfrontlinie voll aus, von der es auf der inneren Linie in Ostberlin - ausweislich der Akten über Buchenwald - auch nicht eine Spur gab, und rief alle Buchenwalder Sozialdemokraten und katholischen Pastoren zu Zeugen auf, um darzulegen, wie sich die Buchenwalder Kommunisten um ihre nichtkommunistischen Kameraden verdient gemacht hätten (vgl. auch Dok. III.9.4). Der überplanmäßige Schwulst kannte nun keine Grenzen mehr. So ließ sich z.B. „der ehemalige Leiter der Widerstandsgruppe Niederrhein im KZ Buchenwald" in einem VVN-Organ vernehmen: „Wir haben in Zusammenarbeit mit anderen deutschen Gruppen in engster Verbindung mit den sich bildenden ausländischen Widerstandsgruppen tausenden von Häftlingen [!] das Leben gerettet. Wir haben nicht nur die Anordnungen der SS tausende Malen [sie!] sabotiert, sondern darüber hinaus jedem [!] politischen [!] Neuankömmling mit Rat und Tat beigestanden."5
II.3 Sowjetische „Säuberung" 1950-1955
Nachdem sich die amerikanische Gefahr als eine Projektion herausgestellt hatte, schlugen die Russen zu. Am 29.3.1950 wurde Emst Busse von SMAD verhaftet, verurteilt, deportiert; er soll am 31.8.1952 in den Minen von Workuta, einem sowjetischen Lager, umgekommen sein. Warum verhaftet, wie umgekommen, wissen wir nicht. Zwar besagen Gerüchte, er sei in den Armen eines SS-Mannes gestorben, und andere, er sei von Mithäftlingen erschlagen worden, und dritte, die TBC seiner Jugend sei im Bergwerk wieder zum Ausbruch gekom5
Informationsdienst des Pressedienstes der W N v. 5.12.1947. (Vergleichbare Rededispositionen aus RheinlandPfalz und Württemberg auch in BWA 02 1-44 und dem dortigen Mat. Bartel.)
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11 Die Säuberung der Kämpfer
men, aber Belege fehlen. In den Akten des Zentralen Parteiarchivs gibt es nur den spärlichen Hinweis: „aufgrund falscher Anschuldigungen von sowjetischen Organen". Aber dieser Hinweis stammt von 1990.6 Die Akten wissen es auch nicht. Trotz seiner Entlastung in der Parteiuntersuchung von 1946 war Busse wenige Monate später als Thüringischer Innenminister und stellvertretender Landespräsident von der SED-Zentrale abgelöst und auf höherer Ebene in Berlin kaltgestellt worden (vgl. Dok. IV.2): Der Präsident der Deutschen Verwaltung fur Land- und Forstwirtschaft, Erwin Hoemle (KPD/SED), hatte sich gegen die Einrichtung eines vierten Stellvertreters gewehrt und beschäftigte Busse mit wechselnden, unlösbaren Aufgaben. Busse kam mit dem Beamtenapparat nicht zurecht, der Organisationsleiter der Behörde (ein Buchenwalder Kapo aus dem Moskauer Exil) denunzierte ihn bei der neu eingerichteten Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) wegen seines großspurigen Auftretens (vgl. Dok. IV.3), Mielke sammelte Material gegen ihn aus der Zeit des KZ (vgl. Dok. IV. 1). Erich Mielke wie auch der ZPKK-Chef Hermann Matern waren Exponenten der Moskauer Emigrantenfraktion unter Walter Ulbricht, die 1948 die Herrschaft in der SED vollends an sich riß. Busse war verzweifelt und verlangte mehrfach unter Hinweis auf seine Tätigkeit in der Weimarer Republik seine Versetzung auf einen Führungsposten in den Gewerkschaften (vgl. Dok. IV.3 und IV.4). Der einzige Hinweis, den wir in deutschen Akten finden, der vielleicht weiterfuhren könnte, ist ein Vermerk Busses vom 16.9.1948 für das Buchenwald-Komitee über eine zweitägige Vernehmung zwei Tage zuvor durch die „russische Administration, Abt. Information", also den sowjetischen Geheimdienst, in der er über seine russischen Kontaktleute in Buchenwald verhört wurde (vgl. Dok. IV.4.2). Offenbar wittert er Gefahr, weil es um Spitzel und Abwehr geht, und er informiert sofort seine Kameraden über seine Aussagen. Er kann sich nur an vier russische Namen erinnern, zwei davon arbeiteten nach der Befreiung noch im Internationalen Lagerkomitee und in der russischen Repatriierungskommission. Aus der Haftzeit erinnert er sich „dem Namen nach [an] den direkten Verbindungsmann zum Krankenbau, Korneukow", aus einer etwa einjährigen Zusammenarbeit. „Ihm oblag die Betreuung der dem Krankenbau eingewiesenen russischen Häftlinge. Welche und ob besondere Aufgaben ihm vom russischen Komitee aufgegeben wurden, ist mir nicht bekannt; insbesondere nicht ob er in der sogenannten deutsche Abwehrgruppe gegen Spitzel tätig war." Vielleicht hat diese Abwehrgruppe im Rückblick geschätzte sowjetische Genossen an die Spritze geliefert? Jedenfalls müssen alle Mitwisser wissen, daß man davon nichts weiß. Aber dieser merkwürdige Vermerk ist nur ein Zufallsfund. Die Gründe, warum der Held von Buchenwald im GULag endete, kennen wir noch nicht.
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Notiz Wilfriede Otto v. 18.2.1990 in ZPA, WN-Biografische Sammlung, Busse, Thüringen 1946 ff. Die wissenschaftliche Abschlußarbeit von Doris Härtung und Ellen Riedel: Biografie von Walter Krämer und Emst Busse, die 1977 an der Fachrichtung Krankenpflege der Medizinischen Fachschule „Walter Krämer" angenommen wurde (27 S. masch., BWA FA 122) - soweit ich sehe, die einzige im weitesten Sinne wissenschaftliche Arbeit über Ernst Busse in der DDR übersetzt S. 20 den Befund in die Sprache der Krankenpflege und einer nicht-öffentlichen Rehabilitierung: „1950 erkrankte Ernst Busse. Am 31. August 1952 ist er verstorben."
Exkurs: Busse vor Sowjetischem
Militärtribunal
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Am 8.6.1950 wird jedoch noch ein anderer prominenter Buchenwalder, der ehemalige Lagerälteste und Führer des Lagerschutzes, Erich Reschke, „durch Organe des Ministeriums für Staatssicherheit der U.d.S.S.R. in Bautzen7 verhaftet [und] Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund des Kontrollratsgesetzes vom 20.12.1945" gegen ihn erhoben (vgl. Dok. IV.9). Offenbar gehen die Russen jetzt in der Zuspitzung des Kalten Krieges den Hinweisen auf problematische Vergangenheiten von Führungskadern systematischer nach, insbesondere was deren Beziehungen zur Sowjetunion und zu Sowjetbürgern betrifft. Es war die Zeit, als die Stalinisierung der SED durch eine große Parteisäuberung (den sogenannten Umtausch der Mitgliedsbücher) vollendet werden sollte und in den anderen Satellitenstaaten die Jagd auf Juden, Westemigranten und „imperialistische Verräter" die Führung der Bruderparteien entkernte. Reschke war schon in der Untersuchung von 1946 in dieser Hinsicht belastet worden. Nun liegen drei Belastungszeugnisse von Mithäftlingen (zwei politischen und einem kriminellen) gegen ihn vor, wonach er als Lagerschutzfuhrer seinen Hund Bella auf sowjetische Häftlinge gehetzt und diese mißhandelt, Häftlinge der politischen Abteilung (der SS-Kommandantur) vorgeführt, Transporte von sowjetischen Häftlingen aus dem Lager vorbereitet, Häftlinge zur Arbeit angetrieben und schließlich Zählappelle durchgeführt haben soll, wodurch Häftlinge des öfteren stundenlang auf dem Appellplatz stehen mußten. Am 22.2.1951 wurde er zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt und nach Rußland gebracht.
EXKURS „ X " : BUSSE VOR DEM SOWJETISCHEN MILITÄRTRIBUNAL
Wie wir jetzt erfahren konnten 8 , bezog sich das Verfahren, von dem Reschke nach seiner Rückkehr aus dem GULag dem Buchenwald-Komitee Kenntnis gab, nicht nur auf ihn, sondern vor allem auf Busse. Von den sehr ausfuhrlichen Vorermittlungen, die Major Majorow zwischen dem 6.4.1950 und dem 5.2.1951 für das Sowjetische Militärtribunal führte und in denen allein Busse 23 Mal und Reschke 17 Mal sowie neun weitere Zeugen, darunter Busses Ehefrau und mehrere, fast durchweg deutsche Mithäftlinge aus dem KZ Buchenwald vernommen wurden, gibt es zusammenfassende Berichte. Von Busse liegen auch einige Zitate
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Reschke war im Frühjahr 1950 neuer Leiter der berüchtigten Strafanstalt in Bautzen geworden und dort im Haus II mit einem Hungerstreik politischer Gefangener konfrontiert sowie mit der Tatsache, daß hier ehemalige (sozialdemokratische) Mithäftlinge aus dem KZ Buchenwald mit ehemaligem SS-Personal zusammengesperrt worden waren. Als er dies merkte, soll er dem Sozialdemokraten Gerhard Weck (SPD) am 31.3.1950 versprochen haben, die ehemaligen Mithäftlinge aus Bautzen herauszuholen. In der Überlieferung der Bautzener Häftlinge wurde diese Absicht mit seiner Verhaftung im August durch die Russen in Zusammenhang gebracht. Vgl. z.B. Bautzen.Komitee (Hg ): Das Gelbe Elend. Bautzen-Häftlinge berichten. 1945-1956, Halle 1992, S. 173 f., 195 f. Siehe Vorwort.
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II Die Säuberung der Kämpfer
aus den Verhören vor, von denen das wichtigste - ein zusammenfassendes Geständnis vom Ende Januar 1951 - weiter unten übersetzt ist. Nach diesen Berichten soll es in dem Verfahren um zwei Anklagekomplexe gegangen sein: in der Hauptsache - und die Ermittlung glaubte, dafür zahlreiche Beweise erbringen zu können - um den Vorwurf, mit den Faschisten als deren Aufseher im KZ zusammengearbeitet und andere Häftlinge mißhandelt und geschädigt zu haben bzw. Mitschuld an ihrem Tod zu tragen. Daneben ging es um Vorwürfe des Schweizer Journalisten Victor de Latry 9 , daß vor allem Reschke, vielleicht auch Busse mit der Gestapo zusammengearbeitet hätten. Der letzte Punkt ist von beiden Angeklagten heftig bestritten und vom Gericht fallengelassen worden. Bezüglich des ersten haben sich die Angeklagten unterschiedlich verhalten: Reschke soll im wesentlichen geleugnet und geschwiegen und allenfalls gelegentliche Schläge gegen unbotmäßige Häftlinge zugegeben haben; Busse hingegen soll mit dem wohlunterrichteten und geschickten Untersuchungsoffizier kooperiert und sowohl sich selbst als auch Reschke schwer belastet haben. Mit dem Dienstantritt Reschkes sei das Privilegiensystem der SS für die Lagerprominenz erst richtig ausgebaut worden: die Lagerältesten hätten im eigenen Zimmer geschlafen, hätten Zusatznahrung einschließlich Butter, Wurst und Weißbrot bekommen und Zivilkleidung tragen können, sie hätten sich ihre Kleidung auch in der Lagerschneiderei umarbeiten lassen können und später gute Anzüge von in Auschwitz ermordeten Juden erhalten. Die Lagerordnung habe fur sie nicht gegolten. Reschke habe das zu seiner Zeit als Leistungsanreiz eingerichtete Lagerbordell „einweihen" dürfen 10 , und die SS habe ihm zum Selbstschutz einen großen Hund geschenkt, der ihn überallhin begleitete und den er - wofür Busse Beispiele gab - auf widersetzliche Häftlinge, die er auch häufig habe Strafe stehen lassen, hetzte. Insgesamt habe Reschke alle SS-Anweisungen „pünktlich" erfüllt, auch die Zufuhrung von Häftlingen zu medizinischen Experimenten. Auch Busse selbst habe an diesem Privilegiensystem teilgehabt, seine Widerstandsorganisation habe aber die unter den Häftlingen verbreitete Unterscheidung von „Prominenten" für die Kaposchicht und „Kretins" für die unterste Schicht der Häftlinge z.B. im Kleinen Lager, die sich Lebensmittel aus den Mülltonnen suchten, bekämpft. Jedenfalls habe er im Krankenbau ein Zimmer für sich gehabt, einen Zivilanzug und weißen Arztkittel getragen 11 , Zusatznahrung erhalten, und einmal habe ihn vier Stunden seine Verlobte im Lager besuchen dürfen, die er andererseits, als er mit SS-Leuten beim Geräteeinkauf in Erfurt gewesen sei, dort habe aufsuchen können. Einmal, als er mit 30 anderen Häftlingen zusammen wegen antifaschistischer Äußerungen denunziert worden sei und vom Lagerführer zur Strafarbeit einge9
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Seit Januar 1945 im KZ Buchenwald und dort Schreiber im Kleinen Lager. War von Reschke als Thüringer Polizeichef 1946 verhaftet worden, wonach er schließlich im sowjetischen SpezLager Nr. 2 Buchenwald gelandet war und dort eine Anklage gegen Reschke lancierte. Nicht müssen, wie Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 195 dramatisch berichtet: Er habe sich zunächst zwei Tage geweigert und sich dann unter der Drohung der Absetzung gefügt. Reschke selbst frequentierte das Freudenhaus nach eigener Aussage ohne Zwang, vgl. Dok.II.5.12. Vgl. die Zeichnung eines Mithäftlings von Busse in seinem Zimmer im Häftlingskrankenbau 1944 im Abbildungsteil.
Exkurs: Busse vor Sowjetischem
Militärtribunal
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teilt werden sollte, habe ihn der SS-Arzt Dr. Hoven, bei dem er gerade als Kapo angefangen habe, in dieser Gruppe am Lagertor gesehen und ihn straflos vom Lagerführer freibekommen. Auch für ihn habe die Lagerordnung nicht gegolten. Auch er habe in seiner Zeit als Lagerältester - das war 1940/41 - einmal einen Häftling geschlagen und öfter ganze Blocks Strafe stehen lassen, wenn sich einer der Blockangehörigen gegen die Lagerordnung vergangen habe. Dies sei nicht nur zur Aufrechterhaltung der Disziplin notwendig gewesen, sondern auch um sich vor der SS hervorzutun, denn er habe von Kuntz (dem Führer der illegalen KPD im Lager) die Anweisung gehabt, sich an seinen Posten zu klammern. Dem untersuchenden Offizier sei dieser Rückbezug auf Weisungen einer Untergrundorganisation, deren Leitung Busse ja dann selbst angehört habe, immer problematischer geworden, als Busse ihn auch anführte, um seine Beteiligung an den medizinischen Versuchen der SS zu rechtfertigen. B u s s e - d e r sich dabei mit dem Kapo der Fleckfieberstation Arthur Dietzsch 12 verglich - habe nämlich nicht nur zugegeben, daß er als Kapo des Reviers die Häftlings-Pfleger beaufsichtigte, die nach Weisung der SS-Arzte tödliche Spritzen verabfolgt hätten, und stets die Möglichkeit gehabt habe, auf den Listen der Injektionskandidaten, die in der Regel von der SS-Lagerführung zusammengestellt worden seien, Mitglieder seiner Organisation gegen andere Häftlinge auszutauschen. Sondern er gestand auch, in den Jahren 1943 und 44 ca. dreimal auf allgemeine Anforderung der SS-Ärzte hin Listen mit zusammen ca. 150 Todeskandidaten zusammengestellt zu haben. „F: Wer stellte diese besonderen Listen zusammen, nach denen die jeweiligen Häftlinge zu Mißhandlungen zusammengestellt wurden? A: Diese Listen entstanden auf verschiedene Weise. Listen von Personen, die liquidiert werden sollten durch Giftspritzen, wurden vom SS-Kommandanten selbst zusammengestellt, und dann der Lagerkanzlei zur Ausführung übergeben. Auf die gleiche Weise entstanden die meisten Listen für Personen, die zu medizinischen Experimenten vorgesehen waren. Doch einige Male stellte auch ich selbst persönlich solche Listen zusammen, nachdem ich von den SS-Leuten allgemeine Hinweise bekommen hatte, welche Kategorie von Häftlingen in diese Listen aufzunehmen seien. F: Präzisieren Sie, in welcher Periode mußten Sie solche Listen zusammenstellen? Wie oft und wieviel Häftlinge haben Sie in diese Listen aufgenommen? A: Im Laufe meiner Arbeit mußte ich diese Listen in den Jahren 1943 und 44 im Lagerkrankenhaus ungefähr dreimal zusammenstellen. Jede Liste umfaßte zwischen zwanzig und sechzig Personen. Insgesamt trug ich in diese Listen ungefähr einhundertfünfzig Personen ein. F: Bei dem Verhör am 13. April 1950 haben Sie gesagt, daß Sie diese Listen im Verlaufe des letzten Dreivierteljahres vor der Befreiung aus dem Lager zusammenstellen mußten.
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Dietzsch wurde wegen dieser Delikte im amerikanischen Buchenwald-Prozeß 1947 in Dachau (als einziger Kapo) zu 14 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, allerdings auf Betreiben zahlreicher ehem. Buchenwalder Funktionshäftlinge vorzeitig aus der Haft entlassen, vgl. Dok. 1.5.1.
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A:
F: A: F:
II Die Säuberung der Kämpfer
Heute nennen Sie einen anderen Zeitraum. [...] Haben Sie in die von Ihnen aufgestellten Listen Ihnen bekannte Mitglieder Ihrer Organisation aufgenommen? Natürlich nicht. Ich hatte von den SS-Leuten nur allgemeine Anweisungen über die Kategorien, die in die Liste aufgenommen werden sollten und über die geforderte Menge. Selbst, wenn mir bekannte Mitglieder unserer Organisation unter diese Kategorien fielen, so konnte ich sie immer durch andere Häftlinge ersetzen. Mehr noch, selbst wenn ein Mitglied unserer Organisation namentlich durch die SS-Leute selbst für den Vollzug medizinischer Experimente vorgesehen war, so hatte ich fast immer die Möglichkeit, ihn durch andere Personen auszutauschen. Durch welche Personen? Durch andere Häftlinge. Was geschah mit ihnen?
A: Das Ergebnis der medizinischen Experimente war in der Mehrzahl der Fälle der Tod der betroffenen Personen. Einige von ihnen überlebten und wurden zu Krüppel. Sie wurden anschließend von den SS-Leuten als ungeeignet für Arbeiten im Lager liquidiert. F: Folglich retteten Sie Ihnen bekannte Mitglieder Ihrer Organisation auf Kosten des Lebens anderer Häftlinge? A: Ja, das war so." Majorow fragte Busse angesichts seiner Verteidigungsstrategie eines sozusagen doppelten Befehlsnotstands - Handlanger der SS auf Befehl der KPD gewesen zu sein - immer wieder, was er und seine Organisation denn durch ihre Willfährigkeit gegenüber der SS erreicht hätten, soll aber keine ihn befriedigende Antwort erhalten haben. So habe Busse z.B. einmal auf eine dieser Fragen bezüglich des Lagerfriseurs Franz Eichhorn (KPD), der einen besonderen Einfluß auf den Lagerkommandanten hatte und jeden Tag frisch gestriegelt und gebügelt die SS-Villen besuchte, geantwortet: Durch ihn hätten sie Informationen bekommen, Vorschläge zur Besetzung von Lagerpositionen durch Genossen durchgesetzt und einmal sogar die Erlaubnis erhalten, ein Symphonieorchester zu gründen, das jeden Samstag proben konnte. Im Kern habe sich Busse immer wieder auf die Weisung der illegalen KPD-Leitung, seine Position gegenüber der SS in deren Sinne zu rechtfertigen und dadurch zu halten, zurückgezogen. Nachdem Majorow den Angeklagten Ernst Busse auch nach den anderen fuhrenden Mitgliedern seiner „Untergrundorganisation" - der Begriff KPD tritt in den uns verlesenen Erinnerungen an das Verfahren nie auf - ausgefragt habe und nur herausbekommen habe, daß auch diese in privilegierten Umständen im Lager gelebt hätten und nie „repressiert" worden seien, habe er das Verfahren auf die gesamte KPD-Führung in Buchenwald ausdehnen wollen. Die Genehmigung, Walter Bartel (immerhin die rechte Hand des Staatspräsidenten der DDR) und Harry Kuhn (immerhin der Generalsekretär der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) zu verhören, sei ihm aber um die Jahreswende 1950/51 „aus operativen Gründen" versagt worden. Offenbar war von oben politisch in das Ermittlungsverfahren eingegriffen und auf Schadensbegrenzung und schnellen Verfahrensabschluß gedrängt worden. Jedenfalls war das Ermittlungsverfahren danach - nach über neun Monaten - innerhalb von zehn Tagen
Exkurs: Busse vor Sowjetischem
Militärtribunal
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zu Ende und dem angeklagten Buchenwalder KPD-Führer wurde Ende Januar unmißverständlich gesagt, daß „alle politischen Charakteristika aus der Anklageschrift herausfallen" würden. In dem abschließenden Verhör wurde nunmehr nachdrücklich auf persönliche Schuld abgestellt, und der Sprachgebrauch scheint erst jetzt jenen unverkennbaren Ton anzunehmen, den man aus den Protokollen der Schauprozesse kennt. Immerhin schienen Busses Geständnisse in diesem Verhör so denkwürdig, daß einer unserer Gewährsleute sich auch von dieser Stelle in den Protokollen Notizen machte: „F: Weshalb wurden Sie in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen? A: Ich wurde in das Konzentrationslager Buchenwald wegen antifaschistischer Tätigkeit in Hitler-Deutschland eingewiesen. F: Warum wurden Sie im Lager ein Gehilfe der Faschisten, indem Sie das unmenschliche Lagerregime der Faschisten unterstützten und durchführten? A: Tatsächlich wurde ich von der SS-Führung als Lagerältester nominiert, und ich arbeitete in dieser Funktion bis 1942 und habe in dieser Funktion auch die Lagerordnung durchgeführt. Dennoch muß ich sagen, daß ich die mir durch die SS-Führung auferlegten Pflichten nur deswegen erfüllte, weil ich in dieser Hinsicht Aufträge von der Führung unserer antifaschistischen Untergrundorganisation hatte, deren Mitglied ich war, und die im Lager existierte. F: Von welchen Anweisungen sprechen Sie? A: Der unsere Untergrundorganisation bis 1943 leitende Albert Kuntz gab mir die Anweisung, mich an den mir von der SS gegebenen Posten zu klammern und mich in ihren Augen als guter Arbeiter auszuweisen. Ausgehend davon arbeitete ich so, daß die SS-Leute mit mir zufrieden waren. Ich mußte zum Beispiel die Einhaltung des Tagesablaufs kontrollieren, wie er für die Gefangenen durch die SS festgelegt wurde. Zu diesem Zweck verfolgte ich pünktlich, daß alle Häftlinge rechtzeitig zur Arbeit gingen und die Lagerordnung einhielten. F: Doch daraufhat sich Ihre Tätigkeit nicht beschränkt? A: Ich möchte vor der Ermittlung nicht verheimlichen, daß ich bei der Erfüllung meiner Pflichten als Lagerältester manchmal zu verschiedenen Strafen gegenüber den Häftlingen greifen mußte. F: Antworten Sie konkreter. A: Ich schlug Häftlinge, die die Lagerordnung verletzt hatten. So zum Beispiel 1940, kurz nachdem ich den Posten des Lagerältesten erhalten hatte, schlug ich einen Häftling. Außerdem verhängte ich recht oft sogenannte Massenstrafen, das heißt, ich zwang zweihundert bis dreihundert Menschen nach der Tagesarbeit, lange zu marschieren und alle möglichen Übungen durchzuführen, nur deshalb, weil einer oder einige von ihnen die durch die SS vorgesehene Lagerordnung verletzt hatten. F: Sie behaupten, daß Sie das im Auftrage der sogenannten antifaschistischen Organisation taten?
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II Die Säuberung der Kämpfer
A: Entsprechend der Anweisung von Kuntz sollte ich mich an die Position des Ältesten halten und mich deswegen vor der SS-Führung hervortun und deshalb auch das Schlagen von Häftlingen dulden. F: Welche Verbrechen begangen Sie noch, als Sie sich im Konzentrationslager Buchenwald befanden? A: Von 1943 bis 1945 war ich Ältester des Krankenbaus, und ich unterstützte die SS-Ärzte bei der massenhaften Vernichtung von Häftlingen. So leitete ich die Sanitäter, die die SSÄrzte bedienten und die tödliche Spritze den Häftlingen verabreichten. Außerdem stellte ich einige Male persönlich Listen für Häftlinge zusammen, die anschließend einer unmenschlichen Mißhandlung ausgesetzt waren. Die Häftlinge wurden mit Phosphor verbrannt, und anschließend probierte man an ihnen verschiedene Methoden der Heilung. Ich verstand, daß diese, meine Handlungen verbrecherisch seien, doch als Ältester konnte ich nicht die Befehle der SS-Leute einfach nicht erfüllen, sonst wäre ich von meiner Funktion entlassen worden und hätte eine Strafe erhalten. Ich hatte die Anweisung von Albert Kuntz und später von Walter Bartel, der nach dem Tod von Kuntz unsere Untergrundorganisation leitete, mich an meinen Posten zu klammern, den Posten zu behalten. F: Ihre Aussagen sind überhaupt nicht überzeugend. Wenn die sogenannte Untergrundorganisation antifaschistisch war, warum sollte sie dann Anweisungen geben, sich gegenüber den SS-Leuten hervorzutun und auf diese Weise Mittäter bei ihren Verbrechen zu werden? A: Die Führung unserer Organisation gab mir nicht die Aufgabe, Häftlinge zu vernichten, doch sie gab mir die Aufgabe, den Posten des Ältesten, des Lagerältesten zu behalten. Sie brachte auf alle Posten im Lager ihre Leute, welche wie ich auch den SS-Leuten aktiv halfen bei der Aufrechterhaltung der Lagerordnung. Die Organisation bemühte sich vor dem Kriegsende darum, daß alle Funktionen im System der Lagerselbstverwaltung von Mitgliedern unserer Untergrundorganisation übernommen wurden, welche sich vom Standpunkt der SS als zuverlässige Arbeiter erwiesen. F: Heißt das, daß die Führung Ihrer Organisation das von der SS-Führung errichtete Lagerregime aktiv unterstützte? A: Ja, im wesentlichen war es so. Wir waren faktisch das Instrument in den Händen der SS zur Aufrechterhaltung ihres grausamen Regimes im Lager. F: Welche Maßnahmen ergriffen die Mitglieder Ihrer Organisation? A: Die Mitglieder unserer Organisation, die in der Lagerselbstverwaltung arbeiteten, unternahmen verschiedene grausame Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Lagerregimes, so zum Beispiel Erich Reschke, der unserer Organisation nahestand und von 1943 bis 44 Lagerältester war. Dieser Erich Reschke schlug die Häftlinge systematisch, verhängte Massenstrafen und hetzte seinen Hund auf die Häftlinge, den ihm die SS-Leute faktisch zu diesem Zweck geschenkt hatten. Ein anderes Mitglied unserer Organisation, ein gewisser [Hein] Hauptmann, der 1943 bis 45 als Lagerkontrolleur, einer der höchsten Posten nach dem Lagerältesten, arbeitete, tat sich durch besondere Grausamkeit hervor. Er
Exkurs: Busse vor Sowjetischem Militärtribunal
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schlug die Häftlinge besonders bestialisch und suchte dafür jeden kleinsten Anlaß, nur um sich vor der SS hervorzutun. Die von ihm terrorisierten Lagerhäftlinge haßten ihn nicht weniger als die SS. Darüber, wie ich selbst die Häftlinge mißhandelt habe, als ich als Ältester arbeitete, hab' ich bereits gesprochen. Andere Mitglieder unserer Organisation, die ähnliche Funktionen innehatten, verhängten verschiedene Strafen gegenüber den Häftlingen. Wie reagierte darauf die Führung Ihrer Organisation? Die Führung unserer Organisation deckte sich unter der Flagge des antifaschistischen Kampfes und - so versteht sich - gab natürlich nicht offen ihren Mitgliedern die Weisung, Häftlinge zu schlagen. Allerdings verfolgte sie die Linie, daß die Mitglieder der Organisation in den Lagerfunktionen arbeiten sollten, womit sie faktisch für die Erfüllung des durch die SS verordneten Lagerregimes eintrat. Wer befand sich in der Führung Ihrer Organisation? Nach dem Tod von Albert Kuntz im Jahre 1943 standen an der Spitze unserer antifaschistischen Untergrundorganisation Walter Bartel, Harry Kuhn und ich, Busse. Zu dritt leiteten wir die gesamte Tätigkeit unserer Organisation. Gab es irgendeine Verbindung zu antifaschistischen Zentren außerhalb des Lagers? Für die gesamte Zeit der Existenz unserer Organisation hatten wir keine Verbindungen mit antifaschistischen kommunistischen Bewegungen außerhalb des Lagers. Die Entscheidung dazu, daß die Mitglieder unserer antifaschistischen Untergrundorganisation in die Führungsposition des Lagers gelangen sollten, ging von uns selbst aus, und in dieser Hinsicht hatten wir keine Anweisungen von jemand anderes. Und was haben Sie damit erreicht? Wir erreichten, daß wir unser Leben und das Leben der Mitglieder unserer Organisation erhielten. Wenn sich in den Leitungsfunktionen des Lagers nicht Mitglieder unserer Organisation befunden hätten, sondern andere Häftlinge, so wären wir, die Führer und Mitglieder unserer Untergrundorganisation wie alle anderen in die Listen für medizinische Experimente gelangt oder auch zu Arbeitseinsätzen, die die SS aus dem Lager zu besonders schweren Arbeiten schickte, wo eine hohe Sterblichkeit herrschte. Ich zum Beispiel trug in die Listen für medizinische Experimente anstatt mir bekannter Mitglieder unserer Organisation andere Häftlinge ein. So handelten auch andere Mitglieder unserer Organisation, so daß wir uns gegenseitig retteten. Auf diese Weise konnten bekannte Mitglieder unserer Untergrundorganisation im Lager relativ ruhig leben und mußten keine Repression von Seiten der SS befürchten. Die Maßnahmen der SS zur Massenvernichtung von Häftlingen betrafen uns nicht. Außerdem gaben uns unsere Funktionen in der Lagerverwaltung die Möglichkeit, Hunger und Not zu vermeiden. So arbeitete zum Beispiel der Leiter unserer Organisation, Walter Bartel, als Buchhalter in einer Werkstatt, und Harry Kuhn in einer Schneiderwerkstatt. Andere Mitglieder unserer Organisation arbeiteten in der Küche oder in Magazinen und brachten ihnen in der Regel etwas mit."
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11 Die Säuberung der Kämpfer
Wenige Tage später fand die zweitägige Gerichtsverhandlung statt, ohne Verteidiger, ohne Zeugen, obwohl der Ermittlungsbeamte eine Zeugenliste eingereicht hatte. Sie endete mit einem Schuldspruch für Busse und Reschke. Sie wurden in ein Straflager ans Eismeer verfrachtet. Reschke hat überlebt, aber - soweit wir herausfinden konnten - nichts berichtet. Nach seiner vorzeitigen Entlassung durch die Sowjetunion ohne Rehabilitierung 1955 wurde er 1956 von der Partei rehabilitiert, kehrte durch Vermittlung seiner Genossen vom Buchenwald-Komitee in den Polizeivollzugsdienst zurück und wurde noch vor seiner Pensionierung 1962 Oberstleutnant der Volkspolizei (vgl. Dok VI.3, VI.4 und VI.8). In seiner Kaderakte existiert die Zeit seiner zweiten Haft nicht. Busse ist 19 Monate nach seiner Verurteilung in Workuta gestorben. Ende des Exkurses
Doch damit sind wir bereits den Ereignissen vorausgeeilt. Das Verfahren des Sowjetischen Militärtribunals wurde 1950/51 entpolitisiert und begrenzt. Von wem und wie weit, wissen wir derzeit noch nicht. Aber aus Gründen, die scheinbar mit Buchenwald nichts zu tun haben, verschwinden die Buchenwalder Kommunisten aus der Öffentlichkeit, wenn auch in unterschiedliche Richtungen. Einige der Symbolfiguren haben sich schon früher unsichtbar gemacht. Von dem eben wieder erwähnten Hein Hoffinann, dem Mann furs Grobe der späteren Kriegsjahre, fehlt seit seinem Parteiausschluß nach der Befreiung jede Spur. Auch die überlebenden kommunistischen Lagerältesten der frühen Jahre sind aus dem Blick: Fritz Männchen (LA II 1937/38) wurde nach der Befreiung bereits in Buchenwald aus der KPD ausgeschlossen, aber in Dresden wieder aufgenommen, wo er Chef der sächsischen Kriminalpolizei wurde. 1947 bereits zum Polizeipräsidenten von Dippoldiswalde zurückgestuft, soll er 1951 ebenfalls in den GULag geraten sein. Dokumente dazu fehlen, seine Kaderakte ist geschönt (Ausscheiden aus dem Polizeidienst „wegen Krankheit"). 1952 ist er wieder da, die Akte weist ihn als Geschäftsführer einer chemischen Reinigung aus, Bekannte sagen, er hätte sein Gnadenbrot als Gärtner im örtlichen Krankenhaus genossen (vgl. Dok. V.l.7). Harry-Karl Barthel, einst kommunistischer Jungstar im Reichstag und in Buchenwald LA III 1938 und kurzzeitig LA I im folgenden Jahr, im Frühjahr 1945 in Buchenwald ebenfalls ausgeschlossen, in Jena wieder aufgenommen und von den Amerikanern zum 1. Bürgermeister gemacht, dann in die lokale Abwasser-Verwaltung verschoben, hält sich politisch bedeckt, obgleich er in zwei Büchern Erinnerungen an Buchenwald jenseits des Mythos publiziert. Ernst Frommhold, vor seiner Entlassung 1941 LA II und kurz LA I in Buchenwald, sinkt in der thüringischen Landesverwaltung der Nachkriegszeit vom Landesdirektor für Wirtschaft über den Hauptabteilungsleiter für Industrie und Brennstoffe, den Direktor der Vereinigung Volkseigener Maschinenausleihstationen seit 1952 zum Mitarbeiter in der LPG-Abteilung des Landwirtschaftsministerium „ohne bestimmte Funktion". Der mehrjährige Kontrolleur und letzte LA II Karl Pankow aus Pommern, der in den ersten Nachkriegsjahren höherer
II. 3 Sowjetische Säuberung 1950-1955
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Ministerialbeamter in Thüringen gewesen war, kehrte 1952 als Landrat von Sternberg, später als Bürgermeister von Boitzenburg ins Flachland zurück. 13 Aber auch die Gegenprobe ist lehrreich: Die drei Kommunisten, die vermutlich mit ihrem frühen Protest gegen die Lagerprominenz bei den Russen die Parteiuntersuchung von 1946 gegen Busse (ihre Vorwürfe waren auch vor dem Sowjetischen Militärtribunal 1951 noch nicht vergessen) in Gang gebracht hatten, waren mittlerweile aus dem Gedächtnis der Partei gestrichen. Dies gilt vielleicht am wenigsten dem Victor Drewnitzki, einen Mann der Russen in der Weimarer KPD, in Buchenwald zuletzt als Verantwortlicher einer Baracke des Krankenhaus doch noch Funktionshäftling, der als Schiffsingenieur 1947 die Leitung einer Inlandswerft in Magdeburg übertragen bekommen hatte und 1952 allem Anschein nach regulär in Rente ging. Von Alfred Scherlinski, der - von Anfang an basisnaher Kapo verschiedener Baubrigaden - sich als „beliebtester Kapo" des Lagers empfunden und den politischen Kopf der Häftlingshierarchie, Albert Kuntz, und seinen Anhang gehaßt hatte, verliert sich seit 1948 jede Spur in der Partei. Und Toni Waibel - der schwäbisch-fränkische Arbeiterrat von 1918, kommunistische Ausbruchsheld aus bürgerlichen und faschistischen Gefangnissen, Begründer der Internationalen Schule in Moskau, der in Buchenwald sich konsequent der societas leonina mit der SS enthielt und folglich von den Genossen nach der Befreiung ausgeschlossen worden, aber kurz danach als Basisfunktionär im Berliner Norden wieder aufgetreten war - wurde 1951 mit besonderer Häme als trotzkistischer Agent des Imperialismus in letzter Instanz aus der Partei ausgeschlossen und nahm seinen Wohnsitz im Westteil der Stadt (vgl. Dok. V.l.6). Robert Siewert, in seiner Wanderjugend Urkommunist und persönlich bekannt geworden mit Lenin in der Schweiz und dann auch in Moskau, in Buchenwald Kapo eines Baukommandos und später einer der deutschen Vertreter im Internationalen Lagerkomitee, wurde 1950 aller seiner Ämter enthoben, angeblich weil er 1929 als Anhänger von Thalheimer und Brandler sich gegen die Stabilisierung der KPD gewandt hatte und nach seinem Ausschluß Organisationsleiter der Reichsleitung der KPO (1933-35) geworden war (vgl. Dok. V.l.l und VI.2). Das hatte indes nicht gestört, als er nach der Befreiung Mitglied der Bezirksleitung Provinz Sachsen/Sachsen-Anhalt der KPD und SED geworden war und als 1. Vizepräsident der Provinzialverwaltung und dann als Innenminister die Polizei in diesem Land aufgebaut hatte. Ein Jahr später als Siewert, im Juli 1951, wurde der Magdeburger Altkommunist und frühere KPD-Reichstagsabgeordnete Ernst Brandt verhaftet, damals Mitglied der Volks-
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Die Westdeutschen wie der letzte LA I Hans Eiden, Trier (gest. 1950), der Leiter des Lagerschutzes Karl Keim, Stuttgart (der nur 1948 Vorsitzender der württembergischen W N war) oder der kommunistische Blockälteste eines Judenblocks, Emil Carlebach, Frankfurt, müssen hier außer Betracht bleiben. Gesamtgesellschaftlich ging es ihnen nicht besser als ihren ostdeutschen Kameraden; wie es ihnen innerparteilich ging, bliebe zu erforschen. Eine Ausnahme bildet Hermann Zilles, Köln, ein West-Ost-Wanderer, der in Buchenwald die westdeutsche KPD-Gruppe angeleitet hatte und der - 1946-49 Mitarbeiter in der Westkommission der SED - Erbe Leo Bauers als Intendant des Berliner Rundfunk nach dessen Verhaftung und Deportierung in den GULag wurde. 1952 wurde er gerügt und in den Landessender Halle verbannt, aber sein Parteischicksal ereilte ihn erst 1954 kabarettreif über einen als subversiv empfundenen Beitrag zur Sendung „Dorfabend" (vgl. Dok. V. 1.5); indessen war er schon bald wieder Leiter des Ost-Berliner Fernsehzentrums.
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II Die Säuberung der Kämpfer
kammer und bis zum Jahr zuvor führender SED-Funktionär und Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt. In Buchenwald war er 1942 kurz vor seiner Entlassung aus dem KZ der Vorgänger von Harry Kuhn in der Parteileitung der KPD-Gruppe gewesen (vgl. Dok. V.l.4). Schon 1949 war der erste Organisator einer KP-Gruppe in Buchenwald, der dort später die illegale Abwehrarbeit koordiniert haben soll, Walter Jurich, aus seiner Funktion als Leipziger Polizeipräsident entfernt und in die Leitung eines Reparationsbetriebs abgeschoben worden. 1952 wurde er wegen „parteimäßig nicht richtigen Verhaltens" auch dort entfernt und erhielt eine Parteirüge und Funktionsverbot (vgl. Dok. V.l.8). In seinem Verfahren spielte eine Rolle, daß er sich im Lager zeitweise gegen die selbsternannte Parteileitung gestellt habe, daß er 1943 aus dem KZ entlassen und Zivilarbeiter bei der SS geworden war und daß er einen ehemaligen sozialdemokratischen Kameraden, der jetzt Polizeipräsident in einer westdeutschen Stadt war, als positives Element zur Zusammenarbeit empfohlen hatte. Auch die beiden verbliebenen Mitglieder der illegalen Buchenwalder Parteileitung gehen nun einen schweren Weg, wenn sie auch überleben. Selbst der sonst stets in den Akten unauffällige Harry Kuhn, ein Leipziger Schneider und stets treuer Parteiarbeiter, der noch nach der Inhaftierung seiner ganzen Familie (Vater, Bruder, Frau) die Verschleppung von 600 Kommunisten ins KZ Buchenwald „als Verstärkung der dort bereits vorhandenen kommunistischen Kader" bezeichnen kann, verzeichnet nun einen Knick in seiner Karriere. Nach dem Besuch der Parteihochschule 1948/49 wird er sogar zum Generalsekretär der VVN im antifaschistischen neuen Deutschland gewählt. Und diese Funktion erweist sich nun als Himmelfahrtskommando: 1951 wird er durch einen ZK-Sekretariatsbeschluß wegen mangelnder Wachsamkeit - ohne irgendeine auffindbare Begründung - aller seiner Funktionen entkleidet (vgl. Dok. V.l.3) und verschwindet klaglos als „Redakteur" in der Verwaltung der Sozialversicherung. 1953 wird er zwar aus seinem Versteck in der Versicherung befreit, aber er kommt aus der Sachbearbeitung nicht mehr heraus, zunächst als Sekretär für Auswärtiges in der neuen Gewerkschaft Wissenschaft, seit 1962 redigiert er die „Außenpolitische Korrespondenz", ein Organ des Außenministeriums der DDR. Bei Walter Bartel ist der Knick nach innen noch wesentlich spürbarer, wenn auch nach außen kaum wahrnehmbar. Er ist nicht der einzige und auch nicht der höchstplazierte der ehemaligen KPD-Häftlinge, die 1953 aus dem ZK-Apparat der SED ausscheiden, um Professor für Gesellschaftswissenschaften in Leipzig zu werden und in dieser Funktion zuerst einmal promovieren zu müssen. 14 Man könnte denken, an den Universitäten fehlen fortschrittliche Kader, und die besten und bewährtesten Antifaschisten werden in die Erziehung der Jugend delegiert. Das aber ist ziemlich unwahrscheinlich, wenn man der Kaderakte Bartels entnimmt, daß eine akademische Karriere an der Karl-Marx-Universität erst die zweite Wahl 14
So geht es auch Heins Lauter, der nach 12 Jahren Zuchthaus im Dritten Reich von Ulbricht 1949 zum Leiter der Wissenschafts- und Kulturpolitik der SED gemacht worden war und versucht hatte, der frühen DDR die Shdanow'sche volkstümliche Kulturlinie aufzuprägen. 1953 waren der SED aus den Westzonen seine Aussagen vor der Gestapo 1935 zugespielt worden; an seinem Abgang aus dem ZK-Sekretariat änderte auch seine Rehabilitierung einige Monate später nichts. Vgl. Lutz Niethammer, Alexander von Plato, Dorothee Wierling: Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR, Berlin 1991, S. 182 ff.
II. 3 Sowjetische Säuberung 1950-1955
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seiner Unterbringung in der Provinz war; die erste war eine Fachschule für soziale Berufe in Weimar, die aber erfolgreich geltend machen konnte, daß sie nur „Dozenten fur solche Fächer wie Säuglingspflege, Krankenpflege usw. benötigt" (vgl. zum Folgenden Dok. V.3 und V.5). Dazwischen liegt ein Verfahren vor der Parteikontrollkommission, das drei politische Bezüge hat: Ernst Busses Verurteilung 1950, die Vorbereitung einer deutschen Variante des Slänsky-Prozesses von 195215 und den Machtkampf zwischen Dahlem und Ulbricht im Politbüro 1953. Es würde in diesem Zusammenhang zu weit fuhren, darauf im einzelnen einzugehen. Jedenfalls war Bartel, Anfang 1953 immer noch der persönliche Referent und Pressesprecher des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck, im Zuge der Vorbereitung eines deutschen Nachfolgeprozesses zum Slänsky-Prozeß in der CSSR Ende 1952 suspendiert worden, weil er beschuldigt wurde, ein Glied in der Verschwörungskonstruktion um Noel Field zu sein, indem er diesen in der frühen Nachkriegszeit in seinem Hause mit dem damaligen Kaderchef der KPD/SED Franz Dahlem zusammengebracht habe. Dahlem wurde dadurch im Machtkampf mit Ulbricht als Exponent der Westemigranten und Inlandskommunisten stigmatisiert und in der Folge, obwohl es zu keinem Schauprozeß kam, zusammen mit einer Anzahl von Westemigranten und Vertretern des Widerstands in deutschen Zuchthäusern und Konzentrationslagern aus dem Zentrum der Macht verbannt. Als Bartel in den Vernehmungen vor der Parteikontrollkommission in den Verdacht geriet, ein unzuverlässiger Zeuge zu sein, griffen die Untersuchungen auf die Haltung der KP-Leitung über, zumal deren Unbescholtenheit schon durch zwei Verurteilungen kommunistischer Kapos in Mitleidenschaft gezogen war: einmal 1950 Busse, zum anderen ein Funktionshäftling in der Arbeitsstatistik aus der tschechischen KP, Josef Frank, der 1952 zum Tode verurteilt worden war (vgl. Dok. V.2). Damit waren die beiden Hochburgen der KPD in Buchenwald, nämlich der Krankenbau und die Arbeitsstatistik, in das Zentrum der Untersuchung geraten. In diesem Zusammenhang wurde nun die Frage der Berechtigung deutscher Kommunisten zur Übernahme von Funktionen im Rahmen der sogenannten Selbstverwaltung in den KZs in einer Grundsätzlichkeit und Unerbittlichkeit aufgeworfen, welche die zaghaften Vorwürfe von Mithäftlingen wie Toni Waibel aus dem Herbst 1946 bei weitem in den Schatten stellten. Dabei darf freilich nicht unberücksichtigt bleiben, daß von den vier in diesen Befragungen auftauchenden Mitgliedern der ZPKK zwei in der russischen Emigration gewesen waren und alle zwar kürzere Hafterfahrungen im Dritten Reich (einer immerhin 10 Jahre lang) gemacht hatten, aber keine(r) im KZ. Bartel wird hier im Zentrum der stalinistischen SED mit einer fur ihn völlig überraschenden Position konfrontiert, nämlich daß es von Anfang an vollkommen falsch und unvertretbar gewesen sei, daß deutsche Kommunisten im KZ Kapo-Funktionen übernommen hätten. Sie seien dadurch in eine haltlose Position gekommen, ohne nähere Kenntnisse über Leben und Tod von Mithäftlingen zu entscheiden, 15
Vgl. dazu Hermann Weber: Schauprozeß-Vorbereitungen in der DDR, in ders. u. Dietrich Staritz (Hg ): Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stalinistischer Terror und „Säuberungen" in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berlin 1993, S. 436 ff. u.a. Beiträge dieses Bandes für den osteuropäischen Hintergrund.
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wobei die Rettung ihrer Genossen kein Argument sei, da sie dafür andere, vor allem ausländische Häftlinge, über deren (auch antifaschistischen) Wert sie gar nicht hätten befinden können, preisgaben. Sie hätten sich vielmehr ein Beispiel an den nordkoreanischen Helden in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern in Südkorea, die viel schlimmer als deutsche KZs seien, in der Entfaltung eines kompromißlosen Massenkampfs gegen die SS nehmen sollen. Bartel war über diese Parteinorm einer rückwirkenden ultralinken Taktik im KZ vollkommen entgeistert: Nie sei ihm das im Lager oder seither gesagt worden, daß ihre gesamte Arbeit im Lager „Kapitulantentum" sei, auch nicht in den vielen Gesprächen mit den „Freunden" (vgl. Dok. V.3.2). Die Dialoge in diesen internen und mit Kompromißlosigkeit geführten Vernehmungen versetzen den heutigen Leser in ein moralisches Vexierkabinett, denn die Moral der Selbstaufopferung der kommunistischen Kader und einer universalen und intransigenten Häftlingssolidarität tritt ihm hier aus dem Mund der Anklagebürokraten bei der Vorbereitung eines stalinistischen Schauprozesses entgegen. Querverweise lassen ahnen, daß auch das Schicksal eines weiteren prominenten Buchenwald-Häftlings, Willi Seifert, im Rahmen der Vorbereitungen eines deutschen SlänskyProzesses an einem seidenen Faden hing (vgl. Dok. V.2). Aber die äußere Biografie des ehemaligen Kapos in der Arbeitsstatistik und wohl mächtigsten Häftlings in Buchenwald erscheint ungebrochen. Seine Karriere führte ihn bis in die Höhen eines Generalinspekteurs und stellvertretenden Chefs der Deutschen Volkspolizei und nach einem Fernstudium 19571983 auf den Posten eines stellvertretenden Ministers des Innern der DDR. Indessen war in seiner Buchenwalder Arbeitsstatistik, die den stärksten Einfluß auf den Arbeitseinsatz und die Verschickungen in Außenkommandos (z.B. nach Dora), d.h. auf Entscheidungen über Leben und Tod zu nehmen vermochte, auch jener Josef Frank, der nach der Befreiung Mitglied des ZK und stellvertretender Generalsekretär der K P t und als solcher einer der Hauptangeklagten des Slänsky-Prozesses geworden war. Walter Bartel waren am 29.5.1953 u.a. die finsteren Fragen vorgelegt worden: „4. Hauptfrage: Die Verbrechen der Arbeitsstatistik. a) Was weißt du über die Tätigkeit des Leiters der Arbeitsstatistik, Genossen Seifert? b) Was weißt du über die Tätigkeit des Agenten Frank in der Arbeitsstatistik? 5. Hauptfrage: Warum hast du der Entwicklung einer solchen Linie in der Arbeitsstatistik, die zum Tod zahlreicher sowjetischer Gefangener führte, zugestimmt?" (vgl. Dok. V.3.1). Wie man bei solcher Nähe zum amtlich festgestellten Bösen kontinuierlich Polizeichef (natürlich nur „Stellv.") bleiben konnte, erscheint als Rätsel, wo doch ringsum alle niedrigeren Kandidaten des Terrors zitterten, suspendiert waren oder fielen. Dieses Rätsel kann auch hier nicht gelöst werden. Eingeweihte ahnen, daß man schon vor dem Dritten Reich gewisse Schulungen in der Sowjetunion absolviert haben oder wenigstens nach dem Krieg in engere Beziehung zum NKWD getreten sein mußte, um in der „Säuberungsphase" 1950-53 trotz problematischer Vergangenheit (aber wer hatte die nicht?) seinem Zugriff zu entgehen. Vielleicht ist die Lösung aber schlicht: Eventuell gehörte einfach mehr Macht dazu, um gegen die Macht zu überleben, und die konnte man nur durch öffentliche Prominenz oder durch das Insiderwissen der zunehmend zentralisierten bewaffneten Organe erwerben.
113 Sowjetische Säuberung 1950-1955
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Rudi Jahn (Mitglied des Parteiaktivs, aber kein Funktionshäftling in Buchenwald, vgl. seine Selbstcharakterisierung als „Aktivist fur eine geordnete Parteiarbeit" im KZ [sie!] in Dok. II.5.8) war 1948 führender Funktionär der Partei und der Gewerkschaft in Brandenburg und 1949 dort Ministerpräsident geworden, zugleich Mitglied des Volksrats und dann der Volkskammer der DDR; als die Länder 1952 abgeschafft wurden, war er prominent genug, unmittelbar in ein vergleichbares Amt, nämlich als Vorsitzender des Rats des Bezirks Dresden (1952-58), überzugehen. Er blieb der einzige Kommunist der DDR in der Führung des Buchenwald-Komitees, der offenbar von den Seinen nicht in Zweifel gezogen wurde. Auch die Stasi gab Sicherheit. Zu den prominenten Buchenwaldern gehörten hier mindestens drei: Der Altkommunist Richard Großkopf (in Buchenwald in der Pathologie und Leiter der kommunistischen Abwehr, nach 1945 in Berlin als Inspekteur der Volkspolizei Abteilungsleiter für das Paß- und Meldewesen), der 1951 bis 1961 beim MfS zunächst als Oberst tätig wurde. Helmut Thiemann, der den nom de guerre Rolf Markert angenommen hatte (in Buchenwald Pfleger im Krankenbau und Mitglied des Parteiaktivs, seines „Abwehrapparats" und seit 1944 seiner „militärpolitischen Führung"; nach 1945 Parteifunktionär in Sachsen, 1946 Personalchef der sächsischen Polizei, 1948 Chef des K-5, also der dortigen politischen Polizei), baute 1949 als stellvertretender Leiter das MfS in Sachsen auf, leitete dann verschiedene Abteilungen im MfS in Berlin und übernahm 1953 die Bezirksverwaltung Dresden des MfS. Heinz Grohnau (vor 1933 KJVD-Funktionär, in Buchenwald im sogenannten Militärapparat des illegalen Lagerkomitees tätig, seit 1946 in leitenden Polizeifunktionen in Sachsen) ging 1950 zum MfS und stieg dort 1953 zum Kommandeur einer Grenzbereitschaft und später zum Leiter der Verwaltung für den Polizeigrenzdienst auf und kommandierte im letzten Jahrzehnt der Ära Ulbricht als Generalmajor das Berliner Wachregiment des MfS „Feliks Dzierzynski". Trotz solcher Ausnahmen entgingen die prominenteren kommunistischen Funktionshäftlinge aus Buchenwald den Anklagen nicht, die zuerst von amerikanischer Seite und - nach der frühen Abwehr durch die SED - weit drastischer von den Russen erhoben wurden, deren Urteile die SED-Spitze nunmehr ungeteilt übernahm. Noch einmal aus den „Fragen", die Walter Bartel von der ZPKK der SED im Mai 1953 vorgelegt worden waren: „2. Hauptfrage: Die Verbrechen im Krankenbau des Lagers Buchenwald, a) Was weißt du über die Verbrechen, die Ernst Busse im Krankenbau in Buchenwald begangen hat? b) Weshalb hast du Ernst Busse beauftragt, im Lazarett Gefangene 'abzuspritzen'? c) Welche Gefangenen sind durch Ernst Busse 'abgespritzt' worden? d) Was weißt Du von dem 'Abspritzen' eines sowjetischen Generals und anderer hoher sowjetischer Offiziere?" (vgl. Dok. V.3.1)
92 II.4
II Die Säuberung der Kämpfer
Rehabilitierung und Öffentlichkeit 1955-1990
Am 10.6.1953, nach Stalins Tod und vor dem 17. Juni, hört Walter Bartel zuletzt von der ZPKK. Er sitzt streng isoliert im Hausarrest in Pankow und schreibt eine Grundsatzrechtfertigung der roten Kapos im KZ (vgl. Dok. V.3.4). Sein eiliges Gesuch vom 17.6. an die Parteiführung, sich gegen die Aufständischen bewähren zu dürfen, bleibt ungehört. Im August wird seiner Sekretärin (!) auf einem Gehaltsabrechnungsbogen (!) seine Entlassung mitgeteilt - immerhin war er Bürochef des Staatspräsidenten gewesen - und ihm mündlich eröffnet, daß „die Lagerpolitik nicht mehr Gegenstand einer Untersuchung der ZPKK ist" 16 (vgl. Dok. V.3.5 f). Vorsorglich beschlagnahmt diese aber bei der Ausräumung seines Büros seine Unterlagen aus seiner Tätigkeit im Vorstand des Buchenwald-Komitees. Nachdem er disqualifiziert ist, Geschichte mitzumachen, bekommt er nach mehrmaligen Bitten um eine Arbeit den Leipziger Job als Zeitgeschichtler. Sein Widerwillen gegen die Provinz wird gezügelt (vgl. Dok. V.5). Seine Aufgabe der Buchenwalder Traditionspflege darf er behalten. Auch wenn die Partei Gnade walten läßt, brennt sich ihr Signum ein wie eine inwendige Brandmarkung. 1955 wird Erich Reschke aus dem GULag entlassen und bekommt eine Arbeit als Kesselflicker. Er wendet sich 1956 mit einem bitteren Schreiben an das Buchenwald-Komitee (vgl. Dok. IV.9), und dieses richtet eine Petition an den Vorsitzenden der ZPKK Hermann Matern (vgl. Dok. VI.3.3). Reschke wird - anscheinend ohne weitere Untersuchung - einsilbig rehabilitiert, und nach einiger Zeit kann er eine höhere Polizeistelle bekommen, schließlich sogar Abteilungsleiter im Strafvollzug werden. Matern stellt auch eine Rehabilitierung Busses in Aussicht (vgl. Dok. VI.3.5). Aber Busse ist im doppelten Sinn eine Unperson geworden, d.h. er ist aus der Geschichte gestrichen, und er ist im GULag, den es auch nicht gibt, umgekommen: Das macht eine Rehabilitierung zu einer prekären Angelegenheit. Tatsächlich hatte die ZPKK Busse bereits sechs Wochen vorher in lakonischer Weise („die Mitgliedschaft des Genossen Busse... gilt ab 1918 [Spartakusbund] als ununterbrochen") rehabilitiert und diesen Beschluß seiner antragstellenden und zu diesem Zweck einbestellten Ehefrau am 16.10.1956 durch ihr Mitglied Herta Geffke „mündlich mitgeteilt" (vgl. Dok. VI.3.2 und VI.4). Es folgten menschliche Erleichterungen für die Angehörigen, nachdem Anna Busse, die selbst im Dritten Reich 20 Monate im Zuchthaus gesessen hatte, nach der Verhaftung ihres Mannes aus jeder Beschäftigung in Staats- und Parteidiensten verwiesen war. Busses bei ihr lebende 80-jährige Mutter hatte sich auch zuvor nicht gescheut, sich an den Rot-Kreuz-Suchdienst in West-Berlin zu wenden 16
Auch dies scheint eine revisionsfahige Aussage gewesen zu sein, denn Ende 1953, Anfang 1954 wird eine neue Runde der Erinnerungserhebung unter verbliebenen Buchenwalder Parteifunktionären angedreht. Das Rundschreiben richtet sich u.a. auch an den seit anderthalb Jahren toten Busse. Die der Abt. Kaderregistratur der SED eingereichten Erinnerungen (vgl. Dok. V.4 ff.) machen greifbar, daß sich die Lage noch nicht entspannt hat. Hier wird erinnert im Denunziationsklima der langen Schatten der Schauprozesse. Wehe dem, der in Verdacht geraten ist, um ihn herum gibt es keine Solidarität mehr, auch nicht von Kameraden.
11.4 Rehabilitierung
und Öffentlichkeit
1950-1990
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und von dort im Februar 1955 erfahren, was in der DDR nicht zu erfahren war, nämlich daß ihr Sohn angeblich Anfang 1953 im Schacht I in Workuta verstorben sei. Indessen, Ehre ist etwas Öffentliches, und auch Parteiehre ist durch einen geheimen Aktenvermerk nicht voll wiedererfahrbar. In einer Vorlage für Erich Honecker (vgl. Dok. VI.6.2) hieß es noch 1972: „Auch unsere Partei rehabilitierte den Gen. Busse (nicht öffentl.)...", d.h. bei Busse handelte es sich nun um eine verstorbene und rehabilitierte Unperson. Die verbliebenen Genossen aus der Buchenwalder Parteileitung drängten, diesen unbefriedigenden Zustand, der weder der Ehre des Rehabilitierten noch ihrem eigenen Ansehen dienen konnte, zu ändern, und machten 1957 einen moderaten Vorschlag: In einer geschlossenen Sitzung des Buchenwald-Komitees sollte im Rahmen einer Totenehrung auch der Name Ernst Busses erwähnt werden dürfen, um den inneren Kreis seiner Kameraden wenigstens von seinem Tod und seiner Rehabilitierung in dieser knappsten Form zu unterrichten. Matern war einverstanden, und so geschah's. Mehr war unter Ulbricht offenbar an Entstalinisierung nicht zu haben, öffentlich blieb Busse eine Unperson. 17 Kaum war Ulbricht aufs Altenteil geschoben, machte Bartel einen neuen Vorstoß und ließ durch den Sekretär des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer im ZK ventilieren, ob man nun nicht einen Schritt weiter gehen könnte und anläßlich der 75. Wiederkehr von Busses Geburtstag im „Neuen Deutschland" oder doch wenigstens in der Regionalpresse eine ehrende Notiz bringen könne. Der Chef der ZPKK befürwortete einen solchen Schritt und legte genau Umfang, (unpolitischen) Ton und die Plazierung auf S. 3 der Bezirkspresse (eine Veröffentlichung im „Neuen Deutschland" wurde als Präzedenzfall abgelehnt) in einer Vorlage für den neuen Generalsekretär fest, der noch am selben Tag sein „Einverstanden EH 19.10.72" darauf schrieb. Nun mußte der Vorsitzende der PKK nur noch den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Erfurt unter dem 24.10.72 „von dieser Festlegung informieren", und schon konnte dieser in einen Artikel einer Erfurter Zeitung mit der sinnigen Überschrift „Kraftquell Solidarität. Vom gemeinsamen Widerstandskampf deutscher und sowjetischer Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald" auch drei Zeilen im Zusammenhang einer Erwähnung der illegalen Parteileitung über „den ehemaligen Reichstagsabgeordneten der KPD, Emst Busse, der in diesem Jahre 75 Jahre alt geworden wäre" einrücken lassen (vgl. Dok. VI.6). Ein Leser dieser Synthese aus Antifaschismus und Entstalinisierung mußte glauben, Busse sei von den Nazis umgebracht worden. Jedenfalls durfte er jetzt als Opfer des Faschismus schon wieder erwähnt werden und auch die Tatsache, daß er tot war. Aber es sollte noch 18 weitere Jahre dauern und des Zusammenbruchs der DDR und der Abwahl der SED/PDS im März 1990 bedürfen, bis das „Neue Deutschland" die Nachricht von der Entscheidung der Zentralen Schiedskommission der PDS einrückte, daß auch die Verfolgung des Genossen Busse Ausdruck stalinistischer Willkür sei und er rehabilitiert wurde (vgl. Dok. VI.8).
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Nicht ganz. Bartel bildete ihn sogar in der 1. Aufl. von BW-MuV 1961 ab.
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II Die Säuberung der Kämpfer
In dieser ebenso traurigen wie tragikomischen Rehabilitierungsgeschichte erwies sich die SED über 40 Jahre hinweg zwischen zwei Tabus ihrer Traditionspflege - der ungeklärten Geschichte des empirischen Verhaltens von Kommunisten im Widerstand und der ungeklärten Geschichte ihrer stalinistischen Unterwerfimg - als bewegungsunfähig. Und ein weiteres Kontinuitätselement in der Behandlung der Angelegenheit des Genossen Busse reicht sogar über die Herrschaft der SED hinaus - bis in die gutwillige Restitution der Parteiehre durch die Nachfolgeorganisation. Es läßt sich ja kaum die Frage vermeiden, ob diese Entscheidung der PDS-Schiedskommission richtig und vollständig war. Daß die Verfolgung Busses Ausdruck stalinistischer Willkür gewesen sei, mag man - auch in Unkenntnis des SMTVerfahrens - unterstellen, und daß er im GULag umkam, ist sicher ein Unrecht und ein Skandal. Die Geschichte seiner Rehabilitierung wurde hier jedoch deshalb mit der Absicht einer gewissen Anschaulichkeit rekapituliert, weil auch sie Ausdruck stalinistischer oder jedenfalls von Willkür war. In den Akten der SED findet sich kein Hauch einer Untersuchung oder auch nur einer Kenntnis des sowjetischen Verfahrens von 1950/51 und überhaupt nichts Neues zur Sache. Immerhin wurden weder Busse noch Reschke in Moskau jemals rehabilitiert (vgl. Dok. VI. 10), wenn auch die Stasi vom letzteren den Makel, als „Kriegsverbrecher" verurteilt zu sein, per Aktenvermerk nehmen wollte. Aber das Urteil der Freunde ließ sich nicht löschen (vgl. VI.8).
III
KADERKÖPFE AUS DEM KZ Lebensläufe. Generationen. Netzwerke?
III. 1
HÄFTLINGSMACHT UND LEBENSLINIE
III. 1.1 Wer war Ernst Busse?
Die Messerschleifer von Solingen sind ein Stück handwerklicher Hausindustrie des frühen industriellen Verlagswesens, das hochspezialisiert und in Deutschland im wesentlichen auf diesen einen Ort konzentriert war. Diese Sonderform der Industrialisierung, die bei den Heimarbeitern der Messerfabrikation ein besonderes Gefühl der Selbständigkeit erhielt, aber zugleich eine Spaltung zwischen den wohlhabenderen kleinen Familienbetrieben und der Masse der Heimarbeiter und Arbeiter in kleinen Betrieben hervorrief, hat Solingen zu einer Hochburg des Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung gemacht, die selbst nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine kommunistische Arbeiterkultur von politischem Gewicht erhielt. Als am 24.11.18971 dem Ehepaar Ernst und Auguste Busse ihr erster Sohn geboren 1
Von Ernst Busse wie von vielen Funktionären der Arbeiterbewegung haben sich nur wenig Dokumente überliefert. Einen Nach!aß gibt es nicht. Er hat keine unmittelbaren Nachkommen. Im Besitz der weiteren Familie sind nur noch einige Foto und sehr wenige persönliche Dokumente. Der ausfuhrliche Briefwechsel aus dem KZ mit seiner künftigen Frau wurde von dieser kurz vor ihrem Tod 1985 vernichtet. Von seiner Tätigkeit im KZ, wo er über lange Jahre von Sachkennern als der mächtigste Mann diesseits der SS eingeschätzt wird, ist nach derzeitiger Kenntnis nicht ein einziges schriftliches Zeugnis hinterlassen. Auch aus seiner Tätigkeit als Gewerkschaftsfunktionär und Stadtverordneter (im Rheinland) konnten die einschlägigen Stadtarchive keinerlei Zeugnisse nachweisen. Er ist zwar 1932 in den Reichstag gewählt worden, hat dort aber nicht mehr gewirkt. Auch aus seiner Zeit als Thüringer Innenminister und als vierter Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft bzw. dem Genossenschaftsverband scheint es - außer den in Dok. IV.4 abgedruckten Briefen kaum biografisch relevantes Material zu geben. Seine Tätigkeit als thüringer Landespolitiker ist bisher historisch nicht bearbeitet worden. Eine gründliche Recherche in den institutionellen Akten dieser Behörden nach evtl. indirekten Zeugnissen fur seine Person und Politik konnte in unserem Zusammenhang nicht vorgenommen werden und bleibt künftiger Forschung vorbehalten. Das sowjetische Verfahren gegen ihn kurz vor seinem Tod, in dessen Zusammenhang auch Beschlagnahmungen vorgenommen wurden, ist nicht zugänglich; eine evtl. Stasi-Akte ist noch nicht gefunden. Das Folgende geht von einem ausfuhrlichen Lebenslauf aus, den Busse für Parteizwecke im Zusammenhang der 1949 anlaufenden Parteiüberprüfung (offenbar sollte er alle Genossen, mit denen er zusammengearbeitet hatte, erwähnen, beschränkte sich aber auf linientreue) schrieb: Biografie, v. 30.9.1949 (5 S.), Abschrift in BWA; dort, in der Kaderakte im ZPA, in einem Depositum seiner Frau im PDSArchiv in Erfurt sowie in Streumaterialien im Staatsarchiv Weimar sind noch einige wenige weitere biograf. Materialien, Kaderbögen und Kurzbiografien über Busse von Verwandten oder von fremder Hand sowie Einzeldokumente. Wenn im Folgenden Zitate nicht anders ausgewiesen sind, sind sie der o.a. „Biografie" entnommen. Angesichts dieser biografischen Quellenarmut soll hier nicht zu einer großen Deutung des in diesem Buch wohl meistgenannten Mannes ausgeholt, sondern nur versucht werden, wenigstens einen Schattenriß seiner Herkunft und Prägung zu zeichnen und auf die persönlichen Dokumente dieses Bandes zu verweisen.
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III Kaderköpfe aus dem KZ
wurde, ein Stammhalter, erhielt er den Namen des Vaters. Der Vater war Schleifer in Heimarbeit und verdiente wenig für seine bald siebenköpfige Familie; die Mutter, die häufig krank war, führte den Haushalt und zog die Kinder auf. Ernst Busse hatte zwei Schwestern und zwei Brüder. Seine älteste Schwester und sein jüngster Bruder blieben im Lande, aber starben schon als junge Erwachsene; die mittleren Geschwister wanderten aus, der Bruder Max 1925 in die USA, die Schwester Helene 1932 in die UdSSR-wenn man wegging, schien alles offen. Der Druck der armen Verhältnisse, aber auch die Selbständigkeit und Initiative des Milieus der Solinger Heimarbeiter bildet sich darin ab. Ernst lernte nach dem Besuch der Volkschule beim Vater Schleifer. Ein erster Versuch, Anschluß bei den Turnern zu finden, mißlang, weil ihm deren anschließende Wirtshausbesuche nicht gefielen. Noch vor dem Ende der Lehre stieß er vielmehr zur sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und trat 1913 dem Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) bei, ein Schritt gegen die Solinger Tradition einer eigenen lokalen Gewerkschaft, die im Industrie-ArbeiterVerband zusammengefaßt war. Mit Kriegsbeginn kam die stark exportorientierte Solinger Industrie weitgehend zum Erliegen; um die knappe Haushaltskasse zu schonen, mußte sich Emst gegen Kost und Logis als Erntearbeiter in den Westerwald verdingen. In Oberirsen, einem streng evangelischen Flecken, machte sich der Siebzehnjährige einen Spaß daraus, als Sozialist und Atheist aufzutreten, obwohl er über beides sehr wenig wußte und die Kluft zwischen Attitüde und Wissen durch den Erwerb von Reclamheften über „Darwin, Ibsen usw." nachzuholen versuchte. Im November 1914 wurde er nach Hause gerufen, weil der Vater an den Folgen einer Operation gestorben war. Er übernahm im Betrieb des Vaters Stelle und in der Familie seine Rolle als Haupternährer, aber das reichte erst, als auch seine nächstälteste Schwester aus der Volksschule gekommen war und arbeiten gehen konnte. Schon nach einem Jahr kam bei ihm jedoch eine TBC zum Ausbruch, die Berufskrankheit der Solinger Schleifer; er kam fiir ein halbes Jahr in eine Lungenheilanstalt bei Wuppertal. Im Rückblick meint Busse, an der Krankheit habe nicht nur der 10-Stundentag der Schleifer seinen Anteil gehabt, sondern daß er danach auch noch stark in die Jugendarbeit der SAJ eingespannt worden sei, die infolge der Kriegseinziehungen unter Funktionärsmangel litt. Sein politisches Engagement begann also als Ersatz und führte ihn an den Rand seiner Möglichkeiten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit lag in der Anti-Kriegsarbeit unter Front-Urlaubern, bei Flugblatt-Aktionen und einer Demonstration zum Anti-Kriegstag wurde er in Düsseldorf das erste Mal kurzzeitig verhaftet. Als seine Gesundheit wiederhergestellt schien, mußte er zum Militär nach Saarbrücken. Er wurde aber bald wieder krank und im Mai 1917 „dienstunfähig" geschrieben; dafür wurde er nun in Solingen in zwei Rüstungsfabriken „dienstverpflichtet". Daneben widmete er sich wieder politischer Tätigkeit; die Solinger SAJ stand hinter Liebknechts Opposition und unterstützte die USP und die Spartakusbewegung, über sie wurden die Spartakusbriefe in die Betriebe und an die Front geschleußt. Busse wurde alsbald ihr Vorsitzender und Mitglied der Bezirksleitung. Nachdem seine Dienstverpflichtung 1918 endete und er wieder zuhause in
III. l.l
Wer war Ε. Busse?
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der Werkstatt saß, holte ihn auch die Gewerkschaft, machte ihn zum Vertrauensmann; von der Branchenversammlung der Schleifer wurde er zum jüngsten Branchenleiter der Solinger Gewerkschaftsbewegung gewählt. Wenn er arbeitslos war, setzte der regionale Spartakusbund den Zwanzigjährigen als Referent und Instrukteur im Rheinland und in Westfalen ein, offenbar hatte er Redetalent und Courage. Nachdem die KPD gegründet worden war, wurde er deren Mitglied. Er gab die Jugendarbeit ab, wurde Mitglied der KP-Bezirksleitung und als Referent eingesetzt. Als Arbeiterkorrespondent und Volontär der Bergischen „Arbeiterstimme"2 sollte er sogar eine Lokalredaktion des kommunistischen „Ruhr-Echo" übernehmen, was sich allerdings zerschlug. Wegen der schwierigen Arbeitslage mußte er „verschiedene Berufswechsel vornehmen", landete aber 1923 wieder beim Messerschleifern in der häuslichen Werkstatt. Daneben war er Mitglied der engeren Ortsverwaltung des DMV und dessen Revisor. 1925 schickte ihn die KPD nach Mönchen-Gladbach, um sich dort als hauptamtlicher DMV-Funktionär zu bewerben. Er wurde auch gewählt und konnte den Posten fünf Jahre fiir die Opposition halten, was bei den jährlich stattfindenden Wahlen „nur durch beharrliche Fraktionsarbeit" gelang. Seit seinem 27 Lebensjahr ist Emst Busse kommunistischer Berufsfunktionär geblieben, nicht wirklich unterbrochen, aber schließlich beendet von politischer Haft im Dritten Reich und in der Sowjetunion. Während seiner Tätigkeit beim DMV wohnte er im nahegelegenen Viersen und wurde dort Stadtverordneter - die KPD erhielt hier zwar ein Drittel der Sitze; aber die Fraktion und auch die Stadtpartei spalteten sich, genauer gesagt: sein Gewerkschaftskollege vom Holzarbeiter-Verband machte 1928 die Stabilisierung der KPD nicht mit und gründete eine Gruppe der „Leninisten". 9 von 11 kommunistischen Stadtverordneten zogen mit ihm; Busse und noch einer waren die einzigen „zur Partei stehenden Stadtverordneten"3 und vertraten die ultralinke Taktik, die Gewerkschaftseinheit mit den Sozialdemokraten aufzukündigen. Busse bekam die gewerkschaftliche Isolierung durch die neue Parteilinie vor Ort zu spüren. Nachdem er seinen Maiaufruf 1930 „Zeile für Zeile" mit der KPD-Bezirksleitung in Düsseldorf „festgelegt" hatte, wurde er aus dem DMV ausgeschlossen und mit Hilfe der Polizei aus seinem Büro geworfen. Er sollte dann einen Verband oppositioneller Metallarbeiter im Rheinland aufbauen und diesen an die RGO-Zentrale in Düsseldorf, die nur punktuelle Schwerpunkte unter Betriebsarbeitem hatte und sonst für die Revolution unter Arbeitslosen agitierte, anschließen; es kamen auch Arbeiter zu seinen Versammlungen, sprachen sich sogar anerkennend aus, aber ihre Mitgliedschaft im DMV ließen sie sich nicht nehmen. Nachdem die Spaltung von unten mißlungen war, wurde er 1931 zusammen mit anderen Funktionären aus dem westdeutschen Apparat wie Bernhard Bästlein, Fritz Jung und - seinem späteren Vorgänger als Kapo im Buchenwalder Krankenbau - Walter Krämer zur Prü2 3
Er stand damals in Kontakt mit deren Redakteur Dr. Richard Sorge, dem nachmaligen legendären und in Japan hingerichteten Sowjetspion. „Biografie", a.a.O., S. 3. Aus der Viersener Zeit (und nur hier) erinnert er sich auch an seinen Einsatz gegen die sich „starkmachende" NS-Bewegung zunächst als Redner und dann bei Straßenschlachten mit der SA („Verteidigung gegen Feuerüberfalle... von SA-Leuten auf die Arbeitersiedlung am Stadtrand von Viersen").
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III Kaderköpfe aus dem KZ
fang durch Ernst Thälmann und Ernst Schneller ins ZK bestellt. Anscheinend war sein Scheitern vor Ort mustergültig, denn er wurde zusammen mit Bästlein als RGO-Bezirksleiter nach Köln geschickt, was ihn qua Amt auch zum Mitglied der Bezirksleitung der KPDMittelrhein machte und 1932 ein Reichstagsmandat fur Koblenz/Trier eintrug. Auf der Höhe der Wirtschaftskrise war es für Kommunisten leichter, in den Reichstag gewählt zu werden, als in der Hektik der Wahlen, Auflösungen und der bald folgenden Repression in ihm tätig zu werden. Ob er ihn je von innen gesehen hat, ist zu bezweifeln. Aber der Titel verlieh auch so eine gewisse Prominenz bei Freund und Feind, jedenfalls sollte ihn Busse später bei persönlichen Vorstellungen immer erwähnen.4 Aus dem Endjahr der Weimarer Republik konnte er sich sonst später nur noch an Streiks erinnern: „in den Glanzstoffwerken von Köln, in der Metallindustrie Jülich, der Notstandsarbeiter von Aachen, der Holzarbeiter von Andernach usw.". Ich denke, das „usw." will sagen, er hat bei diesem letzten legalen Einsatz an fremdem Ort keinen Kontakt mehr zur Basis gefunden, sondern nur noch punktuelle Agitation organisiert; was er erinnert, hat keinen sozialen Zusammenhang mehr als den der Partei. Im Januar 1933 ging er als RGO-Leiter in Köln in den Untergrund und wollte noch einen Kongress der RGO des Rheinlandes in Düsseldorf organisieren, was aber von der Polizei verboten wurde. In Köln offenbar zu bekannt geworden, ging er nach Berlin, wurde mit einer neuen Identität („Franz Zander") ausgestattet und mit dem thüringischen RGO-Bezirksleiter Willi Albrecht ausgetauscht, der statt seiner nach Köln ging. Im Mai kam er nach Erfurt, um dort - ortsfremd - als Bezirksleiter illegale RGO-Propaganada anzuleiten; ein alter Genösse, Paul Grohmann, erhielt die Parteiweisung, Franz Zander zu beherbergen, dessen wahre Bedeutung selbst seine Frau nicht kannte. Eine 25jährige arbeitslose Genossin, Anna Wiehle 5 , diente ihm als Cicerone und Sekretärin. Die beiden verliebten sich, und er zog zu ihr in ihr Elternhaus, das unter Erfurter Kommunisten als „Klein-Moskau" bekannt war und das er auch als Kontakt-Treff benutzte6 . In die Grohmann'sche Wohnimg ging das Paar nur noch für gefahrliche Arbeiten, d.h. das Schreiben von Flugblättern. Diese revolutionäre Agitation 4
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Aus jenen Jahren hat sich ein Porträt-Foto erhalten, das offenbar zu repräsentativem Zweck - mit Anzug, Kravatte und Weste - gemacht wurde. Es zeigt den Mittdreißiger mit Menjou-Bärtchen und zurückgebürstetem und seitlich ausrasiertem Haar, wodurch sein damaliger Hang zu einer gewissen Feistigkeit - nie vorher und nie wieder bis kurz vor seine Verhaftung durch die Russen wird man diesen Hang an ihm wahrnehmen können zurücktritt, mit einem angestrengt ins Weite gerichteten Blick voller Entschiedenheit aus zwei extrem differenten Augen, die auch auf künftigen Bildern sein persönliches Merkmal bleiben werden: das linke, schmal, modulationsfahig und beweglich paßt sich an und hält Kontakt, während das rechte - es wirkt fast doppelt so groß und unbeweglich - eine vogelhafte, durchdringende Qualität hat. Die hier noch mit einem leisen Anflug von Lächeln, das er als revolutionärer Junge in den Wäldern in gewinnender Weise auszustrahlen vermochte, gefaßte innere Spannung wird im nächsten offiziellen Foto von 1945 zu einer beängstigenden straffen Härte versteinert sein. Vgl. den Bildteil. Anna Wiehle (1907-1985), Tochter einer kinderreichen 'roten' Arbeiterfamilie, Arbeiterin in einer Schuhfabrik, 5 Jahre Kurzarbeit, arbeitslos. Arbeitersportbund, KJVD, 1930 KPD. Zum weiteren siehe Text. Anna Wiehle wurde 1949 Emst Busses Ehefrau. Einige Angaben von ihr zur Erfurter Zeit in Doris Hartung/Ellen Riedel, a.a.O., S. 21-25. Busse war offensichtlich mit Grundregeln der Illegalität damals noch nicht vertraut. 1933 wurde er von den Nazis und von der Liebe überrascht. Seine Einweisungskarte in Buchenwald weist seinen Familienstand als „geschieden" aus; von seiner ersten Ehe - mit der sechs Jahre jüngeren Helene Schneider aus Solingen, mit der er in Viersen gelebt hat - findet sich in seiner „Biografie" und anderen biografischen Materialien keine Spur.
III. 1.1 Wer war Ε. Busse?
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hat die Kader damals aufgerieben, denn die begierigsten Leser saßen in der Gestapo. Busse wurde aber noch nicht einmal aufgrund verbreiteter Flugblätter aufgespürt, sondern rein zufällig am 12.10.1933 bei einer Haussuchung der Kriminalpolizei nach einem Kleinkriminellen beim Tippen überrascht und verhaftet - und mit ihm Anna Wiehle und das Ehepaar Grohmann. Für alle folgten ein Jahr Untersuchungshaft. Am 12.11.1934-kurz vor Busses 37. Geburtstag - wurde gegen sie vom 1. Senat des Volksgerichtshofs in Berlin unter der „Anklage der Vorbereitung zum Hochverrat und des Verbrechens gegen die Neubildung von Parteien" verhandelt. Nach der Nazi-Presse 7 waren die Angeklagten geständig; er selbst erinnert sich an Schläge und Nahrungsentzug während des Prozesses oder seiner Vorbereitung.8 Busse wurde zur Höchststrafe von 3 Jahren Zuchthaus, Anna Wiehle wegen Mittäterschaft zu 1 Jahr und 8 Monaten Gefängnis und Paul Grohmann wegen Beihilfe zu 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis verurteilt, während das Verfahren gegen Ida Grohmann aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde. Die Untersuchungshaft wurde angerechnet. Wiehle und Grohmann verbüßten ihre Reststrafe in Erfurt. Busse kam fur zwei Jahre in Einzelhaft ins Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, wo Besuchserlaubnis für seine Mutter und fur Anna nach deren Haftentlassung bestand. 9 Von dort wurde er nach Verbüßung der Strafe zur Gestapo nach Köln in den Klingelpütz verlegt, wo ihn seine Mutter und seine Freundin noch einmal besuchen durften. Anna nahm wahr: „Ernst wußte, daß er nicht wieder frei kommen würde, war aber trotzdem sehr gefaßt" 10 . In Köln wurde er am 10.12.1936 in Schutzhaft genommen11 und in das KZ Lichtenburg eingewiesen. Über das halbe Jahr, das er dort verbrachte, hat er nur berichtet: dort „leitete die politische Arbeit der Genösse Theo Neubauer und Walter Stöcker. Durch sie wurde ich in die politische Arbeit einbezogen." Sonst nichts. Kein Anklang eines Gefühls nach der Einzelhaft, kein Gedanke über die Haft auf Dauer, keine Wahrnehmung der Lagerwirklichkeit oder der Kameraden. 12 In Buchenwald wird er immerhin sechs Namen führender Genossen erwähnen und ein „usw." hinzufugen, spärliches Indiz, daß er zurück ist in einer kollektiven Situation, für die die sechs Namen der Führung einen Sinn machen mögen. Jedenfalls gewann Ernst Busse im Lager wieder sozialen Kontakt, und der hieß Partei und deren Prominenz.
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„Schlupfwinkel in Erfurt. Verhandlung gegen die Hochverräter vor dem Volksgericht", in: Berliner Illustrierte (Nachtausgabe) v. 12.11.1934. „Die Angeklagten waren im wesentlichen geständig. Busse erklärte freimütig, daß er fur den Sieg der Kommunistischen Partei gekämpft habe. Es würde, so erklärte er, bei der Ergreifung der Macht durch die Kommunisten nicht ohne erhebliche Menschenopfer abgegangen sein." Eintrag in seinen „Fragebogen fur Insassen der Konzentrationslager" der Amerikanischen Militärregierung (unleserl. Datum), auf dem seine Entlassung aus dem KZ verfugt wurde. Eine Kopie aus dem Archiv des Internationalen Suchdienstes in Arolsen in BWA 52 11-529. Offenbar sind sie während dieser Zeit ihre Lebenspartnerschaft eingegangen, denn Anna Wiehle zieht in der Folge zu ihrer häufig kranken künftigen Schwiegermutter nach Solingen, die sie vorher nicht gekannt haben dürfte. In Härtung/Riedel, a.a.O., S. 23. Gestapo-Leitstelle Köln an Busse (Klingelpütz) v. 10.12.1936 (BWA). Allerdings wird er von anderen erinnert, und zwar als einer, der auf gewitzte Art mutig ist und seine Handlungsfähigkeit als Anfuhrer fur jüngere Genossen behalten hat (vgl. Dok. IV.5).
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111 Kaderköpfe aus dem KZ
Nach der Auflösung des KZ Lichtenburg kam Busse am 7.8.1937 mit den ersten Transporten nach Buchenwald. Er gehört also zur Gründergeneration der Häftlinge, die im Lager alles miterlebt haben - 1945 wird er in der Parteileitung und in der Schicht der führenden Kapos der letzte dieser ersten sein. Er erhielt die Häftlingsnummer 1239, oben auf seiner HäftlingsPersonal-Karte, die ihn als klein und kräftig, blond und blauäugig ausweist und als besondere Merkmale Zahnlücken und Narben am Hals und Rücken verzeichnet, steht der Vermerk „Prominent!" 13 Über Busses Zeit im Lager sind außer dieser Einlieferungskarte bisher keine Primärquellen aufgefunden worden. Alle Kenntnisse darüber stammen aus Erinnerungen 14 . Von Busse selbst erfahren wir auch nach der Haft so gut wie nichts über sein Leben im KZ; von ihm erfahren wir etwas über die Partei als kollektives Überlebensmedium und über die neuralgischen Orte des Lagers, deren unausweichliche Härte wohl auch er sehenden Auges auf sich genommen hat. 15 Aber im Rückblick stellt sich dieses Auge blind. Wo das Gedächtnis zur erinnernden Rekonstruktion gezwungen wird, beginnt das Problem bereits bei den Begriffen. „Im Konzentrationslager Buchenwald war ich von 1937-45. Ich gehörte von Anfang an zum Parteiaktiv und habe während dieser Zeit zusammengearbeitet mit Theo Neubauer, Walter Stöcker, Albert Kuntz, Ernst Brandt, Walter Bartel, Harry Kuhn usw. Zuletzt bildete ich mit Walter Bartel und Harry Kuhn die deutsche Spitze des internationalen Lagerkomitees. Auf Veranlassung des politischen Aktivs wurde ich nacheinander zu folgenden Lagerfunktionen in Vorschlag gebracht und herangezogen: Blockältester in den verschiedenen Blocks. Dann zweiter und erster Lagerältester, Strafablösung, die letzten Jahre Kapo im Krankenbau. Im Krankenbau konzentrierte sich die illegale Leitungstätigkeit. Hier stand auch einer der illegalen Radioapparate, auf dem wir die internationalen Nachrichten hereinholten. Die letzten 10 Tage im Lager mußte ich auf Grund des Beschlusses des internationalen Lagerkomitees mit noch 45 anderen politischen Häftlingen, die zur Liquidation bestimmt waren, in Verstecken verbringen. Der 11. April 1945 war der Tag unserer Befreiung." 16 13 14
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In BWA 52 11-529. In seiner „Biographie", a.a.O., S. 5 (von 1949), nimmt Buchenwald nur eine halbe Seite ein; dort listet er mit unsicheren groben Datierungen nur Funktionen und Genossen aus der Parteileitung auf. In seinem Rundschreiben v. 25.2.1947 (vgl. Dok. III.5) ist im Gegensatz dazu ein fest expressionistisch zu nennender Gefühlsausdruck in der erinnernden Sprache, aber dieser wird nicht mit Tatsachenangaben verküpft und ist auch Ausdruck einer Verteidigungshaltung. Das Letzte gilt auch für seine Auskünfte in der „Gegenüberstellung" v. 8.10.1946 (vgl. Dok. II.4), dort ist er aber an faktenmäßiger Detaillierung interessiert, und in der Begegnung mit den Mithäftlingen wird die harte und kurze Lagersprache benutzt. Das sind derzeit die einzigen verbürgten Erinnerungszeugnisse von ihm. Vgl. außerdem Exkurs „X" und für sein unmittelbares Umfeld im Häftlingskrankenbau Dok. 1.5.1. In der „Geschichte des Krankenbaus..." (ebenda) heißt es für die Zeit von Busses Vorgängern, den von der SS im Oktober 1941 im Außenkommando Goslar ermordeten Kapos des Krankebaus, Walter Krämer und Karl Peix, angesichts der Praktiken des „Abspritzens" und von Vivsektionen durch den SS-Arzt Eisele: „Diese schrecklichen Ereignisse veranlaßten die politischen deutschen Häftlinge der Krankenbaracke zu einer grundsätzlichen Stellungnahme. Die Ansicht aus dem Kommando auszuscheiden und das Feld wieder kriminellen Häftlingen zu überlassen, wurde als verantwortungsscheu und lagergefahrdend abgelehnt. Es wurde im Gegenteil verbindlich festgelegt, die bittere Zeugenschaft auf sich zu nehmen, um bei jeder Gelegenheit retten zu können, was zu retten ist. Diese Haltung ist bis zum Tage der Befreiung des Lagers Richtschnur geblieben." Biografie, a.a.O., S.5.
III. 1.1 Wer war Ε. Busse?
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Das ist sein Beitrag für das Gedächtnis der Partei, die Kaderakte. Er ist in ihrer Sprache geschrieben und läßt von der Wirklichkeit nur noch wenig durchscheinen. Die SS fehlt, so auch die Masse der Häftlinge, die seit 1939 weder Deutsche noch Kommunisten waren. Von Anfang an bestand aber auch unter den deutschen Kommunisten kein „Parteiaktiv", sondern es bildeten sich Gruppierungen von kommunistischen Häftlingen, die sich von „draußen" bereits kannten. Busse gehörte einerseits zu denen von Rhein und Ruhr, andererseits sozusagen zunächst als Junior zu den Prominenten, die sich teilweise schon im Zuchthaus und den vorherigen Lagern wieder zusammengefunden hatten. Busse bleibt anscheinend während der ganzen Haftzeit handlungsfähig in schwierigsten Gelenkstellen zwischen den SS-Führern und prominenteren Genossen, bis er nach deren Ausscheiden als der relativ prominenteste dieser Gruppierung selbst im Dreierkopf der Leitung übrigbleibt. Bis zuletzt in seinen Vernehmungen vor dem SMT beharrt er jedoch darauf, daß er alle diese problematischen Funktionen von außen eingesetzter Blockältester in einem Block der „Bibelforscher", Lagerältester zur Zeit der ersten Konsolidierung der „Roten" in der Selbstverwaltung während des HitlerStalin-Pakts, schließlich seit Winter 1941 Kapo des Krankenbaus (und selbst so etwas wie der Org-Leiter der Partei) - auf Parteibefehl hin übernommen habe und bezieht sich dabei auf den letzten der Prominenten in der Parteiführung, Albert Kuntz. Dieser habe ihn auf den absoluten Vorrang, diese Positionen zu halten, sich an ihnen „festzuklammern" verpflichtet, auch wenn er sich dafür vor der SS und gegen Häftlinge hervortun müsse. Offenbar war die langfristige Häftlingsmacht der Roten, die ja von der SS abhing, wichtiger als die Macht, die aus dem Ansehen unter den Häftlingen kommen konnte. Ähnlich argumentiert er auch in der „Gegenüberstellung" (vgl. Dok. II.4), als sein Ansehen unter den Häftlingen und auch unter den Genossen wegen seiner engen Verbindung zum Bordell verkam: Er definiert seine Beziehung als dienstlich und die einzelnen Etappen seines Verhaltens gegenüber den Frauen im Sonderbau als Parteiweisungen, obwohl er selbst der Älteste im Dreierkopf war. Walter Bartel hat das später verschiedentlich sogar bestätigt - Busse war der Macher, aber hörte auf Zureden der fuhrenden Genossen (vgl. IV.3.2). 1947 wird er sich an die Freunde aus dem Lager wenden, und wieder wird er die Partei als eine Ganzheitsmaschine beschören, als wäre er nur ihr „Glied" und nicht ihr „Kopf gewesen: „Wir haben dieses und noch viel mehr getan. Jeder spielte seine Rolle. Jeder hatte seine Aufgabe. Er wußte oft nicht, warum und weshalb er das tun mußte, was ihm befohlen. Er wußte nur, es gibt eine Organisation, es gibt einen Kopf, es gibt einen Plan, und von alledem bin ich ein Glied, was ich tue, dient unserer Kampfgemeinschaft." (Dok. III.5) Die kollektive Überlebensstrategie dieser Kampfgemeinschaft, zu deren Kopf Busse gehört hatte, war aufs Ganze gesehen erfolgreich: für die deutschen Kommunisten im Lager, für die mit ihnen verbündeten politischen Gruppen auch unter den nicht-deutschen Häftlingen und durch deren Ordnungsfunktion auch fur die allgemeinen Verhältnisse im Lager, jedenfalls im Vergleich zur Willkür und Inkompetenz der unmittelbaren Gewaltherrschaft der SS. Wie jede Strategie hatte sie aber auch Kosten, die nicht genannt werden: Kompromittierung der Führungskader und Opfer bei jenen Häftlingen, die nicht zu dieser Kampfgemeinschaft
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III Kaderköpfe aus dem KZ
zählten. Die Nähe zur SS ließ nicht nur manchem Außenstehenden auch rote Kapos als deren reine Ausfuhrungswerkzeuge erscheinen; sie brachte auch tatsächliche Privilegien gegenüber den anderen Häftlingen ein und nicht nur solche, die man zur Korrumpierung der SS oder zur Aufrechterhaltung der Ordnungsfunktionen brauchte 17 . Die Erfahrung der im Rückblick geringen, damals aber ganz außerordentlichen Privilegien zusammen mit der Entscheidungsmacht über Leben und Tod anderer Häftlinge, die mit diesen Positionen und besonders der des Kapos im Krankenbau verbunden war, brachte eine Machterfahrung in Busses Leben, der gegenüber seine späteren Positionen als Landesminister oder eine Art Staatssekretär auf Zonenebene nur ein Abstieg in kollektive Disziplinen sein konnte: die Teilhabe an absoluter Macht als Gegenmacht. Zurück aus einer Welt der mündlichen Überlieferungen ließe sich vielleicht Ernst Busses Rolle in der Geschichte Thüringens und der SBZ aus den Archiven rekonstruieren. Eine solche Biografie liegt aber noch nicht vor, und sie kann nicht Aufgabe dieser Veröffentlichung sein. Von seinem persönlichen Leben wissen wir nur, daß er im Sommer 1945 Anna Wiehle heiratete 18 und auch seine Mutter aus Solingen nach Weimar holte. Sie war seit dem Tod zweier ihrer Kinder (1924 und 1936) allein: ein Sohn war Arbeiter im fernen Amerika, eine Tochter seit 1941 im GULag verschollen und Ernst hatte das KZ überlebt. Wir kehren also zu den Stichworten seiner politischen Karriere zurück. Wie nicht wenige seiner Kameraden konnte er sagen: „Direkt von Buchenwald kommend wurde ich in die Polizei nach Erfurt beordert." 19 Nach Erfurt oder in irgendeine Stadt, denn die Besatzungsmächte suchten nach einem drastischen Wandel beim Aufbau einer deutschen Polizei und vertrauten diese heikelste Aufgabe am ehesten solchen Deutschen an, die erwiesenermaßen in Opposition zu den Nazis gestanden und unter ihnen gelitten hatten. Daß eine solche Opposition und ein solches Schicksal mit der Härte der Verfolgung von Nazis nicht auch schon notwendig ein Denken und Verhalten in rechtlichen Kategorien mit sich brachte, mußten sie erst noch lernen, soweit sie selbst rechtsstaatlichen Grundsätzen anhingen. Die Kommunisten in- und außerhalb der Lager taten dies meistens nicht; sie hatten in der Regel ein rein instrumentelles Verhältnis zum Recht. Sie glaubten im allgemeinen zu wissen, wer im Recht war und scherten sich wenig um die Verfahren, Kautelen und Prinzipien der Rechtsermittlung. Busse hat in Erfurt als Stellv. Leiter die Kriminalpolizei reorganisiert, und im Vordergrund stand damals die „Suchaktion gegen fuhrende ehemalige NSDAP-Mitglieder". Offenbar machte Busse diese Sache zur amerikanischen Zufriedenheit, denn schon nach wenigen Wochen wurde er nach Weimar geholt, um dort die Personalsäuberung der zentralen Landesverwaltung von Nazi-Elementen zu planen. Das ist Stückwerk geblieben, denn die Militär17 18 19
Siehe auch Dok. II.3., Exkurs „X". „Für meinen Mann übernahm ich die Arbeit einer Sekretärin. Ich erlebte mit meinem Mann 5 erfullungsreiche Jahre, in denen ich ihm Mut und Zuversicht für sein Leben geben konnte "; in Härtung/Riedel, a.a.O., S. 24 Über seine Tätigkeit in Thüringen 1945/46 hat Busse eine knappe Skizze gegeben in: Kämpfer gestern und heute, Weimar 1947, S. 8 f. Schon am 14.5.1945 wurde Busse stellvertretender Leiter der politischen Polizei im Erfurt, genau zwei Wochen später Regierungsrat beim Staatsministerium in Weimar, wieder zwei Wochen später Regierungsdirektor und Leiter des Landesarbeitsamts und vier Wochen später - mittlerweile hatte der Besatzungswechsel stattgefunden - am 16.7.1945 1. Vize-Präsident der Landesverwaltung.
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regierung genehmigte nur schleppend seine Vorschläge. Wieder einige Wochen später, als die Amerikaner Hermann Brill mit der Bildung einer neuen Landesverwaltung beauftragen, wird Busse am 9.6.1945 Leiter des Landesamts fiir Arbeit im Range eines Regierungsdirektors. 20 Zum ersten Mal in seinem Leben begleitet er ein staatliches Amt. Wenige Wochen später ist er Minister. Unter der amerikanischen Besatzung wurde Ernst Busse in der von Hermann Brill, als ehemaliger Linkssozialist und politischer Häftling in Buchenwald Anhänger einer unmittelbaren Vereinigung der Arbeiterparteien, geleiteten Thüringischen Landesverwaltung Leiter der Abteilung Arbeit und verzögerte im Einklang mit seiner Partei die Vorbereitung einer Einheitspartei. Nachdem die SMAD Thüringen übernommen und Brill ausgebootet hatte, wurde er im Kabinett des dann zur SED überwechselnden ehemaligen Liberalen Rudolf Paul erster Vizepräsident und Innenminister und baute - zusammen mit Genossen aus der Buchenwalder Selbstverwaltung, namentlich Erich Reschke als Landespolizeichef - die Polizei des Landes auf. Daneben setzte er sich fur die Bodenreform ein, die auch dem regionalen sowjetischen Militärgouverneur besonders am Herzen gelegen zu sein scheint.21 In der Leitung der Partei wurde er jedoch schon bald von einem Moskauer Emigranten, Georg Schneider, der mit der Gruppe Ackermann im April 1945 ursprünglich nach Dresden gekommen war, verdrängt. Nach der Entlastung in dem von Ulbricht eingeleiteten Parteiverfahren von 1946 wurde er im Frühjahr 1947 von Berlin aus gleichwohl aus seinem Thüringer Bollwerk verdrängt (vgl. Dok. IV. 1 ff.) und als 4. Vizepräsident in die Hauptverwaltung Land- und Forstwirtschaft der SBZ „nach Berlin versetzt", wo er nicht gebraucht und von den eigenen Führungsgenossen in der Leitung der Behörde wegen seines anmaßenden Gehabes kaltgestellt wurde (vgl. Dok. IV.3.1). Man schob ihm Aufgaben zu, von denen e r - w i e dem Aufbau der Planungsabteilung - keine Ahnung hatte oder die schlechthin unlösbar oder extrem unpopulär waren. So oblag ihm, die Neubauern mit Baumaterial für ihre Ansiedelung zu versorgen, und da es das nicht gab, sie auf den Abbruch der Schlößer und Gutshäuser zu verweisen (vgl. Dok. IV.4.1). 22 Seine Hilferufe an Dahlem, der noch eine Weile seine Hand über ihm gehalten zu haben scheint, führten letztlich doch nicht dazu, daß er wieder in die Gewerkschaftsbewegung, wo er sich auszukeimen meinte, an eine fuhrende Position zurückkehren durfte. Sondern, da er schon irgendwo an der Spitze stehen wollte, stellte man ihn an eine gerade vakante Spitze im nirgendwo (vgl. Dok. IV.4.3). Er wurde Präsident der ehemaligen Raiffeisengenossenschaften, dem nach der Bodenreform letzten Bollwerk der selbständigen Land-
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Zum Zusammenhang vgl. Overesch, Brill, a.a.O, S. 318 fF. Jedenfalls erwähnt der ihn in seinen Erinnerungen in diesen Zusammenhängen mehrfach mit warmen Worten. Vgl. Iwan Sosonowitsch Kolesnitschenko: Im gemeinsamen Kampf fiir das neue antifaschistisch-demokratische Deutschland entwickelte und festigte sich unsere unverbrüchliche Freundschaft, hg. von der SED BL Erfurt, Erfurt 1985, S. 36 ff. Er wohnte jetzt in Pankow im „Städtchen", einem für die SED-Prominenz beschlagnahmten Wohnviertel beim Schloß Niederschönhausen. Formelle Parteifunktionen hatte er jetzt nur noch auf unterster Ebene (Mitglied der Betriebsgruppenleitung). Aber sein Parteiauftrag für eine leitende Funktion in der Landwirtschaftsreform - seit 1948 war er Mitglied des agrarpolitischen Ausschusses beim Zentralsekretariat der SED - blieb bestehen und wurde nur in eine andere organisatorische Form gegossen.
104
III Kaderköpfe aus dem KZ
wirte, offenbar um diese auszuschalten. Was er auf diesem extrem undankbaren Posten im letzten Jahr seiner Freiheit gemacht hat, wissen wir nicht. Schon während seiner vezweifelten Zeit in „Land und Forst", wie die agrarische Zonenverwaltung in Funktionskreisen genannt wurde, hatte ihn seine Buchenwalder Vergangenheit auf eine weit drakonischere Weise als in der Parteiuntersuchung von 1946 einzuholen begonnen. Die rechte Hand des Präsidenten der Behörde, der ihn bei einer Umorganisation auf die Abteilungsleiterebene abserviert hatte, Ulrich Osche, war ein Buchenwalder Genösse, der einzige dort, der auch im Moskauer Exil gewesen war. Er denunzierte Busse bei einem anderen „Moskauer", Hermann Matern, der im Zuge der Stabilisierung der SED gerade zu deren Großinquisitor aufstieg (vgl. Dok. IV.3.1), und Erich Mielke, ein weiterer Moskauer Exponent für Sicherheitsfragen, jetzt Vizepräsident der Innenverwaltung, hatte ihm schon davor nachgespürt (vgl. Dok. IV. 1). Was hier im einzelnen gespielt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls brachte man seine Angelegenheit auf die sowjetische Schiene, nachdem sich die Exponenten des inneren Widerstands in der SED-Führung als stark genug erwiesen hatten, die Parteiuntersuchung gegen ihn im Sande verlaufen zu lassen. 1948 wurde er das erste Mal vom sowjetischen Nachrichtendienst über Liquidierungen von Russen im Krankenbau vernommen. Das hatte aber zwei Jahre lang keine Folgen, und er muß sich in Sicherheit gefühlt haben, denn in seinem letzten erhaltenen Schreiben an Walter Bartel tut er noch den Argwohn des Westens gegen die Rechtsunsicherheit im Osten ab (vgl. Dok. IV.3.2). Im März 1950 wurde er zu einer Besprechung nach Karlshorst gerufen, von der er nicht mehr zurückkommen sollte. Ernst Busse wurde aufgrund von Anschuldigungen ehemaliger Buchenwalder Häftlingen von sowjetischen Organen verhaftet und als „Kriegsverbrecher" zu lebenslänglicher Haft im Straflager verurteilt. (Was man über diesen Prozeß derzeit an noch Ungesichertem erfahren kann, wurde bereits im Exkurs „X" berichtet) Er muß aus der Partei damals gestrichen worden sein, seine Frau erhielt Beschäftigungsverbot in Staat und Partei und überwinterte als Sekretärin in einer Gewerkschaftsverwaltung. Ernst Busse wurde im Frühjahr 1951 nach Rußland in den GULag deportiert. Er ist am 31.8.1952 im Schacht I von Workuta am Eismeer verstorben. Seine Witwe hat trotz ständiger Nachfragen bei den Spitzen der Partei (vgl. Dok. IV.6 und 8) erst nach dem XX. Parteitag der KPdSU diese Nachricht erhalten, fast gleichzeitig mit der mündlichen und vertraulichen Mitteilung seiner Rehabilitierung (vgl. Dok. IV.3.4).
III.1.2 Strippenzieher im Keller: Harry Kuhn
Über Harry Kuhn wissen wir, abgesehen von den rohen biografischen Daten, wenig, obwohl das Zentrale Parteiarchiv der SED eine Erinnerungsakte und einen Nachlaß Harry
III. 1.2 Strippenzieher Η. Kuhn
105
Kuhns und Maria Kuhn-Wiedmaiers aufbewahrt. 23 Er wuchs als siebtes Kind einer Schneiderfamilie in Leipzig auf. Mit 15 Jahren begann er ebenfalls eine Lehre als Maßschneider, er organisierte sich gewerkschaftlich und trat der Sozialistischen Arbeiterjugend bei. Früh wurde Kuhn Jugendfunktionär. Als Delegierter nahm er am Ende des Ersten Weltkrieges am Gründungskongreß der Freien Sozialistischen Jugend und ein Jahr später am Kommunistischen Jugendkongreß in Weimar teil. Als Bezirksleiter organisierte er die Sozialistische und seit 1922 die Kommunistische Jugend im Bezirk Leipzig und war Mitglied des ZK des KJVD. Danach folgte eine Erprobungsphase in kommunistischer Mobilität und Weltmächtigkeit „auf dem Papier": Kuhn arbeitete zwischen 1927 und 1932 bei diversen Parteizeitungen im Reichsgebiet als Redakteur, unter anderem bei der Hamburger Volkszeitung, in der Zentrale für Zeitungsverlage, im Rhein-Main-Verlag und zuletzt als Buchhändler in Frankfurt am Main. 1933 wurde Kuhn in Frankfurt von der Gestapo verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus wegen Hochverrats verurteilt. Nach seiner Haftentlassung lebte Kuhn bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges als Schneider in Leipzig. Im September 1939 wurde die gesamte Familie verhaftet. Seine spätere Frau, Maria Kuhn-Wiedmaier, die beiden heirateten erst 1952, wurde Anfang 1940 in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Harry Kuhn, sein Vater und sein Bruder kamen nach Buchenwald. Über die Tatsache der gemeinsamen KZ-Haft mit Bruder und Vater hinaus, schweigt sich der Erinnerungsbericht aus, in einer Biografie, die an entlegenem Ort über Harry Kuhn 1983 herausgebracht wurde, findet wenigstens der Name seines Bruders, Kurt Kuhn, Erwähnung.24 Der jüngere Bruder, Jahrgang 1905, wurde am 11.1.1940 aus dem KZ entlassen, der alte Vater, Hermann Kuhn, Jahrgang 1863, starb im KZ Buchenwald ganz kurz nach der Einlieferung am 29.10.1939. 25 In einem Erinnerungsbericht aus dem Jahr 1962 beschrieb Kuhn die antifaschistische Arbeit im KZ als Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln, und er legte sich die massenhafte Internierung von Kommunisten nach 1939 als „Verstärkung der Kader" im KZ zurecht-eine Hypertrophie des kommunistischen Widerstands, vielleicht aber auch eine Kompensation fur den Tod des Vaters in Buchenwald: „Bei Ausbruch des Krieges wurden genauso wie in Leipzig in allen Bezirken Deutschlands tausende von Kommunisten und Antifaschisten anderer politischer Richtungen verhaftet und davon insgesamt 600 ins KZ Buchenwald verschleppt. Sie waren nicht nur eine Verstärkung der dort bereits vorhandenen Kader, sondern brachten auch durch ihre vielfachen Verbindungen und politischen Informationen wertvolle Unterlagen zur Festigung und Intensivierung des antifaschistischen Widerstandskampfes im Lager mit [. . .] ." 26
23 24
25
26
SAPMO-BA, ZPA EA 1774 und NL 202. Die Biografie erschien, immerhin erst 1983, unter folgendem kernigen Titel: Harry Kuhn. Kommunist. Internationalist. Soldat der Revolution. Eine Biografie. Hg. von der Unteroffiziersschule „Harry Kuhn" der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung, Bad Düben 1983. Anlaß der Publikation war der 10. Todestag Kuhns. Daß es sich bei Hennann Kuhn um den Vater handelte, machen die nahe beieinander liegenden Haftnummern der drei Kuhns und der Herkunftsort Leipzig wahrscheinlich. Die Häftlingsnummem - 5465, 5467, 5572 - , Geburtsdaten und Todesdatum aus: BWA, Häftlingskartei, Über die Todesursache ist nichts bekannt. SAPMO-BA, ZPA EA 1774, Bl. 13f.
106
III Kaderköpfe aus dem KZ
In der Ansicht, Massenverhaftungen seien eine Verstärkung der kommunistischen Kader gewesen, variierte Kuhn eine Position der ZPKK, die diese im Jahr 1953 in einer Befragung Walter Bartels als Vorwurf formulierte, daß sich im Lager mehr kommunistische Kader befunden hätten als „draußen" und daß man deshalb anders hätte kämpfen müssen und sich nicht mit der SS-Lagerleitung hätte arrangieren dürfen (Dok. V.3.2). Harry Kuhn, der in der „Häftlingsselbstverwaltung" des Lagers keine Funktionen übernahm, arbeitete zunächst als Schneider in der SS-Schneiderei und wurde noch im Jahr 1939 innerhalb der sächsischen Gruppe der Parteiorganisation aktiv. Etwa im Jahr 1943 wurde Kuhn von Walter Wolf, der unter dem Kapo Alfred Kästner in der Gerätekammer tätig war, im Parteiauftrag von Albert Kuntz, dort so „eingebaut", daß er sich im Lager frei bewegen konnte und für die illegale Partei besser einsetzbar war. Als Begründung für seine Mobilität im Lager hatte Kuhn offiziell die Inventarverzeichnisse in den Unterkünften und Baracken zu überprüfen. 27 Obwohl Kuhn bis zur Befreiung des Lagers im KZ Buchenwald interniert war, wurde ihm, dem Anfuhrer der sächsischen Gruppe des Parteiaktivs, im Januar 1941 ein Wehrpaß ausgestellt und er im Juli desselben Jahres und im April 1944 nochmals als Dienstpflichtiger gemustert.28 Als seit dem Sommer 1942 die Partei die illegale internationale Militärorganisation im Lager aufbaute, wurde der Schneider Harry Kuhn angeblich ihr Militärbeauftragter und hielt die Verbindung zu den beiden Leitern der Organisation, Heinrich Studer und Otto Roth. Angeblich habe die militärisch-technische Leitung unter seiner Ägide „alle Pläne fur den militärischen Widerstand und Aufstand zur Befreiung des Lagers vorbereitet". Tatsächlich war Kuhn vermutlich der Spezialist fur Nachrichten und Informationen und für die „Abwehr". In einer seiner Vernehmungen vor dem SMT berichtete Ernst Busse im November 1950, daß bei Kuhn alle Informationen der Außen- und Innenwelt des Lagers zusammenliefen. Mit einen geheimen Radioapparat habe Kuhn Nachrichten zur deutschen und internationalen Politik abgehört, er habe Informationen aus Zeitungen gesammelt, die ins Lager kamen, und Berichte, Gerüchte und Denunziationen von Häftlingen und SS-Männem im Lager zusammengetragen (Exkurs „X"). Kuhn dirigierte demnach als Parteisoldat der Revolution und Tschekist 29 den Bereich des Nachrichten-, Informations- und Abwehrdienstes als „Schild und Schwert" 30 der illegalen Partei im Lager.31 Außerdem übernahm Kuhn Aufgaben der Koordination zwischen der illegalen Parteileitung, der er seit 1943 als Nachfolger Ernst Brandts und als Kandidat der sächsischen Gruppe und Gegenspieler Walter Jurichs angehörte, und dem sogenannten romanischen Sektor, das heißt den nationalen Komitees der belgischen, luxemburgischen, spanischen, italienischen und französischen Kommunisten. Die Tatsache, daß das Grundsatzreferat auf dem ersten Buchenwalder Parteiaktiv nach der Be27 28 29 30 31
Walter Wolf beschrieb dies als seinen ersten Parteiauftrag, den er von Albert Kuntz erhalten hatte, in: SAPMOBA, ZPA EA 1624. SAPMO-BA, ZPA NL 202/22. Tscheka ist eine Bezeichnung fiir den sowjetischen Geheimdienst. „Schild und Schwert" der Partei ist eine frühe Selbstbezeichnung des Ministeriums für Staatsicherheit gewesen. Kuhn bestätigte diese Information in einer Diskussion mit Leipziger Genossen (undatiert), deren protokollarischer Auszug sich in seinem Nachlaß befindet, in: SAPMO-BA, ZPA NL 202/Kasten 3.
111. 1.2 Strippenzieher Η. Kuhn
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freiung, am 12.4.1945, nicht von Walter Bartel, der die Sitzung eröffnete, und nicht von Ernst Busse, der sich in diesen ersten Tagen offenbar gar nicht im Lager befand, gehalten wurde, sondern von Harry Kuhn, weist auf dessen Bedeutung innerhalb der Buchenwalder illegalen Parteiorganisation hin (vgl. Dok. 1.2). Unmittelbar nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner kehrte Kuhn auf Weisung Anton Ackermanns, indirekt mitgeteilt über Walter Bartel und Stefan Heymann, in das zivile Leben nach Leipzig zurück und wurde dort für kurze Zeit politischer Leiter und Bezirkssekretär der KPD. Seine Identität konnte Kuhn in der Nachkriegszeit, als Leipzig sich schon unter sowjetischer Besatzung befand, dank eines zweisprachigen deutsch-russischen Ausweises nachweisen, der ohne Paßfoto durch die Kraft der Worte und der (unleserlichen) Unterschrift seine Wirkung entfalteten sollte: Personalausweis. Wir bestätigen, daß der Inhaber dieses Ausweises Genösse Harry Kuhn, Leipzig S3, Scheffelstr. 27, Mitglied der KPD, Leipzig ist. Er ist gleichzeitig Mitglied der Bezirksleitung der KPD und arbeitet aktiv in der antifaschistischen Front." Der „Personalausweis" als Dokument des „Aufbaus der antifaschistischen Ordnung" bestätigte also nicht mehr als die Parteimitgliedschaft und den Funktionärsstatus. 32 Danach erlebte Harry Kuhn einen kurzen Aufstieg in die Höhen der Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge in Berlin. Dort wurde er noch 1945 Mitglied ihres Präsidiums und Abteilungsleiter für politische Massenarbeit, eine Abteilung Agitation und Propaganda in der Behörde. Er blieb es bis 1948 und wurde dann bis in den Juni 1949 zum zehnmonatigen Schulungskurs an die Parteihochschule Karl Marx geschickt. Dann füngierte Kuhn als Generalsekretär der VVN. 1951 wurde er jedoch wegen „mangelnder ideologischer Wachsamkeit" auf alle Zeit von leitenden Funktionen ausgeschlossen und in die Redaktion der Zentralverwaltung der Sozialversicherung abgeschoben. Der Anlaß für die Degradierung und auch die ursprünglichen Pläne, die die Partei mit Harry Kuhn hatte, sind nicht mehr zu rekonstruieren. Sicher ist aber, daß man größeres mit ihm vorhatte, denn der Beschluß des Sekretariats vermerkte auch, daß ein anderer Sekretariatsbeschluß über den Einsatz des Genossen Harry Kuhn durch den Genossen Stoph aufgehoben wurde und daß man hiermit die Kaderabteilung beauftrage, den weiteren Einsatz des Genossen Kuhn festzulegen (Dok. V. 1.3). 1953 wurde Kuhn in den Zentralvorstand der gerade gegründeten Gewerkschaft Wissenschaft für nationale und internationale Arbeit versetzt und bekleidete dort die Funktion des Sekretärs. Seit 1962 war Kuhn als Cheflektor für die „Außenpolitische Korrespondenz", die offizielle politikgeschichtliche Zeitschrift des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, tätig. Was von der Erfahrung der KZ-Haft und illegalen Partei- und nachrichtendienstlichen Arbeit in Buchenwald blieb, war die Kronzeugenschaft gegen den Nationalsozialismus in den DDR-offiziellen feierlichen Ritualen der Verpflichtung und Mahnung. Harry Kuhn nahm in seiner Funktion als Vorsitzender der Nationalen Front in Glienicke als Referent an politischen Versammlungen der SED und an Zusammenkünften der NVA teil. Und er wurde als Antifaschist von den sowjetischen „Freunden" und als Zeitzeuge von Berliner 32
SAPMO-BA, ZPA NL 202, Kasten 3. Mappe „Aufbau der antifaschistischen Ordnung".
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III Kaderköpfe aus dem KZ
Oberschulen eingeladen. Auch ein militärisches Objekt der DDR wurde nach ihm benannt, die Unteroffiziersschule „Harry Kuhn" der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung in Bad Düben. Erst in den späten 70er Jahren wurde Material fur die genannte Biografie Harry Kuhns zusammengetragen, die von Militärs der NVA verfaßt worden war. Darunter befindet sich auch die Abschrift eines Gesprächs zwischen Walter Bartel und dem Oberstleutnant der Volkspolizei, Dr. Pachaly, vom Dezember 1978, in dem Bartel die Legende vom Aufbau der militärischen Organisation im Lager wiederholt. 33 Zu den Merkwürdigkeiten dieser Biografie gehört ihre „Verschwiegenheit" über das Private und über das (brisante) Politische und vielleicht der Umstand, daß Harry Kuhns Funktionen und besondere Fähigkeiten im Lager sich nicht aus der politischen und beruflichen Biografie vor der KZ-Haft in Buchenwald erschließen lassen und daß sie auch nicht auf seine Lebensgeschichte nach 1945 zu verweisen scheinen. Die Zeit des Lagers als Abspaltung oder Bruch in der individuellen Biografie wird in den zahlreichen „Leerstellen" innerhalb dieser Lebensgeschichte besonders greifbar.
III. 1.3 Gezeiten der Gewalt: Erich Reschke
Erich Reschke gehörte zu der Generation von Kommunisten, die nach Abschluß der Elementarschule unter Kriegsbedingungen eine handwerkliche Lehre bis zur Gesellenprüfung absolvierten, sich gewerkschaftlich organisierten, aber als jugendliche ungeduldige Basis in Gegensatz zur älteren (Fach-)Arbeiteraristokratie gerieten und die noch in der Revolution oder in den turbulenten frühen Zwanziger Jahren der Weimarer Republik ihren Weg zur KPD fanden. 34 1902 in Dortmund geboren, begann er 1916 eine Lehre als Nieter im Schiffsbau in Hamburg. In diesem Beruf arbeitete er bis 1930, wurde dann erwerbslos. 11 Jahre lang war Reschke als Obmann des Deutschen Metallarbeiter Verbandes (DMV) tätig, bis er 1930 ausgeschlossen wurde, weil er Flugblätter fur die Rote Gewerkschaftsopposition (RGO) verteilt hatte. Der KPD trat er 1922 bei. Ganz ohne politische Schulung, aber mit um so mehr revolutionärem Elan, die Verhältnisse „hier und jetzt" zum Kippen zu bringen, nahm Reschke 1923 am Hamburger Aufstand teil und Schloß sich 1927 dem Rotfrontkämpferbund an, wurde bald sein Leiter fur die Abteilung Altona und gehörte schließlich zwei Jahre lang der Gauleitung Wasserkante an. Dort führte er unmittelbar nach dem „Altonaer Blutsonntag" 35
33 34 35
SAPMO-BA, ZPA, NL 202, Kasten 3. Titel der Biografie, siehe Anm. 2. Vgl. hierzu meine Ausführungen zum Arbeiterradikalismus im Ruhrgebiet. Karin Hartewig: Das unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet, 1914-1924, München 1993, S. 244ff. Der Altonaer Blutsonntag kann mit 18 Toten als Höhepunkt der mörderischen Straßenkämpfe vor allem zwischen der SA und KPD während des Wahlkampfes zur Reichstagswahl am 31.7.1932 bezeichnet werden. Daraufhin erfolgte von der Reichsregierung ein allgemeines Demontrationsverbot unter freiem Himmel.
IUI.3
Gezeiten der Gewalt: E. Reschke
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vom 17.7.1932 noch bis in den März des Jahres 1933 hinein die Gau-Kurier-Abteilung eine konspirative Zentrale für Informationen und Direktiven der acht RFB-Verbände „Wasserkante". In einem Schriftsatz des Generalstaatsanwalts an den Vorsitzenden des dritten Strafsenats beim Kammergericht Berlin vom 16.1.1935 wurde Reschke der Teilnahme an einer Straßenschlacht beschuldigt, die einen Tag nach dem „Wahlsieg" der NSDAP am 5.3.1933 in Altona vom RFB angezettelt worden sei. Er habe sich als politischer Claqueur und Kurier betätigt. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde er am 29.6.1934 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.36 Danach wurde Erich Reschke für zwei weitere Jahre in sogenannte Schutzhaft genommen und im KZ Lichtenburg und Esterwegen eingesperrt, bevor er 1938 nach Buchenwald überwiesen wurde. Im KZ Buchenwald, das in dieser Phase von den Häftlingen erst gebaut werden mußte, wurde Reschke zunächst Kapo in einem der Baukommandos. Seit Anfang 1940 war er in den wechselnden Positionen der obersten Führung der „Häftlingsselbstverwaltung" zweiter, dritter, erneut zweiter und schließlich erster Lagerältester (siehe Funktionsschema im Anhang). In dieser Funktion erfüllte Reschkeglaubt man den Aussagen Ernst Busses vor dem sowjetischen Militärtribunal - die in ihn gesetzten Erwartungen der SS als Mann fürs Grobe. Er habe Massenstrafen bei Verstößen gegen die Lagerordnung verhängt, Häftlinge mußten stundenlang unbeweglich stehen, und er habe zu dem Zeitpunkt, als er erster Lagerältester wurde, Mitte des Jahres 1943, ein System von Privilegien für Funktionshäftlinge eingeführt, das es vorher in dieser Absetzung von den Normal-Häftlingen nicht gegeben habe (Kap. II.3, Exkurs „X"). Auch ehemalige Häftlinge bestätigten ihm nach 1945 eine besondere Brutalität als Lagerältester und erinnerten vor allem die Gunstbeweise der SS für Reschke: er erhielt das „Privileg", das Bordell als erster zu besuchen und er bekam von der SS einen Hund zum Selbstschutz vor möglichen Angriffen durch die Häftlinge geschenkt, von dem er sich niemals trennte und den er gelegentlich auf Häftlinge hetzte (Dok. Π.8.). Im Herbst 1944 wurde Reschke auf Grund einer Denunziation verhaftet und zur Gestapo nach Weimar geschafft. Er verbrachte das letzte halbe Jahr bis zur Befreiung durch die Amerikaner im Gefängnis Ichtershausen. Nach Kriegsende wurde Reschke Polizeipräsident in Weimar und kurze Zeit danach in Thüringen. Schon ein Jahr später, am 30.7.1946, empfing er aus den Händen des stellvertretenden Chefs der Abteilung für innere Angelegenheiten der SMA in Deutschland, Oberst Lapenkow, die Ernennungsurkunde zum Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdl) durch Marschall Sokolowski.37 Die ersten Besprechungen zwischen Reschke, Seifert, Mielke, Wagner und den Vertretern der SMAD in Karlshorst, die zum Aufbau der Deutschen Verwaltung des Innern geführt wurden, konzentrierten sich nahezu ausschließlich auf den Aufbau der Polizei. In diesen Protokollen erscheinen die gestandenen Kommunisten und Antifaschisten Reschke und seine 36
37
Die W N sammelte die Gerichtsakten aus der Zeit des Nationalsozialismus, daher tragen sie eine Signatur des WN-Bestandes im Zentralen Parteiarchiv. Reschkes Akte wurde bislang nur ein einziges Mal, am 13.1.1958, von Wilhelm Eildermann, der Mitarbeiter des IML und stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift für Geschichte der Arbeiterbewegung war, eingesehen. BA-Potsdam, DO-1,7/15, Bl. la.
110
III Kaderköpfe aus dem KZ
Vizes als bloße Befehlsempfänger und ausfuhrende Hände der sowjetischen Vorgaben. So wurde die Anfrage von deutscher Seite, wann denn die Einrichtung der Deutschen Verwaltung des Innern in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werde, knapp beantwortet mit „gar nicht" und mit der Anweisung versehen, die nachgeordneten Dienststellen in den Ländern sollten nur über das informiert werden, was ihren unmittelbaren Aufgabenbereich betreffe. 38 Knapp zwei Jahre später wurde Reschke von dieser Position entfernt „infolge Abberufung zur Zentralen Kontrollkommission", wie er selbst dies im Amtsdeutsch formulierte. Sein Nachfolger wurde der bisherige Innenminister Sachsen, Kurt Fischer, ein Rückkehrer aus der Moskauer Emigration.39 Reschke verschwand in der Zentralen Kontrollkommission der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) - zunächst entweder mit sehr geheimen Aufgaben oder auf eine untergeordnete Stelle in den Gehaltslisten der leitenden Herren wurde er jedenfalls neben Fritz und Ernst Lange anfangs nicht gefuhrt. 40 Die ZKK, die aus neun Personen bestand, die vom Präsidenten der DWK und der DVdl ernannt wurden, wurde auf Initiative von Walter Ulbricht ins Leben gerufen und hatte die Aufgabe - als eine Art MegaPlanwirtschaftspolizei - , die ökonomischen Probleme der Nachkriegszeit und Übergangswirtschaft zu kontrollieren: Schieber- und Kompensationsgeschäfte, Wirtschaftssabotage, Planerfüllung, Prüfung der Frühjahrsbestellung, Kontrolle von Geschäftsbüchern in den Betrieben. Zum einen sollte die ZKK also die fur die Nachkriegszeit typischen Formen der kleinen und mittleren Wirtschaftskriminialität eindämmen helfen. Zum anderen jedoch war mit der Einrichtung der ZKK ein Vehikel geschaffen, mittels Kriminalisierung der Unternehmer und Gewerbetreibenden einen ersten Schritt in die Sozialisierung 1948/49 einzuleiten. Auch in diese Tätigkeit scheint Reschke ein Mann fürs Grobe gewesen zu sein. 41 1949 wechselte Reschke in die Hauptabteilung Haftanstalten innerhalb des Ressorts Strafvollzug beim Ministerium fur Justiz. 42 Aber schon Ende Januar 1950 war er als Leiter der Haftanstalt Bautzen vorgesehen. Zu dieser Zeit erfolgte die Übernahme sämtlicher Haftanstalten, die bis dahin von der SMAD gefuhrt wurden, durch die Organe der DDR. Und Reschke wurde beauftragt, am 24.1.1950 nach Bautzen zu fahren, um die Übernahme dort in die Wege zu leiten. Seine Karriere als Gefängnisdirektor sollte jedoch nur kurze Zeit dauern. Am 9.3.1950 wurde ihm als Volkspolizei-Kommandeur das Ehrenzeichen für besondere 38 39
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Vgl. Serie von Protokollen über Unterredungen der DVdl-Vertreter mit Oberstleutnant bzw. Major Smimow, Oberst Lapenkow, Oberst Malkow vom 19.11.1946 bis zum 9.3.1948, in: BAPotsdam DO-1,7/5, Bl. 2-103. BA-Potsdam, DO-1,7/15, Bl. 117. Die eigenhändige Bekanntmachung Reschkes „an die Herren Vizepräsidenten und Abteilungsleiter der DVdl" über das mit dem Datum des Schreibens vom 12.7.1948 vollzogene Revirement in der DVdl ist von Reschke und von seinem Vizepräsidenten Willi Seifert, dem früheren Kapo der Arbeitsstatistik in Buchenwald, unterschrieben. Das Protokoll der Sitzung des Zentralsekretariats der SED vom 28.6.1948 vermerkt, daß Erich Reschke zur „Ergänzung der ZKK" eingesetzt werde, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/2.1/211. Erst die Gehaltsliste vom 15.5.1949 wies als Mitglieder der Hauptverwaltung ZKK der DWK folgende Personen aus: Fritz und Ernst Lange, Erich Reschke, Gustav Röbelen, Anton Ruh, Hermann-Max Masius, Karl Groth, Paul Sonnenburg, Fritz Walter und Richard Hähnel. Siehe BA-Potsdam, DO-1,26/17099. Die Idee für die Einrichtung der ZKK ist zu finden im Protokoll der Besprechung der DVdl-Spitze (Erich Reschke, Kurt Wagner, Erich Mielke, Willi Seifert und „W.U." [Walter Ulbricht]) mit Generalmajor Malkow am 9.3.1948, in: BA-Potsdam DO-1,7/5, Bl. 102. Die folgenden Angaben sind der Personalakte Erich Reschkes beim Bdl, 1228, entnommen.
III. 13 Gezeiten der Gewalt: E. Reschke
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Verdienste in der polizeilichen Arbeit, gerade auch als Gefängnisdirektor „des Objektes Bautzen", verliehen. Am 29.3.1950 erhielt Reschke wegen mangelnder Dienstaufsicht zwei Strafgefangen gelang die Flucht aus Bautzen - einen strengen Verweis vom Chef der DVP, Kurt Fischer, und vom stellvertretenden Chef der Volkspolizei, Heinrich Hoffmann.43 Und am 8.6.1950 wurde Reschke aus den Diensten der DVP entlassen und von sowjetischen Organen verhaftet. In der Personalakte gibt ein winziger Notizzettel über die Suspendierung Auskunft: „VP-Inspektor [sie!] Reschke, Erich, Leiter der Haftanstalt Bautzen, scheidet mit Wirkung vom 8.6.50 auf Befehl des Chefs der Deutschen Volkspolizei aus dem Dienst der Volkspolizei aus. P-Befehl 673/50 fur die Deutsche Volkspolizei siehe unter Befehlsablage[.]" Vom Militärtribunal der Garnison des sowjetischen Sektors der Stadt Berlin wurde Reschke am 27.2.1951, zusammen mit Ernst Busse, als Kriegsverbrecher zu lebenslänglicher Haft im Straflager und zur Konfiszierung des Vermögens verurteilt. Seit dem 11.6.1951 befand sich Reschke, wie Ernst Busse, im Straflager Sonderlager Nr. 6 „Retchnoj" [Flußlager], Workuta, der Autonomen Komi Republik. Am 10.10.1955 wurde er repatriiert und der Regierung der DDR übergeben, ohne jedoch von den sowjetischen Behörden inhaltlich oder formal rehabilitiert worden zu sein (Dok. VI. 10). Er hatte seine Rückkehr mittelbar vermutlich dem diplomatischen Erfolg Konrad Adenauers zu verdanken, der durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der UdSSR auf seiner Moskaureise vom September 1955 die Rückführung deutscher Kriegsgefangener beschleunigte. In der DDR der 50er Jahre war Reschke nach seiner zweiten Lagererfahrung ein gebrochener Mann, obwohl er einen bescheidenen beruflichen Aufstieg erlebte. Er erhielt zunächst Arbeit als Kesselschmied bei Bergmann Borsig, wurde aber nach seiner Rehabilitierung durch die Zentrale Kaderkommission der SED und nach Fürsprache des Buchenwaldkomitees bei Hermann Matern in die Volkspolizei zurückgeholt (Dok. VI.3.5). Auch in die Gemeinschaft der VdN wurde er wieder aufgenommen (Dok. VI.3.1). Über das SMT-Urteil und seine Haft im Straflager bewahrte Reschke eisernes Schweigen. Der standardisisierte Satz in allen folgenden Lebensläufen lautete: „Von 1950 bis 1955 gibt Auskunft die Kaderregistratur beim ZK der SED."44 Auf welcher Grundlage die Kaderabteilung der SED seine Rehablitierung vorgenommen hat, bleibt das Geheimnis der Partei. Weder in der Kaderregistratur, noch in der Kaderakte findet sich ein entsprechender Hinweis. Der Fragebogen der Kaderakte gibt im Gegenteil, in der Rubrik „Wohnadressen" einen kontinuierlichen Aufenthalt in Hohenneuendorf bei Berlin vor. Und der Aufstellung über berufliche Tätigkeiten Reschkes ist zu entnehmen, daß er von 1948 bis 1962 im Strafvollzug der DVP tätig war.45 Auf Vorschlag der Verwaltung Strafvollzug sollte Reschke als Oberrat im Bereich „Information" innerhalb ihrer Verwaltung wieder eingestellt werden, was am 1.12.1956 geschah. Seine Dienstzeit seit 1946 wurde ihm angerechnet, und er bekam auch seine Aus43 44 45
Die Verwaltung Strafvollzug (Verwaltung SV) unterstand der HVDVP von 1949 bis 1956, sie wurde danach dem Mdl mit eigener Zuständigkeit unterstellt. Z.B. in seinem Lebenslauf fur den Antrag auf erneute VdN-Anerkennung, im Mai 1956, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 401, VdN Nr. 4752. SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 2784. Vermutlich ist der Fall einer „frisierten" Kaderakte eher selten.
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Zeichnung wieder zuerkannt. Dazu erhielt er eine finanzielle Starthilfe, weil er - wie sich die Kaderabteilung der Verwaltung SV feinsinnig ausdrückte - „durch besondere Umstände in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten" war. Im Februar 1957 wurde Reschke vom Hauptsachbearbeiter befördert zum Referatsleiter fur Wachdienst und Transport in der Abteilung des Strafvollzugs. In den Beurteilungen durch Vorgesetzte bescheinigte man ihm ein ausgeprägtes Klassenbewußtsein, aber durchweg große Zurückhaltung in der gesellschaftlichen Betätigung, und man zog im Dezember 1958 das Resümee, der Genossen Major Reschke sei „ohne Zweifel ein sehr arbeitsamer und williger Offizier, dessen Entwicklung jedoch abgeschlossen ist". 46 Auf seine alten Tage besuchte Reschke - loyal zur Partei und eifrig und beflissen, ihre Anforderungen an ihn zu erfüllen - sogar noch einen Kurs in MarxismusLeninismus. Auch hier wurde seine Zurückhaltung und seine ideologische Zurückgebliebenheit bemerkt und auf die besagten „besonderen Umstände" zurückgeführt. Bis 1961 wurde Erich Reschke jedoch vom MfS als zurückgekehrter „Kriegsverbrecher" unter Beobachtung gehalten. Im Juni 1961, also ein knappes Jahr vor Reschkes Berentung, war man zu der Auffassung gelangt, „die weitere Beobachtung der Person sei nicht mehr erforderlich, da sie sich positiv entwickelt habe". Andererseits konnte aber der Vermerk, bei Reschke handele es sich um einen aus der Sowjetunion zurückgekehrten Kriegsverbrecher, nicht aus der Akte getilgt werden. So wurde im Juli 1978 ein dementierender Vermerk dazu geschrieben. 47 Im April 1962 ging Erich Reschke in Rente. Dem Veteranen wurden in den 60er und 70er Jahren an den Geburtstagen, seinen eigenen und denen der DVP, Orden und kleine Gunstbeweise in Form von zeitgemäßer HiFi-Technik zuteil. In den 70er Jahren versäumte es das Ministerium für Staatsicherheit nicht, den alten Mann auf der Linie der politischen Überzeugung dazu zu bewegen, sein Einfamilienhaus als Konspirative Wohnung zur Verfügung zu stellen und als Inoffizieller Mitarbeiter-Kandidat Stimungsberichte aus seinem Wohngebiet abzuliefern. Die betreuenden MfS-Mitarbeiter mußten aber bald einsehen, daß sie an der inneren Front der Veteranen keine erheblichen Informationen gewinnen konnten und gaben ihre „Quelle" bald auf.4« Erich Reschke starb 1980. Seine Frau, die 1952 aus Protest gegen seine Verhaftung und sein Verschwinden aus der SED ausgetreten war, zeigte auch bei ihrer Antragstellung als VdN-Hinterbliebene einen Funken von Rebellion. Der VdN-Sekretär notierte für die Akte: „Bemerkt muß noch werden, daß Frau Reschke es ablehnt, einen persönlichen Lebenslauf zu schreiben, mit dem Bemerken, Erich Reschkes Lebenslauf wäre auch ihrer!" Hier hatte jemand die Janusköpfigkeit der Kaderbiografien in der SED und ihre mögliche Verwandlung in Schuldbiografien durchschaut.
46 47 48
BStU XV 4632/77, Bl. 109. BStU AOP Potsdam 110/61, Bl. 14f. AOP bedeutet Archivierter operativer Vorgang und ist eine passive Form der Erfassung. BStU XV 4632/77.
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1. K Z Buchenwald. Häftlinge nach der Befreiung, 1945.
2. K Z Buchenwald. L u f t a u f n a h m e der D e u t s c h e n Ausrüstungswerke ( D A W ) und des Lagers (im Hint e r g r u n d ) , undatiert, vermutich 1945.
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3. K Z Buchenwald. Widerstandskämpfer, gefangene SS-Leute und amerikanische Soldaten, April 1945.
4. „Schau der antifaschistischen Volksfront". Theater nach der Befreiung, April 1945.
115
5. G r u p p e n f o t o von ( F u n k t i o n s - ) H ä f t l i n g e n mit D a c k e l n a c h d e r B e f r e i u n g . D e r erste H ä f t l i n g 1. R e i h e v. r. trägt eine A r m b i n d e „ L a g e r s c h u t z " , 1945.
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Großbauer Techniker, Ingenieur Agronom oder a n d e r e Spez. Dozent. Professor an Hochschulen und Universitäten Lehrer, Arzt, Jurist Künstler, Schriftsteller
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Unmoralisdte« Verhalten
Korruption, Schieberei
Agenten· ond Spionagetätigkeit
Lernender: Studierender. Schüler Handwerker, Gewerbetreibender
Verräter, Trotzkisten nnd ähnliches
Unternehmer Hausfrau, Restoer
Sowjet feindlidikeit
30. Walter Jurich (fälschlicherweise Jurisch) hatte nach seiner Funktionsenthebung als Polizeipräsident, im Jahre 1949, im Zusammenhang mit gegen ihn erhobenen Vorwürfen wegen seines Verhaltens im K Z Buchenwald (Gruppenbildung, Verletzung der Parteidisziplin) ein Parteiverfahren gegen sich selbst beantragt, das von der ZPKK bis zum März 1954 nicht zum Abschluß gebracht worden ist. Auf der „Begleitkarte für Vorgang zum Parteiverfahren" vermerkte der Gen. Altenkirch („Alt"), daß die ZPKK keine Parteistrafe aussprach. Der Beschluß der ZPKK wurde am 27. 3.1954 gefällt.
127
31. Viktor Drewnitzki, 1930.
32. Erich Reschke, 1960er Jahre.
33. Fritz Männchen, um 1950.
34. Hermann Zilles, aufgenommen am 19. 10. 1949.
128
35. Willi Seifert als Leiter der Delegation des Mdl: Gratulationscour zum 70. Geburtstag von Walter Ulbricht, 1963.
36. Erinnerung an die Befreiung. Walter Bartel auf dem Gelände des ehemaligen K Z Buchenwald, 1985.
UI.1.4 Verspäteier Protagonist: W. Bartel
III. 1.4
129
Verspäteter Protagonist: Walter Bartel 49
In den jungen kaufmännischen Angestellten, der mit 16 Jahren dem KJVD und mit 19 Jahren der KPD beigetreten war und der als 20Jähriger im ZK des KJVD saß, setzte die Partei große Erwartungen. Aus ihm hätte ein Kader der Weltrevolution werden können. Der Jungkommunist Walter Bartel, Jahrgang 1904 aus Fürstenberg/Havel, Stehkragenproletarier und Sohn einer Arbeiterfamilie, war 1927 als Leiter der Delegation des KJVD zum Internationalen Jugendtag nach Moskau geschickt worden. Zwei Jahre später wurde er zum Studium an der Internationalen Leninschule, der Schule der Komintern, für die Fächer Geschichte, Philosophie und Ökonomie zugelassen und begann - unterbrochen von kurzen Aufenthalten in Deutschland, in denen er als Lehrer und Instrukteur eingesetzt wurde - danach sogar eine Aspirantur, an deren Ende die Promotion gestanden hätte. Doch die Zeitläufte in Deutschland durchkreuzten dieses Ziel. Die KPD rief ihn fiir den Widerstandskampf gegen die Nationalsozialisten Ende des Jahres 1932 zurück. Ein halbes Jahr hielt sich Bartel in der Illegalität als Agitprop-Sekretär des Bezirks Halle Merseburg und als ZK-Mitarbeiter im Verbindungsbüro des Sekretariats, bis er im Juni 1933 verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 27 Monaten Zuchthaus verurteilt wurde. Der Gestapo war jedoch nur seine Tätigkeit als kleiner Parteikurier bekannt. Bei seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Brandenburg/Görden im Jahr 1935 hatte er jenen angeblich allgemein üblichen Revers bei der Gestapo unterschrieben, der ihm in den folgenden Jahren bei seinen Genossen den Vorwurf des Verrats und der Feigheit einbrachte. Nach seiner Emigration in die Tschechoslowakei wurde Bartel, kaum hatte er in Prag wieder Anschluß an die Partei gefunden, 1936 „wegen Feigheit" aus der Partei ausgeschlossen, obwohl er von sich aus die deutschen Genossen in Prag von der Verpflichtungserklärung informierte, was Walter Ulbricht 1945 bestätigte. 50 Der Gestapo-Revers lautete sinngemäß, der Unterzeichnete verpflichte sich, alle Personen, die ihn zu einer staatsfeindlichen Tätigkeit aufforderten, der Gestapo zu melden (Dok. V.l.2). Ein Parteiausschluß in der Emigration bedeutete in der Regel auch, von allen materiellen Fonds der Unterstützung ausgeschlossen zu sein. Bartel, der mit Frau und Kind aus Deutschland geflüchtet war, mobilisierte beträchtliche Energien zum materiellen und politischen Überleben. Er ignorierte die „Exkommunikation" durch die Partei und suchte in der Fremde die Bewährung beharrlich im engen Umfeld der eigenen Partei und der kommunistischen Partei des Gastlandes: Bartel organisierte einen ideologischen Schulungskurs, gab Schulungsmaterial heraus und arbeitete an tschechischen Parteizeitungen mit.
49
50
Diesem biografischen Porträt liegen vor allem Lebensläufe, Korrespondenzen und Einschätzungen aus der Kaderakte Walter Bartels zugrunde sowie die umfangreiche Akte von ZPKK-Material zu Bartels Parteiverfehren und Walter Bartels Korrespondenz als Generalsekretär der W N , in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, ZPA IV 2/4/282, W N V 278/3/208-211. Kurt Schwotzer (Kader-Abteilung) an Walter Ulbricht am 18.12.1945 mit Bitte um Bestätigung und Ulbrichts knappem Randvermerk „Ja", enthalten in Walter Bartels Kaderakte, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v.5545, Bl. 167.
130
111 Kaderköpfe aus dem KZ
Nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei wurde Bartel im März 1939 erneut von der Gestapo aufgegriffen und im Oktober 1939 in das KZ Buchenwald eingeliefert. Dort war Walter Bartel der mit Neugier und Argwohn empfangene Bote der „neuesten" Parteibeschlüsse der Brüsseler Konferenz und der VII. Internationalen über die Volksfrontlinie aus dem Jahr 1935. Die isolierte Insel des KZ war zudem im besonderen Sinne eine fremde und vor allem ferne Enklave, in der ein Parteiausschluß durch vermehrte Parteiarbeit überholt werden konnte. Aber in diesem Falle handelte es sich nicht um Parteiarbeit an der Basis, sondern an der Spitze. Bartel gelang es schon im Oktober 1939, vermutlich durch die alte Bekanntschaft mit Albert Kuntz aus Moskauer Zeiten, in die Führungssriege der Parteileitung im Lager aufzusteigen. Er wurde zudem der Verbindungsmann zu den „slawischen Sektionen". Und Bartel baute zusammen mit Albert Kuntz und Ernst Brandt das deutsche Parteiaktiv nach dem Prinzip der zentralen Leitung durch prominente Führer auf, in Gegensatz zu Walter Jurichs Vorstellungen einer dezentralen Organisation, die von politischen Gruppen nach landsmannschaftlicher Herkunft und/oder persönlicher Bekanntschaft ausgehen wollte. Nachdem Albert Kuntz im Sommer 1943 in ein Außenlager abgeschoben worden war, scheint es als ob Walter Bartel Albert Kuntz als fuhrenden Kopf in der politischen Organisation des Lagers beerbt habe. An seiner Seite standen Harry Kuhn, der Mann für die Abwehrarbeit und Ernst Busse, gewissermaßen der Org.Leiter. Die drei „Genossen" organisierten die Partei-Aktivs der nationalen Gruppen im Lager und gründete 1943 das Internationale Lagerkomitee, dessen Vorsitz Bartel innehatte. Nach der Befreiung wurde Bartel tatsächlich und öffentlich zum Vorsitzenden des Internationalen Häftlingskomitees gewählt. Ferner veranlaßte Bartel die nationalen Parteigruppen, überparteiliche Komitees der „Kameraden" 51 zu bilden, Volksfronten in Miniatur. In der Frage der Verpflichtungserklärung Walter Bartels vor der Gestapo nahmen die Genossen der Parteileitung eine pragmatische Haltung an. Sie fällten den Beschluß, daß man sich nicht an die Entscheidung des damaligen Parteiausschlusses gebunden fühle, weil es sich um eine allgemein gehaltene Verpflichtungserklärung handele. Bartel gehörte zu den politischen Führern, die im Lager keine Funktionen innerhalb der „Häftlingsselbstverwaltung" übernahmen. Er arbeitete als Buchhalter in den Deutschen Ausrüstungswerken, dem SS-Betrieb im Lager, und nach dem Bombardement im Winter 1944/45 in der Arbeitsstatistik. Nach der Befreiung übernahm Bartel die Aufgabe, die Rückführung Buchenwalder Häftlinge in die sowjetische Besatzungszone zu organisieren. Im Sommer 1945 kehrte er nach Berlin zurück. Die KPD beschloß, ihn zum Leiter der Berliner Volkshochschulen zu machen. Im Mai 1946 wurde Bartel persönlicher Mitarbeiter und Bürochef Wilhelm Piecks, und er wurde bald danach Vorsitzender der Berliner VVN und des Buchenwaldkomitees. 52 51 32
Anrede für KZ-Häftlinge anderer politischer Couleur als der KPD, die aber in die Idee der Volksfront integrierbar waren, also Mitglieder der SPD oder der bürgerlichen Parteien, und parteilose Mithäftlinge „guten Willens". In dieser Eigenschaft führte er auch eine ausgedehnte persönliche Korrespondenz mit Thüringer „Kumpels" wie Stephan Heymann und Richard Großkopf oder Otto Roth. Man tauschte sich aus über Lebenswege ehemaliger Kumpels und Kameraden. Bartel wurde in Andeutungen über das Sonderlager Buchenwald nach 1945 berichtet, und Bartel beauftragte Großkopf, sich auf die verschlungene Suche nach Bartels Faksimile-Unterschriften-
III. 1.4 Verspäteter Protagonist: W. Bartel
131
Der Parteiausschluß aus der Prager Zeit hing jedoch wie ein Damoklesschwert über Bartel. Erst Anfang März 1946, nach langen parteiinternen Prüflingen und nachdem man zahlreiche Erklärungen von Genossen eingeholt hatte (z.B. Dok. VI. 1), konnte sich das Zentralsekretariat der KPD dazu durchringen, den Parteiausschluß Bartels aufzuheben und ihm die volle Mitgliedschaft wieder anzuerkennen.53 Im Mai 1950 wurde der Sachverhalt aufs Neue verhandelt. Eine Bestätigung des Ausschlusses von 1936 und die Funktionsenthebung Bartels, die vermutlich Hermann Matern forderte, wurden jedoch nicht durchgesetzt, nicht zuletzt, weil Bartel in Wilhelm Pieck einen mächtigen Moskau-erfahrenen Fürsprecher hatte, der bestrebt war, ihn zu halten. 54 Im Frühjahr 1953 schlug die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) jedoch zu. Bartel wurde drei harten Verhören unterzogen, die vor allem im Zusammenhang mit dem Parteiverfahren gegen Franz Dahlem standen und in denen Bartel der Kontakte mit feindlichen Agenten beschuldigt wurde, weil sich Dahlem mit Noel Field angeblich in Bartels Wohnung getroffen habe. Das zweite Thema der Vernehmungen bildete die politische Linie der illegale Parteiführung im KZ Buchenwald und die Übernahme von korrumpierenden Funktionen in der „Häftlingsselbstverwaltung" (Dok. V.3.1-4). 55 Die ZPKK befand, daß Bartel seiner Funktion als Bürochef Piecks enthoben werden müsse und versetzte den widerstrebenden Delinquenten in eine Position außerhalb des Parteiapparats, und was lag näher, in die Wissenschaft (Dok. V.3.5 und 6). Als Lektor an der Karl-MarxUniversität Leipzig mußte sich Bartel, immerhin fast 50jährig, für eine wissenschaftliche Laufbahn nachträglich erst qualifizieren mit einer Promotion über „Die Linken in der deutschen Sozialdemokratie im Kampf gegen Militarismus und Krieg", die 1957 publiziert wurde. Dann begann ein beruflicher Aufstieg, der zunächst in der Sackgasse endete: Im selben Jahr, 1957, wurde Walter Bartel Direktor des Instituts fur Zeitgeschichte in Berlin, das jedoch Anfang der 1960er Jahre geschlossen wurde, weil die SED an einer Zeitgeschichte außerhalb der Parteigeschichte in dieser Phase wenig Interesse hatte. 1968 brachte er es dann aber bis zum Ordinarius und Prorektor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Auf der Ebene der Parteifunktionen hatte Walter Bartel den Kampf gegen Hermann Matern verloren. Zaghafte Überlegungen der ZK-Abteilung Wissenschaft und Propaganda und der Leipziger Parteiorganisation aus dem Jahr 1955, Bartel wieder in eine Parteifunktion zu bringen, scheiterten an Hermann Matems energischem Widerstand (Dok. V.5). Immerhin konnte der Vorschlag seiner Kameraden aus dem Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer vom Juli 1959, Bartel mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber auszuzeichnen, durchgesetzt werden, nachdem Walter Ulbricht selbst dies mit Hermann Matern besprochen hatte. 56 Nur kurze Zeit später trat jedoch die ZPKK im Auftrag Walter Ulbrichts
53 54 55 56
Stempel zu machen, den Bartel unbedingt zurückerhalten wollte. Korrespondenz im Bestand W N , in: SAPMOBA, ZPA V 278/3/209. Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Zentralsekretariats vom 11.3.1946 in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, Bl. 162. Ebenda, Bl. 144. Siehe hierzu das folgende Kapitel IV der Einleitung. Georg Spielmann, leitender Sekretär des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer an PB-Mitglied Otto Schön am 9.7.1959, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, Bl. 110.
132
111 Kaderköpfe aus dem KZ
und in Person von Max Sens und Otto Sepke erneut in eine Befragung Bartels ein, weil dieser sich am Leipziger Institut für Geschichte über Walter Ulbricht angeblich in unziemlicher Weise geäußert hatte. Die majestätsbeleidigende Wendung, die drei Jahre nach dem Ende des Personenkults Anstoß erregte, lautete, „daß Genösse Walter Ulbricht sehr krank sei, ein Magenleiden habe und nur drei Stunden am Tag arbeiten könne". Das Protokoll vermerkte zunächst ein energisches Dementi Bartels und „nach längerer Diskussion" eine schlitzohrige Antwort: „Er würde von vielen alten Genossen, denen seine frühere Tätigkeit als Sekretär des Genossen Pieck bekannt sei, nicht selten nach dem Gesundheitszustand und dem Wohlergeehen führender Genossen gefragt. Sicherlich sei er auch nach dem Gesundheitszustand des Genossen Ulbricht befragt worden. Eine solche Äußerung, wie sie ihm vorgehalten werde, habe er jedoch nicht gemacht. Es sei jedoch möglich, daß er folgendermaßen geantwortet hätte: 'Genösse Ulbricht lebt diät, und daraus könne man wohl annehmen, daß er ein Magenleiden habe.' Er habe aber nie gesagt, daß Genösse Ulbricht nur 3 Stunden am Tage arbeiten könne, sondern könne nur geantwortet haben, daß trotz dieses Magenleidens die erstaunliche Arbeitsleistung des Genossen Ulbricht bewundernswert sei." 57 Gewitzt in der Dialektik der Verhöre seit den 30er Jahren bei der Gestapo und ausgestattet mit einem Temperament zu debattieren, reagierte Bartel auf die kleineren Zumutungen der Partei Ende der 50er Jahre ebenso wie auf die begehrlichen Werbungen des MfS in den 70er Jahren. Als er 1972 von Mitarbeitern des Ministeriums fur Staatssicherheit dafür geworben werden sollte, seine Wohnung als konspirativen Treff zur Verfügung zu stellen, wiegelte er diesen Plan mit zahlreichen Argumenten ab, ohne es zu versäumen, dem MfS bei der Suche nach weiteren Möglichkeiten zu „helfen". Er schlug stattdessen vor, das MfS möge sich doch an vier andere Familien oder Personen wenden und sich dabei auf ihn berufen. 58 Auf Parteiebene war Bartel in den 50er Jahren kaltgestellt worden, aber beruflich in Amt und Würden gelangt. Er hatte schon als einer der drei Generalsekretäre der VVN 59 unmittelbar nach 1945 einen maßgeblichen und monopolisierenden Einfluß auf die Ausgestaltung und Verbreitung des Geschichtsbildes über das Lager Buchenwald. Als der ehemalige nichtkommunistische KZ-Häftling Werner Beckert, ein Buchhändler aus Weimar, 1945 im Selbstverlag eine eigene Broschüre über das Lager herausbrachte, die - mit einem Porträt des Thüringer Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten Ernst Busse versehen - vom FDGB, von der OdF und auch innerhalb der SED anfangs sehr positiv aufgenommen worden war, versuchte Bartel mit Erfolg, den Vertrieb und die Verbreitung der „privaten Angelegenheit des Herrn Beckert" im Kreise der Partei und der Massenorganisationen zu verhindern. 60 Als Leiter des Redaktionskollektivs publizierte Walter Bartel 1960 57 58 59 60
„Protokoll der Ausssprache mit dem Genossen Prof. Walter Bartel" am 17.9.1959, ebd., Bl. 112-115; hier Bl. 113. Abschlußvermerk des MfS, Abteilung VII (Information und Auswertung) vom 12.7.1972, in: BStU Allg. P. 10765/72, Bl. 60. Die beiden anderen waren Ernst Busse und Harry Kuhn. Walter Bartel an Richard Großkopf am 13.11.1946, in: SAPMO-BA, ZPA V 278/3/209 (unpaginiert). Bartel verlautete: „Ernst [Busse] wird, trotzdem er sich durch verschiedene unglückliche Zusammenhänge in einer unangenehmen Situation befindet, eine Verordnung herausbringen, wonaches verboten ist, Literatur, die sich mit
III. 1.5 Jugendlicher Held als graue Eminenz: W. Seifert
133
als ersten Band einer zunächst umfänglicher geplanten Reihe den Titel „Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung" heraus. Diese lange Zeit gültige Publikation über das KZ Buchenwald enthält neben einer verdienstvollen Sammlung von Dokumenten, Materialien und Berichten auch die Legende von der Volksfront im Lager seit der Gründung des ILK im Jahre 1943 und von der Selbstbefreiung der Häftlinge im April 1945. Aber erst als die Ära Ulbricht und Matern im Jahr 1971 zu Ende ging und mit Erich Honecker als erstem Sekretär der SED und Erich Mückenberger als Vorsitzenden der ZPKK im Jahr 1971 zwei Parteifunktionäre folgten, die einige existentielle Erfahrungen von Kommunisten teilten, die den Nationalsozialismus im Lande überlebt hatten,61 avancierte Walter Bartel für die DDR zum Repräsentanten der KZ-Erfahrung in Buchenwald schlechthin. Er bekleidete in der VVN, im Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer und in den Internationalen Komitees fur Buchenwald und Buchenwald-Dora durchgängig höchste Repräsentationsfunktionen.
III.1.5 Der jugendliche Held als graue Eminenz: Willi Seifert
An den Fragebogen, den Willi Seifert im April 1947 beim Hauptausschuß „Opfer des Faschismus" als Antrag für seine Anerkennung als OdF eingereicht hat, ist eine Paß-Fotografie geheftet, die einen jungenhaft wirkenden Mann zeigt, der - selten genug für diese Sorte von Aufnahmen - lächelt. Willi Seifert konnte zu diesem Zeitpunkt auf eine brillante Karriere, aber zugleich auf eine traurige Lebensgeschichte zurückblicken: Er war im Frühjahr 1947 31 Jahre alt, und er war ein gutes halbes Jahr zuvor, als einer der drei Vertreter Erich Reschkes, zum Vizepräsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern ernannt worden. 62 Bei der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11.4.1945 war er noch keine 30 Jahre. Als er von den Nationalsozialisten im Herbst 1938 in Buchenwald eingesperrt wurde, war er gerade 23 - und da hatte Seifert schon eine dreieinhalbjährige Zuchthausstrafe, zweimal Untersuchungshaft und einen Aufenthalt im Schutzhaftlager Sachsenburg hinter sich gebracht. Ein Leben in Gefangenschaft. Jorge Semprun, der als spanischer Kommunist ebenfalls nach Buchenwald deportiert und dort im Jahr 1944 von Seifert in die Arbeitsstatistik eingeschleust worden war, skizziert ihn
61
62
den KZ-Lagem beschäftigt, von privaten Pressen [nachträglich gestrichen, stattdessen: Stellen] herauszugeben, da dadurch die Gefahr besteht, daß private Pressen [ebenso] aus solchen Dingen Kapital schlagen." Erich Honecker (1912-1994) saß seit 1937 sogar im selben Zuchthaus, in Brandenburg-Görden ein, in dem Walter Bartel zwischen 1933 und 1935 inhaftiert war. Und Erich Mückeberger (geb. 1910) war von 1934-und 1937 im KZ Sachsenburg. Die DVdl wurde von der SMAD am 30.7.1946 als Zentralbehörde zur Leitung aller Einrichtungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eingerichtet. Die beiden Vizepräsidenten neben Seifert waren Erich Mielke und Kurt Wagner. Letzterer wurde am 9.6.1949 von Wilhelm Zaisser ersetzt. Mit der Gründung der DDR wurde die DVdl am 12.10.1949 zur HVDVP innerhalb des Mdl.
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111 Kaderköpfe aus dem KZ
in seiner poetischen Autobiografie63 als jungen Mann, der bis 1945 sein halbes Leben in nationalsozialistischen Disziplinierungsanstalten und Lagern verbracht hatte und der sich in der Nachkriegsgesellschaft der SBZ dafür entschied, die Welt der Disziplin nicht zu verlassen: „Ich habe mich an Seiferts Gesicht erinnert, an diese unsägliche Verzweiflung. In einer fernen Nacht, in der Arbeitsbaracke, in Buchenwald. Herbert [Weidlich] erzählte mit dreckiger Stimme die Liebesspiele jenes Paares, das er, erst als zufälliger, dann als erregter Voyeur überrascht hatte, und auf Seiferts Gesicht war jenes verheerende Licht erschienen. Eine Wahrheit über ihn selbst, unverkennbar, deren obszöne Evidenz plötzlich durch seine Herrenmaske brach. Natürlich genügte eine Nachrechnung, Seifert mußte fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als er zum ersten Mal verhaftet worden war. 64 Er hatte wahrscheinlich noch nie eine Frau kennengelemt. Er hatte immer, nach jahrelangem Gefängnis und Lager, in der sterilen, undurchsichtigen, trüben Welt der Männlichkeit gelebt. Die Bilder, die Weidlich mit schlüpfrigem Vergnügen heraufbeschwor, dieser unvorhergesehene Ausbruch zwischen diesem unbekannten Mann und dieser unbekannten Frau, [...]; die Bilder aus Prag, die Weidlichs Erzählung heraufbeschwor, waren ganz einfach die des Lebens draußen. Die herzzerreißende und sagenhafte Evidenz des Lebens draußen." In der Männergesellschaft des Lagers war Seifert, trotz seiner Jugendlichkeit, Leiter der Arbeitsstatistik und damit einer der mächtigsten Männer des KZ geworden. 65 Über Seiferts Schreibtisch wanderten alle Aufstellungen und Listen von Häftlingen, die in Außenkommandos geschickt wurden oder zum Transport in die Vernichtungslager vorgesehen waren. In wenigen besonderen Fällen führte Seifert persönlich die Gespräche mit neu ankommenden Häftlingen, die auf ihre politische Einstellung hin abgetastet werden sollten. Er stand also am Ende der Kette von politischen Führern und Funktionshäftlingen, die über die Überlebenschancen von Häftlingen mitentschieden. Und er verstand es offenbar ausgezeichnet, diese Funktion über alle Kämpfe zwischen „Roten" und „Grünen" um die Gelenkstellen der „Häftlingsselbstverwaltung" hinweg zu halten. Walter Bartel beschreibt ihn als Jungen Genossen", der als etwas überheblich und eitel galt wegen seiner bestimmenden und dominierenden Art, politische Diskussionen zu fuhren, und weil er bestrebt war, „immer gute Kluft" zu haben. Seine Verbindungen zur Partei seien in der ersten Zeit seiner Kapo-Tätigkeit angeblich nicht sehr fest gewesen, besserten sich aber Zusehens und waren „im letzten Jahr ohne ernste Kritik". Diese Charakteristik ist eines der wenigen Zeugnisse, aus dem man Konflikte und Eigenmächtigkeiten Seiferts gegenüber der illegalen Partei im Lager erahnen kann. 66 Auch auf andere Häftlinge wirkte Willi Seifert offenbar wie ein jugendlicher Beau 63 64 65
66
Semprun, Was für ein schöner Sonntag, a.a.O., S. 39f. Tatsächlich war Seifert bei seiner ersten Verhaftung im Dezember 1933 18 Jahre alt. Es liegen widersprüchliche Informationen darüber vor, ob Seifert schon 1941 oder 1942 diese Funktion übernahm. In seinem Rechtfertigungsschreiben über die kommunistischen Kapos in Buchenwald vom 6.6.1953 gab Walter Bartel an, dafl Seifert im Sommer 1942 Kapo der Arbeitsstatistik geworden war, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 225. Nach einem Bericht von Herbert Weidlich, der etwa aus dem Jahr 1967 stammt, war Seifert schon seit Beginn des Jahres 1941 in dieser Funktion; BWA, Weidlich. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 228.
III. 1.5 Jugendlicher Held als graue Eminenz: W. Seifert
135
mit elitären Allüren. Pierre d'Harcourt erinnerte seine erste Begegnung mit dem Kapo der Arbeitsstatistik wie einen entrückten Traum: ein gepflegter, elegant gekleideter junger Mann in Reithosen, Reitjacke, Stiefeln, Oberhemd und Schlips empfing den Häftling, bot ihm einen Stuhl und eine Zigarette an und begann eine leichtfüßige Konversation über dessen früheres Leben in Frankreich. 67 Ein bedrohlicher Unterton kam in diese politische Überprüfung erst, als Seifert dem Häftling d'Harcourt die Gefahr vor Augen führte, die denjenigen drohte, die nicht „die Lehren aus dem Lager zogen": die Vernichtung. Während jenes Gesprächs wurde vor dem Fenster des Büros der Arbeitsstatistik gerade Leichen von einem Karren abgeladen, ein Umstand, den d'Harcourt im Zustand angespanntester Aufmerksamkeit nicht für einen bloßen Zufall halten mochte. 68 Offenbar hatte Seifert die Lehren aus dem Lager früh gezogen, er hatte dieses Lager seit 1938 aufgebaut und gehörte daher gewissermaßen zum kommunistischen Uradel des KZ Buchenwald, und er vergaß diese Lehren nicht. Nach der Befreiung Buchenwalds durch die Amerikaner und nach einem kleinen beruflichen Intermezzo als Stadtkämmerer in seiner Heimatstadt Plauen, zwischen Juni und Oktober 1945, wurde der junge Mann fur kurze Zeit stellvertretender Chef der sächsischen Polizei, bevor er, noch im Jahr 1946, in die Dienste der HVDVP trat. 69 Jorge Semprun beschrieb diese Entscheidung als Fortsetzung einer übermächtigen Lebenserfahrung des Lagers: „Aber letztlich hatte Seifert die Evidenz des Lebens draußen nicht wiedergefunden. Oder er hatte vielmehr diese Evidenz von draußen, ihre Risiken und Widersprüche abgelehnt. Kurz nach seiner Entlassung aus Buchenwald war er in die von den Russen in ihrer Besatzungszone aufgebaute Polizei eingetreten. Er war in der gleichen Welt des Zwangs geblieben. Er hatte sich entschieden, dort zu bleiben, diesmal freilich auf der richtigen Seite, auf der Seite des Stärkeren." 70 Wer Seifert als leitender Mitarbeiter im höheren Polizeidienst nur nach seinen Angaben zu Beruf, Ausbildung und Militärdienst beurteilt hätte, wäre zu dem Schluß gekommen, man habe es mit einem ungelernten Neuling zu tun. In den Eintragungen der diversen standardisierten Fragebögen war er eine unscheinbare Person: Angaben zu bisherigen Militär- und Polizeidienstverhältnissen entfielen. Als Spezialausbildung und -kenntnis konnte Seifert nur eine Fahrerlaubnis fur PKWs vorweisen, und als bisherige Beschäftigungen gab er seine Ausbildung und Berufstätigkeit als Maurer an. 71 An anderer Stelle bezeichnete er in einem Lebenslauf seine fachlichen Fähigkeiten etwas ausfuhrlicher: Beruf Maurer und praktische Erfahrungen im Karteiwesen, Kalkulation, Statistik, Buchhaltung, Schriftverkehr, Maschine-
67
68 69 70 71
Pierre d'Harcourt: The Real Enemy, London 1967, Auszüge daraus wurden abgedruckt unter dem Titel The Survival at Buchenwald, in: The Observer (29.1.1967). Dieser Artikel sowie eine deutsche Übersetzung in: BWA, Material Bartel. S. 8 der Übersetzung. Diese Deutung ist allerdings eine, die vom Autor mit dem Abstand von über 20 Jahren getroffen wurde. Sein Chef in Sachsen war Heinz Bausch, der ehemalige Kapo der Effektenkammer im KZ Buchenwald. Semprun, Was für ein schöner Sonntag, a.a.O., S. 40. Aus der Personalakte Willi Seifert, Bdl 5703.
136
III Kaderköpfe aus dem KZ
schreiben und Stenographie.72 Dazu kamen die Tätigkeiten, die er in der Haftzeit in Waldheim ausgeübt hatte - Felle schneiden, Knöpfe stanzen, Hausarbeit und Maurerarbeit.73 Nachdem ihm der Sprung in die zweite Reihe der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdl) beziehungsweise seit 12.10.1949 der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) als Stellvertreter gelungen war, erwarb er sich Beförderungen und Verdienste am laufenden, goldenen Band. 74 Die Liste der Auszeichnungen ist lang und eindrucksvoll, wenngleich hohe sowjetische Orden, der Leninorden und der Rotbanner-Orden, fehlten. Und sie weist auf eine militärische Kooperationstätigkeit oder Beraterrolle Seiferts in einigen sozialistischen Bruderländern, in der UdSSR, der CSSR, Polen, Bulgarien, der Mongolischen Volksrepublik (MVR), der Sozialistischen Republik Vietnam (SVR) und für das Ministero del Intero (MININT) Kubas oder doch zumindest auf einen hohes Maß an repäsentativen Aufgaben hin. Seifert war vorzeigbar.75 72 73 74
75
Handschriftlicher Lebenslauf vom 24.8.1945 in Plauen, in: Bdl 5703. VdN-Antrag Willi Seiferts vom 21 4.1947, in: Landesarchiv Berlin, Magistrat von Berlin A 13708. Zu Zeiten der DVdl unter der Präsidentschaft Erich Reschkes und seit 1948 Kurt Fischers waren die anderen beiden Viziepräsidenten Erich Mielke und Kurt Wagner. Wagner wurde am 9.6.49 durch Wilhelm Zaisser abgelöst. Unter der Leitung des Generalinspekteurs der HVDVP Kurt Fischer waren als Stellvertreter Heinz Hoffmann, Erich Mielke und Willi Seifert im Range eines Chefinspekteurs berufen. Nachfolger Kurt Fischers, der im Juni 1950 unerwartet starb, wurde Karl Maron. 1950 Ehrenzeichen der DVP 1954 Medaille fur die Bekämpfung der Hochwasserkatastrophe im Juli 1954; Vaterländischer Verdienstorden ( W O ) , Bronze 1958 Medaille Kämpfer gegen den Faschismus 1959 Verdienstmedaille der DDR 1959 Medaille für ausgezeichnete Leistugnen in den bewaffneten Organen des Mdl 1962 Verdienstmedaille der Kampfgruppen 1964 W O , Silber 1965 Bestenabzeichen der Miliz der UdSSR; Emst-Schneller-Medaille in Gold; Orden Banner der Arbeit 1967 Verdienstmedaille Organe des Mdl in Gold 1968 Verdienter Volkspolizist der DDR 1969 Scharnhorst-Orden; Erinnerungsmedaille 50 Jahre Sowjetmiliz 1970 Verdienstmedaille der NVA in Gold 1971 Medaille für Festigung der Waffenbrüderschaft Stufe I CSSR 1972 Verdienstmedaille der Zollverwaltung in Gold 1973 Erinnerungsmedaille - 20 Jahre Kampfgruppen; Medaille für hervorragende Leistungen bei der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit (Zentralrat der FDJ) 1974 W O in Gold; Medaille - 30 Jahre bulgarische Miliz; Medaille - 30 Jahre polnische Miliz 1975 Ehrenmedaille der FDJ für hervorragende propagandistische Arbeit; Bester der Miliz der UdSSR in Gold; Karl Marx Orden; Artur-Becker-Medaille in Gold; Medaille - 30 Jahre Sieg über den Faschismus; Medaille - 30 Jahre Korps für nationale Sicherheit CSSR 1976 Verdienstmedaille der Zivilverteidigung in Gold; Medaille - 30 Jahre Befreiung der CSSR; Medaille 50 Jahre für öffentliche Sicherheit der MVR 1977 Erinnerungsmedaille - 60 Jahre Sowjetmiliz 1978 Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland in Gold; Medaille - 60 Jahre Komitee fur Staatssicherheit der UdSSR 1979 Medaille - 20 J. Sicherheitsorgane der Rep. Kuba in Gold; Medaille - 30. JT der Gründung der DDR 1980 Ehrenspange zum W O , Gold; Orden für militärische Verdienste I. Klasse der SRV 1981 Ehrenurkunde des ZK der SED X. Parteitag; Medaille - für Festigung der Kampfgemeinschaft 1982 Medaille - Für 20 Jahre Dienst im MININT (Kuba) 1983 Orden Banner der Arbeit, Stufe I (30 Jahre KG der AKL) 1985 Orden - Stern der Völkerfreundschaft in Gold
III. 1.5 Jugendlicher Held als graue Eminenz: W. Seifert
137
Seine parteipolitischen Beurteilungen waren in der zweiten Hälfte der 50er Jahre glänzend, Seifert machte Karriere: Im März 1957 wurde er zum Chef der DVP und zugleich zum Stellvertreter des Inneministers Karl Maron ernannt. Es folgte der Besuch eines 10-monatigen Höheren Akademie Kurses (HAK) der Militärakademie der NVA, den er offenbar mit Bravour meisterte. Ihm wurde bestätigt, „militärische Fragen in der Taktik und operativen Kunst richtig und umfassend einzuschätzen". Die Beförderung Seiferts vom Generalmajor zum Generalleutnant erfolgte aber erst 1965, obwohl es schon einen früheren Vorschlag des Innenministeriums beim Politbüro gegeben hatte. Zu Beginn der 70er Jahre verlor Seifert offenbar ein wenig die Bodenhaftung der „kollektiven Leitung". Ein Vermerk des Leiters der Kaderabteilung im Mdl über ein Gespräch des Ministers mit Seifert vom Juli 1972 läßt auf eine Kritik an Seiferts Führungsstil und an einem Mangel an Innovation im Bereich der Bereitschaftspolizei schließen, was Struktur, Ausrüstung, Bewaffnung und Ausbildung betraf. In der Sprache der SED-Attestationen, die eine Kritik in Komparativ-Sätze verpackte, las sich dies als Extrakt so: „Der Genösse Minister legte dar, daß es notwendig ist, daß Genösse Generalleutnant noch stärker die ihm unterstellten Mitarbeiter heranziehen muß. Es ist auch erforderlich die Entschlußfreudigkeit zu erhöhen. Genösse Seifert muß sich inder nächsten Zeit darum kümmern, wie es in den nächsten Jahren weitergeht." 76 Und seit 1976 wurde sein zunehmend angegriffener Gesundheitszustand zum Thema besorgter Unterredungen mit dem Minister und dem Chef der Kaderabteilung. Doch die Verabschiedung Seiferts sollte sich bis zum März 1983 hinziehen. Er wurde hofiert, auf Seiten des Ministeriums war da ein Unbehagen über das herannahende Ende einer Ära. Und Seifert selbst tat sich sehr schwer, aus dem Dienst auszuscheiden. Der ewig jugendliche Funktionär wollte nicht aufs Altenteil geschoben werden. 77 Anläßlich der Feierlichkeiten zu seiner Verabschiedung sprachen auch zwei Vertreter der sowjetischen Staatsicherheit innerhalb des MfS. Sie würdigten Seiferts Tätigkeit als Kapo der Arbeitsstatistik indirekt in einem Satz, der zwar einen leicht katastrophischen Unterton, aber auch ein respektvolles „Sie" in der Anrede hatte: „[...] jedoch ungeachtet der Todesgefahr setzten Sie als wahrhafter Kommunist den Kampf gegen den Faschismus fort und rissen andere mit sich [sie!], der Sie Mitglied des Parteiaktivs im Konzentrationslager waren". Im Fortgang ihrer Rede wurde die Befreiung Buchenwalds umstandslos unter die militärischen Erfolge der sowjetischen Streitkräfte vereinnahmt und Seifert als „Kämpfer in den ersten Reihen" bezeichnet. Und schließlich wurde Seiferts „großer Beitrag zur Festigung der militärischen Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Volkspolizei und der Sowjetmiliz, zwischen unseren Bruderparteien und Völkern" hervorgehoben.78
76 77
78
Vermerk vom 12.7.1972, Personalakte des Bdl 5703. Vermerke über die Gespräche Seiferts mit Maron und dem Leiter der Kaderabteilung betreffend Seiferts Gesundheitszustand und die Überlegungen fur sein Ausscheiden aus dem Amt, beginnend am 17.2.1976, in der Personalakte des Bdl 5703. Redner waren W.T. Schumilow, Generalleutnant, Leiter der Vertretung des Komitees für Staatsicherheit (KfS, d.i. der KGB) der UdSSR beim MfS der DDR sowie W.R. Kaljushny, Oberst, Stellvertreter des Leiters der Vertretung des KfS der UdSSR beim MfS der DDR, in: Personalakte Willi Seifert, Bdl 5703.
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111 Kaderköpfe aus dem KZ
Möglicherweise ist ein enger Kontakt zur sowjetischen Militäradministration und zu ihrem Komitee für Staatssicherheit eine Erklärung fur den rätselhaften Umstand, daß Seifert von einer Suspendierung vom Dienst und von einem parteiinternen Verfahren in den frühen 50er Jahren nach unserem derzeitigen Kenntnisstand verschont geblieben ist. Einschränkend ist zu sagen, daß sich zumindest keine Hinweise auf einen solchen Bruch in seiner Lebensgeschichte finden lassen und daß seine Karriere in der zweiten Hälte der 50er Jahre einen solchen Einschnitt eher unwahrscheinlich macht. Andererseits hing aber Seiferts Karriere in den Jahren 1950 bis 1953 an einem sehr dünnen Faden, nachdem der Kapo des Krankenreviers Emst Busse und der Lagerälteste Erich Reschke durch sowjetische Organe verhaftet und verurteilt worden waren und insbesondere nachdem der Ex-Häftling Josef Frank seinen Chef in der Arbeitsstatistik, Willi Seifert, im Slänsky-Prozeß schwer belastet hatte. Das Ministerium fur Staatssicherheit sammelte inkriminierendes Material gegen Seifert aus den Aussagen des Angeklagten Frank im Slänsky-Prozesses,79 auch darüber, daß Seifert im KZ Buchenwald angeblich mit den „Trotzkisten" Georg Zak und Erich Wollenberg in Kontakt gestanden habe. Aber die Personalakte schweigt fur die frühen 50er Jahre. 80 Solchermaßen im Mißtrauen sensibilisiert könnte man als Leser/in die Auszeichnung Seiferts aus dem Jahr 1954 „Medaille für die Bekämpfung der Hochwasserkatastrophe", verliehen im Juli 1954, nicht ausschließlich als Belobigung für übeiragende Logistik im Katastrophenfall halten, sondern für die letzte Spur einer stillen Degradierung in den zivilen Aufgabenbereich.
III.2
Die Generationen des Parteiaktivs der KPD Buchenwald
Welche Personalressourcen hatte die KPD in Buchenwald für ihren Führungsanspruch eingeschaltet? Wie alt sind eigentlich diese Häftlinge, und welche Voraussetzungen bringen sie mit, in der zweiten Kriegshälfte noch einmal zur inneren Ordnungmacht des KZ zu werden? Durch den Rückblick, in dem die ehemaligen Häftlinge als die „alten Genossen" erscheinen - und viele Überlebende der KZs waren nach Jahren der Haft um Jahrzehnte gealtert (vgl. Dok. III.9.1) darf man sich den Blick auf die handelnden Generationen nicht trüben lassen: Von ca. 75 Buchenwalder Kommunisten, die in den Texten/Dokumenten des vorliegenden Bandes besonders oft erinnert werden und/oder führende Funktionen im Lager bekleideten - in ihnen darf man die Kontur des sonst namentlich nicht überlieferten „engeren 79
80
Seifert war im Umfeld des Slansky-Prozesses schon allein deshalb verdächtig, weil in der international besetzten Arbeitsstatistik von insgesamt 74 dort unter ihm beschäftigten Häftlingen mehr Tschechen als Deutsche tätig waren, vgl. BWA, Material Weidlich. Auch die Stasi-Akte, BStU AP 72/64, ist fiir die Akten-Gattung „Allgemeine Personenablage" (AP) auffällig dünn und ohne biografisches Hintergrundmaterial. Und in Seiferts ausgesprochen dürftiger Kaderakte gibt es keinen Hinweis auf ein Parteiverfahren, SAPMO-BA, ZPAIV 2/11/v. 3332.
III. 2 Generationen des KPD-Parteiaktivs Buchenwald
139
Parteiaktivs" vermuten - , waren 1937/38, als die meisten von ihnen ins KZ Buchenwald gekommen waren, noch nicht einmal 4 Prozent über 50 Jahre alt, knapp 25 Prozent waren damals zwischen 40 und 50 Jahre, über 40 Prozent jedoch zwischen 30 und 40 Jahre und 30 Prozent waren noch jünger. Unsere Daten sind keineswegs vollständig - wir können hier nur eine grobe Kontur zeichnen. 81 Die drei ältesten (Geschke, Drewnitzki, Siewert) waren wichtige Funktionäre des Parteiapparats gewesen, und alle hatten Moskau-Erfahrung, was unter Kommunisten die Autorität eines Mekka-Pilgers verlieh, jedenfalls wenn man nicht von der Parteilinie abwich wie Siewert, der sogar Lenin noch im Schweizer Exil kennengelernt hatte. Aber Geschke wurde 1940 aus dem KZ entlassen, Drewnitzki hielt sich zurück und wurde erst in der letzten Zeit Funktionshäftling, und Siewert war zwar ein mutiger und fürsorglicher Kapo, aber als ehemaliger Reichsorganisationsleiter der KPO im Widerstand hatte er kaum Einfluß auf die Partei. 17 Funktionäre waren meist wenig über 40 Jahre alt, darunter - dem Alter nach von oben nach u n t e n - Stelzmann, Neubauer, Stoecker, Krämer, Schreck, Wyschka, Krausz, Kuntz, E. Brandt, Großkopf, Hamann, Heymann und Busse. Die Mehrzahl der Genannten hatte zur weiteren Parteiprominenz gehört, die KPD in Parlamenten vertreten oder Schlüsselstellungen im zentralen Apparat eingenommen. Nur Kuntz hatte in dieser Generation schon ein Studium an der Moskauer Parteihochschule absolviert; Stoecker und Schreck waren wenigstens bei einem Weltkongreß der KI Delegierte gewesen. In dieser Generation gab es vier Funktionäre, die eine höhere Schule absolviert und von denen zwei Funktionen eines Parteiintellektuellen ausgeübt hatten - beide kamen aus bürgerlichen jüdischen Elternhäusern (Heymann, Krausz) - , sowie die Söhne eines Gutsinspektors und eines Eisenbahners, die sogar ein Lehrerexamen abgeschlossen hatten (Hamann, Neubauer). Stoecker, Sohn eines Ingenieurs, hatte in seiner Jugend die höhere Schule wegen Geldnot abbrechen müssen. Stoecker und Neubauer waren sowohl Parteiintellektuelle als auch Spitzenpolitiker der Weimarer KPD. Alle anderen kamen, soweit ersichtlich, aus proletarischem Milieu und hatten Elementarbildung. Aus dieser älteren Generation, von denen die meisten in der frühen Nachkriegszeit zur Gründungsgeneration der KPD gehört hatten, waren Stelzmann, Krämer, 81
Ich gehe hier von einer Grobauswertung der überwiegend im biografischen Anhang zu diesem Band enthaltenen Daten für uns bekannte Funktionshäftlinge, Parteileitungsmitglieder und sonst in den Protokollen häufig erwähnte („prominente") Parteimitglieder aus, die - außer auf allgemein zugänglichen biografischen Nachschlagewerken - im wesentlichen auf Angaben aus dem Buchenwald-Archiv sowie aus Kaderakten und ähnlichen Materialien des Zentralen Parteiarchivs der SED entnommen sind. Harry Stein hat 1984 an der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald eine Alters- und Verbleibensanalyse der Buchenwalder KPD-Mitglieder aufgrund der aus der Parteikontrolle vom April/Mai 1945 entstandenen Bezirkslisten angefertigt. Sie zeigt, daß etwa zwei Drittel der Buchenwalder KPD-Mitglieder bereits 1937 bis einschließlich 1939 in dieses KZ eingeliefert wurden und daß über 60 Prozent bereits vor 1937 in Haft gekommen waren, d.h. in anderen KZs und/oder Zuchthäusern Strafen verbüßt hatten. Dabei deuten die allermeisten Berichte von Kommunisten über die Verhaftungs- und Verhörpraktiken daraufhin, daß die meisten dieser KZHäftlinge bereits Erfahrungen mit Folter und roher körperlicher Gewalt mitbrachten, bevor sie ins KZ kamen. Gegenüber den übrigen Häftlingen dieses KZ sind die Kommunisten also die „alten" im Sinne der Dauer der KZ-Haft wie der Hafterfahrung überhaupt, dürften nach dem Lebensalter jedoch durchschnittlich eher zu den Jüngeren gehört haben. Die Altersstruktur der Mitglieder, die nach den Listen vor 1933 ebenfalls zu mehr als der Hälfte (meist untere) Parteifunktionäre gewesen waren, ist dabei derjenigen des hier untersuchten Funktionärskaders im Lager sehr ähnlich.
140
III Kaderköpfe aus dem KZ
Kuntz und Busse Kapos, die eher unprominenten Schreck, Wyschka und Busse wurden Lagerälteste, wobei der jüngste unter ihnen - Ernst Busse - die höchsten und meisten Funktionen (Blockältester, Lagerältester, Kapo) innehatte, außerdem wurde er später eines der fünf Parteileitungsmitglieder dieser Generation. Nachdem die beiden Prominentesten - Neubauer (der entlassen wurde) und Stoecker (der an Typhus starb), beide ohne Lager-Funktion - aus der ersten illegalen KPD-Leitung 1939 ausgeschieden waren, beanspruchte der Nächstälteste unter denen, die auf Moskauaufenthalt und reiche Apparaterfahrung sowie den Status eines nominellen (nämlich 1932 gewählten) Parlamentariers verweisen konnten - Albert Kuntz - , die illegale Parteiführung. Er beteiligte in der Folge zwei langjährige Bezirksfunktionäre, Brandt und Busse, an ihr, beide ebenfalls nominelle MdR 82 . 31 Funktionäre waren zwischen 30 und 40 Jahre alt, d.h. sie waren am Ende des Ersten Weltkriegs unter 20 Jahren und meist Ende zwanzig, als die Illegalität und dann auch schon die Haftzeit begann. Diese Generation stellte die meisten Lagerfunktionäre: allein acht Lagerälteste (Barthel, Bechert, Eiden, Frommhold, Männchen, Pankow, Reschke, Wyschka), zwei Kontrolleure (Hauptmann, Pankow) und den Leiter des Lagerschutzes Keim, dazuhin mindestens 16 Kapos und zahlreiche Blockälteste, aber mit Walter Bartel und-nachdem Kuntz verlegt worden war - Kuhn nur zwei Parteileitungsmitglieder sowie den Leiter des illegalen Militärapparats Roth. Viele von diesen waren KPD- und RFB-Funktionäre auf lokaler und regionaler Ebene gewesen, aber kaum einer hatte vor 1933 zur Parteiprominenz gehört, vielleicht mit Ausnahme des Jungstars Karl Barthel, der mit 25 Jahren 1932 in den Reichstag unter der Alterspräsidentschaft von Clara Zetkin als jüngster Abgeordneter eingezogen war. Was diese Gruppe allerdings auszeichnete, war, daß sie - obwohl sie fast durchweg aus proletarischen Milieu kam und nur ein Arbeitersohn studiert hatte (Wolf) - zu fast einem Drittel in Moskau politisch geschult worden war, in der Regel an der Internationalen Lenin-Schule, zu deren Mitgründern Toni Waibel gehörte. Dazu gehören Walter Bartel, Bausch, Feilen, Frommhold, Harig, Otto Heckert, Jahn, Leibbrand und Waibel, wobei sich Walter Bartel durch den längsten Aufenthalt und eine wissenschaftliche Aspirantur - vergleichbar einem Doktorandenstipendium - an der Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet hatte. Auch die beiden, die im engeren Parteiaktiv das Prestige eines Interbrigadisten aus dem Spanischen Bürgerkrieg genossen (Groel und Kipp), gehörten zu dieser exekutiven Parteigeneration der Kämpfer und Macher und wurden als Vorarbeiter und stellvertretender Kapo an den Brennpunkten der Häftlingsmacht, in der Arbeitsstatistik und im Krankenbau, eingesetzt. Die jüngste Gruppe, die der unter 30jährigen - in der Regel vor 1933 KJVD-Aktivisten -, hatte an den politischen Leitungspositionen überhaupt keinen Anteil.83 Unter ihnen gab es Funktionshäftlinge als Blockälteste (wie Arndt oder Carlebach, Abiturienten aus jüdischen Elternhäusern, die bei ihrer Einlieferung ins KZ Buchenwald Mitte Zwanzig waren) und we82 83
Zu den Parlamentszugehörigkeiten vgl. 1.2, Anm. 28. Über das verbleibende Mitglied der illegalen KPD-Leitung (von Mai 1939 bis November 1940) August Thöne (?), der eher der älteren Generation angehört haben dürfte, den wir aber nicht identifizieren konnten, oder Werner Thürpe (geb. 1909) ist derzeit keine Klarheit zu erlangen.
III. 2 Generationen des KPD-Parteiaktivs Buchenwald
141
nige Kapos (wie Loch, Neumeister, Schäfer, Scheibe und vor allem Seifert und seinen Stellvertreter Weidlich), von denen allerdings Seifert - bei seiner Einlieferung 23 Jahre alt - die neben Krankenbau und Lagerschutz wichtigste Kapo-Funktion in der Arbeitsstatistik wahrnahm. Nur die beiden Juden in dieser Gruppe hatten eine höhere Bildung, zwei andere (Osche, Thiemann) waren z.T. auf abenteuerlichen Wegen nach Moskau gekommen, aber sie waren dort nicht auf eine Schule gegangen, sondern hatten lediglich Funktionärserfahrungen gesammelt. In dieser Jugendgruppe finden sich mehrere, die (unter der Leitung älterer Funktionäre wie Roth und Großkopf) die technischen und die riskanten Aufgaben im Militär- und Abwehrapparat der illegalen KPD übernahmen, zumindest in der letzten Phase des Lagers, als man Rudimente einer Selbstverteidigung fur den kritischen Moment des Endes der SSHerrschaft aufzubauen begann. Bei einer solchen Generationenbetrachtung muß man sich zunächst die Grenzen ihrer Reichweite vergegenwärtigen. Persönliche Autorität erscheint kaum soziologisierbar. Daß Walter Bartel-vor 1933 ein unbedeutender Berliner Funktionär im Windschatten Walter Ulbrichts, freilich durch einen fast vierjährigen Moskau-Aufenthalt ausgezeichnet, aber in der Prager Emigration „abgehängt" - in der zweiten Kriegshälfte zum politischen Kopf der Parteiorganisation im Lager werden sollte, nachdem außer Busse alle Prominenten ausgeschieden waren, kann nicht nur mit seinen langen Moskau-Aufenthalt erklärt werden; es muß auch an seiner persönlichen Bekanntschaft mit Albert Kuntz und an seiner in der Tat bemerkenswerten Formulierungsgabe, an seinem Fleiß, seiner Ruhe und an seiner in Krisen sich steigernden, besonnenen Widerständigkeit gelegen haben. Und wer könnte die Sozialfaktoren benennen, die den Maurersohn Willi Seifert, der (mit 18 Jahren zum ersten Mal verhaftet) in seinem erwachsenen Leben nichts anderes als das Lager kennen gelernt hatte, noch bevor er 30 Jahre alt wurde, dazu befähigten, zu dessen geheimen Einsatzleiter zu werden, der sogar SS-Leute anschnauzte oder in den Allüren eines Landadligen - er pflegte als Kapo Breeches zu tragen - mit leiser Stimme unbefragbare Macht ausübte? Und in gewisser Weise könnte man sagen, daß jeder, dem der allgegenwärtige Terror der SS nicht seine Fähigkeit zu einem selbständigen und aktiven Verhalten raubte, ein solches persönliches Geheimnis bergen mußte. Aufs Ganze gesehen aber lehrt die Generationenanalyse zweierlei: Erstens standen sich im KZ auf der Seite der SS-Kommandanturstäbe und der Seite des kommunistischen Widerstands Gruppen derselben Generation gegenüber: beide Gruppen waren überwiegend jung, sie hatten als Jugendliche den Ersten Weltkrieg als ihre Primärerfahrung zuhause erlebt und betrachteten es als die Verdammnis der späten Geburt, daß sie zu jung gewesen waren, ihn siegreicher zu fuhren bzw. revolutionärer zu verhindern oder zu beenden. Zugleich standen sie insofern unter seinem Bann, als er die Grenze zwischen Krieg und Bürgerkrieg verwischt hatte und den Bürgerkrieg samt seiner endzeitlichen Programmatiken und wissenschaftlich beglaubigten Gewaltlegitimation als die eigentliche, nur durch die Spießer hintenangehaltene Form der Gesellschaft betrachtete. Dieses generationstypische Gesellschaftsbild mit seinem Bedarf an ideologischer Begründung beschreibt eine Brücke der instinktiven Verständigung
142
III Kaderköpfe aus dem KZ
zwischen der SS und ihren prononciertesten Gegnern, die anderen Gruppen nicht beschreitbar war. Das zweite Resultat unserer Generationsbetrachtung besagt, daß es auf der Seite der kommunistischen Kader, die ins Lager geraten waren, eine eindeutig nach Anciennität und Prominenz geschichtete Hierarchie gab, in der die in den Fraktionsauseinandersetzungen und Disputen der 20er Jahre erfahrenen und in der Regel der Kriegsgeneration zugehörigen Funktionäre politisch zunächst das Sagen hatten, während die folgende Generation die Masse der Positionen der Lager-"Selbstverwaltung" besetzte. Ältere kommunistische Häftlinge waren im Lager selten; sehr junge gab es hingegen häufiger, aber sie waren in beiden Einflußpositionen nur ausnahmsweise vertreten und stellten eher eine Reserve fur militante Widerstandsaktionen dar. Nach ihrem Bildungshorizont und dem Zeitpunkt ihres politischen Engagements, meist im KJVD nach 1928, ist es wahrscheinlich, daß sie sich besonders an dem stalinistisch formierten Weltanschauungskader der Kriegsfolgegeneration orientierten. Indessen war die beherrschende Stellung der meist unprominenten, aber recht häufig in Moskau geschulten KP-Funktionäre aus der Kriegsfolgegeneration, die sich nicht mehr in den Diskutierklubs und Fraktionskämpfen des Nachkriegskommunismus zerrieben hatten, sondern vom Stalinismus, von der RGO und dem RFB in der Endkrise der Weimarer Republik formiert worden waren, ein Spezifikum, das eng mit der Geschichte der sog. Selbstverwaltung im Lager Buchenwald zusammenhängt.
III.3
Buchenwalder Netzwerke in der Nachkriegspolitik?
Das nationalsozialistische Konzentrationslager wurde von den kommunistischen Funktionshäftlingen und den Funktionären im Hintergrund als eine Schule des Sozialismus und als Gelegenheit und Notwendigkeit zur Bewährung im „Klassenkampf' durch antifaschistische Widerstandstätigkeit betrachtet. Aus den Erfahrungen einer Wolfsgesellschaft im Lager unternahmen sie die Anstrengung, die wichtigsten Positionen der „Häftlingsselbstverwaltung" im Lager zu besetzen und damit eine begrenzte Teilhabe an der Macht zu erringen, um die Ordnungsfunktionen im Lager aufrecht zu erhalten, um sich selbst als kommunistisches Kollektiv zu retten und um Bündnispartner vor dem Tod zu bewahren. Aber es war ein Kampf, der mit ungleichen Mitteln ausgetragen wurde, denn er schützte die Funktionshäftlinge und Funktionäre zu keiner Zeit vor dem Risiko, von der SS ermordet zu werden. Und er barg von Anfang an das Gift des Verdachts und des Mißtrauens der (kommunistischen) Mithäftlinge und später der Genossen, die nie im KZ gewesen waren, in sich, im Lager Kollaboration mit
Ill 3 Buchenwalder Netzwerke in der Nachkriegspolitik?
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der SS betrieben zu haben. 84 Andererseits wurden die ehemaligen Kapos durch ihre Erfahrungen als Organisatoren einer Kleinstadt im permanenten Ausnahmezustand dazu befähigt, nach der Befreiung „im Metier" zu bleiben. Möglicherweise bündelte sich aber darüber hinaus eine lange oder besonders harte Haftzeit im KZ zu einer Grunderfahrung der sozialen Entfremdung vom Leben außerhalb einer Welt des Zwangs. Jedenfalls bauten zahlreiche ehemalige Buchenwalder „Genossen" nach 1945 in der SBZ an leitender Stelle den Apparat der kommunalen, regionalen oder zentralen Verwaltung und der Sicherheitsorgane (Polizei, Kriminalpolizei, K-5 Abteilungen, Staatssekretariat für Sicherheit) auf, insbesondere in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dazu gehörten z.B. Erich Bär, Heinz Bausch, Jean Baptist Feilen, Heinz Gronau, Richard Großkopf, Fritz Männchen, Bernhard Müller, Kurt Köhler, Herbert Scheibe und am prominentesten Willi Seifert und Erich Reschke. Viele von ihnen, wenn auch nicht alle, wurden jedoch in den frühen 50er Jahren aus ihren Funktionen entlassen. Und auch die Mitglieder der früheren illegalen Parteileitung, Ernst Busse, Walter Bartel, Emst Brandt und Harry Kuhn, fielen aus den unterschiedlichsten Gründen in politische Ungnade, soweit sie nicht wie Walter Stoecker oder Albert Kuntz schon im Lager ihr Leben ließen oder nach der Entlassung aus dem KZ von der Gestapo hingerichtet wurden wie Theo Neubauer (Dok. II.2-8 und V.l-5). 85 Daraus zu schließen, daß die DDR sich in jenen Jahren auf dem Wege in eine zivile Gesellschaft befunden habe, die fur alte Widerstandskämpfer und und bewährte Haudegen aus den KZs in den Schlüsselpositionen der inneren Sicherheit keine rechte Verwendung mehr gehabt habe, wäre überzogen. Dies war eher das Ergebnis eines verlorenen Machtkampfes der Inlandskommunisten mit denen, die aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt waren. Was die größere Macht entschied, enthüllte aber auch tiefergehende Momente einer ideologischen Entfremdung, begründet durch unterschiedliche Erfahrung: Die Parteiführung war von den linksradikalen politischen Positionen Buchenwalder Kommunisten, die sich im inselhaften Kosmos des Konzentrationslagers länger erhalten konnten, irritiert und unterstellte kommunistischen Kapos eine Form von ideologischer „Immunschwäche". Walter Bartel wurde in seinem Verhör vor der ZPKK im Sommer 1953 vorgehalten, die Kader aus dem KZ seien nun, nach 1945, „zersetzt", während die Buchenwalder Kommunisten unmittelbar nach der Befreiung des Lagers fest davon überzeugt gewesen waren, „der Partei einen Kader von guten Kommunisten aus der Haft mit nach Hause bringen" zu können, der für kommende Kämpfe bestens tauglich sei (Dok. 1.2). Die Lebensläufe kommunistischer Funktionshäftlinge und Funktionäre aus Buchenwald belegen die vielfältigen Strategien des eigenen Überlebens unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Lagers und unter den Bedingungen einer politischen Ära in der SBZ/DDR, 84
85
Für das Vernichtungslager Auschwitz beschrieb Primo Levi diese Zwischenschicht der mächtigen Häftlinge in seinem Kapitel „Die Grauzone" in: Die Untergegangenen und die Geretteten [zuerst italienisch: 1 sommersi e i salvati, Turin 1986 ], München/Wien 1990, S. 33-68. Vgl. auch Jorge Semprun: Was für ein schöner Sonntag, a.a.O. und Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors, a.a.O., Kap. Soziale Strukturen, S. 115ff. Über August Thöne, der zusammen mit Albert Kuntz und Walter Bartel 1939/40 die illegale Parteileitung bildete, liegen keine Angaben vor.
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111 Kaderköpfe
aus dem KZ
die mit Walter Ulbricht und Hermann Matern zumindest bis 1971 stark von den politischen Erfahrungen der Moskauer Emigration dominiert war. Aus Gründen dieser doppelten Anstrengung erzählen die einzelnen Biografien Buchenwalder Kommunisten möglicherweise besonders wenig vom allseits beschworenen kommunistischen Ideal des „guten Willens", sondern vielmehr von Dispositionen der Durchsetzungskraft, des Mißtrauens und der (Selbst-)Disziplin, vor allem aber von der Fähigkeit des strategischen Denkens. Immer, wenn an den „guten Willen" appelliert wurde, handelte es sich um wenig mehr als um eine formelhafte zeitgenössiche Beschwörung der Integration von Genossen in die kommunistischen Partei als Gemeinschaft oder um eine aufmunternde Mobilisierung von Nichtkommunisten zum volksfrontartigen Bündnis. Ähnlichen Parolen der Disziplinierung verwendete man, wenn man von „guten" oder von „unbeirrbaren Genossen" sprach. Denn der „gute Wille" allein half in unübersichtlichen Situationen kaum weiter, sich die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten. In den Phasen des „zugespitzten Klassenkampfes" orientierten kommunistische Kader ihr Handeln im Dienste eines Parteiauftrags in Zweifelsfällen an der größtmöglichen Wirkung im Dienste eines höhren Ziels. Als Ausdruck der kollektiven Erfahrung Buchenwalder Kommunisten ist hingegen eher kennzeichnend, daß die Fähigkeit zur politischen Selbstorganisation, die diese unter den verschärften Bedingungen der Illegalität und des brutalen Terrors im geschlossenen sozialen System des Lagers entwickelten, gleichsam mitgenommen wurde in die „neue Zeit". Die VVN beziehungsweise seit Frühjahr 1953 das Komitee Antifaschistischer Widerstandskämpfer bildeten in der SBZ/DDR die korporative Ausformung dieser besonderen Erfahrungsgemeinschaft. Die Erfahrungsgemeinschaft der Buchenwalder Funktionshäftlinge und Funktionäre selbst geriet unter anderem wegen des oben angedeuteten ideologischen „Mißverständnisses" über die Einschätzung der Kader aus dem KZ nach 1945 bei ungleichen innerparteilichen Machtverhältnissen in die Defensive. Aber vermutlich nicht nur deshalb. Die beherrschende Stellung der überdurchschnittlich zahlreichen Funktionäre mit früher Moskau-Erfahrung und gleichzeitig langjähriger KZ-Erfahrung unter den Funktionshäftlingen und auch in der illegalen Leitung der Partei, wie sie sich in der Person Albert Kuntz' und Walter Bartels verbanden, wie sie sich vor allem aber in der Generation der 30 bis 40Jährigen bündelten, 86 produzierte möglicherweise besonders starke Rivalitätsgefiihle und politische Projektionen in den Köpfen derer, die sich anschickten, nach 1945 den Führungsanspruch in der Partei zu behaupten. Denn jene Genossen aus dem KZ Buchenwald waren im Moskau der Jahre 19291932, also vor der großen Welle der politischen „Säuberungen", geschult worden und mußten insofern vermutlich ein geringeres Maß an Angst und heimlicher Skepsis oder gar Kritik verdrängen als die kommunistischen Exilierten aus dem Hotel Lux, die die stalinistischen Massenverhaftungen und Deportationen in der Sowjetunion seit 1936 überlebt hatten. Zu ihren vermuteten positiveren Moskau-Erfahrungen kam jedoch eine Sozialisation durch das Konzentrationslager, die der Erziehung der Moskauer Emigranten in manchen Aspekten 86
Vgl. Kap. III.2: Die Generationen des Parteiaktivs der KPD Buchenwald.
111. 3 Buchenwalder Netzwerke in der
Nachkriegspolitik?
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strukturell ähnelte - bei aller Verschiedenheit der Grundbedingungen: das Einüben von harten Strukturen der Macht und Hierarchie, der Mangel an Solidarität außerhalb der Parteiorganisation als Überlebenskollektiv, die Herausbildung eines Elitebewußtseins. Anders gesagt: Die Buchenwalder Funktionäre und Funktionshäftlinge, die im Lager erst in politische und organisatorische Funktionen hineinwuchsen, übten unter den Bedingungen des nationalsozialistischen KZs Verhaltensweisen und Werte ein, die durchaus kompatibel waren zur zeitgleichen Sozialisation kommunistischer Kader in der Sowjetunion, die ihnen die Buchenwalder Genossen wenigstens ebenbürtig erscheinen ließ. Was sie in den Augen der MoskauRückkehrer verdächtig machte, war die Tatsache, daß diese Fähigkeiten am falschen Ort entwickelt worden waren. Daraus konnten zwei Schlußfolgerungen gezogen werden, die als Abwehrargumente auch beide ausgespielt wurden: Entweder wurde der Verdacht der Kollaboration oder zumindest der Vorbehalt gegen eine zu große Nähe der kommunistischen Kader zur SS im Lager ausgesprochen, oder aber man phantasierte das illegale Parteiaktiv im Lager als Versuch der Buchenwalder Kommunisten, ein ZK im Lande zu installieren. Das erwähnte Hauptreferat Harry Kuhns auf der ersten legalen Sitzung des Parteiaktivs am 12.4.1945 dürfte dieser Legende Nahrung gegeben haben, wenn es nicht ihr Urspung überhaupt gewesen ist. Dort gab Harry Kuhn der Erwartung Ausdruck, daß das Ende der militärischen Auseinandersetzungen noch nicht erreicht sei. Offenbar erwarteten die Buchenwalder Kommunisten eine Fortsetzung des Weltkrieges zwischen der Sowjetunion und den „Westmächten", in der die Bedeutung „unseres NK" fiir die Mobilisierung der „ganzen antifaschistischen Massen" außerordentlich sein werde. Gemeint war hier ein Nationalkomitee nach dem Vorbild des NKFD (Dok. 1.2). An anderer Stelle bestritt Harry Kuhn in einer Diskussion mit Leipziger Genossen energisch, daß sich das Buchenwalder Parteiaktiv jemals als ZK gefühlt habe und verwies darauf, daß keiner der Buchenwalder nach 1945 eigenmächtig politische Funktionen an sich gerissen, sondern nur nach ordnungsgemäßer „Anforderung" und mit „Parteiauftrag" gehandelt habe. Man könnte ein solches Vorgehen als vorsichtige taktische Absicherung bewerten, aber ebenso gut kann man seine Antwort als Zurückweisung einer völligen Überschätzung der Buchenwalder Parteileitung deuten. 87 Die spezifische Erfahrungsgemeinschaft der überlebenden Buchenwalder Kommunisten erhielt ihre prägende Kraft nach 1945 auch in der Defensive, weil sie sich der politischen Rivalität in der eigenen Partei sowie der ideologischen Gegnerschaft im Kalten Krieg ausgesetzt sah.
87
Undatiert. Der Auszug aus dem Diskussionsbeitrag, der laut Vermerk auch in den Unterlagen Walter Bartels in BWA, 228 abgelegt wurde, befindet sich in Harry Kuhns Nachlaß, SAPMO-BA, ZPA NL 202/Kasten 3. Redetexte, Broschüren zu Buchenwald.
IV.
ERINNERUNGSAKTE Zur Semantik und Inquisition des Parteigedächtnisses
Im zweiten Teil dieses Buches sind die Wortprotokolle zweier parteiinterner Untersuchungen gegen Ernst Busse und Walter Bartel abgedruckt (Dok. II.4, II.5 und V.3). Ernst Busse und Walter Bartel bildeten zusammen mit Harry Kuhn seit 1943 die Leitung der illegalen KPD im Konzentrationslager Buchenwald. Ernst Busse war außerdem seit 1942 Kapo des Häftlingskrankenbaus geworden. Das Verfahren gegen Ernst Busse fand im Oktober 1946 statt, die Untersuchung gegen Walter Bartel war im Mai 1953 die zweite von insgesamt drei Befragungen. Die beiden Untersuchungen waren, wie alle anderen Parteiverfahren gegen prominente SED-Funktionäre auch, gerade keine Schauprozesse nach dem Muster der osteuropäischen „Volksdemokratien", sondern sie wurden vielmehr unter striktem Ausschluß jeglicher Öffentlichkeit gefuhrt. Ein Vergleich der beiden Verhöre von 1946 und 1953 erhellt - obgleich es um dieselben Sachverhalte geht - doch charakteristische Unterschiede in den Fragen der Untersuchungskommission bzw. der ZPKK. In beiden Untersuchungen stand die Frage der politischen Linie der Kommunisten im Konzentrationslager im Mittelpunkt, die zugespitzt wurde auf das Problem der Partizipation an der sogenannten Häftlingsselbstverwaltung und auf die Frage, ob Funktionshäftlinge an der Deportation und Tötung von Häftlingen beteiligt waren. Beide Untersuchungskommissionen ließen sich vor allem von taktischen Erwägungen der politischen Tragbarkeit Emst Busses und Walter Bartels für die Zukunft leiten, obgleich strafrechtliche Tatbestände verhandelt wurden. Bei der Vernehmung beziehungsweise Gegenüberstellung Emst Busses 1946 waren die Fragen der Untersuchungskommission, die belastendes Material von ehemaligen Mithäftlingen zum Ausgangspunkt ihrer Fragen nahm, noch tastend. Der ins Verhör Genommene wußte mehr als die Vernehmer. Im Verhör Walter Bartels im Mai 1953 hingegen waren die Fragen an Walter Bartel viel schärfer formuliert, und es finden sich einige Hinweise darauf, daß der sinistre Katalog von „Haupt- und Nebenfragen" an Walter Bartel nicht nur auf der Grundlage von Stellungnahmen ehemaliger Mithäftlinge als Belastungszeugen zusammengestellt, sondern auf der Basis eines Schuldgeständnisses Emst Busses formuliert war (Dok. V.3.1). In Verhör Walter Bartels wußten die Mitglieder der Zentralen Parteikontrollkommision mehr als der Vernommene. Dies läßt die begründete Vermutung zu, daß der ZPKK Vernehmungen und Geständnisse Emst Busses und Erich Reschkes und Zeugenaussagen aus dem oben beschriebenen SMTVerfahren, zumindest in Auszügen und im Ergebnis vorlagen ( Vgl. Exkurs „X").
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IV. 1 Lagersprache, Kaderwelsch
Indirekt konfrontiert mit den moralischen Positionen der „höheren Macht" (nämlich der sowjetischen Ankläger) - vermittelt durch die ZPKK der SED stand Walter Bartel 1953 ungleich stärker unter dem Druck einer prinzipiellen Rechtfertigung als Ernst Busse. Für einen Moment wurde das Problematische an der „Häftlingsselbstverwaltung", das Arrangement mit der SS, das Sicheinrichten in der Welt des Lagers, die tätige Mithilfe mancher Funktionshäftlinge bei der Zusammenstellung von Transporten und die Beteiligung an den tödlichen Injektionen benannt. Das Gespensterhafte an dem Verfahren gegen Walter Bartel bestand jedoch auch darin, daß dies fur den Beschluß der ZPKK auf die Funktionsenthebung Bartels augenscheinlich überhaupt keine Rolle spielte. Die ZPKK kehrte für die Beschlußfassung zurück zum ersten vergleichsweise läppischen Punkt der Vorwürfe - nämlich zur Verbindung Walter Bartels und Franz Dahlems mit dem angeblichen amerikanischen Spion Noel Field im unübersichtlichen Berlin der Nachkriegsjahre und zum Vorwurf undurchsichtiger Westkontakte. Damit kehrte die ZPKK aber auch wieder zu den bekannten Erwägungen der politischen Tragbarkeit zurück (Dok. V.3.5). Die folgenden Abschnitte lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf einige Besonderheiten und Auffälligkeiten in der Rede der Zeugen und „Angeklagten" über das geschlossene System der Lagerwelt und auf die strukturellen Eigentümlichkeiten parteigeschichtlicher Erinnerungen und parteiinterner Verfahren deutscher Kommunisten nach 1945.
IV. 1
Lagersprache, Kaderwelsch
„Worte können sein wie winzige Arsendosen; sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." 1
Die Ausführungen Ernst Busses und Walter Bartels in den Verhören selbst und die in ihrem Umfeld schriftlich niedergelegten Berichte über die Vorgänge im Konzentrationslager enthalten eine Fülle von fremdartigen Wörtern, die in der Konstellation der Vernehmung durch vier beziehungsweise drei Personen - also in einer Situation des angespannten Erinnern - aus der Welt des Konzentrationslagers gleichsam herüberragten in die Gegenwart der Jahre 1946 und 1953. Dabei gebrauchten die Verhörten zum einen das Vokabular der Nationalsozialisten, vor allem was die Hierarchien der Lagerverwaltung innerhalb der SS und unter den Häftlingen 1
Victor Klemperer: LTI. Lingua Tertii Imperii. Die Sprache des Dritten Reiches. Notizen eines Philologen [zuerst Dresden 1946], Berlin 1949, S. 67.
148
IV
Erinnerungsakte
selbst und die Topographie des Lagers betraf. Ebenso wurden die Organisation des Lagers, die ankommenden und deportierten oder gestorbenen Häftlinge („Zugänge", „Abgänge"), die Einteilung der Häftlinge zu bestimmten Arbeiten („Arbeitskommandos") in der offiziellen Lagersprache beschrieben, die zum Teil der Militärsprache entlehnt war. Aber auch die Unterscheidungskriterien der SS für die Festlegung der Häftlingskategorien nach „Politischen", „Kriminellen", „Asozialen", „Juden", „Homosexuellen" etc. wurden ganz unkritisch übernommen, wohl oft einschließlich der in ihnen enthaltenen Verachtung. Darüber hinaus enthielt ihre Rede über das Lager jedoch weitere Auffälligkeiten, so vor allem die nahezu gänzliche Abwesenheit der Wörter „töten", „ermorden", „Tod", „Gewalt", „sterben". Stattdessen wurden zahlreiche verhüllende Bezeichnungen für die grausame Wirklichkeit des Lagers gebraucht: „abhängen", „abspritzen", „ausschalten", „liquidieren", „zur Strecke bringen" „umlegen" und „eingehen", „durch den Kamin gehen", „kaputt gehen", „auf den Rost gehen". Sofern die Kapos und Leiter des illegalen Parteiaktivs an solchen Taten mittelbar oder direkt beteiligt waren, handelte es sich bei dieser verschleiernden Sprachregelung einerseits um einen Akt der Konspiration, zumal einige Euphemismen von der SS selbst gebraucht wurden.2 Andererseits war dieses Vokabular jedoch Teil einer Sprache des zur Schau gestellten Lakonismus, wie sie auch in der Milieusprache der Ganoven und der Unterwelt zu finden ist. Das Sprechen in verkürzten Metaphern bezeugte eine sprachliche Distanz zu den Verhältnissen und eine, wenn auch äußerst begrenzte Weltmächtigkeit im geschlossenen sozialen System des Konzentrationslagers. Die lakonische Metapher verhüllte den wörtlichen Ausdruck, aber ihre Bedeutung lag auch im Affekt, der im Moment des Aussprechens produziert wurde. Und sie brachte unterschiedliche Bedeutungsebenen gleichzeitig in Schwingung: „Jemanden abhängen" bedeutete zum Beispiel in der Lagersprache, ihn auszuschließen, zu isolieren oder ihn zu töten. Aber im alltäglichen Sprachgebrauch besagte es eben auch, von jemandem verfolgt zu werden und erfolgreich zu flüchten. Deshalb enthielt die Rückführung methaphorischer Redeweisen aus der Lagerwelt in den alltäglichen Sprachgebrauch nach 1945 die Möglichkeit kleiner elektrischer Ströme in die Vergangenheit, die die frühere Bedeutung im Augenblick des späteren Sprachgebrauchs aufblitzen läßt.3 Den Sprachregelungen im Lager und den Codes der Konspiration kam nicht zuletzt deshalb eine große Bedeutung für alle Häftlinge zu, weil die Regeln des Lageralltags, vor allem aber die „Bürokratie" der sogenannten Häftlingsselbstverwaltung nach innen und nach außen zur SS im wesentlichen mündlich weitergegeben und organisiert wurden. Vermutlich im Zusammenhang mit einer publizistischen Initiative der VVN aus dem Jahre 1950 wurde auf winzigen Karteikarten ein Glossar zu 650 Redewendungen und Begriffen erstellt. Es sollte Eingang finden in ein „Handbuch ehemaliger Konzentrationslager und an-
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Mit Sicherheit „umlegen": jemanden töten, einen politischen Mord begehen, aus dem Jargon der SA und SS aus den 20er Jahren, vgl. hierzu Cornelia Berning: Vom „Abstammungsnachweis" zum „Zuchtwart". Vokabaular des Nationalsozialismus, Berlin 1964. Zur Metaphernforschung: Janet Martin Soskice: Metaphor and Religious Language, Oxford 1985, S. 24-53.
IVA Lagersprache,
Kaderwelsch
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derer faschistischer Haftanstalten". 4 Als Material fur die „Erläuterung von Ausdrücken und Bezeichnungen, welche in den Haftanstalten zwischen den Häftlingen verwendet wurden" dienten wohl in der Mehrzahl Berichte von ehemaligen Häftlingen aus Haftanstalten und Zuchthäusern und nur wenige Zeugnisse aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald.5 Wie das angelegte Glossar zeigt, treffen sich die Häftlings- und Ganovensprache der Zuchthäuser und die Sprache der Konzentrationslager in ihrem euphemistischen Grundton, insbesondere in den Umschreibungen der Komplizenhaftigkeit und Konkurrenz innerhalb der Häftlingsgesellschaft, in den Umschreibungen der körperlichen Gewalt zwischen den Häftlingen untereinander und zwischen dem Wachpersonal und den Häftlingen und in den Umschreibungen der sozialen Kommunikation überhaupt. Weder das geplante Handbuch, das als gesamtdeutsches Projekt begonnen wurde, noch das Wörterbuch der Zuchthaus- und Lagersprache wurden jemals gedruckt. Einer der ersten Philologen, die sich der ideologisierten Sprache des Nationalsozialismus, ihren Euphemismen und dubiosen Wortschöpfungen zuwandten, war Victor Klemperer.6 Die erste umfangreichere Wortschatzsammlung zur Sprache des Nationalsozialismus erschien 1964. Sie umfaßte nicht nur die Sprache des Dritten Reiches - neugebildete Wörter, Begriffe, deren Bedeutung sich zwischen 1933 und 1945 verschob, Begriffe die damals inflationär gebraucht wurden - , sondern auch die Sprache der sogenannten „Kampfzeit" von 1918 bis 1933, enthält aber fast keine Begriffe der Lagersprache.7 Frühe Aufmerksamkeit fur die Sprache der Konzentrationslager und der Vernichtungslager entwickelten in ihren Werken Eugen Kogon und Hans Günther Adler.8 Gelegentlich enthalten autobiografische Schriften ehemaliger Häftlinge aus Konzentrationslagern in ihrem Anhang ein Glossar der wichtigsten Begriffe aus der Lagersprache.9 Untersuchungen zur Sprache und Ideologie in der DDR schenkten dem Problem der Kontinuität der ideologisierten Sprache der Gründungs- und Aufbaugeneration der DDR aus dem Nationalsozialismus in die Nachkriegszeit fast keine Beachtung. In den sprachwissenschaftlichen Publikationen diesseits und jenseits der Elbe erschien die DDR, was Ideologeme und vermeintlich neue Begriffe betrifft, als eine sprachliche Halbinsel mit einem Verbindungskorridor in die Sowjetunion. 10 4
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Die Initiative zu einem solchen Handbuch ging von der Forschungsabteilung beim Generalsekretariat der W N Anfang Februar 1950 aus. Der Briefwechsel des Generalsekretariats mit dem Landessektretariat in Thüringen befindet sich in: SAPMO-BA, ZPA V 278/4/143. SAPMO-BA, ZPA V 278/5/51. Victor Klemperer: LTI, a.a.O. Vgl. neben Bertling, Vokabular des NS, auch Dolf Stemberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süßkind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, Hamburg 1957. Eugen Kogon: Der SS-Staat, a.a.O. Hans Günther Adler: Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1955. Z.B. bei Pierre Julitte: L'Arbre de Goethe [Prix Litteraire du Comite d'Action de la resistance 1965], Paris 1984. Laslo Revesz: Die Sprache als Waffe. Zur Terminologie des Marxismus-Leninismus. Hg. von der HannsSeidel-Stiftung, München 1983. Herbert Bartholmes: Tausend Wörter Sowjetdeutsch. Beitrag zu einer sprachlichen Analyse der Wörter und Ausdrücke der Funktionärssprache in der SBZ. 1945-1956, Vänersborg 1961. Ders.: Das Wort Volk im Sprachgebrauch der SED, Düsseldorf 1964. Als positive Waffe im Klassenkampf gemeint bei Dieter Faulseit und Gudrun Kühn: Die Sprache des Arbeiters im Klassenkampf, BerlinfOst] 1974.
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IV Erinnerungsakte
In der Rede ehemaliger kommunistischer Häftlinge über das Konzentrationslager fehlen aber auch einige Wörter (und Vorstellungen) vollständig. Es ist auffällig, daß sie keinen positiven Begriff für die eigene Subjektivität entwickelten. Über das Konzentrationslager zu sprechen, hieß für die ehemaligen kommunistischen Kapos, in der Situation des parteiinternen Verhörs, über konkurrierende Kollektive zu sprechen: „wir", die SS, die „Grünen". Alle Formen der Subjektivität und Individualität sind in der Rede über das Lager negativ besetzt und werden gleichgesetzt mit „asozialen Elementen", mit einem Mangel an Disziplin und einem Übermaß an Individualität („Die 'Verbrecher' waren alle Individualisten".) oder mit einer grundlegenden Undisziplinierbarkeit der „Asozialen" oder der „negativen Elemente". Vermutlich weil so stark in der Kategorie des kollektiven „Wir" gedacht und gesprochen wurde, stellte sich fiir kommunistische Funktionshäftlinge des Lagers das psychologische Problem der „Überlebensschuld" gegenüber den KZ-Opfern nicht in einer vergleichbaren Härte zu den Schuldgefühlen von anderen überlebenden Häftlingen und Häftlingsgruppen.11 Denn es war die politische Mission, die ihnen half, die Schrecken des Lagerlebens zu meistern und ihr eigenes Handeln zum Handeln im Dienste eines höheren, in der Zukunft liegenden Ziels zu erklären. Dies stellte schon der amerikanische Bericht von Fleck/Tenenbaum über das KZ Buchenwald vom 24.4.1945 unmittelbar nach der Befreiung des Lagers fest (Dok. 1.3). Es war Raymond Aron, der im Jahr 1943 zum ersten Mal vom Sozialismus als einer „religion seculaire" sprach: „Ich schlage vor, die Lehren, die in den Herzen unserer Zeitgenossen den Platz des entschwundenen Glaubens einnehmen und die - innerhalb einer noch herzustellenden sozialen Ordnung - das Heil der Menschheit in einer fernen Zukunft versprechen, weltliche Religionen zu nennen." 12 Aron beschreibt als religiöse Phänomene die vollkommene Ergebenheit zur „Sache", den absoluten Glauben an ihre oder deren Wahrheit, die Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die in Fanatismus umschlagen konnte. Wenn das frühe Christentum in der schwierigen Lage war, einer ungläubigen Umwelt die Zuverlässigkeit seines Gottes nicht an der Erfüllung seiner Verheißungen, sondern an der Verzögerung dieser Erfüllung demonstrieren zu müssen, dann waren die Kommunisten als politische Häftlinge der Nationalsozialisten - auf dem Tiefpunkt ihrer Machtlosigkeit - in einer strukturell ähnlichen Situation: Sie hatten als Kollektiv die Zuverlässigkeit der Ideologie an einer in die Zukunft verschobenen Erfüllung der sozialistischen Gesellschaft aufzuzeigen. 13 In der „Zwischenzeit" der Lagerwirklichkeit galt es, unter den von der SS diktierten mörderischen
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Eine Ausnahme: Karl Wilhelm Fricke: Die Sprache des Vierten Reiches, in Deutsche Rundschau, 77 (1952) S. 1243ff. Vgl. zum Problem der Überlebensschuld: Primo Levi: Die Untergegangenen und die Geretteten, [zuerst italienisch: I sommersi e i salvati, Turin 1986], München/Wien 1990, S. 7-18. Siehe dazu auch die beiden Werke von Bruno Bettelheim, der selbst im Jahr 1938 Buchenwaldhäftling war: Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft (amerikanisch 1960), Frankfurt am Main 1989. Ders.: Erziehung zum Überleben. Zur Psychologie von Extremsituationen (amerikanisch 1979), ^München 1979. Übersetzt aus: Raymond Aron: L'age des empires et l'avenir de la France, Paris 1946, S. 288. Vgl. hierzu die Überlegungen bei Hans Blumenberg: Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt am Main 1974, S. 55f.
IV2 Überblendung, Vergessen und Andeutung
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Bedingungen, die Surrogate einer fernen, zukünftigen Gerechtigkeit zu installieren, das Lager als Schule des Sozialismus zu begreifen und die „Kader" von morgen zu schmieden. Im Kriegszustand der Lagergesellschaft - der roten Kapos gegen die SS, der „Roten" gegen die „Grünen" - leiteten die kommunistischen Häftlinge ihre Selbstberufung als Lagerfunktionäre und ihre Verfügungsgewalt über die Mehrzahl der „unpolitischen" und anonymen Häftlinge aus dem Glauben an die Zuverlässigkeit ihrer Ideologie ab. Sie legitimierten ihre begrenzte, aber unerhört privilegierte Macht und ihre Parteioligarchie mehrfach: als zwangsweise Beauftragte einer übermenschlichen Terror-Instanz, als Willensvollstreckerin der Häftlingsgesellschaft und aus ideologischer Stärke.14
IV.2
Überblendung, Vergessen und Andeutung
Überraschenderweise wird in den Vernehmungen und Verhören Ernst Busses und Walter Bartels, aber auch in den Stellungnahmen ehemaliger Mithäftlinge über den Kosmos des Lagers gesprochen, als sei er eine berechenbare Welt mit festen Regeln gewesen, und als habe es sich beim Terror der SS gewissermaßen um ein Phänomen gehandelt, das nur an den Rändern dieser sozialen Ordnung wahrzunehmen war. Die Gewalt und das Sterben - die Grunderfahrungen mit denen alle Häftlinge im Konzentrationslager konfrontiert wurden und von denen sie selbst bedroht waren 15 - werden in den hier abgedruckten Dokumenten häufig ausgeblendet oder in charakteristischer Weise überblendet. Die Texte verweisen aber nur auf die realen Anstrengungen der Ausblendung oder Kompensation zur Zeit der Lagerhaft, die man beschreiben kann als existentielle Strategie, psychische Stabilität aufrechtzuerhalten. Das Ziel der SS, die KZ-Häftlinge seelisch zu brechen und zu entpersönlichen, erforderte bei den Häftlingen eine innere Widerstandsarbeit. Die Versuche der inneren Distanzierung vom Terror des Lagers waren vielfaltig. Die Literatur aus der Lagerbibliothek oder die Musik konnten ein solches Kraftfeld der Distanzierung sein 16 ebenso wie die festen Rituale der Selbstdisziplin. In einem erhalten gebliebenen Lagerdekalog des KZs Buchenwald legte Walter Wolf einige dieser Regeln zur psychischen Selbsterhaltung nieder, die für Kommunisten jedoch nur ein Medium zur Erhaltung der Partei sein sollten. Für die „10 Gebote" der 14 15 16
Vgl. Topitschs Überlegungen zu den Grundformen antidemokratischen Denkens und zum Marxismus, Ernst Topitsch: Mythos, Philosophie, Politik. Zur Naturgeschichte der Illusion, Freiburg i.Br. 1969, S. 142ff. Vgl. Andrea Devoto und Massimo Martini: La violenza nei Lager. Analisi psicologica di uno strumento politico, Milano 1981. Torsten Seela: Bücher und Bibliotheken in nationalistischen Konzentrationslagern. Das gedruckte Wort im antifaschistischen Widerstand der Häftlinge, München /London/New York/Paris 1992. Zur Einrichtung der Lagerbücherei im KZ Buchenwald, 1938, S. 48ff. Für Buchenwald ist sogar die Systematik des Katalogs vom 1.10.1939 erhalten, abgedruckt ebd. S. 173ff. Die Systematik enthielt nur im Bereich der politischen Gegenwart, Teil I A, Zugeständnisse an die nationalsozialistische Ideologie: Unter dem Oberbegriff „Das neue Deutschland" fanden sich 17 Unterbegriffe von „Der Führer, seine Mitarbeiter und ihre Schriften" bis zu „Der Weltfeind".
152
IV
Erinnerungsakte
Buchenwalder Kommunisten „wurde nach Übereinkunft eine 'legale' Ausdrucksweise gewählt, um uns vor Eventualitäten zu schützen". 17 Aus diesem Grunde wurden die Moral des Kampfes unter den Bedingungen der Wolfsgesellschaft im Lager und die Selbstaufgabe der Subjekte im Dienste einer höheren Mission gerade nicht verschriftlicht. Nach Walter Wolf waren im Lager mündlich zum Beispiel folgende „Gebote im Umlauf: „Bei all deinem Tun und Handeln steht im Vordergrund das Interesse deiner Klasse." Oder: „Dein Leben gehört dem Proletariat. Deine Internierung stellt an dich noch größere Anforderungen als der Kampf draußen. Je mehr du isoliert bist, 18 desto fester und entscheidender soll die Partei aus dir sprechen. Jede Schwäche, momentane Entmutigung, Schwankungen oder Verleugnungen deiner Prinzipien mit dem Ziel deiner Existenzerhaltung, ist Verrat an der Partei und der Klasse. Handle immer im Geiste des Internationalismus. Handle nach den Zweckmäßigkeiten des Klassenkampfes." 19 In schriftlicher Form waren die 10 Gebote in einer ritualisierten Sprache formuliert, deren Sätze wie Fanafarenstöße daherkamen und die Sprache der Bibel imitierten: „1. Ihr sollt mit den Kameraden um euer Leben kämpfen; ihr dürft euch nicht aufgeben. 2. Ihr sollt allen Kameraden helfen, gegen die Feinde aber sollt ihr vorgehen. 3. Ihr sollt nicht zinken; die Zinker aber ausschalten20 . 4. Ihr sollt euren Egoismus zügeln, das Interresse aller positiven Elemente aber vertreten.21 5. Ihr sollt vorbildliche Disziplin halten und durchsetzen helfen. 6. Ihr sollt allen tatsächlichen Kameraden gegenüber keine unberechtigten Unterschiede machen. 7. Ihr sollt euch leistungsfähig erhalten, nicht spinnen, nicht in den Puff gehen, euch sauber halten. 22 8. Ihr sollt ehrlich und offen zu euren Kameraden sein, sie nicht verleumden oder intrigieren. Ihr sollt keine Parolen machen oder weitertragen. Aber ihr sollt wachsam sein und allen negativen Elementen mißtrauen.23 9. Ihr sollt keine Kameraden bestehlen, überfahren oder Geschäfte machen. 24 10. Ihr sollt mit den besten Kameraden aktiv sein und nicht auf andere warten." 25
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Walter Wolf beschreibt die Geschichte des Buchenwald-Dekalogs in seinem ausfuhrlichen Erinnerungsbericht über Buchenwald, ohne Datum (vermutlich 1970), in: SAPMO-BA, ZPA EA 1624, Bl. 81-89. Gemeint ist: von der Außenwelt jenseits des Konzentrationslagers. Vgl. Anm. 17, Bl. 81. In der Lagersprache war ein Zinker ein Verräter, Spitzel oder Denunziant. Gemeint sind mit den „positiven Elementen" die eigenen Genossen und die Antifaschisten anderer politischer Couleur. „Spinnen" bedeutete das passive in sich selbst Versinken, ein „negatives Träumen', das zermürbte. Mit „Parolen" meinte Wolf die schnell weitergegebenen, z.T. erfundenen Nachrichten und Gerüchte über bevorstehende Transporte, über die Liquidierung bestimmter Häftlingsgruppen, die desorientierten oder Illusionen schufen. Gemeint sind Diebstähle von Lebensmittelrationen, Betrügereien („Überfahren") und alle Formen des Tauschhandels. Wolf bemerkt am Ende des Dekalogs, daß er zwar unter den besonderen Bedingungen des Lagers 1944 entstanden sei, aber dennoch viele, allgemeinere Grundsätze einer sozialistischen Moral enthalte.
IV. 2 Überblendung, Vergessen und Andeutung
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Aus dieser Perspektive stellte die Zugehörigkeit zur illegalen kommunistische Organisation, die unter konspirativen Bedingungen das Überleben der Partei sicherstellen sollte, eine besonders wirkungsvolle Gegenmacht gegen die drohende psychische Auflösung dar, ohne die Rettung des einzelnen zum Ziel zu erklären.26 Diejenigen, denen die Kraft fehlte, dem Sog in die Apathie etwas entgegenzusetzen, wurden mit Verachtung von ihren Mithäftlingen „Muselmänner", „Kretiner" oder „Kretins" genannt.27 In dieser scharfen Abgrenzung wurde die bedrohliche Tatsache verdrängt, daß die meisten der überlebenden Häftlinge von der Einlieferung in das Konzentrationslager bis zur Wiedererlangung ihrer sozialen Handlungsfähigkeit im Lager mehrere Phasen durchlebten. Die Einweisung in das KZ führte in aller Regel zu einem „Aufnahmeschock", weil die Verhältnisse im Lager weit brutaler waren als die Vorstellungen, die sich die Häftlinge davon gemacht hatten (Dok. 1.5.7). Die positive Verarbeitung dieses Schocks bildete eine wichtige Voraussetzung für die Anpassung an das Lagerleben. In einer zweiten Phase führten die Bedingungen des Lageralltags - der Mangel an persönlicher Freiheit, die Unmöglichkeit des Alleinseins, die Ungewißheit der Haftdauer - die Häftlinge in wechselnde Zustände der Apathie und der Aggression. Sie konnten aus ihrer passiven Rolle herausfinden, wenn es ihnen gelang, das Lagerleben als ihr wirkliches und gegenwärtiges Leben zu begreifen und eine Form von Selbständigkeit inmitten einer überwiegend fremdbestimmten Existenz zu behaupten. Die eigene Menschlichkeit zu bewahren, bedeutete in dieser dritten Phase des Lagerlebens, das eigene Handeln abzuwägen und zu bewerten, ob es wirklich für die eigene Sicherheit oder die anderer notwendig, gut, neutral oder schlecht war. Für Häftlinge die das Lagerleben in dieser Form meisterten, gab es aber auch Grenzen des Handelns, die sie gegenüber der SS keinesfalls aufgeben konnten, auch wenn es sie ihr Leben gekostet hätte. 28 In den Berichten und Vernehmungen Buchenwalder Kommunisten haben die Gefahrenmomente der Lagerzeit, selbst auf die Seite der „Kretiner" zu geraten, selten Raum gefunden. Es handelt sich um Geschichten einer erfolgreichen Anpassung an die Verhältnisse des Lagerlebens. Unter anderem dies machte die Vernommenen fur die Mitglieder der vernehmenden Untersuchungskommissionen der SED, die zum Teil zwar Zuchthausstrafen verbü-
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Nach innen ist sie unter Umständen vergleichbar mit Gemeinschaftserfahrungen von Häftlingen der gleichen Konfession, der gleichen Nationalität oder der gleichen politischen Partei (Sozialdemokratie, Zentrum). In den Machtstrukturen des Lagers bot jedoch die Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei die größere Chance des Überlebens. Daß sich die kommunistischen Häftlinge im KZ nach den Regionen ihrer Herkunft organisierten, war zwar dem Organisationsprinzip der KPD und der effektiveren Prävention von Spitzeln geschuldet. Das „landsmannschaftliche Prinzip" vermittelte aber auch heimatliche Geborgenheit. Zu den Gefahren der Auflösung als soziale Personen und zum apathischen Zustand der „Muselmänner", die nur noch dem körperlichen Tod entgegenvegetierten, vgl. Primo Levi: 1st das ein Mensch, a.a.O., S. 93f. und Michael Pollak: L'experience concentrationnaire, a.a.O., Paris 1990. Viktor Emil Frankl: Psychohygiene im Notstand: psychoterapeutische Erfahrungen im Konzentrationslager, in: Hygiene 1 (1950/1951) S. 177-186. Elie Aron Cohen: Human Behaviour in the Concentration Camp (zuerst Holländisch: Het duitse concentratiekamp: een medische en psychologische Studie, Amsterdam 1952), New York 1953.
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TV Erinnerungsakte
ßen mußten, in der Mehrzahl jedoch niemals die Erfahrung der KZ-Haft machen mußten, verdächtig.29 In der Vernehmung und Gegenüberstellung Ernst Busses mit Toni Waibel und Victor Drewnitzki hatten zwei markante Ereignisse aus der Geschichte des Lagers für die beiden Belastungszeugen, die angaben, an dieser Stelle stellvertretend für viele Mithäftlinge zu sprechen, eine besondere Bedeutung. Ernst Busse konnte sich jedoch an beide Vorkommnisse nicht mehr recht erinnern, weil es eine Vielzahl ähnlicher Fälle gegeben habe. Die Episoden erzählen in zwei Variationen, auf welche Weise deutsche Pflichterfüllung die Rettung zweier Russen verhinderte. In der Geschichte vom russischen Offizier, dem sein Überlebenswille als Individuum ungeheuere Kräfte verlieh und der sich versteckte und, nachdem er vom Lagerschutz gefunden und der SS übergeben worden war, sich losriß, um zu flüchten, spitzte sich gleichsam die problematische Rolle einer auf Disziplin bedachten kommunistischen Funktionärsschicht zu: Bei dem zunächst erfolgreichen Versuch, zu flüchten und im Lager unterzutauchen, handelte es sich um die Aktion eines einzelnen. Vor solchen Aktionen wurden die kommunistischen Funktionshäftlinge nicht müde zu warnen, weil sie angeblich erfolglos seien. Aus dem Blickwinkel der SS erfüllte der kommunistisch dominierte Lagerschutz in diesem Fall letztendlich seine Pflicht effektiv, was eine Bedingung für die Fortsetzung des hierarchischen Verhältnisses zwischen roten Kapos und SS war. Die Tatsache der Pflichterfüllung mußte aber viele Häftlinge, deren Herz für den flüchtigen Russen schlug, gegen die „Prominenten" der Selbstverwaltung und gegen die grauen Eminenzen der illegalen Parteileitung gleichermaßen aufbringen. Die zweite Geschichte, die ebenfalls von einem Russen handelt, verweist indirekt auf das Problem der brüchigen Hierarchie zwischen der illegalen deutschen Parteileitung und den nationalen Komitees, die diesem de facto untergeordnet waren - Ernst Busse sprach von der russischen Sektion (vgl. Dok I und II.4.) und auf Mängel in der Kontrolle und Abwehr von Intrigen innerhalb der nationalen Gruppen. In diesem Fall wurde ein Russe von zwei seiner Genossen als angeblicher Asozialer bezeichnet und daraufhin nicht in den Krankenbau aufgenommen, sondern in einen Block des Kleinen Lagers eingewiesen, wo er mit einer tödlichen Spritze ermordet wurde. Nach einigen Tagen stellte die russische Sektion fest, daß durch die Schuld der kommunistischen Funktionshäftlinge im Krankenbau einer ihrer Kader umgebracht worden war. Diese Episode zeigt die möglichen Konsequenzen von Feindschaften und Intrigen innerhalb der eigenen politischen Gruppe unter konspirativen Bedingungen und der Delegierung des Faustrechts an die brüderlichen Institutionen des Gastlandes; und sie belegt augenfällig, daß die deutschen Funktionshäftlinge in der Einschätzung von Genossen befangen waren in den Kategorien der SS und der Gestapo, deren Akten sie zur nachträglichen Legitimation ihrer Entscheidung gegen „Diebe" oder „Asoziale" mitunter sogar heranzogen (vgl. Dok. II.2).
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Eine Ausnahme bildete Bruno Leuschner, der vermutlich gerade wegen seiner KZ-Erfahrung in Sachsenhausen und Mauthausen zu den Vernehmungen Ernst Busses durch die parteiinterne Untersuchungskommission hinzugezogen wurde. Vgl. Dok. II.3 und II.7.
IV. 2 Überblendung, Vergessen und Andeutung
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In der Situation der Vernehmung, die im Kontext einer Infragestellung aller Werte stand, die fur kommunistische Kader im Lager gegolten hatten, fehlte Emst Busse die Erinnerung an diese beiden Episoden aus der vergangenen Lagerwelt: Es war noch nicht deutlich, wie die Untersuchungskommission letztlich die Übernahme von Funktionen im Konzentrationslager beurteilen würde. 30 Busse stand unter dem Verdacht, als Kapo des Krankenbaus von eigener Hand Häftlinge mit Injektionen getötet und als Mitglied der Parteileitung die Entscheidung zur Auslieferung des flüchtigen russischen Offiziers mitgetragen zu haben. Auch Walter Bartel hatte während seiner Vernehmungen im Frühsommer 1953 „Erinnerungslücken". Die Strategie des Vergessens als Verteidigung betraf aber fast ausschließlich den ersten Fragenkomplex, der Bartels Kontakte zu Noel Field und das konspirative Treffen Franz Dahlems mit Field in Bartels Wohnung umfaßte. Zu Buchenwald vernommen, konnte er sich nur nicht mehr an den Namen des französischen Pionieroffiziers Paul de Lubersac erinnern, der gerettet wurde, obwohl er kein Kommunist war. An dieser Stelle machte der Vernehmer ihm und den übrigen Mitgliedern der illegalen Parteileitung eine zugespitzte Volksfrontlinie im Lager zum Vorwurf, nämlich die Rettung bürgerlicher Geheimdienstleute aus dem Ausland, mit Blick auf einen späteren Vorteil der Kommunisten auf dem Parkett der internationalen Politik in der Nachkriegszeit. Offenbar erspürte Bartel die unterschiedlichen Wissensstände der ZPKK für die beiden Anklagepunkte sehr genau. Während die Fragen der ZPKK zu Dahlem/Field - in gewisser Weise noch ziellos - um das Thema kreisten und sich aus Vermutungen, Gerüchten und belastenden Aussagen anderer Genossen speisten, lag den Fragen zum KZ Buchenwald schon eine zum negativen Urteil geronnene Position zugrunde. Mit den harten Fragen der ZPKK zur politischen Linie der Partei im KZ Buchenwald mußte und konnte sich Walter Bartel streitend auseinandersetzen. Seine nachgeschobenen schriftlichen Erklärungen zu den Befragungen, die er in vollständiger Isolation zu Hause niederschrieb, reproduzierten diese Unterschiede: Zum ersten Fragenkomplex lieferte Bartel Rekonstruktionen vergangener Ereignisse nach, die in ihrem Bemühen, sich selbst und der Partei die Erinnerung zurückzuholen, den Charakter scheinbarer Geständnissen annahmen. 31 Zur Politik in Buchenwald hingegen formulierte Bartel eine Stellungnahme, die er relativ selbstbewußt „Zur prinzipiellen Frage" betitelte und in der er sich selbst entlastete auf Kosten von Ernst Busse und Josef Frank, die schon längst zu Verbre30 31
In der Gegenüberstellung hält Busse plötzlich in seinen Ausführungen inne und fragt nach, ob die Partei das für ein Verbrechen hält, siehe Dok. II.4. Walter Bartel an die ZPKK am 29.3.1953. Er leitete den Brief ein mit einer Willensbekundung zur Wahrheit: „Es gibt fur mich keinen Zweifel, daß die restlose Aufklärung aller mit der Angelegenheit Field zusammenhängenden Fragen von großer Bedeutung fiir die Partei ist. Ich betrachte es fur meine erste Pflicht, der Partei alles mitzuteilen, was mir zur Kenntnis gekommen ist, und insbesondere volle Klarheit über mein eigenes Verhalten zu geben. Ich stehe dabei vor der Schwierigkeit, daß mir einzelne Tatsachen bis ins Einzelne in Erinnerung geblieben sind, während ich mich anderer nur ungenau erinnere. Zum Verständnis dieses mich selbst bedrückenden Umstandes möchte ich auf folgendes hinweisen." Danach kam er auf das Arrangement eines Treffens zwischen Noel Field und Franz Dahlem in seiner Wohnung im Frühjahr 1946 zu sprechen, gab aber dabei einige allgmeine und relativierende Ausführungen darüber, daß fur ihn als Leiter der Berliner Volkshochschulen und Vorsitzenden des ILK unmittelbar nach der Befreiung Buchenwald Zusammenkünfte mit Besatzungsoffizieren der Alliierten zu seinem Arbeitsalltag gehörten. SAPMO-BA, ZPAIV 2/4/282, Bl. 96-104.
156
IV Erinnerungsakte
chem gestempelt worden waren und von denen Bartel möglicherweise wußte, daß beide nicht mehr lebten (Dok. V.3.4). Letzteres bildete eine Verhaltensvariante von Kommunisten aus der älteren Schule der Verhörtaktik. Gegenüber der Gestapo sollten nur Sachverhalte zugegeben und Personen genannt werden, die der Gestapo ohnehin bekannt waren. In den Vernehmungen Ernst Busses und Walter Bartels, aber auch in fast allen Zeugenaussagen und Stellungnahmen von ehemaligen Kapos und von anderen Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald erscheint das illegale Parteiaktiv der deutschen Kommunisten als Gemeinschaft, die sich im Lager als geheime Verschwörung gegen die SS und die Gestapo organisierte. Ob man sie als revolutionäre Glaubensgemeinschaft betrachtete, hing vom politischen Standpunkt ab und nicht zuletzt davon, ob man in diese Gemeinschaft integriert war oder von ihr ausgeschlossen blieb. Die Selbstwahrnehmung der kommunistischen Kapos und der Mitglieder der illegalen Parteileitung im Lager war jedoch durchaus die von revolutionären Kadern. Die revolutionäre Glaubensgemeinschaft bildete im Lager eine Art von „roter geheimer Gesellschaft". 32 Die notwendige Konspiration bot Schutz bei den Rivalitäten mit den „kriminellen" Kapos um die entscheidenden Funktionen in der Häftlingsverwaltung und im Kampf gegen die SS, und sie erleichterte - bei einer wachsenden Macht der Kommunisten im Lager im Zweiten Weltkrieg - die Herausbildung einer rigorosen Elitenmoral. Mit dem schnellen Anwachsen der Häftlingszahlen, von denen die Mehrzahl bald nicht mehr aus Deutschland, sondern aus Polen, der Sowjetunion und vor allem aus Frankreich stammten, richteten sich die Bemühungen der kommunistischen Partei im KZ darauf, über die Grenzen der eigenen Nationalität hinweg verläßliche Stützpunkte zu entwickeln, um ein verborgenes Netz der Informationen über die Mehrheit der „anderen" - der einfachen Häftlinge, der „Kriminellen", der „Reaktionäre" der ausländischen Häftlinge, der SS und der Gestapo aufzubauen und um Formen der Kommunikation und materiellen Hilfeleistung zwischen politisch Gleichgesinnten zu organisieren. Denjenigen, die das Konzentrationslager im Zentrum oder im Dunstkreis dieser „ehrenwerten Gesellschaft" 33 - mit ihren eisernen Regeln der politischen Konspiration, der Disziplin und der Rettung von politischen Kadern (als erste Priorität aller Akte der Solidarität) innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung - überlebten, sollte sich der Merksatz einbrennen: Vergeßt niemals die Lehren des Lagers! Er ist hochgradig ambivalent zu verstehen, als Mahnung zur Dankbarkeit, als Erinnerung an die Bedingungen der Rettung (also an die kon32 33
Riegel, Konfessionsrituale, a.a.O., S. 26ff. Vgl. auch Peter Christian Ludz (Hg ): Geheime Gesellschaften, Heidelberg 1979. „Ehrenwerte Gesellschaft" ist ebenso wie „Cosa Nostra" eine (Selbst-)Bezeichnung für die Mafia oder für mafia-ähnliche Strukturen, die in ihren Anfangen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein erfolgreicher Versuch der Selbsthilfe sizilianischer Grundbesitzer waren, ihren feudalen Einfluß auf der Insel gegen eine schwache neapolitianische Regierung zu behaupten. Wer das „Schweigen" über die Mafia brach, verfiel der „Rache", d.h. der Feme. Vgl. Erhard Stoelting: Mafia als Methode, Erlangen 1983. Norman Lewis: The Honoured Society. The Sicilian Mafia observed, London 1984. Giovanni Falcone: Cose di Cosa Nostra, Milano 1993. Zur historischen Einordnung der Mafia als Regelsystem von vorsozialistischen linksstehenden „Sozialbanditen", vgl. Eric J. Hobsbawm: Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Darmstadt/Neuwied 1962, S. 50-79.
IV. 2 Überblendung, Vergessen und Andeutung
157
spirative kommunistische Gemeinschaft) und als Androhung der Feme! 34 Fememorde im Lager scheinen in den Vernehmungen, Zeugenaussagen und Stellungnahmen von Kapos und Häftlingen nur in vorsichtigen Andeutungen auf. Die Bestraiung von Verrätern und die Tatsache der Lagerfeme werden sprachlich kaschiert durch diverse Umschreibungen: Zinker, also Verräter wurden „abhängt", „ausgeschaltet", ihnen wurde eine „Abreibung" verpaßt. Von ihnen haben nur wenige das Lager überlebt, sie wurden auf „Transport" geschickt, oder man fand sie eines Tages erschlagen auf der Lagerstraße. Dabei lassen diese Andeutungen offen, ob die illegale Parteileitung zusammentrat, um als regelrechtes heimliches Femegericht die Entscheidung der Liquidierung zu treffen.35 Umgekehrt wird häufig bezeugt, daß - bei allen Möglichkeiten von Verwechslungen - die nationalen Komitees die Entscheidungen darüber trafen, wer auf keinen Fall auf die Transportlisten fur Außenkommandos oder andere Lager wie Auschwitz gesetzt, wer also gerettet werden sollte. Zu den Bedingungen der Rettung zählte nicht nur die Gemeinschaft der Kommunisten im Lager, sondern in einem zweiten Kreis auch die Allianz aus Kommunisten und Gegnern des Nationalsozialismus, die anderen politischen Parteien zuzurechnen waren. Die Machtverhältnisse innerhalb dieser „Volksfront" im Innern des Lagers, die 1944 in einer kleinen Gruppe diskutiert wurden, erscheinen jedoch nicht als gleichberechtigte Teilhaberschaft, sondern eher als eine Spielart des „Clientelismo": Da die Schlüsselpositionen der HäftlingsLagerverwaltung in den Händen der Kommunisten waren, kam den sozialdemokratischen oder bürgerlichen Kräften eher der Part von Schutzbefohlenen und persönlich Abhängigen eines kommunistischen Lager-Patriziats zu, das der SS begrenzte Machtbefugnisse abgetrotzt hatte. 36
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Pierre d'Harcourt, ein ehemaliger Buchenwaldhäftling und Katholik, der nach Fürsprache Eugen Kogons und nach persönlicher Befragung durch Willi Seifert, den Kapo der Arbeitsstatstik, von den deutschen Kommunisten als Nazigegner eingestuft wurde und das KZ in leichteren Arbeitskommandos überlebte, erinnert diesen Satz Willi Seiferts in seinem autobiografischen Text über Buchenwald, The Real Enemy, London 1967. Vgl. zu Willi Seifert, Einleitung, Kap. III. Sinnigerweise wurde eine DDR-Publikation über die Mafia in Italien und in den USA, die sich zahlreicher Neuauflagen erfreute und die im Militärverlag der DDR verlegt wurde, betitelt: Klaus Polkehn: Wer nicht schweigt muß sterben. Ein Tatsachenbericht über die Mafia, ^BerltnfOst] 1983. Im Mittelalter bezeichnete die Femegerichtsbarkeit die Bestrafung von Diebstahlsdelikten auf frischer Tat, nach Geständnis oder Augenschein (handhafte That, gichtiger Mund und blickender Schein) mit dem Tod. Vgl. Theodor Lindner: Die Feme. Geschichte der „heimlichen Gerichte" Westfalens, Paderborn 1896 [Nachdruck 1989], S. 529fF. Zur Schwarzen Reichswehr und den Fememorden in der Weimarer Republik siehe Irmela Nagel: Fememorde und Femeprozesse in der Weimarer Republik, Köln 1991. Zu diesem Thema gibt es eine eindrückliche literarische Bearbeitung: Ödön von Horvath: Sladek oder die Schwarze Armee, uraufgeführt 1929 in Berlin. Im Theaterstück jedoch erfolgt die Feme auch auf Verdacht und nicht nur auf frischer Tat. Eine weitere Spielart des Klientelsystems im Lager stellte die Konsolidierung der in ihrem Glauben im Lager verzweifelnden Basis durch kollektive materielle Privilegierungen dar, vgl. Kap. I der Einleietung. Das klassische Klientelsystem ist jedoch eher ein feudales Phänomen. Norbert Rouland: Pouvoir politique et dependance personnelle dans l'antiquite romaine, Bruxelles 1979. Antoni Maczak (Hg ): Klientelsysteme im Europa der frühen Neuzeit, München 1988.
158 IV.3
IV Erinnerungsakte
Das Zeugnis des Angeklagten
Ein nahezu unlösbarer Konflikt in den parteiinternen Vernehmungen bestand darin, daß der Vernommene/Verhörte Angeklagter und zugleich Zeuge war - Zeuge seiner eigenen Anklage. Der ambivalente Charakter der parteiinternen Untersuchungen, die einmal als Verhör erscheinen mußten, an dessen Ende der politische Tod stehen konnte, und die ein anderes Mal als „Hilfe" der Partei wahrgenommen werden sollten, wieder auf den ideologisch „richtigen" Weg zu gelangen, schufen eine Double-Bind-Situation, in der zunächst Vorsicht und Angst die Antworten des Betroffenen bestimmte. Strategien des Zeitgewinns, der unpräzisen Erinnerung und des vollständigen Vergessen waren unmittelbare Reaktionen auf die Ambivalenz der Situation. Beide Verhaltensweisen sind in den Vernehmungen Ernst Busses und Walter Bartels sehr deutlich. Zentrale Vorgänge im Konzentrationslager, an die sich viele Zeugen aus dem Umfeld der Beschuldigten mühelos und präzise erinnern, sind bei letzteren ausgeblendet. In einer zweiten Phase erwuchs das Bedürfiiis, sich zu verteidigen, das eigene Handeln zu rechtfertigen. Gleichzeitig verpflichtete seine unbedingte Parteitreue den Beschuldigten dazu, dem Gebot zu folgen, daß im Sinne der Partei alles „rückhaltlos" aufgeklärt werden müsse. In diesem Gestrüpp widerstreitender Interessen verwickelten sich die Vernommenen in Widersprüche oder zeigen emotionale Ausbrüche, die als zusätzliche Verdachtsmomente in jedem Fall gegen sie gewendet wurden. Zum hervorragenden Mittel der parteiinternen Verhöre und zur Grundlage von Parteiausschlußverfahren und Funktionsenthebungen einerseits und nachträglichen Rehabilitierungen andererseits wurden die Kaderbiografien und die Flut von (auto-)biografischen Materialien und Erinnerungen und Spitzelberichten. Wenn Genossen von der ZPKK dazu aufgefordert wurden, Einschätzungen über das eigene Verhalten und das von Mithäftlingen im KZ Buchenwald zu geben, wie zum Beispiel Walter Bartel unmittelbar nach seinem Parteiverfahren im Oktober 1953 oder ehemalige Buchenwalder Funktionshäftlinge im Februar 1954 (Dok. V.4.3), konnten aus diesem Netz von Einschätzungen und biografischen Details neuerliche Verhöre und Überprüfungen konstruiert werden. 37 Und die minimalen Varianten und Widersprüche in den Lebensläufen und Schilderungen dritter verwandelten wiederum Kaderbiografien nachträglich in Schuldbiografien. Die geforderte Offenlegung aller persönlichen Geheimnisse und die Zerstückelung und Vernichtung der individuellen Biografie sollten verhindern, daß der Vernommene/Beschuldigte Zuflucht nehmen konnte in einen letzten, nicht ausforschbaren - und damit Distanz zur Partei schaffenden - Winkel seiner individuellen Lebensgeschichte.38
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In einem Schreiben der ZPKK vom 28.10.1953 wurde Walter Bartel unmittelbar nach seiner Funktionsenthebung mit Wirkung vom 31.8.1953 zur Denunziation „aus gutem Gewissen" aufgefordert: „Werter Genösse Bartel! Wir bitten dich, uns eine Aufstellung über die Genossen zu geben, die im Lager Buchenwald Mitglied der Parteileitung waren und über die Genossen, die im Lager Funktionen hatten. Wenn es Dir noch möglich ist, eine Beurteilung zu jedem Genossen zu schreiben, wären wir Dir sehr dankbar. Mit sozialistischem Gruß [Unterschrift unleserlich], in: SAPMO-BA, ZPAIV 2/11/v. 5545, Bl. 98. Riegel, Konfessionsrituale, a.a.O., S. 22.
TV J Das Zeugnis des Angeklagten
159
Die Verwandlung von Kaderbiografien in Schuldbiografien war nur mit begrenzter Reichweite rückgängig zu machen, gänzlich war ein solcher Makel auch nach einer teilweisen und selbst nach einer vollständigen Rehabilitierung selten zu tilgen. Die Beständigkeit der Akten stand hier in einem bleiernen Gegensatz zur Unbeständigkeit der Urteile. Daher wurden von kommunistischen Funktionären beim Verfertigen der Kaderbiografien die Schuldbiografien schon mitgedacht. Wer klug und distanziert genug war, formulierte lakonisch, wie Willi Seifert^ Die KPD und spätere SED, aber auch die Massenorganisationen der SBZ und der späteren DDR forderten ihre Kandidaten und Funktionäre nach 1945 beständig dazu auf, in freier oder standardisierter Form Lebensläufe zu verfassen, Berichte und Einschätzungen über sich selbst und andere, über politische Ereignisse und Entscheidungen in „undurchsichtigen Zeiten" schriftlich festzuhalten und - wie es hieß - „vertrauensvoll" der Partei zu übereignen. Im Frühjahr 1947 wurde innerhalb der Personalpolitischen Abteilung der SED ein eigenes Referat zur Rekonstruktion der KPD-Parteigeschichte in der Illegalität zwischen 1933 und 1945 eingerichtet, das von Karl Schirdewan geleitet wurde (Dok. III.6.1-3). Aber auch die Massenorganisationen, wie zum Beispiel die VVN oder der Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands, fragten solche Berichte als Anlagen zu ihren Fragebogen ab, die immer wieder aufs Neue von den Funktionären ausgefüllt werden mußten. Darin wurden die Befragten regelmäßig dazu aufgefordert, fur die Haftzeit im KZ, fur dort erlittene Grausamkeiten durch die SS und durch Kapos, für ihr Verhalten in der Emigration und fur ihre Beteiligung oder Enthaltung an illegalen Widerstandsaktionen, Zeugen zu benennen. Diese politisch-ideologischen „Führungszeugnisse" der Kader des „neuen Deutschland" waren fur die Betroffenen als Zertifikat politischer Unbedenklichkeit nur dann einigermaßen verläßlich, wenn die Personen, die gutsagten, unangreifbar waren. Georg Wolff, der Vorsitzende der parteiinternen Untersuchungskommission gegen Emst Busse im Herbst 1946, konnte mit Grete Keilson und Walter Ulbricht prominente Kader dazu bewegen, ihm für das Amt OdF ein positives Leumundszeugnis über seine Zeit in Moskau auszustellen. Er war im Herbst 1947 aufgefordert worden, drei eidesstattliche Versicherungen beizubringen „von Bürgen, welche meine illegale Arbeit und antifaschistische Haltung bestätigen können". Walter Ulbricht, der in Moskau sein politischer Lehrer gewesen war, gab ihm diese Versicherung, in der nicht der Wortlaut, sondern der Bürge das politische Gewicht ausmachte: „Eidesstattliche Versicherung: Ich bestätige, daß Georg Wolff sich während der Hitlerherrschaft antifaschistisch betätigt hat, daß er an der illegalen Arbeit teilnahm und im Kampf gegen den Faschismus schwer verletzt wurde." 40 Und obwohl Wolff nie in der Gefahr war, den politischen Boden unter den Füßen zu verlieren, war noch aus seiner Anfrage bei Grete Keilson das Bedrohliche, das in der Möglichkeit lag, die Bürgschaft könnte verweigert werden, aus 39 40
Siehe Klaus-Georg Riegel: Kaderbiografien in marxistisch-leninistischen Virtuosengemeinschaften, in: Leviathan 22. Jg. 1 (1994) S. 17-46. Er bezeichnet Kaderbiografien als potentielle Schuldbiografien. Aufforderung des Amtes OdF und eidesstattliche Versicherungen Walter Ulbricht an Georg Wolff am 29.11.1947 und Grete Keilsons an Walter Wolff ohne Datum sind enthalten in der Kaderakte Wolffs, in: SAPMO-BA, ZPA, IV 2/11/v. 516. Offenbar reichten in diesem Falle zwei Bürgschaften aus.
160
IV
Erinnerungsakte
der Beflissenheit des Briefes herauszulesen.41 Walter Bartel bewahrte vermutlich die schützende Hand Wilhelm Piecks oder ehemaliger Moskauer Freunde davor, in der Zeit zwischen 1946 und 1950 in den Strudel der Vernehmungen und Verhaftungen Ernst Busses und Erich Reschkes zu geraten, trotz etlicher Versuche der Parteikommission der PPA und ihrer Nachfolgerin, der ZPKK, ihn wegen seines Parteiausschlusses im Jahr 1936 seiner Funktion zu entheben (Dok. V.l.2). Das Leumundszeugnis, das Wilhelm Pieck Walter Bartel am 27.7.1949 ausstellte, glich eher einem Arbeitszeugnis als einer politischen Bürgschaft. Es lautete: „Charakteristik: Walter Bartel ist mein persönlicher Mitarbeiter und in meinem Büro als Abteilungsleiter tätig. Er ist ein absolut zuverlässiger parteitreuer Genösse, sehr fleißig und umsichtig. Den größten Teil der bei mir eingehenden Post erledigt Genösse Bartel vollkommen selbständig. Durch seine marxistisch-leninistische Schulung ist er mir eine große Hilfe bei der Durchführung meiner mir obliegenden Aufgaben." 42 Erheblich, aber nicht immer ausreichend für die politische Entlastung war der Umstand, den Nationalsozialismus im „richtigen" Emigrationsland, in der Sowjetunion, überlebt (im Falle Georg Wolffs) oder in den zwanziger Jahren dort eine „Kaderschmiede" besucht zu haben, wie es fur Walter Bartel zutraf. Ein halbes Jahr später jedoch überreichte Wilhelm Pieck während einer Sitzung des Politbüros persönlich die „Unterlagen des Gen. B." an Kurt Schwotzer, einen Mitarbeiter der Kaderabteilung, „mit der Anweisung, sie der ZPKK, dem Gen.[ossen Hermann] Matern zwecks gründlicher Überprüfung zu übergeben" 4 3 Daraufhin wurde ein Parteiverfahren gegen Walter Bartel wegen seines Parteiausschlusses in der Prager Emigration in Gang gesetzt, das für ihn aber positiv endete. Er wurde 1950 noch in seiner Funktion belassen (Dok. V.l.2). Offenbar erreichte die Kraft des verbürgten guten Leumunds dort eine Grenze, wo sich eine höhere Macht in Gestalt der „Freunde" einschaltete. Als Walter Bartel im Frühjahr 1953 in den Sog des schauprozeßvorbereitenden Parteiverfahrens gegen Franz Dahlem geriet und zudem mit Geständnissen und Stellungnahmen aus dem Verfahren des Sowjetischen Militärtribunals (SMT) gegen Ernst Busse konfrontiert wurde, sollte er bald darauf seine politische Funktion als Kanzleichef bei Pieck verlieren. Er wurde aber nicht verhaftet, was fur eine Begrenzung der sowjetischen Ermittlungen gegen Buchenwalder Funktionshäftlinge nach Stalins Tod oder fur die Macht von sowjetischen Freunden oder für seine ideologische Argumentationsstärke spricht. Bartel überlebte in der (geistigen) Produktion: in den volkseigenen Betrieben der Wissenschaft und der antifaschistischen Traditionspflege. In der Regel waren solche Zeugenschaften jedoch von ganz unberechenbarem Wert. Denn eine politische Bürgschaft unter ehemaligen KZ Häftlingen und Kapos, die auf Gegen41
42 43
Ebd.: Wolff an Keilson am 7.11.1947: „Da Dir ja meine Tätigkeit und meine antifaschistische Haltung während der Hitlerjahre nicht unbekannt sind, wird es Dir nicht schwer fallen, mir so eine Erklärung einzuschicken. Ich bitte Dich, mich nicht allzu lange warten zu lassen und sende Dir heute, am 30. Jahrestag der siegreichen sozialistischen Oktoberrevolution, meine herzlichste Gratulation [sie!] und viele Grüße, Georg Wolff." Zu den biografischen Daten zu Georg Wolff und Grete Keilson, vgl. Dok. II.3, Anm. 51, 52. Eine politische Bürgschaft mochte Pieck fur Bartel offenbar nicht abgeben. Die Charakteristik ist enthalten in Walter Bartels Kaderakte: SAPMO-BA, ZPAIV 2/11/v. 5545, Bl. 144. Aktennotiz von Kurt Schwotzer vom 10.1.1950 über die Übergabe der Unterlagen Bartels, ebd., Bl. 144.
IV. 4 Schuldbiografie
und verwaltete
Fama
161
seitigkeit beruhte, überzog nachträglich alle Beteiligten - die Befragten, wie auch die Zeug e n - m i t Verdächtigungen, sobald einer der Protagonisten in ein parteiinternes Überprüfungsverfahren geriet. Und die arglose Benennung eines „falschen", weil schon inkriminierten Bürgen lenkte das Mißtrauen der prüfenden Parteiinstanz sofort gegen den Befragten. Die Tradition, über die eigene Vergangenheit gegenüber der Partei Zeugnis abzulegen, pflegte die KPD - wie die KPdSU(B) - seit den zwanziger Jahren. Die SED sammelte solche Selbstzeugnisse, soweit sie nicht den Kaderakten, den Akten der Personalpolitischen Abteilung oder der ZPKK zugeschlagen wurden, auch in Form von Nachlässen und Erinnerungsakten. Die Selbstzeugnisse von Parteifunktionären, die offiziell der Parteigeschichtsschreibung dienten, waren eine Vorstufe der parteiinternen „Kritik und Selbstkritik" nach einem ideologischen Fehltritt. Darunter fielen die sogenannten ideologischen Schwankungen, mangelnde Parteidisziplin, Anflüge von „Sektierertum" und innerparteilicher Gruppenbildung. Und sie gaben das Belastungsmaterial ab für Parteiverfahren gegen andere Genossen. Insofern sind fast alle in diesem Buch veröffentlichten Verhöre und Vernehmungen, Aussagen und Stellungnahmen der Beschuldigten und Zeugen in einer für die Beteiligten komplizierten psychologischen Situation entstanden. Es handelt sich durchweg um Äußerungen, die angesiedelt sind zwischen persönlicher Zeugenschaft, Geständnis, parteiinterner Beichte, Denunziation in der Panikstimmung des „Rette sich, wer kann" und Belastung dritter „im guten Glauben". Das revolutionäre Gewissen stand sozusagen vor der Wahrheit der Partei, aber die Wahrheit der Partei wechselte ihre Tagesparolen, und deren unberechenbare Wendungen erzeugten auch Angst. Auf diese spezifische Entstehungsbedingung der Dokumente hinzuweisen, erscheint uns besonders wichtig, weil bei der Lektüre der Texte selbst dieser Zusammenhang möglicherweise hinter den Berichten über das Konzentrationslager verschwindet.
IV.4
Schuld biografie und verwaltete Fama
Kennzeichnend für die stalinistischen Schauprozesse in osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion seit den 30er Jahren war, daß ein öffentliches Strafverfahren auf der Grundlage von abgepreßten Geständnissen und allenfalls von Indizien, aber nicht auf der Grundlage von Beweisen geführt wurde und daß das Geständnis des Angeklagten als Ritual öffentlich wiederholt wurde. Es handelte sich hierbei um moderne Inquisitionsprozesse. Den in diesem Buch veröffentlichten Dokumenten über Untersuchungen der SED gegen die roten Kapos von Buchenwald fehl zwar das Merkmal der „Öffentlichkeit". Dennoch haben wir es auch hier mit inquisitorischen Verfahren zu tun. Die Geschichte des Kirchenrechts und des kirchlichen Strafprozesses weist für den Inquisitionsprozeß als kennzeichnend aus, daß es keines privaten Anklägers bedurfte, der in eigener Verantwortung auftreten und den Pro-
162
IV
Erinnerungsakte
zeß durchfechten mußte, sondern daß die Ermittlungen in Gang gesetzt wurden durch Denunziation, vor allem aber durch das Gerücht. Im Inquisitionsprozeß lagen Anklage, Beweiserhebung und Urteilsfindung in einer Hand. Die Kommission der Inquisition hatte selbst noch den Deliktsvorgang mit allen seinen Ungewißheiten aufzuhellen, und sie war dabei zunächst auf Vermutungen, verdächtige Anzeichen und auf das Gerede der Leute verwiesen. Leitender Grundsatz des Inquisitionsprozesses war das Gerücht. Nur wenn eine „Infamatio" vorlag, konnte ein Inquisitionsprozeß überhaupt durchgeführt werden. Dies mußte in einem gesonderten Verfahren im vorhinein geprüft werden. Als Kriterien galten eine weite Verbreitung und die Glaubwürdigkeit derjenigen, die das Gerücht verbreiteten. Der Wahrheitsgehalt wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt geprüft. 44 Für die Anstrengung eines inquisitorischen Verfahrens war das Gerücht der Häresie besonders wirksam, weil der Begriff der Häresie bzw. der bloße Verdacht auf Häresie so ungenau war. Häresie konnte gedeutet werden als Gefährdung des Glaubens und Gegensatz zum Glauben, aber auch als feindliche Haltung gegen die Amtskirche, und tendentiell war eine ständige Ausweitung des Häresiebegriffs zu verzeichnen. Auf dem Höhepunkt einer Welle von Inquisitionsprozessen wurde das Gerücht, das immerhin noch eine gewisse Öffentlichkeit voraussetzte, durch den bloßen Verdacht als Voraussetzung fur ein Inquisitionsverfahren ersetzt: Die Inquisitoren konnten tätig werden auf bloße Vermutungen hin 4 5 Am Ende des Inquisitionsverfahrens stand das Autodafe: die Abschlußpredigt des Inquisitors nach Abschluß der Verhöre und Untersuchungen, in dem die Schuld oder Unschuld des Angeklagten festgestellt wurde, und der Glaubensakt, der den vom Glauben abgefallenen Häretiker mit Gewaltmaßnahmen zum Schweigen bringen sollte 4 6 Als Mittel zur Sicherung des Glaubens kam der Inquisition eine zentrale Bedeutung zu. In den internen Parteiverfahren der SED und im Vorfeld der Sammlung von belastendem Material durch die Partei wurde ein Klima der Angst und Denunziation erzeugt, in dem Gerüchte und Mutmaßungen eine eigene Dynamik entfalteten. Den Aufforderungen der ZPKK zur Denunziation wurde in der Regel bereitwillig nachgekommen, gelegentlich fanden sich auch eifrige Zeugen, die ihre eigene ideologische Wachsamkeit anonym oder unterschriftlich unter Beweis stellten, indem sie Genossen belasteten. Die belastenden Aussagen spönnen ein Gewebe von Schuldvermutungen, das sich um bestimmte Personen verdichtete und das häufig schon erkennen ließ, wer vermutlich der nächste Angeklagte sein würde. Solidarität und menschliches Mitgefühl waren in der angespannten Atmosphäre des ideologischen Eiferns, der Beflissenheit und der Angst ganz selten zu finden. Bei der Recherche und Auswahl der hier vorliegenden Dokumente stießen wir nur 44 45 46
Heinrich Flatten: Der Häresieverdacht im Codex Iuris Canonici, Amsterdam 1963, S. 52ff. Ebd., S. 3Off. Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet Autodafe die Bücherverbrennung. Die Verschiebung der Wortbedeutung kam vermutlich über das gemeinsame dritte, den „Scheiterhaufen" zustande. Gelegentlich wird auch das gesamte Inquisitionsverfahren einschließlich der Exekution des Häretikers als Autodafe bezeichnet. H.Ch. Lea: Die Inquisition, Nördlingen 1985, S. 198-200 und Hans-Georg Beck: Actus Fidei. Wege zum Autodafe, München 1987.
IV. 5 Anachronistische
163
Verfahren
auf ein einziges Zeugnis spontaner Menschlichkeit, nämlich jenem Brief, der Anna Busse in der Situation eisigen Schweigens erreichte, ein halbes Jahr nach dem spurlosen Verschwinden ihres Mannes bei den sowjetischen Organen (vgl. Dok. IV.6). Nicht erst die Funktionsenthebung oder der Parteiausschluß beförderten die Betroffenen in den politischen Tod, bereits der Schwebezustand des Parteiverfahrens, in dem sie aller Funktionen auf Zeit enthoben waren, trieb sie in die politische und soziale Isolation. In seinem Begleitbrief zur „prinzipiellen Frage" kommunistischer Politik im KZ Buchenwald schrieb Walter Bartel an Hermann Matern, daß er sich zum Zeitpunkt des Abfassens in vollkommener Einsamkeit befunden habe. Und in der dritten Befragung im Juni 1953 äußerte er, daß er, außer mit seiner Frau, mit niemandem spreche, von niemandem besucht werde und selbst keine Besuche mache. Seine im Jahr 1950 zunächst positiv entschiedene Parteiüberprüfung wird Bartel vermutlich - ähnlich wie Alexander Abusch das letztlich niedergeschlagene geheime Parteiverfahren gegen sich im Jahr 1950/51 - als Rückkehr eines Totgesagten empfunden haben. 47 Aber auch wer aus der Haft zurückkehrte, wie Erich Reschke 1955, mußte erleben, daß er unter Genossen ein Verfemter blieb. Erich Reschke beklagte sich beim Buchenwald-Komitee über das abweisende Verhalten vieler Kameraden nach seiner Rückkehr aus dem sowjetischen GULag, und er bat dringend darum, rehabilitiert zu werden, mit dem Hinweis „daß er der Alte noch sei, der er immer gewesen" (Dok. IV.9). Die Fragilität der Kaderbiografien und die allzeit drohende Fama bestätigten das Lebensgefuhl kommunistischer Funktionshäftlinge und Funktionäre, „Tote auf Urlaub" zu sein, auch fur die Nachkriegsjahre.
IV.S
Anachronistische Verfahren
Tatbestand: Ein Kleriker, der schuldhaft einen Menschen getötet hat, Strafe: soll degradiert werden (can. 2354 § 2) 48
Obwohl inzwischen die Literatur über interne Parteiuntersuchungen, geheime politische Prozesse und Schauprozesse als Akte des stalinistischen Terrors und der politischen „Säuberun-
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Manuskript der Memoiren Alexander Abuschs „Mit offenem Visier", in: SAPMO-BA, ZPA EA 1084/2 und 3. Kap. 16. Eine Einführung in das krichliche Strafrecht des Corpus Juris Canonici (CIC) gibt für die Bestrafung eines Verbrechens gegen das Leben dieses Beispiel, siehe Heribert Schauf: Einfuhrung in das kirchliche Strafrecht, Aachen 1952, S. 205. Dabei setzt das kirchliche Strafrecht voraus, daß die staatliche Justiz diese Tat schon abgeurteilt hat, bevor das kirchliche Strafrecht angewendet wird, und spricht in diesem Zusammenhang von „gemischten Verbrechen".
164
IV Erinnerungsakte
gen" in den kommunistischen Parteien stark angewachsen ist, 49 wurden selten Reflexionen über den Charakter dieser Verfahren angestellt.50 Gemessen an den westeuropäischen Traditionen des Strafrechts werden in den parteiinternen Verfahren und den Prozessen der kommunistischen Strafjustiz stets die Abwesenheit von Recht sowie die Befangenheit und Einseitigkeit der Justiz kritisch konstatiert. Letzteres war unter der Parole von der „Parteilichkeit der Justiz als Klassenjustiz" eine offen ausgesprochene Forderung der Kommunisten gewesen. 51 Die interessantere Überlegung wäre aber, welche Rückgriffe und Anleihen aus vergangenen Rechtsvorstellungen aufgenommen wurden, oder mit welchen Institutionen sich das kommunistische „Rechtsbewußtsein" und seine „Klassenjustiz" vergleichen ließe. Denn solche Traditionslinien oder Analogien könnten Aufschluß geben über die perspektivischen „Fluchtpunkte" jener Vorstellungen, die Kommunisten über die Gesellschaft in den Nachkriegsjahren hatten. Die von den Kalten Kriegern diesseits und jenseits der Demarkationslinie und spätere Grenze zur SBZ/DDR häufig gebrauchte Redewendung, bestimmte kommunistische Funktionäre seien bei der SED „in Ungnade gefallen", also aus ihren politischen Ämtern entfernt worden, verweist in polemischer oder ironischer Absicht auf eine Traditionslinie zum profanen frühmittelalterlichen Recht. Parteibeschlüsse der SED, jemanden seiner politischen Funktion zu entheben aus Gründen mangelnder „ideologischer Wachsamkeit", wie im Falle Harry Kuhns (Dok. V.3.1), oder ihn/sie aus Gründen der Sippenhaft zukünftig von bestimmten Positionen im Partei- und Staatsapparat fernzuhalten, wie im Falle Anna Busses nach der Verhaftung ihres Mannes, kann man als eine moderne Form der Ungnade betrachten. Den Parteifunktionären wurde die Huld der Partei entzogen, ähnlich wie im Mittelalter den königlichen Beamten, die in erster Linie als Träger einer besonderen königlichen Gnade betrachtet wurden. Der Entzug der Huld ist also eine Strafe fur die Beschädigung eines Treueverhältnisses. Treueverletzung als Majestätsverbrechen wurde dabei mit dem Verlust der politischen Ämter und der materiellen 49
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Siehe Karl Wilhem Fricke: Warten auf Gerechtigkeit. Kommunistische Säuberungen und Rehabilitierungen, Köln 1971. Ders.: Politik und Justitz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945-1968. Bericht und Dokumentation, Köln 1979. Georg Hermann Hodos: Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa, 1948-1954, Frankfurt am Main 1988. Wolfgang Manderthaner, Hans Schafranek, Berthold Unfried (Hg.): „Ich habe den Tod verdient." Schauprozesse und politische Verfolgung in Mittel- und Osteuropa, 19451956, Wien 1991. Karel Kaplan: Die politischen Prozesse in der Tschechoslowakei, 1948-1954, München 1986. Zuletzt Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten: Stalinistischer Terror und „Säuberungen" in den kommunistischen Parteien Europas seit den 30er Jahren, Berlin 1993. Zur Welle von Haftentlassungen und Rehabilitierungen nach dem XX. Parteitag 1956 siehe: „Zur Entlassung werden vorgeschlagen..." Wirken und Arbeitsergebnisse der Kommission des ZK zur Überprüfung von Angelegenheiten von Parteimitgliedern 1956. Dokumente. Mit einem Vorwort von Josef Gabert, Berlin 1991. Vgl. Riegel: Konfessionsrituale, a.a.O. Ders.: Inquisitionssysteme von Glaubensgemeinschaften. Die Rolle von Schuldgeständnissen in der spanischen und stalinistischen Inquisitionspraxis, in: Zeitschrift für Soziologie 3 (1987) S. 175-189. Ausformuliert wurde dies von Andrej Wischinski, der in den Schauprozessen der 1930er Jahre Generalstaatsanwalt der UdSSR war. Andrej Wischinski: Gerichtsreden, BerlinfOst] 1951. In der DDR umgesetzt wurde dieses Prinzip z.B. von der Juristin und seit 1953 Justizministerin Hilde Benjamin und dem Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer.
IV. 5 Anachronistische
Verfahren
165
Güter (Geschenke und Leihegüter) bestraft. 52 Aber anders als beim mittelalterlichen Huldentzug, wo sich der Betroffene durch Geld die Huld wieder erkaufen konnte, war für die Genossen, die über ein Parteiverfahren gefallen waren, die Heilung dieses Karrierebruchs nicht so einfach zu bewerkstelligen. Es bedurfte vielmehr anderer Beweise als der der Zahlungsfähigkeit. Die Bewährungsproben waren ideologisch-politischer Art. Die Parteiverfahren der SED enthielten, sowohl was das Vorgehen 53 wie auch den Katalog der Strafen betrifft, korrespondierende Momente zum kirchlichen Strafrecht. Darin wurde unterschieden zwischen Verbrechen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche und solche gegen das Leben, die Freiheit, das Eigentum, die Ehre und die guten Sitten. Im Katalog der Vergehen und der Verbrechen stellte der Corpus Juris Canonici (CIC) diejenigen gegen den Glauben an die Spitze. In der „Lehre von der Strafe" waren verschiedene Formen der Strafe vorgesehen, die sich in den Parteiverfahren in säkularisierter Form wiederfinden. Der Parteiausschluß mit dem Verlust aller Ämter und Funktionen ist vergleichbar mit der geheimen oder öffentlichen Exkommunikation, die den Schuldigen von der Glaubensgemeinschaft ausschloß, ihm die Weiterfuhrung kirchlicher Ämter und Funktionen untersagte sowie die materiellen Vorteile aus solchen Ämtern verbot und ihm das persönliche Klagerecht absprach. Die Verfugung der Partei, einstweilen alle Ämter und Funktionen eines verdächtigten Genossen ruhen zu lassen bis zum Abschluß des Parteiverfahren, könnte man vergleichen mit dem Interdikt. Die Funktionsenthebung, von der im Gegensatz zur Exkommunikation nur die Funktionäre betroffen sein können, wäre der Suspension, also der Dienstenthebung bei Klerikern ähnlich. Die Unterscheidung in Besserungs- und Vergeltungsstrafen ist ebenfalls aufschlußreich fur unseren Zusammenhang: Vergeltungsstrafen dienten nicht in erster Linie der Besserung des Schuldigen, sondern der Wiederherstellung oder Reinigung einer verletzten sozialen Ordnung. Sie mußten abgebüßt oder konnten aufgehoben werden, was man in unseren Zusammenhang als Bewährung in der Produktion und als Rehabilitierung übersetzen könnte. 54 Die Untersuchungen der KPD/SED muten in ihrer Struktur aber auch wie eine Mischung aus berufsständischen Ehrengerichtsverfahren und erweiterter Militärgerichtsbarkeit an. Dabei bestand für deutsche Kommunisten ein besonderes Problem darin, daß diese Verfahren geheim bleiben mußten, weil ihre NichtÖffentlichkeit garantieren sollte, daß den „Klassengegnern" in der eigenen Besatzungszone und in den Westzonen beziehungsweise der späteren Bundesrepublik „nicht in die Hände gespielt werde", wie sich Franz Dahlem ausdrückte, der 1953 selbst einer der Hauptbetroffenen der „Säuberungswelle" war. Vermutlich aus diesem Grunde waren auch die Zentralen Kaderabteilungen der SED und ihre Kontrollinstanzen in Berlin vereint, aber sektorartig getrennt: nach KPD- und SPD-Angelegenheiten innerhalb der SED und nach KPD-Angelegenheiten in Westdeutschland. Und aus diesem Grund wurden die Verfahren gegen Ernst Busse und Walter Bartel, die ja immerhin strafrechtliche Tat52 53 54
Rudolf Köstler: Huldentzug als Strafe. Eine kirchenrechtliche Untersuchung. Mit Berücksichtigung des römischen und des deutschen Rechts [Stuttgart 1910], Amsterdam 1965, S. 7, 28, 36. Siehe ebenda zum Verfahren der Inquisition, vgl. Kap. IV.4. Heinrich Flatten: Der Häresieverdacht im Codex Iuris Canonici, Amsterdam 1963, S. 88ff, 96ff, lOlff, 108ff.
166
IV Erinnerungsakte
bestände verhandelten, nie von der deutschen Justizverwaltung der SBZ oder der späteren DDR geahndet. Man kann die Parteikontrollkommissionen durchaus als berufsständische Ehrengerichte „kommunistischer Berufsrevolutionäre" verstehen, die das Fehlverhalten kommunistischer Funktionäre nach einem immaginären Katalog der kommunistischen Ehre verurteilten, der aber in den unberechenbaren politischen Zeitläuften ein Katalog der imbeständigen und schwankenden Parteibeschlüsse war. In der frühen SBZ/DDR waren die ersten Parteikommissionen der Personalpolitischen Abteilung beim ZK der SED und die seit 1948 gegründeten und in einer vertikalen Pyramide strukturierten Parteikontrollkommissionen und Zentralen (Staatlichen) Kontrollkommissionen (Z[S]KK) Ausdruck einer kommunistisch dominierten berufsständischen Rechtsvorstellung:55 Auch fur die großen Massenorganisationen, den Kulturbund, die Gesellschaft fur Deutsch-Sowjetische Freundschaft, den FDGB und fur die Blockparteien waren - sozusagen im Vorfeld der eigentlichen Justiz, aber eben auch als eigenständige Säule einer ausgedehnten und zum Teil tribunalförmig anmutenden Ehrengerichtsbarkeit - solche Kommissionen vorgesehen, die dort ad hoc einberufen wurden und deren Befragungen den Charakter von Tribunalen haben konnten. 56 Dahinter verbarg sich aber auch die ideale Vorstellung eines Korporatismus von links, einer harmonischen Gemeinschaft (nach der Klassengesellschaft), die sich in funktionalen Gruppen artikulierte.57 Für eine marxistisch-leninistische Partei von Berufsrevolutionären bestand das Vorbild für die Einheit der Partei vor allem in der militärischen Disziplin.58 Deshalb könnte man versuchsweise die Parteiverfahren und Schauprozesse der kommunistischen Parteien auch als eine Form der Militärjustiz interpretieren. Die traditionelle Militärgerichtsbarkeit bezeichnet eine Form der Sondeijustiz, die eigene Militärgerichte über Soldaten und Militärbeamte bei Verfehlungen gegen die eigene Organisation ausübten. Sie wurde 1898 aufgebaut, aber zu Beginn der Weimarer Republik als antidemokratische und in Friedenszeiten obsolete Institution der Gesellschaft aufgehoben. Die 55 56
57
58
Siehe zur Einfuhrung Peter Cornelius Mayer-Tasch: Korporativismus und Autoritarismus. Eine Studie zu Theorie und Praxis der berufsständischen Rechts- und Staatsidee, Frankfurt a.M. 1971 So zum Beispiel das Verfahren gegen Emst Bloch im Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands am 12. und 13.12.1957, das vorbereitet wurde in der Sitzung der SED-Parteigruppe des Präsidialrates des Kulturbundes vom 12.12. In der Präsidialratssitzung am folgenden Tage mußte sich Bloch zunächst rechtfertigen für seine kritische Haltung gegenüber Aufbau und Qualität des ML-Studiums an der Leipziger Universität. Bald ging es aber um seine Person als Philosoph und Hochschullehrer. Bloch wurde in ideologische Sippenhaft genommen fur ehemalige Studenten, die inzwischen in den Westen geflüchtet waren wie Gerhard Zwerenz, was ihn zu der verzweifelten Bemerkung veranlaßte: „Im Westen nennt man das Hexenjagd. [...] Ich bin keine Hexe und ich brauche keine Jagd." Beide Sitzungsprotokolle in: SAPMO-BA, KB 266, abgedruckt in: Ein Tribunal gegen Emst Bloch, Protokolle, in: Utopie kreativ (1991) Heft 15, S. 60-78. Vgl. Ralph H. Bowen: German Theories of the Corporative State, New York/London 1947, S. 218. Eine instruktive kurze Geschichte der ständisch-korporativen Ideen um 1800 findet sich bei Mayer-Tasch, Korporatismus und Autoritarismus, a.a.O., Teil B. Stand und Aufstand, S. 10-26; hier S. 13: „Die ständische Mediatisierung des Individuums impliziert nicht nur eine Revision des revolutionären Gleichheitsbegriffes, eine (wenngleich zumeist liberalisierte) Neuauflage des vorrevolutionären suum cuique, sondern vor allem auch eine entscheidende Negation des revolutionären Freiheitsbegnffs " W. I. Lenin: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, in: W. I. Lenin: Werke, Bd. 5, Berlin 1971, hg. vom IML beim ZK der KPdSU, S. 355-551, S. 536.
IV. 5 Anachronistische
Verfahren
167
Nationalsozialisten führten die Militärgerichtsbarkeit 1934 wieder ein. 59 Mit dem Gesetz vom 20.8.1946 wurde sie vom Alliierten Kontrollrat endgültig abgeschafft. 60 Wenn man der immanenten Logik folgt, die im Selbstverständnis der kommunistischen Parteien der Nachkriegsjahre liegt, der Kalte Krieg sei die Fortsetzung des Klassen- und des antifaschistischen Kampfes, dann befanden sich die kommunistischen Funktionäre weiterhin in einem ideologischen Kriegszustand - auch wenn die Bezeichnung „Parteisoldaten" nur für die Mitarbeiter der Staatssicherheit, den „Schild und Schwert der Partei" gebräuchlich war. 61 Die unzähligen Parteiverfahren der Nachkriegsjahre, die um den Vorwurf der angeblichen „Kollaboration" mit dem Gegner, der „Agententätigkeit" und des „Verrates" kreisten, wurde in diesem Sinne als eine militärische Angelegenheit betrachtet. So produzierte die KPD/SED massenhaft nichtöffentliche Dreyfuß-Affairen - zum Teil mit tödlichem Ausgang von denen nur ein Bruchteil der zu Unrecht Verurteilten jemals rehabilitiert wurde. 62 Wer jedoch die Gesellschaft nicht anders zu denken imstande war als im Kriegszustand, und wer in einem dichotomischen Freund-Feind-Schema verharrte - beides waren für ehemalige kommunistische Funktionshäftlinge durchaus bekannte „Lehren des Lagers", auch wenn sie sich in den Parteiverfahren gegen sie richteten -, der mußte die parteiinternen Prozessen eigentlich als Fortsetzung des Kriegsrechts begreifen, das in der Form der Parteiverfahren auf die Ehrengerichtsbarkeit heruntergestuft und verbrämt wurde. 63 Denn in den parteiinternen Untersuchungen wurde der „zivile Krieg" zwischen der SS und den kommunistischen Kapos, zwischen „Rot" und „Grün" als Standesdelikt verhandelt, bei dem das anonyme, nichtkommunistische Opfer keinen Fürsprecher fand. 59
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Einen kurzen Überblick über die Militärgerichtsbarkeit nach der Jahrhundertwende gibt Kurt E. von Gronow: Leitfaden für Gerichtsoffiziere, Berlin 1914. Franz W. Seidler: Die Militärgerichtsbarkeit in der deutschen Wehrmacht, 1939-1945. Rechtsprechung und Strafvollzug, München 1991. Otto P. Schwelling: Die deutsche Militäijustiz in derZeit des Nationalsozialismus, Marburg 1977. Gerhard Nehlert: Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit. Die Gesetzgebung der Besatzungsmächte insbesondere Gesetz Nr. 2 und Nr. 52 und Befehl 124 nebst Ausfuhrungsbestimmungen, Berlin 1948. In der Korrespondenz Franz Dahlems mit der Witwe Wilhelm Zaissers, Else Zaisser über Dahlems zaghafte Bemühungen der Rehabilitierung Wilhelm Zaissers und Rudolf Herrnstadts, die 1953 aus der Partei ausgeschlossen und aller Funktionen enthoben worden waren, sprach Dahlem vom Tabu der Ereignisse [Dahlem, Zaisser, Herrnstadt] im Jahr 1953: „Die Ereignisse von 1953 müssen noch in Rücksicht auf den Klassenfeind „tabu" bleiben; sie werden von mir niedergeschrieben, gehen aber dann vorerst in den Keller des IML. Was die Rehabilitierung von Wilhelm betrifft, kann ich nur bestätigen, was ich Dir vor kurzem andeutete, daß auch in M. [d.i. Moskau] die Voraussetzungen besser sind, um endlich zu einer Klärung dieser Angelegenheit zu kommen. Es ist auch möglich, daß ich in diesen Tagen mit E. [d.i. Erich Honnecker] darüber sprechen werde. Im Moment ist es so, daß wir uns vom Gegner in der Bundesrepublik nicht zur Diskussion von Problemen zwingen lassen dürfen - und er versucht in seiner verzweifelten Krisenlage, uns Probleme aufzudrängen - , die wir jetzt nicht gebrauchen können, da wir selbst genügend Probleme haben bei den Wachstumsschwierigkeiten, die wir zusätzlich durch die Weltwirtschaftskrise in Kauf nehmen müssen. Du wirst verstehen, daß deswegen manches langsamer geht, als die Betroffenen das wünschen und erhoffen, sobald ich Dir näheres sagen kann, wird das der Fall sein. Schließlich habe ich noch eine Frage: Kannst Du mir einige nähere Angaben über die Genossin Herrnstadt und die Entwicklung ihrer Kinder geben?" Aus einem Brief Franz Dahlems an Else Zaisser am 15.11.1977, in: SAPMO-BA, ZPA NL 72/181, Bl. 176. Die Affaire um die unrechtmäßige Verurteilung (1894), Degradierung und verzögerte Rehabilitierung (bis 1906) des französischen jüdischen Offiziers Alfred Dreyfuß wegen angeblicher Spionage beschäftigte die französische Öffentlichkeit außerordentlich. Zum dichotomischen Weltbild der Kommunisten siehe Antonia Gronenberg: Antifaschismus - ein deutscher Mythos, Reinbek bei Hamburg 1993.
DOKUMENTE
I
FRÜHE ZEUGNISSE NACH DER BEFREIUNG
1.1
Erste Verlautbarungen Buchenwalder Kapos am Tag der Befreiung, 11.4.19451
Erste Meldung des Lagerältesten2 Achtung! Achtung! Hier spricht der Lagerälteste! Gebt Ruhe, damit Folgendes verständlich ist. Die Kameraden der Lagerleitung in das Büro des Lagerältesten. Alles bleibt in den Blocks. Die Sperre3 bleibt bestehen. Weitere Anweisungen folgen. Dolmetscher sofort die Anweisungen übersetzen. Ich wiederhole.
SAPMO-BA, ZPA V 278/2/23, Bl. 1-4. Es handelt sich um Abschriften der ersten beiden über die Lagerlautsprecher verbreiteten Aufrufe des 1. Lagelältesten Hans Eiden*, deren erster am 11.4.1945 nach drei Uhr nachmittags gesendet wurde. Das maschinenschriftliche Original im BWA trägt die hier wiedergegebene Überschrift noch als handschriftlichen Zusatz. Um zehn Uhr morgens hatte die SS-Lagerleitung den Rückzug angetreten, um ein Uhr mittags waren die ersten amerikanischen Panzer gesichtet worden, ab zwei Uhr drangen sie auf den Lagerbereich unmittelbar vor, ab drei Uhr begannen mit ca. 120 Handfeuerwaffen bewaffnete Häftlinge das Lagertor zu besetzen und die letzten flüchtenden SS-Leute aufzuspüren - von den ca. 5000 Mann SSWachmannschaften nahmen sie 76 gefangen - , und ab vier Uhr war der letzte Widerstand von SS-Seite im Umkreis des Lagers gebrochen. Mit dem ersten Aufruf versuchte der Lagerälteste, sich gegenüber dem Freudengeschrei und Chaos, das nach dem Abzug der SS und mehreren Stunden der Ungewißheit ausgebrochen war, Gehör zu verschaffen. Der zweite Aufruf dürfte gegen Abend verbreitet worden sein. Ausweislich des Schlußsatzes ging es vor allem um die Disziplinierung der Ausländer, die mehr als neun Zehntel der Häftlinge bildeten und sich offenbar wenig um die Ordnungsaufnife der deutschen Kapos scherten. Das Internationale Lagerkomitee der Häftlinge (drei Franzosen, ein Italiener, drei Tschechen, ein Ungar, zwei Belgier, fünf Russen, ein Österreicher, ein Jugoslawe und fünf Deutsche, darunter die drei Leiter der illegalen KPD im Lager: Bartel* (zugleich Vorsitzender), Busse* und Kuhn*) hatte sich kurz vor fünf Uhr eine Viertelstunde lang getroffen, ein engeres Lagerkomitee und verschiedene Kommissionen (für Sicherheit, Verpflegung, Sanitätswesen, Bekleidung, Lagerverwaltung und Information) gebildet und richtete danach seinen ersten Aufruf an das Lager. Er ist nicht genauer datiert, dürfte aber noch am Abend der Befreiung über den Lautsprecher gegangen sein. Für Überlieferungsvarianten dieses Aufrufs vgl. Dok. 1.3. Gemeint ist wahrscheinlich sowohl die Absperrung des Lagers gegenüber der Außenwelt, vermutlich um das Entweichen von SS-Leuten und Kollaborateuren zu verhindern, als auch die von der SS wegen Seuchengefahr verhängte Sperre zwischen dem Schutzhaftlager und dem Kleinen Lager, in dessen katastrophaler Überfüllung unter neu aus den östlichen KZs eingelieferten Häftlingen keinerlei Hygiene aufrechtzuerhalten war.
172
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Zweite Meldung des Lagerältesten Achtung! Achtung! Hier spricht der Lagerälteste im Auftrage des aus allen Nationen gebildeten Lagerkommitees. 1. Die SS hat das Lager verlassen. 2. Vertreter aller Nationen haben eine Lagerleitung gebildet. Ihren Anordnungen ist unbedingte Folge zu leisten. 3. Bleibt alle in den Blocks. Haltet die Sperre aufrecht. 4. Alle Lebensmittel, alle Bekleidungsgegenstände sind Eigentum der Lagerinsassen. Wer sich daran vergreift, wird als Plünderer bestraft. 5. Alle Lagerorgane 4 bleiben auf ihrem Posten; verrichten ihre Arbeit zur Erhaltung der Ordnung und Versorgung des Lagers. Dolmetscher hört genau zu und übersetzt Satz für Satz! Erster Aufruf des Lagerkomitees [Achtung! Hier spricht Buchenwald! 5 ] Die zerschlagenen Armeen des Nazismus sind ostwärts des Ettersbergs 6 zurückgeflutet. Die feigen SS-Banditen liefen davon, als es ernst wurde. Wir grüßen die antifaschistischen Armeen der Amerikaner, der Engländer, der Franzosen als unsere Befreier. Wir grüßen die Rote Armee, welche an anderer entscheidender Front die Heere der faschistischen Barbaren zusammenschlägt. Wir, die internationalen Antifaschisten von Buchenwald, haben mitgeholfen an der Befreiung des Lagers. Ein internationales Lagerkommitee hat sich gebildet. Der Blutterror der Naziverbrecher hat sich gebrochen. Die militärische Macht der einstmaligen Häftlinge des KL. Bu. 7 sichert das Lager. Die Verbindung mit dem Abschnittskommando der alliierten Streitkräfte ist aufgenommen. Unsere Aufgaben im Augenblick sind: 1. Antifaschistische Disziplin zum Schutz des Lagers nach innen gegen Banditen und Saboteure. 2. Militärische Disziplin und Kampf zum Schutz gegen die zurückflutenden faschistischen Armeen 8 . 3. Das Lagerkommitee erblickt eine seiner Hauptaufgaben in der Sicherung der Ernährung fur das Lager. Das Abschnittskommando der alliierten Armee hat Unterstützung zugesagt. 4. Die Illegalität unter der SS-Herrschaft ist beendet. Im Lager herrscht antifaschistische Demokratie. Gemeint sind die von der SS eingesetzten Organe der sog. Selbstverwaltung des Lagers. Diese Oberschrift der Abschrift im ZPA ist wahrscheinlich nachträglich hinzugesetzt, denn sie steht oberhalb der Überschrift „Erster Aufruf..." und des Datums Vermerks. Auch aus inhaltlichen Gründen müßte es überraschen, wenn das Komitee seine Mithäftlinge mit dem Satz „Hier spricht Buchenwald!" anzusprechen versuchte. Berg nördlich Weimars, auf dessen Nordabhang das KZ Buchenwald lag. Offizielle SS-Abkürzung für das KZ Buchenwald. Gemeint ist die von den Fronten ins Innere des Landes zurückflutende deutsche Armee.
173
1.2 Protokoll des KPD-Parteiaktivs, 12. April 1945
Die internationale Solidarität aller Antifaschisten, in der Illegalität entstanden, muß sich auch jetzt in der Freiheit bewähren. Steht fester zusammen, Kameraden aller Nationen! Freiheit heißt die Parole! Antifaschistische Disziplin nach innen und außen [ist] unsere Aufgabe. Seid bereit! Der Kampf ist noch nicht zu Ende! Das internationale Lagerkomitee Buchenwald
1.2
Protokoll über die erste legale Sitzung des Parteiaktivs9 der Kommunistischen Partei Deutschlands im befreiten Konzentrationslager Buchenwald, 12.4.1945 10
Am 12. April 1945 vormittags 11.30 Uhr versammelten sich, einen Tag nach der Befreiung von 21.000 Häftlingen durch die alliierten Truppen im Zusammenwirken mit den antifaschistischen Häftlingskadern, die Funktionäre der KPD in den Räumen der ehemaligen Arbeitsstatistik zu ihrer ersten legalen Sitzung. Anwesend waren 55 Genossen aus 21 Parteibezirken. Die Sitzung wurde eröffnet von dem Gen. Walter Bartel*. Genösse Bartel gedachte in bewegten Worten aller Opfer des Faschismus und vor allem unserer im Kampf gegen die faschistischen Babaren gefallenen Genossen. Die Liste unserer Toten, so führte Gen. Bartel aus, sei zu lang, um jeden einzelnen namentlich zu verlesen. Doch wir haben keinen vergessen, und wir schwören, mit vervielfachter Kraft und Energie in ihrem Geiste weiterzukämpfen und sie zu rächen. Ihr Opfer ist nicht umsonst gewesen, dafür werden wir überlebenden Kommunisten mit unermüdlicher Entschlossenheit sorgen. Während des Totengedenkens hatten sich alle Genossen von den Plätzen erhoben und grüßten sie mit einem dreifachen Rot-Front 11 .
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„Parteiaktiv" wird hier als Funktionärsversammlung verstanden. Offenbar waren neben der Parteileitung vor allem die Kapos und die für die Parteimitglieder aus den einzelnen Regionen Verantwortlichen anwesend. In anderen Dokumenten wird der Ausdruck auch für die „aktive Mitgliedschaft" gebraucht. Insgesamt waren bei der Befreiung 796 Mitglieder der KPD im Lager Buchenwald, die 23 Parteibezirken (Länder, Provinzen und kleinere Territorialeinheiten des Reiches) zugeordnet wurden. Die von dieser Funktionärsversammlung eingesetzte Parteikontrollkommission schloß in den nächsten zwei Wochen 59 Mitglieder aus und versetzte 111 in den Kandidatenstatus; gegen 19 wurden Rügen ausgesprochen. Sie stellte damit das „Parteiaktiv" auf 626 Mitglieder fest. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/154, Bl. 195-199. (Durchschrift; das Original in HStA Weimar, KL./Hafta Buchenwald, Nr. 45). Der Verfasser dieses Protokolls, das unmittelbar nach der Niederschrift verfaßt worden zu sein scheint, ist unbekannt. Traditioneller Gruß des Rotfrontkämpferbunds, der paramilitärischen Formation der KPD am Ende der Weimarer Republik.
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1 Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Auf der Tagesordnung standen zwei Punkte. Erstens die Arbeit der Partei in der Vergangenheit und Zukunft und zweitens die Konstituierung einer neuen Parteileitung für das Lager. Zum ersten Punkt sprach Gen, Harry Kuhn *, Leipzig. Gen. Kuhn führte aus: Die Parteiorganisation im Lager machte es sich in ihrer ganzen bisherigen Arbeit zur Aufgabe, sich streng an die Beschlüsse des 7. Weltkongresses der Komintern zu halten 12 und sie entsprechend den hiesigen Gegebenheiten zu verwirklichen. Darüber hinaus waren wir bestrebt, diese Beschlüsse auch den übrigen reichsdeutschen Häftlingen in entsprechender Form zur Kenntnis zu bringen und diesselben für unseren Kampf mobil zu machen. Außerdem standen noch zehn ausländische Sektionen der KI 13 unter der Führung der deutschen Genossen. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß auch die ausländischen Genossen unter unserer Führung in ihren Sektionen und Organisationen ihre politische Arbeit auf der gleichen Linie führten. Trotz der besonderen Schwierigkeiten des KZ haben wir ein Volksfront-Komitee errichtet, das bis heute funktioniert und worin sich auch Sozialdemokraten befinden 14 . Schließlich wurde auch die Schulungsarbeit nicht vergessen. Es wurden eine Reihe von Kursen abgehalten und zwar in engstem Zusammenhang mit politischen Tagesfragen, z.B. über die Stalinische Konstitution15 u.a., ausgehend von dem Gesichtspunkt, unseren inhaftierten Genossen eine feste marxistische Grundlage zu geben, um sie für die kommenden großen Aufgaben zu wappnen. Im letzten Jahre unserer Haft hatte die Gestapo eine Reihe von Massenverhaftungen vorgenommen, wodurch zahlreiche Genossen aus Thüringen und Sachsen neu ins Lager kamen und Bericht gaben über die Lage und ihre illegale politische Arbeit. Dabei konnte
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Gemeint ist die Umorientierung des internationalen Kommunismus von der Bekämpfung der Sozialdemokratie („Sozialfaschismus") zur antifaschistischen Volksfrontpolitik 1934/35; die neue Linie wurde auf dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale in Moskau 1935 verkündet. Für Kommunistische Internationale. Der unter den Buchenwalder Kommunisten übliche Begriff „Sektionen" bezeichnet also die nationalen Gruppen der KI; in der Buchenwald-Literatur ist dieser Begriff später im Zuge einer rückblickenden Korrektur der parteikommunistischen Organisationsform im Lager in eine parteiübergreifende antifaschistische Linie so umgedeutet worden, als umfasse er parteiunspezifisch die Nationalitäten des Lagers. Offenbar wußten die kommunistischen Häftlinge auch nach der Befreiung noch nicht, daß die Komintern 1943 im Zuge der Umorientierung der sowjetischen Außenpolitik und der Vorbereitung des internationalen Kommunismus auf „nationale Befreiung" und „antifaschistisch-demokratische Blockpolitik" aufgelöst worden war. Ein deutsches Volksfrontkomitee war im Frühjahr 1944 in Buchenwald gegründet worden. Unter der Leitung des Linkssozialisten Hermann Brill* (SPD, Neu Beginnen) arbeiteten u.a. Werner Hilpert* (Zentrum), Emst Thape* (SPD) und von den Kommunisten Walter Wolf* und offenbar auch Harry Kuhn eine Sechs-PunktePlattform aus: Vernichtung des Faschismus, Wiederherstellung der Freiheit, Deutsche Volksrepublik, Beendigung des Krieges, Bestrafung der Kriegs- und Terrorverbrecher, Herbeiführung des Friedens sowie „einige wirtschaftliche und soziale Sofortmaßnahmen, insbesondere der ökonomischen und politischen Zusammenarbeit mit der UdSSR" (Brill). Solche Programmdokumente scheinen nur wenigen Häftlingen bekannt geworden zu sein und mußten während der Verhaftungswelle wegen der kommunistischen Trauerfeier fur Thälmann im Winter 1944 vernichtet werden. Als Brill nach der Befreiung von den Amerikanern mit dem Aufbau der Landesverwaltung in Thüringen betraut wurde, knüpfte er an diese Vorarbeiten an, berücksichtigte beteiligte Mithäftlinge wie Ernst Busse* (Arbeit) und Walter Wolf* (Volksbildung) bei der Kabinettsbildung und arbeitete mit einem von dem Buchenwalder Kommunisten Johannes Brumme* geleiteten „Thüringen-Ausschuß des AntiNazi-Komitees Weimar" zusammen, aus dem er einen „Thüringen-Beirat" als Allparteien-Repräsentation mit Imkern Übergewicht berief. An Buchenwalder Mithäftlingen gehörtem ihm Curt Böhme (SPD, Leiter des Personalausschusses) sowie Brumme und Richard Eyermann* (KPD) an. Gemeint ist die Verfassung der UdSSR von 1936.
1.2 Protokoll des KPD-Parteiaktivs,
12. April 1945
175
festgestellt werden, daß unter diesen Genossen linke Tendenzen bestanden, z.B. der Faschismus sei nur durch die proletarische Diktatur zu beseitigen. Die Genossen des KL. Buchenwald setzten sich sofort mit diesen Genossen auseinander und gaben ihnen, von denen ein Teil wieder in die Freiheit kam, richtungszeichnende Hinweise und Ratschläge für eine breite antifaschistische Massenarbeit. Eine weitere Aufgabe der Partei, die mit besonderer Sorgfalt und wenn nötig, sogar mit Druck erfüllt wurde, war das Verschicken bzw. Abkommandieren von guten Genossen in die Außenkommandos. Da die Außenkommandos teilweise Möglichkeiten hatten, mit der Zivilbevölkerung in Verbindung zu kommen, war es wichtig, dorthin zuverlässige und anständig auftretende Genossen zu schicken, die jeweils, wenn sie zu irgendwelchen Besorgungen ins Lager kamen, Bericht erstatteten über die Lage im Reich und ihrerseits von der Partei hier mit Informationen, Anweisungen und Aufträgen usw. bedacht wurden. Über den Kampf der Partei im KZ mit den kriminellen, asozialen und nationalistischen Elementen brauche nicht viel gesagt zu werden. Jeder von uns habe ihn miterlebt und mitgekämpft und freue sich des Sieges, den wir auch an dieser Front errungen haben. Die Partei als Organisation war, wie in der Legalität und Freiheit vor 1933, auch im Lager nach Bezirken aufgebaut, denn nur die Genossen aus den Bezirken konnten entscheiden, wer von den Neuzugängen zuverlässig sei. Im letzten halben Jahr wurde die Partei organisatorisch etwas mehr auf die Blocks verlagert, ohne jedoch die Bezirke abzubauen. Über die Mängel, Schwächen und Fehler der Partei wäre auch einiges zu sagen, doch im wesentlichen haben wir bestimmt erfolgreich gearbeitet, und ohne Mängel geht es eben nicht. Das Ziel der Organisation war immer, eine starke zentrale Führung erhalten zu können, was zwar nicht immer den Regeln der Konspirativität16 entsprach, aber gerade die Liste der 46 Mann habe gezeigt, daß die Gestapo in das Zentrum der Partei nicht hineingesehen hat. 17 In den vergangenen 14 Tagen stand die Partei vor der Frage des bewaffneten Aufstandes. Die Entwicklung der militärischen und politischen Lage zwang zu einer entscheidenden Stellungnahme. Die Taktik der Partei war es, die Maßnahmen der Faschisten zur Evakuierung des Lagers zu sabotieren und hinauszuzögern, um im entscheidenden Moment zuzuschlagen. Die deutschen Genossen des KZ Buchenwald waren jedoch allein nicht entscheidend. Es war das internationale Urteil maßgebend für die Handlungen des Lagers. Trotz einer lebhaften Diskussion über die Frage: Wann den Aufstand beginnen? haben sich die deutschen Genossen nicht iiTe machen lassen in ihrer Politik des Zeitgewinnens, des Verzögerns der Evakuierung. Die
Die kommunistischen Regeln konspirativer Arbeit des illegalen Parteiapparats sahen vor, daß immer nur drei bis fünf Personen zusammenarbeiten und über ihre Funktionen und Aufträge unterrichtet sein sollten. Es handelt sich um eine Liste von 46 Häftlingen (32 Deutsche, 5 Holländer, 4 Tschechen, 3 Österreicher und 2 Polen), die sich am 6.4.1945 bei der SS melden sollten und von denen vermutet wurde, daß sie noch kurz vor dem Ende des KZ ermordet werden sollten (vgl. die Namensliste in: Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, 4. Aufl. Berlin (DDR) 1983, S. 490 f.). Sie wurden im Lager versteckt. Auf dieser Proskriptionsliste waren viele der kommunistischen Funktionshäftlinge wie Ernst Busse, Emil Carlebach*, Hein Hauptmann*, Otto Kipp*, Willi Seifert* und Robert Siewert*, aber auch einige nichtkommunistische Funktionshäftlinge wie Arthur Dietzsch* oder Eugen Kogon* enthalten, nicht aber Walter Bartel und Harry Kuhn, die mit Busse zusammen die Parteileitung der KPD bildeten.
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l Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Gegner dieser Politik mußten sich gerade in den letzten Tagen davon überzeugen, daß die deutsche Sektion richtig gehandelt hat. Der Erfolg ist gekommen, wir sind frei! Leider konnte der Abtransport der sowjetrussischen Kriegsgefangenen nicht mehr verhindert werden. Wir hoffen jedoch, daß sie sich ebenfalls mit Hilfe der alliierten Truppen befreien konnten. Unsere heutige zentrale Aufgabe im Lager ist es, allen Genossen zu sagen, daß der Kampf noch nicht zu Ende ist, die Faschisten [sie!] 18 müssen erst ausgerottet werden und dann stehen gerade vor uns Kommunisten des zusammengebrochenen und verwüsteten Deutschlands große, gewaltige Aufgaben politischer und wirtschaftlicher Art. Darauf gilt es sich nun einzustellen und vorzubereiten. Die Zusammenarbeit der Parteileitung mit dem früheren Lagerältesten und jetzigen Lagerkommandanten Hans Eiden*19 habe sich gut eingespielt. Es gibt heute kein Lagerorgan mehr, vom Kommandanten bis zum letzten Feuerwehrmann, das nicht nach den Anweisungen der Partei arbeitet. Alle Parteigenossen müssen sich rückhaltlos hinter die Anordnungen der Lagerorgane stellen und für deren Verwirklichung sorgen. Wir brauchen heute höchste Disziplin unter allen Umständen, denn kriminelle und asoziale Elemente, die sich noch hier befinden, versuchen durch Plünderungen und Diebstähle die geschaffene, neue antifaschistische Lagerordnung zu stören. Über die Ereignisse am Tage unserer Befreiung, am 11. April 1945, sei zu sagen, daß es zunächst noch etwas durcheinander ging, dann aber, nach kurzer Zeit, als unsere militärischen Kader in Aktionen traten, wurde der Lagerbereich von wild sich bewaffnenden und versorgenden Elementen gesäubert und die notwendige Ordnung geschaffen. 20 Bewaffnete Genossen aller Nationalitäten bildeten sofort eine Sicherheitskette im Umkreis von 2 km und besetzten die Türme. Das Gelände wurde auch vom Feind gesäubert, verschiedene bewaffnete SS-Leute und Soldaten entwaffnet und ins Lager gebracht. Nun gelte es, vor allem Ordnung und Disziplin zu halten und in Ruhe, ohne die Nerven zu verlieren, die Probleme zu meistern, die noch vor uns stehen. Die Lebensmittelversorgung Die gebräuchliche antifaschistische und auch kommunistische Formel lautete, daß „der Faschismus" ausgerottet werden müsse. Eiden war am Vortag auf der ersten Sitzung des Internationalen Lagerkomitees zum Kommandanten des befreiten Lagers proklamiert worden. Die Bewaffnung der kommunistischen Kader hatte also zumindest auch, wenn nicht den primären Zweck, während der kritischen Phase des Abzugs der SS die Ordnung gegen Übergriffe nicht nur der SS, sondern auch von Mithäftlingen und gegen das sich im Zuge der Befreiung ausbreitende Chaos aufrechtzuerhalten. Die Hauptsorge der KPD-Führung im Lager galt jetzt der Verhinderung eines Rachefeldzuges der ausländischen Häftlinge. So beschwor Walter Bartel in einer „Sitzung der Vertreter der KP-Sektionen Buchenwalds am 19.4.1945" seine internationalen Genossen: „Die Geschlossenheit und die Einheitlichkeit des Lagers ist einzig und allein der [sie!] Verdienst der Arbeit unserer Partei. Wir fuhren die Massen, und sie stehen mit wenigen Ausnahmen hinter uns. Die Versuche einzelner Elemente, die geschlossene Front zu stören und zu sprengen, müssen auf eisige Ablehnung stoßen. Wir haben die Reaktionen im Lager als reaktionäre und faschistische behandelt. Jetzt versuchen sie, sich zu rächen. [...] Wir dürfen aber nicht dulden, daß die Fehler einzelner ausgenutzt werden zu einer antideutschen Hetze. Die deutschen Hasser [sie! gemeint ist: Deutschenhasser] von heute werden sich schnell in ihrer Heimat als frisch gebackene Faschisten entpuppen. Manche brauchen sich dabei gar nicht zu verändern. Sie haben nur zeitweilig eine andere Sprache gefuhrt, im Grunde genommen waren sie stets Faschisten. Wir müssen erreichen, daß die antifaschistischen Gruppen im Lager geschlossen bleiben bis zu seiner restlosen Auflösung." (ZPAI 2/3/154 Bl. 200 f.)
1.2 Protokoll des KPD-Parteiaktivs, 12. April 1945
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des Lagers sei nicht gerade günstig, ebenso stehe es mit dem Wasser. Doch seien bereits Maßnahmen zu Requi[ri]erungen eingeleitet und von amerikanischen und französischen Offizieren Requi[ri]erungsscheine ausgestellt worden. 21 Weitere Maßnahmen folgen. Es werde von unserer Seite aus nichts unversucht gelassen, um das Lager geordnet weiterzufuhren. Schließlich haben wir noch die Aufgabe, die Parteikader noch näher an den Parteikern heranzufuhren. Im Lager befindet sich ein Kader von guten, alten Parteigenossen, die durch die harte Schule des KZ nur noch härter und entschlossener geworden sind, und welche die Partei noch sehr notwendig wird brauchen können. Wie schon gesagt, der Kampf sei noch nicht zu Ende und unsere Aufgaben gewaltig. Das Gespenst einer Auseinandersetzung zwischen der SU und den Westmächten zeige sich bereits, und vielleicht wird sich das deutsche Proletariat schon bald vor eine ähnliche Lage gestellt sehen wie das griechische 22 . Die Bedeutung des Deutschen Nationalkomitees 23 in den nächsten Monaten wird eine sehr große sein, und wir haben die Aufgabe, die ganzen antifaschistischen Massen um unser NK [Nationalkommitee] zu scharen. Jeder einzelne Parteigenosse im Lager müsse daher herangenommen werden, die ganze Kraft der Partei konzentriere sich wieder mehr auf die Bezirke, in jedem Block bleibe jedoch ein politischer Leiter, und die Blockarbeit werde ebenfalls weitergeführt. Wir wollen die uns hier noch verbleibende Zeit also intensiv dazu benützen, um uns fur die kommenden Aufgaben in unseren Heimatbezirken vorzubereiten, und wir können zweifelsohne der Partei einen Kader von guten Kommunisten aus der Haft mit nach Hause bringen, die nicht nur die Härten und Leiden des KZ ohne Murren ausgehalten und im Lager mutig gekämpft haben, sondern die auch mit altem Elan und neuer Härte an die kommenden Aufgaben herangehen werden, einen Kader, auf den sich die KPD unbedingt verlassen kann. Zur Diskussion meldete sich als erster der Genösse Robert Siebert [Siewert]*, Thüringen. Gen. Siewert nahm Bezug auf die Ereignisse der ersten Sunden unserer Befreiung, verurteilte die wahllose Bewaffnung, was sich ja inzwischen in geordnete Bahnen gelenkt hat.
Gemeint sind: Beschlagnahmungen von Lebensmittelvorräten außerhalb des Lagers. Gemeint ist der Bürgerkrieg in Griechenland seit 1944, wo sich kommunistisch geleitete Partisanenrepubliken im Gebirge nach dem Abzug der Deutschen gegen die Briten und die Restauration der Monarchie wandten. Anspielung auf das „Nationalkomitee Freies Deutschland", das 1943 unter Leitung von emigrierten Kommunisten unter deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gegründet worden war und von dessen Existenz man in Buchenwald u.a. durch das Abhören von Rundfunksendern wußte. Unbekannt war hier freilich, daß die Sowjetunion und die KPD-Exilfuhrung das NKFD nur als Instrument zur Aufweichung der deutschen Front sahen und sich gerade angesichts des bevorstehenden militärischen Sieges von dieser Linie zugunsten einer Unterordnung unter die Besatzungsverwaltung abwandten. Nach der Information Nr. 14 des Buchenwalder KPDSekretariats v. 26.4.1945 (BWA 77 2-34) sah man hier die Losung vom NKFD als „Mittelpunkt unserer antifaschistischen Massenarbeit" und als „Kristallisationspunkt, um den sich alle antifaschistischen Kräfte Deutschlands sammeln müssen. [...] Die Partei muß der Motor und ideologische Träger dieses Kampfes sein." Die an vielen Orten sich gründenden Antifa-Ausschüsse, die z.T. wie in Leipzig (aus ähnlichen Gründen wie in Buchenwald) sich NKFD nannten, wurden als Beweis der Breite dieser Massenbewegung angeführt und die Buchenwalder Kommunisten dazu verpflichtet, nach der Rückkehr in ihre Heimatorte dort entsprechende örtliche NKFD zu gründen. Zum Zusammenhang vgl. Lutz Niethammer, Ulrich Borsdorf, Peter Brandt (Hg ): Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976, dort weitere Literatur.
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I Frühe Zeugnisse nach der
Befeiung
Außerdem tauche die Frage auf, ob man Plünderer bestrafen dürfe. Plünderer sind unsere Feinde und müssen, nach Siewerts Meinung, unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden. Gen. Siewert empfahl, nicht jedem zu erzählen, daß alle Organe [der Lagerverwaltung] nach den Anweisungen der [deutschen kommunistischen] Partei arbeiten. Die maßgebende Instanz fur die Lageröffentlichkeit ist das internationale Komitee. Zur Frage, wann die einzelnen Genossen nach Hause fahren können, erklärte Gen. Siewert, daß dies noch nicht spruchreif sei und die Entscheidung darüber in jedem Falle die Partei [falle]. Gen. [Georg] Kraus [Krausz]* machte eine Reihe von konkreten Vorschlägen, wie die Schaffung von Wandzeitungen in den Blocks, einer Lagerzeitung, Einfuhrung von Lautsprecherstunden in allen notwendigen Sprachen, Bildung von Volksfrontkomitees der einzelnen Bezirke, alle reichsdeutschen Kameraden auf bestimmte Blocks zusammenzufassen, Agitpropveranstaltungen unverzüglich zu beginnen, bezirksweise oder zentrale Schulungskurse durchzuführen. Ferner schlug Gen. Krausz vor, die Genossen, deren Bezirke schon befreit sind, so schnell wie möglich zur politischen Arbeit nach Hause zu schicken, denn die Partei müsse dort sofort wieder aufgebaut, die Redaktionen besetzt, Verwaltungsämter übernommen und die Zusammenarbeit mit den Alliierten begonnen werden. Schließlich machte Gen. Krausz noch den Vorschlag, eine Internationale Brigade Buchenwald aufzustellen und sie den alliierten Militärbehörden zur Verfugung zu stellen, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, eine bewaffnete Formation zur Hand zu haben. Gen. [Franz] Dobermann*, Thüringen, wandte sich gegen die Zusammenlegung der Reichsdeutschen auf eigene Blocks, das Zusammenleben mit den ausländischen Kameraden auf den Blocks habe sich bewährt und die Ausländer selbst wünschten nicht, von uns getrennt zu werden. Gen. Harry [Kuhn] erwiderte, auf die Diskussion eingehend, daß die Heimreise der Genossen natürlich nur die Partei bestimme. Die Verwirklichung der anderen Vorschläge hänge nicht zuletzt davon ab, was uns die alliierten Militärbehörden nach der Übernahme des Lagers zu sagen haben 24 . Das Zusammenleben mit den Ausländern sei eine sehr gute Schule, um international denken und zusammenarbeiten zu lernen. Die Partei hat mehrmals versucht, Instrukteure wegzusenden. Diese Versuche sind teilweise mißglückt; wie sich das in Zukunft gestalten würde, hängt natürlich auch von den Alliierten mit ab. Bezüglich der Int. [ernationalen] Brigade werde mit den übrigen Sektionen verhandelt. Lautsprecherstunden werden ab heute durchgeführt. Gen. Walter Bartel erklärte zum Schluß, daß die ersten 24 Stunden natürlich noch nicht alles bringen können. Heute nachmittag komme bereits ein internationales] Rundfunkprogramm heraus, die Bekanntmachungen des Int. [ernationalen] Komitees werden in den Blocks angeschlagen, Wandzeitungen werden erscheinen, jeder Bezirk muß sich eine Anlaufstelle schaffen, wo jeder seine Angelegenheiten erledigen kann, und im Laufe der nächsten Tage werden die brennenden Fragen systematisch gelöst werden. Vor allem gelte es immer noch, D.h., daß die Häftlinge unter dem Befehl der Alliierten standen, die sich die Entlassung aus dem Lager erst nach einer Überprüfung, die oft viele Wochen dauern sollte, vorbehielten.
12 Protokoll des KPD-Parteiaktivs, 12. April 1945
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die Gesetze der Konspirativität zu beachten, denn die Nazis seien noch nicht erledigt, und wo sie erledigt sind, da kämpfen noch die Wehrwölfe 25 . Zwischenruf: Die Wehrwölfe kämpfen nicht, die heulen! Zum zweiten Punkt der Tagesordnung: Wahl einer neuen Parteileitung, meldete sich Gen. Siewert und schlug die alten Genossen vor. Gen. August Groel*, Frankfurt a/M. erklärte, daß die Genossen, die während der Illegalität sich bewährt haben, erst recht in der Legalität das Vertrauen der Partei verdienen, und deshalb schlage er vor, zwei Genossen neu in die Parteileitung zu nehmen, nämlich den Gen. Hans Eiden, der durch seine Tätigkeit, Kühnheit und Entschlossenheit in den letzten kritischen Tagen des Lagers sich besonders bewährt habe, ebenso den Gen. Rothe [Otto Roth], der als militärischer Leiter ebenfalls sich ausgezeichnet habe, in die Parteiführung zu wählen. Andere Vorschläge wurden nicht gemacht. Die beiden neuen Genossen, sowie die bisherigen Leiter der Partei, Gen. Walter Bartel, Harry Kuhn und Emst Busse, wurden einstimmig gewählt. Als provisorisches Parteizentrum wurde das Geschäftszimmer bzw. das frühere Arztzimmer im Revier benannt, wo Ernst Busse fungieren wird. Am 13. April abends 7 Uhr wird im Kino des Lagers eine allgemeine Parteiversammlung (Mitgliederversammlung) stattfinden, zu welcher die Bezirke geschlossen anrücken werden. Walter B.[artel] wies daraufhin, daß wir nur jene Genossen sehen wollen, die sich nicht feige herumgedrückt haben und jetzt, wo alles vorbei ist, sich wieder dessen erinnern, daß sie auch mal bei der Partei waren. Tagesordnung der Mitglieder-Versammlung: Bericht zur Lage. Ran an die Parteiarbeit, vorwärts zum endgültigen Sieg mit der Partei, fur die deutsche Arbeiterklasse, fur das deutsche Volk ! Mit diesen Worten und einem dreifachen Rot-Front Schloß Gen. Bartel die in einmütiger Geschlossenheit verlaufene erste legale Sitzung des Aktivs der KPD im Konzentrationslager Buchenwald.
Anspielung auf meist jugendliche Mitglieder der als Guerilla-Truppe gegen die Alliierten und deutsche Kollaborateure gedachten NS-Kampagne „Wehrwolf'.
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1.3
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Egon W. Fleck (Civ. und 1. Lt.) und Edward A. Tenenbaum (Abt. für Psychologische Kriegführung der 12. US-Armeegruppe). „Buchenwald. Ein vorläufiger Bericht", 24.4.194526
Vorbemerkung von Alired Toombs 27 „Dieser Bericht unterliegt einer besonderen Verteilung, da die vorläufige Auswertung deutlich macht, daß es einer der wichtigsten Berichte ist, die zum Leben in Nazi-Deutschland geschrieben worden sind. / Es ist nicht einfach ein weiterer Bericht über ein Konzentrationslager. Er beschäftigt sich nicht ausschließlich mit den Schrecken des Lebens in Buchenwald, und auch nicht mit den Brutalitäten der unmenschlichen Nazis. Es ist die Geschichte von Rädern im Getriebe. Der Bericht schildert, wie die Häftlinge selbst einen tödlichen Terror innerhalb des Nazi-Terrors organisierten. / Der Bericht ist offensichtlich kontrovers. Es ist in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen, jede Einzelheit nachzuprüfen und abzuwägen. Aber unabhängige Untersuchungen fuhren zu der vorläufigen Schlußfolgerung, daß die Ausgangsstory akzeptiert werden kann. Eine sich später anschließende Untersuchung und Befragung kann zu einer Änderung dieses Bildes fuhren - auf die eine oder andere Weise. Aber eins ist sicher. Es wird eine weitere Untersuchung der Leute dieses und aller anderen Konzentrationslager geben. Weil der Bericht deutlich werden läßt, daß bei unserer Suche nach den anständigen demokratischen Elementen, denen wir in Deutschland vertrauen können, wir nicht nur auf das Äußere hin ALL die Menschen akzeptieren können, die sich den Nazis und dem Faschismus widersetzt haben und dafür inhaftiert wurden."
National Archives, Record Group 331 „Records of Alliied Operational and Occupation Headquarters, WWII", G-5/2711/7.21, Bl. 47.618-635. Die hier wiedergegebene Übersetzung folgt im ganzen einer sehr rohen und teilweise tendenziösen Übertragung eines unbekannten Übersetzers in BWA 76-7-17, die für diese Ausgabe vom Hg. mit dem Original verglichen und eingehend überarbeitet wurde. Zwei Schlußabschnitte über Außenlager und ein Anhang sind nicht aufgenommen worden. Egon W. Fleck ist mit jungen Jahren 1938 aus Wien emigriert; der PWD-Untersuchungsgruppe, die durch Befragungen im Feindesland realistische Nachrichten für die psychologische Kriegsführung und nach dem Sieg für die Informationskontrolle in Deutschland erschließen konnte, gehörte er als ziviler Spezialist an. Er hat 1945 noch an einem weiteren Untersuchungsbericht teilgenommen, der für erhebliches Aufsehen in den höheren Stäben der US-Armee sorgte, nämlich über die klerikale Reaktion in Bayern, wobei sich die Autoren wesentlich auf Informationen und Sichtweise der Münchner Linken stützten; dieser Bericht trug im September zum Sturz der bayerischen Regierung Fritz Schäffers bei. Darüber berichtet Flecks damaliger Koautor Arthur D. Kahn: Offiziere, Kardinäle und Konzerne. Ein Amerikaner sieht Deutschland (mit einem Vorwort von Stefan Heymann*), Berlin (DDR) 1963, S. 94 ff.; Edward Adam Tenenbaum (geb. 1921) war wohl direkt vom Studium weg zu PWD gekommen; noch drei Jahre vorher hatte er in Yale einen „undergraduate essay prize" für seine Arbeit „National socialism vs. international capitalism" (New Haven/London 1942) bekommen. Später hat er als Ökonom die amerikanische Entwicklungspolitik beraten und Anfang der 60er Jahre eine Reihe analytischer Studien zur Wirtschaftspolitik in Taiwan, Tanganjika, British Guyana und Bolivien veröffentlicht. Dem ursprünglich vertraulich klassifizierten Dokument ist diese Vorbemerkung des Chief of Intelligence Alfred Toombs (Headquarters 12th Army Group, Publicity & Psychological Warfare) vorangestellt.
1.3 Der amerikanische
A.
Bericht über Buchenwald, 24. April 1945
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Einführung
1. Die volle Wahrheit über Buchenwald wird niemals bekannt werden. Um sich ihr auch nur anzunähern, wäre ein großer Vernehmungsstab ebenso notwendig, wie Mittel und Wege, um die Zeugen zu schützen. Der Ausdruck von Terror in den Augen der Häftlinge, wenn bestimmte Fragen gestellt wurden, ist den Autoren dieses Berichts nicht verborgen geblieben. Namen von Informanten werden in diesem Bericht nicht genannt. Sie sind noch in Buchenwald und wären zweifellos in größter Gefahr, wenn das, was sie hier gesagt haben, dort bekannt würde. Die wichtigsten Informanten sind zwei alliierte Geheimdienstagenten, die von den Deutschen gefaßt worden sind. 28 2. Die Autoren erfuhren zum ersten Mal von der Befreiung Buchenwalds, als sie mit einer amerikanischen Kolonne eine Waldstraße entlangfuhren. Als sie in eine Hauptstraße einbogen, sahen sie Tausende zerlumpter, hungrig aussehender Männer, die in ordentlicher Formation marschierten, und zwar marschierten sie nach Osten. Diese Männer waren bewaffnet, und sie wurden von Führern begleitet. Einige Abteilungen trugen deutsche Gewehre. Andere hatten auf ihren Schultern Panzerfäuste29. Einige andere trugen Handgranaten, die sogenannten „Kartoffelquetschen". Sie lachten und gestikulierten wild beim Gehen. Oder ihre Hauptleute salutierten würdig fur sie. Sie gehörten den unterschiedlichsten Nationalitäten an, eine Gruppe bestand aus Franzosen, gefolgt von einer Abteilung Spanier, Einheiten von Russen, Polen, Juden, Niederländern und gemischte Abteilungen. Einige trugen gestreifte Häftlingskleidung, andere heruntergekommene Uniformen der Vereinten Nationen 30 und wieder andere Fetzen ziviler Kleidungsstücke. Sie alle waren Häftlinge aus Buchenwald, die in den Krieg zogen, während sie von Panzern mit 25 Meilen in der Stunde überholt wurden. 3. Von einem Panzerleutnant wurden sie angewiesen, in das Lager zurückzukehren. Sie leisteten dem Befehl Folge, wenn auch viele enttäuscht schienen. Sie wollten wissen, wo die Deutschen sind. Sie wollten töten. Auch wir kehrten nach Buchenwald zurück, das dicht an der Hauptstraße lag. An den Toren des Lagers waren Wachposten. Im Lager gab es einen Lagerkommandanten, einen deutschen Häftling. Im Lager gab es 21.000 Überlebende, die beim Anblick einer amerikanischen Uniform zu jubeln begannen, herankamen, um Hände zu schütteln und wertvolle Femgläser aus ihren Häftlingswerkstätten den vorübermarschierenden Truppen zuwarfen. Doch im Lager herrschte Ordnung. Mahlzeiten wurden ausgegeben. Bewaffnete Wachen - Häftlinge - patrouillierten auf dem Lagergelände, und wild erregte Menschengruppen wurden auf ein bloßes Wort der Autoritätspersonen hin still.
Dieser Bericht hebt sich von einer Reihe weiterer Inspektionsberichte Buchenwalds vom April bis Juni 1945 in diesem Bestand ab, die z.T. sich auf medizinisch-technische Fragen konzentrieren und z.T. nur das Grauen des optischen Eindrucks und die - in der Sache vielfach unrichtigen - Angaben eines prominenten französischen Kurzzeithäftlings wiedergeben, so vor allem der im alliierten Hauptquartier vielfach verbreitete Bericht „Inspektion des deutschen Konzentrationslagers fur politische Häftlinge in Buchenwald auf der Nordseite von Weimar" von Brigadegeneral Eric F. Wood u.a. v. 25.4.1945 (ebenda, Bl. 47.614 ff.). Im Original deutsch. Gemeint sind Uniformen alliierter Militärverbände, also Kriegsgefangene.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
4. An diesem Abend besuchten wir eine Versammlung der Lagerleitung und des Rates. Dann wurden wir im Block 50 untergebracht, dem Typhus-Versuchslabor, wo die Opfer von Typhus-Injektionen bis zu ihrem Tode unter Beobachtung gehalten wurden. Am Morgen wurden wir von einer Blaskapelle geweckt, die uns so lange ein Ständchen spielte, bis wir an den Fenstern erschienen, um von mehreren tausend Häftlingen freundlich umjubelt zu werden. Später nahmen wir an einem riesigen Aufmarsch eines Teiles der Lagerinsassen teil und begrüßten sie über einen Lautsprecher. Es war eine ungeheure Erfahrung, die man nur schwer vergessen kann, ebensowenig wie das Lagerkrematorium, die frischen Leichen und die „lebenden Toten" des sogenannten „Kleinen Lagers". Es war die Wiedergeburt der Menschlichkeit in einer bestialischen Umgebung. 5. Die drängendsten Probleme Buchenwalds waren Nahrungsmittel und Medikamente. Als die amerikanischen Truppen einmarschierten, hatte es seit drei Tagen kein Brot gegeben. Die Nazis hatten den größten Teil der Nahrungsmittel beseitigt, bevor sie das Lager verließen. Die normalen Lieferquellen werden von einem Insassen, der ein Auto fährt und schon über einen Paß der Militärregierung verfugt, überprüft. Aber diese reichen nicht aus. Fünf- oder sechstausend der Überlebenden sind schwerkrank. Ruhr, Typhus und Ödeme sind die häufigsten Krankheiten. Medikamente gibt es nur sehr wenige. B.
Evakuierung
1. Daß es noch 21.000 Überlebende Buchenwalds gab, übertraf die Hoffnungen der meisten. Man hatte angenommen, daß die SS alles tun würde, um die Spuren ihrer Tätigkeit zu beseitigen. Die Nazis konnten mehr als die Hälfte der Buchenwald-Häftlinge evakuieren. Daß es ihnen nicht gelang, das ganze Lager zu evakuieren, ist teilweise auf den überraschenden Vorstoß der 4. Panzerdivision zurückzufuhren, teilweise auf ein kompliziertes Widerstandsmuster im Lager und auch ein Zögern innerhalb der SS-Organisation selbst. Das gesamte Lager sollte am 11. April evakuiert werden, an dem Tag, an dem die amerikanischen Truppen eintrafen. Die letzte Mahlzeit im Lager war auf 8.00 Uhr morgens festgesetzt worden. An den vorangegangenen Tagen waren die folgenden Evakuierungen vorgenommen worden: 3. April 5. April 6.-10. April
1.500 verschiedene Häftlinge nach Theresienstadt 3.105 Juden, Ziel unbekannt Insgesamt 22.080, einschließlich 1.800 Russen mit Kriegsgefangenenstatus, die am 10. April evakuiert wurden. Vermutliches Ziel Dachau und Flossenbürg.
2. Die Evakuierungskolonnen marschierten zu Fuß, begleitet von SS-Wachen. Die Marschrouten führten nach Osten, in die Nähe von Leipzig. Eine Kolonne von 5.000 Häftlingen, die auf der Hauptstraße von Jena nach Osten marschierte, hinterließ eine eindeutige Spur von weggeworfenen Kleidungsstücken. Amerikanische Kampfflugzeuge überflogen diese Kolonnen, aber nahmen sie nicht unter Beschüß. Einigen Häftlingen gelang es, auf dem Marsch zu entfliehen, und sie schlugen sich durch die Wälder östlich von Jena.
1.3 Der amerikanische Bericht über Buchenwald, 24. April 1945
183
3. Am 2. April hielt der SS-Kommandant Pister31 eine Versammlung der deutschen Polizeivertrauensleute des Lagers ab und kündigte an, daß er die Insassen nicht evakuieren wolle, außer wenn er anderslautende Befehle erhalten würde. Er beabsichtige zu bleiben und das Lager den Amerikanern zu übergeben. Am folgenden Tag erließ er jedoch einen Befehl, daß alle Juden auszusondern und für den Abtransport vorzubereiten seien. Einige Juden meldeten sich freiwillig. Der Rest, der wußte, daß die Transporte wahrscheinlich in den Tod fuhren würden, versteckte sich einfach in den Baracken. Zur gleichen Zeit begann die kommunistische Gruppe im Lager, eine allgemeine Meuterei zu planen. Zu ihrer Verfugung standen ungefähr drei Maschinengewehre, fünfzig Gewehre und eine Reihe von Handgranaten, die alle den Wachen gestohlen und mehrere Jahre lang im Lager versteckt worden waren. Das war jedoch vollständig ungenügend, um eine offene Revolte aufrechtzuerhalten. Die regulären Wachen der SS-Totenkopfverbände im Lager betrugen 1.700 Mann. Dazu kamen Verstärkungen von 4.300 normalen SS-Mannschaften aus Weimar, um das Waldgebiet um das Lager in den letzten Tagen zu verteidigen. Trotzdem waren sie [die Kommunisten] in der Lage, bestimmte Sabotagemaßnahmen zu unternehmen. Sie gaben die Parole aus, daß sich alle Häftlinge der Evakuierung widersetzen sollten und daß sie von der Organisation der Vertrauensleute32 unterstützt würden. Da sich ein Großteil der inneren Polizei des Lagers 33 in den Händen der kommunistischen Vertrauensleute befand, war es der SS fast unmöglich, bestimmte Einzelpersonen herauszufinden. 4. Am nächsten Tag (3. April) wurden die Juden angewiesen, bei einem Lagerappell wegzutreten und zu den zertrümmerten Gebäuden der Fabrik im Lager zu gehen (sie war bei einem Luftangriff im Jahre 1944 zerstört worden, wobei aber keine der in der Nähe gelegenen Unterkünfte beschädigt worden war). Einige gingen dorthin, konnten aber später den SSWachen entkommen. Die letzteren verfolgten sie nur halbherzig und erschossen nur eine Handvoll. In der Nacht jedoch gelang es der SS, ihre Hand auf 3 bis 4.000 der 6.000 Juden im Lager zu legen. Es wurde auch im Lager bekannt, daß 46 Männer auf einer besonderen Liste zur sofortigen Exekution standen. Auf der Liste standen der Lagerälteste Nr. 1 (oberster Vertrauensmann 34 ), verschiedene andere prominente kommunistische Vertrauensleute, einige Franzosen und andere. Alle 46 wurden gewarnt und versteckten sich. Die Liste verschwand aus dem Lagerbüro. Die Männer wurden nicht gefunden, da die Suche nur vom Lagerschütz^ durchgeführt wurde.
Hermann Pister, SS-Oberführer, 1942-45 Kommandant des KZ Buchenwald. 1947 im Buchenwald-Prozeß in Dachau zum Tode verurteilt; 1948 kurz vor der Hinrichtung in Landsberg in der Haft verstorben. Im Original „trustee organization". Dieser im folgenden durchgehaltene Sprachgebrauch läßt offen, ob es sich um Treuhänder oder Vertrauensleute der SS-Lagerleitung oder der Häftlinge handelt. Gemeint ist die sog. Selbstverwaltung des Lagers, also die Funktionshäftlinge. Gemeint ist der Lagerschutz. Im Original „camp elder No. 1 (senior trustee)". Die Angabe dürfte unrichtig sein, jedenfalls ist der damalige 1. Lagerälteste Hans Eiden* in der rekonstruierten Liste (vgl. Anm. 17) nicht enthalten.. Im Original deutsch, umschrieben als „police trustees".
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1 Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
5. Dann kam der Befehl, daß 4.000 zu evakuieren seien. Die Meuterei wurde nun offensichtlich. Ganze Blöcke weigerten sich, herauszukommen. Daraufhin betraten die SS-Wachen den eingezäunten Bereich und trieben ungefähr 8.000 Häftlinge zusammen, in einigen Unterkünften mußten sie sie buchstäblich aus dem Fenster werfen. Am 7. April kam aus Berlin der Befehl für die vollständige Evakuierung des Lagers, wenn möglich bis zum folgenden Montag. Am Sonntag ging der erste große Transport ab, der aus ungefähr 5.000 Mann bestand. Am Montag wurden zehntausend weggeführt, und am Dienstag, den 10. April, wurden etwa weitere zehntausend Personen abtransportiert, wozu auch die meisten Russen mit Kriegsgefangenen-Status und viele Franzosen gehörten. Beide Gruppen wurden als Rückgrat der Widerstandsbewegung angesehen, und man hoffte, daß man danach weniger Schwierigkeiten haben werde. 6. Am Morgen des 11. April wurden im Lager Schüsse gehört, die das Herannahen der amerikanischen Truppen ankündigten. Die Panzer in den vorderen Linien der amerikanischen Einheit waren um 13.00 Uhr vom Lager aus sichtbar. Ungefähr um 14.30 griffen amerikanische Panzer die direkte Umgebung an. Die SS-Truppen begannen einen hastigen Rückzug, nachdem sie Befehl erhalten hatten, in kleinen Gruppen zu einem Sammelpunkt in Süssenborn zu kommen. Zur gleichen Zeit holten die Häftlinge ihre Waffen heraus und begannen, die Kontrolle des Lagers zu übernehmen. Die Informanten sind sich darüber uneinig, was dann geschah. Die kommunistische Gruppe behauptet, daß die SS-Truppen noch in den Wachtürmen um das Lager auf Wache standen und daß diese von den Gefangenen gestürmt wurden. 36 Andere sagen, daß zwischen den Häftlingen und der SS kein wirklicher Kampf stattgefunden hat, bis die amerikanischen Truppen die Kontrolle über den Bereich übernomVor der Erfindung der völligen Selbstbefreiung durch die „Internationale Militärorganisation", wonach die Amerikaner überhaupt erst am 13.4. nach Buchenwald gekommen seien, hat sich diese realistischere kommunistische Version noch erhalten in der offiziellen Publikation von Walter Bartel u. Stefan Heymann (Hg ): Konzentrationslager Buchenwald, Bd. 1 (mehr nicht erschienen), Bericht des Internationalen Lagerkomitees, Weimar 1949, S. 211 f. Für die Zeit nach dem Abmarsch der SS um 14 Uhr heißt es hier: „Wie vom Fieber geschüttelt, liegen die bewaffneten Stoßtrupps [der Häftlinge] des Lagers hinter Hügeln, zum Sturm auf den Zaun bereit. Noch immer kein Befehl zum Eingreifen. Im oberen Kommandanturbereich ist es noch ruhiger. Jemand ruft die Posten von den Türmen. Zwei SS-Russen drücken sich aus der Feuerlinie. Ein russischer Häftling ruft ihnen zu, die Waffen wegzuwerfen. Sie tun es. Der Sturm bricht los. An fünf, sechs Stellen wird der Zaun zerrissen. Schüsse fallen in nächster Nähe. Über den Appellplatz rast eine Gruppe von Bewaffneten, LA. [Lagerältester] Eiden an ihrer Spitze. Es passieren auch schon die ersten [amerikanischen] Panzer die Straße nach Hottelstedt-SS Revier. Sie dringen in den Kommandanturbereich ein und durchführen ihn, ohne sich aufzuhalten, in Richtung Weimar [wohin die SS abmarschiert war]. Am Tor wurde die schwerbewaffnete Wache überwältigt. Kameraden vom Lagerschutz erstürmten den Turm, montierten das schwere MG. [Maschinengewehr] ab. Die ersten Handgranaten und Panzerfauste wurden erbeutet. Auch an der hinteren Seite des Lagers wurden die Zäune durchbrochen und die Wachtürme gestürmt. / Um 15.15 Uhr flattert die weiße Fahne auf Turm 1. Das Lager rast, alles will Waffen und drängt nach außen. Die Kasernen werden gestürmt. Überall werden Waffen erbeutet, ins Lager gebracht und neue Gruppen mit ihnen ausgerüstet. Die ersten Gefangenen werden eingebracht. Der Lagerälteste schickte seinen ersten Aufruf durch das Mikrophon: „Kameraden! Die Faschisten sind geflohen. Ein internationales Lagerkomitee hat die Macht übernommen. Wir fordern Euch auf, Ruhe und Ordnung zu bewahren. Das Lager wird gesichert. Bleibt, soweit Ihr nicht eingeteilt seid, in den Blocks!" Das Lager jubelte und blieb nicht in den Blocks. Jeder wollte eine Waffe, und jeder wollte dabei sein. Ein seit 1933 in Haft befindlicher Kommunist begrüßte die ersten, den [amerikanischen] Durchbruchspanzern folgenden Spähwagen und gab ihnen Auskunft. Ununterbrochen rollten Panzer über die Straße. Laufend wurden SS-Leute, Soldaten und in Uniform gesteckte Hitler-Jungen eingebracht."
1.3 Der amerikanische Bericht über Buchenwald, 24. April 1945
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men hatten. Man stimmt jedoch darin überein, daß die Häftlinge 78 Wachmänner ergriffen, die meisten in den Wäldern in der Nähe des Lagers. 7. Neben dem kommunistischen Plan, das Lager zu übernehmen, gab es noch einen anderen Plan, der von gewissen westeuropäischen Staatsangehörigen unabhängig ausgearbeitet worden war, der eine gewisse Rolle bei dem Überleben der restlichen Gefangenen spielte. Er bestand darin, mit den Gefühlen des Lagerkommandanten zu spielen und ihn zu veranlassen, die Evakuierung weiterhin zu verzögern. Am Sonntagmorgen, dem 8. April, verließ ein Häftling das Lager in der Uniform eines deutschen Luftwaffen-Soldaten. Er begab sich nach Weimar, um dort einen Brief aufzugeben. Der Brief basierte auf Informationen, daß Fallschiimagenten der Alliierten zwischen Erfurt und Eisenach abgesetzt und nicht gefangengenommen worden waren. Der Brief war an den Kommandanten von Buchenwald gerichtet und besagte: „Eine Sondermission ist in Ihrem Gebiet unterwegs. Wir wissen um den Skandal und Terror von Ohrdruf*7 . Wir wissen auch, daß es in Ihrem Lager eine Verbesserung nach Kochß8 {Pisters Vorgänger) gegeben hat. Gegenwärtig sind unsere Panzerkommandeure unterwegs, um Sie zur Rechenschaft zu ziehen. Sie müssen aufhören, Evakuierungstransporte aus Buchenwald zu schicken. Sie müssen sofort damit aufhören. Sie haben noch eine Chance." 8. Den Brief erhielt Pister am Montag, und er hinterließ großen Eindruck bei ihm. Es traf jedoch ein Befehl aus Berlin ein, in dem auf die Evakuierung bestanden und gedroht wurde, daß, falls er dem Befehl nicht Folge leiste, er dem Sicherheitsdienst39 übergeben werde. Der Kommandant setzte die Evakuierung fort, machte aber nicht von den drastischen Maßnahmen Gebrauch, die in seiner Macht lagen und die zu einer beschleunigten Entfernung aller Insassen gefuhrt hätten. C. Gegenwärtige Verwaltung 1. Am Abend seiner Ankunft wurde das Untersuchungsteam eingeladen, an einer Versammlung des Lagerrates40 teilzunehmen. Das ist ein großes Gremium, das sich aus etwa 50 Personen zusammensetzt. Er besteht aus einem Delegierten pro tausend Insassen der gleichen Nationalität oder einem Teil davon. Der Rat traf sich in einem langen, niedrigen Raum, der früher ein SS-Kasino gewesen war. Deutsch war die vorherrschende Sprache. Aber jede Gruppe hatte ihren eigenen Dolmetscher, der die ganze Zeit übersetzte. Wenn ein Sprecher einen Satz beendet hatte, hörte man ein leises Murmeln in Französisch, Russisch und TscheAußenlager von Buchenwald, daß als erstes KZ in Thüringen am 5.4.1945 von der US-Armee befreit worden war. Die dort nach der Evakuierung vorgefunden unbeschreiblichen Zustände, die von zahlreichen höheren USMilitärs und Presseleuten besichtigt wurden, prägten das Bild der amerikanischen Öffentlichkeit von den Greueltaten der SS. Karl Koch, SS-Standartenführer. 1937-42 Kommandant des KZ Buchenwald, 1942 als Kommandant in das KZ Majdanek versetzt. 1944 wegen Korruption vom SS-Polizeigericht zum Tode verurteilt und am 4.4.1945 in Buchenwald hingerichtet. Im Original deutsch. Gemeint ist: das Internationale Lagerkomitee.
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chisch, das von den Übersetzern stammte. Wenn man einmal von der Umgebung absieht, hätte das auch eine Ausschußsitzung des Völkerbunds sein können. Das Thema des Abends war die Organisation des Lagers. Es wurden Kommissionen ernannt, die sich mit der Sicherheit (Polizei und Wachen), mit den Nahrungsmitteln, mit Hygiene, Bekleidung, Verwaltung und Information befassen sollten. Als wir eintraten, wurde gerade von einem der Ausschüsse ein Bericht gegeben: „Kameraden, morgen wird es den ersten Feiertag in der Geschichte Buchenwalds geben. Zum Mittagessen gibt es richtiges Gulasch!" Die Ankündigung wurde mit Applaus aufgenommen. 2. Anschließend wurde die Diskussion eröffnet. Ein spanischer Vertreter protestierte, daß nicht genug Wachposten für die SS-Gefangenen zur Verfügung stünden. Ihm wurde mitgeteilt, daß 12 Wachposten für die rund 80 Gefangenen ausreichend seien. Ein weiterer Vertreter beschwerte sich darüber, daß die „Banditen" aus dem „Kleinen Lager" ausbrechen könnten (siehe unten). Ihm wurde zugesichert, daß die Wachposten verstärkt würden. Ein holländischer Vertreter erklärte, daß die Männer seines Landes bereit seien, das Lager verteidigen zu helfen, aber noch nicht dazu aufgefordert worden wären. Er wurde an den Sicherheitsausschuß verwiesen. 3. Der normale Ablauf wurde unterbrochen, um den Besuchern eine kurze Zusammenfassung des Organisationsfortschritts zu geben. Neben dem großen Komitee gibt es noch ein Direktorium aus fünf Männern aus den größten nationalen Gruppen: je einen Deutschen, Russen, Franzosen, Tschechen und einen „Romanen", der die Italiener, Spanier und Belgier vertritt.41 (Anmerkung: Das Fehlen eines Polen ist vielleicht bedeutsam, da die Zahl der Polen im Lager sehr groß ist. 4 2 ) Außerdem ist die „Häftlingsselbstverwaltung"43 des Lagers als ausführendes Organ seiner Regierung erhalten geblieben. An ihrer Spitze steht der Lagerälteste I, ein Kommunist namens Hans Eiden, der die Aufgaben des Lagerkommandanten übernommen hat. Als die SS geflohen war, kam Eiden aus seinem Versteck und erteilte die erste Anweisung über das Lautsprechersystem: „Achtung! Achtung! Hier spricht der Lagerälteste. Alle bleiben in ihren Blocks. Die Tore bleiben geschlossen. Weitere Anweisungen folgen." 44 41
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Es bestand aus dem NKWD-Offizier Nikolaj Kaitschin* (der in Buchenwald den Aufbau illegaler russischer Brigaden koordiniert hatte; 1951 in der SU verschollen) fur die Russen, dem Publizisten und Oberst der Freien Französischen Streitkräfte und Mitarbeiter Jean Moulins Frederic Henri Manhes* für die Franzosen, Walter Bartel* (KPD) fur die Deutschen, Josef Frank* (der nachmalige Stellv. Generalsekretär der KPC wurde 1952 im Slänsky-Prozeß hingerichtet) für die Tschechen und Domenico Ciufoli* (nach 1945 Mitgl. des ZK der KPI) für die Italiener und anderen Romanen. Der deutsche Vertreter übernahm wie schon in der Illegalität den Vorsitz. (Die Zusammensetzung dieses Gremiums wurde in den populären Buchenwalddarstellungen der DDR vor 1990 nicht mehr publiziert; sie hätte nicht nur dem Volksfront-Mythos des ILK widersprochen, sondern umfaßte auch mit Kaitschin und Frank zwei Unpersonen aus den spätstalinistischen „Säuberungen".) Die Polen - und unter ihnen waren ca. zwei Drittel Juden - stellten nächst den Russen (4380) mit 3800 Mann die zweitstärkste Nationalität in Buchenwald nach der Befreiung. Es folgten Franzosen (2900), Tschechen (2105), Deutsche (1800) und Ungarn (1240). Insgesamt kamen zu diesem Zeitpunkt ca. 60 Prozent der Häftlinge aus Ostmittel- und Osteuropa. Im Original: „the camps prisoner-trustee system". Vgl.Dok.I.l.
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4. Bald danach wurde eine zweite Anweisung ausgegeben: „Achtung! Achtung! Hier spricht der Lagerälteste für das Lagerkomitee, das Vertreter aller Nationen [im Lager] umfaßt. (1) Die SS hat das Lager verlassen. (2) Vertreter aller Nationen haben eine Lagerführung gebildet. Ihren Anweisungen ist unbedingt Folge zu leisten. (3) Alle bleiben in den Blöcken. Die Tore bleiben geschlossen. (4) Alle Lebensmittel, alle Kleidungsstücke sind Eigentum der Lagerinsassen. Wer sich an diesem Eigentum vergreift, wird als Plünderer bestraft. (5) Alle Lagerfunktionäre werden auf ihren Posten bleiben und werden ihre Arbeit fortsetzen, um die Ordnung und Versorgung des Lagers aufrechtzuerhalten. ["] 5. Wachposten wurden im Lager aufgestellt, und bewaffnete Truppen wurden hastig gebildet. Bis zum Abend gab es 1.500 Leute, die beschlagnahmte und zurückgelassene deutsche Waffen trugen. Sie wurden zunächst nach Weimar geschickt. Später, nachdem Anweisungen von amerikanischen Offizieren eingegangen waren, wurden sie in das Gebiet um das Lager zurückgezogen. Die deutschen Mannschaften besetzten die östlichen Zugänge, die Russen den westlichen Zugang und die anderen die nördlichen und südlichen Bereiche. Die Köche blieben im Dienst, und ein Projekt zur Reparatur der Lagerwasserleitung wurde vorgesehen, mußte aber zurückgestellt werden, weil der Schaden in dem noch von den Deutschen gehaltenen Gebiet lag. 78 SS-Männer wurden zu Gefangenen gemacht, wobei die meisten von den Lagerinsassen in den Wäldern gefangengenommen wurden, einige als Häftlinge verkleidet. 6. Somit fanden die Amerikaner anstelle eines Leichenhaufens oder eines ungeordneten Mobs halbverhungerter führungsloser Männer eine disziplinierte und effiziente Organisation in Buchenwald vor. Das ist zweifellos das Verdienst des selbstemannten Lagerkomitees, eine fast vollständig aus Kommunisten bestehende Gruppe unter der Leitung der deutschen politischen Gefangenen. Sie haben sich den amerikanischen Behörden bei der Aufgabe, die 21.000 Überlebenden aus Buchenwald zu betreuen, fast unentbehrlich gemacht. Schon früher in der Geschichte des Lagers hatten sich die gleichen Leute der SS unentbehrlich gemacht, indem sie die 60.000 Häftlinge managten, die normalerweise in diesem Brennpunkt des Konzentrationslagersystems inhaftiert waren. D. Die Kontrolle Buchenwalds 1. Um diese Vorherrschaft der deutschen Kommunisten zu verstehen und ihre Bedeutung zu ermessen, mag ein kurzer Überblick über die politische Entwicklung des Lagers nützlich sern. Das Lager Buchenwald wurde 1937 errichtet und war damals ausschließlich für deutsche Häftlinge bestimmt. Es gab damals drei Arten von Häftlingen, Politische (unter denen die Kommunisten überwogen), Kriminelle und Juden. Die ersten Jahre des Lagers waren die schrecklichsten. Schläge und Tötungen waren an der Tagesordnung, als die SS-Wachen die Häftlinge zwangen, die Unterkünfte und Einrichtungen schneller fertigzustellen. Schrittweise kam es jedoch im Lager zu einer Stabilisierung, als es seine gegenwärtige Größe erreicht hatte. Als die SS nicht mehr in der Lage war, mit den Häftlingen allein fertig zu werden, besonders als auch Ausländer anzukommen begannen, richtete sie ein System der Selbstwal-
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tung45 ein, das Anfang 1943 seinen Höhepunkt in der Ernennung einer Polizei aus den Häftlingen selbst (Lagerschutz46) fand. 2. Die Vertrauensleute hatten erhebliche Macht über ihre Mitgefangenen. Zu Anfang wurden sie fast ausschließlich aus den deutschen Kriminellen rekrutiert. Diese Periode dauerte bis 1942. Aber allmählich begannen die Kommunisten die Kontrolle über diese Organisation zu erhalten. Sie waren die ältesten Einwohner mit 10 bis 12 Jahren KZ-Haft auf dem Buckel und begannen somit, persönliche Beziehungen und Erfahrungen aufzubauen, was sie als Kandidaten fur die Einsetzung in Machtpositionen prädestinierte. Sie hielten mit einer bemerkenswerten Hartnäckigkeit zusammen, wohingegen die kriminellen Elemente einfach auf ihr eigenes Wohl bedacht waren und nur ein geringes Zusammengehörigkeitsgefühl aufbrachten. Die Kommunisten hielten eine ausgezeichnete Disziplin aufrecht und erhielten bis zu einem gewissen Grad Orientierung von außerhalb des Lagers. Sie besaßen die geistige und manuelle Qualifikation, um die verschiedenen Industrien zu betreiben, die im Lager eingerichtet wurden. Sie machten sich unentbehrlich. In Buchenwald beläuft sich jetzt die Gruppe der deutschen Kommunisten auf nahezu 300 Personen 47 , die Überlebenden jahrelanger Brutalität und Vernichtung. 3. Ihr Vormarsch gelang nicht ohne Widerstand seitens der Kriminellen, aber schrittweise wurden die Kriminellen aus den Machtpositionen entfernt, zum Teil durch Einschüchterung und zum Teil mit Hilfe der SS. Eine ganze Anzahl von Kriminellen wurden getötet bei Schlägereien, durch Hängen oder Injektionen von Phenol in das Herz oder von Luft oder Milch in die Venen. Die Injektionen waren eine Spezialität des Lagerarztes, der zu einem Parteigänger der kommunistischen Fraktion wurde. Die Ankunft großer Transporte von Polen aus Auschwitz im Jahre 1943 war die nächste Herausforderung fur die Herrschaft der Kommunisten. In Auschwitz hatten die Polen etwa die gleichen Machtpositionen inne wie die deutschen Kommunisten hier in Buchenwald. Sie versuchten in ihrer neuen Heimat die gleiche Art der Kontrolle zu erobern. Nach Aussage eines Informanten wurden ihre Bestrebungen durch die Tötung einer großen Anzahl [von ihnen] im Typhus-Versuchslabor zerschlagen. 4. Gegen Ende des Jahres kamen große Transporte französischer und belgischer Gefangener an. Auf Grund ihrer westlichen Einstellung stellten auch sie eine Bedrohung fur die deutsche kommunistische Herrschaft dar. Fast alle aus den ersten Transporten wurden sofort in das gefurchtete Lager Dora 4 8 geschickt, was fast den sicheren Tod bedeutete. Was den Rest betrifft, so wurden die, die es wagten, sich zu beschweren, sofort auf Transport geschickt. Die beiden Franzosen, die in dem Büro der ,Jirbeitsstatistik"W arbeiteten und die somit direkt fur das Schicksal vieler ihrer Landsmänner verantwortlich waren, hießen Schwartz und Im Original deutsch. Im Original deutsch. Tatsächlich waren mehr als doppelt so viele deutsche Kommunisten bei der Befreiung in Buchenwald. D.h. in den Stollenbau für die unterirdische V-Waffen-Produktion bei Nordhausen („Mittelbau-Dora"). Im Original deutsch.
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Schmulevsky (?) 5 0 , der letztere ein naturalisierter Pole. Die Franzosen zerbrachen außerdem viel schneller unter den Belastungen des Konzentrationslagerlebens, und viele gaben sich selbst auf und wählten den Tod. Später suchten sich die deutschen Kommunisten einen französischen Kommunisten mit Namen Marcel Paul* (ein Stadtrat aus Paris) aus und setzten ihn als „Vertreter" der französischen Häftlinge ein. Paul wiederum ernannte einen „französischen Ausschuß", der sich aus einer Reihe ehemaliger französischer Abgeordneter zusammensetzte, darunter [Albert] Forcinal*, [Eugene] Thomas51 und [Andre] Marie* (Marie war ein Radikalsozialist52, der später zurücktrat). Ein gewisser „Colonel [Frederic Henri] Manhes", ein Führer der Resistance, der von den Deutschen nach einer Reihe von Fehlern gefaßt worden war, wurde zum Präsidenten dieses Ausschusses ernannt. 5. Der Ausschuß tat nichts, um den Rot-Kreuz-Paket-Skandal aufzuklären. Das französische Rote Kreuz schickte Tausende von Paketen an seine Landsleute in Buchenwald, wobei die Franzosen eine der wenigen Nationalitäten waren, die eine solche Unterstützung erhielten. Diese Pakete erreichten jedoch nicht ihre Adressaten. Die Organisation der deutschen Kommunisten beschloß, daß alle Häftlinge im Lager Kameraden seien, und deshalb sollten alle eintreffenden Pakete aufgeteilt werden. Der Lagerkommandant stimmte dem zu, und alle Pakete wurden von ihm an den kommunistischen Lagerältesten Nr. 1 übergeben. Der wiederum achtete auf die Verteilung der Pakete unter den einzelnen Blockfuhrern, von denen erwartet wurde, daß sie sie unter den Insassen ihres Blocks aufteilten. Der Lagerkommandant war irgendwie überzeugt, daß Franzosen immer Schwierigkeiten machen würden und ließ verlauten, daß er von ihnen keine Beschwerden annehmen werde. Die Franzosen wurden auch gezwungen, „freiwillig" private Pakete, die direkt an sie adressiert waren, abzugeben. Diejenigen, die dagegen protestierten oder sich weigerten, wurden auf die Transportlisten gesetzt. Die Aufteilung des gemeinsamen Fonds aus den Paketen erfolgte keineswegs skrupulös. Die deutschen Vertrauensleute schienen immer mehr zu haben als die normalen Insassen. Amerikanische Büchsenmilch zum Beispiel, die in im Dezember eingegangenen Paketen war, wurde noch im März von deutschen Häftlingen verbraucht. Die Deutschen hatten mehr zu rauchen und zu essen als irgend jemand sonst, vorausgesetzt, sie gehörten zur herrschenden Partei. Selbst jetzt noch können sie vom Rest der Insassen durch ihre rosigen Wangen und ihre robuste Gesundheit unterschieden werden, obwohl sie schon viel länger als irgendwelche anderen im Konzentrationslager sind. E.
Organisationsmethode
1. Über den angeblichen Führern des Systems der Vertrauensleute stand eine Gruppe „geheimnisvoller Männer". Sie übernahmen keine exponierten Positionen, sondern blieben im Hintergrund, wobei sie als politische Führung fungierten. Sie empfingen Anweisungen und Informationen von draußen und gaben Anweisungen und Losungen an die kommunisti5
'
Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. D.h. ein Liberaler.
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sehen Insassen weiter. Die deutsche kommunistische Partei hielt eine außergewöhnlich effektive Organisation aufrecht, die sich über das gesamte Land erstreckte. Aber sie wurde nur zur Aufrechterhaltung der Verbindungen benutzt und nicht mit aktiveren Arbeiten gefährdet. Ein Häftling ging regelmäßig von Buchenwald nach draußen, um Kontakt mit einem kommunistischen Kurier aufzunehmen, der Nachrichten und Instruktionen brachte. 53 Durch Loyalität an seine Partei gebunden, machte der Kontaktmann niemals Gebrauch von seiner Möglichkeit zu entfliehen. 2. Im September 1944 begannen die Kommunisten sogar eine Art Komplott in Buchenwald zu schmieden, um eine neue deutsche Regierung aufzustellen. Darüber ist sehr wenig bekannt, aber man konnte die folgende Geschichte vernehmen: Ein österreichischer Kommunist, Gustav Wegerer*, war die Zentralfigur in dieser Verschwörung, der von dem ehemaligen Lagerältesten Nr. 1 [Erich] Reschke* unterstützt wurde. Wegerer war ein wichtiger Kommunist, der lange Zeit in der Sowjetunion gelebt hatte. Zusammen mit anderen Österreichern und Deutschen, die hauptsächlich in der Effektenkammer, einer kommunistischen Hochburg, beschäftigt waren, stellte er Kontakt zu den kommunistischen Zellen in den Lagern Dora und Sachsenhausen her. Eines Nachts begann die Gruppe in der Effektenkammer zu trinken und unvorsichtige Gespräche im Beisein eines Österreichers mit Namen Straat [Strnad]54 zu fuhren (der fälschlicherweise behauptete, ein naturalisierter englischer Staatsbürger zu sein). Strnad erzählte einem kriminellen Häftling davon, der die SS informierte. Die Informationen wurden an die politische Abteilung des Lagers weitergegeben und von dort an die Gestapo. Acht der beteiligten Männer wurden aufgerufen, denen andere folgten, wozu auch der gegenwärtige Kapo Effektenkammer55 gehörte. Alle wurden der Gestapo in Weimar übergeben und von den Belegschaftsmeldungen des Lagers abgesetzt56, ein beunruhigender Vorgang, der für gewöhnlich den Tod bedeutete. Ungefähr zur gleichen Zeit hängte sich der Bruder des gegenwärtigen Kapos der Effektenkammer in Buchenwald im Lager Dora auf, und eine Anzahl kommunistischer Häftlinge wurde verhaftet, während 36 deutsche Kommunisten im Konzentrationslager Sachsenhausen arrestiert und ermordet wurden. Drei Wochen später wurde dann auch Reschke, der Lagerälteste Nr.l in Buchenwald, mit mehreren anderen arrestiert. Reschke wurde der indirekten Komplizenschaft beschuldigt, 53
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Dies ist offenbar die kommunistische Darstellung. Die Forschung hat mittlerweile gezeigt, daß bis zum Krieg die überregionalen Verbindungen der illegalen KPD weitgehend zusammengebrochen waren. Während der zweiten Hälfte des Krieges kam es zwar von kleinen, regionalen Zellen aus wieder zu einer gewissen spontanen Reorganisation vor allem auf regionaler und lokaler Ebene, besonders nachdem der Moskauer Rundfunk im letzten Kriegsjahr Losungen zur Bildung lokaler Ausschüsse des „Nationalkomitees Freies Deutschland" verbreitet hatte. Der hier erweckte Anschein eines regelmäßigen Instrakteurverkehrs zur Anleitung des Widerstands im Lager ist aber mit Sicherheit auch für diese Zeit unrealistisch. Vielmehr gelang es einzelnen Häftlingen in Außenkommandos und Kapos, die bei seltener Gelegenheit das Lager z.B. fur Besorgungen verlassen konnten, Kontakt vor allem mit thüringischen Genossen aufzunehmen, dadurch Nachrichten aus der Außenwelt aufzunehmen und selbst Orientierungen und Nachrichten aus dem Lager zu verbreiten. Busse hat in den Verhören vor dem SMT jede Verbindung der Buchenwalder KP-Führung nach außen bestritten. Nicht identifiziert. Im Original deutsch, übersetzt als „Property room trustee". Kapo der Effektenkammer war Willi Bleicher*, später Heinz Bausch*. Im Original deutsch.
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weil er das Komplott nicht verhindert hatte. Zur großen Überraschung der anderen Insassen kehrte eine Reihe der Männer, die aus Buchenwald fortgebracht und verhaftet worden waren, später lebend in das Lager zurück. 57 3. Neben den Spitzenpositionen in der sog. Selbstverwaltung gab es eine Reihe von kommunistischen Hochburgen in der Verwaltung des Lagers. Eine war die Organisation der Lebensmittelversorgung, durch die begünstigte Gruppen vernünftige Rationen erhielten, während andere dem Verhungern nahe gebracht wurden. Eine zweite war das Krankenhaus (Revier), in dem fast ausschließlich Kommunisten tätig waren. Seine Einrichtungen widmeten sich vorwiegend der Pflege von Parteimitgliedern. Alle seltenen Medikamente (und viele waren in Buchenwald rar) wurden für die kommunistischen Patienten reserviert, und Krankenhauskost gab es für Parteimitglieder auch dann, wenn das nicht absolut notwendig war. Eine weitere Hochburg der Kommunisten war die Effektenkammer. Hierhin kam das gesamte persönliche Eigentum der neuangekommenen Häftlinge im Zuge der Desinfektion bis hin zu ihren religiösen Medaillons, und auch das derjenigen, die in Buchenwald starben. Geld und Gold (einschließlich der Goldzähne der Toten oder Sterbenden) kamen in einen Tresor und wurde vor einigen Tagen nachts von der SS in Koffern weggeschafft. Andere, weniger wertvolle Gegenstände wurden von den Kommunisten verteilt. Jeder russische Kriegsgefangene erhielt zum Beispiel als Zeichen der Solidarität eine Armbanduhr. Jeder deutsche Kapo erhielt gute Kleidung und zahlreiche andere Wertgegenstände: Die Buchenwalder Kommunisten sind nach zehn oder zwölf Jahren der Haft im Konzentrationslager gekleidet wie vermögende Geschäftsleute. Einige haben [jedoch] eine Vorliebe für Lederjacken und kleine runde Kappen, die an die deutsche Marine erinnern, offenbar die Uniform der Revolution. 4. Aber die Schlüsselposition der Macht war das Arbeitsbüro (Arbeitsstatistik). Hier wurden Arbeitseinsätze festgelegt und Transporte zusammengestellt. Wenngleich diese Funktion nominell von einem SS-Offizier fur den Arbeitseinsatz ausgeübt wurde, verblieben die Einzelheiten gewöhnlich den Kapos, die in diesem Büro arbeiteten. Sie hatten gewöhnlich nur Anweisungen fur die Anzahl der Häftlinge fur einen speziellen Transport, und es war ihnen überlassen, die Namen selbst auszuwählen. Somit hatten die Kapos 58 , die mit der Zeit fast ausschließlich von kommunistischen Deutschen gestellt wurden, die Macht, über Leben und Tod aller anderen zu entscheiden. Sie konnten einen Mann oder eine Gruppe fast zum sicheren Tod verurteilen, indem sie ihn oder sie auf eine der schlechten Transportlisten setzten. 5. Die kommunistischen Kapos waren direkt fur einen großen Teil der Brutalitäten verantwortlich, die in Buchenwald begangen worden sind. Nicht alle Quälereien und Tötungen gingen auf das Konto der SS-Wachleute. Zu den namentlich bekannten Kommunisten, die daran teilgenommen haben, gehören:
Wegerer, Reschke u.a. kamen bis zum Kriegsende in das Polizeigefangnis Ichtershausen. Vgl. auch die Berichte in 1.4 und 1.6. Im Original „trustees".
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(a) [Hein] Hauptmann59, Kontrolleur (Assistent des Lagerchefs). Ein Augenzeuge bestätigt, daß Hauptmann Häftlinge in die Geschlechtsorgane trat und sie schlug, aber immer damit aufhörte, wenn er von bestimmten Personen beobachtet wurde, von denen er wußte, daß sie Kontakt zur Außenwelt hatten. Hauptmann spricht gut Englisch und ist jetzt als offizielle Empfangsperson fur amerikanische Besucher tätig. Er spricht wie ein Sadist, seine Augen funkeln vor Vergnügen, wenn er erzählt, wie „wir dieses Lager diszipliniert haben". Wie bei vielen der kommunistischen Führer ist „Disziplin" sein Lieblingswort. (b) Kapo der EfFektenkammer Heinz Bausch * (c) [Arthur] Dietsch [Dietzsch] *, Kapo des Blocks 46, der Injektionsblock, wird charakterisiert als „privater Scharfrichter". (d) Blockältester des Blocks 14. 60 Von ganzen Kategorien, die zu zahlreich fur eine namentliche Erwähnung sind, sollen die folgenden erwähnt werden: (a) Fast alle Polizei-Kapos (Lagerschutz). (b) Fast alle Blockältesten im „Kleinen Lager". Außer, daß sie persönlich ihre Opfer prügelten, zwangen sie auch manchmal ganze Blocks, stundenlang barfuß im Schnee zu stehen, offensichtlich aus eigenem Antrieb. 6. Nicht alle kommunistischen Führer sind schlecht. Der gegenwärtige Lagerälteste Nr. 1 wird allgemein als aufrichtiger und guter Mensch respektiert. Es gibt noch eine Anzahl anderer, die allgemeine Achtung genießen, wozu auch der gegenwärtige Lebensmittelverantwortliche gehört. Aber diese Männer befolgen Anweisungen der sich bedeckt haltenden politischen Leitung, die sie einsetzte, und sind dazu diszipliniert, nichts zum Nachteil ihrer Parteigenossen zu tun. 7. Die Entschuldigung der Kommunisten für ihr Verhalten (die wir aus zweiter Hand erhielten, da kein Kommunist mehr zugab, als daß man im Machtkampf mit den kriminellen Elementen umgegangen sei) ist völlig logisch. Im Lager regierte ein unbeschreiblicher Terror, bis sie die Macht übernahmen. (Anmerkung: Unter Kommandant [Karl] Koch traf das zu. Seine Absetzung traf etwa mit dem Aufstieg des kommunistischen Einflusses zusammen. Ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Faktoren gegeben hat, konnte nicht nachgewiesen werden.) Sie übernahmen Funktionen, um das Leben in Buchenwald zu verbessern. Um dazu in die Lage versetzt zu werden, mußten sie eine bestimmte Arbeitsleistung, Ordnung und Disziplin erzielen. Insofern waren ihre Mittel durch den Zweck gerechtfertigt. Soweit so etwas rekonstruiert werden kann, sind die Motive der Kommunisten völlig human. Nur der Tüchtigste konnte zwölf Jahre Konzentrationslager überleben. Die Tüchtigkeit bestand darin, die SS von der eigenen Nützlichkeit zu überzeugen, und im Kampf für das Überleben mußte
Hein Hauptmann* (geb. 1904), KPD, aus Hamburg, war seit 1942 im KZ Buchenwald und dort bis zur Befreiung Kontrolleur. Er wurde nach der Befreiung bei der Parteiüberprüfung der KPD Buchenwald aus der KPD ausgeschlossen. Blockältester des sog. Franzosenblocks 14 war zuletzt der deutsche politische Häftling Georg Siegert (näheres nicht bekannt).
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dieses Merkmal hervortreten. Gestützt durch den geheiligten Egoismus ihrer Mission, durch den Gedanken zu leben, um ein kommunistisches Deutschland zu formen, verloren sie ihren humanen Idealismus. Sie wurden hart, denn sie überlebten ja nicht für sich selbst, sondern im Namen der proletarischen Zukunft Deutschlands und rechtfertigten dadurch viele extreme Mittel des Überlebens. Für sie sind die meisten anderen Häftlinge „Banditen". Sie betrachten sich selbst fast als den einzigen wertvollen Rest des großen Auswahlprozesses, den das System der Konzentrationslager darstellte. F. Gruppen außer den Kommunisten 1. Neben den Kommunisten gab es noch zwei andere Gruppen in Buchenwald, die gut organisiert und diszipliniert waren. Die erste waren die Tschechen. Eine große Anzahl von Tschechen, sogenannte Protektorat-Häftlinge, wurden bei Ausbruch des Krieges als Sicherheitsrisiko eingesperrt. Sie hatten einen bestimmten privilegierten Status, zumindest bis 1940, und tragen immer noch eine unterscheidende rote Armbinde. Zuerst wurden sie nicht zur Arbeit herangezogen. Später wurden sie bevorzugten Aufgaben zugewiesen. Die Tschechen organisierten ein eigenes nationales Komitee, das alle Fraktionen von rechts bis links auf demokratische Weise repräsentierte. 2. Die zweite waren die Russen, die den Kriegsgefangenenstatus hatten (d.h., dazu gehören nicht die Kriegsgefangenen, die zu Konzentrationslager verurteilt wurden, weil sie versucht hatten, zu fliehen, oder sich geweigert hatten, zu arbeiten). Es waren ungefähr 800, nachdem zahlreiche Massenhinrichtungen ihre Zahl deutlich dezimiert hatte. Obwohl sie in separaten Blocks untergebracht waren und sich dadurch unterschieden, daß sie keine Konzentrationslagernummem tragen mußten, wurden sie genau wie die anderen Häftlinge behandelt. Zu ihnen gehörten eine Reihe von hohen Offizieren, einschließlich etwa zwei bis sechs Oberste. Militärische Disziplin wurde aufrechterhalten, und die Gruppe blieb ziemlich unter sich. In der ersten Zeit wurden sie entsetzlich behandelt. Viele wurden im Lager getötet. Später wurde im Zuge der allgemeinen Veränderung mit der Absetzung von [Lagerkommandant] Koch ihr Los etwas gebessert. Die Beziehungen zwischen den deutschen Kommunisten und den russischen Kriegsgefangenen waren besonderer Natur. Der oberste russische Offizier hatte als Vertreter des Vaterlandes der Werktätigen großen Einfluß auf die deutschen Kommunisten. Sein Wort war Gesetz. Jedoch machte er nur wenig Gebrauch von diesem Vorzug. Die meisten russischen Kriegsgefangenen wurden evakuiert, bevor die Amerikaner ankamen. 3. In Buchenwald gab es Tausende von nicht-deutschen Kommunisten, besonders französische, holländische und spanische. In gewissem Maße wurden sie in die deutsche Organisation hereingezogen und erhielten ihre Anweisungen von den Deutschen. Ein umfängliches Untergrundsystem von Räten und Versammlungen wurde aufgebaut, um sie zu integrieren. Doch viele mochten ihre deutschen Oberherren nicht. Viele russische und ausländische Kommunisten sprachen davon, die deutschen Kommunisten zusammenzuschlagen, wenn der Tag der Befreiung kommen würde. Ihre Hoffnungen werden vertagt werden müssen. Durch
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ihren Putsch innerhalb des Lagers bleiben die deutschen Kommunisten Herr über alle Insassen - mit Gewehren in ihren eigenen Händen, um die Unterstützung zu ersetzen, die ihnen einst die SS gewährte. G. Greueltaten 1. Wenn auch Buchenwald in den letzten Jahren zum besten deutschen Konzentrationslager geworden war, so hat es doch auch seinen Anteil an den Schrecken des Systems. [...]61 Die schlimmsten Greueltaten geschahen, während der berüchtigte Karl Koch Lagerkommandant war. Koch ist berühmt als „Femme Koch". Er und seine Frau waren pervers. Der Ehemann homosexuell und die Ehefrau Nymphomanin. Beide befriedigten ihre Wünsche an den hilflosen Insassen. Sie ging durchs Lager, griff sich einen ihr genehmen Partner und nahm ihn mit nach Hause für die Nacht, um ihn später unweigerlich erschießen zu lassen. Sie liebte Tätowierungen. Die Häftlinge wurden regelmäßig im Hospital untersucht. Wann immer ein Häftling mit einer etwas außergewöhnlichen Tätowierung gefunden wurde, wurde er getötet, seine Haut abgezogen und der tätowierte Teil gegerbt. Einige außergewöhnliche Objekte wurden daraus angefertigt, unter anderem ein berühmter Lampenschirm. Im September 1943 wurde Koch inhaftiert wegen Amtsanmaßung und Veruntreuung von Parteigeldern. Seitdem steht er unter Arrest. Nach Aussage einiger Häftlinge wurde er vor einigen Tagen nach Buchenwald zurückgebracht und dort erschossen. Im Lagerkrematorium kann eine Urne, auf der mit Klebeband sein Name steht, besichtigt werden. Sein Nachfolger, Hermann Pister, neigte dazu, nur das zu tun, was unbedingt von Berlin verlangt wurde, und führte relativ anständige Bedingungen ein, zumindest für einen Teil des Lagers. Es geschah zum Beispiel nicht mehr, daß das gesamte Lager drei Tage keine Nahrungsmittel erhielt, wenn die Arbeitsleistung nachließ. Später wurde auch die gesamte SS relativ zahm und versuchte, sich in Erwartung eines alliierten Sieges bei den Kommunisten in Gunst zu setzen. 2. Eine andere wichtige Figur zur Zeit von Koch war Dr. Waldemar Hoven, Lagerarzt von 1939-43 62 . Hoven wurde von den Amerikanern festgenommen und befindet sich jetzt im Konzentrationslager. Als er verhört wurde, erzählte er die folgende Geschichte: Er wurde ungefähr zu der Zeit inhaftiert, da auch Koch im Gefängnis war, und als Mörder angeklagt. Wie er behauptet, konnte er es nicht mit ansehen, wie die kriminellen Häftlinge systematisch die politischen und wegen ihrer Rasse inhaftierten Insassen des Lagers umbrachten, und zwar mit der Zustimmung des Kommandanten. Hoven nahm kriminelle Häftlinge heraus, die als Kapos fungierten, und tötete sie mit Injektionen. Die Häftlinge bestätigen diese Geschichte und erklären, daß Hoven zahlreiche Leben rettete, indem er sie für krank erklärte und sie im Lagerhospital versteckte. Andere Insassen, obwohl sie diesen Tatsachen auch zustimmen, fügen hinzu, daß Hoven auch politische und wegen ihrer Rasse inhaftierte Häftlinge mit sei-
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Auslassung eines Verweises auf einen hier nicht gedruckten Anhang, in dem das ILK auf Wunsch der Autoren dieses Berichts Greueltaten aus der Geschichte Buchenwalds zusammengestellt hatte, siehe Anm. 66. Waldemar Hoven, SS-Hauptsturmfiihrer, 1942-43 SS-Standortarzt und 1. Lagerarzt, 1943 Stellv. Leiter der Abt. Fleckfieber- und Virusforschung der Waffen-SS. 1947 im Nürnberger Ärzteprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet.
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nen Injektionen tötete. Dr. Hoven wurde von einem Nazi-Gericht zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und blieb fur ungefähr 18 Monate im Gefängnis. Am 15. März 1945 kam er in das Lager zurück, wahrscheinlich, weil es keine Ärzte mehr gab. Er erhielt seinen alten Rang - SS-Hauptsturmfuhrer - wieder. Es ist bekannt, daß er auch weiterhin Häftlingen geholfen hat. 3. Hoven erscheint als Fall eines Psychopathen. Bei unserem Verhör mit ihm fing er an zu weinen, wobei er behauptete, sich riesig zu freuen, daß er einige jüdische Häftlinge sehe, deren Leben er gerettet habe. Andererseits war Dr. Hoven für die Grausamkeiten verantwortlich, die in dem Typhuslabor begangen wurden, wo Hunderte von gesunden Häftlingen zu Versuchszwecken mit Phosphor verbrannt wurden und unter großen Schmerzen starben. Nach seiner Rückkehr ins Lager hat Hoven seine Freundschaft mit den Kommunisten erneuert, offensichtlich als eine Form der Lebensversicherung fur den Fall eines Sieges der Alliierten. Nach seiner Rückkehr waren die Kommunisten besorgt, ihn am Leben zu erhalten, offensichtlich wegen der Informationen, die er zur Verfügung stellen kann. Er wurde immer als ihr Freund angesehen, weil er zur Vernichtung der Kriminellen beigetragen hat. 4. Die Versuchsstation in Buchenwald enthielt eine Typhus-Versuchsstation, die im Block 50 untergebracht war. Hier wurde versucht, eine Behandlung für diese gefürchtete Krankheit zu finden, ein Versuch, der nicht erfolgreich war. Die Opfer wurden im Block 46 untergebracht, der der Injektionsblock war. 1944 wurde ein neues Experiment eingeführt, das Verbrennen von Häftlingen mit Phosphor, um ein Gegengift zu finden. Zuletzt hatten Versuche begonnen, ein Mittel gegen die Homosexualität zu finden, wobei Häftlinge benutzt wurden, die dafür eine Neigung hatten. 5. Das Krematorium: Buchenwald besitzt ein großes modernes Krematorium mit sechs Öfen, einem gefliesten Fußboden und einem Aufzug, der lebende Menschen in die Folterkammer im Keller brachte und ihre Leichen später nach oben beförderte, wo sie verbrannt wurden. Die Folterkammer wurde von der SS gereinigt, bevor die Amerikaner eintrafen. Die Wände wurden frisch gestrichen, um Blutflecken zu überdecken, und die Fleischerhaken, die an der Decke hingen und an denen die lebenden Opfer aufgehängt wurden, waren entfernt. Die Löcher, in denen die Haken befestigt waren, wurden zugegipst. Aber die Beweise für den Zweck dieser [Todes]Fabrik konnten nicht vollständig beseitigt werden. Große Haufen Knochen und Asche täuschen nicht über den eigentlichen Zweck hinweg. Und draußen im Hof liegen etwa dreißig oder mehr Leichen, die nicht verbrannt werden konnten. Es sind typische Konzentrationslagerleichen, unglaublich mager, von Narben und Schlägen gezeichnet. In den Ecken liegt eine Tragbahre mit zwei dieser unglücklichen Leichen, Kopf und Füße zusammengelegt, die zusammen viel kleiner sind als ein gesunder Mann. In der ersten Etage finden sich ungefähr 1.200 verschlossene Büchsen, die klappern, wenn man sie schüttelt. Sie enthalten die Asche von Häftlingen, die 1939 und 1940 ermordet worden sind und für die es keine Hinterbliebenen gab. Danach machte man sich nicht mehr die Mühe separater Urnen, sie wurden nicht länger für notwendig erachtet, und nur in seltenen Fällen wurde noch die
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Asche von Einzelpersonen aufbewahrt. Fast alle Überreste gingen auf einen großen Haufen. Wenn er zu groß wurde, kamen fünf oder sechs Lastwagen, die die Reste abtransportierten und sie im nahegelegenen Wald in einem Graben abkippten. 6. In den letzten vier Wochen machte der Kohlemangel eine Schließung des Krematoriums erforderlich. Ungefähr 2.500 [Häftlinge], die in diesem Zeitraum starben, wurden einfach in der Nähe des Bismarck-Turms des Lagers [in Massengräbern] beerdigt. Die Kapazität des Krematoriums umfaßte für 24 Stunden etwa 300 bis 400 Leichen, und manchmal waren selbst diese Einrichtungen überlastet. Im Monat Februar wurden zum Beispiel 2800 verbrannt. Der Leiter des Krematoriums, der auch für die Folterkammer im Keller verantwortlich war, war der SS-Hauptscharfuhrer Warnstedt [Wernstedt]63 . Es gab auch einen Schuppen in der Nähe des Lagers, der für gelegentliche Massenerschießungen benutzt wurde. 64 Hier entledigte man sich tausender Häftlinge, speziell Kriegsgefangenentransporte aus dem Osten in den ersten Jahren des Krieges. Ungefähr vor einer Woche traf die SS Vorbereitungen, um diesen Schuppen zu sprengen. Er steht noch, aber möglicherweise ist er vermint. H. Das Kleine Lager I. Der größte Schrecken von Buchenwald ist sein ,JCleines Lager", ein Konzentrationslager, das nicht befreit worden ist. Das „Kleine Lager" ist eine Stacheldrahtumzäunung in der Mitte des großen Lagers. Das war das Quarantänezentrum für Neuzugänge in das Hauptlager. Aber seine Hauptfunktion bestand in den letzten Jahren darin, als Ersatzzentrum für die „Transporte" in die Mordlager zu fungieren, wo Unerwünschte durch Schläge und Arbeit getötet wurden. Für die Transporte wurden die kleinen Leute zusammengestellt, die man nicht als Geiseln benutzen konnte und die es nicht wert waren, sie in den Haupt-Konzentrationslagern zu halten. Dazu gehörten Juden, Fremdarbeiter oder Gefangene, die versucht hatten zu fliehen oder Nahrungsmittel gestohlen hatten, Zigeuner, kleine Kriminelle aus ganz Europa, unbedeutende politische Figuren oder auch diejenigen größeren politischen Figuren, die fur den Tod bestimmt waren. 2. Alle wurden durch die Quälerei und den Hunger des Transport-Systems auf einen unglaublich niedrigen Nenner gebracht. Ob Michelin, der französische Reifenkönig (jetzt evakuiert oder tot), oder Isaak, der rumänische Jude, wenige Monate in diesem System ließ sie zu nicht unterscheidbaren, schmutzigen, jammernden, klagenden, scheinbar seelenlosen Geschöpfen werden. Die Transporte kehrten in regelmäßigen Abständen zu dem Kleinen Lager zurück, um sie neu zusammenzustellen und damit sich die etwas erholen konnten, die man waren, wurden noch immer für nützlich zur Arbeit hielt. Diejenigen, die arbeitsunfähig
Walter Wernstedt (geb. 1914), SS-Oberscharfiihrer, Kommandofuhrer Krematorium im KZ Buchenwald. Wurde in der Nachkriegszeit wegen mehrfachen Mordes (u.a. an Thälmann) gesucht. Verschollen. Gemeint ist der sogenannte Pferdestall. Im Original deutsch.
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hier aussortiert und getötet. Der Rest blieb für eine Weile und wurde dann einem weiteren Transport zugeordnet. Früher oder später starben sie. 3. Selbst jetzt ist ein Gang durch das kleine Lager wie ein Alptraum. Beim Anblick einer amerikanischen Uniform kommt eine Horde von Gnomen und Trollen wie durch Zauberei aus den Löchern. Einige humpeln auf Krücken. Einige hopsen auf Fußstümpfen. Einige laufen mit unkontrollierten Bewegungen. Einige rutschen wie orientalische Flaschenteufel. Fast alle tragen gestreifte Häftlingskleidung, die mit Flicken übersät ist, oder grau-schwarze Überreste östlicher Kleidungsstücke. Die allgemeine Kopfbedeckung ist eine kleine schwarze Schädelkappe. Sie nehmen sie ganz feierlich vor den Besuchern ab. Einige weinen, andere schreien vor Freude. Ein alter Mann, schmutzig, bärtig und auf einem Auge blind, wankt heran und stellt sich als französischer General vor. Sein Sohn stirbt hier, kann denn keine Hilfe gebracht werden? Wird sie rechtzeitig kommen? Ein Kind von 12 Jahren lächelt und sagt: „Ich bin aus Polen. Ich bin jetzt seit zwei Jahren in Konzentrationslagern." 4. Am auffallendsten ist der Anblick der Kinder, 6 bis 14 Jahre alt, die meisten ungefähr 12. Sie stürzen heraus, schreiend und spielend, sie spielen dort, wo der Geruch des Todes immer noch in der Luft hängt. In Buchenwald gibt es siebenhundert Kinder, die meisten im Kleinen Lager. Sogar ein dreijähriges Kleinkind ist dabei. Die Zustände im Kleinen Lager sind unerträglich und unbeschreiblich. In dem Hauptlager gibt es feste Unterkünfte, sauber und in Ordnung. In dem Kleinen Lager gibt es siebenundzwanzig niedrige hölzerne Verschläge. Darin befinden sich drei bis fünf Reihen Holzlatten, die über die gesamte Gebäudelänge laufen. Auf ihnen befinden sich Strohsäcke, die mit Ungeziefer bedeckt sind. Das sind die Schlaf- und Aufenthaltsquartiere. In der Mitte des Lagers befinden sich offene Unterstände, die tiefe Betongruben überdecken. Das sind die Latrinen, denen ein unerträglicher Gestank entströmt. 5. Die geschätzte Kapazität jedes einzelnen Blocks beträgt hier 450 [Häftlinge], Beladen sehen sie schon wie das Innere eines Sklavenschiffes aus. Doch oft wurden hier 1.000 -1.200 neuangekommene Ostjuden oder Polen hineingepfercht. Die tägliche Sterblichkeit war sehr hoch, 20 - 25 pro Block und Tag. Innerhalb von 24 Stunden starben einmal im Block 57 160 von Tausend. Die Blockältesten des Kleinen Lagers sind Deutsche, und die Häftlinge betrachten sie als die brutalsten. 6. Ein Teil des Kleinen Lagers war einst das „Zeltlager", das aus Leinwandzelten bestand, die später durch schlecht gebaute Baracken ersetzt wurden. Hierher waren 170 amerikanische Flieger gebracht worden, nachdem sie in Frankreich gefangengenommen worden waren, wo sie versucht hatten, zu entfliehen. Man nahm ihnen die Schuhe weg, und in der Winterkälte schliefen sie in den Leinwandzelten oder draußen im Freien. Einer starb hier an Lungenentzündung, Lt. Levitt Α Beck, 0-78286. Der Rest wurde ins Stammlager LUFT 3 transportiert, nachdem sie von der Gestapo verhört worden waren. 7. Die Tore des Kleinen Lagers sind noch geschlossen. Bewaffnete Wachposten - Insassen des großen Lagers - stehen am Stacheldraht. Das kleine Lager nahm nicht an der riesigen
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Freiheitsparade {Freiheitsappell) teil, die am Morgen nach der Befreiung Buchenwalds stattfand. Denn für viele der selbsternannten Aristokraten des großen Lagers sind all jene hier „Banditen". Daß sie ein Problem für das Lager darstellen, kann nicht geleugnet werden. Einige sind tatsächlich „Banditen", Kriminelle aus ganz Europa oder Fremdarbeiter in Deutschland, die beim Stehlen erwischt worden sind. Alle sind so hungrig, wie es die Insassen des großen Lagers niemals waren. Die „Banditen" haben Läuse und Krankheiten in einem viel größeren Ausmaß als die anderen Insassen. Sie versuchen, aus der schrecklich überfüllten Ecke des Lagers, in der sie sich befinden, in die bequemeren sauberen Blöcke des Hauptlagers auszubrechen. Sie sind brutalisiert und nicht angenehm anzusehen. In diesem Augenblick könnte man sich leicht der Nazi-Theorie anschließen, daß das Untermenschen sind, da viele von ihnen tatsächlich ihrer Menschlichkeit beraubt wurden. Es wäre leicht, mit der Bevorzugung des großen Lagers bei der Verteilung der Nahrungsmittel fortzufahren, wie es in der Vergangenheit der Fall war, und was noch bedeutender für die armen Teufel des Kleinen Lagers ist, mit der Verteilung der Medikamente. [...]«
1.4
Eugen Kogon* u. a.: „Der permanente unterirdische Kampf zwischen SS und antifaschistischen Kräften im Lager", 1945 67
Niemals hätte das KL. Buchenwald so viel Positives in dieser Hölle der SS erlebt, niemals wäre es am Ende zu einem beachtlichen Teil noch gerettet worden, wenn es der zähen, todesverachtenden Arbeit politischer führender Menschen unter den Lagerinsassen nicht gelungen wäre, sich im Laufe der Jahre doch durchzusetzen. Hauptgrundsatz dieser konsequenten, unerbittlichen Arbeit war es, gegen die SS eine undurchdringliche Mauer zu errichten, die nicht sichtbar war, aber überall dort in Wirksamkeit trat, wo ein SS-Angehöriger auftauchte. Die wenigen Männer der [SS]-Lagerführung mit ihren etwa 120 Ausführungsorganen waren unmöglich in der Lage, Zehntausende von Unterjochten anders als rein äußerlich und sporadisch zu kontrollieren. Was hinter dem Stacheldraht wirklich vorging, blieb ihnen verborgen. Sie ahnten das, witterten es, fürchteten es in dunklen Stunden des allmählichen Abstieges der letzten Jahre, aber sie konnten es nicht greifen, das Anonyme nicht packen. 66 67
Ausgelassen sind zwei kleinere und weniger informative Schlußabschnitte über die Außenlager Dora und Ohrdruf sowie der erwähnte Anhang A, siehe Anm. 61. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/154, Bl. 166-174. Auszug aus einem 99seitigen hektographierten „Bericht über Buchenwald", S. 71-79 v. 10.5.1945. Auf einem Vorblatt ist vermerkt: „Kollektivarbeit unter Redaktion Dr. Eugen Kogon, österreichischer Publizist, christ.-sozial. Von ehemaligen Häftlingen auf Grund der Anforderung des USA-Amtes für psychologische Kriegführung zusammengestellt. Wurde laut Angabe direkt dem Hauptquartier Eisenhauers [sie!] zugesandt und soll von dort nach Washington gehen." Der 1903 in München geborene Eugen Kogon, der seit 1938 in Buchenwald Funktionshäftling als Schreiber in der Fleckfieberstation gewesen war und
1.4 Bericht von Ε. Kogon u.a., 10. Mai 1945
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Sie suchten sich daher durch Spitzel Kenntnis von den internen Vorgängen im Lager zu verschaffen, besonders von oppositioneller Gesinnung und Organisation. 67 Leclair und Driemel68 gingen zuweilen selbst in Häftlingskleidung ins Lager - eine kindliche Methode, etwas in Erfahrung bringen zu wollen, da sie eine Fülle typischer Kleinigkeiten des Häftlingslebens nicht beherrschten, sofort erkannt und überwacht wurden; die Folge war nur verschärfte Aufmerksamkeit und weiter gesteigertes Mißtrauen. Auch die Einsetzung nationalsozialistischer Häftlingsspitzel hat sich für die Gestapo und die SS nicht bewährt. Ehe die Neuzugänge überhaupt das eigentliche Lager, also den Stacheldrahtbereich betraten, war, wenn sie irgendwie nationalsozialistischen] oder verwandten Kreisen angehörten, ihr Signalement69 der internen Lagerleitung und den maßgebenden Männern auf Häftlingsseite bereits zugeleitet. Zuverlässige Augen und Ohren waren stets vom ersten Moment an auf die „Neuen" gerichtet, die ja auch noch Stunden- und tagelang Etappen durchlaufen mußten, in denen sie von Häftlingen auf Herz und Nieren geprüft werden konnten. NS-Leute blieben im Lager abgekapselt, bis sie entweder unschädlich gemacht werden konnten oder sich einwandfrei ungefährlich erwiesen (welches Glück nur sehr wenige hat1944 als Christlich-Sozialer dem illegalen Volksfiontausschuß fur Österreich angehört hatte, verdankte einer kommunistischen Rettungsaktion im Häftlingskrankenbau 1943 sein Leben. Nachdem er vor 1938 als konservativer Publizist und international agierender Vertreter einer privaten Vermögensverwaltung von Wien aus den NS eher von rechts bekämpft hatte, mag dies fur sein Eintreten fur einen christlichen Sozialismus bei der Gründung der Frankfurter CDU 1945 bestimmend geworden sein. Die Nachrichtenabteilung der PWD (vgl. Dok. 1.3), die nach Fleck und Tenenbaum eine fünfköpfige Untersuchungskommision unter Lt. Albert G. Rosenberg nach Buchenwald entsandt hatte, konnte ihn als Koordinator eines kollektiven Erinnerungsberichts der Häftlinge über Buchenwald anwerben und stellte ihm dafür die Weimarer Villa des Reichsfuhrers der HJ, Baidur von Schirach, zur Verfügung, wo er aus den Vernehmungen der PWD-Gruppe, den meist kurzen Erinnerungsberichten, die das ILK vor allem von kommunistischen Funktionshäftlingen erbat, und aus seiner Eigenerfahrung diesen Bericht diktierte. Bevor er fertiggestellt wurde, entsandte das ILK den Journalisten und Leiter seines Informationsbüros Stefan Heymann* (KPD) zu ihm, um dafür zu sorgen, daß kritische Äußerungen über die Kommunisten unterblieben. Ob es dafür einen Anlaß gab (da den Häftlingen ja der zwei Wochen zuvor erstattete Bericht von Fleck und Tenenbaum nicht bekannt geworden sein dürfte) oder ob dies nur der umfassenden Kontrolltendenz des kommunistisch beherrschten ILK entsprach, ist unbekannt. Vor der Abgabe wurde der Bericht einer Versammlung von 15 prominenten Politischen (darunter 2/3 Kommunisten und die meisten entscheidenden Köpfe der Kapo-Schicht) vorgetragen und von dieser gebilligt. Kogon blieb auch danach in den Diensten der Amerikaner; die PWD entsandte ihn zunächst nach Frankfürt, dann nach Paris, wo Richard Crossmann (damals bei PWD, später britischer Labour Politiker) die Ausarbeitung des Berichts zu einem Aufklärungsbuch vorschlug, was die Unterstützung des Chefs von PWD und späteren Leiters der USInformationskontrolle in Deutschland fand. Kogon ließ sich in einem Taunusvorort von Frankfurt am Main nieder, wo er mit Unterstützung der Amerikaner die Zeitschrift „Frankfurter Hefte" (die einzige überlebende Nachkriegsgründung dieser Art) mitbegründete und den Kollektivbericht vom Mai 1945 zu seinem epochemachenden Buch „Der SS-Staat" (Frankfürt a.M. 1946, hier zit. nach einer Ausgabe von 1960, zur Entstehungsgeschichte S. VI ff.) ausbaute, das schon im ersten Nachkriegsjahrzehnt eine Auflage von 150.000 Exemplaren erreichte und das westliche Bild von Buchenwald und vom NS-KZ-System überhaupt prägen sollte. Die das Leitbeispiel Buchenwald betreffenden Kempassagen dieses Buches sind weithin wortidentisch mit dem Bericht, aber deutlich erweitert - so erscheint der hier vorgelegte Abschnitt im Buch unter demselben Titel, aber in dreifacher Länge (S. 308-330). Die Erweiterung in solchen Kapiteln diente vor allem vermehrter Anschaulichkeit durch Einarbeitung von Beispielen aus den Erinnerungsberichten der Häftlinge; das Original ist analytisch straffer. Wo die politische Bewertung in solchen Erweiterungen des Buches vom Bericht abweicht, ist dies im Folgenden angemerkt.
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SS-Hauptscharführer (und Kriminalobersekretär) Hubert Leclaire leitete die Politische Abteilung der Lagerkommandantur, SS-Obersturmführer Fritz Driemel die Geldverwaltung des KZ Buchenwald. Im Buch: „Steckbrief.
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ten). Erfolg hatte die SS nur mit Spitzeln aus dem Lager selbst - BVer, Asozialen und auch Politischen. Die Zusammenarbeit mit der SS ergab sich fur die „Zinker" 70 entweder nach und nach von selbst, auf Grund gewisser Positionen, die sie innehatten und die sie in dauerndem Verkehr mit der SS hielt, oder aus persönlichen Rachemotiven oder aus Macht- und Geltungsbedürfnis. Einige sind von der Gestapo bzw. der Lagerfuhrung zu Spitzeldiensten auch gepreßt worden. Der berühmteste und berüchtigtste Fall freiwilliger Denunziationsarbeit ereignete sich 1940/41 im KL. Buchenwald, als der weißrussische Emigrant Grigorij Kuschnir-Kuschnarew* 71 , angeblich früherer General, nachdem er sich monatelang systematisch in das Vertrauen weiter Kreise eingeschlichen hatte, damit begann, Kameraden jeder Art, besonders aber russische Kriegsgefangene, der SS ans Messer zu liefern. Dieser elende Gestapo-Agent, der mehrere hundert Kameraden zu Tode gebracht hat, scheute auch nicht davor zurück, jedermann in der infamsten Weise zu denunzieren, der mit ihm irgendeinmal in einen, wenn auch gänzlich nebensächlichen persönlichen Konflikt geraten war. Die Geschichte des Falles Kuschnir-Kuschnarew darzustellen, würde einen eigenen spannenden Kriminalroman ergeben. Es ist erst im Dezember 1941 [im Häftlingskrankenbau] gelungen, den Kerl mit einer tödlichen Spritze zur Strecke zu bringen; offiziell ist er an einer akuten Infektionskrankheit gestorben. Die Gefahr, daß durch Spitzel und Denunzianten sich für das ganze Lager unübersehbare Folgen ergaben, war so groß, daß schon der Möglichkeit von Verrat vorgebeugt werden mußte. Mancher, der mit solchen Personen, ohne die Zusammenhänge zu kennen, in Berührung kam, geriet dadurch selbst in einen lebensgefährlichen Kreis; nur in den seltensten Fällen war ja von vornherein bekannt, welcher Art die Verbindung war und wohin sie, auch gegen den Willen des Betreffenden, fuhren konnte. Hier sind auch Mißgriffe vorgekommen, die, fur sich betrachtet, niemals entschuldbar wären, die aber aus der Gesamtgefahrenlage begreiflich werden. Es bedurfte zuweilen mühseliger und belastender Interventionen, um einen wirklich Unschuldigen aus dem tödlichen Netz wieder zu befreien. Einige wenige sind zu „Zinkern" erst durch ungerechte Verfolgungen im Lager gemacht worden, aus denen sie in ihrer Verzweiflung und Unerfahrenheit keinen anderen Ausweg mehr sahen, als den Weg zur SS, die sie dann über kurz oder lang selbst fallen ließ. Die elastische Trennungswand72 gegenüber der SS war nur aufrecht zu erhalten, wenn das Lager von Häftlingsseite straff organisiert und einheitlich geleitet war. Dann konnten auch jene Elemente, die außerhalb der Organisation standen, von ihr sogar nichts wußten, oder die undiszipliniert waren, einerseits im Zaum gehalten und andererseits selbst geschützt werden. Zur Erfüllung dieser Aufgabe brachten die deutschen Kommunisten die besten Voraussetzungen mit: Im Gegensatz zu liberalen und demokratischen Auffassungen waren sie schon von früher her strikten Parteigehorsam gewohnt und daher in der Wahl der Mittel und Methoden dem Gegner fast allein gewachsen; außerdem besaßen sie die längste LagererfahDenunzianten. Grigorij Kuschnir-Kuschnarew war 1941 in der Häftlingsschreibstube tätig. Vgl. „undurchdringliche Mauer" im ersten Absatz dieses Textes.
1.4 Bericht von Ε. Kogon u.a., 10. Mai 1945
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rung. Daß dabei, besonders in den Anfangszeiten, wertvolle antifaschistische Persönlichkeiten anderer Richtung vielfach ausgeschaltet blieben, war bedauerlich, manchmal sogar nachteilig, aber praktisch nicht zu ändern. 73 Der Kampf um die Selbsterhaltung der antifaschistischen Kräfte hatte zur Voraussetzung, daß die Macht im Lager unter allen Umständen eindeutig in den Händen der politischen Häftlinge lag. Das Prinzip der SS, die Kategorien zu mischen, natürliche Gegensätze wach zu halten und künstliche zu schaffen, mußte in beständigem Kampf durchbrochen und unschädlich gemacht werden. Aus keinen anderen Gruppen heraus ist jemals der Versuch unternommen worden, die interne Lagerleitung in die Hand zu bekommen, als aus den Reihen der Politischen und der BVer. Die Gründe hierfür waren bei den Roten klar, bei den Grünen alles andere als politisch: sie wollten freie Bahn für ihre gewohnten Praktiken haben - für Korruption, Erpressung, materielle Besserstellung. Jede Kontrolle, besonders aber eine solche von innerhalb des Lagers, war ihnen unerträglich; mit der SS konnten sie dann, ihrer Meinung nach, in dem Rahmen, der überhaupt möglich war, mindestens ebenso gut fertig werden wie die Politischen. Die für die Roten aus politischen Motiven unübersteigbare Schranke zum erklärten Feind und Unterdrücker bestand fur viele der Grünen nicht. Wenn daher die Lagerfuhrung bei einem SS-Häuptling lag, der fur die BVer Vorliebe zeigte, ergab sich dann stets sofort die Gefahr eines internen Regimewechsels. Anfänglich war das KL. Buchenwald, wie bereits hervorgehoben, überwiegend unter der Herrschaft der Grünen. Dadurch, daß der größte Teil von ihnen 1938/39 zum Neuaufbau des KL. Flossenburg abtransportiert wurde, wurde es allmählich besser. Mit Kriegsausbruch kamen jedoch tausende von Grünen im Zuge einer Riesenrazzia der deutschen Polizei erneut in das Lager. 1942 errangen sie unter dem LA I Ohles noch einmal die Oberhand. Die Folgen zeigten sich in der bereits geschilderten „Sonderabteilung" drastisch genug. Mit welchen Mitteln die Grünen dabei arbeiteten (Einrichtung eines durchorganisierten Spitzelwesens, geheimer Einbau einer
Im Buch S. 310 f. hat Kogon hier eine längere Wertung des Verhaltens der Kommunisten im KZ eingeschaltet, die sich um die Abwägung von Kritik, Verständnis und Anerkennung bemüht. Darin sieht er ihre Machtausschließlichkeit in ihren alten Gewohnheiten (Moskauer Generallinien-Anweisungen) und überkommenen Maximen (Denken des 19. Jahrhunderts, dialektisches Schema), in ihrer fehlenden Verbindung mit der Außenweltwirklichkeit und in der Notwendigkeit ständiger großer Schlagkraft begründet, wodurch sie die verwickelten Verhältnisse der Lager primitiviert hätten. Sie seien zwar durchaus nicht einheitlich gewesen, hätten aber die inneren Gegensätze eisern niedergehalten, gelegentlich sogar durch Mord an opponierenden Genossen. Voll Mißtrauen gegen Andersdenkende hätten sie nur bedingungslose Gefolgsleute gefördert. Erst allmählich habe sich ein Weg der Zusammenarbeit mit spärlichen, aber zuweilen bemerkenswerten Gemeinschaftstaten entwickelt. Das Gros habe dies aber abgelehnt und sei unbelehrbar stur geblieben. Außerdem habe es Konjunkturritter und Mitläufer gegeben, die sich als 130 %ige Extremisten aufgespielt hätten. Andererseits könne das Verdienst der Kommunisten um die KZ-Gefangenen nicht hoch genug eingeschätzt werden, denen manche ihre Rettung verdankten. Das sei freilich nur selten reiner Uneigennützigkeit entsprungen, vielmehr eher einem GruppenSelbsterhaltungstrieb, von dessen Wirkungen manchmal das ganze Lager profitiert habe. Allerdings müsse man der KP den Hauptvorwurf machen, daß sie, die stets schnell zur Ausschaltung Andersgesinnter bereit gewesen sei, ihre eigenen Reihen nicht anders von richtigen Verbrechertypen kommunistischer Blockältester und Kapos gesäubert habe, als daß sie diese in Außenkommandos geschickt habe, wo ihnen die dortigen Häftlinge noch viel unkontrollierter ausgeliefert gewesen seien. Dadurch hätten sie sich viel an Sympathien, die ihre sonstige Zähigkeit im Kampf gegen die SS verdiente, verscherzt und den Ruhm völlig überschattet, „der jenen in ihren Reihen zukam, die weder anmaßend, noch brutal, noch korrupt waren".
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Schwarzhörer-Radioanlage zur Kompromittierung der Politischen usw.), ist in einem eigenen Bericht dargestellt.74 Ein aktiver Kampf gegen die SS war im Lager gänzlich unmöglich. Infolgedessen mußte sich das Hauptaugenmerk auf ihre Zersetzung, vor allem durch Korruption, richten, die den Häftlingen meist nicht nur materiell - allerdings mit einseitiger Risikoübernahme seitens der Gefangenen - zugute kam, sondern auch politisch, da sie bei den geweckteren SS-Leuten die Voraussetzung dafür schuf, um sie in ihren eigenen Idealen, sofern sie solche überhaupt hatten, unsicher zu machen oder, mit zunehmender Verschlechterung der Frontlage, ganz zu Fall zu bringen. Der wesentliche Zweck war der, sie so unter die Gewalt zu bekommen, daß sie schweigen, bzw. bestimmte Aktionen der Häftlinge, vor allem Lebensrettungen, dulden mußten. Die Grundneigung der SS zur Korruption wurde von den politischen Lagerinsassen mit aller Schlauheit gefördert und ausgenutzt. Mehr und mehr ist daher, mit vorwärts getrieVerweis auf eine der vielen Anlagen aus Häftlingserinnerungen, die dem Originalbericht beilagen, aber in der Version im ZPA fehlen. (Mehrere haben sich jedoch in der Materialsammlung Otto Halle* im BWA erhalten; aus ihnen wurde der 1946 erschienene ILK-Bericht über Buchenwald erarbeitet.) Der Bericht über die Tricks, mit denen der 1. Lagerälteste Ohles (zuvor Kapo des Baukommandos) im zweiten Halbjahr 1941 mit seinen 76 „grünen" Gefolgsleuten die Führungsschicht der kommunistischen Häftlinge bei der SS zu kompromittieren und ihre Konkurrenz im Lager durch die Versetzung 48 führender „Roter" in ein Strafkommando kurzzeitig auszuschalten verstand, ist jedoch in Kogon, SS-Staat, S. 312-314, ausführlich referiert. Ohles wurde jedoch alsbald von dem Lagerfriseur Franz Eichhorn* (KPD), der auch bei den SS-Führern gesucht war, beim Lagerkommandanten Hermann Pister denunziert, von diesem abgesetzt und selbst in den Steinbruch geschickt, wo er innerhalb eines Tages von „Roten" unter Beteiligung von „Grünen", die von Ohles benachteiligt worden waren, getötet worden sein soll. Nach diesem Dammbruch wurden im inneren Lagerkrieg auch seine „grünen" Helfershelfer zügig „ausgeschaltet". Ein unmittelbarer Übergang zu einem kommunistischen Lagerältesten erschien unmöglich; deshalb kam es zum Zwischenspiel des ehem. Kavallerierittmeisters (bzw. Oberleutnant u. ehem. Stahlhelm-Offizier) Fritz Wolff als 1. Lagerältester, der als Jude ins KZ gekommen, hier aber wegen seiner Willfahrigkeit gegenüber der SS „arisiert" worden war und homosexuelle Beziehungen zu jungen polnischen Häftlingen unterhalten haben soll. Als er sich gegen die Kommunisten stellte und Emst Brandt* (1942/43 Mitglied der illegalen KPD-Parteileitung) kurz vor dessen angekündigter Entlassung aus dem KZ zu denunzieren drohte, befürchteten die Kommunisten eine Machtübernahme der Polen mit Wolffs Hilfe und denunzierten ihn als Kopf eines polnischen Aufstandsversuchs. Daraufhin wurde Wolff in ein Außenkommando verschickt, wo er bald umkam, und eine Reihe führender (nach Kogons Ansicht völlig unschuldiger) Polen wurden im Krankenbau von dem SS-Arzt Hauptsturmfuhrer Dr. Waldemar Hoven durch Injektionen getötet. Damit war der Weg frei für Erich Reschke* (KPD) als 1. Lagerältesten, (vgl. zu diesen Vorgängen auch den Bericht von Emil Carlebach* von 1980 in: Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., S. 99, sowie Einleitung II.2 und Dok. 1.5.4 ff.). Kogon schaltet hier im Buch (S. 314 f.) eine erneute Reflexion der kommunistischen Politik im Lager ein: Seit diesen Vorgängen habe es keinen Versuch mehr zur Brechung der Vorherrschaft der KPD im Lager gegeben; andererseits habe diese, nachdem allmählich Nachrichten von der Wiederaufnahme der Volksfront-Losungen in Moskau durchgesickert seien, nunmehr auch Zusammenarbeit mit anderen politischen Häftlingen gesucht, was allerdings von einigen „düsteren Anhängern alter politischer Dogmen" abgelehnt worden sei, welche die alliierte Zusammenarbeit nur fur ein zeitweiliges Zweckbündnis gehalten hätten und bis zum Schluß der NS-Flüsterpropaganda von einem bevorstehenden Bündnis der kapitalistischen Westmächte mit dem Dritten Reich gegen die Sowjetunion aufgesessen seien. „Wo sie hätten denken sollen, da glaubten sie, und sie dachten, wo sie hätten glauben sollen [Kogon meint in ethischen Fragen]: deshalb waren sie nur um das besser als die braunen Derwische, was deren Sache schlechter war als die kommunistische." Zusammenarbeit mit ihnen sei „weder leicht noch vergnüglich" gewesen. Die klügsten und ehrlichsten Kommunisten hätten dies auch eingeräumt, was sie öffentlich aus Angst vor dem Bannstrahl ihrer „Pseudokirche" nie täten. Wenn die Kommunisten von Anfang an und durchweg demokratisch gewesen wären, hätte manches eventuell mit weniger Opfern und gerechter im Lager durchgesetzt werden können. Fazit: „Jedenfalls kann keine der Methoden, Praktiken und Gewohnheiten, die im Inferno entwickelt worden sind, in die neue, andere Wirklichkeit, sei es jetzt, sei es später, mit dem Anschein auch nur der allergeringsten Berechtigung übertragen werden!"
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ben durch andere Umstände wie den Krieg und das Ausländerproblem, unter der Decke eines engen Netzes von Interessenverflechung die eigentliche Macht über das Lager, d.h. die innere Gestaltung und ihr Getriebe, auf die Häftlingsseite übergegangen. Im letzten Jahr gab es im KL. Buchenwald eine so durchgebildete Selbstverwaltung, daß die SS in die wichtigsten Angelegenheiten keinen Einblick mehr hatte. Müde geworden, war sie nur daran gewöhnt, daß die Dinge „von selbst liefen", und ließ, im großen gesehen, die Politischen gewähren. Die Früchte der langjährigen Kämpfe und Mühen waren gereift; es konnten die Vorbereitungen für das erwartete Ende mit einiger Sicherheit getroffen werden. 75 Es ist weder der SS noch der Gestapo jemals wieder gelungen, in Buchenwald Maßnahmen durchzusetzen, die alle politischen Nervenstränge durchschnitten hätten. Die Gestapo hat es noch einmal, sehr zum Mißvergnügen der Lagerfuhrung, die sich getadelt, gestört und behindert fühlte, versucht. Im Sommer 1944 wurden auf Denunziation zweier Neuzugänge 76 hin an die 30 politischen Häftlinge, darunter bedeutende Leute der Linken, verhaftet und nach wochenlangem Aufenthalt im Bunker weggebracht. Die Untersuchung hat die Gestapo zu keinem brauchbaren Resultat gebracht. Bis auf wenige, über deren Schicksal nichts mehr bekannt geworden ist, wurden die Kameraden nach und nach wieder freigelassen.77 Allerdings lag während dieser Monate ein allgemeiner Druck über dem Lager, und in den ersten Wochen war jede politische Tätigkeit beinahe unmöglich. Die fuhrenden Kräfte zogen sich in neu organisierte Schneckengänge zurück. Auf der Voraussetzung der internen Macht basierte im Lager die ganze politische Organisation und Schulung der antifaschistischen Kräfte. Die in Deutschland weitverbreitete Meinung, die Insassen der KL. bekämen nationalsozialistischen politischen Unterricht und würden dann als „gebesserte Menschen" in die Volksgemeinschaft entlassen, ist der pure Unsinn. Die SS hat in Buchenwald niemals irgendeine politische „Schulung" oder etwas ähnliches auch nur eingeleitet, geschweige denn durchgeführt. Das einzige, was vielleicht entfernt in diesem Sinne hätte gedeutet werden können, waren die Radioübertragungen des deutschen Rundfunks. In jedem Block und in vielen Kommandos befanden sich Lautsprecher, die nach Belieben der SS eingestellt wurden und das deutsche Programm wiedergaben. Die Reden Adolf Hitlers mußten anfangs von den Häftlingen stehend am Appellplatz angehört werden. Sie waren so endlos wie der Regen, der auf die kahlgeschorenen Köpfe strömte, ihre Wirkung war die gleiche; man schüttelte sie von sich ab. Als es dann später möglich wurde, während der sogenannten Führerreden in den Blocks zu sein, war Hitler bereits so 75
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Dieser Abschnitt ist im Buch (S. 315-323) zu einer breiten Darlegung über die Möglichkeiten zur Komunpierung der SS und zur Gewinnung von Nachrichten durch die Häftlinge (außerdem über die Rekrutierung zum Dirlewanger-Bataillon) ausgestaltet, die Kogon Gelegenheit gibt, seine besondere Beziehung zu dem SS-Arzt Sturmbannführer Dr. Erwin Ding-Schuler, dem Leiter der Fleckfieber-Station in Block 46, darzustellen, der ihm wichtige Nachrichten gab und fiir den Kogon gegenüber den Alliierten sich verwenden wollte. Zu Beginn des Nürnberger Ärzteprozeß beging Ding-Schuler jedoch Selbstmord. Duda* (siehe Dok. II.5.12, Anm. 156) und Stmad. Nach Kogon (S. 338) soll Duda, bevor er sich zum Strafbataillon Dirlewanger meldete, auch der Lieferant fiir die Liste der 46 fuhrenden politischen Kader gewesen sein, die am Ende des Lagers vor der SS verborgen wurden, (vgl. Dok. 1.2, Anm. 17). Vgl. Dok. 1.3 zum „Komplott" Gustav Wegerers*. Im Buch ausfuhrlicher, nachdem Wegerer, Willi Bleicher* (KPD) u.a. nach der Befreiung ins Lager zurückgekehrt waren.
204
1 Frühe Zeugnisse nach der
Befeiung
niederlagengekrönt, daß er kürzer und weniger oft sprach, was im Lager schmerzlich empfunden wurde, da die meisten während seiner Reden einen gesunden Erholungsschlaf taten oder sich vergnügten. Die eigenen Unternehmungen und Maßnahmen zur Erhaltung der moralischen und politischen Widerstandskraft wurden mit viel Eifer und Hingabe vorbereitet und ausgeführt. Die Parteiorganisation war bei der Linken, und zwar sowohl bei den Kommunisten wie bei den Sozialdemokraten, gut durchgebildet. Schulungsarbeit fand ziemlich regelmäßig, wenn auch in kleinsten Zellen statt. Nach Ausmerzung des Spitzelwesens und eindeutiger Klärung der Machtverhältnisse im Lager selbst wurde ungeheuer viel politisiert, ab 1944 eigentlich ganz offen und ungehemmt. Tageszeitungen standen zur Verfugung; man konnte die „Thüringer Gauzeitung" und den „Völkischen Beobachter" lesen oder sich ein Heimatblatt kommen lassen. Im Lager bildete sich so etwas wie ein Propagandaministerium heraus, das auch geringfugige Informationen von Bedeutung, die Goebbels zuweilen nur in Grenzblätter veröffentlichen ließ, sammelte und weitergab. Scharfe politische Köpfe analysierten die Lage und schufen für die interessierten Kameraden Klarheit und Überblick, besonders zu Zeiten, wo es so aussah, als ob Hitlers Bäume in den Himmel wachsen sollten, und infolgedessen mancher Kamerad sehr deprimiert war. Paradoxerweise gab es wohl in ganz Deutschland keinen anderen Ort mehr, wo politisch so eindeutig - wenn auch illegal - gesprochen werden konnte wie im KL. Für die Auslandsnachrichten sorgte ein Abhördienst im Elektrikerkommando, dessen Mitteilungen täglich zweimal an Vertrauenspersonen weitergeleitet wurden. Die Arbeit an dieser Stelle war allerdings mit dauernder Lebensgefahr verbunden; sind doch im KL. Sachsenhausen im Herbst 1944 über 100 Kameraden wegen Abhörens ausländischer Sender verhaftet, mehr als zwei Dutzend von ihnen aufgehängt worden. 78 Auch von der Außenwelt und zur Außenwelt führten Dauerverbindungen, die sorgsam gepflegt wurden. Teils haben entlassene Schutzhäftlinge sie geschaffen, teils liefen sie über Außenkommandos und Zivilarbeiter. Auf diese Weise konnte das Bild, das von den Verhältnissen im Lande durch die Berichte der Neuzugänge entstand, dauernd korrigiert bzw. ergänzt werden. Wichtige politische Nachrichten aus dem Lager wurden nach außen lanciert. Wiederholt sind im KL. Buchenwald, unter Einhaltung der erforderlichen Sicherungsmaßregeln, antifaschistische Feiern abgehalten worden. Zu ihnen wurden naturgemäß nur absolut einwandfreie, langjährige Lagerinsassen eingeladen. Die Feiern bestanden in der Regel aus einem ernsten und einem heiteren Teil, bei welch letzterem gepfefferte politische Satire zum Besten gegeben wurde. Auch antifaschistische literarische Vorlesungen fanden statt. Aus den Werken der Lagerbibliothek wurde sorgsam alles herausgesucht, was hierfür brauchbar war, besonders aus den Werken deutscher Klassiker, und der Erfolg war jedesmal nachhaltig. Welche Wirkung erzielte allein die Vorlesung von Szenen aus Georg Büchners „Dantons Tod"! Da sich in der sogenannten Altmaterialverwertung immer wieder wertvolle Bücher aus beschlagnahmten Bibliotheken befanden (u.a., nebenbei erwähnt, einmal Justinians Pandekten und andere berühmte juristische Werke, femer sehr häufig die Bibel in alten und neuen Die letzten beiden Sätze fehlen in der Buchfassung.
1.4 Bericht von Ε. Kogon u.a., 10. Mai 1945
205
Ausgaben, die für Klosettpapier bestimmt waren), konnten die Programme außerordentlich bereichert werden. Heines revolutionär-satirische Gedichte sind auf solche Art in den Besitz der Häftlinge gelangt. Soweit die Freizeit es nur zuließ, wurde fur Unterhaltung von Häftlingsseite gesorgt. In den ersten Jahren wurden Musik- oder Kabarettabende in den Blocks gelegentlich, ganz nach Laune der SS, schwer bestraft. Später war es möglich, in der Kinohalle Konzerte und bunte Abende zu veranstalten, die sich größten Zuspruchs erfreuten und teilweise vorzügliche Programme boten, da sich ja unter den Häftlingen Kräfte von Rang und Namen und nicht wenige brauchbare Talente befanden. Auch der Sport hat in verhältnismäßig beiderseitigem Rahmen immer gelegentlich eine Rolle gespielt und dazu beigetragen, daß die Kameraden von den Schrecken und Mühsalen des Alltags fur die eine oder andere Stunde abgelenkt wurden. 79 Um alles durchführen und aufrechterhalten zu können, was illegal war, mußte ein wirksamer Häftlings-Selbstschutz ins Leben gerufen werden. Man beschloß, diesen Gedanken der SS selbst zu unterbreiten, und zwar in der Form einer Ordnungstruppe, die so etwas wie der verlängerte Arm der SS im Lager sein solle, in Wahrheit aber den wohlverstandenen Zielen der Gefangenen diente. Die Gefahr, daß die Organisation von der SS wirksam gegen die Häftlinge mißbraucht werden konnte, war in dem Zeitpunkt, als der Lagerschutz ins Leben gerufen wurde 8 0 , nicht mehr allzu groß. Die Spekulation erwies sich in der Tat als richtig. Die Lagerführung hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, ihn als eine Art Stellvertretung der SS-Macht im Lager zu betrachten, die ihr die Aufgabe der Kontrolle und Beherrschung des Lagers erleichterte. Wie bereits erwähnt, wurde der Lagerschutz aber zur Kerntruppe der Häftlinge gegen die SS ausgestaltet. Das war selbstverständlich eine schwierige und außerdem nach außen hin eine undankbare Aufgabe. Hatte der Lagerschutz doch z.B. die Neuzugänge, die Transporte, die Appellordnung, die Suchaktionen und dergleichen mehr zu übernehmen, wo es vielfach nicht ohne harten Zugriff abging. Geschlagen wurde vom Lagerschutz des KL. Buchenwald so gut wie gar nicht, was von Neuzugängen, die aus anderen Lagern kamen und die im ersten Augenblick erschraken, wenn sie von den Leuten des Buchenwalder Lagerschutzes in Empfang genommen wurden, immer mit froher Überraschung festgestellt wurde. Es hat natürlich dann und wann das eine oder andere Mitglied des Lagerschutzes gegeben, das man nach der angewandten Tonart als verhinderten SS-Mann hätte bezeichnen können. Aber das war nicht ausschlaggebend; denn wie wäre es dem Lager als Ganzem und Tausenden von Einzelnen bei Einlieferungen, bei Abtransportes bei Strafaktio-
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Der Abschnitt über Freizeit, Unterhaltung und Sport ist in Kogons Buch zu einem eigenen Kapitel ausgestaltet, stattdessen ist hier ein Abschnitt über Seelsorge (S. 326 f.) eingeschoben, der in der Mutmaßung endet, die Kommunisten hätten ihm im Lager nach dem Leben getrachtet, weil seine Versuche, von einem katholischen Geistlichen in Jena Utensilien für eine katholische Messe im Lager zu beschaffen, bei ihnen den Verdacht nachrichtendienstlicher Kontaktaufnahme mit dem Vatikan zur Übermittlung von Nachrichten über die Kommunisten hätte aufkommen lassen. Er zitiert dies als Beispiel „für die furchtbaren Innenkämpfe", ohne die „noch viel mehr gegen die SS" hätte geleistet werden können. Im Buch folgen (S. 327-30) dann Abschnitte über Sabotagehandlungen der Häftlinge, die im Bericht das folgende ausfuhrlichere Kapitel, das hier nicht mitabgedruckt ist, ausmachen. Juni 1942.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
nen und last not least, in den letzten Tagen Buchenwalds vor der Befreiung ergangen, wenn der Lagerschutz nicht für eine tadellose Ordnungs-Tarnwand gegenüber der SS gesorgt hätte! Dieses ungeheuerliche Verdienst deckt manchen begangenen Fehler reichlich zu. 81 Im übrigen verlor auch der Ton manches von seiner Härte und Rauheit, es gelang, den Lagerschutz zu internationalisieren. Gerade die deutschen Kameraden haben das durch Beschwätzung der SS zuwege gebracht, als die übrigen Voraussetzungen im Lager im Sinne einer Vereinheitlichung und gemeinsamen Ausrichtung für die Endmonate geschaffen waren. Aus allen möglichen Gründen und unter allen möglichen Vorwänden wurden immer neue Hilfstruppen des Lagerschutzes bzw. Einrichtungen, die im Notfall Seite an Seite mit ihm stehen konnten, geschaffen: außer der Feuerwehr, die schon bestand, die Brandwache, die Sanitätsgruppe, der Bergungstrupp usw., bis weit über 1.000 Mann zur Verfugung standen, die auf die Befehle der Häftlingslagerleitung harrten und straff diszipliniert waren. Es ist der SS nie gelungen, dieses allmählich sich bildende Machtgefüge und seine wirkliche Bedeutung zu durchschauen. Man mag selbst ermessen, welches Maß von Mut, rücksichtslosen Verantwortungsbewußtseins gegenüber den eigenen Lagerkräften, Klugheit und Kleinarbeit dazu gehörte, im permanenten unterirdischen Kampf den antifaschistischen Kräften diesen wirksamen Schutz zu schaffen. Der Einfluß und die Vorbildhaftigkeit waren so groß, daß politische Kameraden aus anderen Lagern, in denen sie von den Grünen terrorisiert wurden, Nachricht um Hilfe schickten und mit abgehenden Transporten Ordnungskräfte des KL. Buchenwald entsandt wurden, die zwar die Verhältnisse an ihrem Bestimmungsort nicht gleich grundsätzlich verändern, aber doch immerhin erleichtem konnten.
1.5
ERINNERUNGSBERICHTE VON UND ÜBER KAPOS, APRIL-MAI 1 9 4 5 8 2
I.S.l
Herbert Strobel*: „Die Geschichte des Krankenbaues im Konz.-Lager Buchenwald" (April-Mai 1945)"
Nachstehend wird der Versuch unternommen, die Geschichte des Krankenbaues im KL. Buchenwald, seine Entwicklung und alle Vorkommnisse, soweit sie mir noch erinnerlich sind, niederzulegen. Am Anfang des Lagers Buchenwald im Jahre 1937 war noch kein Krankenbau vorhanden. Die ersten Kranken wurden in einem Raum des Block 1 untergebracht. Durch das mör-
82
Der erste Teil dieses Absatzes ist bis zu dieser Stelle in der Buchfassung gestrichen. Im Folgenden werden ausgewählte Texte aus den Sammlungen Otto Halle* und lohannes Brumme* im BWA wiedergegeben. Dabei handelt es sich um Niederschriften, die Häftlinge in den ersten Wochen nach der Befrei-
1.5.1 Erinnerungsberichte: Krankenbau, April-Mai 1945
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derische Arbeitssystem - denn es ging alles in „caracho" - stieg die Zahl der Kranken daher sehr rasch, so daß eine andere Unterbringung sich als notwendig erwies. Es wurde dann der Block 2 als Revier eingerichtet. Als aber in laufender Folge die Krankenzahlen weiterhin stiegen, wurde im Sommer 1938 mit dem Bau von zwei Krankenbaracken im jetzigen Gelände des Krankenbaues begonnen. Die erste Baracke wurde zum Teil Verwaltungsbaracke. Es wurden weiterhin darin untergebracht: Die innere Ambulanz, die äußere Ambulanz, die Apotheke, die Diätküche, ein kleiner Operationssaal, ein kleiner Bestrahlungsraum und ein Krankensaal. Die Einrichtung der Ambulanzen und des Operationssaales waren sehr primitiv. Die zweite Baracke enthielt die Krankensäle. 82 83 D i e zu dieser Zeit im Krankenbau beschäftigten Häftlinge setzten sich zum größten Teil aus BV-Häftlingen und Asozialen zusammen, während politische Häftlinge nur schwach vertreten waren. Dementsprechend war auch das Verhältnis im Krankenbau. Von dem Essen wurde das Fett abgeschöpft und verschoben, die Behandlung der Kranken erfolgte nach materiellen Gesichtspunkten, wer gut zahlte, wurde auch gut behandelt. Gegen Geld und Wertsachen konnten die stationär Kranken ihren Aufenthalt im Krankenbau verlängern. Die Korruption unter den Häftlingen stand in hoher Blüte. Das ging soweit, daß man bei den Verstorbenen das Zahngold ausbrach und sich hiervon Schmucksachen anfertigte, um sie wieder zu verschieben. Die BVer machten bei der SS dadurch sich beliebt, daß sie kaum Medikamente an die Kranken verabfolgten. Der Lagerarzt war stolz darauf, daß in Buchenwald so wenig Medikamente verbraucht wurden. Die BVer gingen sogar soweit, sich mit der SS zu verfilzen, so daß auch die Korruption auf diese übergriff. Zu dieser Zeit war es verboten,
ung in der Regel noch in Buchenwald über ihre Erinnerungen angefertigt oder diktiert haben. Sie umfassen zumeist nur wenige Seiten, liegen in der Form maschinenschriftlicher Abschriften (gelegentlich mit Verfasserangabe, oft ohne, durchweg ungezeichnet) vor und sind offensichtlich als eine Art schriftliche Befragung - nämlich im Auftrag einer Redaktionskommission, die Experten innerhalb der Häftlinge um Erinnerungen an Lagerinstitutionen und -ereignisse bat - entstanden. Die Verfasser sind ganz überwiegend Funktionshäftlinge oder Funktionäre des ILK oder der KPD. Dieses Material wurde sowohl von der PWD-Kommission als auch vom ILK zur Erstellung ihrer Berichte über Buchenwald benutzt. Auch die verschiedenen Varianten der DDR-Standarddokumentation (Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., zuerst 1959, zuletzt 4. Aufl. 1983) beruhen zu erheblichen Teilen auf Textauszügen aus diesen Erinnerungssammlungen. Allerdings wurden dort solche Texte, in denen die Kapo-Problematik und die ungeschminkte Lager-Sprache deutlicher aufscheinen, entweder ausgespart oder nur in Fragmenten oder in späteren Bearbeitungen derselben Verfasser aus den SOer bis 80er Jahren veröffentlicht. Im Folgenden sind aus diesem umfänglichen Bestand Berichte über die drei wichtigsten Institutionen der Kapo-Macht (Krankenbau, Arbeitsstatistik, Lagerschutz), die deren Eigensicht spiegeln, sowie Texte über die Auseinandersetzungen Rot-Grün, die „Liquidierung" abtrünniger „roter" Kapos und ein kleines Stimmungsbild aus dem „Kleinen Lager" abgedruckt. In der Sammlung Otto Halle liegt dieser Text in leicht modifizierter Form in einer Abschrift mit dem maschinenschriftlichen Verfasservermerk „Busse*" vor, und aus dieser Gestalt sind auch mehrfach Textauszüge in die Buchenwald-Literatur eingegangen. Er entspricht jedoch nicht Ernst Busses weit ungelenkerer Schriftsprache; vielmehr hat ihn sich der Kapo des Krankenbaus gegenüber dem ILK wohl nur zu eigen gemacht. Wie aus einer anderen Überlieferung - Bartels* Übersendung früher Dokumente nach der Befreiung an das ZK der KPD (vgl. Dok. 1.6) - hervorgeht, wo der Bericht mit „Herbert Strobel, Chemnitz" unterschrieben ist, stammt er von einem der Pfleger des Krankenbaus. Wir folgen der dortigen Textgestalt (SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 243-248. Herbert Strobel, KPD, war seit März 1939 Pfleger im Häftlingskrankenbau. Zu seinem dortigen Alltag 1939 vgl. den in: Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald [Hg.]: Konzentrationslager Buchenwald Post Weimar/Thür. Katalog zu der Ausstellung aus der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990, S. 84, reproduzierten Brief eines entlassenen Kameraden an Strobels Mutter)
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Häftlingsärzte zu beschäftigen. Die Kranken unterstanden daher ausschließlich der Betreuung und Behandlung von Häftlingspflegern, denn SS-Ärzte waren sprichwörtlich faul. Der damalige Lagerarzt Dr. SchulerM, dieser SS-Führer war wie alle SS-Ärzte, bis auf wenige Ausnahmen, ein Nichtskönner in medizinischen Dingen. Zur Ausführung der Mordbefehle der SS-Führung reichten seine Kenntnisse aus. Beweis: Ende 1939 wurde der evangelische Pfarrer Schneider* aus Simmern im Hunsrück von Schuler umgelegt. Ich hatte damals den Heißluftraum als Pfleger über. Sturmbannführer Schuler kam mit Pfarrer Schneider in den Heißluftraum und befahl mir, ich solle den Raum verlassen. Als ich den Raum wieder betreten durfte, bot sich mir folgendes Bild: Pfarrer Schneider lag tot auf einer Pritsche, eine Blechwanne stand mitten im Raum, die mit Wasser gefüllt war. Der Bandostat erzeugte noch Strom. Sturmbannführer Ding-Schuler sagte mir, wenn ich etwas im Lager darüber sprechen würde, sollte mit mir dasselbe geschehen. Schneider war ein oppositioneller Pfarrer, der auch hier im Lager sich nicht das Wort verbieten ließ. Er saß dauernd im Bunker, bei Früh- u. Abendappell hielt er durch das Bunkerfenster oppositionelle Reden gegen den Faschismus. Unseres Wissens war er der erste Häftling, der offiziell im Krankenbau umgelegt wurde. Alle Kranken, die man im Krankenbau nicht aufnehmen konnte, die aber auch nicht arbeitsfähig waren, erhielten Schonung. Trotz ihrer Krankheit wurden sie im Holzhof mit Sägen und anderen Arbeiten beschäftigt. Die Schonungskranken und die Arztvormelder mußten jeden Morgen nach dem Appell am Tor antreten und wurden hier durch den Lagerführer grausam untersucht. Die Untersuchung war folgende: Wurde ein Häftling nicht als krank befunden, so bekam er Fußtritte, Stockhiebe oder wurde sonstigen Quälereien unterworfen. Anschließend war es nicht selten, daß er nach dem Steinbruch geschickt wurde, um dann am Abend meist tot wieder ins Lager zu kommen. Der Kommandant Koch, der oft das Lager inspizierte, nahm sich ganz besonders der Schonungskranken an. Er hieb sehr oft auf die Schonungskranken ein und entzog sofort die Schonung. Manchmal wurde auch ein ganzes Rudel von Scharführern mit der Auskämmung des Lagers beauftragt, um alle Schonungskranken ans Tor zu treiben. Dann spielten sich die schrecklichsten Szenen ab. Nach dem Attentat auf den Nazi-Botschaftssekretär von Rath durch Grünspan 85 kamen als Folge ungefähr 10.000 Juden in das Lager und wurden in Notbaracken la-5a untergebracht. Was sich hier abspielte, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Ohne Wasser, ohne Klosett waren hier Zehntausend Menschen zusammengepfercht. Ihre Not wurde durch die BV-Häftlinge in schamloser Weise ausgenützt. Einige Beispiele: Für ein Glas Wasser wurde bis zu 50 Mark gezahlt. Ungefähr 80 Juden wurden unter diesen Verhältnissen irrsinnig. Die im Krankenbau beschäftigten kriminellen Häftlinge beteiligten sich mit an diesen Erpressungen und zogen den Sanitäts-Dienstgehilfen der SS im Krankenbau in diese schmutzigen Geschäfte hinein. Sie raubten Juwelen und Schmuck, ebenso das Geld. Das Treiben der Bandi84
85
Dr. Erwin Ding (1912-1945), der sich seit 1944 Ding-Schuler nannte, 1938/39 Lagerarzt, 1942-45 Leiter der Fleckfieber-Station, zuletzt SS-Sturmbannführer. 1945 Selbstmord. Gemeint ist das Attentat von Herschel Grynszpan (1921-1943?) auf den Legationsrat Emst vom Rath von der deutschen Botschaft in Paris am 7.11.1938, das die Nazis zum Vorwand für das Reichsprogrom der sog. Reichskristallnacht vom 9.11.1938 nahmen.
1.5.1 Erinnerungsberichte: Krankenbau, April-Mai 1945
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ten wurde immer offener und führte schließlich zur Festsetzung des beteiligten SanitätsDienstgehilfen im Bunker, wo er sich im Winter 1938 erhängte. Die politischen Häftlinge des Lagers nutzten diesen Skandal aus, um die kriminellen Elemente aus dem Dienst des Krankenbaues zu entfernen und die Pflegerstellen durch politische Häftlinge zu ersetzen. Durch die Initiative des kommun. Landtagsabgeordneten Krämer*, der zuerst als Pfleger beschäftigt war, später Kapo wurde, änderten sich die Verhältnisse im Krankenbau grundsätzlich. Krämer verlangte von den politischen Kameraden menschliche Anständigkeit und politische Zuverlässigkeit. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Krankenbau zu einem Hauptstützpunkt im Kampf gegen die SS sowie die Oase der Sicherheit fur die Häftlinge. Unverzüglich wurde eine Änderung der unerträglichen Not an Medikamenten begonnen. In zähem Kampf wurden bei der SS größere Mengen Medikamente durchgesetzt, weiter in den SS-Revieren gestohlen und endlich durch Bestechung von SS-Unterfuhrern aus eigenen Geldmitteln von draußen beschafft, aus dem Personalbestand wurden alle korrupten und faulen Elemente entfernt und durch arbeitsfähige und arbeitswillige politische Häftlinge ersetzt. Mit diesem Personal besetzt, traf den Krankenbau Anfang 1939 eine große Ruhr- und Bauchtyphusepidemie. Sie forderte Hunderte von Toten. Im Sommer 1939 wurden Impfmaßnahmen durchgeführt, die ersten in einem deutschen Konz.-Lager überhaupt. Auch hier war der Druck der Häftlinge entscheidend. Im Oktober 1939 erneuerte sich die Tragödie vom November 1938 durch den ersten Polentransport, der von Weimar bis zum Lager buchstäblich gepeitscht wurde. Die Unterbringung erfolgte in Zelten. Die Häftlinge waren allen Unbilden der Witterung ausgesetzt. Um die beabsichtigte Ausrottung recht schnell zu verwirklichen, gab man ihnen ein Brot fur je 10 Mann, als ausschließliche Nahrung neben 1/2 Liter Wassersuppe. Wer auf dem Wege den Mißhandlungen nicht zum Opfer gefallen war, erlag dem Hunger. Nach wochenlangem Kampfe gelang es erst den deutschen Häftlingen des Krankenbaues, die Genehmigung zur Pflege der Überlebenden zu erlangen, wegen der strengen Verbote konnte man Kranke nur heimlich aufnehmen. In jener Zeit erfand die SS ein neues Verbrechen, das der Polenfreundlichkeit. Jede menschliche und kameradschaftliche Handlung einem Polen gegenüber wurde auf das Grausamste bestraft. Heute noch leben in Buchenwald Polen, Zeugen des ersten Transportes, daß die Pfleger des Krankenbaues allen Gefahren zum Trotz ihre kameradschaftliche Pflicht ihnen gegenüber erfüllt haben. Im Jahre 1940 wurde eine weitere Baracke im Krankenbau errichtet, um den erbärmlichen Zuständen der chirurgischen Abteilung abzuhelfen, bauten wir 1 9 4 0 - 4 1 das sogenannte Op. II 86 mit Röntgenraum. Zu diesem Neubau, der überhaupt nicht genehmigt war und in keinem Plane stand noch steht, wurde von der SS kein einziger Ziegelstein bewilligt. Buchstäblich jedes einzelne Stück mußte an den Außenstellen der Kommandos gestohlen und ins Lager gebracht werden. Die Bauelemente gingen den Nazis auf diese Art fur ihr In-
Gememt ist der zweite Operationssaal.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
dustrievorhaben verloren. Auch die Inneneinrichtung und alle Instrumente vom Kleiderhaken bis zum Röntgenapparat wurden aus Häftlingsmitteln bestritten. Das Jahr 1939 brachte einen weiteren Wechsel des Lagerarztes. Es erschien SS-Untersturmfuhrer Wagnefi1 und SS-Untersturmfuhrer Hoven. Beide Ärzte hatten den Doktorhut noch nicht erworben. Sie ließen sich ihre Doktorarbeit von Häftlingen anfertigen. Für Wagner schrieb der Häftling Grünwald*, für Hoven die Häftlinge Wegner [Wegerer]* und Sitte88 die Doktorarbeiten. Wagner gelangte schnell zu einer traurigen Berühmtheit, denn er begann in Buchenwald mit der Einfuhrung von Massenliquidationen durch Injektionsspritzen. Seine Opfer waren hauptsächlich Zigeuner aus dem Burgenland. Eine ähnliche Figur war der Dr. Neumann 89 vom Hygiene-Institut der SS in Berlin. Dieser sogenannte Arzt betrieb die Vivisektion an Häftlingen. Er schnitt ihnen bei lebendigem Leibe Stücke aus der Leber, alle seine Opfer bezahlten diese Versuche mit ihrem Leben. In diese Zeit fallt der Aufbau der Baracke 4. Die gleiche Zeit bescherte uns auch den Schrecken von Buchenwald, Dr. Eisele90 aus Württemberg. Dieser Mann verdient eine besondere Würdigung. Er holte sich wahllos seine Opfer von der Straße weg. Meistens führte er sie in die Ambulanz, um ihnen eine Spritze zu geben und sich hinterher an den Auswirkungen zu ergötzen. Er nahm willkürlich ohne jede Notwendigkeit Operationen und Amputationen vor, um seine Versuchsobjekte anschließend zu töten. Im Lager lebt jetzt noch der Holländer [Max] Nebig*, der als einer der wenigen durch die Initiative des Saalpflegers gerettet werden konnte. Dr. Eisele nahm an Nebig ohne ersichtlichen Grund eine Magenoperation vor, nach der Operation sollte Nebig abgespritzt werden, doch gelang es ihm, [sich] schon als tot zu unterschlagen und somit sein Leben zu retten. Nebig wurde 1 1/2 Jahre dem Gesichtsfeld des Mörders durch Verstecken auf der TBC-Abteilung entzogen. Diese schrecklichen Ereignisse veranlaßten die politischen deutschen Häftlinge des Krankenbaues zu einer grundsätzlichen Stellungnahme. Die Ansicht, aus dem Kommando auszuscheiden und das Feld wieder kriminellen Häftlingen zu überlassen, wurde als verantwortungsscheu und lagergefährdend abgelehnt. Es wurde im Gegenteil verbindlich festgelegt, die bittere Zeugenschaft auf sich zu nehmen, um bei fast jeder Gelegenheit retten zu können, was zu retten sei. Diese Haltung ist bis zum Tage der Befreiung des Lagers Richtschnur geblieben. Die hartnäckige gefährliche antifaschistische Arbeit der politischen Häftlinge im Krankenbau konnte auf die Dauer der SS nicht verborgen bleiben. Im Oktober 1941 wurden die beiden verantwortlichen Kameraden des Reviers Krämer und Peix* auf Befehl des Kommandanten Koch plötzlich zum Tor gerufen und in den Bunker gesteckt. Nach 6 Tagen wurden beide in das Außenkommando Goslar überfuhrt, an getrennten 87
88 89
Dr. Erich Wagner (1912-1959), SS-Sturmbannführer, war in Buchenwald von 1939-41. 1958 verhaftet, 1959 Selbstmord. Nicht identifiziert. Dr. Robert Neumann (geb. 1902), SS-Obersturmbannführer, führte 1939/40 im KZ Buchenwald medizinische Versuche durch. 1947 war er in amerikanischer Haft in Dachau, 1948 freigelassen. Dr. Hans Eisele (1912-1967), SS-Hauptsturmfuhrer, in Buchenwald vom Februar bis September 1941, danach in den KZ Natzweiler und Dachau. Im Dachauprozeß wurde er 1945 zum Tode verurteilt, das Urteil im Jahr darauf aber wieder aufgehoben; im folgenden Jahr wurde er im Buchenwald-Prozeß (in Dachau) erneut zum Tode verurteilt; dieses Urteil wurde 1950 aufgehoben. 1958 ist Eisele nach Ägypten geflohen, wo er 1967 starb.
15. J Erinnerungsberichte: Krankenbau, April-Mai 1945
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Arbeitsplätzen eingesetzt, isoliert und durch Genickschüsse feige ermordet. Hiermit glaubte der Kommandant, den Widerstand des Krankenbaues gebrochen zu haben. Er sollte sich getäuscht haben, denn an Stelle der Gefallenen traten andere Männer der gleichen Gesinnung. Bis zum Tage der Befreiung ist die SS gegen den Krankenbau das Mißtrauen nicht losgeworden. Wenn den Faschisten auch nichts Genaues bekannt wurde, blieb das Personal des Krankenbaues bis zum letzten Tage besonders gefährdet, da bei allen Zwischenfällen Durchsuchungen zuerst im Krankenbau vorgenommen wurden. Die Mordliste der Befreiungswoche trug die Namen der beiden führenden Kameraden des Krankenbaues. In die Ära Hoven fallen die 2 - 3 geheimnisvollen Transporte, deren Opfer alle das Aktenzeichen 14 f 13 führten.91 Diese Häftlinge wurden nach Bernburg zum Tode durch Vergasen überfuhrt. Die meisten der Opfer waren Juden, doch befanden sich auch einige hervorragende Häftlinge darunter.92 Die verantwortlichen Kameraden des Krankenbaues benutzten die planmäßige Korrumpierung des Dr. Hoven dazu, alle politischen Häftlinge, die ebenfalls für den Transport vorgesehen waren, zu streichen. Dr. Hoven betätigte sich mit dem zukünftigen Obersturmführer Dr. Plaza93 und dem langjährigen SDG des Krankenbaues, SS-Hauptscharfiihrer Wilhelm94 in hemmungsloser Weise mit der Abspritzung solcher Häftlinge, deren Gesundheitszustand für die SS keinen Arbeitsnutzen mehr erhoffen ließ. Diese Morde waren in ihrer Gesamtheit nicht zu verhindern, aber doch haben die Kameraden des Krankenbaues unter eigener Lebensgefahr vielen das Leben retten können. Unter anderen sind lebende Zeugen dafür: Dr. med. Schnabel, Paul, Ölmütz95 Dr. med. Heller, Paul, Prag 96 Kahn, Alfred, Köln9? Umschweif, Max, Wien 98 9
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Unter dem Aktenzeichen „14 f 13" des Inspekteurs der Konzentrationslager wurde seit Frühjahr 1941 das sog. Euthanasieprogramm auf die KZ ausgedehnt, um auch hier die Vernichtung von Kranken, Behinderten und Mißliebigen zu betreiben. Insgesamt wurden dabei zwischen 11.000 und 15.000 KZ-Häftlinge selektiert und z.T. mit Gas vernichtet. Mitte Juli 1941 brachte die SS in Buchenwald 187 Menschen mit zwei Transporten in die Tötungsanstalt Sonnenstein. Im März 1942 wurden 384 jüdische Häftlinge in der Tötungsanstalt Bemburg ermordet. Insgesamt sollen in Buchenwald ca. 2000 Häftlinge der Aktion 14 f 13 zum Opfer gefallen sein. Vgl. Walter Grode: Die „Sonderbehandlung 14 f 13" in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches. Ein Beitrag zur Dynamik faschistischer Vemichtungspolitik, Frankfurt/M., Bern, New York 1987; Emst Klee: „Euthanasie" im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens", Frankfiirt/M. 1985, S. 345 ff. Lapsus linguae oder Anzeichen antisemitischer Abschätzigkeit? Zu den Nichtjuden gehörte z.B. der kommunistische Kapo Wilhelm Bludau. Dr. Heinrich Plaza (geb. 1912), SS-Hauptsturmführer, war in Buchenwald 1942/43, im folgenden Jahr in Dora und 1944/45 schließlich im Buchenwalder Außenkommando Ohrdruf. 1954 wurde er von einem französischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Friedrich Wilhelm (1890-1948), SS-Hauptscharfiihrer, Sanitätsdienstgrad, war in Buchenwald von 1939 bis 45. Er wurde im Dachauer Buchenwald-Prozeß 1947 zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet. Paul Schnabel (1906-1982), stammte aus einer jüdisch-tschechischen Familie, Arzt, 1939-45 als politischer Häftling im KZ Buchenwald. Paul Heller (geb. 1914), stammte aus einer jüdisch-tschechischen Familie, Arzt, 1939-43 und erneut-nach zwei Jahren in Auschwitz - 1945 in Buchenwald. Nach der Befreiung Emigration in die USA. Nicht identifiziert.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Lackner, Hans, Salzburg" Ertel, Aue 100 Falldorf, Alfredl01 Trümmer, Alfons 102 Seit der Übernahme des Reviers durch die Roten dienten die vorhandenen Krankensäle auch zum Schutze solcher Häftlinge, die gar nicht krank waren, sondern durch Todestransporte oder lokale Todesurteile in jeder Form bedroht waren. In besonderen Fällen, wenn keine andere Möglichkeit bestand, ließ man die Gefährdeten auf dem Papier sterben und unter anderem Namen weiterleben. So wurde an drei Belgiern, 26 russischen] Kriegsgefangenen, einem Deutschen und einigen ausländischen Juden gehandelt. Die Kameraden: Dr. [Eugen] Kogon*, Wien Georg Krause [Krausz]*, Berlin Leopold Hartmüller103, Wien sollten auf Todestransport gehen und wurden geschützt, da sie fälschlich als TBC-Kranke und als nicht transportfähig deklariert wurden. Bei dem Kameraden Uitz 104 aus Wien war aus Gründen der Täuschung eine Blinddarmoperation notwendig, um ihn vor dem sicheren Tod bei der Gestapo in Wien zu retten, wohin er befohlen war. Auf ähnliche Weise wurde der französische Kamerad Povez 105 , die luxemburgischen Kameraden Nikolaus Simon106 und Dr. med. Kongs 107 gerettet. Sehr vielen Häftlingen, die für den berüchtigten Nacht- und Nebeltransport [nach dem KZ] Natzweiler (härteste Lagerstufe) bestimmt [waren] 108 , wurde der Krankenbau zum sicheren Schutz. Dr. med. Elmelik 109 , Paris Kunstmaler Harry Pieck 110 , Den Haag
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Max Umschweif (geb. 1910), stammte aus einer jüdischen Familie in Wien, Rechtsanwalt, Spanienkämpfer, danach in Frankreich interniert, 1941-45 als politischer Häftling im KZ Buchenwald und dort 1943 in Fleckfieberversuchsstation Block 46 tätig. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. Alfred Falldorf (geb. 1902), seit 1939 im KZ Buchenwald als BV-Häftling. Gemeint sein könnte der österreichische Gefangnisdirektor Josef Trümmer (1877-1940), der im September 1938 ins KZ Buchenwald eingewiesen und 1940 ermordet („auf der Flucht erschossen") wurde. Nicht identifiziert. Eduard Ferdinand Uitz (geb. 1909 in Moosburg/Kämten), Maurer, Leiter der illegalen KPÖ in Wien. Nicht identifiziert. Nikolaus Simon (1899-1960), luxemburgischer Häftling im KZ Buchenwald 1941 -45. Kongs, Vorname unbekannt (geb. 1908), Arzt aus Luxemburg, im KZ Buchenwald 1944/45. „Nacht und Nebel" ist die Bezeichnung fur die Unterdrückung des westeuropäischen Widerstands, die auf einen Befehl Keitels vom 7.12.1941 zurückgeht, und die Verhaftung und das Verschwindenlassen der Betroffenen als sog. NN-Gefangene in Lagern, Militärgefangnissen und Zuchthäusern meint. Seit 1943 wurden NN-Gefangene der Gestapo übergeben, im September übergab die Justiz alle 24.000 NN-Gefangenen der Gestapo. Dieser Bereich ist für Buchenwald noch nicht erforscht. Leon Elmelik (geb. 1897 in Tunis), französisch naturalisierter Arzt luxemburgischer Abstammung, war im KZ Buchenwald 1944/45 inhaftiert. Gemeint ist: Henry Pieck (1895-1972), seit 1940 in Scheveningen und Ammersfort in politischer Haft, 1941-45 im KZ Buchenwald und hier in der Fleckfieberstation tätig. Nach 1945 Maler und Grafiker in den Niederlanden.
1.5.1 Erinnerungsberichte: Krankenbau, April-Mai 1945
213
Prof. van Lingen 111 , Holland und viele andere mehr, die der SS als unabkömmlich einsuggeriert wurden. In einer besonders gefahrvollen Situation - die Kameraden befanden sich damals in scharfem Gegensatz zu dem Lagerältesten [Fritz] Wolf [Wolff]* - rettete das Revier in wörtlich letzter Minute die polnischen Kameraden: Dr. med. Ciepielowsky 112 Josef Duda 1 1 3 . Die beiden anderen Opfer dieser Affare, Dr. med. Reichmann und der Pfleger Nowacki, konnten nicht gerettet werden. Maßgeblich beteiligt war der Krankenbau an zwei, durch Initiative der polnischen Häftlings-Lagerleitung 1943 geschaffenen Tatsachen: das Schonungs- und Transportproblem wurde ohne und gegen die SS von uns aus gelöst. Vom gleichen Jahre an datiert die Erweiterung der politischen Organisation im internationalen Maßstab. In kameradschaftlicher, vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Obleuten aller Nationen wurden sämtliche Arbeiten und Aufgaben des Krankenbaues gelöst. Das Personal sowie die Belegung mit Kranken wurde international gleichberechtigt durchgeführt. Auf Vorschlag der Nationen wurde nicht nur großzügig Schonung gegeben (die SS-Ärzte protestierten sehr oft vergeblich), sondern es wurde auch noch planmäßig Arbeitssabotage getrieben, indem man gesunde Spezialarbeiter der Rüstungsbetriebe, des Lagers, auf dem Papier arbeitsunfähig machte. Auch in der Überschreibung auf den Invalidenblock wurde großzügig verfahren. Ab 1942 gelang es auch, auf den Lagerarzt einzuwirken, daß er die Mißhandlung der Häftlinge durch Schläger, wie z.B. Oberscharführer Schmidt 114 , Werk Buchenwald, erheblich einschränkte, indem man das Argument der Schonung der Arbeitskraft glücklich gebrauchte. Im Jahre 1943 wurden aus dem Werk Buchenwald (Gustloff-Werk) 115 , wo ein mörderisches Arbeitstempo herrschte, viele Juden in den Krankenbau geschickt und abgespritzt. Die einzige Verfehlung der Kameraden bestand darin, daß sie bei der Arbeit einen Moment ausruhten oder eine Zigarette rauchten. Der SS-Oberscharführer Schmidt gab diese Kameraden bei dem Rapportfuhrer Hofschulte 116 zur Meldung, worauf dieser sie nach
111
112
113 114 1
116
Derk van Lingen (geb. 1895), holländischer Physikprofessor, stand auf der Liste der 46 Häftlinge (vgl. Dok. 1.2, Anm. 17). Marian Ciepielowski (geb. 1907), Arzt aus Polen, war als Häftling zeitweise Produktionsleiter in der Fleckfieberstation im KZ Buchenwald. Die Identität dieses Geretteten ist nicht geklärt, die folgenden beiden Opfer sind nicht identifiziert. Zu SS-Oberscharführer Schmidt-Thüringen vgl. Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 6. Personendaten nicht bekannt. Die Gustloff-Werke, oder auch nach dem lokalen NS-Gauleiter Fritz-Sauckel-Werke genannt, wurden 1943 als Werkzeugmaschinenfabrik fur die Rüstungsproduktion in unmittelbarer Nachbarschaft des KZ Buchenwald errichtet und im wesentlichen mit KZ Häftlingen betrieben; 1944 durch alliiertes Bombardement zerstört. Hermann Hofschulte (1908-1945), SS-Oberscharführer, Rapportfuhrer des KZ-Buchenwald 1944/45.
214
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Rücksprache mit dem Lagerfiihrer Schobert 117 zu diesem Zwecke in den Krankenbau schickte. Nicht alle Kameraden konnten aus dieser Situation gerettet werden, da Dr. Hoven hemmungslos alles abspritzte, was ihm von oben geschickt wurde. Von den Geretteten sind einige Namen auf Seite 4 genannt. In einem anderen Fall konnten 3 Russen gerettet werden, die wegen Diebstahl eines Treibriemens ebenfalls dasselbe Schicksal erleiden sollten. Die Liste der Geretteten könnte weitergeführt werden, doch sind die Namen nicht mehr alle im Gedächtnis oder sie [die Geretteten] befinden sich in anderen Lagern. In Verbindung mit den großen Prozessen gegen den ehemaligen Lagerkommandanten Koch wurde im Sommer 1943 Hauptsturmführer Dr. Hoven von seinen eigenen Leuten verhaftet und unter Anklage gestellt. Seine Stellung wurde von Hauptsturmführer Dr. Gerhard Schiedlausky 118 aus Lebus/Oder eingenommen, der hintereinander mehrere Mitarbeiter hatte; Dr. Rogge, Berlin, Dr. BenderDüren, Untersturmführer Creumus [Greunuß] 119 . Letzterer wurde später verantwortlicher Lagerarzt in S III 120 . Trotz der heftigen Abneigung Schiedlauskys gegen die Politischen (er hatte in seiner dunklen Vergangenheit als Lagerarzt im Frauenlager Ravensbrück und im KL. Natzweiler vorteilhaft mit Kriminellen zusammengearbeitet), gelang es diesem nicht, die politischen Häftlinge aus dem Krankenbau zu entfernen. Er hat das sichere Gefühl gehabt, einer geschlossenen Front gefährlicher Männer gegenüber zu stehen. Das letzte Jahr des KL. Buchenwald ist gebrandmarkt durch die ankommenden Transporte des Todes aus dem Osten, aus Ohrdruf, aus Kommando Wille, Kommando Schwalbe usw. 121 Dem Ansturm dieser Halbtoten waren weder Lager noch Krankenbau gewachsen. Die Lösung der katastrophalen Raumfrage fand der SS-Arzt in der altbewährten Praxis. Am Bahnhof, im großen Bad, in den Zelten, im Vorraum des zum Jammerhospital eingerichteten Blocks 61 [im „Kleinen Lager"] fanden Hunderte und Aberhunderte unter der Hand seines Werkzeuges, des Hauptscharführers Wilhelm, den Tod. Wie blutiger Hohn mutet ein Schreiben des Berliner SS-Hauptamtes an, das im letzten Monat der SS-Herrlichkeit eintraf und eine bessere Behandlung forderte. 122 Das Schreiben hatte jedenfalls die Wirkung, der verbrecherischen Praxis im Lager ein Ende zu setzen. Für die maßgeblichen meistbeteiligten Kameraden des Krankenbaues bedeuteten die vielen Jahre ihrer Tätigkeit eine ununterbrochene Kette von Schwierigkeiten, Sorgen und Gefahren, so daß manche Details verloren gingen. Der hiermit schließende Bericht konnte naturgemäß nur ein schwaches Abbild der Fülle der Erleben dieser schlimmen Jahre sein. 117
118
119
'2" 121
122
Max Schobert (1904-1948), SS-Sturmbannführer 1940-45 im KZ Buchenwald, seit 1942 1. Schutzhaftlagerfiihrer. 1947 im Dachauer Buchenwald-Prozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dr. Gerhard Schiedlausky (1906-1947), SS-Hauptsturmführer, in Buchenwald 1943-45, 1947 im Ravensbrückprozeß vom britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dr. Ralf Rogge, SS-Hauptsturmfiihrer, Lagerarzt Buchenwald 1944/45; Dr. August Bender, SS-Sturmbannfuhrer, Lagerarzt Buchenwald 1938/39 u. 1944/45, 1947 im Buchenwald-Prozeß zu 10 Jahren Haft verurteilt, 1948 entlassen; Dr. Werner Greunuß, SS-Untersturmführer, Lagerarzt Buchenwald 1944/45, 1945 im Außenlager Ohrdruf, 1947 im Buchenwald-Prozeß zu lebenslänglicher Haft verurteilt, 1948 zu 20 Jahren gemildert. S III war der Deckname des Außenkommandos Ohrdruf. „Wille" war der Deckname fur das jüdische Außenkommando bei Brabag Rehmsdorf und „Schwalbe V" für das jüdische Außenkommando in Berga/Elster. Nicht nachgewiesen.
1.5.2 Erinnerungsberichte:
Arbeitsstatistik,
April-Mai 1945
215
Ein ausführlicher Bericht würde Bände füllen und muß einer späteren Zeit vorbehalten bleiben.
1.5.2
„Bericht über die Arbeit der Arbeitsstatistik" (April-Mai 1945) 123
Zwei Stichworte sollen den Anfang bilden: 1. Wandlung vom bloßen Vemichtungs- und Konzentrationslager der den Nazis als unsicher und ihnen direkt gefährlich erscheinenden Elementen zum Zwangsarbeiterlager. 2. Vom brutalen Einzelmord zum Massenmord und der damit notwendig gewordenen Organisierung gegen die SS. Eroberung von Schlüsselstellungen, besonders der Arbeitsstatistik und Ausschaltung von SS-hörigen Häftlingen. Nachdem ich vom Lager aus 124 als erstes Bindeglied und als Beauftragter in die Arbeitsstatistik geschickt wurde (Anfang 1942), galt es dort im Kommando eine internationale Basis zu schaffen, das heißt ausländische Kameraden heranzuziehen, die erstens als Vertreter ihrer Nation und zweitens für alle Positiven und Antinazisten zu wirken hatten. Gegen die Tendenz der SS, keine Ausländer in Positionen und Schlüsselstellungen zu verwenden, wurden nach und nach Tschechoslowaken, Österreicher, Holländer, Franzosen, Spanier, Russen, Polen, Belgier, russische Kriegsgefangene und, gegen ein ausdrückliches Verbot der SS, auch Juden hinzugezogen. Unsere große Linie war, dem Lager in seiner Gesamtheit zu helfen, ohne Rücksicht auf Einzelschicksale. Es galt jede Möglichkeit, besonders unter Berücksichtigung des korrupten Charakters der SS, auszunützen und die furchtbaren Arbeitsbedingungen zu mildem. Unsere Arbeit begann schon mit dem Eintreffen der Zugänge, ihre Abklärung nach Nationen und Feststellung ihrer Zuverlässigkeit. Zuverlässigkeit war vor allem erforderlich, damit die SS-Lagerleitung keinen Einblick in unsere Arbeit und Organisation bekommen konnte. Zugänge wurden automatisch Baukommandos, auch Steinbruch, zugeteilt. Es galt Mittel und Wege zu finden, wann, wie und wo den Leuten bessere Arbeitskommandos zugewiesen werden konnten. Es wurde vor allen Dingen ein gut funktionierender Verbindungsdienst zwischen den einzelnen Nationen eingerichtet, zum Teil auf direktem Weg oder über einen zentralen Verbindungsmann. Bei Kameraden mit gesuchten Fachkenntnissen, wie Schlossern, Mechanikern, Elektrikern, Tischlern usw., war es nicht so schwer, sie unterzubringen, sei es in die DAW oder später in den Gustloff-Werken. Wenn es sich dabei auch größtenteils um kriegswichtige bzw. Rüstungsbetriebe und soweit uns noch bekannt wurde 123
124
BWA, Mat. Otto Halle. Der Bericht ist ungezeichnet. Nach Textanspielungen ist als Verfasser der Kapo der Arbeitsstatistik Willi Seifert*, KPD, (evtl. auch sein Stellvertreter Herbert Weidlich*, KPD) wahrscheinlich, obwohl unklar ist, ob diese erst 1942 in dieses Kommando kamen. Gemeint ist: von der „Selbstverwaltung" oder der illegalen Parteileitung des Lagers aus.
216
1 Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
auch um Geheimbetriebe handelte, so war es zum Ersten wichtig, die Leute in Kommandos und Betriebe unterzubringen, wo sie weniger unter dem SS-Terror zu leiden hatten, weniger den schlechten Witterungsverhältnissen ausgesetzt waren und wo sie auch teilweise nicht an dem fast unerträglichen Appellstehen teilzunehmen brauchten. Damit wurde Tausenden das Leben gerettet. Jedem konnte allerdings nicht geholfen werden. Es gab nicht nur erträgliche Kommandos in Buchenwald. Es blieb den Nationen überlassen, in geeigneter Weise Vorschläge zu machen, wer wo untergebracht werden sollte. Die technische Durchführung und Forcierung gegenüber der SS blieb uns überlassen. Es galt besonders, nie den Eindruck zu erwecken, als wenn wir die Aufträge in einem SSfeindlichen Sinn durchführten. Das war eine der schwersten Aufgaben und ließ sich auch nur im Zusammenarbeiten mit den Verantwortlichen der einzelnen Nationen durchführen. Wir mußten täglich eine Rapportmeldung über den Arbeitseinsatz an den Arbeitseinsatzfuhrer und an den Kommandanten einreichen (siehe beigefügtes Muster). Diese Meldung hatte nachzuweisen, wo die Häftlinge im einzelnen bei den Kommandos eingesetzt waren. Als Grundlage galt die durch die Schreibstube angegebene Appellstärke. Unsere Meldung mußte sich mit den Meldungen der Kommandofuhrer in den einzelnen Betrieben und des Arztes decken. Es war Nachweis zu liefern, wo sich die im einzelnen Fehlenden befanden. Darin lag die Schwere unserer Aufgabe, die Tausenden, die täglich der SS gegenüber unbegründeterweise fehlten, zu decken. Es handelte sich dabei zum ersteren um schonungsbedürftige Kameraden, die ohne Genehmigung des SS-Arztes durch die Nationen vom Kommando zurückgehalten wurden, oder um Kameraden, die im Lager zu antinazistischer bzw. lagerwichtiger Arbeit bestimmt waren, und zum zweiten um undisziplinierte Leute, Kameradendiebe, die ihr eigenes Leben im Lager zu leben glaubten, und die die Nationen nicht decken wollten und konnten und die trotz all dem von uns nicht gemeldet werden durften, da dies in unserem Verhältnis zur SS-Lagerleitung unserer Bankrotterklärung gleich gekommen wäre und die ständig drohende akute Gefahr der Ablösung der auf der Basis der internationalen Zusammenarbeit stehenden Kameraden durch SS-hörige (besonders kriminellen und den Häftlingen feindlichen) Elemente zur Folge gehabt hätte. Mit dem wachsenden Einsatz von Häftlingen für die Rüstungsproduktion und die Verschickung auf Außenkommandos stand die Frage, wen und wieviele kann man von diesen Transporten retten. Hier war vor allem die Hilfe der mittlerweile gegründeten Nationalkomitees, welche illegal zusammengestellt wurden, und die von ihnen vorbereiteten Arbeiten nützlich. Die Transporte an sich konnten natürlich nicht verhindert werden, das hätte offenen, hoffnungslosen Kampf mit der SS bedeutet. Es gab sogar Zeiten, wo sämtliche Arbeitsfähigen von hier aus zu den dem SS-Arbeitseinsatz vordringlichen Arbeiten weggeschickt werden sollten. Man schreckte selbst nicht von Abzug der hier in Rüstungsbetrieben eingesetzten Häftlingen zurück. Es war schwer, diese Pläne zu durchkreuzen. Für uns hätte dies die Zerschlagung unseres Aktivkaders und die Zerschlagung unserer zentralen Basis zur Hilfsleistung fur unsere Außenkommandos bedeutet. Häftlinge, die voll gesund waren, wurden von uns als transportunfähig erklärt und zurückgehalten. Der Kampf um die Verschik-
1.5.2 Erinnerungsberichte:
Arbeitsstatistik,
April-Mai 1945
217
kung der Kriegsgefangenen dauerte fast über ein Jahr. Von 600 einmal fur Transport bestimmten Kriegsgefangenen wurden nur 172 weggeschickt. Eine weitere Frage war die Rettung von Leuten, die geflüchtet waren und mit Fluchtpunkt wieder neu eingeliefert wurden mit ausdrücklicher Weisung von der politischen Abteilung, [sie] dürfen nicht mehr außerhalb des Zaunes, da sie vor ihrer Bestrafung bzw. Hinrichtung standen. Ebenfalls kamen Personen ins Lager, die nur kurzfristig eingeliefert wurden und ebenfalls hingerichtet werden sollten. Die Rettung solcher Leute war mit höchster Lebensgefahr verbunden. Sie wurden teilweise auf Außenkommandos oder andere Lager verschickt, von wo sie nicht ohne weiteres oder nur schwer von der Gestapo zurückgeholt werden konnten oder von [wo] sie überhaupt Gelegenheit zur Flucht hatten. Z.T. wurden sie mit Hilfe unserer Kameraden im Revier für tot erklärt und unter einem neuen Namen wieder aufleben lassen. Besonders kritisch war die Deckung zweier prominenter Leute des Secret Service, die ebenfalls neue Namen bekamen und als Funktionskräfte auf ein gutes Außenkommando geschickt wurden. Es war vor allem auch notwendig, gute antinazistische Elemente als Führungs- und Funktionskräfte zur Organisierung des Lagerlebens und zur Aufnahme von Verbindung mit Zivilisten und Organisierung der Flucht auf Außenkommandos zu schicken. In dieser Hinsicht wurde das Möglichste geleistet. Ein Spezialgebiet war die Organisierung von Sabotage in großem Maßstab. Es wurden z.B. bereits ausgesuchte Mechaniker, Schlosser, Ingenieure usw. entweder fur antinazistische Arbeiten im Lager zurückgehalten oder solche Facharbeiter als Schreibkräfte, Blockälteste oder Stubendienst eingesetzt, so daß ein steter Mangel an Spezialarbeitern fur die Rüstungsindustrie vorhanden war. Zu diesem Zweck und zur Kontrolle uns gegenüber, damit keine Facharbeiter von uns „unterbaut" wurden, hat das SS-Führungshauptamt ein Zentralinstitut mit Holleritkarten125 aufgebaut. Die Einrichtung diese Zentralinstitutes wurde besonders von hier aus in jeder Weise verzögert und sabotiert, so daß das SS-Führungshauptamt dieses Institut wegen nicht funktionieren bald wieder auflösen mußte. Weitere Sabotage: Solange in den Quartierblocks einigermaßen noch wohnliche Verhältnisse waren, Verlängerung der Quarantäne über die vorgeschriebene Zeit und damit Tausende dem Arbeitseinsatz entzogen. Kommando in den täglichen Arbeitseinsatzmeldungen zwar gefuhrt, aber nicht zur Arbeit gefuhrt. Richtlinien in den Rüstungsbetrieben zur Durchführung von Sabotage. Geeignete Kameraden da und dort als Spezialbeauftragte eingesetzt. Nicht organisierte Einzelsabotage wurde nach eingehender Besprechung und Diskussion mit den Vertrauensleuten des Lagers abgelehnt. / Unsere Losung war: / Organisierte Sabotage! / (Aufschlußreiche Darstellungen durch R. Leibrand in: „GustlofF-Werk" 126 )
125
' 2f >
Gemeint sind Lochkarten, die maschinell ausgezählt werden konnten, die damals fortgeschrittene Vorform von Computern. Offenbar ein weiterer Erinnerungsbericht über die Gewehrfabrik bei Buchenwald von dem württembergischen KPD-Funktionär und Buchenwald-Häftling Robert Leibbrand*, der aber in der Sammlung Halle nicht enthalten ist.
1 Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
218
Ein besonderes Kapitel war die Hilfsaktion für die Juden. Die Kameraden von uns, die den Aufbau von hier mitmachten, sind durch die gemeinsam mit ihnen durchlebten schwersten Stunden des Lagers aufs engste mit ihnen verbunden. Ihnen galt es zu allen Zeiten, gegen die haßvolle antisemitische Einstellung der SS zu helfen. Es galt, sie nach außen hin zu arisieren 1 2 7 , fur tot zu erklären und neu, unter anderem Namen, wieder aufleben zu lassen, ihnen illegale Schonungsmöglichkeiten zu verschaffen, sie als besonders wichtige Facharbeiter fur Rüstungsbetriebe zu empfehlen. Es galt, die SS mit ihren eigenen Argumenten zu schlagen: ein abgeschlagener K o p f hilft uns nicht mehr arbeiten. Es wurden auch dann, wenn noch tausend andere vorhanden waren, als die einzigen Spezialarbeiter Juden in bestimmte Handwerkerkommandos geschickt, weil sie dort bessere Bedingungen vorfanden, als draußen in den offenen Baukommandos unter ständiger Aufsicht der SS. Lange Auseinandersetzungen mit der SS-Lagerleitung und dem SS-Arbeitseinsatzfuhrer sowie fortdauernde Diskussionen über diese Frage waren notwendig. Es wäre weniger geschehen, wenn nicht die jüdischen Kameraden in Zusammenarbeit mit uns und auch durch eigene Aktivität mitgearbeitet hätten. In all diesen Dingen spielte natürlich unser Verhältnis zur SS-Führung und zu den SSLeuten eine wesentliche Rolle. Zum meisten hatte uns diese SS-Führung gehaßt, Drohungen mit Bunker, Aufhängen und Krematorium waren an der Tagesordnung, sie fürchteten aber gleichzeitig ernstliche Komplikationen. Sie waren zwar groß in ihrer Brutalität und in ihrem Sadismus, aber groß auch in ihrer Dummheit. Sie versuchten uns ihre Abrechnung kurz vor ihrem feigen Davonlaufen und vor dem Eintreffen der amerikanischen Armee noch vorzulegen. Sie versuchten mich und noch weitere 45 Kameraden zu liquidieren. Den nazistischen Bluthunden ist diese Werk dank der geschlossenen Solidarität des Lagers nicht gelungen. Es können hier nur Bruchstücke unserer Arbeit angedeutet werden. Zu einem größeren und allumfassenderen Bericht gehört längere Zeit. Aber noch eines. Die große Frage, die eigentlich an erster Stelle hätte stehen müssen: Wie war es möglich, daß die amerikanischen Truppen in Buchenwald 21.000 Häftlinge und kein leeres Lager vorfanden? Ihre Beantwortung kann nur in der wirklich guten internationalen Zusammenarbeit aller antinazistischen Kameraden gefunden werden, die Ausnutzung der Erfahrungen, die die deutschen politischen Häftlinge in ihrem langjährigen illegalen Kampf gesammelt hatten und die Aktivierung der zum Teil bereits lose organisierten Verbände [der] hier ankommenden Angehörigen nichtdeutscher Nationen. Weiter, wie war es möglich, daß die amerikanischen Truppen nicht eine hilflose, entnervte Masse hier vorfanden, sondern einen gut organisierten Verband mit einer festen Leitung? Das war das Ergebnis unserer internationalen Zusammenarbeit und Solidarität. Es kann nie die Frage so gestellt werden, daß Buchenwald vielleicht deshalb eine Ausnahme unter all den Konzentrationslagern bildete, weil vielleicht hier die SS-Führung und die SS-Leute weniger schlimm waren als anderswo. Nein, sie waren dieselben Blutrünstigen, sie waren genauso verrucht. Uns hat nur unser nie ermüdender Kampfeswille gerettet und aufrecht erhalten. D.h., durch Austausch von Häftlingskategorien Juden z.B. in politische Häftlinge umzufirmieren.
1.5.2 Erinnerungsberichte: Arbeitsstatistik, April-Mai 1945
219
Und nun noch eines. Wie war es möglich, daß die amerikanische Armee hier auf der einen Seite einen großen Teil physisch und ideologisch starker Häftlinge und auf der anderen Seite einen Teil von Toten und schwerleidenden Kranken und Halbtoten vorfand? Es sind mittlerweile schon viele Berichte über Buchenwald geschrieben worden, darin wird man einen Teil der Beantwortung finden. Ich wünsche nur, daß einmal ein großes Buch Buchenwald von den besten und erfahrensten Kennern des Lagers geschrieben wird. Das wäre das beste antinazistische Buch, das aufschlußreichste Dokument der Naziherrschaft und würde auch [auf] viele Fragen, die sich den Besuchern des Lagers aufdrängen, Antwort geben. Hier soll nur kurz angedeutet werden, daß vom Lager aus in internationaler Zusammenarbeit alles getan worden ist, was getan werden konnte. Wir waren aber gegenüber den von den berüchtigten Außenkommandos und anderen Lagern uns hierher Geschickten, halbtot Gearbeiteten und Geschlagenen, auf den oft tagelangen Transporten zu Skeletten Abgemagerten hilflos. Ohne Zweifel waren noch Höhere als die hiesige SS-Lagerleitung fur die Hierherleitung und Aufnahme von immer größer werdenden Transporten in das bereits zum Brechen überfüllte Lager verantwortlich. Aber typisch fur die Einstellung der Buchenwalder SS-Führung ist der Ausspruch des ehemaligen ersten Schutzhaftlagerführers Hauptsturmführer Schobert. Der auf Vorhalten von Seiten der Häftlinge hinsichtlich der unverantwortlichen Überfullung des Lagers zynisch sagte: „Solange das Tor noch zugeht, ist noch Platz im Lager!" Und diese Einstellung hat Tausenden das Leben gekostet. Obwohl sämtliche im Lager verantwortlichen Leute trotz aller Schwierigkeiten mit gestohlenen Baumaterialien der SS Notbaracken errichteten, notdürftige Wasch- und Klosettanlagen bauen ließen. Diese Notbaumaßnahmen wurden mit Baufach- und Hilfsarbeitern durchgeführt, die von den regulären Arbeitskommandos abgezogen wurden und illegal in den täglichen Aufstellungen der Arbeitsstatistik zu fuhren waren. Ein Buchungskunststück, das ständig Kopf und Kragen kosten konnte. Die Arbeitsstatistik bildete nur einen Teil des Lagers, sie kann aber als erklärendes Beispiel für das gesamte Häftlingslager angesehen werden. Es wurde nichts getan, das nicht vorher mit der Zentralstelle der nationalen Vertreter 128 durchgesprochen war. Keine Anweisung der SS-Lagerleitung und des SS-Arbeitseinsatzes wurde ohne vorherige Prüfimg und Erörterung durch die verantwortlichen Vertreter durchgeführt. Es galt dabei immer zu erwägen, wie können von uns verlangte Maßnahmen dem Lager gegenüber verantwortet und verständlich gemacht werden. Es gab Zeiten, wo der eine oder andere unter der Schwere der Aufgaben verzweifelte und um seine Ablösung bei unseren Kameraden und um Einsetzung eines Besseren und Unver-
Gemeint sein dürfte das ILK, dessen Leiter mit dem Mitgl. der illegalen Parteileitung der KPD, Walter Bartel*, identisch war.
220
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
brauchteren bat. Es war die einheitliche Leitung der Nationen, die neuen Mut zur Weiterarbeit gab und in solchen Fällen die einfache und harte Disziplinfrage stellte: „Du mußt auf deinem Posten bleiben!" Dieses Muß hat uns bis zum befreienden Ende durchhalten lassen. Wir sind gewiß, daß damit ein Grundstein für eine zukünftige, alle Nationen umfassende, internationale Zusammenarbeit gelegt wurde.
1.5.3
Karl Keim": „Bericht über Entstehung und Entwicklung des Lagerschutzes" (April-Mai 1945)129
Jeder Häftling litt in den vergangenen Jahren unter der Brutalität der SS. Nahezu jedermann wußte über die Schiebungen der SS-Verwalter mit Häftlingen und Lagereigentum Bescheid. Um die SS so wenig wie möglich im Lager zu haben, faßte die Häftlingslagerleitung im Juni 1942130 (j e n Beschluß, die SS-Lagerführung zur Bildung eines Lagerschutzes aus Häftlingen zu bewegen. Nach langem Hin und Her lag endlich die Genehmigung vor. Eine Erhöhung der ursprünglichen zwanzig Mann auf dreißig wurde bald durchgesetzt. Der Lagerschutz hatte folgende Aufgaben: Ordnung und Disziplin mußten im Lager aufrecht erhalten werden. Bei Nacht waren Lebensmittelmagazin, die verschiedenen Kammern 131 und sonstige Objekte, an denen wir als Häftlinge interessiert waren, zu bewachen. Daß die SS-Streifen nachts nicht mehr durchs Lager gingen und die Mithäftlinge somit von ihrem Terror verschont blieben, war ebenfalls von großer Wichtigkeit. Eine weitere Verbesserung für die Lagerinsassen war die Fernhaltung der SS von den Neuzugängen im Lager. Nachdem der Lagerschutz die Aufgabe übernommen hatte, diese Häftlinge im Lager unterzubringen, blieben sie von den Schikanen der SS, die sie vordem hatten erdulden müssen (Fußtritte, Faustschläge u.ä.), verschont. Dem Lagerschutz gebührt auch das Verdienst, tatkräftig bei Tag und Nacht an der Seuchenbekämpfung mitgewirkt zu haben, indem durch erhöhte Aufmerksamkeit die Verunreinigung des Kleinen Lagers verhindert und dessen Häftlinge strikt zum Waschen und zur persönlichen Sauberkeit angehalten wurden. 132 129
130
131 132
BWA, Mat. Otto Halle, Nr. 49, ungez. Durchschrift. Karl Keim, KPD-MdL aus Württemberg, 1933 KZ Heuberg und KZ Ulm-Kuhberg, seit 1939 im KZ Buchenwald. Zu dieser Zeit bestand die Lagerleitung aus Fritz Wolff* (LA I, politischer Häftling, Mitte 1943 von KPD-Häftlingen denunziert und auf einen Todestransport geschickt), Hans Bechert* (LA II, KPD, Ende 1942 abgesetzt und im März 1943 im Krankenbau von seinen Genossen „liquidiert") und Erich Reschke* (LA III, KPD, der in der Folge zunächst Bechert und dann Wolff ersetzte). Wie Effekten-, Geräte-, Bekleidungskammer u.ä., also die Vorrats- und Eigentumsmagazine. Zur Realitätsgerechtigkeit vgl. Dok. 1.5.7. Da das Kleine Lager angesichts seiner Überfullung und ständiger Neuzugänge nicht hygienisch in Ordnung gebracht werden konnte, wurde für die Hygiene des Schutzhaftlagers die Durchsetzung der Sperre, die es Häftlingen des Kleinen Lagers nicht erlaubte, in das große zu gehen, zu einer mindestens ebenso wichtigen Pflicht des Lagerschutzes.
1.5.3 Erinnerungsberichte: Lagerschutz, April-Mai 1945
221
Hervorheben möchte ich, daß bei Diebstählen und Einbrüchen durch Häftlinge keine Meldung an die SS weitergegeben wurde, obwohl ich dazu von der SS verpflichtet war. Der Häftling, der sich etwas zuschulden kommen ließ, wurde den Kameraden seiner Nation überstellt, die ihn zur Verantwortung zogen. Das war in verschiedenen Fällen nicht immer ganz einfach, da man damit rechnen mußte, daß die SS davon erfuhr. Es galt dann ihr klarzumachen, daß der Häftling überaus streng bestraft worden sei, was aber nie der Fall war. Wenn es auch da und dort zu Zwischenfällen kam, was sich in einem Lager mit 40 bis 50.000 Insassen mit der verschiedensten Veranlagung nicht vermeiden läßt, so möchte ich doch feststellen, daß wir ohne die Methoden der SS (Schlagen usw.) die Ordnung und Disziplin aufrechterhalten konnten - Schlagen ist das primitivste Erziehungsmittel, und wir lehnen es deshalb ab. Das war die Linie des Lagerschutzes, die wir aber nicht offen, sondern nur einzelnen Vertrauten sagen konnten, die dann die Aufgabe hatten, sie den anderen weiterzugeben ohne großes Aufsehen. Entsprechend der militärischen und politischen Entwicklung außerhalb des Zaunes ging auch die Entwicklung innerhalb desselben. Je mehr der Nazismus seinem Abgrund zusteuerte, um so mehr füllte sich das Lager mit neuen Häftlingen und stellte uns somit vor immer größere Aufgaben. Wir hatten schon längst den Wunsch, ausländische Kameraden in den Lagerschutz aufzunehmen. Die neue Situation ausnützend, wurde im August 1944 erneut der Versuch gemacht. Die SS-Lagerfuhrung lehnte einige Male ab, wurde aber endlich von der Notwendigkeit wegen der Sprachschwierigkeiten überzeugt, da alle Nationen Europas im Lager vertreten waren. Franzosen, Deutsche, Belgier, Luxemburger, Russen, Polen, Tschechen, Jugoslawen und Italiener waren nun im Lagerschutz eingegliedert, und der Stand erhöhte sich auf rund 100 Mann. Nachdem dies geschafft worden war, konnten wir die uns vor allem am Herzen liegende antifaschistische Arbeit verstärken. In schwierigen illegalen Verhältnissen unter besonderer Tarnung gegenüber der SS vollzog sich unsere Arbeit. Nach wie vor predigten wir Ordnung und Disziplin, hielten Reden in den Blocks und schufen unsere Verbindungen. Wir hatten die Überzeugimg, daß ohne eine straffe Ordnung und ohne die Fühlungnahme mit allen Häftlingen die uns gestellte Hauptaufgabe, uns aus den Klauen der Nazimordbanditen zu befreien, nicht möglich ist. Die Sicherung des Lagers wurde von uns übernommen, indem wir bei weiterer Zuspitzung der Lage alle wichtigen Punkte im Lager bei Tag und Nacht mit Posten besetzten, um jede Bewegung der SS beobachten und die leitenden Stellen der antifaschistischen Führung jeweils informieren zu können. So sind wir als Lagerschutz stolz darauf, mit bei denen gewesen zu sein, die die antifaschistische Front formiert haben und die bei der Auslösung des Kampfes gegen die SS am 11 .April [1945] beim Herannahen der amerikanischen Panzer und der damit verbundenen Befreiung mit der Waffe in der Hand ihren Mann gestanden sind.
222
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
1.5.4. Georg Krausz*: „Der Kampfan der inneren Lagerfront" (April-Mai 1945) 133
Die deutschen politischen Häftlinge im Lager Buchenwald hatten eine fast übermenschliche Arbeit zu leisten. Vorbedingung für den Aufbau einer antifaschistischen Kampffront im Lager war die absolute Beherrschung des Lagers in politischer Hand. Alle Kommandohöhen 134 mußten mit zuverlässigen Kameraden besetzt werden. Das kostete einen Kampf auf Leben und Tod gegen die kriminellen und asozialen Elemente im Lager. Auf ihr Schuldkonto kam die Ermordung des politischen jüdischen Kameraden Rudolf Arndt* aus Berlin, der auf Grund einer Denunziation am 4. Mai 1940 im Steinbruch erschossen wurde. Der Kampf um den Posten des Lagerältesten während der Lagerführung des [SS-] Untersturmführers [Wolfgang] Plaul im Januar 1942 ist ein Beispiel für die Schwierigkeit und Gefährlichkeit der antifaschistischen Arbeit im Lager. Er setzte den Berufsverbrecher [Josef] Ohles als Lagerältesten I ein, der mit Hilfe einer Reihe von Spitzeln sämtliche politischen Führer des Lagers auf eine Liste setzte, die dann zur Einrichtung der Sonderabteilung der Strafkompanie führte mit ca. 100 politischen Häftlingen, die damals schwere Quälereien und Strapazen erdulden mußten. Da die „Grünen" durch ihre Korruption, Saufereien und Unfähigkeit, den Lagerbetrieb intakt zu halten, für die SS eine große Belastung wurden, und der Lagerfuhrer Plaul außer seiner Brutalität keine Führerqualitäten hatte, fand diese Ära bald ein Ende. Der Kampf endete mit einem Siege der „Roten". Ohles und 5 seiner Zinkergarde fanden einen elenden Tod. Sie wurden nacheinander durch die Lagerinsassen erschlagen. Mit den neuen Lagerfuhrern [SS-Obersturmbannführer Hermann] Florstädt und [SS-Sturmbannführer Max] Schobert konnte man Dank ihrer überragenden Dummheit und Faulheit besser fertig werden. Florstädt setzte den Lagerältesten [Fritz] Wolff* ein, der zwar einen roten Winkel trug, aber kein Politischer war und eine zweideutige Rolle spielte. 135 Er hatte bald 136 abgewirtschaftet und wurde durch den Hamburger Kameraden [Erich] Reschke* ersetzt. Jetzt konnte die Organisierung der antifaschistischen Kampffront energisch aufgenommen werden. Dabei war das Schwierigste, der SS gegenüber das Gesicht der Loyalität zu wahren. Ein Mindestmaß von Arbeit mußte im Lager geleistet werden. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten, besonders mit den ausländischen Kameraden, hauptsächlich Polen und Ukrainern, ab. Der unge133
134 135
BWA, Mat. Otto Halle, Nr. 39, ungez. Durchschrift. Georg Krausz, Professorensohn aus der Slowakei und 1922-33 Redakteur des KPD-Zentralorgans „Rote Fahne", war 1936 verhaftet worden und seit 1940 als jüdischer kommunistischer Häftling im KZ Buchenwald. Er sollte kurz nach der Verfassung dieses Berichts auf dem Weg nach Berlin, den er mit zwei jungen jüdischen Kameraden angetreten hatte, von sowjetischen Truppen als „Jude" und „amerikanischer Spion" verhaftet und bis 1948 in verschiedenen Haftanstalten und Lagern, darunter dem ehemaligen KZ Sachsenhausen und dem SpezLager Nr. 2, dem ehemaligen KZ Buchenwald, festgehalten werden, bis sich das „Mißverständnis" zufallig aufklärte. Seine beiden Reisebegleiter sollen im sowjetischen Sonderlager Sachsenhausen ums Leben gekommen sein. Vgl. Heinz Brandt: Ein Traum, der nicht entfiihrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West, Frankftirt/M. 1985, S. 170 f. Terminus aus der kommunistischen Bürgerkriegssprache fur Machtpositionen. Vgl. Dok. 1.5.5. Di e Position des Lagerältesten war ein Schleudersitz. Von den insgesamt 12 LA I in der knapp achtjährigen Geschichte des KZs Buchenwald hielt sich Wolff- nächste Reschke mit ca. eineinviertel Jahren und Busse mit ca. einem Jahr - mit ca. einem dreiviertel Jahr am drittlängsten.
1.5.4 Erinnerungsberichte: An der inneren Front, April-Mai 1945
223
heure Terror gegen die Juden wurde geschickt und systematisch abgebaut. Sie wurden aus den schweren Kommandos, Steinbruch, Gärtnerei usw., vorsichtig zurückgezogen. Das Revier schützte sie weitgehend durch Gewährung von Schonung, ja, es wurden sogar jüdische Kameraden, die mit dem Befehl, sie durch Spritzen umzulegen, ins Revier eingeliefert wurden, durch Sabotage dieser Befehle gerettet und leben heute noch in unserer Mitte. Der von der SS stets wieder genährte Antisemitismus137 wurde auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt. Das war wohl das Schwerste. Immer wieder wurde der Vorwurf gegen die politischen Kameraden laut: „Ihr seid wohl Judenfreunde." Was das aus dem Munde der SSLageriuhrung gegen einen deutschen „Arier" bedeutete, kann niemand ermessen, der nicht die Geschichte des Konzentrationslagers von Anfang an und am eigenen Leibe als „Saujude" miterlebt hat. Mit der Fortdauer des Krieges wurden immer mehr der fanatischsten Blockführer 138 zur Fronttruppe eingezogen, lagerunerfahrener Ersatz dafür eingestellt, und immer mehr wurde das innere Lagerleben der SS-Kontrolle entzogen und von der Häftlingsführung übernommen. Es gelang sogar unter größter Lebensgefahr, Waffen für den Ernstfall ins Lager zu schmuggeln. Die Zusammenarbeit mit den ausländischen Kameraden im antifaschistischen Sinne wurde immer besser. Es war keineswegs so, daß die deutschen politischen Häftlinge ein Monopol auf die Futterkrippen139 innehatten. Polnische, tschechische, russische, holländische, französische Kameraden waren [im letzten Kriegsjahr] in Revier, Küche, Effektenkammer usw. reichlich vertreten. Im Lagerschutz und in der Feuerwehr wurde es ebenso gehalten. Statt einer Leibgarde fur die SS, die diese Institutionen ursprünglich sein sollten, wurden es zuverlässige, antifaschistische Kampfkader. Nach der Festnahme des Kameraden Reschke durch die Weimarer Gestapo, über dessen Schicksal wir heute noch nichts Bestimmtes wissen, trat Hans Eiden* an seine Stelle, der noch energischer den Kurs auf die Vorbereitung zum antifaschistischen Endkampf durchführte. Dieser letzte Kampf um das Leben der Häftlinge in Buchenwald ist die beste Bestätigung fur das einwandfreie, vorbildliche Verhalten der deutschen politischen Häftlingsführung. Und wenn kleinliche Geister aus Unverständnis und Unkenntnis der geleisteten illegalen Arbeit heute abfällige Kritik am Verhalten ihrer deutschen Kameraden üben wollen, so haben alte Häftlinge, einerlei welcher Nationalität, dafür nur Verachtung.
Gemeint ist: auch unter den Häftlingen. Gemeint sind die für die einzelnen Blocks verantwortlichen SS-Chargen, die am stärksten auf den Alltag der Häftlinge im Nahbereich einzuwirken vermochten. Gemeint ist: ausschlielich die privilegierten Lagerpositionen unter sich aufteilten.
224
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
1.5.5. Drei Berichte über abtrünnige Funktionshäftlinge (April-Mai 1945)
[1. Lagerältester Fritz] Wolff*140 Eines der berüchtigsten Kapitel des Konzentrationslagers Buchenwald war „Oberleutnant Wolif'. [Fritz] Wolff war der Sohn eines jüdischen Arztes aus Schlesien. Nach Besuch der Kadettenschule wurde er [Offizier] bei den Straßburger Ulanern, einem der reaktionärsten, feudalsten Truppenteile. Nach Kriegsausbruch drückte er sich 4 Jahre in der Heimat herum, zuletzt als Adjudant bei Prinz Friedrich Eitel. Nach dem Kriege blieb er bei der Reichswehr, bis 1920, heiratete dann die sehr häßliche Tochter eines sehr reichen Mannes. Diese Ehe hielt genau so lange wie das Geld. Die zweite Ehe mit der Tochter eines Kinobesitzers endete knapp am Zuchthaus vorbei dadurch, daß er seine Frau an einen reichen Wüstling verkuppelte. Die Sache kam heraus, die Sittenpolizei griff ein, als ehemaliger Oberleutnant erhielt Wolff wegen seiner großen Verdienste um Deutschland nur einige Monate Gefängnis und kam dann anschließend, weil er jüdischer Abstammung war, ins KZ. Von Dachau nach Buchenwald transportiert, wurde er sehr schnell Blockältester, war bekannt wegen seiner Korruptionsgeschäfte mit dem damaligen Lagerfuhrer SS-Untersturmführer [Friedrich] Hackmann und erwarb sich in kürzester Zeit das Vertrauen der gesamten Kommandantur. Anfang 1942 wurde Wolff Lagerältester. Der SS-Leitung war durch Spitzel bekanntgeworden, daß sich im Lager politische Gruppen von Häftlingen zusammengeschlossen hatten. Wolff, der als ehemaliger Stahlhelmmann das Vertrauen auch der politischen Abteilung besaß, wurde, nachdem 52 deutsche politische Häftlinge im Sonderkommando gelandet waren, nicht nur der Vertrauensmann der SS, sondern auch bestunterrichteter Kreise der Häftlinge. Er setzte als Blockälteste ehemalige Wehrmachtsangehörige ein, die ausnahmslos wegen asozialer Haltung im Lager gelandet waren. Wolff zog in den Block 8, den JugendlichenBlock, seine Stubendienste waren einige jugendliche Polen, darunter einer Namens R . 1 4 1 . Dieser R. war der Puppenjunge Wolffs, der das Abhängigkeitsverhältnis Wolffs fur seine persönlichen Zwecke benutzt hat.
140
'4'
BWA, Mat. Otto Halle, Nr. 20, Durchschrift einer Abschrift. Verfasser unbekannt. Eine an mehreren Stellen bereinigte Fassung wurde noch in der 1.Auflage von Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., S. 360f. abgedruckt, in späteren Auflagen aber wohl deshalb vollends gestrichen, weil der Text Einblick in das zeitgenössische Denken unter kommunistischen Kämpfern in Buchenwald über Juden, Polen, Homosexuelle und unwillfahrige Bündnispartner erlaubt. Friedrich WolfF war - von Dachau kommend - von 1939-43 als politischer Häftling im KZ Buchenwald und zunächst 1939/40 Lagerältester im „Kleinen Lager". Anonymisiert. Die aus Auschwitz kommenden polnischen Häftlinge, die dort eine ähnlich dominierende Stellung im Kapo-Bereich eingenommen hatten wie die deutschen Kommunisten in Buchenwald, versuchten diese auch in Buchenwald - offenbar auch durch WolfF- zu erlangen und gerieten dadurch in eine unmittelbare Konkurrenzsituation mit den deutschen Kommunisten, die ebenfalls WolfF für sich gewinnen wollten. Nachdem sich die deutschen Kommunisten schließlich mit der Ersetzung Wolffs durch Reschke durchsetzten, hatten sie größte Probleme im Kontakt mit den Polen als der zweitgrößten Häftlingsgruppe nächst den Russen. Vgl. Dok. 1.3, Anm. 42.
1.5.5 Erinnerungsberichte: Abtrünnige Kapos, April-Mai 1945
225
Wolff wurde durch den Einfluß dieses Jungen und durch seinen Verkehr mit einigen anderen Banditen einer der erbittertsten Gegner der politischen] Häftlinge. Ihm lag nur noch daran, seine Stellung bei der SS zu halten und als Führer im Lager angesehen zu werden. Mehrere Versuche verschiedener politischer Kameraden, mehrere Unterredungen mit führenden Kommunisten, u.a. [Albert] Kunz [Kuntz]*, führten zu dem Ergebnis, daß Wolff eine Kampfstellung gegen die einheitlich ausgerichtete Organisation [der Kommunisten] einnahm und eines Tages zum offenen Verräter an der antifaschistischen Sache wurde. Unter anderem verriet er Zusammenkünfte, die in der Pathologie stattgefunden hatten 1 4 2 , führte eine ständige Hetzkampagne gegen die ihm bekannte politische Zentrale, die sich im Häftlingsrevier befand 1 4 3 , und scheute nicht davor zurück, dem 144 Kameraden [Ernst] Brand [Brandt], Magdeburg, am Vortage seiner Entlassung [aus dem KZ] eine Meldung wegen politischer Tätigkeit im Lager zu machen. Nur die Drohung, ihn selbst wegen homosexueller Geschichten anzuzeigen, hielt ihn davon zurück. Wütend mußte er zusehen, wie Brandt entlassen wurde. Immer härter wurde der Kampf, immer mehr prallten die Gegensätze zwischen diesem Verbrecher und der illegalen Leitung des Häftlingslagers145 zusammen. Alle Einzelfälle zu schildern wäre unmöglich. Ein Fall fur viele: Im Krankenbau unterhielten sich SSHauptsturmfuhrer [Waldemar] Hoven und [SS-Sturmbannführer Max] Schobert über die schlechte Lage an der Front im Osten, der Häftling Hach, Rudi 146 stand im Rücken der beiden und bemerkte, die deutsche Wehrmacht, zu der ich unbedingtes Vertrauen habe, wird bald wieder zum Angriff antreten und die Russen schlagen. Hach war ein zuverlässiger Genösse, der diese Bemerkung natürlich nur in der Absicht, die beiden zu täuschen, gemacht hatte. Wolff hatte die Angelegenheit beobachtet und meldete tags darauf dem SSHauptsturmfuhrer Schobert den Vorfall mit den Worten: „Hach stand hinter ihnen und hielt sich den Bauch vor Lachen." Nur der Vergeßlichkeit des ewig besoffenen Schoberts ist es zuzuschreiben, daß die Sache nicht weiter beachtet wurde. Immer mehr Kameraden forderten die Beseitigung dieses Lagerältesten. An anderer Stelle 147 wird gesagt werden, wie und mit welchen Mitteln das bewerkstelligt wurde. Wolff mußte eines Tages ganz plötzlich auf Transport 148 , an seine Stelle trat wieder ein politischer LA I 1 4 9 . Unsere Organisation festigte sich, wurde geschlossener, einheitlicher. Es wurde eine Kampforganisation, die in der Lage war, alle Aufgaben zu meistern, die bis zum 11. April gestellt wurden. 142 143 144
145 146
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Hier war der KPÖ-Funktionär Gustav Wegerer* Kapo. Gemeint ist Emst Busse. Gemeint ist: über den Kameraden Brandt [damals Leitungsmitglied der illegalen KPD] eine Meldung bei der SS zu machen. Gemeint ist: die illegale Leitung der KPD, deren Mitglieder damals etwa 1 % der Häftlinge ausmachten. Rudolf Hach (geb. 1908), KPD, wegen sog. Wehrunwürdigkeit im KZ Buchenwald seit 1939. 1943, also im Jahr, von dem hier berichtet wird, aus dem KZ entlassen. Diese Stelle ist in den Erinnerungsberichten der Häftlinge nicht aufgefunden worden. Er soll nach Peenemünde geschickt worden und dort umgekommen sein. Gemeint ist Erich Reschke* (KPD).
226
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Fall Hermann Krause*, Kapo Häftlingsheizung150 Krause war ein alter politischer Häftling mit jahrelanger Zuchthaus- und Konzentrationslagerstrafe. In Buchenwald demoralisierte er und fand schließlich ein unrühmliches Ende. Er verübte Einbrüche in [das] Desinfektion[sgebäude] und die EfFektenkammer und stahl Häftlingseigentum, Kleidungsstücke und Wertgegenstände. Einen Diamantring, eine Golduhr, 360 Hfl [holländische Gulden] und etwa 500 $ [US-Dollar] schwindelte er einem französischen Professor ab, indem er dabei den Namen eines Antifaschisten der EfFektenkammer mißbrauchte. Er trieb dies monatelang. Vorhaltungen begegnete er mit den Worten: „Wenn Ihr diese Dinge meldet, dann werde ich verraten, wo eure Waffen stecken und einige von euch über den Rost gehen lassen 1 5 1 ." Das gestohlene Gut verschob er an die SS. Da er zu einer Gefahr für die Antifaschisten des Lagers geworden war, mußte er sterben. Als er wieder einmal eines Diebstahls überfuhrt wurde, bezog er derartige Schläge, daß er an den Folgen starb. Die deutschen Antifaschisten und ihre illegale Leitung waren, wie dieses Beispiel zeigt, durchaus bereit, Leute aus ihren Reihen zu opfern 1 5 2 , wenn sie mit der SS zusammenarbeiteten und zu einer Gefahr fur die Antifaschisten aller Nationen im Lager ge [worden waren...] Fall [Rudolf] Stelzmann, Blockältester 153 Stelzmann, ein politischer Häftling mit langen Zuchthaus- und Konzentrationslagerstrafen, entwickelte sich in Buchenwald zu einem Nazihelfer und Einpeitscher des SS-Terrors. Er hat die Portionen der Häftlinge seines Blocks unterschlagen und verschoben. Etwa 90-100 Häftlinge wurden von ihm persönlich totgeschlagen. Ein ehemaliger Lagerältester namens [Fritz] Wolff*, zwar ehemaliger Offizier, aber gegen Ende seiner Zeit als Lagerältester offener Helfer der SS gegen die Häftlinge (er wurde von den deutschen Antifaschisten gestürzt, mußte nach Bergen-Belsen auf Transport gehen und kam dort um), hat ihn zum Blockältesten der K-Kompanie, in der alle sogenannten Kriegsverbrecher, also Häftlinge, welche während des Krieges sich gegen SS-Gesetze vergangen hatten und unter besonders schweren Bedingungen untergebracht waren, und später zum Blockältesten der Sicherheitsverwahrten gemacht. Es dauerte lange, bis es der deutschen antifaschistischen Leitung in Zusammenarbeit mit dem Lagerältesten 154 gelang, ihn zu stürzen und zu liquidieren. Man machte gegen ihn Meldungen wegen Portionsschiebereien und Schiebungen mit Wertgegenständen der Häftlinge. SS-Obersturmfuhrer [Erich] Gust lehnte dem Lagerältesten [Erich] Reschke* gegenüber die Ablösung Stelzmanns mit der Begründung ab, er habe sich sehr verdient
150 151 152
153
154
BWA, Mat. Otto Halle, Nr. 78. Fragment von Durchschrift (es fehlt zweite Halbseite); Verfasser unbekannt. Gemeint ist: dafür sorgen, daß sie getötet werden. Dies antwortet offenbar auf Vorwürfe unter den Häftlingen (vgl. Dok. 1.3), daß die deutschen Kommunisten nach innen nicht dieselben drakonischen Maßstäbe konspirativer Disziplin anwendeten wie nach außen. BWA, Mat. Otto Halle, Nr. 76. Durchschrift; Verfasser unbekannt. Rudolf Stelzmann (1889-1944) war nach einer Zuchthausstrafe wegen Hochverrats im KZ Buchenwald seit 1938 und dort mehrfach Blockältester. Gemeint ist: die illegale Leitung der KPD im Lager in Zusammenarbeit mit Erich Reschke (KPD).
1.5.6 Erinnerungsberichte: Arbeil unter Berufsverbrechern und Grünen
227
gemacht. Man versuchte es in anderer Weise. Stelzmann war Klempner. Die DAW 1 5 5 suchte Fachkräfte. Der Lagerälteste schlug ihn für Arbeiten in der DAW vor. Die SSLagerführer Schobert und Gust lehnten ab. Im Januar 1944 machte Stelzmann eine große Schiebung mit Hilfe von BVera, bei der Wertsachen aus der Desinfektion 156 gestohlen wurden. Es gelang, der SS-Lagerführung klar zu machen, daß er damit auch die SS bestohlen habe. Seine Ablösung wurde durch die SS-Lagerfuhrung endlich verfugt. Am Tage darauf fand man Stelzmann im Kleinen Lager erschlagen auf. Wir Antifaschisten in Buchenwald decken und begrüßen diesen Akt heimlicher Feme, weil er ein korruptes Werkzeug der SS liquidierte.
1.5.6.
„Arbeit unter Berufsverbrechern und Grünen" (April-Mai 1945) 157
Wer ist B.-V.l5% ? Berufsverbrecher sind Parasiten der menschlichen Gesellschaft. Um sich ein gutes Leben ohne viel Anstrengung zu sichern, sind sie gewillt, mit jeder Brutalität, mit den skrupellosesten Methoden sich durchzusetzen. Sind ein [Hermann] Göring, ein [Robert] Ley usw. nicht Berufsverbrecher größten Formats? Göring, der nie etwas besaß, konnte zu seiner Hochzeit mit Emmi Sonnemann derselben einen Schmuck im Werte von 180 000 Mark und gleichzeitig die Köpfe der angeblichen Mörder von Horst Wessel als Morgengabe zu Füßen legen. Ley, der ewige Schuldenmacher, als der er im Volk bekannt ist, hatte kurze Zeit nach der Machtübernahme schon einige Villen usw. Haben sie nicht auch, um ihr armseliges Leben von Tag zu Tag zu verlängern, Millionen von Deutschen zur Schlachtbank geführt? Daß die Faschisten, um sich in Deutschland mit allen Mitteln durchzusetzen, sich ihrer Verwandten der Berliner Unterwelt bedienten, ist bekannt. Setzte sich doch der Berliner [SA-] Mordsturm 33, der bei allen brenzligen Situationen in der Umgebung von Berlin, ja sogar in Brandenburg, Pommern eingesetzt wurde, fast ausschließlich aus Mitgliedern der Berliner Ringvereine zusammen. War nicht der berüchtigtste Lagerälteste, den je Buchenwald gekannt hatte, der B.-V. Richter159, der jahre155 157
158 159
Deutsche Ausrüstungswerke, der SS-Rüstungsbetrieb im KZ Buchenwald. D.h. Eigentum von Häftlingen, das diese bei der Ankunft in Buchenwald abgeben mußten. BWA, Mat. Otto Halle Nr. 109. Durchschrift. Verfasser unbekannt, jedenfalls ein deutscher kommunistischer Funktionshäftling wie Fritz Männchen (KPD)*, der zeitweise in Ansehung seiner Ausbildung als Polizeibeamter zum Blockältesten eines BV-Blocks gemacht worden war. Es gab aber mehrere solcher kommunistischer Ältester von BV-Blocks. NS-Begriff für rückfällige Straftäter und Sicherungsverwahrte, die seit Mitte der 30er Jahre zunehmend in KZs eingeliefert wurden. Hubert Richter (1898-1939), Anführer eines SA-Sturm in Berlin, als „Berufsverbrecher" im KZ Buchenwald 1937-39, 1. Lagerältester 1937/38, 3. Lagerältester 1938/39. Nachdem der SS-Lagerfiihnmg hinterbracht worden war, daß er nach der „Reichskristallnacht" eingelieferte jüdische Häftlinge bestohlen hatte (was die SS als ihr Privileg betrachtete), wurde er abgesetzt, ausgepeitscht und kam in Arrest. Todesursache unbekannt.
228
I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
lange Sturmführer dieses Mordsturms? Mit der Erstarkung ihrer Macht nach 1933 konnten die deutschen Faschisten, als sie salonfähig im Ausland wurden, darangehen, aus ihren Reihen jene zu entfernen, die sich in der Öffentlichkeit zu sehr belastet hatten bzw. für sie selbst eine Gefahr wurden. So schickten sie tausende von Zinkern, Totschlägern und so weiter, ihre Mohren, die ihre Schuldigkeit getan hatten, in die Konzentrationslager. Sie verfolgten aber auch hier bestimmte Absichten. Sie hatten sich 1. mißliebige Elemente vom Hals geschafft. 2. wollten sie beweisen, daß die Konzentrationslager aus kriminellen Elementen zusammengesetzt sind. 3., und das ist fur die politischen Häftlinge das Entscheidende, wollten sie die herrschende Einigkeit und Kameradschaft der sich bisher nur aus politischen Häftlingen zusammengesetzten KL. zerstören und die einzelnen Farben gegenseitig ausspielen, damit die Häftlinge in den KL. nie wieder zur Ruhe kamen. Damit begannen in den Konzentrationslagern, und vor allem in Buchenwald, die Kämpfe: Grün gegen Rot. Grün gegen Rot Dieser Abschaum der Menschheit, der seit 1935 in die Konzentrationslager geschickt wurde, wurde von der SS als ihnen verwandte in fast sämtliche Lagerfunktionen eingesetzt. Sie wußten diese Macht, die sie über Herren von Leben und Tod Tausender antifaschistischer Häftlinge machte, sehr gut anzuwenden. Totschlag, das Liquidieren in jeder Form, war für sie Sport. Sie sahen in den politischen Häftlingen die Konkurrenz. Darum konnte der Kampf aller bewußten antifaschistischen Elemente gegen die SS um die Erhaltung ihres Lebens nur dann erfolgreich sein, wenn ein unbarmherziger Kampf gegen die Büttel der SS, die B.-V. geführt wurde. Der Kampf war sehr schwer und kostete viele Opfer, weil die politischen Häftlinge nur mit illegalen Waffen gegen die mit allen Machtmitteln ausgestatteten LagerÄltesten, Block-Ältesten, Kapos usw. vorgehen konnten. In zäher, harter Arbeit, nachdem es zum Grundsatz bei allen anständigen Elementen wurde, gegen jede Denunzianten und [jedes] Zusammengehen mit der SS unerbittlich vorzugehen, wurden nach jahrelangem Kampf die Zentralstellen von einwandfreien Antifaschisten besetzt. Die Macht der negativen Grünen war gebrochen. Sie wurden so bloß gestellt, daß sie nicht einmal von der Lagerleitung getragen waren 1 6 0 . Soweit sie viel wußten, wurden sie auch von dieser beseitigt oder nach Neuen-Gammen [sie!] oder Flossenbürg geschickt. In dieser Zeit wurde das Wort des B.-V.-Lagerältesten Richter: „Wir sind nicht im Lande der Dichter und Denker, sondern der Richter und Henker." abgeschafft. Richter wurde beseitigt, mit ihm viele der gemeinsten Verbrecher. Wer erinnert sich nicht von den alten Kameraden an die Verbrechen von: Richter, Jäger, Hennig, Lankau, Dilewski, Schwörer, Brück, Berg, Oslow, und Hunde-Kühne161. Wer erinnert sich
161
Gemeint ist: daß sie nicht einmal von der SS-Lagerfuhrung mehr getragen wurden. Hans von Jeger (geb. 1905), als BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-39; Paul Hennig, BV-Häftling, 1937 2. und 1938 1. Lagerältester; Otto Langkau (geb. 1902), seit 1937 BV-Häftling; Anton Dilewski (1889-1943), in Haft seit 1935, BV-Häftling in Buchenwald 1937 bis zu seiner Entlassung 1938; August Brück (1897-1943), BV-Häftling in Buchenwald 1937-43, Kapo Krematorium 1940-43, im März d.J. nach Auschwitz verlegt, dort
1.5.6 Erinnerungsberichle: Arbeit unter Berufsverbrechern und Grünen
229
nicht an die ebenso gemeinen und brutalen Jüdischen Berufsverbrecher", die Brüder Gross, Cohn, Gronemann, Goldlust genannt „Dufte", Felix Simon, Bruckner, Rosenbaum162. 1942 Der Preis, den die B.-V. in ihrer Herrschaft von Mitte 1937 bis Mitte (März) 1939 bezahlen mußten, war genau so groß, daß die übrig Gebliebenen nicht wagten, den Kampf um die Macht oifen zu fuhren. 1942 kam der als typischer B.-V. bekannte und den B.V. sehr freundlich gesinnte [SS-Untersturmführer Max] Plaul als 3. Lagerfuhrer nach Buchenwald. Schon erhoben die B.V. unter den Grünen wieder das Haupt. Es gelang [ihnen] nach gemeinsten Denunziationen, den größten Teil der Lagerfunktionen wieder zu besetzen. Die Sonderkompanie, wo über 50 der besten politischen Häftlinge ungeheuren Leiden ausgesetzt waren und nur durch schwerste Kämpfe dem Tode entronnen, war das Werk dieser Clique. Diese Periode dauerte aber nur einige Monate. Dann ging der größte Teil dieser Clique ein, und mit ihrem Eingehen war der Kampf der Negativen gegen die Positiven für die gesamte Buchenwaldzeit entschieden zugunsten der Positiven, der bewußten Antifaschisten. Vergessen wir auch hier nicht die Namen: Ohles, Greuls, Freudenberg, Charlie (genannt Schiefhals), Elsen, Ritscher, Lohmeier, Adelung, Schumann, Balzer, Emil Gau, Stredling, Piech, Giesen, Lesnig, Elser, Joker, Edmund und Schuler. 163 Nicht jeder Grüne war Berufsverbrecher Während [in] der Periode der B.V.-Herrschaft bis 1939 fast alle Grünen die Schandtaten der B.V., zum Teil gezwungen, mitmachten und im Kampf gegen die Roten sich ziemlich einig waren, gab es in der Periode schon grüne Kameraden, die nach unserem Begriff keine Berufsverbrecher, sondern Opfer der kapitalistischen Gesellschaftsordnung waren, die offen auf die Seite der Roten traten, zumindestens gegen die B.V.-Clique Stellung bezogen. Ihre Zahl betrug allerdings nur wenige, aber diese wenigen waren der Kern für unsere spätere starke Basis bei den Grünen.
163
Oberkapo von Birkenau bis zu seinem Tod im Dezember d.J.; Wilhelm Berg (geb. 1905), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-39; Richter, Schwörer, Oslow und Kühne nicht identifiziert. Diese Namen konnten durchweg nicht identifiziert werden, teilweise weil es im BWA keine, teilweise weil es Unterlagen für mehrere Häftlinge dieses Namens gibt. Josef Ohles (1898-1942), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-42, 1. Lagerältester 1941/42; Greuls (weitere Daten nicht bekannt) war 1941/42 Kapo des Elektrikerkommandos und wurde dann abgelöst; Johann Anton Elsen (1913-1942), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-42; Karl Lohmeier (geb. 1909), BV-Häftling im KZ Buchenwald seit 1938; Robert Balzer (1887-1942), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937^2; Emil Gau (1913-1942), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-1942; Josef Piech (geb. 1913), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1938-43, dann nach Auschwitz geschickt; Wilhem Giesen (1900-1943), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1938-43; Hugo Jöker (1906-1942), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1937-42; Peter Schuler (geb. 1909), BV-Häftling im KZ Buchenwald 1938-43, dann nach Lublin verschickt. Die übrigen Namen sind nicht identifiziert, da im BWA keine oder mehrere BV-Häftlinge des jeweiligen Namens vermerkt sind. Die Todes- bzw. Verschickungsdaten der identifizierbaren Gruppe geben aber einen Hinweis darauf, mit welcher Härte dieser Machtkampf im Winter 1941/42 in Buchenwald ausgetragen wurde.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Positive Rote und Grüne gemeinsam gegen die Negativen beider Farben Nachdem sich die Partei im Lager viel straffer wie bisher organisierte und eine verstärkte illegale Arbeit unter zentraler Leitung erfolgte, gehörte auch dazu die Arbeit unter den Grünen, um 1. die sich mit uns verbunden Fühlenden und die antifaschistischen Kameraden, also alle positiven Elemente, zu einem festen Block zusammenzuschweißen und das Verhältnis zu den politischen Kameraden fester zu gestalten, und 2. gemeinsam den Kampf mit aller Härte gegen die Negativen aufzunehmen. Diese Arbeit wurde den mit diesem Auftrag betrauten Genossen dadurch erleichtert, daß die wirklichen B.V. zum größten Teil eingegangen waren 1 6 4 , aber das Mißtrauen der Grünen gegen die Roten war durch jahrelangen Kampf beider Parteien äußerst stark. Die beauftragten Genossen waren sich klar darüber, daß die Voraussetzung für eine wirkliche organisierte Arbeit erst die Schaffung von persönlichen Beziehungen zu den besten grünen Kameraden sein konnte. Die Gen.[ossen] teilten sich die Arbeit in den grünen Blocks, in den Arbeitskommandos, überall, wo grüne Kameraden waren. Eine zähe, unermüdliche Kleinarbeit begann, und mit Hilfe unserer besten grünen Kameraden gelang es nach einiger Zeit, das notwendige Fundament zu schaffen. Überprüfungen aller Grünen fanden statt, die brauchbarsten, wobei auch einige ehemalige Gen.[ossen] waren, wurden in die Front der Positiven eingereiht. In den Kommandos wurden Vertrauensleute herangebildet, die genauso wie die Vertrauensleute in den einzelnen Flügeln der grünen Blocks erst mal von der Notwendigkeit eines Zusammenhaltens aller positiven Kameraden, gleich welcher Farbe, gegen die SS, um noch mal lebend aus dem Lager zu kommen, überzeugt wurden. Das Mißtrauen wurde langsam beseitigt. Als im August 1944 sämtliche Grünen aus ihren Kommandos genommen wurden und geschlossen in den Steinbruch sollten, da erklärten sich die roten Kameraden mit ihnen solidarisch und boten ihnen jede Hilfe, die möglich war, an. Da brach bei den meisten grünen Kameraden das Mißtrauen zusammen. Als dann die mit der grünen Arbeit beauftragten Gen.[ossen], bis auf zwei, für die Außenkommandos gebraucht wurden, da konnten wir schon aus den besten grünen Kameraden einen Kopf bilden, der unter Anweisung unserer beauftragten Genossen in engster Fühlung und starkem gegenseitigen Vertrauen die Arbeit bis zur Befreiung durchführte. Es gelang nach und nach, die Stubendienste in den grünen Blocks durch positive Kameraden zu ersetzen. Negative Kapos und Vorarbeiter wurden abgelöst und ebenfalls durch positive ersetzt. Hunderte von negativen Grünen und vor allem B.V. wurden abgeschoben auf schlechte Außenkommandos wie Dora usw. 1 6 5 . Dabei wurde aber nicht vergessen, jedesmal Kameraden mitzuschicken, die sich mit der notwendigen Härte gegenüber diesen Elementen durchsetzen konnten. Es gab zuletzt eine Reihe von Außenkommandos, deren Führung ganz oder zum Teil aus positiven grünen Kameraden bestand und einwandfrei verwaltet wurde. Die Nachrichtenübermittlung von Auslandssendern wurde unter den Besten organisiert. Gleichzeitig wurden jede Woche in der 164
165
Gemeint ist: gestorben waren. Gemeint sind Arbeitskommando mit geringer Oberlebenschance wie der Bau des Rüstungs-Bergwerks Mittelbau-Dora bei Nordhausen.
1.5.6 Erinnerungsberichte: Arbeit unter Berufsverbrechern und Grünen
231
Kopfsitzung 166 die politischen Ereignisse der vergangenen Woche behandelt, aktuelle politische Fragen und grundsätzliche Fragen diskutiert und so immer der Kopf und andere der besten Vertrauensleute in Blocks und Kommandos nach und nach politisch ausgerichtet und weiter entwickelt. Das Vertrauen untereinander wurde noch größer, als es gelang, den grünen Blocks wieder eigene Blockälteste zu geben. Die Abwehr 167 wurde stark ausgebaut. Kam es doch häufig vor, daß B.V. in kleinen und großen Transporten aus den Zuchthäusern kamen. Sie wollten wie im Zuchthaus sofort sich mit ihren bekannten Methoden in den Vordergrund schieben. Desgleichen wurden auch Transporte aus anderen [Konzentrations-] Lagern, von Danzig-Stutthof, Neuen-Gamen [Hamburg-Neuengamme], Auschwitz usw. gebracht, wo die B.V. immer noch ihre Vormachtstellung hatten, und ihre Methoden die gleichen waren, wie bei uns in der Ära Richter und Ohles. Sie gaben immer wieder ihrer Verwunderung Ausdruck, daß sie nicht verstehen konnten, wie Grüne mit Roten solch gutes Verhältnis haben konnten. Ihre und die Aussprüche der in Block 19 monatelang aus allen Lagern zusammengeholten Dirlewanger-Anwärter 168 : Wir werden mit dem „Roten Pack" schon aufräumen; ebenso wie ihre Provokation (Wir erinnern an den Überfall auf einige Kameraden vom Lagerschutz.) scheiterten an der geschlossenen Abwehr der anständigen grünen und roten Kameraden. Versuche, mit der SS und sonstigen gemeinen Methoden wieder die Herrschaft in Buchenwald in die Hände der Negativen gelangen zu lassen, sind auch sonst nicht ausgeblieben. Erinnert sei nur an die Paustenbach-Affare 169 , die in ihrer Auswirkung eine zweite Ohles-Geschichte werden sollte. Aber auch diese Versuche wurden von unseren positiven grünen Kameraden schon im Keim erstickt. Das Lager merkte von diesen Vorgängen wenig, weil die Hauptarbeit von unseren grünen Kameraden gründlich durchgeführt wurde. Der Teil der Negativen wagte sich nicht mehr heraus, weil sie merkten, daß ihnen ein starker Block entschlossener positiver Grüner entgegenstand, der gewillt war, auf jeden Fall, um jeden Preis Ruhe und Ordnung im Lager durch unverantwortliche Elemente nicht mehr stören zu lassen. Die Haupttreiber gingen immer den Weg von Ohles und Konsorten 170 , nachdem in den grünen Blocks vorher eine klare Meinung über die verbrecherischen Absichten dieser negativen Elemente erreicht wurde. Als dann die Brandwachen und die Bergungstruppe aufgestellt wurden 1 7 1 , da konnten auch wir unseren positiven Kameraden [unter den BV-Häftlingen] eine Basis, die legaler war, geben. Es waren in den Bergungstrupps unter Führung unserer Besten allein 80 positive grüne Kameraden vereinigt, die diszipliniert nur einem Befehl ihrer Führung folgten und eine 166 167
168 169 170
171
Gemeint sind Führer-Treffen auf Block- und Arbeitskommandoebene der Kommunisten und ihrer Verbündeten. Gemeint ist: die Überprüfung von Neuzugängen auf Spitzel, Gegner oder eigenständige Organisationskerne, um sie durch Isolierung oder Verschickung in Außenkommandos auszuschalten. vgl. Dok. II. 1.2, Anm. 13. Nicht identifiziert. Gemeint ist: sie wurden getötet. 1944 wurde dj e Einwilligung der SS zur Aufstellung einer Häftlings-Feuerwehr sowie - nach dem Bombardement vom August 1944 - eines Bergungstrupps erwirkt, wodurch die beteiligten Häftlinge durch ihre Herausnahme aus den Arbeitskommandos und der direkten SS-Aufsicht und Lagerroutine privilegiert wurden und Zugang zu Gerätschaften bekamen, die sich ggf. auch als Waffen oder logistische Voraussetzungen einer Bewaffnung benutzen ließen.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Formation von großem Wert darstellten. Diesen Beweis haben sie auch in den kritischen Wochen vor der Befreiung erbracht. Einige Worte noch zu politischen S.V. 1 7 2 . Nur wenige von ihnen haben positiv mitgearbeitet, die anderen waren ein Hemmnis, weil sie annahmen, sich keiner Disziplin beugen zu müssen, und haben uns oft Schwierigkeiten gemacht. Die B.V.-Blocks sind noch am letzten Tag vor der Befreiung evakuiert worden. Wir haben die Gewißheit, daß diejenigen, die von unseren positiven Kameraden unterwegs mit ihrem Leben davonkamen, niemals wieder vergessen, welchen Wert Einordnung und Kameradschaft in einer Gemeinschaft haben. Sie werden immer bewußte Antifaschisten bleiben. Einen Rest unserer Besten gelang es uns [noch] hierzubehalten.173 Wenn jetzt einige unserer besten grünen Kameraden, die in den schwierigsten Situationen zu uns gestanden haben und unseren erbitterten Kampf gegen ihre negativen Elemente führend mitgemacht haben, als vollwertige Mitglieder in das Partei-Aktiv [der KPD] auf Antrag ihrer Bezirksleitungen aufgenommen wurden, so ist das die größte Anerkennung unserer hartnäckigen Arbeit unter Berufsverbrechern und Grünen.
1.5.7.
Leo Kok 1 7 4 : Im Kleinen Lager, 30.4.1945
Das Dramatische ist bequemer175 zu beschreiben als das Tragische, ein chirurgischer Eingriff bequemer als eine schleichende Krankheit, ein körperliches Leiden bequemer als ein seelisches. Das Leben im Kleinen Lager war ein seelisch moralisch schwerer zu ertragendes als körperlich, und wenn es [auch] körperlich schon schwer genug war. Als wir im Morgengrauen des 24. Januar 1944 am Bahnhof Buchenwald 176 mit Gewehrkolben aus den Waggons geprügelt wurden, waren wir, nach der schrecklichen Reise, in 172
173
174
175 176
Gemeint sind rückfällige Straftäter aus politischen Motiven, die zur Sicherungsverwahrung ins KZ eingeliefert wurden. Vermutlich sind darunter - wie das Folgende anzudeuten scheint - Anarchisten und andere Personen gewesen, die Widerstand durch individuelle Gewaltakte geübt hatten und wenig von den Kommunisten hielten, die in der Regel deshalb verhaftet worden waren, weil sie den kommunistischen Organisationszusammenhang aufrechtzuerhalten oder durch Flugblattpropaganda sichtbar zu machen versucht hatten. Gemeint ist: es gelang uns Kommunisten noch, einen Rest unserer besten Grünen vor der Evakuierung auf die Todesmärsche zu bewahren. Die deutsche kommunistische Lagerleitung hatte in den letzten Wochen vor der Befreiung auf die Verzögerung der Evakuierungsmaßnahmen der SS angesichts der näher rückenden amerikanischen Front gesetzt, war aber gezwungen worden, ihren Widerstand auf engere Häftlingsgruppen, die ihr besonders wichtig waren, zu konzentrieren. Etwa die Hälfte des Lagers wurde dennoch deportiert, darunter vor allem sowjetische Kriegsgefangene, Polen, Juden und BVer. Leo Kok (geb. 1893), niederländischer politischer Häftling, im KZ Buchenwald 1944/45. In der im Mat.Otto Halle überlieferten Abschrift ist dieser Bericht ohne Überschrift, darunter steht das Datum und als Name „Leokok". Gemeint ist: einfacher. Nach Buchenwald war ein eigener Gleisanschluß gelegt und zwischen den beiden dort im Krieg arbeitenden Rüstungswerken (DAW und GustlofF-Werke) ein Sackbahnhof angelegt worden, der beim Bombardement dieser Werke am 24.8.1944 weitgehend zerstört wurde.
1.5.7 Erinnerungsberichte: Im Kleinen Lager, 30. April 1945
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elendem Zustand. Wir hatten drei Tote, viele Ohnmächtige und zwei Wahnsinnige im Waggon. In Frankreich hatten wir viel zu Essen mitbekommen, aber wir hatten keine Möglichkeit gehabt, unsere Sachen hervorzuholen, denn wir waren zu 106 in einem Waggon, der 45 Mann faßte. Nun sagte man uns am Bahnhof, daß uns im Lager alles abgenommen würde, und so fraßen wir uns auf dem Wege dorthin voll und warfen große Mengen Lebensmittel den Russen zu, die überall bettelnd herumstanden und uns zuriefen. Dann warteten wir den ganzen Tag im Regen vor der Desinfektion. Wir waren Abends spät an der Reihe, und das Wunder begann: die hell beleuchteten Räume, das Bad, Effektenkammer, Bekleidungskammer. Wir waren alle todmüde, aber wir lachten über die Metamorphose, das sich nicht wiedererkennen und das sich wiedererkennen im rasierten Zustand und phantastisch bekleidet, wie wir es waren. Dann gingen wir endlich in die Nacht hinein, auf Pantinen, die hohen Treppen der Bekleidungskammer herunter ins Dunkel, in den Dreck, ins Kleine Lager, in Block 58, der schon voll besetzt war. Die Begeisterung über das Bad, die Sauberkeit, die freundliche Behandlung, die Fröhlichkeit über die tragisch komische Situation brach zusammen. Dies war die Wirklichkeit: 60 Mann in einer Box, d.h., 10 in jedem Regal, nur möglich, wie Sardinen in einer Büchse. Auskleiden war unmöglich. Manche zogen es vor, sich auf die Tische oder auf den Fußboden zu legen, aber das wurde nach ein paar Tagen verboten. Esstöpfe gab es nur für ein Viertel der Belegschaft, so daß wir die Morgensuppe und Kaffee zu vier in einen Topf bekamen. Die Mittagssuppe wurde in Serien ausgegeben, jede Serie bekam die ungewaschenen Töpfe der vorigen. Unter uns waren offene Syphilitiker und Tuberkulose[-Kranke]. Alles, was wir bekommen hatten, war ein Löffel. Wir hatten noch nichts organisieren können, auch keine Messer. Die Appelle vor oder in den Blocks dauerten stundenlang. Manchmal wurden wir um Mitternacht aus den Blocks geholt und standen bis 3 Uhr im Schnee, im Dreck. Viele Alte fielen um und durften erst nach dem Appell hineingetragen werden. Es gab noch keine Pakete, Brot und Butter wurden gestohlen. Wir wurden von Flöhen schrecklich gequält. An einem Tag, als die Sonne ein wenig schien, fand ich in meiner Decke 108 Stück. Wasser gab es fast nie. Austreten war eine Qual, der Ort war entweder vereist oder stand unter Wasser. Er lag tiefer als der Block, und es gehörten ausgesprochen akrobatische Talente dazu, um hinzugelangen. Trotzdem war es [das Klo] fortwährend voll besetzt, denn fast alle litten an Durchfall und Disentherie. 177 In der Nacht mußte man sich im Dunkel mit den Händen einen freien Platz abtasten und setzte sich dann oft in den Dreck des anderen Kranken. Wenn Wasser da war, mußten wir uns morgens um 5 Uhr waschen gehen in dem meist entfernten Waschraum. Viele drückten sich, denn der Weg durch den Dreck auf Pantinen war eine Qual, und niemand oder fast niemand hatte ein Handtuch, dazu bekam man kaum Platz und Zeit, sich richtig abzuwaschen. Wir wurden überall angebrüllt, und es hat tagelang gedauert, Unter großen Menschenansammlungen unter ungünstigen hygienischen Verhältnissen als Seuche auftretende schwere Entzündung der Dickdarmschleimhaut. Umgangssprachlich „Ruhr".
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
ehe wir wußten, daß Bademeister, Stubendienst, Lagerschutz usw. Häftlinge waren wie wir und nicht etwa mit der SS arbeiteten. Es gab günstige Ausnahmen. Beim Kaffeeholen in der Nacht, immer auf Pantinen im Dreck und Schnee, brachen Verschiedene sich das Bein. Der Blockälteste war unbeliebt, obwohl er zwar brüllte, aber niemals prügelte. Er sprach aber kein Wort französisch und brütete immer vor sich hin. Zu den wenigen deutsch Sprechenden war er nicht unfreundlich. Er hatte draußen 178 eine Frau und zwei Söhne an der Front. Er war wütend bei dem Gedanken, daß seine Frau ihm untreu sein könnte und bereitete schon eine Auseinandersetzung vor. Aber sonst lebte er nur noch für die Frau, die er hier im Bordell ein paar Mal wöchentlich besuchte. Er hatte Eifersuchtsszenen mit ihr, kam glücklich zurück, wenn er länger, als reglementär179 gestattet, hatte bleiben können - traurig, wenn sie „besetzt" war. Er brachte ihr immer Geschenke und bat sich dazu von den später kommenden Paketen die besten Sachen aus, am liebsten Früchte, Zigaretten, auch Bisquits: „weil sie die so gerne hat". Mich bat er, in Paris in einem folgenden Paket Parfüm zu verlangen. Ich tat es, bekam welches und gab es ihm. Nachher erzählte er mir dann mit den intimsten Einzelheiten, wie lange er hatte bleiben können und was sie alles getan hatten. Später soll er sich aus den Paketen selbst bedient haben und wurde abgesetzt. Armer Kerl! Die wirkliche Arbeit der Blockältesten schaffte ein Stellvertreter, ein französisch naturalisierter Luxemburger 180 , der Unteroffizier in der Fremdenlegion [gewesen] war. Er war ein guter Kamerad, ein natürlicher Führer, stark und ruhig, der mit der fast ausschließlich französischen Belegschaft des Blocks gut auskam. Der übrige Stubendienst war zusammengestellt aus Russen und zwei Südfranzosen, die sich brutal benommen hatten, nutzlos ohrfeigten und sich vollfraßen. Ausnahme: der Sanitätswart Blumenstein 181 , der machte, was er konnte. Um die Serie Impfungen zu bekommen, mußten wir uns, weil der Block überfüllt war, draußen aufstellen, auskleiden (Oberkörper) und der Reihe nach in den Block hineintreten. Viele haben sich dabei Lungenentzündung geholt. Einige von ihnen sind gestorben. Alle diese Tatsachen, zusammen mit der Kälte, dem Hunger, denn reibungslos zwischen den verschiedenen Bocksen 1 8 2 , machte viele von uns zu lebenden Leichen und Psychopaten.
1
Gemeint ist: außerhalb des Lagers, in der Heimat. Gemeint ist: nach dem Reglement, das die SS für den Sonderbau erlassen hatte. Es sah u.a.vor, daß nur reichsdeutsche Häftlinge (d.h. nur nicht-jüdische Deutsche und Österreicher) Zugang zum Bordell hatten und daß der Beischlaf („Durchgang") bis zu 20 Minuten dauern und RM 1.- kosten sollte. Vgl. z.B. Eugen Kogon, SSStaat, a.a.O., S. 194 ff.; Jorge Semprun: Was für ein schöner Sonntag! Frankfurt/M. 1984, S. 361 ff. 1 G e m e i n t ist: ein französischer Staatsbürger luxemburgischer Abstammung. 181 Nicht identifiziert. 182 Orginal unklar. Gemeint sein könnte vielleicht: Spannungen zwischen den vielen Menschen in den (oben beschriebenen) Schlafboxen.
1.6 W. Barlei: Geschichte des Parteiaktivs, Juni 1945
1.6
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Walter Bartel*: „Skizze der Geschichte des Parteiaktivs der KPD KL. Buchenwald" (Juni 1945) 183
Mit dem Eintreffen der ersten politischen Häftlinge aus dem KL. Lichtenburg und Sachsenburg in Buchenwald im Juli, August 1937 begann, wenn auch in unorganisierter Form, der Kampf des Parteiaktivs. Es galt sich zunächst gegen die Grüne Lagerleitung zu wehren, dem direkten Mordterror der Vorarbeiter und Kapos aus den Reihen der Berufsverbrecher und der SS auszuweichen. Die Genossen, welche sich schon von den anderen KZ her kannten oder aus ihrer Heimat gleiche Bekannte hatten, schlossen sich zunächst auf freundschaftlicher Basis meist bezirksweise zusammen. Die erste politische Aktion bestand in der primitivsten Hilfe fur die Kranken und älteren Genossen, in dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch des Kampfes gegen die Grünen und gegen die SS. Die eigentliche politische Arbeit war in diesen Jahren 1937-1938 noch wenig entwickelt. Die Parteiaktivs scharten sich um die Genossen Walter Stöcker*, Theo Neubauer* und Albert Kunz [Kuntz]*. Walter Stöcker verstarb im Frühjahr 1939 während einer Typhusepidemie. Genösse Neubauer wurde im April 1939 entlassen, bei Kriegsausbruch einige Tage wieder verhaftet, erneut entlassen und im Sommer 1944 durch die Gestapo ermordet. Nach dem Ausscheiden der beiden Genossen stellte die Leitung faktisch der Genösse Kuntz dar. Mit den Erscheinen des Genossen Bartel im KZ (Oktober 1939) 184 begann eine breite Informierung aller zuverlässigen Parteigenossen über folgende Fragen: Beschlüsse des 7. [Welt-]Kongresses [der Komintern in Moskau], die Beschlüsse der Brüsseler Parteikonferenz 185 , die Entwicklung der Partei im Lande und im Auslande bis 1939, die Volksfrontbewegung im Lande und in der Emigration, der 18. Parteitag der KPdSU, die neue Verfassung der SU, die Entwicklung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in der SU. Die Beschlüsse des Kongresses und der Brüsseler Konferenz fanden bei der Mehrheit der Genossen ein gutes Echo. Es gab jedoch einige Gruppen, charakteristischerweise aus der ehemaligen KPO, welche die Beschlüsse als opportunistisch, von der Klassenkampflinie abweichend, verwarfen. Eine Gruppe erklärte rundweg, es sei unmöglich, daß die Komintern 183
185
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/154, Bl. 80 ff. Die ehemalige illegale Parteileitung der KPD im KZ Buchenwald (Walter Bartel, Emst Busse*, Harry Kuhn*) erstattete im Mai 1945 Anton Ackermann, dem Beauftragten des Exilvorstands der KPD für den Süden der SBZ, mündlich Bericht. Auf Anregung Ackermanns erstellte Bartel dann diesen Bericht, den er - zusammen mit einem Bericht über das ILK und weiteren Materialien - mit Schreiben vom 25.7 1945 an Franz Dahlem, den Kaderbeauftragten im ZK der KPD, übersandte, weil er von dessen Mitarbeiterin Greta Keilson gehört habe, daß dieser sich „besonders fur die Fragen der Parteiarbeit in den Konzentrationslagern" interessiere. Er bat Dahlem um ein Gespräch über Buchenwald und seine Parteifunktionäre. Walter Bartel war in Prag verhaftet worden. Nach anderen Berichten war die Parteilinie bereits vorher durch neuankommende Genossen durchgesickert. „Brüsseler Konferenz" war der Deckname fur die IV. Parteikonferenz (später bezeichnet als 13. Parteitag) der KPD bei Moskau im Oktober 1935, auf der die Komintern-Beschlüsse für Deutschland umgesetzt werden sollten. Zu beidem vgl. Arnold Sywottek: Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD 1935-1946, Düsseldorf 1971, S. 36 ff., 55 ff.
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l Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
einen Beschluß in der Richtung der Bildung einer deutschen Einheitspartei des deutschen Proletariats gefaßt haben kann. 186 Sie verdächtigten deshalb den Berichterstatter, im Lager seine persönlichen Auffassungen als Beschlüsse der Konferenz wiedergegeben zu haben. Durch diese Diskussion festigte sich die bezirkliche Organisierung ehemaliger Parteimitglieder. Dieser Prozeß wurde dadurch begünstigt, daß die Periode des direkten Kampfes gegen die Grünen mit dem vorläufigen Sieg der Roten abgeschlossen war. Die Lagerleitung war in ihrer Spitze durch den Genossen Ernst Busse*, Solingen, fest in unserer Hand. Selbstverständlich mußte die Durchführung der politischen Diskussionen und die Erfassung der Mitglieder streng konspirativ erfolgen. Die Diskussionsgruppen führten ihre Arbeit zu 95 % bei Spaziergängen in den Lagerstraßen oder auf dem Appellplatz durch. Nur in ganz wenigen Blocks konnten auf einigen Flügeln Aussprachen erfolgen. Es begann auch damals die Durchführung einiger Kurse mit den Themen: die Geschichte der Arbeiterbewegung, historischer und dialektischer Materialismus. Diese Konzentration der Parteikräfte erfolgte im Kampfe gegen einige opponierende Gruppen. An der Spitze einer dieser Gruppen stand der Genösse [Walter] Jurich*, Leipzig. Er verneinte den Führungsanspruch des Genossen Kuntz. Seine Anhänger lehnten überhaupt eine zentralorganisierte Partei ab. Sie stellten dem demokratischen Zentralismus organisch gewachsene Freundschaftsgruppen gegenüber. Von anderen langjährigen Parteimitgliedern wurde die Zusammenfassung der Partei als den Regeln der Konspiration widersprechend abgelehnt. Die Parteileitung hat sich gegen beide Auffassungen in langwierigem Ringen durchgesetzt. Die Ursachen hierfür lagen in der sich immer mehr herausarbeitenden politischen Linie der Parteiführung und den Erfolgen, welche die Partei in der Besetzung aller SchlüsselstelAn dieser Linie einer proletarischen Einheitsbewegung von unten, auf die die KPD-Exilfuhrung nach dem Scheitern der Volksfront-Experimente 1936-37 zurückgefallen war und die sie in der Zeit des Hitler-StalinPakts propagandistisch forcierte, hielt die Buchenwalder KPD-Führung - ungeachtet oder wegen ihrer extrem negativen Einschätzung der SPD - bis in den Sommer 1945 fest. Seit 1944 gab sie dieser Bewegung den Namen „Nationalkomitee Freies Deutschland", auf dem ersten „Appell" der Buchenwalder KPD-Mitglieder am 16.4.1945 sagte Bartel: „Es steht nicht in Frage diesen Kampf zu fuhren als KPD, es steht die Frage diesen Kampf zu fuhren in diesem Geiste, die Form ist wandelbar, das Ziel muß bleiben. Das Ziel muß sein fur uns als Angehöriger der Arbeiterklasse: die Einheit der Arbeiterklasse! [...] Unser Beispiel ist und bleibt die SU." (ZPA 1/2/3/154 Bl. 205). Und die Delegiertenkonferenz des Buchenwalder Parteiaktivs der KPD formulierte in ihrer Resolution vom 22.4.1945: „Wir müssen erkennen, daß die Situation in Deutschland noch nicht reif ist zur unmittelbaren Durchführung des Kampfes um die proletarische Diktatur, daß aber unser gegenwärtiger Kampf fur eine wahre Volksdemokratie uns dem Sozialismus näher bringt. Unsere Zentralaufgabe ist heute: Massenmobilisierung aller Antifaschisten auf der Grundlage des 'Nationalkomitees Freies Deutschland'." Nächst der Freilassung der politischen Gefangenen, der restlosen Vernichtung der faschistischen Diktatur und dem Einsatz der Nazis zur Zwangsarbeit beim Wiederaufbau forderten sie: „Bildung von antifaschistischen Volksausschüssen auf breitester Grundlage unter Hinzuziehung von Vertretern der ausländischen Zwangsarbeiter. Erringung ihrer Anerkennung durch die Besatzungsbehörden. Sie müssen die neuen Volksvertretungen, die neuen Machtorgane des antinazistischen Deutschlands werden." Und zum Schluß eines Aktionsprogramms von Sofortmaßnahmen betonten sie im Kraftgefiihl ihrer unbestrittenen Führungsrolle im politischen Kampf der KZ-Häftlinge: „Die Bildung der Einheitsgewerkschaften, die Bildung einheitlicher politischer Organisationen muß im Kampf geboren werden. Es lebe die siegreiche Rote Armee! Es lebe der gemeinsame Kampf aller Antinazisten! Es lebe ein freies, demokratisches Deutschland als erste Etappe auf unserem Wege zur sozialen Revolution!" (ebenda, Bl. 208 f.)
1.6 W. Bartel: Geschichte des Parteiaktivs, Juni 1945
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lungen des Lagers errang. Durch den Genossen Kuntz wurden die Genossen Bartel und Ernst Brand [Brandt]*, Magdeburg, zur ständigen Mitarbeit [in der zentralen Parteileitung für das KZ] herangezogen. Die Genossen besprachen täglich alle anfallenden Fragen des Lagers und gaben wöchentlich eine kurze Information an die Bezirke 187 . Die Bezirke wurden unter den 3 Genossen aufgeteilt. Zu dieser Zeit-Sommer 1940-begann auch bereits die Fühlungnahme mit ausländischen Parteien. Der Kontakt mit den österreichischen und tschechischen Genossen war schnell gefunden. Über die gesamte internationale Arbeit der Partei liegt ein Sonderbericht 188 vor. Zur Jahreswende 1940-1941 wurde eine Analyse herausgearbeitet und der Partei in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr [durch Mundpropaganda] übermittelt. Dieser erstmalige Versuch fand dann seine Wiederholung in den folgenden Jahren. Der Überfall auf die SU war der Partei überraschend. Es gelang aber sehr schnell, die Mitglieder auf die neue Situation einzustellen. Zur gleichen Zeit begann die systematische Abhörung ausländischer Sender. Trotz größter Gefahren und ständigen Suchens der politischen Abteilung nach den Quellen ausländischer Nachrichten wurde das Abhören ständig durchgeführt, die Partei laufend informiert und somit wichtige Voraussetzungen für eine richtige Orientierung des antifaschistischen intern, [ationalen] Aktivs des Lagers geschaffen. Der Überfall auf die SU wirkte wie ein reinigendes Gewitter. Die Partei hat zwar mit aller Überzeugungskraft die Notwendigkeit der Taktik der SU im August 1939 begründet. Doch im Grunde genommen stand die Masse der Mitglieder wie der Antifaschisten der Haltung der SU skeptisch gegenüber. Ihr Haß gegen das faschistische Regime fand keinen Platz für ein Freundschaftsbündnis zwischen SU und Deutschland. Allerdings waren bei Beginn des Überfalles große Illusionen über die Dauer des Krieges vorhanden. In der Mehrheit glaubte man an ein schnelles Ende, nicht später als in 5 - 6 Monaten. Dementsprechend war auch das erste Reagieren auf den schnellen Vormarsch der Deutschen in die SU. Man konnte sich das einfach nicht erklären. Es wurden Stimmen laut, daß sich die SU hat überfahren lassen. Sie hätte doch beobachten müssen, wie die Deutschen zum Kriege gegen die SU rüsteten. Sie hätte von selbst den Krieg beginnen müssen. Verknöcherte Sozialdemokraten, welche vorher die Haltung der SU insbesondere im Finnenkrieg als Klassenverrat bezeichneten, höhnten jetzt über die angebliche Schwäche der SU. Die Parteileitung gab bereits damals die Richtlinie heraus: Der Krieg ist der gemeinste Überfall der Weltgeschichte. Die SU führt den Krieg als einen nationalen Verteidigungskrieg Es ist die Pflicht der Arbeiter aller Länder, die SU zu verteidigen. Die deutschen Arbeiter müssen die Herstellung von Waffen gegen die SU mit allen Mitteln sabotieren und als Soldaten den massenweisen Übertritt zur Roten Armee organisieren. Zu den ersten Erfolgen der Deutschen und ihrem schnellen Vormarsch erklärte die Parteileitung: Die sowjetische Kriegsführung wird den Raum als Waffe benutzen, bis sie alle ihre Reserven mobilisiert hat 187
188
Gemeint sind die Vertrauensleute der kommunistischen Häftlinge, die sich nach ihrer regionalen Herkunft zusammengefunden hatten. Walter Bartel: Entstehung und Entwicklung der internationalen Arbeit in Buchenwald (Anlage zum selben Vorgang).
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I Frühe Zeugnisse nach der
Befeiung
zum entscheidenden Gegenschlag. Es wurden die durch Radio Moskau bekannt gewordenen Losungen zur Sabotage in Industrie und Verkehr propagiert. Seitens der Gruppe Jurich erhoben sich Bedenken über die Richtigkeit dieser Maßnahme, da das doch ein Spiel mit dem Feuer sei. Die Parteileitung antwortete darauf, zur Unterstützung des Kampfes der SU müssen wir alles wagen. Es sei hierbei erwähnt, daß zu dieser Zeit das Lager noch keinerlei Kriegsproduktion hatte. Nachträglich muß hinzugefugt werden: Bei Kriegsausbruch 1939 gab es Stimmen in der Partei, daß infolge des Bündnisses zwischen der SU und Deutschland wir auf Seiten Deutschlands stehen, der Krieg sei kein imperialistischer seitens Deutschlands, der Hauptfeind ist das imperialistische England. Diese Auffassungen wurden sowohl vom Genossen Sündermann*, Chemnitz, und von österreichischen Genossen vertreten. Diesen Auffassungen gegenüber vertrat die Parteileitung den Standpunkt, es handelt sich um einen imperialistischen Krieg auf beiden Seiten. Unsere Aufgabe muß sein, die Niederlage Deutschlands herbeizuführen. Kurz nach dem Überfall auf die SU begann gegen den Genossen Kuntz eine neue Aktion der Grünen, so daß er aus Sicherheitsgründen einige Zeit von der ständigen Mitarbeit ausscheiden mußte. Die Genossen Brandt und Bartel zogen bereits damals Genossen Harry Kuhn, Leipzig, zur engeren Mitarbeit heran. Im Winter 1941-42 starteten die Grünen einen Großangriff gegen die Politischen. Sie fanden in dem damaligen dritten Lagerführer, SS Untersturmführer Plaul, ein willfähriges Werkzeug. Zunächst wurde die politische Leitung des Häftlingskrankenreviers, die Genossen Walter Krämer* und Karl Peix*, unter einem nichtigen Vorwand verhaftet, gefesselt aus dem Lager verschleppt und im Außenkommando Braunschweig ermordet. 189 Einige Monate später setzte die Lagerfiihrung wieder aus nichtigen Gründen den ersten Lagerältesten, Genossen Busse, als nicht genügend tatkräftig ab. Nach kurzer Zeit übernahm ein berüchtigter BVer die Funktion des ersten Lagerältesten.190 Jetzt begann im Februar-März eine systematische Kampagne gegen die Roten Blockältesten, Vorarbeiter und Kapos. Ein Vorwand war ihnen durch die spontane Solidaritätsaktion beim Eintreffen der ersten sowjetischen Kriegsgefangenen gegeben. Im November 1941 191 trafen diese im Lager ein. Sie waren in wochenlangem Fußmarsch durch Deutschland geschleppt, völlig verhungert und zerlumpt. Das Lager führte eine beispielhafte Sammelaktion von Brot und Zigaretten, Unterkleidern, Decken usw. durch. An dieser Solidaritätsaktion beteiligten sich alle vorhandenen Nationen. Von dem grünen Gesindel aufgestachelt, führte die SS eine Durchsuchung der Kriegsgefangenenbaracken durch und konnte natürlich die Beweise der Solidarität noch feststellen. Einige verantwortliche politische Blockälteste wurden abgelöst, durch Grüne ersetzt, erhielten ihre „25" [Stockhiebe] und gingen in den Steinbruch. Diese Solidaritätsaktion wurde zum Anlaß einer Hetzkampagne gegen die Politischen im allgemeinen und die politischen] Funktionshäftlinge im besonderen durchgeführt. Mitten im Lager wurde ein Kasten aufgehängt, in den 189
Ygi Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., S. 330 ff.
190
Zu LA I Ohles vgl. Anm. 74 und 163. 18.10.1941.
191
1.6 W. Barle!: Geschichte des Parteiaktivs, Juni 1945
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jeder Häftling seine Beschwerden, d.h. Zinkereien, hineinwerfen konnte. Die Zinker sahen goldenen Zeiten entgegen. Am 27. März 1942 stieg die Großaktion. 50 Politische, meist Kapos und Vorarbeiter, wurden ans Tor gerufen, verhört, in den isolierten Block der Strafkompanie gebracht und zu einer Sonderkompanie zusammengefaßt. In den nächsten Tagen stieg die Zahl auf über 70. Der Genösse Kuntz wurde isoliert im Bunker festgehalten. Genösse Busse war ebenfalls aufgerufen, wurde aber durch seinen Chef, den Lagerarzt Dr. Hoven, wieder freigemacht. Wie wenig diese Aktion die eigentliche Parteiführung traf, geht daraus hervor, daß nur insofern fuhrende Parteifunktionäre davon erfaßt waren, als sie zur gleichen Zeit Funktionskräfte innerhalb eines Arbeitskommandos waren. 192 Diese Großaktion führte naturgemäß in den ersten Tagen zu einer völligen Lähmung der Parteiarbeit. Die Partei gab den strikten Befehl: keine Zusammenkünfte, auch nicht auf der Straße, verfugte eine Nachrichtensperre und beauftragte besonders zuverlässige Genossen mit der Überprüfung der von der Partei getroffenen Maßnahmen. Die Gegenaktion begann mit der praktischen Hilfe fur die in der Sonderkompanie zusammengefaßten Häftlinge. Nicht nur daß sie an die schwersten Arbeiten gestellt wurden, bekamen sie auch geringere Portionen. Mit größtem Mut und [größter] Entschlossenheit begann der Kampf um die Erhaltung unserer Genossen. Auf alle möglichen und unmöglichen Wegen erhielten die Genossen zusätzliche Portionen. Zur gleichen Zeit begann eine systematische Kampagne gegen die grünen Denunzianten. In ihrem Siegestaumel und in ihrer notorischen Dummheit gingen sie dazu über, gegen einzelne SS-Leute und -Führer zu konspirieren und sich zu rühmen, was fur Saufgelage sie zusammen abgehalten hätten. Das war eine Stelle, wo die SS empfindlich war. Nach einigen Wochen Sonderkompanie gelang es, einzelne SS-Kommandofuhrer zu überzeugen, daß sie auf ihre bisherigen qualifizierten Kapos und sonstigen Fachkräfte nicht verzichten dürften. Damit war der Bann über die Sonderkompanie gebrochen. Nacheinander ging auf Anforderung der SS ein Kapo nach dem anderen wieder auf seinen Arbeitsplatz. In demselben Maße gingen Zinker über die Strafkompanie durch den Rost 193 . Anfang Juli löste die SS-Lagerfuhrung die Sonderkompanie unter wüsten und schrecklichen Drohungen wieder auf. Sie hatte uns nicht ein einziges Opfer, den grünen Banditen ihre ganze Führungsgamitur und alle namhaften Zinker gekostet. Seit der Zeit war der Kampf zwischen Rot und Grün bis zur Befreiung zugunsten der Politischen entschieden. Wir haben nach dieser siegreichen Schlacht eine Wendung gegenüber den Grünen durchgeführt. Durch systematische Arbeit unter den Grünen wurde eine Gruppe bewußter Antifaschisten gebildet, die von sich aus in den Reihen der Grünen jeden Versuch organisierter Zinkerei und Hetze gegen die Politischen im Keime erstickten. 194 Am Ende dieser Periode tauchte noch einmal eine massive Denunziation gegen die Parteiführung auf. Durch irgendeinen Kanal wurde uns bekannt, daß in der politischen Abteilung [der SS-Kommandantur] die Namen [Emst] Brandt, [Walter] Bartel und [Albert] Kuntz als 192
193 194
D.h. Bartel und Brandt waren nicht in das Sonderkommando gekommen. Albert Kuntz, der Kopf der Partei und Kapo des Baubüros, war jedoch im Bunker arrestiert worden. D.h. sie wurden getötet, und ihre Leichen kamen ins Krematorium. Vgl. Dok. 1.5.5.
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die fuhrenden Kommunisten genannt waren. Zu derselben Zeit wurde aber der Genösse Brandt nach Magdeburg entlassen. Die Parteileitung beschloß, den Genossen Kuntz fur einige Zeit auf ein Außenkommando zu schicken, damit sein Name nicht immer wieder in der politischen Abteilung zirkulierte. Genösse Kuntz ging nach Kassel, wurde von dort durch die SS als erstklassige Fachkraft fur sanitäre Anlagen nach dem neu zu errichtenden Lager Dora gebracht. Nach unseren Informationen wurde Genösse Kuntz im Herbst 1944 erneut in eine Denunziation wegen Sabotage verwickelt. Er blieb bis kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner im Bunker und soll zwei Tage vorher zusammen mit 8 anderen guten Parteifunktionären erschossen worden sein. Eine Bestätigung hierfür liegt noch nicht vor. 195 Nach dem Ausscheiden der Genossen Brandt und Kuntz aus der Parteileitung traten zu dem Genossen Bartel die Genossen [Harry] Kuhn und [Ernst] Busse. Sie blieben seit dieser Zeit bis nach der Befreiung die verantwortliche Parteileitung. Es muß hierbei gesagt werden, daß in keiner irgendwie gearteten Form eine Befragung der verantwortlichen Parteifunktionäre stattfand, ob sie mit der getroffenen Lösung der Parteiführung einverstanden waren. Die Parteileitung wurde in freiwilliger Disziplin und in Anerkennung ihrer richtigen politischen] Linie und Erfolge bestätigt. 196 Im Jahre 1942 wurden im Lager die Deutschen Ausrüstungswerke GmbH, ein ausgesprochener SS-Betrieb, und das Werk II der Gustloff-Werke, Weimar, errichtet. Die Deutschen Ausrüstungswerke (DAW) stellten in der Tischlerei SS-Schränke, Tische, Stühle, Munitionskisten u.a. Heeresgutartikel her, in der Schlosserei wurden Beschläge und Schrauben hierzu angefertigt, später Messerschmidt-Beschläge und die Wiederherstellung von abgeschossenen 2 cm Patronenhülsen. Die Elektro-Werkstatt diente hauptsächlich dem Umbau von Lastkraftwagen auf Feldküchen und Feldreparaturwagen. In den Gustloff-Werken wurden zunächst Karabiner hergestellt. Nach der Fertigstellung von 13 großen Hallen innerhalb des Lagerbereiches begann die Produktion von Teilen fur Flak- und Pakgeschütze und in einem Tarnungsbetrieb (Mibau) die Produktion von V 1-Teilen. Damit begann auch gleichzeitig unsere Kampagne langsamer arbeiten, noch langsamer, sabotieren, vernichten. Hierzu mußte selbstverständlich ein innerer Widerstand überwunden werden. Bisher hatte das Lager nur fur den eigenen Lagerbetrieb gearbeitet. Ein falscher Handwerkerstolz veranlaßte viele gute deutsche Kameraden, beste Qualitätsarbeit zu leisten. Sie wollten zeigen, was sie können. Es war auch richtig im Kampf gegen die Grünen, ein besserer Fachmann und ein besserer Arbeitsorganisator zu sein. Die Dinge bekamen jedoch einen vollständig anderen Charakter, als das Lager ausgesprochene Rüstungsproduktion leisten mußte. Die Parteileitung gab den Auftrag, alle Möglichkeiten das Sabotage festzustellen und unter Ausschaltung von leicht auffallenden Einzelaktionen eine massenmäßige Herabsetzung der Leistung in Quantität und Qualität herbeizuführen. Zu diesem Zweck schuf die Partei in
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Kuntz wurde am 23.1.1945 im Bunker von Dora von der SS ermordet. Gemeint ist: die Genannten haben, ohne daß sich Widerspruch erhob, als Parteileitung füngiert bzw. waren von Kuntz als dem ranghöchsten Funktionär (Kandidat des ZK) bestimmt worden, bevor er auf Transport ging.
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den entscheidenden Betrieben Betriebszellen, nicht nur der deutschen, sondern auch der ausländischen Genossen. Es entstand ein vollständiges System von Vertrauensleuten aller im Betrieb arbeitenden Nationen. Bei den Ausländern waren die ideologischen Voraussetzungen fur geringstes Arbeitspensum leichter gegeben. So zirkulierte z.B. bei dem Aufbau der Gustloffvverke ein russisches Wort: „Kommando X - rabota nix." Der Aufbau der Gustloffwerke wurde als Projekt X, das Kommando ebenfalls mit X bezeichnet. Die Schwierigkeit bestand hier besonders darin, unseren ausländischen Freunden klar zu machen, mehr mit den Augen als mit den Händen zu arbeiten. Die Sabotagearbeit beschränkte sich selbstverständlich nicht nur auf geringe Quantitäten, schon deshalb mußte ein ständiger Kampf gegen die SS und die zivile Betriebsfuhrung in den Gustloffwerken durchgefochten werden. Die Betriebsleiter beschwerten sich mindestens wöchentlich einmal über zu geringe Arbeitsleistung der Häftlinge. In gleicher Weise ging der Kampf zur Verschlechterung der Produktion. Die DAW bekamen ganze Kisten mit Patronenhülsen wegen ungenügender Wiederherstellung zurück. Umgebaute Lastkraftwagen sind manchmal schon auf dem Wege nach Weimar reparaturfähig geworden. Die hergestellten Karabiner waren nach der Abgabe von 40 - 50 Schüssen unbrauchbar. Besondere Bedeutung wurde der Verschleuderung kriegswichtigen Materials beigemessen. Die Parole hieß: „Alles fur das Lager (d.h. für die Häftlinge), nichts für die Rüstung." Das begann beim Nagel und hörte beim hochwertigen Stahl auf. Während des ganzen Krieges wurden im Lager massenweise Feuerzeuge, Zigarettendosen aus bestem Messing und anderem Material hergestellt. Allerdings hat die SS den Häftlingen in weitgehender Weise Unterstützung gegeben. Ihr Bedarf an Gegenständen aus kriegswichtigstem Material war noch größer als der der Häftlinge. Die angefertigten Bügeleisen, elektrischen] Kochplatten, Heizkörper usw. in den Gustloffwerken gingen in die Tausende. Eine andere Methode der Sabotage bestand in der bewußten Entziehung von qualifizierten Facharbeitern. Ankommende Parteigenossen aller Nationen wurden veranlaßt, ihren wahren Beruf zu verleugnen, wenn er in der Kriegsproduktion gebraucht wurde. Wo schon Fachkräfte eingesetzt waren, entzogen wir sie der Produktion durch häufiges Krankwerdenlassen. Mancher mußte die scheußliche Prozedur des Kautabakfressen auf sich nehmen, um entsprechende Temperatur zu erhalten. In den DAW und den Gustloffwerken war ständig ein Teil, bis zu 15 %, in stationärer und ambulanter Krankenbehandlung. Die Betriebsleitungen suchten sich dadurch zu helfen, daß sie die ambulante Behandlung in den Betrieb verlegten. Da die Pfleger aber von uns ausgesucht wurden, hatten sie damit wenig Erfolg. Wer aus Gründen der Sabotage krank werden mußte, wurde es auch durch die betriebliche Ambulanz. Eine beliebte Methode der Verschiebung von guten Fachkräften wurde durch die von uns beherrschte Arbeitsstatistik angewandt. Unter dem Vorwand genauer fachlicher Prüfung konnten wirkliche Fachkräfte in Schachtkommandos und Angeber zu hochwertigen Maschinen abkommandiert werden. Die beiden großen Rüstungsbetriebe DAW und Gustloffwerke wurden am 24. August [1944] durch Luftangriff der Amerikaner zu 90 % zerstört. Der Angriff kostete den Häftlin-
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gen 400 Tote, wovon 1/3 schätzungsweise von der SS bei der panikartigen Flucht aus dem Bombenteppich erschossen wurde. Im Jahre 1942 wandelte sich der Charakter des Lagers. Aus dem ausgesprochenen Konzentrationslager von Staatsfeinden vieler Nationen wurde ein Arbeitslager für die Rüstungsindustrie und ein Durchgangslager für die Schaffung von sogenannten Außenkommandos des KL. Im Laufe der Jahre entstanden ca. 60 Außenkommandos 197 mit fast 90.000 Häftlingen, darunter 25.000 Frauen. Ein Teil dieser Häftlinge hat das Lager Buchenwald überhaupt nicht gesehen. Sie wurden von anderen Lagern dem Kommando überwiesen und damit automatisch dem KL. Buchenwald zugezählt. Das geschah grundsätzlich mit den Frauen. Die zum KL. Buchenwald zugehörigen Frauen kamen nur dann mit dem Lager direkt in Berührung, wenn einzelne, und wirklich nur einzelne, entlassen wurden. Die Außenkommandos waren in ihrer Mehrzahl ausgesprochene Rüstungskommandos. Vor der Partei stand die Aufgabe, auch diese Kommandos funktionsmäßig so weit wie möglich zu besetzen. Die Stärke der Kommandos war sehr verschieden, von 5 0 - 5.000 Häftlingen. Als die ersten Kommandos abgingen, bestand eine Abneigung, die „gesicherten" Buchenwald-Bedingungen aufzugeben, um sie gegen völlig unbekannte einzutauschen. Jedem alten Konzentrationär steckte damals der Schrecken der Aufbaulager wie Buchenwald noch in den Knochen. Von anderer Seite wurde auch die Abkommandierung als politische falsch bezeichnet, da dadurch die eigenen Kräfte zersplittert werden würden. Die Parteileitung setzte aber ihren Standpunkt durch. Sie wies vor allen Dingen darauf hin, daß uns die Möglichkeit gegeben wird, mit breiten Schichten der Bevölkerung in Berührung zu kommen, auch bestand die Aussicht, auf aktive Parteigruppen zu stoßen. In dem Maße, wie sich die Parteiarbeit im Stammlager festigte, die ersten Erfahrungen aus den Außenlagern durch die Partei verbreitet werden konnten, gelang es, ständig neue Kräfte für die Außenkommandos abzustellen. Auf diese Weise erhielt die Parteileitung Buchenwald Informationen aus den Gebieten Leipzig, Zeitz, Braunschweig, Düsseldorf, Köln, Schwerte, Kassel, Magdeburg und vielen anderen Orten. Es war möglich, in einigen Orten direkt mit aktiven antifaschistischen Gruppen von sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern Verbindung zu bekommen. Die Genossen informierten sich gegenseitig über die Nachrichten der ausländischen Sender, besprachen das taktische Vorgehen im Betrieb, die Methoden der Sabotagearbeit. Es wurde schon damals, 1942-43, die Erfahrung gemacht, daß die Parteigruppen im Lande ideologisch bei der Entwicklung des Jahres 1933 stehengeblieben waren. Sie anerkannten die unbedingte Notwendigkeit der Schaffung der Einheitsfront, des Kampfes gegen den Krieg und die Heranziehung der ausländischen Arbeiter. Was nach dem Sturze Hitlers kommen sollte, war ihnen völlig unklar, oft genug erklärten sie in der Diskussion: Das einfachste wäre die Diktatur des Proletariats. Zu den von Buchenwald aus aufgebauten großen Kommandos gehörte auch das Lager „Dora" bei Nordhausen im Harz. Hier wurden in den Berg Stollen getrieben für die Produktion von V 1-Teilen. Das Lager umfaßte wieder mit eigenen Außenstellen mehr als 30.000 197
Vgl. die Liste bei Martin Weinmann (Hg ): Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfiirt a.M. 1990, S. 732 f.
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Häftlinge. Im Jahre 1944 wurde das Lager Dora von Buchenwald abgetrennt. Unsere Verbindung dorthin ging über einige SS Leute und Offiziere. Wir erfuhren unter anderem, daß die von uns zum Lager abkommandierten Funktionskräfte der Lagerleitung sich geweigert hatten, eine Exekution durchzuführen. Vor dem gesamten angetretenen Lager und Kommandaturstab sollten sie 2 Flüchtlinge aufhängen. Der 1. und 2. Lagerälteste erklärten auf dem Appellplatz eindeutig, daß sie die Ausführung des Befehls verweigern. Die SS mußte selbst das Aufhängen besorgen. Unsere beiden Genossen gingen in den Bunker. Diese beiden Genossen gehören zu den mit dem Genossen Albert Kuntz zusammen erschossenen Häftlingen. 198 Die von der Partei für die Kommandos verantwortlich gemachten Genossen kamen in bestimmten Abständen unter den verschiedensten Vorwänden zur Berichterstattung und Entgegennahme neuer Informationen. Dadurch blieb der Kontakt erhalten, und viel wertvolles Material konnte der Partei zur Einschätzung der Situation im Lande übergeben werden. In den Jahren 1 9 4 2 - 4 3 führte die Partei einen harten Kampf gegen die faschistische Prügelmethode. Der Kampf mußte nach 2 Seiten geführt werden: einerseits gegen die SS, andererseits gegen Häftlinge, die sich von der SS als Büttel mißbrauchen ließen. Der Kampf gegen die Prügelhelden der SS war kompliziert und oft ohne Erfolg. Als Argumente konnten im allgemeinen der SS-Führung nur entgegen gehalten werden, daß wertvolle Arbeitskräfte durch unsinnige Prügeleien bis zum Totschlag verloren gingen. Unsere Genossen im Revier verstanden es ausgezeichnet, bei bestimmten Anlässen den SS-Ärzten klar zu machen, wie wertvollstes Verbandmaterial, Medikamente nur deshalb knapp werden, weil irgend ein besoffener SS-Mann die Leute revierfähig schlug. Im Jahre 1944 wurde von der Reichsführung SS das Prügeln überhaupt verboten. Die Gründe hierfür lagen ebenfalls in der „Erhaltung der Arbeitskraft". Selbstverständlich wurde sowohl öffentlich als auch nichtöffentlich weitergeprügelt. Es war uns aber hiermit 199 eine Waffe in die Hand gegeben, um gegen ausgesprochene Mörder in den Reihen der SS vorzugehen und andererseits SS vom Prügeln abzuhalten, weil sie an sich schon schwankend wurden. 200 Der Kampf gegen Häftlinge, welche in ihrer Funktion als Kapo, Vorarbeiter, Blockältester andere Häftlinge schlugen, wurde systematisch mit allen Finessen und, wenn notwendig, mit brutalster Härte geführt. Mit dem Erscheinen großer Massen ausländischer Häftlinge führte die Partei eine Kampagne über das Verhältnis der Deutschen zu den Ausländern. Es wurde aufgezeigt, unter welchen Bedingungen die ausländischen Arbeiter nach Deutschland gekommen sind, wie sich die Deutschen im Ausland betragen haben, welch tiefer Haß heute schon unter den ausländischen Häftlingen im Lager gegen alles Deutsche im Lager aufgespeichert war. Die Partei erklärte, am Ende des Krieges wird sich eine nie gekannte Welle des Hasses gegen Deutschland erheben. Die hier im Lager anwesenden ausländischen Arbeiter werden sich gegen diese Welle als Wellenbrecher stemmen, wenn wir das richtige Ver198
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Der 1. Lagerälteste, Georg Thomas (Automechaiuker, KPD), und der 2. Lagerälteste, Ludwig Szymczak (Bergarbeiter, KPD), wurden am 4.4.1945 mit fünf weiteren Häftlingen von einem SS-Kommando erschossen. Gemeint ist: durch das Prügelverbot der SS. Gemeint ist, daß SS-Leute den Glauben an den deutschen Sieg verloren.
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hältnis zu ihnen schaffen. Sie werden mit auf uns herumtrampeln, wenn sie nicht durch unser Verhalten überzeugt werden können, deutsch und deutsch ist nicht das Gleiche. Trotz schärfsten Hitlerterrors halten die Antifaschisten die Fahne der internationalen Solidarität hoch. Die Partei erklärte, wer einen ausländischen Arbeiter schlägt, schlägt das deutsche Volk. Einmal werden alle Schläge zurück gezahlt. Die Kampagne gegen das Schlagen steigerte sich mit der Losung: „Wer schlägt, ist Faschist". Der Erfolg dieser Kampagne blieb nicht aus. Das Schlagen wurde im Lager verpönt und blieb später eine Einzelerscheinung. Es muß dabei berücksichtigt werden, daß aus früherer Zeit mancher rote Lagerfunktionär mit Hilfe der SS in seine Funktion gekommen war, aus der er nicht ohne weiteres entfernt werden konnte. Eine wesentliche Voraussetzung fur das Gelingen dieser innerlagerlichen Kampagne war die Schaffung gut funktionierender Sektionen aller im Lager vorhandenen Nationen. Hierüber liegt ein Sonderbericht vor. 201 Alle seit 1943 auftauchenden politischen Probleme, grundsätzlichen Fragen, die Einschätzung der politischen Situation, wurden im gesamten internationalen Lageraktiv durchgearbeitet. Die Partei organisierte eine kleine Gruppe Propagandisten, welche zusammen mit den anderen Sektionen grundsätzliches Material ausarbeiteten. Zu diesem grundsätzlichen Material gehörten unter anderem [Stalins] „Probleme des Leninismus^' und „]die nationale Frage["], die Sowjet-Verfassung, das Programm des NK [„Nationalkomitees Freies Deutschland"] und die Stellung der KPD zum NK, Beschlüsse des 7. Kongresses [der Komintern], die Voraussetzungen und Notwendigkeiten der Invasion (diskutiert Mitte Mai 1944), Sozialismus und Imperialismus, Lehren der Partisanenbewegung in Jugoslawien, die Philosophie des Nationalsozialismus. Irgendwelches schriftliches Material, marxistische Literatur, stand uns nicht zur Verfugung. Unsere Genossen der Bibliothek haben fleißig alle marxistischen Zitate aus der faschistischen Literatur zusammengesucht und der Partei entsprechende Hinweise gegeben. Durch die sowjetischen Genossen erhielten wir im Sommer 1944 eine ukrainische Ausgabe der „Kurzen Parteigeschichte der KPdSU" 202 . Sie wurde aus dem Ukrainischen ins Russische, aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Als die Übersetzung endlich fertig war, mußte die mühselige Arbeit auf Grund einer besonderen Suchaktion der politischen Abteilung ins Feuer geworfen werden. Im Jahre 1943 begannen die einzelnen Sektionen illegale Nationalkomitees, Freiheitskomitees oder ähnlich genannte Komitees mit sozialdemokratischen und bürgerlichen antifaschistischen Kräften zu bilden. Es war eine Tendenz vorhanden, diese Komitees durch die Ausarbeitung eines Programmes fur die Nachkriegszeit zu untermauern. Endlose Diskussionen fanden statt. Seitens der deutschen Genossen stand man den Programmdiskussionen skeptisch gegenüber. Wir waren der Auffassung, es gilt im Lager und im Lande die Kampfeinheit zum Sturz der faschistischen Unterdrückung zu schaffen. Der Charakter der Regierung nach dem Sturze der Hitlerdiktatur wird bestimmt durch den Anteil des Volkes an die-
Walter Bartel: Entstehung und Entwicklung der internationalen Arbeit in Buchenwald (im selben Vorgang). Unter Sektionen wurden die einzelnen Nationalitäten bzw. deren Sprecher verstanden. Der Basisschulungskurs des internationalen Stalinismus.
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sem Freiheitskampf. Die Partei propagierte, daß der Anteil des deutschen Volkes an seiner politischen (Befreiung) nach Hitler genau so groß sein wird, als sich das deutsche Volk im Kampfe zum Sturze Hitlers erringen wird. 203 Die einzelnen Sektionen kamen zur deutschen Parteileitung, um sich in den grundsätzlichen Fragen der neuen Programme beraten zu lassen. Die deutsche Parteileitung beschränkte sich jedoch auf die oben angeführten grundsätzlichen Erwägungen. 1943 kam der frühere sozialdemokratische Staatssekretär für Thüringen und MdR, Dr. Hermann Brill* nach Buchenwald 204 . Er war uns bereits vom Zuchthaus Brandenburg avisiert und von anderen Genossen bestätigt als ehrlicher Antifaschist. Genösse Brill berichtete uns über die Volksfrontarbeit in Berlin und Deutschland, über die Diskussionen im Ausland, seine Verbindungen zum ehemaligen Parteivorstand der SPD und zu unseren Genossen ([Anton] Ackermann) 205 . Genösse Brill kam zu uns mit der Erklärung, ihn als einen der unsrigen zu betrachten. Er wünsche kein zurück zur SPD. Wir haben mit Genossen Brill bei seinem Erscheinen viele Diskussionen geführt, ihn beauftragt, ehrliche Elemente der SPD und kleinbürgerliche Gruppen zu bearbeiten. Mit ihm führten diese Arbeit gute Genossen von uns durch, so daß nach einiger Zeit, im Herbst 1943, die Bildung eines deutschen Volksfrontkomitees in Buchenwald möglich wurde. Ihm gehörten an: Dr. Brill, Dr. Hilpert* (Christlich-sozialer aus Leipzig), Ernst Tape [Thape]* (sozialdemokratischer Redakteur aus Magdeburg), und Walter Wolf" (KP, Lehrer aus Gotha). Der Name Volksfrontkomitee wurde gewählt, weil er die Fortsetzung des Kampfes 206 symbolisieren sollte. Das Komitee hat keine wirksame Tiefenarbeit entfaltet. Es beschränkte sich auf Diskussionen in seinem eigenen Kreis, Gewinnung von weiteren SPD-Anhängern für die Zusammenarbeit mit uns. Die SPD zählte im Lager ca. 50 Mitglieder und war nach ihren eigenen Angaben politisch völlig inaktiv, beschränkte sich auf „Sozialfürsorge", der Ausdruck stammt von ihnen selbst. Die SPD ist in der Illegalität und nachher nie irgendwie in Erscheinung getreten. 207 Ausgesprochen bürgerliche Elemente erschienen im Lager [unter den deutschen Häftlingen] erst mit der Aktion gegen die Mischlinge 2 0 8 Insgesamt waren es etwa 4-500, meist in dem Alter von 2 0 - 3 5 Jahren, die ins Lager kamen. Die Masse von ihnen war unpolitisch, 203 204
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Gemeint ist wohl, daß die politische Autonomie des deutschen Volkes um so größer sein werde, je mehr es zu seiner Befreiung selbst beitrage. Brill war MdL in Thüringen und 1923 politischer Beamter im Volksbildungsministerium und Innenministerium (zuletzt Ministerialdirektor) gewesen. Von Beruf war er Lehrer, danach an der Volkshochschule in Tinz. Vgl. zu den erfolglosen Kontakten von Brills Widerstandsgruppe „Deutsche Volksfront" Anfang 1937 mit den damaligen Prager Repräsentanten der KPD-Exilvorstands Elli Schmidt und Anton Ackermann Manfred Overesch: Hermann Brill in Thüringen 1895-1946, Bonn 1992, S. 267 ff., zu seiner Volksfront-Arbeit in Buchenwald S. 287 ff. Gemeint ist: von 1936/37, als allerdings der von der linken Gruppierung „Neu Beginnen" kommende Brill und die Kommunisten unvereinbare Konzeptionen unter demselben Namen „Volksfront" verbanden. Die Delegierten der Parteiaktivs Buchenwald der KPD beschlossen am 22.4.1945 eine Resolution, in der es hieß: „Wir wissen, daß es die historische Schuld der SP [Sozialdemokratie] ist, daß der Nazismus in Deutschland zur Macht kommen konnte." (ZPA 1/2/3/154 Bl. 208). „Mischlinge", d.h. durch den NS definierte Kategorie von Personen mit teilweise jüdischer Abstammung, wurden seit 1944 bis Anfang 1945 in Konzentrationslager eingewiesen.
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auf Grund ihrer Verhaftung antihitlerisch eingestellt. Einige, mit denen wir sehr schnell in Kontakt kamen, zeigten sich als intelligente, aufrechte Antifaschisten. Die Partei bestimmte einige Genossen, welche als besondere Aufgabe die Arbeit unter diesen bürgerlichen Elementen durchzufuhren hatten. In der gesamten Lagerarbeit nahm der Kampf gegen Zinker und Provokateure immer einen breiten Raum ein. Immer haben sich einige Genossen mit dieser Arbeit beschäftigt. Im Zuge der Zusammenfassung aller Kräfte schuf die Partei im Jahre 1941 eine spezielle Abwehrorganisation unter Führung des Genossen [Richard] GroßkopP. Dieser Teil der Organisation hatte seine Vertrauensleute in jedem Block und in allen wichtigen Arbeitskommandos. Durch sie bekam die Partei ständig Informationen über feindselige Äußerungen gegen den antifaschistischen Kampf im Lager oder ihre Träger. Durch direkte Beziehungen zur politischen Abteilung über dort beschäftigte Häftlinge und SS-Leute war es möglich, Todeskandidaten rechtzeitig abzusichern. Entweder wurden sie todkrank oder „starben" 209 . Auf diese Weise wurden Dutzende Kämpfer aus allen Nationen vor dem Henkertode gerettet. Hierzu gehören auch englische Fallschirmjäger, Angehörige des Secret Service. 210 Diese Organisation war selbstverständlich später ebenfalls international ausgebaut, mit Verbindungsleuten zu allen vorhandenen Sektionen. Jeder auftauchende Fall wurde den zuständigen Sektionen zur Begutachtung und Entscheid über die zu treffenden Maßnahmen vorgelegt. Der Genösse Kuntz erteilte noch vor seinem Ausscheiden aus der Buchenwalder Leitung den Auftrag zu Bildung einer militärischen Kaderorganisation. Den Auftrag erhielt der Genösse [Heiner] Studer*, Frankfurt, später wurde die Leitung durch die Genossen [Otto] Roth*, Frankfurt, und Meier 2 1 1 , Thüringen, ausgebaut. Die erste Aufgabe der M-Organisation 212 war die Sammlung aller ehrlichsten, härtesten und politisch einwandfreiesten Genossen zum Kader. Die Vorschläge hierfür wurden mit dem Politischen] Leiter des Bezirkes überprüft. Die Kader bauten sich in Fünfer-Gruppen auf der Grundlage der Bezirke auf. Später wurden in den Kommandos und in den Blocks Kadergruppen geschaffen bzw. umgruppiert. Die Kadergruppen bekamen allgemeine theoretische und praktische Ausbildung an Gewehr und Revolver, theoretische Ausbildung für MG und Panzerfaust an Hand von Abbildungen und Beschreibungen. Ferner wurde eine Instruktion über Panzerbekämpfung, eine weitere über die Grundprinzipien des Partisanenkampfes durchgearbeitet. Auch die[se] Kader wurden international organisiert. Ihre Auswahl mußte den einzelnen Sektionen überlassen bleiben, die Führung jedoch wurde von uns sorgfältig überprüft. In zwei Fällen wurde durch den Einspruch der Partei die Kaderfuhrung anderer Sektionen ausgewechselt. International wurden Disziplinübungen durchgeführt, die Kadergruppen trafen sich nach kurzer vorheriger Verständigung an bestimmten Stellen im Lager, bekamen einen Befehl zur Kenntnis 209
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Gemeint ist: sie wurden im Krankenbau untergebracht oder dort als gestorben gemeldet, um mit der Identität eines tatsächlich gestorbenen Häftlings weiterzuleben. Vgl. dazu ausführlich Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 245 ff. Gemeint ist wahrscheinlich Karl Meyer, der 1943/44 zum Fünferkopf der ca. 40 Thüringer Kommunisten in Buchenwald gehörte und der „Abwehrorganisation" angehörte. (Bericht über die illegale Widerstandsarbeit der Thüringer Antifaschisten [Nov. 1948], S. 13, ZPA12/3/155, Bl. 270-290). Abkürzung in der Tradition des der Abwehr dienenden M=Militärapparats der KPD vor 1933.
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und gingen wieder auseinander. Besondere Instrukteure kontrollierten die Zusammenkünfte. Spezielle Gruppen sicherten die Zusammenkünfte ab, die ausschließlich im Freien stattfanden. Diese Disziplinübungen fanden insbesondere zu bestimmten Anlässen [wie] 7. November 213 , 1. Mai, bei Siegen der Roten Armee statt. Sie waren bis zu 100 % besucht. Innerhalb der Kaderleitung beschäftigte sich eine besondere Gruppe mit der Waffenbeschaffung. Im Laufe der Zeit gelang es, rund 100 Gewehre zu organisieren, ferner ca. 20 Revolver und ein leichtes MG mit 2.000 Schuß sowie ca. 30 Handgranaten. Die Waffen wurden im Lager eingemauert, und waren nur einem ganz kleinen Kreis von Zuverlässigsten bekannt. Ferner wurden nach einem Patent ca. 80 Handgranaten angefertigt und Brandflaschen vorbereitet. An dieser Arbeit der Waffenbeschaffung beteiligten sich Angehörige aller Sektionen. Der Kaderleitung wurde der Auftrag erteilt, einen Aufstandsplan auszuarbeiten. Dieser Plan wurde in allen seinen Einzelheiten durchgearbeitet, mit den einzelnen Kampfgruppen besprochen und auf zwei Hauptmöglichkeiten variiert. 1. Möglichkeit: eigener Angriff; 2. Möglichkeit: Überfall durch die SS, verteidigen und Übergang zum Gegenangriff. [1.] Grundgedanke für den Plan war die Übereinstimmung mit der Situation im Lande. Unser Aufstand durfte keine isolierte Aktion sein, sondern mußte sich aus der Entwicklung des Landes ergeben. 214 2. Grundgedanke war die zwingende Notwendigkeit, den Aufstand so zu fuhren, daß die Waffenlager der SS von uns erobert werden konnten. Dieser Plan mußte nach der Bombardierung der Rüstungswerke [am 24.8.1944] völlig umgestellt werden. Das große Kommando „Gustloffwerke", in dem unsere hauptsächlichen Kaderkräfte konzentriert waren, schrumpfte auf 10 % zusammen. Gleichzeitig waren bei dem Angriff die Autoreparaturwerkstätten des Totenkopfverbandes der SS zerstört [worden] und damit Waffenlager, die fur unsere Aktion entscheidende Bedeutung erhalten sollten. Die Pläne wurden entsprechend umgearbeitet, eine neue Verteilung der Kräfte vorgenommen. Je eine Gruppe von Sektionen hatte ihren selbständigen Kampfsektor zugewiesen bekommen. Auf Grund der im Winter 1944 - 45 veränderten militärischen Lage wurde zusammen mit der Kaderleitung ein Plan fur die Evakuierung und für die Übernahme des Lagers ausgearbeitet. Bei der Evakuierung gingen wir davon aus, jegliche Waggonierung 215 zu verhindern, weil sie eine völlige Lähmung der Aktionskraft bedeutete. Die Losung war, die einzelnen Marschgruppen mit starken Kaderkräften zu versehen, um aus ihnen heraus den Ausbruch durch die Entwaffnung der Begleitmannschaft durchführen zu können. Aus allen uns 213 214
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Tag der Oktoberrevolution in Rußland. Die Buchenwalder Kommunisten erwarteten auch noch nach der Verhaftungswelle politischer Oppositioneller im Gefolge des 20. Juli 1944, die ihre Kenntnis der Lage außerhalb des KZ durch die Neuzugänge hätte verbessern können, einen Volksaufstand in Deutschland gegen Hitler (wie ihn die Moskauer Rundfunkpropaganda für eine Basisbewegung des Nationalkomitees „Freies Deutschland" im Reich stimulieren wollte), in den sich ein Lageraufstand, der allenfalls Stunden durchgehalten werden konnte, dann hätte einklinken können. Bartel wählt hier eine abstrakte Formulierung, die sich auch auf solche Aktionen anwenden läßt, wie sie dann am 11.4.1945 tatsächlich stattfanden, nämlich eine Sicherang des Lagers beim Abzug der Masse der SS angesichts heranrükkender alliierter Truppen. Gemeint ist: ein Abtransport von Häftlingen mit der Bahn.
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vorliegenden Berichten ist es den in den letzten 3 Tagen vor der Befreiung evakuierten organisierten Partei- und Kampfgruppen gelungen, entsprechend dem Plan auszubrechen. Realisiert wurde schließlich der Plan der Übernahme des Lagers, hierüber später. Für die einwandfreie Arbeit der Kaderleitung, ihrer Funktionäre und aller Kaderangehörigen gibt es keinen besseren Beweis als die Tatsache, daß trotz mehr als 3-jähriger Arbeit kein einziger Fall von Verrat vorgekommen ist. Die Besonderheit des Lagerlebens, die immer nur mündliche Informierung und Instruierung, die Tatsache, daß die Radionachrichten auf Grund der technischen Bedingungen nicht direkt von der Parteileitung, sondern nur durch technische Helfer abgehört werden konnten, hat selbstverständlich oft zu einer allzu kurzen terminmäßigen Perspektive gefuhrt. So war im Sommer 1944 fast allgemein die Auffassung vertreten, bis Ende des Jahres wird der Krieg in Europa zu Ende sein. Immer blieb die Partei bei der Auffassung, daß das deutsche Volk, wenn auch noch in letzter Minute, die Kraft finden wird, sich selbst vom HitleiTegime zu befreien. Die stürmische Entwicklung im Sommer 1944 schuf eine starke optimistische Stimmung im Lager. Die negative Seite dieser Stimmung äußerte sich in einem Nachlassen der Konspiration. Die Partei mußte wiederholt auf schwere Durchbrüche der einfachsten konspirativen Regeln hinweisen. Die besondere Situation im Lager nach der Bombardierung, die Hereinnahme von Ausländem in den Lagerschutz - bisher von der SS strikt abgelehnt -, die gewaltigen Erfolge der Roten Armee, das Erscheinen der alliierten Streitkräfte an der deutschen Grenze, alle die Dinge lösten eine Stimmung aus, daß wir uns alles jetzt leisten können. Nach dem Bekanntwerden der Ermordung des Genossen Ernst Thälmann am 15. September 1944 veranstaltete das Kommando EfFektenkammer [am 18.9.1944] eine Totenfeier ohne Kenntnis und gegen den Willen der Partei. 216 Es sei hierbei erwähnt, daß keinerlei Beweise vorhanden sind, über die Anwesenheit des Genossen Ernst Thälmann im Lager, wenn auch nur zu dem Zwecke seiner Ermordung. 217 Unseres Erachtens ist er an anderer Stelle getötet worden. In dieser Totenfeier befand sich ein Provokateur, ein Angehöriger des Kommandos EfFektenkammer.218 Er gab von dieser Veranstaltung einen genauen Bericht mit Inhaltsangabe der Rede, einer Liste der Teilnehmer über den Kommandofuhrer der 216
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Emst Thälmann (1886-1944), geboren in Hamburg als Sohn eines Gemischtwarenhändlers, nach der Schulentlassung Fuhrwerker im väterlichen Geschäft, mit 16 Jahren Matrose, Landarbeiter im Staate New York, Rückkehr nach Hamburg, Eintritt in die SPD und die Gewerkschaft der Transportarbeiter, 1914-1918 Kriegsdienst als einfacher Soldat an der Westfront, Herbst 1918 Desertion, Eintritt in die USPD, 1919 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, 1920 KPD, seit 1924 MdR, Vorsitzender der KPD seit 1925, Führer des RFB, Kandidat für die Reichspräsidentenwahl, auf dem V. Weltkongreß der KI nominiert für das EKKI-Präsidium, 1928 Funktionsenthebung wegen versuchter Verschleierung eines Finanzskandals (Wittorf-Affare), aber auf Weisung Stalins wieder eingesetzt, 1933 verhaftet, von der Komintern fallengelassen, seitdem von den Nationalsozialisten von Gefängnis zu Gefängnis verschleppt (u.a. Gefängnis Hannover, Zuchthaus Bautzen), am 18.8.1944 im KZ Buchenwald erschossen. Auf der Totenfeier in den Kellerräumen der Desinfektion, die mit Stoff und Pylonen ausgestaltet waren, sprachen die kommunistischen Kapos Willi Bleicher* und Robert Siewert*, vgl. dessen Erinnerung von 1954 in: Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., S. 476 f.. Anders ebenda, S. 346 ff Nach dem Zeugnis von Heinz Mißlitz* soll Thälmann am 17.8.1944 im Krematorium umgebracht worden sein; Mißlitz will am folgenden Tag die Parteileitung (Emst Busse) von seinen Erkenntnissen unterrichtet haben. Angeblich der österreichische Häftling Stmad.
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Kammer an die politische Abteilung. Die politische] Abteilung veranlaßte ihn, seine Arbeit fortzusetzen. Die Partei war nicht informiert. Nach dem Tode des Genossen Albert Kaiser [Kayser]*, Berlin, der ebenfalls dem Kommando Effektenkammer angehörte, fand eine erneute Totenfeier statt. 219 Wieder war der Provokateur anwesend. Durch besondere Umstände erhielt die Partei von seiner Arbeit Kenntnis. Ehe sie jedoch eingreifen konnte, setzte eine Verhaftungswelle unter den Angehörigen des Kommandos ein, auch der Provokateur wurde verhaftet. Die Partei war durch ihre Verbindung zur politischen] Abteilung und zu einigen SS-Führem über den Gang der Vernehmungen ständig genauest informiert. Es gelang der Gestapo nicht, über den Kreis der Effektenkammer an andere Kreise der Partei heranzukommen. Durch denselben Provokateur wurden einige verantwortliche Genossen der österreichischen Sektion verhaftet. Trotz aller Methoden der Gestapo nach dem Muster von 1933 blieben die Verhafteten hart. Die Gestapo bekam kein weiteres Material in die Hände. Der größte Teil der Verhafteten wurde wieder entlassen, zum Teil strafweise in die Gustloffwerke Weimar gesteckt, einige, darunter die Österreicher, wurden erst durch den Zusammenbruch frei.220 Das war der einzige größere Betriebsunfall, welchen die Partei in ihrer langjährigen illegalen Tätigkeit hatte. Er löste bei einigen schwankenden Elementen krisenhafte Stimmungen aus. Einige Genossen stellten die Frage der Ablösung der Parteiführung, da sie dekonspiriert221 sei und deshalb eine Gefahr fur die Partei darstelle. Es wurde auch die Frage der Verschickung von gefährdeten Genossen aus dem Lager in Außenkommandos gestellt. Die Parteileitung trat diesen Stimmungen stark entgegen. Sie verlangte von allen gefährdeten Genossen im Falle ihrer Verhaftung Härte und Entschlossenheit, Kampf mit allen zur Verfugung stehenden Mitteln. Ein Verschwinden von verantwortlichen Parteifunktionären in dieser Zeit hätte wie Desertation ausgesehen und zersetzende Folgen in der ganzen Organisation gezeitigt. Im Herbst 1944 begann die Partei mit Hilfe der Außenkommandos die Flucht einzelner und kleinerer Gruppen zu organisieren. An der Flucht beteiligten sich weitgehendst Genossen des sowjetischen Sektors, französische und belgische Kameraden. Die Flucht deutscher Genossen stieß auf erhebliche Schwierigkeiten. In den Außenkommandos waren sie restlos in Lagerfunktionen. Ihr Verschwinden hätte sofort die Mobilisierung der gesamten SS und Polizei in der Umgegend zur Folge gehabt. Wo diese Flucht trotzdem durchgeführt wurde, zeigten sich Auswirkungen auf das Kommando, die in keinem Verhältnis zu der beabsichtig-
Diesmal hielt Walter Bartel - hinter einem Vorhang verborgen - selbst die Trauerrede. Vgl. im übrigen ebenda, S. 479. Es waren über ein halbes Dutzend führender kommunistischer Kapos wie Siewert, Bleicher, Bausch*, Wegerer* verhaftet worden, und nach einigen Tagen folgte ihnen auch der 1. Lagerälteste Erich Reschke*. Vgl. dessen Erinnerung von 1957 in: ebenda, S. 477 f. Kommunistischer Terminus technicus für die Unterwanderung oder Enttarnung einer Verschwörung. Die Befürchtung der „schwankenden Elemente" unter den Genossen war naheliegend, aber sie hatten eben keine so fest verwurzelten Beziehungen zur politischen Abteilung der SS-Kommandantur, daß sie über die Verhöre der Verhafteten informiert worden wären. Wie Bartel in den nächsten Sätzen darlegt, war für die Kapo-Schicht das Risiko des Untertauchens größer als das Risiko der Dekonspiration durch „singende" Genossen bei der Gestapo.
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I Frühe Zeugnisse nach der Be/eiung
ten Wirkung standen. Es fehlte andererseits auch an der Bereitwilligkeit vorhandener Organisationen (Chemnitz, Erfurt), unsere Genossen unterzubringen.222 Zur gleichen Zeit 223 widmete die Parteileitung dem Verhältnis zur Häftlingslagerleitung größte Aufmerksamkeit. Seit Juni 1942 waren die Lagerältesten fest in unserer Hand 224 . Lagerältester 1 war der Genösse Erich Reschke*, Hamburg, LA 2 Genösse Hans Eiden*, Trier, LA 3 Genösse Paul Schreck*, Mannheim. Auch die beiden Kontrolleure waren Genossen, Hein Hauptmann*, Hamburg, und Karl Pankow*, Stettin. Schon während des ganzen Jahres 1944 fanden wöchentliche politische Aussprachen mit diesen Genossen unter ständiger Anwesenheit je eines Vertreters der Parteileitung statt. In diesen Aussprachen wurden alle konkreten Lagerfragen besprochen und die Linie der Arbeit festgelegt. Dazu gehörten natürlich auch alle Personalfragen, wie die Umbesetzung von Blockältesten, Kapos usw. 225 . Unsere Grundlinie war: a) gute Antifaschisten, b) internationalisieren. Die Internationalisierung der Lagerfunktionskräfte ging ständig im Kampf gegen die SS vor sich. Es gelang uns, 95 % des Stubendienstes mit Ausländern zu besetzen, unter dem Vorwand der Überbelastung der Blockältesten Ausländer als Stellvertreter einzusetzen, später sogar Ausländer als Blockälteste zu bestimmen. Derselbe Prozeß ging in den Kommandos vor sich. Die Besetzung aller Positionen geschah im engsten Einvernehmen mit den Sektionsleitungen. Auf diese Weise konnten alle verantwortlichen Funktionäre der Sektionen solche Kommandos erhalten, die ihnen freie Bewegungsmöglichkeit fur ihre politische Arbeit gaben. Diese Möglichkeiten erleichterten unseren ausländischen Genossen 226 ihre Arbeit und schufen ein gutes kameradschaftliches Vertrauensverhältnis untereinander. Mitte März 1945 war der Zusammenbruch Deutschlands nur noch eine Frage von wenigen Wochen. Der Übergang über den Rhein signalisierte uns die Endphase des Krieges. Vor der Masse der Häftlinge stand die bange Frage, wird die SS noch im letzten Moment das Lager vernichten? Wir konnten nicht mit der Propaganda unserer Abwehrmaßnahmen antworten. Massenmäßig 227 stellten wir die Aufgabe der Zersetzung der SS-Bewachungsmannschaft. Bei ihnen waren 2 Strömungen vorhanden. Ein Teil erklärte offen, bei der Niederlage 222
223 224
22
^
226 227
Gemeint ist: In der Region gab es keine KPD-Zellen, die bereit gewesen wären, aus dem KZ geflohene Genossen zu verbergen. Gemeint ist: während dieser ganzen Zeit. Gemeint ist: die Positionen der Lagerältesten. Nachdem der Krieg „Rot" gegen „Grün" 1942 vollends zugunsten der Kommunisten entschieden worden war, hatte die SS-Kommandantur offenbar akzeptiert, daß diese wichtigsten Lagerpositionen innerhalb der deutschen Lagerprominenz von der KPD besetzt wurden. Selbst als der LA 1 Reschke verhaftet worden war, rückte der kommunistische LA 2 einfach auf seinen Posten vor und einer der kommunistischen Kontrolleure wurde LA 3. Es ist bemerkenswert, daß solche für die Praxis des Lagers zentralen Personalfragen in der zweiten Kriegshälfte de facto eher in die Zuständigkeit der illegalen KPD als in diejenige der formellen Zuständigkeit der SS-Kommandantur fielen. Jedenfalls ist in diesem und vergleichbaren Berichten aus der Kapo-Schicht aus dieser Zeit nie davon die Rede, daß die kommunistischen Vorschläge nicht durchgedrungen wären oder daß es auch nur Konflikte um solche Vorschläge gegeben hätte. Wie im Folgenden erläutert, war es dafür wesentlich, daß die deutschen Kommunisten bei ihren Vorschlägen innerhalb des rassistischen Konsenses der SS blieben und ausländische Häftlinge nur fur untergeordnete und Domestiken-Funktionen vorschlugen, was fur die Betroffenen aber bereits eine wesentliche Verbesserung ihres Alltags und vor allem ihrer Überlebenschance bedeutete. D.h. den Kommunisten in den ausländischen Sektionen. D.h. als Aufgabe für alle Anhänger.
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uns mitnehmen zu wollen. Andere fraternisierten mit uns, ohne daß sie jedoch außer ihrer Stimmungsäußerung praktische Beweise ihres Kampfwillens gaben. Es gab ganz geringe Ausnahmen, die uns ständig über alle wichtigen Meinungen und Entschlüsse der SS-Lagerfuhrung informierten. Selbstverständlich war auch das schon für uns von großer Bedeutung. Die Partei verstärkte ihre Arbeit unter den legalen Lagerorganen. Der Lagerschutz, die Lagerfeuerwehr, die Brandwaffe wurden politisch stark bearbeitet, unsichere Kantonisten ausgewechselt, die verantwortlichen Kameraden in diesen Organen auf ihre Aufgabe in der Endkrise eingestellt. Durch einen Trick gelang es uns, alle deutschen Antifaschisten in eine legale Lagerorganisation „Bergungstrupp" zu bringen. Der Bergungstrupp erhielt Binden, so daß auf diese Weise die gesamte Partei und die Sympathisierenden organisatorisch völlig offiziell erfaßt werden konnten. Ende März war das Lager durch evakuierte Außenkommandos auf weit über 40.000 Insassen angewachsen. Die Unterbringungs- und Verpflegungsverhältnisse nahmen katastrophalen Charakter an. Vor dem Lager stand ebenfalls die Frage der Evakuierung. Der Lagerkommandant hielt es in diesem Moment fur angebracht, eine Beruhigungsrede zu halten. Er ließ den Bergungstrupp antreten und sprach vor ihnen. In der Rede erklärte er, den Befehl zu haben, nicht zu evakuieren, sondern wenn notwendig das Lager ordnungsgemäß zu übergeben. Er warnte die Deutschen vor einem Aufstandsversuch der Franzosen und Tschechen. Angeblich hätten diese durch Funkspruch um Waffen gebeten, um alle Deutschen im Lager umbringen zu können. Die letzte Mitteilung löste bei uns nur ein ironisches Lächeln aus und war nur ein Beweis dafür, wie sehr die Lagerfuhrung auf dem Holzwege war. Uns war besser bekannt als ihr, daß sich unsere franz. [ösischen] und tschechischen] Genossen niemals von uns deutschen [Genossen] trennen würden, noch viel weniger mit der Waffe gegen uns stehen würden. Die Rede des Kommandanten hatte unter den Ausländern eine größere Wirkung als unter den Deutschen. Wir sahen sie als ein Betrugsmanöver an, die Ausländer in ihrer Masse als Kapitulation und friedlichen] Ausgang. Der friedliche Zauber verschwand sehr schnell. Schon 2 Tage später hieß es abends um 6 Uhr: Alle Juden sofort auf dem Appellplatz antreten. Die Partei hatte schon vor der Rede des Kommandanten einen Aufruf erlassen, wir dulden weder Einzel- noch Massenliquidierungen. Der Befehl, alle Juden ans Tor, wurde selbstverständlich als der Start zur Liquidierung der Juden betrachtet. Die Partei gab die Losung heraus, niemand auf den Appellplatz. Es erschienen lediglich einige unentwegte jüdische Gruppen, welche mehr an die friedliche SS als an die Kraft des Lagers glaubten. 3 Stunden lang ging der Kampf zwischen Lagerfuhrung und dem Lager, aber die Juden erschienen nicht auf dem Appellplatz. Für den nächsten Morgen war ein Gesamtappell angesetzt. Die SS wollte nunmehr von sich aus die Juden aus dem Lager heraussuchen. Zu dieser Zeit waren im Lager ca. 8.000 Juden, die meisten davon aus Polen und Ungarn. Die Masse von ihnen stellte kein kampffähiges Element dar. In Übereinstimmung mit allen Sektionen beschloß die Partei, den Kampf zur Sabotage, Verzögerung und Verhinderung der Judenevakuierung fortzusetzen, es aber nicht zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kommen zu lassen. Von den 8.000 Juden suchte die SS 3.000 heraus.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Kein einziger jüdischer Antifaschist [sie!] war dabei. Wir konnten sie wieder restlos in das Lager zurückbringen. Dieser erste Kampf kostete ein Todesopfer. Ein jüdischer Kamerad wehrte sich mit dem Schaufelstiel und wurde niedergeschossen. Aus den Sektionen war bereits im Sommer 1944 ein politisches Zentrum gebildet. Es bestand aus den Vertretern des sowjetischen, tschechischen, polnischen 228 , französischen und deutschen Sektors. Die Führung hatte der deutsche Kamerad Gen.[osse] Bartel. Dieses Zentrum tagte in den entscheidenden Tagen ständig und trug die Verantwortung für die gesamte Taktik in diesem Kampf. Anläßlich der Provokation gegenüber den Juden wurde zum ersten Mal die Frage des Aufstandes gestellt. Nach ausfuhrlicher Debatte, Informierung über das Kräfteverhältnis [wurde] der Zeitpunkt als verfrüht betrachtet. Am 4. April stieg eine neue Provokation der Lagerführung. Die Schreibstube erhielt eine Liste von 46 Kameraden, deutscher, holländischer, polnischer und englischer 229 Nation. Die Liste stammte von einem Provokateur namens Duda 230 . Duda kam aus dem Lager Sachsenhausen, wo er sich bereits als Provokateur betätigt hatte. Wir waren über seine Tätigkeit orientiert, er stand unter dem besonderen Schutz der Lagerfuhrung. Es war deshalb nicht möglich, ihn unmittelbar zu erledigen. Bei günstiger Gelegenheit konnte er nach dem Außenkommando Magdeburg abgeschoben werden. Hier flüchtete er, wurde wieder ergriffen und versuchte sich durch Angaben über Buchenwald aus der Schlinge zu ziehen. So kam die Liste der 46 zustande. Auf ihr standen die Namen verantwortlicher Parteifunktionäre nur insoweit, als sie gleichzeitig bekannte Lagerfunktionäre darstellten (Kapo Krankenbau [Ernst Busse], Kapo [Robert] Siewert, Kontrolle [Hein] Hauptmann u. a.) Die Sitzung der Sektionsleitungen beschloß, die 46 unter allen Umständen zu retten. Nach der Judenaffare war die Erregung im Lager bereits sehr groß, die Kampfstimmung gewachsen, ein Zurückweichen hätte jetzt vollständige Kapitulation bedeutet. Durch Beschluß der Sektionen wurden folgende Losungen verteilt: Die Lagerfuhrung, selbst schon unter dem Galgen stehend, will unsere Besten morden. Wir dulden weder Einzel- noch Massenliquidierung, entreißt den Henkern ihre Opfer. Wer der SS hilft, die 46 zu finden, ist unser Feind. Setzt der Gewaltanwendung die Gewalt entgegen. Alle fiir einen, einer für alle. Am 5.[4.] wurden unaufhörlich durch die SS-Lagerfuhrung die 46 verlangt. Keiner erschien! Die Lagerfuhrung rief die Lagerältesten, die Blockältesten, Lagerschutz und Feuerwehr ans Tor, um die 46 zu suchen. Sie suchten und fanden keinen. Wüste Drohungen, alle zu erschießen, wechselten mit Versprechungen ab, daß keinem der 46 etwas geschehen würde. Das Lager verblieb bei seiner Haltung. Trotz unaufhörlichen Suchens, plötzlichen Kontrollen durch die SS, Morddrohungen gegenüber Lagerfunktionären meldete sich niemand von den 46 und fand sich auch kein Verräter. 228
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Seine namentlich nicht publizierte Zusammensetzung unterschied sich demnach von der engeren Führung des ILK nach der Befreiung dadurch, daß die zweitgrößte Häftlingsgruppe - nämlich die polnischer Nationalität, unter denen ca. zwei Drittel Juden waren - damals noch vertreten gewesen zu sein scheint. Die in: Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung, a.a.O., S. 490 f. rekonstruierte Liste enthält keinen englischen Häftling. Nach Angaben Kogons hat sich Duda durch Meldung zur Dirlewanger-Kompanie der Verantwortung entzogen. Vgl. Dok. 1.4, Anm. 76.
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Am 7., 8. und 10.4. führte die Lagerführung gewaltsame Evakuierungen durch. Der erste Versuch am 7.[4 ] war ein kläglicher Mißerfolg. In 2 Stunden sollte das ganze Lager evakuiert sein. Zur festgesetzten Stunde erschien niemand auf dem Appellplatz. Die SS-Führer versuchten eigenhändig, die Häftlinge auf den Appellplatz zu treiben, das mißlang. Der Lagerführer Pister gab nochmals zwei Stunden Frist, nach diesem Termin würde er mit Waffengewalt das Lager räumen lassen. Auf dem Appellplatz marschierten tausend SS-Leute auf, ausgerüstet mit MP [Maschinenpistolen], Maschinengewehren und Panzerfäusten. Gleichzeitig begannen die Blockführer die Häftlinge auf den Appellplatz zu treiben. Trotz dieser massiven Drohung gelang es uns, nur solche Blocks antreten zu lassen, für die auf Grund ihrer asozialen und unpolitischen Zusammensetzung keine Sektion besonders Interesse zeigte. Nach stundenlangem Hin- und Hergelaufe waren statt der 35.000 im Lager nur 3.600 evakuiert. Dasselbe Spiel wiederholte sich am 8. und 10.[4.]. Unsere Taktik, verzögern, sabotieren, bewährte sich. Erst am 10. mußten wir auf Teile des eigentlichen antifaschistischen Kerns verzichten. Unter den Evakuierten befanden sich die sowjetischen Kriegsgefangenen, deren Abmarsch ganz besonders verlangt wurde, und eine größere Zahl polnische Antifaschisten. Am 11.[4.] sollte die Evakuierung fortgesetzt werden. Wieder begann unser Kampf mit der Verzögerung. Inzwischen hatten sich die amerikanischen] Panzerspitzen bis in die unmittelbare Nähe des Lagers herangeschoben. Die SS-Führer hatten früh noch ein Saufgelage und wollten unmittelbar danach mit dem Aufräumen unter den Kommunisten beginnen. Doch die drohenden Panzer und die geschlossene Haltung des Lagers ließen ihnen geraten erscheinen, den besseren Teil der Tapferkeit zu wählen. Sie flüchteten. Als der erste amerik.[anische] Panzer in Sichtnähe des Lagers war, wurde der Befehl ausgegeben: die Kader bewaffnet in ihre Stellungen. 20 Minuten später stürmte ein ausgewählter Kadertrupp mit dem LA I [Hans] Eiden an der Spitze das Haupttor und hißte auf dem Haupttor die weiße Fahne. Sich entgegenstellende SS wurde überrannt und entwaffnet. Im ersten Anlauf konnten über 100 SS-Mannschaften und Unterfuhrer 231 gefangengenommen werden, deren Zahl sich in den nächsten Tagen bis auf 300 erhöhte. Die amerik.[anischen] Panzer stießen am Lager vorbei und überließen uns den Schutz des Lagers. Unsere Kader in Stärke von 800 Kameraden aus allen Sektionen, verstärkt durch aktive Antifaschisten, ausgerüstet mit den eroberten leichten und schweren Infanteriewaffen (MG und Panzerfausten) stellten eine Postenkette bis 2 Kilometer in der Tiefe vom Lager entfernt auf. Die Amerikaner übernahmen das Lager erst 48 Stunden später. Noch am 12. [4.] befand sich Weimar in den Händen der Deutschen. Durch Telephonanruf von Weimar aus versuchten sie 232 über die Lage im Lager Auskunft zu erhalten. Wir beruhigten sie, um uns keinem Artilleriebeschuß auszusetzen. 2 Tage nach der Übernahme des Lagers durch die
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Vgl. Dok. 1.3. Tatsächlich wurden am ersten Tag ca. 70 verstreute SS-Leute vor allem in den umliegenden Wäldern dingfest gemacht. Gemeint ist: deutsches Militär.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Amerikaner wurde eine allgemeine Bewaffnung 233 befohlen und durchgeführt. Noch während der Säuberungsaktion des Lagerbereichs von der SS, trat das illegal vorbereitete Lagerkomitee zusammen, aus den Vertretern aller vorhandenen Nationen. Das internationale Lagerkomitee wählte eine Lagerleitung aus den Vertretern der 5 größten Nationen (Russen, Franzosen, Tschechen, Deutschen und für die anderen romanischen Nationen einen italienischen Kameraden). 234 Als Verbindungsmann vom Komitee zum Kommandanten wurde der bisherige LA 1, Genösse Eiden, gewählt. Am 12.[4.] berief die Parteileitung je 3 Vertreter der Bezirke zusammen. Genösse Kuhn gab in Stichworten einen kurzen Bericht über die Lage. Die Sitzung bestätigte die bisherige illegale Leitung der Partei und erweiterte sie durch zwei weitere Genossen (Genösse [Otto] Roth, Frankfurt, und [Hans] Eiden, Trier). Die Sitzung beschloß die Durchführung eines Mitgliederappells 235 . Seitens des [amerikanischen] Kommandanten wurde angeordnet, daß keinerlei politische Tätigkeit gestattet sei. Wir warteten mit unserem Mitgliederappell 2 Tage, bis uns klar war, wie das Verbot der politischen Betätigung praktiziert werden kann. Am 16.4., dem Geburtstag unseres Genossen Ernst Thälmann, fand unter Anwesenheit von 638 Parteimitgliedern und den Vertretern aller vorhandenen Sektionen der Mitgliederappell des Aktivs der KP Buchenwald statt. Im Auftrage der Parteileitung gab Genösse Bartel einen Bericht über die Tätigkeit der Partei während der Illegalität, ihren Kampf um die Herausbildung des vor uns befindlichen Aktivs. Gleichzeitig wurde zu den augenblicklichen Aufgaben Stellung genommen, die Schaffung einer breiten antifaschistischen] Bewegung in Deutschland [zu betreiben]. Der Partei wurde zur Aufgabe gestellt, sofort den Kampf der Antifaschisten in Thüringen organisiert zu unterstützen, die Zeit des Aufenthalts im Lager für die Durcharbeitung der Lehren der Vergangenheit, der Klarstellung der Zukunftsaufgaben zu benutzen. Durch Beschluß der Parteileitung fanden durch die Bezirke Bezirksmitgliederversammlungen statt. In diesen gaben die Bezirksleitungen einen Tätigkeitsbericht, und es wurden Wahlen für eine Parteidelegiertenkonferenz durchgeführt. Zwei Parteidelegiertenkonferenzen beschäftigten sich mit folgenden Fragen: Die Lage, die Arbeit in den [antifaschistischen] Komitees, die Stellung der Partei, die Gewerkschaftsfrage, die Arbeit unter den Frauen und Jugendlichen. Die Diskussion wurde in den Bezirksmitgliederversammlungen fortgesetzt. Die Auffassung der Partei und die Ergebnisse der Diskussion fanden ihre Widerspiegelung in einer Entschließung der Delegiertenkonferenz, in Richtlinien über die Gewerkschaftsfrage und Richtlinien über die Arbeit unter den Jugendlichen. Mit diesen Richtlinien gingen die Genossen in Thüringen und in ihren Heimatbezirken an die Arbeit. 233
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Tatsächlich wurde am 13.4. die Entwaffnung durchgeführt. In seinen „Notizen zur Arbeit des Internationalen Lagerkomitees Buchenwald in der Zeit vom 11.4. - 4.5.1945" (ZPA I 2/3/155, Bl. 266-269) schreibt Walter Wolf *(KPD Thüringen): „Am 13. April 12 Uhr wurde eine Trauerkundgebung anläßlich des Todes Roosevelts durchgeführt. Es fand die Vorstellung des Lagerkomitees vor dem neu ernannten amerikanischen Lagerkommandanten statt. Die Häftlinge wurden aufgefordert, die Waffen abzuliefern. Das geschah auf dem Appellplatz. Wir gaben die Waffen mit sehr gemischten Gefühlen ab." In anderen Überlieferungen ist nicht von Wahl, sondern von Bildung die Rede. vgl. Dok. 1.2.
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Die Partei widmete nach der Befreiung größte Aufmerksamkeit dem organisierten Abtransport in die Heimatbezirke. Noch während der Arbeit der amerik.[anischen] Kontrollkommission (Review Board) sandten wir unter allerhand Vorwänden Genossen in die Bezirksvororte, um die Entsendung von Autobussen zu veranlassen. Es ist uns das fast ausnahmslos gelungen. Es kamen Autobusse von Hamburg, Köln, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Trier, Halle, Leipzig, Zeitz, Kassel, Chemnitz u.a. Orten. Schwierigkeit bereitete der Abtransport in die Ostgebiete236 . Er gelang jedoch auch, wenn auch unter großem Zeitverlust. Da die zur Organisierung des Abtransportes entsandten Genossen oft mehrere Male ins Lager zurückkehrten, erhielt die Parteileitung eine gute Übersicht der Verhältnisse aus fast allen deutschen Westbezirken. Die Organisiertheit des Parteiaktivs Buchenwald hat heute zur Folge, daß das Aktiv bzw. die Parteileitung in allen deutschen Westbezirken gute und parteitreue Genossen kennt. 237 Das illegale Volksfrontkomitee führte Ende April im Lager eine Volksdelegiertenkonferenz durch. Referent war Dr. H. Brill. Die Volksdelegiertenkonferenz238 entsprach nicht den Erwartungen der Parteileitung, sie war seitens der Partei nicht genügend vorbereitet. Es fand auf der Konferenz keine Diskussion statt, sie wurde ausgiebig in den Volkskonferenzen der einzelnen Landsmannschaften durchgeführt. Innerhalb des Volkskomitees, das auf 15 Personen erhöht wurde, fand eine inoffizielle Diskussion über die Umbildung in eine Gruppe „Nationalkomitee Freies Deutschland" statt. Die soziald.[emokratischen] Genossen erklärten sich im allgemeinen mit dem Programm des NKFD einverstanden, waren aber dagegen, in Buchenwald das deutsche Komitee in eine Gruppe Nationalkomitee umzubenennen. Sie wiesen auf die Erfahrungen in Leipzig hin (dort wurde die Gruppe NKFD [am 26.4. von der amerikanischen Militärregierung] aufgelöst) und befürchteten, daß auch im Lager die Arbeit seitens der Amerikaner durch die Umbenennung bedeutend erschwert werden würde. Der Arbeit in Thüringen wurde durch die Parteileitung größte Aufmerksamkeit zugewendet. Zusammen mit den thür.[ingischen] Genossen stellte die Parteileitung eine Reihe guter Genossen und Antifaschisten für die verschiedensten Arbeiten im Aufbau der Verwaltung zur Verfügung. So konnte insbesondere in Weimar und Erfürt maßgeblicher Einfluß auf die Neubildung der Polizei gewonnen werden. 239 Aber auch andere wichtige Dezernate kamen in unsere bzw. in die Hand mit uns eng zusammenarbeitender Antifaschisten. Mit Hilfe der Buchenwalder Genossen fanden in Thüringen, in Westsachsen und im Bezirk Halle Parteifunktionär- und Parteimitgliederversammlungen statt, die Informierung erfolgte auf Grund der in Buchenwald herausgearbeiteten Linie.
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Unklar, ob die SBZ oder die Ostgebiete jenseits der Oder gemeint sind. Diese Kontakte und die Rückkehr Buchenwalder Kommunisten unterstützten zunächst die antifaschistischen Ausschüsse in vielen westdeutschen Großstädte. Vgl. zu diesem Zusammenhang Lutz Niethammer, Ulrich Borsdorf, Peter Brandt (Hg.): Arbeiterinitiative 1945, a.a.O. Die Resolution des 1. Buchenwalder Volkskongresses am 23.4.1945 „Die nächsten Aufgaben der Volksfront" ist als Faksimile abgedruckt bei Klaus Drobisch: Widerstand in Buchenwald, Berlin (DDR) 1977, S. 85; vgl. zum Zusammenhang Overesch, Brill, a.a.O., S. 300 ff. In Erfurt durch Ernst Busse, in Weimar durch Erich Reschke, der dann Polizeichef des Landes wurde.
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I Frühe Zeugnisse nach der Befeiung
Die verantwortlichen Genossen des Buchenwalder Parteiaktivs haben in ihren Heimatbezirken sofort mit der Arbeit begonnen. Auf einem letzten Mitgliederappell in Buchenwald (21.5.) wurde allen Genossen gesagt: Geht an eure Arbeit, handelt selbständig, richtet euch nach unserer gesamten antifaschistischen Linie, konkretisiert sie auf Grund der örtlichen Bedingungen. Wartet nicht auf Anweisungen, seid selbst in euren Orten Organisatoren des antifaschistischen Massenkampfes. 240 Die Partei muß an der Spitze der Massenbewegung stehen, sie kann und darf sich nicht in innerparteilichen Arbeiten beschränken. Jeder einzelne Genösse muß Repräsentant des Kommunismus sein. Der Einfluß der Partei hängt ab von seiner persönlichen Arbeit, von seiner Initiative, seiner Energie, seiner Verbundenheit mit den Massen. Das Buchenwalder Parteiaktiv wurde durch ein feierliches Gelöbnis verpflichtet, den Kampf fortzusetzen, im Geiste unserer vom Faschismus ermordeten Genossen, ausgerüstet mit den Lehren Marx' und Engels', Lenins und Stalins, als Erzieher, Freund und Helfer des deutschen Volkes zu seiner Erneuerung, zur Ausrottung des Nazismus, fur ein freies, friedliches, von den Völkern wieder geachtetes Deutschland.
240
Di e s e r Ansatz sollte die Buchenwalder Kommunisten in Gegensatz zu der Politik des Exilvorstands der KPD und seiner Aktionsgruppen in der SBZ, namentlich zu Walter Ulbricht, bringen.
II
KADERKONTROLLE 1946 IN DER ANGELEGENHEIT DES GENOSSEN ERNST BUSSE
II. 1
FRÜHE ANLÄSSE ZU EINER ÜBERPRÜFUNG DER WIDERSTANDSKADER DER K P D
II.l.l Handschriftliche Notiz Wilhelm Piecks über Mitteilungen des österreichischen Genossen Meisel, 12.2.19451
[Er] war von Febr[uar] bis 22.7.44 im [deutschen]2 Konz[entrations]lager Auschwitz (50 km von Krakau) - in Österreich] hochgegangen3 [zwischen] April/Juni 43. Im Lager Auschwitz gute Org[anisation] der Komm[unisten], hauptsächlich] österreichische] Genossen.
1
SAPMO-BA, ZPA NL 36/500 Bl. 3 f. Der Vorsitzende des Exilvorstands der KPD, Wilhelm Pieck, pflegte sich von seinen Besprechungen abgekürzte Stichwortnotizen zu machen. Beispiele aus dieser Zeit in Moskau sind ediert in Gerhard Keiderling (Hg ): „Gruppe Ulbricht" in Berlin April bis Juni 1945, Berlin 1993, die S. 178 ff. belegen, daß die Exilfuhrung sich zu dieser Zeit besonders auch mit Kaderfragen für den Wiederaufbau der KPD und der Verwaltung in Deutschland beschäftigte. Dabei setzte sie ganz auf emigrierte Funktionäre der KPD und Kriegsgefangene aus dem Nationalkomitee „Freies Deutschland"; demgegenüber wird in den Texten nicht auf die Masse der KPD-Kader in Deutschland, die in KZs und Haftanstalten überlebt hatten, reflektiert. In dem hier notierten Gespräch berichtet ein jüdischer KPÖ-Funktionär, der nach Frankreich emigriert, von dort nach Österreich zurückgekehrt und hier verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden war, vom Verhalten dort inhaftierter KPD-Mitglieder. Zu Josef Meisel vgl. das bei Hermann Langbein: ...nicht wie Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt/M. 1980, S. 278 faksimilierte Gestapo-Fahndungstelegramm nach Meiseis Flucht aus Auschwitz, wo es zu seiner Person heißt: „Meisel, Josef Israel, geb. 10.4.[19]11 zu Waagneustadt/Slowakei, eingeliefert am 15.2.44 von Stapoleit[stelle] Wien [...] 1.70 groß, braune Haare, zur Zeit geschoren, spricht Deutsch, Französisch, graue Augen, besondere Kennzeichen: Blinddarmoperationsnarbe und linken Unterarm eintätowierte Nr. 173943 [...] Obengenannte am 22.7.44. aus KL. Au. I entflohen. Sofort eingeleitete Suchaktion bisher ohne Erfolg." Die Exilfuhrung der KPD hatte zu diesem Zeitpunkt offenbar kaum Informationen über das KZ-System, wie es sich im Zweiten Weltkrieg entwickelt hat: Auschwitz muß geographisch lokalisiert werden, das KZ Flossenbürg wird falsch geschrieben und von Franken nach Schlesien verlegt, die reichsdeutschen KZ und die in Polen gelegenen Vernichtungslager werden irrtümlich gleichgesetzt, und auch der Begriff Kapo - die Basis der Überlebensstrategie der KP-Kader in Deutschland - ist noch ein erläuterungswürdiges Fremdwort. Der erste Eindruck, nachdem die Gruppe Ulbricht nach Berlin gekommen war, war denn auch eine erhebliche Entfremdung von der Basis der kommunistischen Funktionäre aus dem inneren Widerstand, die Ulbricht in ihrer Mehrheit fur „sektiererisch" erklärte, ihre KPD-Büros, Volksausschüsse und Lokalkomitees des NKFD Schloß und Verstärkung aus der Emigration anforderte. Vgl. seine Briefe an Dimitoffv. 9.5.1945 und Wilhelm Pieck ν 17.5.1945 in: Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 2, Berlin (DDR) 1953, S. 419, bzw. Bd 2 (Zusatzband), Berlin (DDR) 1966, S. 204 ff.
2 3
Im Original im ganzen Dok. „dtsch". Gemeint ist: verhaftet worden.
258
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Bussej
1. Sekr[etär] Bürger4 (Jugend) 2. " Langbein5 Die meisten [deutschen] Gen[ossen] haben sich nicht gut verhalten - etwa 100 - davon viele Funktionäre. Klaus6 :
Hellmuth8
(war in Leninschule 7 ) in Berliner Leitung als Instrukteur [der illegalen KPD] 1935 hochgegangen kam Ende [19]42 ins Lager - hatte keinen Kontakt mit LagerOrg[anisation der KP] : alter bekannter dtsch. Parteifunktionär - hatte Kontakt mit Lager-Org. - aber schlecht benommen.
[Deutsche] Gen[ossen] hatten gute Positionen, weil als Aufseher Kapos Leiter von Arbeitsgruppen [von] 100-150 [Häftlingen] als Schläger betätigt moralisch zerbrochen
Beispiele:
4
5
6 7 8
keine Verbindung mit Lager-Org[anisation des roten'Widerstands], allgemeine] Zersetzung, als Henkersknechte betätigt. Der Kapo erhielt Befehl, daß von den 100 zur Arbeit Marschierenden nur 80 zurückkehren dürfen also 20 mußten ermordet werden -
Gemeint ist der aus der KPÖ-Jugend stammende Ernst Burger, der die internationalen KP-Gruppen im KZ Auschwitz I leitete und in einem Transportkommando arbeitete. Er ist zusammen mit vier Kameraden im Oktober 1944 bei einem Ausbruchsversuchs aufgegriffen und am 29.12.1944 - kurz vor der Evakuierung des Lagers - gehenkt worden. Hermann Langbein (geb. 1912), österreichischer Kommunist, 1938 Spanienkämpfer, danach Internierung in Süd-Frankreich, im April 1941 von den Deutschen übernommen, KZ Dachau, 1941-44 KZ Auschwitz, dort Funktionshäftling als Arztschreiber und Mitgl. der Leitung der internationalen Widerstandsgruppen, 1944/45 KZ Neuengamme, dort am Kriegsende geflohen. 1. Sekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees und des Comite International des Camps. Schriftsteller, u.a.: Die Stärkeren. Ein Bericht (1949), Menschen in Auschwitz (1972). In H.G.Adler, Hermann Langbein, Ella Lingens-Reiner (Hg.): Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, Frankfurt/M. 1962, S. 291 ff. findet sich sein Bericht über die „Kampfgruppe Auschwitz". Nicht identifiziert. Internationale kommunistische Fortbildungseinrichtung in Moskau. Vermutlich der Breslauer KPD-Funktionär Hellmuth Lengfeld, von dem einer der illegalen KPD-Führer im KZAuschwitz, Bruno Baum, in einer insgesamt eher skeptischen Personalzusammenstellung dortiger KP-Funktionäre 1945 schreibt: „... kam 1940 aus Brandenburg nach Auschwitz und hat bis zu seinem Abgang, Ende 1945 [muß heißen: 1944], zur SS-Division Delewanger [muß heißen: Dirlewanger] mit der Partei Verbindung gehabt. Er hat keine besondere Arbeit gemacht, obwohl er große Fähigkeiten hatte. Immerhin hatte er in der Masse der Häftlinge durch gutes Auftreten auch einen guten Ruf. Jeder wußte, daß er Kommunist war. - Nach Gerüchten soll er vor Budapest gefallen sein." (ZPA I 2/3/153 Bl. 116; hier auch verschiedene Versionen von Bruno Baums Bericht „Unser Widerstand in Auschwitz" sowie kritische Stellungnahmen dazu und zu einem frühen Auschwitz-Bericht über Heinz Galinski von dem Münchner KP-Funktionär und - später „abgehängten" Lagerältesten im Stammlager Auschwitz, Ludwig Wörl, aus den ersten Nachkriegsjahren). Vgl. auch Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz, Berlin (DDR) 2. Aufl. 1962, bes. S. 65 ff.
11.1.2 Dirlewanger-Division,
Gestapo-Verpßichtungen, 27. Juni 1945
259
so Befehl ausgeführt^] 20 erschlagen. Wenn nicht durchgeführt, so würde der Kapo vor der Küche aufgehängt werden u. blieb dort 3 Tage hängen. In Auschwitz 200.000 ung[arische] Juden9 - alle im Vergasungsraum getötet u[nd] im Krematorium verbrannt. 6 Krematorien solche Lager waren Auschwitz, Maidanek, Buchenwald, Mauthausen, Sachsenhausen, GroßRosen u[nd] Floßenburg in Schlesien] 10 . f.··]11
II. 1.2 Ottomar Geschke*, Kurt Müller, Karl Raddatz und Max Reimann an ZK der KPD. Betr. „Freiwilligmelden von KPD-Mitgliedern zur Waffen-SS und Loyalitätserklärungen gegenüber der Gestapo", 27.6.194512.
Bei der Einstellung von Leuten für verantwortliche Verwaltungsarbeit und bei der Kontrolle der „Opfer des Faschismus" tauchen einige Fragen auf, zu denen bis heute noch keine offizielle Stellungnahme des Zentral-Komitees der Partei vorliegt. Wir bitten deshalb dringendst, in nachfolgenden Fragen eine baldige Stellungnahme herbeizuführen.
9 10 11 12
Insgesamt wurden zwischen 15.5. und 9.7.1944 über 430.000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert. Gemeint ist: das KZ Flossenbürg in Franken. Gekürzt um einige Schlußzeilen, in denen Pieck die Konflikte Meiseis mit führenden KPD-Emigranten in Frankreich (vor allem mit Paul Merker und Franz Dahlem) notierte. SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/210, Bl. 13 f. Verfasser dieses Schreibens an den Kaderchef der KPD Franz Dahlem waren: Ottomar Geschke* (bis 1940 im KZ Buchenwald, 1945 Bezirksleiter der KPD in Berlin und Stadtrat für Sozialwesen beim Magistrat von GroB-Berlin, 1947-53 Vors. W N d. SBZ/DDR); Kurt Müller (geb. 1903, Werkzeugmacher, 1929 Vors. des KJVD, 1931 Mitgl. des Jugend EKKI in Moskau, 1932 als Parteifeind abgesetzt und nach Gorki verschickt, 1934 Rückkehr nach Deutschland, Widerstandsarbeit in Süd-West-Deutschland, Verhaftung, 10 Jahre Zuchthaus und KZ Sachsenhausen. 1945 Vors. der KPD in Niedersachsen, MdL, 1948 2. Vors. KPD der Westzonen, 1949 MdB, 1950 bei einem Besuch in Ost-Berlin als „Agent" in die SU verschleppt. Kehrte 1955 aus dem GULag in die BRD zurück und trat der SPD bei); Karl Raddatz (1904-1970, aus Magdeburger Arbeiterfamilie, 1919-1923 Lehre als Schriftsetzer, 1921 USPD, 1922-1924 SPD, 1927 KPD, vor 1933 zuletzt Organisationsleiter der BL Thüringen, 1933 verhaftet, Zuchthaus, 1937-1940 Druckereiarbeiter, 1941-1945 KZ Sachsenhausen, nach 1945 Leiter des Hauptausschusses OdF beim Berliner Magistrat, 1946 SED, 1947-1949 Generalsekretär der W N , 1949-1953 Redakteur der Zeitschrift „Dokumentation der Zeit", 1953-1960 Abteilungsleiter beim Ausschuß „Deutsche Einheit", 1960 verhaftet, Ausschluß aus der SED, 1962 wegen „Spionage" zu 7 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1964 amnestiert, 1965-1970 Archivbearbeiter in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin)
260
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
1. Unsere Stellung zum Freiwilligmelden zur Waffen-SS, Division
Dirlewanger.
Unter Führung des ehemaligen SS-Ehrenhäftlings [Oskar] Dirlewanger 13 aus dem KZ Dachau hat die SS seit einigen Jahren eine Sonderformation aus Konzentrationären14 und Insassen der Zuchthäuser aufgestellt, fur besonderen Einsatz zur Bewährung an der Ostfront. Dirlewanger erhielt seine Aufträge direkt von Hitler und war auch persönlich für Durchführung der Aufträge Hitler verantwortlich. Für seine Verdienste wurde er mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Anfanglich wurden fur diese Division nur Wilddiebe und Berufsverbrecher verwandt. Seit dem Oktober 1944 ging man dazu über, fur diese Division auch politische Häftlinge heranzuziehen, legte sogar seit dieser Zeit laufend besonderen Wert auf die Heranziehung der sogenannten Hochverräter 15 . und Max Reimann (1898-1977, Werft- und Bergarbeiter, 1919 KPD, Parteisekretär, 1933 illeg. Tätigkeit, 1934 Emigration, 1939 im Reichsgebiet verhaftet, KZ Sachsenhausen. 1945 Mitarbeit beim Aufbau der KPD Brandenburg, 1946 Vors. KPD Ruhr-West, 1947 Vors. KPD NRW u. brit. Zone, 1948 Vors. KPD für die Westzonen, 1949-53 MdB, 1954-69 1. Sekr. der verbotenen KPD-West mit Sitz in der DDR, danach Rückkehr in die BRD und ab 1969 Ehrenvorsitzender der neugegründeten DKP). Die Autoren Geschke, Müller und Reimann sowie ihr Sachsenhausener KZ-Kamerad und dortiger KPÖ-Führer Hans Poitner hatten bereits in einem ungeschminkten Bericht v. 16.5 .1945 „Der Kampf um die Partei und die Parteilinie" der KP im KZ Sachsenhausen (ZPA I 2/3/158 Bl. 116-124) die große politische Heterogenität und Zerstrittenheit der dortigen Kommunisten und die ebenso großen Probleme der internationalen Zusammenarbeit der Häftlinge - insbesondere mit den größten Häftlingsgruppen der Polen und Russen - aufgezeigt. Prominente deutsche Kommunisten unter den Häftlingen hätten 1943/44 die Volksfront-Linie der Führungsgruppe z.T. erbittert bekämpft, seien auf der Linie von 1932 stehengeblieben, hätten die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats, Volksbewaffnung, proletarische Produktionskontrolle und die Wahl von Sowjets gefordert und das „Nationalkomitee Freies Deutschland" nur als taktische Maßnahme zur Aufweichung der deutschen Front anerkannt. Diese linkstraditionale Aufstandsromantik und die Angst, daß die Kommunisten im Lager am Ende der SS-Herrschafl völlig aufgerieben würden, hätten der Dirlewanger-Werbung im zweiten Halbjahr 1944 mit der Aussicht, aus dem Lager und an Waffen zu kommen, deprimierende Erfolge beschert. (Diese Abschnitte sind z.T. wortidentisch mit dem hier vorgelegten Schreiben, bei dem Kurt Müller die Feder führte.) Etwa die Hälfte der Sachsenhauser deutschen Kommunisten hätten sich damals zur Waffen-SS gemeldet, was das Prestige der KPD unter den ausländischen Häftlingen völlig zerrüttet habe. Auf der anderen Seite habe es die Zusammenarbeit der im Lager verbliebenen KPD-Funktionäre mit den deutschen Sozialdemokraten erleichtert, weil diese sich ganz überwiegend gegen eine Meldung zur Waffen-SS ausgesprochen hätten. 13
14 15
Oskar Dirlewanger (1895-1945) war ein hochdekorierter Offizier des Ersten Weltkrieges, der bis 1923 sich weiter in Freikorps dem Bürgerkrieg verschrieb. 1923 NSDAP, danach Promotion zum Dr. rer. pol., Steuerberater, Betriebsleiter. 1932 SA, 1934 Haftstrafe wegen Unzucht mit Mindeijährigen. 1937-39 Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg. 1940 SS-Obersturmführer zur Aufstellung einer Sondereinheit für Straffällige, Einsatz in Polen und Weißrußland gegen Juden und Partisanen. Mehrere Untersuchungen gegen ihn u.a. wegen Massenmords an Zivilisten wurden von Himmler niedergeschlagen, Dirlewanger stattdessen im März 1944 zum SSStandartenführer und - nach seiner Beteiligung an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands - zum SSOberführer befördert. Ende 1944 beteiligte sich seine Einheit an der Unterdrückung des slowakischen Nationalaufstands. Dirlewanger starb im Juli 1945 in Süddeutschland in französischer Haft. Für: KZ-Häftlinge. Gemeint sind die politischen Häftlinge in Zuchthäusern und vor allem in den KZs, die zuvor wegen Hochverrats abgeurteilt worden waren - in ihrer Masse Kommunisten, die man bereits in der Mitte der 30er Jahre verhaftet hatte. In Buchenwald sollen sich übrigens - im Gegensatz zu Sachsenhausen - bei durchaus gleichartiger Werbung für die Dirlewanger-Division zwar zahlreiche „Grüne", aber keine „roten" Häftlinge freiwillig gemeldet haben. (Nach dem in seiner Konkretion glaubwürdigen „Bericht über die illegale Widerstandsarbeit der Thüringer Antifaschisten im K.L. Buchenwald" von Oskar Bauer u.a. vom Herbst 1948, S. 14, ZPA I 2/3/155, Bl. 270-290, hier Bl. 284.)
11.1.2 Dirlewanger-Division,
Gestapo-Verpflichtungen, 27. Juni 1945
261
Im Lager Sachsenhausen wurde im Oktober 1944 diese Kampagne des Freiwilligmeldens von Kommunisten für diese SS-Division mit einer Rede des Lagerfuhrers eingeleitet, in der er sagte: „Unter Euch sind folgende Ansichten vertreten: wir hier, die alten Politischen, sind im Lager eingefroren. Gewinnen wir den Krieg, so bleiben wir im Lager, verlieren wir ihn, so haben wir vielleicht die Chance rauszukommen. Ich muß euch nun sagen, höheren Ortes ist man ganz anderer Ansicht über Euch. Der Reichsfuhrer ist der Meinung, es sind nicht die Schlechtesten, die von Anfang an im Lager sitzen. Man gibt Euch eine Chance freizukommen durch Bewährung, indem Ihr Euch freiwillig zur Waffen-SS, Kommando Dirlewanger, meldet. Ich meine, was die alten B.-Ver, die alten Ganoven fertigbringen, das bringt Ihr schon lange fertig. Dafür kenne ich Euch viel zu gut." Selbstverständlich gab es in Deutschland keine absolute Freiwilligkeit, viel weniger noch im KZ. Aber entgegen allen Legendenbildungen und heutigen Behauptungen betonen wir, daß während der ganzen Kampagne des Freiwilligmeldens, die bis zur Auflösung des Lagers nicht abriß, der Druck, der ausgeübt wurde, nicht stärker war, als im allgemeinen der Druck, der angewandt wurde, um Häftlinge für Dienste der SS nutzbar zu machen. Unsere Stellungnahme zu diesem Freiwilligmelden war folgende: a) Es kommt darauf an, den Widerstand zu organisieren. Wenn wir das von den Massen draußen verlangen, so müssen wir von alten Funktionären im KZ erwarten, daß sie dabei mit Beispiel vorangehen. b) Für uns gibt es kein Freiwilligmelden, weder zur SS, noch zur Wehrmacht oder zum Volkssturm. c) Wir sind keine Kriegsdienstverweigerer, wenn man uns dem Gesetze nach zur Wehrmacht einberuft, so müssen wir gehen, um dort revolutionäre Arbeit zu leisten, aber melden uns niemals freiwillig. Das Gros deijenigen, die sich freiwillig meldeten, waren solche, die wegen Vorbereitung zum Hochverrat im Lager waren, meist schon seit vielen Jahren und durch die ganze Lagererziehung nachgiebig geworden waren, wie das auch ihre gesamte Lagerpraxis, ihre Rolle in verschiedenen Funktionen usw. gezeigt hatte. Zum Teil waren es Leute, die, wenn sie unter den Bedingungen draußen gelebt hätten, sich dort zurückgezogen hätten und sich jeder revolutionären Arbeit gegenüber passiv verhalten hätten. Aber diese Leute erhielten fur ihr Verhalten jetzt eine Grundlage durch die falsche Stellungnahme des Genossen [Max] Opitz 16 . Dieser vertrat folgende Meinung: der Prozeß der Liquidierung hat begonnen, ent16
Max Opitz (1890-1982), Tischler, 1918 Soldatenrat in Chemnitz, 1919 KPD, Bezirksfunktionär, 1929 Mitgl. des ZK der KPD, 1925-30 MdL Sachsen, 1931-33 MdA Preußen, 1933 MdR. 1933-1945 Zuchthaus u. KZ Sachsenhausen. Als er nach der Verbüßung einer Zuchthausstrafe ins KZ kommen sollte, hatte er 1941 ein ausfuhrliches Bittgesuch um Haftverschonung an das Reichssicherheitshauptamt geschrieben, in dem er betonte, daß das Dritte Reich die sozialen Fragen, die ihn als armer Leute Kind einst zu seinem „roten" Engagement getrieben hätten, gelöst habe: „Ich erkenne vorbehaltlos Adolf Hitler als Führer der Deutschen an." Als Grund fur seine Haftverschonung bot er an: „Durch Inschutzhaftnahme ist mir jede Möglichkeit genommen, zum Beweis meiner positiven Gesinnung für das Dritte Reich etwas zu tun bzw. meiner jetzigen ablehnenden Haltung gegenüber dem Kommunismus Ausdruck zu verleihen." (abgedr. bei Hermann Weber: Die Wandlung des deutschen
262
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
weder wir werden hier liquidiert oder wir gehen an die Front. Dann wählen wir uns den Weg zu den Waffen. Später untermauerte er seine Stellungnahme noch durch revolutionäre Phrasen, daß wir endlich unter die Massen kommen und endlich Waffen zum Widerstand bekämen. Durch seine Stellungnahme wurde im Lager eine wahre Progromstimmung und Liquidierungspsychose geschaffen. Durch diese Stellungnahme von Opitz meldeten sich auch eine Reihe guter Elemente, von den revolutionären Phrasen verwirrt, jetzt zu Dirlewanger. Ja, Opitz ging sogar so weit, entgegen unserer Stellungnahme Genossen zu Dirlewanger zu kommandieren. Zur richtigen Einschätzung der Psychose der Liquidation möchten wir nicht unerwähnt lassen, daß der Kampagne zum Freiwilligmelden eine Aktion der Liquidierung von 27 Genossen (Ernst Schneller, Erich Boitze usw. usw. 1 7 ) vorausging, auf die Opitz bei seiner Fragestellung immer hinwies. Wir antworteten ihm auch auf diese Frage: Wenn schon die Frage so steht, daß man uns alle liquidieren will, so dürfen wir keine Zersplitterung der Kräfte zulassen, sondern müssen den Widerstand geschlossen vom Lager aus organisieren
Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt/M 1969, Bd. 2, S. 240 f.) Die SS steckte ihn zwar doch ins KZ, gab ihm mit der Dirlewanger-Werbung aber dann Gelegenheit zum Beweis seiner positiven Gesinnung, ohne ihn selbst zum Kriegsdienst einzuziehen. 1945-49 Polizeipräsident Dresden, 1949-51 OB Leipzig, 1950-64 MdVK, 1951-60 Staatssekretär, Chef der Präsidialkanzlei des Präsidenten der DDR, Mitgl. der Zentralleitung der Kommission der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR. 1949, als er gerade Oberbürgermeister von Leipzig geworden war, schrieb er einen ausfuhrlichen „Lebenslauf' v. 28.6.1949 (ZPA I 2/3/157, Bl. 105-108), in dem er sowohl sein Bekenntnis zu Hitler als auch seine äußerst erfolgreiche Rolle als Dirlewanger-Werber in Sachsenhausen mit Stillschweigen überging, aber sich nicht scheute, u.a. Kurt Müller und Max Reimann zu Zeugen für seine „regelrechte konspirative Arbeit" für die KPD und die Russen im KZ aufzurufen. Eine ausfuhrlichere Variante seiner Lager-Legende gibt er in Max Opitz: Widerstand im Konzentrationslager Sachsenhausen, in: Heinz Voßke (Hg ): Im Kampf bewährt. Erinnerungen deutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstandskampf von 1933 bis 1945, Berlin (DDR) 1969, S. 143184. 17
In Sachsenhausen hatten 1943 die „Grünen" die Macht in der „Selbstverwaltung" übernommen. Gegen deren und der SS Korruption wurde im Frühjahr 1943 eine Sonderkommission der Kriminalpolizei eingesetzt, die schon bessere Beziehungen zwischen der illegalen KPD und der SS-Lagerführung zu versprechen schien, als ein mit den Kommunisten zusammenarbeitender Häftlings-Elektriker bei der Mitschrift von ausländischen Radiosendungen erwischt und in der Folge mit der Hilfe von „roten" Spitzeln ein Gutteil der KPD-Kader im Lager aufgerollt wurden. Die einsetzende Verhaftungswelle v. 2.8.1944, in deren Gefolge 27 fuhrende kommunistische Häftlinge am 10.10.1944 am Lehnitzsee bei Oranienburg von der SS erschossen und 103 Genossen in das Straflager Mauthausen verlegt wurden, muß zwar im Zusammenhang mit der allgemeinen Repressionwelle gegen die politische Opposition nach dem 20. Juli 1944 gesehen werden. Für die von der Außenwelt abgeschotteten Inhaftierten stellten sich jedoch lagerinterne Gründe (Spitzel, Fraktionskämpfe, Ausschaltung „roter" Kapos etc.) in den Vordergrund. (Vgl. den ungez. Bericht „Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Periode der Sonderkommission (von Ende 1943 bis 1944)" v. Mai 1945 sowie „Die Sonderaktion vom 2.August 1944 gegen KPD-Funktionäre im KL Sachsenhausen" von Kurt Müller und Karl Raddatz v. 17.7.1945 (ZPA I 2/3/158, Bl. 22 f f , 109 ff.). Ernst Schneller (1890-1944), Lehrer, nationalistischer Offizier im Ersten Weltkrieg, der sich danach radikalisierte und 1920 der SPD bei- und noch im selben Jahr zur KPD übertrat und schnell - seit 1921 MdL in Sachsen, 1924-33 MdR - mit wechselnden Positionen prominent wurde und seit 1925 informell als Generalsekretär der KPD und als Sepzialist fur Militärsachen galt. 1928 unterlag er in einem Konflikt mit Thälmann, paßte sich in den Folgejahren aber wieder an und wurde 1933 von der Polizei in den Geruch gebracht, er sei zur NSDAP übergetreten und habe Thälmann denunziert. Tatsächlich kam er jedoch 1933 ins KZ Sonneburg, dann für 6 Jahre ins Zuchthaus Waldheim, 1939 ins KZ Sachsenhausen, wo er ein Kopf der traditionellen Radikalen unter den Kommunisten gewesen zu sein scheint. Erich Bolze war ein Berliner KPD-Funktionär, der im KZ Sachsenhausen den Widerstand in einem Außenkommando bei den Heinkel-Flugzeugwerken leitete. Beide wurden am 10.10.1944 erschossen.
11.1.2 Dirlewanger-Division,
Gestapo-Verpflichtungen,
27. Juni 1945
263
und dürfen niemals in einer solch prinzipiellen entscheidenden Frage, wie das Freiwilligmelden, verräterische Konzessionen machen. Kurz möchten wir noch betonen, daß diese Stellungnahme von Opitz die gesamte Partei in den Augen der Genossen der anderen Nationen völlig in Mißkredit gebracht hat und unter diesen die Meinung aufkam, daß alle deutschen Kommunisten mit fliegenden Fahnen zur SS übergelaufen seien. In langen Diskussionen und zäher Arbeit mußten wir das Ansehen unserer Partei bei diesen Genossen erst wieder herstellen und konnten das nur in scharfer Stellungnahme gegen Opitz. Bei diesen Maßnahmen der SS zur Einreihung von Kommunisten in ihre Divisionen war sie sich natürlich von vornherein darüber klar, daß es sich um Gegner handelt. Aber eine der Grundmethoden im Lager zur Gewinnung und Dienstbarmachung ihrer Gegner war die der „Umschulung" durch Belastung und Mitschuldigmachen, die auch reichlich angewendet wurde. Der größte Teil von denen, die sich freiwillig meldeten, sind an die Ostfront gegangen, nach Warschau, später nach Kroatien gegen die Partisanen und wurden zuletzt bei Guben eingesetzt. Ein Teil, der sich freiwillig gemeldet hat, wie Max Opitz selbst, ist nicht eingezogen worden. Einige ganz wenige gibt es, die im Lager bei dem Durcheinander der Evakuierung ihre Uniform wieder auszogen und in Häftlingskleidung evakuierten. Kann man Leute, obwohl sie früher als Kommunisten im Lager waren, als Opfer des Faschismus bezeichnen, wenn sie freiwillig zur Waffen-SS Dirlewanger gingen? Nach unserer Meinung nicht! 2. Unsere Stellungnahme zu Loyalitätserklärungen und Reversen. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die bei ihrer Entlassung aus KZs und Zuchthäusern Erklärungen abgeben mußten. Die allgemeine Form dieser Erklärungen war folgende: „Ich verpflichte mich über alle Vorkommnisse im Lager und Lagerangelegenheiten völliges Schweigen zu bewahren. Mir ist bekannt, daß die Nichtbefolgung der Schweigepflicht die sofortige Wiederinhaftnahme zur Folge hat. Des weiteren erkläre ich, daß ich mich dem Staate gegenüber politisch völlig loyal verhalten werde." Derartige Erklärungen wurden nicht nur bei Entlassungen aus dem Lager gefordert, sondern auch von Leuten, die draußen in der Freiheit lebten, manchmal verlangt. Wir bezogen zu derartigen Erklärungen folgende Stellung: daß ein Kommunist zum Zwecke der Freilassung und um seine revolutionäre Arbeit draußen wieder aufzunehmen, eine derartige Erklärung, die zu nichts verpflichtet, unterschreiben könne. Derartige Erklärungen wurden auch von jedem [politischen Häftling], der entlassen worden ist, unterschrieben, denn ohne eine solche Erklärung erfolgte keine Entlassung. Dann gab es noch eine zweite Art von Erklärungen, die ungefähr folgenden Wortlaut hatten:
264
11. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
„Ich nehme zur Kenntnis, daß meine alsbaldige Entlassung aus dem Konzentrationslager bevorsteht und erkläre mich bereit, für die Gestapo als V-Mann (Vertrauensmann) zu arbeiten." Wir haben gegen die Abgabe dieser Erklärung den schärfsten Kampf geführt und sie prinzipiell abgelehnt. Uns war auch im Lager der Fall Karl Olbricht [Olbrysch]18 und Walter Bartel* 19 bekannt, die ähnliche Erklärungen abgegeben haben sollen, und im Lager wurde immer, wo die Frage solcher Erklärungen entstand, auf Olbricht hingewiesen, der wegen einer derartigen Erklärung ausgeschlossen worden sei. Wir bitten das Zentral-Komitee nochmals um die Stellungnahme zu diesen beiden Fragen, da wir täglich durch Leute, die entweder bei Dirlewanger waren, oder Leute, die Reverse unterschrieben haben, gezwungen werden, in diesen Dingen Entscheidungen zu treffen. 20
II.2
„Über das Verhalten einer Reihe von deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald" (September 1945)21
Es wurde bekannt, daß bei der Befreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald durch die Amerikaner eine Reihe der dort befindlichen Kommunisten noch in Haft behalten wurden auf Grund schwerer Anklagen, die von französischen, polnischen und tschechischen Häftlingen gegen sie erhoben worden sind. Ein Teil dieser Häftlinge wurde von den Amerikanern in das Lager Dachau überfuhrt, wo sie in Erwartung des Prozesses sich in Einzelhaft befinden. Unter diesen befindet sich der kommunistische Funktionär Otto Kiep [Kipp]* 22 , mit dem der 18
Karl Olbrysch (1902-1940), Bergmann, 1921 KPD, seit 1925 Fühmngsfiinktionär der Roten Jungfront, 1927 Gaufuhrer RFB in Berlin und 1928 Sekretär von dessen Reichsleitung. Einsatz in Österreich, Schulung in Moskau, 1929 Stadtverordn. in Berlin. 1931 3 Monate Haft, 1932 MdR, Orgleiter der KPD in Berlin und Mitarbeiter im ZK-Apparat. Mitte 1933 verhaftet, wurde er trotz eines „umfassenden Geständnisses" zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, danach kam er nicht ins KZ, weil er sich fur die Gestapo verpflichtet hatte. Er emigrierte jedoch nach Prag und galt bei der Gestapo als rückfällig. Er meldete seiner Partei, wie er freigekommen war, wurde 1938 jedoch ausgeschlossen. Er ging nach England und sollte 1940 nach Kanada verschickt werden, aber das Schiff, mit dem er übersetzte, wurde versenkt.
19 20
Walter Bartel wurde ebenfalls im Prager Exil ausgeschlossen, vgl. Anm. 31. Vom Erfolg dieser Initiative gegenüber dem ZK der KPD ist nichts bekannt. Der Parteivorsitzende scheint ihr nicht gewogen gewesen zu sein. Von den drei namentlich genannten Negativ-Beispielen war Olbrysch bereits 1940 ums Leben gekommen. Von den anderen beiden machte Wilhelm Pieck den einen - Walter Bartel - 1946 zu seinem persönlichen Referenten und später zu seinem Bürochef als Parteivorsitzender, den anderen - Max Opitz - 1951 im Range eines Staatssekretärs zum Chef seiner Präsidialkanzlei als Staatschef. SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 75 ff. Oben handschriftlicher Vermerk: „Vorschlag: 1. Untersuchung gegen Busse* und Barthel [sie!]. 2. Bis dahin sollen Funktionen ruhen. U." Barthel ist vermutlich eine Fehlschreibung für Walter Bartel*, obwohl auch der ehemalige Buchenwalder Lagerälteste Karl Barthel* in der Folge in Jena ein Parteiverfahren zu bestehen hatte, nach dem er sich politisch zurückzog. U. ist Walter Ulbricht, 1946 Mitglied des Zentralsekretariats und Parteivorstandes sowie Stellv. Vorsitzender der SED. Am Rand dieses Schriftstücks finden sich vereinzelt Anstreichungen von der Hand Ulbrichts, insbesondere an den Namen Bartel und Busse und bei Beschuldigungen der Untreue zur Sowjetunion. Die Herkunft dieses Vermerks, der der im Folgenden eingesetzten Untersuchungskommission und ihren Vernehmungen vorlag, ist unklar. Einen Hinweis könnte geben, daß an diesem den Vorgang offiziell auslösenden Exemplar auf der ersten Seite oben etwas abgeschnitten ist. Aus einer Zweitüberlieferung in den ZPKK-Akten
21
II. 2 Verhalten von deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald
265
jetzige Vize-Präsident des Landes Thüringen, Emst Busse, im Lager zusammengearbeitet hat. Ein früherer Häftling des KZ Buchenwald23 teilte mit, daß im August 1946 bei ihm zwei Gesandte von Busse vorstellig wurden, die ihn baten, im Falle eines Prozesses in der Sache Kipp keine Aussagen gegen Kipp und Busse zu machen. Diese Abgesandten waren der frühere Apotheker des Lagers Buchenwald Waldemar Knaak und der frühere Häftling Ernst Birkel 2 4 . Sie hatten auch den Auftrag, mit den im Ausland befindlichen ehemaligen Häftlingen von Buchenwald - Franzosen, Polen und Tschechen - die Verbindung herzustellen und diese zu veranlassen, keine Schritte gegen Kipp und seine Mithelfer zu unternehmen. Drei ehemalige Häftlinge des KZ Buchenwald erklärten folgendes: W.25 (Mitglied der SED) teilte mit: „Nach Buchenwald kam ich kurz vor Beginn des Krieges. In vielen KZs wurde damals ein scharfer ideologischer Kampf zwischen den verschiedenen Gruppen und Richtungen der illegalen KPD geführt. In Buchenwald wurde dieser Kampf manchmal von den schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begleitet. Ich spreche sehr ungern von all diesem, da mit diesem Kampf Tatsachen in Verbindung stehen, die eine Reihe heute in leitenden Positionen sitzender Genossen belasten. Zur Zeit meiner Ankunft in Buchenwald bestand dort eine illegale Parteiorganisation der KPD. An ihrer Spitze stand der frühere Reichstagsabgeordnete Albert Kunz [Kuntz]* aus Frankfurt/Main. Der erwähnte Kampf, der um die Fragen der Einheitsfront und der Volksfront26 wütete, entflammte mit neuer Kraft mit der Paktabschließung zwischen Deutschland und der Sowjetunion27 Ich forderte die Ausrichtung unserer Parteilinie auf die Einheits- und (ZPA I V 2/4/375, Bl. 2 3 2 ff.) kann man erkennen, daß dort der maschinenschriftliche Vermerk „Übersetzung" stand. Aus den Anredeformen in den Zitaten ist erkennbar, daß es sich nicht um innerparteiliche Vernehmungen handeln kann. Eine Herkunft etwa aus amerikanischen Vernehmungen kann nach dem Sprachgebrauch ebenfalls ausgeschlossen werden. Vermutlich handelt es sich daher um ein übersetztes Dokument des sowjetischen Geheimdienstes, wofür auch seine unkenntlich gemachte Einführung in den SED-Vorstand durch Ulbricht spricht. Die im Folgenden zitierten Personen sind im Original anonymisiert; ihre Identität konnte auch von uns nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die Eröffnung der Untersuchung gegen Busse durch eine Gegenüberstellung mit Toni W a i b e l * und Victor Drewnitzki* (vgl. Dok. II.4) sowie besonders die Kritik der Untersuchung durch eine Erneuerung und Verschärfung der hier vorgebrachten Vorwürfe durch diese beiden sowie Alfred Scherlinski* (vgl. Dok. II. 8 ) legen es jedoch nahe, in ihnen die Gewährsleute dieses Vermerks zu sehen. Alle drei waren kommunistische Altfunktionäre, davon zumindest Waibel mit guten Beziehungen zu den Russen; nur Scherlinski und in den letzten beiden Jahren Drewnitzki waren im K Z Buchenwald Funktionshäftlinge, aber auch diese in Distanz zur illegalen KPD-Leitung. Alle drei wohnten 1946 in Berlin. 22 23 24
25 26
Seit 1938 K Z Buchenwald, dort seit 1942 Stellv. Kapo des Krankenbaus. Vgl. Dok. III.2. Nicht identifiziert. Im Original folgt Anschrift. Beide waren unmittelbare Mitarbeiter Busses in Buchenwald gewesen. Waldemar Knaak (geb. 1911), K P D im Bezirk Hamburg-Wasserkante, 1938^15 im K Z Buchenwald, Lagerapotheker; Ernst Birkle (geb. 1889), aus Saarbrücken, K P D , war im K Z Buchenwald zunächst Läufer in Baracke VI (Sanitäter) und später der Torhüter des Häftlingskrankenbaus; lebte nach 1945 in der D D R . Nicht identifiziert, evtl. Victor Drewnitzki. Vgl. Dok. 1.6. Die etwas ungewöhnliche Formulierung in der obigen Aussage könnte daraufhindeuten, daß ein Gegensatz zwischen der alten „Einheitsfront von unten"-Strategie aus der Spätphase der Weimarer Republik („Klasse gegen K l a s s e " ) und der späteren Volksfrontstrategie der K I seit 1935 als Front zwischen Basis und Führungsfunktionären unter den Häftlingen der K P D in Buchenwald akzentuiert werden soll.
266
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Volksfront und stieß dabei auf Widerstand seitens der Gruppe Albert Kuntz, zu der u.a. auch Walter Bartel, der jetzige Leiter der Volkshochschulen [in Berlin], Ernst Busse, VizePräsident von Thüringen, und Otto Kipp gehörten. Diese Leute beschuldigten mich des Opportunismus28 und behaupteten, nur sie seien die Träger der richtigen Parteipolitik. Im Zusammenhang mit dem Nichtangriffs-Pakt erklärten sie, daß die Partei der Bolschewiki sich von der Leninschen Linie abgewandt hat. Ich, Toni Waibel* und verschiedene andere, nachher ermordete Kommunisten erklärten die Pakt-Abschließung so, wie man es jetzt in dem Buche von Stalin 'Über den Vaterländischen Krieg des Sowjetvolkes' 29 lesen kann. Im Januar 1940 ist Albert Kuntz gestorben30 . Vor seinem Tode bestimmte er zu seinem Nachfolger Walter Bartel. Dieser Bartel wurde 1936 aus der illegalen KPD wegen Feigheit ausgeschlossen 31 , hielt sich später in der Tschechoslowakei auf und kam schließlich zu uns nach Buchenwald. Von diesem Moment fangen unsere Leiden an. Zu dieser Zeit stand die Frage der Auswechslung krimineller Häftlinge in den verschiedensten leitenden Positionen im Lager durch politische 32 . Diese Frage entstand im Zusammenhang damit, daß wir sehr vielen Unannehmlichkeiten seitens der Kriminellen ausgesetzt waren. Nach reger Beratung wurde beschlossen, die Übergabe der Funktionen zur Betreuung der Häftlinge aus den Händen der Kriminellen an die Politischen zu erreichen. Während der Beratung machten Toni Waibel und ich darauf aufmerksam, daß solcher Wechsel eine außerordentlich scharfe Waffe ist. Die Rede war von allen im Lager bestehenden Funktionen, einschl. [ießlich] der Lagerbewachung, der Krankenbetreuung usw. Allmählich gelang es uns, eine Funktion nach der anderen an unsere Parteigenossen zu bringen. Dadurch wurde die Lage aller Häftlinge verbessert. Die Krankenbetreuung befand sich bei der Gruppe Walter Bartels 33 , die diese Funktion ausnützte, um unerwünschte Genossen zu beseitigen. „Die Todesspritze" 34 wurde natürlich mit stiller Zustimmung aller Häftlinge auch zum Töten von SS-Agenten gebraucht. 27
28
29 30 31
32
Gemeint ist der Hitler-Stalin-Pakt v. 23.8.1939, der bei zahlreichen Kommunisten und Sozialisten große Irritationen über die Politik der Sowjetunion auslöste. Vgl. Bernd Wegner (Hg.): Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum „Unternehmen Barbarossa", München 1991; Viktor Suworow: Hitler in Stalins Kalkül [russ. Der Eisbrecher], Stuttgart 1989; Christoph Kiessmann (Hg.): Nicht nur Hitlers Krieg. Der Zweite Weltkrieg und die Deutschen, Düsseldorf 1989; Wolfgang Leonhard: Der Schock des Hitler-Stalin-Pakts. Erinnerungen aus der Sowjetunion, Westeuropa und den USA, Freiburg u.a. 1986. Gemeint ist: Abweichung von der grundsätzlichen Parteilinie durch Eingehen auf naheliegende Umstände für kurzfristigen Erfolg. Hier schwer verständlich; könnte bedeuten: Abweichen von einer Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich (im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts), die im KZ kaum praktikabel erscheinen mußte, zugunsten einer Zusammenarbeit mit politischen Häftlingen aus anderen Parteien. Vgl. J.W.Stalin: Über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Berlin (Verl. der sowj. Militärverwaltung) 1945, darin bes. die Rundfunkrede am 3.7.1941, bzw. dass. 3. Aufl. Moskau (Verl. f. fremdspr. Literatur) 1946. Irrig, Kuntz wurde im Januar 1945 in Dora von der SS ermordet.. Walter Bartel ist vorübergehend tatsächlich aus der KPD ausgeschlossen worden, als er in der Emigration berichtete, daß er bei seiner Haftentlassung einen Revers bei der Gestapo unterschrieben hatte, künftig von seiner Opposition gegen den NS abzulassen und Kontaktaufhahmen zu melden. Er wurde zwar in der Emigration offenbar wieder aufgenommen, kämpfte aber noch in der Nachkriegszeit um die Klärung dieser Angelegenheit in seiner Kaderakte. So hatte er z.B. 1950 ein diesbezügliches Parteiverfahren zu bestehen, siehe Dok. V. 1.2. Vgl. die in Dok. 1.5 und 1.6 wiedergegebenen Berichte.
II. 2 Verhallen von deutschen Kommunisten im KZ Buchenwald
267
Die Gruppe Walter Bartel faßte u.a. den Beschluß, mich „zu beseitigen". Nur zufallige glückliche Umstände retteten mich vor der 'Todesspritze'. Ernst Busse, zuerst Lagerältester, wurde zum ersten Kapo (Lagerfunktionär von den Häftlingen) im Krankenhaus bestellt. Sein Stellvertreter war Otto Kipp, der das 'SpritzerKommando' leitete. Dieses Kommando führte die Befehle der SS, Häftlinge zu ermorden, aus. Auf Anweisung verschiedener kommunistischer Organisationen im Lager 35 sollte es mit der Spritze fiir die Arbeiterbewegung gefährliche Elemente beseitigen. Die Häftlinge verschiedener Nationalitäten befanden sich in gesonderten Baracken. Die Barackenältesten jedoch wurden von deutschen Kommunisten bestimmt. Ich war Obmann der Lazarett-Baracke, die neben der Baracke lag, in der Kipp mit seinen 'Spritzern' tätig war. Eines Tages kamen zu mir zwei Russen, die erklärten, sie seien von der Leitung der illegalen Bolschewistischen Organisation geschickt. Sie teilten mit, daß ein Russe, der schon einige Tage in meiner Baracke war, ein sozialschädlicher Mensch sei. Ich glaubte dieser Mitteilung und schickte den erwähnten Russen, der nicht schwer krank war, aus dem Lazarett fort. Nach wenigen Tagen kam der Kranke zurück, und Busse schickte ihn in die 'Spritzer'-Baracke. Später erfuhr ich von den Leitern der russischen Parteiorganisation im Lager, daß die beiden bei mir gewesenen Russen nicht zur bolschewistischen Parteiorganisation gehörten und einen ehrlichen Genossen falsch denunziert hatten. Busse - ohne die Umstände zu prüfen-hat sich schnellstens reingewaschen und mich des Todes des Genossen beschuldigt." T. 36 teilte verschiedene Einzelheiten zum erwähnten Thema mit: „Im Februar 1943 kamen im Lager einige Hundert russischer Offiziere an. Sie kamen unverzüglich ins Krematorium, wo sie verbrannt oder vergast wurden. Doch einem der Offiziere gelang es, aus der Gaskammer zu entfliehen.37 Er sprang über die Mauer des Krematoriums und verschwand im großen allgemeinen Lager. Bei dem Abendappell forderten die SS-Leute uns auf, den entflohenen Russen auszuliefern, und drohten mit außerordentlichen Maßnahmen. Die Lage war zu der Zeit so, daß die schlimmste Strafe ein stundenlanges Strammstehen sein könnte. Wir hatten aber einen allgemeinen Beschluß 38 , unter der Drohung mit schlimmsten Strafen keinen zu verraten, dem es gelungen ist, aus der Gaskammer zu fliehen. Doch die Leitung unserer kommunistischen Lagerorganisation (Walter Bartel, Ernst Busse 33 34 35 36 37
38
Walter Bartel war überwiegend im Arbeitskommando Tischlerei, zeitweise auch im Krankenbau und zuletzt in der Arbeitsstatistik beschäftigt. Gemeint ist die Injektion von Phenol, Luft oder Krankheitserregern. Solche Injektionen durch SS-Ärzte sind z.B. für die Fleckfieberstation vielfach belegt; ob und in welcher Phase des KZs sie auch von Funktionshäftlingen vorgenommen wurden oder werden konnten, ist nicht definitiv geklärt. Gemeint sind die kommunistischen Gruppen der einzelnen Nationalitäten. Nicht identifiziert. In Buchenwald gab es keine Gaskammer. Die kriegsgefangenen Offiziere wurden im sogenannten Pferdestall mit einer Genickschußanlage ermordet und die Leichen im Krematorium verbrannt. In diesem Fall handelte es sich um drei junge Russen, die in der Nähe von Düsseldorf aus einem Zwangsarbeiterlager geflohen und aufgegriffen worden waren und im Keller des Buchenwalder Krematoriums exekutiert werden sollten. Der geflohene Russe wurde voiiHein Hauptmann* und einem Mann der Lagerfeuerwehr in einem Heizungsschacht der Effektenkammer gefunden und der SS ausgeliefert. Für eine detailgetreue literarische Bearbeitung vgl. Karl Barthel: Grigori, in ders.: Die Welt ohne Erbarmen. Bilder und Skizzen aus dem K.Z., Rudolstadt 1946, S. 71-80. Gemeint ist: der kommunistischen Funktionäre.
268
II Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
usw.) gaben die Anweisung, den Russen festzunehmen und ihn an das Tor des SSTerritoriums39 zu schleppen. Die Lagerwache 40 , bestehend aus Mitgliedern unserer kommunistischen Organisation, führte diesen Befehl aus und schlug dabei unbarmherzig auf den russischen Offizier ein. Doch der Verurteilte, dem die Nähe des Todes eine ungewöhnliche Kraft verlieh, riß sich wieder frei, wurde jedoch gefangen und vor den Augen aller an die SS-Leute ausgeliefert. Ich glaube, daß die russischen Genossen-Bolschewiken, die Buchenwald überstanden haben, noch etwas zu meiner Erzählung hinzuzufügen haben." A.41 (Mitglied der SED, früher KPD) teilte mit: „Ich war im Lager Buchenwald von Anfang an 42 und weiß sehr gut, wie dort die Lage war. Doch ich wollte davon nicht vorher erzählen, bevor ich nicht selbst über diese Parteiorganisation berichte. 43 Was dort gesprochen wurde, war unter aller Menschenwürde. Wenn das bekannt wird, so wird dadurch der Autorität der ganzen Partei und aller früheren politischen Häftlinge großer Schaden zugefügt. Ich sehe jedoch, daß Sie 44 ziemlich gut über die Lage im Lager informiert sind, und deshalb ist es nicht schlimm, wenn ich kurz die dortige Situation schildere. Den damals geführten innerpolitischen Kampf erkläre ich nicht mit ideologischen Meinungsverschiedenheiten, sondern mit persönlichen Machtansprüchen einzelner leitender Funktionäre. Der Sachverhalt war folgender: Unsere Genossen, die jetzt leitende Männer in der Verwaltung sind, waren damals bemüht, den SS-Leuten gut zu dienen, weil sie nicht an den Sieg der demokratischen Kräfte der Welt über den Faschismus glaubten. Dieser Unglaube wurde besonders bemerkbar, als die Deutschen vor Stalingrad rückten 45 . Das war einer der Gründe, warum unsere Genossen in der Lagerleitung die Befehle der SS-Leute besser ausführten. Für gute Dienste haben Leute aus der Leitung, ich meine Busse und Kipp, das Vorrecht erhalten, Frauen bei sich zu haben, obwohl fiir die Kapos im Lager ein besonderes Bordell eingerichtet war. Frau Busse und Frau Kipp 46 wurden ins Lazarett gerufen, wo sie wochenlang in prächtigen Zimmern der leitenden Kapos leben konnten und sich als Prostituierte aufspielten. Das Bordell, nebenbei gesagt, war für die Favoriten der SS bestimmt, die sich den Henkern gegenüber als besonders diensteifrig erwiesen hatten. Außerdem befaßte sich die Lagerwache damit, Pakete des Internationalen Roten Kreuzes oder Pakete von Angehörigen der Häftlinge im Ausland sich anzueignen, sie nahm sich auch das Geld aus den Paketen. 39 40 41 42 43 44 45 46
Gemeint ist: das Lagertor, jenseits dessen die Einrichtungen der SS wie Kommandantur, Kasernen, Villen der Lagerfuhrer etc. lagen. Gemeint ist: der sogenannte Lagerschutz. Nicht identifiziert. D.i.: seit Errichtung des Lagers 1937. Vermutlich Übersetzungsfehler. Gemeint dürfte sein: bevor ich nicht parteiintern darüber berichtet habe. Hier wird ein Vernehmender angesprochen, an den man nicht das innerparteiliche „Du" richtet, zu dem man aber politisch Vertrauen hat, also wohl ein Vertreter der SMAD oder des NKWD. September 1942. Unklar, ob damit auf Geliebte der Kapos aus dem Bordell angespielt werden soll oder auf die Ehefrauen der Kapos. Nach Auskunft Busses in Dok. 11.4 konnte ihn seine Frau Anna Busse einmal im Lager besuchen.
II. 3 Untersuchungskommission gegen Ε. Busse
269
Leute aus der Lagerwache und Kapo-Leute (nicht alle waren solche) nahmen den Juden Wertgegenstände ab und Schmuck, um sich ein regelrechtes Vermögen zu verschaffen. Alle diese Leute hofften, infolge ihrer Freundschaft mit den SS-Leuten dem Tode im Lager zu entgehen und schließlich die Freiheit zu bekommen. Das Vertrauen der SS zur Lagerwache, die unter der Leitung unserer Genossen (Kommunisten) stand, war so groß, daß sie sogar beauftragt wurde, selbständig ohne die SS, an der es schon mangelte, neu angekommene Häftlinge herbeizufuhren, sie zu entkleiden, ihnen Sachen abzunehmen usw. Ein SS-Kommandant (Lagerleiter) sagte, daß er sich besser auf die Lagerwache als auf seine SS-Leute verlassen kann (dasselbe bestätigt Drewnitzki*). Die Gestapo hatte im Lager ihre Spitzel. Zwei von ihnen wurden durch unsere Genossen aufgespürt, und man wollte sie durch Spritze oder auf andere Art und Weise töten. Die Angst veranlaßte die Spitzel zu fliehen. Später wurden sie festgenommen und zurückgebracht. Sie wurden nicht bestraft, sondern in eine spezielle Werkstatt unter den Schutz der SS gestellt. Diese Spitzel sitzen jetzt in leitender Stellung in der Polizei von Weimar. 47 Ich möchte keine Namen nennen, da sie dem Gen. [Walter] Ulbricht vom Parteivorstand der SED bekannt sind, der sogar versprochen hatte, Maßnahmen zur Verbesserung der Lage zu ergreifen. Aber bis jetzt ist noch alles beim Alten. Über meine Beziehungen zu Busse kann ich nur sagen, daß sie sehr schlecht waren: er bedrohte sogar mein Leben."
II.3
Einsetzung der Untersuchungskommission gegen Busse (1946)
Sitzung des Zentralsekretariats der SED vom 7.10.1946. [Auszug aus dem Protokoll der 42. Sitzung.]48 Anwesende: [Wilhelm] Pieck, [Otto] Grotewohl, [Walter] Ulbricht, [Max] Fechner, [Franz] Dahlem, [Erich] Gniffke, [Anton] Ackermann, [Otto] Meier*, [Helmut] Lehmann, [Paul] Merker, [August] Karsten, [Hermann] Matern, Käthe Kern, Elli Schmidt, [Richard] Gyptner, [Fritz] Schreiber 4 9 Der Tagesordnungspunkt 13 befaßte sich mit: Angelegenheit Ernst Busse*, Weimar (Einführung Dahlem) 5 0 : 47 48 49
50
Vorgang ungeklärt. 1946 war Erich Reschke thüringischer Polizeichef in Weimar. SAPMO-BA, ZPAIV 2/2.1/37. Von den anwesenden Mitgliedern und Sekretären des Zentralvorstands der SED waren Pieck, Ulbricht, Dahlem, Ackermann, Merker, Matern, Schmidt, Gyptner ehemalige Mitglieder der KPD, die übrigen der SPD. Eine eigene Erfahrung (überwiegend kürzerer) politischer Haft im Dritten Reich hatten Grotewohl, Fechner, Dahlem, Gniffke, Meier, Lehmann, Karsten, Matern und Kern. Zwei waren für ein bis zwei Jahre im KZ gewesen, nämlich Dahlem am Kriegsende in Mauthausen und Meier am Kriegsende in Sachsenhausen. Franz Dahlem (1892-1981), geboren in Rohrbach/Lothringen als Sohn eines Eisenbahners. Realgymnasium, Lehre, Arbeit als kaufmänn. Angestellter, 1911 Gewerkschaftsmitglied, 1914-1918 Kriegsdienst, 1913-1917 SPD, 1917-1920 USPD, ab 1919 Mitglied des ZA der VKPD bzw. des ZK der KPD und ab 1929 PB der KPD,
270 a)
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse) Für die Untersuchung der Angelegenheit wird unter dem Vorsitz von Georg Wolf [Wolff] 51 eine Kommission, bestehend aus Grete Keilson 5 2 , Bruno Leuschner 53 und Sepp Miller 5 4 , gebildet.
b)
Bis zum Abschluß der Untersuchung ist Ernst Busse zu beurlauben. 1 9 2 0 - 1 9 2 4 M d L in Preußen, 1 9 2 8 - 1 9 3 3 MdR, 1 9 3 0 - 1 9 3 2 Reichsltg. der R G O , 1 9 3 3 - 1 9 3 7 Mitglied der Auslandsleitung der K P D in Paris, 1 9 3 7 - 1 9 3 9 Leiter der Polit. Kommision der Int. Brigaden in Spanien, 1938/39 Leitung des Sekretariat des Z K der K P D in Paris, 1 9 3 9 - 1 9 4 2 Intemierung in L e Vernet/Frankreich, 1942 Gestapohaft und 1 9 4 3 - 1 9 4 5 K Z Mauthausen, Mitgl. des Internat. Lagerkomitees. 1945 Rückkehr nach Berlin, Mitgl. und Sekretär des Z K der K P D , 1 9 4 6 - 1 9 5 3 Mitgl. des P V bzw. Z K der S E D , 1 9 4 6 - 1 9 4 8 Mitgl. des Zentralsekretariats, von Jan. 1949 bis Mai 1953 Mitgl. des P B und Sekretariats des Z K , verantwortlich fur Kaderfragen, im Mai 1953 Entbindung aller Parteifunktionen und Ausschluß aus dem Z K (Vorwurf des Kontaktes zu „amerikanischen Agenten" in der Emigration und in der Nachkriegszeit, Kritik an Dahlems politischer Linie im Jahre 1939, die deutschen Kommunisten in der französischen Emigration sollten sich freiwillig registrieren und internieren lassen). 1 9 5 5 - 1 9 7 4 Leiter der HA Forschung und Stellv. Staatssekretär im Staatssekretariat fiir Hochschulwesen und 1. Stellv. des Min. für Hoch- und Fachschulwesen, 1956 politisch rehabilitiert, 2 . 2 . 1 9 5 7 Wiederaufnahme in das Z K der S E D , ab 1957 Mitglied des Forschungsrates der D D R , ab 1 9 6 4 Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft.
51
Georg W o l f f ( 1 9 0 6 - 1 9 4 8 ) , geb. in Angermünde als Sohn eines Lokomotivführers, Lehre als Maschinenschlosser, seit 1924 als Schlosser in Berlin, 1926 D M V , später R G O , 1929 K P D , 1930 nach Streik entlassen, Emigration nach Moskau, dort Arbeit in einem Lampenwerk, 1931 Mitgl. der K P d S U , 1932 Meister, 1935 sowjetischer Staatsbürger, 1936 Weiterqualifikation am Energetischen Institut, 1937/38 Spanienkämpfer (Chef einer Panzerspähwagenkompanie im Range eines Kapitäns der republ. Armee), Evakuierung nach Frankreich und dort Internierung, 1939 Rückkehr nach Moskau, 1939/40 Besuch eines Spezialkurses zur Geschichte der K P d S U unter Walter Ulbricht. 1941-45 Kaderarbeiter am Institut 9 9 (d.i. Hotel Lux). 1941/42 dort Mitarbeiter des N K W D , danach Arbeit mit deutschen Kriegsgefangenen, Mitbegründer des N K F D („Nationalkomitee Freies Deutschland") und dessen Bevollmächtigter am Bijansker Frontabschnitt, 1943 bei Gomel schwer verwundet, 1945 Rückkehr nach Deutschland mit der Gruppe Ackermann und Einsatz in Cottbus, danach Kaderabteilung der Bezirksleitung Dresden der K P D . 1946 Mitarbeiter des Zentralsekretariats der S E D , 1947 S E D Landesvorstand Sachsen als Leiter der Untersuchungsabteilung (d.i. Vorläufer der Stasi) und stellvertrender Leiter der Landes-Entnazifizierungskommission. Sollte 1948 Mitgl. der Z P K K (Zentrale Parteikontrollkommission) werden, kam aber am 1 5 . 5 . 1 9 4 8 bei einem Autounfall ums Leben.
52
Grete Keilson [Margarethe Fuchs-Keilson], Mädchenname Schnate, geboren 1905 in Berlin als Tochter eines Arbeiters, 1922 K J V D , 1925 K P D , Mitarbeiterin des Z K der K P D , 1928 V I . Kongreß der K I in Moskau, 1 9 2 9 - 1 9 3 3 Mitarbeiterin des Westeuropäischen Büros der K I unter Georgi Dimitroff, 1933 Emigration nach Paris, dort Mitarbeit im Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus, 1 9 3 6 - 1 9 3 9 Mitarbeiterin im K P D Auslandsbüro in Paris, 1939 Emigration in die Sowjetunion, Mitarbeit im Apparat der K I und nach dessen Auflösung 1943 im Büro Wilhelm Piecks (Vorsitzender der K P D ) , Mitbegründerin des N K F D und des Bundes Deutscher Offiziere, Kurierdienste und politische Arbeit in deutschen Kriegsgefangenenlagern, seit Herbst 1944 für den Einsatz in Deutschland nach Kriegsende vorgesehen. 1945 Mitglied der Gruppe Ulbricht in Berlin, 1 9 4 5 - 1 9 4 8 Leiterin der Abteilung Personalpolitik bzw. Kader beim Z K der K P D bzw. P V der S E D , 1 9 4 6 - 5 0 Mitglied der Zentralen Revisionskommission, 1948-1951 Leiterin der neugebildeten Abteilung Internationale Zusammenarbeit, seit Januar 1951 Leiterin der ZK-Abteilung Internationale Verbindungen, 1953 zusammen mit ihrem Mann M a x Keilson, Journalist und Diplomat, im Zusammenhang mit der Verhaftung des D D R Außenministers Georg Dertinger ( C D U ) angeblich ebenfalls kurzeitig verhaftet, seit 1959 in der Presseabteilung des Außenministeriums der D D R , ebenfalls seit 1959 mit dem Atomphysiker Klaus Fuchs verheiratet.
53
Bruno Leuschner ( 1 9 1 0 - 1 9 6 5 ) , kaufm. Angestellter, seit 1931 K P D , nach illeg. Tätigkeit 1 9 3 6 - 4 5 Zuchthaus, K Z Sachsenhausen und Mauthausen. 1945/47 führender Wirtschaftsfunktionär der K P D / S E D , 1947 Leiter der Abt. Planung der Deutschen Wirtschaftskommission, 1948 Stellv. Vors., 1949 Staatssekretär Min. für Planung, Mitgl. der Volkskammer, 1950 des Z K der S E D , seit 1950 Plankommission, 1952-61 als Vors.; seit 1953 Politbüro, seit 1955 Stellv. Vors. des Ministerrats der D D R , seit 1961 Koordinator für Wirtschaft, Vertreter der D D R im R G W . (Leuschner tritt in den Vemehmungsprotokollen nicht auf.)
54
J o s e f (Sepp) Miller ( 1 8 8 3 - 1 9 6 4 ) , Sohn eines bayer. Landwirts, Schlosserlehre, seit 1907 Schlosser in Bremen, S P D , im Ersten Weltkrieg Mitgl. der Gruppe „Internationale Kommunisten", 1918 K P D , Arbeiterrat, seit 1920 hauptamtl. KPD-Funktionär in Bremen und Hannover, Verlagsleiter Arbeiterpresse, M d R . 1 9 3 0 - 3 6 Gen.sekr.
II. 4 Gegenüberstellung
II.4
Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
271
„Gegenüberstellung der Genossen Ernst Busse*, Toni Waibel* und Victor Drewnitzki*", 8.10.194655
Waibel äußert seine grundsätzliche Meinung zur Annahme von Funktionen im Lager. Betont, daß, wenn er sauber bleiben will, könnte er nur bis zu einem bestimmten Grade Funktionen im Lager annehmen. Diese reichten meistens nur bis zum Schriftführer. Aber Kapo, Blockältester und Lagerältester wären schon eine kritische Angelegenheit. Grete stellt die Frage, ob es Beschlüsse der Parteileitung gab, wie weit Funktionen angenommen werden können. Waibel sagt, es wurde die Frage gestellt, ob man Lagerschutz stellen kann oder nicht. Wer die Parteileitung ist, war schon eine frühere Streitfrage. Es gab früher verschiedene Gruppen. Z.B. behauptete Albert Kunz [Kuntz]*, Leitung zu sein. Grete stellt die Frage, wenn Busse Kapo wurde, ob dies Beschluß der Parteileitung war. Waibel bejaht, durch anerkannte Leitung. Busse nennt Walter Bartel* und Harry Kuhn*. Sepp stellt die Frage, ob man grundsätzlich der Meinung war, höhere Funktionen abzulehnen. Waibel: Nur bedingt richtig. Gab Situationen, wo wir gestöhnt haben unter der Leitung 5 ^. Interessant war die Frage des Lagerschutzes. Wir haben ihn angenommen, zum Teil wurde er abgelehnt. Wolf [Wolff] stellt die Frage, zu welchem Zeitpunkt man dazu übergegangen ist, Kommunisten in führende Funktionen einzusetzen. Waibel: Diese Frage stand, solange das KZ überhaupt besteht. Sie hat sich im Laufe der Jahre entwickelt. Es gab Momente, wo man darauf verzichtete. Im Jahre [19]42 oder 43 wurde der Lagerschutz gestellt. Dies war der Höhepunkt. Er sollte zum Schutze der Häftlinge da sein. Die Einstellung verschiedener Genossen zu dieser Frage war irrig. Die Folge mußte sein, wenn wir das durchführen wollten, daß auch unsererseits Strafen eingeführt werden müßten, so wie sie die SS vorzunehmen hatte. Grete stellt die Frage, ob unsere Lagerleitung 57 unsere Genossen aus dem Lagerschutz hätte zurückziehen können. Waibel meint, das war schwer, aber vielleicht möglich. Wir haben ja auch nicht die Macht gehabt, die Evakuierung zu verhindern und haben die Hälfte weggeschickt, trotzdem wir be-
55
56 57
der Roten Hilfe in Dtld., seit 1933 Exil in Prag und Paris, 1939 Norwegen, 1940-46 Schweden, dort Arbeiter, seit 1946 Mitarb. im Parteivorst, bzw. ZK der KPD/SED, 1946-54 Mitgl. der Zentralen Revisions- bzw. Parteikontrollkommission. Danach im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin Abt.-Leiter für die Gedenkstätten. SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155 Bl. 30 ff. Die Gegenüberstellung des Angeschuldigten Emst Busse (Weimar) mit den Beschwerdeführern Victor Drewnitzki und Toni Waibel (beide aus den Westsektoren Berlins) wurde durchgeführt vom Vorsitzenden der Untersuchungskommission Georg Wolff und ihren Mitgliedern Margarete (Grete) Keilson und Josef (Sepp) Miller. Ort der Verhandlung und Protokollführer unbekannt. Unklar, ob die kommunistische Parteileitung oder die vormalig leitenden Funktionshäftlinge der „BVer" gemeint sind. D.h. die Leitung, die sich die deutschen Kommunisten im Lager gegeben hatten.
272
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
schlossen hatten, es geht kein Mensch weg. 58 Dies war aber in Wirklichkeit nicht durchführbar. Der Lagerschutz wurde in der Entwicklung seiner Aufgabenstellung eine gewisse Last fur die Gefangenen. Machte eine Menge Übergriffe, und unsere Genossen hatten die Leute nicht genügend in der Hand. Wolff fragt, welche Rolle der Lagerschutz bei der Auswahl der Todeskandidaten spielte. Ob bestimmte Personen zum Vergasen ausgesondert wurden. Hatten unsere Genossen die Möglichkeit, einzelne Korrekturen vorzunehmen? Wurden auch von unserer Seite Vorschläge gemacht, wer mit dazu kommt? Welchen Einfluß hatte die Lagerleitung respektive ein Kapo auf die Auswahl? Waibel: In wichtigen Fällen war die Leitung da, um zu bestimmen. Man trat an die Blockältesten heran, welche Leute sie haben. Auf die Frage [bezüglich] des Lagerschutzes, ob ihm bekannt sei, daß auch die ausländischen Genossen sich eingesetzt haben, ihre Leute hineinzunehmen, sagt Waibel, das wäre nicht einheitlich gewesen. In dieser Frage war keine Einstimmigkeit vorhanden. In der Mehrzahl war die Meinung vorhanden, man kann es riskieren. Es müssen aber die besten Genossen sein. Die Guten reichten aber nicht aus, man mußte dazu greifen, auch solche heranzuziehen, die nicht hineingehörten. Die Auswahl fand in der Hauptsache durch den Lagerschutzleiter statt, im Einverständnis mit den Leitungen, soweit es solche gab. Grete stellt die Frage der Auslieferung des rassischen Offiziers. Waibel: Diese Frage wurde entschieden durch die Parteileitung mit unserer Lagerleitung59 . Es war ihm gelungen, sich loszureißen und davonzukommen. Allgemein war die Stimmung im Lager: „Wir stehen gern Strafe für ihn." Dann wurde durch die Parteileitung der Beschluß gefaßt, ihn auszuliefern. Wurde begründet, es handle sich um einen gewöhnlichen Dieb. Das war im Jahre 1944 60 . Busse kann sich an diesen speziellen Fall nicht mehr erinnern. Er war 1944 nicht Lagerältester, sondern Kapo. Wurde 1942 als Lagerältester abgesetzt. War mit in der Parteileitung. Kann sich nicht besinnen, ob die Parteileitung Stellung genommen hat. Da es sich im übrigen um einen Russen handelte, hätten die Russen Stellung nehmen müssen und nicht wir. Waibel sagt nochmals, diese Frage wurde durch die Lager- und Parteileitung entschieden. Lagerleitung sind die drei Lagerältesten. Reschke war Lagerältester. Heinrich Hoffmann 61 war die rechte Hand des Reschke. Wurde nach der Übernahme des Lagers ausgeschlossen. 58
59 60 61
Die SS hatte im Frühjahr 1945 Befehl, das Lager beim Herannahen der alliierten Truppen zu evakuieren. Das illeg. Lagerkomitee wollte dies verhindern, weil es befürchtete, daß dies mit weiterem hohem Risiko für die Häftlinge verbunden sei. Es konnte den Beginn der Evakuierung aber nur verzögern, so daß ein erheblicher Anteil der Häftlinge - insbesondere die sowjetischen Kriegsgefangenen - noch vor Ankunft der Amerikaner auf die sogenannten Todesmärsche ging. Die illegale KPD-Parteileitung bestand im ersten Halbjahr 1944 aus Bartel, Busse, Kuhn; die Lagerleitung aus den Lagerältesten Erich Reschke* (KPD, LA 1), Hans Eiden* (KPD, LA 2) und Paul Schreck* (KPD, LA 3). Vgl. Dok. II.2, wo das Ereignis auf Februar 1943 datiert wird. Karl Barthel, Die Welt ohne Erbarmen, a.a.O., S . 71 datiert es auf März 1944 und gibt einen genaueren Bericht. Offenbar Erinnerungsfehler. Gemeint ist Hein Hauptmann* vom KPD-Bezirk Hamburg-Wasserkante, der Kontrolleur, d.i. Assistent, des Lagerältesten war. Er wurde im April 1945 aus der Buchenwalder KPD ausgeschlossen.
II. 4 Gegenüberstellung
Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
273
Busse sagt nochmals, daß die Entscheidung von den Russen gefallt wurde. Drewnitzki sagt, durch die Parteileitung im Zusammenwirken mit der Lagerleitung. Er könne sich besinnen, der Fall hätte ziemliches Aufsehen im Lager erregt. Busse könne sich nicht besinnen, solche Fälle gab es jede Woche. Waibel behauptet, es gab ihn nur einmal, und jeder könne sich darauf besinnen. Busse weiß es nicht, auch nicht, wie er 62 gefunden wurde. WolfF fragt, ob der 1945 Ausgeschlossene63 nicht im Lager als Verräter bekannt war. Busse: Er war Parteigenosse. Er hat eine ganze Reihe von Sachen gemacht, die eine Reihe seiner Dummheiten wieder aufhoben. Als Subjekt kann man ihn heute bezeichnen. Damals hatte er eine ganze Reihe von Spitzeln zur Strecke gebracht. Waibel wirft ein, daß er dafür Hundert andere auf die Strecke gebracht hat. Busse sagt, das müsse man beweisen. Nach der Befreiung hat er geschoben, deswegen wäre er zur Strecke gebracht worden. Waibel sagt, daß ihm egal gewesen wäre, was er meldete. Er hätte die Leute dabei auch geohrfeigt. Ein russischer Komsomol 64 hätte vor dem Hängen noch vor ihm ausgespuckt. Busse sagt, darüber solle man Reschke und Kuhn befragen. Wolff geht auf die Tätigkeit des Busse als Kapo im Krankenhaus ein. Todesspritze. Busse fragt darauf, ob die allgemeinen Angelegenheiten von der Partei als Verbrechen gewertet werden. Ob von Waibel eine solche Beschuldigung vorliege, daß sie generell so etwas gemacht hätten. Es gäbe zweierlei Dinge: Das allgemeine Abspritzen, veranlaßt von der SS. Dazu war eine Sicherung geschaffen, daß nicht Leute von uns dazwischen geraten. Es wurden Leute ausgesucht, die überhaupt keine Disziplin hatten, Elemente die sich überhaupt nie in eine Ordnung fugten. Wo Angriffspunkte waren, wurde ja bekanntlich zugegriffen. [Die Häftlinge] kamen in den Block 61 und wurden dort von der SS umgebracht. Unsere Leute allein durften nicht umlegen. Vielleicht Einzelerscheinungen, normalerweise mußte das die SS machen. Auf die Frage, wieviel wöchentlich umgebracht wurden, sagt er, manchmal viel, manchmal weniger. Es wäre keine normale Zahl zu sagen, manchmal wäre es sehr stark gewesen. WolfF fragt nach seiner Funktion dabei. Busse verneint eine solche, er hätte nur für Sauberkeit zu sorgen, für die Pfleger, fur Medikamente usw. Er hätte auch keinen direkten Einfluß auf die Todeskandidaten gehabt. WolfF fragt, ob die Leute, die die Spritzen verabreicht haben, unsere Leute gewesen wären. Busse: Nein, gespritzt hat nur die SS. Waibel sagt daraufhin, er kenne verschiedene, die auch gespritzt haben. Auch unsere Leute. Verweist auf den Fall Hans Becher [Bechert]*, früherer Lagerältester. Es gab viele Fälle, wo wir Stellung genommen hatten. Ich weiß nicht, wieweit man ihn als Genossen bewerten könne, offiziell war er es. Für Busses Zeit gelte hauptsächlich, was er jetzt sage. Aber früher 62 63 64
Gemeint ist: der entflohene Russe. Gemeint ist: Hein Hauptmann. Häftling, der der sowjetischen Staatsjugendorganisation angehört hatte.
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11 Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
unter [den Kapos des Krankenbaus] Krämer* und Peiks [Peix]* wurden sehr viele von Gefangenen und Wärtern abgespritzt. Sie wurden damals auch durch Krämer ausgesucht. Busse: Es kamen auch Liquidierungen vor, an denen wir auch ein Interesse hatten, alle Sektionen. Wenn neue Transporte ankamen, wurden die Leute aus den Lagern gefragt, was das fur Leute sind. Wurden dann auf die verschiedenste Art liquidiert. Das haben wir gemacht. Sie wurden von den Sektionen65 bestimmt. WolfF fragt, welche Methoden angewendet wurden, um diese Angaben zu kontrollieren. Busse sagt, das war nicht so einfach für die Leute. Sie 66 kamen ja zuerst in Quarantäne. Sie wurden von den Verantwortlichen der Sektionen ausgesucht. Es war im Lager nicht allgemein bekannt, sondern nur im engsten Kreis. Dieser war auch nur sehr eng. Und dicht bis zum Schluß. Waibel sagt, es gab eine Zeit, wo die Leute offiziell weggeführt wurden, jeder wußte, er wird abgeführt. 67 Am Schluß hatten die Häftlinge eine bestimmte Angst vor solchen Dingen. Nennt B. 68 Busse: B. ist offiziell an Lungentuberkulose gestorben. Wir konnten ihn nicht liquidieren. Er hat 4 oder 5 Monate gelegen und ist unter Nachhilfe zugrunde gegangen. War ein Säufer, war allerdings politisch eingesperrt. Haben bis [19]41-42 mit ihm zusammengearbeitet. Drewnitzki sagt, B. hätte sich an politischen Diskussionen nicht beteiligt, hat gestohlen, gesoffen usw. WolfF fragt, wie das mit dem kranken Russen gewesen wäre. Busse sagt, das wäre zu unkonkret gesagt. Man müsse ihm den Fall genau sagen. Es gab in den 7 Jahren ja nicht nur einen Russen. Wir haben nie etwas anderes getan, als zu verhindern, daß der SS solche Leute in die Finger geraten. Hatten für alle Sektionen Verantwortliche und haben jede Woche mit ihnen Besprechungen gemacht, wen müssen wir retten und wen haben wir gerettet. Grete verweist darauf, daß dies 69 erst 1945 gewesen sein kann. Drewnitzki sagt zu Busse, das wäre derjenige Fall 70 , der durch seine (Drewnitzkis) Nichtbeachtung in Block 56 gekommen wäre, auf Grund von Angaben von Russen, daß er ein schlechter Kerl wäre. Der Russe wurde ihm raufgeschickt. Er hätte ihn aus dem Krankenhaus 65
66 67 68 69 70
Sektionen wurden - jedenfalls im Rückblick - die Vertretungen der einzelnen Nationalitäten unter den Häftlingen genannt. Dieser Begriff dürfte von der Intention der deutschen Kommunisten herkommen, bei der Internationalisierung der Verbindungen unter den politischen Häftlingen mehrerer Nationen ein innerkommunistisches Netz aufzubauen und sich dabei an den Sprachgebrauch der KI anzuschließen. In der Abgeschlossenheit des Lagers war ihnen entgangen, daß im selben Jahr, als sie das versuchten, Moskau die KI aufgelöst hatte (1943). In der Traditionsbildung des Buchenwaldkomitees und der Gedenkstätte wurde diese Begriffsherkunft im Sinne der jetzt geltenden nationalen Linie antifaschistisch-demokratischer Befreiungskomitees und Blockpolitik verwischt. Gemeint ist: Neuankommende Häftlinge kamen in der Regel zur Seuchenvermeidung in einen abgegrenzten Bereich des Lagers. Unklar. Gemeint ist wahrscheinlich der Lagerälteste 3 in den Jahren 1939/40 Hans Bechert (KPD). Gemeint ist offenbar, daß regelmäßige Besprechungen zwischen Vertretern der Nationalitäten erst 1945 möglich gewesen seien. Vgl. Dok. II.2 (Aussage T ) . Drewnitzki war Blockältester und Sanitäter in Einzelbaracken des Reviers.
II. 4 Gegenüberstellung Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
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entlassen. Als er entlassen war, hätte er mit B.[usse] darüber gesprochen. Einige Tage später sollte er ihn wieder offiziell aufnehmen. Er habe sich geweigert, weil Spitzbube. Wir haben ihn dann nach Baracke 61 71 gebracht. Ich habe bei der Aufnahme gesagt, ich nehme ihn nicht auf. Die Sache war damit erledigt. Grete fragt ihn, ob er das Recht hatte, ihn aufzunehmen oder abzulehnen. Busse: In diesem Falle war er nicht bei mir, sondern ist zu D.[rewnitzki] gegangen. Drewnitzki: Ich mußte die Abweisungen durchführen. Der Mann kam zum 2. Mal und wird fur krank befunden. Man sieht, die Baracke ist noch frei, er wird dahin geschrieben. Es war jedoch meistens nicht ganz klar, wann das Revier überfüllt war. Es wurde angefragt. Ist noch ein Platz frei oder nicht. Wurde angerufen danach 72 . Ich frage, wer ist das, ich nehme ihn nicht auf. Ich komme aber mal runter. Er wurde dann in Block 56 aufgenommen^] aber nicht bei mir. Nach einigen Tagen werde ich zu Ernst Busse gerufen. B.[usse] macht mir Vorwürfe. Ich schildere den Vorfall. B.[usse] sagte, gut, bringe die beiden Russen, die bei Dir waren. Ich suchte und habe sie nach einigen Tagen gefunden. Es stellte sich dann heraus, daß das eine Geschichte war, die sich aus purer Feindschaft abgespielt hatte. Grete fragt, wer ihn zum Abspritzen geschickt hat. Drewnitzki, er kam nach [Block] 56. Busse: Ich weiß nicht, war das [Block] 56 oder [Block] 61[?] [Block] 56 war nie Krankenhaus. Kann [Block] 54 gewesen sein. Wurde auf Veranlassung von D.[rewnitzki] weggeschickt, er nahm ihn nicht auf, sondern [der Russe] wurde weggeschickt. Waibel: In bestimmte Baracken reingelegt zu werden, bedeutete, daß er abgespritzt werden sollte. Wolff stellt fest, daß dieser Fall ziemlich unklar wäre. Drewn.[itzki:] Wir hatten eine Baracke im Kleinen Lager, war wohl [Block] 54 oder [Block] 61[] Busse: Das bedeutete, daß die nicht automatisch abgespritzt wurden, sondern sie wurden kontrolliert. Dafür verantwortlich war ein polnischer Genösse. 73 Helmuth74 war Chef der chirurgischen Baracken. Ging aber häufig nach [Block] 61, um zu kontrollieren und zu beobachten, meistens mit einem SS-Mann. H.[elmuth] ist ein äußerst disziplinierter Kerl. War bis zuletzt mit der russischen Sektion in intimsten Beratungen. Er hat die interessantesten Dinge mitgemacht. Viktor [Drewnitzki] sagt selbst, daß ich mit diesem Fall nicht belastet werden kann. Das ist fur mich schon eine Antwort. 71
72 73 74
Häftlingskrankenbau im Kleinen Lager 1944/45. Die Unklarheiten mit den Barackennummem im folgenden Textabschnitt entstehen offenbar daraus, daß es neben dem eigentlichen Häftlingskrankenbau im Nord-Westen des Lagers davon räumlich getrennt eine Reihe von Blocks für medizinische Experimente sowie z.T. zeitlich wechselnde Krankenbaracken im Kleinen Lager gab (nämlich v.a. Baracke 53 und 54); bei Einweisung in eine der beiden letzteren Kategorien war die Überlebenschance sehr gering. Gemeint ist: davor. Nicht identifiziert. Rolf Helmuth, wahrscheinlich identisch mit Helmut Thiemann*, zusammengesetzter Codename aus seinem Namen und seinem nom de guerre Rolf Markert.
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II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Drewnitzki: 2 russische Genossen haben mir die Mitteilung gemacht, daß er 75 asozial wäre. Ich kannte ihn vom Sehen. Hatte niemals politisch mit ihnen Fühlung. Grete fragt, ob es tatsächlich solche Fälle gab, daß man Genossen mit der Abspritzung bedrohte? Waibel: Ja: Karl Barthel*. Das dürfte die Parteileitung gewesen sein, die ihn bedrohte. Busse: Bei K.B. [Karl Barthel] hat diese Frage nie gestanden. Er wurde geschnitten. War Lagerältester. Ging auf Transport und wurde, als er zurückkam, nicht [mehr] eingesetzt. Ist auf Grund seines komischen Verhaltens ausgeschlossen gewesen. Ist von der BL [Bezirksleitung der KPD] Thüringen als Bürgermeister eingesetzt, stand erneut die Frage für ihn, ihn in Jena auszuschließen. 76 Waibel bemerkt, daß B.[usse] seine Äußerung, K.B. wäre mit Grünen in Verbindung gewesen, eigenartig ist. Ihr habt ihn dort im grünen Block eingesetzt, weil wir damit die Grünen lahmlegen wollten. Wir wollten alle grünen Blockältesten lahmlegen. Es ist richtig, als er zurückkam, habt ihr ihn nicht mehr als Lagerältesten genommen. Es ist absolut nichts gegen ihn einzuwenden. War einer dieser Cliquenkämpfe, die sich kraß ausgewirkt haben in der Zeit von Albert Kuntz - Nennt Fall Krauthausen77, hatte mit einem Genossen Besprechungen, die ihr78 nicht wolltet. Grete erinnert an die Frage, ob von diesem Abspritzen auch Genossen bedroht waren. Waibel: Er hat uns oft um Schutz angesucht, weil er sich bedroht fühlte. Mit Alfred Schalinski [Scherlinski]*79 war die gleiche Geschichte, er suchte des öfteren bei uns Schutz, weil man ihn umbringen wollte. 75 76 77 78 79
Der nicht ins Lazarett aufgenommene russische Häftling. Gemeint ist: Barthel war zwischenzeitlich aus der KPD ausgeschlossen, wurde aber nach der Befreiung von der (von Busse mitgeleiteten) Bezirksleitung Thüringen als Erster Bürgermeister (in Jena) eingesetzt und hatte erneut in Jena ein Parteiausschlußverfahren zu erwarten. Richard Krauthause war in der Frühzeit des KZ Buchenwald der Leiter der KPD-"Landsmannschaft" des Bezirks Magdeburg. Welcher Fall hier gemeint ist, konnte nicht ermittelt werden. Gemeint ist: Busse und die Parteileitung. Gemeint sein dürfte Alfred Scherlinski, seit 1937 kontinuierlich Kapo von Baukommandos (Entwässerung, Zweckverband Weimar, Bahnhof Buchenwald). Am 6.4.1945 stand er auf der Liste der 46 politischen Häftlinge, die von der SS (wahrscheinlich zur Exekution) gesucht, aber im Lager verborgen wurden. Wurde nach der Befreiung verdächtigt, den früheren Führer der zentralen Parteigruppe der illegalen KPD im Lager, Albert Kuntz, mit dem ihn seit 1932 eine persönliche Feindschaft verband, an die SS denunziert zu haben, worauf dieser sich 1943 in einem Außenkommando habe verbergen müssen und schließlich von der SS in Dora Anfang 1945 getötet worden sei. Gegen diesen und weitere Vorwürfe, russische Lebensmitteldiebe und holländische Arbeitsverweigerer bei der SS angezeigt zu haben, hat sich ein vehementes (ungez.) Verteidigungsschreiben „An die Prüfstelle und Kontrollkommission, Lager Buchenwald" v. 9.5.1945 erhalten, in dem er die konkreten Vorwürfe durch ausfuhrliche Schilderung zu widerlegen versucht und bezüglich seiner Konflikte mit Kuntz hervorhebt, daß für ihn immer gegolten habe, die SS herauszuhalten, ebenso wie jetzt die Amerikaner. Daß man ihn jetzt „durch niederträchtige Verleumdungen" zum „Volksfeind" stempeln wolle und ihm nachrede, er sei ein „Querulant, Einsiedler oder linker Sektierer", seien nur Machinationen der „sogenannten Kumpels", die seit 1938 an Kuntz' „Hemdenzipfel bammelten" (Gemeint ist: die von Kuntz eingesetzte Parteileitung um Busse und Bartel und ihren Abwehrbeauftragten Großkopf). Denen gegenüber sei er jedoch „der bessere Revolutionär" und der „beliebteste" Kapo im ganzen Lager gewesen, durch dessen Kommandos Tausende (darunter auch viele Juden) gegangen seien, und es sei „manches Mal sehr schwer gewesen, den Haufen so durch alle Klippen zu schleusen ohne anzustoßen. Wie oft bin ich geprügelt worden dadurch. Wo waren damals die guten Kumpels, die sich heute wunder was einbilden, wer sie sind? Sie haben meistens im wahrsten Sinne des Wortes in den Löchern gesessen. Nur nicht sehen lassen, war die Parole. Man könnte auffallen und im Steinbruch landen, der
II. 4 Gegenüberstellung Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
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Busse: Damit habe ich nichts zu tun. Waibel: Die Frage ist, wurden Genossen bedroht. Ich habe 2 solcher Genossen genannt. Drewnitzki: Es ist zu scharfen Auseinandersetzungen gekommen. Am meisten im Sonderkommando 80 . Ich kam ins Revier 81 . In der Zeit waren sehr starke Auseinandersetzungen zwischen Albert Kunz und Barthel. Die Lage hat sich dann entspannt. Wir wurden auf Hungerration gesetzt. Die einzelnen Sektionen hatten uns Lebensmittel gebracht. Die Verteilung wurde Anlaß, man wollte K.[arl] B.[arthel] ausschalten. Busse: zu D.[rewnitzki.] Ist Dir ein Fall bekannt, daß wir Genossen bedroht haben? Drewnitzki: Das nicht. Aber Äußerungen, eine andere Linie werden wir beziehen. Aber Barthel hat mir gesagt, daß er sich bedroht fühle. In der Abgeschlossenheit meines Reviers habe ich mich offiziell darum nicht bekümmert und mich aus allem herausgehalten. Ich weiß nicht, daß irgendwelche ausländischen Genossen bedroht wurden. Grete stellt die Frage, ob der Genösse Busse eine Schuld am Abspritzen trage oder nicht. Drewnitzki: Das war vielleicht 3 Wochen später noch einmal der Fall. Offiziell war der Fall, daß sie mir einen bringen wollten, der krank war. Ich habe mich geweigert, ihn ohne eine offizielle Aufnahme bei mir aufzunehmen. Er kam auf Baracke 5. Er wurde nicht gespritzt. Busse: In diesem Fall ist klar, er kam erst in Schonung. In der kleinen Baracke ist dann das Unglück passiert. Sepp bemerkt, daß es dann doch ein Fehler war, ihn auf Grund der beiden Russen hinauszuweisen. Busse: Die offiziellen Leute 82 kannten wir ja nicht. Der offizielle Russe kam dann zu mir und sagte, durch Schuld eines Deiner Leute ist einer von unseren Leuten umgebracht worden. Busse: Auf die Frage, hatte die Lagerleitung und die Parteileitung dazu 83 Beschlüsse gefaßt: Ich weiß nichts davon. Waibel: Die Genossen, die in der D.A.W, waren, sagten, die Lagerleitung und die Parteileitung haben beschlossen, ihn auszuliefern. Die Stimmung im Lager war: nicht ausliefern. Ausgeliefert wurde er auf Grund des Entscheides.
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81 82 83
damals den Namen Himmelfahrtskommando hatte." In der Liste der aus der KPD Buchenwald Ende April 1945 ausgeschlossenen Mitglieder erscheint Scherlinski nicht. Als Walter Bartel 1948 gesprächsweise hörte, Scher(inski sei noch oder wieder in der SED und zwar in Berlin-Mitte, entfaltete er eine fieberhafte Aktivität, um Scherlinski („übel beleumundet") bei den zuständigen Parteidienststellen zu lokalisieren, und Richard Großkopf schrieb am 22.1.1949 die o.a. Verdächtigungen nieder. (Vorgang in ZPA V 278/3/211 unpag.). Das Sonderkommando bezeichnet die im Zuge der Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen den „Roten" und den „Grünen" um die Beherrschung der Häftlingsselbstverwaltung von März bis Mai 1942 von der SS für fuhrende Kräfte unter den „Roten" eingerichtete Sonderabteilung innerhalb der Strafkompanie. Die Bevorzugung der grünen „BVer" in dieser Phase hat sich aber offenbar in den Augen der SS nicht bewährt; danach haben die Kommunisten schrittweise alle fuhrenden Kapofunktionen übernehmen können. Vgl. die Erinnerungsberichte in Dok. 1.5 Gemeint ist: der Krankenbau. Gemeint sind: die Sprecher der russischen Sektion. Offenbar ist nun der andere erwähnte Fall (vgl. Dok.II.2) mit dem zunächst entkommenen russischen Offizier gemeint.
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11. Kaderkontrolle
1946 (Ernst
Busse)
Drewnitzki: Dieselben Genossen sind zu mir gekommen, ist das möglich, daß der Lagerschutz in Verbindung mit der Lagerleitung einen derartigen Beschluß fassen konnte, daß der Mann ausgeliefert wurde. Wolff betont noch einmal, daß man sich an einen solchen Fall besinnen müßte. Busse: Sicher, aber ich besinne mich nicht. Ich weiß nicht, daß wir zusammengetreten sind und Beschluß gefaßt wurde. Daß Leute entsprungen sind und gesucht wurden, ist häufiger vorgekommen. Ich kann mich nicht darauf besinnen. Waibel: Ich habe Genossen von der Schreibstube84 zur Rede gestellt. Sie haben gesagt, in den Akten der Gestapo steht drin, diese Leute85 haben gestohlen, deshalb könne man sie nicht in Schutz nehmen. Seit wann kann man sich auf solche Akten stützen. [?] Diese Lösung, daß man das gefunden habe, ist erst eingetreten, als im Lager große Aufregung war. Busse: Dann muß man die Leitung fragen, ich besinne mich nicht darauf. Man muß feststellen, mit wem Du diskutiert hast. Drewnitzki: Es lag eine allgemeine Abmachung im Lagerschutz vor, der damals schon nicht mehr ganz rein war, die allgemeine Auffassung war: wir finden ihn nicht: Er wurde nicht gefunden am 1. Tag. Wurde dann durch einen Rabauken gefunden. Der Lagerschutz hat ihn gesucht, nicht die SS mit Hunden. Als sie ihn hatten und die Exekution erledigt war, war unerhörte Erregung im Lager über den Lagerschutz. Wie kommt der Lagerschutz dazu? Daraufhin die Diskussion. Busse: Wer hat ihn gefunden? Waibel: Man wußte schon am 1. Abend, wo er liegt, ohne es zu sehen. Dann nahm die Lagerleitung und Parteileitung Stellung. Wolff: Hatte man den Lagerschutz soweit in der Hand, daß er 3 Tage suchen kann oder beschließt, „wir finden ihn". Waibel: Es war beschlossen. Busse: Mir ist von einem solchen Beschluß nichts bekannt. An den direkten Fall kann ich mich nicht besinnen. Waibel: Das war eine so entscheidende Frage! Wolff: Wurde bisher die Ansicht vertreten, solche Fälle nicht auszuliefern und zu finden, oder aber ist [es eine] Tatsache, daß der Lagerschutz nicht in der Gewalt der Genossen war und gegen den Willen der Partei der Mann gefunden wurde. Waibel: Die 2. Frage ist ausgeschaltet. Der Mann wurde in der Kanalisation gefunden. Er wurde von einem unserer Leute dort entdeckt, und der hat ihn der Leitung gemeldet. Ich kann mich nicht mehr an den Namen besinnen. Die Lagerleitung hatte den Beschluß gefaßt, wir liefern den Mann nicht aus. Ich weiß das von der Lagerleitung. Es war allgemeine Freude darüber im engeren als auch im weiteren Kreis, daß er nicht gefunden wurde. Und dann auf einmal wurde er ausgeliefert. Ich lief, als ich es erfahren haben, nach dem Appell von der
84 85
Gemeint sind kommunistische Häftlinge, die in der Lagerkartei der SS beschäftigt waren. Die eingelieferten und getöteten russischen Offiziere.
11.4 Gegenüberstellung
Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
279
Tischlerabteilung zur Schlosserabteilung, wo der Genösse M. 86 war und habe gefragt, was ist passiert - ? Wir haben erfahren, daß ein Beschluß vorliegt, er solle nachforschen. Er ging dann auf die Schreibstube um festzustellen, was passiert ist. Und kam dann zurück: „Ja, es ist beschlossen worden". Er konnte dies evtl. durch W. Siewert87 in der Schreibstube oder evtl. durch Walter Bartel erfahren haben. Ich würde nie eine solche Behauptung aufstellen. Um zu beweisen, daß richtig gehandelt [wurde], haben sie es dann mit Hilfe der Gestapoakten gemacht. Wurde durch Hein Hauptmann ausgeliefert und durch Lagerschutz. Grete schlägt vor, zu dieser Frage noch andere Genossen zu hören. Wolff fragt nun nach dem Bordell. Wer hat es eingerichtet, wer ist verantwortlich dafür, und was hat sich dort abgespielt? Busse: Darüber erzähle ich nichts. Sagt dann aber nach einigem Zögern, daß es von der SS eingerichtet wurde. Es war Beschluß, daß er sich darum kümmern solle. Unter Albert Kuntz gefaßt. Er wäre in seiner Eigenschaft als Kapo im Bau gewesen und habe auch mal solchen Blödsinn mitgemacht. 88 Die bei ihm 89 wohnten aus dem Bordell, sind vom Arzt dorthin gelegt worden oder dagewesen zur ärztlichen Behandlung. Zum Schluß waren 2 russische Genossinnen und eine Polin dort, aber da waren auch schon die Amerikaner da zu der Zeit. Sie waren auch im Einverständnis mit den Russen dorthin gelegt. Drewnitzki sagt dazu aus, daß das Bordell von der SS eingerichtet wurde und sie selbst nichts dazu tun konnten. Es bestand eine stille Vereinbarung, daß die Genossen nicht das Bordell besuchen sollten, aber kein offizieller Beschluß. Es sind dort allerhand Dinge vorgekommen, und wir nahmen an, daß sich hier Dinge abspielen konnten, die für uns von Wichtigkeit sind. Das war auch vollkommen richtig, wenn sich da jemand von uns um die Dinge gekümmert hat. Die Frage der Frauen auf den Zimmern der Genossen war sehr schwer. Sie waren bei Ernst [Busse] im Zimmer, als sie ihm reingelegt wurden, und er mußte da raus. Es war vielleicht möglich fur ihn, Frauen im Zimmer zu haben, er hat es aber nicht getan. Ich bin auch jeder Verunglimpfung entgegengetreten. So stand ich immer zu der Frage Ernst Busse und der des Bordells. Busse: Ich gebe sogar zu, mit kranken Frauen zusammen in einem Zimmer gelegen zu haben, niemals aber mit gesunden. Waibel: Betont, daß er von Anfang an grundsätzlich gegen das Bordell war. Begründung: Einem politischen Genossen mußte es klar sein, daß so ein Bordell zu bestimmten Zwecken eingerichtet wurde, nämlich zur Bespitzelung. Die Beobachtungslöcher wurden von der SS kontrolliert. Der 2. Grund, weswegen [er] dagegen war, war, daß hierfür Frauenhäftlinge aus dem KZ Ravensbrück geholt wurden, denen man nicht gesagt hatte, wozu. Darunter befanden sich Mädchen, die sich nie dazu verwenden ließen. Es wurde behauptet, verschiedene 86 87 88 89
Nicht identifiziert. Siewert ist vermutlich eine Namensverwechslung. Willi Seifert war Kapo der Arbeitsstatistik, die auch als Schreibstube bezeichnet wurde. (Robert Siewert war Kapo eines Baukommandos.) Unklar. Mit „Bau" ist die offizielle Bezeichnung des Bordells als „Sonderbau" gemeint; es lag dem Häftlingskrankenbau gegenüber. Busse hatte als Kapo des Krankenbaus einen Raum fur sich.
280
II. Kaderkontrolle
1946 (Emst
Busse)
hätten sich gewehrt. Die Frage war doch so, daß Gefangene, die den Untergang des Nazireichs gesehen haben 9 0 , zusammen mit den Huren Gefahr 91 liefen, bespitzelt zu werden. Zu der Zeit kamen viele Genossen in Untersuchung92 . Das war meine Grundeinstellung gegen den Besuch dieser Anstalt. Anfangs war auch die große Mehrzahl dafür 93 . Das bröckelte dann ab. Die Genossen, die das Bordell besuchten, wurden anfangs auch beim Appell bekanntgegeben. Es war kein Geheimnis, daß Gen.[osse] Busse diese Anstalt besuchte. Er hatte eine Ausnahmestellung auf Grund seiner Stellung als Kapo. Busse sagt dazu grundsätzlich, daß die Mädels da waren, dagegen konnte man nichts machen. Wir waren uns darüber klar, keinen Beschluß gegen den Besuch des Bordells zu fassen, denn einen Beschluß können wir nicht halten. Wenn wir alle deswegen ausschließen wollten, wären nicht allzu viel übrig. Als Kapo konnte ich reingehen. Ich wurde hineingeschickt und habe mich deswegen auch eingemischt. Man hat natürlich nachher darüber gesprochen: Da geht der Busse hin. Ich ging mit offenen Augen rein. Später hat man mir dann gesagt, es ist besser, Du machst Schluß. Ich habe dann die Kontrolle abgebrochen. Zuletzt Beschluß: Geh nicht mehr hin. Ich ging nicht mehr hin. Meine Frau war ein einziges Mal in Buchenwald zu Besuch. Die, die zur Diskussion steht, das ist die zugeschobene Frau 9 4 . Ich habe nur immer das getan, was sich mit der Partei vereinbaren ließ. Offizielle Beschlüsse darüber wurden nie gefaßt. Der längste Besuch von Frauen bei mir kann 2-3 Wochen gewesen sein, das waren aber kranke Frauen, da kamen keine gesunden Frauen rüber. Drewnitzki: Führt den Fall H. 95 an. War ständiger Besucher des Bordells. Ihm wurden von Seiten der Leipziger Genossen Vorhaltungen gemacht, [sie] haben ihm geraten, die Besuche einzustellen. Ihm wurde gedroht, daß man ihn zur Verantwortung ziehen würde. Hat nichts genützt. Er wurde geschnitten. Es gab große Differenzen deswegen. Wolff stellt fest, daß das Bordell 1943 eingerichtet wurde. Fragt nun, wie die Stimmung im Jahre 1942 im Lager unter den Genossen war. Gab es in fuhrenden Kreisen solche Stimmung, jetzt ist alles vorbei? 96 Drewnitzki: Das kann ich nicht sagen. Busse: Das ist schon beinahe eine Beleidigung. Waibel: Ich kann dazu auch nichts Konkretes sagen. Solche Behauptungen sind im Lager zirkuliert. Es wurde von einigen leitenden Genossen behauptet, [ich] kann aber von B.[usse] nichts genaues sagen. Allgemein gesprochen ist mir bekannt, daß von verschiedenen Leuten solche Meinungen vertreten wurden. Konkrete Fälle kenne ich nicht. B.[usse] gegenüber kann ich das nicht behaupten. Es wäre eine Unwahrheit, wenn man diese Tatsache 97 verschweigen wollte. Ich kann jetzt aber keine Genossen nennen. 90 91 92 93 94 95 96 97
Gemeint ist: die den Untergang des Nazireichs gewollt oder vorausgesehen haben. Im Original: „der" Gefahr. Gemeint ist: viele kamen aufgrund von Bespitzelung in besondere Untersuchungshaft. Gemeint ist: nicht das Bordell zu besuchen. Unklar, vermutlich ist die vom Arzt in seinen Raum gelegte Kranke gemeint. Anonymisiert. Gemeint ist: jetzt ist alles vorbei, weil die Nazis die Sowjetunion besiegen. Gemeint ist, daß von verschiedenen Leuten angeblich solche Meinungen vertreten worden seien.
11.4 Gegenüberstellung
Busse, Waibel, Drewnitzki, 8. Oktober 1946
281
Busse: Ich weiß von einer solchen Diskussion im Lager nichts. Macht darauf aufinerksam, wie oft er Waibel in sichere Positionen gebracht habe. Waibel sagt darauf, daß es eine Unwahrheit wäre, wenn man von solchen Strömungen nicht sprechen konnte. Drewnitzki: Mit ist nicht bekannt, daß fuhrende Genossen eine solche Stimmung gehabt haben oder eine Diskussion gepflogen haben. Natürlich ist es richtig, wenn Waibel sagt, daß im allgemeinen auch solche Strömungen bei unseren Genossen vorhanden waren, die die Sache sehr schwarz betrachteten. Aber gegen diese Stimmung sind wir als verantwortliche Genossen sofort Sturm gelaufen und haben sie wieder ins richtige Fahrwasser gebracht. Waibel fragt, wie die Stellung des Genossen B.[usse] dazu war. Drewnitzki: Ich habe dem Genossen B.[usse] in politischer Hinsicht nichts nachzusagen und erkläre das jetzt nochmals. Ich möchte aber dazu folgendes sagen. Ich war nicht mit im engsten Rahmen 9 8 , sondern im kleinen Parteiaktiv. Waibel bemerkt dazu, daß, wenn sich im Kopf der Parteileitung solche Diskussionen abspielen, dann kommen die Auswirkungen nach unten. Drewnitzki: Das war nicht der Fall. Es waren nur einzelne, mit denen man persönlich diskutierte. Busse fuhrt aus, daß sie sich als Parteileitung nicht damit beschäftigt haben. Daß Auseinandersetzungen waren, ist mir unbekannt. Solche Stimmungen gab es nicht. Waibel: Der eigentliche Kampfgeist trat erst im Lager auf in dem Moment, als jeder sagen konnte, jetzt ist es soweit." Wolff bringt dann die Frage der Paketverteilung zur Sprache. Fragt, ob unsere Leute aus der Lagerwache und die Kapos die Gelegenheit hatten, im Lager die Pakete auszupacken und weiterzuleiten. Fragt, ob es Fälle gibt, wo unsere Genossen solche Pakete und Wertsachen fur sich auf die Seite schafften. Drewnitzki ist von solchen Fällen nichts bekannt. Er weiß nur soviel, daß alles, was unsere Genossen bekommen haben, sie auch regelrecht wieder aufteilten. Ein Teil davon kam ins Revier und wurde auch dort richtig verteilt an die Pfleger. Diese mußten angeben, wieviel Kranke vorhanden waren, und sie bekamen dann die entsprechende Anzahl. Busse fuhrt aus, daß solche Sendungen zuletzt waggonweise ankamen. Die SS-Führung verfugte, wohin sie gingen. Dann wurde mit den Sektionen vereinbart, wohin sie gingen. Es kam dabei meistens zu einer Verständigung. Dann wurden 4 oder 5 Mann eingesetzt für die Aufteilung. Dies ging absolut korrekt vor sich. Ich behaupte nicht, daß wir nur Engel im Lager hatten, Unregelmäßigkeiten werden immer mal vorkommen und im Lager erst recht. Konkrete Fälle anzugeben wäre mir im Moment nicht möglich. Er weiß nicht, wie das möglich war, daß manche soviel Geld hatten. Führt jedoch an, daß z.B. die Kartenspieler oft Tausende von Mark hatten. Es wurde mit der SS geschoben.
98 99
Gemeint ist: die Leitung der illegalen KPD im Lager und der „Häftlingsselbstverwaltung". Gemeint ist: die Alliierten siegen.
282
II Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Waibel: Stellt zur Paketverteilung fest, daß im Revier die Verteilung mustergültig durchgeführt wurde, durch Einfluß von Busse. Aber anders ist die Frage, wenn man sie stellt, auf die Gesamtverteilung im Lager. Der Lagerschutz hätte immer mehr Pakete bekommen. Drewnitzki bejaht dies. Waibel sagt, daß auch die Lagerführer z.B. mehr davon bekommen haben. Solidarität bezüglich der Pakete wäre im Lager eine französische Erfindung gewesen. 100 Sie führten diese Aktion ein. Wolff fragt, wer die fuhrenden Genossen der Lagerwache gewesen waren. W.[aibel] und D.[rewnitzki] sagen, daß der Lagerschutz[leiter] ein früherer KPD-Mann aus Stuttgart101 war. Er war die längste Zeit dort, auch bis zuletzt. Waibel sagt dann, daß die Parteileitung eine lange Zeit einen scharfen Kampf gegen die Auswüchse der Blockältesten gefuhrt hat. Wolff fragt die Genossen um ihre Meinung über den Lagerschutz, hat er seine Aufgaben erfüllt oder nicht? Busse: Hat ihn im allgemeinen in unserem Sinne erfüllt, abgesehen von den Entgleisungen. Drewnitzki: In der ersten Zeit hat er absolut seine Aufgaben erfüllt, ungefähr bis 1943-44, er bekam dann aber wieder einen strengeren und besseren Charakter, als unsere Genossen sich durchsetzten und auch von anderen Sektionen Genossen in der Lagerschutz kamen. Auch das Parteiaktiv hat sich damit beschäftigt^]
II.5
VERNEHMUNGEN DURCH DEN VORSITZENDEN DER UNTERSUCHUNGSKOMMISSION GEORG WOLFF ( 1 9 4 6 ) ! 0 2
II.5.1 Heinz Brandt", 9.10.1946 103
Sein Gesamteindruck ist, daß die Leitung eine wirklich gute Arbeit gemacht hat. Der beste Beweis dafür sei, daß Genösse [Walter] Bartel* nach der Befreiung zum Leiter des internationalen Komitees gewählt wurde. Die durch die SS beabsichtigte Evakuierung wurde durch die Arbeiterleitung weitgehend eingeschränkt. Es gab eine ständige politische Informierung. Der Genösse [Victor] Drewnitzki* hatte Differenzen mit Bartel, nach seiner Meinung aber war Drewnitzki im Unrecht. Als man D.[rewnitzki] Vorwürfe wegen seiner Passivität mach100
101
Gemeint ist: eine Aufteilung der ankommenden Pakete nach Bedarf statt nach Adressaten sei von der französischen Sektion eingeführt worden. Das französische Rote Kreuz schickte als erste Hilfsorganisation französischen KZ-Häftlingen in größerem Umfang Pakete. Es war im Lager umstritten, ob die Franzosen von der deutschen Lagerleitung zur Umverteilung ihrer Pakete gedrängt worden waren. Gemeint ist Karl Keim*.
11.5.2 Vernehmung U. Osche
283
te, verteidigte er sich damit, daß man ihn nicht herangezogen habe. Er selbst [Brandt] war zuerst im Judenblock, dann im Block 42. Alle anderen Dinge sind ihm, da er erst 45 ins Lager kam, unbekannt.
II.5.2 Ulrich Osche*, 9.10.1946Ό4
Der Genösse gehörte der Berliner Leitung105 an (Gruppenleitung), die ca. 45 Mann stark war, und wurde zu den Sitzungen der Gesamtleitung hinzugezogen. Er war Teilnehmer der Brüsseler Konferenz. / Er sagt aus, daß die Leitung bei seinem Eintreffen nicht die Parteilinie vertrat.106 Er erstattete vor der erweiterten Leitung Bericht über die Brüsseler Konferenz. Auf Vorschlag von Genossen Busse* wurde die Berichterstattung, entgegen seinem eigenen Vorschlag, nicht in den Gruppen durchgeführt. Erst nach und nach setzte sich langsam die Linie der Partei durch. Seine Gesamtbeurteilung geht dahin, daß seitens der Leitung viele Fehler gemacht wurden, wenn schließlich der Ausgang doch ein guter war, so ist dies vornehmlich der Korruptheit und Wurstigkeit der SS zu danken. Befragt nach dem Rotarmisten, der vor dem Hängen ausgerückt ist, gibt Osche an: Der Rotarmist ist tatsächlich einmal ausgerückt und wurde von 2 Mann, einem Feuerwehrmann und einem Mann aus dem Lagerschutz, aus der Effektenkammer herausgeholt. Busse mußte davon Bescheid wissen. Er hält es für ausgeschlossen, daß die Leitung dieses vergessen kann, denn es gab nur 2 solcher Fälle. Der Genösse Bartel* habe hinterher der Berliner Leitung mitgeteilt, daß es sich bei diesem Rotarmisten um ein mieses Element gehandelt habe. Der Vorfall wurde im Lager allgemein besprochen. Er weiß nicht, ob in dieser Frage seitens der Leitung ein Beschluß gefaßt wurde, jedoch glaubt er, daß die Auslieferung mit Wissen der Leitung erfolgte. 102
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Zwei Vernehmungen wurden durch das Mitglied der Untersuchungskommission Sepp Miller durchgeführt (angemerkt). Die von Wolff vorgenommenen Befragungen fanden in Berlin und Dresden statt. Über die Auswahl der Vernommenen ist nichts bekannt; es werden hier alle - durchweg ungezeichneten - Protokolle ungekürzt veröffentlicht. Sie sind hier in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Wegen der großen Ausführlichkeit dieser Aufzeichnungen ist im folgenden die Textgestalt etwas gestrafft. Einzeilige oder kurze Absätze in den Ergebnisniederschrifien sind zusammengefaßt und die ursprüngliche Gliederung durch einen Schrägstrich"/" bezeichnet. Bei den einem Wortprotokoll nahekommenden Aufzeichungen des Gesprächsverlaufs, bei denen auch die Fragen notiert wurden, ist anstelle der im Original erscheinenden Namen Wolffs und des jeweiligen Vernommenen nur F für Frage und Α für Antwort gesetzt. Zur besseren Übersichtlichkeit wurde eine Leerzeile eingeschoben, wenn ein neuer Gegenstandsbereich berührt wird. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, BI. 42. Heinz Brandt war als Kommunist (Versöhnler) und Jude seit Januar 1945 im KZ Buchenwald gewesen (davor im Zuchthaus, in Sachsenhausen und Auschwitz); 1946 war er Mitarbeiter der Berliner Bezirksleitung der SED. Vgl. Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist, a.a.O., S. 163 ff. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, BI. 40. Ulrich Osche, als Kommunist seit Juli 1943 in Buchenwald, davor Zuchthaus Siegburg. 1946 Kaderleiter der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft der SBZ in Berlin. Gemeint ist: der Leitung der Kommunisten aus Berlin im KZ Buchenwald. Vgl. Dok. 1.6 für die gegenteilige Behauptung Walter Bartels, er habe die Kunde von der Volksfront-Politik der Brüsseler Konferenz bereits 1939 nach Buchenwald gebracht, wo ihr seither die Parteileitung angehangen habe.
284
IL Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Bezüglich der Liquidierung von Lagerinsassen, d.h. Austausch von schlechten Elementen zur Rettung von Antifaschisten, gibt er an, daß die Auswahl dieser Leute durch den Apparat erfolgte und zwar nicht immer im Einvernehmen mit der Leitung. Die Sache habe zuletzt seitens des Apparates Formen angenommen, die er nicht mehr decken konnte. Zur Frage der Bedrohung von Genossen sagte er, daß dies allgemein und auch dringend notwendig war, um Verrat zu verhindern. Hier hätte die Leitung absolut richtig gehandelt. Bezüglich der besonderen Bevorzugung bzw. Bereicherung sagte er, daß dieses tatsächlich so sei. Zum Teil wurden Pakete mit Wäsche und dergleichen aus dem Lager herausgeschickt. Die prominenten Genossen konnten sich viel zulegen, sogar auch Zahngold. Ein solcher Verdacht bestand gegen den Genossen Kipp*, jedoch habe er keinerlei Beweis. Jedenfalls wurden bei der Verteilung der Pakete die fuhrenden Genossen bevorzugt. Bezüglich des Bordells sagt Osche aus, daß ein Beschluß (der deutschen Sektion) vorlag, das Bordell nicht zu besuchen. Der Beschluß sei vom Genossen Bartel der Berliner Leitung offiziell mitgeteilt worden. Er wurde begründet mit der Frage der Sicherheit der Partei. Es hieß, wer hingeht, gefährdet die Organisation und hat die Konsequenzen zu tragen. Aber auch aus moralischen Gründen sollte das Bordell gemieden werden. Gegen Busse wurden schwere moralische Vorwürfe erhoben. Er hat das Bordell besucht und hat wochenlang mit einem Mädchen aus diesem Bordell allein in seinem Zimmer gewohnt. Von dem Rotarmisten, der in dem Revier abgewiesen wurde und dann auf Block 61 kam, weiß er nichts.
II.5.3 Helmut Thiemann*, 9.10.1946
Busse* war zuerst Lagerältester und hat als solcher gut gearbeitet. Generell: Die Leitung hat ihre Aufgabe gemeistert. Es gab in ihr keinerlei Schwankungen bezüglich des Ausgangs des Krieges, es wurde international gut zusammengearbeitet, es wurden die wichtigsten Positionen [der Lagerverwaltung] besetzt, was zwar mit großen Gefahren für die einzelnen Genossen verbunden war, was sich aber als absolut richtig erwies. Befragt nach dem Rotarmisten, der ausgerückt ist, sagte Thiemann [Thiemann] aus, daß er davon nicht das geringste weiß. Auf Vorhalt, daß bereits eine ganze Reihe von Genossen sich des Vorfalls erinnern können und daß dieser im Lager allgemeines Aufsehen erregt hat, bleibt er dabei, daß er davon nicht das geringste wisse.
107
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 41 f. Thiemann war als Kommunist - nach Zuchthaus und Moorlager - seit August 1938 im KZ Buchenwald und als Pfleger im Krankenbau einer der engsten Mitarbeiter Busses; außerdem war er in der illegalen Lager-KPD im Abwehr- und Militarapparat engagiert. 1946 lebte er unter dem in der Sowjetunion Anfang der 30er Jahre angenommenen Namen Rolf Markert und war Kaderchef der sächsischen Polizei.
II. 5.3 Vernehmung Η. Thiemann
285
Bezüglich der Bedrohung der Lagerinsassen sagt er aus, daß die Auswahl in den meisten Fällen gewissenhaft getroffen wurde und daß dadurch Hunderten von Genossen das Leben gerettet wurde. Eine Bedrohung der Genossen habe nicht stattgefunden, aber ein starker Druck, in dem Sinne, daß die Sicherheit der Partei gewährleistet wird. Es wurden auch Maßnahmen 108 durchgeführt, wo es unumgänglich notwendig war. Z.B. drohte einer mit dem Verrat des Waffenlagers, so daß die Maßnahme nicht zu umgehen war. Von dem Mann, der im Revier abgewiesen wurde und schließlich auf Baracke 61 kam, weiß er nicht das geringste. Bezüglich des Lagerschutzes im allgemeinen sagt er, daß es richtig war, den Lagerschutz von uns zu besetzen. Er hat sich bewährt, trotz dem Vorhandensein von schlechten Elementen im Lagerschutz. Hätten wir ihn nicht besetzt, so wäre er von den SV-Leuten [Sicherheitsverwahrten] besetzt worden, und es wäre nicht auszudenken, welche Nachteile dies für die Partei gebracht hätte. Bezüglich der Verteilung der Pakete sagte er aus, daß die Genossen bevorzugt wurden, aber die Sachen wurden gleichmäßig für alle Genossen verteilt. Von einer Bereicherung von führenden Genossen kann keine Rede sein. Natürlich kamen Bevorzugungen vor, so z.B. meine Schaftstiefel, die ich anhabe, stammen von der Haut eines Hundes, den wir geschlachtet und gegessen haben. Die Haut ergab natürlich nur ein Paar Stiefel, und die habe ich mir machen lassen. In diesem Sinne gab es natürlich Bereicherungen. Bezüglich des Bordells sagt er aus: Es gab keinen Beschluß, der den Besuch verbot. Jedoch war die allgemeine Ansicht, man sollte nicht hingehen. Er selbst hatte dort dienstlich als Krankenpfleger zu tun, und „ich gestehe offen, daß ich mehr als einmal mit den Mädels nähere Bekanntschaft gemacht habe". Zusammenfassend sagte er, es gab eine gewisse Anzahl von Genossen, die politisch so gut wie nichts gemacht haben, sie haben weder ein Risiko eingegangen, noch sich sonst irgendwie in besondere Gefahr begeben. Aber sie haben am Schluß, als es offenbar war, daß die Befreiung eines Tages Tatsache sein wird, ihre bis dahin gezeigte Passivität mit Kritik an den anderen abdecken wollen. / Gegen Busse gab es starke Erregung, weil er kranke Frauen mehrere Wochen im Zimmer hatte.
108
Offenbar gemeint: Tötungen.
286
II. Kaderkontrolle
1946 (Ernst Bussej
II.5.4 Hermann Zilles*, 9.10.1946109
Zilles kam im Jahre 1943 ins Lager Buchenwald und zwar in den SV-Block (SicherheitsVerwahrung), dort waren mehrere Genossen unter den sonst ausschließlich kriminellen Elementen. Im November 1943 bekam er Anschluß an das Parteiaktiv und wurde dann aus diesem Block herausgeholt, wie übrigens fast alle Genossen aus diesem Block in andere Positionen eingesetzt wurden. Dies geschah auf illegalem Wege, wobei die Leitung des Parteiaktivs persönlich sehr viel riskierte, jedoch durch geschicktes Vorgehen kam diese Sache nicht heraus. Generell ist Z. der Auffassung, daß die Leitung des Parteiaktivs ihre Aufgabe absolut gut erfüllt habe, einschließlich des Genossen Busse*, der in allen politischen Fragen einwandfrei gestanden hat. / Gegen Busse erhebt Z. jedoch den Vorwurf, daß er sich in der Angelegenheit der Bordellsache schwer vergangen hat. Zuerst habe B. scharf gegen den Besuch des Bordells Stellung genommen. Später ging er dann hin, angeblich im Auftrage der Leitung des Parteiaktivs. Er war dann ständiger Besucher, was sich auf die Gesamtheit sehr schlecht auswirkte. B. hatte ein Zimmer - etwa 20 m von Z.'s Zimmer entfernt so daß Z. ständig wußte, was bei B. vorging. Eine Zeitlang waren mehrere kranke Frauen aus dem Bordell in B.'s Zimmer untergebracht. Danach aber war B. mit einer Frau aus dem Bordell mehrere Wochen allein in seinem Zimmer. Aus diesem Grunde bekam Z. mit B. so starke Differenzen, daß er seine Ablösung als Krankenpfleger beantragte, die tatsächlich erfolgte und er in seinen SV-Block zurück ging. Er nahm nicht aus moralischen, sondern aus politischen Gründen in diesem Falle gegen B. Stellung, da er der Ansicht ist, daß die SS die Errichtung eines Bordells nicht aus Gründen des Entgegenkommens gegenüber den Häftlingen, sondern aus Gründen der leichteren Bespitzelung usw. veranlaßte. Außerdem wurde bekannt, daß die Frau, die mit B. zusammen im Zimmer war, dort sehr gut lebte, Kaffee und Kuchen bekam usw., während die übrigen Häftlinge Hungers starben und Z. die Meinung vertrat, daß, wer so etwas macht, nicht Kapo oder Mitglied der Leitung des Parteiaktivs sein kann. Betr. des Lagerschutzes ist Zilles generell der Auffassung, daß der Lagerschutz im allgemeinen - mit Ausnahme einiger schlechter Elemente - seine Aufgabe erfüllt hat. Die Bemerkung des SS-Führers: „Auf den Lagerschutz sei mehr Verlaß als auf die SS", ist nicht von politischer Bedeutung, weil diese Bemerkung sich auf die Einteilung der Leute zum Arbeitseinsatz bezog, ihren Abmarsch usw., wobei der SS-Führer seine Leute ausschimpfte und schließlich sagt: „auf den Lagerschutz ist mehr Verlaß als auf Euch". Von den übrigen in Frage stehenden Punkten weiß er nichts. Als besonders schlechte Elemente nennt er den Häftling Hoffmcmnil°, welcher die rechte Hand von Reschke* war, 109
110
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 39. Zilles kam 1940 in Holland in Haft und war 1940-43 im Zuchthaus. Im KZ-Buchenwald wurde er Pfleger auf der TBC-Station des Häftlingskrankenbaus. 1946 war er führender KPDFunktionär in Köln und siedelte im selben Jahr in die SBZ um und wurde Mitarbeiter der Westkommission im Zentralsekretariat der SED. Namensverwechslung. Gemeint ist der Kontrolleur Hein Hauptmann*.
II. 5.5 Vernehmung Μ. Pawel
287
und der mit R. ein sehr enges Verhältnis hatte. Er steht auch auf dem Standpunkt, daß R. sich im Lager nicht so gezeigt hat, wie es fur einen Kommunisten notwendig war.
II.5.5 Max Pawel, 12.10.194611·
Ich war von 1943 bis zum Schluß im Lager Buchenwald. War zuletzt Kapo der Baracke 45, war im engeren Parteiaktiv. Mit Busse* selbst hatte ich weniger zu tun. / Ich bin der Überzeugung, daß in bezug auf das Abspritzen fahrlässig gehandelt wurde. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß Busse von allen Abspritzungen Kenntnis haben mußte. / Ich stehe auf dem Standpunkt, daß Busse die Linie der Partei nicht vertreten hat. Er hätte die Funktion des Kapo aufgeben müssen. / Bedrohungen waren nur allgemeiner Art. Konkret ist mir kein Fall bekannt, wo Genossen von Seiten der Parteileitung bedroht wurden. An den Fall des geflüchteten Russen entsinne ich mich. Es muß im November 1944 gewesen sein. Es gab darüber eine allgemeine Diskussion im Lager. Hauptmann* hat ihn ausgeliefert. - Ich stehe auf dem Standpunkt, daß unsere politische Leitung im Lager diesen Fall unbedingt kennt. - Ob es einen Beschluß gab, ihn auszuliefern, glaube ich nicht, da ich sonst Kenntnis davon hätte. / Von dem Fall" 2 im Krankenbau weiß ich nichts. Die Paketverteilung ging korrekt vor sich. Die Blockältesten wurden mit herangezogen. Es gab aber Fälle, wo Genossen (Puffgänger) Lebensmittel und Wertsachen mit in den Puff geschleppt haben. Die Weiber haben dort zum Teil besser gelebt als draußen. - Ein Teil der Sachen wurde gebraucht, um die SS zu bestechen. Busse hat einige Wochen (fast ein Vierteljahr) eine Hure bei sich gehabt, da hat die SS mindestens beide Augen zugedrückt, wenn nicht noch mehr. Es gab große Diskussionen darüber im Lager. / Es gab einen Beschluß, daß kein führender Funktionär den Sonderbau besuchen darf. Bartel* hat ihn mir mitgeteilt. / Als wir aus dem Lager gingen, war die [allgemeine] Meinung, Busse wird doch noch vom ZK· 1 3 zur Verantwortung gezogen werden. Im großen gesehen hat der Lagerschutz seine Aufgaben erfüllt. Er war politisch richtig. / Drewnitzki* ist nie hervorgetreten, ich bin fast nie mit ihm zusammengekommen. / Fälle, daß sich Genossen bereichert haben, sind mir nicht bekannt. / Ich persönlich stehe auf dem 111
112 113
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 52 f. Max Pawel (geb. 1892). Vor 1933 war er ein lokaler Führer des Rotfrontlämpfer-Bunds in Cottbus, 1933 war er in einem der frühen KZ und wurde nach einigen Monaten wieder entlassen. Beim Landratsamt Cottbus entstand darüber im Sommer 1933 ein Vorgang, weil er einem Nazi gegenüber gesagt hatte, er habe dort „nichts zu essen, sondern nur Dresche" bekommen. Im KZ Buchenwald seit 1943, war Mitglied der Berlin-Brandenburger KPD-Gruppe, die ihn nach der Befreiung als „zuverlässigen Arbeiter" einschätzte, und Kapo. Zur Zeit der Vernehmung lebte er wieder in Cottbus. Gemeint ist der mehrfach erwähnte Fall des Russen, der im Häftlingskrankenbau wegen falscher Denunziationen abgewiesen und in eine medizinische Baracke gelegt wurde, wo er zu Tode kam. (vgl. Dok. II.2). Gemeint ist: von der KPD-Parteifiihrung.
288
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Standpunkt, daß man Leute wie Busse nicht in solche exponierten Positionen einbauen soll. Im großen und ganzen kann man sagen, daß die Parteileitung ihre Aufgaben erfüllt hat.
II.5.6
F:
A: F: A: F: A: F: A: F: A:
F:
A: F: A: F: A: F:
114 115
Erich Bär*, 13.10.19461'4
Was ist Deine Meinung über das Verhalten politisch verantwortlicher Genossen im Lager Buchenwald? Wann warst Du überhaupt in Buchenwald und welche Funktion hattest Du? Vom 13. August 1938 bis zur Befreiung. Ich war gewöhnlicher politischer Häftling und war im Schlosserei-Kommando als Klempner tätig. Wann bekamst Du Verbindung mit der Partei? Sofort. Wann wurdest Du zu bestimmten Aufgaben herangezogen? Vom Jahre 1941 bis Ende. Ich war Vorarbeiter der Klempnerei-Werkstatt. Gab es politische Differenzen innerhalb der führenden Gruppen im Lager in bezug auf die Richtigkeit der Linie der Partei? Einzelne vertraten die Meinung, daß der Nichtangriffspakt [der Sowjetunion] mit Deutschland Verrat an der Arbeiterklasse war. Welche Rolle hat in dieser Frage Busse* gespielt? Diese Frage kann ich nicht beantworten, er war Blockältester der Bibelforscher. Ich wußte zwar, daß er politischer Häftling ist, seine persönliche Einstellung zur jeweiligen Politik kannte ich nicht. Ich gehörte nicht zu diesem Kreis. Busse gehörte zu der Gruppe Harry Kuhn*, Albert Kunze [Kuntz]*, Otto Heckert*, Jurisch [Walter Jurich]*.u 5 Standest Du auf dem Standpunkt, daß die politische Leitung im Lager ihren Aufgaben gerecht geworden ist, oder hat es Auswirkungen im Lager gegeben, wo die Masse der politischen Gefangenen nicht einverstanden war mit der Führung? Nein, sie war einverstanden. Das heißt, unsere Leitung hat ihre Aufgabe erfüllt? Ja. Hat der Lagerschutz seine Aufgabe, die man in ihn gesetzt hat, erfüllt? Ja. Ist es richtig, wenn man den Zusatz hinzufügt, mit Ausnahme einzelner Angehöriger des Lagerschutzes? ZPA1/2/3/155, Bl. 53-57. Erich Bär war 1946 in der Kaderabteilung der Landesleitung Sachsen der SED tätig. Gemeint ist offenbar die Gruppe der KP-Prominenz. Zwischen Kuntz und Jurich, die keine gemeinsame Gruppe bildeten, sondern jeweils eigene Anhängergruppen hatten, bestanden Führungsrivalitäten.
11.5.6 Vernehmung Ε. Bär
Α: F: A: F: A: F: A:
F:
A:
F: A: F:
A: F: A: F:
A: F: A:
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Es ist vorgekommen, daß der Lagerschutz geschlagen hat, das war aber aus den Situationen verständlich. Es ist sogar vorgekommen, daß welche totgeschlagen worden sind. Kam es nicht darauf an, unsere Parteiorganisation im Lager zu retten? Auf unserer Seite war das Recht. Gibt es einen Fall Bechert*? Er war Lagerältester. Stehst Du auf dem Standpunkt, daß B. mit Recht umgelegt wurde? Ich kann das nicht sagen, ich hatte nicht soviel Einblick. Im Lager spielen sich Dinge ab, von denen nicht jeder Häftling erfährt. Du erfahrst beispielsweise erst nach Wochen, das so etwas wie mit B. passiert. Hier taucht die Frage auf, ist jeder Fall vom Liquidieren mit Wissen und Bewilligung der Parteileitung erfolgt und hast Du die Auffassung, daß man in dieser Frage verantwortungsvoll gehandelt hat oder ist man mehr oder weniger leichtfertig zu diesen Abspritzungen gekommen? Ich setze voraus, daß nicht leichtfertig darüber entschieden wurde, sondern mit voller Verantwortung. Wenn ich mir die Genossen betrachte, die die Leitung gehabt haben, so muß ich das voraussetzen. Wie war das mit den Bedrohungen? Es liegt Material vor, wo Genossen von fuhrenden Parteileuten im Lager ständig mit dem Tode bedroht wurden. Das kann ich nicht billigen und solche Feststellung habe ich nicht ein einziges Mal treffen können. Mir ist so etwas nicht bekannt. Nach Aussage von fahrenden Genossen hat eine Atmosphäre der Bedrohung geherrscht, und ich weiß auch Fälle, wo diese Bedrohungen in die Tat umgesetzt werden mußten. Entsinnst Du Dich an den Mann, der Brillantenschiebungen gemacht und der mit der Effektenkammer zu tun gehabt hat? Ich kann nicht sagen, daß er bedroht wurde, und ich kenne auch keinen einzigen Fall. Wurde die Macht der einzelnen ausgenutzt, um sich auf diesem Wege Autorität zu verschaffen? Nein, und so eine Autorität war nicht vorhanden. Entsinnst Du Dich eines Falls, wo ein russischer Offizier, der zum Erhängen ins Krematorium gefuhrt wurde mit einer Gruppe von 15 oder 20 Mann, an der Tür ausgerissen ist, über den Zaun sprang und im Lager untergetaucht ist. Zwei Tage hat man den Mann vergeblich im Lager gesucht. Der Lagerschutz vertrat die Meinung, wir finden den Mann nicht. Am dritten Tag wurde der Mann gefunden, soviel ich weiß in der Kanalisation unter der Effektenkammer von einem Mann des Lagerschutzes und einem Feuerwehrmann. [Hein] Hauptmann hat diesen Mann an die SS ausgeliefert? Ja, ich erinnere mich daran, es war Ende 1944. Hat man im Lager viel darüber diskutiert oder nicht? Die Suchaktion wurde durchgeführt, und es ist darüber diskutiert worden.
290
F:
11 Kaderkontrolle
1946 (Ernst Busse)
A:
Hat ein Beschluß unserer Parteileitung im Lager bestanden, ihn auszuliefern oder nicht[?] Von einem solchen Beschluß ist mir nichts bekannt. Ist es möglich, daß einer unserer führenden Genossen im Lager von diesem Vorfall keine Kenntnis hatte? Das ist nicht möglich, das ganze Lager wurde durch [eine] solche Situation erfaßt. Ist es möglich, daß einer unserer fuhrenden Leute sagen kann: Ich kann mich nicht erinnern, daß so ein Fall gewesen ist. Bei einem fuhrenden Genossen? Nein, das ist nicht möglich.
F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A:
Mit wem hattest Du direkt Verbindung zum Parteiapparat? Mit Otto Heckert und Harry Kuhn. Bist Du oft mit ihnen zusammengekommen? Heckert und Kuhn haben mit uns Schulung über theoretische Fragen vorgenommen. Was hältst Du von Drewnitzki*? Ich weiß nicht, wer das ist. Und Osche*? Ich kenn ihn nur vom Ansehen. Und Toni Waibel*? Ich kann mich nicht erinnern, ihn zu kennen, er ist mir gegenüber nicht hervorgetreten. Mit dem Krankenbau hast Du etwas zu tun gehabt oder nicht? Nein. Wie ging das Aussuchen der Todeskandidaten vor sich? Ich habe keinen Einblick gehabt. Weißt Du, wer sie ausgesucht hat? [Die SS-Ärzte] Dr. Hoven, Dr. Eisele. Weißt Du, daß Kipp* und Rolf 116 auch Todeskandidaten ausgesucht haben? Das weiß ich nicht.
F:
Ist Dir ein Fall bekannt, wo ein Russe eingeliefert wurde im Krankenbau bei dem Gen. Drewnewski [Drewnitzki]*, er wurde nach ein oder zwei Tagen von D. weggeschickt, weil ihm signalisiert wurde, er sei ein schlechtes Element. Am nächsten Tag kam er mit einer ärztlichen Bescheinigung wieder ins Krankenhaus, er wurde von D. nicht angenommen und in die Baracke 61 geschickt, wo er nach zwei Tagen gestorben ist. Später hat sich herausgestellt, daß er einer der besten russischen Leute war. Glaubst Du, daß man in diesem Fall dem Kapo des Krankenhauses einen Vorwurf machen kann, daß er in dieser Beziehung leichtfertig gehandelt hat? Ich bin nicht der Meinung, daß Busse über alle Einzelheiten im Krankenhaus unterrichtet war.
A: F: A: F:
A:
116
Gemeint ist Rolf Markert, d.i. Helmuth Thiemann*.
II. 5.6 Vernehmung Ε. Bär
F: A: F:
291
Was ist Deine Meinung: Kann man solche Genossen an politisch exponierter Stelle einsetzen? In der gegenwärtigen Situation dürfte es zweckmäßiger sein, sie nicht in den Vordergrund zu stellen.
A:
Sind Dir Fälle bekannt, wo sich fuhrende Genossen bereichert haben an dem Hab und Gut von Häftlingen? Der Heizungs-Kapo 117 , der so arbeitete, daß er andere über die Klinge springen lassen wollte, um in den Besitz von deren Eigentum zu kommen. Wie ist Deiner Meinung nach die Verteilung der Rote Kreuz-Pakete vor sich gegangen? Die ist unterschiedlich vorgenommen worden. Haben sich die Prominenten im Lager daran bereichert? Ich habe den Eindruck: Ja. Wurde ein Teil zur Bestechung der SS benutzt? Das wird zweifellos so sein. Haben politisch arbeitende Genossen - sagen wir z.B. Du - über diesem Weg Sonderzuteilungen bekommen? Bei uns ist das ganz reell aufgeteilt worden. Ist Dir bekannt, wo tausende von unseren Genossen gehungert haben, fuhrende Genossen Lebensmittelpakete in den Puff gebracht haben? Ich weiß das nicht, denn ich habe nicht ein einziges Mal den Puff betreten. Gab es einen Beschluß, daß man dorthin nicht gehen sollte? Einen Beschluß gab es nicht, aber es bestand die Auffassung des Parteiaktivs, den Puff zu meiden. Führende Genossen im Lager haben sich an dieses ungeschriebene Gesetz gehalten oder nicht? Nein. Ist Dir bekannt, daß Busse wochenlang mit einer Frau in seinem Zimmer gelebt hat? Es ist darüber gesprochen worden. Wie war die Einstellung der Häftlinge dazu? Diese Dinge haben sich mehr an der Oberfläche abgespielt. Ich nehme nicht an, daß das allgemein bekannt war, das hat nur ein Teil gewußt. Hat man darüber gesprochen, daß man fur „Frau Busse" in der Krankenküche das beste Essen gekocht hat? Ja, solche Stimmen habe ich vereinzelt gehört.
117
Gemeint ist wahrscheinlich Hermann Krause* (KPD), vgl. Dok. 1.5.5.
A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F:
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II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
II.5.7 Franz Dobermann*, 13.10.1946118
F: A: F: A:
F: A:
F: A: F: A:
F: A:
Wie ist Deine Meinung über unsere politische Leitung im Lager im allgemeinen? Hat sie ihre Aufgabe erfällt oder nicht? Die Linie war richtig gewesen. Wann warst Du überhaupt in Buchenwald und was hast Du fur eine Funktion gehabt? Von Anfang bis Ende, d.h. von Juli 1937 bis kurz nach der Befreiung. Ich habe in den letzten Jahren im Apparat gearbeitet mit Richard Großkopf*, in den letzten Monaten habe ich dem Kopf [dieser Abwehrgruppe] angehört. Was fur eine Funktion hattest Du im Lager gehabt? Ich war einfacher Häftling im Block 7, dann im Block 10, dann im Block 25, dann ständig im Block 37, dann im Block 42. Ich war lange Zeit in der Tischlerei-Werkstatt und in der letzten Zeit außerhalb des Lagers als Heizer. Was ist Deine Meinung und wie war die Meinung der meisten politischen Häftlinge: Hat unsere Parteileitung ihre Aufgabe erfüllt oder nicht? Erfüllt. Gab es Gruppierungen im Lager? Ja, es gab im Anfang nur organisch zusammengesetzte Freundschaften. Mit dem Anwachsen der politischen Entwicklung und der an uns gestellten Aufgaben, wurde es notwendig, Gruppen zu organisieren. Hat die Jurich*-Gruppe eine Rolle gespielt? Ich selbst galt als Jurich-Mann, möchte aber bemerken, daß ich weder ein Jurich-Mann noch ein Kunze [Kuntz]*-Mann war. Für mich stand die Frage der Partei. Mit Jurich habe ich gern zusammengearbeitet, weil ich das Gefühl der Sicherheit hatte.
F.
Hieltest Du die Linie der Postenbesetzungl' 9 für richtig? Ja. Wir haben damit die Verantwortung für das gesamte Lager übernommen, das jetzt ein Arbeitslager wurde. Hunderten von Genossen wurde das Leben gerettet und Tausenden wurde das Leben erleichtert. Glaubst Du, daß es einige Genossen gibt, die ihre Machtpositionen leichtfertig ausgenutzt haben für Dinge, die man nicht decken kann und für Dinge persönlicher Natur? Ja, und zwar ohne an bestimmte Personen dabei zu denken: Das Lagerleben brachte viel Entbehrungen und Strapazen mit sich. Es gab eine Reihe von Leuten, die das ausgenutzt haben, um wieder besser leben zu können. Gab es vielleicht Fälle, wo das bis zur Bereicherung gegangen ist? Ja, zum Beispiel Heinz Dose*. Ich habe darüber Material zusammengestellt und es an die Partei weitergeleitet. Hat sich Busse* bereichert?
118 119
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl.64-69. Gemeint ist: die Besetzung der Posten von Funktionshäftlingen im Lager.
F: A:
F: A:
F: A:
II. 5.7 Vernehmung F. Dobermann
A:
F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A:
F: A:
F: A:
se) 121 122
293
Das kann ich selbst nicht sagen. Busse war eine umschriebene Gestalt 120 , ich weiß, daß er sich in der Puff-Angelegenheit nicht sauber verhalten hat, seine Haltung war nicht die eines verantwortungsbewußten Funktionärs gewesen. Warum? Zum Beispiel das Verhalten zu Kipp*. Kipp hat alle schmutzigen Sachen machen müssen. Ist Dir bekannt, daß Kipp die Todeskandidaten ausgewählt hat? Ja. Glaubst Du, daß er leichfertig dabei war? Nein, ich habe mich eingehend mit ihm unterhalten, und ich glaube das unter keinen Umständen. Hältst Du es fur möglich, daß man [an] diesen Dingen Geschmack gefunden hätte? Ich kann es nicht sagen, dazu fehlen mir Beweise, aber sage gefühlsmäßig: ja. Gab es solche Stimmen, welche besagte[n] : Kinder, wir gehen zu weit? Ja. Ging die Sache mit dem Heizer in Ordnung, mit dem Schmuck usw. 121 ? Ja. Er ist durch den Puff auf unebene Wege geraten. Ist es tragbar für die Partei, daß man Genossen, die in diesen Geschichten mit verwikkelt waren resp. ausschlaggebend waren, heute an führender Stelle läßt? Nein. Sind Dir Fälle bekannt, wo Genossen bedroht wurden von fuhrenden Leuten? Mir sind zwei Fälle bekannt. 1) Fritz Männchen*, dessen Leben an einem Seidenfaden hing. Der 2. Fall ist der der Partei bereits gemeldete Fall Werner Türpe* 122 . Ich möchte keine Angaben machen, weil ich in diesem Fall parteiisch bin. Das Material ist der Partei eingereicht. Albert Kuntz hat auch solche Bedrohungen gemacht. Und Busse? Ich kann keine konkreten Angaben machen, aber Tatsache ist, daß man nicht gem in seine Hände fiel. Er ist ein sehr kluger und geschulter Mensch und ist in solchen Fällen mit aller Vorsicht vorgegangen. Beweise bringen kann ich nicht, und ohne Beweise eine Beschuldigung aussprechen kann ich ebenfalls nicht. Erinnerst Du Dich an den Fall mit dem Russischen] Offizier (der Fall wird noch einmal vom Gen. Wolff geschildert). Ja, diesen Fall kenne ich, es war Ende 1944. Wir haben über diesen Fall sehr stark diskutiert. Der Mann wäre zu retten gewesen, das, was [Hein] Hauptmann* gemacht hat, wäre nicht notwendig gewesen. Meine persönliche Meinung ist die, daß es möglich gewesen wäre, den Mann aus dem Lager zu bringen. Die Leitung hatte es ja beispielswei-
Gemeint sein dürfte: ein mächtiger und vieldiskutierter Kapo. Gemeint ist offenbar erneut Hermann Krause (vgl. Dok. 1.5.5). Dobermann spielt hier auf Bedrohungen an, die nicht geklärt werden konnten.
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F: A: F: A:
F: A: F: A:
F:
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
se fertig gebracht, einen Holländer in einer Kiste herauszutransportieren, auch meine 123 Rettung wäre möglich gewesen. Hat ein Beschluß der Parteileitung vorgelegen: wir müssen ihn ausliefern? Ja, man sagte, es ging nicht anders. Ist es möglich, daß ein Mann der Leitung von diesem Vorfall nichts wußte? Unmöglich, das ganze Lager war in Aufruhr, denn es war der einzigste Fall, wo einer vom Galgen weggelaufen war, und die gesamte Sympathie stand auf seiten dieses Menschen. Wie war es möglich, daß dieser Mann gefunden wurde? Der Mann ist vielleicht blindlings herumgelaufen und hat keinen Anschluß bei unseren Leuten gefunden. Stimmt es, daß von unserer Lagerleitung eine Erklärung herausgegeben wurde, wir hätten kein Interesse an dem Mann, er wäre ein mieses Element? Ja, von der Lagerleitung, es kann aber auch möglich sein, von [Hein] Hauptmann oder [Erich] Reschke*. Auf jeden Fall von verantwortlichen Leuten. Hauptmann war ein Lump. Alle Funktionäre, die ein klein wenig im Lager mit offenen Augen herumgelaufen sind, haben von dieser Sache gewußt: Bibelforscher, Kriminalverbrecher und vor allem politische Häftlinge.
A: F:
Stehst Du auf dem Standpunkt, daß sich fuhrende Genossen von uns im Lager bereichert haben? Wie hoch ist die Summe, die die Partei von Buchenwald bekommen hat? Einige tausend Mark. Die Summe könnte erheblich höher sein. Wie war die Verteilung der Rote Kreuz-Pakete : Harry [Kuhn]*, Walter [Bartel]*, [Walter] Jurich, Albert Kuntz, [Heinz] Dose und [Otto] Kipp, die ganze Prominenz hatte reichlich zu fressen und zu saufen, während andere hungerten. Stimmt es, daß „Frau Busse" das Schönste und Beste zum Essen bekam? Ganz selbstverständlich. - Liska 124 hat Goldzähne für die Huren gemacht, und für unsere Genossen wurde nichts gemacht. Was wurde mit den Brillanten, mit dem Geld und anderen Wertsachen, die man in den Kleidern der Juden gefunden hatte, gemacht? Wo gingen die Sachen hin? Hat man das alles zur Bestechung der SS gegeben oder wo blieben sie? Das weiß ich nicht. Ist Dir bekannt, daß Angehörige des Lagerschutzes neu eingelieferte Häftlinge gefilzt haben? Ja. Wer hat über dieses Geld verfügt?
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Vermutlich Fehlschreibung fur „seine". Gemeint ist Arno Liske* (KPD), Kalfaktor der Häftlingszahnstation.
A: F: A: F: A:
F: A: F:
A: F:
II. 5.7 Vernehmung F. Dobermann
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A: F: A:
Die Parteileitung. Haben sich unsere Genossen daran bereichert? Ich kann den Nachweis dafür nicht erbringen.
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Ist Dir bekannt, daß z.B. Busse wochenlang mit einer Frau im Lager gelebt hat? Ja, in der Revierstube. Haben dort noch mehrere Frauen gelebt? Es war bekannt. Lange Zeit? In mehreren Abständen. In der letzten Hälfte des Jahres 1944 trat ich an Busse heran, und zwar im Krankenbau, als er auf dem Wege war zu einer anderen Baracke und sagte ihm wörtlich: „Ernst, gegen Dich werden Vorwürfe erhoben, daß Du ein Puffgänger bist und Deine Hure wiederholt im Krankenbau besonders gut verpflegen läßt. Es würde mich interessieren, da Du ja weißt, daß ich in diesen Sachen arbeite 125 , um zu wissen, ob das wahr ist?" Busse antwortete nicht mit ja oder nein, sondern sagte nur wegwerfend: „Der ganze Rotz ekelt mich bald an." Ich habe dieses später in einer persönlichen Unterhaltung mit dem Gen. Gerhard Schuster126 über die Haltung von Busse besprochen. Wenn verantwortliche Funktionäre uns in den Rücken fallen und gehen in den Puff, so ist das eine Schweinerei.
F: A:
Gab es so einen Beschluß, nicht in den Puff zu gehen? Nein, es hat kein Beschluß bestanden, der Kampf der Mitglieder der Partei war gegen den Puff eingestellt und hat durchgesetzt, daß eine starke Bewegung gegen diesen Puff zustande kam. Das hat sich darin ausgedrückt, daß von den vielen Tausenden [Häftlingen] nur ca. 300 in den Puff gingen, das waren meistens die Berufsverbrecher. Nur wenige von unseren Genossen gingen hin, u.a. Busse, Hertig 1 2 7 , Dose usw. Zu Heinz Dose: In meiner Tätigkeit im Apparat erhielt ich Kenntnis, daß Dose eine Kiste anfertigen ließ (kleine Transportkiste - 80 χ 60 cm). Diese Kiste hatte einen doppelten Boden mit einem Spielraum von 2 bis 3 cm. Diese Kiste hat zwei Tage unter seinem Bett gestanden und ist dann rausgeschaffi worden bei einer Fahrt nach Weimar, zu seinem Verbindungsmann, dessen Name mir entfallen ist. Der Parteileitung und [dem Kontrolleur Hein] Hauptmann habe ich davon Kenntnis gegeben, daß mit dieser Kiste bestimmt Uhren oder andere Gegenstände, vielleicht Geld herausgeschmuggelt werden soll. Hauptmann erhielt den Auftrag, die Sache zu beobachten und im gegebenen Moment zuzufassen. Leider versagte Hauptmann dabei, denn diese Transportkiste war eines Tages spurlos verschwunden, man hat nichts wieder davon gehört. Nach diesem Vorfall ließ Heinz Dose zwei Schmuckkästchen anfertigen. Diese Schmuckkästchen hatten zwei Geheimfacher, ein Geheimfach, welches von oben geöffnet wurde und verhältnismäßig leicht zu finden war. Das zweite Geheimfach war im Boden und konnte
125 126 127
Anspielung auf seine Funktion in der Abwehrgiuppe der illegalen KPD in Buchenwald. Gerhard Schuster, KPD, Löschgruppenleiter der Häftlingsfeuerwehr in Buchenwald. Nicht identifiziert.
296
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
nur geöffnet werden durch Loslösen der Füße. Der Sinn der zwei Geheimfächer war der, daß, wenn man das erste Geheimfach findet, man der Meinung ist, man hat alles gefunden und nicht mehr weiter forscht nach dem zweiten. Das zweite war so winzig klein gewesen, daß man nur Gegenstände verstecken konnte, die verhältnismäßig klein waren: kleine Uhren, Edelsteine. Beide Schmuckkästchen wurden von Dose herausgeschoben nach Weimar. Von dieser Angelegenheit hatte die Parteileitung Kenntnis. Nach der Befreiung habe ich, damit sich Dose nicht in den Besitz dieser Sachen setzen konnte, an Gen. Jub Schabbe 128 von Düsseldorf Meldung gemacht. Ich war von der Voraussetzung ausgegangen, daß, da Heinz Dose Düsseldorfer ist, [er] nach dort zurückgeht.^129 F: A: F: A:
F: A: F: A:
F: A: F: A: A: F:
128 129 130 131
Stehst Du auf dem Standpunkt, daß der Lagerschutz für die Partei eine positive Einrichtung war? Ja. Gibt es konkrete Fälle, wo man dem Lagerschutz vorwerfen könnte, daß er nicht richtig gehandelt hat? In Fällen von Bereicherung und in Fällen von Behandlung 130 ? [Der Lagerschutzfuhrer] Karl Keim* war beispielsweise ein positiv eingestellter Genösse, er war als solcher zum Lagerschutz eingesetzt mit Einstimmung131 der Partei. Er hat seine Truppe nicht immer in der Hand gehabt. Er hat nicht die schärfste Kontrolle durchgeführt und konnte sie nicht durchführen, da er selbst durch Rote Kreuz-Pakete und wahrscheinlich auch andere Vorteile selbst in ein schiefes Licht geraten war. Er konnte deshalb nicht durchgreifen. Wie stehst Du zum Fall Bechert*? Er war ein negatives Element und ist mit Recht liquidiert worden. Kennst Du Drewnitzki* und was ist Deine Meinung über ihn? Für die politische Arbeit im Lager war er eine Null. Er war immer auf persönliche Vorteile bedacht. Für ein Stückchen Butter machte er [Heinz] Dose die größten Schmeicheleien. Der Klang, den er im Lager hatte, war nicht gut. Er war ein Querulant. Und Toni Waibel*? Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Ist Dir ein solcher Fall bekannt? (Gen. Wolff schildert den Fall mit dem Russen). Wer hätte Deiner Meinung nach in einem solchen Falle die Schuld? [sie!] Busse unter allen Umständen, zumindestens muß doch von der Parteileitung jemand eingesetzt sein, der solche Fälle geprüft hätte. Ist der Parteileitung diese Liquidierungsgschichte (abspritzen) vielleicht über den Kopf gewachsen? Josef Schappe, vor 1933 in der KPD-BL Niederrhein, 1935 verhaftet, 1938-45 im KZ Buchenwald, zuletzt Blockältester 37. 1945 Leiter der KPD-Gruppe Niederrhein. Dose blieb aber in der SBZ. Gemeint ist vermutlich: Fälle, in denen Häftlinge vom Lagerschutz schlecht behandelt worden sind. Gemeint ist: Zustimmung der illegalen KPD-Leitung im Lager.
II. 5.8 Vernehmung R. Jahn
297
A:
Ich sehe in der Frage der Liquidierunge[n] zwei Perioden. Die erste Periode unter dem SS-Arzt Dr. Hoven, der fur uns als Werkzeug galt und ein Mensch war, der mordete aus Lust am Mord, der nicht nach Beweggründen ging. Bei Hoven genügte ein Wort „mies", sofort spritz[t]e er denjenigen ab. Die zweite Periode ist die der Massenliquidierung im Block 61 im Kleinen Lager 132 , die zu einem gewissen Teil unter der Leitung stand von SS-Hauptscharfiihrer Wilhelm ....[sie!]133 , wo aber auch aus eigener Initiative unserer Leute die Sache durchgeführt wurde.
F:
Was ist Deine Meinung, ist es tragbar, daß man Genossen, die sich im Lager in dieser Beziehung betätigen mußten, heute auf verantwortliche Positionen stellt? Nein, das ist nicht tragbar. Busse hatte im übrigen keine Sympathien im Lager auf Grund seiner gesamten Haltung, die nicht klar war.
A:
II.5.8 Rudi Jahn*, 13.10.1946134
F: A: F: A: F: A:
132
133 134
135 136
Wie lange warst Du im Lager? Seit 7. September 1939 bis zur Befreiung. Wie lange hast Du eine Funktion im Lager gehabt? Von Anfang an, ich gehörte mit zu den sogenannten Aktivisten fur eine geordnete Parteiarbeit (von Mitte [19]40 an) Welche Funktion hattest Du im Lager innerhalb der Partei und innerhalb des Lagers? Innerhalb der Partei von Mitte [19]40 die Leipziger Gruppe und später hatte ich für die westsächsischen Parteigenossen die Verantwortung, von 1943 ab hatte ich die gesamte sächsische Organisation 135 , von 1943 war ich fur den ganzen Komplex verantwortlich (arbeitsmäßig), ganz zum Schluß war ich verantwortlich fur Block 38 „internationales Aktiv". Für jeden Block war ein politisch verantwortlicher Leiter [eingesetzt]. Während des Aufstandes war ich politischer Berater fur den deutschen Sektor. 136 LagerfunktioGemeint sind die Selektionen ankommender Häftlinge im Zuge der KZ-Evakuierungen nach Buchenwald im Herbst und Winter 1944/45, bei denen angesichts der Überfullung des Lagers geschwächte und kranke Häftlinge unmittelbar bei der Ankunft im Kleinen Lager durch Injektionen von SS-Lagerärzten - und nach dieser Ansicht auch Mitarbeitern des Kapos des Häftlingskrankenbaus - getötet wurden. Der Protokollant hatte offenbar nicht erkannt, daß Wilhelm hier einen Nachnamen bezeichnet, nämlich den Sanitätsdienstgrad SS-Oberscharfuhrer Friedrich Wilhelm. Vgl. Dok. 1.5.1, Anm. 94. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 58-63. Rudi Jahn, Agitprop-Sekretär der sächsischen KPD, war seit 1939 im KZ Buchenwald und dort überwiegend in ruhige Positionen (Kalkulation, Schreibarbeiten) gehoben worden, ohne Funktionshäftling zu werden; seitens der illegalen KPD betreute er die sächsischen Genossen und später den Prominentenblock. 1946 war er Vorstandsmitglied des FDGB in Sachsen und dort verantwortlich für Schulung und Bildung. Gemeint ist: die aus Sachsen stammenden Kommunisten im Lager. Diese hochtrabende Formulierung, die sich an die Komissarposition in der Roten Armee anlehnt, umschreibt, daß er im Frühjahr 1945 in die dann von den Deutschen verschobenen Aufstandsvorbereitungen - und zwar in deren deutsches Kontingent - eingeweiht war, ohne an ihnen mit der Waffe teilzunehmen.
298
II. Kaderkontrolle
1946 (Emst Busse)
nen hatte ich überhaupt keine. In der DAW war ich in meinem Beruf tätig: Tischler und Polierer. Von 1940 ab machte ich im Büro die Kalkulation, und zwar bis zum Luftangriff 1944, dann war ich kurze Zeit als Schreibhilfe tätig und kam später wieder zurück in die DAW. Dann war ich im Bergungstrupp, da war ich Leiter, aber das war eine inoffizielle Parteifunktion. F: A: F: A:
Hat unsere Lagerleitung die Aufgabe erfüllt, die man von der Leitung erwarten konnte? Das kann man ohne weiteres sagen, vor allem für die letzten 2 - 3 Jahre. Gab es politische Differenzen? Ja, und zwar folgender Art: 1) gab es Differenzen um die Führung im Lager, weniger im gesamten Lager, als in den Kreisen der sächsischen Genossen. Walter Jurich* hat sich bis 1939/40 die Leitung angeeignet. Ich stand gegen Jurich zu Walter Bartel*, Harry Kuhn* und Albert Kunz [Kuntz]*. Dort ging es im wesentlichen um die Führung. Es gab eine weitere Gruppierung, insbesondere von den Genossen vom Niederrhein und Ruhrgebiet, die gegen die straffere Zusammenfassung opponierten, die sich dagegen wandten, daß man Gruppen von 5 - 6 Mann schaffte, sie waren der Meinung, daß man im losen Freundschaftskreis zusammenkommen könnte. Dort gab es Differenzen.
F:
Welche Gruppe hat die Linie vertreten, es ist sowieso alles vorbei, der deutsche Faschismus macht sowieso das Rennen, die Politik der Sowjetunion ist falsch. Eine solche offizielle Auffassung hat es in der Parteiführung bei keiner Gruppe gegeben, sondern das waren einzelne persönliche Auffassungen. Ich kann mich erinnern, daß wir einige Tage vor Beginn des deutsch-russischen Krieges Diskussionen hatten derart, daß Kuntz, Bartel und ich der Auffassung waren, der Krieg gegen die Sowjetunion steht noch nicht unmittelbar bevor, während Jurich der Auffassung war, der Krieg kann jeden Tag losbrechen. Sie hatten Informationen durch den Rundfunk. Der Rundfunk war bis dahin ausschließlich Monopol der Gruppe Jurich, sie hatten ihn für ihren persönlichen Bedarf.
A:
F: A:
Was ist Deine Meinung über Drewnewski [Drewnitzki]*? Auf den Mann kann ich mich nicht besinnen. Mir ist er in meiner Arbeit nicht entgegengetreten. Alle führenden Genossen haben ich nicht gekannt. Informationen erhielt ich entweder von Walter Bartel, Harry Kuhn oder Albert Kuntz. Ich wußte offiziell nicht, wer die Gruppe im Rheinland, Ruhrgebiet usw. leitet.
F:
A:
Es wurden eine Menge Leute gespritzt137 . Bist Du der Meinung, daß unsere Leitung in dieser Beziehung alles getan hat, daß die Dinge im Rahmen dessen blieben, was man heute decken kann? Die Dinge waren so, daß vorgeschrieben waren die Leute, die gespritzt werden sollten, vom Lagerdienst oder von der politischen Lagerleitung der SS. Dann wurde im Lager zu Versuchszwecken gespritzt, wo sich der Lagerarzt einfach Leute heraussuchte, es mußten an einem Tag beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Leuten gespritzt wer-
137
Gemeint ist: wurden getötet.
11.5.8 Vernehmung R. Jahn
F: A:
F: A: F: A:
299
den. Es bestand die [Partei-] Linie, alle wertvollen Leute, nicht nur Deutsche, müssen auf alle Fälle gerettet werden. Jetzt stand die Frage: wie werden unsere Leute gerettet. Dabei gab es solche Sachen, daß man da und dort irgendeinen Verräter, Spitzel oder Zinker auf diese Tour beseitigt hat. Das ist nie so geschehen, daß das Busse*, Kipp* oder Thiemann* bestimmten, sondern, wenn es sich um solche Fälle handelte, wurde das mehr oder weniger in der offiziellen Leitung besprochen und festgelegt. Hast Du nicht davon gehört, daß diese Dinge in der weiteren Entwicklung, als das Riesenausmaße annahm, unseren Leuten über den Kopf gewachsen sind? Solche Stimmungen sind dagewesen, es gab ungeheuere Spannungen internationaler Art, Polen gegen Deutsche usw. Da sind hier und da im Stillen solche Äußerungen getan worden, als wenn man Leute, die ihnen unangenehm waren, liquidiert hätte. Emstlich sind solche Vorwürfe nicht erhoben worden. Bechert* hast Du gekannt? Ja. Ist er zu Recht umgelegt worden? Ja, ich habe nicht den Eindruck, daß man leichtfertigerweise irgend welche Leute liquidiert hätte, soweit ich Einblick hatte natürlich.
F: A:
Gibt es solche Dinge, wo Genossen mehr oder weniger im Lager bedroht wurden? Wenn einer versuchte, aus der Reihe zu springen. Es war ein ehernes Gesetz: jeder Zinker geht auf den Rost, nur, wenn die Sicherheit der Arbeit der Partei auf dem Spiele steht.
F:
(Rekonstruiert ihm den Fall mit dem kranken Russen.) Wie ist Deine Meinung, wer hatte in einem solchen Falle die Schuld? Innerhalb des russischen Aktivs gab es auch heftige Differenzen, wo eine Gruppe die Führung der anderen nicht anerkannt hat. Meines Erachtens war es leichtfertig von Drewnitzski. Er hatte zumindestens die Möglichkeit gehabt, nachzufragen beim russischen Parteiaktiv. Konkret ist mir dieser Fall nicht bekannt, ich weiß nur, daß es solche Führungskämpfe mit vielen Intrigen gegeben hat. Du meinst, daß alle diese Fälle mehr oder weniger den damaligen Verhältnissen des Lagers entsprechend akkurat durchgeführt wurden? Ja - daß da manchmal vielleicht ein falscher Griff infolge Intrige oder ähnlicher Dinge gemacht wurde, ist möglich.
A:
F: A: F: A: F: A:
(Rekonstruiert ihm den Fall mit dem entlaufenen russ.[ischen] Offizier.) Es gab einen solchen Fall, er war im Lager bekannt, und es wurde viel darüber gesprochen. Was war fur eine Diskussion: sollte man ihn ausliefern oder nicht? Irgendwelche Maßnahmen wurden nicht herausgegeben, daß hätte dann zweifellos eine Diskussion darüber gegeben. Nur in kleineren Kreisen, wo das bekannt wurde, stand die Frage: was werden wir machen?
300 F: A: F: A: F: A:
F: A: F: A:
F: A:
F: A: F: A: F:
138 139
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Gab es einen Beschluß, ihn auszuliefern? Nein, davon ist mir nichts bekannt. Weißt Du, unter welchen Umständen er gefunden wurde? Das kann ich nicht mehr sagen. Hat es einen Beschluß gegeben offizieller Art: Schluß mit der Diskussion, das war ein mieses Element? Davon ist mir nichts bekannt. Wenn ein Beschluß bestanden hätte, den Mann auszuliefern, dann hätte man ihn nicht unter dieser Motivierung ausgeliefert. So etwas ist mir nicht bekannt. Ist es möglich, daß einer oder mehrere der fuhrenden Genossen diesen Vorfall nicht gewußt haben? Das ist unmöglich, das ist allen führenden Genossen bekannt gewesen, auf jeden Fall. Es ist unmöglich, daß sich Busse nicht an diesen Fall erinnern kann. Wie ist das gewesen mit persönlichen Bereicherungen führender Genossen? Das ist ein heikles Gebiet, wo ich selbst auch nicht reinblicken konnte. Geredet worden ist davon sehr viel, dieses wurde den Genossen vorgeworfen, die in der Effektenkammer gearbeitet haben, Hertig, Mislik (Leipzig) 138 , Heinz Dose* wurden sehr oft in diesem Zusammenhang genannt. Ich bin offiziell bei Hermann (Matern) 139 dafür eingetreten, daß diese Dinge untersucht wurden. Sind die überzähligen Roten Kreuz-Pakete Deiner Meinung nach gerecht verteilt worden? Nein, dieses Kapitel hat sehr viel Staub aufgewirbelt. Da ist manches auf krummen Wegen gegangen. Die SS hat einen Haufen dieser Sachen bekommen, dann ging ein Teil ins Lager. Der Rapportführer bestimmte, welches Arbeitskommando Extrapakete bekam. Große Kommandos, wie DAW, wurden schlecht versorgt. Ein Teil wurde genommen, um die SS zu bestechen. Wir haben auch Gruppen gehabt, die eine solche Politik machten, daß sie sich mit Marmelade oder Wurst andere hörig machten. Das war das trübste und scheußlichste im Lager [sie!]. Schiebungen waren noch und noch im Lager. Daß diese in die politische Arbeit hineinspielten, war klar. Stimmt es, daß unsere führenden Genossen einen Teil dieser Sachen in den Puff gebracht haben? Ja, das stimmt, das hat viel Staub aufgewirbelt. Gab es einen Beschluß, nicht in den Puff zu gehen? Ein offizieller Beschluß ist nicht gefaßt worden, es hieß, das wäre eine Selbstverständlichkeit. - Es war eine schlechte Sache, daß Busse zu den Puffgängern gehörte. Ist Dir bekannt, daß Busse offiziell mit einer Hure, die dort unter dem Namen „Frau Busse" bekannt war, lebte? Gemeint sind vermutlich Karl Gärtig* und Heinz Mißlitz*. Klammerzusatz im Original. Matern war 1945/46 1. Sekretär der Bezirksleitung Sachsen der KPD gewesen, wo Jahn in der FDGB-Landesleitung arbeitete.
11.5.8 Vernehmung R. Jahn
A: F: A: F: A: A:
F: A:
F: A:
F: A:
301
Ja, das stimmt, er konnte Tag und Nacht dort ein- und ausgehen. Sie hat offiziell bei ihm gewohnt. Das ist das, was ich Busse am schwersten anrechne, und ich habe mich mit Busse deswegen verfeindet. Kennst Du [Hermann] Zilles*? Der Name ist mir nicht bekannt.[sie!] Sie sind den Huren so hörig gewesen, daß sie manches gemacht haben, was sie heute nicht wahr haben wollen. Andererseits war es so, daß die Leitung Busse nicht fallen lassen konnte, wir haben öfters darüber gesprochen. Warum konnte man das nicht? Busse wußte zuviel. Ich habe den Eindruck gehabt, daß unsere Parteileitung Busse gegenüber nachsichtig war, weil sie mit ihm nicht so umspringen konnte, wie das notwendig gewesen wäre. Ich möchte fur das letzte Jahr meine Hand für Busse nicht ins Feuer legen. Glaubst Du, daß es tragbar wäre fur die Partei heute, eine Figur wie Busse an solche Stellen 140 zu setzen? Es ist insofern nicht tragbar, als viele Leute, international gesehen, wissen, was Busse im Lager war. Ich beispielsweise könnte Busse irgendwelchen Genossen gegenüber (Tschechen, Franzosen usw.) nicht verteidigen. Du meinst, es wäre taktisch klüger, ihn zumindestens aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen? Wir haben das mit Lisko 141 in Leipzig ebenfalls gemacht.
F: A: F: A:
Du kennst doch diesen [Hein] Hauptmann*? Ja. Wie ist Deine Meinung über ihn? Ich hätte mit Hauptmann illegal nicht zusammengearbeitet, er war mir zu undurchsichtig. Er hat als rechte Hand von Reschke Einblick in alle Dinge gehabt. Es stimmt, er hat der Partei viel geholfen, er hat seine Stellung aber auch benutzt zu persönlichen Vorteilen, obwohl ich ihm konkret nichts beweisen kann. Ich habe mit diesen Leuten: Reschke, Busse, Hauptmann usw. nur soviel Bindung gehabt, als das ich wußte, was sie machen. In ihrem engeren Kreis habe ich mich nicht aufgehalten. In manche Dinge habe ich deshalb keinen Einblick.
F:
Was ist Deine Meinung: Hat der Lagerschutz die Aufgabe, die man in ihn gesetzt hat, erfüllt? Das kann man ohne weiteres sagen, er hatte eine äußerst komplizierte Stellung. Der Lagerschutz hat im großen und ganzen seine Aufgabe erfüllt, mit Ausnahme irgend welcher schlechter Elemente, die sich Übergriffe erlaubt haben?
A: F:
140 141
Gemeint ist: wie sein Ministeramt in Thüringen. Gemeint ist Arno Liske*, der 1945 persönlicher Referent des Oberbürgermeisters von Leipzig war und 1946 Regierungsoberinspektor bei der thüringischen Polizei wurde.
302 A:
A:
11. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Generell gesehen hat der Lagerschutz seine Aufgabe erfüllt. Der Lagerschutz hat Tausenden unserer Genossen das Leben gerettet. Es wäre vollkommen falsch zu sagen, der Lagerschutz hätte seine Aufgabe nicht erfüllt. [sie!] Es hat im Lager zwischen der SS auch einen Haufen Cliquenkämpfe gegeben, die SS war durch und durch korrumpiert. Auf Grund der Korruptheit der SS war vieles möglich. Wenn die Lagerleitung diese Dinge nicht ausgenutzt hätte, hätte sie nicht so arbeiten können.
Zusammenfassend sagt Rudi Jahn: Busse ist allen Ausländern, die länger im Lager waren, insbesondere prominenten Franzosen, Tschechen, Polen ein Begriff. Sie wissen zwar, daß er vielen geholfen hat, wissen aber auch, daß er nicht einwandfrei war, und es wäre zweckentsprechender, Busse nicht im Rampenlicht der öffentlichen Posten zu lassen.
II.5.9 Otto Kipp*, 14.10.1946142
Kipp, Otto, im Lager vom November 1938 bis Schluß. Bis April 1939 in der Tischlerei, dann bis Oktober 40 in der Häftlingsschreibstube, dann bis März 42 in der Häftlingspoststelle, bis Juli 42 beim Sonderstrafkommando, bis Juni 1943 im Krankenbau, bis September 43 im hygienischen Institut Block 5 0 1 4 3 , dann bis Schluß im Zentralen Krankenbau 144 . Bis 1939 hatte er Verbindung mit den sächsischen Genossen, wurde aber nicht zur zentralen Arbeit herangezogen. Es bestanden zwei politische Gruppen, die einen unter Jurich*, die andere unter Kunze [Kuntz]*! Es ging damals um die Frage, ob man die Genossen landschaftsmäßig oder arbeitsmäßig zusammenfassen soll und um die Frage der Führung. Er selbst stand zu Kuntz! Die Leitung hat ihre Aufgabe im allgemeinen gut durchgeführt. Die Kritiker an der Leitung sind meist solche, die durch gesicherte Stellungen gedeckt waren und der eigentlichen Parteiarbeit mehr fem standen. Schwankungen gab es sowohl beim Vertragsabschluß [des Hitler-Stalin-Pakts] wie beim Vormarsch der Deutschen in die SU, aber es gab in der Leitung nie Zweifel, daß die endgültige Niederlage des Faschismuses kommen müsse. Der beste Beweis sei die Kundgebung gewesen, die im Lager durchgeführt wurde, als die ersten russischen [Kriegs-] Gefangenen eingeliefert wurden. Vom Verrat der SU sprachen nur Trotzkisten und KPO-Leute. 142
143
144
SAPMO-BA, ZPA 1/2/155, Bl. 49 f. Nach dem Diktatzeichen zu schließen führte die Vernehmung Sepp Miller. Otto Kipp war nach seiner Freilassung aus amerikanischer Untersuchungshaft im Sommer 1946 (vgl. Dok. III.2) in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt tätig. Gemeint ist das Hygiene-Institut der Waffen-SS Berlin, Abteilung fur Fleckfieber und Virusforschung WeimarBuchenwald. In Block 50, einem 1943 neu umgebauten Teil der Fleckfieberstation (Block 46), wurde im Sommer 1943 eine Fleckfieberserumproduktion aufgenommen und ein Gästelabor für Mediziner aus der Wehrmacht und Industrie eingerichtet. Busses Stellvertreter als Kapo.
11.5.9 Vernehmung Ο. Kipp
303
Die Besetzung der Posten durch unsere Genossen war absolut richtig. Es ist unvorstellbar, wie es verlaufen wäre, wenn die Posten durch Grüne oder andere Elemente besetzt worden wären. Das Lager Buchenwald war zweifellos am besten von allen anderen Lagern organisiert, sowohl in politischer wie in moralischer Hinsicht. / Der Lagerschutz war gut, wir haben viele Positionen der SS aus den Händen genommen. Hätten wir ihn nicht besetzt, so wäre er durch die BVer besetzt worden. Bei soviel Menschen, darunter zahlreiche schlechte Elemente, war es unumgänglich, gegebenenfalls auch mit scharfen Maßnahmen vorzugehen. Bei der Liquidierung schlechter Elemente zur Rettung guter hat die Leitung stets die Übersicht gehabt und mit den anderen Nationen eng zusammengearbeitet. Z.B. kamen einmal innerhalb 3 Wochen ca. 20.000 Menschen aus anderen Lagern. Man kann sich keine Vorstellung machen, in welcher Verfassung. Ein großer Teil Sterbende, solche, die nicht mehr zu retten waren, Leute, die vollkommen apathisch und hoffnungslos waren und mit dem Leben schon abgeschlossen hatten. Auf Veranlassung des Arztes Schiedlauski sollte massenmäßig abgespritzt werden. Wir taten alles nur Erdenkliche, um diesen Massenmord auf ein Minimum zu beschränken. Wir bauten Leute von uns ein, auch einen russischen Arzt, um zu retten, was eben zu retten war. Kipp selbst hat niemals Kranke zum Liquidieren ausgesucht. Nicht einen! Die Kranken, bei denen eine Rettung aussichtslos war, gingen automatisch nach Block 61 145 . Der Fall des Ausreißers vom Galgen ist ihm bekannt, jedoch nicht in seinen Einzelheiten. Er glaubt, er wurde von einem SS-Mann und einem Lagerschutz-Mann zuerst gefunden, dann sei er abgeliefert worden, sei aber noch mal durchgebrannt und von zwei SS-Offizieren mit Hunden wieder eingeholt und gehenkt worden, er hält es fur möglich, daß die Leitung nichts davon wußte. / Auch an den Fall des kranken Russen, der im Revier von Drewnitzki* abgewiesen wurde, kann er sich erinnern. Wer die Schuld an seinem Tode trägt, kann er nicht sagen. Busse brauchte davon nichts zu wissen, er kann sogar ohne Wissen des Drewnitzki nach Block 61 geschickt worden sein. Bezüglich der Verteilung der Pakete sagte er, daß im Krankenbau ganze Berge von Paketen aufgestapelt waren. Er hat sie unter Hinzuziehung des französischen Arztes Maydier 146 aufgeteilt. Niemand wird daran Kritik üben können. Die Verteilung erfolgte absolut korrekt. Besondere Speisen für die Insassen des Bordells sind in der Küche des Krankenblocks nicht hergestellt [worden]. Es gab Fälle, wo der Arzt Diät verordnete, diese Speisen wurden nach dem Bordell hingebracht. Über eine Bereicherung von prominenten Genossen kann er nichts sagen, er hat jedenfalls eine solche nicht wahrgenommen. Bezüglich des Bordells sagt er, daß allgemein daraufhingewiesen wurde, daß keiner hingehen soll. Ob es einen diesbezüglichen Beschluß gab, weiß er nicht. Busse sagte ihm, daß er im Auftrage der Partei hingehe, um zu beobachten. Anfangs mag das so gewesen sein, im Laufe der Zeit hat Busse aber seinen Auftrag überschritten. In Busses Zimmer lagen kranke 145 146
Block 61 war eine Krankenbaracke im Kleinen Lager, in der im Winter 1944/45 die „Abspritzungen" vorgenommen wurden. Nicht identifiziert.
304
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Frauen, schon aus diesem Grunde sei die Sache nicht zu beanstanden. Auf Befragen gibt er zu, daß allgemein von einer „Frau Busse" gesprochen wurde. Busse hat sicher in dieser Frage Schwächen gehabt. / Bechert* ist zu recht gefallen. Insgesamt ist er der Meinung, daß die Leitung einschließlich Busse* gedeckt werden muß.
II.5.10
F: A: F: A: F: A:
Fritz Männchen", 14.10.1946147
Zu welcher Zeit warst Du in Buchenwald? Ich bin 1933 festgenommen worden, in Buchenwald war ich seit dem 21.8.1937 bis zum Schluß. Du kennst mehr oder weniger alle Vorgänge, die sich dort abgespielt haben? Ja, alle. Welche Funktionen hattest Du im Lager? Ich war Blockältester vom 17.10.1937 auf Block 23, das war ein politischer Block. Einige Monate später bekam ich den Bibelforscherblock, dann wurde ich auf Grund meiner früheren polizeilichen Tätigkeit Lagerältester im Block 2 1 4 8 , und zwar von [19]38 zu 39. Dann wurde ich abgelöst und sollte zu Hitlers Geburtstag entlassen werden; dann wurde ich Lagerkapo, kam dann strafweise in den Steinbruch, wo ich ca. 1 Jahr war. Dann wurde ich wieder Blockältester und Kontrolleur. Dann wurde ich 1943 abgelöst und ging auf Veranlassung von Rudi Hempel 149 nach Leipzig [in ein Außenlager von Buchenwald]. Da wurde ich Lagerältester. Erst am 5.4.[1945] ging ich wieder nach Buchenwald und bin dann bis zur Befreiung dort geblieben.
F: A:
Von 1943 bis 1945 warst Du nicht in Buchenwald? Nein, aber ich kam sehr häufig hin, jeden Monat zum Essen holen, oder wenn ich zum Zahnarzt ging. F: Politischen Anschluß hattest Du immer? M: Ja, ich gehörte zur Gruppe Jurich*, weil ich nicht zur Gruppe Busse* und Kunze [Kuntz]* gehörte, war die Feindschaft im Lager. F:
Stehst Du auf dem Standpunkt, daß unsere Parteileitung im Lager ihrer Aufgabe gerecht geworden ist?
147
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl.70-74. Männchen war 1946 Chef des sächsischen Landeskriminalamtes in Dresden. Von der Buchenwalder-Parteikontrollkommission war er am 27.4.1945 mit folgender Begründung aus der KPD ausgeschlossen worden: „Die gesamte Vergangenheit von Männchen im Lager ist so bekannt, daß es keiner weiteren Begründung bedarf, ebenfalls fehlt bei ihm die illegale Arbeit." Männchen war 1921-33 in Chemnitz und Dresden Angehöriger der Schutzpolizei; daneben hatte er eine verdeckt Mitgliedschaft in der KPD. Block 2 war ein „grüner" Block, gemeint ist vermutlich Block 1, in den Anfangsjahren des KZ Sitz der Schreibstube und des Büros des Lagerältesten. . Rudolf Hempel (geb. 1912), KPD-Betriebsinstrukteur aus Dresden, in Haft seit Oktober 1933, im KZ Buchenwald in der späteren Kriegszeit Mitglied der illegalen Bezirksleitung Ostsachsen der KPD.
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11.5.10 Vernehmung F.
A: F: A: F: A:
F: A:
F: A:
Männchen
305
Jawohl, in der ganzen politischen Entwicklung muß ich sagen, daß Jurich der Beste war. Wer ihn angreift, ist ein Lump, er war der Kopf unserer Sache. Wie kommt es, daß die politische Führung dann aber in anderen Händen war? Nun, das war eben der Kampf, zwischen Jurich, Hempel, mir und der anderen Gruppe. Ist Deiner Meinung nach die Linie richtig gewesen, daß wir die Posten besetzten im Lager? Selbstverständlich, das war ja der Grund, daß wir doch erst mal die Macht in die Hände nahmen. Wir mußten unseren politischen Weg gehen, um die Gefahr, unsere Genossen zu verlieren, zu beseitigen. Gab es im Lager von Seiten der Lagerleitung Bedrohungen gegen einzelne Genossen? Es gab schwere Bedrohungen. (Er fuhrt den Fall mit dem Berufsverbrecher an, der einen Radioapparat im Schacht eingebaut hatte 150 ). Man war seitens der SS der Meinung, daß die politischen Häftlinge einen Feindsender abhörten, und es wurde ein Strafkommando aus den Reihen der politischen Häftlinge eingesetzt. Was hat beispielsweise Busse zu Dir gesagt? (Schildert einen Fall mit zwei Berufsverbrechern, die getürmt und wieder eingefangen wurden.) Auf Befragen nach dem Grund ihrer Flucht sagten sie aus: Weil die Kommunisten im Lager geäußert hätten, sie würden erledigt. Dieser eine Berufsverbrecher, Schuler 151 , war ein gefährlicher Mensch, und ich bekam den Auftrag, ihn zu erledigen, ich bekam dazu ein Fläschchen TBC-Bazillen. Eines Tages läßt mich Busse kommen und sagt: Fritz paß auf, Schuler kann jetzt nicht erledigt werden, Du mußt den Kapo erledigen im Baubüro. Ich sagte ihm, das ist ausgeschlossen, ich habe meine Vorbereitungen getroffen und es läßt sich jetzt nicht anders einrichten. Wir kamen deswegen in einen heftigen Wortwechsel. Kurz darauf wurde ich krank und ging zu Busse, um im Krankenbau aufgenommen zu werden. Busse sagte mir wörtlich: Also Fritz, Du wirst erst aufgenommen, wenn Du den Kapo vom Baubüro aufgenommen hast. Da war ich fertig. Ein paar Tage später werde ich geladen und Kuntz sagt mir folgendes: Laß Dir den Bartel [Barthel]* Karl kommen, er gefährdet uns politisch, indem er Radio hört und verbreitet. Lege ihm ans Herz, er soll von dort oben 152 weggehen. Ich sprach mit Karl Barthel darüber, daß er die Konsequenzen ziehen und weggehen solle, ich sagte es ihm als Freund und Genösse. Er lehnte dies ab. Als ich Kuntz berichtete, daß er nicht weggehen und auch weiter Radio hören wird, sagte Kuntz wörtlich : Wenn er das nicht tut, muß er erledigt werden, und wenn nicht anders, muß er der SS ausgeliefert werden. Ich kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob Busse dabeigewesen ist. Diese Aussprache hat sich im Krankenhaus abgespielt.
F: A:
Wurden diese Bedrohungen irgendwelcher Art öfter ausgesprochen gegen Genossen? Ja.
150 151 152
Vgl. Dok. 1.4, Anm. 74. Nicht identifiziert. Offenbar zu der Zeit, als Karl Barthel 3. Lagerältester war.
306
II. Kaderkontrolle
1946 (Ernst Busse)
F: A:
In welcher Form? Wir zogen die Kartei, Busse und ich. Es wurden immer Menschen für Versuchszwecke gebraucht. Der Lagerfiihrer der SS hat uns gesagt: Wir brauchen Leute für die Fleckfieberstation, wenn ihr keine BV bringt, müßt ihr Politischen dran glauben. Wir mußten also BV-Karteien ziehen. Es ist natürlich passiert, daß auch manche dabei waren, die nicht hätten dabei sein sollen. Leider ist es so; und jetzt kommt die Angelegenheit [des Lagerältesten] Bechert*. Ich sollte ihn vergiftet haben. Bechert war ein Genösse von uns aus Plauen, er war die erste Zeit einwandfrei. Auf Grund der ganzen Sexualnot soll er mit den Judenjungs Schweinereien gemacht haben. Ferner wurde er auch als Zinker verschrien bei der SS, ich möchte es jedoch fast nicht glauben. Bechert hat sich von uns abgesondert. Eines Tages war er bei denjenigen, die erledigt werden sollten. (Er schildert den Fall mit Bechert, der eines qualvollen Todes gestorben ist.)
F:
Sind alle Fälle der Liquidierungen von der Partei sorgfältig geprüft worden oder kann man den Gerüchten Glauben schenken, daß oberflächlich gehandelt wurde? Von Seiten Walter Jurich und mir haben wir alle Fälle klar und eindeutig von dem Gesichtspunkt untersucht, ob das politisch tragbar sei oder nicht. Das ist das große Plus von Walter Jurich. (Er schildert einen Fall von Leichtfertigkeit seitens der anderen Gruppe, wo Gebäck hergestellt wurde, in dem Blumbum 153 verarbeitet wurde. Als er später dem Gen. Wegerer diese Leichtfertigkeit vorwarf, war er für sie vollkommen erledigt und wurde in jeder Hinsicht verleumdet (Gestapo-Agent, Zinker usw.). Er schildert dann einen Zusammentritt mit dem Gen. Busse, wo ihn dieser aufgefordert hat, nicht mehr ins Revier zum Essen zu gehen (eine bessere Verpflegung für die Leitung). Was ist Deine Meinung: Ist in Bezug der Liquidierungen alles normal gegangen oder war eine Situation eingetreten, wo die Partei die Übersicht verloren hat? Diese Übersicht hatten sie verloren. Hat die Partei das Maß desjenigen überschritten, was man heute decken kann? Es gab viele Fälle, wo andere Genossen an mich herangetreten sind und die Frage stellten: warum mußte dieser oder jener sterben? War das in größeren Kreisen bekannt? Ja, das war bekannt.
A:
F: A: F: A: F: A: F: A: F:
153
Ist Deiner Meinung nach die Verteilung der Roten Kreuz-Pakete gerecht vorgenommen worden oder nicht? Die Partei hat das getan, was menschenmöglich war. Was sich hinter den Kulissen abgespielt hat, entzieht sich jedoch meiner Kenntnis. Sind Dir Fälle bekannt, wo sich Genossen von uns bereichert haben an Gold, Brillanten usw.?
Gemeint ist: Blei.
11.5.10 Vernehmung F. Männchen
A:
F: A: F: A: F: A:
F: A: F: A: F: A:
307
Ja, ein Fall, das war ein Genösse aus dem Westen, der in der Effektenkammer war. Er hatte sich eine Uhr auf meine Karte schreiben lassen, um die Uhr für sich zu benutzen, da ich eine hatte. Ist Dir etwas von Heinz Dose* in dieser Beziehung bekannt? Nein, ist mir nicht bekannt, er hatte jedoch sehr viel Verbindung zu Β V. Ist Dir der Fall mit dem russischen Offizier bekannt? Ja, dieser Fall ist mir bekannt, es ist ein großer Fehler gemacht worden, daß er wieder der SS ausgeliefert wurde. Warst Du zu dieser Zeit im Lager? Ich war nicht im Lager, aber ich habe davon gehört. Ich hörte von einer Sitzung, in der beratschlagt wurde, und es wurde dann der Beschluß gefaßt, ihn wieder der SS auszuliefern. Ist es möglich, daß ein führender Genösse im Lager von diesem Fall keine Ahnung hatte? Ja. Ist es möglich, daß Busse davon keine Ahnnung hatte? Das ist unmöglich, Busse mußte das wissen. Wann war das ungefähr? Das kann ich nicht mehr sagen.
F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A:
Was ist Deine Meinung über den Puff? Das ist das traurigste Kapitel, das es gibt. Hat ein Beschluß der deutschen Parteileitung bestanden, diesen Puff nicht zu besuchen? Ja. Wer hat Dir diesen Beschluß mitgeteilt? Das kann ich heute nicht mehr sagen. Busse war ein Puffgänger, ist darüber viel diskutiert worden? Ja, sehr viel. Stimmt es, daß Busse wochenlang mit seiner Hure Luise in seinem Zimmer gelebt hat? Das weiß ich nicht. Gab es solche Gespräche, daß diese Leute herrlich und in Freuden gelebt haben? Ja, sie haben Gelage gemacht, Torten backen lassen noch und noch und haben das Zeug zu den Weibern geschleppt, und unsere armen Genossen mußten im Steinbruch arbeiten und haben nicht einmal ein Stück Brot gehabt. Wegen solcher Geschichten waren wir auch bei anderen verschrien.
F:
Ist der Lagerschutz eine Einrichtung gewesen, welche - vom Standpunkt der Partei gesehen - richtig war? Ja, ich bin mit dem Aufbau des Lagerschutzes betraut worden. Mein Sinnen und Streben war das, in dem Lagerschutz eine Organisation aufzubauen ähnlich unserem früheren RFB. Dabei gab es natürlich viele Schwierigkeiten.
A:
308 F: A: F: A: F:
A:
11. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Der Lagerschutz hat seine Aufgabe, im großen und ganzen gesehen, erfüllt? Ohne weiteres, natürlich hat es Fälle gegeben, wo es Schläge gegeben hat. Sind Fälle vorgekommen, wo Leute totgeschlagen wurden? Ein Fall ist mir bekannt, aber das war politisch notwendig gewesen und kann man hundertprozentig vertreten. Was ist Deine Meinung: ist es für die Partei tragbar, wenn Genossen, welche in dieser Beziehung im Lager an sichtbarer Stelle standen und welche in allen Dingen nicht immer einwandfrei und korrekt gehandelt haben, heute an führender Stelle im öffentlichen Leben stehen? Busse ist untragbar, das ist die Meinung hunderter Genossen.
II.5.11
Richard Großkopf*, 14.10.1946154
Hat die Abwehrarbeit gemacht. Zugänge überprüfen, Verräter feststellen und Maßnahmen 155 veranlassen. / Es gab eine Gruppierung Jurich*, die Opposition machte, aber mehr aus persönlichen Gründen. Im allgemeinen hat die Leitung ihre Aufgabe gut erfüllt. Sie hatte eine feste Grundeinstellung. / Beschlüsse zu besonderen Maßnahmen sind in jedem Falle von den Leitungen der betreffenden Nationen gefaßt worden. Liquidierungen kamen in allen Nationen vor. Die Pakete wurden allgemein korrekt verteilt, jedoch war es bekannt, daß führende Genossen besser lebten, als die anderen. Besonders bevorzugt aber wurden die kranken Genossen. / Wertsachen und Geld wurden der Parteikasse zugeführt. / Ein schlechtes Element war Heinz Dose*. Er war Bordellgänger und stand im Verdacht, Brilliantengeschäfte zu machen. An den Fall des Ausreißers vom Galgen kann er sich gut erinnern. Er sagt, daß er in der EfFektenkammer gefunden wurde und zwar von einem Mann der Feuerwehr und einem vom Lagerschutz, der letzte war Genösse. Dieser sagte, daß er nicht anders handeln konnte, da der Feuerwehrmann ihn entdeckt hatte. Einen Beschluß zur Auslieferung kennt er nicht. Er müßte ihn aber kennen, wenn er gefaßt worden wäre. Der Fall wurde sehr viel diskutiert, und er hält es für ausgeschlossen, daß ein Genösse aus der Leitung dieses nicht weiß. / Von der Auslieferung des Kranken weiß er nichts. Der Lagerschutz war gut aufgezogen. 50 % waren Genossen, der Rest Sympathisierende. Später kamen auch Luxemburger, Jugoslawen, Polen und Russen dazu. Es war eine absolut notwendige und gute Sache. / Es gab natürlich auch unangenehme Fälle, wo es ohne Schläge nicht abging. / Bedrohungen seitens der Leitung und des Lagerschutzes gab es auch, aber im 154
155
SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, B1.47. Großkopf kam - seit 1933 in Haft - im Juni 1942 ins KZ-Buchenwald und arbeitete in der Pathologie. 1946 war er Inspekteur der Volkspolizei in Berlin und dort Abteilungsleiter für das Paß- und Meldewesen. Umschreibung für Exekutionen.
11.5.12 Vernehmung Ε. Reschke
309
allgemeinen nur im Rahmen des Notwendigen, zur Sicherung der Arbeit und Aufrechterhaltung der Diziplin. Bei der Eröffnung des Bordells wurde ein Teil der Funktionäre hinkommandiert. Stellungnahme der Leitung war dazu, daß wir uns zu distanzieren haben. Ein Beschluß hierüber wurde nicht gefaßt. Busse* war mehrere Wochen mit einer Frau allein in seinem Zimmer. Bartel* hat mehrere Male mit ihm darüber gesprochen, so daß er es schließlich aufgegeben hat.
II.5.12
Erich Reschke*, 14.10.1946156
Im Lager vom 22. Juli 1938 bis Dez. 44. 1940 2. Lagerältester, dann bekam er Typhus, anschließend 3. Lagerältester. / 1941 wurden alle 3 Lagerältesten abgelöst und durch Grüne ersetzt. Nach vier Wochen wurde Reschke wieder eingesetzt und ein gewisser [Fritz] Wolf [Wolff]*. Dieser wurde aber bald wieder abgesetzt. Inzwischen wurde Busse* Kapo im Revier. Reschke wurde wieder Lagerältester, nachdem Wolff ums Leben kam 157 . Die SS war korrupt bis in die Spitze hinein. Sie schickte aus dem Lager Butter und Lebensmittelpakete an SS-Führer, an Angehörige usw. in großen Mengen. / Aus den Lagerbeständen wurden durch unsere Genossen die SS-Führer laufend bestochen und korrumpiert. Sie erhielten Lebensmitttel, Wäsche, Geld usw., um sie zu korrumpieren. Im übrigen wurden die zur Verfugung stehenden Pakete, die zum größten Teil von den inzwischen Ermordeten oder Gestorbenen stammten, an die verschiedenen Nationen und auch an die Russen verteilt. Die Verteilung war korrekt. Bei der Liquidierung der Strolche und Verräter, soweit unser Einfluß reichte, wurden die Fälle genau überprüft. Es gab natürlich auch Fälle, wo eine Überprüfung nicht möglich war oder nur in beschränktem Umfange. Die Leute wurden aber nie durch den Lagerschutz allein ausgesucht. Von dem Ausreißer vom Galgen weiß er nichts. / Von dem kranken Russen ebenfalls nichts. Hans Bechert* war ein ausgesprochener Strolch und eine große Gefahr fur uns. Der Genösse Duda 158 hat eine schlechte Rolle gespielt. / Der Genösse [Hein] Hauptmann* war gut, solange man ihn fest in den Fingem hatte, wenn das nicht der Fall war, war er ein Lump. / Der
156
157 158
SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 48. Die Vernehmung führte Sepp Miller. Reschke war 1946 zunächst Chef der Landespolizei in Thüringen und wurde dann zum 1. Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern für die ganze SBZ ernannt. Vgl. Dok. 1.5.5. Vgl. Dok. 1.4, Anm. 76.
310
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Lagerschutz hat im allgemeinen seine Aufgabe gut erfüllt. Der Leiter war Karl Keim*, jetzt in Stuttgart. Zur Abspritzung wurden auch Genossen gezwungen. Er nennt die Namen Jurich*, Scherlinski*, Alfred 1 5 9 und Teucher(t), Georg* 160 . Im allgemeinen hat die Leitung gut gearbeitet, und man kann evtl. Angriffe und Beschuldigungen mit ruhigem Gewissen abwehren. Eine unangenehme Angelegenheit war die Frage des Bordells. Einen Beschluß gab es nicht, aber eine allgemeine Aufforderung, das Bordell zu meiden. Besonders war Bartel* dagegen. Ein Teil der Genossen ging hin. Über Busse gab es viel Gerede. Er hat eine zeitlang mit einer Frau zusammen im Zimmer gewohnt. Die Stimmung war dadurch schlecht. Ich selbst war auch Bordellgänger. Als Lagerältester sollte ich hingehen. Ich gestehe aber, daß ich dort auch mit Mädels verkehrt habe.
II.5.13
Karl Gärtig*, 16.10.1946 161
Vom August 1938 bis Schluss im Lager. Eine ganze Reihe Funktionen gehabt. Zuletzt Kapo in der Kantine. Albert Kuntz* war 1938 der unumschränkt anerkannte Leiter [der KPD in Buchenwald]. Es gab aber einige weitere Gruppen, und zwar Walter Jurich*, Walter Krämer* und auch noch die Offenbacher Gruppe unter Eugen Ochs162. Er selbst hatte ständige Verbindung zum Ausland durch Radio. Nach Kunze [Kuntz] übernahm Walter Bartel* die Führung. Es gab Meinungen, man sollte das Radiohören einstellen, weil es zu gefährlich sei. Die Gegensätze waren weniger politischer, als persönlicher Art. Er selbst gehörte der Richtung Bartel an. In der Zeit um Stalingrad gab es merkliche Schwankungen. Wir haben die SS um Lebensmittel bestohlen, wo wir nur konnten, um den Genossen zu helfen. Die Roten-Kreuz-Pakete wurden gerecht aufgeteilt. Führende Genossen hatten zwar Vorteile, jedoch eine Bereicherung fand nicht statt. Wir führten natürlich auch Geld an die Parteikasse ab, und Bartel erhielt von mir einmal eine Rolle Gold. Meine Hauptaufgabe war die Korrumpierung der SS. Wir haben dadurch Hunderten Genossen das Leben gerettet. Die SS war zuletzt eine ganz andere, als die von 1938. Wie wir 159 160 161 162
Vgl. Dok. II.4, Anm. 79. Die Namen Walter Jurich - der innerparteiliche Rivale der KPD-Führangsgruppe, der auch Reschke zugehörte - sowie Scherlinski (Bau-Kapo) und Teucher (SS-Küche) tauchen sonst im Zusammenhang mit den sog. Abspritzungen nicht auf. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 43 f. 1946 war Gärtig Polizeichef und SED-Kreisleiter in Zeitz und Mitglied des Sekretariats der Landesleitung der SED in Sachsen-Anhalt. Eugen Ochs (geb. 1905) aus Stuttgart war 1939-1945 im KZ Buchenwald und dort in der Häftlingsküche beschäftigt.
II.5.I3
Vernehmung Κ. Gärtig
311
das gemacht haben? Dafür ein Beispiel: Der Lagerfuhrer geht durch die Baracke und haut die Gefangenen wahllos mit der Peitsche ins Gesicht. Ich hatte die Küche. Als er zu mir kommt, sagte ich zu ihm: „Sie haben noch nicht gefrühstückt, bitte, kommen Sie her." Ich deckte ihm ein gutes Frühstück auf, worauf er sich nachher den ganzen Tag überhaupt nicht mehr sehen ließ. Im Steinbruch gab es täglich Tote. Auf meine Initiative gelang es endlich, den Führer dieser Kolonne abzulösen und durch einen mutigen Genossen zu ersetzen. Von da ab gab es keine Toten mehr. Man könnte Hunderte solcher Beispiele anführen. Wir fingen an, Seife, Schuhcreme und Haarwasser und alles mögliche zu machen. Wir bestachen die SS und halfen unseren Genossen damit. Ich habe z.B. täglich 20 bis 30 Genossen besonderes Essen im Keller gegeben. Ich gab wöchentlich an das Parteiaktiv 12.000 bis 20.000 Zigaretten, und auch Geld. Es gab einen Weißgardisten Kuschni[r] Kuschnarew*, auf dessen Konto kommen Tausende von Menschen. Es gelang uns endlich, ihn zu liquidieren. / [Der Kapo der Häftlingskantine Heinrich] Schäfer* war eine Zeitlang Verwalter des Partei-Geldes, er hat sicher große Schiebungen gemacht, der Partei aber auch viel geholfen. / Matthies Fe/« 1 6 3 hat ungeheuer viel an den Genossen getan. / [Der Kapo der Häftlingsbekleidungskammer] Otto Halle* ebenso, der Ehrlichste von allen. / [Der Kapo der Effektenkammer] Willi Bleicher* war als Kapo absolut sauber, aber bei ihm waren Leute, die schlecht waren. / Heinz Dose* war Kapo vom Magazin und hat Schiebungen mit Lebensmitteln gemacht und sich große Vorteile verschafft. Er hatte über den Schlachter gute Verbindungen nach draußen und viele Pakete hinausgeschoben [sie!]. / Die meisten Schiebungen wurden in der Schneiderei gemacht. / Befragt, sagte er, daß der Anschein erweckt wurde, daß fuhrende Genossen Vorteile genossen, das traf besonders auch auf mich zu, da ich überall dabei war, die Fressereien fur die SS machte und aufdeckte. Die Abspritzungen: Die Abspritzungen wurden massenweise durchgeführt. Vielfach bekamen die Leute vom Lagerarzt einfach einen Zettel, die sollen sich in der Krankenbaracke melden. Sie kamen nie wieder zum Vorschein. Wir haben viele Abspritzungne verhindert. Ein besonders Verdienst hat dabei [der Kapo der Arbeitsstatistik] Willi Seifert*. Es war sehr schwierig, aber es wurde gemacht. Auch Genossen waren an Abspritzungen beteiligt, so hat Hubert Jusek* dem Genossen Kirchheimer*lM (jetzt in Frankfurt) eine Spritze verabfolgt, er wurde aber gerettet. U.a. haben wir auch die beiden Engländer [Kennth] Dodkin und Haary Pool sowie den früheren französischen Botschafter in Berlin, Henry Hessel*, gerettet. Dieses ganze Material wurde von Dr. [Eugen] Kogon*, Herbert Trobös [Froboeß] 165 und Werner Hilpert* (jetzt in Oberursel) fur die Amerikaner zusammengestellt. 166 163 164
165 166
Vermutlich Fehlschreibung fiir Baptist „Mathes" Feilen* (KPD), Kapo der Wäscherei im KZ Buchenwald. Fritz Kirchheimer war als sog. Rassenschänder inhaftiert und deshalb als Jude und „Grüner" markiert. Er arbeitete auf der Fleckfieberstation. Unter den kommunistischen Funktionshäftlingen des Krankenbaus wurde er verdächtigt, in Geschäfte mit SS-Ärzten und Impfstoffschiebungen verwickelt zu sein. Nicht identifiziert. Personenverwechslungen: statt Henry muß es Stephan Hessel heißen (er war später französischer Botschafter in der DDR) und statt Herbert Trobös Herbert Froboeß (geb. 1898 in Dresden), seit 1938 politischer Häftling im
312
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Ich habe besonders viel auch den Russen geholfen. Da ich die Küche hatte, konnte ich dies. Wenn ζ. B. der Revolutionsgedenktag war, hatten die Russen Feiertag. Ich habe die ganze Nacht hindurch gekocht und gebacken, sie erhielten Kaffee, Kuchen, Zigaretten usw. Bei mir in der Küche waren viele schargierte Russen beschäftigt, ich bin sehr gut mit ihnen ausgekommen, sie wären alle fur mich durchs Feuer gegangen. Bei irgendwelchen Vergehen entschieden die Russen immer selbst. Der Lagerschutz hat seine Aufgabe voll erfüllt. Er hat viel Gutes geleistet. Durch ihn hat das Lager Buchenwald wohl von allen Lagern die beste, innere Ordnimg gehabt. An den Ausreißer vom Galgen kann er sich erinnern, weiß aber die näheren Zusammenhänge nicht mehr. Jedenfalls hat der Fall großes Aufsehen erregt, und die Leitung muß sich daran erinnern können. Ob ein Beschluß zur Auslieferung gefasst wurde, weiß er nicht. / Von der Auslieferung [sie!] des kranken Russen weiß er nichts. / [Hein] Hauptmann* wurde durch Reschke* gehalten, er war ein sehr schlechter Kerl, ohne positive Verdienste. Ich habe ständig gegen ihn gekämpft. Einen Beschluß, daß das Bordell nicht besucht werden soll, gab es nicht. Ich muß gestehen, daß ich selbst zu den Bordellgängern gehörte, das war eine Schwäche von mir. Busse* lag ständig drüben und jeder wußte, daß er dort mit einer Frau besondere Beziehungen hatte. Man sprach auch offen von „Frau Busse". Auch Thiemann* und Reschke gingen hin. Es wurde unheimlich viel Zeug ins Bordell geschleppt. Kleider, Schuhe, Essen, Zigaretten, von allen, die hingingen. Bei den Ausländern hatte Busse keinen guten Namen. Die Deutschen haben das verstanden, es wurde allgemein gesagt, Busse ist der Pascha. Was er brauchte, hat er von mir bekommen. Egal, was er verlangt hat, ich habe es ihm verschafft, ohne zu fragen wofür. / (Er sagt, daß Busse jetzt in Weimar ein gutes Ansehen genieße.)
II.5.14
Walter Jurich*, 16.10.1946167
Im Lager vom 6. Mai 1938 bis Juni 1943, von da ab bis Schluß im Standortbereich außerhalb des Lagers 1 6 8 . Es war absolut richtig, die Positionen im Lager zu besetzen. Die Reihenfolge der Positionen war: Vorarbeiter, Kapo, Blockältester, Lagerältester. / Die B.V. hatten einen Spitzelapparat aufgebaut, der eine große Gefahr für unsere Genossen war. Nach und nach wurden die BVer ausgeschifft und unsere Genossen eingeschoben, und zwar in alle genannten Positionen. In der Hauptsache war dies möglich durch Korrumpierung der SS.
167 168
KZ Buchenwald. Vgl. zu diesen Zusammenhängen und den beteiligten Personen Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 245 ff. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/155, Bl. 45 f. Walter Jurich war 1946 Polizeipräsident von Leipzig. D.h. er war bedingt entlassen worden.
II. 5.14 Vernehmung W. Jurich
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Der Aufbau des Lagerschutzes war eine Notwendigkeit, und man kann sagen auch ein großer Erfolg. Er hat seine Aufgabe erfüllt, und wer das Lagerleben kennt, weiß, daß dabei Schläge nicht zu umgehen waren. Politische Differenzen gab es sehr wenige, aber sehr viel persönliche. Der größere Teil der Genossen gruppierte sich um Albert Kunz [Kuntz]*, ein anderer kleinerer Teil um Sündermann*. Aber nur kurze Zeit. Es gab auch eine Gruppe [Walter] Krämer*, diese wurde aber bald zerschlagen. 169 Liquidierungen fanden im großen Ausmaß statt. Tbc-Kranke wurden grundsätzlich liquidiert. Nur der Lagerarzt suchte die Leute aus. Der eine hieß Hoven, der andere Eisele. Für uns waren nur gewisse Korrekturen möglich. Wir hatten Verbindung zu den Russen durch den Genossen Hugo Launicker [Launicke]*. Das war ein Sonderlager der Russen von ca. 65 Mann, dort gab es Spitzel der Wlassow-Leute, die liquidiert wurden. Auf die Massenliquidierungen hatten wir so gut wie keinen Einfluß. [Der Kapo des Krankenbaus] Krämer, der gezwungen wurde, mitzuliquidieren, hat Wasser in die Spritzen gemacht, er wurde erschossen. Mit Busse* hatte ich Differenzen. 2 russische Majore (Kommunisten) sollten ihre Mannschaften im Sinne der Teilnahme an der Wlassow-Armee beeinflussen und ihre Bereitwilligkeit unterschreiben. Sie haben sich geweigert und wurden liquidiert. Ich war der Meinung, daß sie hätten gerettet werden können. Busse und auch andere der Leitung hatten durch Korrumpierung der SS ein gutes Verhältnis zu dieser. Auf die Frage, welches die Triebfeder war, antwortete er, vor allem die Hoffnung auf Entlassung. Einige wurden auch entlassen, andere haben Verpflichtungen gegenüber der Gestapo eingegangen. Auf die weitere Frage, ob nicht die Hilfe fur die Genossen und die Rettung bedrohter Genossen das Entscheidende war, antwortet er dann: „Das spielte auch eine Rolle, es war die allgemeine Linie der Partei und das Primäre." Auf die Frage, ob die Parteilinie im allgemeinen richtig war, erfolgt die Antwort: „Ich bin felsenfest überzeugt, daß die Linie der Arbeit vom Anfang bis zum Ende richtig war, mit Ausnahme einiger Schwankungen, die es gegeben hat." / Becher [Bechert]* war ein undiszipliniertes und schlechtes Element, der auch mit Verrat gedroht hat. Er mußte deshalb liquidiert werden. Die Roten-Kreuz-Pakete wurden grundsätzlich erstmal von der SS beraubt. Führende Genossen haben ziemlich große Vorteile gehabt, das war falsch. Natürlich wurden alle Genossen bei der Teilung berücksichtigt. Es wurden auch Pakete aus dem Lager geschickt, wie Wäsche, Lebensmittel, Uhren, jedoch keine höheren Wertsachen wie Gold und dergl. Er nennt die Namen Hennig 170 , Wunderlich 171 , Teucher* u. andere, deren Namen ihm entfallen sind. 169
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Wie bereits in vielen Berichten zitiert, aber nicht von Jurich selbst hier erinnert, war die sächsische KPDLandsmannschaft um Walter Jurich wegen ihrer Größe, ihrem Besitz eines geheimen Rundfunkgeräts, ihrer Opposition gegen eine Parteizentralorganisation im Lager und ihrer Erwartung eines baldigen Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion - die Gruppe Kuntz wurde vom Bruch des Hitler-Stalin-Pakts überrascht - in den Jahren 1938-41 die zweitwichtigste KP-Fraktion im Lager. Gemeint ist vermutlich Gustav Hennig, KPD, aus Leipzig, dort Direktor des Arbeiterbildungsinstituts, 1920-22 Leiter der Heimvolkshochschule Tinz, politischer Häftling im KZ Buchenwald.
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II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Von dem Russen, der vom Galgen ausgerissen ist, ist ihm nichts bekannt. Er war zu dieser Zeit nicht im Lager. / Ebenso wenig von dem Kranken, der in der Krankenstube nicht aufgenommen und nach Block 61 geschickt wurde. Bezüglich des Bordells hat es einen Beschluß gegeben, daß es nicht besucht werden soll. Er sagt, daß ihm dieser Beschluß durch Henning 172 mitgeteilt wurde. Er selbst war außerhalb des Lagers, jedoch haben alle, mit denen er in Verbindung kam, davon gesprochen. Es gab allgemeine Erregung im Lager, weil Genossen alles mögliche in das Bordell hineingeschleppt haben. Befragt, antwortet er, daß die Leitung im großen und ganzen ihre Aufgabe erfüllt hat und alle Genossen der Leitung auf alle Fälle zu stützen seien.
II.5.15
Walter Bartel*, 19.10.1946173
Macht zuerst einige Ausführungen über die politische Situation im Lager. Der Einfluß der Partei war damals sehr lose. Sie hatte, ohne einen besonderen Beschluß, ihren festen Zusammenhalt in den Bezirken. B.[artel] überbrachte den Genossen die Beschlüsse des 7.Weltkongresses [der Komintern], die im Lager noch völlig unbekannt waren. Sprach in 8 bis 10 verschiedenen Gruppen über Volksfrontpolitik, Einheit der Arbeiterklasse, 5 Punkte Dimitroff, Referat Wilhelm, Verfassung usw. 174 Stieß dabei bei einigen Genossen auf direkte Ablehnung, andererseits auf völligen Unglauben. Verweist in diesem Zusammenhang besonders auf die Genossen Drewnitzki* und Waibel*. Einige Jahre später war dieselbe Diskussion nochmals mit Osche* und Zilles*. In diesen Diskussionen 1940/41 kristallisierte sich eine festere Organisationsform der Partei heraus. Hier gab es auch die ersten Auseinandersetzungen. Eine grundlegende Ablehnung zur Frage: Wollen wir diskutieren oder nicht? war nicht da. Damals begannen wir auch ein Volksfrontkomitee aufzubauen. 175 Albert Kunz [Kuntz]* zog alle Kräfte an sich heran. Bei vielen Genossen war die Auffassung vorhanden: Hier ist das Zentrum der Partei. Damals traten auch die ersten sichtbaren Gegensätze mit der Gruppe Jurich* in Erscheinung. J.[urich] hatte mit Auftrag der Partei den Abwehrapparat aufgezogen. 176 Wir haben die Meinung vertreten, das ist das Organ der Partei. Unzweifelhaft hat J. sehr aktiv gearbeitet, 171 172 173
174 175 176
Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. SAPMO-BA, ZPA 1/2/3/154, Bl. 44-48. Walter Bartel war seit Oktober 1939 im KZ Buchenwald und Mitglied der illegalen KPD-Leitung sowie Vorsitzenden des illegalen Internationalen Lager-Komitees. 1946 war er persönlicher Referent des Ko-Vorsitzenden der SED, Wilhelm Pieck. Vgl. die Anmerkungen zur Sache und zur Selbststilisierung Bartels zu Dok. 1.6. Vgl. ebenda. In Wirklichkeit drei Jahre später. Vgl. die Vernehmungen Großkopf* und Männchen* (Dok. II.5.10 f.).
11.5.15 Vernehmung W. Barlel
315
wir wurden dadurch auch an die schwachen Stellen des Gegners herangebracht. Der Apparat versuchte, das Monopol der Nachrichten an sich zu reißen, das war Aufgabe J., und er informierte uns. Der Überfall auf die SU kam fur uns überraschend, wir glaubten nicht daran, weil wir ja aus den Informationen, die uns J. gab, nichts wissen konnten. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen, Albert Kuntz, Stefan Heyman [Heymann] * und ich. Der Nachrichtendienst war jetzt besonders entscheidend für uns. Es entstanden Diskussionen, ich mußte bremsen. 8 Tage herrschte ziemliche Unklarheit, dann kamen die Sondermeldungen, und die Genossen ließen die Köpfe hängen. Wir hörten ja nicht die Nachrichten, sondern J. kommentierte sie uns, aber wir wollten die Nachrichten haben, daraus entstanden Reibereien. Zu dieser Zeit mußte sich A. Kuntz zurückstellen, Ernst Brandt* und ich traten hervor. Wir sagten dann zu Jurich, also jetzt keine Kommentare mehr, sondern Nachrichten. Diese Auseinandersetzungen waren jedoch nicht ernsten Charakters. Kuntz hatte die Tendenz, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Vier Wochen später gab es viel ernstere Sachen, nämlich die Losung. Fahrt langsam, dann kommt Ihr schneller zum Ziel. Wir waren der Meinung, die Kriegsproduktion wird jetzt zu uns kommen. Ich hatte deswegen mit Jurich eine Diskussion über Sabotage-Aktionen. J. stand auf dem Standpunkt, was soll das bedeuten, wie können wir die Kriegsproduktion hemmen? Bisher hatten unsere Leute, die arbeiteten, die Linie, die Blocks, in denen die Häftlinge sind, können nicht feudal genug sein, und jetzt die Linie, die Munitionskisten können nicht schlecht genug sein. Das Resutat dieser Diskussion war ein Kompromiß mit Jurich. Ein großer Teil der Genossen gliederte sich jetzt in die Parteiarbeit ein. Kommt dann zu der Frage der Schiebungen und der Behauptung, daß die Prominenten im Lager besser gelebt haben sollen als die anderen. Verweist darauf, daß natürlich in einem solchen Lager unsaubere Sachen passieren können. Das Bordell wurde gebaut, um die Primitiven zu einer Leistungssteigerung und die Politischen in Gegensatz zu bringen. Wahrscheinlich sollten die Huren als Spitzel dienen. Es entstand eine Diskussion, Besuch verbieten oder nicht. Dann müßte man auch die Frage der Konsequenzen stellen. Wenn ein Genösse glaubt, er könne ohne den Besuch des Bordells nicht auskommen, soll er gehen, aber so, daß die Partei keinerlei Schaden dadurch erleidet. Es wurde kein Beschluß gefaßt, daß die Genossen nicht gehen dürfen. Unser Standpunkt war, verantwortungsbewußte Genossen müssen sich sauber halten. Es stellte sich heraus, daß einige Genossen hingingen, sie haben das so dezent gemacht, daß es die meisten auch heute noch nicht wissen. Andere haben das wieder so gemacht, daß es Stunk gab. Das war eine ganze Clique. Ernster für uns war der Fall Busse*. Es kamen Vorwürfe. Ich selber habe mit B. nie darüber gesprochen, sondern nur Harry [Kuhn]*. Busse sagte, er ging nicht in das Bordell, sondern als Kapo in den [Sonder-] Bau. Wir wollten, daß sein Hingehen nach außen hin so gerechtfertigt war, daß es fur uns keine Schwierigkeiten gab. Dann kam die kranke Frau in sein Zimmer. Ich sagte ihm, das müsse man abstellen. Ich weiß heute nicht mehr, in welcher Zeit das abgestellt wurde. Wir haben mit der [KPD-]Zelle im Krankenbau darüber gesprochen, die haben gesagt, B. verhalte sich korrekt. Es gab Auseinandersetzungen mit Zilles, aber B. weiß nicht mehr, ob
316
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
das der Grund war, daß er ging. Es fand dann mit der Leitung vom Niederrhein 177 eine Aussprache statt, aber nicht in der Form, daß ein Mißtrauen gegen Busse ausgesprochen wurde. Auf die Frage, ob das Hingehen Busses als Kapo in das Bordell Vorteile fiir die Partei in diesem Fall erbrachte. Busse war berechtigt, dorthin zu gehen, wir empfahlen ihm, einen anderen hinzuschicken, da er doch nicht selber hineinzugehen brauche. Hier war unweigerlich eine weiche Stelle bei Busse. Auf die Frage, ob sich das im Lager demoralisierend ausgewirkt hat, sagt Bartel, in dieser Form wurde im Lager nicht allgemein diskutiert. Auch nicht in der Gruppe des Reviers 1 7 8 , mit der ich sehr engen Kontakt hatte. Häufiger kritisiert wurden Dose*, Mißlitz*, Gärtig* und Liske*, aber aus ganz objektiven Gründen. Busse hat man nur mal dort gesehen, die 4 aber ständig. Von Frau Busse hat man nur in der Clique gesprochen. Das mit den kranken Frauen auf seinem Zimmer hat er sofort abgestellt, es kann sich um Tage handeln, da will ich nicht streiten, aber Wochen, ausgeschlossen. Auf die Frage, ob es in diesem Punkte ein Mißtrauen des Lagers gegen Busse gab, anwortete Bartel nein, dafür haben wir genügend Beweise. Ein politisches Mißtrauen deswegen ist ausgeschlossen. Alle unsere Zusammenkünfte mit den Vertretern der einzelnen Sektionen haben im Revier stattgefunden, niemals wurde ein Mißtrauen gegen Busse geäußert. Ich bestreite das. Tatsache ist, daß es sogar Diebstähle in der Kammer gab, um diese Huren einzukleiden. Wir haben sogar mal einen Parteigenossen dabei erwischt. Kommt auf Gärtig zu sprechen, dem man alle 1/4 Jahr mal gehörig den Kopf waschen mußte. Er beschaffte uns Geld. Es gab drei Dinge, die uns bewogen, nicht mit ihm zu brechen. 1.) die ausgesprochen materielle Unterstützung: Zigaretten, 2.) Geld, das er uns beschaffte, 3.) unmittelbare direkte Information aus der obersten Clique [der SS]. Es war wichtig fur uns zu wissen, wie denken die da oben über die Dinge usw. Der Frisör des Kommandanten, Franz Eichhorn *, war unbezahlbar. Daß er dabei selber nicht zu kurz kam, ist klar. Ist ungeheuer initiativ, muß aber immer gelenkt werden. Anfangs wurden die Rote Kreuz-Pakete von der SS beschlagnahmt, die sie nach Gutdünken ins Lager gab. Ihre Linie war, uns zu korrumpieren. Die Vertreter des Roten Kreuzes von Schweden und Dänemark erzwangen bei ihrem Besuch 179 im Lager, daß die Pakete an die adressierten Nationen gingen. Dann wurde Beschluß gefaßt, nicht nur für [die jeweilige] Nation, sondern fürs Lager. Eine 100%ige Kontrolle war natürlich nicht vorhanden. Die Pakete wurden an die Blockältesten verteilt zur Verteilung an alle Insassen des Blockes, nur fur Politische. 180
177 178 179
180
Sowohl Busse als auch Zilles gehörten zu der KP-Gruppe Niederrhein. Gemeint ist der Häftlingskrankenbau. Seit Frühjahr 1943 konnte das Internationale Rote Kreuz Pakete in die Konzentrationslager schicken, aber nur an Gefangene, die ihm namentlich und dem Aufenthaltsort nach bekannt waren. Insofern beschränkten sich diese Aktionen auf Häftlinge aus denjenigen Ländern, dessen Rotes Kreuz sich aktiv um die Deportierten kümmerte (was besonders für Skandinavien und Frankreich betont wird). Für die gegenteilige Haltung des deutschen Roten Kreuzes vgl. Heiner Lichtenstein: Angepaßt und treu ergeben. Das Rote Kreuz im Dritten Reich', Düsseldorf 1988. Gemeint ist, daß die Paketverteilung in den Blocks ein Privileg der „roten" Häftlinge wurde und die anderen Häftlinge - rassisch und sozial-rassisch Verfolgte und die meisten der ausländischen Häftlinge - von ihr ausgeschlossen waren.
11.5.15 Vernehmung W. Barlei
317
Buchenwald bestand aus 5 Lagern: Offizielles Lager, Kriegsgefangenenlager, Krankenbau, Kleines Lager und Zeltlager. Die beiden letzteren waren schlechter dran. Wir [im offiziellen Lager und im Krankenbau] konnten uns Geld schicken lassen und davon monatl. 15 - bis 30 - abheben. Seit 1943-44 gab es außerdem die sog. Prämien fur die Arbeit. Außerdem erhielten wir Geld aus dem Kleidern der Toten von Auschwitz. Die Sachen haben wir im Keller gefilzt, das Geld ging dann in die Parteikasse. Gefilzt hat eine ganze Kolonne unter Führung von [Otto] Sepke*, Otto Halle* und Willi Schumann181. Die Beträge wurden an mich und Harry Kuhn abgeführt. Gärtig war unser Depot. Die Beträge gingen in die Tausende, allein für Zigaretten wurden wöchentlich ungefähr 5 0 0 - gebraucht. Seit 1941 sind wir nicht mehr in Geldnot gekommen. Wir haben sogar Geld an die Bezirke im Lager [gegeben]. An Angehörige wurde kein Geld rausgeschickt. Es gibt nur ganz wenige Fälle, wo wir nach außen hin geholfen haben. (Spricht über eingemauerte Sachen.) Zur Frage des vom Galgen geflüchteten Russen, kann er sich nur an eine Sache besinnen, weiß jedoch nicht, ob dies der Russe war. Das Lager war in heller Begeisterung über die Flucht. Er wurde dann aber wieder gegriffen. SS-Kolonnen mit Lagerschutz und Feuerwehr wurden beauftragt, zu suchen. Zwei Feuerwehrmänner haben ihn dann gesichtet, einer von uns und einer [den wir fur] unzuverlässig [hielten]. Dann tauchte die Frage auf: Wer ist der Flüchtling? Wir hielten Rückfrage bei den Russen. Unmöglich festzustellen, anscheinend keiner aus dem Lager, sondern ein Neuer. Als wir feststellten, wer hat ihn und wo gesichtet, [kam] schon die Feststellung, er ist schon oben [bei der SS am Lagertor]. Solche Sachen, daß einer gesucht wurde, waren in dieser Zeit besonders häufig. Es gab zwei Fälle von direkter Flucht auf dem Wege zum Krematorium. Auf die eine Sache kann ich mich genau besinnen. Wir wußten nicht, wer ist es, und beim Überlegen was tun, kommt schon die Meldung, er ist schon oben. Niemand konnte für ihn gutsagen. Das Prinzip bei jeder Rettung war jedoch, daß man dies nur tun könne, wenn man wüßte, wer er ist. So habe ich das in Erinnerung. Wir haben die Verantwortung immer der betreffenden Sektion übergeben. Wenn die Antwort kam, muß gerettet werden, haben wir es getan. Wenn ihn niemand kannte, konnten wir es nicht tun. So wurden von 17 Engländern 2 gerettet. Bartel streitet nicht ab, daß der Russe erst am 3. Tag im Lager gefunden wurde. Es kann sein, daß ihn ein Lagerschutz-Mann und einer von der Feuerwehr gefunden hat. Einen Beschluß, ihn zu finden, kann es auf keinen Fall gegeben haben. Lächerlich! Ein solcher könnte nur bestanden haben, wenn das Lager unter diesem Druck unter besonderer Gefahr gestanden hätte. [Der vernehmende Funktionär Georg] Wolff* verweist auf die Behauptungen, daß Hein Hauptmann * ihn sich gegriffen habe und ihn ans Tor gebracht habe. Bartel kennt die Sache soweit nicht. Sagt, die ganze Sache wäre uns peinlich gewesen, da wir ja keinen Grund hatten, ihn zu finden. Hätten wir in dieser Sache einen Beschluß gefaßt, wären wir vor die Sektion gekommen. Bartel steht auf dem Standpunkt, an diesen Fall müßte sich eigentlich jeder erinnern können, wenigstens ungefähr. Es ist richtig, daß darüber eine allgemeine Diskussion im ganzen Lager war, ob es 181
Willi Schumann (geb. 1896), KPD in Hessen-Waldeck, seit 1934 in Haft, 1937-45 KZ Buchenwald.
318
11. Kaderkonirolle 1946 (Ernst Busse)
aber dieser konkrete Fall war, weiß ich nicht mehr. Bartel erklärt, weshalb Busse sich vielleicht nicht erinnern kann. Er und Kuhn waren zusammen, Busse war im Revier, nachts konnte man nicht mehr [aus dem Krankenbau ins allgemeine Lager] rüberkommen. Das Lager lag abseits, war eine Welt für sich. Kann sich vorstellen, daß dieser Fall nicht im Revier dieselben Wellen schlug wie im Lager. Vielleicht, wenn Bartel ihn erinnern würde, würde er sich besinnen. Es passierten Dinge im Revier, die nicht bis zu uns drangen und auch umgekehrt. Auf die Frage, ob die Partei die Übersicht bei den Liquidierungsgeschichten behalten habe, antwortet Bartel, daß sie auf Massenliquidierungen überhaupt keinen Einfluß hatten. Auch Experimente, die die SS machte, konnten sie grundsätzlich nicht verhindern. Wir hatten zu verhindern, daß unsere Leute dazukommen. Außerdem gab es individuelle Geschichten auf Anordnung der Ärzte. Soweit wir die Dinge rechtzeitig wußten und von den Sektionen den Antrag bekamen, das zu verhindern, haben wir es versucht; es ist aber nicht immer gelungen. Die letzte Phase waren die Abspritzungen in den letzten Wochen im Block 61. Unsere Aufgabe dabei war, zu verhindern, daß einer von uns dabei ist. Das war ein Block, wo man sterben mußte. Dieser Block war stark besetzt, nicht nur durch uns, sondern auch von den anderen Sektionen. Zum Teil wurden die Kranken der SS wieder unter den Fingern weggeholt. Es ging immer noch unter den Augen der SS, die Kranken wieder wegzuzerren. Es bestand die technische Möglichkeit, die Leute zu retten, das bedingte aber ein sehr schnelles Handeln. Bartel bestreitet ganz entschieden, daß unsere Leute die Leute herausgesucht hätten. Dieser Block war international besetzt, damit wir genaue Kontrolle hatten. Ein Antrag vom Gen. Οsehe ist Bartel nicht bekannt. 182 Die Leute waren ganz einfach zum Sterben verurteilt, weil kein Platz mehr da war. Auf die Frage, ob von Seiten der Parteileitung Drohungen ausgesprochen wurden, um sich Autorität zu wahren, sagt Bartel: „Das stinkt aber." Man solle ihm einen Fall nenne, wo auf Grund politischer Differenzen gedroht wurde. Bechert* und Stelzmann183 wurden von uns abgehängt, beide wurden nicht mehr als Parteigenossen betrachtet. Albert Kuntz hat St. [elzmann] zum Blockältesten im Jahre 1939 gemacht. Gedroht wurde niemals, allerdings war in der Lagersprache eine ständige Redensart: „Du gehst auch noch mal durch den Rost." Waibel* nennt er [Bartel] einen Parteifeind. Weshalb ist er nie aufgetreten? Bartel fragt, hat es je eine Resolution oder einen Mißtrauensantrag gegeben? Waibel hat sich nie anders als ein Parteifeind betragen. Wir wollten im Lager allerdings keine persönlichen Feindschaften, daß hieße Verrat. Wir haben ihn deshalb einfach links liegen gelassen, er kam von allein wieder. Persönlich hatten wir beide kein schlechtes Verhältnis. Warum kam er nie zu mir, wir haben doch zusammen gearbeitet? Er verkehrte nur mit parteifeindlichen Elementen, ich habe ihn deshalb mehrmals zur Rede gestellt. Von Männchen hatten wir den positiven Eindruck, daß er uns verpfeift und auch Namen nennt. Bei uns stand die Frage, M.[ännchen] ist ein Provokateur, ein Spitzel. Wir haben
182 183
Zusammenhang unklar. Vgl. Dok. 1.5.5, Anm. 153. Rudolf Stelzmann war von 1938 bis 1944 im KZ Buchenwald, als Blockältester „abgehängt" und getötet.
11.5.15 Vernehmung W. Bartel
319
gesagt, abschreiben in irgendein Kommando, ohne uns dabei zu beschmutzen. M. ging nach Leipzig, er war selbst nicht dagegen. Es bestand kein persönlicher Gegensatz zwischen M. und Bussel "Eher Männchen, Kuntz, Hauptmann, Reschke* usw. Die Lagersprache ist natürlich rauh, aber die Parteileitung hat niemals M. oder einen Anderen bedroht. Es konnte natürlich auch passieren, daß in den Sektionen untereinander Streitfälle waren, das konnten wir natürlich nicht kontrollieren. Wir handelten auf ihre Anweisung. [Georg] Wolff schildert den Fall mit dem kranken Russen und stellt die Frage, wer in diesem Fall Schuld hat, daß er kaputt ging. Bartel sagt Drewnitzki*, denn der hätte die Verpflichtung gehabt, Rückfrage zu halten. Das hat er nicht getan. Er hätte mit Busse oder dem Mann im Revier sprechen müssen, dafiir hatten wir ja überall unsere Leute drin. Selbst wenn D. die beiden Russen bekannt waren, dürfte er nicht so handeln. Er mußte sich vorstellen, daß der Kranke in die Mühle ging und hätte sich bei Busse, Kipp oder Helmuth [Thiemann*] erkundigen müssen. Ich weiß, daß wir deswegen eine Diskussion mit unseren russischen Freunden hatten, wahrscheinlich war es dieser Fall. Sie bestanden nicht weiter darauf, da die Schuld in der Mitte lag. Mir ist bekannt, daß dieser Fall uns von der russischen Seite auf die Debetseite gebucht wurde. Busse kann man in dieser Frage keinen Vorwurf machen. D. konnte zwar Mitteilungen entgegennehmen, hat aber nicht das Recht, Folgerungen daraus zu ziehen. War lange Zeit Blockältester, wurde auf Grund persönlicher Sachen abgelöst, kam dann ins Kommando. Politisch stand er bis Anfang 44 völlig am Rande. Erst als er Revierpfleger wurde, interessierte er sich, bekam dann eine Gruppe zur Instruierung. Jeder Antrag, den eine Sektion stellte, wurde von uns überprüft und auf Vorschlag des Apparates auch noch einmal besprochen. Die übergroße Zahl der Fälle entschied sich: Kommando. Ab 1943 war es brutales Gesetz, wer nicht Anhang hatte, mußte kaputt gehen. Wir haben uns nicht gewehrt gegen Stelzmann, Bechert und den Heizer 184 . In unseren Fällen gibt es, glaube ich, kein Fehlurteil. Bei den Russen war der Kampf am schärfsten. In ausländischen Fällen halte ich fiir möglich, daß wir nicht genügend geprüft haben. Es gab Wochen, wo wir uns mit solchen Fällen überhaupt nicht zu beschäftigen brauchten. Wir kamen jede Woche einmal mit unseren Sektionen zusammen. Differenzen mit den Sektionen gab es in erster Linie zur Frage Transporte oder Nichttransporte. Das Transportkommando wurde von uns international besetzt.
184
Gemeint ist Hermann Krause, vgl. Dok. 1.5.5.
320 II.6
II. Kaderkontrolle 1946 (Emst Busse)
Otto Sepke* an Franz Dahlem (Zentralsekretariat der SED). Betr. Genossen Ernst Busse" und Otto Kipp*, 23.10.1946185
Wenn im Lager Buchenwald im Vergleich zu anderen Lagern verhältnismäßig wenig Todesfälle zu verzeichnen sind und Tausende von politischen Häftlingen aus den einzelnen Ländern aktiv in den demokratischen Neuaufbau eingeschaltet werden konnten, so ist das vor allem das Verdienst unserer Genossen im Krankenbau, an deren Spitze seit 1942 der Genösse Ernst Busse und seit 1943 mit ihm sein Stellvertreter, der Genösse Kipp, standen. Ernst Busse, seit 1938 Blockältester und später Lagerältester, wurde im Jahre 1942, als die Berufsverbrecher sich noch einmal durchsetzen konnten, abgelöst. Später gelang es unserer Partei, ihn als Nachfolger der ermordeten Revierkapos Walter Krämer* und Karl Peix* in das Häftlingsrevier als Kapo einzusetzen. Das Ziel unserer Genossen, im Krankenbau einen Hauptstützpunkt im Kampf gegen die SS sowie eine Oase der Sicherheit für die Häftlinge zu schaffen, wurde, nachdem Krämer und Peix die Voraussetzungen dafür geschaffen hatten, von Busse erreicht. Hundertfach kam es vor, daß sich die alten und schwachen Antifaschisten im Krankenbau erholen konnten, daß sie zusätzlich Verpflegung bekamen. Der Krankenbau wurde mit seinen gesamten Einrichtungen und Erweiterungen zum großen Teil durch die Häftlinge zusammengetragen und illegal gebaut. Es gab kaum einen bewußten Antifaschisten, der nicht in seiner Freizeit Geräte usw. herbeischleppte oder an der Verbesserung des Krankenbaus arbeitete. Hierbei war Busse zum großen Teil Initiator. Systematisch wurde eine Reserve von Heilmitteln angelegt, die entweder im SS-Revier gestohlen oder durch Bestechung von SS-Unterfuhrern aus eigenen Geldmitteln von draußen beschafft wurden. Für die ersten Russentransporte, die geschwächt ins Lager kamen und die schwersten und schlechtesten Arbeiten machen mußten, gab es keine Revierbehandlung. Sie wurden nach und nach unter falschen Namen und Nummern als Polen usw. getarnt, unter Leitung von Busse ins Revier aufgenommen, aufgefuttert und gekräftigt entlassen. Die Einrichtung der Läusekontrollen, die planmäßige Bekämpfung von Seuchen und das Einsetzen von Hygienewarts in den Blocks, ebenfalls die Einrichtung von äußeren Ambulanzen in den Betrieben des Lagers wurden von Busse stark gefördert. Daß hierbei die bewußten Antifaschisten ohne Unterschied der Nation besonders betreut wurden, war eine Selbstverständlichkeit. Diese bewußten Antifaschisten wurden von den einzelnen Sektionen der Partei besonders signali-
185
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375 Bl. 100 f. Sepke war in Buchenwald Vorarbeiter in der Häftlingsbekleidungskammer und - so jedenfalls seine Andeutungen gegenüber Dahlem - Funktionshäftling im Häftlingskrankenbau gewesen; 1946 war er Kreisvorsitzender der SED in Greifswald. Nach einer Hausmitteilung Franz Dahlems an Grete Keilson v. 15.10.1946 hatte er Sepke in Greifswald getroffen und ihn um ein schriftliches Protokoll gebeten. „Er kennt genau die Zusammenhänge in der Frage des Reviers, da er als engster Mitarbeiter von Kipp damit zu tun hatte." Diesem Entlastungszeugnis aus dem inneren Kreis kommt insofern eine langfristige Bedeutung zu, als Sepke später selbst ein Spezialist der Parteikontrollkommissionen wurde (1950-54 hauptamtlicher Mitarbeiter und Mitglied der ZPKK, erneut seit 1967.) Sepke hat später auch Bartel in einem Privatschreiben die ansonsten geheim gehaltenen Ergebnisse der Untersuchungskommission gegen Busse in der Substanz mitgeteilt.
II 6 Otto Sepke an Franz Dahlem, 23. Oktober 1946
321
siert. Es kam vor, daß Häftlinge, die zur Liquidation vorgesehen waren, starben, daß heißt, nur auf dem Papier und in Wirklichkeit unter falschem Namen und Nummer weiterlebten. Alles wurde getan, um von den vollkommen entkräfteten Transporten, die bei der Räumung von Auschwitz usw. nach Buchenwald kamen, möglichst viele zu retten. Es war immer wieder erstaunlich, festzustellen, woher immer noch Verbandszeug und Medikamente bis zum Schluß aufzutreiben waren. Bei den Massentransporten und dem Heraussuchen der kräftigeren Häftlinge fur die Außenkommandos blieben Tausende Schwacher und Kranker im Lager zurück. In jedem Krankenblock wurde ein Kampf gefuhrt. Jeder Häftling im Lager Buchenwald wußte, daß die SS-Ärzte [Ludwig] Blies, [SS-Sturmbannführer] Dr. [Erwin] Ding [-Schuler], [SS-Untersturmführer Karl Erich] Wagner, [SS-Hauptsturmführer Dr. Waldemar] Hoven und vor allem [SS-Obersturmfiihrer Dr. Hans] Eisele, dann [SS-Hauptsturmführer Dr. Gerhard] Schi[e]dlauski, Obersturmführer Dr. [Heinrich] Platza und Hauptscharführer [Friedrich] Wilhelm 186 in hemmungsloser Weise mit dem Abspritzen von solchen Häftlingen sich beschäftigten, deren Gesundheitszustand fur die SS keinen Nutzen mehr brachte. Diese Morde waren in ihrer Gesamtheit nicht zu verhindern, dennoch aber haben die Kameraden des Krankenbaus auf Anweisung von Busse und Kipp unter eigener Lebensgefahr vielen das Leben retten können. Von den sogenannten Todestransporten oder Transporten nach berüchtigten Lagern konnten sehr viele bekannte Antifaschisten zurückbehalten und gerettet werden, indem sie als Tbc-Kranke oder nicht transportfähige Kranke auf Isolierstation zurückbehalten wurden. Einige solcher Fälle sind mir namentlich in Erinnerung, und zwar Dr. [Eugen] Kogon*, Wien, Georg Kraus [Krausz]*, Berlin, Leopold Hackmüller, Wien, der französische Kamerad Povez, die Luxemburger Nikolaus Simon, Dr. Kongs, Dr. Elmslick, Paris, Prof. van Lingen, Holland, Dr. Marian Ciepielowski und Duda, beides polnische Kameraden. 187 Diese und hunderte andere werden jederzeit bestätigen, daß Busse und Kipp sich unter eigener Lebensgefahr für sie eingesetzt haben. Mißtrauen von Seiten der SS herrschte immer gegen den Krankenbau im allgemeinen und die beiden führenden Kameraden im besonderen. Wie oft wurde kontrolliert und nach illegalen Empfangsgeräten und anderen Dingen gesucht, wie oft haben tausende Kameraden hier ein Fleckchen zum Ausruhen gefunden, weil sie wußten, ihre Kameraden im Krankenbau setzen sich jederzeit für sie ein. Ich erinnere mich auch der hunderte von Kindern unter 16 Jahren, die im Krankenbau, zum großen Teil versteckt vor den Todestransporten, gerettet wurden. Das war nicht so einfach, wie es sich anhört. Wie oft mußten die SS-Arzte und SSScharführer korrumpiert werden. Ob sich das um Kleidungsstücke handelte oder um in der Pathologie hergestellten Schnaps oder um Zigaretten, jedes Mittel war uns recht, wenn es 186
187
Zu den SS-Ärzten vgl. Dok. 1.5.1 und ausfuhrlich am besten Werner Scherf: Die Verbrechen der SS-Ärzte im KZ Buchenwald - der antifaschistische Widerstand im Häftlingskrankenbau. 2. Beitrag: Juristische Probleme, Diss. Α, Humboldt Universität, Berlin (DDR) 1987. Kogons Zeugnis zu Busse in Kogon, SS-Staats, a.a.O. S. 145; vgl. auch ebenda, S. 176 f. für Rettungen und Unterbringungen in Block 46 und 50, darunter der polnische Arzt Dr. Marian Ciepielowski, der dort Produktionsleiter war, und der holländische Physikprofessor Derk van Lingen. Hackmüller, Povez, Kongs und Duda nicht identifiziert. Nikolaus Simon (1898-1960), aus Luxemburg, 1941-45 im KZ Buchenwald; Leon Elmelik (geb. 1897 in Tunis), aus Luxemburg, 1944/45 im KZ Buchenwald.
322
II Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
sich im Interesse der Häftlinge verwenden ließ. Diese Seite illegaler Arbeit soll nur als Äußerung der planmäßigen Zusammenarbeit aller Antifaschisten festgestellt werden. Es hat sich an den Erfahrungen in anderen Lagern gezeigt, daß es uns in der Anwendung von oben genannten Methoden immer wieder gelang, den Verbrechen der SS in die Arme zu fallen und noch Schlimmeres zu verhindern. Kipp und Busse, die unter schwersten Bedingungen und in ständiger Lebensgefahr so ihre Arbeit fur die Antifaschisten und die anderen Häftlinge des Lagers geleistet haben, können von den deutschen Antifaschisten und vor allem den Mitgliedern der ehemaligen kommunistischen Partei des KL. Buchenwald als durchaus positiv bezeichnet werden. Zeugen für diese geleistete Arbeit sind jederzeit Kurt König 188 und [Gustav] Hennig* 1 8 9 , Leipzig, Herbert Thiele*, Taucha, Hans Burghard 1 9 0 , Chemnitz, [der Kapo der Häftlingsbekleidungskammer] Otto Halle*, Halle, [der Kontrolleur und 2. Lagerälteste] Karl Pankow*, Weimar, und viele andere mehr. Ich kann mich erinnern, wie Otto Kipp beim Abrücken der Amerikaner aus Buchenwald, nachdem er Wochen im Bunker gesessen hatte, unter großer Bedeckung auf ein amerikanisches Auto verladen wurde. Hunderte von jugoslawischen und polnischen Kameraden standen dabei (alle anderen Nationen waren schon in ihre Heimat transportiert) und versuchten, Kipp aus den Händen der Amerikaner zu befreien. Schließlich mußten sie einsehen, daß gegen die bewaffneten Sodaten nichts zu machen sei. Dieses eine Beispiel beweist die Sympathie, die von Seiten auch der ausländischen Kameraden für Kipp vorhanden war. Ich bestätige, daß diese Aussagen der Wahrheit entsprechen, da ich als Vorarbeiter der Häftlingsbekleidungskammer 191 während der ganzen Jahre die Gelegenheit hatte, ihre Arbeit zu beobachten und mit ihnen auch politisch zusammenzuarbeiten.
II.7
„Untersuchungsergebnis in der Angelegenheit des Gen. Busse* betr. Beschuldigungen gegen Genossen der Parteileitung im Konzentrationslager Buchenwald", 7.11.1946 192
Untersuchungskommission: Wolff, Georg (Vorsitzender), Keilson, Grete, Leuschner, Brun o 1 9 3 , Miller, Sepp 188 189 190 191 192
Kurt König (geb. 1903), aus Leipzig, KPD, seit 1936 in Haft, im KZ Buchenwald 1942-45, Blockältester in Block 34 und Dolmetscher des illegalen Internationalen Lagerkomitees. Vgl. Dok. II.5.14, Anm. 170. Nicht identifiziert. Hans Burkhard stand auch auf der Liste der 46 am 5 .4.1945 von der SS gesuchten KP- und Lagerfunktionäre. Diese Selbstbezeichnung als Funktionshäftling ist von einem Bearbeiter des Schreibens unterstrichen worden. SAPMO-BA, ZPA, IV 2/4/375, Bl. 15-18. Von diesem Untersuchungsbericht existieren insgesamt drei Entwurfsfassungen, deren erste ein undatierter und ungezeichneter handschriftlicher Entwurf (Bl. 23-25) ist, der wahrscheinlich von Grete Keilson stammt und im folgenden als U-l zitiert wird. Der zweite ist ein maschinenschriftlicher Entwurf v. 31.10.1946, den Keilson und Miller unterschrieben haben (Bl. 6-8) - im folgenden U2 - dem auf Bl. 9 Varianten zu den Punkten 4 und 5 und zum Schluß beigegeben sind - im folgenden U-3. Im
II. 7 Untersuchungsergebnis in der Angelegenheit Busse, 7. November 1946
323
Die Untersuchung erstreckte sich auf folgende Punkte: 1.) 2.) 3.) 4.) 5.)
Allgemeine politische Haltung. Übernahme von Funktionen im Lager. Todesspritzen, Bedrohungen von Genossen usw. Anschuldigungen betr. konkreter Fälle im Lager. Moralische Haltung einzelner Genossen.
Einvernommen wurden die Genossen: Zilles* - Brandt* - T[h]iemann* - Großkopf* - Kipp* - Gartig* - Jurich* - Pankow* Reschke* - Männchen* - Dobermann* - Pawel - Baer* - Jahn* - Osche* - Bartel*. Die Genossen Busse, Waibel* und Drewnitzki* wurden gemeinsam vernommen. (Protokolle über die einzelnen Vernehmungen liegen vor.) Zur Person des Genossen Busse 194 : Er stammt aus einer Arbeiterfamilie. Mit 15 Jahren trat er in die SAJ ein, wurde dann Mitglied des Spartakusbundes und trat von der [sozialistischen] Jugend in die KPD über. Er hatte hauptsächlich gewerkschaftliche Funktionen, zuletzt in der Bezirksleitung des DMV in München-Gladbach. 1932 MdR. 1933 verhaftet und vom Volksgerichtshof zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Anschließend KZ Lichtenburg. Von 1937 bis Schluß im KZ Buchenwald. Dort Mitglied der Parteileitung. Es muß besonders eindringlich auf die außergewöhnlichen Verhältnisse im Lager hingewiesen werden, die darin bestanden, daß die täglich wechselnden Situationen Leben oder Tod der Gefangenen im Gefolge hatten.195 Im Lager befanden sich zeitweilig 40.000 bis 60.000 Menschen der verschiedensten Nationen, ein buntes Gemisch ungleicher Weltanschauungen, verbrecherische, kriminelle Elemente, unpolitische Menschen bis zu bewußten Klassenkämpfern. Die Methoden des politischen Kampfes mußten den Besonderheiten des Lagerlebens angepaßt sein. Diese anormalen Verhältnisse waren mitbestimmend für das Leben und das Verhalten der politischen Funktionäre.196 Zu Punkt 1.) Allgemeine politische Haltung: Von fast allen Genossen wird bestätigt, daß die Parteileitung in Buchenwald während der ganzen Zeit - auch in den kritischen Situationen - eine feste, politische Haltung einnahm. In
193 194 195 196
folgenden wird die von den vier Kommissionsmitglieder unterzeichnete Endfassung (handschriftlich auf den 7.11.1946 datiert) abgedruckt; wesentliche Abweichungen der Entwurfsfassungen sind angemerkt. Die z.T. deutlichen Abweichungen der Endfassung von den Entwürfen dürfte durch den Hinzutritt Bruno Leuschners, der offenbar an den Vernehmungen und der Entwurfsarbeit nicht teilgenommen hatte, bewirkt worden sein - er war das einzige Kommissionsmitglied, das aus dem KZ (Sachsenhausen) kam. Die anderen Kommissionsmitglieder, die zu einem kritischeren Urteil gelangt waren, waren in der russischen (Keilson, Wolff) bzw. skandinavischen (Miller) Emigration. (Vgl. Dok. II.3) Ein formeller Beschluß des Zentralvorstands der SED über diesen Untersuchungsbericht wurde nicht gefunden U-l: ursprünglich ,,Wilhelm"[sic!], durchgestrichen und durch „Bruno" ersetzt. U-l: gegen den sich die Beschuldigungen in erster Linie richten ... Zweiter Halbsatz noch nicht in U-2. Dieser ganze Abschnitt nicht in U-l.
324
11. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
den ersten Jahren gab es einige Gruppierungen, wobei es aber vorwiegend um die Besetzung der Parteileitung ging. Die Mehrzahl der Genossen stand hinter Albert Kunz [Kuntz]*, eine Minderheit hinter Jurich Leipzig.197 Über die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz wurde erst Klarheit geschaffen, nachdem der Genösse Osche ins Lager kam, der an der Konferenz teilgenommen hatte und nun berichtete. Bei einzelnen Genossen außerhalb der Leitung gab es Schwankungen anläßlich des Paktabschlusses zwischen Hitlerdeutschland und SowjetUnion und später beim Vormarsch der faschistischen Armeen gegen die SU. Zu Punkt 2.) Übernahme von Funktionen im Lager: Es herrscht Übereinstimmung aller Genossen, daß die Übernahme von Funktionen im Lager absolut richtig198 war. Dadurch waren unsere Genossen in der Lage, die unvorstellbaren, unmenschlichen Maßnahmen der SS durch geschickte Taktik von Zeit zu Zeit und von Fall zu Fall abzuschwächen oder abzuwehren. Es ist das Verdienst unserer Genossen, weitgehende Erleichterungen fur alle Gefangenen verschafft und Tausenden von Antifaschisten aller Nationen das Leben gerettet zu haben. Das harte Leben brachte aber auch mit sich, daß in einzelnen Fällen Funktionäre der Partei gegen Lagerinsassen hart vorgegangen sind. Es handelt sich hierbei um jene einzelnen Begebenheiten, wo Genossen zwangsläufig dem Druck und den Einwirkungen der SS unterlagen, was aber nicht auf die Genossen der Parteileitung zutrifft. Trotzdem waren auch die Genossen der Parteileitung vielfach der Kritik und den Anfeindungen anderer Gefangener ausgesetzt, denn die Ausübung ihrer Funktion erforderte einen - mag er innerlich auch noch so distanziert gewesen sein - gewissen äußerlichen Umgang mit der SS. Die Übernahme der Positionen des Lagerschutzes war nach übereinstimmender Aussage aller Genossen absolut richtig. Dieser sowohl wie der illegale Abwehrapparat hat seine Aufgaben positiv erfüllt. Die Folgen wären nicht auszudenken, wenn die Positionen des Lagerschutzes, des Krankenbaues usw. in den Händen der BVer geblieben wären. 199 Zu Punkt 3.) Todesspritzen, Bedrohungen von Genossen usw.: Todesspritzen wurden - wie bekannt - im Lager massenweise angewendet. Die Betroffenen wurden von den Lagerärzten ausgesucht, nach Block 46 und 61 geschickt und dort getötet. 197 198
199
In der Endfassung handschriftliche Randanstreichung an den letzten beiden Sätze und Unterstreichung des letzten Satzes. U-l: „absolut richtige Taktik." Der Rest von Punkt 2) lautet hier noch: „Dadurch wurde hunderten von Genossen das Leben gerettet und tausenden Erleichterungen verschafft. Dabei war nicht zu vermeiden, daß Funktionäre der Partei auch gegen Lagerinsassen in einzelnen Fällen hart vorgehen mußten und dadurch in den Augen der Häftlinge in schlechtes Licht kamen. Es gab auch Fälle, wo Genossen den Einwirkungen der SS unterlagen. Auch die Genossen der P.[artei]-Leitung waren der Kritik und Anfeindungen ausgesetzt, jedoch ist die Meinung allgemein, daß nur diejenigen davon verschont blieben, die sich politisch überhaupt nicht betätigten." U-2 ist in dieser Hinsicht eine Zwischenfassung: hier wird hunderten von Genossen „aller Nationen" das Leben gerettet und nunmehr „Tausenden" (also nicht mehr nur Genossen) Erleichterungen verschafft. Hier ist auch das Erliegen gegenüber dem Druck der SS noch nicht „zwangsläufig", während die Funktionäre sich einer „Zusammenarbeit mit der SS nicht völlig entziehen konnten" und die Aufgabenerfullung der Abwehr noch nicht als „positiv" hervorgehoben wird. Dieser Absatz stand in U-l am Schluß des Abschnitts „Todesspritzen, Bedrohungen", ergänzt um den Satz:"Daß es dabei oft hart herging - bis zu Schlägen - versteht jeder, der die Bedingungen des Lagerlebens kennt."
II. 7 Untersuchungsergebnis in der Angelegenheit Busse, 7. November 1946
325
Da die Ärzte, die die Auswahl der Todeskandidaten vornahmen, von Sanitätern, die oft Genossen waren, begleitet wurden, konnte bei den Häftlingen der Eindruck entstehen, daß unsere Genossen an der Auswahl mit beteiligt waren. Unsere Genossen versuchten dabei, gute Elemente soweit als möglich zu retten. Zum Teil geschah dieses durch das Unterschieben von Nummern bereits Verstorbener oder auch durch das Auswechseln von Todeskandidaten. Auf besonderen Beschluß der Parteileitungen der einzelnen Nationen 200 wurden auch Gestapoagenten, Verräter und sonstige gefährliche Elemente mittels Todesspritze liquidiert. Nach Aussagen der Genossen handelte es sich hierbei um außergewöhnliche Beschlüsse, die in geringer Zahl gefaßt und durchgeführt wurden. 201 Volle Klarheit konnte die Kommission in dieser Frage nicht erzielen. Die nicht beteiligten Genossen wissen nichts Genaues, während die Beteiligten in ihren Aussagen zurückhaltend sind. Widersprüche gab es dabei nicht. Was die Bedrohungen von Genossen anbelangt, so herrschte im Lager ein gewisser Druck, da es sonst unmöglich gewesen wäre, eine illegale Arbeit in diesem Ausmaß durchzuführen, die bis zur Ansammlung von Waffen ging. Zu Punkt 4.) Anschuldigungen betr. konkreter Fälle im Lager: a) Betreffs der Auslieferung eines vor dem Galgen geflüchteten jungen Russen können sich die Genossen - mit Ausnahme des Genossen Busse 202 - erinnern, da der Vorfall im Lager großes Aufsehen erregte. Die Meinungen, ob ein Beschluß zu seiner Rettung gefaßt wurde, gehen auseinander. Nach Aussage des Genossen Bartel hat man in der Leitung über diesen Fall gesprochen, jedoch einen Beschluß, ihn zu finden und auszuliefern habe es nicht gegeben. 203 b) Der Fall des kranken Russen, der vom Revier abgewiesen und danach getötet wurde, ist den meisten Genossen nicht bekannt. Nach den Aussagen des Genossen Drewnitzki, der mit diesem Kranken direkt zu tun hatte, steht einwandfrei fest, 204 daß der Genösse Busse damit nicht belastet werden kann, da der Letztere erst davon erfuhr, als die Angelegenheit erledigt war. Zu Punkt 5.) Moralische Haltung einzelner Genossen: Durch die Besetzung der verschiedenen Positionen im Lager waren die Funktionäre nicht nur zahlreichen Gefahren ausgesetzt, sondern hatten auch die Möglichkeit, sich besondere Vorteile zu verschaffen. Das haben sie getan. Dieses ist im allgemeinen 205 vertretbar. Zu verur200 201 202 203 204
205
U-l: „im Einvernehmen mit den Leitungen der betr. Sektionen." U-2: letzter Satz fehlt, stattdessen: „...liquidiert, jedoch nur in ganz geringer Zahl." Dieser Zusatz ist in U-l eingefugt. U-l betont, daß sich außer Busse und Thiemann alle an diesen Vorfall erinnern könnten. U-1: „Als in dieser Sache Rückfragen an die russische Sektion gemacht wurden, war es bereits zu spät." U-l: es sei eindeutig, daß Drewnitzki „selbst in diesem Falle unverantwortlich gehandelt hat, indem er den beiden Russen, ohne sie genauer zu kennen, Glauben schenkte und nicht Rückfrage bei der P.[artei]-Leitung hielt. Er erklärt selbst, daß Busse von diesem Fall erst Kenntnis erhielt, als der Mann schon tot war." U-l: „absolut".
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11. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
teilen sind Vergünstigungen, die von einem Teil unserer Genossen den Frauen im Bordell zugewendet wurden. 206 Fest steht, daß die Parteileitung einen Beschluß, das Bordell nicht zu besuchen, nicht gefaßt hat. Es wurde aber seitens der Parteileitung allgemein empfohlen, das Bordell zu meiden. Das Verhalten des Genossen Busse in diesem Punkt war - was er auch selbst zugibt - nicht einwandfrei. 207 Eine 208 Bereicherung der Genossen an Roten-Kreuz-Paketen, Wertsachen usw. hat nicht stattgefunden. Die Pakete wurden nach Aussagen aller Genossen im allgemeinen korrekt verteilt. Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Genösse Busse im Sinne der gegen ihn erhobenen konkreten Anklagen nicht als schuldig anzusehen ist. 209 206
207
208 209
U-l: „Dazu gehören in erster Linie die Gen. Busse, Gerdig [Gärtig] und Dose*. Die Frage des Besuchs des Bordells hat die meisten Diskussionen ausgelöst. Einige Gen. behaupten, es habe ein Beschluß der P.-Leitung bestanden, das Bordell nicht zu besuchen." U-l: „Die Gen. Busse, Gerdig [Gärtig], Dose und andere Funktionäre waren Bordellgänger. In Busse seinem Zimmer im Revier waren kranke Frauen untergebracht, mehrere Wochen eine einzelne Frau, von der man offen im Lager von 'Frau Busse' sprach. Von Seiten der P.[artei]-Leitung wurden Busse öfter darüber Vorhaltungen gemacht. Die Haltung in dieser Frage war der schwächste Punkt bei Busse." U-!: „Abgesehen von den besonderen Vergünstigungen hat es eine..." Dieser Absatz und der Schluß des Berichts weichen in allen Fassen stark ab. Sie werden hier deshalb jeweils ungekürzt mitgeteilt: U-l: „Soweit die Anschuldigungen gegen den Gen. Busse speziell in Frage stehen, ist eine besondere Belastung für ihn, daß er Bordellgänger war und Frauen in seinem Zimmer hatte. In allen übrigen Dingen hat er nichts anderes gemacht, als alle anderen Mitglieder der Leitung. Er hat also dieselben Verdienste in der Organisierung der politischen Arbeit, wie er für die unvermeidlichen Härten und einzelnen Fehler, die vorkommen, mitverantwortlich ist. Eine isolierte Beurteilung besonderer Vorkommnisse kann vom rechtlichen Standpunkt aus zu einer Verurteilung fuhren. Eine Beurteilung der Gesamttätigkeit unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Lagerlebens muß ihn jedoch, wie alle anderen Mitglieder der Leitung, rechtfertigen. Unter Berücksichtigung der exponierten Stellung, in der sich Gen. Busse befindet, halten wir es für angebracht, ihn vorläufig aus dieser Position zurückzuziehen." U-2: JSchlußfolgerungen: In den Augen der Masse der Häftlinge, besonders der ausländischen, mußten die Funktionäre als Stützen der SS-Lagerordnung und auf Grund der Vorteile, die sie sich beschaffen konnten, als bevorzugte Schicht erscheinen, da sie infolge ihrer Tätigkeit ständig zwangsläufig mit der SS zu tun hatten und diese mit allen gangbaren Mitteln korrumpieren mußten. Selbst unsere Genossen sprechen von den 'Prominenten'. Die Kommission ist jedoch überzeugt, daß die Parteifunktionäre im Lager Buchenwald hervorragende Verdienste haben, indem sie für die Erhaltung der antifaschistischen Kader aller Nationen unter großen, eigenen Gefahren erfolgreich Sorge trugen, auf die Moral der Lagerinsassen einwirkten und die Verhältnisse des Lagerlebens im allgemeinen erleichterten. Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Genösse Busse im Sinne der gegen ihn erhobenen konkreten Anklagen nicht schuldig ist. Da aber zu erwarten ist, daß von reaktionärer Seite - und wahrscheinlich besonders von reaktionären Kreisen des Auslandes - Anschuldigungen gegen Busse erhoben werden und Busse durch seine leitende Funktion als Kapo des Krankenreviers von Buchenwald in den Augen von Tausenden von Häftlingen als mitschuldig an den Vorkommnissen angesehen werden könnte (in der Untersuchung wurden anonyme Briefe diesbezüglichen Inhalts an die Polizeiverwaltung in Thüringen erwähnt), geben wir zu bedenken, ob es nicht zweckmäßiger wäre, Busse aus seiner jetzigen Funktion zurückzuziehen und ihn an weniger exponierter Stelle einzusetzen. Wir wollen jedoch auch darauf hinweisen, daß eine solche Maßnahme entsprechende Rückwirkungen auf alle Genossen haben kann, die im Lager an führender Stelle standen und der Gen. Busse in jeder Position denselben Anfeindungen ausgesetzt werden kann, [gez.] Keilson, Miller."
11.8 Erneute Vorwürfe, 4. Februar 1947
327
Der allgemeine Eindruck der Kommission über die Verhältnisse im Lager Buchenwald ist jedoch der, daß durch die Eigenart des Lagerlebens in Buchenwald die Funktionäre in den Augen besonders der indifferenten Masse der Gefangenen als eine bevorzugte Schicht, und einzelne sogar als Stützen der SS-Lagerordnung angesehen wurden, da sie ständig mit der SS äußerlich zu tun hatten und diese mit allen möglichen Mitteln zu korrumpieren gezwungen waren, um im Interesse aller Gefangenen Einfluß zu gewinnen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß aus den verschiedensten Motiven heraus Anschuldigungen gegen leitende Funktionäre des Lagers Buchenwald erhoben werden und dabei der Genösse Busse durch seine leitende Funktion als Kapo des Krankenreviers von Buchenwald besonders angegriffen werden kann. Die Kommission ist jedoch überzeugt, daß die Parteifunktionäre im Lager Buchenwald hervorragende Verdienste haben, indem sie für die Erhaltung der antifaschistischen Kader aller Nationen unter großen, eigenen Gefahren erfolgreich Sorge trugen, auf die Moral der Lagerinsassen einwirkten und die Verhältnisse des Lagerlebens im allgemeinen erleichterten. [gez.] Wolff Keilson Miller Leuschner
II.8.
SED-Hausmitteilung von Franz Dahlem (ohne Adressat). Über Kritik von Waibel*, Drewnitzki* und Scherlinski* 210 an der Busse-Untersuchung, 4.2.1947 211
[handschriftlicher Zusatz] Eilt\ Zu Dachau-Prozeß der Amerikanischen] Militärregierung gegen Antifaschisten. Beiliegend Notizen von Angaben, die Rudi Bleil und Klein212 von Toni Waibel, Victor Drewnitzki und Schalenski [d.i. Alfred Scherlinski] über Busse* und Walter Bartel* erhalten und weitergeleitet haben.
210 211 212
U-3: Jichlußfolgerungen: Durch die Eigenarten des Lagerlebens in Buchenwald erschienen in den Augen besonders der indifferenten Masse der Gefangenen diejenigen Funktionäre, die ständig mit der SS äußerlich zu tun hatten und diese mit allen möglichen Mitteln korrumpierten, um Einfluß zu gewinnen, als eine bevorzugte Schicht. Selbst unsere Genossen sprechen von den 'Prominenten'. Die Kommission ist jedoch überzeugt, daß die Parteifunktionäre Lager Buchenwald hervorragende Verdienste haben, indem sie für die Erhaltung der antifaschistischen Kader aller Nationen unter großen eigenen Gefahren erfolgreich Sorge trugen, auf die Moral der Lagerinsassen einwirkten und die Verhältnisse des Lagerlebens im allgemeinen erleichterten." Vgl. auch die Gegenüberstellung Ernst Busses mit Toni Waibel und Victor Drewnitzki, Dok. II.4. SAPMO-BA, ZPA 2/4/375, Bl. 120 ff. Die Gewährsleute konnten nicht identifiziert werden.
328
II. Kaderkontrolle
1946 (Ernst Bitsse)
Bitte um Mitteilung, ob dabei Momente sind, die der Kommission zur Untersuchung der Anklage gegen Busse nicht bekannt waren.
[Anlagen] Den 27. Januar 1947 Betrifft: Walter Barthel
[Bartel]*
Die Angaben der Gewährsleute R.B. und K. stützten sich auf die Aussagen von Tony [Toni] Waibel*, Viktor Drewnetzki [Drewnitzki]* und Schalenski [d.i. Alfred Scherlinski, Berlin] (Verwaltungsbezirk Mitte). Außerdem wird behauptet, Robert Siewert* in Halle könnte dies ebenfalls bezeugen. 213 B.[artel] soll 1936 in Prag wegen Feigheit aus der Partei ausgeschlossen worden sein. / Nach dem Tode von Kuntz* wurde Bartel Mitglied des politischen Kopfes in Buchenwald, und er ist daher mitverantwortlich für die bei B.[usse] und R.[eschke]* gemachten Angaben. Beurteilung: Es soll eine Verhandlung gegen B. 214 im Z.S. [Zentralsekretariat der SED] stattgefunden haben. Der oben genannte Viktor Drewnitzki habe deshalb nicht konkret ausgesagt, als er gefragt wurde, weil alle Beteiligten sich in fahrenden Stellungen sowohl im Z.S. als auch in Zentralverwaltungen oder sonst wo befinden. Man habe nur Leute gehört, die selbst in dieser Angelegenheit belastet sind. / Die Ansicht der drei oben genannten ist, daß ein Parteischiedsgerichtsverfahren eingeleitet werden müßte, mit der Aufgabe, wirklich die Dinge zu klären und nicht in Form einer einzigen Sitzung abzutun. / Nach der Besetzung des Lagers durch die Amerikaner unternahm der politische Kopf als erste Tat den Versuch, ein ZK der KPD auszurufen 215 . / Die Amerikaner stellten es bei der Besetzung des Lagers den Häftlingen frei, die SS zu liquidieren oder sie ihnen auszuliefern. B.[artel] und der politische Kopf entschieden sich für die Übergabe an die Amerikaner. 216 Betrifft: B. [Ernst Busse] [...] B. war ebenfalls eine zeitlang 1. Lagerältester, wurde dann aber bei der generellen Umbesetzung zum 1. Kapo des Reviers ernannt. / B. soll sich auch im politischen Kopf der illegalen Partei befunden haben. B. war als erster Kapo mit dafür verantwortlich, daß Otto Kipp* unter dem Motto: Tbc-, Ruhr-, Typhus-verdächtig Abspritzungen in seinen Revierbaracken vornahm. B. hat ebenfalls eigenhändig an solchen Abspritzungen teilgenommen. / Otto Kipp 213 214 215 216
Dieser Absatz wie auch der Datumsvermerk sind im Original in allen drei Anlagen wortidentisch und werden deshalb unten nicht wiederholt. Die Aussage könnte andeuten, daß Drewnitzki der eigentliche Untersuchungsgegenstand unklar geblieben war. Diese Nachricht, die auf die Emigrationsführer besonders alarmierend zu wirken geeignet war, ist sonst u.W. nicht belegt. Es folgt im maschinenschriftlichen Original ein handschriftlich durchgestrichener Satz: „Inzwischen werden die SS-Leute von den Amerikanern wieder freigelassen."
11.8 Erneute Vorwürfe, 4. Februar 1947
329
wurde nach der Besetzung von den Amerikanern in Haft behalten und ist erst vor 1/4 Jahr entlassen worden. / Es ist bisher mit Ausnahme einiger ausländischer Pressestimmen nichts gegen die deutschen Kommunisten in den Konzentrationslagern laut geworden. Auch beim Nürnberger Ärzteprozeß wurde diese Angelegenheit nicht erwähnt, [objwohl sie durch Otto Kipp den Amerikanern bekannt geworden war. B. hat aber seinen Apotheker aus dem Lager Buchenwald mit Papieren ausgerüstet, Interzonenpässen und Auslandspapieren und hat ihn u.a. nach Frankreich geschickt mit dem Ersuchen, die französischen Konzentrationäre zu bewegen, beim evtl. Prozeß nichts auszusagen, weil es der Partei schaden würde. B. war im Besitz einer Liste, aus der hervorging, daß die SS noch in den letzten Monaten hauptsächlich politische Häftlinge abspritzen wollte, u.a. stand in dieser Liste auch Scherlinski. B. hat keinen Genossen gewarnt, damit er sich verstecken konnte, um dem drohenden Tod zu entgehen. Scherlinski hat durch eine andere Verbindung direkt zur SS von seinem drohenden Tod erfahren und sich darauf unsichtbar gemacht. B., der Mitglied des politischen Kopfes war, ist auch fur folgende Angelegenheit mitverantwortlich: Ende 1943, als die SS nicht mehr so Herr der Lage war und die Lage im Lager sich selbst gelockert hatte, gelang es einem Politoffizier der Roten Armee, der mit ca. 20 Kameraden ins Krematorium zur Verbrennung gebracht wurde, zu flüchten und in Revierbaracken, die dem Krematorium am nächsten standen, unterzutauchen. Von hier aus gelangte er in das offene Lager und wurde von Parteigenossen versteckt. Die SS ließ verkünden, wenn der Russe nicht herausgegeben wird, werde die SS Repressalien ergreifen. Der politische Kopf, zu dem B. gehörte, beschloß, wegen eines Mannes nicht das ganze Lager mit Repressalien überziehen zu lassen. Das würde der Allgemeinheit schaden und der genannte Stenz 217 und der Lagerschutz suchten diesen Russen und prügelten ihn zum Lagertor in die Hände der SS. Doch auch hier gelang es dem Russen, noch einmal zu entfliehen und wieder in das Lager zu flüchten und sich zu verstecken. Stenz und der Lagerschutz suchten ihn erneut, fanden ihn und prügelten ihn schon halbtot, bevor sie ihn der SS übergaben. B. hat ebenfalls feudal gewohnt und sich mitschuldig gemacht, an weiblichen Häftlingen 218 vergangen zu haben [sie]. Wenn sie ihnen gefielen, holten sie sie ins Revier, gaben ihnen eine Tablette, die Halsentzündung hervorrief und sie wurden dann mit Temperatur in die Revierbaracke aufgenommen. Hier wurden sie dann sehr gut verpflegt und in einige Annehmlichkeiten versetzt, bis man von ihnen genug hatte und sich mit anderen Frauen neu versorgte. Nach Aussagen von Scherlinski soll B. zwei Häftlinge, die sich als Denunzianten in Buchenwald betätigten, in leitende Funktionen in Weimar gebracht haben. [...]
217 218
Ist im Text vorher nicht erwähnt und nicht identifiziert. Soll angeblich ein Häftling der Lagerfeuerwehr gewesen sein. Die einzigen weiblichen Häftlinge im Hauptlager Buchenwald waren die Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück im Lagerbordell.
330
II. Kaderkontrolle 1946 (Ernst Busse)
Betrifft: R. [Erich Reschke] [...] R. ist in Hamburg nicht groß politisch hervorgetreten. Man kannte ihn dort nur aus dem RFB [Rotfrontkämpferbund] und nichts weiter. R. wurde während des Krieges seit 1939/40 Kapo, erster stellvertretender Lagerältester und die letzten zwei bis drei Jahre erster Lagerältester und übte faktisch die Funktion eines Lagerleiters im KZ. Buchenwald aus. / Während je nach der Situation draußen im Lager alle Blockführer und sonstigen Funktionäre des Lagerlebens gewechselt wurden, blieb R. bis zur Befreiung durch die Amerikaner erster Lagerältester. 219 R. hat von dem SS-Führer Schober, dem Kommandanten des KZ. Buchenwald 220 , zur Sicherung seiner Person und als persönliches Geschenk einen großen Hund erhalten, mit dem er im KZ. spazieren ging und den er des öfteren auf Häftlinge gehetzt hat. / Im Laufe der Kriegsjahre, als der Mannschaftsbestand der SS verringert wurde, ist ein sogenannter Lagerschutz eingerichtet worden, dessen administrativer Leiter R. ebenfalls war. / Die illegale Partei in Buchenwald hatte Einfluß auf den Lagerschutz. / Als R. einige Monate Dienst tat, d.h. die Funktionen verrichtete, die vorher von den SS-Mannschaft ausgeführt wurden, äußerte der Kommandant Schober folgendes: Er könne sich auf den Lagerschutz besser als auf seine Lager-SS verlassen. R. hatte eine komfortabel eingerichtete Wohnung innerhalb des Lagers, eine eigene Sonderküche und wurde mit allem ausgestattet, was andere Häftlinge sich nicht zu träumen wagten. / R. hatte einen Mithelfer (seine rechte Hand), ebenfalls ein Hamburger namens Stenz. Stenz wird als Denunziant bezeichnet. Er war der Schrecken des Lagers und hat Deutsche, Russen, Juden und andere bei der Lagerleitung denunziert und ausgeliefert. 221 / R. hat erlaubt, daß [der 3. Lagerälteste] Paul Schreck* Strafen eigenhändig vollzog. / Bei generellen Umbesetzungen ist R. immer wieder bestätigt worden. Er hat von sich aus Strafen über das ganze Lager verhängt. Er ließ KZ.-Häftlinge blockweise die ganze Nacht mit hocherhobenen Händen stehen und viele andere Schikanen mehr. Als die Häftlinge im Winter nicht genügend Feuerung hatten, brachten sie von der Arbeit Bahnschwellen mit. Die SS-Wache[n] ließen die Häftlinge das Lagertor passieren, R. jedoch hat sofort bei Androhung von Strafen veranlaßt, daß in einem Extradienst sämtliche Bahnschwellen zurücktransportiert werden mußten und hat außerdem diese Häftlinge noch bestrafen lassen.
[...]
219 220 221
Unrichtig: Er wurde im Herbst 1944 verhaftet und zur Gestapo nach Weimar gebracht und blieb bis April 1945 im Gefängnis Ichtershausen. SS-Sturmbannführer Max Schobert war von 1942-45 Schutzhaftlagerfiihrer. Diese Beschreibung wird sonst von dem (ebenfalls nicht näher identifizierbaren) Kontrolleur Hein Hauptmann gegeben.
III ANTIFASCHISMUS IM KALTEN KRIEG
III. 1 Hans Neupert* an Wilhelm Pieck 1 . Hilfeersuchen um Befreiung aus dem amerikanischen Gewahrsam in Dachau, 14.9.1946.2
Werter Genösse Pieck! Besondere Umstände zwingen mich, Dir auf diesem Wege Kenntnis von Vorgängen zukommen zu lassen, von denen Du sowie die Genossen und die Öffentlichkeit ahnungslos sind. Meine Personalien: Hans Neupert, Maurer, geb. 27.9.97 zu Röthenbach/Oberfranken, wohnhaft Schlottenhof/Oberfranken. Nr. 69 Bayern. Seit 1919 gewerkschaftlich und politisch organisiert, Mitglied der K.P.D. seit 1920, Bezirk Nordbayern. Am 10.3.1933 wegen meiner politischen Tätigkeit verhaftet und in das KZ Dachau bis 14.2.35 eingebracht. Am 1.9.39 erneut wegen meiner politisch antifaschistischen Haltung in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo ich bis 11.4.45 einsässig war. Ich möchte nebenbei bemerken, daß ich niemals Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Hilfs- oder Nebenorganisationen war. Am 18.5.45 traf ich krank und körperlich gebrochen nach sechswöchigem Fußmarsch in meiner Heimat ein. Am 13.6.45 wurde ich ohne Angabe von Gründen mitten in der Nacht von amerikanischer Polizei verhaftet, nachdem ich gemeinsam mit dem Genossen Willi Klug3, Hof a.d. Saale, Döbereinerstr. Nr. 24 bereits in Eisleben von amerikanischer M.P. in Haft gehalten wurde. (Eine Abschrift des Tatsachenberichts über unsere Behandlung dortselbst befindet sich in den Händen des Gen. Klug. Eine zweite Abschrift wurde bei meiner Verhaftung bei mir gefunden und befindet sich, wie ich annehme, in den Händen des CIC). Bei meiner Verhaftung wurden mir durch den amerikanischen Major, dessen Name mir jedoch unbekannt ist, dessen Standort Bad Dürrenberg bei Merseburg war und wohin ich auch nach meiner Verhaftung gebracht wurde [...]. (Nähere Einzelheiten über Vorgänge dortselbst können durch den Genossen Walter Lagemacher,4 Maurer, Bad Dürrenberg, und den Genossen Robert Siebert [Siewert]*, Land-tagsabgeordneter, Halle, erteilt werden.) Sämtliche Personal- und Ausweispapiere nebst einer Einweisungskarte in das Krankenhaus durch die Ortskrankenkasse 1 2 3 4
Wilhelm Pieck (1876-1960), KPD-Vorsitzender, 1946-1954 gemeinsam mit Otto Grotewohl Vorsitzender der SED, 1946-1950 Mitglied des Zentralsekretariats der SED, ab 1949 Präsident der DDR. SAPMO-BA, ZPA 12/3/155, Bl. 220f. Hans Neupert wurde von amerikanischen Militärorganen als potentieller Zeuge oder Angeklagter unter „automatischen Arrest" gestellt. Verhaftung und Ermittlungen standen im Zusammenhang der Vorbereitung des Buchenwald-Prozesses, der im Jahr 1947 in Dachau durchgeführt wurde. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert.
332
111 Antifaschismus im kalten Krieg
Wunsiedel/Oberfranken sowie Taschenuhr, Geldbörse und Brieftasche wurden mir durch obengenannten Major abgenommen, und [ich] habe nie mehr etwas davon gesehen. Am 21.6.45 wurde ich plötzlich von Dürrenberg nach dem Internierungslager 5 Ziegenhain/Hessen abtransportiert. Dortselbst bei meiner Einlieferung am 23.6.45 durch den CICBeamten Korporal Kindermann 6 schwer mißhandelt und anschließend ohne Angabe von Gründen vier Wochen in das dortige Arrestlokal bei dreitägigem Kostentzug und hartem Lager in Einzelhaft gebracht. Am 18. September trat ich zum Protest gegen meine ungerechtfertigte Verhaftung in einen siebentägigen Hungerstreik, mit der Forderung um Bekanntgabe der Haftgründe. Am 26.9.45 wurde mir eröffnet, daß ich deshalb verhaftet sei, weil ich Lagerältester war, jedoch sei meine Freilassung durch die dortige CIC in Frankfurt beantragt. Nähere Einzelheiten über meine Behandlung dortselbst können bei dem Genossen Albert TriebeP, Maurer, Coswig b. Saalfeld/Krs. Ziegenrück, erfragt werden. Am 10.10.45 wurde ich ebenfalls unerwartet nach Stuttgart abtransportiert und in das Interniertenlager Zuffenhausen, in dem sich nur SS und Gestapo befanden, eingeliefert. Trotz mehrmaligen schriftlichen Ersuchens, mich von einer alliierten Kommission zu vernehmen oder mich vor ein Gericht zu stellen, blieben [diese] unbeantwortet, jedoch wurde ich strafweise und ohne Angabe von Gründen in den Keller der Kaserne verlegt. Am 13.2.46 erfolgte mein Abtransport in das sogenannte Kriegsverbrecherlager 8 Dachau, wo ich mich noch bis heute befinde. Außer mehrmaliger Registrierung bin ich bis heute noch niemals vernommen worden. Von meinen Angehörigen hatte ich bis Juli 1946 keinerlei Nachricht, außer einem am 9.4.46 erhaltenen Telegramm, daß meine Ehefrau am 2.4.46 verstorben sei. Ein Gesuch an die Bunkerverwaltung um Vernehmung bzw. Haftentlassung zur Erledigung meiner familiären Verhältnisse blieb unbeantwortet. Am 17. April trat ich erneut als Protest gegen diese Behandlung in einen neuntägigen Hungerstreik. Durch den Bunkerverwalter wurde mir erklärt, daß ich ruhig verhungern könne. Mein Ersuchen, an meine Angehörigen einen Brief schreiben zu dürfen, wurde brüsk abgelehnt. Bis heute bin ich über das Schicksal meiner drei unversorgten Kinder in völliger Ungewißheit, trotzdem das Schreibverbot am 15. Juli d. J. aufgehoben wurde, so daß ich annehme, daß eingelaufene Post zurückgehalten wird. Ich frage Euch Ge5
6 7 8
Internierungslager wurden von allen vier Besatzungsmächten nach dem militärischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland in den Besatzungszonen eingerichtet, um Kriegsverbrecher, belastete Personen und die politischen und wirtschaftlichen Eliten des „Dritten Reiches" festzusetzen. Der sogenannte Automatic-Arrest eines breiten Personenkreises diente hierbei dazu, die in Deutschland befindlichen Besatzungstruppen vor NaziWiderstand zu schützen und den Personenkreis von Schuldigen im Sinne strafrechtlich relevanter Kriterien überhaupt erst zu ermitteln. Die Internierung durch eine kriegfiihrende Partei stellt nach dem Völkerrecht das strengste Mittel der zwangsweisen Festhaltung feindlicher Zivilpersonen dar, um diese bestimmten Kontrollmaßnahmen zu unterwerfen. Völkerrechtlich muß die Intemierung von einem Gericht geprüft werden, was bei der Vielzahl der Internierten zum Teil nur mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen geleistet werden konnte. Zu den Verhältnissen in der britischen Besatzungszone siehe Heiner Wember, Umerziehung im Lager. Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone Deutschlands, Essen 1991. Erste wissenschaftliche Erträge zu den Speziallagern in der SBZ sind veröffentlicht in: Internierungspraxis in Ostund Westdeutschland nach 1945. Eine Fachtagung, Hg. von Renate Knigge-Tesche, Perter Reif-Spirek und Bodo Ritscher, Erfurt 1993. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. Gemeint ist: Internierungslager, in dem vor allem Kriegsverbrecher arrestiert wurden.
Uli Η. Neupert aus dem US-Lager Dachau, 14. September 1946
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nossen, unterscheiden sich diese Methoden, fur deren Wahrheit ich mich verbürge, im geringsten von denen der damaligen Gestapo?! Im Hinblick auf die geschilderten Umstände bzw. Zustände fordere ich folgendes: 1. Einvernahme durch eine alliierte Kommission unter Anwesenheit eines russischen Offiziers. 2. Zustellung einer Anklageschrift und Stellung vor ein alliiertes Gericht. 3. Stellung eines Juristen und Möglichkeit der Zeugenbenennung. Vorstehende Forderungen muß ich unter der Maßgabe erheben, weil ich annehme, daß eine evtl. Interpellation Eurerseits oder einer anderen Stelle mit dem Einwand abgewiesen werden könnte, daß ich ein Verbrechen begangen hätte oder an einem solchen beteiligt gewesen wäre. Nach meiner Ansicht ist meine Verhaftung unter politischen Gesichtspunkten erfolgt, die im Zusammenhang mit dem Tatsachenbericht meiner Verhaftung in Eisleben stehen. Der Umstand, daß ich bei jeder Befragung als erstes die Frage vorgelegt bekomme, „Sie sind Kommunist", berechtigt mich zu dieser Annahme. Beiliegend übersende ich einen Auszug aus der Liste von 26 ehemaligen politischen Häftlingen, die unter gleichen oder ähnlichen Umständen wie ich verhaftet wurden und sich seit dem vorigen Jahr ebenfalls in Haft befinden. Trotz zweimaligen Antrags unsererseits, von einem russischen Verbindungsoffizier 9 gehört zu werden, wurde dies nicht gestattet. Wir politischen Häftlinge appellieren an Eure proletarische Solidarität und Hilfe. Man kann und darf uns, die wir jahrelang unter der faschistischen Fuchtel und Terror die besten Jahre unseres Lebens fiir die große Idee des proletarischen Kampfes hinter Stacheldraht und Zuchthäusern verbracht haben, die Forderung nach Recht und Gerechtigkeit, die man selbst den faschistischen Verbrechern zuerkennt, nicht verweigern oder wehren. Abgesehen von den schlechten materiellen Verhältnissen, denen unsere durch jahrelange Haft geschwächten Körper unterworfen sind, ist es die seelische Belastung, daß wir mit unseren ehemaligen Henkern und Peinigern in einer Gemeinschaft zu leben gezwungen sind, die uns zu Boden drückt. Wenn wir noch nicht verzweifelt sind, so ist der Glaube an die große proletarische Idee die Ursache dazu. Wir wenden uns in erster Linie an Euch als Klassengenossen, denn in Euch sehen wir diejenige Kraft, die uns aus den Fängen der „Eisernen Ferse" befreien kann.
Mit proletarischen Grüßen Hans Neupert
9
Gemeint ist: von einem russischen Offizier beim amerikanischen Militärgericht.
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111 Antifaschismus im kalten Krieg
III.2
Otto Kipp" an das Sekretariat der SED. „Bericht über meine Verhaftung durch die Amerikaner und meine Erlebnisse in Hersbruck und Dachau", 19.10.1946 10
Bericht
Am 27. Juni 1945 Nachmittags gegen 16 Uhr wurde ich in Weimar, im ehemaligen Kreishaus, wo ich im Treuhänderamt11 für den Stadt- und Landkreis Weimar beschäftigt war, durch einen amerikanischen Sergeanten, holländischer Abstammung, der als Interpreter 12 bei der CIC in Buchenwald tätig war, aufgesucht und darüber befragt, ob ich einen gewissen Buchenwald-Häftling namens Hermann Seeger13 kenne? Ich bejahte diese Frage und wurde darauf weiter befragt, was ich von Seeger halte. Ich beantwortete diese Frage wie folgt: „Seeger ist ein mir bekannter politischer Häftling aus Buchenwald, der im Lager selbst nie besonders hervorgetreten ist. Er war eine lange Zeit krank und hatte eine schwere Beinphlegmone 14 . Näheres ist mir über ihn nicht bekannt. Zu seinem jetzigen Tun erklärte ich, daß er vielleicht durch die Entwicklung der Verhältnisse ein wenig größenwahnsinnig geworden ist." Zwei Tage zuvor war ich von der amerikanischen Militärregierung ebenfalls über Seeger befragt worden, wo ich dieselben Angaben gemacht hatte. Seeger hatte mich hier im Vorraum der Militärregierung gesehen und konnte sich denken, daß ich aufgrund seines damaligen Treibens über ihn befragt worden bin. Seeger war ein unbedeutender politischer Häftling in Buchenwald. Kurz nach der Befreiung, verfaßte er große Schreiben an alle alliierte Militärregierungen, in denen er sich als Treuhänder des Lagers Buchenwald vorschlug und um die Überlassung der dortigen Liegenschaften zum Nutzen der Häftlinge bat. Nebenher sammelte er auf eigene Faust Gelder für die Opfer des Faschismus. Gab sich in den ehemaligen Gustloffwerken 15 als Treuhänder aus, verhandelte dort mit den Direktoren und versprach Millionenkredite. Die amerikanische Militärregierung wollte ihn damals im Juni 1945 verhaften. Weshalb die Verhaftung nicht erfolgt ist, ist mir unbekannt. Später, nach meiner Verhaftung erzählte man mir in Dachau, daß Seeger mich bei der CIC. in Buchenwald denunzierte und meine Verhaftung daraufhin erfolgt sei. Diese Mitteilung erhielt ich von einem anderen Buchenwaldhäftling, der ebenfalls in Dachau war. Meines Wissens nach hat man Seeger später angehalten und ihm RM 10 11
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SAPMO-BA, ZPA, IV 2/4/375, Bl. 104 ff. Die Besatzungsmächte setzten in ihren Zonen Treuhänder ein, die - in den Westzonen - zum einen die Aufgabe hatten, von den Nationalsozialisten enteignete Unternehmen und Immobilien an ihre früheren Eigentümer zurückzuführen, zum anderen aber die von den Besatzungsmächten beschlagnahmte Betriebe und Immobilien zu verwalten. Grundsätzlich bezeichnet die Treuhand die Ausübung oder Verwaltung fremder Rechte, Sachen oder Vermögen durch den Treuhänder im eigenen Namen, aber in Bindimg gegenüber demjenigen, dem die Rechte eigentlich zustehen. Eine bildliche Übernahme des bürgerlichen Rechtsverständnisses in die SED-Traditionsgeschichte wird ausgedrückt im Symbol der Vereinigung von KPD und SPD: denn die „Treuhand" stellt auch ein heraldisches Sinnbild dar. Es zeigt zwei ineinander verschlungene Hände verschiedener Personen. Dolmetscher, Übersetzer. Nicht identifiziert. Eitrige Entzündung der Zellgewebe. Vgl. Dok. 1.5.1, Anm. 115.
111.2 Ο. Kipp über seine US-Hafl, 19. Oktober 1946
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64.000,- [Reichsmark] gesammelter Gelder abgenommen. Seeger wurde später wegen weiterer Betrügereien in Frankfurt durch die Militärregierung verhaftet. Soviel über die Person Seeger. Nach der oben dargestellten Beantwortung der Frage des Sergeanten, erklärte mir dieser, ich müsse mal einige Angaben machen über die Verhältnisse des Lagers Buchenwald, und solle zu diesem Zweck mitkommen. Wir fuhren nach Buchenwald, und dort wurde mir nach einigem Warten erklärt, es sei schon Spätnachmittag und die Vernehmung könne jetzt nicht mehr erfolgen, ich müsse die Nacht dableiben und würde am nächsten Morgen vernommen werden. Daraufhin wurde ich in den Bunker verbracht. Meine Forderung auf sofortige Vernehmung wurde abgetan. In den darauffolgenden Tagen wurde ich nicht vernommen, wurde auch auf mein wiederholtes Vorstelligwerden zwecks Vernehmung nicht vorgelassen. Am 2. Juli 1945, an dem Tage, als ein russisches Vorkommando Weimar erreicht hatte, hieß es plötzlich, alles fertig machen, es geht auf Transport!16 Nach einer strengen Körpervisitation und einer rigorosen Behandlung wurden wir gegen 19 Uhr auf Autos verladen und nach Wiesbaden verbracht. Wir waren 19 Personen, davon ungefähr 10 ehemalige Häftlinge. Am 3. Juli kamen wir in Wiesbaden an und [wurden] nach stundenlangem Aufenthalt bei der Militärpolizei, die inzwischen Uhren und Ringe abkassierte, nach Dietz an der Lahn verbracht. Dort wurden wir im Hofe einer Ziegelei untergebracht. Der dortige Kapitän verabreichte an einen unserer Gefangenen bei der Einlieferung Ohrfeigen. Nach zwei Tagen wurden wir wieder nach Wiesbaden zurückgebracht und nach weiteren zwei Tagen, am 7. Juli 1945, von Wiesbaden aus in das Lager Hersbruck bei Nürnberg eingeliefert. Dort kamen wir gleich in die Kriegsverbrecher-Baracke, die vollständig überbelegt war. Wir mußten auf dem Fußboden schlafen. Die Verpflegung war äußerst minimal und der Hunger groß. Morgens gab es ein achtel Brot, Mittags einen halben Liter Suppe und Abend einen Liter Suppe. In dieser Baracke waren alle Nazis untergebracht, die eines Kriegsverbrechens verdächtigt wurden. Am 16. Juli meldete ich mich dort zur CIC und wurde am 18.7. vorgelassen. Ich fragte nach den Gründen meiner Haft, bekam aber zur Antwort, daß dort nichts über meine Verhaftungsgründe bekannt sei. Ich durfte lediglich die Fragebogen ausfüllen, die man mir vorgelegt hatte und damit war die Intervention erledigt. Während ich in der Kriegsverbrecher-Baracke untergebracht war, liefen im Freilager17 die prominenten Nazis herum. Lagerfuhrer oder Lagerältester18 war ein SS-Oberführer und zwar der ehemalige Oberbürgermeister von Bayreuth. Im Freilager liefen auch der SS-Hauptscharfuhrer Pleissner aus 16 17 18
Der Wechsel von der amerikanischen zur sowjetischen Besatzungsmacht fand in Thüringen am 14.7.1945 statt. Teil des Lagers, in dem es den dort untergebrachten Häftlingen gestattet war, sich frei zu bewegen. Otto Kipp geraten an dieser Stelle möglicherweise die Zeitläufte - vor 1945 und nach 1945 - und zugleich die Hierarchien der Häftlingsselbstverwaltung und der SS-Lagerleitung in den KZs durcheinander. Ein SS-Mann
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111 Antifaschismus im kalten Krieg
dem Lager Buchenwald herum, der bei den Genickschußaktionen19 in Buchenwald ein Hauptbeteiligter war, ferner der SS-Hauptscharführer der SS-Waffenkammer aus Buchenwald, der ebenfalls bei vorstehender Aktion beteiligt war. Erst durch die Anzeige zweier polnischer KZler, die diese Scharführer kannten, wurden Pleissner und der Waffenmeister in den Bunker eingesperrt. Die Lagerfunktionäre, die sich hauptsächlich aus der SS rekrutierten, prominente Nazis und Gestapobeamte schoben im Lager nach Strich und Faden. 20 Vernehmungen bei der CIC wurden oft mit Mißhandlungen durchgeführt. Während der Potsdamer Konferenz21 fragte ich erneut nach meinem Verhaftungsgrund, worauf man mir erklärte, man müsse das Ergebnis der Konferenz abwarten, vielleicht würden danach Entlassungen getätigt. Ich wies daraufhin, daß ich nichts mit der Potsdamer Konferenz zu tun hätte und die Nennung meiner Haftgründe forderte, erhielt jedoch keine Antwort. Am 28. August 1945 wurden mittags die Häftlinge aus Buchenwald und einige SS-Leute nach Dachau transportiert. Dort selbst kamen wir in den Bunker. Hier wurde ich am 15. September zu einem amerikanischen Offizier geholt, der mich nach den Gründen meiner Verhaftung befragte. Als ich die Gründe nicht angeben konnte, fragte er, ob ich Häftlinge geschlagen hätte, was ich verneinen mußte. Darauf fragte er mich, ob ich auch in Spanien gewesen sei und dort am Kriege teilgenommen hätte22 . Ich bejahte diese Frage, worauf er mir antwortete, ich solle mich beruhigen, ich würde in 10 Tagen entlassen werden und heute käme ich in das Freilager. Ich kam an diesem Tag ins Freilager, in eine SS-Baracke. Zwei Tage später kam ich wieder in eine Kriegsverbrecher-Baracke. Die Verpflegung war hier geringer als im Freilager, der Hunger war ungemein stark. Da wir jetzt ungefähr 25 KZ-Häftlinge waren, wandte ich mich an den Lagerkommandanten und
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konnte vor 1945 „Lagerfuhrer" sein, in einem Intemierungslager nach 1945 aber allenfalls „Lagerältester" werden. Er wurde aber vermutlich nicht so genannt. Allerdings wurde in amerikanischen Intemierungslagern auch die Bezeichnung „Kommandant" gebraucht, obgleich der Lagerälteste der Häftlingsselbstverwaltung gemeint war. Im KZ Buchenwald war im ehemaligen Pferdestall eine als medizinische Ambulanz getarnte Genickschußanlage installiert worden, in der Tausende von sowjetischen Häftlingen ermordet wurden. Siehe hierzu: Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (Hg.): Konzentrationslager Buchenwald Post Weimar/Thüringen, a.a.O., S. l l l f . Gemeint ist: es wurde ein schwunghafter (Tausch-)Handel mit Lebensmitteln und Waren getrieben. Potsdamer Konferenz, Gipfelkonferenz der Regierungschefs der Anti-Hitler-Koalition Truman (USA), Stalin (UdSSR), Churchill bzw. Attlee (GB) vom 17. Juli bis zum 2. August 1945, auf der mit dem Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 u.a. die militärische Besetzung, die Frage der Reparationen, die Vernichtung des deutschen Kriegspotentials, die Entmilitarisieumg, die Entnazifizierung und die Verurteilung der Kriegsverbrecher verabredet wurde. Gemeint ist der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939), in dem republikanische Truppen mit Unterstützung von Sympathisanten aus dem Ausland (zusammengefaßt in den Internationalen Brigaden) und mit militärtechnischer Unterstützung der UdSSR die Zweite Republik gegen die Militärrevolte des Generals Franco (unterstützt durch Einheiten der deutschen Wehrmacht und der italienischen Armee) zu verteidigen versuchten. Der Spanische Bürgerkrieg endete mit einer Niederlage der republikanischen Truppen. Für zahlreiche deutsche Interbrigadisten folgte ein z.T. jahrzehntelanges Exil oder zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die Internierung in Frankreich und die Auslieferung an Deutschland durch die französische Vichy-Regierung.
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machte ihn auf die unzureichende Unterbringung, sowie auf unseren großen Hunger aufmerksam. Doch alle Bemühungen, eine geringe Besserstellung zu erlangen, waren erfolglos. Die Blocks in Dachau waren in Regimentern eingeteilt. Jedem Block stand ein Regimentskommandeur vor. Diese Regimentskommandeure setzten sich aus Oberstleutnants und Obersten] zusammen. In unserem Block war ein SS-Obersturmbannfuhrer Regimentskommandeur, dem wir alle unterstanden. Im Oktober kam von Freising ein amerikanischer Leutnant nach Dachau, der die Fälle der Kriegsverbrecher überprüfte. Ich wandte mich an diesen und bat ihn um eine grundsätzliche Erklärung, weshalb und warum wir KZ-Häftlinge in Haft seien. In der darauf folgenden Auseinandersetzung habe ich meinen Fall speziell herangezogen, da man mir bis dahin immer noch kein Verhaftungsgrund mitgeteilt hatte. Der Offizier sagte in brüskem Tone, daß er nicht kompetent sei, grundsätzliche Erklärungen abzugeben, im übrigen könne er unsere Beschwerden nicht annehmen, und wir hätten uns weiterhin den Befehlen auch der SS-Regimentskommandeure zu unterordnen. Auf Grund dieser Anweisung kam ich in eine erregte Auseinandersetzung mit diesem Offizier, dem ich dann in gleichem Tone erwiderte, daß sich ihre Behandlung von der bisher erlebten nicht groß unterscheide und dieses ebensowenig nach Menschlichkeit aussieht, wie bei den bisherigen Machthabers Im November wurde das Lager umsortiert, und ich kam in eine andere Baracke. Hier wurden wir unter der Bezeichnung „Arrestgründe nicht bekannt" gefuhrt. Hatten wir bis dahin meistens einen Raum für uns KZ-Häftlinge allein, so wurden wir jetzt mit all den Nazis und SS[-Leuten] durcheinander gewirbelt. Am 28. Dezember kam ich zur Vernehmung zu dem selben Offizier, mit dem ich die scharfe Auseinandersetzung hatte. Vorher hatte er zwei Lagerärzte vernommen und diese befragt, ob ich nicht der Kapo des Krankenhauses in Buchenwald gewesen sei. Diese hatten aber verneint. Mich selbst empfing er mit größtem Zynismus. Da ich diese Form nicht vertrug, habe ich ihm ebenso geantwortet. Zunächst sagte er mir, daß ich von den Polen beschuldigt würde. Ich bat, mir die Belastungsgründe mitzuteilen. Als der Offizier nicht darauf antworten konnte, sagte er, der polnische Verbindungsoffizier zur Militärregierung, Kempinsky 23 , belastet Sie. Ich erwiderte, daß ich Kempinsky nicht kenne und daher auch nicht darauf eingehen könne. (Kempinsky war mir bekannt, er war der Verbindungsoffizier der Polen, kam nach Buchenwald und erklärte seinen Leuten, wer nach Polen zurück wolle, käme erneut in ein KZ. Hierüber hatte ich mich mit Amerikanern unterhalten und an Kempinsky Kritik geübt. Ob Kempinsky davon erfahren hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Eine Belastung hat man mir aber nie zur Kenntnis gebracht, und ich nehme an, daß man mit Kempinsky bluffen wollte.) Da die Vernehmung nichts Positives für den amerikanischen Offizier brachte, sperrte dieser mich anschließend in den Bunker.
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Jan Kempinsky, (geb. 1916 in Swierze), polnischer Häftling, seit 1943 im KZ Buchenwald, Verbindungsmann der Polen im Lager.
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Hier legte er mir einen SS-Standartenführer in die Zelle, der fiir ihn Spitzeldienste leistete. Dieser wurde von Zeit zu Zeit jeweils in eine andere Zelle gelegt und mußte dem amerikanischen Offizier jeweils Bericht erstatten. Der amerikanische Offizier hatte sich einen ganzen Stab solcher Leute zusammengezogen, die er in Bunkerfunktionen als Schreiber einsetzte, ihnen Vergünstigungen gab und die ihre entsprechende Mitarbeit zu leisten hatten. Meistens waren es Offiziere aus der Abwehr, Feldpolizeidirektoren und dergleichen mehr. Im Bunker lagen auch verschiedene SS-Größen vom Lager Buchenwald u.a. auch der SSArzt Hoven. Hoven schob mir eines Tages einen Zettel in die Zelle, worauf er mir seine Aussagen und die einiger anderer SS-Leute geschrieben hatte. Hoven tat dieses wahrscheinlich in der Annahme, daß ich mich eventuell in meinen Aussagen danach richten sollte, mit dem Ziele, die SS nicht zu belasten. Da dieser Zettel unaufgefordert an mich kam, für mich auch absolut keinen Wert hatte, habe ich denselben sofort vernichtet. Der bei mir einsitzende SSStandartenfuhrer Sowa 2 4 , ehemals Chef der Kriminalpolizei in Prag, hatte dieses gesehen und hat mich daraufhin sofort bei dem amerikanischen Offizier verzinkt. Ich wurde vorgeholt und nach dem Zettel befragt. Da Hoven vorher schon geholt worden war, und ich die Sache mit dem Zettel zugegeben hatte, konnte ich nicht leugnen und gab den Inhalt des Zettels, der für mich keine Bedeutung hatte, zu. Am nächsten Tage ließ mich der Offizier wieder holen, und ich mußte ihm jetzt meine in Buchenwald durchgeführte Arbeit schildern. Ich schilderte besonders die Situation im Lager hinsichtlich der Krankenversorgung. Zeichnete die Überfüllung des Lagers als auch den Ausbruch der verschiedenen Seuchen auf. Besonders ging ich auf die Verhältnisse des Blocks 61 ein und schilderte die dortigen Vorgänge. Sagte auch, daß Schiedlausky eines Tages die Abspritzungen befohlen hatte und zu diesem Zweck den Hauptscharführer Wilhelm zur Durchführung dieser Aktionen beordert hatte. Über meine Tätigkeit führte ich aus, daß ich mich in den Blocks um die Aufnahme der Personalien bemühte, da viele Häftlinge schon in einem nicht mehr ansprechbaren Zustand waren und deshalb die Identifizierung erschwert war. Um eine genaue Kontrolle der Zugänge im Häftlingskrankenbau zu haben, mußte ich diese Arbeit durchführen, da zum Abend unsere Bestandszahlen mit denen des Gesamtappells übereinstimmen mußten. Der Offizier wollte mich wegen der Einlieferung dieser Leute nach Block 61 für die Taten der SS mitverantwortlich machen und legte in seinem Protokoll einen diesbezüglichen Satz fest. Gegen diesen Satz protestierte ich und verweigerte zunächst die Unterschrift, weil ich mir nicht im Klaren war, wie mir die Fassung des Satzes ausgelegt werden könnte. Nach langem hin und her war ich des Streites müde und habe unterschrieben. Dieses Protokoll ist jedoch wieder vernichtet worden. Das war im Januar 1946. Ich verblieb weiter im Bunker und habe von einer weiteren Vernehmung nichts mehr gehört. Da das Protokoll vernichtet worden war, nehme ich an, daß der Offizier gar nicht befügt war, mich zu vernehmen. Seine Fragen über unsere Untergrundbewegung in Buchenwald waren so, daß er diese lächerlich zu machen versuchte und sie als eine rein kommunistische 24
Nicht identifiziert.
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Sache hinstellen wollte. Aus diesen Gründen habe ich dann jede weitere Beantwortung abgelehnt. Von Januar 1946 bis August 1946 fand keinerlei Vernehmung statt. Am 13. August 1946 waren von Wiesbaden 10 Offiziere erschienen, die die Kriegsverbrecher-Akten überprüften. Zunächst kam der ganze Buchenwaldkomplex zur Vernehmung. An diesem Tage wurde auch ich vernommen. Der mich vernehmende Offizier hatte einen Stoß Akten von mir vor sich liegen. Ich erkannte darin den Haftbefehl von Buchenwald, der ohne eine Begründung meine Verhaftung anwies, außerdem noch einen von mir geschriebenen Lebenslauf. In all den folgenden Schreiben erkannte ich die Gesuche meiner Genossen und Freunde, die wegen meiner Entlassung eingereicht waren. Nachdem der Offizier die Akten studiert hatte, stellte er an mich die Frage, weshalb ich eigentlich eingesperrt sei? Ich antwortete, daß ich das nun endlich mal, nachdem ich 14 Monate von den Amerikanern festgehalten wurde, von den Amerikanern wissen möchte. Darauf sagte der Offizier, daß nicht die geringste Belastung gegen mich vorläge. Er würde sofort meine Entlassung befürworten, könne mir jedoch keine Versprechungen machen, da das bei der Vielzahl der Fälle noch Monate dauern könne. Nach dieser Vernehmung wurden wir in zwei Gruppen eingeteilt und in Sonderbaracken wieder untergebracht. Die eine Gruppe führte die Bezeichnung „Yes", zu der die ganzen SSOffiziere als auch Scharführer von Buchenwald eingeteilt wurden. Die andere Gruppe hatte die Bezeichnung „No", zu der ich eingeteilt wurde. Man Schloß hieraus, daß die Gruppe „Yes" gewissermaßen eine Anklage zu erwarten hatte, während die Gruppe „No" keine Anklage zu gegenwärtigen hatte und deren Angelegenheit vielleicht einer weiteren Prüfung vorbehalten blieb. Es hatte den Anschein, daß die Gruppe „Yes" auch schärfer angefaßt wurde. Jedenfalls wurden die Gruppen streng voneinander geschieden und durften nicht miteinander sprechen. Am 20. August wurde ich von einem Polen aus der Baracke geholt und wieder zum Bunker geführt. Dort erklärte mir ein amerikanischer Sergeant, daß ich entlassen würde, ich müsse noch von einem Offizier, der eigens aus Wiesbaden käme, vernommen werden und wurde zu diesem Zweck zu der War Crimes Abteilung25 geführt. Der Sergeant erklärte mir noch, daß ich im Falle meiner Entlassung in der amerikanischen Zone verbleiben müsse. Da bis zum Spätnachmittag der Offizier nicht erschienen war, wurde ich in den Bunker zurückgebracht und in Einzelhaft gesetzt. Am 22. August kam frühmorgens ein Offizier aus Wiesbaden, und ohne ein Wort wurde ich auf das Auto gesetzt und nach Homburg gefahren. In der Zwischenzeit hatte mich der Pater Roth 2 6 , der im Lager Dachau die Seelsorge ausübt, im Auftrage von Dr. [Eugen] Kogon* und Dr. [Werner] Hilpert* verständigen lassen, daß ich, falls ich gefragt werden würde, wohin ich wolle, Oberursel angeben solle. Der Transportoffizier fragte aber kein Wort und brachte mich direkt nach Bad Homburg zur Militärregierung. Dort wurde ich gefragt, wer ich sei, und nach Beantwortung dieser Frage sagte man mir, daß ich mich jeden Montag in der Zeit von 8.45 bis 9.00 Uhr dort zu melden hätte. Hiermit war 25 26
Abteilung War Crimes: Abteilung zur Untersuchung der Kriegsverbrechen in der amerikanischen Besatzungszone. Nicht identifiziert.
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ich entlassen. Ich erhielt keine Ausweispapiere, und die seinerzeit in Buchenwald abgenommenen Privateffekten [Effekten], wie Geld und dergleichen mehr, erhielt ich nicht zurück. Der Offizier brachte mich nach Oberursel und setzte mich dort mit einem „okay" auf der Straße ab. Von hier begab ich mich zunächst zu Dr. Hilpert, wo ich einstweilen unterkam. Warum und wieso meine Entlassung so schnell durchgeführt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Einige Tage später stellte ich aber fest, daß Dr. Kogon, den ich in Buchenwald vor dem Transport nach dem Vernichtungslager Mauthausen gerettet hatte, sich sehr massiv fur mich eingesetzt hatte. Dr. Kogon kannte einen amerikanischen Kapitän namens Guttmann 27 , der aus Deutschland ausgewandert war und seit Jahren in der amerikanischen Armee diente. Dieser Offizier war selbst Interogater28 und kannte aus den Vernehmungen der SS-Offiziere von Buchenwald in Oberursel einigermaßen die Materie. Kogon hat diesen Offizier unaufhörlich bearbeitet. Da Guttmann eine Schwäche fur Spanienkämpfer hatte, interessierte ihn mein Fall besonders. Kogon schilderte diesem die Komplikationen meiner im Lager ausgeführten Funktion, und Guttmann setzte sich stark für meine Freilassung in Wiesbaden ein. Kogon hatte als letztes Druckmittel angeführt, daß, wenn der Prozeß wirklich von den Russen übernommen werden sollte, ob es dann den Amerikanern gleichgültig sei, daß bei einer eventuellen Auslieferung der Angeklagten, die Russen den Fall Kipp herausziehen würden, um die widerrechtliche Festhaltung eines Antifaschisten aufzuzeigen. Die Kameraden [Ferdinand] Römhild* aus Frankfurt und [Waldemar] Knaak* aus Weimar hatten Guttmann noch von einer anderen Seite bearbeitet. Knaak war nach der Befreiung Buchenwalds mit spanischen Genossen nach Frankreich gefahren, hörte dort von meiner Inhaftierung und mobilisierte die französischen Ärzte, die im Krankenbau Buchenwalds beschäftigt gewesen waren, für meine Freilassung. Von dort zurückgekehrt, suchte er Guttmann in Frankfurt auf und erzählte diesem, daß er eine Reihe von französischen Ärzten gefunden hätte, die sich für meine Freilassung einsetzten. Wenn jetzt meine Freilassung nicht erfolge, führe er zurück und dann würde in Frankreich eine Zeitungskampagne für meine Freilassung eröffnet werden. Aufgrund dieser Unterhaltungen ist der amerikanische Offizier nach Wiesbaden gefahren und hat dort innerhalb 10 Minuten bei dem zuständigen amerikanischen Oberst meine Entlassung durchgesetzt. Der Oberst hatte meine Entlassung zugesagt, jedoch erklärt, daß er diese den üblichen Instanzweg über die anderen Alliierten laufen lassen müßte. Kogon erzählte mir, daß die Franzosen dann Einspruch gegen meine Entlassung erhoben haben sollen, da sie anführten, daß im Block 61 neun französische Intellektuelle abgespritzt worden seien und vor Klärung dieses Falles ich nicht entlassen werden könnte. Wieso die Franzosen mich damit in Zusammenhang bringen, ist mir nicht bekannt. Der Einspruch ist aber zwei Tage später zurückgezogen worden, so daß dann meine Entlassung erfolgte.
27 28
Möglicherweise handelt es sich um Harry Guthman, der ab Juni 19546 Chef der Military Courts Branch, Abteilung Legal Division des Office of Military Government (of) Baden-Württemberg war. Gemeint ist: Ermittler.
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Später habe ich mit dem amerikanischen Offizier Guttmann gesprochen, der erklärte mir, daß meine Festhaltung zwar ein trauriges Kapitel sei, aber ich müsse verstehen, daß ein Einzelfall nicht interessiere und durch den häufigen Wechsel der Offiziere die Bearbeitung solcher Fälle immer wieder liegen blieben. Außerdem sei [dies] dadurch bedingt, daß die jeweiligen Gerichtsoffiziere nicht den richtigen Einblick in die Zusammenhänge einer solchen Angelegenheit bekämen. Er empfahl mir, jetzt die Leumundszeugnisse von den ausländischen Ärzten zu besorgen, um weiteren Eventualfällen vorzubeugen. Ich meldete mich zur vorgeschriebenen Zeit jeweilig bei der Militärregierung in Bad Homburg. Die Meldung war nur formal, und es wurde fast keine Notiz von mir genommen. Nachdem ich mich vier Mal gemeldet hatte, fragte der dortige Sergeant, warum ich mich eigentlich melde. Ich antwortete, daß ich doch die Anweisung von ihm erhalten hätte, worauf er fragte, was eigentlich mit mir los sei. Ich erklärte ihm meinen Fall, worauf er mir erwiderte, daß ich ab jetzt mich nur jeden 1. im Monat melden sollte. Meine letzte Meldung habe ich am 1. Oktober vollzogen. Nach meiner Freilassung habe ich dem Genossen [Ernst] Busse* von meinen Erlebnissen berichtet und ihm auch die Details mitgeteilt. Busse schrieb mir zurück, daß ich noch ein wenig Geduld haben sollte, um eine endgültige Stellungnahme zu erfahren. Inzwischen hatte ich mich auch bei der Frankfurter Parteileitung [der KPD] gemeldet und den dortigen Genossen Bericht erstattet. Die Frankfurter Genossen erklärten mir, daß ich dort drüben keine politische Arbeit verrichten könne, und es sei besser, daß ich nach den gemachten Erfahrungen in die Ostzone ginge, zumal die Amerikaner in ihrem Vorgehen so undurchsichtig seien. Hinzu kam der Fall [Wilhelm] Hamann* und die Tatsache, daß man den Kameraden Ferdinand Römhild aus der Betreuungsstelle Frankfurt heraus nach Nürnberg geholt hatte. Römhild war im Krankenbau als Arztschreiber tätig gewesen. Am 16. und 17. September war Dr. Kogon nach Nürnberg gerufen und dort eingehend als Zeuge vernommen worden. Kogon schilderte seine Vernehmung und sagte mir, daß er über die Versuchsreihen in Block 46 befragt worden sei, ebenso über die Zusammenstellung der Aktion 14 f 13 2 9 , das ist der Vergasungstransport von Anfang 1942, wo zirka 400-500 Mann von Buchenwald zur Vergasung geschickt wurden. Kogon sagte, daß er eine Zeugenliste gesehen habe, wo die Namen Busse wie auch mein Name verzeichnet gewesen seien. Da er nicht alle Fragen hätte beantworten können, hätte er sich auf Busse berufen, der durch seine Stellung im Lager mehr davon wissen müsse. Darauf sollen die Offiziere gesagt haben, ob er (Kogon) wisse, ob Busse sich als Zeuge zur Verfugung stellen würde. Sie (die amerikanischen Ankläger) würden auf Busse großen Wert legen, da Busse 1. Vizepräsident [von Thüringen] sei, und die Glaubwürdigkeit einer solchen Person von der Verteidigung der Angeklagten nicht so leicht angezweifelt werden könne. Kogon bestätigte dies und wies daraufhin, daß Busse sich in der russischen Zone befinde. Kogon erzählte mir weiter, daß es sich darum handelte, alle SS-Persönlichkeiten und Ärzte ausfindig zu machen, die bei den
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Zur Aktion 14 f 13 siehe Dok. 1.5.1, Anm. 91.
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Versuchsreihen wie auch bei der Vergasungsaktion in den jeweiligen Schriftwechseln Unterschriften gegeben hätten. Zugleich hätte es sich darum gehandelt, die Ärzteschaft, die mit diesen Dingen in Verbindung gebracht werden könne, entsprechend ihrer Verantwortlichkeit in bestimmte Kategorien einzuteilen. Die Offiziere hätten ihm erklärt, daß sie nur Wert auf Belastungszeugen legen und daß nach Abschluß des Nürnberger Prozesses Prozesse gegen die Ärzteschaft 30 durchgeführt würden. Am 25. September wurde, wie schon bemerkt, der Kamerad Römhild von Frankfiirt geholt und nach Nürnberg verbracht. Römhild war bis zum 5.10. noch nicht zurückgekehrt. Inzwischen hatte er eine Karte geschrieben, worin er mitteilte, daß es ihm gut gehe, gemeint war damit die Verpflegung, die er als Zeuge durch die Amerikaner erhielt. Er saß in einem Haus in Nürnberg, war schon mehrere Tage dort und noch immer nicht vernommen worden. Was sich bis heute in dieser Angelegenheit ergeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Aufgrund dieser Vorgänge, rieten mir die Frankfurter Genossen nach Weimar zu gehen, da ich mich nicht der Gefahr aussetzen solle, als Zeuge eventuell erneut in Haft zu gehen, da die neue Untersuchungskommission wieder aus neuen Offizieren bestehe und diese mich als Zeugen eventuell wieder festsetzen könnte. Ich habe daraufhin am 5.10. Frankfurt verlassen und bin am 6.10. in Weimar angekommen. Der Fall Wilhelm Hamann Als ich am 20. August 1946 in den Bunker zurückgeführt wurde, traf ich den Genossen Wilhelm Hamann und konnte ihn für zwei bis drei Minuten sprechen. Hamann erzählte mir, daß er im März dieses Jahres unter der Beschuldigung, Häftlinge in Buchenwald mißhandelt zu haben, verhaftet wurde. Nachdem er längere Zeit im Lager Ludwigsburg festgehalten wurde, kam er im August nach Dachau und sitzt dort im Sonderlager für Kriegsverbrecher. Nach meiner Entlassung kam am 24.8. der Genösse Roth* aus Frankfurt mit dem Genossen Carlebach* zu mir und erkundigten sich bei mir nach Hamann. Hierbei hörte ich, daß, wenn ich mich richtig erinnere, Hamann in der Umgebung von Frankfurt als Landrat eingesetzt war. Durch seine offene, gerade Politik ist Hamann den Amerikanern auf den Wecker gegangen 30
Die Nürnberger Prozesse wurden zwischen 1945-1949 von einem Internationalen Militärgerichtshof der vier Alliierten bzw. von amerikanischen Militärgerichten als Kriegsverbrecherprozesse geführt. Im ersten Prozeß, der vom 14.11.45 bis 1.10.46 stattfand, wurde Anklage erhoben gegen 22 „Hauptkriegsverbrecher", von denen 12 zum Tode, die übrigen zu Haftstrafen zwischen 10 Jahren und lebenslänglich verurteilt wurden. Hierbei wurden auch nationalsozialistische Organisationen wie die SS und die Gestapo zu verbrecherischen Organisationen erklärt. 1946-1949 führten amerikanische Militärgerichte zwölf Nachfolgeprozesse, bei denen jeweils bestimmte politische, militärische oder wirtschaftliche Eliten im Mittelpunkt der Anklage standen. Gegenstand der Anklage waren Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen den Frieden. Verhandelt wurden darin auch die medizinischen Versuche an KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen, die Verfolgung von NS-Gegnern, der Völkermord an den Juden, die Verwaltung von Konzentrationslagern und das System der Ausbeutung von Zwangsarbeitem und KZ-Häftlingen. Im Nürnberger Ärzteprozeß vom 5.11.4620.8.47 hatten sich 23 Angeklagte für medizinische Verbrechen zu verantworten, darunter auch Dr. Waldemar Hoven aus Buchenwald. Von einem der amerikanischen Hauptankläger liegt seit kurzem eine umfangreiche Publikation zur rechtsgeschichtlichen Konzeption der Nürnberger Prozesse vor, die auch biographische Angaben zu den alliierten Vertretern der Anklage, zu den Richtern und zu den Angeklagten enthält. Telford Taylor: The Anatomy of the Nuremberg Trials, New York 1992.
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und hatte sich durch seine eindeutigen Maßnahmen den Haß der anderen Parteien zugezogen. Da man ihn politisch auf geradem Wege nicht erledigen konnte, hat man irgendwelche Ausländer herangezogen, die bei der CIC bezeugten, daß Hamann im Lager Buchenwald Ausländer mißhandelt habe. An dieser Intrige, die man gegen Hamann startete, soll die SPD nicht ganz unbeteiligt sein. Da Hamann bei der zuständigen CIC infolge seiner politischen Haltung nicht gut angeschrieben stand, hat der dortige Offizier unter der obigen Anschuldigung ihn verhaften lassen. Am 25. und 26. August haben die Genossen Roth, [Emil] Carlebach und der Genösse Arbeitsminister Oskar Müller 31 persönlich in Dachau interveniert und sind auch zu dem Offizier der dortigen [Abteilung] War-Crimes vorgelassen worden. Nach Schilderung der Vorgänge ist der dortige Offizier selbst zur der Auffassung gekommen, daß Hamann völlig unschuldig ist und daß er das Opfer einer politischen Intrige geworden ist. Der Offizier soll erklärt haben, ich bin vollständig von der Unschuldigkeit des Hamann überzeugt, aber leider steht es nicht in meiner Macht, ihn zu entlassen. Die Entlassung selbst kann nur durch Wiesbaden erfolgen. Er sei aber bereit, diesen Fall in Wiesbaden vorzutragen. Da man den Instanzenweg einhalten müsse, könne die Entlassung Hamanns immerhin noch einige Wochen dauern. In der Zeit vom 8.-14. September ist der Genösse Ludwig Wolf 32 aus Frankfurt nochmals in Dachau gewesen, um fur Hamann zu intervenieren. Durch Vermittlung des dortigen Dr. Husarek 33 , der selbst ein KZ-Häftling war und heute bei den Amerikanern beschäftigt ist, gelang es Wolf, bis zur [Abteilung] War Crimes vorzudringen. Wolf stieß auf einen tschechischen Offizier, der selbst in Buchenwald war, dem er sein Vorhaben unterbreitete. Der tschechische Offizier war sehr entsetzt zu hören, daß Hamann als Kriegsverbrecher in Dachau sitzt, da er jahrelang mit Hamann in der Häftlingsschreibstube zusammen gearbeitet hatte und daher Hamann aufs Beste kannte. Der Offizier ist dann mit Wolf in seine Wohnung gegangen, ließ Wolf dort einen Brief an Hamann schreiben, ging daraufhin sofort ins Lager und hat persönlich mit Hamann gesprochen. Der tschechische Offizier hat versprochen, alles mögliche zu unternehmen, um Hamann wieder in Freiheit zu bringen, da es fur ihn feststeht, daß Hamann nur das Opfer einer Intrige sein kann. Bis zum 4.10. war in der Sache Hamann von einem Fortschritt noch nichts zu bemerken. Der Genösse Wolf hat bei seinem Dortsein in Dachau ungefähr 50 Leumundszeugnisse fur den Genossen Hamann eingereicht. 31
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Oskar Müller (1896-1970), Sohn eines Landwirts, stammte aus Wohlau/Schlesien, Gymnasium, Offizier im Ersten Weltkrieg, dann Bankangestellter, 1920 Leitung der Organisation der Bankbeamten, seit 1922 Leitung der Angestelltengewerkschaft in Frankfurt am Main und KPD, 1924 Sekretär der BL Hessen der KPD, 19241933 MdL in Preußen, 1928-1933 Organisationsleiter der KPD in Hessen und Berlin-Brandenburg, 1933 verhaftet, drei Jahre Zuchthaus, bis 1939 KZ Sachsenhausen, 1939-1944 Angestellter einer Lederfirma in Offenbach, 1944/45 KZ Dachau, dort Lagerältester. 1945-1947 Hessischer Minister für Arbeit und Wohlfahrt, 1948 Erster Vorsitzender der KPD Hessen und Mitglied des Parteivorstandes für die Westonen, 1946-1949 MdL in Hessen, 1949 Mitglied der 1. Bundesversammlung, 1949-1953 MdB, seit 1953 Generalsekretär der W N in Frankfurt am Main. Ludwig Wolf (1906-1981), KPD, 1939-1945 politischer Häftling in Buchenwald, Mitglied der Parteileitung Bezirk Hessen, nach 1945 WN-Leitung in Frankfurt am Main. Nicht identifiziert.
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Hafterlebnisse in Hersbruck und Dachau In Hersbruck kam ich in die Kriegsverbrecher-Baracke. Die Lagerfunktionen wurden alle von prominenten Nazis ausgeführt. Schiebungen waren an der Tagesordnung. Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn waren selten anzutreffen. Es war ein Kampf: Jeder gegen Jeden. Einer verzinkte den anderen. Dabei muß festgestellt werden, daß je höher die Dienststellung oder der Rang war, um so bereitwilliger die Zusammenarbeit mit dem Amerikaner war. SSOberführer und Obergruppenführer haben bereitwilligst ihre Untergebenen verzinkt. Ein Nachdenken oder Insichgehen über die deutsche Katastrophe 34 konnte man nur selten finden. Alles bewegte sich in den Bahnen: Rette sich, wer kann. Alles bewegte sich in krassestem Egoismus. Bei Vernehmungen bei der CIC in Hersbruck sind nicht selten Mißhandlungen durch die dortigen Amerikaner vorgenommen worden. Unter den kleineren Pgs. 35 und Scharführern war eine große Enttäuschung und Erbitterung festzustellen. Nachdem einige Wochen vergangen waren und man das Vorgehen der Amerikaner mehr erkannte, konnte man nicht selten Worte hören: schlimmer kann es der Russe 36 auch nicht treiben. Allgemein war man der Ansicht, daß der Russe weiter vordringen würde, um auch die westlichen Zonen zu besetzen. Vor der militärischen Kraft der SU hatte man Respekt. Bei Diskussionen über den Kampfwert der amerikanischen und russischen Soldaten zollte man in jedem Falle dem Russen die Sympathie und bezeichnete die Amerikaner nur als den Salonsoldaten. Im allgemeinen war man der Ansicht, daß Rußland die aufstrebende Macht sei und in ihrem Siegeszuge auch nicht aufzuhalten sei, da sich diese Macht auf die jungen Völker stütze. Im Lager wurden kulturelle Abende veranstaltet, Theater, Dichterabende usw. Griff man in politische Diskussionen ein, so fand man schnell Gehör, und es gab immer eine große Zuhörerschaft, wenn man über die SU, ihren Aufbau und ihre Struktur sprach. Das politische Niveau der Gefangenen war erschreckend niedrig, das war auch bei den höchsten Offizieren der Fall. Wenn man daher das Wesen der Demokratie, des Sozialismus oder des Imperialismus erläuterte, fand man interessierte Zuhörer. Die Hauptfrage der Neugestaltung Deutschlands spielte eine große Rolle, doch konnte keiner der inhaftierten Nazis irgendeinen Ausweg aufzeichnen. In Hersbruck befand sich auch der ehemalige Journalist Fay 37 der Frankfurter Zeitung. Dieser hielt regelmäßig im Lagergelände mit Einverständnis der Amerikaner politische Vorträge über das Zeitgeschehen. Seine Vorträge bewegten sich im Rahmen der bürgerlichen Demo34 35
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Allgemeine, häufig gebrauchte zeitgenössische Umschreibung fur die nationalsozialistische Diktatur. Zur umfassenderen Kritik an der deutschen Tradition des Machtstaatsdenkens im Augenblick der größten Machtlosigkeit siehe Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Berlin 1946. Von den Nationalsozialisten verwendete Abkürzung für Parteigenosse, gemeint ist: Mitglied der NSDAP. Der „kleine Pg." ist das einfache Parteimitglied. Diese Bezeichnung wurde nach 1945 weiterhin gebraucht, von der SED in den Jahren 1946/47 vor allem in der Selbstverständigung darüber, ob einfache Mitglieder der NSDAP Mitglieder der SED und der neuen Massenorganisationen werden konnten. Gemeint ist: die sowjetische Besatzungsmacht. Nicht identifiziert.
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kratie und waren stark proamerikanisch. Obwohl ein glänzender Rhethoriker, wurde er doch allgemein abgelehnt, weil er zu sehr von den Segnungen Amerikas sprach. Fay kam später in die Küche der Amerikaner und da damit seine Magenfrage gelöst war, ließen die Vorträge auch nach. Heute ist Fay Rundfunkkommentator in Frankfurt am Main und wird von den Amerikanern sehr geschätzt. In Dachau waren die Blocks, wie schon bemerkt, in Regimenter eingeteilt, es ging sehr militärisch zu, und die ehemaligen Regimentskommandeure gaben auch hier den Ton an. Im Oktober wurden alle Offiziere abgelöst und kamen in ein Offizierslager. Ihre Stellen wurden jetzt von Feldwebeln eingenommen. Interessant war der Kampf der verschiedenen Organisationen gegeneinander. So bekämpfte die Partei die SS, bezeichnete diese als ein Staat im Staate 38 . Die SS wiederum schob der Partei die Schuld an der Niederlage zu, weil diese versagt habe. Partei stand gegen die SS, SS stand gegen die Totenkopfverbände, SA gegen SS, Partei gegen SD usf. und umgekehrt. Als der Nürnberger Prozeß anlief, sprachen Offiziere der Waffen-SS, um Zeugen für den Nürnberger Prozeß aufzutreiben, um die ehrbare Rolle der SS dort zu verteidigen. Vor den KZ-Häftlingen hatten alle Nazis Dampf, und wenn diese ihre Erlebnisse aus den KZ berichteten, schlackerten sie alle mit den Ohren. Wurden die Nazis aber einmal in ihrem Vorgehen zu frech oder stießen dabei auf einen KZ-Häftling, dann hörte man gleich den Ton des KZ-Häftlings heraus, und die Nazis zogen schnell den Schwanz ein, weil sie die Auseinandersetzung fürchteten und die KZ-Häftlinge in solchen Fällen auch nicht zur Diskussion, sondern zum schlagkräftigen Handeln bereit waren. 90 Prozent der eingesperrten KZ-Häftlinge setzen sich aus ehemaligen Berufsverbrechern zusammen, die meistens der Mißhandlung von Mithäftlingen angeklagt waren. Diese haben sich auch hier äußerst schlecht benommen und damit das Ansehen der KZ-Häftlinge im allgemeinen schwer geschädigt. Sie haben die Nazis betrogen, wo sie nur konnten. Haben ihnen die Uhren und Ringe abgeschwindelt, um sie an die Amerikaner gegen Zigaretten zu verkaufen. Sie sahen das als Kampf gegen die Nazis an. Die anständigen KZ-Häftlinge hatten dadurch einen schweren Stand, weil nicht selten die Meinung auftrat, daß die KZ-Häftlinge zu Recht gesessen hätten, da sie ja doch nur Verbrecher seien. Im Dachauer Prozeß waren drei Häftlinge angeklagt, die zum Tode verurteilt wurden. Einer von ihnen wurde zu 10 Jahren begnadigt. Im Mauthausener Prozeß sind ebenfalls mehrere Häftlinge verurteilt worden, die meisten zum Tode. Mehr oder weniger konnte man ihnen schwere Mißhandlungen nachweisen. Der Flossenbürger Prozeß läuft seit 12. Juni, im Gegensatz zu den anderen Prozessen ist hierüber in der Presse nicht berichtet worden. Im Flossenbürger Prozeß sind 17 KZ-Häftlinge mitangeklagt. Fast in all diesen Lagern hatten 38
Das Bild vom „Staat im Staate" bezeichnet eine politische Konstellation, in der eine gesellschaftliche Gruppe mit starken Eigeninteressen Politik macht, unabhängig von der oder gegen die offzielle(n) Staatsräson. Um die Jahrhundertwende wurde das Bild vom „Staat im Staate", mit antisemitischen Vorzeichen versehen, auf die deutschen Juden angewendet, in der Weimarer Republik wurde die Reichswehr unter Generaloberst Hans von Seeckt (1866-1936), wegen ihrer abwartenden Haltung im Kapp-Putsch 1920 („Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr") und der sich darin offenbarenden eingeschränkten Loyalität zur jungen Republik, von Liberalen und Sozialdemokraten als Staat im Staate kritisiert.
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die Berufsverbrecher die Führung, darum ist auch die hohe Zahl der Angeklagten KZHäftlinge zu verstehen. 39 Im April 1946 wurden eine ganze Reihe Prominenter40 in den Dachauer Bunker eingeliefert: v. Brauchitsch 41 , Kesselring 42 , Speer 43 , Milch 4 4 , Falkenhausen [v. Falkenhorst]45 u.a. Diese beschwerten sich jedoch gegen die Behandlung als Kriegsverbrecher und kamen kurz darauf in ein Generalslager, wo sie bessere Verpflegung, täglich eine K-Ration 46 und mehr Rauchwaren bekamen. Sepp Dietrich 47 und seine Leibstandarte saß ebenfalls in Dachau. Sepp Dietrich und eine Reihe seiner Leute berichteten, daß sie von den Amerikanern schwer mißhandelt worden seien und ein Teil der Geständnisse unter dem Druck dieser Mißhandlungen zustande gekommen sei. Aus dem Lager Buchenwald waren die Lagerärzte Dr. Schiedlausky, Dr. Bender, der Adjutant Schmidt 48 , Hauptsturmführer Schwarz49 u.a. in Oberursel vernommen worden. Der 2. Lagerarzt Dr. Bender berichtete mir, daß sie in Oberursel schwer mißhandelt worden seien. Sie sind nackend in eine Zelle eingesperrt worden, die überheizt war und mußten sieben Tage darin zubringen, nach dieser Zeit sind sie wieder nackend in eine kalte Zelle gelegt worden. Dr. Schiedlausky ist aufgrund dieser Behandlung schwer erkrankt gewesen. Die politische Diskussion war in Dachau stärker als in Hersbruck. Man berichtete mir, daß im Freilager sich ein ansehnlicher Teil der dortigen Gefangenen im kommunistischen Sinne bewege. Ich selbst stellte im September 1945 fest, daß ein SS-Offizier an die CIC schrieb und dieser von der pro-russischen Stimmung unter den SS-Leuten berichtete. Von einer Symphatie für die Amerikaner kann keine Rede sein. Nur diejenigen, die bei ihrer alten Bolschewistenwalze 50 bleiben, versuchen beim Amerikaner noch ihr Heil.
39
40 41 42 43 44 45
46 47 48 49 50
Der Hauptprozeß zum KZ Dachau endete am 13.12.1945. Angeklagt waren 40 Personen, es wurden 36 Todesurteile gefallt. Der Hauptprozeß zum KZ Mauthausen endet mit der Urteilsverkündung am 13.5.1946. Von 61 Angeklagten wurden 58 zum Tode verurteilt. Der Flossenbürg-Hauptprozeß endete am 22.1.1947. Von 46 Angeklagten wurden 14 zum Tode verurteilt. Er meint hier prominente Nationalsozialisten. Walther von Brauchitsch (1904-1948), Generalfeldmarschall, 1938-1941 Oberbefehlshaber des Heeres. Albert Kesselring (1885-1960), Generalfeldmarschall. Albert Speer (1905-1981), Architekt, Berater Hitlers, 1942-1945 Reichsminister für Bewaffiiung und Kriegsproduktion. Erhard Milch (1892-1972), Generalfeldmarschall, 1938-1945 Generalinspekteur der Luftwaffe. Hier liegt eine Verwechslung vor, gemeint ist: Nikolaus von Falkenhorst (1885-1968) Generaloberst, leitete ab 1940 die Besetzung Dänemarks und Norwegens 1942-1944 Wehrmachtsbefehlshaber in Norwegen. 1946 von einem britisch-norwegischen Militärgericht zum Tode verurteilt, Umwandlung des Urteils in langjährige Haftstrafe, 1953 aus der Haft entlassen. Gemeint ist eine günstigere Ration für Kriegsgefangene. Josef Dietrich (1892-1966), MdR für die NSDAP in den Jahren 1930-1945, 1933-1945 Kommandeur der Leibstandarte „Adolf Hitler", die im Sommer 1934 an der Liquidierung der SA und Ernst Röhms maßgeblich beteiligt war, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Hans Schmidt (1899-1951), 1941-1945 SS-Hauptsturmführer in Buchenwald, 1942-145 Adjutant, 1947 zum Tode verurteilt, 1951 hingerichtet. Albert Schwartz (geb. 1905), 1942-1945 SS-Hauptsturmführer, Arbeitseinsatzführer in Buchenwald, 1947 zum Tode verurteilt, später begnadigt. Gemeint ist: Diejenigen, die hartnäckig bei ihrem früheren Antikommunismus bleiben.
111.2 Ο. Kipp über seine US-Haft, 19. Oktober 1946
347
Ich saß in einer Zelle unter anderem mit einem alten Pg. zusammen. Dieser, seit 1920 in der Partei, Mitbeteiligter am Putsch 1923 51 , zuletzt viele Jahre Kreisleiter, Träger des goldenen Parteiabzeichens, hatte in seiner Haft so eine Art Tagebuch angelegt. Derselbe hatte, bevor er mich kannte, darin seine politische Meinung wie folgt notiert: „Deutschland ist völlig zerschlagen. Wenn wir aus diesem Chaos wieder als Staat und als Nation erstehen wollen, dann kann es nur den bedingungslosen Anschluß an Rußland geben. Rußland ist Sieger Europas. Rußland hat aufgrund seines ungeheuren Blutzolles, den es in diesem Kriege geleistet hat, das moralische Recht zur Führung Europas. Rußland hat sich als das stärkste Land erwiesen und ist deshalb zur Führung berufen. Unter dem Gesichtswinkel dieser Gegebenheiten kann es für Deutschland nur den Weg geben, sich Rußland anzuschließen, wenn es seine nationale und wirtschaftliche Selbständigkeit wiedererlangen will, denn die Einheit Deutschlands können wir nur mit Hilfe Rußlands erreichen, und nur durch Rußland können wir wieder zu einem Faktor in der künftigen Geschichte werden." Solche Diskussionen in ähnlicher Art konnte man des öfteren unter den Nazis antreffen. Natürlich gab es auch das Gegenteil. Man mußte dabei immer die soziale Abstammung des Betreffenden in Betracht ziehen. Die Allgemeinheit glaubt nicht an eine lange Friedenszeit. Sie sind überzeugt, daß ein neuer Weltkrieg kommt, weil die Gegensätze USA-Rußland sich auf die Dauer nicht überbrücken ließen. Erkennen dabei auch das Vordringen des amerikanischen Imperialismus. Hieraus folgern sie auch die Meinung, daß es besser sei, die Auseinandersetzung gleich durchzufuhren, da das ein Aufwasch sei und man dann den Frieden Europas garantieren könne, wobei sie Rußland den Führungsanspruch zuerkennen. Nicht selten stößt man auf Nazis, die durch den Krieg alles verloren haben, viele Jahre an der Front waren, daheim ausgebombt wurden und sich heute dem Kommunismus zuwenden möchten, mit der Erklärung, wir haben ja doch nichts mehr zu erwarten und der Kommunismus ist die Kraft, die sich in Zukunft durchsetzen wird. SS- und Wehrmachtsoffiziere, die zu Vernehmungen geholt wurden, wurden oft von den vernehmenden amerikanischen Offizieren befragt, welchen Kampfwert die Russen hätten. Worin sie die Ursachen der Niederlagen der deutschen Armeen im Osten sähen. Wie der russische Soldat zu seinem Lande stände, wie er kämpfe. Welche Aussichten man der amerikanischen Armee in einer Auseinandersetzung mit Rußland gäbe. Der die deutschen Armeen befehlende General von Charkow 52 mußte die ganze Panzerschlacht um Charkow in taktischer und strategischer Hinsicht für die Amerikaner aufzeichnen und niederlegen. Unter anderen Fragen wurden auch konkrete Fragen an SS-Offiziere gestellt, die dahin gingen, auf welcher Seite sie zu kämpfen bereit wären, wenn es zu einem Kampf zwischen West und Ost käme. Oder welcher Seite sie in einem solchen Kampf die Siegeschancen ge-
51 52
Gemeint ist: der Hitler-Putsch in München vom 8 /9.11.1923. Schlacht bei Charkow vom 17.-28.5.1942 im Zuge der „Sommeroffensive" der deutschen Wehrmacht, die das Ziel hatte, die Erdölfelder im Kaukasus und um Stalingrad zu erobern und bis zum Elbrus vorzudringen. Chef des Generalstabs war in dieser Phase Generaloberst Franz Halder (1884-1972).
348
III Antifaschismus im kalten Krieg
ben würden. Oder auf welcher Seite sie die besseren Bedingungen in einem solchen Kampf fur Deutschland sehen würden. Diese Fragen sind mir von zwei Offizieren vertraulich berichtet worden. Durch einen anderen Kameraden erfuhr ich, daß man noch einem anderen SS-Offizier dieselben Fragen gestellt hatte. Im Bunker Dachau saßen auch sechs russische Offiziere, die in der Wlassow-Armee 53 gekämpft hatten. Unter ihnen befand sich auch der Erste Stabsoffizier Wlassows, mit dem ich mich öfter unterhalten habe. Seit Juni 1946 wurde der Bunker von Polen bewacht, während die Bewachung fur das Lager schon Monate vorher von polnischen Truppeneinheiten bewacht [geleistet] wurde. Die Polen setzen sich hauptsächlich aus ehemaligen KZ-Häftlingen und verschleppten Personen zusammen. Außerhalb des Lagers werden sie ausgebildet und sind einer strengen Disziplin unterworfen. Der gewöhnliche Mann erhält monatlich 200,- RM und seine Verpflegung. Er untersteht polnischen Offizieren. Diese Polen werden eindeutig gegen das neue Polen als auch gegen die SU erzogen. Auch jugoslawische Einheiten stehen im Dienste der Amerikaner, doch sind diese bisher im Lager Dachau nicht eingesetzt worden.
III.3
Franz Dahlem an Grete Keilson 54 . Weitergabe der Notizen des Gen. Fuhrmann 55 über die Ziele der Amerikaner im Buchenwaldprozeß und über die Möglichkeit der Prozeßfuhrung durch die Sowjetunion, 2.10.1946. 56
Den Genossen Walter Fisch 57 , Frankfurt, habe ich beauftragt, mit dem Genossen Otto Kipp* eingehend zu sprechen (über die Behandlungsmethoden während der langen Haftzeit, über die Ziele der Amerikaner, die sie bei dieser und ähnlichen Verhaftungen verfolgten, über die weiteren Ziele der Amerikaner usw.). Über diese Fragen werden wir einen genauen Bericht auf ordentlichem Wege erhalten.
53 54 55
56 57
Andreij Wlassow (1901-1946 hingerichtet), sowjetischer General. Er befehligte 1943 als „General der Osttruppen" Freiwillige und Flüchtlinge aus der Sowjetunion, die auf deutscher Seite kämpften. Zu den biographischen Daten Franz Dahlems und Grete Keilsons siehe Dok. II. 3, Anm. 50 und 52. Bruno Fuhrmann (1907-1979), Zimmermann, KJVD, 1925 KPD, nach 1933 illegale Arbeit, Emigration, zuletzt in der Schweiz. 1945/46 KPD/SED; W N , ab 1945 Instrukteur des Politbüros der KPD Süddeutschland, 1949 Leitung der Abteilung Organisation beim ZS der SED, 1949-1950 Stellvertretender Leiter der Westabteilung des ZK der SED, im August 1950 aller Parteifunktionen enthoben (,,Field"-AfFaire), 1956 rehabilitiert, danach Arbeitsdirektor VEB Stahl- und Walzwerke Hennigsdorf. Zu Field vgl. Dok. V.3.2. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, Bl. 102. Walter Fisch (geb. 1910), Gymnasium, bis 1932 Landessekretär KJVD fiir Hessen, Mitglied des Landessekretariats der KPD Hessen. 1933-1945 illegale Tätigkeit, zwei Jahre Haft, vier Jahre in einem schweizer Internierungslager, Auslandsaufenthalte in der Tschechoslowakei und in der Schweiz, nach 1945 Landesvorsitzender der KPD in Hessen, MdL in Hessen, Mitgleid des Parlamentarischen Rates in der US-Zone.
111.4 W. Bartel über bedrohte Prominente, 10. Februar 1947
349
Genösse Kipp wohnt im Moment bei [Werner] Hilpert*, stellvertretender Ministerpräsident von Hessen, ein ziemlich rechts stehender CDU-Mann. Dieser war auch einige Jahre in Buchenwald, und durch seine Initiative wurde erreicht, daß Kipp von den Amerikanern entlassen wurde. Kipp darf Frankfurt/Main nicht verlassen, Hilpert hat sich fur ihn verbürgt. Aus Dachau wird mitgeteilt, daß die Genossen Ernst Busse* und Cogan [Eugen Kogon]*, Frankfurt/Main, als Kriegsverbrecher angeklagt sind - wegen gewisser Vorfalle in Buchenwald, die diesen Genossen in die Schuhe geschoben werden. Hierüber erhalten wir auch noch näheren Bericht. Weiter kommt von Frankfurt/Main die Mitteilung, daß die Durchführung der Prozesse, die von den Amerikanern wegen angeblicher strafbarer Handlungen gegen frühere Lagerfunktionäre im Lager Buchenwald eingeleitet und vorbereitet wurden, jetzt auf Grund von Beschlüssen des Kontrollrates 58 von der Sowjetunion durchgeführt werden sollen.
III.4
Walter Bartel* an Franz Dahlem (Hausmitteilung der SED). Betr. BuchenwaldProzeß, 10.2.1947.59
Werter Genösse Dahlem! Lt. einer Pressemeldung soll am 1. April 1947 in Dachau der Prozeß gegen die Kommandanturangehörigen des Lagers Buchenwald stattfinden. In der Pressemitteilung heißt es, daß die Amerikaner diesen Prozeß durchführen, da das Lager von ihnen befreit wurde und sich sämtliches Material in ihren Händen befindet, trotzdem Buchenwald in der sowjetischen Zone liegt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß vielleicht jetzt schon die Absicht besteht oder sie sich im Prozeß herausstellt, einige Angriffe gegen ehemalige Lagerfunktionäre zu starten, die früher der KPD angehörten und jetzt verantwortliche Partei- und Regierungsfunktionen bekleiden. Ich mache darauf aufmerksam, daß sich hierunter unter anderem folgende Genossen befinden: Ernst
Busse*,
lange Jahre Lagerältester, zuletzt Revierkapo, jetzt Stellv. Ministerpräsident in Thüringen
Robert Siewert*,
Kapo eines Baukommandos, jetzt Stellv. Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt
Otto
Kapo der Häftlingsbekleidungskammer, jetzt Ministerialdirektor im Volksbildungsministerium Sachsen-Anhalt
58 59
Halle*,
Gemeint ist der Alliierte Kontrollrat, der sich im engeren Sinne aus den vier Oberbefehlshabern der alliierten Armeen zusammensetzte und der am 5.6.1945 die oberste Regierongsgewalt in Deutschland übernahm sowie der Koordinierungsausschuß ihrer vier Stellvertreter. SAPMO-BA, ZPA, 12/3/156, Bl. 70-71.
350
111 Antifaschismus im kalten Krieg
Baptist Feilen*,
Kapo der Wäscherei, jetzt Beamter der Regierung Thüringen
Ernst
Frommhold*,
Lagerältester bis 1940, jetzt Beamter der Regierung Thüringen Robert Leibrand [Leibbrand]*, Schreiber der Gustloff-Werke, jetzt Mitglied der KPD, BL Hans
Eiden*,
Lagerältester, jetzt leitender Funktionär in Trier oder Köln
Erich
Reschke*,
Lagerältester, jetzt innere Verwaltung
Willi
Seifert*,
Kapo der Arbeitsstatistik, jetzt innere Verwaltung
Emil
Carlebach*,
Blockältester eines Judenblocks, jetzt Redakteur der „Frank-
Württemberg und des württembergischen Landtages
furter Rundschau" Das ist nur eine ungefähre Liste, die zeigt, daß jeder Angriff gegen Lagerfunktionäre aus den Reihen der KPD verantwortliche Funktionäre treffen muß. Dasselbe trifft natürlich auch für Genossen aus den anderen Parteien, Jugoslawien, Österreich, Frankreich, Tschechoslowakei, Belgien und Holland. Wie ich Dir schon einmal mitteilte, hat man gegen diese Genossen, insbesondere in der Tschechoslowakei und Frankreich, seitens der im Lager inhaftierten Faschisten Angriffe gerichtet. Ich halte es für notwendig, sich schon heute auf den Prozeß und seine Eventualitäten vorzubereiten und schlage dazu vor, einen Genossen zu beauftragen, in dessen Hände die Vorbereitung konzentriert wird. Wir müssen von vornherein durch die Presse und den Rundfunk den Prozeß ein bestimmtes Gesicht geben. Es wäre wohl an der Zeit, die Rolle der Widerstandsgruppen im Lager Buchenwald aufzuzeigen, das Echo, das sie bei den nichtdeutschen Häftlingen fanden, und die Anerkennung, die den deutschen Antifaschisten im Lager auch heute noch zuteil wird. Die illegale Leitung der Partei und auch des internationalen Widerstandszentrums im Lager hatten die Genossen Busse, Kuhn* und Bartel inne. Sie kennen nicht nur die Geschichte der Widerstandsaktionen, sie kennen auch die daran Beteiligten und haben bei den deutschen Genossen wie bei den ausländischen Kameraden Vertrauen und Autorität. Genösse Busse scheidet für eine solche Arbeit wegen seiner Regierungstätigkeit aus. Ich selbst werde in der nächsten Zeit infolge meiner Tätigkeit hier im Hause außerordentlich stark in Anspruch genommen sein. Verbleibt Genösse Kuhn, der z.Zt. die Kulturabteilung in der Zentralverwaltung fur Arbeit und Sozialfürsorge leitet. Ich glaube, daß eine Verständigung mit dem Präsidenten, dem Genossen Brack 60 , Harry Kuhn für diese Arbeit Zeit einräumen wird. Es müßten sofort alle bisherigen Publikationen des In- und Auslandes über die Rolle der Kommunisten im Lager zusammengestellt werden. Das Material müßte durch vor60
Gustav Brack (1892-1953), kaufmännischer Angestellter, bis 1933 Vorsitzender des Zentralverbands der Angestellten in Thüringen, danach Bezirksdirektor einer Versicherungsgesellschaft, 1935-1941 Haft und KZ, 1944 erneute Haft. Ab Juli 1945 im Bezirksvorstand der SPD, 1946/47 im Landesvorstand der SED in Thüringen, 1945/46 Direktor des Landesamtes für Arbeit und Sozialfürsorge in Thüringen, danach Präsident der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge, 1948 Leiter dieser Abteilung in der DWK, danach Direktor der Deutschen Versicherungsanstalt der Bezirksdirektion Gera.
111.5 Ε. Busse an Freunde aus dem Lager, 25. Februar 1947
351
handene persönliche Beziehungen ergänzt und der Presse wie dem Rundfunk zugänglich gemacht werden. Das Buch von Dr. [Eugen] Kogon* „Der SS-Staat"61 kann meines Erachtens eine Rolle in diesem Prozeß spielen, bei den engen Beziehungen, die Kogon zu den Amerikanern hat, und seiner genauen Kenntnis der Cliquenkämpfe innerhalb der SS-Lagerfuhrung. Durch einen Mittelsmann läßt sich durch Kogon vielleicht feststellen, ob die Amerikaner irgendwelche ernste Angriffe gegen uns starten wollen. Dasselbe müßte sich auch über tschechische und polnische Verbindungen erreichen lassen. Wie Dir bekannt, soll im Mai eine Erinnerungsfeier62 in Dachau stattfinden. Diese wäre unter Umständen fur den Prozeß günstig, evt. aber schon etwas zu spät. Man müßte überprüfen, ob wir eine Veranstaltung in Buchenwald am 11. April, dem Tage der Selbstbefreiung, stattfinden lassen sollen, um den Willen der ehemaligen Buchenwald-Häftlinge zu dokumentieren. Ich bitte Dich, schnellstens eine Besprechung mit den Gen. Kuhn, [Karl] Raddatz 63 und mir durchzufuhren, damit diese Arbeit begonnen werden kann. 64
III.5
Emst Busse* an „alle alten Freunde und Bekannten aus dem Lager Buchenwald", 25. 2. 1947«
Lieber Kamerad! Vor zwei Jahren saßen wir noch in banger Sorge, unsere Blicke auf die politischen und kriegerischen Ereignisse der Welt gerichtet, hinter den elektrisch geladenen, von der SS bewachten Zäunen des Lagers Buchenwald. Von den Türmen rund um den Zaun bedrohten uns ihre Maschinengewehre und Panzerfäuste. Wir wußten längst, daß der Krieg verloren sein würde und daß die Stunden ihrer Herrschaft und ihres Terrors gezählt seien. Wir wußten nur nicht, welche wahnsinnigen Handlungen sie in ihrer letzten Raserei noch zur Anwendung gegen uns bringen würden. Schwerlastende Verantwortung und bitterer Ernst beherrschten in diesen Tagen Besprechungen und Entscheidungen der einzelnen Sektionen unserer Widerstandsbewegung und die Entschlüsse des internationalen Lagerkomitees. 61 62 63 64 65
Das Buch wurde 1946 veröffentlicht. Zu den Vorarbeiten seit Herbst 1945 sowie zur Manuskriptfassung siehe Dok. 1.4, Anm. 67. Gemeint sind die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung aus den nationalsozialistischen Konzentrationlagern. Karl Raddatz war zu dieser Zeit Generalsekretär der W N . Zur Person vgl. Dok. II. 1.2, Anm. 12. Der letzte Absatz ist als handschriftliche Notiz ohne Paginierung auf einem separaten Blatt geschrieben. BWA, 1-32/63, Bd. 1. Emst Busse unternahm diese „antifaschistische Aktion" als Rundbrief, mit der Aufforderung, die eigenen Erfahrungen im KZ Buchenwald zu beschreiben, auf einem offiziellen Briefbogen des Thüringer Innenministers.
352
III Antifaschismus im kalten Krieg
Die ganzen Jahre unseres illegalen Kampfes in Buchenwald waren eine Kette mutiger Handlungen vieler, vieler Einzelner, die bei der Entdeckung für jeden bitterste Qualen oder sogar den Tod zur Folge haben konnten. Das Ziel dieser Arbeit war es, unsere bewußten Kämpfer gegen den Nazismus zu erhalten und vor dem Terror der SS zu schützen. War das schon die ganzen Jahre so, dann steigerte sich dieser Zustand in den letzten Monaten um ein Vielfaches. Der Entschluß stand fest: „Wir werden uns nicht ohne Widerstand und Auflehnung wie eine willenlose Herde einer eventuellen Massenliquidation, mit der die Verbrecher ihr Ende krönen möchten, beugen." Wir haben bis zum Schluß gehalten, was wir von Anfang an begonnen! Wir haben die SS getäuscht! Wir haben die SS bestohlen, um den schwachen und hilfsbedürftigen Kameraden zu helfen! Wir haben die SS aufeinander gehetzt, so daß sie sich in ihren eigenen Reihen bekämpfte und Gruppen bildete! Wir haben in ihren Betrieben planmäßig Sabotage getrieben! Wir haben die Korruptheit der SS bewußt ausgenutzt, um Kriegsmaterial zu verschleudern und um unseren kranken und schwachen Kameraden zu helfen! Wir haben dieses und noch viel mehr getan. Jeder spielte seine Rolle, jeder hatte seine Aufgabe. Er wußte oft nicht, warum und weshalb er das tun mußte, was wir ihm befohlen. Er wußte nur, es gibt eine Organisation, es gibt einen Kopf, es gibt einen Plan, und von alledem bin ich ein Glied, was ich tue, dient unserer Kampfgemeinschaft. Das Ziel unserer Kampfgemeinschaft war unter anderem: Schutz des ganzen Lagers vor allzu großem und allzu willkürlichem Terror der SS durch planmäßige, organisatorische Erfassung aller bewußten Nazigegner, Verhinderung bewußter und von der SS geleiteter Frontbildung unter den Häftlingen selbst durch die Ausnutzung der geschaffenen Häftlingsgruppen, Abschirmung der Lagergemeinschaft gegen alle von der SS immer wieder gedungenen Spitzel und deren Handlungen, Abschirmen der besonders gefährdeten und besonders wertvollen Antifaschisten und Nazigegner durch beeinflußten Arbeitseinsatz, durch Gewährung von „Schonungen" oder Unterbringung in die besonderen Stationen des Krankenbaues, planmäßige Verhinderung von „auf Transport schicken" oder vorgesehener Liquidation, politische Information und Schulung aller erfaßten, bewußten Gegner. Vor allem aber war es unser Ziel, solche kampffähigen Gruppen unter den Häftlingen zu schaffen, die bei den unvermeidlichen Auseinandersetzungen beim Zusammenbruch der Nazis in der Lage waren, das Leben aller Häftlinge zu schützen und unsere Freiheit zu gewinnen. Wir haben zu diesem Zweck die von der SS aufgestellten Häftlingsformationen (Lagerschutz, Sanitätstrupp, Feuerwache usw.) ausgenutzt.
III.5 Ε. Busse an Freunde aus dem Lager, 25. Februar 1947
353
Dieses sind nur einige Punkte. Zu ihnen gesellen sich noch viele andere einzelne Handlungen, die zum Nutzen und Frommen der Lagergemeinschaft durchgeführt wurden. Du weißt, daß uns dies gelungen ist. Ich glaube, ein kurzer Rückblick angesichts des Tages der Wiederkehr der Befreiung aus dem Lager Buchenwald darf uns aussprechen lassen: „Buchenwald und seine internationale Organisation und Widerstandsbewegung sowie ihre Ergebnisse und Erfolge sind ein stolzes Denkmal antifaschistischen Kampfes." Ich schließe mit einer Frage und einer Bitte. Frage: Dürfen wir auf Buchenwald stolz sein? Bitte: Erzähle: 1. Was war Dein schönstes Erlebnis in Buchenwald? 2. Würdest Du noch leben, wenn die Kampfgemeinschaft uns nicht zusammengeschmiedet hätte? 3. Waren unsere, von uns selbst gegebenen Gesetze nicht hart; aber war diese Härte nicht Voraussetzung für unseren Erfolg? 4. War nicht das, was wir von Einzelnen an Mut und Einsatzbereitschaft forderten, mehr, als man von einem Menschen verlangen kann? 5. Haben wir nicht Übermenschliches von uns selbst gefordert, und waren wir nicht dennoch auch nur Menschen? Und heute! Versucht man nicht, weil wir nur Menschen waren und auch menschliche Fehler hatten, uns und unsere Sache zu diffamieren? Müssen wir da tatenlos zusehen? Ich meine nicht? [sie!] Darum die Bitte: Gib doch bitte sofort Antwort auf diesen Brief mit den obigen Fragen, so daß wir Deine Antwort, gesammelt mit vielen anderen, zum Buchenwaldtag 66 gemeinsam veröffentlichen können. Zum Buchenwaldtag hoffe ich, Dich begrüßen zu können, und verbleibe in alter Kampfverbundenheit.
66
Buchenwaldtag: Gedenkveranstaltung am Jahrestag der Befreiung, der am 11. April jeden Jahres im ehemaligen KZ Buchenwald begangen wird. Zu Zeiten des sowjetischen Intemierungslagers auf dem Ettersberg wurde der Buchenwaldtag im Weimar gefeiert.
354 III.6
III Antifaschismus im kalten Krieg
SED ZUR „REKONSTRUKTION DER PARTEIGESCHICHTE DER 1933-1945" (FRÜHJAHR 1947)
MAßNAHMEN DER ILLEGALITÄT,
III.6.1 Sitzung des Zentralsekretariats der SED. Betr. Rekonstruktion der illegalen Parteiarbeit unter dem Hitlerregime, 3.3.1947 67
Beschlossen: Mit der Rekonstruktion der illegalen Tätigkeit der Parteiorganisationen der KPD und SPD in der Zeit von 1933 bis 1945 ist sofort zu beginnen. Die Abt.feilung] Personalpolitik wird beauftragt, für die Besetzung dieses Referates in der Abteilung 3 bis 4 geeignete Genossen vorzuschlagen, die mit der Sammlung und Auswertung des Materials beauftragt werden. 68
67
68
SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/136, Bl. lf. Auszug aus dem Protokoll Nr. 97 der Sitzung des Zentralsekretariats vom 3.3.1947. Nach Verteiler ist das Protokoll an Franz Dahlem, Erich Gnifike und an die Abteilung Personalpolitik gegangen. Die Einführung zum Tagesordnungspunkt wurde auf der Sekretariatssitzung von Franz Dahlem gegeben. In der Akte enthalten ist ein Durchschlag des Textes mit dem handschriftlichen Vermerk Franz Dahlems vom 4.3.1947: „Laut Sekretariatsbeschluß sollen 3-4 Genossen eingestellt werden. Vielleicht sollte man [Karl] Schirdewan fur die Geschichte der KPD vorsehen." Zu Karl Schirdewan siehe Anm. 72. Präzise gesagt, war das Referat Parteigeschichte der Illegalität in die Abteilung Personalpolitik (Hauptreferat Parteikader und Parteitätigkeit 1933-1945, Unterabteilung Parteikader) integriert - ein Hinweis darauf, daß es sich bei der Rekonstruktion der Parteigeschichte unter dem Nationalsozialismus vor allem um eine Ausforschung und Überprüfung der kommunistischen Kader handelte. Die Geschichte der Personalpolitischen Abteilung ist - nach den Sitzungsprotokollen des ZS bzw. des Sekretariats des ZK - eine Geschichte häufiger Umstrukturierungen. Die PPA der SED wurde nach dem Vereinigungsparteitag am 25.4.1946 als Abteilung des ZS gegründet. Die Leitung teilten sich „gleichberechtigt" Grete Keilson (KPD) und Alexander Lösche (SPD), der aber in Fragen der KPD-Überprüfungen im Hintergrund blieb und ab 6.12.1948 ausschied, um Büroleiter des Zentralsekretariats zu werden. Am 3.3.1947 wurde Günther Tenner als Referent fur „Personalfragen der KPD des Westens" eingestellt. Das Protokoll der Sitzung des ZS vom 3.3.47 vermerkte, daß „analog ein Genösse der ehemaligen SPD anzustellen ist als Referent für die Personalfragen der SPD des Westens. Zugleich wurde die Einrichtung des Referates „Rekonstruktion der illegalen Parteiarbeit unter dem Hitlerregime" bei der PPA beschlossen. 1947 bestand die Abteilung Personalpolitik damit insgesamt aus sieben Referaten. Am 26.7.1950 wurde die Reorganisation der Kaderabteilung beschlossen. Leiter des Personalbüros wurde Sepp Miller. Grete Keilson übernahm in dieser Zeit die Abteilung Internationale Verbindungen. Weiter wurde beschlossen, daß fur die Kader der KPD die Kaderabteilung der Westkommission verantwortlich sei. Am 26.7.1950 bestand die Abteilung Personalpolitik aus 4 Sektoren: Registratur, Allgemeine Angelegenheiten, Personalbüro, Auswahl und Entwicklung der leitenden Kader. Am 29.1.1953 wurde per Beschluß die Kaderregistratur beim ZK aufgelöst und eine gleichnamige Unterabteilung in der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen beim KZ gebildet. Die Aufgaben der alten Kaderregistratur wurden verteilt auf die neue Unterabteilung, auf die ZPKK, auf die „Kommission fur Reisen" beim ZK und - was „Spezialaufgaben" betraf - auf die Leitung der Abteilung „Leitende Organe". Als weitere Sektoren wurden bei den Leitenden Organen eingerichtet: Auswahl und Fördening der Kader und Registratur der Kader. Am 9.3.1955 wurden zur Vereinfachung der Personalbürokratie nur noch zwei Kadersektoren bei der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen geführt: Förderung und Schulung der Kader und Kaderregistratur. Am 4.10.1961 wurde im Rahmen eines neuen Strukturplans des ZK zur weiteren Effektivierung der Personalpolitik eine eigenständige Abteilung fur Kaderfragen beschlossen.
111.6.2 SED-Parleigeschichle der Illegalität, Frühsommer 1947: Aufruf
355
III.6.2 Aufruf an alle Parteimitglieder, die sich illegal politisch betätigt haben, Erinnerungsberichte abzugeben und Material zur Verfügung zu stellen (1947) 69
Werte Genossen, das Zentralsekretariat unserer Partei hat beschlossen, ein Referat für Parteigeschichte der Illegalität zu schaffen, das die Aufgabe hat, die Tätigkeit der beiden Arbeiterparteien während der Jahre 1933-45 zu studieren und die Ergebnisse in der Politik unserer Partei zu verwerten. Wir richten daher an alle Mitglieder, die sich zu irgend einem Zeitpunkt illegal betätigt haben, die Bitte, ihre Tätigkeit schriftlich festzuhalten und uns zu übermitteln. Um Euch diese Niederschrift zu erleichtem und uns bei der Fülle des eingehenden Materials einen Überblick zu verschaffen, bitten wir Euch, Euch im wesentlichen an den nachstehenden Fragebogen 70 zu halten. Wenn Ihr im Besitz von illegalen Materialien seid, überreicht sie uns. Sie werden, ausgewertet durch uns, von weitaus größerem Nutzen für die Partei sein, als wenn sie ein abgeschlossenes Dasein in irgendwelchem Privatschrank führen. Legt Ihr Wert darauf, in ihrem Besitz zu bleiben, so übergebt sie uns trotzdem zu treuen Händen. Wir werden Fotokopien davon anfertigen und das Original Euch wieder zurückgeben. Heute ist die Einheit der beiden Arbeiterparteien Tatsache geworden. Es gab aber 71 vor 1933 in beiden Parteien viele illegale Arbeiter, die schon damals die Notwendigkeit der Aktionseinheit, um gegen das Hitlerregime zu kämpfen, erkannten und dementsprechend handelten. Wo Euch aus Eurer Praxis solche Fälle bekannt sind, berücksichtigt sie in Eurem Bericht besonders und ausführlich. Es interessieren uns auch die Diskussionen, die bei den illegalen Arbeitern über wichtige politische Ereignisse, Parteimaterialien, bekannt gewordene Konferenzen und Kongresse geführt wurden, die gegensätzlichen Meinungen und Stellungnahmen. All diese Berichte werden dazu dienen, ein klares, lebendiges und anschauliches Bild des politischen Lebens der deutschen Arbeiterbewegung zu gewinnen, die in den 12 Jahren des faschistischen Terrors bewiesen hat, daß sie trotz aller Versuche, sie zu vernichten, lebte, kämpfte, unzählige blutige Opfer brachte und in diesen harten Jahren verstand, die praktischen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, die sie durch ihren Zusammenschluß zu einer einheitlichen sozialistischen Partei in die Tat umsetzte. Genossen, helft das Bild über die Periode der illegalen Parteigeschichte durch Eure Berichte zu vervollständigen und zu ergänzen.
69 70 71
SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/136, Bl. 3f. Der Aufruf (als handschriftliches Manuskript) stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von Franz Dahlem und ist auf die Popularisierungsphase unmittelbar nach der Einrichtung eines Referats „Parteigeschichte" innerhalb der PPA, im Frühsommer 1947, zu datieren. Der Fragebogen ist in der Akte nicht enthalten, es ist aber vermutlich ein Fragenkatalog gemeint, der sich eng an die Klassifizierungen anlehnte, wie sie in den Richtlinien der Arbeit dieses Referats ausformuliert wurden, vgl.Dok. III.6.3. „Aber" wurde nachträglich gestrichen.
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111 Antifaschismus im kalten Krieg
III.6.3 „Richtlinien für die Arbeit: Rekonstruktion der Parteikader aus der Illegalität 1933-1945 und Sammlung parteigeschichtlichen Materials aus der Illegalität und Emigration von 1933-1945" (1947)72
Die Forschungsarbeit und ihre politische Auswertung, Sammlung parteigeschichtlichen Materials: Auf der Grundlage der Rekonstruktion der Kader und der Ermittlung aller Aktivität aus der Illegalität muß die Forschung und Darlegung der Widerstandstätigkeit der marxistischen Kader gegen das Hitlerregime erfolgen. Wir müssen die Grundlagen fur das Geschichtsbild schaffen, daß die Hauptkräfte des Kampfes gegen das Hitlerregime von den Kadern und der marxistischen Bewegung gestellt werden. Jedes winzeine [sie!]73 Parteimitglied, sofern es in der illegalen Zeit in einer Widerstandsgruppe gearbeitet hat, muß einen Bericht über seine illegale Tätigkeit abgeben. Jede Parteiorganisation muß verpflichtet werden, die Geschichte der Arbeiterbewegung von 1933-45 ihres Ortes, Betriebes und Kreises zu schreiben. Eine genaue Aufstellung aller während der Hitlerzeit ermordeten und hingerichteten Sozialisten und Sympathisierenden, gleichgültig welcher Parteirichtung oder Massenorganisationen sie angehörten, ist zu erarbeiten. Über jeden unserer Toten muß versucht werden, eine kurze Charakteristik vom persönlichen und politischen Werdegang zu ermitteln. Hilfsquellen zur Forschung sind: - Fragebögen für Parteimitglieder - Rubrik 16, 17, 18 (auf dieser Grundlage Berichte anfordern) - Material aus Fragebögen der OdF-Betreuungsausschüsse und der VVN-Forschungsstellen - Verbindungen zu Innen- und Justizministerien - Einsehen: Polizeiakten, Gerichtsakten, Hausakten von Gefängnissen und Zuchthäusern - Nazi-Archive aufstöbern, die verlagert wurden
72
73
SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/136, Bl. 26f. Diese Richtlinien sind vermutlich von Karl Schirdewan, dem ersten Leiter des Referats „Parteigeschichte" im Frühsommer 1947 formuliert worden. Nach einer kurzen Aufzählung der historischen Phasen und Gruppierungen des Widerstands (Spanienkämpfer, illegale Arbeiter, SaefkowGruppe, Arbeit in den Zuchthäusern und den Konzentrationslagern, Partisanen, 999er, bürgerliche Opposition, 20. Juli 1944) folgt der im weiteren abgedruckte, systematische Teil zur Tätigkeit des Referats. Karl Schirdewan (geb. 1907), stammt aus einer Königsberger Arbeiterfamilie, Mittelschule, 1923 KJVD, 1925 KPD, 1927/28 Sekretär, ab 1928 Mitglied des ZK des KJVD, bis 1930 als Transportarbeiter tätig, 1933 in der Illegalität, 1934/35 verhaftet und verurteilt, nach Strafverbüßung KZ Sachsenhausen, Mauthausen und FIossenbürg. 1945/46 ZK der KPD bzw. PV der SED, 1947 Leiter der Westkommission beim PV, 1952 Erster Sekretär der LL bzw. BL Sachsen der SED, 1952 Mitarbeiter des ZK der SED der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen (Aufbau und Kontrolle), 1953 ZK- und PB-Mitglied, 1958 wegen „Fraktionstätigkeit" aus dem ZK mit „strenger Rüge" ausgeschlossen, danach Leiter der Staatlichen Archivverwaltung in Potsdam, 1965 Rentner, 1990 von der Zentralen Schiedskommisison der PDS rehabilitiert, Mitglied des Rats der Alten beim PV der PDS. Möglicherweise ein Schreibfehler: jedes einzelne.
III. 6.3 SED-Parteigeschichte der Illegalität, Frühsommer: Richtlinien
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- Sammlung aller politischen dokumentarischen Stellungnahmen zu den verschiedensten politischen Ereignissen: a) Kommunistische Partei b) Sozialdemokratische Partei c) Volksfront und andere Einheitspolitik-Aktionen d) Splittergruppen und frühere Massenorganisationen - Aufbau eines Kartei- und Archivsystems. Um eine Übersicht zu schaffen, die es ermöglicht, das Material jederzeit zur Auswertung bereit zu halten, sollen die wichtigsten Vorgänge aus dem illegalen Kampf karteimäßig geordnet werden, und in gleicher Weise soll jedes parteigeschichtliche Material karteimäßig registriert werden. Wir beginnen mit einer Registrierkarte für illegale Partei- und Widerstandsarbeit. Diese Karteikarte soll jedem Parteimitglied vorgelegt werden, das illegal gearbeitet hat. Vorschlag dafür anliegend. Auf Grund dieser Registrierkarte wird dann eine Sachkartei angelegt, die je nach den vorkommenden Sachgebieten bei den Landesleitungen entstehen muß. Z.B. der Genösse Wilhelm Schweizer gibt an: 1933 1934 1937 1938 1939 1940 1942 1945
illegale Arbeit KPD verhaftet, Urteil 3 Jahre Volksgericht entlassen, 1/2 Jahr illegale Arbeit, Betriebsgr. Siemens Flucht ins Ausland, Teilnahme am Span. Bürgerkrieg KZGurk 7 4 in Frankreich Arbeitskompanie Partisan im Maquis Kriegsgefangenenarbeit in frz. Lägern
Es ergeben sich also eine Reihe von Sachgebieten: 1. kommt dieser auf die Karteikarte „illegale Arbeit der KPD, 1933, wo und wie" 2. Kartei „Freiheitsstrafen" 3. Illegaler Zirkel im Zuchthaus Luckau 4. Illegale Betriebsgruppe Siemens (Einheitsgruppe KP'SP) 5. Spanienkämpfer 6. KZ-Häftling in Frankreich (Gurs. Vemet etc) 7. Arbeitskompanie in Albi 8. Teilnahme im französischen Maquis 9. Kriegsgefangenschaft in fr. Lägern Diese Kartei ermöglicht später die Sachgebiete übersichtlich zu haben, und sie muß so angelegt werden, wie es die Bedürfhisse, die aus den Aufgaben erwachsen, erfordern.
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Gemeint ist das französische Intemierungslager Gurs.
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III Antifaschismus im kalten Krieg
Eine wichtige Hilfskartei bildet die Forschungskartei für illegales Propagandamaterial. Wir wissen aus einer Reihe von Angaben, daß diese oder jene Parteiorganisation eine Zeitung, gedruckt oder abgezogen, herausgab. Diese Angaben werden karteimäßig festgehalten. Z.B. „Der Friedenskämpfer, 1942" (noch nicht vorhanden). Später wird diese Zeitung herbeigeschafft und man weiß jetzt schon, wer die Herausgeber und Redakteure dieser Zeitung waren. Die Sache kann auch umgekehrt verlaufen, daß man erst eine zeitlang ermittelt und später die Menschen, die sie hergestellt haben, [sie!]75
III.7
Ludwig Gehm: „Auf Befehl der Illegalen", 4.7.1947™
Die Dena 77 meldet vom Ärzteprozeß in Nürnberg, der Angeklagte Waldemar Hoven, der beschuldigt wird, im Konzentrationslager Buchenwald Häftlinge durch Einspritzungen getötet zu haben, hätte im Kreuzverhör des Anklagevertreters zugegeben, zwei oder drei tödliche Injektionen verabreicht zu haben. / Diese Bescheidenheit Hovens ist verständlich, denn welcher Verbrecher gibt gerne seine Schandtaten offen zu. Unverständlich ist aber für den Leser, daß Hoven die Verantwortung für Morde übernehmen will, die andere ausgeführt haben. Hoven gibt zu, daß mit seinem Wissen 50-60 Häftlinge von ausgewählten Pflegern im Revier auf Befehl der illegalen Lagerleitung78 getötet wurden. Hoven spricht dabei etwas aus, was jedem Buchenwalder Häftling schon damals bekannt war. Er weigert sich aber, die Namen der Häftlinge zu nennen, die die Morde ausführten. Diese Tötungen kann man nur verstehen, wenn man den Notstand miterlebt hat, der damals im Lager herrschte. Wenn diese Spitzel und Verräter weitergelebt hätten, wären Tausende der SS zum Opfer gefallen. / Warum weigert sich Hoven, die Namen der Mörder zu nennen, wenn er doch selbst glaubt, die Morde seien eine gerechtfertigte Selbsthilfe gewesen. Will der sich durch sein Schweigen einen Persilschein79 erkaufen? Glaubt er etwa, dadurch seinen Kopf retten zu können?
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Gemeint ist möglicherweise, daß man die Menschen, die sie hergestellt haben, später feststellt. Getragen wird dieser Entwurf von der Idee einer möglichst vollständigen Rekonstruktion der Vergangenheit. Der polizeiliche Unterton parteiinterner Fahndungen und Untersuchungen ist in den stilistischen Entgleisungen unverkennbar. Abschrift dieses Berichts in: BWA, 01-27. Es handelt sich um einen Artikel aus dem Mitteilungsblatt der SPD Hessen, 2. Jg. (4.7.1947) Nr. 27, gezeichnet von Ludwig Gehm. Gehm belastete hierin, aus der eigenen Erfahrung im KZ Buchenwald und unter dem Eindruck des Nürnberger Ärzteprozesses, in dem auch Dr. Waldemar Hoven medizinischer Verbrechen angeklagt war, die illegale kommunistische Parteileitung schwer. Gehm (geb. 1905), vor 1933 Mitglied des ISK, 1936 verhaftet, 1938-1943 KZ Buchenwald. Dann im Kampfbataillon 999 in Griechenland eingesetzt, dort desertiert und als Partisan gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft. Aus britischer Gefangenschaft 1947 nach Frankfurt zurückgekehrt, engagiert er sich in der SPD. Vgl. Antje Dertinger: Der treue Partisan. Ein deutscher Lebenslauf: Ludwig Gehm, Bonn 1989. Dena: Deutsche Nachrichtenagentur. Gemeint ist: die illegale Parteileitung der KPD im Lager. Bescheinigung politischer Unbelastetheit und Unbedenklichkeit in der Entnazifizierung..
III.8 F. Dahlem über E. Busse, 2. Mai 1947
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Ist Hoven sicher, daß es nur „Verräter und Spitzel" waren, die von Häftlingen mit seinem Einverständnis ermordet wurden? Hoven weiß genau, daß eine Reihe seiner Mitwisser noch am Leben sind und einige davon angesehene Stellungen in der Ostzone innehaben. Hoven wird vergeblich warten, daß diese ihm zu Hilfe kommen. Sein Bemühen ist vergeblich! Wir hätten uns nicht gewundert, wenn trotz allem „Illegale" zur Verteidigung Hovens aufgetreten wären. Wie oft mußten wir damals von einer bestimmten Clique hören: „Hoven ist unser Mann!" Und sie hatten recht, diese „Illegalen". Hoven war ihr Mann. Kaum ein politischer Häftling, der nicht zu dieser Sorte „Illegalen" gehörte, hat es zu jener Zeit gewagt, sich in das Revier einzuliefern, weil sie befürchteten, daß Hoven, als „der Mann" der Extremisten unter den Häftlingen, sich zu jeder Schandtat kaufen ließ. Hoven gibt heute zu, daß 50-60 Häftlinge nicht durch die SS, sondern durch Häftlinge ums Leben gekommen sind. Es ist interessant zu wissen, wie viele tatsächlich ermordet wurden auf Befehl der „Illegalen Leitung". Ist Hoven davon überzeugt, daß die Ermordeten alle „Verräter und Spitzel" waren. Er ist bestimmt der letzte gewesen, der sich darüber Gewissenskonflikte schaffte, denn ebenso bekannt wie das Wort, „Hoven ist unser Mann", ist auch damals gewesen, daß Hoven vieles brauchen konnte, daß er sehr gerne „organisierte". Was bewegt Hoven, wenn er die Namen der Mörder verschweigt? Es geht in Nürnberg um seinen Kopf. Kann er von denen, die jetzt vor seinen weiteren Aussagen zittern müssen, noch eine Hilfe erwarten. Was auch seine Beweggründe sind; im Verschweigen der Namen der Schuldigen zeigt sich ein Stück Verbrechergemeinschaft, das die Grundlage bildet, auf der sich die Koalition jener, die-vor keinem Verbrechen zurückschrecken, denen jedes politisches Mittel und jede Methode zur Errichtung ihrer politischen und persönlichen Ziele recht sind, [entwickelt].
III.8
Franz Dahlem an Abteilung Personalpolitik. Betr. Rundbrief Ernst Busses'1' „An alle alten Freunde und Bekannten aus dem Lager Buchenwald", 2.5.1947 80
Zu den Akten des Gen. Ernst Busse Mit dem Genossen Busse werde ich bei guter Gelegenheit über die Unzweckmäßigkeit der Veröffentlichung solcher Mitteilungen aus der illegalen Arbeit in den KZs reden. Das muß man bestimmt eines Tages zur Abwehr der in Vorbereitung befindlichen antikommunistischen und antisowjetischen Kampagne der amerikanischen Militärbehörden tun. Jetzt soll 80
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, Bl. 125. Zur Geschichte der PPA, vgl. Anm. 68. Franz Dahlem schreibt als Mitglied des Zentralsekretariats der SED an die PPA, also an Grete Keilson, die seinerzeit im Herbst 1946 Mitglied der Untersuchungskommission gegen Busse war. Dahlems Notiz ist zum Verbleib in der Akte bestimmt, die als parteiinterne Untersuchungsakte der PPA gegen Emst Busse angelegt worden war und die seit der Gründung der Zentralen Parteikontrollkommission am 15./16.9.1948 als ZPKK-Akte geführt wurde. Zur Geschichte der ZPKK vgl. Dok. V. 1.2, Anm. 3.
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111 Antifaschismus im kalten Krieg
man sich darauf vorbereiten, alle Unterlagen zur Verfugung zu haben, wenn der Angriff erfolgt. Siehe auch die beiliegende Pressenotiz aus dem Mitteilungsblatt der SPD-Hessen. 81 Bitte einen Bericht von der bisherigen Arbeit der Buchenwald-Kommission82 machen zu lassen.
III. 9
„KOMMUNISTISCHE GRAUSAMKEITEN IN BUCHENWALD", 1 9 4 7
III.9.1 Donald B. Robinson: „Kommunistische Grausamkeiten in Buchenwald" (Sopade-Informationsdienst), 29. und 30.4.1947 83
Als ich den Bericht studiert hatte, verstand ich endlich eine Bemerkung, die mir einige Tage vorher ein Deutscher namens Müller gemacht hatte, der ein Überlebender von Buchenwald war. 81 82
83
Gemeint ist vermutlich der Artikel von Ludwig Gehm, den Dahlem seiner Notiz als Anlage beifiigte.Siehe Dok. III.7. Gemeint ist vermutlich die Untersuchungskommission, die in der Angelegenheit Ernst Busses und Erich Reschkes seit Herbst 1946 parteiinterne Nachforschungen anstellte. Die Bitte Dahlems um einen zusammenfassenden Bericht über die Ermittlungen der Kommission läßt auf ein neuerliches Interesse des ZS der SED am „Fall Busse" schließen, das in direktem Zusammenhang mit dem Buchenwald-Prozeß der Amerikaner im März 1947 stand. SAPMO-BA, ZPA I 2/3/156, Bl. 92-94. Dieser Bericht war zuerst in der Zeitschrift „American Mercury" im Oktober 1946 veröffentlicht worden und wurde im Informationsdienst der SPD (Sopade-Informationsdienst) in zwei Teilen am 29.4. (Teil 1) und am 30.4.1947 (Teil 2) in einer übersetzten Version abgedruckt. Der SopadeInformationsdienst erschien als Nachfolger der Sopade-Berichte der SPD aus der Präger Exilzeit in den Nachkriegsjahren in London. Über Donald B. Robinson sind keine biographischen Daten zu ermitteln. Bei seinem Artikel in der Sopade-Fassung handelt es sich um eine extraktartige Montage von Zitaten aus dem Buchenwaldbericht von Eugen Fleck und Edward Tenenbaum, der unter anderem in der Sopade-Version seinen Weg in die Öffentlichkeit nahm. Zum Originalbericht, siehe Dok. 1.3. Am 18.4.1946 hatte der Sopade-Informationsdienst im SPD-Mitteilungsblatt Hessens (Nr. 16) eine Meldung lanciert, die die Suche nach einem „Geheimbericht amerikanischer Dienststellen" eröffnete (dem amerikanischen Buchenwaldbericht aus dem Jahr 1945) und die Bekanntgabe seines Inhalts forderte. Eine Abschrift dieser Meldung gelangte über Walter Bartel* an die Mitglieder des Zentralsekretariats und des ZK der SED Franz Dahlem und Erich Gniffke und auch an das Büro des Generalsekretariats der W N - h i e r allerdings mit falscher Datierung vom 18.4.1947. Vermutlich wurde kurz darauf der Robinson-Artikel von der Sopade aufgefunden. Dem Abdruck im Informationsdienst ist in Teil 1 eine erklärende Einleitung vorangestellt: „Robinson war eine Zeit lang der leitende Historiker der amerikanischen Militärregierung in Deutschland. Während seines Dienstes im Obersten Hauptquartier des Generals Eisenhower ging ein amerikanischer Untersuchungsbericht durch seine Hände, der auf den Aussagen befreiter Insassen des Konzentrationslagers Buchenwald beruhte und Beweise darüber enthielt, daß etwa 300 deutsche kommunistische KZ-Häftlinge innerhalb des Lagers im Rahmen einer beschränkten Selbstverwaltung die übrigen Lagerinsassen kommandierten und terrorisierten. Robinson schreibt:" Gegenüber dem ursprünglichen Buchenwaldbericht (1.3) enthält die Sopade-Version des Robinson-Artikels in der Auswahl und Anordnung der Themen eine antikommunistische Zuspitzung. Es fehlen die Zeitzeugenschaft der Autoren Fleck/Tenenbaum über die Befreiung Buchenwalds, die Lagergeschichte in der Endphase, die Häftlingsselbstverwaltung des Lagers unmittelbar nach der Befreiung, die Kontrolle des KZ durch kommunistische
111.9.1 Robinson-Artikel,
29/30. April 1947
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Er war 45 Jahre alt, doch sah er eher wie 70 aus. Sein Haar war weiß, sein Gesicht hager. Es schien im eine übermenschliche Anstrengung zu bereiten, nur seine Serge-Jacke 84 und sein graues Flanellhemd auszuziehen. - „Sehen Sie es?", fragte er in schwerem gurgelnden Englisch. Ich sah es. Sein rührend dünner, gebeugter Rücken war kreuz und quer mit den roten Narben zahlloser Schläge überzogen. - „Dieses", so sagte er, „ist mein Diplom von dem Konzentrationslager Buchenwald." Der Sozialdemokrat Müller war in den Jahren vor Hitler ein Beamter einer deutschen Gewerkschaft gewesen. Es gelang ihm, seine Freiheit bis 1938 zu behalten, als die Gestapo ihn festnahm und nach Buchenwald schickte. Er überlebte die dortigen Peinigungen nur wie durch ein wahres Wunder. - „Fügte Ihnen die Gestapo das zu?" fragte ich. - „Etwas davon, aber nicht alles", antwortete er. „Viele dieser Narben erhielt ich von Mitgefangenen, weil ich mit ihrer Politik nicht übereinstimmte." Das war alles, was er sagen wollte. Was die Nazi-Barbaren ihren Gefangenen antaten, überstieg jede Einbildungskraft. Unglücklicherweise machten gewisse deutsche Kommunisten die Lebensbedingungen noch unerträglicher. Buchenwald, man muß sich dessen erinnern, war eines der ersten Konzentrationslager, das von den Alliierten befreit wurde. Dort war es, wo die Gaskammern, die Folter[..., unleserlich], die Typhusversuchslaboratorien, die unbeerdigten Körper und die Tausende von lebenden Leichnamen zuerst gesehen wurden. Eine Prüfung der Lagerunterlagen zeigte, daß es von den Nazis im Jahre 1937 errichtet worden war. Damals benutzten sie es ausschließlich fur drei Kategorien von deutschen Gefangenen: politische, kriminelle und jüdische. Die politische Gruppe bestand größtenteils aus Kommunisten. Der kommunistische Lagerschutz Seit der Besetzung Österreichs im Jahre 1938 begann die Gestapo, auch Ausländer nach Buchenwald zu schicken. Ihre Stammrollen85 erreichten bald die Höhe von 60.000. Der amerikanische Untersuchungsbericht stellt fest: „Die SS richtete ein System der Selbstverwaltung ein, als sie allein mit den hohen Gefangenenzahlen nicht mehr fertig wurde und besonders, als ausländische Gefangene ankamen. Dieses erreichte seinen Höhepunkt im Frühjahr 1940 mit der Ernennung eines 'Lagerschutzes' aus den Reihen der Insassen." Diesem Lagerschutz war, wie es scheint, große Macht über die anderen Gefangenen gegeben. Anfänglich wurden sie aus den gewöhnlichen deutschen Verbrechern ausgewählt: Leute, eingesperrt als Mörder, Einbrecher und Betrüger; 1942 indessen begannen die deut-
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Häftlinge, ihre Organisationsmethode, nichtkommunistische Gruppen im Lager, Greueltaten, Das Kleine Lager. Stattdessen verhandelt Robinson den kommunistisch dominierten Lagerschutz, die Schlüsselstellung der Kommunisten in der Lagerverwaltung, den Kampf um die kommunistische Machtstellung, die Zentren der kommunistischen Macht (Hospital und Effektenkammer) und in knappen Bemerkungen die Tschechen und Russen. Und er verbindet die einleitende Bemerkung Alfred Toombs zum Buchenwaldbericht sowie die Darstellung der Organisationsmethoden der Kommunisten (Teil Ε 7) zu einer Schlußfolgerung über die Beweggründe der Kommunisten und über ihre Einschätzung durch die (amerikanischen) demokratischen Kräfte. Jacke aus einem besonderen Wollstoff. Altertümlicher Begriff für Personalakten.
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III Antifaschismus im kalten Krieg
sehen Kommunisten, in die Reihen dieses Lagerschutzes einzudringen. „Sie waren die ältesten Einwohner 86 und hatten persönliche Beziehungen und Erfahrungen, die ihnen die Übernahme der Verwaltungsstellen erleichterten. Sie hielten mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit zusammen, wohingegen die verbrecherischen Elemente einfach nur auf ihr individuelles Wohlergehen bedacht waren." [...] „Die Kommunisten hielten ausgezeichnet Disziplin aufrecht und empfingen Anweisungen von außerhalb des Lagers. Sie hatten Verstand und technische Befähigungen, um die verschiedenen, im Lager eingerichteten Industrien in Betrieb zu halten. Sie machten sich unentbehrlich." [...]87 „Ihre Fortschritte vollzogen sich nicht ohne Widerstand von Seiten der Kriminellen. Aber allmählich wurden die Kriminellen von der Macht ausgeschaltet, teils durch Einschüchterung, teils durch die SS. Eine Anzahl von Kriminellen wurde durch Schläge, Hängen oder Phenol-Einspritzungen in das Herz oder durch Injektionen von Luft oder Milch in die Adern getötet. Die Injektionen waren eine Spezialität des Lagerarztes, welcher ein Anhänger der kommunistischen Fraktion wurde. Der Name dieses Arztes soll Dr. Waldemar Hoven gewesen sein." Die kommunistische Schlüsselstellung in der Lagerverwaltung Bald wurde ein Kommunist zum Lagerältesten, der höchsten Gefangenenposition, ausersehen. Er achtete darauf, daß seine Gefolgsleute auf andere leitende Positionen kamen. Diese ihrerseits setzten deutsche Kommunisten in die Schlüsselstellungen der Lagerverwaltung: das Arbeitsamt, das Nahrungsmittel-Versorgungsamt und das Hospital. Binnen kurzem hatten die Kommunisten vollständige Kontrolle über wirklich jeden Insassen im Lager. Der NaziKommandant und die SS-Wachen waren durchaus bereit, wie die amerikanischen Untersuchungsbeamten herausgefunden hatten, den Kommunisten so lange freie Hand über alle diese Insassen zu lassen, als sie dieselben „wirkungsvoll" bearbeiteten. Es kam vor, daß Gefangene, die mit den Kommunisten übereinstimmten, zu essen hatten, jene aber, die es nicht taten, zu Tode hungerten. Diejenigen, welche sich offen dem kommunistischen Übergewicht widersetzten, wurden geschlagen, gefoltert oder getötet. Der Armeebericht stellte fest: „Der kommunistische Lagerschutz war direkt verantwortlich für einen großen Teil der in Buchenwald begangenen Brutalitäten. Nicht alle Züchtigungen und Tötungen wurden von SS-Wachen ausgeführt. Eine Liste deutscher kommunistischer Lagerschutzier, die solche Akte begingen, wurde durch die Armee in Besitz genommen. An der Spitze der Liste steht ein Mann namens [Hein] Hauptmann*, welcher der Lagerchefassistent oder Kontrolleur war." „Augenzeugen bestätigen, daß Hauptmann die Gefangenen in die Hoden trat und sie schlug, aber jedesmal dann aufhörte, wenn er sich unter Beobachtung von gewissen Leuten wußte, die Verbindung mit außerhalb des Lagers hatten. Hauptmann spricht gut englisch. Er 86 87
Gemeint ist: Sie waren die Häftlinge mit der längsten Lagererfahrung. Die Auswahl und Montage der Zitate der Sopade-Version des Robinson-Artikels bewirkte einen Verlust an Detailtreue und Unmittelbarkeit. Vgl. das oben eingebrachte Zitat mit dem Abschnitt des Buchenwaldberichts, Dok. 1.3, Teil D, 2 und 3.
111.9.1 Robinson-Artikel, 29/30. April 1947
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spricht wie ein Sadist. Seine Augen glänzen vor Vergnügen, als er erzählt, wie 'wir dieses Lager disziplinierten'. Wie bei vielen kommunistischen Führern ist 'Disziplin' sein Lieblingswort." Andere ob solcher Grausamkeiten von der Armee zitierte Lagerschutzier sind: Kapo der Effektenkammer Heinz Bausch* und Kapo Dietsch [Dietzsch]* vom Block 46. Dieses war der Injektionsblock und Herr Dietzsch wurde als der „Privathenker" bezeichnet. Es wurde festgestellt, daß im Grunde alle Lagerschutzier und alle Blockchefs in dem als „Kleines Lager" bekannten Teil an den Grausamkeiten beteiligt waren. Diese Blockchefs in dem „Kleinen Lager", so stellt der Bericht fest, mißhandelten die Insassen erbarmungslos. Neben persönlichen Züchtigungen ihrer Untergebenen zwangen diese Individuen manchmal ganze Blocks, stundenlang barfuß im Schnee zu stehen, ohne hierzu von oben herunter befugt zu sein. Das wichtigste kommunistische Bollwerk in Buchenwald war das Arbeitsamt88. Dort war es, wo den Insassen Arbeitszuweisungen erteilt wurden oder wo ihre Auswahl nach Plätzen, wie dem gefurchteten Dora-Lager mit Mittelbau 89 , erfolgte, was praktisch [den] sicheren Tod bedeutete. Der Armeebericht zitiert: „Die Schlüsselmachtposition war die Arbeitsstatistik. Hier erfolgten die Einteilungen und wurden die Transporte zusammengesetzt. Obwohl diese Funktion nominell von einem SS-Arbeitseinsatzoffizier ausgeübt wurde, war die Ausführung der Einzelheiten den im Büro tätigen Lagerschutzhelfern übertragen. Diesen wurden gewöhnlich die Anzahl der für einen besonderen Transport benötigten Gefangenen mitgeteilt und die Auswahl der Namen wurde ihnen selbst überlassen." Damit hatten die Lagerschutzler, die nach und nach ausschließlich aus deutschen Kommunisten bestanden, die Macht über Leben und Tod aller anderen Insassen. Sie konnten einen Mann oder eine Gruppe zu fast sicherem Tode verurteilen, indem sie sie einem der schlechten Transporte zuteilten. Kampf um die kommunistische Machtstellung Die kommunistische Machtstellung in den Schlüsselpositionen der internen Lagerverwaltung wurde zweimal angegriffen. Der Armeebericht sagt darüber folgendes: „In Auschwitz hatten die Polen dieselbe herrschende Position inne wie die Kommunisten in Buchenwald. Sie versuchten, in ihrem neuen Heim dieselbe Art von Kontrolle an sich zu reißen." Aber Lagerinsassen bestätigten, daß die Kommunisten den polnischen Angriff leicht niederschlugen, indem sie viele Polen in der Typhus-Versuchsstation zur Hinrichtung brachten. Die zweite Bedrohung der kommunistischen Sicherheit entwickelte sich einige Monate später. Hier der Wortlaut des Berichtes: „Gegen Ende des Jahres begannen große Transporte von Franzosen und Belgiern anzukommen. Infolge ihrer westlichen Orientierung stellten diese auch eine Bedrohung der deutschen kommunistischen Herrschaft dar. Fast alle der ersten ankommenden Konvois wurden sofort dem furchtbaren Dora-Lager überwiesen, welches fast 88 89
Gemeint ist: die Arbeitsstatistik. Offenbar war dem amerikanischen Militärhistoriker das Außenkommando Buchenwalds und seit 1944 eigenständige Lager Dora-Mittelbau nicht bekannt.
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III Antifaschismus im kalten Krieg
sicheren Tod bedeutete. Wer von dem Rest [sich] zu beschweren wagte, wurde sofort auf Transport gebracht." Hospital und Effektenkammer Zu den kommunistischen Bollwerken in Buchenwald gehörte das Gefängnishospital. Sein Stab war fast 100-prozentig aus deutschen Kommunisten zusammengesetzt. Die Armeeuntersuchungsbeamten fanden heraus: „daß Hospital-Einrichtungen zum großen Teil nur der Pflege der Kommunisten gewidmet wurden. Alle knappen Arzneien (und viele waren in Buchenwald knapp) waren kommunistischen Patienten vorbehalten. Hospital-Nahrungsmittel waren verfugbar für Partei-Mitglieder, selbst wenn es nicht unbedingt notwendig war. „Wenn Anti-Kommunisten krank wurden, wurden sie zum großen Teil ohne Pflege gelassen." Die sogenannte Effektenkammer war auch unter kommunistischer Kontrolle. Sie enthielt das individuelle Eigentum neuer Gefangener, auch die Habseligkeiten toter Insassen. Als die SS-Wachen vor den herankommenden Amerikanern flohen, nahmen sie alles Geld und Gold mit sich und die kommunistischen Lagerschutzier nahmen alles andere. Einiges verteilten sie unter ihre Gefolgsleute. „Jeder russische Kriegsgefangene zum Beispiel erhielt eine Armbanduhr zum Zeichen der Solidarität. Jeder deutsche Lagerschutzier erhielt gute Bekleidung und zahlreiche andere Wertsachen." Tatsächlich waren die Leute des Armee-Geheimdienstes erstaunt, festzustellen, daß an dem Tage der Befreiung Buchenwalds 300 überlebende deutsche Kommunisten wie „wohlhabende Geschäftsleute" angezogen waren. Durch ihre enge Beziehung zu dem Nazi-Lagerstab 90 waren die deutschen Kommunisten auch imstande gewesen, den Löwenanteil an den den Gefangenen übersandten Rot-Kreuzund anderen Paketen zu erhalten. Die deutsche kommunistische Organisation hatte mit der Begründung, daß alle Gefangenen „Kameraden wären", entschieden, daß auch alle gleichen Anteil an den Paketen haben sollten. Mit Zustimmung des Kommandanten wurden alle Pakete dem Lagerältesten überwiesen, der natürlich ein deutscher Kommunist war. Dieser übergab sie den einzelnen Block-Leitern zur Verteilung unter die Insassen ihres Blocks. Gemäß den Aussagen anderer Gefangener erhielten die Kommunisten immer mehr als ihren reellen Anteil an diesen Paketen. Französische Gefangene, welche die Erlaubnis zur Verteilung ihrer Pakete verweigerten, wurden, wie gesagt wurde, auf die „Transportliste" zu den TodesLagern gesetzt. Tschechen und Russen Außer den deutschen Kommunisten waren laut dem Bericht noch zwei andere Gruppen in Buchenwald wohl organisiert. Die tschechischen Gefangenen hatten ein „nationales Komitee" gebildet, in dem alle politischen Fraktionen von rechts bis links vertreten waren.
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Gemeint ist: die SS-Lagerverwaltung.
111.9.1 Robinson-Artikel, 29/30. April 1947
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Die andere war eine russische Kriegsgefangenengruppe. Viele gefangene Russen waren wegen Fluchtversuchs nach Buchenwald gesandt worden. Der Armeebericht stellt fest: „Nachdem zahlreiche Massenhinrichtungen ihre Reihen dezimiert hatten, waren die Russen noch ungefähr 800 an der Zahl. Unter ihnen befand sich eine Anzahl höherer Offiziere. Militärische Disziplin wurde aufrecht erhalten, die Gruppe hielt gut zueinander. In den ersten Tagen wurde sie furchtbar behandelt. Eine große Anzahl wurde im Lager getötet. Später besserte sich ihr Los. „Die Beziehungen zwischen den deutschen Kommunisten und den russischen Gefangenen waren sonderbar. Der russische SeniorOffizier hatte, als Vertreter des 'Vaterlandes aller Werktätigen' großen Einfluß auf die deutschen Kommunisten. Er machte indessen wenig Gebrauch von diesem Vorteil. Die meisten russischen Gefangenen wurden vor der Ankunft der Amerikaner evakuiert." Schlußfolgerungen Was waren die Beweggründe der deutschen Kommunisten in Buchenwald? Wenn die Armeeuntersuchungsbeamten die Mitglieder der kommunistischen Organisation über ihre Grausamkeits-Methoden befragten, war es, als wenn sie gegen eine glatte Wand rannten. Kein Kommunist gab mehr zu, als „daß die kriminellen Elemente in dem Kampf um die Macht rauh behandelt wurden". Andere Gefangene erzählten der Armee, daß die deutschen Kommunisten ihre Brutalität mit der Notwendigkeit der Disziplin rechtfertigten. Die Bedingungen waren weit schlechter, wenn die Nazis die Insassen direkt bearbeiteten. Nach Ansicht dieser Gefangenen waren die Kommunisten der Meinung, daß sie das Amt übernahmen, um aus Buchenwald einen besseren Lebensplatz zu machen. Um hierzu imstande zu sein, hatten sie eine gewisse Leistung in Arbeit, Ordnung und Disziplin zu vollbringen. Somit waren ihre Mittel letzten Endes gerechtfertigt. Nach Betrachtung aller Faktoren analysierte der USArmeebericht die deutschen Kommunisten folgender Weise: „Aufrechterhaltung durch den geheiligten Egoismus ihrer Mission, durch den Lebensgedanken, ein kommunistisches Deutschland zu formen, verloren sie ihren menschlichen Idealismus. Nicht für sich, sondern in dem Namen eines zukünftigen proletarischen Deutschlands fortlebend, wurden sie hart und rechtfertigten dadurch viele Überbleibsel extremer Methoden." Der fiir die Verbreitung des Berichtes verantwortliche Armeebeamte schließt: „Es werden noch weitere Nachforschungen bei den Leuten von diesem und allen Konzentrationslagern nötig sein müssen. Denn der Bericht macht es klar, daß auf der Suche nach anständigen, demokratischen Elementen, denen wir in Deutschland trauen können, wir nicht zum Nennwert alle jene Leute akzeptieren könne, die wegen Opposition gegen die Nazis eingekerkert waren."
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III Antifaschismus im kalten Krieg
III.9.2 Harry Kuhn* an ehemalige Buchenwald-Häftlinge. Zu den Angriffen des Sozialdemokratischen Pressedienstes Sopade, 14.6.194791
Liebe Kameraden! Im April d. J. erschien in den Zeitungen der Westzone und vornehmlich der SPD-Presse eine Notiz, die schwere Angriffe gegen die Widerstandsbewegung in Buchenwald richtete und insbesondere die kommunistischen Funktionäre für den Tod vieler Häftlinge verantwortlich macht. Die ehemaligen Buchenwaldkameraden, die im Westen tätig sind, einschließlich der sozialdemokratischen und bürgerlichen Elemente, wandten sich damals bereits in einer Reihe von Entschließungen gegen diese Diffamierung der Widerstandsbewegung in Buchenwald. In den letzten Monaten wurden diese Angriffe seitens des sozialdemokratischen Pressedienstes (Sopade) in den Westzonen im Rahmen der gesamten antibolschewistischen Hetze mit der Veröffentlichung der beiliegenden Artikel fortgesetzt. Außerdem wurden in einer Reihe von Städten, so u.a. in Frankfurt/M. und Hannover, in den Betrieben Flugblätter gleichen Inhalts verbreitet. Im Interesse der politischen Ehre und Sauberkeit der gesamten Widerstandsbewegung in Buchenwald ist es unbedingt erforderlich, daß die Kameraden zusammengerufen werden und zu diesen ungeheuerlichen Angriffen, die durch nichts bewiesen werden können, Stellung nehmen. Zur Unterstützung des Abwehrkampfes unserer Kameraden im Westen ist es wichtig, daß alle aktiven sozialdemokratischen Kameraden aus Buchenwald in einer besonderen Erklärung und durch Namensunterschrift gegen diese infamen Anklagen Protest erheben und dem Urheber dieser ungeheuerlichen Lügen scharf entgegentreten. Darüber hinaus gilt es, auch eine Stellungnahme aller anderen aktiven Buchenwalder, ob bürgerlich oder parteilos, herbeizufuhren. Wir bitten Euch, umgehend eine diesbezügliche Zusammenkunft aller Buchenwalder Kameraden einzuberufen und über das Ergebnis zu berichten. Gleichzeitig bitten wir um Übersendung der angenommenen Entschließungen. Wir werden dafür Sorge tragen, daß dieselben unverzüglich den Kameraden in den Westzonen fur ihre Arbeit zugestellt werden. Von einer Publikation unsererseits in der Öffentlichkeit bitten wir Abstand zu nehmen, weil wir sonst gezwungen wären, den Inhalt der Artikel zumindest teilweise zu veröffentlichen und damit unserer Sache selbst schaden würden. Sollten später evtl. irgendwelche Angriffe dieser Art, wie z.B. in der Berliner Presse (Westsektoren) erfolgen, kann man ihnen an Hand der uns zugesandten Entschließungen etc. wirksam entgegentreten.
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SAPMO-BA, ZPA V 278/2/24 unpaginiert. Dem Generalsekretariat der W N lag eine Übersetzung des Robinson-Berichts aus dem Amerikanischen vor. Harry Kuhn bezog sich aber in seinem Schreiben und in der Anlage auf die Sopade-Version.
111.9.2 H.Kuhn: Gegendarstellung
zu D.B. Robinson, 14. Juni 1947
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In der Anlage übersenden wir Euch zur Unterstützung der Arbeit unsere eigene Stellungnahme, die wir in einer Reihe von Punkten festgelegt haben. Wir erwarten Eure baldige Antwort. Mit antifaschistischem Gruß
Bemerkungen zum „Sopade Informationsdienst" Nr. 160/161 vom 29./30. April 1947**· 1) Der Bericht beginnt mit dem ominösen SPD-Mann Müller. Man müßte die SPD fragen, wer dieser Müller ist. In Buchenwald wurde niemand geschlagen, weil er eine andere politische Auffassung hatte. 2) Der Verfasser spricht von Gaskammern in Buchenwald. Die hat es nie gegeben. 3) Der Lagerschutz wurde nicht im Frühjahr 1940 gegründet, sondern 1942 und bestand in Buchenwald vom ersten Tage an aus politischen Häftlingen, niemals aus Verbrechern. 4) Es ist eine freie Erfindung, davon zu reden, daß die Kommunisten im Lager ihre Anweisungen von außerhalb erhielten. 5) Der Lagerarzt [Waldemar] Hoven war weder ein Anhänger der kommunistischen Fraktion, noch ihr Instrument. 6) Für die Behauptung, daß die Kommunisten andere verhungern ließen, wird man keine Beweise finden, weil das Gegenteil der Fall war. 7) Weder der Kapo von der Effektenkammer Heinz Bausch*, noch der Kapo Dietsch [Arthur Dietzsch]* vom Block 46 waren Angehörige des Lagerschutzes. 8) Die Behauptung, daß die Blockältesten des „Kleinen Lagers" die Häftlinge barfuß im Schnee stehen ließen, ist frei erfunden. 9) Es wird kein Wort davon gesagt, daß der Lagerschutz im letzten Jahr nicht mehr nur aus deutschen Häftlingen bestand, sondern auch aus Vertretern vieler anderer Nationen. 10) In der Arbeitsstatistik war überhaupt kein Häftling des Lagerschutzes tätig. 11) Die Behauptung, daß viele Auschwitzer Polen 93 durch deutsche Kommunisten über die Typhus-Versuchsstation hingerichtet wurden, ist frei erfunden.
92 93
Die folgenden Bemerkungen Harry Kuhns im Stil einer Presse-Gegendarstellung wurden dem Schreiben als Anlage beigefugt. Gemeint sind: Polnische jüdische Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz, die 1943 in das KZ Buchenwald gelangten.
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111 Antifaschismus
im kalten Krieg
12) Von den 1943 ins Lager gekommenen Franzosen und Belgiern wurden hunderte durch die deutschen Kommunisten entgegen der SS-Anordnung in Buchenwald zurückgehalten. Es war selbstverständlich unmöglich, alle zurückzuhalten. 13) Jedem Häftling aus Buchenwald ist bekannt, daß im Häftlingsrevier nur die Minderheit aus Deutschen und die übergroße Mehrheit aus Angehörigen anderer Nationen als Pfleger, Ärzte und sonstiges Hilfspersonal tätig waren. 14) Es ist ein Schwindel zu behaupten, daß jeder sowjetische Kriegsgefangene eine Armbanduhr erhalten hat. 15) Die Behauptung, daß alle deutschen Kommunisten wie wohlhabende Geschäftsleute angezogen waren, hat auch der Verfasser erst jetzt entdeckt. Sie ist lächerlich. 16) Die Rot-Kreuz-Pakete wurden von den Lagerältesten den nationalen Komitees übergeben. Hunderte Häftlinge in den Blocks können bezeugen, daß die Kommunisten genau denselben Anteil erhielten, wie alle anderen Häftlinge. Schlußbemerkung Die ganze Gemeinheit dieser Lügen und Entstellungen kommt in dem Satz der Schlußfolgerungen zum Ausdruck: „Die Bedingungen waren weit schlechter, (als) wenn die Nazis die Insassen direkt bearbeiteten." Das heißt also, daß für die 51.000 Toten weniger die SS als die Kommunisten verantwortlich zu machen sind. Das liegt ganz auf der Linie der reaktionären Behauptung, daß fur den Nationalsozialismus die Kommunisten oder der historische Materialismus oder die Sowjetunion verantwortlich sind. Das liegt ganz in der amerikanischen These: Nazis und Kommunisten sind gleich. Schumacher 94 erfand hier bekanntlich die gemeine These von den rotlackierten Nazis.
94
Kurt Schumacher (1895-1952), geboren in Kulm/Westpreußen, Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie in Halle, Leipzig, Berlin und Münster, Kriegsfreiwilliger, 1920-1924 Redakteur der „Schwäbischen Tagwacht" in Stuttgart, 1924-1931 MdL in Württemberg fur die SPD, Ende der 1920er Jahre Vorsitzender der Stuttgarter Ortsgruppe des Reichsbanners, 1930-1933 MdR (jeweils Fraktionsvorsitzender der SPD), 1933 verhaftet, 1933-1943 KZ Dachau, Heuberg, Kuhberg, Flossenbürg und wieder Dachau, 1944 Neuengamme, nach 1945 Mitbegründer der Nachkriegs-SPD, führender Gegner der Vereinigung von SPD und KPD, seit Mai 1946 Vorsitzender der SPD, seit 1949 MdB, dort Fraktionsvorsitzender der SPD und exponierter Krtitiker an Adenauers Politik der Westbindung der Bundesrepublik. Kuhn spielt hier auf eine Rede Schumachers auf der württembergischen Reichsbannerkonferenz aus dem Jahr 1930 an und transponiert sie in die Zeit des Kalten Krieges. Schumacher führte damals in seinem Referat „Kommunismus, Faschismus, Reichsbanner" polemisch folgendes aus: „Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden gemeinsam ist der Haß gegen die Demokratie und die Vorliebe fur die Gewalt."
III.9.3 „KZ-Opfer
zu Henkern gestempelt",
(Tägliche Rundschau) 14. September 1947
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III.9.3 „Tägliche Rundschau": „KZ-Opfer zu Henkern gestempelt. Antikommunistische Hetze in den Westzonen", 14.9.194795
Von unserem SP-Korrespondenten Am 14. September, dem Tag der Opfer des Faschismus 96 , wird man auch jener aufrechter Antifaschisten gedenken müssen, die jahrelang hinter den faschistischen KZ-Mauern schmachteten und heute schon wieder Verfolgungen und schamlosesten Verleumdungen in den Westzonen ausgeliefert sind. Die deutschen Kommunisten in den Westzonen sehen sich heute schon wieder einer Lage gegenüber, die sehr an die Anfänge der Nazizeit erinnert. Sie werden beschimpft und verleumdet, wie unter Hitler werden teilweise auch schon wieder verfolgt und eingekerkert. Angefangen von der sich sozialistisch nennenden SPD Dr. Schumachers über die bürgerlichen Parteien bis zu den immer dreister werdenden reaktionären Rechtskreisen stehen sie einer Front gegenüber, die von einem unerbittlichen Haß gegen die Kommunisten geeint, willens ist, einen unfairen Kampf mit ungleichen Mitteln zu fuhren. Die Wahrhaftigkeit echter Demokratie wird dabei nur zur Phrase, und man benutzt heute schon wieder Nazimethoden von rechter Goebbels'scher 97 Prägung, und so darf es nicht wundernehmen, daß jetzt wieder, wie Anno dazumal unter den Nazis, fur viele das Wort Kommunismus ein rotes Tuch ist. Einen der erstaunlichsten und schamlosesten, aber zugleich bezeichnendsten Höhepunkt erreichte dieser „Kampf' gerade in diesen Tagen mit der Verbreitung eines sogenannten „illegalen" Flugblattes über angebliche „Kommunistische Grausamkeiten im KZ Buchenwald". Ein Goebbels hätte diesen an und fiir sich plumpen Propagandatrick nicht dreister anwenden können. Er wurde mit der billigen Parole „Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist Schuld!" nach dem einfachen Rezept gestartet: Man nehme einen der jetzt so zahlreich vorliegenden Berichte über die Grausamkeiten der SS-Banditen in den nazistischen Konzentrationslagern, setze jeweils statt der Bezeichnung SS-Bandit das Wort Kommunist, tarne das Ganze als einen „offiziellen amerikanischen Armeebericht" und setze ihn der schauernd staunenden Mitwelt vor die Augen. Die Wirkung wird verblüffend sein; der deutsche Kommunist wird im Handumdrehen fur schlimmer als die SS angesprochen werden; die 95
96 97
Der Zeitungsartikel findet sich in Abschrift in dem Bestand „Material Walter Bartel", in: BWA, 02-1-44. Die „Tägliche Rundschau" wurde von der sowjetischen Militäradministration in Berlin herausgegeben und erschien seit dem 15.5.1945. Bartel* monierte daraufhin am 15.9.1947 beim zuständigen Redakteur der TR, A. Kirsanow, daß mit diesem Artikel die Strategie der W N , die Angriffe der West-Presse gegen Buchenwalder Kommunisten in der ostdeutschen Presse zu ignorieren, gebrochen sei. Und er war verärgert darüber, daß man ihn, den Vorsitzenden des Internationalen Lagerkomitees und des Buchenwald-Komitees als möglichen Autor übergangen habe. Der OdF-Tag wurde in der SBZ/DDR seit 1945 jeweils am zweiten Sonntag im September als Gedenktag begangen. Anspielung auf die Perfektionierung des NS-Propagandaapparates unter Josef Goebbels (1895-1945, Selbstmord), seit 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, und auf die nationalsozialistischen Stereotype einer antikommunistischen Greuelpropaganda.
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III Antifaschismus im kalten Krieg
öffentliche Meinung wird sich haßerfullt gegen ihn richten, bis sie jenen Siedepunkt erregt hat [sie], daß sogar die amerikanische Lynchjustiz, so fur notwendig erachtet, auch in Bayern schaurige Urstände feiern kann [sie]. Die Rechnung ist teiflich [teuflisch], aber was tut's, wenn sie aufgeht. Wo aber unter Duldung von Besatzungs- wie auch von deutschen Behörden Flugblätter verteilt werden dürfen, wie es in West- und Süddeutschland bereits geschah, könnte dies allerdings der Fall sein. Der Tatbestand ist einfach: Man verteile in den westlichen Zonen ein Flugblatt mit einem angeblichen Bericht eines amerikanischen Offiziers namens Donald B. Robinson, in dem erneut die scheußlichen Verbrechen der Nazihorden in dem faschistischen KZ-Lager Buchenwald ausführlich geschildert werden, nur mit dem Unterschied, daß behauptet wird, die meisten dieser Verbrechen seien nicht von der SS, sondern von den deutschen Kommunisten verübt worden. Der Bericht ist einzigartig, [eine] unerhörte Beleidigung aller deutschen Kommunisten, die als aufrechte Antifaschisten lieber in die Hölle der KZ-Lager gingen als Knechte des Hitlersystems zu werden, ist eine abscheuliche Provokation jenen Männern gegenüber, die im KZ nach den übereinstimmenden Aussagen zahlloser in- und ausländischer Leidensgenossen selbstlos und opferbereit ihr Leben aufs Spiel setzten, um das Leben aller KZ-Insassen wenigstens so erträglich wie möglich zu machen. Bekanntlich hat die SS, als ihr die Zahl der Gefangenen über den Kopf hinauswuchs, kriminellen Häftlingen in Buchenwald bis zu einem gewissen Grade eine Art Selbstverwaltung überlassen. Mit ihr trieben die einzelnen Kriminellen um schäbiger persönlicher Vorteile willen Schindluder an allen anderen und ließen ihren verbrecherischen Instinkten ungehemmten Lauf, bis es endlich den deutschen Kommunisten gelang, sich zu einer eigenen, äußerst disziplinierten Organisation zusammenzuschließen und den Einfluß der Kriminellen zurückzudrängen. Viele Tausende von Häftlingen verdanken dieser kommunistischen Organisation ihr Leben. Der „amerikanische Armeebericht" wird unter schamloser Verdrehung aller seit langem bekannten Tatsachen wie folgt eingeleitet: „Als die Armee der Vereinigten Staaten am 11. April 1945 das berüchtigte Konzentrationslager Buchenwald befreite, fand sie, daß die 60.000 Insassen während dreier Jahre durch eine Untergrundorganisation beherrscht wurden, welche sich aus deutschen Kommunisten zusammensetzte, die gestapoähnliche Torturen an ihren Mitgefangenen anwandte, mit dem Bemühen, sie zu beherrschen (...). Die Opfer der Kommunisten gingen in die Tausende (...)." Wie war das nun? Waren die SS-Ärzte deutsche Kommunisten, oder sind die kürzlich in Nürnberg zum Tode verurteilten Ärztekanaillen unschuldig angeklagt gewesen? Man muß sich schon fragen, wer denn dann nach Ansicht des „amerikanischen Offiziers Donald B. Robinson" in Buchenwald in der Lage war, Einspritzungen vorzunehmen? Die Idiotie hat damit ihren Gipfelpunkt erreicht, und sie bedarf keines weiteren Kommentars mehr. Jeder Mensch weiß, in welch bejammernswerten Zustand die 300 überlebenden Kommunisten das KZ-Lager Buchenwald verließen, und jeder Mensch weiß ebensogut, was
III.9.3 „KZ-Opfer zu Henkern gestempelt", (Tägliche Rundschau) 14. September 1947
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mit jenen tausenden ungezählten deutschen Kommunisten vorging, die das Lager nicht mehr verließen, weil sie in der Hölle von Buchenwald starben, damit ein besseres, ein wahrhaft demokratisches Deutschland leben könne. Wie aber war in Wirklichkeit die Lage in den faschistischen Konzentrationslagern? Die Kommunisten wurden als besonders konsequente und furchtlose Gegner Hitlers und des Naziregimes besonders scharf verfolgt. Auf Schritt und Tritt wurden sie schikaniert. Man hetzte die kriminellen Häftlinge gegen sie auf. Doch all das stärkte in ihnen den Willen zum Widerstand, stärkte ihre Disziplin und Solidarität. Sie organisierten illegale Gruppen, um ihren politischen Kampf selbst unter derartigen Bedingungen fortsetzen zu können. Diese Haltung ist eine logische Folgerung für aufrechte Verfechter ihrer Idee. Nur Hitlerepigonen, nur eingefleischte Feinde alles Revolutionären und Progressiven können sich heute herausnehmen, diese aufrichtigen Antifaschisten mit Schmutz zu bewerten. Heute soll nun - und das ist der Zweck der teuflischen Übung - den „Überlebenden", die jahrelang, ja zum Teil über ein Jahrzehnt lang hungerten, darbten und litten, seelisch tagtäglich einen tausendfältigen Tod starben, heute sollen diese Menschen um den Lohn für ihr eisernes Ausharren betrogen werden, um das sollen sie betrogen werden, was ihnen allein die übermenschlichen Kräfte verlieh, Unmenschliches jahrelang auszuhalten, nämlich der Gedanke, mithelfen zu können am Wiederaufbau eines freien, demokratischen Deutschlands. Auch darüber läßt der Bericht des ominösen Mr. Robinson in einem Zynismus ohnegleichen keinen Zweifel. Das ist der Schluß des Flugblattes: „Es werden noch weitere Nachforschungen bei den Leuten von diesem und anderen Konzentrationslagern nötig sein müssen. Denn der Bericht macht es klar, daß auf der Suche nach anständigen, demokratischen Elementen, denen wir in Deutschland trauen können, wir nicht zum Nennwert alle jene Leute akzeptieren können, die wegen Opposition gegen das Nazibrandmal des Faschismus eingekerkert waren." Die Katze ist aus dem Sack gelassen: Jene, die am aufrechtesten und geradesten gegen die Nazityrannei kämpften, sollen von der Demokratisierung Deutschlands ausgeschlossen bleiben, bloß weil sie Kommunisten waren. Der Bericht ist nach Angabe des für die zuständige Besatzungsmacht recht blamablen Flugblattes im Oktober 1946 im „American Mercuiy" veröffentlicht worden. Wenn das zutrifft, so konnte dies wirklich nur im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten" geschehen.
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III Antifaschismus im kalten Krieg
III.9.4 Erklärung des Buchenwald-Komitees. Zum Vorwurf kommunistischer Greueltaten im KZ Buchenwald, 28.12.1947^
Vor einiger Zeit erschien in der Presse ein Artikel eines ehemaligen amerikanischen Offiziers über angebliche kommunistische Greueltaten im früheren KZ Buchenwald, der verschiedentlich auch durch Flugblätter verbreitet wurde. Das deutsche Buchenwald-Komitee, dem Vertreter aller politischen Parteien angehören, hat in seiner Sitzung vom 28. und 29. Dezember 1947 in Fulda, die erhobenen Anschuldigungen untersucht und erklärte dazu, daß sie keiner objektiven Prüfung standhalten. Sie sind eine infame Verleumdung nicht nur der ehemaligen in Buchenwald inhaftierten Kommunisten, sondern der gesamten organisierten antifaschistischen Widerstandsbewegung des Lagers, in deren Reihen auch sozialdemokratische, christlich-demokratische und parteilose Nazigegner vieler Nationen kämpften. Das Buchenwald-Komitee hat weiterhin beschlossen, zum 3. Buchenwaldtag am 11. April 1948 den Bericht des internationalen Lagerkomitees erneut herauszugeben. Aus ihm wird sich die Unhaltbarkeit der Verleumdungen erweisen. Der Vorsitzende des Buchenwald-Komitees wurde außerdem beauftragt, eine Widerlegung zu veröffentlichen, die sich auf tatsächliche Angaben stützt, die ihm unaufgefordert aus allen Teilen Deutschlands zugegangen sind.
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Das Dokument befindet sich im Bestand „Material Walter Bartel", in: BWA, 02-1-44. Die Sitzungen des engeren Buchenwald-Komitees vom 29./30. November 1947 in Berlin und des Buchenwald-Komitees vom 28 /29.12.47 in Fulda befaßten sich mit dem „Pamphlet" Donald Robinsons. Das engere Buchenwaldkomitee, bestehend aus Walter Bartel* (Berlin), Emst Busse* (Berlin), Harry Kuhn* (Berlin), Ernst Thape* (Halle), Kurt Posener (Hamburg), Ludwig Weißbecker (Freiburg i.Breisgau), Alfred Knieper (Montabaur) und Karl Feuerer* (München), beschränkte sich darauf, eine Presserklärung auszuarbeiten, in der festgestellt wurde, daß das „in den Westzonen illegal verbreitete Pamphlet eines gewissen Donald B. Robinson [...] eine infame Verleumdung nicht nur der ehemals in Buchenwald inhaftierten Kommunisten, sondern der gesamten antifaschistischen Widerstandsorganisation des Lagers, in deren Reihen bekanntlich Kommunisten, christliche, sozialdemokratische und parteilose Antifaschisten vieler Nationen kämpften", darstelle. Auf der folgenden Tagung des gesamten Buchenwald-Komitees im Dezember legte Walter Bartel dar, daß man nach einer Veröffentlichung des inkriminierenden Artikels durch die W N in NRW im November 1947 nicht mehr länger schweigen könne. In der negativen Einschätzung des Robinson-Artikels herrschte zwischen den SPD- und SEDMitgliedern des Buchenwald-Komitees Einmütigkeit. Die Meinung Otto Halles*, die W N müsse in die Offensive zu gehen, wurde aber nicht aufgenommen. Beide Sitzungsprotokolle in: SAPMO-BA, ZPA, IV 2/4/375, Bl. 172-178.
III. 10 Mutmaßungen über französische Ermittlungen, 8. September 1947
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111.10 Bruno Haid" an Walter Bartel*. Betr. Mögliche Ermittlungen der französischen Militärregierung gegen ehemalige Genossen des KZ Buchenwald, 8.9.1948100
Uns wird mitgeteilt, daß neuerdings auch die franz. Mil.Regierung versucht, gegen ehemalige Häftlinge aus Buchenwald Material zu sammeln. Aus diesem Bericht der Mil.Regierung in Koblenz an die gleiche Stelle in Trier ergibt sich, daß für die von UMGUS 101 geplanten öffentlichen Prozesse gegen kommunistische Funktionäre in Buchenwald Material benötigt wird gegen: Hans Eiden* Walter Bartel* Ernst Hausmann* Robert Sieber [Siewert]* Heiner Studer* und Fritz Jede [,Jehle7102. Die Genossen, die uns diese Mitteilung machen, weisen besonders darauf hin, daß die Nennung der Namen von Hausmann, Studert [Studer] und Jede [Jehle] die Vermutung ihrer Meinung nach zuläßt, daß die Mil.Regierung Informationen von äußerst internen Arbeiten des Buchenwald-Archivs 103 besitzt.
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100 101 102 103
Bruno Haid (1912-1993), geboren in Berlin als Sohn eines Schneiders, bis 1931 Realgymnasium, 1928-1930 SAJ und Jungsozialisten, 1930 SPD, 1931 KPD, 1931-1933 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, 1932 Vorsitzender der „Roten Studenten", 1933 Emigration nach Frankreich, Mitarbeit im Weltstudentenkomitee gegen Faschismus und Krieg, 1935-1938 Mitarbeit in der Auslandsleitung der Kitung der KPD, Paris, 1938 Wiederaufnahme des Studiums, 1939 Intemierung als feindlicher Ausländer in Frankreich, 1940-1942 Fortsetzung des Studiums, Examen in Limoges, 1942-1944 Resistance, 1944 Mitglied des CALPO. 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1945/46 Mitarbeit Kaderabteilung beim ZK der KPD, 1946/47 der Personalabteilung beim ZS der SED (Abtl. Schiedsgerichte), 1947-1952 Mitarbeiter der Westkommission beim PV der KPD, bzw. der Westabteilung beim ZK der SED, 1952-1954 Stellvertretender Direktor des Bezirksgerichts Chemnitz, 1954 stellvertretender HA-Leiter bei der Obersten Staatsanwaltschaft, 1955-1958 Stellvertreter von Generalstaatsanwalt Emst Melsheimer, 1956 Mitglied einer ZK-Kommission zur „Überprüfung von Angelegenheiten von Parteimitgliedern und ehemaligen Parteimitgliedern", 1958 im Zusammenhang mit den Prozessen gegen Wolfgang Harich und Walter Janka auf Beschluß der ZPKK seiner Funktion als Generalstaatsanwalt enthoben (mangelnde „ideologische Wachsamkeit"), 1958-1960 Justitiar bei der W B Werkzeugmaschinenbau KarlMarx-Stadt, 1960-1963 Mitarbeiter bzw. Leiter fur Literatur und Verlagswesen im MfK, 1963-1973 Leiter der HV Verlage und Buchhandel, 1965-1973 stellvertretender Minister für Kultur. SAPMO-BA, ZPA, IV 2/4/375, unpaginiert zwischen Blatt 152 und 153. Gemeint ist: OMGUS, Office of Military Government of Germany US-[Zone of Occupation], Fritz Jehle (geb. 1906), KPD, seit 1934 verhaftet, 1937-1945 KZ Buchenwald, Mitglied des Lagerschutzes, 1940 Kellner im SS-Führerheim. Gemeint sein könnte: entweder Aktenmaterial der Häftlingsselbstverwaltung des KZ Buchenwald, das nach 1945 in die Hände der Militärregierung gelangte, oder Akten der W N Es könnte sich aber auch um eine Fehlschreibung des Buchenwald-Aktivs handeln. Dann wären Informationen über das kommunistische Parteiaktiv im KZ Buchenwald gemeint.
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111 Antifaschismus
im kalten Krieg
III.ll Walter Bartel* an Hermann Matern 104 . Betr. Artikel „Kommunistische Grausamkeiten in Buchenwald" von Donald B. Robinson (American Mercury, Okt. 1946), 16.6.1950105
Das Material ist sowohl der VVN wie dem Buchenwald-Komitee seit dem Erscheinen bekannt. Es wurde von uns lange Zeit vollständig ignoriert, da die Verbreitung sehr konspirativ erfolgte und keinerlei Auswirkung hatte. Erst als die VVN in Nordrhein-Westfalen geschickt genug war, das Ding abzudrucken und eine Stellungnahme der Buchenwaldler zu verlangen, beschäftigte sich das Buchenwald-Komitee in einer Sitzung vom 29. und 30. November 1947 mit der Angelegenheit und veröffentlichte am 30. November eine Erklärung. Ein zweites Mal beschäftigten wir uns mit dieser Frage am 28. und 29. Dezember 1947 mit der Annahme einer weiteren Erklärung. Damals von uns herausgegebene Berichte liegen bei. 106 Ich mache besonders darauf aufmerksam, daß an der Tagung vom 29. und 30. November u.a. Ernst Thape* - im Buchenwaldlager Sozialdemokrat, später SED und dann nach dem Westen abgesetzt - teilgenommen hat. An der Tagung vom 28. und 29. Dezember nahm die Sozialdemokratin Magdalene Heilmann, Berlin (Frau des in Buchenwald ermordeten Ernst Heilmann ) und Dr. Hermann Brill teil. Beide haben ausdrücklich ihre Unterschrift unter die angenommene Erklärung gesetzt. Meines Wissens hat dieses Flugblatt nach diesen Erklärungen keinerlei Bedeutung mehr gehabt, so daß auch davon Abstand genommen wurde, noch einen besonderen Artikel dazu zu schreiben. Flugblatt und die beiden genannten Berichte liegen bei. [,..]107
gez. Walter Bartel Büro Pieck 108 104
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Hermann Matern (1893-1971), geboren in Burg bei Magdeburg als Sohn einer Arbeiterfamilie, 1907-1911 Lehre als Gerber, 1907 SAJ, 1911 SPD, 1914 Parteiaustritt aus Protest gegen die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD, 1914-1918 Militärdienst, 1918 USPD, Teilnahme an der Novemberrevolution, 1919 Gründungsmitglied der KPD in Burg, 1919-1926 dort als Gerber tätig, 1926-1928 Vorsitzender des Landarbeiterverbandes in Burg, KPD-Funktionär, 1928/29 Internationale Leninschule in Moskau, 1932/33 MdL in Preußen, 1933 Verhaftung, 1934 Flucht, Emigration in mehreren Ländern, 1941 Übersiedlung nach Moskau, NKFD, Lehrer an der zentralen Antifaschule in Krasnogorsk. 1945 Rückkehr nach Deutschland mit der Gruppe Ackermann (Sachsen), 1945/46 Erster Sekretär der BL Sachsen der KPD, 1946-1948 Vorsitzender des Landesverbandes Groß-Berlin der SED, 1946-1950 Mitgleid des ZS des Parteivorstands, ab 1950 PB-Mitlgied, ab 1949 Vorsitzender der ZPKK. Das Schreiben wurde nach der Verhaftung Ernst Busses*, die durch die sowjetischen Organe am 29.3.1950 erfolgte, von Bartel an den Vorsitzenden der ZPKK gesandt. Es befindet sich in dem ZPKK-Material zu Ernst Busse, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, Bl. 169. Die Anlagen zu diesem Schreiben befinden sich nicht mehr in der Akte. Es handelt sich aber um die Erklärung des Buchenwald-Komitees (siehe Dok. III.9.4) und die oben erwähnte Presseerklärung. Bartel verweist in einer kurzen Schlußpassage auf den Streit in der Luxemburgischen Öffentlichkeit, dessen Anlaß ein kritischer Artikel über Buchenwalder Kommunisten in der französischen Zeitung „L'Aube" war. Von diesesr Auseinandersetzung erhielt das Buchenwald-Komitee Kenntnis durch Pierre [Peter] Biermann (19011981), der als luxemburgischer Häftling 1943/44 im KZ Buchenwald war. Bartel zeichnet diesen Brief offiziell unter Hinweis auf seine Funktion als Kanzleichef bei Wilhelm Pieck, was sich aber als Beschwörungsformel parteipolitischer Unantastbarkeit als untauglich erweisen sollte. Vgl. Dok. V.3.
IV
SPUREN IN DEN GULag
IV. 1
Grete Keilson an Franz Dahlem. Betr. Erich Mielkes Interesse an den Buchenwald-Akten, 23.5.19471
Vorgestern erschien in unserem Büro Genösse [Erich] Mielke2 und wollte auf Veranlassung des Genossen Ulbricht Einsicht nehmen in die Buchenwald-Akten, d.h. in die Materialsammlung über die Untersuchung über [Ernst] Busse* und Andere.3 Ich habe dies abgelehnt und ihn gebeten, konkrete Angaben zu machen, worüber er Auskunft wünscht, und die würden wir ihm dann geben. Ich halte es iur unzweckmäßig, daß Genossen - auch wenn sie in solchen Positionen sind wie Mielke - in unsere Akten Einsicht nehmen können. Personalpolitik [gez.] Keilson
IV.2
Grete Keilson an Erich Gniffke und Franz Dahlem. Betr. mangelnde Information über die Gründe der Versetzung von Ernst Busse*, 23.5.1947 4
Wir haben den Beschluß des Sekretariats und die Mitteilung des Genossen [Edwin] Hoernle5 betr. evtl. Einsatz des Gen. Busse in seiner Verwaltung [iur Land- und Forstwirtschaft] 1 2
3 4
5
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, Bl. 130. Zu Grete Keilson und Franz Dahlem vgl. Dok. II.3. Erich Mielke (geb. 1907), Sicherheitsspezialist der KPD/SED 1928-1989, seit Juli 1946 zweiter Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern der SBZ, deren Präsident Erich Reschke* war. (Dritter Vizepräsident war Willi Seifert» ) Vgl. Dok. II.2.6. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, B1.131. Erich Gniffke (1895-1964), Kaufmann, 1913 SPD, in der Weimarer Republik MdL Braunschweig und Gauführer des Reichsbanners, nach 1933 Kaufmann und Mitgl. einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe, 1945 Mitglied des SPD-Zentralausschußes, 1946-48 Mitglied des Zentralvorstands der SED und ihres Zentralsekretariats (zus. mit Franz Dahlem für Kaderfragen) und MdL in Mecklenburg. 1948 Flucht in den Westen, Rückkehr in die SPD, leitender Angestellter in Unternehmen. Edwin Hoerale (1883-1952), Theologe, Privatlehrer, 1910 SPD, Mitbegründer der KPD und erster Landesvorsitzender Württemberg, 1924 Mitglied der Zentrale und führender Agrarpolitiker der KPD, 1924-33 MdR. 1933 Emigration in die Schweiz, im selben Jahr nach Moskau, dort Abt -Leiter Mitteleuropa des Intern. Agrarinstituts und am Weltwirtschaftsinstitut Eugen Vargas. 1943-45 NKFD. Mai 1945 Rückkehr nach Berlin, Vizepräsident der Provinzialverwaltung Brandenburg, Aug. 1945-1949 Präsident der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft der SBZ bzw. der Hauptverwaltung Land- und Forstwirtschaft der Deutschen Wirtschaftskommission der SBZ und wesentlicher Promoter der Bodenreform in der SBZ. 1949 Rücktritt und Berufung zum Professor an der Verwaltungsakademie Forst Zinna und Dekan ihrer Agrarpolitischen Fakultät.
376
IV Spuren in den GULag
bekommen, ohne daß man uns in irgend einer Form informiert hätte, warum eigentlich B. seiner Funktion [als Innenminister des Landes Thüringen] enthoben wird.6 Es ist doch seinerzeit - nach der Untersuchung - ein Beschluß gefaßt worden, B. in seiner Funktion zu belassen. Sind neue Momente herangetreten, die eine Entfernung von B. notwendig machten? Ich würde es fur zweckmäßig halten, wenn zumindest eine entsprechende Notiz zu den Akten gelegt werden würde. Abteilung Personalpolitik. /Keilson/
IV.3
DENUNZIATION UND APOLOGIE UNTER KAMERADEN
IV.3.1 Ulrich Osche* an Zentralsekretariat der SED (Hermann Matern). Betr. Vizepräsident Ernst Busse*, 11.9.1947 7
Bezugnehmend auf unsere letzte Unterredung, in der ich von dir gebeten wurde, über den Genossen Ernst Busse eine kurze Notiz zu geben, schreibe ich Dir nachfolgende Zeilen: Der Genösse Hoernle hatte die stärksten Bedenken gegen eine Übernahme in unsere Verwaltung, da er sich sagte, daß der Genösse Busse, abgesehen von seiner Tätigkeit bei der 6
Ernst Busse war im Mai 1947 von der SED-Zentrale als Thüringer Innenminister - offenbar gegen seinen Willen und den Wunsch der SED-Parteigruppe in seinem Ministerium - abberufen und zum 4. Vizepräsidenten der Deutschen Verwaltung fur Land- und Forstwirtschaft fur die SBZ in Berlin ernannt worden - gegen den Widerstand von deren Präsident Edwin Hoernle. Nach einem Vermerk Dahlems v. 27.5.1947 (ebenda, Bl. 133) ergab sich dies aus einer Vorstandsbesprechung über die Lage, „die sich aufgrund der Wiedergenesung des Genossen [Rudolf] Paul und der Wiederaufnahme der Ministerpräsidentschaft durch ihn ergeben hatte". Zu dessen Stellvertreter hatte nämlich der Landtag den SED-Landesvorsitzenden Werner Eggerath (1900-1977, KPDSED), einen Exponenten des Zentralismus, gewählt, um Paul zu beerben. „Da es bei der Art der [politischen] Krankheit des Genossen Paul nicht ausgeschlossen ist, daß er eines Tages erneut ausscheiden muß [er floh noch im selben Jahr in den Westen] und um ihm in der Person des energischen Genossen Eggerath eine starke Unterstützung zu geben, wurde vorgeschlagen, daß der letztere das Innenministerium übernimmt. Auf diese Weise wurde der Genösse Busse frei und der Vorschlag im Z.S. gemacht und beschlossen, ihn der Z.V. Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen, wo es an politisch starken Kräften fehlt. Gleichzeitig mit der Änderung im Innenministerium soll auch eine Änderung im Volksbildungsministerium vorsichgehen." D.h. Walter Wolf*, gegen den die CDU Sturm gelaufen war, sollte durch die Berliner Volksbildungsfiinktionärin Thorhorst abgelöst werden. Dadurch waren gleich beide verbliebenen Buchenwalder in der Thüringer Regierung abserviert und Vorsorge für den Abgang des früheren Liberalen Paul getroffen worden. Vgl. Jürgen John: Vorgeschichte und Hintergründe der Thüringer Landesverfassung von 1946, in: Michael Gockel u. Volker Wahl (Hg.): Thüringische Forschungen, Weimar, Köln, Wien 1993, S. 563 ff., bes. S. 580 f.
7
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375 Bl. 133-35. Mit Rotstift rechts oben: „Busse", handschriftl. Vermerk: „Gen. Dahlem zur Kenntnis M. [Matern]". Im Text sind zwei negative Einschätzungen Busses mit blauem Kopierstift am Rand markiert worden. Osche war 1947 Leiter des Präsidialbüros und der Personalabteilung der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft; zu seiner negativer Einschätzung der Buchenwalder KPDParteileitung und Busses vgl. seine Vernehmung von 1946 in Dok. II.5.2.
IV. 3.1 Denunziation und Apologie unter Kameraden: U. Osche, 11. September 1947
III
Durchführung der Bodenreform [in Thüringen], über keinerlei Kenntnisse der landwirtschaftlichen Verwaltung verfugt. Auch war Genösse Hoemle der Ansicht, daß Busses Rolle bei der Bodenreform keine besonders hervorragende war. 8 Dazu kam, daß angenommen werden mußte, die Thüringer Organisation verzichtet auf den Genossen Busse, weil er keine besondere Kraft darstellt. Genösse Hoernle hat sich bis zuletzt gegen eine Übernahme gewehrt, und auch die SMA - Abt. Landwirtschaft - erklärte, daß sie ihre Zustimmung verweigern werde, wenn ihr konkretes Material über Unfähigkeit oder Ungeeignetheit vorgelegt werden könne. Genösse Hoernle hat sich bei den verschiedensten Stellen darum bemüht, stieß jedoch überall auf Ablehnung. Bevor Busse nach Berlin kam, stellte er bereits höchste Anforderungen in Bezug auf Unterbringung. So verlangte er ein Haus für sich, Frau, Mutter, Dienstmädchen, Schoffeur [sie!] mit Familie und dazugehöriges Gastzimmer. Bei den in Berlin herrschenden Wohnverhältnissen konnte dies jedoch nicht zugesagt werden.9 Als Busse nach Berlin kam, erschien im „Abend" ein Artikel über seinen aufsehenerregenden Wagen, den er aus Thüringen mitgenommen hatte und der von seinem Nachfolger als Dienstwagen beansprucht wurde. Der [SED-] Betriebsgruppenvorstand [der Deutschen Verwaltung fur Land- und Forstwirtschaft] hatte mit Busse diese Angelegenheit eingehend durchgesprochen und ihn gebeten, den Wagen unserem Präsidenten fur Fernfahrten zur Verfugung zu stellen, da es nicht angebracht erscheint, wenn der IV. Vizepräsident einen solchen Aufwand betreibt. Busse argumentierte sehr unglücklich, daß der Wagen früher einem Weingroßhändler gehört hätte und damals niemand sich aufregte, jetzt aber, wo er einem Sozialisten gehöre, die eigenen Genossen mit allen möglichen Bedenken kommen. In dieser Sitzung wurde Busse auch gebeten, den mitgebrachten Fahrer, der hier den ganzen Tag über im Vorzimmer von Busse in der Uniform eines thüringischen Polizei-Leutnants herumsitzt, zum Tragen von Zivilkleidung zu veranlassen. Busse erklärte darauf, daß der Fahrer M. 10 nach wie vor Angehöriger der Thüringer Polizei im Leutnantsrange sei und nur beurlaubt wurde. Kurz nach Busses Dienstantritt hatte der bisherige kommissarische Hauptabteilungsleiter der Planung Geburtstag, und Busse gratulierte ihm mit einem persönlichen Handschreiben, mit den Worten: „Ich gratuliere Sie zum Geburtstag". Dieses Gratulationsschreiben ging in der Abteilung allgemein herum. Alle Stenotypistinnen machten sich darüber lustig, und Busse rief sie zu sich ins Zimmer, wobei er erklärte, er habe gehört, daß man über sein Gratula-
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Busse als thüringischem Minister für allgemeine Verwaltung bzw. (seit Anfang 1947) des Innern war die „Landeskommission zur Durchführung der Bodenreform" - wie übrigens auch die Entnazifizierungs- und die Sequestrierungskommission des Landes - direkt unterstellt gewesen, was ihn quasi zum Minister für antifaschistische Strukturreformen gemacht hatte. Dieser Absatz ist von einem Leser mit Kopierstift markiert worden. Busse wohnte im sog. Städtchen, dem für die politische Prominenz requirierten Wohnviertel um das Schloß Niederschönhausen in Pankow. Anonymisiert.
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IV Spuren in den GULag
tionsschreiben lache; er wolle jedoch sagen, daß er die deutsche Sprache durchaus beherrsche und ihm nur ein gelegentliches Versehen unterlaufen sei. Von Herrn Vizepräsident [Reinhard] Benecke [SPD/SED] wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß Busse ein Rundschreiben an die Landwirtschaftsminister der Zone geschickt habe, das in Form und Inhalt so unmöglich sei, daß wohl alle Minister darüber lachen würden. Leider habe ich dieses Schreiben nicht zu Gesicht bekommen. Frau Busse 1 1 , die bisher keine Wohnung in Berlin hatte, saß fast ständig im Vorzimmer ihres Mannes und nahm auf den Geschäftsverkehr Einfluß. Die Sekretärin, die sich am Telefon mit „Sekretariat Busse" meldete, wurde von ihr darauf hingewiesen, daß sie sich mit „Vizepräsident Busse" zu melden habe, da sonst ihr Mann herabgewürdigt werde. Busse hatte aus Thüringen seine bisherige Sekretärin P. 12 nachkommen lassen. Es handelt sich hierbei keineswegs um eine besonders fähige Kraft, und wir hätten zweifellos auch in Berlin jemanden von gleicher Qualität finden können. Nach den Berichten von Besuchern und anderen Mitarbeitern der Abteilung Planung, fertigt Frl. P. das Publikum in der ungehörigsten Form ab. Die vor Frl. P. bei Busse tätige Sekretärin wurde von ihr einfach aus dem Zimmer gewiesen und, ohne ihr davon Kenntnis zu geben, ihr Telefonapparat verlegt, so daß sie sich an die Personalabteilung wandte und um ihre Versetzung aus der [Busse unterstellten] Abteilung Planung bat. Der Kraftfahrer M., der im Hause wegen seiner Uniform als SS-Mann bezeichnet wird, benimmt sich so unklug, daß er auf die übrigen Mitarbeiter geradezu provozierend wirkt. Obwohl es bei uns ein sehr anständiges Mittagessen gibt, hat er dieses schon mehrfach als „Fraß" bezeichnet, den er in Thüringen nicht einmal seinen Schweinen geben würde. Es ist auch eine Äußerung bekannt geworden, worin er erklärte, daß Zigarettenbesorgung fur ihn überhaupt kein Problem sei. Wenn er keine mehr habe, besorge er sich einfach welche. Er sagte dies in einer solchen Form, daß die Zuhörer zu der Meinung kamen, er würde sie in seiner Eigenschaft als Polizist irgendwo beschlagnahmen.13 Indem ich hoffe, Dir mit den vorstehenden Angaben vorerst gedient zu haben, möchte ich gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß ich ihnen keine übermäßige Bedeutung beimesse. Alle Vorgänge im Zusammenhang gesehen, ergeben jedoch um den Genossen Busse eine recht ungünstige Atmosphäre.
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Gemeint ist Anna Wiehle (1907-1985), Arbeiterin aus einer Erfurter „roten" Familie, Sekretärin, mit der sich Busse in der Illegalität 1933 in Erfurt verbunden hatte. Sie wurden zusammen verhaftet und abgeurteilt. Nach ihrer Haftentlassung 1935 war sie zu Busses Mutter nach Solingen gezogen, 1945 mit dieser zu ihrem Mann nach Weimar, 1947 nach Berlin. Anna Wiehle und Emst Busse heirateten 1949 in Berlin. Die Ehe blieb kinderlos; Anna Wiehle lebte - nach der Verhaftung ihres Mannes 1950 - in Berlin mit ihrer Schwiegermutter und kehrte im Alter nach Erfurt zurück. Anonymisiert. Dieser Abschnitt wurde mit Kopierstift am Rand markiert.
IV. 3.2 Denunziation und Apologie unter Kameraden: W. Barte!, 22. Januar 1948
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IV.3.2 Walter Bartel* an Franz Dahlem. Betr. Vorwürfe gegen das dienstliche Verhalten von Ernst Busse*, 22.1.1948 14
Lieber Genösse Dahlem! Ich muß zunächst um Entschuldigung bitten wegen der Verzögerung. Zu der Angelegenheit selbst: ich glaube, daß die im Briefe vom 11. September15 erhobenen Vorwürfe zum Teil unberechtigt sind und zum Teil sich selbst erledigt haben. Die Einschätzung des Briefschreibers über den Abgang von B.[usse] aus Thüringen beruht auf völliger Unkenntnis der wirklichen Zusammenhänge. 16 Dafür kann aber B. nichts. Es ist richtig, daß B. eine Wohnung verlangte, und zwar nach Möglichkeit gleichzeitig für seinen Chauffeur. Es ist bekannt, wo er wohnt und deshalb die Bemerkung über höchste Anforderungen überflüssig. Die Angelegenheit mit dem Wagen hat inzwischen die Lösung gefunden, daß der Wagen für Fernfahrten der anderen Vizepräsidenten benutzt wird. Ich weiß positiv, daß der erste Präsident mit ihm im Westen war. Der Chauffeur benutzt die Uniform nur für Fernfahrten; in Berlin trägt er Zivilkleidung. Über die Fähigkeit der aus Thüringen mitgebrachten Sekretärin kann ich mir kein Urteil erlauben. Von mir wurde B. darauf aufmerksam gemacht, daß sie sich vorschriftsmäßig am Telefon zu melden habe, was nicht immer geschah. Auf die diversen Gespräche des Fahrers einzugehen, halte ich wirklich für überflüssig. Mit ist kein Fall bekannt, daß der Fahrer in irgendeiner Form mit irgendwelchen Dingen Handel getrieben hat. Wie viele Fahrer fuhrt er ziemlich schnoddrige Redensweisen, aber hier jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und damit einen anderen Genossen zu belasten, halte ich fur falsch. Nun aber zur Gesamteinschätzung. Ich habe B. im Lager kennengelernt. Politisch gehört er nicht zu den stärksten Genossen, aber er orientierte sich einerseits auf eine klare proletarische Einstellung und andererseits war er immer bereit und ist auch heute immer bereit, einen politischen Rat von Genossen anzunehmen. Bei seiner sehr komplizierten Tätigkeit als Lagerältester und Revierkapo hat B. immer im engsten Einvernehmen mit der Parteileitung gearbeitet und keinen Schritt unternommen, ohne sich mit der Parteileitung auszusprechen. Er war der Typ eines Lagerfunktionärs, der seine Funktion im Lager als eine Funktion der Partei betrachtete. Durch sein ruhiges und sachliches Arbeiten genoß er nicht nur das Vertrauen der ausländischen Parteigenossen, sondern im weitesten Maße das Vertrauen der ausländischen Kameraden.
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SAPMO-BA, ZPA 2/4/375 Bl. 137 f. Dahlem hatte Bartel anhand des Schreibens von Osche* „um eine Einschätzung des Lebenswandels des Genossen Busse" ersucht und die Antwort am 13.1.1948 - mit Kopie an die Abt. Personalpolitik der SED - angemahnt. Vgl. Dok. IV.3.1. Vgl. Anm. zu Dok. IV.3.1 und IV.4.1 Auf der Parteiebene war die zunächst stark von den Buchenwalder Kommunisten dominierte thüringische SED besonders Walter Ulbricht wegen ihres Selbständigkeitsanspruchs, den Ulbricht für Sektierertum hielt, ein Dorn im Auge. Deshalb war bereits im Mai 1946 (bis Oktober 1947) der Landespartei ein Mitglied der Gruppe Ackermann, Georg Schneider (geb. 1909), Biologe, 1930 KPD, 19311945 Emigration in die Sowjetunion, als Bezirksvorsitzender aufgenötigt worden.
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IV Spuren in den GULag
B. hat seine Funktion und seinen Namen gegeben, um die internationale Organisation aufzubauen. Alle internationalen Zusammenkünfte mit den Spitzen der Parteien 17 im Lager fanden unter dem Schutze des Reviers statt. B. wußte davon und nahm als Mitglied der deutschen Leitung daran teil. Er zeigte eine Schwäche in seinem Verhalten zum Sonderbau18 . Wir verlangten von ihm, daß er auch den Schein aufrechterhält und nicht in den Verdacht kommt, durch Besuch des Sonderbaus als Kapo sich selbst und uns zu schaden. Diese Vorhaltungen waren von Erfolg. Über seine Tätigkeit nach 1945 gibt es widersprechende Einschätzungen. Bei der besonderen Situation in Thüringen ist das auch nicht verwunderlich. B. ist nicht Thüringer und nur durch seine illegale Arbeit dort bekannt geworden. Der Sprung vom Parteisekretär zum Minister war tatsächlich nicht immer leicht und hat sicherlich auch im Auftreten hin und wieder Pannen gezeigt. B. ist aber ein Mensch, der auf einen Wink der Partei reagiert und einer sachlichen Kritik seines Verhaltens und seiner politischen Arbeit immer sein Ohr gibt und sich bemühen wird, den Wünschen der Partei gerecht zu werden. Wie weit er den Anforderungen jetzt gerecht wird, müssen die verantwortlichen Genossen seines Amtes entscheiden. Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin aber überzeugt, daß B. persönlich ein absolut sauberer Genösse ist, seine Lebensgewohnheiten den Rahmen eines Vizepräsidenten keineswegs sprengen, er hat keine besonderen Allüren und einen kameradschaftlichen Kontakt zu seinen früheren Genossen aus dem Lager, ganz gleich, in welchen Parteifunktionen sie heute stehen. Ich bin also der Meinung, daß auf Grund der Einschätzung des Charakters und der politischen Linie von B. keine Befürchtung fur irgendwelche Pannen dieser oder jeder Art am Platz ist. Ein Wort zu seiner Frau. Sie ist ein langjähriges Parteimitglied, hat illegal gearbeitet, ist in politischen Fragen wenig selbständig, sehr auf die Anerkennung des Prestiges ihres Mannes bedacht und in ihren gesellschaftlichen Auffassungen etwas provinzlerisch. Ich habe B. dringend geraten, sie von seiner Arbeit im Büro fernzuhalten, um jedes Gespräch über Familienwirtschaft im Amt von vornherein abzubiegen. B. nimmt seine Frau häufig mit auf Fernfahrten, aber meines Wissens ist das eine allgemeine Erscheinung.
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Gemeint sind die kommunistischen Parteigruppenvertreter der einzelnen Nationen, die dann als Internationales Lagerkomitee bezeichnet wurden. Gemeint ist: das Lagerbordell.
IV. 4.1 Ε. Busse an F. Dahlem und E. Gnijjke, 20. April 1948 IV.4
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ERNST BUSSE IN LAND UND FORST
IV.4.1 Ernst Busse* an Franz Dahlem und Erich Gniffke. Betr. „Was liegt eigentlich vor?", 20.4.194819
Werte Genossen! Seit einigen Tagen ist nun die neue Struktur und die neue personelle Besetzung der Hauptverwaltung Land und Forst [-Wirtschaft] heraus.20 Sie wurde uns in einer Abteilungsleitersitzung am 12.4.48 in kaum zu überbietender Kürze mitgeteilt. Dabei wurde mir bekannt: / Die Haupt-Abteilung Planung, die ich bisher als Hauptabteilungsleiter leitete, wird geteilt. Die Abteilung Planung geht an Dr. [Immanuel] Fauser [CDU] über. / Die Abteilung Kontrolle wird eigene Hauptabteilung. Sie wird unter die direkte Betreuung von [Edwin] Hörnle gestellt. / Die Bodenordnung geht durch die Strukturänderung automatisch aus der von mir bisher geführten Betreuung an den neuen Stellvertreter über.21 Übertragen wird mir: / Eine neugebildete Abteilung unter der Bezeichnung: / Ländliche Organisation.22 Sie umfaßt / a. Genossenschaften, / b. V.d.g.B. 23 , Kleingartenhilfe, Tierzuchtverbände, / c. Landarbeiterfragen. / Als Sonderaufgaben soll ich behalten: / Die Betreuung des Befehls 209. Das heißt: 37.000 Bauernhäuser erstellen, für die jedes Stückchen Material, sei was es sei, auf besonderen Wegen und ohne bestimmte Plangarantie beschafft werden muß. / Die Betreuung und Durchführung der Ferien-SaatkartofFelaufkaufaktion in Mecklenburg.
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SAPMO-BA, ZPA 2/4/v.l247, Bl. 101 f. Maschinenschriftlich auf Busses Privatbriefkopf an die Kaderverantwortlichen im Zentralsekretariat der SED. [handschriftlicher Bearbeitungsvermerk Dahlems:] ,ßilt. P.P.Α. [Personalpolitische Abteilung des Zentralsekretariat der SED] Genösse Ernst Busse wurde seinerzeit gegen seinen Willen in die ZV. Land und Forst geschickt und im Zusammenhang mit notwendigen Umstellungen, die den Zweck hatten, [den Thüringer Ministerpräsidenten] Dr. [Rudolf] Paul [SED] unter schärfere Kontrolle zu nehmen, von Thüringen weggenommen. Man soll seinem Willen Rechnung tragen und mit [dem Vorsitzenden des FDGB] Gen. [Hans] Jendretzki [KPD/SED] betreffs seines Einsatzes im FDGB der Zone sprechen. Da aber Gen. Otto wahrscheinlich auch weiter die Führung der FDGB-Mecklenburg übernimmt, soll man Emst Busse nicht an zweiter Stelle dort einsetzen. Busse kann eine leitende Stelle im FDGB einnehmen. 21.4.48 gez. F. Dahlem". Emil Otto (1903-1974), KPD seit 1923, politische Schulung in der Sowjetunion, 1946-49 Landesvorstandsmitglied in Mecklenburg, 1946-47 geschäftsfuhrender Landesvorstand des FDGB Mecklenburg, 1947-50 1. Vorsitzender FDGB Mecklenburg, 1947-54 Mitgl. des Bundesvorstands des FDGB, 1950-52 1. Vors. Zentralvorstand IG Metall, danach Vors. der Bezirksleitung Gera des FDGB blieb in der Tat noch zwei Jahre in Rostock. Gemeint ist die Umorganisation der Wirtschaftlichen Zentralverwaltungen in die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) und deren Rückwirkung auf die innerbürokratische Umstrukturierung ihrer einzelnen „Hauptverwaltungen". Vgl. Wolfgang Zank: Wirtschaftliche Zentralverwaltungen und Deutsche Wirtschaftskommission, in: Martin Broszat / Hermann Weber (Hg ), SBZ-Handbuch, 2. Aufl. München 1993, S. 253 ff. Mit anderen Worten: Busse war durch die Beschränkung auf drei Vizepräsidenten zum Abteilungsleiter degradiert worden. Tatsächlich: „Landwirtschaftliche Organisationen". Vereinigung der gegenseitigen Bauemhilfe.
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IV Spuren in den GULag
Diese große Neuordnung in unserer Verwaltung aber ging und geht vor sich, ohne daß ich als Beteiligter, ohne daß ich als Mitglied des Präsidiums und ohne daß ich als Mitglied des [SED-] Betriebsgruppenvorstandes irgendwie benachrichtigt oder gar gefragt worden wäre. Im Gegenteil - meine verschiedenen Versuche, mit den verantwortlichen und zuständigen Funktionären des Zentral-Sekretariats und der Deutschen Wirtschaftskommission zu sprechen, schlugen fehl. Man ging offensichtlich der Diskussion aus dem Wege. Ich muß nun fragen: „Was liegt eigentlich vor?" 24 Ich weiß es nicht - aber ich möchte eine Bitte aussprechen: „Nehmt mich aus Land und Forst heraus. Dem Kreis, der mich dort umgibt, ist ein kollektiv - lernend - schaffender Mitarbeiter scheinbar nicht genehm." „Nicht alles können, nicht alles wissen.", ist da scheinbar - zu schwach sein. Gebt mich in die Gewerkschaft. In der Gewerkschaftsarbeit bin ich groß geworden. 25 Die Landesleitung des F.D.G.B, (z. Beisp. Mecklenburg) dürfte doch, ohne jemand dort überflüssig zu machen, frei zu machen sein. 26 So viel ich weiß, wäre das für Mecklenburg kaum eine Frage. Ich bin schon deswegen angesprochen worden, und es würde mir Freude machen. Ich hätte dann auch wieder eine Aufgabe, - die mir mehr liegen würde, als das Spezialgebiet Land und Forst -, und in der ich schnellstens wieder zu Hause wäre. [handschriftlich:] Mit sozialistischem] Gruß [gez.] Ernst Busse.
IV.4.2 Ernst Busse* an die Vorsitzenden des Buchenwald-Komitees. Betr. Benachrichtigung über eine längere Besprechung mit einem Vertreter der russischen Administration, Abt. Information, 16.9.194827
Am Montag, den 13.9.[1948], und Dienstag, den 14.9., hatte ich eine längere Besprechung mit einem Vertreter der russischen Administration, Abtg. Information. / Das Ergebnis der Besprechung wurde in einem 6 Seiten langen Protokoll festgehalten. / Kurz zusammengefaßt handelt es sich um folgende Punkte. / Ich gebe nur die auf Fragen summierten Antworten wieder: Die im Lager Buchenwald gebildete Widerstandsbewegung wurde getragen von der illegalen Kommunistischen Partei. Sie setzte sich ländermäßig zusammen und verteilte ihre Aufgaben nach bestimmten Arbeitsgebieten. Ihre Aufgabe war die Betreuung der von ihr erfaßten Häftlinge, sowohl in politischer, als auch materieller Beziehimg.. Die Arbeit war streng kon24 25 26 27
Die unregelmäßig verteilten Anführungszeichen hier und im folgenden bezeichnen keine Zitate, sondern sind wohl als Verstärkungen gedacht. Busse war in den zwanziger Jahren hauptamtlicher Lokalfunktionär des Deutschen Metallarbeiterverbandes und Bezirksleiter der RGO gewesen. Diese Sätze sind von Dahlem unterstrichen. BWA, 71-1-14. Auf Briefkopf DWK Land- und Forstwirtschaft.
IV. 4.3 Ε Busse an F. Dahlem, 25. Oktober 1948
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spirativ. Jede Vermittlung und Tätigkeit ging nur immer über den [jeweiligen] Verbindungsmann. Von der russischen Gruppe kannte ich dem Namen nach den direkten Verbindungsmann zum Krankenbau Korneukow 28 . Mit ihm habe ich zusammengearbeitet. Außerdem ist mir noch in Erinnerung geblieben der Name von [Nikolaj] Simakow*, [Nikolaj] Kalschin [Kaitschin]* und [Ivan] Smirnow* 29 . Die beiden letzteren haben noch nach der Befreiung mit im Internationalen Lagerkomitee gearbeitet und nach der Entlassung aus dem Lager in der Repratiierungskommission gearbeitet. Mit Korneukow habe ich etwa ein Jahr zusammengearbeitet. Ihm oblag die Betreuung der dem Krankenbau eingewiesenen russischen Häftlinge. Welche und ob besondere Aufgaben ihm vom russischen Komitee aufgegeben wurden, ist mir nicht bekannt; insbesondere nicht, ob er in der sogenannten Abwehrgruppe gegen Spitzel 30 tätig war.
IV.4.3 Ernst Busse* an Franz Dahlem. Betr. Bitte um eine stabile Arbeit, 25.10.1948 31
Werte Genossen! Aufgrund eines Briefes, den ich am 24. August 1948 an Euch schrieb, fand bei der HV [Hauptverwaltung] Land und Forst eine besondere Sitzung statt. An dieser Sitzung nahmen zwei Vertreter der Personalabtlg. der Partei, wovon einer der Gen. [Philpp] Daub war, teil. Außerdem nahmen teil, von der HV Land und Forst der Leiter Hoernle, sein Stellv. [ertreter Heinke] Heinks 32 , der Leiter der Personalabtlg. [Ulrich] Osche* und ich selbst. Es wurde festgelegt, daß ich nach dem Ablauf der Umbauperiode von Zentralverwaltung auf Hauptverwaltung bei der DWK als dritter Stellvertreter eingesetzt werden soll. Nach Mitteilungen von Gen. [Paul] Merker 33 und Gen. Daub hat das Zentralsekretariat entsprechend entschieden. Gen. Walter Ulbricht hatte übernommen, mit dem [SED-Partei-] 28 29
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Schwer lesbar. Nicht identifiziert. Die russischen Häftlinge Nikolaj Simakow (KPdSU) und Ivan Smirnow (KPdSU) waren Vertreter im Internationalen Lagerkomitee und Pfleger im Häftlingskrankenbau bzw. der Fleckfieberstation. Nikolaj Kaitschin (KPdSU, NKWD-Offizier) gehörte zur engeren Führung des ILK. Offenbar geht es also um die Untersuchung „falscher" Liquidierungen. SAPMO-BA, ZPA IV 2/1 l/v.1247. Bl. 75 f. Mit Privatbriefkopf, auf dem Dienstweg über Philipp Daub, den Leiter der Personalabteilung im Zentralsekretariat der SED. Philipp Daub (1896-1976), Metallarbeiter, 1918 USPD, 1921 KPD, seit 1927 Funktionär im Saargebiet, in Hessen und als Instrukteur des ZK-Apparats, 1932 MdR, 1935 Emigration über Amsterdam, Paris (Leitung der Roten Hilfe) nach Übersee; 1945 Rückkehr, Vizepräsident der Verwaltung für Umsiedler, 1948 Leiter der Personalabteilung im Zentralsekretariat der SED, MdL Sachsen-Anhalt, 1950-61 Oberbürgermeister von Magdeburg. Heinke Heinks (1895-1968) Zimmerer, 1919 KPD, Redakteur, 1927 Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft, nach 1933 Haft, 1946 Sekretariat des Landesvorstands der SED in Mecldenburg, 1948 (1.) Stellv. Leiter der Hauptverw. Land- und Forstwirtschaft der DWK. Zu Paul Merker vgl. Dok. V.3.3, Anm. 85.
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IV Spuren in den GULag
Sekretär der DWK die Angelegenheit zu ordnen. / Sie ist bis heute, trotz einer Reihe Reklamationen meinerseits, noch nicht geordnet. Nun steht wieder die Frage des Umbaues. Nach allgemein verbreiteter Mitteilung muß [sich] die Verwaltung um 20 % in sachlicher und auch personeller Beziehung einschränken. Die Frage eines dritten Stellvertreters dürfte damit komplizierter geworden sein. 34 Hinzu kommt, daß durch die bevorstehende Gründung eines Zonenverbandes fur landwirtschaftliche Genossenschaften der Arbeitsbereich für die jetzige Abteilung in unserer Verwaltung wesentlich kleiner wird. / Die Hauptabteilung, die ich jetzt führe, würde sich dadurch erheblich einschränken. Bei dieser Sachlage möchte ich Euch bitten, alle diese Momente noch einmal zu prüfen, damit für mich endgültig Klarheit entsteht. / Ich soll, wie mir Gen. Merker und der Vertreter der SMA sagte, in die Leitung des Zonenverbandes [der ländlichen Genossenschaften] gehen. Dazu möchte ich erklären: Es ist mir in diesen letzten Monaten meiner Tätigkeit bei den Vorbereitungen zum Kongreß, die ich in engster Verbindung mit Landessekretariaten der SED durchführte, gelungen, an die Fragen des genossenschaftlichen Lebens heranzukommen. Ich muß hier aussprechen, daß es auf diesem Gebiet noch sehr viel zu tun gibt. Die Positionen des ländlichen Genossenschaftswesens sind vorwiegend noch in den Händen der sogenannten erfahrenen alten Großbauern. Nur in wenigen Fällen sind die Neu- und Kleinbauern bis dahin vorgedrungen. Bei der Bedeutung des ländlichen Genossenschaftswesens für unsere agrarpolitische Gestaltung müssen wir in diese Position eindringen. Wir müssen die alten Kräfte ausschalten und das übrige Dorf für uns gewinnen. Das wird keine leichte Aufgabe sein; aber eine Aufgabe, die mich nach der bis jetzt geleisteten reizt. Ich würde also die in Aussicht gestellte Übertragung dieser Arbeit gern annehmen. Muß aber dabei bitten, daß ich das in erster Reihe tun darf. Ich habe also den Wunsch, Vorsitzender des Verbandes zu sein. Ihr müßt also entscheiden, ob Ihr mich fur fähig und würdig haltet. Bin ich das nach Eurer Meinung nach nicht, dann bleibt mir nichts anderes als [daraus die] Schlußfolgerungen zu ziehen, daß ich politisch bankrott gemacht habe. Daraus möchte ich dann auch Schlußfolgerungen ziehen. Ich möchte dann nicht mehr wie bisher in Breschen springen, die, nachdem die schwerste Arbeit getan ist, durch andere vollendet wird. Ich zähle auf: Ich habe in Thüringen das Arbeitsamt aufgebaut, also das jetzige Arbeitsministerium. / Dann folgte der Aufbau der Polizei. / Als Drittes führte ich die Kampagne „Bodenreform Thüringen". / Nach der Bodenreform und mit ihr folg[t]en die Sequestrierungen. / Fünftens, darf ich für mich in Anspruch nehmen, in den Ämtern des Innenministeriums35 der Motor der Betriebsgruppe der Partei gewesen zu sein. / Dann bin ich nach Berlin gekommen.
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Es wurden zwar drei Stellvertreter (1 KPD/SED, 1 parteilos, 1 SPD/SED) eingesetzt, aber Busse war nicht unter ihnen. Im Original „Innenministerien". Im übrigen ein erstaunlich bescheidener Erfolgsmaßstab eines Ministers, daß er in seinem Hause ein Aktivist der Parteigruppe gewesen sei.
IV. 4 4 Ε. Busse an W. Bartel, 3. Oktober 1949
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Ohne die Kenntnisse der Landwirtschaft wurde ich hier in die Planung gesteckt. 36 Das Jahr, das ich da tätig war, war ein hartes Lehrjahr; aber ich wurde dabei auch zur engsten Arbeit in die Betriebsgruppe hineingezogen. Als ich selbst die Planung begriffen hatte und durch meine Arbeit auch mit erreichte, daß in der Verwaltung sich die Planungsorgane und der Planungsgedanke durchsetzte, kam der Umbau, durch den die Planung an den bürgerlichen Dr. Fauser 37 ging. / Eine Aufgabe in Berlin war die mir übertragene Leitung fur den Befehl 209 38 . Faktisch aus nichts mußte hier eine Bewegung geschaffen werden, die 37.000 Neubauemhöfe zu erstellen hatte. / Als im Frühjahr dieses Jahres die Saatkartoffeln fehlten, wurde mir die Leitung einer besonderen Aktion in Mecklenburg fur die Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen übertragen. Nachdem das alles geschehen [ist], möchte ich jetzt mal bei einer stabilen Arbeit bleiben. Entweder das kann ich, dann entscheidet das; oder ich kann das nicht, dann gebt mir den Weg frei aus der Verwaltung zu dem Gebiet, aus dem ich komme, zu der Gewerkschaft. Mit sozialistischem Gruß / [gez.] Emst Busse
IV.4.4 Ernst Busse* an Walter Bartel* ( W N ) . Betr. einen Prozeß gegen Ilse Koch in der DDR in Abwesenheit, 3.10.1949 39
Lieber Walter! Auf Deinen Brief vom 22.9 und die beiliegenden Unterlagen möchte ich kurz antworten. Die Angelegenheit Hugo Kühr40 habe ich erledigt; sie muß Dir dieser Tage zugehen. Die vorgeschlagene Besichtigung des Ettersberges 41 kann ich Dir nur empfehlen. Ich möchte den 12. oder 13. November dazu vorschlagen, das wäre Sonnabend oder Sonntag. Für mich wäre das insofern praktisch, als ich am 10. und 11. dort sein muß. Ilse Koch werden wir ja nun wahrscheinlich nicht nach Weimar bekommen. 42 Ich schätze, daß man sich mit ihr einen verhältnismäßig billigen Reklameerfolg schaffen will, indem 36 37 38
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Gemeint ist: Ohne daß ich Kenntnisse in der Landwirtschaft gehabt hätte, sollte ich hier die Abteilung fur agrarische Planung der SBZ aufbauen. Dr. Immanuel Fauser (CDU) leitete die Hauptabteilung Betriebswirtschaft. Der Befehl der SMAD Nr. 209 v. 9.9.1947 über „Maßnahmen zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bauernwirtschaften" sollte Neubauern bevorrechtigt Baumaterialien zur Errichtung ihrer Gehöfte verschaffen, darunter „Baumaterialien der Baulichkeiten ehemaliger Gutsbesitzerhöfe", ehemaliger militärischer Werke und herrenloser Ruinen. BWA 06 2-32 1570. Auf Privatbriefkopf. Nicht identifiziert. Vermutlich wollten sie das ehemalige Lager besuchen, um zu prüfen, ob und wie es nach seiner bevorstehenden Räumung als Sowjetisches Sonderlager zu einem antifaschistischen Erinnerungsort umgestaltet werden könne. Nachdem der amerikanische Militärgouverneur in Deutschland, General Lucius D. Clay, im Juni 1948 angesichts der gravierenden Verfahrensmängel des Dachauer Buchenwald-Prozesses, in dem Ilse Koch (1906-1967),
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IV Spuren in den GULag
man sie, die in den Mittelpunkt der westlichen Nazidiskussion geraten ist, tatsächlich in den Brennspiegel stellt, wird man eine ganze Reihe anderer Fälle verdecken wollen. Eine solche Situation wird für den Westen sehr geeignet sein. / Ich neige zu dem Vorschlag, ohne Rücksicht auf die Prozeßführung im Westen, die vorgeschlagene Prozeßführung „in Abwesenheit" zu erwägen. Unsere Ablehnung, nach drüben Material zu liefern, hat für uns da, wo wir sprechen können und unsere Argumente vorzutragen in der Lage sind, glaube ich, soviel Schlagkraft, daß die, die guten Willens sind, immer auf unserer Seite stehen werden. Die anderen, die hinter dem „Eisernen Vorhang" Menschenschlächterei und was weiß ich sonst vermuten, die sind auch nicht durch unsere zu gebenden Argumente zu überzeugen. 43 Mit kameradschaftlichen Gruß! [gez.] Ernst
IV.S
Karl Reimann* an Anna Busse. Betr. „Meine Widerstandsarbeit mit Ernst Busse*", 10.7.195044
Liebe Aenne! Seit bald 8 Wochen habe ich erfahren, daß Ernst sich in Haft befindet. Aber seit 14 Tagen habe ich erst erfahren können, daß er belastet wird wegen seiner Revier-Kapo-Tätigkeit in Buchenwald.
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die Ehefrau des ersten Lagerkommandanten Karl Koch, zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, in eine vierjährige Haftstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft umgewandelt hatte, stand ihre Entlassung für den Oktober 1949 zu erwarten. Darauf erklärte die bayerische Regierung, daß sie ihr erneut den Prozeß - dieses Mal nicht wegen Kriegs- und Menschheitsverbrechen, sondern wegen der Mißhandlung und des Mordes deutscher Häftlinge - zu machen gedenke. Auch sowjetische und ostdeutsche Stellen bemühten sich um einen erneuten Prozeß am Ort des Geschehens in Weimar, verweigerten aber die Kooperation mit einem Verfahren in Westdeutschland und erwogen ein Verfahren in Abwesenheit in Thüringen. Im Herbst 1949 war die Freilassung Ilse Kochs und eines deutschen Verfahrens gegen sie ein vieldiskutierter Gegenstand in den Medien in Ost und West. Am 5.10. gaben die USA bekannt, daß sie Ilse Koch an die bayerischen Behörden übergeben würden. Im Mai 1950 wurde Anklage gegen sie erhoben, der Prozeß in Augsburg (seit November 1950) endete am 15.1.1951 mit ihrer Verurteilung zu lebenslänglicher Haft. Ilse Koch nahm sich 1967 im Frauengefangnis Aichach das Leben. Eine Kritik der Verfahren um Ilse Koch als Symbol und Projektion versucht Arthur L. Smith jr., Die Hexe von Buchenwald. Der Fall Ilse Koch, 2. Aufl. Weimar, Köln, Wien 1994, hier S. 177 ff. zu den Auseinandersetzungen um einen deutschen Ilse-Koch-Prozeß. Dies ist der letzte Brief Busses vor seinem Verschwinden im GULag, den wir in den von uns konsultierten Archivbeständen gefunden haben. Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur. Wir haben dieses Schreiben nicht nur aufgenommen, weil es einen weiteren bisher unbekannten Bericht über den Häftlingskrankenbau in Buchenwald gibt, sondern auch deshalb, weil es sich um eines der (nach unserer Kenntnis der Archive) ganz wenigen Zeugnisse handelt, mit denen ein verfahrensunbeteiligter Kommunist einem Freund, der in der Phase der spätstalinistischen Säuberungen verhaftet worden war, aus freien Stücken mit einem Entlastungszeugnis beizuspringen versuchte. Der
IV.5 Κ. Reimann: Meine Widerslandsarbeit mit Busse, 10. Juli 1950
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Dir wird bekannt sein, daß ich in Wehlheiden 45 , also schon im Zuchthaus, später im KZ Lichtenburg und zuletzt im Buchenwald mit ihm im engen Kreis Widerstandsarbeit und Fraktionsarbeit geleistet habe, also einer seiner engsten Mitarbeiter war und somit über alle Phasen des Kampfes im Bilde bin. Auf meinem Forschungsfragebogen 46 habe ich einen allgemeinen Bericht als Anhang gegeben. Die Tatsache seiner [Busses] Belastung kann möglicherweise vorwiegend von sowjetischen, polnischen, tschechischen, französischen und holländischen Gefangenen herrühren, welches in Verkennung der Zwangsläufigkeit geschehen i s t 4 7 Ich habe mich entschlossen, einen Bericht zur Forschungsarbeit zu liefern: / „Meine Widerstandsarbeit mit Emst Busse" / Man kann ihn fur diese Reviertätigkeit nicht verantwortlich machen, weil er von Anfang an fiir jede Arbeit und jeden Auftrag seine Fraktion und Gruppe gefragt und unterrichtet hat. Dazu gehörten die leider Verstorbenen: Walter Stökker*, Theo Neubauer*, Albert Kuntze [Kuntz]*. Ich bin einer der wenigen Überlebenden. Eine wesentliche Hilfe kann Dir ja Walter Bartel*, Harry Kuhn*, Robert Siewert*, Ottomar Geschke* bieten. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß alle Angeklagten SS-Leute, von [Martin] Sommer, [Max] Blancke, Dr. [WaldemarJHoven sogar bis Ilse Koch versuchen, ihn zu belasten, um sich zu entlasten. / Schreibe mir bitte deswegen, wenn möglich, von welcher Seite die Hauptbelastungsmomente kommen, vielleicht kann ich darauf besonders reagieren. [••Ι 48 Mit vielen Grüßen [gez.] Karl Reimann Anlage Meine Widerstandsarbeit mit Ernst Busse in den Jahren 1934-1945 Mit dem Genossen Busse war ich von 1934-1936 im Zuchthaus Wehlheiden bei Kassel. Weil die Politischen meist in Einzelhaft waren, versuchten wir unter den schwierigsten Umständen, und zuletzt ohne die Erlaubnis des Zuchthausdirektors, die Zuchthausschule zu besuchen. / In dieser Zuchthausschule wurden Tagesfragen, deutsche und Mathematik-Stunden gegeben. An der Zuchthausschule nahmen teil: - außer Ernst Busse und meiner Person Karl Löber, Adolf Mans, Adolf Rogge 4 9 , zum Teil auch Ernst Frommhold*. Als Lehrer wa-
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Verfasser Karl Reimann (1900-1973), 1919 KPD, war nach dem Kapp-Putsch wegen Aufruhrverbrechen von 1921-26 in Haft und wurde 1934 wieder verhaftet, seit 1937 im KZ Buchenwald, wo er als Rohrleger arbeitete. Nach der Befreiung betreute er Opfer des Dritten Reiches und war dann Kaderleiter bei der Gewerkschaft Landund Forstwirtschaft. Zuchthaus in einem Vorort von Kassel, wo Busse von 1934 bis 36 einsaß. Gemeint ist: die von der Kaderabteilung der SED versandten Erhebungsbögen über das Verhalten von Kommunisten im Reich zwischen 1933 und 45. Gemeint sein dürfte, daß die ausländischen Häftlinge keinen Einblick in die Zwangslagen, aus denen die deutschen Kapos heraus handelten, hatten, sondern nach dem Augenschein urteilten. Es folgen im Original einige Sätze, um zu einem baldigen Treffen zu kommen. Kommunistische Häftlinge aus Thüringen, Frommhold und Mans waren später Funktionshäftlinge in Buchenwald, der erste kurzzeitig 1939 als 2. Lagerältester, der zweite als Vorarbeiter in einer Baubrigade.
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ren ein evangelischer und ein katholischer Oberlehrer tätig. / Wir als politische Häftlinge besuchten die Schule, um vorwiegend Verbindung mit unseren Genossen zu bekommen. Während des Unterrichts gab es viele Möglichkeiten, in die Tagesfragen einzugreifen, und zwar in der Kampagne gegen die katholische Kirche und gegen die Juden und in andere politische Ereignisse, die uns offeriert wurden. Besonders der Genösse Busse hat mit uns des öfteren, trotz des Widerstandes der beiden Lehrer, eingegriffen. Ebenfalls wurde das Thema der Sterilisierung und Entmannung, das damals gang und gäbe war, in der Zuchthausschule besprochen. Sogar zu dem § 218 haben wir als Häftlinge öfters Fragen gestellt. Tatsache ist, daß aufgrund der katholischen Aktion 50 wochenlang heftige Diskussionen entstanden, worauf zu guter Letzt der katholische Lehrer ein Opfer wurde und vom Gericht bestraft worden ist, weil er solche Themen in der Zuchthausschule und in der Öffentlichkeit propagierte. / Die politischen Häftlinge, die im Aktiv arbeiteten, hatten in der Zwischenzeit eine Verbindung bekommen, die besonders politische Tagesfragen und Nachrichten an solche Häftlinge vermittelte, die die Zuchthausschule besuchen durften. Dieses, von Ernst Busse geleitete Aktiv war denn explodiert, und Reimann, Löber und Manz bekamen Arreststrafen von 4 Wochen, 14 Tagen bzw. 7 Tagen. Im Frühjahr 1937 traf sich ein großer Teil dieses Aktivs im Konzentrationslager Lichtenburg wieder. Die schon bestehenden Lichtenburger Aktive überprüften uns und unsere Arbeit, und wir wurden in die Aktive von Lichtenburg einverleibt. In den dortigen Aktiven arbeiteten Ernst Busse, Karl Barthel*, Jena, Albert Kuntz, Walter Stöcker, Theo Neubauer, [Ferdinand] Jung, Gotha, [Erich] Trillitzsch, Weimar 51 . Es wurden dort ebenfalls in besonderen Aktivs Tagesfragen, Weltprobleme, personalpolitische Probleme besprochen, ja sogar systematische Kurse wurden abgehalten. Vor allen Dingen von Busse, Kuntz, Neubauer und Stöcker wurden Aufgaben der Einheitsfront, volkswirtschaftliche Probleme und historischer Materialismus und die üblichen Tagesfragen besprochen. Bei Reinigungsarbeiten in der Kommandantur von Lichtenburg war ich auf ein Rundschreiben gestoßen des SS-Hauptamtes über neue Befehle und Anweisungen des neu zu errichtenden Lagers am Ettersberg, später Buchenwald. Ich stahl diese Rundschreiben und ließ sie abschreiben, und sie wurden bei den Spitzenfunktionären lebhaft diskutiert. Das war der Grund, um bei den Vorbereitungen zum Transport nach Buchenwald energischere und klarere Aktivs mit ganz bestimmten Richtlinien und richtungsweisender Arbeit in Buchenwald aufzunehmen. Des weiteren haben wir den berüchtigten Max Grande 52 , Jena, den ehemaligen Rotfrontkämpferbund-Vorsitzenden von Thüringen, welcher von Bad Sulza nach Lichtenburg kam, ganz energisch ins Gebet genommen, deswegen, weil er als Funktionär in einem Prozeß eine Anzahl von Fehlern gemacht hat, indem er in Bad Sulza nicht nur Obstruktion getrieben 50 51 52
Gemeint sein dürfte die Verhaftung katholischer Priester unter dem Vorwand der Homosexualität und ihre Einlieferung in KZs Ferdinand Jung (geb. 1905), KPD, im KZ Buchenwald 1937-39; Erich Trillitzsch (geb. 1907), KPD, im KZ Buchenwald 1937-1939. Max Grande (1893-?), KPD, Thüringer RFB-Führer, im KZ Buchenwald 1937-39 und 1944.
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hatte, sondern auch unsere im Aktiv arbeitenden Genossen der Kommandantur preisgegeben hatte. Es wurde damals im Verein mit Albert Kuntz, Theo Neubauer, Ottomar Geschke u.a. beschlossen, ihn zu isolieren. In Buchenwald angekommen, waren wir erstaunt, daß durch den Kommandanten [Karl Koch] und den Lagerfuhrer Weissenborn, genannt „Köbes", die Berufsverbrecher die Häftlingsleitung in die Hand bekommen hatten. Es ist bekannt, daß wir einen furchtbar schweren Stand gegen diese ausgesprochenen Individualisten hatten. Schon in Lichtenburg hatte man diesbezügliche Arbeitsanweisungen gegeben, die aber unser Vorhaben vorübergehend zum Scheitern brachten. Unsere Widerstandsarbeit konnte sich nur in einem kleinen und sehr vorsichtigen Kreis bewegen. In Buchenwald, wo noch keine Baracken und kein einziges Haus, sondern nur Bäume und kleine Wege waren, war alles im körperlichen Einsatz tätig. Ernst Busse war in einem Schachtkommando und später beim Bau des Kommandantenhauses tätig. Er kam schon nach einigen Tagen mit blutenden Händen und aufgerissenen Füßen nach Arbeitsschluß zurück. Mit ihm arbeiteten damals beim Bau des Kommandantenhauses schwer körperlich: Theo Neubauer, Walter Stöcker, Karl Barthel und Karl Schmidt53 , sämtlich Erfurter, resp. Thüringer. Die Methode des Lagerfuhrers und des Kommandanten kennzeichnen seine Worte, die er anläßlich eines Appells zum Ausdruck brachte: „Ich hasse das Verbrechertum, aber ich liebe es auch, um euch Politischen den Garaus zu machen. Mit euch Politischen werden wir noch öfters eine Bartholomäusnacht veranstalten." / Die Berufsverbrecher waren anfangs im Lager sehr fest verankert. Es mußte ein Weg gefunden werden, der uns von ihrer besonderen Geisel befreite. Zu dieser Zeit (1937/38) gab es besonders heftige Diskussionen mit ehemaligen Sozialdemokraten, die den Standpunkt vertraten, daß wir uns gar keine Mühe geben sollten, den Berufsverbrechern das Heft der Häftlingsleitung aus der Hand zu nehmen, mit der Begründung, wir würden nur den Büttel fur die SS machen. (Erich Melchor 54 , Dresden, Heinz Baumeister*, Emst Tage [Thape]*). Nach guten Diskussionen hatten wir aber auch einen Teil der Sozialdemokraten davon überzeugt, daß dieser Zustand des Druckes durch die Kommandantur und des zusätzlichen Druckes durch die Berufsverbrecher ein unmöglicher war. Busse rief des öfteren den engen Kreis Kuntz, Neubauer, Stöcker, Barthel, Geschke zusammen, um eine Lösung zu suchen und hat jede Handlung - das muß besonders betont werden - mit der Fraktion oder der Widerstandsgruppe vorher besprochen. Es gibt in den vielen Jahren nicht einen einzigen Falle, daß Ernst Busse selbständig handelte, ohne seine Genossen über das Notwendige und die Richtigkeit seines Auftrages, der in diesem Falle nur von der Fraktion gegeben wurde, zu informieren. In der Zwischenzeit war durch unsere Aktion Busse und Barthel in den Stubendienst beauftragt. / Theo Neubauer war in das Zimmerkommando untergekommen, ebenso auch Walter Stöcker und Ottomar Geschke kamen in die Werkstatt. / Wir dürfen dabei nicht den 53 54
Karl Schmidt (geb. 1904), KPD, im KZ Buchenwald 1937-39. Nicht identifiziert.
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Einfluß von Robert Siewert 55 , Schacht- und Baukommando, und Frank Wojtkowski* vergessen. Langsam und sicher faßten wir mit unserem Parteiaktiv auch gegen die Berufsverbrecher Fuß. Der Barackenbau ging vorwärts, und wir waren dadurch auch nicht sehr gezwungen, mit Berufsverbrechern in einem Block zu hausen. Barthel und Busse übernahmen inzwischen die Funktionen von Blockältesten und Siewert die Funktion in einem großen Schachtkommando. Man hatte auch einen Beschluß gefaßt, nunmehr die Bibelforscher von den ausgesprochen politischen Häftlingen zu trennen und somit Ernst Busse den Auftrag gegeben, den Bibelforscherblock zu übernehmen. Hier verspürte man schon den Einfluß von uns gegenüber der SS, die auch unsere Vorschläge zum Teil - der Ordnung im Lager wegen - akzeptierte. Inzwischen hatten wir durch unsere Arbeit im Aktiv es fertiggebracht, die Berufsverbrecher aus den wichtigsten Positionen aus politisch notwendigen Gründen und sozialem Verständnis zu verdrängen.[sie!] Es war an der Zeit, als der Blockälteste 56 ermordet und von Busse, Fritz Männchen*, Frommhold und Karl Barthel abgelöst wurde. Somit hatten wir schon Hauptfunktionen des Lagers in dem wüsten Haufen von Buchenwald politisch fur die damaligen Verhältnisse in der Hand, [sie!] Einige Bedenken der ehemaligen Sozialdemokraten wurden somit zerstreut. Aber die Berufsverbrecher gaben sich damit nicht zufrieden und machten uns ungeheuer viel zu schaffen, indem sie unsere Funktionskräfte 57 namentlich der Kommandantur bekanntgaben, was nachher zur Gesamtablösung nützlicher politischer Funktionskräfte58 führte. Wieder hatten wir vom Lagerältesten bis zum Blockältesten und Kapo nur Berufsverbrecher. Mit einer entsprechenden Erklärung seitens des Kommandanten und des Lagerfuhrers wurden die Berufsverbrecher in ihren Funktionen aufgefordert, den Politischen den Garaus zu machen. 59 In unserem stolzen Siegesbewußtsein60 fanden wir trotz aller Schwierigkeiten Mittel und Wege und hatten es in wenigen Monaten geschafft, die Berufsverbrecher aus ihren Funktionen zu verdrängen. Dazu gab damals der Lagerfuhrer folgende Erklärung: „Ihr Politischen habt es erreicht, daß ihr den Berufsverbrechern das Handwerk gelegt habt, aber deswegen werdet ihr doch die Funktionen nicht wieder bekleiden dürfen." / Er rief sofort namentlich Häftlinge auf, die von der Wehrmacht eingeliefert worden sind und aus diesen suchte er sich die Funktionskräfte heraus. Jetzt kam erst unsere gute Aktivarbeit unter den oppositionellen Kräften zur Auswirkung, denn wir benutzten die nunmehr von den Kommunisten ausgesuchten Wehrmachts55 56 57 58 59 60
Im Original durchgehend „Siebert". Unleserliche Korrektureinfugung, vermutlich ein Name. Hier wohl gemeint im Sinne von: Funktionäre der illegalen KPD im Lager. Jetzt wohl gemeint im Sinne von: Funktionshäftlingsposten, die mit Kommunisten besetzt waren. Vgl. Dok. I. 2 ff. zu Josef Ohles und dem Krieg „Rot" gegen „Grün". Schwer verständliche Formulierung. Reimann spricht hier vom Winter 1941/42, als die kommunistischen Führer in Buchenwald ihre Lagerfünktionen verloren hatten und in einem Strafkommando zusammengefaßt waren und der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zwar vor Moskau ins Stocken gekommen war, aber in der Folge nach Süd-Osten ausgriff. In den übrigen Berichten dieses Bandes wird angedeutet, daß dies eher eine Phase besonderer Niedergeschlagenheit war, und in einigen Berichten wird unterstellt, daß damals die Kompromißbereitschaft mit der SS ihren Höhepunkt erreichte.
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Offiziere 61 und Mannschaftsvertreter für unsere Interessen gegen die Berufsverbrecher aus, um sie gegen diese in Bewegung zu setzen. Das Echo trat emeut in Erscheinung, indem die Berufsverbrecher die Namen unserer Funktionskräfte wiederum der Kommandantur bekanntmachten, die dann in die berüchtigte Sonderkompanie einverleibt wurden. Es war die Zeit, als Busse im Auftrage der SS-Hauptverwaltung Berlin seine Funktion als Lagerältester abgeben mußte. 62 Damals ging dann Busse seinem Beruf als Schleifer in den Deutschen [Ausrüstungs-] Werken nach und sagte zu uns persönlich, daß er glücklich sei, von einer ungeheuren Verantwortung befreit zu sein. Er widmete sich nunmehr vom WerkstattStandpunkt aus der intensiven Kleinarbeit. Der SS-Arzt Dr. Hoven holte aber dann Busse als einen brauchbaren Menschen als Kapo nach dem Revier, weil der Häftlingsvertreter Weingärtner oder Weingarten 63 des Reviers sich in einer Korruptionsaffare unmöglich gemacht hatte. 64 B. kam zu uns, dem Parteiaktiv, und sagte: „Ihr habt zu entscheiden, was ich machen soll." Wir haben entschieden, daß uns B. als Kapo im Revier eine wertvolle Vermittlungsperson über Tod und Leben einer Anzahl unserer Leute [sie!] nützlich sein kann. 65 Die damaligen [SS-] Ärzte Dr. [Waldemar] Hoven, Dr. [Erwin] Ding und Dr. Schikleuski [Gerhard Schiedlausky] waren bestimmt nicht unsere Freunde und haben Maßnahmen ergriffen, denen Hunderte unserer Leute zum Opfer fielen. Dort hat B. entgegen den ärztlichen Bestimmungen eingegriffen, ja sogar oftmals eingegriffen. Beispiel: Tausende von Häftlingen hatten Hände und Füße erfroren. Dr. Schiedlausky ordnete Pulver und Salben an, die keineswegs zum Erfolg führten. Die Praxis hatte aber ergeben, daß Wechselbäder das natürlichste Mittel gegen erfrorene Körperteile waren, und deshalb hat B. eine ganze Baracke eingerichtet, wo alle frostgefährdeten Glieder in Wechselbädern gerettet wurden. Dr. Schiedlausky hat Busse des öfteren erschießen lassen wollen, weil er gegen seine Anweisungen doch das Wechselbad wieder eingerichtet hatte. Bei Operationen und anderen Krankheiten, vor allen Dingen Lungen- und Rippenfellentzündungen hat B. ungeheure Rettungsmaßnahmen ergriffen. / In der Zwischenzeit war die verhängnisvolle Station Block 46 und Block 50 66 von der SS eingerichtet worden. W. Stöcker und Albert Kuntz wurden ermordet und später auch Theo Neubauer. / Im Block 50 wurde das Typhus-Serum nach den bekannten Methoden gezüchtet, und im Block 46 wurden die Abspritzungen vorgenommen. Als Kapo in Block 46 war Richard Dietz [Arthur Dietzsch]*, welcher eingesetzt wurde, ohne den Einfluß von uns als Fraktion oder von B. 6 7 . Man ließ dies ge61 62 63 64 65 66 67
Vgl. Dok. 1.5.4 f. Dies war nach unseren Informationen ein halbes Jahr früher, nämlich im Herbst 1941. Gemeint ist Heinrich Weingärtner*, der im Winter 1941/42 kurzzeitig Kapo des Häftlingskrankenbaus war. Dieser Satz ist im Original leicht durchgestrichen, so daß der Text deutlich lesbar blieb. Gemeint ist wohl, daß Busse in seiner Position zwischen SS und Häftlingen Entscheidungen beeinflussen bzw. bewirken konnte, die fur eine Anzahl deutscher Kommunisten und ihrer Verbündeten lebensrettend waren. Gemeint ist die Fleckfieberstation des Hygiene-Instituts der Waffen-SS. Während des amerikanischen Prozesses gegen Dietzsch sagten Zeugen aus, daß er sowohl auf Vorschlag der illegalen KPD in die Rolle des Kapos von Block 46 gekommen als auch auf Anraten von Ernst Busse, der mit ihm zusammengearbeitet hatte, dort verblieben sei, als er - wie andere dortige Pfleger - sich habe in ein Außenkommando verlegen lassen wollen. Busse hielt die Position für die Häftlinge im Lager fur wesentlich, konnte aber keinen Kandidaten aus den eigenen Reihen dafür gewinnen. Außerdem hatte der leitende Arzt der Fleckfie-
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währen, weil Dietzsch zwar den politischen Winkel hatte, aber in einem ReichswehrMordprozeß seit 10 Jahren verurteilt war, also [sie!] kein ausgesprochener Marxist und Funktionär unserer Bewegung war. Ich erkläre hier, daß wir zwar von den Vorgängen im Block 46 wußten, aber hilflos den Dingen gegenüber standen. Ich weiß als ein vertrauter Mitarbeiter von Busse nur eins, daß er zu dieser Zeit krampfhaft versucht hat, alles das zu verhindern, oder mindestens zu beeinflussen, und ich weiß auch, daß er jede Gelegenheit wahrgenommen hat, um diese Dinge außerhalb des Lagers an bestimmte Kreise heranzubringen. Aber diese, außerhalb des Lagers befindlichen Kräfte waren damals [zu]68 schwach, um erfolgreiche Aktionen dagegen zu unternehmen. Ich weiß, daß bei Besuchen ausländischer Rot-Kreuz-Kommissionen, vorwiegend Norweger und Holländer, B. es nie versäumt hat, diese Kommissionen von den Vorgängen, soweit ihm das möglich war, zu unterrichten. Zu dieser Zeit hat B. über diese wichtigen Fragen m.W. der Entwicklung entsprechend, mit unseren Funktionskräften verhandelt und zwar Walter Bartel, Berlin, Harry Kuhn und Ottomar Geschke. Es ist wohl auch nachzuweisen, daß wir damals viele politische Funktionskräfte gerettet haben. Wenn überhaupt Vorwürfe gemacht werden, so liegt die Vermutung nahe, daß sie aus chauvinistischen Erwägungen heraus von einigen Funktionskräften der SU, Polen, Holland und Frankreich sowie CSR gemacht worden sind, welche bestimmt nicht das Vertrauen ihrer Kameraden hatten. / Man muß zurückblickend auf die Entwicklung sehen. Unsere deutschen Fraktionen hatten monatelang nach einigen Funktionskräften der Polen gesucht, später haben wir krampfhafte Versuche gemacht, Funktionskräfte der CSR, der holländischen und französischen Häftlinge zu finden. / Bei allen diesen Dingen waren die Schwierigkeiten in der Verständigung am größten. Es gab zwar gute Dolmetscher, aber [sie waren] keine verläßlichen Genossen, und erst langsam und sicher haben wir einen Vertrauensapparat sämtlicher Nationen aufgebaut. Ich könnte mir schlecht vorstellen, daß diese verantwortlichen Genossen der anderen Nationen in der Belastung von Busse ernsthaft greifbare Beweise erbringen können, daß er seine Pflicht verletzt hätte. / Die Spitzen gegen Busse schon im Lager gingen zumeist von Leuten aus, welche politisch und moralisch nicht einwandfrei waren, zumindest ihre Vergangenheit ein Rätsel war. Ich erwähne nur Dr. [Edwin] Katzellenbogen 69 , den ,,dicke[n] Reu-
68 69
berstation, Dr. Ding-Schuler, die Ablösung Dietzschs kategorisch abgelehnt. Vgl. die gründliche Analyse seines Falles bei Werner Scherf, Die Verbrechen der SS-Ärzte im KZ Buchenwald, a.a.O., S. 254-269; die Lebensgeschichte des Anarchisten Arthur Dietzsch, der 1924 mit 23 Jahren in Haft kam und dort in wechselnden Gewahrsamen bis 1950 verblieb, diente als Vorlage fur Ernst von Salomon: Das Schicksal des A.D. Ein Mann im Schatten der Geschichte, Reinbek 1960. Im Original: „so". Dr. Edwin Katzellenbogen aus Prag soll im Krieg in Paris deutscher Abwehragent gewesen sein, bevor er im Sept. 1943 ins KZ Buchenwald kam und dort Häftlingsarzt im Revier und Chefarzt des Reviers im Kleinen Lager wurde und in einen dauernden Konflikt zu französischen Intellektuellen und deutschen Kommunisten unter den Häftlingen geriet, in dem er von dem SS-Arzt Dr. Hermann Schiedlausky gestützt wurde. Die Funktionshäftlinge erfreuten sich mehrfach besonderer Beziehungen zu spezifischen SS-Ärzten, so Dietzsch und Kogon* zu Ding-Schuler oder Busse zu Hoven, wodurch ihre Handlungsmöglichkeiten deutlich erweitert wurden. Katzellenbogen wurde im Dachauer Buchenwald-Prozeß 1947 zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch 1953 vorzeitig entlassen.
IV. 6.1 Briefwechsel Α. Busse und Η. Matern, 10. November 1950
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ter" 7 0 , welcher auch nach 1945 noch zweimal in Buchenwald war und unter den dortigen NSDAP-Leuten verwirrende Nachrichten verbreitete. Er war in keinem Aktiv und wurde nirgends von unseren Leuten anerkannt. / Bei all diesen Dingen darf man nicht vergessen, daß wir viele politische Richtungen im Lager aller Nationen hatten, welche im internationalen Rahmen immer wieder ihren Einfluß bis zu dem Buchenwaldkomitee geltend machten. / Es ist des weiteren zu beachten, daß man in Buchenwald die Markierung der Deutschen hatte: Rot, grün, schwarz, blau usw. Diese Differenzierung hatte man bei den Ausländern nicht. Bei all ihren Handlungen wurden sie nach ihrer moralischen Handlung beurteilt und bewertet. Ich kann mir vorstellen, daß durch die Forschungskommissionen der einzelnen Länder und durch die Prozesse vom Hauptscharfuhrer Sommer über Dr. Hofer [Dr. Waldemar Hoven] bis zum Prozeß Ilse Koch aus Gründen der Selbstverteidigung eine ganze Menge Material gegen Busse zusammengetragen worden ist, welches z.B. gerade, weil es von diesen SSBanditen als Belastungsmaterial gegen B. angewandt wird, nicht als hieb- und stichfest anerkannt werden kann. Im übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, daß ich schon einen allgemeinen Widerstandsbericht gegeben habe, der Hans Brumme*, Jena, von der VVN insgesamt zu Gesicht gekommen ist. 71 Bei allen mitverantwortlichen Funktionskräften möchte ich auch auf die Namen Hans Brumme, Jena, und Walter W o l f , Jena, Emst Hausmann*, Heinz Neumeister* und Conrad Friedrich* hinweisen.
IV.6
ANNA BUSSE SUCHT IHREN MANN
IV.6.1 Briefwechsel zwischen Anna Busse und Hermann Matern. Betr. die Lebensmittelkarte ihres Mannes, 16.9.1950 und 10.11.195072
Lieber Genösse Matern! Ich bin durch die Dir bekannte Angelegenheit mit Ernst* in eine unklare Situation gekommen. Ich habe bisher Ernst polizeilich nicht abmelden können, weil die Übersicht über die ganze Angelegenheit mir und auch wahrscheinlich der Partei nicht bekannt ist. Demzufolge
70 71
72
Nicht identifiziert. Dieser Bericht ist offenbar eingegangen in den oben zit. „Bericht ...Thüringer Antifaschisten im KL. Buchenwald", a.a.O., der vor allem in seinen Teilen über die 30er Jahre weitgehend mit den hier gegebenen Auskünften übereinstimmt. Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur.
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IV Spuren in den GULag
erhalte ich noch immer die Lebensmittelkarte für Ernst, kann es aber nicht verantworten, diese Karte zusätzlich zu beziehen. Diese Fragen habe ich mehrfach mit Dir besprechen wollen, jedoch ist es mir wochenlang nicht möglich gewesen, Dich zu erreichen. Ich möchte gegenüber den offiziellen Behörden keine Fehler machen und irgend eine Erklärung über die Angelegenheit mit Ernst abgeben, welche bei der polizeilichen Abmeldung sogleich entstehen. Ich bitte Dich daher als Vorsitzenden der Parteikontrollkommission mir mitzuteilen, wie ich mich bezüglich dieser Angelegenheit verhalten muß. Für Deine Nachricht danke ich Dir im voraus bestens. Mit sozialistischem Gruß
[Antwort73 ] Werte Genossin Busse! Entschuldige, wenn ich erst heute Deinen Brief beantworte. Ich denke, Du solltest die Lebensmittelkarten nicht nehmen. Begründe die Rückgabe der Karte einfach damit, daß Dein Mann einige Zeit abwesend ist. Mit sozialistischem Gruß [gez.] Matern
IV.6.2 Briefwechsel zwischen Anna Busse und Wilhelm Pieck. Betr. einer Bitte um Rat und ihrer Verweisung an den Zuständigen, (undatiert) und 23.5.1951
Lieber Genösse Wilhelm Pieck! 74 Im Vertrauen zu Dir als Genossen und Vorsitzenden unserer Partei möchte ich Dich bitten, einmal ein paar Minuten von Deiner so knapp bemessenen Zeit für mich zu erübrigen. Ich hätte gern in meiner Angelegenheit einen Rat von Dir. Mit sozialistischem Gruß 73 74
Auf dem Briefkopf: Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Zentrale Parteikontrollkommission, Zentralhaus der Einheit. Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur (handschriftliche Abschrift von Anna Busse).
rv.6.3 Λ. Busse an W. Ulbricht, 8. August 1951
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[Antwort 75 ] Werte Genossin Busse! Ich bin leider nicht in der Lage, irgendeine Nachricht über Ernst* zu geben. Aber es dürfte zweckmäßig sein, wenn Du Deine Anfrage an den Generalsekretär der Partei Walter Ulbricht richten würdest. Vielleicht ist es ihm möglich, irgendeine Auskunft zu erlangen. [gez.] W. Pieck
IV.6.3 Anna Busse an den Generalsekretär der SED Walter Ulbricht. Betr. Erinnerung an ihre Anfrage bezüglich einer Entscheidung im Verfahren gegen Ernst Busse*, 8.8.195176
Werter Genösse Ulbricht. Am 25. Mai 1951 bat ich Dich, mir in der Angelegenheit meines Mannes mitzuteilen, ob und wie entschieden worden ist. / Ich habe mich seinerzeit an Dich gewendet, weil Genösse Wilhelm Pieck die Ansicht vertrat, daß Du als Generalsekretär unserer Partei am besten unterrichtet bist. / Ich bitte Dich als Genossin, mir möglichst bald einen Bescheid zu geben. Mit sozialistischem Gruß [gez.] Bu.
IV.7
Arthur Ullrich* (LPKK der SED-Landesleitung Sachsen) an ZPKK. Betr. Gerüchte über die Verurteilung von Ernst Busse* und Erich Reschke* unter ehemaligen Buchenwalder Häftlingen, 27.8.1951 77
Werte Genossen! In der Angelegenheit der beiden obigen mir bekannten Genossen hatte ich eine Unterhaltung mit dem Genossen Ernst Nikrenz78, Berlin, bei einem zufälligen Zusammentreffen in Berlin.
75 76 77 78
Auf Privatbriefkopf. Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur, Durchschrift der Absenderin. SAPMO-BA, ZPAIV 2/4/375 Bl. 198-200. Emst Nikrenz (geb. 1905 in Eisleben), KPD/SED, 1943-45 im KZ Buchenwald, offenbar 1951 Verwaltungsfunktionär in der Charite Berlin.
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IV Spuren in den GULag
Ich habe das fur die heutige Mitteilung meiner Ansichten nach wichtigste kurz zusammengefaßt und sende es Euch in der Anlage mit. Vielleicht ist es notwendig, daß mit dem Gen. Walter Bartel* darüber gesprochen wird, der diese Angelegenheit sicher sehr gut kennt. Mir ist bekannt, daß es die Linie der amerikanischen Imperialisten ist, fur eine Reihe von Dingen, die von der SS in Buchenwald durchgeführt wurden, das Lageraktiv verantwortlich zu machen. 79 Ich denke, daß man mit dem Genossen Nikrenz sprechen muß. Vielleicht soll sogar überprüft werden, ob das nicht durch die ZPKK selbst stattfindet, bzw. kann eine Information durch den Genossen Walter Bartel schon eine gewisse Aufklärung bringen. Mit sozialistischem Gruß - LPKK - [gez.] Ullrich Anlage: Aktennotiz Am Sonntag, den 19.8.51, als ich vor dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Berlin, Luisenstr., auf eine Genossin wartete, sprach mich der Genösse Ernst Nikrenz an ich kenne ihn aus dem KZ Buchenwald - und sagte mir, daß er in der Verwaltungsleitung der Charite war und ebenfalls für die Objekte der Charite verantwortlich ist, die gegenüber diesem Ministerium liegen. Nach Austausch einiger Erinnerungen - er hatte es eilig, weil er sich am Stellplatz seiner Belegschaft für die Abschlußkundgebung der III. Welt[jugend]festspiele stellen wollte 80 - kamen wir auf Ernst Busse und Erich Reschke zu sprechen. Wenn mir bis dahin nur andeutungsweise bekannt war, daß gegen diese beiden eine Untersuchung schwebte, erfuhr ich von Gen. N. zum ersten Male, daß B. zu 20 und Reschke zu 15 Jahren Freiheitsentzug oder Zwangsarbeit verurteilt sein sollen. 81 Gen. Nikrenz war ganz offensichtlich mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und gab dieser Meinung dahingehend Ausdruck, daß beide nur das gemacht hätten, was das Lageraktiv gutgeheißen hat. Seiner Meinung nach müßte dann auch das Lageraktiv zur Verantwortung gezogen werden. Ich habe ihm erklärt, daß mir nicht bekannt ist, ob und warum die beiden verurteilt wurden, was auch den Tatsachen entspricht, und daß es durchaus Dinge sein können, die dem Lageraktiv als solchem nicht bekannt waren. Da wir uns bereits vorher schon zweimal verabschiedet hatten, ging er dann wirklich zu seinem Stellplatz, sicherlich mit dem Eindruck, daß ich mit seiner Stellungnahme nicht einverstanden bin. [gez.] A. Ullrich
79 SO 81
Ausweislich der amerikanischen Buchenwald-Prozesse in Dachau irrig. Gemeint sind betriebsbezogene Sammelplätze als Ausgangspunkte fur eine generalstabsmäßig inszenierte Großdemonstration. Tatsächlich waren Ernst Busse und Erich Reschke am 27.2.1951 vom Sowjetischen Militärtribunal in Berlin zu lebenslänglicher Haft in einem Straflager verurteilt und nach Workuta gebracht worden. Vgl. Dok. VI. 10 und den Exkurs „X" in der Einleitung II.3.
IV. 8.1 Α. Busse an W. Pieck, 20. Oktober 1953 IV.8
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ERNST BUSSE* KEHRT NICHT ZURÜCK
IV.8.1 Anna Busse an den Staatspräsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Betr. Bitte um Fürsprache bei den sowjetischen Behörden um ein Lebenszeichen ihres Mannes und Übermittlung ihres entsprechenden Gesuchs vom 3.7.1953 an den Hohen Kommissar der UdSSR in Deutschland, W.S. Semjonow, 20.10.195382
Werter Genösse Pieck! In der Angelegenheit meines Mannes Ernst Busse* möchte ich mich als Genossin noch einmal vertrauensvoll an Dich wenden. Vorweg möchte ich darauf hinweisen, daß ich mich auf Grund Deines Anratens zweimal an den Genossen Walter Ulbricht gewandt hatte. Ich habe leider nie eine Antwort erhalten. Nunmehr sind bereits 3 Jahre und 7 Monate vergangen, seitdem Ernst fort ist - und noch immer habe ich kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, wie schwer das für mich und die 78-jährige alte Mutter von Ernst [Auguste Busse 83 ] ist. Diese Situation ist oft fur mich fast unerträglich. Es ist Dir ja nur zu gut bekannt, daß das Leben von Ernst und von mir seit unserer frühesten Jugend nur der revolutionären Arbeiterklasse und unserer Partei gehört hat. Und weil wir mit aller Treue und in aller Ehrlichkeit stets zu unserer Partei standen, ist unsere heutige seelische Lage besonders qualvoll. Um nun auch unser Leben wieder lebensweit zu machen, wende ich mich um eine neues Mal an Dich, lieber Genösse Pieck, im vollen Vertrauen zu Dir als alten Arbeiterfunktionär und heutigen Repräsentanten unserer Republik. Ich bitte Dich herzlich, bei den Sowjetischen Behörden dafür bemüht zu sein, daß ich und die Mutter von Ernst nunmehr zumindest recht bald ein Lebenszeichen von ihm erhalten. Ich brauche wohl nicht zu betonen, welche Bedeutung eine Gewißheit über Ernst für uns haben würde. Es wird Dich interessieren, daß ich am 3. Juli d.J. an den Botschafter der UdSSR in Berlin-Karlshorst, den Genossen W. S. Semjonow mit gleicher Bitte geschrieben habe, ohne jedoch eine Rückantwort erhalten zu haben. Zu Deiner Information lege ich Dir die Abschrift dieses Briefes bei. Bitte, lasse mich hoffen, von Dir recht bald etwas zu hören. Mit sozialistischem Gruß!
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Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur. Auch Auguste Busses Tochter Helene war nach ihrer Emigration in die Sowjetunion dort in den GULag gekommen. Sie sollte in den 50er Jahren in die DDR zurückkehren. Ihr einzig überlebender Sohn war schon in den 20er Jahren in die USA emigriert.
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IV Spuren in den GULag
Anlage: [Brief an W.S. Semjonow v. 3. Juli 1953 in Abschrift.] Bereits am 29. März 1950 wurde mein Mann, Ernst Busse, wohnhaft in BlnNiederschönhausen, Wahnschaffestr. 38 aus seiner Dienststelle, wo er als Vorsitzender der Landwirtschaftlichen Genossenschaften tätig war, von der damaligen Sowjetischen KontrollKommission zu einer Besprechung geholt und ist bis heute noch nicht zurückgekehrt. Am Abend des 29. März 1950 um 23 Uhr erreichte mich in unserer Wohnung ein Telefonanruf von der Sowjetischen Kontroll-Kommission, wo mir mitgeteilt wurde, daß mein Mann bei ihnen sei und ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Vertrauensvoll, wie ich immer in meinem Leben zur Sowjetunion gestanden habe und stehe, habe ich täglich auf die Rückkehr meines Mannes gewartet. Als mir aber die Zeit nach 8 Monaten doch zu lange wurde, habe ich mich vertrauensvoll an unseren Staatspräsidenten und Vorsitzenden der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, dessen Mitglied mein Mann auch war und ich noch heute bin, gewandt. Genösse Wilhelm Pieck konnte mir leider nur sagen, daß gegen meinen Mann Anschuldigungen aus der Zeit, die er im faschistischen Konzentrationslager Buchenwald verbringen mußte, vorliegen und diese Untersuchung in den Händen der Verantwortlichen der Sowjetunion liegt. Von dieser Seite wurde ich auch im Dezember 195084 vernommen. Aus dieser Vernehmung ist mir bis heute noch nicht klar, ob für meinen Mann Belastungen zu Grunde liegen. Darum komme ich mit der Bitte zu Ihnen, mir und der Mutter meines Mannes, die 77 Jahre alt ist und unter dieser Ungewißheit seelisch stark erschüttert lebt, ein Lebenszeichen durch Ihre Behörden von meinem Mann zu geben. Ich versichere Ihnen, fur jede Maßnahme, die von Seiten Ihrer Behörde aus über meinen Mann getroffen sein sollte, Verständnis entgegenzubringen. Aber in meinem Leben, welches ich stets der fortschrittlichen und friedlichen Entwicklung widmete, ist es mir jetzt fast unmöglich, ja sogar stark hemmend, bei der Ungewißheit über das Schicksal meines Mannes weiter als voll einsatzbereiter Mensch zu arbeiten. In fester Zuversicht, meine Bitte von Mensch zu Mensch aufzufassen, sehe ich Ihrer geschätzten Antwort entgegen. Hochachtungsvoll gez. Anna Busse
84
Anna Busse war am 3.1.1951 von einem Untersuchungsrichter des Sowjetischen Militärtribunals in Berlin in der Sache ihres Mannes vernommen worden.
IV. 8.2 Α. Busse an Ο. Winzer, 4. November 1955
399
IV.8.2 Anna Busse an den Chef der Privatkanzlei des Staatspräsidenten der DDR, Otto Winzer 85 . Betr. wiederholte dringliche Bitte um ein Gespräch über das Schicksal ihres Mannes, 4.11.1955 86
Werter Genösse Winzer, daß sich in diesen Tagen alle meine Gedanken nur auf einen Fall richten, kannst Du Dir wohl denken. Du weißt, daß ich im März ds. Js. in meiner persönlichen Angelegenheit mit Dir viele Telefongespräche führte und von Dir das Versprechen erhielt, nunmehr auf schnellstem Wege zu einer Klarstellung in der Frage meines Mannes zu gelangen. Du hast mir damals das Versprechen gegeben, mich unbedingt zu benachrichtigen. Jetzt befinden wir uns nach den vielen Entlassungen87 aus der Sowjetunion vor einer Situation, in der ich mir keine Antwort mehr darüber geben kann, warum ich bis heute weder von Ernst noch von Dir etwas erfahren habe. Kannst Du Dir meine heutige Verfassung auch nur annähernd vorstellen? Ich muß als Genossin, als Kämpfer, aber auch als Mensch weiterleben. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie die jetzt fast 80 Jahre alte Mutter von Emst nach dieser neuen absoluten Unklarheit geradezu zugrunde geht. Ich selbst kann diese Situation auch nicht mehr ertragen. Vielleicht darf ich Dich bitten, mir nunmehr unbedingt eine Aussprache mit Dir zu ermöglichen. Ich nehme an, daß gerade an Deiner Stelle über die Entlassungen aus der Sowjetunion jetzt völlige Klarheit besteht. Ich bitte Dich ebenso höflich wie eindringlich, mir schnellstens zu antworten. Mit sozialistischem Gruß! [Hinzufugung von der Hand Anna Busses] 17. Juni 1956 Mitteilung[:] 1952 verstorben 88
85
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Otto Winzer (1902-1975), Schriftsetzer, 1918 Mitglied eines Arbeiterrates, 1919 Freie Sozialistische Jugend und KPD, seit 1922 in Verlagen der Kommunistischen Jugendinternationale und in dieser selbst in Berlin, Wien und Moskau tätig, Mitglied der KPdSU(B), seit 1930 wieder in Deutschland, zahlreiche Auslandsreisen. 1934 Emigration nach Frankreich, 1935 nach Rußland, Mitarbeiter der Komintern und des Deutschen Volkssenders in Moskau. 1945 Rückkehr nach Berlin mit der Gruppe Ulbricht, Stadtrat fur Volksbildung im Magistrat von Groß Berlin, seit 1947 Mitglied des Parteivorstandes bzw. ZK der SED und dort Leiter der Presseabteilung, 1949 Stellv. Chefredakteur „Neues Deutschland". 1949-56 Staatssekretär und Chef der Privatkanzlei des Staatspräsidenten der DDR und MdVK, seit 1956 stellvertretender und 1965-75 Außenminister der DDR. Landesparteiarchiv Thüringen der PDS, ohne Signatur. Durchschrift der Absenderin. Sie bezieht sich offenbar auf die zahlreichen Entlassungen von in der Sowjetunion inhaftierten Deutschen nach Adenauers Moskau-Besuch 1955. Offenbar war Anna Busse der Tod ihres Mannes zu diesem Zeitpunkt von einer offiziellen Stelle persönlich oder telefonisch mitgeteilt worden. Vom Suchdienst des Roten Kreuzes in West-Berlin, an das sich Auguste Busse gewandt hatte, waren sie schon ein Jahr vorher aufgrund der Aussagen zurückkehrender Mitgefangener vom Tod Emst Busses unterrichtet worden, allerdings mit einem nicht ganz zutreffenden Sterbedatum (1953) und inoffiziell.
400 IV.9
IV Spuren in den GULag
Erich Reschke* an das Buchenwald-Komitee. Betr. Bericht über meine Festnahme, Anklage, Belastung und Verurteilung (November 1955) 89
Liebe Kameraden! Nachstehend einen Bericht über meine Festnahme, Anklage, Belastung und Verurteilung. Am 8. Juni 1950 durch Organe des Ministeriums für Staatssicherheit der U.d.S.S.R. in Bautzen verhaftet. Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit [im KZ Buchenwald] auf Grund des Kontrollratsgesetzes vom 20.12.45. Belastungsmaterial 1.) 2.) 3.) 4.)
Den Hund (Bella) 90 auf sowjetische Häftlinge gehetzt und selbige mißhandelt zu haben. Häftlinge der politischen Abteilung91 vorgeführt. Transporte von sowjetischen Häftlingen aus dem Lager Buchenwald vorbereitet, und Häftlinge zur Arbeit angetrieben haben. Durchführung von Zählappellen, wodurch Häftlinge des öfteren stundenlang auf dem Appellplatz stehen mußten.
Belastungszeugen B.V. Häftling Jung, die politischen] Häftlinge Richard Otto und Vicktor de Latree [Victor de Latry]. 92 B.V. Häftling Jung hat seine belastenden Aussagen zu Punkt 1 in der Strafanstalt Bautzen gemacht, dort saß er als Gefangener der Freunde93 . Richard Otto war Stubendienst auf Block 36, ein pol. Häftling mit kriminellem Einschlag, [über] den ich mal eine Meldung machen mußte, weil er auf seinem Block, er war auch noch Blockeinkäufer, größere Mengen Rauchwaren seinen Kameraden vorenthalten hatte, die er an andere Häftlinge für teueres Geld wieder weiter verkaufte. Der Blockälteste war zu der Zeit Victor Drewnitzky [Drewnitzki]*.
89 90 91 92 93
BWA 32/XII-5/1. Kopie von handschriftlichem Brief auf Privatbriefkopf. Ausdrucksweise und Orthographie sind belassen. Er war ihm als 1. Lagerältesten von der SS zum Selbstschutz geschenkt worden. Reschke trennte sich nie von ihm. Gemeint ist: die Abteilung 2 der SS-Lagerkommandantur des KZ Buchenwald, d.h.: der Gestapo. Jung und Otto: nicht identifiziert. Victor de Latry (geb. 1913), Journalist aus der Schweiz, ab. Januar 1945 im KZ Buchenwald, Schreiber im Kleinen Lager. Nach 1945 von sowjetischen Organen im SpezLager Nr. 2 Buchenwald inhaftiert, wo er Belastungsmaterial gegen Reschke zusammenstellte. In den 50er Jahren in der DDR - wohl im Kontext der Entwicklung der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft zur größten Massenorganisation der DDR - entstandene Bezeichnung für Russen.
IV. 9 Ε. Reschke über seine SMT-Verurleilung, November 1955
401
Victor de Latry, angeblich Schweizer Staatsangehöriger, ist mir aus dem Lager nicht bekannt, soll im Kleinen Lager Schreiber gewesen sein, ich habe ihn erst nach 1945 in meiner Eigenschaft als Chef der Polizei in Thüringen94 zu Gesicht bekommen. De Latry fuhr immer mit einem P.K.W, in Thüringen unter dem Deckmantel des Schweizer Roten Kreuzes herum und machte allerhand krumme Sachen, bis ich ihm das Handwerk legte und die Kripo beauftragte, Latry zu verhaften: er war nicht lange in Haft, wurde aber kurze Zeit darauf von einer sowjetischen Einheit verhaftet und in das Lager Buchenwald95 überfuhrt, dort hat er sein Material gegen uns Kameraden zusammengestellt. Wie mir beim Abschluß meiner Untersuchung das Protokoll des Latry vorgelesen wurde, kam ich aus dem Staunen über soviel Mist, den er da zusammengeschmiert hatte, nicht heraus, außer meiner Person wurden noch die Kameraden Busse*, [Otto] Kipp*, [Stefan] Heymann*, [Willi] Seifert* u. [Robert] Siewert* und andere [erwähnt], deren Namen mir nicht mehr in Erinnerung sind. Unter dem geschilderten wurde ich dann am 22.2.1950 vom sowjetischen Militär Tribunal zu lebenslänglichen Zuchthaus verurteilt.96 Ich bitte euch Kameraden, zu meinem Bericht Stellung zu nehmen, es bleibt euch überlassen, darüber zu urteilen, ob ich noch würdig bin, und in euren Reihen aufgenommen werden kann, für mich ist es nicht leicht, mich in Reihen von Genossen und Kameraden zu bewegen, die nur ein Schulterzucken fur mich übrig haben. Dieses habe ich in den 8 Wochen, wo ich wieder in Freiheit bin, erleben müssen, darum bitte ich euch, da nur ihr in der Lage sein könnt, mich zu rehabilitieren, das ich der Alte noch bin, der ich immer gewesen, trotzdem ich all dieses hab['] durchmachen müssen. Darauf könnt ihr versichert sein. Ich verbleibe mit den kameradschaftlichen Grüßen [gez.] Erich Reschke
94 95 96
Erich Reschke war 1945/46 Chef der Landespolizeistelle des Landes Thüringen, d.i. Polizeipräsident des Landes. Gemeint ist: das sowjetische Sonderlager, das ab Sommer 1945 im KZ Buchenwald zunächst für NS-Belastete, aber auch fiir Gegner der sowjetischen Besatzung eingerichtet wurde. Das Urteil vom 27.2.1951 und seine Gründe sind nach russischen Archivrecht derzeit nicht zugänglich, da Reschke zwar 1955 vorzeitig entlassen, aber in der Sowjetunion nicht rehabilitiert wurde (vgl. Dok. VI. 10).
V
KADERKONTROLLE 1950-1955 IM SCHATTEN VON „SÄUBERUNG" UND SCHAUPROZESS
V. 1
ABGANG DER KAMERADEN
V.l.l
Sekretariatsbeschluß des Z K der SED. Betr. Verwendung Robert Siewerts*, 14.4.19501
Top 8: Verwendung des Genossen Siewert: Genösse Siewert übernimmt mit Wirkung vom 5.4.1950 die Funktion des stellvertretenden Leiters der HA Bauwesen im Ministerium fur Aufbau. Gleichzeitig wird die Stellenplan-Kommission beauftragt, die in dieser Hauptabteilung nur vorgesehene Ε 5 (Gruppenleiter-)Stelle in eine Ε 3-Stelle umzuwandeln und den Leiter, Genossen Pistemik 2 , aus der bisherigen Ε 3- in eine Ε 2-Stelle umzustufen.
V.1.2
Hermann Matern. Betr. „Ergebnis der Untersuchung Walter Bartel*" (durch die ZPKK), 24.5.19503
[,..]4 Gen. Bartel wurde am 26.3.1933 in Berlin mit noch anderen Parteikurieren verhaftet und im Februar 1934 vom Kammergericht Berlin zu 2 1/4 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1
2 3
4
S A P M O - B A , ZPA J IV 2/3/100. Robert Siewert bekleidete bis dahin die Funktion des 1. Vizepräsidenten und Mdl in Sachsen-Anhalt. Er wurde wegen seiner früheren KPO-Zugehörigkeit aus dieser Position entlassen. Im KZ Buchenwald war Siewert Kapo des Baukommandos. Nicht identifiziert. S A P M O - B A , ZPA IV 2/1 l/v.5545, Bl. 137f. Auf Beschluß des P B der S E D vom 9 . 1 . 1 9 5 0 war am 24.5.1950 eine Untersuchung durch die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) gegen Walter Bartel in Gang gesetzt worden, in deren Zentrum Bartels Parteiausschluß aus der KPD im Prager Exil im Jahre 1936 stand. In der Zeit seiner politischen Funktion als Mitglied der illegalen Parteileitung der K P D im K Z Buchenwald war Bartel streng genommen gar nicht Mitglied der KPD. Die Z P K K wurde am 15 /16.9.1948 eingerichtet. Hermann Matern ( K P D ) und Otto Buchwitz (SPD) teilten sich für kurze Zeit formell paritätisch den Vorsitz. Buchwitz wurde aber schon 1950 nicht wiedergewählt. Von da an blieb Matern alleiniger Vorsitzender. Die Z P K K bestand 1950 aus den Mitgliedern Ernst Altenkirch, Herta Geflke, Max Sens, Herbert Witthold, Felix Stanislawski, Otto Holz, Günter Tenner und den fünf Kandidaten: Max Benkwitz, Richard Eyermann , Heinrich Mosler, Arthur Ullrich und Otto Sepke . Im ersten Absatz wird von Hermann Matern vermerkt, daß dies eine langwierige und schwierige Untersuchung gewesen sei, die bis heute nicht völlig abgeschlossen werden konnte.
404
V Kaderkontrolle 1950-55
Nach Ablauf der Strafhaft wurde er zur Gestapo nach Berlin geholt und nach Unterschrift eines Reverses [sie] entlassen. Nach eigenen Angaben hat ihm die Gestapo angeboten, für sie zu arbeiten. Das hätte er abgelehnt. Er hat dann einen Revers unterschrieben, der uns im Original nicht bekannt ist. Nach seinen Angaben lautet ein Absatz sinngemäß: Der Unterzeichnete verpflichtet sich, alle Personen, die ihn zu einer staatsfeindlichen Tätigkeit auffordern, der Gestapo zu melden. Darauf erfolgte seine Entlassung. Im Anfang 1936 wurde Gen. Bartel von der Partei aufgefordert, nach Prag zu emigrieren. Das Ergebnis der dort geführten Untersuchung war die Ausschaltung von jeder Parteiarbeit. Bei der Besetzung der CSR durch die Nazi-Armee wurde Gen. Bartel nicht evakuiert. Er wurde von der Gestapo verhaftet und ohne Prozeß in das KZ Buchenwald eingeliefert. Die von der Auslandsleitung der KPD 1936 ausgesprochene Nichtheranziehung zur Parteiarbeit wurde als Parteiausschluß betrachtet. Am 11.3.1946 hat das Sekretariat des ZK der KPD beschlossen, dem Gen. Bartel die volle Mitgliedschaft wieder anzuerkennen. Alle befragten Genossen, die mit Bartel im Zuchthaus und KZ waren, bestätigen, daß sein Verhalten einwandfrei und aktiv für die Partei war. Es war uns nicht möglich, die Zusammenhänge der Verhaftung 1933 und den Ablauf des Prozesses 1934 gründlich zu untersuchen, um Anhaltspunkte für das Verhalten der Gestapo zu bekommen. Wir sind darin nur angewiesen auf die Angaben des Gen. Bartel. Prozeßakten waren bisher nicht zu finden. Im Prozeß waren 10 Angeklagte, die mitverurteilt wurden als Parteikuriere. Wir haben uns bemüht, die Namen der Mitangeklagten zu erhalten, um volle Klarheit über die Verhaftungen und den Prozeß zu bekommen, um nicht nur auf die Angaben des Gen. Bartel angewiesen zu sein. Das war bisher nicht möglich, der Genösse Bartel kann sich an keine Namen seiner Mitangeklagten erinnern. Wir haben natürlich auf die Bedeutung dieser Tatsache aufmerksam gemacht. Die ZPKK ist der Auffassung, daß solange es nicht möglich ist, andere Beteiligte zu befragen, die Zusammenhänge und die Bedeutung der Unterschrift unter den Revers nicht völlig geklärt werden können. Wir schlagen vor, den Gen. Bartel aus seiner jetzigen Funktion abzulösen und in einer anderen, nicht zentralen Arbeit zu beschäftigen. Aktennotiz zum Beschluß des Sekretariats des Politbüros vom 6.6.1950: Der Bericht [der ZPKK] wird zur Kenntnis genommen. Es wird gegen eine Stimme beschlossen, von einer Änderung der Funktion des Gen. Bartel Abstand zu nehmen.
V.l.4 Τ. Waibel, 4. April 1952
405
V.1.3 Sekretariatsbeschluß des ZK der SED. Betr. Harry Kuhn", 26.2.19515
Top 47: Angelegenheit des Gen. Harry Kuhn, zur Zeit Generalsekretär der VVN. Der Beschluß der ZPKK vom 15.2.1951 - „Der Genösse Harry Kuhn erhält wegen mangelnder Wachsamkeit gegenüber Parteifeinden eine Rüge. Er kann keine leitenden Funktionen in Partei, Massenorganisationen und Verwaltungen bekleiden" - wird zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Beschluß des Sekretariats vom 29.1.1951 über den Einsatz des Genossen Harry Kuhn durch den Genossen Stoph6 wird aufgehoben. Die Kaderabteilung wird beauftragt, den weiteren Einsatz des Genossen Kuhn festzulegen.
V.1.4 Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit. Betr. „Beschuldigungen gegen den ehemaligen Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Ernst Brandt*", 18.6.19517
Anklagepunkt I Brandt wird zu Last gelegt: Als Minister fur Land und Forst in Sachsen-Anhalt die Verordnung vom 15.6.49 über die Bildung von volkseigenen Gütern, worin es heißt, daß bereits aufgeteilte Ländereien an Neusiedler nicht zu Volkseigentum erklärt werden können, verstoßen zu haben. a) Brandt hat dadurch verstoßen, gegen das Gesetz der Bodenreform, indem er Zersetzungsarbeit leistete durch Förderung der Propaganda unserer Gegner gegen die Neusiedler. b) Die Anschuldigungen stützen sich auf die Aussagen der festgenommenen Personen [...], die Zeugenaussagen [es sind drei Personen aufgeführt] sowie gegen den Beschluß der Landesbodenkommission vom 16.1.50 (Bl. 14) und das Belastungsmaterial, welches von der Landesbodenkommission eingeholt wurde (Bl. 14-16, 17-19, 19-23).8 Von dem Sachbear5 6 7
SAPMO-BA, ZPA J IV 2/3/177. Willi Stoph (geb. 1914), war zu dieser Zeit Mitglied und Sekretär des ZK der SED. BStU, AU 473/71 Bd.V, Bl.213f. Der Bericht wurde vom MfS in Halle, Abteilung IX (d.i. Untersuchungen) nach Berlin, Abteilung III (Sicherung Leichtindustrie) gesandt. Gegen Brandt wurde in diesem Ermittlungsbericht ein fur Kommunisten grotesk anmutender Vorwurf erhoben, nämlich - entgegen der damals gerade noch gültigen Agrarpolitik der Aufteilung der Ländereien an Neusiedler - die Kollektivierung zu energisch vorangetrieben zu haben. Er wurde von zwei verhafteten Genossen aus dem Ministerium Land- und Forstwirtschaft belastet, wegen „Sabotage an der Bodenreform in Sachsen-Anhalt" und gleichzeitig wegen „Sabotage in der Forstwirtschaft" verhaftet, mehrmals verhört, schließlich aber am 19.11.1951 aus der Untersuchungshaft des MfS entlassen. Er wurde vom Minister zum Kulturdirektor im VEB Dampfkesselbau Hohenturm degradiert und 1952 zum Werkleiter des Hallenser VEB Maschinenfabrik gemacht.
8
An dieser Stelle wurden von der Gauck-Behörde die Namen der Zeugen geschwärzt. Die Anlagen zu diesem Bericht waren ebenfalls nicht einzusehen.
406
V Kaderkontrolle 1950-55
beiter Rudloff 9 wird erklärt, die Überprüfungen, ob diese Anschuldigungen zu Recht bestehen, können unsererseits nicht durchgeführt werden, da nach Rücksprache mit unseren Freunden 10 eine Unterredung mit dem ZK Politbüro oder dem stellvertretenden Ministerpräsidenten erforderlich wäre. Diese Aufgabe bitten wir von dortigen Dienststelle durchzufuhren. Anklagepunkt II Brandt wird zur Last gelegt: Die Arbeit der Landesbodenkommission und dessen Sekretariat sabotiert zu haben, indem er ein Zustandekommen einer Sitzung der Landesbodenkommissionsmitglieder seit April 1950 immer wieder aufschob, so daß nach April 1950 im weiteren Verlauf des Jahres 1950 eine solche nicht mehr stattfand und zu übergroßer Rückgabe von Neubauernsiedlungen nicht Stellung genommen werden konnte. Das Sekretariat der Landesbodenkommission und die Unterabteilung Agrar- und Bauernpolitik des Ministeriums personell zu schwach besetzt waren, obwohl ihm dieses bekannt war. Die Anschuldigungen stützen sich auf die Aussagen der Festgenommenen [es werden zwei Personen angeführt], sowie des Schriftenmaterials, welches vom Sekretariat der Landesbodenkommission eingeholt wurde (Bl. 24-31). Vom Sachbearbeiter Rudloff wurden beim Sekretariat der Landesbodenkommission Erkundungen eingeholt und festgestellt, daß im Oktober und November 1950 die Sitzung der Landesbodenkommission angesetzt war und auf Brandts Veranlassung verschoben wurde und eine solche im Jahre 1950 überhaupt nicht mehr stattfand. Robert Siewert* (damaliger Innenminister Sachsen-Anhalts) war bis März 1950 erster Vorsitzender der Landesbodenkommission. nach dessen Fortgang nach Berlin blieb diese Funktion unbesetzt. Die Verantwortung und Leitung der Landesbodenkommission wurde somit dem 2. Vorsitzenden Brandt übertragen. Stellungnahme des Sachbearbeiters: Da es sich bei Brandt um einen Funktionär unserer Partei handelt und unsererseits die Verbindung zum ZK bzw. Politbüro fehlt, bitten wir, mit demselben in Verbindung zu treten und uns die Entscheidung mitzuteilen. Zu veranlassen wäre: 1. Brandt festzunehmen und eine Haussuchung vorzunehmen a) durch die Festnahme und Vernehmung ihn seiner Handlung zu überfuhren, b) durch Hausdurchsuchung Belastungsmaterial zu finden.
9 10
Nicht identifiziert. Offenbar wurde dieser Fall mit der Sowjetischen Kontrollkommission in Sachsen-Anhalt diskutiert.
V.1.6 Τ. Waibel, 4. April 1952
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V.l.5 Sekretariatsbeschiiisse des ZK der SED. Verwarnung für Hermann Zilles* und Otto Halle* und Versetzung Hermann Zilles, 27.3.52 und 3.4.1952 11
Laut Beschluß des Sekretariats des ZK vom 27. März 1952 erhalten die Genossen Otto Halle und Hermann Zilles wegen mangelnder ideologischer Wachsamkeit die in der Genehmigung der Sendung „Betriebsabend Abus-Wildau" 12 zum Ausdruck kam, eine Verwarnung. Laut Beschluß des Sekretariats des ZK vom 3.4.1952 wird der Genösse Hermann Zilles von seiner jetzigen Funktion als Stellv. [ertretender] Intendant des Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders abgelöst. Genösse Zilles wird als Leiter des Landessenders Halle eingesetzt. 13
V.1.6 Beschluß der ZPKK. Parteiausschluß Toni Waibel*, 4.4.1952 14
Begründung: Waibel ist ein parteifeindliches, trotzkistisches Element. Die LPKK Groß-Berlin befaßt sich bereits 1949 mit Waibel wegen seines Verhaltens im Lager Dachau. W.[aibel], der in Dachau eine schlechte Rolle spielte, hat bis 1951 die LPKK über seine Vergangenheit bewußt belogen. Erst durch inzwischen eingegangene Aussagen von Funktionären der KPD Westdeutschlands und einigen Genossen der SED konnte W. als Trotzkist entlarvt werden. Die Aussagen bestätigen, daß W.[aibel] schon vor 1933 trotzkistische Tendenzen hatte und diese in der Nazizeit im Lager Dachau offen zum Ausdruck brachte. Er trieb dort eine antisowjetische Hetze, besonders gegen den Genossen Stalin und die bolschewistische Partei. Er bezeichnet Trotzki als den fähigsten Kopf nach Lenin. Waibel war der Organisator der trotzkistischen Gruppe im Lager. Die Genossen bringen zum Ausdruck, daß Waibel in Westdeutschland auf Grund seines Verhaltens niemals in die KPD aufgenommen wäre.
11 12
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Beide in: SAPMO-BA, Z P A I V 2/11/v. 521, unpaginiert. Vorgang nicht zu rekonstruieren. Offenbar hatten Hermann Zilles als Stellvertretender Intendant des Berliner Rundfunks und Otto Halle als Redakteur für die Sendung in der Reihe „Betriebsabend" mit Beiträgen aus Abus-Wildau geradezustehen. Kurz darauf wurde Hermann Zilles ein Beitrag über die „Untergrundlockerung" in der Rundfunksendung „Dorfabend" zum Verhängnis. Die Betriebsparteiorganisation kritisierte in diesem Beitrag kabarettreif „die Lächerlichmachung der Untergrundlockerung" bei der Bearbeitung des Bodens, und sie vermutete Subversives und sogar „eine ausgesprochene politische Schädlingsarbeit". SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/69, Bl. 269f. Es handelt sich hierbei um einen bekräftigenden Beschluß über den Parteiausschluß Toni Waibels, der auf Vorschlag der LPKK Berlin, den Beschluß über Waibels Parteiausschluß der Landeskommission Berlin vom 6.9.1951 bestehen zu lassen, von der ZPKK übernommen wurde.
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V Kaderkontrolle 1950-55
Auch nach 1945 setzte W. seine parteifeindliche Tätigkeit fort. Das kommt zum Ausdruck in seinem doppelzünglerischen und sektiererischen Verhalten als Funktionär der Kreisleitung und Vorsitzender der VVN in Berlin-Reinickendorf. W.[aibel] anerkannte nicht die Linie der Partei. Er stimmte den Fragen der Blockpolitik, den Aufgaben der Nationalen Front, sowie der Aktionseinheit formal zu und sabotierte die Durchführung der Parteiaufgaben. Seine sowjetfeindliche Haltung kommt darin zum Ausdruck, daß W.[aibel] auf Befragen, warum er nicht Mitglied der DSF sei, äußerte: wenn die Partei einen Beschluß faßt, daß alle Mitglieder in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft eintreten müssen, dann trete ich auch ein. Die ganze Haltung und feindliche Arbeit des W.[aibel], seine Vergangenheit und seine Verbindungen zu Parteifeinden (wie Hausotter15 usw.) lassen auf Agententätigkeit schließen und rechtfertigen den Ausschluß. Matern
V.1.7 Fritz Männchen*. Aus der Kurzbiographie. „Beruflicher Werdegang", 20.7.195316
Beruflicher Werdegang: 1915-1918 1918-1920 1920-1933
1945 1946-1947 1947-1949 1949-1951 1951-1952 1952-jetzt
15 16 17
Maschinenschlosserlehrling Schlossergeselle Angehöriger der Landespolizei Dresden, besuchte die Polizeischule in Dresden, 6 Semester Spezialausbildung: Kriminalpsychologie Kriminaldirektor der Kriminalpolizei Dresden Kriminaldirektor im Landeskriminalamt Leiter des Kreispolizeiamtes in Dresden Amtsleiter im VPKA Dippoldiswalde (Oberrat) krank gewesen 17 Leiter des VEB Färberei u. Chemische Reinigung in Dippoldiswalde
Herbert Hausotter. Nach 1945 Leiter der Hauptabteilung V „Überterritoriale Fragen der Industrie innerhalb der Deutschen Zentralverwaltung der Industrie". SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 1566. Die Kaderakte enthält neben der tabellarischen Kurzbiographie auch einen „freien" Lebenslauf, der Fritz Männchen seit 1920 als gelernten Polizisten ausweist. Nach Angaben von Emil Carlebach , dem ehemaligen Mithäftling aus dem KZ Buchenwald, wurde Fritz Männchen, ehemals Mitglied des Parteiaktivs im KZ Buchenwald, zusammen mit Ernst Busse* und Erich Reschke* vom NKWD verhaftet und nach Workuta gebracht. Vgl. das Mitteilungsblatt der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora: Die Glocke vom Ettersberg, Nr. 113, IV/1988.
V I.8 W. Jurich, 27. März 1954
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V.1.8 Beschluß der ZPKK. Zur Selbstanzeige Walter Jurichs*, 27.3.1954 18
Die Eingabe des Genossen Jurich betr. Durchführung eines Parteiverfahrens gegen sich wird zurückgewiesen. Die durchgeführten Untersuchungen ergaben keinen Anlaß, den Genossen Jurich wegen der gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen parteimäßig zu Verantwortung zu ziehen. Die in einem Parteiverfahren gegen ihn im Oktober 1952 erteilte strenge Rüge besteht zu Recht. Das damit in Verbindung ausgesprochene Funktionsverbot von 2 Jahren wird auf 1 1/2 Jahre herabgesetzt. Begründung: Genösse Jurich beantragte nach seiner Ablösung als Polizeipräsident in Leipzig gegen sich die Einleitung eines Parteiverfahrens. Beschuldigungen und Unklarheiten bestanden 1. Über das Verhalten des Genossen J.[urich] im Lager Buchenwald, seine Entlassung 1943 und seine Tätigkeit als Zivilarbeiter im Standortbereich des KZ Buchenwald. 2. über seine Beziehungen 1947/48 zu Genossen aus Westdeutschland, wobei besonders die Frage der Verbindung des Genossen J.[urich] zu dem ehem.faligen] Polizeipräsidenten von Braunschweig, Baerensprung 19 , zur Überprüfung stand. Die ZPKK leitete damals sofort Untersuchungen ein, die jedoch nicht zum Abschluß gebracht wurden. Die erneut vorgenommene Durchsicht der vorhandenen Unterlagen sowie die mit Genossen J.[urich] geführten Aussprachen ergaben keinen Anhaltspunkt, den Genossen J.furich] parteimäßig zur Verantwortung zu ziehen. Im Lager Buchenwald war der Genösse J.[urich] durch die Parteileitung mit der Abwehrarbeit beauftragt. In der Lösung dieser Aufgaben gab es verschiedentlich Meinungsverschiedenheiten, die zeitweise auch dazu führten, daß Genösse J.[urich] mit einigen sächsischen Genossen engeren Zusammenhalt pflegte, der von Genossen als Gruppenbildung angesehen wurde. Eine gegen die Politik der Parteileitung in Buchenwald gerichtete Einstellung kann dem Gen. J.[urich] jedoch nicht nachgewiesen werden. Es gibt auch für seine Entlassung 1943 aus dem KZ Buchenwald und seine Tätigkeit als Zivilarbeiter im SS-Standort-Bereich keinen Hinweis des Verrates durch Gen. J.[urich] Die Verbindung zu Genossen im Lager sowie zu Genossen außerhalb des Lagers bestanden weiterhin. Es ist anzunehmen, daß die 1943 erfolgte Entlassung auf die Gesuche seiner Eltern und seiner Frau zurückzuführen sind. Genösse J.[urich] gibt an, Verpflichtungen allgemeiner Art, wie z.B. keine Verbindung zu den politischen Häftlingen aufzunehmen, den Standortbereich nicht zu verlassen, sowie die Frau, mit der Genösse J.[urich] vor seiner Inhaftierung zusam18
19
SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 197. Nach aller Erfahrung mit den internen Kaderüberprüfüngen der SED ist eine politische Selbstanzeige - obwohl sie in der Idee der kommunistischen Glaubensgemeinschaft vorgesehen ist höchst selten zu finden. Horst Baerensprung (1893-1952), SPD, Rechtsanwalt, 1922/23 Mitbegründer der Republikanischen Notwehr und 1924 des Reichsbanners, 1930 Polizeipräsident in Magdeburg, 1933 kurzfristig in Haft, danach wegen Attentatsplänen der SA Flucht nach Warschau, 1934 nach Shanghai emigriert, 1939 USA, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1947-1951 Polizeipräsident in Braunschweig.
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V Kaderkontrolle 1950-55
menlebte, zu heiraten, übernommen zu haben. Gen. J.[urich] will sich nicht mehr entsinnen, ob er sich unterschriftlich fiir die Einhaltung dieser Verpflichtung erklärte. Die Ablösung des Genossen J.[urich] als Polizeipräsident 1949 war politisch richtig. Sie war erforderlich aus den noch nicht geklärten Verhältnissen im Lager sowie der unklaren Beziehung zu Genossen nach Westdeutschland. Wenngleich der Genösse J.[urich] auch keine direkte persönliche Verbindung zu dem ehem. SPD-Polizeipräsidenten von Braunschweig, Baerensprung, hatte, so muß doch seine Empfehlung, B.[aerensprung] sei als positiv im Sinne unserer demokratischen Entwicklung einzuschätzen, zu falschen Schlußfolgerungen fuhren. Ein Vorwurf nicht genügender Wachsamkeit muß hier erhoben werden. Die Berufung darauf, daß Genösse Weingärtner*, Mitglied der KPD, der zu dieser Zeit im Polizeipräsidium Braunschweig als Kriminalangestellter tätig war, diese Beurteilung von Barensprung dem Gen. J[urich] anläßlich eines Besuches der Leipziger Messe gab, kann nicht als ausreichend angesehen werden. Genösse J.furich] will die damals erhaltenen Informationen sofort an die zuständigen Stellen weitergeleitet haben. Die ZPKK kommt zu der Auffassung, daß die vom Gen. J.[urich] 1950 und auch heute gegebene Darstellung nicht voneinander abweichen und als wahr angesehen werden können. Die im Oktober 1952 erhaltene Parteistrafe wegen parteimäßig nicht richtigen Verhaltens als Werkleiter im DK-Reifenwerke Finsterwalde erkennt der Genösse J.[urich] als richtig an. 20 Die damit verbundene Funktionsenthebung auf 2 Jahre hält die ZPKK nach Ablauf von nunmehr 1 1/2 Jahren als beendet. Es bestehen keine Bedenken, den Genossen J.[urich] entsprechend seinen Fähigkeiten und Qualitäten im Wirtschaftsapparat zu verwenden. 13.3.54: Wir bitten die KPKK Roßlau, Gen. J.[urich] von dem Beschluß der ZPKK mündlich zu informieren und die Erledigung sofort an die ZPKK zu berichten.
V.2
Heinz Mißlitz* an Hermann Matern. „Betr. Slänsky-Prozeß21 in Verbindung mit der Aussage des Angeklagten Josef Frank*", 27.4.1953 22
Werter Genösse Matern! U.a. heißt es in dem Protokoll: „Prokurator: Auf wessen Weisung und in welcher Weise schickten Sie die Gefangenen in den Tod? 23 20 21
Ursache fiir die Parteistrafe 1952 nicht vermerkt. Rudolf Slänsky (1901-1952), 1921 Gründungsmitglied der KPTsch, Mitgl. des ZK, 1938 nach dem Münchener Abkommen flüchtete S. in die SU. In den letzten Kriegsjahren organisierte er den Partisanenkampf in der Slowakei. Nach der Befreiung Generalsekretär der KPTsch. Am 23 .11.1951 wurde er verhaftet und zur zentralen Figur in einem von Stalin verordneten Schauprozeß gemacht. Der „Prozeß gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slänsky an der Spitze" begann am 20.11. und endete am 27.11.1952 mit
V.2 Η. Mißlitz über W. Seifert und den Slansky-Prozeß, 27. April 1953
411
Frank: Die Weisungen für die Zusammenstellung der Transporte gab die Lagerleitung durch den Hauptkapo Willi Seifert*, der mir Verzeichnisse der Gefangenen gab, die fur den Transport bestimmt waren. In diesen Verzeichnissen habe ich nach der Statistik, die ich im Lager zur Verfugung hatte, die Namen jener Gefangenen angestrichen, die wegen ihres Berufes, ihrer Qualifikation und dergleichen zur Arbeit im Lager oder in einigen Fabriken bestimmt waren. Außerdem habe ich in die Transporte auch einige Gefangene russischer Nationalität eingereiht, die nicht für den Transport bestimmt waren." Der in der Aussage Franks erwähnte Willi Seifert ist Nomenklaturfunktionär des ZK und als Generalinspekteur der VP tätig. Ich war von 1937-1945 Gefangener in Buchenwald, glaube die Zusammenhänge einigermaßen zu kennen und sprach nach Bekanntwerden der Aussage Franks mit Genossen, die ebenfalls mit mir im Lager waren. Wir waren uns einig, auch nach Rücksprache mit Gen. Otto Seppke [Sepke]*, daß wir im eigenen Interesse bemüht sein müssen, die auf uns Bezug nehmende Aussage dieses Prozesses nach Möglichkeit zu klären. Zur Arbeitsstatistik in Buchenwald Ich setze als bekannt voraus, daß die illegale Partei im Konz. Lager Buchenwald die Linie verfolgte, Schlüsselpositionen mit Genossen zu besetzen und in allen unseren Handlungen versucht wurde, unsere eigenen Kader zu schützen und zu retten. Alle Genossen in Funktion waren der Partei Rechenschaft schuldig über ihre Handlungen und wurden von ihr kontrolliert. Wo Kommandos mit verschiedenen Nationalitäten besetzt waren, unterstanden die betreffenden anderen Nationalitäten ihren nationalen Komitees.
22
23
einem Urteil, das für drei Angeklagte lebenslängliche Zuchthausstrafen und fur 11 Angeklagte, darunter Slänsky und Frank, die Todesstrafe vorsah. Das Urteil wurde am 3.12. vollstreckt. Mit dem Abschluß des Schauprozesses setzte eine Welle von Verhaftungen und Parteiverfahren gegen weniger prominente Parteifunktionäre ein. Die Verfolgungswelle dehnte sich vom „Zentrum" auf die „Peripherie" aus. Sie wurde eher zufallig, nur durch den Tod Stalins am 5.3.1953, beendet. Die posthume Rehabilitierung Slänskys erfolgte 1963, die politische 1968. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/375, Bl. 201f. Zu Hermann Matern, s. Kurzbiographie in Dok. III. 11, Anm. 104. Der oben abgedruckte Brief ist mit folgenden Anweisungen zur Ablage fur die Parteibürokratie versehen: handschriftl. Vermerk mit Rotstift: „Ablegen. Abschrift für Gen. Zaisser i. 5.5.53", handschriftl. Vermerk mit Bleistift: „Buchenwald". Er wurde also nicht nur in den ZPKK-Materialien zu Ernst Busse*, sondern auch im Vorgang „Buchenwald" abgelegt und für das MfS kopiert. Wilhelm Zaisser war im Februar 1950 gerade Minister für Staatssicherheit geworden. Wilhelm Zaisser (1893-1958), geboren in Rotthausen b. Gelsenkirchen als Sohn eines Gendarmeriewachtmeisters, 1899-1913 Volksschule, Präparandenanstalt, Evangelisches Lehrerseminar, 1913/14 Militärdienst, im Ersten Weltkrieg Leutnant, Volksschullehrer in Essen, 1919 KPD, 1921 wegen Beteiligung an der Roten Ruhrarmee aus dem Schuldienst entlassen, 1924 Lehrgang an der 1. Militärschule in Moskau, Agent des militärischen Nachrichtendienstes der SU (u.a. in China), 1927 Mitarbeiter der KI in Moskau, 1932 Mitglied der KPdSU(B), 1936-1938 als „General Gomez" im Spanischen Bürgerkrieg Stabschef aller Internationalen Brigaden, 1938/39 als Übersetzer in der SU, Mitarbeiter des EKKI, 1939-1943 Chefredakteur im Verlag für fremdsprachige Literatur in Moskau, 1943-1946 Leiter der Antifaschule Krasnogorsk. 1947 Rückkehr nach Deutschland, SED, 1947/48 Chef der Landesbehörde der Polizei in Sachsen-Anhalt, 1948-1950 Mdl in Sachsen, 1950-1953 Minister für Staatssicherheit und PB-Mitglied, im Juli 1953 wegen „parteifeindlicher fraktioneller Tätigkeit" zusammen mit Rudolf Herrnstadt abgesetzt und aus dem PB und ZK ausgeschlossen, Anfang 1954 Parteiausschluß. Bis zu seinem Tode war Zaisser als Mitarbeiter des Dietz Verlages und des IML tätig. Prokurator: Bezeichnung für (General-)Staatsanwalt. Mißlitz zitiert hier aus dem Protokoll des Schauprozesses, das in Prag (Orbis Verlag) veröffentlicht und in Auszügen auch in der Parteipresse der SED abgedruckt wurde.
412
V Kaderkontrolle
1950-55
Das traf auch für die Arbeitsstatistik, wo Seifert und Frank arbeiteten, zu. Da Buchenwald zuletzt mehr als 100.000 Häftlinge unterstanden, im Lager aber normalerweise nur Platz für 15.000 vorhanden war, ergab [es] sich von selbst, daß die SS das Schwergewicht beim Arbeitseinsatz auf die Verwendung dieser Arbeitskräfte in Außenkommandos legte. Der Arbeitseinsatz erfolgte also für viele 10.000 Menschen. Die große, von der Partei angegebene Linie, unsere Kader zu schonen, wurde zweifellos auch in der Arbeitsstatistik befolgt. Entscheidende Fehler oder gar Verbrechen, die auf das Konto der dort Beschäftigten kommen, sind mir persönlich nicht bekannt und auch von dritter Seite ist mir solches nicht bekannt geworden. Unsere Gegner, Berufsverbrecher oder bürgerlich-nationale Elemente anderer Staaten, erkannten die Macht, die wir an dieser Stelle besaßen und wußten, daß wir uns damit unliebsame Elemente, Provokateure, Spitzel der SS usw. vom Halse schaffen konnten. An der Spitze der deutschen Partei standen zuletzt: Walter Bartel*, Harry Kuhn* und Ernst Busse* (in Haft). Zur Aussage schlage ich vor heranzuziehen: Gen. Heinz Gronau*, Ministerium] f.[ür] Staatssicherheit, Gen. Herbert Scheibe*, Ministerium] f.[ür] Staatssicherheit. Beide waren ebenfalls ehemalige Häftlinge in Buchenwald und können Mitteilungen machen.
V.3
WALTER BARTEL* UND DER SLÄNSKY-PROZEB
V.3.1
Fragen der Zentralen Parteikontrollkommission (ΖΡΚΚ) an Walter Bartel, 29.5.195324
1. Hauptfrage Verbindung zu Noel Η. Field25 2. Hauptfrage: Die Verbrechen im Krankenbau des Lagers Buchenwald 24
25
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 105f. Walter Bartel wurde im Jahr 1953 insgesamt dreimal vor die ZPKK geladen und intensiven Vernehmungen ausgesetzt. Die erste Vernehmung fand am 26.3.1953 statt, wo Bartel ausschließlich zu Noel Field und dessen Zusammentreffen mit Franz Dahlem in Bartels Wohnung befragt wurde. Am gleichen Tage wurde von der ZPKK beschlossen, daß Bartels Funktion als persönlicher Referent von Pieck einstweilen, bis zum Abschluß der Untersuchung, „ruhe". Der Katalog von finsteren Fragen wurde fur das zweite Verhör vom 29.5.1953 von der ZPKK ausgearbeitet. Die dritte Vernehmung fand am 10.6. statt. Noel Η. Field (1904-1972), amerikanischer Staatsbürger, geboren in London als Sohn eines Biologen und Quäker, aufgewachsen in London und Zürich, 1921 Übersiedlung der Familie in die USA, Studium der politischen Wissenschaften, 1926 Mitarbeiter im State Department, Abtl. westeuropäische Angelegenheiten, 1930 Chefberater für Wirtschaftsfragen in Westeuropa, 1936 Mitarbeiter des Völkerbundes, Abteilung Abrüstung in Genf, 1938 Mitglied der Völkerbundkommission zur Repatriierung der Ausländer im vom Bürgerkrieg betroffenen Spanien, seit 1940 leitender Mitarbeiter des USC (Unitarian Service Committee) in Marseille und Genf und führte dort einen zähen Kampf zur Rettung der vom Nationalsozialismus Verfolgten. 1947 wurde das europäische Büro des USC geschlossen, Reisen nach Ostberlin, Prag, Warschau Paris und wieder Prag auf der Suche nach einer neuen Position; 1949 verschwand er und etwas später seine Frau Herta F. spurlos aus seinem Hotel. Beide wurden unter dem Vorwurf der Spionage - Field war wohl Mitarbeiter des Office of Strategie Services
V. 3.1 Fragenkatalog der ZPKK, 29. Mai 1953
413
a) Was weißt du über die Verbrechen, die Emst Busse* im Krankenbau in Buchenwald begangen hat? b) Weshalb hast du Ernst Busse beauftragt, im Lazarett Gefangene „abzuspritzen"? c) Welche Gefangenen sind durch Busse abgespritzt worden? d) Was weißt du von dem „Abspritzen" eines sowjetischen Generals und anderer hoher sowjetischer Offiziere? 3. Hauptfrage: Rettung imperialistischer Agenten im Lager Buchenwald a) Was ist dir darüber bekannt, daß Agenten der imperialistischen Westmächte gerettet wurden? siehe Bericht Österreich 1 und 2 - Kogon* 26 siehe Bericht Arbeitsstatistik - Agenten des Intelligence Service 27 4. Hauptfrage: Die Verbrechen der
Arbeitsstatistik
a) Was weißt du über die Tätigkeit des Leiters der Arbeitsstatistik, Genossen Seifert*? siehe Protokoll Slänsky-Prozeß 28 b) Was weißt du über die Tätigkeit des Agenten Franck [Frank]* in der Arbeitsstatistik? siehe Protokoll Slänsky-Prozeß 5. Hauptfrage: Warum hast du der Entwicklung einer solchen Linie in der die zum Tod zahlreicher sowjetischer Gefangener führte, zugestimmt?
26 27 28
Arbeitsstatistik,
(OSS) - verhaftet und im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Laslo Rajk an die ungarischen Behörden ausgeliefert. 1954 Entlassung aus dem Gefängnis, Rehabilitierung. Field entschied sich, in Ungarn zu bleiben. Die Affare Field löste eine „Jagd auf amerikanische Agenten" und eine Welle politischer Säuberungen in Osteuropa aus. Sie bildete die entscheidende Gelenkstelle einer nachträglichen Dämonisierung der Zusammenarbeit von Kommunisten mit westlichen Hilfssorganisationen im Zweiten Weltkrieg. Und Noel Η. Field wurde im Kalten Krieg gewissermaßen zum Mythos des Spions, der in der Kälte verschwand. Es handelt sich um die drei alliierte Geheimdienstoffiziere Peuleve, Dodkin und Stephane Hessel, die im Experimentierblock 46 fur Fleckfieber, durch Arthur Dietzsch gerettet wurden. Gemeint ist an dieser Stelle in einer Verallgemeinerung der britische Geheimdienst. Eigentlich bezeichnet der Intelligence Service die Central Intelligence Agency (CIA), also den Amerikanische Geheimdienst, der 1947 aus dem Office of Strategie Services (OSS) und anderen geheimdienstlichen Einheiten gebildet wurde. Vgl. Anm. 21.
414
V Kaderkontrolle 1950-55
V. 3.2 Zweite Befragung des Genossen Walter Bartel* durch die Genossen Max Sens 2 9 , Herta Geffke 30 und Günter Tenner 3 ' (ZPKK), 29.5.195332
[Im ersten Teil der Befragung Walter Bartels durch die ZPKK wurde der Themenkomplex der ersten Befragung vom 26.3. erneut aufgenommen. Der Verdacht der Konspiration und der Agententätigkeit wurde im Jahr 1953 auf die politischen Verhältnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit in Berlin gelegt. So wurde Bartel insistierend zur Identität eines gewissen amerikanischen Offiziers befragt, der sich angeblich als „Collens" vorstellte, in Wirklichkeit aber Noel Field gewesen sein soll. Dabei hegte die ZPKK ein besonderes Interesse daran zu erfahren, wer der am Treffen mit Collens/Field Beteiligten (Walter Bartel*, seine Ehefrau, Franz Dahlem 33 , Herta Sommerfeld,34 Werner Jurr 35 , Gerhard Jurr 36 über die Identität des Offiziers, der sich als Mitarbeiter der CRALOG 37 ausgab, im Bilde war. Dies führte zu der grundsätzliche Frage, ob Funktionäre der KPD/SED und Politiker des Berliner Magistrats 29 30
31
32 33 34 35
36
37
Max Sens (1906-1962), KJVD, KPD/SED, Mitglied der ZPKK seit 1950, 1954-1958 Kandidat und 1958-1962 Mitglied des ZK der SED. Bevollmächtigter der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle in den Bezirken Dresden und Potsdam, starb nach einem Unfall. Herta Geffke (1893-1974), geboren in Bollinken, aufgewachsen in Stettin, Volksschule, danach Hausgehilfin und Arbeiterin in einem Druckereibetrieb, 1907 in der Arbeiterjugend organisiert, 1912 Angestelltengewerkschaft, 1912-1917 SPD, 1917-1920 Mitbegründerin der USPD in Stettin, 1918/19 Mitglied des dortigen Arbeiter- und Soldatenrates, 1920 KPD, 1920-1924 MdL in Preußen, 1921 Mitglied der Delegation der KPD zum III. Weltkongreß der KI in Moskau, Delegierte des gleichzeitig stattfindenden Frauenkongresses, 1929-1933 Sekretärin der BL der KPD und der Roten Hilfe im Ruhrgebiet, Baden und im Saarland, 1933 verhaftet, 19341936 Schutzhaft und Zuchthaus, 1937-1945 tätig als Näherin in Stettin, 1945 in der Rückkehrergruppe um Gustav Sobottka tätig, 1945/46 Leiterin des Landesjugend- und Sozialamtes bei der Landesregierung in Mecklenburg, 1946-1949 Referentin fur FrauenfVagen in der dortigen Landesleitung der KPD/SED, seit März 1949 hauptamtliches Mitglied der ZPKK, 1954-1958 stellvertretende Vorsitzende, 1958-1962 Kaderabteilung am Institut fur Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Günter Tenner (1907-1989), 1927 KJVD, 1928 KPD, 1933 illegale politische Arbeit in Berlin, 1936/37 Offizier des Hans-Beimler-Bataillons und der Thälmann-Batterie im Spanischen Bürgerkrieg, danach vier Jahre in französischen Lagern interniert. Nach 1945 Mitarbeiter des ZK, 1950-1982 Mitglied der ZPKK, danach „Parteiveteran". SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 11 Iff. Zu den biographischen Daten Franz Dahlems, siehe Dok. II.3, Anm. 50. Nicht identifiziert. Werner Jurr (1906-1947), 1925-1929 ZK des KJVD, 1925 Gaufiihrer der Roten Jungfront in Berlin-Brandenburg, 1926 Mitglied der Reichsfuhrung der Roten Jungfront des RFB, seit 1927-1929 ihr Leiter, Aufbau als militärische Organisation, 1929 KPO, Mitglied der Reichsleitung der KPO und KJVO, zeitweilig Redaktion des „Jungen Kämpfer", 1930 Prozeß wegen Vorbereitung zum Hochverrat und ein Jahr Festungshaft, danach Abwendung von der KPO, Mitarbeit in der Roten Hilfe, 1933 Illegalität, Verhaftung, mehijährige Zuchthausstrafe in Brandenburg, danach Kriegsdienst, Verbindung zur Widerstandsgruppe um Anton Saefkow, Verhaftung und acht Jahre Zuchthaus, Nach der Befreiung Mitglied der KPD. Gerhard Jurr (geb. 1905), Bruder von Werner Jurr, Schlosser, Telegraphenarbeiter, 1924 Mitglied Sozialdemokratischerjugendorganisationen, 1925 KJVD, später KPD, Rote Hilfe, 1930 RGO, 1931-1933 Leiter der RGO der Post- und Telegraphenarbeiter in Berlin, 1934/35 Leninschule in Moskau, danach Aufenthalt in Prag und Amsterdam, von dort aus illegale politische Arbeit im Ruhrgebiet, 1936 verhaftet und zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, Zuchthaus Brandenburg, 1945 von der Roten Armee befreit, KPD, im Februar 1946 von USMilitärgericht wegen illegaler politischer Tätigkeit zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt, nach wenigen Wochen begnadigt. CRALOG: Council of Relief Agencies Licensed fur Operation in Germany, d.i. das Komitee der in Deutschland zugelassenen Hilfsorganisationen. Hierbei handelte es sich um die Dachorganisation der amerikanischen Wohlfahrtsorganisationen für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, die Anfang 1946 gegründet wurde.
V.3.2 Zweite Befragung vor der ZPKK, 29. Mai 1953
415
Walter Bartel leitete zu dieser Zeit die Abteilung Volkshochschulen - mit Vertretern westeuropäischer und amerikanischer Hilfsorganisationen in Verbindung und in Austausch treten durften, und ob sie nach dem Schauprozeß gegen Läslö Rajk, 38 im Falle Noel Fields, nicht zu einer parteiinternen Meldung über solche Kontakte verpflichtet gewesen wären. Schon die Bekanntschaft mit dem sozialen und politischen Umfeld von inkriminierten Personen barg schwere Verdachtsmomente. So wurde im Bartel-Verhör die mittelbare Kenntnis Franz Dahlems um die Identität Erica Glasers 39 und die Vermutung, daß Bartel diese auch bekannt gewesen sei, zu einer weiteren Belastung.] 40 F: A:
F: A: F: A:
Was weißt du über die Verbrechen von Busse* im Krankenbau in Buchenwald? Ich kenne den Komplex über seine Verhaftung nicht. Er hat vielleicht die Möglichkeiten, Menschen zu retten, nicht restlos erschöpft. Ein konkreter Fall ist mir nicht bekannt. Ich weiß, daß das Lager zu dieser Zeit in einer Situation war, wo man in Minuten die Frage entscheiden mußte, was kann man tun, um diesen oder jenen Menschen zu retten. Wenn man das nicht innerhalb von Minuten tat, dann war der Moment verpaßt. Tatsachen, daß er selbst spritzte, sind mir nicht bekannt. Wer hat denn abgespritzt? Der Gesundheitsdienst der SS. Die Kalfaktoren nicht?41 Nein.
F: A: F: A:
Es ist doch bekannt, daß die SS nicht immer selbst gespritzt hat. Ja, das war bekannt. Wer hat Busse in diese Funktion geholt? Er war Lagerältester, wurde durch die Machinationen42 der Deutschen abgelöst, war einige Monate in der Werkstatt tätig und ist dann auf Veranlassung der SS Kapo geworden im Revier. Eine direkte Einwirkung von uns war nicht da.
38
Laszlo Rajk (1909-1949), Ungarischer Politiker und Staatsmann, 1931 KP Ungarns, mehrfach wegen illegaler kommunistischer Betätigung verfolgt, 1936 Emigration CSR, 1937-1939 Spanienkämpfer in den Internationalen Brigaden als Kommissar des ungarischen Bataillons, 1939 in Frankreich interniert, 1941 nach illegaler Rückkehr nach Ungarn dort verhaftet, Zuchthaus, 1944 befreit, erneut verhaftet und nach Deutschland deportiert, nach 1945 Mitglied des PB, seit Oktober 1946 stellvertretender Generalsekretär des ZK der ungarischen KP, Mdl, 1948 MfAA, im Mai 1949 verhaftet, nach inszeniertem Schauprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet. Erica Glaser Wallach (geb. 1922 in Schlawe/Pommern), Tochter eines Arztes, stammte aus einer jüdischen Familie, die 1935 aus Deutschland nach Spanien floh. Mit 14 Jahren arbeitete sie zusammen mit ihrer Mutter als Lazarett-Schwester der Internationalen Brigaden. Während des Krieges war sie von ihren Eltern getrennt und wurde von Noel und Herta Field als Pflegetochter aufgenommen. Nach 1945 Sekretärin beim OSS im Hauptquartier in Wiesbaden, danach Sekretärin der KPD im hessischen Landtag, 1948 Parteiaustritt, 1950 startete sie Nachforschungen über Field in Ost-Berlin und wurde dort festgenommen und bis 1955 in Sibirien interniert. Es wurde darauf verzichtet, den erste Teil dieser Befragung abzudrucken, weil er ausschließlich die „erste Hauptfrage" des Katalogs (Dok. V.3), nämlich Walter Bartels mutmaßliche Verbindungen zu Noel Field, behandelt. Eigentlich „Einheizer". Ursprünglich verwendet für Häftlinge im Zuchthaus, die fur einen Vorgesetzten der Zuchthausverwaltung Arbeiten und Dienste verrichtete. Der Vernehmer der ZPKK hat hier eine Analogie der Zuchthausrealität zu den Funktionshäftlingen im Krankenbau hergestellt. Gemeint ist: durch Intrigen, Manipulationen.
39
40 41 42
416 F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A: F: A:
F: A: F: A: F: A: F: 43 44 45 46 47
V Kaderkontrolle 1950-55
Seine Vorgänger haben abgespritzt? Die Vorgänger waren die Genossen Krämer* und Peix*. Beide wurden von der SS ermordet. Ich meine Kriminelle. Ja, die Kriminellen haben im Revier abgespritzt.43 Was geschah, wenn man einen Genossen dort hin schickte? Wenn man einen Genossen in diese Funktion schickte, bedeutet das nicht, daß er jemanden abspritzen oder aufhängen mußte. Wer spritzte dann ab? Die SS. Was geschah, wenn dort ein Genösse saß, und sich weigerte, abzuspritzen. Er wurde liquidiert. Busse wurde nicht liquidiert, also hat er abgespritzt? Nein. Das hat die SS selbst gemacht. Es war doch ihre Methode, das durch Häftlinge machen zu lassen. Damals nicht. Als Busse Kapo war, vielleicht im Jahre 1941 [1942], haben wir drei oder vier verschiedene Lagerärzte gehabt, die alle abgespritzt haben. Das wissen wir. Wenn ein Genösse Kapo wurde, und vorher war da ein Grüner, der die Leute totgeschlagen hat, bedeutet das doch nicht, daß der Genösse dasselbe tat. Busse hat gesagt, 44 du warst der Meinung, er solle die Funktion annehmen, auch auf die Gefahr hin, daß er abspritzen muß. Das ist Schwindel. Ich weiß nicht, wo er diese Behauptung hernimmt. Abgesehen davon, daß ich damals die politische Verantwortung nicht hatte. Damals war [es] Albert Kunz [Kuntz]*. Busse hat zugegeben, daß er gespritzt hat und wurde deshalb verurteilt 45 Das höre ich jetzt das erste Mal. Der Genösse Matern hat zu mir gesagt, Busse war ein Feigling, aber wenn er gespritzt hat, dann ist er ein Mörder. Er war zu feige zu sagen, ich mache das nicht, um sich so selber zu erhalten. Das ist nicht mehr feige, sondern er ist ein Mörder. Die Ursachen waren Feigheit. In der ganzen Zeit gab es Genossen, die Augen im Kopf hatten. Einmal konnte man das machen, vielleicht auch zweimal, aber dann nicht mehr, dann fiel es auf. 46 Aber für Feigheit bekommt man nicht 25 Jahre. 47 Aus den uns vorliegenden Materialien ist nicht zu ersehen, um welche Personen es sich dabei handelt. Hier wird ein Bezug zu einem Verhör oder zu einer Aussage Ernst Busses hergestellt. Vermutlich lagen der ZPKK die Protokolle des sowjetischen Verfahrens gegen Busse aus dem Jahr 1950/51 vor. Im Verlauf der Vernehmungen sind dafür weitere Hinweise zu finden. Deutlicher Hinweis auf das Strafverfahren vor sowjetischen Behörden. Gemeint ist vermutlich: dann wäre ein solcher Genösse als eigenmächtig Handelnder und als Mörder enttarnt worden. Emst Busse wurde vom Sowjetischen Militärtribunal am 27.2.1951 zu lebenslanger Haft verurteilt. Vgl. Dok.
VI.10.
V.3.2 Zweite Befragung vor der ZPKK, 29. Mai 1953
A:
417
F: A:
Das höre ich jetzt das erste Mal. Außerdem ist das schleierhaft, denn dann bin ich ja mitbeteiligt an dem Verbrechen. Wir fragen dich: Was ist damit? Diese Behauptung von Busse, er soll gehen, auch auf die Gefahr hin, daß er abspritzen muß, ist nicht wahr. Das haben wir nie gemacht. Tatsache ist, daß er nicht totgeschlagen wurde, obgleich er diese gefahrliche Funktion hatte. Es sind sogar Lagerärzte 48 aus dem Lager herausgekommen. Was willst du damit sagen? Daß nicht alle totgeschlagen worden sind. Mir will nicht in den Kopf, daß die SS einverstanden war, wenn jemand sich weigerte, abzuspritzen. Peix und Krämer waren zwei Jahre in dieser Funktion und haben nicht abgespritzt. Man hat sie nicht nach einem viertel Jahr beseitigt, weil sie nicht wollten. Wobei sind Krämer und Peix erschossen worden? Nach Denunziation der Grünen. Angeblich wurden sie wegen Fluchtversuch abgeschossen 49 . Krämer waren die diversen Geschlechtskrankheiten der SS bekannt, und er wurde wahrscheinlich daraufhin beseitigt. Dir ist also nichts bekannt davon, gesagt zu haben, Busse soll diese Funktion annehmen, selbst auf die Gefahr hin, abspritzen zu müssen, weil er die Möglichkeit hat, zu verhindern, daß Genossen abgespritzt werden? Nein. Als Busse zum Kalfaktor im Revier ernannt wurde, waren Peix und Krämer gerade erschossen. Es stand die Frage, daß Busse denselben Weg geht. Wir haben gesagt, selbst auf die Gefahr hin, daß er denselben Weg geht, soll er die Funktion annehmen, um Genossen zu retten, aber nicht umgekehrt. Busse war dafür bekannt, daß er Verwaltungsmann war und sich nicht um Krankenhausgeschichten gekümmert hat im Gegensatz zu Krämer, der einfacher Sanitätsgehilfe war und dann Operationen durchgeführt hat. Ich kann nur darauf verweisen, Busse war zu der Zeit Kapo, als wir fast nur ausländische Genossen [als] Ärzte hatten. Ich traue dem Busse zu, daß er feige war, aber daß er abgespritzt hat und sich dazu noch darauf beruft, wir hätten gesagt, er soll die Funktion selbst auf diese Gefahr hin annehmen, [glaube ich nicht], Das hat er eingestanden, daß er abgespritzt hat. Es ist nicht ein einziges Mal jemand gekommen und hat gesagt, daß Busse abspritzt. Die er abgespritzt hat, leben ja auch nicht mehr. Aber es gibt Zeugen dafür. Wenn 5 Stubengenossen nicht wiederkommen, dann erkundigt man sich. Es besteht also die Möglichkeit, daß er es getan hat? Theoretisch besteht auch die Möglichkeit, daß ich es getan habe.
48 49
Gemeint ist: Häftlingsärzte. Die offizielle Bezeichnung der Todesart war: „auf der Flucht erschossen".
F: A: F: A: F: A: F: A: F: A:
F:
A:
F: A: F: A:
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V Kaderkontrolle 1950-55
F: A: F: A:
Du warst doch nicht im Krankenbau. Nein, nur als Kranker. Dann ist Busse also zu Unrecht bestraft worden? Nein, das traue ich dem sowjetischen Gericht nicht zu.
F: A: F: A: F: A:
Was ist dir darüber bekannt, daß im Krankenbau Agenten gerettet wurden? 50 Im Block 46 war eine Gruppe von 3 oder 4 Fallschirmabspringern gerettet worden. Die sind doch im Krankenbau gerettet worden. Nein, im Block 46. Ja, vorher, dann sind sie dorthin gebracht worden. Wer waren diese Leute? 1944 wurde eine Gruppe von 20 englischen Fallschirmspringern eingeliefert. Sie sind bis auf 3 oder 4 aufgehängt worden. Wir haben uns als Partei mit der Sache nicht abgegeben, weil wir nicht wußten, wer sie sind. Wer hat das gemacht? Die Gruppe Kogon*, dieser Hygieneblock im Zusammenhang mit dem Blockältesten der 46-er, Dietsch [Arthur Dietzsch]* oder so ähnlich. Meines Wissens wurden diese drei oder vier Fallschirmabspringer bis zur Befreiung im Block 46 verborgen gehalten. Und Kogon selbst auch. Der war im Block 50. Der hat doch keinen Grund gehabt, sich retten zu lassen. In dem Bericht des österreichischen Komitees steht das drin. Einmal muß man das Auseinanderhalten: Kogon gehörte nicht zu den Fallschirmspringern. Mir ist das nicht klar, weil Kogon eine halb offiziöse Persönlichkeit war. Zu der Zeit, als ich Kogon im Blickfeld hatte,51 ist mir nicht bekannt, daß er gefährdet war.
F: A:
F: A: F: A:
(Genösse Sens verliest Auszüge aus dem Bericht der österreichischen Genossen.) 52 F: A:
Die Berichte kennst du doch? Die Österreicher haben uns einen Bericht gegeben, Kogon selber. Das Verhalten Kogons während der ganzen Zeit war loyal. Es war nicht so, daß man sagen konnte, je
50 51
Vgl. Dok. 1.5.1. Möglicherweise beobachtete Walter Bartel im Auftrag der illegalen Parteileitung Eugen Kogon, um zu einer politischen Einschätzung seiner Person zu kommen. Über die Rettung der alliierten Geheimdienstoffiziere gibt es aber einen undatierten und anonymen Bericht in: SAPMO-BA, ZPA V 279/53. In der ZPKK-Akte Walter Bartels sind zwei Berichte österreichischer Kommunisten enthalten: „Bericht der Österreicher an die Abteilung für psychologische Kriegsfiihrung in der amerikanischen Armee" sowie ein zusammenfassender Bericht „Österreicher in Buchenwald", beide ohne Datum, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 248-254 und Bl. 255-257. Die Berichte beschreiben die Geschichte des Lagers, den Aufbau der illegalen Parteiarbeit, die Übernahme von Funktionen in der Lagerverwaltung und die Rettung österreichischer Häftlinge als „Kranke". Den größten Raum nimmt jedoch die Geschichte von der Befreiung des Lagers ein, die in dieser Variante ganz gegen den Mythos von der Selbstbefreiung zu lesen ist. Die Strategie des Hinhaltens und Zeitgewinns bis zum Eintreffen der Amerikaner brachte den Kommunisten später vor den eigenen Genossen, etwa der ZPKK, den Vorwurf des „Zurückweichens", des fehlenden Massenwiderstandes ein. Insofern war die Legende von der Selbstbefreiung und vom Kampf der kommunistischen Buchenwaldhäftlinge fiir diese in der eigenen Partei lebensrettend - aber eben nur für eine gewisse Zeit. An dieser Stelle wurde der Vorwurf des „Zurückweichens" indirekt eingeführt, er wurde kurze Zeit später in das Verhör aufgenommen.
52
V.3.2 Zweite Befragung vor der ZPKK, 29. Mai 1953
F:
A: F: A:
F:
A:
F: A: F: A: F: A:
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eher er aufgehängt wird, desto besser. Auch die Bürgerlichen hielten ihn für einen loyalen Gegner Hitlers. Es ist durchaus möglich, daß die österreichischen Genossen gesagt haben, man muß ihn retten. Wir stellen dir die Frage: Warum wurden solche Menschen gerettet und die sowjetischen Genossen nicht? Daß heißt nicht, daß alle sowjetischen Menschen getötet und die Leute vom Secret Service53 gerettet wurden. Die Leute vom Secret Service wurden nicht mit unserer Hilfe gerettet. Im Bericht der Arbeitsstatistik heißt es, 54 sie wurden auch mit Hilfe der Krankenpfleger gerettet. Ich bestreite das nicht. Ich weiß nur nicht genau, welche Zeit das war. Ich bestreite auch nicht, daß wir zu dieser Zeit den Maßstab angewandt haben, auf jeden Fall nur Genossen, bürgerliche Leute gehen uns nichts an, und daß man in bestimmten Situationen mehr hätte tun können, als getan worden ist. Du verstehst nicht, wir sind nicht der Auffassung, daß nur Genossen gerettet werden müssen und andere zugrunde gehen. Das wäre falsch. Wir sagen nur: Warum wurden diese Menschen gerettet und die sowjetischen Genossen nicht. Denn hier steht, bei diesen Leuten war die Rettung außerordentlich schwierig. Diese Frage muß man konkret stellen. Ich kann heute drei Menschen retten, morgen wieder drei, am nächsten Tag ist die Anforderung auf acht. Ich kann aber nur 5 retten, und so geht das weiter. Die Zahl der sowjetischen Menschen, die wir gerettet haben, ist groß. Sowjetische Menschen waren viel mehr da als andere, es sind auch viel mehr liquidiert worden. Aber die Zahl der geretteten sowjetischen Menschen war auch viel größer als die der anderen Nationalitäten. Deswegen ist die Argumentation, solche Leute wurden gerettet und die sowjetischen Genossen nicht, nicht ganz stichhaltig. Polnische und tschechische Genossen haben sich auch beschwert, daß man hätte mehr tun können, und mit Recht. Im Revier hätte man noch mehr tun können. Auf diese Agenten hattet ihr keinen Einfluß, die wurden durch andere Verbindungen gerettet? Diese Fallschirmspringer ja. Das wurde durch die Gruppe Kogon im Hygieneblock zusammen mit dem Block 46 gemanagt. Eigentlich muß es doch über Busse gegangen sein. Busse war nicht im Block 46, sondern im Revier. In dem Bericht steht, daß das mit Hilfe der Krankenpfleger gemacht wurde. Die vom Block 46 wurden auch Krankenpfleger genannt. Das war der Isolierblock fur die Durchführung von Experimenten, wo Menschen z.B. mit Typhus infiziert wurden und wo man dann Gegengift spritzte. Und wenn jemand schon Typhus hatte, kam er dann auch da hin? Nein, ich glaube nicht. Secret Service steht hier allgemein fur den Geheimdienst. Möglicherweise handelt es sich hierbei um einen Bericht, eine Stellungnahme oder eine Vernehmung Willi Seiferts*, den Kapo der Arbeitsstatistik.
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Die Sache wird so geschildert: Die Leute vom Secret Service seien ausgetauscht worden mit Typhuskranken, weil die sowieso gestorben wären. Wenn sie ins Lager kamen, gingen sie durch die Kammer, durch das Bad, kamen dann in den Sammelblock. Das kann der Moment der Machinationen gewesen sein. Aber wie es konkret gewesen ist, weiß ich nicht. Was weißt du über Graf de Lubersac?55 Kannst du mir einen Tip geben, wer das sein soll? Ja, ein Franzose, der 2 Meter lang war. Du sollst dich auch damit beschäftigt haben und gesagt haben, daß wir mit diesen Leuten nichts zu tun hätten. Das war ein Mann vom französischen Nachrichtendienst. Ich kann mich an einen großen, stabilen Mann irgendwie erinnern, aber daß ich seinen Namen wußte und ein Werturteil abgegeben habe, weiß ich nicht. Du hast gesagt, mit dem Mann haben wir nichts zu tun. Acht Tage später hat man dich nochmals gefragt, und da hast du gesagt, das sei in Ordnung, es liege nichts gegen ihn vor. Das kann durchaus möglich sein. Mit wem ich darüber gesprochen haben soll, weiß ich nicht. Das kann doch nur über Harry Kuhn* geschehen sein: Der war unser Verbindungsmann zu den Franzosen. 56 Erinnere dich doch mal, wer dieser zwei Meter lange Mensch war. Das war nicht der einzige lange Mensch. Brumme* war auch 1,98 groß. Aber er war kein Franzose. Lubersac ist doch ein bekannter Name. Mir ist er nicht bekannt. Er wird von Lenin in seinem „Brief an die amerikanischen Arbeiter" genannt. Lenin sagt, daß wir mit de Lubersac nichts gemein haben, aber wenn es gegen die Deutschen geht, werden wir ihn benutzen. Ja, jetzt fällt mir ein, das war der Pionieroffizier. Ich wußte im Moment nicht, daß er so heißt. Unser Prinzip war, wenn solche Ausländer kamen, haben wir die Sache der nationalen Organisation der Partei übergeben. Wir konnten ja nicht entscheiden. Es ist durchaus möglich, daß es in dieser Weise vor sich ging, aber konkrete Erinnerungen daran habe ich nicht. Uns ist auffallig, daß ein Genösse so argumentiert hat: Wenn man die Möglichkeit hat, muß man Leute aus der Widerstandsbewegung retten, da diese Methode Früchte in der kommenden internationalen Politik zeitigen wird. 57 Ich kann nur darüber lächeln, daß wir eine Linie gehabt haben sollen, Agenten zu helfen. Das kommt aber bei dem Genossen zum Ausdruck. Nein, um Himmels willen. Paul de Lubersac (geb. 1905), französischer Bankier, 1944/45 Häftling in Buchenwald. Dies gibt Ernst Busse im SMT-Verfahren offenbar auch zu Protokoll. Dies ist eine Anspielung auf ein Verhör innerhalb eines weiteren Straf- oder Parteiverfahrens gegen einen Buchenwälder Kommunisten.
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Warum soll es das nicht gegeben haben? Unsere Linie war, eine möglichst breite Gemeinschaft zu bilden aller Gegner Hitlers, aber keinesfalls Leute, die als Agenten bekannt waren, zu forcieren. Gab es Genossen, die solche Gedanken hatten, daß man gerade Agenten retten muß? Wenn es sich um einen Kapo handelt, dann ist es wahrscheinlich Karl... Karl Gärtig*. Ja. Gärtig sprach englisch, französisch. Er hatte so eine Ader. Den rochen solche Leute. Er hat sich viel mit solchem Gesockse abgegeben. Ich traue ihm solche Formulierungen zu. Aber daß das so eine Ansicht war, die irgendwie stark in Erscheinung trat, solche Menschen zu retten oder Kontakt mit ihnen zu haben, weil das später von Wichtigkeit sein könnte, kann man nicht sagen. Es gab einige Leute, wie Gärtig und Emil Eichhor [Franz Eichhorn]*. Eichhorn war Kapo unter den Frisören. Er war eine ganze Weile in Weimar. Eichhorn war der Freund von Gärtig. War der aus Hamburg? Nein. Er war eine Weile in Weimar. Er und Gärtig waren dicke Freunde. Sie liebten [es], um die bürgerliche Welt herumzuscharwenzeln. Was weißt du über die Tätigkeit des Genossen [Willi] Seifert* in der Arbeitsstatistik? Seifert hatte eine sehr komplizierte Arbeit.58 Seine formelle Tätigkeit war die Zusammenstellung der Arbeitskommandos. Je größer das Lager wurde, desto größer wurde die Zusammenstellung der Transporte fur die Außenkommandos, die mehr oder weniger Himmelfahrtskommandos waren. Unsere Aufgabe sahen wir darin, möglichst die uns genannten Menschen vor solchen Himmelfahrtskommandos zu bewahren. Die Verantwortung dafür trug in allererster Linie Seifert selbst. Wer wurde dann fur die Menschen, die herausgezogen wurden, in die Kommandos geschickt? Die Menschen, die dann geschickt wurden, konnten doch auch völlig in Ordnung sein. Das ist dann die Frage. Entweder wir lassen die Finger davon, das hieße, sofort den Grünen die Sache in die Hand geben. Faktisch kamen dann die Ausländer in diese Kommandos. 80 %. Tschechen und andere waren auch in der Arbeitsstatistik [vertreten], Sie hatten auch die Möglichkeit, ihre Leute zu retten. Und die anderen, die nicht drin waren? Wie ist deine Meinung grundsätzlich dazu? Grundsätzlich war das richtig. Wieso? Es gab bei allen Nationalitäten eine Parteiorganisation,59 die war verantwortlich. Wenn eine Transportliste zusammengestellt wurde, bekam die nationale Gruppe die Mitteilung, die und die Leute stehen auf der Liste, und sie hatten zu entscheiden, wer runterkam oder nicht. Vgl. Dok. 1.5.2. Es verhielt sich in Wirklichkeit eher umgekehrt: Es gab eine Parteiorganisation und darin nationale Gruppen.
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War das auch bei der sowjetischen Gruppe so? Ja, sehr stark sogar. Aber Seifert sagt selbst, er hat einige sowjetische Menschen eingereiht, die nicht dafür bestimmt waren. 60 Es hat immer nicht ganz geklappt. Hinterher gab es immer Krach. Wenn man eine Liste von 500 Leuten zusammenstellt und sie dreimal umändert, dann die Liste endgültig raufgibt 61 , war immer etwas durcheinander.
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Das ist ja die Frage, ob es überhaupt richtig ist, eine solche Liste zusammenzustellen. Es ist also die grundsätzliche Frage, ob ein Genösse eine solche Funktion ausüben kann oder nicht. Das ist eine Nerveniunktion.
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Hast du dir schon mal Gedanken gemacht über den Kampf in Korea? 62 Die Kämpfe sind gestützt auf die Erfahrungen des II. Weltkrieges. Außerdem sind Kriegsgefangene etwas anderes als ein Lager mit 20 verschiedenen Nationen. Wieso? Kriegsgefangene haben in sich den inneren Halt einer Idee, ihres Vaterlandes, ihrer Einheit, ihrer Armee. Bei uns im Lager waren 10 % Spitzel und Provokateure.
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Meinst du, daß es das in den Kriegsgefangenenlagern nicht gibt. Es ist ihnen doch gelungen, einen Teil für die Wlassow-Armee 63 zu bekommen. Bei uns gibt es haufenweise Einzelkämpfer, aber man muß doch die Massenpositionen erkämpfen im Lager. Die sowjetischen Freunde in Mauthausen64 haben einen Ausbruch gemacht. Sie haben gekämpft. Ein Teil ist kaputtgegangen dabei, sogar der größte Teil, aber sie haben gekämpft. Nur die Freunde haben das gemacht. Unsere Leute und die anderen haben nicht mitgemacht. Das ist der prinzipielle Unterschied ... 65
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Eine Ermittlung oder ein Verfahren der SED gegen Willi Seifert oder auch nur eine Stellungnahme oder Zeugenaussage Seiferts konnte in den Archiven (ZPA und BStU) nicht aufgefunden werden. Dies ist ein überraschendes Ergebnis, weil Willi Seifert als Kapo der Arbeitsstatistik einer der mächtigsten Männer in der „Häfilingsselbstverwaltung" war und von Josef Frank im Slänsky-Prozeß schwer belastet wurde. Siehe Dok. V.2. Gemeint ist: an die SS weitergibt. Korea-Krieg (1950-1953). Im Spannungsfeld des Kalten Krieges führte eine politische Offensive Nordkoreas, nach Abzug der sowjetischen und der amerikanischen Truppen aus Nord- und Südkorea, zu bewaffneten Auseinandersetzungen beider Staaten, in deren Verlauf die USA und die UN militärisch intervenierten. Siehe Dok. III.2, Anm. 53. Gemeint ist offenbar ein kurzer Kampf der sowjetischen Häftlinge des KZ Mauthausen gegen die SS zur Befreiung des Lagers. Franz Dahlem beschrieb diese militärische Aktion des ILK in einem Erinnerungsbericht. Die Ausgangslage im Mai 1945 war der von Buchenwald ähnlich. Die Front sei an das Lager herangerückt, die SS habe Befehl gehabt, das Lager zu vernichten. Ein russischer Häftling, Oberst Shamshejew, habe einen „Aufstandsplan" ausgearbeitet. Danach seien Waffen verteilt worden, ansonsten hätten die Häftlinge jedoch darauf gesetzt, Zeit zu gewinnen und abzuwarten, bis die alliierten Armeen auf zwei Tagesmärsche an das Lager herangekommen waren. Die besonderen Umstände der Mauthausener Befreiung lagen laut Franz Dahlem darin begründet, daß die SS kurzfristig zurückgezogen worden war und an ihre Stelle eine Polizeitnippe trat, daß nach dem Losschlagen der Häftlinge kurzzeitig ein amerikanisches Kommando das Lager befreite, aber zur Feindaufklärung wieder abzog. So hätten die Häftlinge 48 Stunden lang das Lager gegen erneut anrückende SS verteidigt, die sich vor der Roten Armee im Lager verschanzen wollten. Erst am 7. Mai hätten die Amerikaner das Lager befreit. In: SAPMO-BA, ZPA EA 1078, Bl. 47-53. Zu einer knappen, kritischen Geschichte des KZ Mauthausen vgl. Gisela Rabitsch: Das KL Mauthausen, in: Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, hg. von Martin Broszat, S. 50-92. Die Vemehmer kritisierten damit die Entscheidung des ILK, keine militärische Aktion gegen die Übermacht der SS zu beginnen.
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Ihr stellt die Frage, ob es richtig war, überhaupt eine Lagerfunktion anzunehmen. Eben. Ich rede nicht von Funktionen wie Maurer oder Schlosser. Das sind Handwerker. Aber schon die Handwerker waren besser gestellt als andere. Ich spreche von allen anderen Funktionen, wo man zum Werkzeug der SS wurde. Denn man mußte doch das tun, was die SS verlangte. Aber die Funktionen waren da. 1937/38 haben sie die Schwarzen ausgeübt. Die Politischen waren wehrlos. Die Kriminellen waren keine einheitliche Masse. Sie zerfielen in zwei Gruppen: die Dicken und die Dünnen. Die Dicken waren die, die Funktionen hatten und die sich besser ernähren konnten. Aber dieser Gegensatz wäre die Basis gewesen, einen Kampf zu organisieren, auch mit den Kriminellen gegen diese Dicken. Bei uns ist es doch so herausgekommen, daß wir die Dicken geworden sind. Das kann man nicht sagen. Wir haben die Grünen und die Schwarzen differenziert. Aber nehmen wir an, wir hätten die dicken Grünen isoliert, hätte doch ein anderer Schwarzer oder Grüner die Funktion annehmen müssen. Warum mußte jemand die Funktion annehmen? Warum mußte jemand kochen? Ich verstehe diese Frage wirklich nicht. Jeder, der eine solche Funktion im Lager hatte, mußte die Aufgaben durchführen, die die SS nicht durchführen wollte. Das stimmt nur zum Teil. Die SS hatte nicht immer die Aufgabe, jemanden totzuschlagen. Sie hatte auch ein Interesse daran, etwas bauen zu lassen, arbeiten zu lassen. Infolgedessen war es nicht nur die Aufgabe eines Kalfaktors, totzuschlagen, sondern die Arbeit zu lenken, die Arbeit so zu lenken, daß möglichst wenig dabei herauskommt. 66 Wie war es denn früher in den kapitalistischen Ländern, wenn ein Genösse Meister wurde? Nicht jeder ist ein Schuft geworden. Aber ein großer Teil. - Wurden Genossen korrupt? Sicher. Ich will das auch nicht bestreiten. Ich weiß, wie viele Leute, die Kalfaktoren wurden, keinen Verstand mehr hatten. Es war doch klar, daß die Genossen demoralisierten. Sie mußten nicht unbedingt, denn die Härte des Klassenkampfes zwingt die Menschen, diese Arbeit durchzuführen, ohne zu demoralisieren. Nimm den Busse. War er demoralisiert von vornherein? - Nein. Aber weil er diese Funktion ausübte, ist er demoralisiert. Nicht jeder ist demoralisiert.
Diese Antwort enthält eine komplizierte Logik. Zum einen werden die SS und der Kalfaktor, also der Kapo, indirekt gleichgesetzt, indem ihre Aufgaben fast identisch charakterisiert werden („nicht immer die Aufgabe, jemanden totzuschlagen" bzw. „nicht nur die Aufgabe, totzuschlagen"). Zum anderen enthält die Aussage einen Widerspruch, denn entweder erfüllte der Kapo die Erwartungen der SS nach Arbeitsproduktivität, dann konnte er die Arbeit nicht so lenken, daß wenig dabei herauskam, oder er plante Sabotage und Resistenz, was der SS auf Dauer nicht verborgen bleiben konnte.
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Ich sage auch nicht, jeder. Aber stelle einmal gegenüber die Kriegsgefangenenlager und die Konzentrationslager. Es war doch etwas falsch bei uns. Ich kann nicht einsehen, daß wir uns jeder Funktion entäußern. Ein großer Teil von Genossen hat Funktionen ausgeübt, und das wurde auch von der Partei anerkannt. Wenn das falsch war, daß wir Arbeitsfunktionen übernommen haben, dann war unsere ganze Politik falsch, nicht nur die Politik der Deutschen, sondern auch die sowjetische. Die kamen ja erst später in die Lager. Außerdem stimmt es nicht, wir haben das Beispiel Mauthausen, ein Beispiel, über das kein Häftling etwas erzählt hat. 67 Ich kann mich erinnern, davon gehört zu haben. Nein, es ist nichts darüber veröffentlicht worden. Doch bestimmt. - Das ändert nichts an der Tatsache, daß auf unser Betreiben hin sowjetische Genossen genauso Stubenälteste usw. waren. Ausländer, die ins Lager kamen, haben gestaunt, daß sie ihr Essen bekommen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht die Funktionen gehabt hätten. Wieviele Genossen wurden während Nazizeit Ingenieure. Es gab draußen keine richtig organisierte Widerstandsbewegung, drinnen auch nicht. Du mußt doch erkennen, daß etwas falsch war. - Gab es nicht Genossen, die keine Funktionen übernommen haben? Genösse [Ernst] Schneller z.B. hat das mit dem Leben bezahlt. Es gab einige Genossen, die gesagt haben, nein. Aber die haben das nur auf sich bezogen. Daraus kannst du ihnen keinen Vorwurf machen. Das mache ich auch nicht. Aber es gab nie eine Diskussion bei uns in der Partei, ob diese Annahme der Funktionen richtig war oder nicht. Das ist doch schon ein Zeichen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, daß man nie diskutiert hat. Das ist soweit gegangen, daß Genossen nach der Befreiung acht Tage verschwinden mußten, weil sie sich nicht sehen lassen durften. 68 Bei uns nicht. Wir haben versucht und zum großen Teil mit Erfolg, solche Dicken aus unseren eigenen Reihen verschwinden zu lassen. Das war nicht immer leicht. Ich bin auch nicht überzeugt, daß unsere Lagerfunktionäre in jeder Beziehung ein richtiges Verhalten an den Tag gelegt haben. Aber ich bin noch nicht überzeugt, daß unsere Politik in dieser Beziehung grundsätzlich falsch war. Ich war selbst im Zuchthaus und in der Emigration. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals gesagt wurde, was unsere Genossen im Lager machen, ist falsch. Da hatten sie auch noch keine Funktionen. Doch, aber nicht in dem Charakter wie später. Ich will nicht sagen, daß die Partei uns im Stich gelassen hat, aber es gab einfach keine Diskussion darüber, war die Ausübung von Funktionen richtig oder nicht. Als ich 1939 ins Lager kam, ist mir nicht der GedanGemeint ist vermutlich, daß es ausschließlich die russischen Häftlinge waren, die die militärische Befreiungsaktion trugen. Gemeint sein könnte, daß ehemalige Kapos und Funktionshäftlinge nach der Befreiung den Zorn der Mithäftlinge furchten und sich deshalb für einige Zeit verstecken mußten.
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ke gekommen, daß wir etwas nicht richtig machen. Ich habe mir nur Vorwürfe gemacht, daß wir nicht hart genug gegenüber den Dicken waren. Noch ein Beispiel: Ein Genösse, der vor 1933 und auch während der ersten Haftzeit sich gut verhielt, läßt sich, als er eine Funktion hat, im Wagen von den verhungerten Häftlingen ziehen. Das geschah in Mauthausen. Dieses System, Funktionen auszuüben und dadurch den Kampf um die Rettung von Kadern zu fuhren, muß zur Demoralisation fuhren. Im Gegensatz zu dem, was in den Kriegsgefangenenlagern in Süd-Korea der Fall ist, wo es Massenkämpfe gibt. Du hast recht, die Leute, die gekämpft haben als einzelne, kamen ins Lager. Es ist ganz klar, daß das auf die ganze Atmosphäre eingewirkt hat. Aber die Kriegsgefangenenlager in Korea bestehen zu einer Zeit, wo in Korea der Kampf geführt wird. Die Bedingungen sind bestimmt nicht anders als im KZ. Sie sind anders. Noch schlechter. Ja, sie werden noch schlechter zu essen haben und noch schlechter untergebracht sein. Davon bin ich überzeugt. Es gibt den Unterschied, daß es sich um gefangene Soldaten handelt, die zusammen in Einheiten gekämpft haben. Das erleichtert, den Massenkampf zu fuhren. Im Gegensatz dazu gab es im KZ Kriminelle, die nicht gekämpft haben. Dazu mußte man die Menschen aber erziehen. 69 Das ist kein prinzipieller Unterschied. Das zeigt nur, daß die Organisierung von Massenkämpfen schwerer sein kann. Das ist die Frage nicht nur des Verhaltens im Lager, sondern überhaupt die Frage des Widerstandskampfes. Wenn du sagst, bei uns im Lager war das richtig, kommt man auf die Linie, draußen gibt es ein großes Versagen und drinnen nicht. Man kann nicht sagen, daß draußen ein Versagen war und drinnen nicht. Draußen war der Widerstand genausowenig aktiver Art wie drinnen. Aber in den Lagern saßen im Verhältnis zu draußen viel mehr Genossen. Das ist richtig. Nehmen wir an, Thälmann wäre bei euch gewesen. Hätte er eine Funktion annehmen können? Natürlich nicht. Und warum die anderen? Die Linie, die du ziehst, kann man nicht ohne weiteres akzeptieren. Das ist eine Frage, die, glaube ich, hier allein nicht durchdiskutiert werden kann. Diese Frage hat große internationale Bedeutung.
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Ihr stellt also die Transportliste zusammen und entscheidet, der und der geht nicht mit. Ihr nehmt 35 Personen heraus, aber ihr müßt 35 andere Menschen an ihre Stelle setzen. Für euch unbekannte Menschen, die ihr selbst in den Tod schickt. Im Moment sind die-
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se Menschen unbekannt, aber in Wirklichkeit sind sie vielleicht gar nicht das, was man annimmt. Selbst das sowjetische Komitee konnte die Menschen nicht kennen, denn sie haben nicht gesagt, wer sie sind. Die Einsprüche unserer sowjetischen Freunde waren zahlenmäßig immer die größten. Sie hatten die am besten durchorganisierte Gruppe. Wenn dort ein neuer Transport kam, wußten sie, wer was ist. Aber Franck [Josef Frank] hat sie in den Tod geschickt. Welche Verantwortung habt ihr damit übernommen? Aber wie groß ist die Verantwortung, wenn man weiß, tausend Menschen werden auf Kommando geschickt und wir legen die Hände in den Schoß und lassen die gehen, die die SS bestimmt. Du kannst doch von uns nicht verlangen, was im ganzen Lager nicht vorhanden war. Aber das begreifst du nicht, daß ihr euch zum Werkzeug der SS gemacht habt? Wir haben Genossen gerettet. Dafür habt ihr jemand anders geschickt, die ihr nicht kanntet. Vielleicht waren das doch Genossen. 70 Wenn ich die Möglichkeit habe, 10 antifaschistische Kämpfer zu retten, dann tue ich das. Aber dafür mußten 10 andere gehen. Du verteidigst das also? Ja, das hielt und halte ich für richtig. Damit wirfst du die ganze Politik um, die in allen Lagern so war. Das ist die Politik, die die Freunde71 uns jeden Tag vorwerfen, und du verteidigst das. So und so oft war ich mit unseren Freunden zusammen in Buchenwald. Ich habe kein Wort der Kritik gehört. Nein, bei solchen Zusammenkünften natürlich nicht. Dann darf man das auch nicht heroisieren, das geschieht aber in Frankreich, in der Tschechoslowakei, in Polen. Das darf man auch nicht. Ihr hattet doch die Möglichkeit, Leute zu verstecken. Hättet ihr sie verstecken können? Wenn es sich darum handelt, ein oder zwei Mal, dann ja. Aber von 80.000 Häftlingen, davon 20-25.000 im Lager, wo jede Woche einmal oder zweimal Transporte fur Außenkommandos zusammengestellt wurden, kann man die Frage nicht so stellen. Das hieße, den Kampf mit nackten Händen gegen Maschinengewehre fuhren. Ich stelle immer wieder die Frage: In Korea machen sie es anders. Wenn wir heute ins Lager gehen müßten mit den Erfahrungen des II. Weltkrieges, würden wir es auch anders machen. Ab 1939 saßen wir da, ohne das Echo des Kampfes im eigenen Lande. An dieser Stelle wird deutlich, daß es gar nicht um eine allgemeine moralische Bewertung der ausgetauschten Transportlisten geht, sondern um die Frage, ob nicht aus Versehen doch kommunistische Genossen „auf Kommando" geschickt werden konnten. Gemeint sind an dieser Stelle die SKK und die mit Militärtribunalsverfahren befaßten sowjetischen Genossen.
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Du hast doch bei der Gestapo unterschrieben, jeden zu melden, der dich zur politischen Arbeit auffordert. 72 Was ich unterschrieben habe, haben tausende andere unterschrieben. Wenn diese, meine Handlung damals eine der Ursachen ist, daß die Parteileitung Mißtrauen gegen mich hat, würde ich heute sagen, man muß alles vermeiden, daß auch nicht der Schatten einer falschen Handlung auf dich geworfen werden kann. Ich würde sagen, das tue ich nicht, die Partei könnte das mißdeuten. Darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, daß man zurückgewichen ist, und das setzt sich fort in den Lagern. Freiwillig ins KZ gehen und nicht zu kämpfen, das ist die gleiche Linie. Das ist das, was die Freunde nicht begreifen, weil es das bei ihnen nicht gab. Ebenso ist man davon ausgegangen, Kader zu erhalten. Kader erhalten sich im Kampf, nicht im Zurückweichen. Jetzt sind die Kader zersetzt. Ich habe keine Übersicht, aber ich weiß nicht, ob man sagen kann, alles, was aus den Lagern kommt, ist zersetzt. Das haben wir nicht gesagt. Es haben ja auch nicht alle Funktionen gehabt. Heute ist es vielleicht sehr leicht zu sagen, das ist alles Quatsch gewesen, was wir gemacht haben. Aber dazu waren die Zeiten zu hart, um heute zu sagen, das war alles Unsinn. Nach einer Diskussion kann man das nicht sagen. Du hattest doch Zeit genug gehabt, darüber nachzudenken. Du stecktest doch auch in der VVN-Arbeit drin. Aber kannst du mir sagen, daß mal eine prinzipielle Frage gestellt wurde über das Verhalten unserer Genossen. Nein, das nicht. Natürlich ist es schwer, diese Frage zu stellen fur jemanden, der nicht im KZ war. Aber die Genossen, die drin waren, hätten sie stellen müssen. Ja, das ist eine schwere Sache. Ich will nicht eine solche Auffassung entwickeln, daß man sagt, 1939, 1940 oder 1941 hat es begonnen, von da an sind Fehler gemacht worden. Wahrscheinlich ist es entstanden aus kleinen Anfangen von Anfang an. Heute zu sagen, das war völlig falsch, wir hätten das von vornherein abstellen sollen, das ist nicht schwer. Aber was sollten wir dem gegenüberstellen? Den Klassenkampf. Wir kamen aus dem Zuchthaus und waren gewöhnt, daß ein Genösse Kalfaktor war. 73 Das war nicht der Fall. 1934/35 gab es Genossen, die Kalfaktoren waren. Ich weiß nicht, ob je die Frage so stand: Funktionen oder keine, und wenn die Grünen uns versuchen zu schikanieren, dann stehen wir geschlossen dagegen, und wenn die SS kommt, zu sagen, macht euren Dreck allein. Vgl. Dok. II.2,Anm. 31. Bartel leitet die Übernahme von Funktionen in der „Häftlingsselbstverwaltung" aus einer Gewohnheit der politischen Häftlinge ab: entsprechend den Regeln der Zuchthausgesellschaft aus den Reihen der Häftlinge einen Kalfaktor zu stellen.
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Man muß einen Unterschied machen zwischen Zuchthaus und KZ. Im Zuchthaus gab es keine Liquidation, auch keine sogenannte Selbstverwaltung. Da war eine Akte vorhanden und man konnte nicht so einfach verschwinden74 . Wie gesagt, wenn ihr erklärt, unsere Freunde machen uns diese Politik zum Vorwurf, sie haben mir gegenüber nie eine solche Bemerkung gemacht. Auch in den verschiedenen Körperschaften nicht. Das kann man auch nicht in solchen Körperschaften machen. Aber das gibt eine Revolution in allen Ländern. Mit den Deutschen hat es angefangen, als die anderen kamen, bestand das System schon. Das muß man auch unterscheiden. Ja, das ist richtig. Andere Nationalitäten mußten sich ja auch nach dem richten, was schon da war. Die Hauptverantwortung ist also bei uns zu suchen. Wohin das bei den anderen gefuhrt hat, siehst du am Slänsky-Prozeß75 . Im Slänsky-Prozeß steht als „Zwischenruf des Richters", daß Seifert auf der Kriegsverbrecherliste steht. Aber wenn er auf der Kriegsverbrecherliste stand, warum wurde er nicht abgeurteilt? Daß Seifert auf der Kriegsverbrecherliste steht, ist im Slänsky-Prozeß nicht gesagt worden. Aber in der Zeitung stand es. Auch nicht. Im Slänsky-Prozeß steht, daß Franck [Frank]* auf der Kriegsverbrecherliste steht, nicht Seifert. Die räumen auf damit. Im Grunde genommen hat er nichts anderes gemacht, als das, was du für richtig hältst.76 Es ist ein kleiner Unterschied, ob er das bewußt tut. Er sagt, er hätte sowjetische Kriegsgefangene auf die Liste gesetzt, um eine bestimmte Politik durchzufuhren. Und was habt ihr gemacht? Wir haben die raufgesetzt, die nicht als Antifaschisten bekannt waren. Das ist doch dasselbe. Es sind genauso deutsche, tschechische, Häftlinge aller Nationalitäten auf Transport gegangen und ums Leben gekommen. Hier geht es doch darum: ihr habt Leute runtergesetzt und andere, die ihr nicht kanntet, dafür auf die Liste gesetzt. Wer hat euch das moralische Recht gegeben, diese auf die Liste zu nehmen? Woher wußtet ihr, daß das keine guten Antifaschisten waren? Woher wußten wir, daß die anderen Genossen waren? Die, die ihr dann raufgesetzt habt, hatten das Unglück, nicht bekannt zu sein. Gemeint ist: Im Zuchthaus wurden Häftlinge nicht ohne weiteres ausgeschaltet oder ermordet, es gab keine „HäfUingsselbstverwaltung", eine ordentliche Zuchthausbürokratie führte über die Häftlinge Akten, und man konnte nicht ohne weiteres auf Transport geschickt werden. Damit kritisierte der Vernehmer an dieser Stelle eher die Handlungsweise der kommunistischen Kapos als das Verhalten der SS. Vgl. Dok. V.2, Anm. 21. Es ist aus den bislang vorliegenden Akten letztlich nicht zu erklären, warum die ZPKK Willi Seifert verteidigt und deckt.
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Das ist richtig. Das kannst du doch nicht verteidigen. Ich kann doch aber nicht zusehen, ohne zu kämpfen. Unter diesen Bedingungen haben wir gekämpft. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Zu sagen, macht euren Dreck allein und den Grünen und Schwarzen das Heft in die Hand zu geben, oder die Genossen zu retten. Ihr habt ja niemanden gerettet. Es sind ja nicht alle gestorben, die auf Kommando gingen. Aber warum habt ihr sie dann von den Listen runtergenommen? Weil im Lager die Gewähr bestand, daß sie eher am Leben bleiben, als in den „Himmelfahrtskommandos". Es mußte doch der Eindruck entstehen: Unsere Genossen bestimmen darüber, ob wir reif sind zum sterben. Dieser Zwiespalt war bei den eigenen Genossen nicht da. Bei den Himmelfahrtskommandos sind auch nicht alle gestorben. Du sagst, ihr habt Menschen herausgenommen, damit sie nicht zu den Himmelfahrtskommandos kommen, jetzt sagst du, ihr habt daiur andere hingeschickt, sie sind ja nicht alle gestorben. Ich wehre mich dagegen, daß man sagt, in den Tod geschickt. Bei den anderen habt ihr angenommen, sie sterben bestimmt, und von denen, die ihr dann dafür auf die Liste gesetzt habt, sagst du, sie sterben nicht alle. Es geht doch um die prinzipielle Frage, Gefangene selbst fur diese Himmelfahrtskommandos auszuwählen. Wenn ihr der Meinung seid, es war grundsätzlich falsch, dann war es falsch, eine Funktion im Lager anzunehmen. Du hast recht, daß wir als Deutsche die Hauptverantwortung tragen, denn wir waren in Deutschland. Bisher bin ich in der Ideologie gewesen, 77 daß wir unter den Bedingungen, die uns gestellt waren, das Bestmöglichste getan haben. Man hat uns gedankt dafür, daß wir das Bestmöglichste getan haben. 78 Wenn ihr der Meinung seid, das war falsch, wir hätten es auf einen Massenkampf ankommen lassen müssen, dann ist die Schlußfolgerung, daß wir Kapitulanten waren und einen falschen Kampf gefuhrt haben. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß wir einen Massenkampf hätten fuhren können. Da hätte eine Reflexbewegung im Lande 79 vorhanden sein müssen. Wenn man einen Kampf beginnt, weiß man nie, ob er Erfolg hat. Richtig. Aber es wäre leichtsinnig, einen Kampf zu beginnen, wenn man keine Aussichten auf Erfolg hat.
Gemeint ist: bisher bin ich der Meinung gewesen. Tatsächlich erreichten die W N zahlreiche Dankschreiben und Grußadressen von ehemaligen Häftlingen. Hier verwandelte Bartel die gängige Vorstellung von der revolutionären Bewegung, die von den Massen ausgehen muß, in eine motorische Minimalreaktion um.
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Draußen die illegalen Gruppen hätten ja auch sagen können, wir machen nichts mehr, das ist uns zu gefährlich. Wir hätten ja auch sagen können, organisiert zu sein, ist zu gefährlich. Aber Tatsache ist, daß wir eine Organisation hatten, das heißt schon, den Kopf in die Schlinge legen. Das ist auch nicht wahr, denn ohne Organisation legtet ihr den Kopf auch in die Schlinge. Manche unserer Leute haben sich die ganzen Jahre bemüht, nichts zu tun. Von denen sind auch welche gestorben. Aber den Kopf in der Schlinge hatten sie alle. Ja, der eine stand schon auf dem Gerüst des Galgens, der andere hat noch eine Weile zugeschaut. Aber wenn ein prominenter Genösse auch nichts gemacht hat, ist er doch verdächtigt worden. Das ist richtig, das hat man an Albert Kunz [Kuntz] gesehen. Der war immer dran, auch wenn er nicht dabei war. Ihr müßt einsehen, daß es für mich außerordentlich schwierig ist, das, was wir 10 Jahre lang verteidigt haben, jetzt als falsch zu erkennen. Daß alles falsch war, kann man nicht sagen. Aber wenn man von vornherein so eine Einstellung hatte, wir besetzen die Funktionen und versuchen selbst, die internationalen Kader zu retten und opfern dafür andere, bei solch einer Linie konnte man zu keiner richtigen Einstellung kommen. Wenn man von vornherein die Einstellung gehabt hätte: Wir nehmen Funktionen überhaupt nicht an, oder nur Funktionen, die notwendig sind, um Verbindung nach außen zu haben, Post, Kuriere usw., dann finden sich sicherlich im Laufe der Zeit auch Formen des Kampfes, dann wäre etwas kämpferisches herausgekommen. Die anderen Nationen, die dann ins Lager kamen, hätten eine ganz andere Basis vorgefunden und man hätte auch die entsprechenden Erfolge gehabt.
A:
Als das Lager Groß-Rosen aufgelöst wurde, kamen die Leute, die übrig waren, zu uns. Groß-Rosen war ein grünes Lager. 80 Als sie zu uns kamen, bekamen sie zum ersten Mal ihre richtige Brotportion, ihre Margarine und ihren Teller Suppe, wurden sie in ihrem Block nicht geschlagen. Es waren wenig Genossen dabei. Sie sagten, warum haben wir bei uns nicht auch Rote gehabt anstatt Grüne. Wenn wir einen Grünen hatten, die bekannt waren fürs Schlagen, kamen die Menschen händeringend zu uns und fragten, was können wir machen, um den Grünen wegzubekommen. Wenn wir gesagt hätten, wir müssen gemeinsam kämpfen, wie soll das faktisch vor sich gehen? Wer soll den Vorarbeiter machen? Es ist richtig, es hat irgendwie schon falsch begonnen, aber wenn man in einem Rhythmus schon drin ist, ist es schwer, sich zurückzureißen, besonders dann, wenn überhaupt keiner auf den Gedanken kommt. Wir haben gespürt, daß Genossen, die einfache Arbeiter und fabelhafte Kerle waren und dann Kapo wurden, gebrüllt und geschlagen haben.
80
Die „Evakuierung" des Lagers Groß-Rosen, das am 1.5 .1941 zum KZ erklärt worden war, erfolgte im Februar 1945 nach Buchenwald. Groß-Rosen war ein Lager, in dem die Kriminellen die zentralen Funktionen der Häftlingsselbstverwaltung innehatten.
V.3.2 Zweite Befragung vor der ZPKK, 29. Mai 1953
431
F: A:
Ja, zuerst haben sie gebrüllt, um nicht aufzufallen. Wir haben schnell gemerkt, warum er brüllt. Brüllt er, um einen Schlafenden zu warnen, daß die SS kommt oder meint er es ernst. Das hatten wir schnell heraus. Bei dieser Transportgeschichte war nicht nur das Schwierige, daß Genossen kamen und sagten, den dürft ihr nicht mitgehen lassen, der ist krank oder der ist der beste Gruppenleiter, das Schwierigste kam hinterher. Manche sind trotzdem mitgegangen und dann hat man uns Vorwürfe gemacht, den hätten wir nicht mitgehen lassen sollen. Es sind große Pannen passiert. Seifert hat sich dann hingesetzt und gesucht, wo liegt der Fehler. Dabei kam heraus, der SS-Mann 81 hat z.B. die zweite Liste nicht angenommen, sondern auf die erste zurückgegriffen. Das war ein ständiges Aufreiben, sowohl mit unseren eigenen Genossen, als mit den ausländischen. Manche wollten auf Kommando, manche nicht. Manche glaubten, die Zeit ist gekommen, abzuhauen. Das war eine ständig aufreibende Sache. Aber uns ist nie der Gedanke gekommen, das ist überhaupt falsch, das dürfen wir nicht tun.
F:
In manchen Lagern, wo es keine Parteiorganisation [der KPD] gab, war es noch viel schlimmer. Nehmen wir das Beispiel Sredzki 82 , der im Lager Wuhlheide war. Er hatte die Meinung, wenn ein Kommunist die Häftlinge schlägt, tut es nicht so weh. Das gab es bei uns nicht. Das sage ich auch nicht. Im Lager Wuhlheide gab es vielmehr asoziale Elemente, aber das entspringt alles der gleichen Auffassung. Ich kann jemandem die gleichen Bedingungen stellen. Der eine hält sich, der andere nicht. Das hängt von der Kraft der Partei ab, ob sie ihn zurecht biegen kann. Ja, aber hier war es der Weg des geringsten Widerstandes. Das bestreite ich auch nicht. Wenn man keinen Massenkampf macht, sucht man nach anderen Mitteln. Jeder hat versucht, auf eigene Faust schlecht zu arbeiten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ja, aber das war auch der Weg des geringsten Widerstandes. Wir mußten glauben, daß Sabotage betrieben wurde. Man bildete sich eben ein, wenn man eine Schraube rechts anstatt links herum dreht, so ist das Werkstück verdorben. Es ist natürlich ein Unterschied, ob einer oder zehn an dieser Sabotage beteiligt sind. Aber versucht wurde das.
A: F: A: F: A: F: A:
81 82
Gemeint ist SS-Hauptsturmfiihrer Albert Schwartz, zuständig fiir den Arbeitseinsatz im KZ Buchenwald. Augustin oder Siegmund Sredzki wurde zusammen mit 27 weiteren kommunistischen Genossen im Jahr 1944 von der SS ermordet.
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V Kaderkontrolle 1950-55
V.3.3 Anonymer Brief an die ZPKK (nach der Lektüre der Berichterstattung zum Slänsky-Prozeß). Verhalten Walter Bartels* im KZ Buchenwald, 5.6.195383
Streng vertraulich! Angeregt durch das Studium des Gerichtsprotokolls über den Slänsky-Prozeß teilt der Schreiber dieser Zeilen aus eigener Erfahrung und Erinnerung folgendes mit: Walter Bartel, Mitglied des ZK der SED, persönlicher Mitarbeiter des 1. Vorsitzenden der SED, Wilhelm Pieck, und Pressechef im Sekretariat Pieck des Zentralsekretariats der SED ist der echte Typ eines Slanskys, nämlich ein Abenteurer und Karrierist. Bartel ist ein Mensch, der sich bei allen seinen Handlungen nur von Gesichtspunkten persönlicher Vorteile leiten läßt. Politische oder gar weltanschauliche Schranken oder Bedenken gibt es für ihn nicht. In dem in der Nr. 113 (2443) der „Täglichen Rundschau" abgedruckten Auszug aus der Rede des Vorsitzenden der ZPKK, Matern, von der 13. Tagung des ZK der SED heißt es u.a.: „3. Es wurde festgestellt, daß Genösse Dahlem im Sommer 1947 in der Wohnung des Genossen Walter Bartel im amerikanischen Sektor von Berlin mit Field 84 zusammengetroffen ist." (Noel Field, amerikanischer Spion und Chefagent; siehe Fall Dahlem, Merker 85 und Slänsky-Prozeß). 86 An dieser Stelle muß bemerkt werden, daß Bartel, dem hier die Verbindung mit einem amerikanischen Spion nachgewiesen wird, von sich aus sich immer mit solchen Leuten umgeben hat, die ihm persönlich voll und ganz ergeben waren. So war es schon im Konzentrationslager Buchenwald, wo Bartel in den letzten Jahren bis 1945 Leiter des illegalen deutschen Komitees war, u.a. der Kapo der sog. „Arbeitsstatistik", Willi Seifert*, einer seiner intimsten Freunde. Der im Slänsky-Prozeß zum Tode verurteilte Josef Frank* hat in seinem gerichtlichen Verhör bezüglich seiner kriegsverbrecherischen Tätigkeit im Konzentrations83
84 85
86
ZPKK-Vorgang zu Walter Bartel: SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 262f. Ober den Autor des Briefes stellte die ZPKK Nachforschungen an und identifizierte ihn als Gen. Kirchgatter. Der denunziatorische Brief bildete im dritten Verhör, das am 10.6.1953 stattfand, die Grundlage für Fragen der ZPKK an Walter Bartel zum KZ Buchenwald. Siehe Dok. V.3.1. Paul Merker (1894-1969), geboren in Oberlößnitz als Sohn eines Arbeiters, Volksschule, Arbeit als Kellner, 1911 gewerkschaftlich organisiert, 1918 USPD, 1919-1922 Gewerkschaftssekretär im Zentralverband der Hotel· und Restaurantangestellten, 1920 KPD, 1927-1945 Mitglied des ZK und PB der KPD, bis 1930 Leiter der ZK-Abteilung Gewerkschaften, 1934/35 Mitglied der illegalen Landesleitung, 1937 Mitglied des Sekretariats des ZK in Frankreich, 1940 dort interniert, 1942 Emigration nach Mexiko, Sekretär der Bewegung „Freies Deutschland" und ihrer Zeitung, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946-1950 Mitglied des PV, des ZK und PB der SED, zugleich MdL Brandenburg, 1949/50 Staatssekretär im Min. für Land- und Forstwirtschaft, August 1950 verhaftet und aus der SED ausgeschlossen als „Werkzeug des Klassenfeindes" und wegen seiner Verbindungen zum „amerikanischen Agenten" Noel Field in der Zeit der Emigration, 1950-1952 Leiter einer HO-Gaststätte in Luckenwalde, 1952 als „feindlicher Agent" und „Subjekt der USA-Finanzoligarchie" verhaftet, 1955 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, 1956 aus der Haft entlassen, 1957 Lektor im Verlag Volk und Welt. Bemerkung des Briefschreibers.
V.3.3 Denunziation unter Kameraden, 5. Juni 1953
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lager Buchenwald Seifert erwähnt. Leute wie Bartel und Seifert hatten aber in Buchenwald, namentlich in der Zeit nach der Schlacht von Stalingrad, durchaus die Macht, einen Verbrecher wie Frank von seinem Posten abzulösen. Natürlich wäre dazu ein energisches Auftreten gegen die SS notwendig gewesen, aber das kam fur Leute vom Schlage Bartel, Seifert nicht in Frage. Nach 1945 hat dann Bartel Seifert sowie auch den ehemaligen Lagerältesten von Buchenwald, Erich Reschke*, in leitende Stellungen bei der damaligen Verwaltung des Innern in Berlin-Wilhelmsruh gebracht. Eine Abenteurerfigur von echtem Schrot und Korn ist ein anderer Intimus von Bartel, nämlich der Journalist Karl Raddatz 87 , der im Institut für Zeitgeschichte in Berlin die Stellung eines Lektors bekleidet. Raddatz läßt seine brillierenden Artikel auch des öfteren, namentlich in der letzten Zeit, in der „Täglichen Rundschau" erscheinen. Dieses aalglatte Subjekt war bis zum Jahre 1948 Generalsekretär der VVN. Im Jahre 1947 stellte er einem holländischen Spion, einem gewissen Joop Zwart [Jupp Swaart]88 , der für den englischen Spionagedienst arbeitete, eine umfangreiche Kartei, die mehr als 360.000 Namen von ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald enthielt, zur Abschrift zur Verfugung. Jupp Swaart unterhielt zur Tarnung seiner Spionagetätigkeit ein Büro des holländischen Roten Kreuzes am Kurfurstendamm in Berlin und trat bei der VVN als Vertreter sozialer Interessen holländischer vom Nazismus Verfolgter auf. Über diese Angelegenheit mit der Kartei sowie über nähere Umstände um Swaart und Raddatz hatte der Schreiber dieser Zeilen der SKK bereits im Jahre 1948 Mitteilung gemacht. In demselben Jahre mußte Raddatz wegen seines unsauberen Lebenswandels von seinem Posten als Generalsekretär entfernt werden. Als einen besonders intimen Freund Bartels kennt der Schreiber ferner den Botschafter der DDR in der Volksrepublik Ungarn, Stefan Heymann*, der in der Zeit der Jahre 1947/48 Landessekretär der SED in Thüringen war. Heymann ist zweifellos von Bartel protegiert worden. Ein weiterer persönlicher Freund Bartels ist der Sekretär des Landesverbandes der SED, Heinz Brandt*, von dem der Schreiber der Zeilen im Jahre 1948 den Eindruck gewann, daß er ebenfalls dem Westen gegenüber keine eindeutige Haltung hatte. Auch von Brandt erscheinen hin und wieder Artikel in der „Täglichen Rundschau". 89
87 88 89
Biographische Daten zu Karl Raddatz, siehe Dok. II. 1.2, Anm. 12. Jupp Swaart, Holländer, Spanienkämpfer, Häftling im KZ Sachsenhausen, lebte nach 1945 in Aachen. Handschriftliche Vermerk am Ende des Briefs: ,,K.[irchgatter] ist oder war Sekretär des Buchenwaldkomitees, bis 1948 in der SED, benifl.: Gütekontrolleur im Transformatorenwerk Oberschöneweide, 1947/48 mit Bartel in engster Verbindung." Grundlage fiir diese Notiz bildete eine Nachforschung. In einer Aktennotiz Günter Tenners, Mitglied der ZPKK, vom 8.6.1953, sind die Ergebnisse der Erkundigungen [vermutlich bei der SKK] festgehalten: „Gen. Ruschkow gab zu dem uns überbrachten Schreiben folgende Erklärung: Der Schreiber dieses Briefes heißt Kirchgatter und ist beschäftigt als Gütekontrolleur im Transformatorenwerk Oberschöneweide. Kirchgatter war Sekr[etär] des Buchenwaldkomitees und arbeitete mit Walter Bartel 1947/48 engstens zusammen. Ein [sie] gewissen Jopp Zwart [Jupp Swaart] gab man die Möglichkeit, eine umfangreiche Kartei nach Westberlin zu bringen. Von der Kartei wurden drei Abschriften gemacht - eine fur Jupp Swaart, eine für [das] Buchenwaldkomitee und eine fiir Aachener [unleserlich] soll ein Ort in Engl. Zone sein. Kirchgatter hat mit diesem Swaart in Fragen der Kartei zusammengearbeitet und nachdem der festgestellt hat, daß dieser Swaart nichts anderes sein konnte als ein engl. Spion, teilte er dies Gen. Bartel u. Raddatz mit. B. u R. seien mit einer Handbewegung darüber hinweggegangen und meinten, das spielt keine Rolle. Swaart soll weiter die Möglichkeit ge-
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V Kaderkontrolle 1950-55
V.3.4
Walter Bartel* an die ZPKK: „Zur prinzipiellen Frage", 6.6.195390
In der Aussprache in der ZPKK vom 29. Mai 1953 hörte ich zum ersten Male, daß die Linie des Verhaltens und der Arbeit in den Konzentrationslagern falsch war und die deutschen Genossen dafür die volle Verantwortung tragen. Ich bin völlig einverstanden mit der Feststellung, daß wir deutsche Genossen für die Politik, die prinzipielle Linie in den KZ verantwortlich sind und fühle mich deshalb auch voll verantwortlich für unser Verhalten im KZ Buchenwald. Unmittelbar nach meinem Eintreffen in Buchenwald (Oktober 1939) wurde ich vom Genossen Albert Kuntz* zur verantwortlichen Parteiarbeit herangezogen und begann mit der Berichterstattung über den VII. Weltkongreß der K[ommunistischen] Internationale] und der Brüsseler Parteikonferenz.91 Nachdem Gen. Kuntz in ein Außenkommando gegangen war (1941), habe ich bis zur Befreiung entscheidenden Einfluß auf die Linie unserer Parteiarbeit und die der ausländischen Genossen ausgeübt. Der Ansicht, daß die politische Linie in den KZ prinzipiell falsch war, kann ich nicht zustimmen. Dazu die folgenden Ausführungen. Die KZ wurden vom Naziregime zur Ausrottung seiner politischen Gegner, hauptsächlich der Kommunisten, der Dezimierung der von ihnen unterdrückten Nationen, in erster Linie der Sowjetvölker und Polen, und der Massenvernichtung der Juden eingerichtet. Während des Krieges wurde der Verkauf von Häftlingen als Arbeitskräfte an die Rüstungsindustrie ein Mittel der Ausrottung, wobei die SS-Führung viele hunderte Millionen Mark als Arbeitslohn einsteckte. Zu den Methoden der unmenschlichen Behandlung mit dem Ziel der Vernichtung gehörte auch die bewußte Diffamierung der politischen Häftlinge, indem man sie mit ausgesprochenen kriminellen Elementen, Berufsverbrechern aller Art, zusammensteckte und diese dazu noch als Aufsichtsorgane einsetzte.
90 91
habt haben, in Personalakten Einsicht zu bekommen. Im Sommer 1948 hat dann Swaart die ganze Kartei und Abschriften wieder zurückgegeben. Um die gleiche Zeit (Sommer 48) war ein Mitglied des HolI.[ändischen] Z.[entral] V.[Vorstands], Jan Hacker [Jan Haken] , hier, der mit Gen. Bartel u. Kirchgatter sprach und ihnen mitteilte, daß S. ein Mann des engl. Intelligence] S.[ervice] ist. S. wurde von der holländischen Gruppe in Sachsenhausen aus der Holländischen Partei ausgeschlossen, weil er ein Verräter war. Trotz dieser Hinweise soll Bartel u. Raddatz weiterhin dem S. die Erlaubnis gegeben haben, daß er sich mit Kartei, Fragebogen u. andere Akten von Genossen, die in Buchenwald waren, Einsicht zu nehmen, [sie] Kirchgatter gibt an, dagegen energisch protestiert zu haben und verlangte, diesen Swaart von dieser Arbeit zu befreien. Leider wurde K. krank (ca. 14 Tage), und in dieser Zeit hatte S. die Gelegenheit, Zugang zu den Akten zu bekommen. Kirchgatter gibt an, daß Bartel gegen ihn intrigierte, das soweit ging, daß im Oktober 48 K. von der Arbeit abberufen werden sollte - Daraufhin trat K. im Dezember 1948 aus der Partei aus. 8.6.53 Te [Tenner]", Bl. 264 in derselben Akte. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 229ff. Dies ist ein Auszug aus Walter Bartels umfänglicher Rechtfertigung zur Politik der illegalen KPD im KZ Buchenwald, die im ersten Teil auf 14 Seiten Bereiche und Funktionen im Lager (Krankenbau, Block 46, Arbeitsstatistik, Emst Busse*, Willi Seifert*) beschreibt. Vgl. Dok. 1.6, II.5.2 und II.5.15.
V.3.4 W. Bartels Rechtfertigung: „Zurprinzipiellen
Frage", 6. Juni 1953
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In allen KZ mußten deshalb die politischen Häftlinge vom ersten bis zum letzten Tage einen erbitterten Kampf um Leben und Tod nach zwei Seiten fuhren: gegen die mordende SS und gegen ihre Helfer in Häftlingsuniform. In Buchenwald fanden die politischen Häftlinge bei dem Beginn des Lageraufbaus (Sommer 1937) folgende, von der SS geschaffene Lage vor. Alle sogenannten Lagerfunktionen, Kapos, Vorarbeiter, Blockälteste, Schreiber, Stubendienste, Pfleger usw. befanden sich in den Händen der grünen und schwarzen Häftlinge. Diese waren mit wenigen Ausnahmen korrupte Elemente, wüste Schläger, Denunzianten und Provokateure. Täglich zeigten sie Häftlinge der SS zur Bestrafung an und beteiligten sich an den Morden der SS. Die erste Schutzmaßnahme der politischen Häftlinge war ihr solidarischer Zusammenschluß zur gemeinsamen Abwehr gegen das Wüten der Kapos und Blockältesten. Jede individuelle Aktion endete mit einer Katastrophe. Hier begann bereits die Entscheidung der prinzipiellen Frage. Es gelang, den einen oder anderen kriminellen Vorarbeiter, Kapo oder Stubendienst zu Fall zu bringen. Wer sollte an ihre Stelle treten? Ein anderer Schwarzer oder Grüner? Es gab auch unter diesen anständige Elemente. Aber Anständigkeit konnte sich im Lager nur durchsetzen, wenn die anständigen Elemente einen genügend starken Rückhalt hatten, der war aber unter der Vorherrschaft der Kriminellen niemals vorhanden. In einem Block wurde ein Stubendienst beim Diebstahl an den Portionen erwischt. Man schlug ihn windelweich. Manchmal - nicht immer, besonders in den ersten Jahren - war der SS-Blockfuhrer bereit, den Dieb abzulösen. Wer sollte an seine Stelle treten? Die Blockinsassen versuchten, einen Menschen ihres Vertrauens die Verteilung des Essens zu übergeben. Das war in den politischen Blocks fast ausschließlich ein Genösse. In den Arbeitskommandos wehrten sich die Häftlinge gegen die SS und deren Kreaturen unter anderem damit, daß sie die häufig idiotischen Arbeitsanweisungen der SS und der Kapos, bzw. Vorarbeiter buchstäblich befolgten. Die Folge war Krach durch die zuständige Bauleitung, Wände mußten wieder niedergelegt, Röhren wieder herausgerissen, Gräben wieder zugeschüttet werden. Natürlich fielen dabei wieder Schläge auf die Häftlinge, aber mancher Grüne und Schwarze wurde von seinem SS-Kommandofuhrer zum Teufel gejagt. Der SS-Mann suchte aus Angst vor eigenen Schwierigkeiten bei seinen Vorgesetzten nach einem wirklichen Facharbeiter. Diese gab es reichlich unter unseren Genossen. Was also tun? Sich von einem Berufsverbrecher weiter prügeln, denunzieren, totschlagen lassen oder durch Übernahme einer Funktion im Arbeitskommando die Häftlinge davor bewahren. Die Genossen entschieden, Funktionen anzunehmen. Ich lasse hier die Tatsache außer acht, daß sie oft nicht gefragt wurden, sondern auf Grund ihrer Berufsausbildung eingesetzt wurden. Verweigerung hätte die SS als Arbeitssabotage angesehen und mit den schlimmsten Strafen geahndet. Blieben unsere Genossen bei [der] Weigerung, Funktionen anzunehmen, was wäre außer der Bestrafung und selbst Liquidierung des Verweigerers die Folge gewesen? Die Einsetzung anderer Krimineller. Die Reserve war groß genug. Trotz der Erfahrungen, die die Kriminel-
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V Kaderkontrolle 1950-55
len besonders in Buchenwald machen mußten, wenn sie wie die SS mordeten, hat sie nicht gehindert, das immer wieder zu versuchen. Eine Forderung aber, daß kein Häftling, sondern die SS selbst die Funktionen in den Arbeitskommandos ausüben soll, hieße, sich den Mörder auf den Rücken zu setzen, oder anzunehmen, man könnte den Faschismus zwingen, seinen Antibolschewismus aufzugeben. Das sogenannte Selbstverwaltungssystem92 in den KZ war ein untrennbarer Bestandteil des faschistischen Regimes. Wie es die Arbeiter aller Länder verstanden haben, in Gefängnissen und Zuchthäusern Schulen des Sozialismus einzurichten, so verwandelte sich die Selbstverwaltung der Häftlinge in den KZ unter der Führung der politischen Häftlinge aller Länder in ein Mittel des Massenwiderstandes gegen SS-Mord und Kriegsproduktion. Die Entscheidung über die Annahme von Lagerfunktionen trafen in der Entwicklung gesehen zunächst die einzelnen Genossen fur sich, später im Einvernehmen mit ihren nächsten Kumpels, mit den Genossen aus ihrem Prozeß, aus dem Zuchthaus, oder denen, die sie aus der Lagerhaft am besten kannten. Erst nach der Festigung der Parteiorganisation und der Herausbildung einer zentralen Leitung trat der Zustand ein, daß die Partei entschied, welche Lageriunktionen nach Möglichkeit zu besetzen sind, welcher Genösse, bzw. welcher Sympathisierende sie übernimmt. Die Partei entschied auch, welche Funktionen auf keinen Fall angenommen werden dürfen. Dazu gehörte Arbeit im Krematorium, im Bunker und das Amt des Henkers. In Buchenwald ist meines Wissens niemals ein derartiges Ansinnen an politische Häftlinge, genauer gesagt, an einen unserer Genossen gestellt worden. Die Frage der Besetzung von Lageriunktionen war ein aus der Notwendigkeit des Schutzes vor Diebstahl der Verpflegung, des Häftlingseigentums (Schuhe, Unterkleidung, Geld, Rauchwaren), der Verhinderung des Mordens durch kriminelle Häftlinge, der Entlarvung von Spitzeln und Provokateuren und der Sicherung der illegalen Parteiorganisation hervorgegangener Entwicklungsprozeß. Die Lageriunktionen dienten der Verhinderung der Absicht der SS, die politischen Häftlinge gegeneinander auszuspielen und während des Krieges die deutschen Häftlinge gegen ihre ausländischen Kameraden zu mißbrauchen oder die einzelnen Nationen gegeneinander aufzuhetzen. Die von uns besetzten Lageriunktionen waren in der Herausbildung der internationalen Kampfgemeinschaft, der Durchführung der Massensabotage und des Massenwiderstandes 93 eine wesentliche, oft entscheidende Hilfe. Voraussetzung war natürlich immer das Vorhandensein eines funktionierenden deutschen und internationalen Parteiaktivs. Die Entwicklung war in den einzelnen Lagern verschieden, die Rückschläge durch das Auffliegen der Parteiorganisation, bzw. einzelner Gruppen verschieden im Umfang und in der Zeit zu ihrer Überwindung. In Buchenwald waren die Rückschläge verhältnismäßig selten und konnten schnell überwunden werden. Dazu half uns der objektive Umstand, daß Buchenwald kein Vernichtungslager war und sich außerdem die SSLagerfuhrung in dauernder „Opposition" zu den Berliner Instanzen befand. Im Gegensatz 92 93
Gemeint ist: das sogenannte System der Häftlingsselbstverwaltung. An dieser Stelle geht Walter Bartel die Phantasie vom Widerstand, der von „der Masse" getragen wird, durch. Er schreibt gegen den Vorwurf der Parteikontrollkommission an, es habe im Lager keinen Widerstand gegeben, sondern die kommunistischen Funktionshäftlinge hätten sich mit den Verhältnissen des Lagers arrangiert.
V.3.4
W. Bartels Rechtfertigung:
„ Zur prinzipiellen Frage", 6. Juni 1953
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dazu hatte z.B. das Lager Sachsenhausen das Reichssicherheitshauptamt und die Reichsfuhrung der SS ständig auf dem Halse, was die politische Arbeit wesentlich erschwerte. Ungeachtet von diesen Verschiedenheiten in der Entwicklung war das Prinzip, Lagerfunktionen anzunehmen und sie als Kampfmittel anzuwenden, in allen Lagern gültig. Selbstverständlich barg diese Politik viele Gefahren in sich. Die größte war das Abgleiten unserer eigenen Genossen in die ihnen von der SS zugedachten Rolle. Es bedurfte einer großen, ständigen politischen Erziehungsarbeit, um dieses Abgleiten zu verhindern. Die SS ließ kein Mittel unversucht, um die Lagerfunktionäre als ihr Werkzeug zu mißbrauchen. Korruption, Versprechen auf baldige Entlassung, Drohungen, Prügel, Ablösungen wechselten miteinander ab. Kollektivbestrafung der Blockältesten, der Funktionäre eines oder mehrerer Kommandos, „Sport" auf dem Appellplatz fur alle Stubendienste gehörten bis in die letzte Zeit zum Reglement. Es gab Genossen, die diesem Druck erlagen. Wo alle Mittel der politischen Aufklärung, des kameradschaftlichen Mahnens nichts mehr nutzten, wurden solche Menschen „abgehängt", in geeigneter Weise in der Parteiorganisation und in dem betreffenden Kommando oder Block durchgesagt.94 Die Folge war wachsender Widerstand gegen eine solche Kreatur. Es gab fur den Isolierten nur zwei Auswege, entweder trat er von seiner Funktion zurück, was die Häftlinge nicht hinderte, ihm trotzdem eine Abreibung zu verpassen, oder er trat offen auf die Seite der SS und der Kriminellen. Von dieser Sorte haben nur wenige das Ende des Lagers erlebt. Die Lagerfunktionäre 95 standen immer unter der öffentlichen Kontrolle der Häftlinge. Dadurch war die Partei immer über ihr wahres Verhalten unterrichtet.96 Die Häftlinge hatten ein ausgezeichnetes Gefühl, ob jemand brüllt, oder sogar pufft, um zu warnen, oder der SS zu dienen. Die große Zahl der ausländischen Häftlinge mit ihrem berechtigten Mißtrauen gegenüber jedem Deutschen war uns bei der Kontrolle eine gute Hilfe. Niemand konnte auf die Dauer ein doppeltes Spiel treiben: in Worten, den Häftlingen helfen und in der Tat ein Werkzeug der SS sein. Solche Ausnahmen wie Busse* und Frank* und andere, die bereits im Lager entlarvt wurden, sind, ohne das Verbrecherische ihrer Handlungsweise zu entschuldigen, Ausnahmen. 97 Die Gesamtbeurteilung der positiven Rolle der Lagerfunktionäre können diese Ausnahmen nicht verändern. Schwierig war die Lage in solchen Außenkommandos, in denen nur einzelne unserer Genossen als Funktionskräfte tätig waren. Die Isolierung erhöhte die Gefahr des Abrut94 95 96
97
Gemeint ist: die Person wurde isoliert, ausgeschaltet, auf Transport geschickt oder sogar getötet. Gemeint sind: Funktionshäftlinge, Kapos aus den Reihen der Politischen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß es im Lager nicht nur einen Abwehr-Apparat der illegalen Parteileitung gab, der gegen die SS-Spitzel arbeitete, sondern auch ein Kontrollsystem über die eigenen Kapos, das auch auf Einschätzungen und Stimmungsberichte im Lager zurückgriff. In einem seiner Verhöre soll auch Emst Busse eine solche Kontrolle zugegeben haben. Hierfür konnte in den bislang vorliegenden Akten kein Beleg gefunden werden. Es ist zu vermuten, daß Walter Bartel die Fälle Busse und Frank in einer Art von sich selbst erfüllender Prophetie von ihrem schlechten Ausgang her erzählt, um anzuzeigen, daß man im Grunde schon im Lager gewußt habe, daß es sich um „Verbrecher" handele.
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V Kaderkontrolle 1950-55
schens. 98 Wir waren deshalb stets bemüht, wenigstens kleine Kollektive zusammenzustellen. Wir machten die Genossen untereinander bekannt, gewöhnlich waren ausländische Genossen dabei, und steuerten so die uns bekannten Gefahren. Auch hier gelang es uns, einige Unfähige wieder von ihren Funktionen zu entfernen. In der großen Gemeinschaft des Parteikollektivs im Lager wurden sie dann gewöhnlich wieder ganz vernünftig. Die Entwicklung und Tätigkeit der Lagerfunktionäre erfolgte in der ganzen Zeit in Anwesenheit und aktiver Mitwirkung bekannter deutscher Parteifunktionäre, einschließlich von Mitgliedern des ZK der KPD. Es ist richtig, daß die fuhrenden Genossen keine Lagerfunktionen annahmen. Auch in Buchenwald wurde diese Praxis geübt. Das geschah jedoch nicht, weil die Genossen prinzipiell keine Lagerfunktionen annehmen wollten, sondern deshalb, um sie aus der Schußlinie herauszuhalten und zu verhindern, daß sie unnötig „auffielen". 99 Außerdem verhinderte auch die SS, daß die führenden KPD-Funktionäre Funktionen übernahmen oder auch nur in guten Kommandos tätig waren. So wurden die Genossen Neubauer*, Stöcker*, Renner*, Kuntz immer wieder auf ihrem Kommando kontrolliert. In den letzten Jahren hörte das in Buchenwald auf. Nach 1940 kamen nach Buchenwald eine Reihe Spanienkämpfer. Sie besaßen die Erfahrungen der politischen Arbeit in den französischen Internierungslagern100 . Die Spanienkämpfer wurden in Buchenwald im Laufe der Zeit als zumeist politisch zuverlässige, umsichtige und tapfere Genossen in die verschiedensten Lagerfunktionen gebracht. Ein Einwand gegen unsere prinzipielle Linie erfolgte nicht. Seit der Annexion Österreichs kamen in die Lager ausländische Genossen, darunter sehr bekannte Funktionäre, von denen heute viele entscheidende Staats- und Parteiftinktionen bekleiden. In allen Regierungen der europäischen Volksdemokratien und in den ZK der Parteien, wie in den ZK der Kommunistischen Parteien Westeuropas, befinden sich Genossen, die mehr oder minder lange Zeit in deutschen faschistischen KZ waren. In Buchenwald begann unsere Arbeit unter den ausländischen Zugängen mit praktischer Solidarität. Wir versorgten die Kranken, gaben zusätzliche Verpflegung, organisierten Zigaretten und halfen, wo es nur möglich war. In dieser Arbeit forschten wir nach unseren Genossen, freundeten uns mit ihnen an, forderten sie auf, ein Parteizentrum zu bilden, soweit das noch nicht geschehen war, und dann sprachen wir mit ihnen über die Lage im Lager, über unsere Aufgaben und unsere Taktik. In Buchenwald gab es seit 1940 feste, ständige Verbindungen vom deutschen Parteizentrum zu den ausländischen Genossen. 1943 konstituierte sich das Internationale Lagerkomitee. In allen diesen Jahren gab es ständig Diskussionen über viele politische, militärische und 98 99 100
Gemeint ist: des Abrutschens in die Kollaboration mit der SS oder mit den „Kriminellen". Ernst Busse, als Mitglied des Dreierkopfes der illegalen Parteileitung der KPD und als Kapo des Krankenbaus, bildete hierin eine Ausnahme. Gemeint sind die französischen Internierungslager für feindliche Ausländer, in denen seit Kriegsbeginn deutsche Emigranten, Nationalsozialisten, Kommunisten und eben auch Interbrigadisten interniert wurden. Die beiden bekanntesten Sammellager in Paris waren die Stadien von Collombes und Rolland Garros, in denen zahlreiche Deutsche zur ersten Registrierung festgesetzt wurden, sowie die Lager Le Vemet, Gurs und Les Milles.
V.5.4 W. Bartels Rechtfertigung: „Zurprinzipiellen Frage", 6. Juni 1953
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Lagerfragen. Aber niemals wurde auch nur von einer ausländischen Parteileitung die Richtigkeit unserer prinzipiellen Linie in Frage gestellt. Im Gegenteil. Unsere Linie, unter den kuriosesten Vorwänden der SS die Zustimmung abzuluchsen, ausländische Häftlinge in Lagerfunktionen zu bringen, wurde gutgeheißen und tatkräftig unterstützt. Die ausländischen Genossen mußten dabei dieselbe Erfahrung machen, die wir schon hinter uns hatten. Mancher von ihnen vorgeschlagene Kamerad verhielt sich keineswegs so, wie man das von ihm erwartet hatte. Aber das waren auch bei ihnen Ausnahmen. Sie wurden von ihren Landsleuten genauso bekämpft, wie kriminelle Deutsche oder Kriminelle in den eigenen Reihen. Im Sommer 1942 begann in Buchenwald der Aufbau einer militärischen Organisation, in der im Frühjahr 1945 ca. 200 Gruppen mit 8-900 Männern aus 10-12 verschiedenen Nationen erfaßt waren. An Waffen waren ca. 100 Gewehre, einige Revolver, selbst angefertigte Handgranaten und ein leichtes MG vorhanden. Alle Waffen stammten aus der Produktion außerhalb des Häftlingslagers und wurden unter Todesgefahr ins Lager gebracht und dort versteckt gehalten. Die militärische Organisation führte am 11. April 1945 in den Mittagsstunden den Sturm auf den elektrischen Zaun, auf den Befehlsturm, das Haupttor und die abziehende SS durch. Einige Stunden später waren 1.800 Männer, davon 200-250 Deutsche, mit Gewehren, Panzerfausten, leichten und schweren Maschinengewehren bewaffnet. Das Lager stand zwei Tage unter dem Schutz dieser Bewaffneten (in Weimar befand sich noch die SS), bis die Amerikaner am 13. das Lager übernahmen und die Entwaffnung anordneten. Man sollte meinen, daß Menschen mit der Waffe in der Hand jene zur Verantwortung ziehen, die sie als Lagerfunktionäre geschunden haben. Das ist nicht geschehen. 101 Hier muß gesagt werden, daß sich die restlichen grünen und schwarzen Häftlinge freiwillig evakuieren ließen. Auch die Häftlinge aus dem Krematorium waren rechtzeitig mit den SS-Leuten des Krematoriums abgerückt. Zurück blieben nur die politischen Lagerfunktionäre. Von uns aus wurde der ehemalige Kapo Alfred Scherlinsky*, zwar ein politischer Häftling, aber eine SS-Kreatur, öffentlich als Volksfeind erklärt. Scherlinsky gehörte auch zu den 46 vom 5. April, 102 war aber unmittelbar nach der Befreiung verschwunden. Eine Stunde nach Übernahme des Lagers fand die erste legale Sitzung des Internationalen Lagerkomitees statt. Es fand eine formelle Wahl des Vorsitzenden statt. Als einziger Kandidat wurde ich einstimmig gewählt. Auf ausdrückliches Verlangen des ersten amerikanischen Kommandanten wurde meine Wahl in seiner Gegenwart wiederholt. Es gab wiederum Einstimmigkeit, dabei gab es im Komitee eine erhebliche Anzahl Nichtkommunisten. 101
102
Handschriftliche Anmerkung durch ein Mitglied der ZPKK am Rand: „Das ist nicht richtig, zu den Bewaffneten gehörten ja gerade die Busse und Frank." Dies ist zwar nicht richtig, denn die beiden hielten sich versteckt, weil sie in den letzten Tagen noch zur Liquidierung durch die SS vorgesehen waren, aber möglicherweise hatte die ZPKK untergründig trotzdem recht, weil die ersten Verlautbarungen aus dem Lager nach der Befreiung erahnen lassen, daß es den deutschen Kommunisten bei der Militäraktion vor allem um die Verhinderung von Aufruhr und Rache der Häftlinge ging. Gemeint sind die 46 politischen Häftlinge, die von ihren Kameraden in den letzten Tagen vor der Befreiung des Lagers versteckt wurden und so der geplanten Ermordung durch die SS entgingen.
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Das Internationale Lagerkomitee bildete Kommissionen zur Durchführung der Repatriierung, der Aufrechterhaltung der Verpflegung, der Krankenversorgung, führte gemeinsame internationale Kundgebungen durch (Befreiungsappell, Totenehrung, 1. Mai, Befreiungsfeier am 9. Mai) und arbeitete auch weiter, als der Kommandant nach unserer politisch sehr eindeutigen 1. Mai-Feier das Komitee als „nicht mehr erforderlich" bezeichnete. Besonders französische und polnische Offiziere versuchten, unter ihren Landsleuten eine Hetze gegen uns Deutsche zu betreiben. Natürlich fanden sie ein Echo bei einigen faschistischen Elementen, aber die übergroße Mehrheit wies solche Manöver ab. Das Internationale Lagerkomitee und seine Kommissionen hatten eine Reihe ernster Diskussionen durchzufuhren und Entscheidungen zu treffen. Aber es gab keine Diskussionen über unsere prinzipielle Linie und keine Anklage, daß die Deutschen die Handlanger der SS gewesen seien. Wir selbst regten die Bildung eines internationalen Untersuchungsausschusses an, um konkrete Fälle zu klären. In den ersten Tagen nach der Befreiung kam es zu begreiflichen Zwischenfallen zwischen den Häftlingen der verschiedensten Nationen untereinander. Wir forderten von unseren Genossen größte Zurückhaltung, selbst wenn sie in einem konkreten Fall formal im Recht wären, sollten sie nachgeben. Die kleine Minderheit chauvinistischer Elemente wartete darauf, aus solchen kleinen Dingen große Politik zu machen. So propagierten sie unter anderem, es sei die Sache der Deutschen, den Dienst in der Küche, im Waschhaus, in den Kammern und im Revier aufrecht zu erhalten. Sie wurden von der Mehrheit ihrer Landsleute eines besseren belehrt. Der genannte Untersuchungsausschuß klärte einige Fälle, ohne aus Ausnahmefällen zur Verurteilung der Deutschen, der Polen, der Franzosen oder Russen zu kommen. Es ist bekannt, daß die Vertreter der Kommunistischen Parteien im Lager eine gemeinsame Abschiedserklärung mit der Einschätzung des politischen Kampfes in Buchenwald unterschrieben, wie die meisten der nationalen Komitees in ihren Abschiedserklärungen Worte des Dankes an ihre deutschen Kameraden für ihren aufopferungsvollen Kampf fanden. Man könnte einwenden, daß alle diese Tatsachen aus der Atmosphäre des Lagers und der Befreiung zu erklären sind. Dazu wäre zu erwidern: Seit 1946 finden in Weimar-Buchenwald am 11. April Gedenkkundgebungen unter starker Anteilnahme ausländischer Delegationen statt. Viele dieser Veranstaltungen waren mit Konferenzen und eingehenden Aussprachen verbunden. 1952 nahmen an dem internationalen Buchenwaldtreffen in vielen Nationen auch sehr viele Parteilose teil. In der Diskussion sprach auf meine Anregung in Uniform 103 Gen. Willy Seyfert [Willi Seifert]*. Die Anwesenden wußten, daß er Kapo der Arbeitsstatistik war und wurde außerdem als solcher vorgestellt. Ihn empfing großer Beifall. Auch am Schluß seiner Diskussionsrede, in der er an seinem eigenen Beispiel den Charakter und die Zusammensetzung der Volkspolizei demonstrierte, wurde ihm applaudiert. Seit dem Bestehen der FIAPP und jetzt der FIR fanden in verschiedenen Ländern internationale Konferenzen unter Anwesenheit unserer sowjetischen Freunde statt. Mir ist nicht 103
Gemeint ist: in der Uniform der DVP. Seifert war seit 1949 ihr stellvertretender Chef.
V.3.4
W. Bartels Rechtfertigung: „Zurprinzipiellen
Frage ", 6. Juni 1953
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bekannt, daß auf einer dieser Konferenzen die Frage angeschnitten wurde, ob das Verhalten der Deutschen im Lager prinzipiell von einer falschen politischen Auffassung ausging. Der Genösse Otto Kipp*, jetzt 1. Sekretär der Partei im Kreis Bitterfeld, wurde 1945 von den Amerikanern bei ihrem Abzug verschleppt. An dem Kampf um seine Befreiung nahmen im hervorragenden Maße unsere Kameraden im Auslande, besonders in Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg teil. Das gleiche geschah, als Genösse Wilhelm Hamann* (Grossgerau in Hessen) wegen angeblicher Verbrechen an der Menschlichkeit [sie] von den Amerikanern verhaftet wurde. Faschistische Elemente im Ausland haben wiederholt versucht, eine Kampagne gegen die Deutschen im KZ zu entfalten. Sie mußten, weil man sie der Lüge und des Betruges öffentlich überfuhren konnte, ihr Beginnen immer wieder einstellen. An der Verteidigung unserer deutschen ehemaligen Häftlinge beteiligten sich in großer Zahl Nichtkommunisten, die das in ihren öffentlichen Erklärungen ausdrücklich betonten. Die Übereinstimmung mit unserer politischen Linie im Lager wird auch jetzt noch, acht Jahre später, in jeder Weise demonstriert. Zu der Ansicht, daß die Politik der Partei in den KZ eine Politik des ständigen Zurückweichens war und deshalb zur Zersetzung der Kader führte, weil Kader nur im Kampf erzogen und erhalten werden können, ist folgendes zu sagen. Kader können nicht konserviert werden, sie müssen sich immer wieder aufs neue im Kampf bewähren. Die Übernahme der Lagerfunktion war fur einen politischen Häftling nicht das Ende des Kampfes gegen den Faschismus, sondern seine Fortsetzung. Kein Kapo und kein Blockältester blieb von den verhängnisvollen Zufälligkeiten des Lagerlebens verschont und stand immer unter der Drohung des SS-Mordes. Gewiß gab es im Lager Genossen mit und ohne Funktionen, deren einziges Sinnen und Trachten darauf gerichtet war, sich aus allem herauszuhalten, was nach politischer Arbeit, nach Protest und Widerstand aussah. Aber die Masse der politischen Häftlinge und die Lagerfunktionäre konnten und sie wollten auch nicht ausweichen. Sie führten mit allen den Bedingungen des Lagers und der Situation angepaßten Methoden den Kampf gegen SS-Mord und Krieg. Genossen wie Krämer*, Peix*, Arndt*, Thoma [Georg Thomas]* und unzählige andere übernahmen die Lagerfunktionen in der nüchternen Einschätzung, daß es ein Kampf um Leben und Tod sein wird, und sie gingen im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung vor der Partei und ihren Kameraden den Weg, der mit ihrem Leben endete. Zu den vielen Tatsachen des täglichen Kampfes, die aus der Arbeitsstatistik und dem Revier bereits angeführt wurden und die aus jedem anderen Kommando ergänzt werden können, seien noch folgende genannt, die Ausdruck des Massenwiderstandes des gesamten Lagers Buchenwald waren. Anfang November 1941 kam zu uns der erste Transport sowjetischer Kriegsgefangener. Sie waren durch wochenlange Märsche, durch Hunger und Krankheiten in einem selbst uns erschütternden Zustand. Als sie vom Bad in die durch Stacheldraht abgesonderten Baracken gingen, erbrachten ihnen die Häftlinge einen überzeugenden Beweis ihrer Solidarität mit diesen Kriegsgefangenen und damit zu den Sowjetvölkern im Kampf gegen den Faschismus.
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Alles, was sie hatten, Brot, Aufstrich, Tabak, Strümpfe, Wollsachen, Gemüse, Obst und vieles andere wurde den Kriegsgefangenen überreicht. Das alles geschah in wenigen Minuten. Hinterher gingen Genossen mit großen Körben durch die Blocks und sammelten weiter. Die SS bestrafte die beiden verantwortlichen Blockältesten (Genossen) mit Funktionsenthebung, Bock und Strafkompanie. Das Lager erhielt drei Tage kein Mittagessen. Aber es gab nur eine Meinung: wir taten unsere Pflicht und werden es beim nächsten Mal wiederholen. 1942 wurde von der SS ein Sonderkommando geschaffen. Es bestand aus ca. 100 politischen Lagerfunktionären, in der übergroßen Mehrzahl waren es Genossen. Die Namen hatten die Grünen der Politischen Abteilung mit dem Hinweis übergeben, das seien die Vertrauensleute der kommunistischen Organisation des Lagers. Der Zweck des Sonderkommandos war klar: Liquidierung durch Provokation oder Hunger, um die politische Organisation zu zerschlagen. Unter den Angehörigen des Kommandos befanden sich viele im ganzen Lager bekannte politische Häftlinge. An ihre Stelle setzte die SS Grüne oder verbrecherische Rote (Wehrmachtshäftlinge). Die Masse der Häftlinge - auch der ausländischen - reagierte völlig eindeutig: gegen die Grünen, für die Politischen! Ungeachtet ständiger Kontrolle und der Androhung schwerster Strafen wurde das Sonderkommando mit allem Notwendigen versorgt. Sie waren auf die Hälfte der Rationen gesetzt worden, erhielten nichts zu rauchen und durften das Revier nicht aufsuchen. Im beharrlichen monatelangen Kampf wurde die Auflösung des Kommandos durchgesetzt, ihre Angehörigen kehrten in ihr früheres Kommando und an ihre Funktion zurück. 1944 mußten alle politischen Häftlinge auf dem Appellplatz antreten. Der Kommandant forderte sie auf, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden. Kein eigentlicher politischer Häftling meldete sich, lediglich einige Wehrmachtsthäftlinge, die nicht angenommen wurden. Die Partei hatte das Argument, wir werden uns in Hitlers Uniform mit der Waffe die Freiheit erkämpfen, als opportunistisch zurückgewiesen. Unser Verhalten hinterließ bei den ausländischen Häftlingen einen starken Eindruck. Die Ablehnung jeder Meldung zu den DirlewangerFormationen 104 war selbstverständlich. Im Winter 1944/45 erhielten unsere französischen und belgischen Kameraden Pakete des Internationalen Roten Kreuzes. Obwohl die SS stahl wie die Raben, kam doch ein großer Teil ins Lager. Es war die schlimmste Zeit unseres Häftlingsdaseins. Der Hunger war nicht mehr zu bannen. Unsere französischen und belgischen Genossen propagierten die Aufteilung der Pakete an das ganze Lager. Obwohl die reaktionären Kräfte ein großes Geschrei anstimmten, blieben sie in der hoffnungslosen Minderheit. Die Pakete wurden aufgeteilt, wobei es zu herzlichen illegalen Kundgebungen, besonders zwischen den französischen und sowjetischen Kameraden, kam.
104
Zur Dirlewanger-Einheit, vgl. Dok. II. 1.2, besonders Anm. 13.
V. 3.4
W. Bartels Rechtfertigung: „ Zur prinzipiellen Frage ", 6. Juni 1953
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Im Januar oder Februar 1945 verlangte die SS-Führung im Lager Dora von den beiden Lagerältesten, unseren Genossen Adamczyk [Ludwig Szymczak] 105 und Thoma [Georg Thomas], zwei angebliche Saboteure, aufzuhängen. Dazu war die SS in voller Bewaffnung aufmarschiert, alle Häftlinge waren angetreten. Beide Genossen lehnten ab. Den Henker machte ein Grüner. Die Genossen wurden abgelöst und im Bunker ermordet. Sie waren vorher jahrelang bei uns in Buchenwald und hatten sich freiwillig der Partei fur dieses Himmelfahrtskommando zur Verfugung gestellt. Der Beschluß des Internationalen Lagerkomitees vom 5. April 1945, die von der SS verlangten 46 politischen Häftlinge verborgen zu halten, wurde durchgeführt. Es fand sich kein Verräter. Dabei war das Verbergen der 46 nicht so möglich, daß niemand von ihrem Aufenthalt wußte, dazu war die Mehrheit der 46 zu lange im Lager und zu vielen Häftlingen bekannt. Seit dem Herbst 1944 befanden sich im Lager ca. 900 Kinder bis zu 16 Jahren. Wiederholt verlangte die SS den Abtransport der Kinder nach Bergen-Belsen, also praktisch zur Liquidierung. Mit allen möglichen Tricks wurde der Abtransport verhindert. Wochenlang markierten wir eine Typhus-Epidemie. Die Kinder befanden sich am Tage der Befreiung in unserer Obhut. Mit dem 4. 4. 45 begann unser Kampf gegen die Evakuierung des Lagers. Wir erfanden zuerst „sachliche" Gründe, verzögerten, sabotierten und schufen bewußt Chaos. Die SS konnte ihre Befehle, das Lager zu räumen, gegen den zähen Widerstand der Häftlinge nicht durchsetzen. In dieser Situation wurde im Internationalen Lagerkomitee zweimal die Frage einer bewaffneten Aktion diskutiert. Das Kräfteverhältnis hatte sich trotz der Frontlage zu unseren Ungunsten verschoben. Nach dem SS-Standort kamen fortwährend neue Truppenteile, so daß uns immer 3.000 Gewehre gegen unsere 100 gegenüberstanden, ganz zu schweigen von Munition und schweren Waffen. Dieser Argumentation der militärischen Leitung beugte sich das Internationale Lagerkomitee, bis in den Mittagsstunden des 11. April bei der unmittelbaren Nähe der Front der Befehl zum Angriff gegeben wurde. Das sind nur ein Teil jener Tatsachen, die keineswegs von ständiger Kapitulation, sondern von einem ständigen Widerstand und Kampfgeist zeugen. Dazu gehört auch die ununterbrochene individuelle und bewußt organisierte Sabotage der Kriegsproduktion. Kein Mittel der zivilen und SS-Leitung der Rüstungsbetriebe, in denen die Häftlinge zur Arbeit gezwungen wurden, erreichte die Arbeitsproduktivität wie der sogenannten freien Arbeiter. Die Leistungen der Häftlinge blieben immer weit darunter. Auch Aufhängen und Durchpeitschen konnten nichts daran ändern. Der bekannte Buchenwaldschwur, ein deutscher Vorschlag, vom Internationalen Lagerkomitee bestätigt, fordert zur Fortsetzung des gemeinsam geführten Kampfes auf und schließt mit der immer wieder in allen Sprachen verwandten Losung: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung!" „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!" 105
Ludwig Szymczak war Bergmann, KPD-Mitglied, und zusammen mit Georg Thomas zweiter bzw. erster Lagerältester in einem SS-Außenkommando, wo beide am 4.4.1945 erschossen wurden.
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Die Tatsache, daß diese Losung auf vielen internationalen Kundgebungen bis in die jüngste Zeit benutzt wurde, zeugt von ihrem kämpferischen Charakter und von dem Kampfgeist, den das internationale antifaschistische Aktiv 106 in Buchenwald beseelte. Zu den sowjetischen Gefangenen Die sowjetischen Gefangenen erfreuten sich von ersten Tage ihres Eintreffens im Lager der herzlichen Sympathie der politischen Häftlinge aller Nationen. Daran änderte auch nichts die Tatsache, daß mit dem ersten Transport viele Sowjetbürger, besonders Ukrainer kamen, die sich nach eigener Aussage zum freiwilligen Arbeitseinsatz nach Deutschland gemeldet hatten. Sie waren sehr überrascht, daß sie im KZ landeten. Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden mit großer Hochachtung angesehen. Sie waren in der Masse der sowjetischen Häftlinge der politisch feste Kern und die stets zum Kampf treibende Kraft. Aus ihren Reihen rekrutierte sich auch die führende Gruppe des sowjetischen Parteizentrums. Die sowjetischen Freunde leisteten eine große politische Erziehungsarbeit in den eigenen Reihen. Sie führten einen hartnäckigen Kampf gegen antibolschewistische Einflüsse, besonders gegen Agenten, die für den Eintritt in die Wlassow-Armee Propaganda trieben. Auch von kriminellen Elementen war das sowjetische Kollektiv nicht verschont. Den sowjetischen Genossen hat das internationale Lageraktiv viel zu verdanken. Solche Losungen wie „Kommando X - rabota nix" oder „po malenko',, gingen in den Wortschatz aller Nationen über (Kommando X wurde das Aufbaukommando für die Gustloffwerkstätten beim Lager genannt). 107 Im Internationalen Lagerkomitee waren unsere Sowjetfreunde sehr aktiv, schonungslos in der Kritik und sehr konkret in ihren Vorschlägen. Immer wieder fanden sie neue Formen des Widerstandes und der Stärkung des Kampfgeistes. So standen sie am 7. November 1944 nach dem Appell in Uniform und militärischer Disziplin Spalier, so daß viele tausende Häftlinge an ihnen vorbeimarschieren konnten. Diese Demonstration des Schweigens und des ungebrochenen Kampfwillens hinterließ einen starken Eindruck auf uns alle. Die sowjetischen Freunde waren Meister im Improvisieren kultureller Veranstaltungen im Freien wie in den Blocks. Viele tausende europäischer Kommunisten und Sympathisierender erhielten im Lager den ersten Eindruck sowjetischer Volkskunst. Weit über die parteimäßigen Verbindungen entstanden herzliche kameradschaftliche Beziehungen zwischen den sowjetischen Gefangenen und den politischen Häftlingen vieler Nationen. Die Verbindung unserer Parteileitung zu den sowjetischen Freunden hatte ich. Sie wurde von Jahr zu Jahr fester. Die immer wieder auftauchenden Schwierigkeiten wurden nicht umgangen, sondern in gemeinsamer Aussprache und Arbeit beseitigt. Die sowjetischen Genossen stimmten vollständig mit unserer politischen Linie überein und unterstützten sie in jeder Weise. Im Laufe der Zeit waren in allen entscheidenden Kommandos sowjetische Häftlinge eingebaut, einschließlich Lagerschutz, Brandwache, Küche, Kammern usw. Sie übten Funktionen als stellvertretende Blockälteste, Vorarbeiter, Pfleger, Läufer u.a. aus. 106 107
Gemeint ist: Parteiaktiv. Übersetzt: Kommando X - nix arbeiten, oder nur ganz wenig.
V.3.4 W. Bartels Rechtfertigung: „ Zur prinzipiellen Frage ", 6. Juni 1953
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Mit strengster Disziplin achtete das sowjetische Parteizentrum auf die Durchführung der festgelegten politischen Linie. Alle die sowjetischen Gefangenen berührenden Fragen wurden mindestens seit Mitte 1943 im wesentlichen durch die sowjetische Organisation gelöst. Das traf insbesondere für die Arbeit im Revier und die Frage der Transporte zu. Die gute politische und persönliche Zusammenarbeit setzte sich auch nach der Befreiung fort. Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden drei Tage vor der Befreiung evakuiert. Wir übergaben ihnen alle Handwaffen. Im Mai 1945 sprach mich in Chemnitz ein Sowjetfreund108 an. Er gehörte zu den evakuierten Kriegsgefangenen. Nach seiner Darstellung konnte sich der Transport in der Nähe von Hof bei einem Fliegerangriff befreien. Eine Bestätigung dieser Meldung habe ich nicht erhalten. Im Lager erschien am 1. Mai ein sowjetischer Verbindungsoffizier aus Paris. Die 1. MaiKundgebung bereitete diesem ersten offiziellen Vertreter der Sowjet-Armee eine begeisterte Ovation. Wenn jetzt von sowjetischen Genossen der Vorwurf erhoben wird, daß unsere politische Linie im Lager falsch war, dann bin ich mir völlig klar, wie schwer eine solche Einschätzung wiegt. Um so notwendiger ist eine grundsätzliche Klärung, da sie nicht nur die Arbeit einzelner deutscher Genossen, sondern auch vieler ausländischer Kommunisten betrifft. In der Geschichte der Arbeiterbewegung ist es wiederholt vorgekommen, daß eine Arbeiterpartei oder Teile von ihr aufgrund einer falschen prinzipiellen Einstellung eine falsche Politik betrieb. Da diese falsche Politik aber in den Gegensatz zu den Interessen der Arbeiter geraten mußte, stieß sie auch auf den immer wachsenden Widerstand der Massen. Aber es ist eine Tatsache, daß die deutschen Genossen viele Jahre in Anwesenheit, Kontrolle und Mitwirkung hervorragender Mitglieder der großen europäischen kommunistischen Parteien diese Politik führten, ohne daß von irgend einer Seite eine prinzipielle Ablehnung erfolgte. In den acht Jahren, die seit der Befreiung der KZ-Häftlinge vergangen sind, gab es viele internationale Beschlüsse, Konferenzen und Kundgebungen der ehemaligen politischen Häftlinge. Aus allen diesen Dokumenten sprach immer wieder das Bekenntnis, die in den faschistischen KZ geschmiedete Kampfgemeinschaft zu erhalten im weltweiten Ringen um Frieden, Freiheit und Sozialismus. Die Betonung, daß unsere ausländischen Freunde mit unserer Politik übereinstimmten, ändert nichts an unserer eigenen Verantwortlichkeit, aber sie ist eine geschichtlich gewordene Tatsache. Es gibt auch keine Zweifel, daß in der Durchführung dieser Politik ernste Fehler gemacht wurden. Es gab genügend Erscheinungen des Zurückweichens, der Korruption, der Zersetzung, der Feigheit und des Verrates. Es wäre lächerlich, davor die Augen zu verschließen oder die Tatsachen zu bagatellisieren. Sicher gibt es auch heute noch unentdeckte Verbrechen aus der Lagerzeit, und jeder Versuch, aus „Kameradschaftlichkeit" oder Veijährung darüber hinwegzusehen, wäre verbrecherisch. Es bleibt nach wie vor die ernste Aufgabe aller
108
Gemeint ist: ein sowjetischer ehemaliger „Kamerad" aus dem KZ Buchenwald.
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verantwortungsbewußten Parteimitglieder, auch das letzte Dunkel aus der Lagerzeit zu beseitigen. Wir haben vom Lager aus den Faschismus nicht besiegen können. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir nicht schlecht gekämpft haben und daß zehntausende Antifaschisten diesem Kampf ihr Leben verdanken. Das bestätigen immer wieder erneute Bekundungen ehemaliger politischer Häftlinge, daß sie in den deutschen politischen Gefangenen die Repräsentanten des wahren Deutschland gefunden haben und deshalb ihnen vertrauen und sie in ihrem Kampf um ein geeintes, antifaschistisches, demokratisches Deutschland unterstützen.
V.3.5
ZPKK-Beschluß gegen Walter Bartel*, 4.8.1953109
Vertrauliche Verschlußsache Betr.: Genossen Walter Bartel, geb. am 15.9.1904 Beruf: kauftnänn. Angestellter letzte Tätigkeit: persönlicher Referent des Gen. Wilhelm Pieck polit. organ.: 1920-1928 KJVD, 1923 KPD, 1936 in Prag aus der KPD ausgeschlossen. Gründe: Walter Bartel hat bei seiner Entlassung bei der Gestapo einen Revers unterschrieben, 1. wonach er keine staatsfeindliche Tätigkeit mehr ausüben wird, 2. staatsfeindliches Material abliefert, 3. staatsfeindliche Agenten der Polizei ausliefert. 7.2.1946 Wiederaufnahme in die KPD durch Beschluß des Sekretariats. Haftstrafen während der Nazizeit: 1933-Okt. 1935 Untersuchungshaft und 2 1/4 Jahre Zuchthaus, 1936-1939 Emigration in Prag, März 1939-1945 April Prag und KZ Buchenwald. Die ZPKK beschloß in ihrer Sitzung vom 31.7.1953: Der Genösse Walter Bartel ist aus seiner jetzigen Funktion abzulösen und für eine Funktion außerhalb des Parteiapparats zu verwenden.
109
SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 5f. Der Beschluß wurde Walter Bartel erst am 5.10.1953 zur Kenntnis gebracht, nachdem er sich in einem Schreiben vom 30.9.1953 bei Hermann Matern beschwert hatte, seit der dritten Befragung am 10.6.1953 keine Nachricht von der ZPKK erhalten zu haben. Ende August war seiner bisherigen Sekretärin im Büro Pieck auf einer Abrechnung ihres Gehaltsstreifens die Entlassung Bartels bekannt gegeben worden (Bl. 332 in dieser Akte). Der Brief Bartels ist mit folgendem Vermerk versehen: „Herta [Herta Geffke], wir müssen dem Gen. Bartel den Beschluß verlesen. Matern."
v.i.5 ZPKK-Beschluß gegen W. Bartel, 4. August 1953
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Begründung: Die Untersuchung der ZPKK gegen den Genossen Walter Bartel hatte folgendes Ergebnis'io : 1. Genösse Walter Bartel organisierte auf Wunsch der Herta Jurr-Tempi im Sommer 1947 in seiner Wohnung eine Zusammenkunft zwischen Field und dem Genossen Franz Dahlem. 2. Als Genösse Bartel auf Aufforderung des Genossen Dahlem am 5.10.1949 dazu eine Erklärung abgab, nannte er nicht den Namen Field, sondern bezeichnete er den Teilnehmer der Besprechung mit dem Namen Collens. 3. In der Untersuchung gegen den Genossen Dahlem wurde festgestellt, daß dieser vor der Zusammenkunft mit Field in der Wohnung des Genossen Bartel wußte, daß es sich nicht um einen Mann namens Collens, sondern um Field handelt. Entweder hat also Genösse Dahlem gewußt, daß der angebliche Collens Field ist, das heißt, es bestand eine Geheimverbindung zwischen Dahlem und Field und der Name Collens war das geheime Stichwort, mit dem Field bei Genossen Dahlem avisiert wurde, oder aber Genösse Bartel wußte den Namen Field und sagt jetzt nicht die Wahrheit. 4. Es gibt schwerwiegende Gründe dafür, anzunehmen, daß Genösse Bartel nicht die Wahrheit sagt, und zwar aus folgenden Gründen: a) Genösse Bartel verschwieg in der Untersuchung zunächst, daß er mit Field mindestens zweimal zusammengekommen ist. Bei seiner zweiten Zusammenkunft in seiner Wohnung vereinbarte er mit Field die Übergabe von Fotos, die Field tatsächlich übergeben wurden. Genösse Bartel mußte erst durch die Aussagen seiner früheren Frau, seiner früheren Schwägerin und seines früheren Schwagers überfuhrt werden. b) Genösse Bartel betonte vor der ZPKK, daß er niemals Kenntnis davon hatte, daß das Hauptamt OdF irgend etwas mit der Cralog zu tun gehabt habe. In seiner Erklärung vom 5.10.1949 bezeichnete er jedoch den angeblichen Collens und wirklichen Field ausdrücklich als Cralog-Offizier. Obgleich Genösse Bartel nichts von den Verhandlungen des Hauptamtes OdF mit der Cralog gewußt haben will, übergab er Field Fotos von Opfern des Faschismus und deren Wohnungen zu dem ausdrücklichen Zweck, dokumentarisches Material fur eine Sammlung der Cralog für Opfer des Faschismus zur Verfugung zu stellen. 5. Genösse Bartel hielt als persönlicher Referent des Genossen Wilhelm Pieck eine BriefVerbindung mit Westdeutschland aufrecht. Es handelte sich um die Mutter der Genossin Milli Möller 111 , deren Mann zur Zeit als Leiter der Auslandsabteilung des polnischen Rundfunks in Warschau tätig ist und die angeblich nach Polen übersiedeln möchte. Die Briefe wurden an eine Genossin Käte Brand-Cruys in Schöneberg (Westberlin) gesandt, von wo sie über die VVN Westberlin an den Genossen Bartel persönlich gingen.
110 111
Zum Vorgang im Detail, siehe Dok. V.3.2. Nicht identifiziert. Das dritte Verhör Walter Bartels vor der ZPKK am 10.6.1953 hatte neben den Themen Field/Dahlem, KZ Buchenwald/OdF/Swaart als dritten Fragenkomplex Bartels harmlose postalische „Verbindungen" fur eine Genossin nach Westdeutschland zum Thema.
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Alle diese Fakten im Zusammenhang gesehen, lassen eine weitere Belassung in seiner jetzigen Funktion als persönlicher Referent des Genossen Pieck nicht mehr zu. Zentrale Partei-Kontroll-Kommission, Matern.112
V.3.6 Beschluß des ZK der SED zur Durchführung des ZPKK-Beschlusses. „Betr. Ausscheiden des Genossen Walter Bartel* aus dem Apparat des ZK", 10.9.1953113
1. Der Beschluß der ZPKK vom 31.7.1953 [4.8.1953], der Genösse Walter Bartel ist aus seiner jetzigen Funktion abzulösen und fur eine Funktion außerhalb des Parteiapparats zu verwenden, wird zustimmend zur Kenntnis genommen. 2. Der Leiter der Abteilung Arbeit, Sozial- und Gesundheitswesen, Genösse Schellhorn 114 , wird beauftragt, Genossen Walter Bartel als Lektor in der Schule für soziale Berufe in Weimar oder an einer anderen Schule ähnlichen Charakters als Lektor einzusetzen. Berichterstattung über die Durchführung des Beschlusses innerhalb einer Woche an den Sektor Kader, der Abteilung leitende Organe.115
112
113 114 115
Walter Bartel protestierte vergeblich gegen diesen ZPKK-Beschluß, und er war insbesondere irritiert über die Anordnung Herta Geffkes, daß die Unterlagen aus seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Buchenwaldkomitees unter Verschluß der ZPKK bleiben sollten: „Das ist ein wenig guter Kommentar zu Deiner Erklärung, daß die Lagerpolitik nicht mehr Gegenstand einer Untersuchung der ZPKK ist. Dasselbe hat mir die Genossin Geffke gesagt." Aus: Walter Bartel an Hermann Matern am 10.10.1953, SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/282, Bl. 338. Die Verhöre Bartels vor der ZPKK über das Verhalten der „roten" Kapos in Buchenwald haben also nach Aktenlage des ZPKK-Beschlusses nie stattgefunden, oder sie haben zumindest zu keinem Untersuchungsergebnis gefuhrt. Das verwundert, wenn man das Gewicht der Anschuldigungen und die Härte der Vernehmung zum Thema Buchenwald vergleicht mit dem Themenkomplex Noel Field/Franz Dahlem. Immerhin ging es um strafrechtlich relevante Tatbestände. Die Anordnung der ZPKK, belastendes Material zur „Lagerpolitik" weiterhin unter Verschluß zu halten, legt die Vermutung nahe, daß die ZPKK dieses Material bereithielt, um zu einem späteren Zeitpunkt Inlandskommunisten, die als Funktionshäftlinge die KZs überlebten, unter politischen Druck zu setzen bzw. von Machtpositionen zu entfernen. Enthalten in der Kaderakte Walter Bartels, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, Bl. 103 Fritz Schellhom, KPD/SED, in den frühen 60er Jahren Leiter des Büros für Industrie und Bauwesen der Bezirksleitung Erfurt, seit 1967 Mitglied des Sekretariats der BL Erfurt. Handschriftliche Notiz: „Laut Mitteilung der Frd [das sind die Freunde] weigert sich Bartel, Bin [Berlin] zu verlassen u.[nd] soll nun hier zum Einsatz kommen."
V.4.1 Aus dem ZPKK-Apparat, 8. Oktober 1953 V.4
4 49
ERNEUT MATERIAL ÜBER DIE PARTEILEITUNG IM K Z BUCHENWALD, 1 9 5 3 / 5 4 ' 1 6
V.4.1 Aus dem ZPKK-Apparat: Handschriftliche Notizen des Gen. Paul Laufer, 8.10.1953Ί7
Buchenwald: In der Parteiorg.[anisation] innerhalb des KZ gab es Intrigen. Eine Frage ist die, warum die Parteiorg. nicht verhinderte, daß Albert Kunz [Kuntz]* in ein Außenkommando kam? Zuerst war er in einem westlich von Buchenwald, danach kam er nach Nordhausen (Dora), wo er von der SS liquidiert wurde. A.[lbert] Kuntz war in der ersten Zeit des Bestehens der Parteiorg. im Lager der Parteiorganisator. Näheres sowohl zu den Intrigen als auch zur Frage Kuntz könnte wahrscheinlich Gen. Walter Lau [Walter Laue]*, z.Zt. BL Leipzig, Abtl. Wirtschaft, Sektor Post u. Femmeldewesen sagen. Gen. Morgenstern [Herbert Morgenstern]* hat den Verdacht, daß es im Lager eine Zusammenarbeit mit der Gestapo gab. Er hat die Vorstellung, daß einzelne Mitglieder der Parteiorg. mit der Gestapo in Verbindung standen. Z.B. hatte er (Morgenstern) als Elektriker fur Schwachstrom (Telefon usw.) eine Außenverbindung u. zwar zu einem Siemens-Ing.[enieur], der in Schwachstromangelegenheiten u.[nter] a.[nderem] das KZ [zu] bearbeiten hatte. Von diesem hatte er Mitteilungen über den 20. Juli 1944. Diese Mitteilungen gab Gen. Morgenstern an den Gen. Werner Dürbe [Türpe]* weiter. Die Frage des Werner Türpe, ob er (Morgenstern) Außenverbindungen habe, bejahte Gen. Morgenstern, ohne Namen zu nennen. Kurze Zeit später erhielt der Siemens-Ing.fenieur] Lagerverbot. Werner Türpe ist Handelsattache in China. Im KZ bewarb er sich um Aufnahme in die SS Div. Germanial' 8 . Die Bewerbung wurde vom Reichssicherheitshauptamt bis nach Kriegsende zurückgestellt. Außerdem heiratete Werner Türpe im Lager. In der Frage der Agentenwerbung durch und für die Gestapo unter den inhaftierten Gen.[ossen] im KZ hatte die Leitung der Parteiorg. [anisation] im Lager den Standpunkt: die Gen.[ossen] sollen die Werbung nicht ablehnen. Gen. Morgenstern vermutet, daß die Leitung 116
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Möglicherweise steht die Sammlung weiteren Materials über die Parteileitung im KZ Buchenwald mit der Aufforderung der ZPKK an Walter Bartel in Beziehung, nach AbschluO des Parteiverfahrens gegen ihn weitere Namen von Mitgliedern der Parteileitung zu nennen und über jeden Genossen eine kurze Beurteilung abzugeben. Die Aufforderung zur Denunziation (Unterschrift unleserlich) an Walter Bartel stammt vom 28.10 1953, in: SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, Blatt 98. SAPMO-BA, ZPA IV 2/4/399, Bl. 7. Diese Akte mit ZPKK-Material stellt eine Sammlung von Unterlagen zu sehr verschiedenen Themenkomplexen dar, von denen „Buchenwald" einer ist. Es handelt sich vermutlich um das Gedächtnisprotokoll Laufers über ein Gespräch mit Herbert Morgenstern. Paul Laufer, KPD, politischer Häftling im KZ Buchenwald, seit 1942 Kellner im SS-Führerheim, nach 1945 SED, ZPKK-Mitarbeiter. Die SS-Division Germania war ein Freiwilligenverband der SS.
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der Parteiorg.[anisation] den Gen.[ossen], die die Werbung ablehnten, die Unterstützung entzog. Er schlußfolgert das aus dem Verhalten der Parteileitung gegenüber den Gen. und gegenüber ihm selbst. Beide haben die Werbung abgelehnt. Ein besonderer Fall im Lager war die Auslieferung eines Sowjetbürgers an die SS-Henker. Der Sowjetbürger hatte sich im Lager versteckt. Er wurde ausgeliefert. Ein anderer Fall ist die vollständige Auslieferung der schriftlichen SS-Unterlagen u. sonstigen Verwaltungsunterlagen des KZ, die sich faktisch in den Händen unserer Gen.[ossen] befanden, 1945 an die Amerikaner. Es ist auch nicht ein Teil dieser Unterlagen durch unsere Gen.[ossen] den Amerikanern entzogen worden. Bekanntlich wurde Gen. Otto Kipp* aus dem Lager Buchenwald heraus von den Amerikanern nach München bzw. Dachau verschleppt u.[nd] dort erst Monate später haftentlassen. Gen. Morgenstern sagt, daß Kipp entlassen wurde, weil er einem engl.fischen] Off.[izier] im Lager Buchenwald das Leben gerettet hat. Gen. Morgenstern weiß, daß die Amerikaner 1945 nach der sowjetischen] Besetzung der Karl-Marx-Stadt nach dem Gen. Helmut Thiemann*, Staatliche] Sich.[erheit] u.[nd] Hermann Strobel*, z.[ur] Z[ei]t Rat der Stadt, aktiv fahndeten. Beide Gen.[ossen] waren mit ihm im Krankenbau tätig. Bezüglich der engl.[ischen] und franz. [ösischen] Agenten, die im KZ von der SS liquidiert werden sollten u.fnd] zum Teil durch unsere Parteiorg.[anisation] gerettet wurden, siehe die Kaderunterlagen Gärtig*. Auch Kogon* berichtet in seinem Buch „Der SS-Staat" von der Rettung engl.[ischen] bzw. franz. [ösischen] Agenten.
V.4.2 Aus dem MfS-Apparat: Richard Großkopf*. „Bericht über das Lager Buchenwald", 26.10.1953119
Im Juni 1942 wurde ich nach Verbüßung meiner 9-jährigen Zuchthausstrafe in das Lager Buchenwald überfuhrt. Bei meiner Einlieferung kam ich in den sogenannten Zugangsblock. Der Blockälteste dieses Blockes war der Genösse Carl Siegno, der wegen Tätigkeit in der Sportlerbewegung inhaftiert war. Derselbe fragte die einzelnen Zugänge, da er sie auch karteimäßig erfassen mußte, und meinerseits stellte er Fragen über Berliner Genossen, die im Lager sind und ob ich dieselben kenne. Dabei wurde der Name Walter Bartel*, Viktor Drewnitzki*, Albert Kunz [Kuntzf und andere gestellt. Am Abend des Einlieferungstages erschien Walter Bartel auf der Zugangsbaracke und begrüßte mich. Bei der Unterhaltung befragte er mich, wo ich die vergangenen Jahre war, mit welchen politischen Funktionären ich 119 120
SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 173-176. Nicht identifiziert.
V.4.2 Aus demMß-Apparat,
26. Oktober 1953
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zusammengekommen sei[,] und [ich] teilte ihm meine Erlebnisse von Luckau und dem Moorlager mit. Da ich vor dem Transport nach Buchenwald ca. 6 Wochen im Polizeigefängnis Alexanderplatz gelegen hatte, war ich körperlich sehr heruntergekommen, und Walter Bartel veranlaßte mich, am nächsten Morgen eine Krankmeldung abzugeben. Daraufhin wurde ich am nachfolgenden Tage in den Krankenbau gebracht und dort behandelt und mit Diät verpflegt. Bei dieser Gelegenheit lernte ich die Genossen Emst Busse* (Kapo des Krankenbaues) und Otto Kipp* (Stellvertreter des Kapos des Krankenbaues) kennen. Im Verlaufe von 14 Tagen bis 3 Wochen erschien der Genösse Gustav Wegerer* (nach seinen Angaben Mitglied des Österreichischen Zentralkomitees) bei mir und sprach mit mir über eine Arbeit in der Pathologie. Gustav Wegerer war Kapo in der Pathologie und fragte mich, ob ich histologische Schnitte 121 machen könnte. Er erklärte mir dies näher, und ich erklärte ihm, daß ich diese Arbeit wohl durchführen könne. Es war dies eine leichte Arbeit, und nach kurzer Zeit wurde ich an diesen Arbeitsplatz durch die Arbeitsvermittlung, die dem Genossen Willi Seifert* unterstand, eingewiesen. Gelegentlich eines Abendspazierganges stellte mich der Genösse Walter Bartel dem Genossen Albert Kuntz vor, der mir schon aus seiner Tätigkeit als Bezirkssekretär von Frankfurt/Main bekannt war, und wünschte, daß ich mich nunmehr politisch im Parteiaktiv betätigen müsse. Organisatorisch gehörte ich zur Berliner Gruppe, die dem Genossen Bernhard Müller* unterstand. Bernhard Müller war im Krankenbau beschäftigt und übte dort die Tätigkeit des Wäscherei-Mannes aus. Meine Aufgabe bezüglich der Abwehrtätigkeit bestand darin, zum Teil von der Schreibstube, also dem Genossen Willi Seifert oder anderen dort tätigen Genossen, die Eingangslisten von Zugängen zu erhalten, um sie bei den deutschen Genossen den einzelnen Bezirken zur Kenntnis zu bringen und bei den ausländischen Sektionen, zu denen ich durch die Vermittlung des Genossen Walter Bartel Beziehung aufnahm, ebenfalls das Namenmaterial der Zugänge zu vermitteln. Bei den österreichischen Genossen waren mir besonders die Genossen Gustav Wegerer und Otto Horn* bekannt. Mit den tschechischen Genossen hatte ich Verbindung über einen Genossen, der im Block 39 lag, dessen Namen ich jetzt aber nicht mehr angeben kann. Zu den sowjetischen Genossen bestand die Verbindung über kriegsgefangene Genossen, bei denen ein Genösse sehr gut die deutsche Sprache beherrschte. Zu den französischen, spanischen und anderen lateinamerikanischen Sektionen wurde die Verbindung über den Genossen Kurt König122 gehalten, der auch gleichzeitig als Dolmetscher fiir die Verhandlungen zwischen der politischen-deutschen Leitung und den Sektionen bestand. Die politische Leitung der deutschen Sektion lag in den Händen der Genossen Albert Kuntz, Walter Bartel und Harry Kuhn*. Albert Kuntz kam durch die Intrigen eines politischen Häftlings, der vom Parteiaktiv nicht erfaßt war und ausschließlichen Verkehr mit „Grünen" (kriminelle Verbrecher) hatte, 121 122
Gemeint ist: die Sezierung und Präparierung von Leichen. Kurt König (geb. 1903), stammte aus Leipzig, KPD, seit 1936 in Haft, 1942-1945 politischer Häftling im KZ Buchenwald, dort Blockältester in Block 34.
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dessen Name meines Erinnerns Eglinski [Eglinskyy123 war. Durch diesen „Grünen" war Albert Kuntz beschuldigt worden, Sabotage bei Bauausführungen durchgeführt zu haben. Albert Kuntz ging bald darauf nach dem Todeslager „Dora" 1 2 4 , wo er auch umgekommen ist. An Stelle von Albert Kuntz wurde nach dem Ausscheiden desselben der Genösse Ernst Brandt* aus Magdeburg in die politische Leitung genommen. Mir ist bekannt, daß bei Sitzungen der politischen Leitung der Genösse Ernst Busse des öfteren teilgenommen hat. Zur Zeit, als noch Albert Kuntz im Lager war, besprach er mit mir die Organisation der militärischen Widerstandsbewegung innerhalb des Lagers. Nach anfänglichem Bemühen, diese Organisation aufzubauen, wurde nach einiger Zeit eine Teilung vorgenommen, und die Organisation des militärischen Widerstandsapparates oblag dem Genossen Studer* aus Frankfurt/Main. Mit ihm zusammen arbeitete in dieser Tätigkeit noch der Genösse Otto Roth* - ebenfalls aus Frankfurt/Main. Ich selbst habe mich nur noch für die militärische Organisation der Anfertigung von Handgranaten beschäftigt, bei der 2 sowjetische Pionier-Offiziere und der schon oben genannte Genösse Gustav Wegerer als Chemiker tätig waren. Von den weiteren im Lager anwesenden deutschen Genossen sind mir bekannt: der Genösse Emil Carlebach* - z. Zt. Frankfürt/Main der Blockältester des sogenannten Judenblocks war. Der Genösse Robert Siebert [Siewert]* - welcher Kapo des Baukommandos war und jetzt als Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Aufbau tätig ist, der Lagerälteste I war der Genösse Erich Reschke*, der Lagerälteste II - ein Hamburger Genösse - dessen Name mir jetzt nicht geläufig ist und der in einem schlechten Ruf stand, und der frühere Reichstagsabgeordnete Paul Schreck* war der Lagerälteste III. Im Laufe des Jahres 1944 trat an die Stelle des Lagerältesten I der Genösse Eiden* aus Trier, der bis 1945 diese Tätigkeit ausübte. Der Genösse Babtist Feilen [Jean Baptiste Feilen]* war Kapo der Wäscherei und Vertrauensmann für den Kölner Bezirk. Der Genösse Otto Halle* - als Kapo der Häftlings-Bekleidungskammer - gehörte ebenfalls zum engeren Kreis, ich kann aber jetzt nicht genau sagen, mit welchen speziellen politischen Funktionen er betraut wurde. Der Genösse Otto Heckert* war Kapo des Zimmermannskommandos und lag mit Harry Kuhn, mit dem er persönlich noch gut befreundet war, und Walter Bartel auf Block 38. Sie gehörten zusammen zu einer Tischgemeinschaft. Die Tätigkeit des Genossen Walter Wolff [Wolf]* im Lager ist mir jetzt nicht mehr genau in Erinnerung, aber er war in Fragen der politischen Diskussionen entscheidend beteiligt. Aus meiner eigenen Tätigkeit ist mir noch der Genösse Harig* bekannt (z.Zt. Staatssekretär für Hochschulwesen), der in der politischen Abteilung arbeitete und mir zeitweise Informationen über Lagervorgänge mitteilte.
123 124
Wilhelm Eglinsky (geb. 1901), im KZ Buchenwald als politischer Häftling von 1937 bis 1945, zuletzt Lagerältester in einem Außenkommando. Gemeint ist, daß Dora im Vergleich zum KZ Buchenwald ein „Himmelfahrtskommando" gewesen sei.
V.4.2 Aus dem Mß-Apparal, 26. Oktober 1953
453
Ein Genösse, der meines Wissens nach 1945 Bürgermeister in Görlitz war, hatte die Aufgabe, auf Grund seiner Tätigkeit Radio abzuhören und die wichtigsten Meldungen weiterzugeben. Der Genösse Heinz Misslitz [Mißlitz]*, welcher persönlich mit dem Genossen Carl Feurer [Karl Feuerer]* - z.Zt. München, sehr befreundet war, war in der Truppenküche 125 beschäftigt. Weiter ist mir der Genösse August Stötzel* (z.Zt. tätig beim ZK) aus dem Lager bekannt. Er hatte zeitweise eine Funktion als Kapo oder Vorarbeiter und arbeitete auch in der militärischen Organisation mit. Ende 1944 kamen ein oder mehrere Transporte jüdischer Genossen bzw. jüdischer Häftlinge aus dem Lager Mauthausen. Von diesen ist mir der Genösse Georg Krauss [Krausz]* bekannt, der früher beim Zentralkomitee in der „IHPREKORR" [INPREKORR] arbeitete. Außerdem lernte ich auch den Genossen Stefan Heymann* kennen. Stefan Heymann hat nach dem 11. April 1945 im Auftrag des Vorsitzenden des Internationalen Buchenwaldkomitees Walter Bartel in Weimar bei einer amerikanischen Dienststelle gearbeitet. Die Einzelheiten dieser Tätigkeit sind mir nicht bekannt. Soweit ich aus Äußerungen von Walter Bartel weiß, hatte er dort über die frühere Lagertätigkeit zu berichten. Meines Wissens hat Stefan Heymann diese Tätigkeit bis kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee ausgeübt. Weiter ist mir für den früheren Stettiner Bezirk der Genösse Carl Pankow [Karl Pankow]* und ein Genösse bekannt, der z.Zt. ebenfalls im Zentralkomitee arbeitet und vorher Sekretär in einem Mecklenburger Kreis war. Der Vorname desselben ist Otto, der Nachname Sepke*. Zur Zeit fallen mir von den weiteren Angehörigen des Parteiaktivs und deren Tätigkeit die Namen nicht ein. Ich werde die selben zur gegebenen Zeit nachtragen.
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Mißlitz war im Jahr 1940 als Kellner im SS-Führerheim tätig.
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V.4.3 ZK der SED, Abteilung Leitende Organe, Sektor Kaderregistratur an Walter Bartel*, Ernst Busse*, Harry Kuhn*, Robert Siewert*, Rudi Jahn*, Ernst Brandt*, Arthur Ullrich*, August Groel* und Stefan Heymann*. Betr. Auskünfte über die illegale Parteileitung im KZ Buchenwald, 8.12.1953 126
Werter Genösse! Wir möchten Dich bitten, uns einen eingehenden Bericht über 1.) Deine Tätigkeit in der illegalen Parteileitung des KZ Buchenwald, 2.) Deine Lagerfunktionen bis zur Entlassung bzw. Befreiung [zu geben], 3.) und uns mitzuteilen, wie Du die übrigen Genossen der illegalen Parteileitung beurteilst. Mit sozialistischem Gruß!
V.4.4 Stefan Heymann* an das ZK der SED (Abteilung Leitende Organe, Sektor Kaderregistratur). Auskunft über die illegale Parteileitung im KZ Buchenwald, 11.1.1954127
Werte Genossen! Auf Grund Eures Schreibens vom 8.12.1953 teile ich Euch folgendes mit: 1. Während meiner Anwesenheit in Buchenwald vom Oktober 1938 bis Oktober 1942 war ich in der illegalen Leitung der KPD. Dabei hatte ich folgende Funktionen: Die erste Funktion bestand in der Durchführung illegaler Schulungskurse, an denen vor allem jüngere Genossen und zuverlässige Parteilose teilnahmen. Später, als ich eine Funktion im Lager erhielt, wurde ich besonders mit der Betreuung polnischer Genossen beauftragt. Außerdem hatte ich die Verbindung zu verschiedenen Abteilungen des Lagers, da ich in mei-
126
127
SAPMO-BA, ZPAI 2/3/155, Bl. 207. Im Verteiler sind die Funktionen genannt: Walter Barte), Emst Busse (Präsident der landwirtschaftlichen Genossenschaften, Berlin), Harry Kuhn (Generalsekretär der V W der DDR, Berlin), Robert Siewert (Leiter einer Hauptverwaltung im Ministerium fur Aufbau), Rudi Jahn (Ministerpräsident von Brandenburg, Potsdam), Emst Brandt (Minister der Regierung Sachsen-Anhalt, Halle), Arthur Ullrich (Vorsitzender der LPKK in Sachsen, Dresden), August Groel (Leiter einer Hauptverwaltung im Ministerium fur Innen- u. Außenhandel), Stefan Heymann (Leiter der Kulturabteilung beim ZK der SED). Zu diesem Zeitpunkt war Ernst Busse schon seit einem Jahr tot. SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 208-211. Stefan Heymann war zu dieser Zeit als Botschafter der DDR in Polen tätig.
V.4.4 Bericht S. Heymann, 11. Januar 1954
455
ner Tätigkeit als Desinfektor 128 die Möglichkeit besaß, mit verschiedenen Abteilungen zusammenzukommen. Meine Hauptaufgabe bestand darin, den Genossen bzw. zuverlässigen Häftlingen wichtige Nachrichten über die Entwicklung im 2. Weltkrieg zu übermitteln. Auch in dieser Periode führte ich Schulungen durch, an denen nicht nur deutsche, sondern auch ausländische Kommunisten teilnahmen. Nach dem Eintreffen von zahlreichen politischen Häftlingen bei Beginn des 2. Weltkrieges kam ich in die engere Leitung fur die Mitglieder der KPD des Bezirkes Baden/Pfalz. Hierbei arbeitete ich besonders eng mit dem verstorbenen Genossen August Groel* zusammen. Unsere Aufgabe bestand darin, die Arbeit bzw. das Verhalten der Mitglieder zu überprüfen, ihnen Nachrichten zukommen zu lassen und Schulungskurse zu organisieren, außerdem die Verbindung zur zentralen Parteileitung aufzunehmen. Damit die Illegalität gewahrt blieb, teilten wir uns diese Aufgaben untereinander, so daß immer nur ein bestimmter Kreis von Genossen über die Tätigkeit von einem Mitglied des Dreier-Kopfes informiert war. 129 Nach meiner zweiten Einlieferung ins Lager Buchenwald im Januar 1945 war ich nicht mehr direkt in der illegalen Parteileitung. Im Auftrage der Parteileitung arbeitete ich beim Arbeitseinsatz und kontrollierte sämtliche Listen der Neuzugänge. Dabei mußte ich die Neuzugänge nach Nationen trennen, und die betreffenden Nationalkomitees wurden von der zentralen Parteileitung über die Neuzugänge informiert. Diese Aufgabe war deswegen wichtig, weil die Neuzugänge mindestens zu 90 % den nationalen Komitees bekannt waren, so daß die Möglichkeit bestand, für die ankommenden Genossen und aktiven Antifaschisten gute Arbeitskommandos herauszusuchen bzw. das Leben von gefährdeten Genossen zu retten. Außerdem war ich in dieser letzten Periode des Lagers als politischer Instrukteur tätig, wobei ich im wesentlichen meine Informationen durch den Genossen Walter Bartel erhielt. Diese Informationen, die überwiegend aus illegal aufgenommenen Rundfunksendungen bestanden, gab ich an die Genossen der Bezirksleitungen Baden/Pfalz, Württemberg und Hessen weiter. 2. Während meiner Haftzeit im Lager Buchenwald hatte ich folgende Funktionen: a) Da ich mit einer schweren Phlegmone nach Buchenwald kam und nicht zur Arbeit ausrücken konnte, wurde ich zuerst im Lager beschäftigt und nach verhältnismäßig kurzer Zeit im Stubendienst. Die Funktion des Stubendienstes hatte ich etwa vom Januar 1939 bis Februar 1940. b) Im Februar 1940 wurde ich auf Vorschlag des damaligen Lagerältesten Karl Barthel* als Blockältester des Blockes 3 eingesetzt, in dem jüdische junge Häftlinge aus Polen bzw. Wien lagen. Es handelte sich dabei durchweg um völlig entkräftete junge Menschen, die mit 128 129
Die Aufgabe des Desinfektors bestand darin, die Baracken und die Kleidung der Häftlinge zu desinfizieren. Die KPD pflegte hier das aus den Zeiten der Illegalität stammende Prinzip der Dreier- oder Fünfergruppen, die miteinander Kontakt hielten, aber nur einen äußerst begrenzten Zugang über einen Genossen aus ihrer Mitte zu Informationen von der Spitze der Hierarchie hatten.
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dem sogenannten Polentransport zu Beginn des Krieges nach Buchenwald gekommen waren und im Lager bis zu diesem Zeitpunkt in besonderen Strafblöcken lagen, wobei sie halb verhungerten. Die Funktion des Blockältesten hatte ich jedoch nur etwa 1 1/2 Monate, weil ich selbstverständlich die Häftlinge des Blockes anständig behandelte, was mir von der SS schwer angekreidet wurde. Daher wurde ich schon Ende März 1940 wieder abgesetzt. Einer Strafe entging ich nur dadurch, daß Genösse Ernst Busse* mich in das Krankenrevier nahm und ich von dort aus in den Stubendienst vom Genossen Emil Carlebach* übernommen wurde. In dieser Funktion blieb ich bis Ende 1941 / Anfang 1942. Dann wurden diese Blöcke infolge starker Vernichtung der Insassen bzw. strafweiser Absetzung der Blockältesten aufgelöst, und ich kam durch Vermittlung des Arbeitsdienstes zur Desinfektion. Diese Arbeit behielt ich bis zu meinem Transport nach Auschwitz. c) Nach meiner Wiedereinlieferung aus Auschwitz im Januar 1945 wurde ich in den Arbeitsdienst 130 des sogenannten „Kleinen Lagers" übernommen. Meine Aufgabe im Arbeitsdienst bestand, wie schon gesagt, darin, die Listen aller Neuzugänge zu kontrollieren; offiziell war die Funktion so gedacht, daß ich aus den Listen die Facharbeiter heraussuchen sollte, die von der SS in bestimmten Betrieben eingesetzt werden sollten. In Wirklichkeit jedoch übergab ich nationsweise getrennt die Listen den zuständigen nationalen Komitees, die dann von sich aus die Einteilung vornahmen, die von mir an die zentrale Arbeitsstatistik weitergeleitet wurde. In dieser Funktion blieb ich bis zur Befreiung des Lagers am 11.4.1945. 3. Die illegale Parteileitung der KPD bestand aus den Genossen Harry Kuhn* Walter Bartel und Ernst Busse. Ich kannte zwar alle drei Genossen sehr gut, kam auch oft mit ihnen zusammen, erfuhr jedoch erst nach der Befreiung aus Buchenwald, wie unter den drei Genossen die Funktionen verteilt waren. Zur Tätigkeit dieser drei Genossen möchte ich folgendes sagen: Vorsitzender des Dreier-Kopfes war Genösse Harry Kuhn, der sich im Lager unzweifelhaft sehr mutig verhalten hat. Er hatte nur den Fehler, der ihn hauptsächlich bei jungen Genossen unbeliebt machte, daß er keine andere Meinung neben sich aufkommen ließ und sehr häufig den Genossen über den Mund fuhr. Es mag sein, daß dieses Verhalten aus Gründen der Wachsamkeit und der Illegalität oftmals notwendig war. Trotzdem hatte ich auch damals den Eindruck, daß in dieser Hinsicht das Verhalten des Genossen Kuhn nicht ganz richtig war.
130
Es handelt sich hier um eine Filiale der Arbeitsstatistik im „Kleinen Lager". Heymann gehörte jedoch als einfacher Häftling zum Arbeitskommando und bekleidete keine Kapo-Funktion.
V.4.4 Bericht S. Heymann, 11. Januar 1954
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Genösse Walter Bartel hatte die meisten Beziehungen zu den Bezirken der KPD und zu den internationalen Komitees. Er war auch der offizielle Vertreter Deutschlands im Internationalen Komitee. Er hat während seiner Anwesenheit in Buchenwald sicherlich sehr viel getan, um eine Aktivität unter den Häftlingen gegen die SS zu organisieren. Bei allen Häftlinge, mit Ausnahme der BVer, war er wegen seines Auftretens und wegen seiner ständigen Hilfsbereitschaft sehr beliebt. Allerdings war er nur einem bestimmten Kreis von Häftlingen bekannt, da er in seiner Funktion als Schreiber in der Arbeitsstatistik nicht sehr in den Vordergrund trat. Genösse Walter Bartel hat oftmals in brenzligen Situationen durch seine Ruhe und sein festes Auftreten die Genossen stark ermuntert und sicherlich auch damit das Leben von manchem Genossen gerettet. Genösse Emst Busse hatte als Kapo des Krankenreviers viele Möglichkeiten, unseren Genossen zu helfen. Aufgrund meiner Auseinandersetzungen, die ich mit ihm hatte und die meines Wissens auch andere Genossen mit ihm hatten, muß ich sagen, daß Genösse Busse die außerordentlich großen Möglichkeiten, die ihm zur Verfugung standen, nicht voll ausnützte. Er hatte zwar ein gutes Verhältnis zu den SS-Ärzten, die ihm ziemliches Vertrauen schenkten, was eine wichtige Voraussetzung für seine illegale Arbeit war, aber er hat diese Möglichkeiten nicht ausgenutzt, sondern ist vielfach zurückgewichen und hat sogar einige wichtige Aufträge, die ihm von der Partei übertragen wurden, nicht durchgeführt. Diese letzte Bemerkung bezieht sich allerdings nur auf die Zeit vom Januar bis April 1945. Aber auch schon von der Zeit der Ermordung des Genossen Kraemer [Krämer]* an bis zu meinem Abtransport aus Buchenwald im Oktober 1942 zeigte sich, daß Genösse Busse nicht mit demselben Mut und derselben Energie arbeitete, wie Genösse Krämer. Von den übrigen Mitgliedern der Landesleitung kenne ich am besten die Genossen Schreck* und Groel*. Genösse Paul Schreck ist nach 1945 bekanntlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er war am Anfang seiner Anwesenheit in Buchenwald ziemlich zurückhaltend; erst nachdem er gesehen hatte, in welcher Weise das politische Leben in Buchenwald entwickelt war, ging er aus sich heraus und nahm bei jeder Gelegenheit eine positive und klare Haltung ein. Er hat sicherlich zur guten Erziehung der Genossen seines Bezirkes, die im Lager waren, beigetragen. Genösse August Goel war bedeutend schwankender als Genösse Schreck. Er hatte nicht diese feste Bindung zur deutschen Arbeiterklasse und verstand z.B. den Freundschaftsvertrag zwischen der SU und Nazideutschland im Anfang überhaupt nicht. Er war auch zu Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion oftmals sehr deprimiert über das Vorschreiten der Nazi-Armee. Wir hatten vielfach Auseinandersetzungen mit ihm. Abgesehen davon muß ich feststellen, daß Genösse Groel sich bei jeder Gelegenheit [als] sehr hilfsbereit erwies und vielen Kameraden auch tatsächlich geholfen hat. Mit den Mitgliedern der übrigen Landesleitungen war ich zwar kameradschaftlich verbunden, kenne sie aber doch nicht genügend aus ihrer Arbeit, um über sie ein entsprechendes Urteil abgeben zu können.
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Ich hoffe, daß diese Ausführungen Euch für Eure Zwecke genügen. Sollten noch besondere Fragen an mich bestehen, dann bitte ich um Mitteilung. Mit sozialistischem Gruß gez. Heymann
V.4.5 Karl Feuerer* an das ZK der SED (Abteilung Leitende Organe, Sektor Kaderregistratur). „Bericht über Buchenwald", 25.1.1954 131
Bericht über Buchenwald Zu 1): Nach meiner Überführung von Dachau nach Buchenwald im September 1939 erhielt ich dort von dem Genossen Albert Kuntz*, Berlin, den Auftrag, die bayrischen Genossen zusammenzufassen, sie zu organisieren und laufend zu informieren sowie zum Widerstandskampf anzuleiten. Dazu gehörte auch die Bearbeitung und Erfassung aller übrigen im Lager einsitzenden antifaschistischen bayrischen Häftlinge. Mein Verbindungsmann zur Parteileitung und zum illegalen Lagerkomitee war lange Zeit der Genösse Rudi Hempel 1 3 2 , Leipzig, der vor einigen Jahren verstorben ist. Regelmäßig erhielt ich von Zeit zu Zeit Anweisungen direkt von Gen. Albert Kuntz bzw. Walter Bartel*, die miteinander zusammenarbeiteten. 1940, nach dem Eintreffen der ersten Transporte aus Frankreich, half ich mit, den französischen Sektor zu organisieren. Auf meiner Stube war u.a. der Genösse Henri Bailleul 133 , Paris-Villeneuf, der lange Jahre der französischen Partei angehörte, gekommen. Wir faßten nach einiger Zeit zueinander Vertrauen, und ich empfand, daß der Genösse unbedingt ehrlich ist. Ich machte der Parteileitung davon Mitteilung und erhielt daraufhin den Auftrag, dem Gen. Bailleul Anleitung zur Organisierung der französischen Genossen zu geben. Als dies erfolgt war und eine zuverlässige Leitung stand, wurde von der Parteileitung bzw. dem Lagerkomitee ein Genösse, der gut französisch sprach, als ständiger Verbindungsmann eingesetzt. Ende 1941, nach dem Eintreffen der ersten Transporte aus der Sowjetunion, erhielt ich den Auftrag, die Verbindung mit den sowjetischen Genossen herzustellen, sie über die Lagerverhältnisse zu informieren und ihnen zur Organisierung behilflich zu sein. Als Verbindungsmann wirkte der Genösse Alex Rubaschko 134 , auf den mich der Genösse Fritz Alber 135 , München, aufmerksam gemacht hatte und der sich als ein ernster, sachlicher und mutiger Genösse erwies. Er war Offizier der Sowjetarmee, der nicht als Kriegsgefangener, 131 132 133 134 135
SAPMO-BA, ZPAI 2/3/155, Bl. 162ff. Offenbar war Karl Feuerer gesondert angeschrieben worden. Im Verteiler des Rundbriefs vom 8.12.1953 war Feuerer nicht enthalten. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. Fritz Alber (geb. 1905), KPD, stammte aus Graz, 1939-1944 im KZ Buchenwald.
V.4.5 Bericht Κ. Feuerer, 25. Januar 1954
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sondern als Zivilgefangener wegen Verdachts der Sabotage in einem deutschen Betrieb eingeliefert worden war. Nach den Anweisungen von Gen. Kuntz bzw. W. Bartel unterhielt ich die Verbindung mit den sowjetischen Genossen und sorgte für ihre materielle Unterstützung bis 1943. Dann bekam ich Differenzen mit Walter Bartel, der meiner Meinung nach sich nicht genügend fur einige sowjetische Genossen einsetzte. Es wurde ein Transport nach Köln zur Trümmerräumung zusammengestellt. Auf Betreiben des damaligen Blockältesten, Gen. Hans Eiden*, Trier, wurden einige sowjetische Freunde auf die Transportliste gesetzt, die gute Genossen waren, aber mit Häftlingen aus dem Block von Eiden irgendwelche Differenzen hatten. Wahrscheinlich wegen materieller Dinge. Ich verlangte, daß alles getan werde, um diese Genossen von der Transportliste abzusetzen. Das geschah nicht bzw. es hieß, man könne nichts mehr ändern. Daraufhin sagte der Gen. Rubaschko, der mir später seinen wirklichen Namen sagte (Jaroslawski aus Grosni Internationalnaja Ulitza 84, Wohnung seiner Frau), er trenne sich nicht von seinen Genossen und er meldete sich ebenfalls nach Köln. Daraufhin legte ich meine diesbezügliche Funktion nieder. Nach mehreren Monaten wurde das Kölner Aufräumungskommando plötzlich unter starker Bewachung nach Buchenwald zurückgebracht, weil sich dort laufend Fluchten von sowjetischen Gefangenen ereigneten. Das Kommando blieb in Buchenwald unter Isolierung bis zum Abtransport nach Dora (Nordhausen). Gen. Rubaschko stellte eine Verbindung zu mir her. Ich versuchte, ihn und seine zuverlässigsten Genossen vom Transport nach Dora zu retten. Aber es gelang nicht. Was aus ihm und seinen Freunden in Dora geworden ist, darüber fehlen mir zuverlässige Kenntnisse. Anfang 1942 erhielt ich den Auftrag, von meinem Arbeitsplatz in der Häftlingskantine aus die Verbindung mit Genossen der Außenkommandos, die von Zeit zu Zeit ins Lager kamen, um ihre Waren abzuholen, zu unterhalten, ihnen Informationen zu geben und Informationen sowie Material (z.B. abgeworfene Flugblätter) in Empfang zu nehmen. Außerdem hatte ich dort bestimmte Aufgaben zur Organisierung der materiellen und finanziellen Hilfe fur die Partei. Diese Aufgabe führte ich, ebenso wie die Leitung der bayrischen Gruppe, bis zur Befreiung bzw. Heimreise durch. Als Verbindungsmann zwischen mir und der Parteileitung arbeitete in den letzten Jahren der Gen. Richard Großkopf*, Berlin. Zu 2): Ich hatte während der ganzen Zeit meiner Haft, auch in Dachau nicht, keine Lagerfunktionen. Ich war weder Vorarbeiter, Kapo noch Blockältester oder Lagerältester. Ich war immer einfacher Häftling. Da ich am ersten Tage meiner Ankunft in Buchenwald infolge langer Bunkerhaft in Dachau einen Schwächeanfall erlitt und mehrere Stunden bewußtlos war, hatte sich sofort die beste Unterstützung meiner bayrischen und anderer Genossen, die sich bereits längere Zeit in Buchenwald befanden. Auf ihr Anraten trat ich nicht beim Aufruf der Neuzugänge an, sondern ging mit dem Gen. Christian Muselmann 136 , München, in dessen Arbeitskommando, Neubau Schweinestall. Nach einiger Zeit wurde ich durch die Partei in den Stubendienst auf Block 30 (Asoziale und Zigeuner) gebracht. Blockältester war der Gen. Otto Meier*, Thüringen. 136
Christian Muselmann (geb. 1905 in München), KPD, seit 1938 als politischer Häftling im KZ Buchenwald.
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Dort arbeitete ich ungefähr ein Jahr. Dann kam ich in die Häftlingsbücherei. Kapo war dort der Gen. Toni Gebler*, Duisburg. Nachdem ungefähr ein Jahr später in der Schreibstube zuverlässige Genossen benötigt wurden, trat ich auf Drängen des Gen. Ernst Busse* dort ein. Ende 1941 verpaßte mir dort der SS-Scharfuhrer Rafalzig 137 eine Meldung wegen „Widersetzlichkeit", worauf ich strafweise in den Steinbruch wanderte. Nach einigen Wochen Steinbruch kam ich in die Häftlingskantine, die damals eröffnet wurde. Dort arbeitete ich als Verkäufer von Suppen, Getränken, Gemüsesalat und ähnlichen „Lebensmitteln". Hier hatte ich ständig mit den Einkäufern des ganzen Lagers zu tun. Diese Arbeit übte ich bis zum Schluß aus. In alle diese Arbeitskommandos kam ich mit Hilfe bzw. im Auftrag der Partei (natürlich nicht in den Steinbruch). Kapo in der Kantine war zuerst der Genösse Heinz Schäfer*, Kassel, dann der Genösse Karl Gertig [Gärtig]*, Halle. Zu 3): Über diejenigen Genossen, die der Parteileitung angehörten, habe ich keine genaue Kenntnis, denn aus Gründen der Konspirativität kannte jeder in der Regel nur seinen Verbindungsmann. Meines Wissens gehörten neben Gen. Walter Kuntz [Albert Kuntz], der ein ausgezeichneter, vorbildlicher Genösse war, und Walter Bartel der Genösse Harry Kuhn zur Parteileitung. Ich schätze den Gen. Harry Kuhn als einen tüchtigen, treuen und zuverlässigen Genossen ein. Es ist mir, soweit ich mit ihm zu tun hatte bzw. von anderen Genossen hörte, nicht bekannt geworden, daß er einmal schwankend geworden wäre. Den Genossen Richard Großkopf, mit dem ich im Lager eng zusammenarbeitete, habe ich als einen ernsten, zuverlässigen, fähigen und mutigen Genossen kennengelernt, der auch verstand, mit Menschen umzugehen und der große Erfahrung in der konspirativen Arbeit besitzt. Meines Wissens gehörte auch der Gen. Otto Roth*, Frankfurt/a.M., der Parteileitung an. Er organisierte die militärischen Widerstandskader und hat meiner Meinung nach seine Sache zuverlässig und gut gemacht. Natürlich kenne ich noch eine ganze Reihe guter, zuverlässiger, politisch starker Genossen, wie Stefan Heymann*, Emil Carlebach*, Willi Seifert*» Heinz Mißlitz*, Rudi Jahn*, Otto Holle [Halle]*, Otto Kipp*, Erich Loch*, Hans Rues*, Stuttgart, usw., aber welche Parteifunktionen sie bekleideten, kann ich nicht sagen. Außerdem war es so, daß Walter Bartel, nachdem Gen. Albert Kuntz nach Dora gekommen war, ziemlich viel in seiner Hand konzentrierte. Die meiste Kenntnis müßte meiner Meinung nach der Gen. Harry Kuhn haben, der neben dem Verräter 138 Bartel einer der wichtigsten Genossen des Lagers war.
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Nicht identifiziert. Karl Feuerer scheint entweder Kenntnis von der ZPKK-Untersuchung gegen Walter Bartel gehabt zu haben, oder er hielt ihn wegen des Gestapo-Revers, das er 1936 unterschrieben hatte, ohnehin für einen Verräter.
V. 4.6 Bericht A. Groel, 9. Februar 1954
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V.4.6 August Groel* an das ZK der SED (Abteilung Leitende Kader, Sektor Kaderregistratur). „Bericht über die illegale Parteileitung im KZ Buchenwald", 9.2.1954139
Werte Genossen! In Eurem Schreiben vom 16.1.54, das ich erst am 6. ds. nach meiner Rückkehr aus Berlin, wo ich im Deutschen Institut fur Marktforschung beschäftigt bin, erhielt, verlangt Ihr einen eingehenden Bericht über 1. meine Tätigkeit in der illegalen Parteileitung des KZ Buchenwald, 2. meine Lagerfunktionen bis zur Entlassung bzw. Befreiung, 3. wie ich die übrigen Gen. der illegalen Parteileitung beurteile. zu Punkt 1: Der eigentlichen Parteileitung gehörte ich nicht an. Bei meiner Ankunft im Lager am 4. Juli 1941 lag die politische Leitung in den Händen des Gen. Albert Kunz [Kuntz]*. Von den anderen Mitgliedern lernte ich dann noch Ernst Brand [Brandt]* und Walter Barthel [Bartel]* kennen. Nach der Verschickimg von Albert Kuntz nach Dora und der Entlassung von Ernst Brandt war Walter Bartel der politische Leiter. Der Gen. Harry Kuhn* war der Org. Leiter. Der Parteileitung gehörten noch, soweit mir bekannt ist, Emst Busse* und Walter Wolf* an. Ich wurde wenige Wochen nach meiner Ankunft in Buchenwald durch den Gen. Stefan Heymann*, den ich seit 1918 aus Mannheim kannte, ebenso wie auch den Gen. Paul Schreck* in die Parteiarbeit einbezogen. Stefan Heymann machte mich damals mit dem Gen. Heinrich Studer* aus Frankfurt a.M. bekannt, unter dessen Anleitung ich fur die Abwehrarbeit eingesetzt wurde, zeitweise in Verbindung mit dem Gen. Otto Horn* aus Österreich. In der Abwehr blieb ich nicht lange. Nach wenigen Monaten aber wurde ich als Instrukteur fiir die Bezirke Nord- und Südbayern, Württemberg und außerdem fur die spanischen, ungarischen und rumänischen Genossen eingesetzt. Für Nordbayern hatte ich besonders mit dem Gen. Konrad 1 4 0 , fiir Südbayern mit dem Gen. Karl Feuerer*, fur Württemberg mit dem Gen. Ruess [auch Rues]* zusammenzuarbeiten. Meine Anweisungen erhielt ich insbesondere regelmäßig durch den Gen. Harry Kuhn, aber auch mit dem Gen. Walter Bartel hatte ich hin und wieder Besprechungen. Die übrigen Gen. der Parteileitung, die ich erwähnte, kannte ich, hatte aber in meiner Funktion keine direkten Beziehungen zu ihnen. zu Punkt 2: Bei meiner Ankunft kam ich zuerst 6 Wochen in die Strafkompanie, wo ich im Steinbruch an der Lore und dann als Steineklopfer im Lager arbeiten mußte. Der Gen. Paul Schreck vermit139 140
SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 170-172. Konrad, Vorname unbekannt (1900-1945), stammte aus Nürnberg, KPD, 1944/45 als politischer Häftling in Buchenwald, koordinierte die nordbayerische Gruppe unter den kommunistischen Häftlingen, starb im KZ.
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telte dann, daß mich der Gen. Mathes Feilen [„Mathes" war der Spitzname von Jean Baptiste Feilen]* nach meiner Entlassung aus der Strafkompanie in die Wäscherei aufnahm. Dort arbeitete ich eineinhalb Jahre zuerst als Sortierer und dann als Wäscheabnehmer. Im Winter 1942/43 nahm mich der Gen. Willi Seifert* auf Anweisung der Partei in die Arbeitsstatistik. Meine Tätigkeit bis zu meiner Entlassung bestand darin, täglich den ziffernmäßigen Bestand der Arbeitskommandos zu errechnen. Da in dieser Statistik hunderte von Gen., darunter die Parteileitungen der meisten Nationen, als arbeitend aufgeführt werden mußten, während sie in Wirklichkeit verantwortliche Parteitätigkeit ausübten, mußte diese Arbeit mit aller Sorgfalt und Genauigkeit durchgeführt werden, um der SS-Lagerleitung keine Handhabe zu geben. Daß es uns gelungen ist, diese Tätigkeit 2 Jahre auszuüben, ohne daß jemals durch die SS-Lagerleitung die täglichen Falschmeldungen entdeckt wurden, ist sicher auch ein Beweis für unsere gute Parteiorganisation im ganzen Lager. Zu Punkt 3: Damit ist gleichzeitig auch meine Beurteilung der illegalen Parteileitung überhaupt vorweggenommen. Wer die Zustände im Lager kennt und wer Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Lagern hat, der kann erst ermessen, was es bedeutet, daß in den letzten beiden Jahren in Buchenwald grundsätzlich kein Häftling durch einen Kapo oder Vorarbeiter geschlagen werden durfte. Nur in einem Lager mit einer straffen Parteidisziplin, mit einer schlagfertigen Parteiorganisation konnte der SS ein solcher Widerstand geleistet werden, wie in Buchenwald. Schon die Ablehnung der politischen Häftlinge, sich für die Formation Dirlewanger zu melden, bewies den Geist, der in Buchenwald herrschte. Einmalig aber für alle Lager war wohl die Befehlsverweigerung in den letzten Tagen sowohl für das Antreten und die Evakuation [Evakuierung] der jüdischen Genossen wie die Auslieferung der 48 Lagerfunktionäre, 141 von denen kein einziger in die Hände seiner Henker geriet. Ich weiß nicht, wie die augenblickliche Situation des Gen. Walter Bartel in der Partei ist. Ich kann jedoch nicht umhin, seiner geschickten Leitung, seiner in allen schwierigen Situationen immer ruhigen, sachlichen und doch entschlossenen Leitung das größte Verdienst für die positive Entwicklung in Buchenwald zuzuschreiben.142 Der Gen. Harry Kuhn war eigentlich die richtige Ergänzung zu dem Gen. Bartel. Während der Gen. B. nie die Ruhe verlor, elastisch und flexibel war, war der Gen. Harry Kuhn impulsiv und geneigt, vielleicht auch einmal über das Ziel hinauszustoßen. Ich habe mit ihm mehr zu tun gehabt, als mit dem Gen. B. Ich glaube, ihn deshalb aus meiner Erfahrung einschätzen zu können als einen energischen, opferbereiten Genossen, der in der Buchenwalder Parteiorganisation die motorische Kraft gewesen ist. Im Hinblick auf seinen damaligen unermüdlichen Einsatz steht seine Entwicklung, die ich allerdings in der 141 142
Es handelte sich um 46 Häftlinge. Das Parteiverfahren gegen Walter Bartel und seine Funktionsenthebung als persönlicher Referent Wilhelm Piecks schlug auch in August Groels Einschätzung über seinen Buchenwalder Mithäftling Wellen - und dies, obwohl im Beschluß der ZPKK das Verhör zu Buchenwald überhaupt keinen Eingang findet.
V.4.7 Bericht W. Wolf, 20. April 1954
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letzten Zeit nicht übersehe, nach der Befreiung nicht in dem damals zu erwartenden Verhältnis. Über Ernst Busse kann ich eigentlich wenig sagen. Es ist mir bekannt, daß seine spätere Tätigkeit gar nicht positiv gewesen ist. Trotzdem möchte ich für die Zeit in Buchenwald nach meinen Beobachtungen sagen, daß die Besserung der Verhältnisse im Lager fur die Allgemeinheit bei seinem Einsatz als Lagerältester begann. Das ist sicher nicht sein persönliches Verdienst, sondern die bessere Parteiarbeit im ganzen Lager. Aber Ernst Busse hat doch damit begonnen, die Anweisungen der Partei ohne Widerstreben auszufuhren. Der Gen. Walter Wolf ist mir in diesen Jahren nur als ein ruhiger und zuverlässiger Gen. bekannt gewesen, ohne daß ich über seine besonderen Funktionen unterrichtet war. Ich weiß, daß er persönlich sehr viel Risiko auf sich nahm, da sein Kommando ständig für Treffs und Besprechungen ausgenutzt wurde, die er mit nie erlahmender Freundlichkeit und Entgegenkommen immer wieder organisierte. Als Kapo war er sehr angesehen unter den Häftlingen. Nach der Befreiung habe ich ihn höchstens ein oder zweimal gesehen, so daß ich mir über diese Zeit kein Urteil erlauben kann. Sollte ich irgend eine wichtige Frage nicht angeschnitten haben oder nicht gründlich genug behandelt haben, bitte ich um entsprechende Anforderung.
V.4.7 Walter Wolf*. „Hinweise zur Arbeit der illegalen Leitung der KPD im KL. Buchenwald, 1943-45", 20.4.1954 143
1. Wie entstand die letzte Parteileitung der KPD im KL Buchenwald? 1942 oder Anfang 1943 war die Lage für den Genossen Albert Kunz [Kuntz]* offensichtlich so schwierig geworden, daß er auf das Außenkommando Dora bei Nordhausen ging. Vorher traf ich mit ihm in der Nähe des Häftlingskrankenbaues zusammen. Folgendes wurde besprochen: Ich teilte ihm mit, daß ich Kapo der Gerätekammer geworden war. Ich übernahm diesen „Posten" im Auftrag der Partei. Albert Kuntz sagte: „Da ist mir schon wohler." Mein Vorgänger war Walter Jurisch [Jurich]*. Seiner Zeit bestanden scharfe Differenzen zwischen Walter Jurich + der Parteileitung, d.h. Albert Kuntz. Albert schlug vor, den Genossen Harry Kuhn* so im Kommando der Gerätekammer einzubauen, daß er für die Partei arbeiten könne. Das tat ich. Albert Kuntz ging nach Dora + Harry teilte mir mit, die Parteileitung bestünde jetzt aus Walter Barthel [Bartel]*, Ernst Busse* und ihm. Ich gewann den Eindruck, daß die Zusammensetzung der neuen Parteileitung mit Albert Kuntz abgesprochen war. Ich selbst hatte direkte Verbindung nur zu Harry Kuhn. 143
Handschriftlicher Bericht, in: SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 261-265. Das von Wolf verwendete Kürzel + statt „und" wurde als stilistische Eigenheit beibehalten.
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V Kaderkonirolle 1950-55
2. Einschätzung der Genossen der neuen Parteileitung Da ich selbst fast nur mit Harry Kuhn zu tun hatte, kann ich über ihn das meiste sagen. Im Kommando Gerätekammer war er Schreiber des Magazins für Malermaterial (Farben, Pinsel u.a.). Hier gab es nicht viel zu tun. Das Magazin war im Keller des Kammergebäudes untergebracht, also fur illegale Treffs geeignet. Die Art seiner Arbeit brachte es mit sich, daß er viel unterwegs war. So gelang es, Harrys umfangreiche politische Tätigkeit vor der SS zu verbergen. Worin bestand diese politische Tätigkeit? Offensichtlich war es vor allem organisatorische Arbeit. Harry entwickelte im Zusammenhang hiermit ein großes Geschick in der politischen Erziehung der Genossen. Ich nahm an einigen Besprechungen teil. Hier handelte es sich um die Verwendung dieser Genossen in bestimmten Funktionen auf Außenkommandos oder um Einwirkung auf diese Genossen, ihr falsches Verhalten ausländischen Kameraden gegenüber zu ändern. Harry trat hierbei sehr entschieden + zugleich überzeugend auf. Über ihn erfuhr ich einiges über interne Parteifragen. Davon wird noch die Rede sein. Harry behielt auch in schwierigen Situationen immer den Kopf oben. Soweit ich seine politischen Einschätzungen übersehen konnte, hielte [sie] ich sie fur richtig. Walter Bartel wurde zu dieser Zeit Schreiber im Häftlingskrankenbau. Er arbeitete vordem in den Werkstätten DAW=Deutsche Ausrüstungswerke, Tischlerei. Auf meinem Kommando arbeitete damals Herbert Weidlich* (vor 3 oder 4 Jahren Leiter einer VolksPolizeischule in Sachsen). Dieser war bis zur Besetzung der Rest-Tschecho-Slowakei Sekretär der Deutschen Emigranten gewesen + wurde bei der Besetzung verhaftet. Herbert erzählte mir, daß Walter Bartel in der tschechischen Emigration einmal von einer Parteileitung ausgeschlossen wurde, in der allerdings Agenten gesessen haben sollen. Herbert Weidlich hatte Walter Bartel gegenüber aus diesen Gründen lange Zeit Vorbehalte. Ich sagte ihm, das müsse er mit Albert Kuntz besprechen. Ich glaube, das geschah. Es kam wohl auch zu einer Aussprache zwischen Herbert Weidlich + Walter Bartel. Wenn ich mich recht erinnere, sagte mir Harry Kuhn auf meine Frage hiernach später, die Angelegenheit sei geklärt. Mit Walter Bartel traf ich eigentlich nur in der internationalen Propagandakommission zusammen, der auch sowjetische Genossen angehörten. Hier wurden Fragen der Schulungsarbeit besprochen. In diesen Zusammenkünften gewann ich den Eindruck, daß Walter Bartel richtig und gut argumentierte. Ernst Busse war in den letzten Jahren Kapo des Häftlingskrankenbaus. Über seine politische Arbeit kann ich wenig sagen. Harry Kuhn teilte mir eines Tages folgendes mit: Die Partei mußte mit Ernst Busse sprechen, weil dieser eines der Mädchen des Lagerbordells, das krank im Häftlingsbau weilte, in seinem Zimmer untergebracht hatte. Das wurde hierauf geändert. In Krankheitsfällen konnte man sich an Ernst Busse wenden, er half im Rahmen des Möglichen. 3. Einige Fragen der politischen Arbeit im Lager. Im KL Buchenwald versuchte die SS, sich in der sogenannten Selbstverwaltung nicht nur auf die Deutschen zu stützen, sondern diese auch gegen andere Nationen auszuspielen. Es be-
V.4.7 Bericht W. Wolf, 20. April 1954
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durfte einer großen Erziehungsarbeit durch die Partei, um diese Absicht wenigstens im Großen + Ganzen zu durchkreuzen. Grundsätzliche Diskussionen zur nationalen Frage, Behandlung eines solchen Themas in den 2er + 3er Besprechungen (Wie verhalte ich mich den Nicht-Deutschen Kameraden gegenüber, Zusammenlegen verschiedener Nationalitäten auf den Unterkünften, Paket- und Solidaritätsaktionen, kameradschaftliche Kontrolle u.a.) halfen hierbei wesentlich mit. Ein Genösse, der sich emste Verfehlungen zu Schulden kommen ließ, wurde von der Partei abgehängt. Eine andere Frage war folgende: Die Auseinandersetzungen mit den Agenten + Spionen der SS im Lager war bisweilen sehr hart. Harry Kuhn erzählte mir wiederholt, daß man + wie man solche Kreaturen der SS gegenüber unmöglich machte oder sonst half, daß sie starben. Ich erinnere mich z.B. des Ingenieurs Trumpf 1 4 4 . Harry Kuhn teilte mir hierzu weiter mit, daß die Parteileitung bisweilen hierauf Einfluß nahm. Im letzten Jahr sollen derartige Fälle auch mit den fuhrenden Genossen der Bruderparteien diskutiert worden sein. Ich hielt diese Hinweise für notwendig, da bestimmte imperialistische „Berichterstatter" gerade hier anknüpfen werden. 4. [Werk]145
einiger zur Liquidation des Lagers.
Zweifellos war es ein schwerwiegender Fehler, daß die im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Häftlingen + der SS am 11.4.45 über 70 eingebrachten Gefangenen nicht sofort standrechtlich erschossen, sondern den Amis ausgeliefert wurden. Am 11. April zog die SS ab. Die Mehrzahl der deutschen Häftlinge verließen das Lager jedoch erst Mitte Mai. Warum? Zweifellos wäre es vor allen Dingen in den ersten Tagen nach dem 11.4. ohne Schwierigkeiten für alle Deutschen möglich gewesen aus dem Lager herauszukommen, nur irgendwie, wenn nicht anders, dann zu Fuß nach Hause zu kommen, um hier sofort mit der politischen Arbeit zu beginnen. Die Parteileitung + wir alle übersahen völlig, daß die amerikanischen Militärbehörden trotz ihres Bündnisses mit der SU Militärbehörden eines imperialistischen Landes sind, die kein Interesse daran hatten, daß Kommunisten in ihren Heimatorten bald die politische Arbeit aufnahmen. Offensichtlich haben die amerikanischen Kommandanten die Aushändigung der Entlassungspapiere bewußt hinausgezögert. Welche politische Arbeit wurde vom Lager aus von Mitte April bis Mitte Mai - ich selbst verließ das Lager am 11. Mai - geleistet? Genossen wurden auf die umliegenden Orte geschickt + führten antifaschistische Versammlungen durch. Von der Thüringer Parteileitung (KPD) - zu ihr gehörten damals Hermann Geißler*, Johannes Brumme* + ich - schickten wir Thüringer Genossen in ihre Heimat, damit sie die Ortsgruppen der KPD wieder aktionsfahig machen. Diese Genossen wurden verpflichtet, nach einer bestimmten Zeit ins Lager zurückzukommen + zu berichten. Die Genossen Richard Eyermann* und Hermann Zahn [Hermann Jahn] 146 erhielten den Auftrag, nach Erfurt zu gehen, um dort die Bezirksleitung 144 145 146
Nicht identifiziert. Unleserlich. Hermann Jahn (1894-1946), Gründungsmitglied der KPD, KPD-Funktionär in Erfurt, mehrfach inhaftiert, 1944/45 in Buchenwald, nach 1945 erster Oberbürgermeister in Erfurt.
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der KPD zu reaktivieren. Diese Genossen organisierten im Mai die erste Bezirkstagung der KPD in Thüringen in Jena. Sämtliche Teilnehmer wurden von den Amis verhaftet, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt - und „auf Bewährung" frei gelassen. Mir ist nicht bekannt, ob von der zentralen deutschen Parteileitung in ähnlicher Weise in den anderen Bezirken gearbeitet wurde. Welche Fehler sind gemacht worden? a) Trotz aller theoretischen Einsichten wurden die amerikanischen Militärstellen nicht richtig eingeschätzt. Wie aus den Notizen zu den Sitzungen der Internationalen Lagerkomitees [sie] hervorgeht, sahen unsere sowjetischen Freunde hier sehr viel klarer. Hieraus resultiert der Glaube an das amerikanischerseits unterschriebene und unterstempelte Entlassungspapierchen. b) Die Rolle des Internationale Lagerkomitees + vor allem die Arbeit der Deutschen in ihm wurde überschätzt. Unsere Hauptaufgabe ab 12.4. lag außerhalb des Lagers. Das erkannte die Partei nicht. So ergab sich der Zustand, daß am 11. Mai, als ich das Lager selbst verließ, noch der größte Teil der deutschen Genossen da waren, so die Parteileitung: Walter Bartel, Ernst Busse, Hany Kuhn, so die Thüringer Parteileitung Johannes Brumme, Hermann Geißler + ich, außerdem Hans Eiden*, Ernst Frommhold*, Willy Papst 1 4 7 , Willy Zimmermann 148 , Fritz Zehle [Jehle] 149 u.a. Soviel ich weiß sind diese Genossen etwa Mitte Mai in ihre Heimat zurückgekehrt oder nach Weimar übergesiedelt (z.B. Richard Großkopf*, Paptist Feilen [Jean Baptiste Feilen]*).
V.4.8 Emil Carlebach.* „Bericht über das KL Buchenwald" (1954) 150
Der illegalen Parteiorganisation in Buchenwald gehörte ich seit ihrer Gründung als Mitglied des Bezirkes Hessen-Frankfurt an. Nach einiger Zeit wurde ich zum Leiter einer DreierGruppe bestimmt, deren Mitglieder außer mir noch die Genossen Ludwig Wolff [Wolf]* (jetzt bei der VVN-Leitung in Frankfurt) und Otto Dambacher 151 (jetzt Fulda) waren. Unmittelbar nach der Befreiung wurde ich beim ersten legalen Zusammentreffen der in Buchenwald gefangenen Genossen aus Hessen-Frankfurt zum Pol[itischen]-Leiter gewählt und wurde daraufhin auch Vertrauensmann sämtlicher Häftlinge aus diesem Bezirk für die Heimfuhrung und gegenüber den amerikanischen und deutschen Behörden in Frankfurt. 147 148 149 150 151
Willy Papst (geb. 1904 in Jena), KPD, 1938/39 Häftling im KZ Buchenwald. Willy Zimmermann (geb. 1897), KPD, 1937-1945 politischer Häftling im KZ Buchenwald, dort 1937 im Kommando für Schacht- und Planierungsarbeiten, 1938 Rohrleger, danach bis 1945 Schlosserei in den DAW, nach 1945 Parteifunktionär. Fritz Jehle (geb. 1906), KPD, seit 1934 in Haft, 1937-1945 KZ Buchenwald, Mitglied des Lagerschutzes, 1940 Kellner im SS-Führerheim. SAPMO-BA, ZPA I 2/3/155, Bl. 155-161. Otto Dambacher (1908-1987), KPD, 1939-1945 in Buchenwald.
V.4.8 Ε. Carlebach, vermutlich 1954
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Im Sommer 1939 wurde ich auf Vorschlag des Kapos von Baukommando II, Erich Ross 1 5 2 , einem Jungkommunisten aus Leipzig, zum Vorarbeiter der „Judenkolonne" dieses Kommandos gemacht, wobei meine Aufgabe darin bestand, den hier beschäftigten jüdischen Genossen eine halbwegs erträgliche Arbeit zu verschaffen, da damals noch jüdische Häftlinge generell nur bei schweren Arbeiten beschäftigt werden durften. Wenige Wochen später wurde ich wegen „Befehlsverweigerung" durch den SS-Baufuhrer Weyhrauch 153 abgelöst, verprügelt und zum Ziegelschleppen eingeteilt. Einige Zeit darauf holte mich der damalige Blockälteste 22, Genösse Rudi Arndt* (Mitglied des ZK des KJVD), in den Stubendienst und veranlaßte später den Lagerältesten, Genossen Emst Frommhold*, mich zum Blockältesten 21 vorzuschlagen. Aufgrund des ständigen Schwankens der Zahl der jüdischen Häftlinge wurde mir die BlockältestenFunktion wieder genommen bzw. ich wurde Blockältester auf anderen Blocks (21, 34 und 22). Als 1942 (?) die meisten jüdischen Gefangenen nach Auschwitz geschafft wurden, war ich als Fliesenleger eingesetzt, so daß ich mit rund 200 anderen jüdischen Häftlingen fur „kriegswichtige Arbeit" zurückbehalten wurde. Da alle anderen jüdischen Blockältesten mit auf Transport gingen, schlug der Lagerälteste (Reschke*?) erneut mich zum Blockältesten vor. Ich behielt diese Funktion bis zum 4. April 1945. An diesem Tag wurde ich auf die Liste der 46 zur Liquidierung bestimmten Häftlinge gesetzt, nachdem die SS erleben mußte, daß durch den Widerstand des Lagers ihr Versuch vereitelt wurde, die ca. 6.000 jüdischen Gefangenen zu evakuieren. Die letzten acht Tage bis zur Befreiung verbrachte ich, ebenso wie die übrigen 45, die auf der Liste standen, in einem mir angewiesenen Versteck (auf Block 63, beim Genossen Kindinger, 154 z.Zt. Landesleitung Hessen). Der Partei verantwortlich für die Regelung der besonderen Probleme, vor welche der SSTerror die jüdischen Häftlinge oft gesondert stellte, war bis zu seinem Tode in erster Linie der Genösse Rudi Arndt. Er arbeitete vor allem zusammen mit Genossen Stefan Heymann* (jetzt Botschafter in Warschau), Genossen Eric Eisler [Eissler]* (aus Wien, später in Auschwitz ermordet) und mir. Nach dem Ausfall der drei erstgenannten Genossen (auch Stefan H.[eymann] wurde 1942 nach Auschwitz gebracht) oblag diese Aufgabe in erster Linie mir zusammen mit Georg Krauss [Krausz]* (Redaktion „Neues Deutschland"), Curt Kohn 155 (einem Bauarbeiter aus Berlin, der später bei der Kaderabteilung der Landesleitung Thüringen der SED tätig war und dann in ein Nervensanatorium gebracht werden mußte) sowie einigen ausländischen jüdischen Genossen (Paul Springer156 und Kurt Mellach 157 aus Wien, Franz Priester* aus der CSR). Hierbei gab es nicht nur Kämpfe gegen die Kriminellen (die durch ihre Denunziationen die Ermordung Rudi Arndts am 3.5.40 veranlaßten), sondern 152 153 154 155 156 157
Nicht identifiziert. Karl Weyrauch (geb. 1911), SS-Hauptscharführer und Kommandofiihrer in Buchenwald 1937-1943. Jakob Kindinger (geb. 1905 in Reichenbach), im KZ Buchenwald Blockältester in Block 54, später in Block 63. Nicht identifiziert. Paul Springer (geb. 1917 in Wien), KPÖ, stammte aus einer jüdischen Familie, seit 1938 im KZ Buchenwald in Block 21, im Stubendienst und im Baukommando II. Kurt Mellach (geb. 1913), KPÖ, stammte aus einer jüdischen Wiener Familie, seit 1938 KZ Buchenwald, dort Stubendienst in Block 22 (Jüdischer Block"), Leichenträger.
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auch gegen Parteifeinde unter den jüdischen Häftlingen, die die verhältnismäßige Abgeschlossenheit der Judenblocks dazu ausnutzten, um sich bei der offiziellen Parteisektion als Genossen aufzuspielen. Zu diesen ist der ehemalige Funktionär der Bezirksleitung Kassel des KJVD, August Cohn 158 , zu zählen, der an der Ermordung Rudi Arndts mitschuldig war und den sein Bezirk nach der Befreiung gegen meinen Ausschlußantrag in Schutz nahm. Nach Kassel zurückgekehrt, trat Cohn, der längst Zionist geworden war, mit einer antisowjetischen Erklärung aus der Partei aus und verschwand nach USA. Ahnlich lag der Fall des Trotzkisten Kurt Hirsch 159 aus Wien, der sich in Buchenwald in die österreichische Parteiorganisation einzuschleichen verstand, nach der Befreiung auch in Wien eine politische Arbeit bekam und dann etwa 1949 in Frankfurt/Main als „Flüchtling" bei den Amerikanern auftauchte. Bei einer ähnlichen Auseinandersetzung mit der österreichischen Parteiorganisation dagegen, als ich die Entfernung des Häftlings Ihr 160 aus dem Lager durchsetzen wollte, den ich wegen seiner Freundschaft mit jenem Curt [Kurt] Hirsch und einer Reihe Krimineller für eine Gefahr hielt, urteilte ich offensichtlich zu sektiererisch; Ihr ist, soviel ich weiß, heute noch Redakteur einer Parteizeitung in Österreich. Meine Hauptaufgabe als Blockältester war es, dafür zu sorgen, daß keinem Häftling durch Unterschlagung, Schiebung oder Erpressung Lebensmittel, Kleidungsstücke oder dgl. entzogen wurden. Weiter hatte ich, soweit möglich, vor allem die Genossen und Antifaschisten unter den jüdischen Häftlingen vor schweren Arbeitskommandos, gefährlichen Transporten oder dgl. zu schützen und schließlich unter den neu eingelieferten jüdischen Häftlingen nach Genossen und Antifaschisten zu forschen, die unsere Hilfe benötigten. Der Kampf gegen Brotdiebe, erpresserische Vorarbeiter und ähnliche Subjekte führte mehrmals dazu, daß ich solche Elemente ohrfeigte, weil sie in irgendeiner Weise bestraft werden mußten, eine Meldung bei der SS aber grundsätzlich nicht in Frage kam. Aufgrund der im Lager selbstverständlich gebotenen Konspiration ist mir die Tätigkeit der Parteileitung in Buchenwald natürlich nur in Bruchstücken bekannt, so daß meine Beurteilung nicht umfassend sein kann. Grundsätzlich ist zu sagen, daß die Parteileitung nie in der Treue zur Sowjetunion schwankte, was vor allem beim Nichtangriffspakt 1939 dazu führte, daß die Trotzkisten wie Fuchs 161 und Brecht 162 (Wiesbaden) und der Kommunistenfresser Heilmann* (aus dem preußischen Landtag) keine Möglichkeiten für ihre Zersetzungstätigkeit fanden. Außerdem leistete die Parteileitung außerordentlich viel für den Schutz der in Buchenwald inhaftierten Kader und die Abwehr des SS-Terrors, wodurch bei den ausländischen Gefangenen das Vertrauen zur deutschen Arbeiterklasse und der Partei außerordentlich gestärkt wurde, was z.B. der französische Genösse Marcel Paul* in seiner Abschiedsansprache ausdrücklich unterstrich. Unter Führung der Parteileitung wurde in den mit Buchenwald ver158 159 160 161 162
August Cohn (geb. 1910), jüdischer Herkunft, KPD, seit 1938 als politischer Häftling im KZ Buchenwald. Kurt Hirsch (geb. 1913), stammte aus Wien, seit 1938 im KZ Buchenwald, arbeitete im Baukommando III. Nicht identifiziert. Nicht identifiziert. Hier könnte es sich um eine Verwechslung handeln: Georg Brechter (geb. 1898 in Wiesbaden), seit 1935 in Haft, 1937-1939 KZ Buchenwald, wurde anläßlich einer Teilamnestie zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers aus dem KZ entlassen.
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bundenen Rüstungsbetrieben aktiv und wirksam Sabotage betrieben, so daß auf diese Weise auch der Kampf der Sowjetarmee und der unterdrückten Völker unterstützt wurde. Allerdings lehnte die Parteileitung jeden Gedanken an einen Aufstand und Ausbruch aus dem Lager ab, mit der Begründung, daß auf diese Weise unsere Kräfte erfolglos geopfert würden. Gerüchteweise hörte ich einmal, daß vor allem die französischen und sowjetischen Genossen eine solche Forderung zur Unterstützung der kämpfenden Front gefordert hätten, aber überstimmt worden seien. Im Jahre 1945 forderten manche Genossen, so z.B. Georg Krausz und ich, daß wir uns endlich auf die östlich gelegenen Außenkommandos melden sollten, um beim Näherkommen der Roten Armee auszubrechen. Auch hiergegen erging ein Verbot der Parteileitung. Zu Auseinandersetzungen kam es schließlich nach der Ankunft der Amerikaner, als z.B. der gesamte Bezirk Hessen forderte, daß wir auch gegen das Verbot der USA-Armee illegal nach Hause reisten, während die Parteileitung verlangte, daß die gesamte Organisation zusammenbliebe. Dies führte am 1.5.1945 zu der grotesken Situation, daß innerhalb des Stacheldrahtzaunes eine Maidemonstration durchgeführt wurde, weil die Amerikaner das Agitieren in den umliegenden Orten Thüringens verboten hatten. Zahlreiche Genossen weigerten sich, dieses Verbot anzuerkennen und gingen trotzdem durch den Zaun ins Land hinunter. An dem Stellplatz, der für die „Demonstration" für den Bezirk Hessen angewiesen worden war, erschien, wenn ich mich recht erinnere, nicht ein einziger Genösse. Aus jener Einstellung, die in Buchenwald befindlichen Kommunisten als „Schwergewicht" für die politische Entwicklung zusammenzuhalten, entstand jene Stimmung, die der inzwischen umgekommene Genösse Paul Schreck*, Mannheim, bei seiner Heimkehr in die Worte zusammengefaßt haben soll: „Wir erkennen niemand an, außer unserer Parteileitung von Buchenwald." Als eine Gefährdung der Organisation erscheint mir heute noch die Durchführung der Trauerfeier nach Bekanntwerden der Ermordung des Genossen Thälmann. Im ganzen Lager waren wir in kleinen Gruppen zusammengetreten und hatten anläßlich dieses Schlages, der die Bewegung getroffen hatte, jedem einzelnen unsere Kampfaufgabe neuerlich ans Herz gelegt. Als dann aber anschließend die ihres Umfangs wegen kaum geheim zu haltende Feierlichkeit in der Effektenkammer angesetzt wurde, protestierten sowohl der Genösse Studer* (Frankfürt), der für die Sicherheit verantwortlich war, als auch ich und eine Anzahl weiterer Genossen heftig, aber vergeblich. Die Aufdeckung dieser Angelegenheit durch Verrat hätte noch viel schlimmere Folgen haben können, als sie schon hatte. Ich kann nicht sagen, welche Mitglieder der Parteileitung im einzelnen für die positiven oder negativen Handlungen hauptverantwortlich waren. Ich halte allerdings den Genossen Walter Bartel* für das stärkste Mitglied der damaligen Leitung, dem allerdings sein Geltungstrieb öfters einen Streich gespielt haben dürfte. Von Harry Kuhn* hatte ich den Eindruck, daß er sich weitgehend nach Walter Bartel orientierte. Den schlechtesten Eindruck hatte ich von Ernst Busse*. Als ich ihn, der damals erster Lagerältester war, am 3. Mai 1940 aufforderte, etwas für Rudi Arndt zu tun, der gerade ins Kommando Steinbruch strafversetzt worden war, wo er nachmittags „auf der Flucht" er-
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schössen wurde, weigerte sich Busse mit der Begründung, er könne nicht riskieren, bei der SS für einen Juden einzutreten. (Ich bin heute noch überzeugt davon, daß die kriminellen Denunzianten bewußt abgewartet hatten, bis der Lagerälteste Frommhold* am 1. Mai 1940 entlassen worden war, weil sie wußten, daß Frommhold sich bei einer Aktion gegen Rudi Arndt eingeschaltet haben würde.) Auch als [es] 1944 darum ging, den Genossen Georg Krausz mit Hilfe des Reviers, in dem damals Busse bestimmte, vor einem Transport nach Auschwitz zu bewahren, zeigte sich dieser schließlich so ängstlich, daß ich die Hilfe des Genossen Hermann Obenauer 163 in Anspruch nehmen mußte, der im sogenannten „Kleinen Revier" tätig war. Zu einem Skandal kam es, als der Genösse Peter Schmidt 164 , ein Invalide aus einem kleinen Ort an der Bergstraße, dagegen auftrat, daß Busse sich mit einer Prostituierten aus dem Lagerbordell abgäbe, der er ein Zimmer im Revier eingerichtet hätte. Trotz seiner Invalidität sollte der Genösse Schmidt deshalb auf Transport geschickt werden, was nur durch den heftigen Widerstand des Bezirks Hessen verhindert wurde. Von dem inzwischen verstorbenen Genossen Hans Eiden* habe ich den Eindruck, daß die persönliche Sauberkeit und der Mut, den er in kritischen Lagen bewies, die vielleicht bestehenden Lücken seines politischen Wissens vollauf ausglichen, so daß er mit Recht bei der Befreiung in die Parteileitung zugewählt wurde. Es ist mir nicht erinnerlich, ob außer den jetzt Genannten noch weitere Genossen in der Parteileitung von Buchenwald tätig waren. PS\ Die Auseinandersetzungen während der Lagerzeit hatten zur Folge, daß eine ganze Reihe Parteifeinde nach der Befreiung versuchten, mich als „Kriegsverbrecher" zu verleumden. Der Erste in dieser Reihe war Dr. Eugen Kogon*, der mich schon im Mai 1945 bei den Amerikanern denunzierte, als ich kaum wieder in Frankfurt angekommen war. Die Folge davon war, daß die Amerikaner nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Buchenwald selbst umfassende Verhöre anstellten, bei denen sich allerdings ergab, daß die befragten ehemaligen Häftlinge nicht bereit waren, Kogons Denunziation zu unterstützen. Genösse Stefan Heymann* schickte mir damals von Buchenwald aus den Genossen Ludwig Wolff [Wolf] mit einer Warnung nach Frankfurt. Der nächste Schuß kam von dem nach den USA ausgewanderten Wiener Trotzkisten Ernst Federn*, der in der amerikanischen Zeitschrift „Harpers Magazin" die Beschuldigung gegen mich erhob, ich hätte „als fanatischer Kommunist" andersdenkende Häftlinge ermorden lassen. Nach längerem Hin und Her sah sich die Zeitschrift gezwungen, meine Richtigstellung abzudrucken. Die Verleumdungen des Trotzkisten Federn wurden dennoch von der Hamburger Illustrierten „Der Stern" aufgegriffen, die mich im Rahmen einer Artikelserie zugunsten der verurteilten Faschisten erneut angriff. Meine Klage beim Hamburger Amtsgericht führte dazu, daß der Verfasser dieses Artikels seine Behauptung offiziell zurücknahm, während der Prozeß mit dem Chefredakteur sich noch immer hinzieht, da dieser sich weigert, die Ehrenerklärung, die der Verfasser abgegeben hat, zu drucken. 163 164
Hermann Obenauer (geb. 1901), Funktionshäftling im „Kleinen Lager". Nicht identifiziert.
V. 5 Durchsetzung des ZPKK-Beschlusses über W. Barle!, Februar 1955
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Ein dritter Versuch wurde gemacht während des Prozesses, den die Trotzkistin Faust-BuberNeumann 165 gegen mich angestrengt hat. Der amerikanische Agent Hermann Brill* (damals Mitglied des Bundestages), der österreichische SPÖ-Funktionär Kautsky* (Sohn des Renegaten Karl K.) und der oben erwähnte August Cohn aus Kassel wurden aufgeboten, um mich wegen meiner Tätigkeit in Buchenwald zu belasten. Ihre Behauptungen erwiesen sich jedoch als so unglaubhaft, daß selbst das Frankfurter Landgericht sie zurückwies.
V.5
Durchsetzung des ZPKK-Beschlusses. „Betr. Gen. Walter Bartel*", 18.2.1955 und 23.2.1955166
[Notiz vom 18.2.1955:] Unsere Freunde 167 machten uns wiederholt darauf aufmerksam, daß Gen. Bartel sich weigert, Berlin zu verlassen und den Beschluß der Partei, in Leipzig eine Tätigkeit als Lektor aufzunehmen, ablehnt. Daraufhin sei ihnen bekannt geworden, daß Besprechungen im Gange sind, B.[artel] trotz dieses Beschlusses in Berlin zu belassen. Gen. Bartel ging dann doch, nach wochenlangem Widersetzen, nach Leipzig, wie es der Beschluß der Partei forderte und nahm die Tätigkeit eines Lektors auf. [Notiz vom 23.2.1955 168 :] Betr. Gen. Walter Bartel. In der Aussprache mit Gen. Matern am 21.2.55 erklärte uns Gen. Matern. Dem Wunsch der Abt.[eilung] Wissenschaft und Propaganda] und der Leipziger Parteiorganisation, den Gen. B.[artel] in eine fuhrende Funktion in der Partei wählen zu lassen, soll man nicht stattgeben. Man soll den Gen. B.[artel] in Ruhe lassen, er hätte das den Leipziger Genossen schon einmal empfohlen. 165
166 167 168
Gemeint ist: Margarete Buber-Neumann (1901-1989) geboren in Potsdam, Kindergärtnerin, 1921 KJD, 1926 KPD, 1928 Redakteurin der INPREKORR, ging mit ihrem zweiten Mann, Heinz Neumann, nach Spanien, 1935 in die Sowjetunion, 1938 dort verhaftet, 1939 als „sozial gefahrliches Element" zu 5 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, Lagerhaft in Karaganda, 1940 als „unerwünschte Ausländerin" aus der UdSSR ausgewiesen, bis 1945 KZ Ravensbrück, lebte nach 1945 in Westdeutschland. Dir autobiographisches Buch „Als Gefangene bei Stalin und Hitler", München 1949, erregte in der deutschen Öffentlichkeit Aufsehen. Emil Carlebach, damals Chef der „Sozialistischen Volkszeitung", hatte im Jahr 1950 gegen ihr Buch und gegen ihre Person polemisiert. Den Prozeß wegen Beleidigung gewann Buber-Neumann. Dabei ging es um den Charakter der stalinistischen „Säuberungen" und der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit wie auch um die politische Tätigkeit von Kommunisten in deutschen Konzentrationslagern. SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, Bl. 105f. Hierbei handelt es sich um Aktennotizen von Anton Joos, Mitarbeiter der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen, Abtl. Kader. Gemeint sind die „Russen" - in diesem Fall in Gestalt der Sowjetischen Kontrollkommission, die seit dem 10.10.1949, mit der Gründung der DDR, die Sowjetische Militäradministration Deutschlands ablöste. Überlegungen aus dem Jahr 1955, Walter Bartel wieder in eine Parteiposition zu bringen, wurden von Hermann Matern verhindert.
VI
UNZEITIGE REHABILITIERUNGEN
VI.1
Harry Kuhn* und Ernst Busse*: Bestätigung betr. die Parteitreue Walter Bartels*, 15.5.19451
Die Unterzeichneten erklären bezüglich der Parteiarbeit des Genossen Walter Bartel, geb.15.9.04 zu Berlin: Gen. B. gab bei seinem Eintreffen im K L. Buchenwald am 17.10.1939 dem Gen. Albert Kuntz*, als dem Hauptverantwortlichen der Partei, folgende Erklärung ab. Er wurde 1933 verhaftet und zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach verbüßter Haft wurde B. der Gestapo Berlin vorgeführt, um den üblichen Revers zu unterschreiben, der ihn verpflichtete, von jeder kommunistischen Parteiarbeit Abstand zu nehmen.2 Die Abgabe der Erklärung betrachtete B. als eine formelle Angelegenheit und nicht in Widerspruch zu den Anweisungen der Partei stehend. Nach seiner Entlassung hat er diese Tatsache seinen Verbindungsleuten in Berlin mitgeteilt. Auf Anforderung der Partei begab er sich im April 1936 nach Prag. Hier wurde ihm nach einigen Wochen mitgeteilt, daß er auf Grund der unterschriebenen Erklärung und der Verheimlichung dieser Tatsache vor der Partei nicht zur aktiven Parteiarbeit herangezogen werden kann. Nach dem Beschluß der IKK3 : „Wer sich gegenüber der Gestapo zur Mitarbeit verpflichtet, schließt sich automatisch aus der Partei aus" wurden ihm die Rechte eines Parteimitgliedes aberkannt. Gen. Bartel hat nach seiner Darstellung gegen die Unterstellung der Verheimlichung schriftlich und mündlich protestiert und erklärte ferner, keinen Schritt getan zu haben als die Unterschriftsleistung. Er verblieb in der Emigration und erfüllte dort die ihm übertragenen Arbeiten der Partei. Gen. B. erklärt weiter, daß nach seiner Meinung die Parteiführung in Prag eine bewußt falsche Darstellung seiner Angelegenheit erhalten hat. Der fur die Befragung Verantwortliche4 ist 1938 als Gestapospitzel entlarvt worden. In Buchenwald hat B. sofort einen ausfuhrlichen Bericht über die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der KI und über die weitere Entwicklung der Linie der Partei bis zu seiner Verhaftung gegeben. Da Gen. [Albert] Kuntz und viele andere Genossen B. aus seiner frü1 2 3 4
SAPMO-BA, Z P A I V 2/11/v. 5545, Blatt 185. Vgl. Dok. V.l.2. Vgl. Dok. II. 1.2 Internationale Kontrollkommission (der Komintern). Nicht identifiziert
474
VI Unzeitige
Rehabilitierungen
heren Parteitätigkeit kannten und sein Verhalten hier vom ersten Tage an kontrollierten, sahen sie keinerlei Grund, ihn von der illegalen Parteiarbeit fernzuhalten. Als durch die Mitteilung des Gen. [Herbert] Weidlich*5 die Angaben von B. bestätigt wurden, erklärte sich die Parteileitung in Buchenwald noch einmal mit der Haltung des Gen. B. einverstanden und übertrug ihm auch weiterhin Parteifunktionen. Die illegale Parteileitung Buchenwalds hat in den 51/2 Jahren Parteiarbeit des Gen. B. keinerlei parteifeindliches Verhalten oder Unaufrichtigkeit gegenüber seinen Mitarbeitern festgestellt. Seit zwei Jahren gehörte Gen. Walter Bartel der Leitung der Partei an, die sich aus den Gen. Ernst Busse, Köln, Harry Kuhn, Leipzig und ihm selbst zusammensetzte. Die leitenden Funktionäre der einzelnen Bezirke waren darüber informiert und einverstanden. Die Leitung der deutschen Sektion hatte darüber hinaus noch die Leitung und Verbindung mit den in Buchenwald vertretenen internationalen Sektionen inne. Der Gen. B. war insbesondere mit der Arbeit unter den slawischen Sektionen betraut. Während unserer jahrelangen Zusammenarbeit haben keinerlei Differenzen grundsätzlicher Art bestanden. [gez.] Harry Kuhn, Ernst Busse.
VI.2
ROBERT SIEWERTS* „SCHLACKEN"
VI.2.1 Auszug aus: Robert Siewert: Der Weg der KPO - von parteifeindlicher Gruppierung zum Verrat an der Arbeiterklasse, v. 25.1.19516 Wie der Genösse Erich Paterna7 in seinem Aufsatz „Lehren aus dem Kampf Ernst Thälmanns gegen parteifeindliche Gruppierungen" im „Neuen Deutschland" bereits festgestellt hat, ist die KPO im Dezember 1928 gebildet worden8 . Damit erfolgte der Zusammenschluß zu einer Gruppe, die sich vor allem in einem Punkt einig war, im Kampf gegen das ZK der 5 6
7
8
Herbert Weidlich war bis 1938 Sekretär unter den deutschen Emigranten in Prag gewesen. „Neues Deutschland" vom 25. Januar 1951. Vorbemerkung der Redaktion: „Im Rahmen der Überprüfung der Parteimitglieder und des Umtausche der Parteidokumente nimmt der Genösse Robert Siewert Stellung zur verbrecherischen Rolle der KPO. Wir veröffentlichen diese Stellungnahme, die die Auffassung des Verfassers darstellt." Nach seinem Sturz als Innenminister und Stellv. Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt in der ParteiUberprüfung von 1950 (vgl. V.l), für den offiziell seine frühere Rolle in der KPO angeführt wurde, zu deren Hintergrund aber auch seine Rolle als prominenter Buchenwalder Kapo gehört haben könnte, erkaufte sich Siewert - der Senior der roten Kapos von Buchenwald - offenbar mit diesem Artikel, weiterhin ein einflußreicher Ministerialer - wenn auch nur im Status eines Fachreferenten - bleiben zu können. Erich Paterna (geb. 1897), Lehrer, SPD, KPD, 1933-36 SA, wegen kommunistischer Wühltätigkeit ausgeschlossen und inhaftiert. Nach 1945 Mitarbeiter des ZK der KPD, Lehrstuhlleiter an der Parteihochschule der SED für Geschichte, später an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zur Geschichte der KPO vgl. Karl Hermann Tjaden: „Struktur und Funktion der 'KPD-Opposition' (KPO). Eine organisationssoziologische Untersuchung zur 'Rechts'-Opposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik", 3. Auflage 1983; Jan Foitzik: „Zwischen den Fronten. Zur Politik, Organisation und Funktion linker Kleinorganisationen im Widerstand 1933 bis 1939/40", Bonn 1986.
VI. 2.1 Siewerts Kritik der KPO, 21. Februar 1951
475
KPD und gegen die Führung der Komintern. Hinter ihren revolutionären Phrasen verbarg sich ihr Opportunismus. Dieser Ansicht war ich nicht immer. Es war ein langer Weg voller Irrungen und bitterer Erfahrungen notwendig, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Wenn ich heute rückschauend zu den Vorgängen Stellung nehme, die zum Ausschluß aus der Partei gefuhrt haben, dann muß ich feststellen, daß das ZK der Kommunistischen Partei unter Führung von Ernst Thälmann viel Geduld mit uns hatte. Das ZK hat sich lange bemüht, uns für die richtige Linie der Partei zu gewinnen. Das ist auch aus den sechs Punkten ersichtlich, die der Genösse Paterna in seinem Artikel veröffentlicht hat. Die KPO hat sich im Laufe der Zeit immer mehr zu einer parteifeindlichen Gruppe entwickelt, die es der Partei erschwerte, die sozialdemokratischen und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter für die Linie der Partei zu gewinnen. Nicht der Marxismus-Leninismus, sondern Überheblichkeit und Voreingenommenheit waren der Kompaß für das Handeln der KPO. Welches Maß von Überheblichkeit spricht z.B. aus der Forderung: Reform der KPD und der Komintern an Haupt und Gliedern, die damals von der KPO aufgestellt wurde. Darüber kam es sogar innerhalb der KPO zu Auseinandersetzungen. Heute weiß ich, daß die Wurzeln der KPO, wie die Wurzel aller Abweichungen von der Lehre des MarxismusLeninismus, zu suchen sind in einer opportunistischen Ideologie, in der Ideologie des Sozialdemokratismus. [...]9 1928 zeigten sich die Anfänge einer neuen Krise der kapitalistischen Wirtschaft. Die Situation forderte den geschlossenen Einsatz aller Kräfte der Kommunistischen Partei. Wir aber haben durch fraktionelles Arbeiten das einheitliche Auftreten der Partei erschwert. Lenin sagt: „Wer auch nur im geringsten die eiserne Disziplin der Partei des Proletariats...schwächt, der hilft der Bourgeoisie gegen das Proletariat." Diesen fundamentalen Grundsatz Lenins haben wir nicht beachtet, im Gegenteil, wir haben die Disziplin der Partei untergraben. Deshalb erfolgte der Ausschluß zu Recht. Nach dem Ausschluß aus der Partei häuften sich Fehler auf Fehler. Die KPO beteiligte sich mit eigener Liste an den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Sie erhielt von den Arbeitern, die gegen die Spaltung und für die Sammlung aller revolutionären Kräfte waren, eine gründliche Abführ. Als die Kommunistische Partei durch den Genossen Thälmann das Programm zur nationalen und sozialen Befreiung verkündete und damit einen erfolgreichen Vorstoß gegen die Nazis unternahm, hat die KPO gegen dieses wahrhaft revolutionäre Programm Stellung genommen. Sie bewies damit, daß sie weder die Lehren Lenins noch Stalins über die Bedeutung der nationalen Frage begriffen hatte. Von der KPO wurde die Forderung nach der Arbeiterkontrolle der Produktion gestellt, aber sie wurde isoliert vom Kampf um die Macht gestellt. Damit machte die KPO einen entscheidenden Schritt fort von Lenin und zurück zum Opportunismus. Es wurde damit die ge9
Auslassung einer längeren Passage über die Politik der KPD-Zentrale unter den späteren KPO-Führern Heinrich Brandler und August Thalheimer 1921-23.
476
VI Unzeilige
Rehabilitierungen
fährliche Illusion geweckt, daß bei dem Bestehenbleiben der Diktatur des Kapitals die Arbeiterkontrolle der Produktion möglich sei. Daraus spricht die opportunistische Beurteilung des Staates als Machtapparat für die Sicherung der Herrschaft der Bourgeoisie. Auf dieser Ebene entwickelte sich die KPO nach 1933, wie alle opportunistischen Gruppierungen, zu einer Agentur des anglo-amerikanischen Imperialismus. Das wurde deutlich sichtbar bei der Stellungnahme der Auslandsgruppe der KPO gegen die Volksfrontpolitik in Frankreich und in Spanien und in ihrem Zusammengehen mit der trotzkistischen „POUM". Nach und nach geriet sie immer mehr in den antibolschewistischen Sumpf, was vor allem in ihrer konterrevolutionären Stellungnahme gegen den Genossen Stalin und die Sowjetunion zum Ausdruck kam. Die große Bedeutung der Politik Stalins für die Sammlung aller Kräfte zur Niederschlagung der faschistischen Aggressoren haben sie nicht begriffen. Erhebliche Teile der KPO-Leute, die in Deutschland gegen die faschistische Diktatur kämpften, sind durch die enge Zusammenarbeit mit den Genossen der KPD und anderer antifaschistischer Gruppen einen anderen Weg gegangen. Sie haben sich von dem Weg des Verrats freigemacht und bemüht, die opportunistischen Einstellungen, die sie aus der Vergangenheit mitschleppten, zu überwinden. Diese Feststellung stützt sich auf die Erfahrungen und Diskussionen, die ich im Zuchthaus Luckau und im Konzentrationslager Buchenwald gesammelt habe. Aus der Diskussion über die Beschlüsse des VII. Weltkongresses und der Brüsseler Konferenz der KPD habe ich erkannt, daß die Schaffung einer einheitlichen Partei auf dem Boden des Marxismus-Leninismus die wichtigste Voraussetzung für die Befreiung der Arbeiterklasse ist und mich deshalb endgültig von den opportunistischen Ansichten der KPO gelöst. 1939, im Konzentrationslager Buchenwald, beim Abschluß des Nichtangriffspaktes der Sowjetunion mit Hitler-Deutschland habe ich mich rückhaltlos für die Politik der KPdSU eingesetzt, die bedingungslose Anerkennung der Sowjetunion und der führenden Rolle der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Kampf gegen die faschistischen Aggressoren, gegen die Imperialisten, für die Befreiung der Arbeiterklasse, gefordert. Allen Gegnern dieser Auffassung bin ich mit aller Entschiedenheit entgegengetreten. In diesen Auseinandersetzungen habe ich wieder zur Partei zurückgefunden und wurde deshalb in das Parteiaktiv der KPD des KZ Buchenwald aufgenommen. Aus meinen Fehlern und Erfahrungen habe ich gelernt. Der Befreiungskampf der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Knechtschaft erfordert eine einheitliche Partei, die sich auf die Lehren von Marx und Engels, Lenin und Stalin und auf die großen Erfahrungen, die die KPdSU(B) im Kampf gegen den Opportunismus und das Sektierertum, im Kampf gegen Imperialismus und Faschismus, für die Aufrichtung der kommunistischen Gesellschaft gesammelt hat, stützt. Diese Partei ist die SED. Wer sich von den Lehren von Marx und Engels, Lenin und Stalin entfernt, der landet im Lager der Klassenfeinde. Wer den Versuch unternimmt, der SED und der Deutschen Demokratischen Republik, der KPD in Westdeutschland eine andere Bewegung entgegenzusetzen, der begeht ein Verbrechen an der Arbeiterklasse.
VI. 3.1 Anerkennung von E. Reschke, 24. Mai 1956
477
VI.2.2 „IM O. Baumann": Beurteilung über Robert Siewert*, 30.7.1952 10
Gen. Siewert: Alter bewährter Genösse mit gewissen Schlacken in der Vergangenheit (KPO), zuverlässig und ehrlich. In der Parteileitung aktiv, nur zu wenig motorisch. Über die anderen der Parteileitung11 noch angehörenden Genossen kann keine Charakteristik gegeben werden, da ich diese zu wenig kenne. [...]12
VI.3
RESCHKE* UND BUSSE* 1 9 5 6
VI.3.1 Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer an den Rat des Bezirks Potsdam. Betr. Anerkennung von E. Reschke* als VdN, 24.5.1956 13
Der Kamerad Erich Reschke war aus politischen Gründen von 1938 bis 1945 in Buchenwald inhaftiert. Er wurde 1946 in Weimar als VdN anerkannt und zog dann nach Hohenneuen10
BStU, AP 1672/66, Bl. 18. Dieser in der Allgemeinen Personenablage (AP) enthaltene lakonische Stasi-Bericht ist mit dem handschriftlichen Vermerk versehen: „Entgegengenommen von 'IM O. Baumann' am 30.7.52." Robert Siewert war im Frühjahr 1950 vom Innenminister Sachsen-Anhalts zum Abteilungsleiter in der Hauptabteilung Bauaufsicht des Aufbauministeriums der DDR degradiert worden. Ausgelöst wurde diese kleine Beurteilung durch eine Anfrage im Sinne der kleinen Amtshilfe der Kreisdienststelle des MfS an die Abteilung Erfassung und Statistik des MfS vom 5.5.1952, in der gebeten wurde, „festzustellen, was gegen den Siewert, Robert, [...] vorliegt". Im Gegensatz zu der hier abgegebenen Beurteilung hatte Robert Siewert in Buchenwald als einer der energischsten Kommunisten gegolten, der fur seine Widerworte gegen die SS, die bei anderen kommunistischen Kapos selten waren, bekannt war. Vgl. die Huldigung an ihn und Baptist Feilen* (KPD) als Beispiele „der Sauberkeit, Menschlichkeit und des persönlichen Mutes" bei Kogon, SS-Staat, a.a.O., S. 67 ff.. Siewert hatte als Bau-Kapo ein Ausbildungskommando fur Jugendliche im KZ aufgebaut; er dürfte der Idealtyp des guten Genossen in Bruno Apitz' Roman: Nackt unter Wölfen, Halle/Saale 1958, sein. 1944, als die Parteileitung der KPD in Buchenwald nicht glauben wollte, daß hier Thälmann ermordet worden sei, gehörte ausgerechnet der ehem. Reichsorganisationsleiter der KPO im Widerstand (zusammen mit dem späteren Sozialdemokraten Willi Bleicher*, dem Österreicher Gustav Wegerer* u.a. der aktivistischen Kapos) zu denen, die eine ThälmannGedenkfeier veranstalteten und dafür ins Gestapo-Gefängnis wanderten. Nach der Befreiung führte er die kommunistischen Mithäftlinge in einem selbstbewußten Agitprop-Zug - unter Vermeidung von VerhaftungsDrohungen der Besatzungsmacht - von Buchenwald nach Halle, wo ihm mit Bernhard Koenen (1889-1964) ein in den Stalin'schen „Säuberungen" umerzogener Emigrant als erster Landessekretär der KPD vor die Nase gesetzt wurde und Siewert sich um den Aufbau der Polizei kümmerte. Seine umfänglichen, in den späteren 50er Jahren diktierten Erinnerungen, detailreich fürs KZ, blaß und oft schwülstig fur die Zeit der SBZ, in: ZPA, EA 0890-1 und -2, ein Auszug „Vom Fliegerangriff auf Buchenwald bis zur Befreiung im April 1945" auch in BWA 31/217.
11 12
Gemeint ist vermutlich die Parteileitung der SED im Ministerium fur Aufbau. Hier folgt eine kurze Passage über den Vertreter der Jugend (FDJ) in der Parteileitung, dessen Name von der Gauck-Behörde geschwärzt wurde. Über ihn wird vermerkt, er habe „ein gesundes Klassenbewußtsein ohne theoretische Fundierung". Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Bezirk Potsdam Rep. 401, VdN-Nr. 4752.
13
478
VI Unzeitige Rehabilitierungen
dorf 1 4 , wo er heute noch wohnt. Seine Aktenunterlagen sind weder in Erfurt noch in Oranienburg aufzufinden. Für die Zeit von 1950-1955 will der Kamerad Reschke über seine Tätigkeit keine Auskunft erteilen. Dies kann durch die Kaderregistratur des ZK geschehen, wenn notwendig. Wir schlagen vor, eine Neuanerkennung des Kameraden Reschke auszusprechen und empfehlen, ihm einen Fragebogen baldigst einzusenden, der an Euch ausgefüllt zurückgegeben wird. Wir haben dem Kameraden Reschke geraten, den Fragebogen persönlich nach Potsdam zu bringen, damit er dann dort seinen Ausweis gleich in Empfang nehmen kann. Bitte teilt ihm noch mit, was er sonst noch für die Anerkennung für Unterlagen beibringen muß (Lebenslauf, Lichtbild etc.) Mit kameradschaftlichem Gruß!
VI.3.2 ZPKK-Beschluß über die Rehabilitierung Ernst Busses", 29.8.1956 15
Die ZPKK beschließt: die Mitgliedschaft des Genossen Ernst Busse in der Partei der Arbeiterklasse gilt ab 1918 (Spartakusbund) als ununterbrochen. Genösse Busse wird damit rehabilitiert. Begründung: Die Genossin Anna Busse, geb. 13.10.07 hat über den Genossen Reschke* die Nachricht erhalten, daß ihr Mann 1952 im Lager in der Sowjetunion verstorben ist. Sie beantragte deshalb die Rehabilitierung ihres Mannes. Außerdem lebt noch die Mutter des Genossen Busse (80 Jahre alt) in ihrem Haushalt. Nach Einschätzung der Angelegenheit des Genossen Busse durch die ZPKK, kann diesem Antrag stattgegeben werden. Berlin 29.8.56 [gez.] Herta Geffke G.[ünter] Tenner
14 15
Kreis Oranienburg bei Berlin. Reschke war 1946 vom Thüringer Polizeichef zum Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern fur die SBZ in Berlin aufgestiegen. SAPMO-BA, ZPA, 2/11/v. 1247, Bl. 26. Offenbar wurde zusätzlich vereinbart - aber nicht protokolliert-, diesen Beschluß nicht bekanntzugeben, sondern nur der Witwe persönlich und vermutlich vertraulich mitzuteilen. Das war für sie bedeutsam genug, da ihr 1950 als Angehörige eines Verhafteten jede Tätigkeit im Staatsund Parteidienst verboten worden war (sie war bei einer Gewerkschaft untergekommen) und sie auch andere Nachteile in Bezug auf Wohnung etc. hatte hinnehmen müssen.
VI. 3.4 Vorladung zur Mitteilung an Α. Busse, 12. Oktober 1956
479
VI.3.3 Walter Bartel*, Robert Siewert*, Harry Kuhn* und Rudi Jahn* an Hermann Matern. Betr. Bitte um ein auskömmliches Gehalt für Erich Reschke* sowie Nachfrage nach Ernst Busses* Rehabilitierung, 10.10.195616
Im Ergebnis einer Besprechung der Leitung des Buchenwald-Komitees unterbreiten wir Dir folgende Bitte: Nach unseren Informationen wurde der Genösse Erich Reschke, einer der Lagerältesten in Buchenwald, vom ZK rehabilitiert. Der Genösse Erich Reschke arbeitet jetzt in Berlin bei Bergmann-Borsig als Kesselschmied mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von ca. DM 350.-. Der Gesundheitszustand des Genossen ist derart, daß er diese Arbeit auf Dauer nicht ausüben kann. Wir bitten Dich deshalb, zu erwägen, ob der Genösse Reschke, der seit 1922 Mitglied der Partei ist, in Anbetracht seiner unschuldig erlittenen Haft, eine Arbeit erhalten kann, die unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes und seinen Fähigkeiten, ihm ein auskömmliches Gehalt sichert. Für uns ist dabei klar, daß es sich um keine Funktion handeln kann, wie er sie vor seiner Haft ausgeübt hat. 17 Bei der Gelegenheit bitten wir ferner um Mitteilung, ob auch der Genösse Ernst Busse, der während der Haft in der Sowjetunion verstorben ist, vom ZK rehabilitiert wurde.
VI.3.4 Herta Geffke (ZPKK) an Anna Busse. Vorladung betr. Rehabilitierung Ernst Busses*, 12.10.195618
Werte Genossin! In der Angelegenheit Deines Mannes bitten wir Dich, am Dienstag, den 16.10.1956, um 11.00 Uhr zum ZK Haus der Einheit, Wilhelm-Pieck-Str. 1, Zimmer 118 zu kommen. Mit sozialistischem Gruß [Handschriftlicher Vermerk:] „Genn. Busse wurde der Beschluß vom 29.8.1956 mündlich mitgeteilt, Gefffke] 16.10.1956."
16 17 18
BWA, Reschke. Vgl. Dole. IV.9. Erich Reschke war zuletzt 1950 Leiter der Strafvollzugsanstalt Bautzen gewesen. SAPMO-BA, ZPA, IV 2/11/v. 1247, Bl. 25.
480
VI Unzeitige Rehabilitierungen
VI.3.5 Hermann Matern (ZPKK) an Rudi Jahn*. Betr. Genösse Reschke*, z.Zt. Bergmann-Borsig/Berlin, 17.10.195619
Euer Schreiben vom 10.10.1956 habe ich erhalten. Nachdem der Genösse Reschke durch das Zentralkomitee der Partei rehabilitiert ist, gibt es fur ihn keine Beschränkungen, weder in der Partei noch in der beruflichen Arbeit. Er kann jede Arbeit oder Funktion erhalten, die er auszuführen in der Lage ist. Ich werde die Kaderkommission veranlassen, fur ihn, eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Arbeit mit entsprechendem Einkommen zu suchen. Wir beschäftigen uns seit längerer Zeit damit, die Genossen zu rehabilitieren, die in die damaligen Prozesse mit hineingezogen wurden und verstorben sind. Das ist kompliziert 20 , aber eine selbstverständliche Pflicht der Partei, die Ehre der Genossen wieder herzustellen. Das wird auch bei dem Genossen Ernst Busse* erfolgen.
VI.4
Beurteilung des Majors der Volkspolizei Erich Reschke* durch seinen Vorgesetzten aus Anlaß der Erwägung seiner Versetzung zum Leiter der Abteilung Sicherheit der Verwaltung Strafvollzug im Ministerium des Innern der DDR, 27.5.195821
Fachlich: Gen. Major Reschke ist [seit dem 1.3.1957] Leiter der Abteilung Wachdienst und Transport. [...] 22 Politisch: Gen. Major Reschke ist ein alter, erfahrener Genösse, der seine Treue zur Arbeiterklasse in der Vergangenheit bewiesen hat und auch heute täglich noch beweist. Seine Mitarbeit in der Marx.[istisch]-leninistischen Schulung müßte besser werden. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß er durch besondere Umstände Jahre verloren hat, in denen er sich theoretisch nicht weiter bilden konnte, und die auch nicht ohne Einfluß spurlos an ihm vorüberge-
19
20 21
22
BWA, 32/XII-5/2. Auf Briefkopf SED ZK, Mitglied des Politbüros. Kopien sandte Jahn nach einem handschriftlichen Vermerk an Walter Bartel* und Robert Siewert* und fugte in einem Beischreiben, das er als Vorsitzender des Rates des Bezirkes Dresden unterzeichnete, am 29.10.1956 hinzu: „Damit wäre zunächst der erste Schritt mit Erfolg abgeschlossen." Jahn war damals der einzige Nomenklaturkader der DDR im BuchenwaldKomitee. Gemeint ist vermutlich, weil die Verurteilungen in der Regel durch Sowjetische Militärtribunale ausgesprochen und durch den KGB vorbereitet worden waren und deren Unterlagen auch höchsten deutschen Parteistellen nicht zugänglich waren. BStU 991/80 Bl. 109. Begl. Abschrift der Abt. VII/3 des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR v. 9.12.1958. Der Vorgesetzte Oberst Jauch ist nicht identifiziert. Reschke blieb nach diesem Vorgang Leiter der Abteilung Wachdienst und Transport. Auslassungen in diesem Dokument gehen auf Schwärzungen der Gauck-Behörde zurück.
VI. 5 Abstimmung eines Ordensvorschlags fiir W. Bartel, vom 9. Juli 1959
481
gangen sind 23 . Das mag auch mit eine der Ursachen für ein [...] sein. Hervorzuheben ist seine ständige Einflußnahme auf die Genossen. Gen. Reschke hat einen festen Klassenstandpunkt und nimmt zu allen Problemen parteilich Stellung. Charakterlich: Gen. Major Reschke ist ein offener und ehrlicher Charakter, [...]. Sein Auftreten ist bescheiden und vorbildlich. Gegenüber Vorgesetzten ist sein Verhalten diszipliniert. Gen. Reschke ist ständig einsatzbereit. Gesamtbeurteilung: Gen. Major Reschke ist ohne Zweifel ein sehr arbeitsamer und auch williger Offizier, dessen Entwicklung jedoch abgeschlossen ist.
VI.S
Anfrage des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer an das Politbüro der SED. Betr. „Vorschlag, den Gen. Walter Bartel* mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber auszuzeichnen", 9.7.1959 24
[Begründung] „daß Genösse Walter Bartel ihm aus seiner Tätigkeit im KZ Buchenwald bekannt ist und daß der als Mitglied des Internationalen Komitees und als Leiter der Organisation der Kommunistischen Partei im Konzentrationslager Buchenwald hervorragend an der Vorbereitung des aktiven Widerstandes gegen die SS teilgenommen hat. Genösse [Robert] Siewert* weist darauf hin, daß Genösse Walter Bartel nach 1945 in verantwortlichen Funktionen aktiv am Kampf um ein friedliches, unabhängiges und demokratisches Deutschland teilgenommen hat und als Professor an der Universität Leipzig junge Kader für die wissenschaftliche Tätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik herangebildet hat. Wir bitten um einen Vorschlag des Sekretariats des ZK, ob unser Komitee diesen Vorschlag befürworten soll."
23 24
Reschke hatte - nach dreijähriger Arbeitslosigkeit - die zwölf Jahre des Dritten Reiches in Strafanstalten und KZs und die ersten fünf Jahre der DDR in sowjetischen Gefängnissen und Straflagern zugebracht. Schreiben des leitenden Sekretärs des Komitees, Georg Spielmann (SED), an das Mitglied des Politbüros der SED Otto Schön v. 9.7.1959 (SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 5545, B1.110 f.). Das Schreiben trägt den handschriftlichen Vermerk Walter Ulbrichts mit Rotstift: „Mit Gen. H. Matern abgesprochen. Einverständnis liegt vor. 25.8. U.W." sowie den Bleistiftvermerk mit unleserlicher Unterschrift: „Gen. Spielmann wurde ersucht, den Vorschlag dem Zentr.[alen] Ausz.[eichnungs] Ausschuß selbst einzureichen. Hier bestehen keine Bedenken. 26.8.1959". Georg Spielmann (1908-1985), geb. in Königsberg, 1922 KJVD, 1928 KPD. In der NS-Zeit KZ, in den letzten Kriegsmonaten Wehrmacht, Übertritt zur Roten Armee. Nach 1945 Mitarbeiter im Generalsekretariat der W N , ab 1953 im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer, 1954-71 Sekretär bzw. Leitender Sekretär des Komitees, dann Mitglied des Präsidiums seiner Zentralleitung.
482 VI.6
VI Unzeitige
Rehabilitierungen
VERÖFFENTLICHUNG DER REHABILITIERUNG E R N S T BUSSES* DURCH DIE S E D
VI.6.1 Walter Bartel* an den leitenden Sekretär des Komitees der AntifaWiderstandskämpfer, Otto Funke, 23.8.197225
Lieber Genösse Otto Funke! Ich komme in folgender Angelegenheit zu Dir: Am 24. 11. 1972 wird der Genösse Ernst Busse 75 Jahre. Ich brauche Dir nicht zu sagen, unter welchen Umständen er gestorben ist. 26 Er hat in Buchenwald eine hervorragende Rolle gespielt. In den letzten drei Jahren, als er die Funktion des Kapos des Reviers übernahm, wurde dieses Revier zu einem Zentrum des antifaschistischen Widerstandkampfes. Im Revier tagte der Dreierkopf der illegalen Kommunistischen Partei Deutschlands und tagte auch das internationale kommunistische Lagerkomitee. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Absprachen, die unter dem Schutz des Reviers und seiner Einrichtungen durchgeführt werden konnten. Ernst Busse hat einen klangvollen Namen auch heute noch in der Welt der ehemaligen antifaschistischen Widerstandskämpfer in Buchenwald. Es ist uns 27 natürlich bekannt, daß Ernst Busse nach dem XX. Parteitag völlig rehabilitiert wurde. Wir haben es jedoch bisher unterlassen, in irgendeiner Weise öffentlich das zu dokumentieren. Deshalb unser Vorschlag, an seinem 75. Geburtstag durch die örtliche Presse, d.h. durch „Das Volk" und möglichst auch durch die zentrale Presse, d.h. „Neues Deutschland" durch einen gedenkenden Artikel auch öffentlich von der Rehabilitierung Kenntnis zu geben. Es ist ebenso selbstverständlich, daß über die Ursachen seines Todes, Ort seines Todes nichts gesagt wird. Doch wir sind es ihm, seinen zahlreichen Angehörigen, seine Frau lebt noch, und wir sind es auch uns schuldig, einmal zu einem solchen Anlaß davon zu sprechen, welche bedeutende Rolle Ernst Busse vor der Zeit des Faschismus und während der Zeit des Faschismus und auch in den wenigen Jahren, die ihm hinterher verblieben waren, gespielt hat. Ich schreibe diesen Brief im Auftrage unserer Kameraden und bitte Dich, vielleicht in einem persönlichen Gespräch mit mir zu beraten, wie und was am besten geschehen kann. Meine Bitte geht auch dahin, daß Du Dich vielleicht an der zuständigen Stelle informierst, wie man darüber denkt und was
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26 27
SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 1247, Bl. 16 f. Otto Funke (geb. 1915 im Rheinland), 1930 SAJ, 1931 KJVD, 1933 KPD. 1935-37 in Haft, 1938-44 Lehre und Tätigkeit als technischer Angestellter in einer Maschinenfabrik in Düsseldorf, bis 1944 „wehrunwürdig", 1944/45 Kriegsdienst und Gefangenschaft. 1946-49 FDJ-Landesleitung Thüringen, ab 1949 SED-Funktionär in Thüringen, u.a. Bezirksleiter in Gera und Suhl,, 1950-54 und 1958-90 Abgeordneter der Volkskammer, dazwischen 1955/56 Parteihochschule beim ZK der KPdSU in Moskau, 1963-89 Mitglied des ZK der SED, 1974-89 Vorsitzender der Zentralleitung des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, dessen Sekretär er seit 1969 gewesen war. 1952 im sowjetischen Straflager in Workuta. Gemeint ist, daß im engeren Kreis des Komitees diese Tatsache bekannt ist, aber nicht in der Öffentlichkeit, da sie und auch die Tatsache, daß Busse im sowjetischen Sonderlager starb, ja nicht veröffentlicht wurde.
VI. 6.2 Ε. Mückenberger an Ε. Honecker, vom 19. Oktober 1972
483
man machen kann. Wir haben zwar noch Zeit, aber man soll eine solche Sache nicht 28 untergehen lassen. Deshalb bitte ich Dich, gelegentlich anzufragen, und mich dann zu informieren. Mit sozialistischem Gruß [gez.] W. Bartel
VI.6.2 Erich Mückenberger (ZPKK) an den Generalsekretär der SED, Erich Honecker, 19.10.197229
[Handschriftlicher Vermerk:] „Einverstanden E.H. 19.10.72." Lieber Genösse Erich! Vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, Genossen Otto Funke, erhielt ich die Mitteilung, daß am 24. November 1972 der Genösse Ernst Busse* 75 Jahre geworden wäre. Die Genossen des Widerstandskomitees und auch des Buchenwaldkomitees fragen an, wie man sich zu diesem Geburtstag verhalten soll und ob es nicht angebracht wäre, aus diesem Anlaß entweder in der Bezirkspresse Erfurt „Das Volk" oder im „Neuen Deutschland" einen Artikel zu veröffentlichen, um Gen. Busse in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Meine Meinung geht dahin, sich fur „Das Volk" zu entscheiden. Mit einer Veröffentlichung im „Neuen Deutschland" würden wir einen Präzedenzfall schaffen. Was den Artikel über den Genossen Busse betrifft, so könnte man vielleicht so verfahren, daß ein Genösse, der ihn gut aus der Zeit von 1933-1945 kannte, über die Arbeit der Partei und den antifaschistischen Widerstandskampf in Buchenwald schreibt, und dabei den Namen des Genossen Busse hervorhebt mit dem Bemerken, daß er in diesen Tagen 75 Jahre alt geworden wäre. Aus diesem Artikel könnte auch hervorgehen, daß die, die mit ihm gemeinsam gekämpft haben, ihn als aufrechten Menschen kennen- und schätzen lernten, der unter Einsatz seines Lebens für die Belange der Partei eintrat.
28 29
Das Wort „nicht" ist handschriftlich später hinzugefugt. SAPMO-BA, ZPA IV 2/11/v. 1247, Bl. 19 f. Erich Mückenberger (geb. 1910 in Chemnitz), 1924-27 Schlosserlehre, 1924 SAJ, 1927 SPD. 1934-36 KZ Sachsenburg, 1938 erneut verhaftet, 1942-45 Strafbataillon der Wehrmacht. 1945 Funktionär der SPD in Chemnitz, seit 1946 Funktionär der SED in Sachsen und Thüringen auf Kreis- und Landesebene, seit 1950 Abgeordneter der Volkskammer, seit 1954 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, seit 1971 Vorsitzender der ZPKK des ZK der SED, Januar 1990 aus der SED-PDS ausgeschlossen.
484
VI Unzeitige
Rehabilitierungen
Der Artikel könnte 2-3 Schreibmaschinenseiten umfassen, der dann auf der dritten Seite der Bezirkspresse veröffentlicht werden könnte. In der Anlage fuge ich einige Angeben über den Genossen Busse bei. Ich bitte um Deine Entscheidung, ob wir so verfahren können. [gez.] Mückenberger Anlage: Einige Angaben über den Genossen Busse: Genösse Busse wurde am 24.11.1897 geboren. / Mit 15 Jahren trat er der SAJ bei und wurde 1918 Mitglied der Partei der Arbeiterklasse (Spartakusbund). / Innerhalb der Partei und auch durch die Partei (KPD) hatte er verschiedene Funktionen inne, angefangen vom Ortsfunktionär bis zum Leiter des Bezirkssekretariats der RGO Köln, Aachen, Koblenz und Trier. / 1932 wurde er in den Reichstag gewählt. 1933 wurde Genösse Busse wegen illegaler Tätigkeit verhaftet und vom Volksgerichtshof Berlin zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung der Zuchthausstrafe wurde er dem KZ Lichtenburg und 1937 dem KZ Buchenwald überstellt. / Im KZ Buchenwald hat er maßgeblich an der Organisierung des illegalen Kampfes und der illegalen Parteiarbeit mitgewirkt. Er war aktiv im Lagerkomitee tätig. / Durch seine verschiedensten Funktionen im Lager, Blockältester, Kapo, Lagerältester, war es ihm möglich, viele aufrechte Genossen vor der physischen Vernichtung zu bewahren. Nach der Zerschlagung des Faschismus war er von 1945 bis 1947 in verschiedenen Funktionen der Regierung des Landes Thüringen tätig, so z.B. als 1. Vizepräsident der Landesverwaltung Thüringen und als Innenminister. 1948 wurde er Vizepräsident der Deutschen Verwaltung Land und Forst in Berlin. 1950 wurde Genösse Busse und auch andere Genossen auf Grund von Anschuldigungen ehemaliger Häftlinge des KZ Buchenwald von Sowjetischen Organen verhaftet und in der Sowjetunion 30 zu einer hohen Strafe verurteilt. 1952 starb Gen. Busse in der Sowjetunion. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU wurden die anderen Genossen und mit ihnen auch der verstorbene Gen. Busse vollkommen rehabilitiert.31 Auch unsere Partei rehabilitierte den Gen. Busse (nicht öffentl.), indem 1956 seine durchgehende Mitgliedschaft ab 1918 wieder hergestellt wurde.
30 31
Tatsächlich vor dem Sowjetischen Militärtribunal Berlin (vgl. Dok. VI. 10). Dies wird nur hier behauptet; Belege dafür fehlen bisher.
VI. 6.7 Urne Η. Kuhn beigesetzt, 23. Mai 197$
485
VI.6.3 Auszug aus einem Artikel der Erfurter Zeitung „Das Volk": „Kraftquell Solidarität. Vom gemeinsamen Widerstandskampf deutscher und sowjetischer Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald", 25.11.1972 32
Dem internationalen politischen Zentrum der Häftlinge, dem späteren Internationalen Lagerkomitee, gehörten zur damaligen Zeit die deutschen Kommunisten Albert Kuntz*, Walter Bartel*, Harry Kuhn* und der ehemalige Reichstagsabgeordnete der KPD, Ernst Busse*, der in diesem Jahr funfundsiebzig Jahre alt geworden wäre, an. Ernst Busse war im Auftrag der Illegalen Parteileitung des KZ Buchenwald lange Jahre Lagerältester.
VI.7
SED-Zentralorgan „Neues Deutschland": „Urne Harry Kuhns* beigesetzt", 23.5.1973
Berlin (ADN). „In der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde wurde am Freitag die Urne des am 14. Mai verstorbenen verdienstvollen Arbeiterfunktionärs Harry Kuhn feierlich beigesetzt. Von dem treuen und unermüdlichen Kämpfer für Sozialismus und Frieden nahmen gemeinsam mit den Angehörigen Kampfgefährten und Freunde Abschied, unter ihnen der Präsident des Internationalen Buchenwald-Komitees Marcel Paul* (Frankreich). Die Stunde des Gedenkens wurde mit dem Trauermarsch von Frederic Chopin und dem Trauermarsch aus der 'Eroica' von L. v. Beethoven eingeleitet. Mit bewegten Worten würdigte Prof. Dr. Walter Bartel*, Vize-Präsident des Internationalen Buchenwald-Komitees und Mitglied des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer in der DDR, den steten Einsatz Harry Kuhns im Dienste der Partei. Unter den Klängen des Trauermarsches 'Unsterbliche Opfer' bewegte sich der Trauerzug zur letzten Ruhestätte. Nachdem die Urne vor dem Gedenkstein mit der Aufschrift 'Harry Kuhn geb. 4.7. 1900 gest. 14.5.1973' eingelassen worden war, intonierte das Musikkorps des Wachregimentes 'Felix Dzierzynski' 33 die 'Warszawianka'. Blumengebinde des ZK der SED, der Angehörigen und Freunde wurden niedergelegt. Nach einer Minute des Gedenkens erklang dem Verstorbenen zu Ehren die 'Internationale'." 32 33
Dieser Ausschnitt aus dem halbseitigen Artikel in der SED-Regionalzeitung „Das Volk", in dem Busse sonst nicht vorkommt, wurde - wohl als Vollzugsmeldung - der Kaderakte Busse beigefugt. Das ist das Wachregiment des MfS, genannt nach dem Tscheka-Griinder. Daß seine Musikkapelle am Grabe Harry Kuhns aufspielte, war wohl ein Freundschaftsdienst, denn das Wachregiment war bis vor einem Jahr von MfS-Generalmajor Heinz Gronau* kommandiert worden, der - Leipziger wie Kuhn - im KZ Buchenwald zu dessen sächsischer KP-Gruppe gehört und mit ihm in der letzten Zeit bei der Beschaffung von Waffen zusammengearbeitet hatte. Harry Kuhn, damals Generalsekretär der W N , war 1951 wegen „mangelnder Wachsamkeit" aller Ämter enthoben worden.
486 VI.8
VI Unzeitige
Rehabilitierungen
MfS Abt. XXII: Aktenvermerk „Reschke*, Erich, 14.03.02", 2 1 . 7 . 1 9 7 8 3 4
Die o.g. Person ist seit dem 30.9.77 für die Abteilung XXII im Vorgang Reg.-Nr.: XV/4632/77 erfaßt 35 . Die im Beschluß der in der AOP 110/61, Blatt 4 der Akte getroffene Feststellung, daß es sich bei der Person Erich Reschke um einen aus der Sowjetunion zurückgekehrten Kriegsverbrecher handelt, ist nicht zutreffend 36 . Reschke wurde durch die Sicherheitsorgane der Freunde im Jahre 1950 verhaftet und bis zum Jahre 1955 inhaftiert. Auf Grund einer Mitteilung der Zentralen Kaderkommission beim ZK der SED, daß der R. vollständig rehabilitiert wurde, erfolgte 1956 seine Einstellung als Major der VP in der Verwaltung Strafvollzug in Berlin. Wegen seines Alters wurde er mit Wirkung vom 1.4.62 aus der VP entlassen und auf Rente gesetzt. Er hatte zuletzt den Dienstgrad Oberstleutnant der VP. Für seine hervorragenden Verdienste im Kampf gegen Faschismus und beim Aufbau unseres sozialistischen] Staates wurde er mit der Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold und anderen hohen staatlichen Auszeichnungen geehrt. Dieser Aktenvermerk wurde auf Grund einer telefonischen Rücksprache mit der BV Potsdam, Abteilung XII, Gen. Rang 37 , am heutigen Tage angefertigt und wird der AOP 110/61 beigefugt. Die anderen im Index genannten Personen sind unserer Diensteinheit nicht bekannt und auch nicht von operativem Interesse. 34 35
36
37
BStU Potsdam AOP 110/61 Bl. 16. Es handelt sich um die Akte einer allgemeinen operativen Personenkontrolle Erich Reschkes, dessen Beobachtung kurze Zeit später eingestellt wurde, weil er sich „positiv entwickelt habe". Im Zuge der Anwerbung des damals 75jährigen Erich Reschke im Jahre 1977 als konspirativen Informellen Mitarbeiter des MfS Abt. XXII (Terrorabwehr) und zwar zum Zwecke der Benutzung seiner ZweieinhalbZimmerwohnung in einem kleinen Haus bei Berlin als Konspirative Wohnung zur Abhaltung von Treffs (kurz IMK / KW), wonach „zur Erhöhung der Konspiration mit IM" im Umfeld Berlins dringender Bedarf bestehe. Nach sorgfaltiger Personenabklärung war Reschke am 27.9.1977 angesprochen worden und hatte ohne weiteres - unter Erwähnung seiner alten Bekanntschaft mit Stasi-Chef Erich Mielke, der 1946-48 sein Stellvertreter gewesen war - zugesagt und den Decknamen „Stern" bekommen; angesichts seiner Verdienste, seiner Orden und seines Alters wurde von einer schriftlichen Verpflichtung abgesehen. Er wurde jedoch auf einen regulären IM-Verkehr mit seinem Führungsoffizier Hauptmann Mraß festgelegt, nachdem er erwähnt hatte, daß er MfSOberst Kurt Köhler (geb. 1911, KPD/SED, 1938-45 im KZ Buchenwald und dort im Häftlingskrankenbau als Pfleger tätig, später Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora) persönlich kenne und sich auch direkt an ihn wenden könne. Daß seine Frau 1952 wegen der seinerzeitigen Verhaftung ihres Mannes aus der SED ausgetreten sei (allerdings trat sie der DSF bei), wurde angesichts Reschkes Versicherung ihrer Treue zu ihm und zur Sache nicht als Hinderungsgrund betrachtet. Reschke wurde auch um Informationen aus seinem Wohnviertel gebeten, wo er noch immer Stellv. Parteisekretär war. In den folgenden Treffs hat er aber nur die Klagen seiner Nachbarn über den teuren importierten westdeutschen Kaffee weitergegeben und „überwiegend seine eigene Meinung zu dieser Problematik in den Mittelpunkt zu stellen versucht"; seine Wohnung wurde nicht als „KW" der Terrorabwehr genutzt. Noch im selben Jahr wurde die Zusammenarbeit „aufgrund seines hohen Alters und Gesundheitszustandes" auf Eis gelegt, ebenda, Bl. 85. Offenbar hatte Reschke dies geäußert. Die Stasi-interne Überprüfung wurde anhand der IM-Akte Reschkes und seiner Sicherheitsüberprüfungen bei der Volkspolizei vorgenommen. Das Dementi beruht auf dem Umstand, daß der Akte die Abschrift eines Vermerks der Abteilung Strafvollzug des Mdl v. 29,11.1956 beilag, wonach sie von einem Mitarbeiter des ZK der SED angewiesen wurde, Reschke im Range eines Oberrats wieder einzustellen und ihm - da er „vollständig rehabilitiert" sei - das Ehrenzeichen der DVP wieder auszuhändigen. Nicht identifiziert.
VI. 9 Erneute Rehabilitierung
VI.9
E. Busses durch die PDS, 2. April 1990
487
„Entscheidung der Zentralen Schiedskommission der PDS: Weitere Opfer des Stalinismus rehabilitiert", 31.3.19903»
Am 31. März 1990 tagte die zentrale Schiedskommission der PDS. Gegenstand der Beratung waren die Anfang der 50er Jahre angestrengten Parteiausschlußverfahren gegen ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei (Opposition) und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Die Schiedskommission stellte in diesem Zusammenhang zu diesen, vielen Mitgliedern der Partei bislang unbekannten Verfahren fest: Diese Parteiausschlüsse dienten ausschließlich der Disziplinierung der SED-Mitglieder im Sinne der stalinistischen Durchdringung. Sie waren ungerechtfertigt. Alle wegen ihrer Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei Deutschlands (Opposition) bzw. zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) ausgeschlossenen Genossinnen und Genossen werden daher rehabilitiert. Die Schiedskommission befaßte sich ferner mit den stalinistischen Repressalien, denen die Genossen Ernst Busse*- ehemaliger Lagerältester und Mitglied des Internationalen Lagerkomitees im nazistischen Konzentrationslager Buchenwald - und Kurt Müller 39 - früher stellvertretender Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands in der B R D unterworfen waren. Ernst Busse, der nach 1945 die Funktion des Innenministers von Thüringen bekleidete, wurde im Gefolge unwahrer Verdächtigungen festgenommen. Er verstarb in sowjetischer Haft. Kurt Müller wurde 1950 in der DDR vom Ministerium fur Staatssicherheit wegen völlig haltloser Beschuldigungen verhaftet. Er befand sich hier drei Jahre ohne Gerichtsurteil in Haft, wurde anschließend sowjetischen Organen überantwortet und von diesen im November 1953 zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt. 1955 wurde Kurt Müller aus der UdSSR in die BRD entlassen, wo er seitdem lebt. Die Schiedskommission stellte fest: Die Verfolgung beider Genossen war Ausdruck stalinistischer Willkür. Ernst Busse und Kurt Müller werden rehabilitiert. Die Schiedskommission tritt in diesem Zusammenhang dafür ein, die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung lückenlos aufzuarbeiten.
38 39
Auszug aus Neues Deutschland v. 2.4.1990. Zu Kurt Müller vgl. Dok. II. 1.2.
488
VI Unzeitige
Rehabilitierungen
VI. 10 Auszüge aus dem Register des Informationszentrums des Innenministeriums der Russischen Föderation. Betr. Ernst Busse* und Erich Reschke* (1994) 40
Name: geb.: Vor der Inhaftierung wohnhaft: Beruf: Arbeitsstelle: Part(eizugehörigkeit): Nationalität: Staatsangeh.: verhaftet: Organ, das die Inhaftierung vorgenommen hat: Charakter des Verbrechens: Verhaftet aufgrund: Organ, das die Untersuchung fuhrt: Verurteilt vom:
Lager:
gest.: Untersuchungsakte:
40 41 42
Busse, Ernst 1897, in St. [Stadt] Solingen, Preußen in Berlin-Pankow Schleifer Vereinigung der landwirtschaftlichen Genossenschaften SE(P)D Deutscher Deutschland 18.4.1950 Atgarot 41 , Bevollmächtigter MGB 42 in Deutschland Kriegsverbrecher Gesetz Nr. 10 des Kontrollrats in Deutschland vom 20.12.1945 Abteilung RS des MGB in Deutschland Militärtribunal der Garnison des sowjetischen Sektors der Stadt Berlin vom 27. Februar 1951 aufgrund des Gesetzes Nr. 10 des Kontrollrats in Deutschland vom 20.12.1945 zur lebenslänglichen Inhaftierung unter Verbüßung der Strafe im Straflager und Konfiszierung des Vermögens Ab 11.6.1951 im Sonderlager Nr. 6 „Retchnoj" [Flußlager] (Workuta, Autonome Komi Republik) 29.8.1952 im Sonderlager Nr. 6 Nr. 588, Archivnummer K-100604 wurde aufbewahrt in der KGBVerwaltung im Bezirk Wladimir (Zentralverwaltung)
Die Auszüge aus dem Register sind im Sommer 1994 angefertigt worden. Nicht identifiziert. Innenministerium der Sowjetunion.
VI. 10 Busse und Reschke in Moskau nicht rehabilitiert (1994)
Name:
Reschke, Erich
[,..]43
Verurteilt:
Lager: Entlassung: Untersuchungsakte:
43 44
vom Militärtribunal der Garnison des sowjetischen Sektors der Stadt Berlin am 27. Februar 1951 aufgrund des Gesetzes Nr. 10 des Kontrollrats vom 20.12.1945 zu lebenslänglicher Inhaftierung im Straflager und Konfiszierung des Vermögens Am 11.6. 1951 in den Haftstellen der Autonomen Komi-Republik am 10.10.1955 repatriiert und der Regierung der DDR übergeben. 44 Nr.: 588. Archivnummer: K-100604, wurde aufbewahrt in der KGB-Verwaltung im Bezirk Wladimir (Zentralverwaltung)
Personenangaben und Untersuchung analog Busse. Bei Rehabilitierung würde dies nach Auskunft von Sachkennern hier vermerkt sein.
ANLAGEN
I
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwalder KZ-Häftlinge (soweit ermittelbar)1
Rudi Arndt (1909-1940) geboren in Berlin als
wald, arbeitete dort im Schlossereikommando der
Sohn eines Lehrers, 1915-1924 Realschule in
DAW als Klempner, Mitglied der illegalen militä-
Berlin, 1924-1926 Landarbeiter bei Lüneburg,
rischen Sektion. Nach 1945 Tätigkeit in der Ka-
1927-1931 Lehre als Schriftsetzer in Berlin, 1924-
derabteilung der BL der KPD/SED in Sachsen,
1927 Mitglied der links orientierten jüdischen Ju-
1947 stellvertretender Leiter der Personalabtei-
gendgruppe "scharzer Haufen", KJVD, Leiter ei-
lung der Bezirksverwaltung der DVP, 1949 Ver-
ner jüdischen Jugendgruppe innerhalb des KJVD,
setzung in das MfS, seit 1952 dort mit operativen
1927 Rote Jugendfront und Mitglied des Verban-
Aufgaben betraut, 1960 Offizier im besonderen
des der Buchdrucker, in dem er in den Jahren
Einsatz (OiBE) bei der HVDVP, 1962 Referats-
1930/31 Leiter der Lehrlingsabteilung wurde, ab
leiter Abtl. Paßwesen/Fahndung.
1929 KPD, im M-Apparat in Berlin-Brandenburg, 1931 aus dem Verband der Buchdrucker ausge-
Walter Bartel (1904-1992) geboren in Fürsten-
schlossen wegen antimilitaristischer Propaganda,
berg/Havel als Sohn einer Arbeiterfamilie. Kauf-
verhaftet aus demselben Grund, 1932 ZK des
männische Lehre in Berlin, 1920 KJVD, 1923
KJVD. 1933 verhaftet, drei Jahre Haft im Zucht-
KPD, 1927 vom ZK des KJVD als Leiter der De-
haus Brandenburg-Görden,
legation zum Internationalen
danach
politischer
Jugendtag
nach
Häftling im KZ Dachau, Sachsenhausen und
Moskau entsandt, 1929/30 Studium an der Inter-
1938-1940 im KZ Buchenwald, dort Kranken-
nat. Lenin-Schule/Moskau, anschließend Beginn
pfleger, Blockältester in Block 22, wurde von der
einer Aspirantur an der Akademie der Wissen-
SS am 3. Mai 1940 unter dem Vorwand eines
schaften der UdSSR, 1932 auf Beschluß der
"Fluchtversuchs" erschossen.
KPD-Führung Rückkehr nach Deutschland. Juni
Erich Bär (1916) geboren in Dresden, 1928 Ar-
verrat, 27 Monate Zuchthaus in Brandenburg-
beitersportverein, 1930-1934 Lehre als Klempner
Görden, 1935 Emigration in die Tschechoslowa-
und Installateur, 1931 KJVD, 1932 Rote Hilfe,
kei, dort 1935 Ausschluß aus der KPD "wegen
KPD. 1935 Verhaftung und Verurteilung zu 3
Feigheit"
Jahren Zuchthaus, Verbüßung der Zuchthausstra-
Gestapo), März 1939 Verhaftung und Internie-
1933 Verhaftung wegen Vorbereitung zum Hoch-
(Verpflichtungserklärung
fur
die
fe in Zwickau, Berlin-Plötzensee und Bremen,
rung im KZ Buchenwald, Mitglied des Dreierkop-
1938-1945 politischer Häftling im KZ Buchen-
fes der illegalen Parteileitung, ab 1943 Vorsitzen-
1
Häftlinge, zu denen nur Fragmente biographischer Daten bekannt sind, werden in den Fußnoten der Dokumententeile erläutert. Namenfehlschreibungen sind korrigiert..
494
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
der des illegalen Internationalen Lagerkomitees.
Häftling im KZ Buchenwald. Nach 1945 Präsident
1945 Überprüfüngsverfahren zur Wiederaufnahme
der Handwerkskammer
B.s in die KPD, 1950 erneute Überprüfung der
nach Westdeutschland und Leiter einer Spediti-
Gründe seines Parteiausschlusses in Prag. 1945
onsfirma.
Thüringens,
Rückkehr
Tätigkeit als Dezernent beim Berliner Magistrat für Volksbildung (Volkshochschulen), 1946-1953
Heinz Bausch (1899-1974) Bergarbeiter aus dem
Persönlicher
Ruhrgebiet,
Referent
Funktionsenthebung
Wilhelm und
Piecks,
1953
KPD,
Rote
Hilfe,
Komintern,
Parteiüberprüfling
1931/32 Absolvent der Leninschule in Moskau, in
(Dahlem/Field, Verhalten der Funktionshäftlinge
der Weimarer Republik zu 6 Jahren Zuchthaus
im KZ Buchenwald), danach Professur für Neue
verurteilt. 1933 verhaftet, 3 Jahre Zuchthaus,
und Neueste Geschichte an der KMU, Leipzig,
1935-1938 Zuchthaus Waldheim, 1938-1945 KZ
wofür er 1957 promovierte, im selben Jahr Direk-
Buchenwald, dort 1944 Kapo der Effektenkam-
tor des Instituts für Zeitgeschichte/Berlin, 1962
mer. Nach 1945 Sekretär der SED-Stadtleitung in
Professor für Neuere und Neueste Geschichte an
Dresden, Stadtrat in Leipzig, 1945 erster Polizei-
der Humboldt Universität, Berlin, 1968 ebd. Or-
direktor in Sachsen, Aufbau der VP, zuletzt im
dinarius und Prorektor. Vorsitzender des General-
Range eines Oberst.
sekretariats Buchenwald-Komitee in der VVN, Präsidiumsmitglied der Antifaschistischen Wider-
Johannes Bechert [Hans Bechert] (1899-1943)
standskämpfer der DDR. 1970 Vizepräsident des
1937-1943 KZ Buchenwald, Lagerältester, offen-
Internationalen Komitees Buchenwald-Dora, 1981
bar
Vizepräsident des Internationalen Buchenwald-
"abgehängt" und im Krankenbau getötet.
von
kommunistischen
Mithäftlingen
Komitees. Ludwig Bechinie (1879-1941) Österreicher, vor Harry-Karl Barthel (1907-1974) Sohn eines Fa-
seiner Internierung Sicherheitsinspektor des Lan-
brikarbeiters, Lehre als Metallarbeiter, seit 1924
des Salzburg, 1938-1941 KZ Buchenwald, 1941
KJVD und KPD, 1927 Bez Leiter KJVD in Ost-
in Sonnenstein ermordet.
sachsen und Thüringen, 1929 MdL Thüringen, KPD-Org.-Leiter in Hessen-Kassel, 1932 jüngstes
Werner A. Beckert (1900) 1936 in Nürnberg
MdR. Seit 1933 in Haft, Zuchthaus Wohlau
verhaftet, 1937/38 KZ Dachau, 1938-1945 KZ
(Schlesien), KZ Lichtenburg, seit 1937 KZ Bu-
Buchenwald,
chenwald, Blockältester, 1939 Lagerältester. 1945
Selbstverlag in Weimar, später Flucht in den We-
Bürgermeister in Jena, 1947 im Bereich Wasser-
sten.
nach
1945
Buchhandlung
und
versorgung tätig, 1952-1971 Direktor des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung in
Willi Bleicher (1907-1981) in Stuttgart als Sohn
Jena, seit 1953 Vorsitzender VdN Bezirkskomitee
einer Arbeiterfamilie geboren, Schlosser, DMV-
Gera.
Funktionär, KPD, seit 1934 in Haft, 1938-1945 KZ Buchenwald, dort Kapo der Effektenkammer,
Heinz Baumeister (1902-1969) SPD, 1924-1933
1944 nach der illegalen Trauerfeier für Ernst
Westliches
Thälmann von der Gestapo verhaftet und in das
Westfalen. 1937 verhaftet, 1937-1945 politischer
Gestapo-Gefängnis Weimar gebracht. Nach 1945
Sekretär beim Reichsbanner,
Gau
495 1946 hauptamtliche
Hermann Brill (1895-1959) als Sohn eines sozi-
Gewerkschaftsarbeit, IG-Metall, 1950 Austritt aus
aldemokratischen Schneidermeisters in Ohrdruf
der KPD, 1953 SPD. Vorsitzender der IG-Metall
geboren, Besuch
in Baden-Württemberg.
Lehrerseminars, 1914 Meldung als Kriegsfreiwil-
Rückkehr nach Stuttgart,
des Gothaer
Herzog-Ernst-
liger, 1918 USPD-Eintritt, schrieb als jugendlicher Ernst
Brandt
(1896-1956)
Schlosser,
1920
Autodidakt
den
Verfassungsentwurf
für
die
in
Gothaer Räterepublik, 1920 Mitglied der SPD,
Magdeburg, 1932 MdR. Nach 1933 illegale Tä-
Ministerialbeamter in Weimar, seit 1921 Referent
tigkeit und Haft bis 1942 u.a. in Buchenwald, dort
im thüring. Volksbildungsministerium, MdL Thü-
1942 kurzzeitig Mitglied der illegalen KPD-
ringen. 1933/34 Mitinitiator von "Neu Beginnen"
Parteileitung.
und 1935/36 der Gruppe „Deutsche Volksfront",
USPD/KPD,
1929-1933
Stadtverordneter
1946-1949 Vors.
Bezirksleitung
SED Magdeburg, 1947-1948 Sekretariat Landes-
1939 Verurteilung zu 12 Jahren Zuchthaus durch
vorstand Sachsen-Anhalt, 1946-1950 hier auch
den
MdL, 1948-1950 Minister fur Land- und Forst-
Görden, ab 1943 im KZ Buchenwald, dort gehör-
Volksgerichtshof,
Haft
in
Brandenburg-
wirtschaft. Ablösung auf Beschluß des ZK ohne
te er zu den Mitbegründern des deutschen Volks-
Parteiverfahren. Zuletzt Werkleiter in Halle. 1951
frontkomitees 1944. B. formulierte die einzige er-
vom MfS für ein halbes Jahr inhaftiert wegen zu
halten gebliebene Widerstandsschrift aus dem KZ
starker Sozialisierung als Minister; währenddessen
Buchenwald, das Buchenwalder Manifest: "Für
floh seine Tochter in den Westen. Später wurden
Frieden, Freiheit und Sozialismus" als Grundlage
beide
fur eine künftige Nachkriegspolitik. Die Ameri-
Gründe
und
auch
seine
angeblich
"schwankende Haltung" vor der Gestapo 1944
kanische Besatzungsmacht ernannte B. nach der
gegen seine Wiedereinsetzung als führender SED-
Befreiung zum
Funktionär in Halle ins Feld gefuhrt.
thüringischen
Regierungschef.
Nach dem Besatzungswechsel flüchtete B. über Berlin nach Wiesbaden. Dort wurde er Staatsse-
Heinz Brandt (1909) geboren in Posen, studierte
kretär in der Staatskanzlei von Hessen, 1948
Wirtschaftswissenschaften in Berlin. Als Mitglied
Mitgl. des Herrenchiemseer Verfassungskonven-
der "Versöhnler"-Fraktion der KPD organisierte
tes.
er 1933/34 illegale antinationalsozialistische Betriebsarbeit, Dezember 1934 Verhaftung, sechs
August Brück (1897-1943) 1937-1943 als BVer
Jahre Haft in den Zuchthäusern Luckau und
im KZ Buchenwald, dort 1940-1943 Kapo im
Brandenburg-Görden, anschließend als politisch
Krematorium, im März 1943 nach Auschwitz de-
und rassisch Verfolgter KZ Sachsenhausen und
portiert, Oberkapo in Auschwitz-Birkenau, am
Auschwitz, Januar bis April 1945 KZ Buchen-
27.12.1943 im Lager gestorben.
wald. Seit 1945/46 Mitarbeiter der Berliner Bezirksleitung der KPD/SED, 1958 Flucht in den
Johannes Brumme [Hans Brumme] (1909-1967)
Westen, 1959-1974 Redakteur bei der Zeitung
KPD, 1938-1945 KZ Buchenwald, dort bis 1942
"Metall" der IG Metall in Frankfurt/Main, unter-
Verwalter des Malermagazins in der Gerätekam-
brochen durch eine dreijährige Haft in Baut-
mer, 1942-1945 Schreiber im HKB. Nach 1945
zen/DDR nach einer Entfuhrung 1961 in die
Mitarbeiter der W N Jena, Schulrat in Weimar,
DDR
Mitglied der Thüringischen Parteileitung der KPD
496
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäfilinge
und Mitglied des Thüringen-Beirats, 1946-1950
glied des Präsidiums der W N / B u n d der Antifa-
Lehrbeauftragter fur Pädagogik an den Universitä-
schisten, Vizepräsident des Internationalen Bu-
ten Jena und Halle, 1960-1966 Professor an der
chenwald-Komitees.
DHfK, Leipzig. Domenico Ciufoli (1898) italienischer kommuErnst Busse (1897-1952) geboren als Sohn einer
nistischer Politiker, 1939-1943 in
Solinger Schleiferfamilie, erlernte das Schleifer-
Zuchthäusern inhaftiert, 1943-1945 Compiegne
handwerk, im Ersten Weltkrieg kurzer Wehr-
und KZ Buchenwald, italienisches Mitglied im
dienst, SAJ, DMV, seit 1920 KPD, seit 1925
Internationalen Lagerkomitee.
französischen
1948-1953
Mit-
hauptamtlicher Gewerkschafts- und Parteifunktio-
glied des italienischen Parlaments, Mitglied des
när, 1932 Mitglied des Reichstags. 1933-1945 in
ZK der KPI.
Haft, 1934 Zuchthaus in Kassel, 1936 KZ Lichtenburg, seit 1937 KZ Buchenwald, dort frühzei-
Kurt Cohn (1889) geboren in Glogau/Polen,
tig Lagerältester, seit 1942 Kapo im Krankenbau
Studium der Rechtswissenschaft, Mitbegründer
und einer der drei KPD-Parteileiter im Lager,
des
Mitglied des Internationalen Lagerkomitees. 1945
DDP, Mitglied des Republikanischen Richterbun-
KPD-Bezirksleitung
des. 1933 von seinem Richteramt entfernt, Lan-
in Thüringen,
Leiter
des
Demokratischen
Studentenbundes,
1918
Landesarbeitsamts, Innenminister und Stellv. Mi-
desvorsitzender
nisterpräsident. 1947 wurde B. abberufen und
Staatsbürger jüdischen Glaubens", 1938 KZ Bu-
Stellv. Präsident der Deutschen Verwaltung fur
chenwald, 1939 Emigration nach England. 1947
Land- und Forstwirtschaft in der SBZ, 1949 Vors.
Rückkehr nach Chemnitz, Tätigkeit als Richter,
der
Landwirtschaftsgenossenschaften
des
"Centraivereins
deutscher
der
Vorsitzender einer Strafkammer, die mit Kriegs-
SBZ/DDR. 1950 von der SMAD verhaftet und als
verbrechen und Verbrechen gegen die Mensch-
Kriegsverbrecher zu lebenslänglicher Haft verur-
lichkeit befaßt war, 1948 und 1949 Strafrechtsde-
teilt und nach Workuta deportiert, 1952 im GU-
zernent im MdJ in Sachsen, Mitarbeiter der DWK,
Lag ums Leben gekommen.
seit 1949 LDPD, seit 1964 im Zentralvorstand der LDPD, 1949-1971 Oberrichter am Obersten Ge-
Emil Carlebach (1914) geboren in Frankfürt am
richt der DDR, seit 1972 ehrenamtlicher Rechts-
Main, Besuch der Klinger Oberrealschule, Abitur,
berater der Jüdischen Gemeinde in Ostberlin,
kaufmännische Lehre, 1931 Sozialistischer Schü-
Mitglied des Komitees der Antifa. Widerstands-
lerbund, KJVD, 1932 ZdA, KPD. 1933 verhaftet
kämpfer der DDR.
bei der Verteilung von illegalen Flugblättern, kurzzeitige Haft, 1934 erneute Verhaftung, Ver-
Victor de Latry (1913) schweizer Journalist, ab
urteilung zu drei Jahren Zuchthaus, 1937/38 KZ
Januar
1945 KZ
Buchenwald,
Schreiber
im
Dachau, 1938-1945 KZ Buchenwald, Blockälte-
"Kleinen Lager", nach 1945 für das Rote Kreuz
ster des Blocks 22 mit jüdischen Häftlingen. 1945
tätig, von russischen Organen auf Betreiben Erich
Mitbegründer, Lizenzträger und Redakteur der
Reschkes verhaftet und erneut im Sonderlager
"Frankfurter Rundschau", durch US-Militärbefehl
Buchenwald interniert. Offenbar gehörte de Latry
aus der FR entfernt, fur die KPD Stadtverordneter
zu den Hauptbelastungszeugen gegen Reschke in
und MdL in Hessen, Funktionär der DJU, Mit-
dessen Prozeß vor einem sowjetischen Militärtri-
497 bunal, das diesen zu lebenslänglicher Haft verur-
1945 KZ Sachsenburg, Buchenwald, dort im ille-
teilte.
galen Abwehrapparat der KPD, 1945-1947 Kripo Dresden, 1948 Betreibsleiter des Demontagebe-
Arthur Dietzsch (1901-1974) nach eigenem Be-
triebes "Lyma" Lack- und Farbenfabrik Dresden-
kunden Anarchist, als er 1923 der sächsischen
Neustadt, später Betreibsleiter einer Lackfabrik in
Linksregierung geheime Informationen über die
Coswig.
bevorstehende Intervention der Reichswehr, ihre Verstärkung durch die sog. Schwarze Reichswehr
Heinz Dose (1901) geboren in Berlin, 1920 KPD,
und über Waffenlager des Stahlhelms gab und
seit 1933 verhaftet, Zuchthaus Waldheim, Fran-
dafiir 1924 wegen Hoch- und Landesverrats zu 14
kenberg, KZ Sachsenhausen, seit 1937 KZ Bu-
Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Im Dritten
chenwald, dort Transpsort-Kommando, Kapo im
Reich nach Strafverbüßung nicht entlassen, son-
Lebensmittelmagazin, 1945 für einen Monat Bür-
dern durch verschiedene Moor- und Konzentrati-
germeister von Bad Lausnick, danach Kreisleiter
onslager geschickt, seit 1937 im KZ Buchenwald,
der KPD bzw. 1. Sekretär der SED, 1948 stellver-
dort von Januar 1942 bis April 1945 Oberpfleger
tretender Leiter des Deutschen Sportausschusses
bzw. Kapo in der Fleckfieberversuchsstation im
und Präsident des Ruder-Sport-Verbandes.
Block 46. 1947 im Dachauer Buchenwald-Prozeß zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, weil er
Victor Drewnitzki (1886-1963) geboren in Op-
Grausamkeiten gegen Mithäftlinge begangen und
peln, Schiffsingenieur, 1902 SAJ, 1904 SPD,
Häftlinge getötet haben soll; nach einer großen
1912 Reichsparteischule
Zahl von Gnadengesuchen und Zeugenaussagen
fürt/Main,
über
Häftlinge
dungsmitglied der KPD, 1921-1924 erster Sekre-
seine
Rettungsaktionen
für
1917
der
SPD
Spartakusbund,
in Frank-
1918
Grün-
(darunter Walter Bartel, Heinz Baumeister, Eugen
tär der KPD des Bezirks Spandau-Osthavelland,
Kogon und Robert Siewert, die bestätigten, daß
Bezirksleiter in Spandau und Delegierter früher
er gegen seinen Wunsch auf Drängen der Führer
Komintern-Kongresse, Mitarbeiter des ZK der
des Widerstandes auf seinem Posten geblieben sei)
KPD, 1924-26 Mitglied in der Profintern in Mos-
wurde ihm die Reststrafe erlassen und er im De-
kau, danach wieder Mitarbeiter des ZK der KPD
zember 1950 aus Landshut entlassen. Er lebte
und KPD-Sekretär in Danzig, 1931-1933 Abnah-
dann in der Bundesrepublik; erneute Ermittlungen
meingenieur der sowjetischen Handelsvertretung
der Kölner Staatsanwaltschaft gegen ihn in dieser
in Berlin. 1933 mehrfach verhaftet, seit 1934 KZ
Sache im Jahre 1961 führten zu keiner Anklage.
Oranienburg, KZ Lichtenburg, Buchenwald,
dort
Mitglied
1937-1945 KZ des
Parteiaktivs.
in
1945-1946 erster Sekretär der KPD in Berlin-
Cottbus, Lehre als Metalldrücker in Weimar, Va-
Spandau (brit. Sektor) und 1946-1947 Angestell-
ter SPD, Mutter USPD, 1919 Mitglied der Deut-
ter der dortigen Bezirksverwaltung, 1947-1952
schen Legion, Beteiligung an Kriegshandlungen in
Leiter der Schiffswerft Edgar Andre in Magde-
baltischen Ländern, Arbeiterjugend, 1919 USPD,
burg.
Franz Dobermann
(1901-1966)
geboren
1920 VKPD, 1922/23 und 1931/33 arbeitslos, ab 1927 in Dresden, RFB/KPD - illegale "Rote
Franz
Wehr", 1933-1936 Zuchthaus Waldheim, 1936-
Frisör in Düsseldorf, KPD, 1938-45 KZ Buchen-
Eichhorn
(1906-1993),
selbständiger
498
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
wald, dort 1938 im Arbeitskommando Steinbruch,
Jean Baptiste Feilen [Mathes Feilen] (1904-
BlockfHseur und Kapo der Friseure im Lager, ab
1991) geboren in Lothringen als Sohn eines
1939 Kapo der SS-Friseurstube, war unterge-
Bergmanns und einer Wäscherin, 3 Geschwister,
im
aufgewachsen in großer Not, 1911 Umzug der
"Prominentenblock 38", anschließend im Kom-
Familie ins Ruhrgebiet, Besuch der Volksschule,
bracht
in
den
Blocks
6,
22
und
mandiertenblock (Block der Funktionshäftlinge im
1918 angelernter Granatendreher bei Thyssen, da-
SS-Bereich).
nach Arbeit als Bergarbeiter, 1920 KPD, 1929 Umzug
Hans Eiden (1901-1950) KPD, stammte aus
in das
Aachener
Steihnkohlenrevier,
Streikfuhrer, 1931 Besuch der Reichsparteischule
Trier. Seit 1934 in Haft, 1939-1945 politischer
der KPD, danach "Berufsrevolutionär", d.h. Mit-
Häftling im KZ Buchenwald, dort seit 1940 in der
arbeiter der "Sozialistischen Republik"/Köln, 1932
Häftlingsbekleidungskammer, 1943 zweiter Lage-
Delegierung zum Studium nach Moskau, 1932-
rältester, 1944 erster Lagerältester, nach der Be-
1933 illegale Arbeit als Leiter der militärpoliti-
freiung zum Lagerkommandanten von Buchen-
schen Abteilung der BL Köln. 1933 verhaftet, bis
wald gewählt. Nach 1945 leitender Funktionär der
1937 KZ Esterwegen und KZ Lichtenburg, 1937-
KPD und der W N in Trier.
1945 KZ Buchenwald, als Häftling im Kommando Barackenbau, 1938 Häftlingsbekleidungskammer,
Erik Eissler (1906-1942) geboren in Wien als
dort Kapo der Wäscherei, 1942 strafversetzt in
Sohn einer jüdischen Familie. 1938-1942 Häftling
ein Sonderkommando,
im KZ Buchenwald, dort Blockältester im Block
Position. Nach der Befreiung Begleitung eines
29, 1942 in Auschwitz ermordet.
Rückfuhrungstransports
danach frühere Kaporheinischer
Häftlinge
nach Köln, Rückkehr nach Thüringen. 1945-1949 Richard Eyermann (1898-1971) geboren in Sal-
Beamter der Regierung Thüringen als Treuhänder
zungen, Metallarbeiter, USP, 1920 KPD, 1925
für das beschlagnahmte Vermögen, Geschäftsfüh-
MdL in Thüringen als Nachrücker, 1927 gewähl-
rer der Thüringischen
ter Abgeordneter, Abweichungen von der Partei-
mbH, leitender Funktionär im Landesamt für
linie des ZK der KPD, 1929 erneut MdL in Thü-
Wirtschaft, 1949 kurzzeitig Dezernatsleiter der
ringen, 1931 OB-Kandidat in Ohrdruf. 1933 Ille-
Landespolizeibehörde in Thüringen/Abteilung Κ 5
galität, Haft, 1942-1945 KZ Buchenwald. 1946
[d.i. eine Vorläuferin der Staatssicherheit], 1949-
MdL Thüringen, Vorsitzender der SED-Fraktion,
1954 Leiter der HV Außenhandel/Innerdeutscher
Vorsitz der LPKK in Thüringen, seit 1952 Kandi-
Handel und Materialversorgung in Thüringen,
Verwaltungsgesellschaft
dat der ZPKK, Mitglied der BL in Magdeburg
1950/51 Besuch der PHS "Karl Marx", 1954-
und Vorsitz der BPKK.
1957 Hauptverwaltungsleiter für die Lebensmittelindustrie, 1958-1965 Handelsrat in Jugoslawien,
Ernst Federn (1914) stammt aus einer jüdischen Wiener Familie. 1938-1945 politischer Häftling im
danach Tätigkeit als Messedirektor für DDRAusstellungen in Zagreb und Poznan.
KZ Buchenwald, dort tätig im Baukommando III, Trotzkist. Nach 1945 Emigration in die USA,
Karl Feuerer (1907-1968) KPD, seit 1933 in
später Rückkehr nach Österreich und dort als
Haft, 1939-1945 KZ Buchenwald, koordinierte
Psychologe im Strafvollzug tätig.
die Gruppe der südbayerischen KPD im Lager, im
499 Stubendienst des Blocks 30 tätig, später in der
gegen den Kapp-Putsch in Altenburg, Beitritt zur
Häftlingsbücherei und in der Schreibstube, 1941
KPD, 1926 Untergauleiter des RFB in Berlin,
von der SS für einige Wochen strafVersetzt in den
1929/30 Reichsparteischule der KPD in Berlin
Steinbruch, danach Tätigkeit in der Häftlingskan-
und Leninschule in Moskau, Sekretär für Land-
tine.
wirtschaft in der BL Thüringen. 1933 verhaftet und verurteilt wegen Hochverrats, 1937-1940 KZ
Albert Forcinal (1887) geboren in Gisors (Eure)
Buchenwald, zunächst im Steinbruch, dann im
in Frankreich, 1928-1936 Mitglied der Chambre
Rohrlegerkommando, Ende 1938 Haupteinkäufer,
de Deputes, 1944/45 KZ Buchenwald, Mitglied
1939-1940 zweiter und kurz erster Lagerältester,
des Komitees der französischen Gruppe im Lager
1941-1944 Maschinenmeister in Dresdener Fabrik
(s. Marcel Paul). Nach 1945 Rückkehr nach
für Briefumschläge, 1944 zur Organisation Todt
Frankreich, seit 1946 Abgeordneter der National-
verpflichtet, dort desertiert und nach Osnabrück
versammlung.
geflüchtet. Nach 1945 Rückkehr nach Altenburg, 1945/46 Leiter des Zentralbüros für Arbeit und
Josef Frank (1909-1952) Opfer des Slansky-
Sozialwesen in Thüringen, 1946-1949 Landesdi-
Prozesses in der Tschechoslowakei. Seit 1930
rektor, später Hauptabteilungsleiter für Industrie
Mitglied der KP, 1939 von der Gestapo verhaftet,
und Brennstoff und später für Wirtschaftsplanung
KZ Buchenwald, dort Mitarbeiter der Arbeitssta-
in Thüringen, 1949/50 Landesleitung MAS Thü-
tistik. Nach 1945 Mitglied des ZK und PB der
ringen und Potsdam, 1952-1963 Mitarbeiter im
tschechischen KP, 1948 ihr stellvertretender Ge-
Ministerium für Landwirtschaft, zuletzt in der
neralsekretär, 1951 verhaftet, unter der Anklage
Abteilung LPG "ohne bestimmte Funktion".
der Kollaboration mit der SS im KZ Buchenwald ("Opportunismus", "Verrat", "Kriegsverbrechen")
Ernst Karl Gärtig (1902-1981) geboren als
am 27.11.1952 zum Tode verurteilt und am
drittes Kind eines Schmiedes und einer Landarbei-
3.12.1952 hingerichtet, 1963 posthum rehabili-
terin in Weidau/Kreis Zeitz, Vater SPD, 1909-
tiert.
1912 Umzüge der Familie wegen Arbeitsaussperrungen des Vaters, 1908-1916 Volksschule, 1916
Konrad Friedrich (1906) KPD, seit 1933 mehr-
sozialistische Jugendweihe, 1916-1919 Bäcker-
fach verhaftet, 1939-1945 KZ Buchenwald, dort
lehrling, danach Bergarbeiter, 1919 USPD, 1920
Läufer der Kommandantur, Baukommando, Hei-
KPD,
zungsbau, Kalfaktor und Funktionshäftling. Nach
Schiffskonditor, 1922/23 Abmusterung in New
1945 Mitarbeiter in einer Enteignungskommission
York, 1922 Mitglied der KP der USA, 1924
arbeitslos,
1921/22
Schiffskoch
und
in Weimar, Mitarbeiter im Mdl und Min. für
kurzzeitig Mitglied des ZK der KP USA, Redak-
Land- und Forstwirtschaft bis 1954, 1955-1964
tion der deutschsprachigen "New York Volkszei-
Vorsitz der KPKK Erfurt-Land.
tung", 1928 Informant über Propagandaveranstaltungen zugunsten von Trotzki, Enttarnung, 1929
Ernst Frommhold (1898-1969) geboren in Al-
Rückkehr nach Deutschland, "krankheitshalber",
tenburg/Thüringen, 1912 SAJ, Metallarbeiterju-
1929-1931 Informant und Mitarbeiter im M-
gend, Lehre als Schlosser, 1915 DMV, 1916
Apparat der KPD. 1933 verhaftet in Zeitz, KZ
SPD, 1919 USPD, 1920 Teilnahme an Kämpfen
Schloß Weißenfels, KZ Lichtenburg, im Rahmen
500
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
der Hindenburg-Amnestie entlassen, 1934 zweite
Buchenwald, dort als Vorarbeiter in der DAW-
Verhaftung nach illegaler Arbeit, Zuchthaus, 1938
Tischlerei beschäftigt. Nach 1945 Mitglied der
als "politischer Rückfälliger" ins KZ Buchenwald,
Thüringischen Parteileitung der KPD, Landes-
dort tätig im Steinbruch, Straßenbau, Koch in der
kriminaldirektor Thüringens.
Häftlingskantine,
Kellner
im
SS-Führerheim,
Strafversetzung in das Kommando
Wasserlei-
Walter
Gerdes
(1940)
östereichischer
Jude,
tungsbau/Dränage nach Verrat, zeitweilig Kapo
Schwiegersohn des ehemaligen österreichischen
des Holzräumkommandos, 1940 wieder Kellner
Bundespräsidenten Wilhelm Miklas.
im
Häftling in Buchenwald, im Arbeitskommando
SS-Führerheim,
1942
Kapo
des
SS-
Führerheimes und des SS-Kantinenbetriebes. 1944
1939-1940
Steinbruch, 1940 erschossen.
Abhören der Telefonate der SS, Entschlüsselung des Telefon-codes des SD, illegaler Postdienst.
Ottomar Geschke (1882-1957) geboren in Für-
Nach der Befreiung Organisierung von Lebens-
stenwalde als Sohn eines Schmieds, Besuch der
mitteln und Medikamenten, Sicherung von Do-
Mittelschule, Schlosserlehre, Arbeit als Monteur,
kumenten;
1910 DMV und SPD, 1916/17 Soldat, wegen
"Abwehraktivitäten"
gegenüber
der
Abteilung für psychologische Kriegsführung der
Krankheit aus der Reichswehr entlassen,
3. US-Armee, kurzzeitige Verhaftungen durch
USPD, 1919 KPD, 1921-1924 MdL in Preußen,
1917
Amerikaner, Aufbau der KPD und der Polizei in
1923-1933 Sekretär des ZS der KPD, 1924-1932
Zeitz, 1945-1950 Mitglied des Sekretariats des
MdR, 1924 unter dem Decknamen Gebhardt auf
LV der KPD/SED in Sachsen-Anhalt, 1950 Di-
dem V. Weltkongreß der KI zum Mitglied des
rektor der HO Zeitz, 1952 Bürgermeister von
EKKI und seines Sekretariats gewählt, 1929/30
Zeitz, seit 1956 Invalidisierung und Veteranenak-
Mitglied und Geschäftsführer der Roten Hilfe
tivitäten, 1965/67-1969 inoffizielle Mitarbeit im
Deutschlands. 1933 verhaftet, Zuchthaus Span-
MfS.
dau, KZ Lichtenburg, Sonnenburg und 1937-1940 KZ Buchenwald, dort tätig in Schlosserei, Stu-
Anton Gebler [Toni] (1899-1970) geboren in
bendienst Block 9, Tischlerei, 1940 Entlassung,
Hösbach, später wohnhaft in Duisburg, KPD,
bis 1944 Arbeit unter Gestapoaufsicht in Kös-
1934 Verurteilung zu 2 Jahren Zuchthaus wegen
lin/Pommern,
1944/45
KZ
Sachsenhausen.
Vorbereitung zum Hochverrat, 1937-1945 politi-
1945/46 Vorsitzender der BL Groß-Berlin der
scher Häftling im KZ Buchenwald, Kommando
KPD, Stadtrat für Sozialwesen beim Magistrat
Häftlingsbücherei-Buchbinderei, 1939-1945 Kapo
Berlin, 1946-1953 Mitglied des LV bzw. der BL
der Häftlingsbücherei, Leiter des Parteibezirkes
Berlin der SED,
1947-1953 Vorsitzender der
Ruhrgebiet innerhalb des illegalen Parteiaktivs.
VVN fur die SBZ/DDR, ab 1953 Mitglied des
Nach 1945 Rückkehr nach Duisburg, bis zum
Komitees
Verbot der KPD 1956 Tätigkeit in der Kaderabtei-
kämpfer der DDR und des Rats der gesamtdeut-
lung der Landesleitung NRW, Mitglied der Par-
schen W N .
der
Antifaschistischen
Widerstands-
teikontrollkommission. Henri Glineur (1899), belgischer kommunistiHermann Geißler (1907) KPD, 1936-1941 in Haft, 1941-1945 als politischer Häftling im KZ
scher Politiker
1944/45 im KZ
Buchenwald,
501 Mitglied des Internationalen Lägerkomitees. Nach
1935
Verurteilung
zu
9 Jahren
Zuchthaus
1945 Senator, Mitglied des ZK der KPB.
(Luckau, Moorlager), 1942-1945 KZ Buchenwald, von der Gestapo eingeteilt für das Stein-
August Groel [ (1898-1982) KPD, stammte aus
bruch-Kommando,
Frankfurt/Main. 1937-1939 Kämpfer in den Inter-
schleust ins Revier, Funktionshäftling in der Pa-
von
den Genossen
einge-
brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, 1941-1945
thologie, Aufbau und Leitung der kommunisti-
als politischer Häftling im KZ Buchenwald, zu-
schen Abwehrorganisation im Lager. 1945-1951
nächst in der Strafkompanie, dann Wäscherei und
Inspekteur
schließlich in der Arbeitsstatistik tätig. Politisch
Abt.leiter für das Paß- und Meldewesen, 1951-
tätig in der Abwehrarbeit der illegalen KPD, als
1961 Oberst des MfS.
der
Volkspolizei
in
Berlin
und
Instrukteur für die bayerischen und später fur die ungarischen, rumänischen und spanischen Genos-
Erich Haase (1908-1987) geboren in Leipzig als
sen tätig. Nach 1945 Mitarbeiter im Ministerium
zweiter Sohn eines Tischlers, 1919 früher Tod des
für Außenhandel.
Vaters an den Folgen einer Kriegsverwundung, 1922 Lehre als Maschinenschlosser, DMV, SAJ,
Heinz Gronau (1912-1977) wurde in Leipzig als
1923-1930 KJVD, Mitglied in der Gauführung
Sohn eines Buchdruckers geboren, Lehre als
der Roten Jungfront, 1927 KPD, 1930 Mitglied
Dentalmechaniker,
der BL Sachsen, 1932 Instrukteur, Organisation
danach
arbeitslos,
1930
KJVD, KPD. 1933 kurzzeitig verhaftet, danach
des illegalen Literaturvertreibs in Sachsen. 1933
Hilfsarbeiter, 1935 wegen Hochverrats verurteilt,
und 1934 verhaftet, Zuchthaus, 1938-1945 KZ
Zuchthaus Zwickau, 1938-1945 KZ Buchenwald,
Buchenwald, dort seit 1940 Mitglied des Partei-
dort tätig im Elektrikerkommando und in der Gal-
aktivs, als Häftling arbeitete er 1938-1942 in der
vano-Werkstatt, dadurch als Techniker wichtig
DAW-Schlosserei, im HKB und in der äußeren
für die Vorbereitungen zur Bewaffnung. 1945 zu-
Ambulanz der GustlofF-Werke II
(Sanitäter),
nächst Kaderchef der Jugendarbeit in Leipzig,
Auseinandersetzungen mit Genossen wegen La-
1946 Polizeichef in Rochlitz bzw. Großenhain,
gerbordell. 1945 Rückkehr nach Leipzig, Ge-
dann Stellv. Chef der Landespolizeibehörde in
werkschaftsfunktionär in der IG Bergbau in Leip-
Sachsen, 1950 MfS, Kommandeur einer Grenzbe-
zig, verantwortlicher Leiter des "Bergarbeiters",
reitschaft, Leiter der Verwaltung für den Poli-
1951 Mitarbeiter des MfS, wegen Krankheit 1953
zeigrenzdienst, 1963 Kommandeur des Berliner
Ausscheiden aus dem MfS im Range eines Poli-
Wachregiments des MfS "Feliks Dzierzynski",
zeirats, 1954 Kaderleiter der Redaktion der Leip-
1967 Generalmajor des MfS.
ziger Volkszeitung.
Richard Großkopf (1897-1977) wurde in Berlin
Rudolf Hach (1908) geboren in Halle, kaufmän-
als Sohn eines sozialdemokratischen Tischlers ge-
nischer Angestellter, als "wehrunwürdiger politi-
boren, Lehre als Kartograph, 1916 SPD - Sozia-
scher Häftling" in Schutzhaft, 1939-1943 KZ Bu-
listische Arbeitsgemeinschaft, Kriegsdienst, 1919
chenwald, 1943 Strafbataillion 999. Seit Januar
KPD, 1920-1933 Angestellter beim ZK der KPD
1945 vermißt in Kroatien.
(offiziell
in
"konspirativen
der
Abteilung
Aufgaben".
Bücherei)
1933
mit
Verhaftung,
502
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
Jan Haken (1912-1956) holländischer kommu-
haben, wurde H. 1945/47 in Dachau inhaftiert,
nistischer Politiker, 1942-1945 im KZ Buchen-
danach freigelassen, zuletzt KPD-Sekretär der BL
wald, Mitglied des Internationalen Lagerkomitees.
Hessen, 1955 kam H. bei einem Autounfall ums
1946-1956 Mitglied des niederländischen Parla-
Leben.
ments. Phillipp Hamber
(1887-1940)
stammte
aus
Otto Halle (1903-1987) stammte aus Halle, KPD.
Österreich, 1938-1940 jüdischer Häftling im KZ
1933 verhaftet, KZ Sonnenburg, danach Not-
Buchenwald,
standsarbeiten, 1935 erneut verhaftet, 1937-1945
Oberscharfiihrer Abraham ermordet.
im November
1940
vom
SS-
KZ Buchenwald, dort 1939-1945 Kapo der Häftlingsbekleidungskammer. Nach 1945 Ministerial-
Gerhard Harig (1902-1966) Volksschule, Gym-
direktor im Volksbildungsministerium Sachsen-
nasium, Physikstudium in Aachen, vor
Anhalts, 1948 seiner Funktion enthoben, später
Mitglied der Gesellschaft der Freunde des neuen
Hauptabteilungsleiter
im
Rußland und des Antifa-Studentenbundes. 1933
Ministerium fur Volksbildung, 1951-1953 Rund-
KPD, Emigration in die SU, Mitarbeiter der Aka-
für Hochschulwesen
1933
funk, 1953-1955 Leiter des Seemann-Verlages in
demie der Wissenschaften, 1938 im Auftrag der
Leipzig, 1955 Invalide.
KPdSU Rückkehr nach Deutschland, Verhaftung,
Wilhelm Hamann (1897-1955) geboren in Bie-
ling, arbeitete im Lager in der "politischen Abtei-
1938-1945 KZ Buchenwald als politischer Häftbesheim/Hessen als Sohn einer Hebamme und ei-
lung". Nach 1945 Mitarbeiter der Stadtverwaltung
nes Eisenbahners, Besuch der Realschule und des
Leipzig, Lehrer an der Parteihochschule "Karl
Lehrerseminars in Alzey als Freiplatzschüler, 1916
Marx" der SED, Professur an der KMU Leipzig,
Schulamtsanwärter-Prüfung, dann Militärdienst,
1950/51 Hauptabteilungsleiter im Ministerium für
1918 Ausbildung als Flugschüler in Halle, USPD-
Volksbildung,
Kontakte,
Hochschulwesen, 1957 Professur für Geschichte
nach
dem
I.
Weltkrieg
USPD-
Vorsitzender in Groß-Gerau, 1919 KPD, 1920
1951-1957
Staatssekretär
für
der Naturwissenschaften an der KMU Leipzig.
Staatsexamen und bis 1928 Arbeit als Volksschullehrer im Arbeiterdorf Wixhausen, danach entlas-
Ernst Hausmann (1909-1982) geboren in Mai-
sen,
waiden, Kreis Hirschberg, 1923-1926 Lehre als
aktiver KPD-Funktionär
1927-1933
MdL
in
für
Hessen,
Südhessen,
1931
wegen
Müller, 1928 KJVD, 1929 KPD, 1932/33 RH,
"Aufruhr" zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
1933 und 1934 Verhaftung und Verurteilung zu 4
Nach 1933 illegale politische Arbeit, 1933 und
Jahren Zuchthaus, Strafverbüßung in den Zucht-
1935
Rochenberg,
häusern Gräfentonna und Halle/Saale, 1938-1945
1938-1945 KZ Buchenwald, dort Blockältester in
Verhaftungen,
Zuchthaus
KZ Buchenwald, dort in den Arbeitskommandos
Block 8 (Kinderblock) und in der Häftlings-
Lagerbücherei, Tischlerei und HKB als Appell-
schreibstube tätig, Mitglied der Erziehungskom-
schreiber. Ab April 1945 Aufbau und Leitung der
mission des Volksfrontkomitees. Nach der Befrei-
Politischen Polizei, nach Bildung der Länderver-
ung zunächst Rückkehr nach Groß-Gerau, KPD-
waltungen Inspekteur für das Polizeiwesen Thü-
Funktionär, unter der Anschuldigung, im KZ Bu-
ringen Mitte/Nord, danach in ähnlicher Funktion
chenwald Ausländer bzw. Kinder mißhandelt zu
bis 1949 in Mecklenburg, 1952 Kulturdirektor in
503 einem Mansfelder Kombinat, 1954 Kaderleiter in
politischer und jüdischer Häftling von der SS
den Chemischen Werken Buna, 1956 Arbeitsdi-
mißhandelt und 1940 ermordet.
rektor in den Leuna-Werken, 1961-1969 WerkleiStephan Hessel [Henry Hessel] ( 1 9 1 7 ) stammt
ter im Paraffin-Werk Webau.
aus einer deutsch-jüdischen Familie. Als französiFritz
scher Staatsangehöriger 1944/45 Häftling im KZ
Heckert, KPD, 1930/31 Parteischule in Moskau.
Buchenwald, einer der durch Namenstausch geret-
Otto Heckert
(1905-1963)
Bruder von
1939-1945 politischer Häftling im KZ Buchen-
teten alliierten Geheimdienstleute (Michel Boitel).
wald, Kapo des Zimmermannskommandos,
Nach 1945 Studium der Philosophie, später Bot-
Be-
wohner des "Prominentenblocks 38", Bezirksleiter
schafter Frankreichs der D D R .
für Erzgebirge/Vogtland im illegalen Parteiaktiv im Lager. Nach 1945 Vorsitzender der antifa-
Stefan Heymann ( 1 8 9 6 - 1 9 6 7 ) geboren in Mann-
schistischen Front in Chemnitz, ab 1945 Mitglied
heim als Sohn einer jüdischen,
des Z K der KPD/SED, tätig an der Parteihoch-
eingestellten Familie,
schule, ab 1954 zweiter Sekretär der B L Leipzig.
1906-1913
1902-1906
Humanistisches
deutschnational Bürgerschule,
Gymnasium,
1913
Lehre als Angestellter, Teilnahme am I. Weltkrieg Ernst Heilmann ( 1 8 8 1 - 1 9 4 0 ) geboren in Berlin
als Kriegsfreiwilliger, im Range eines Leutnants
als Sohn einer bürgerlichen Familie,
der Reserve,
1888-1903
mehrmals verwundet,
1913-1933
Gymnasium, 1900-1903 Studium der Rechts- und
Allgemeiner Verband der Bankangestellten, 1919-
Staatswissenschaften an der Berliner Universität,
1923 K J V D , 1919 Anschluß an Anarchisten um
1903 Leiter
1898
SPD-Mitglied,
Ernst Toller und Erich Mühsam, Beteiligung an
1903-1907
Parlamentsbe-
der Räterepublik Kurpfalz, danach KPD, im M-
Referendarexamen, in
der
SAJ,
richterstatter für die sozialdemokratische Presse
Apparat tätig (Deckname Dietrich), bis 1923 Tä-
und Parlamentsstenograph, 1909-1917 Chefredak-
tigkeit als Angestellter bei der Süddeutschen Dis-
teur der "Chemnitzer Volksstimme", Teilnahme an
kontgesellschaft in Mannheim, 1924 Verurteilung
den SPD-Parteitagen
zu 3 1/2 Jahren Gefängnis wegen Fortführung der
1910-1913,
1914 Kriegs-
freiwilliger, 1917 Mitbegründer des Reichsbundes
verbotenen KPD,
der Kriegsbeschädigten, 1918-1922 Leitung der
R F B , 1922-1933 RH, 1922-1933 IAH, Chefre-
"Sozialistischen Korrespondenz", 1919/20 Stadt-
dakteur
verordneter in Berlin-Charlottenburg,
der
1926 amnestiert,
"Arbeiterzeitung"
in
1926-1929 Mannheim,
1919-1928
Breslau, Redakteur der "Roten Fahne". 1933 ver-
für die SPD MdL in Preußen, seit 1924 Vorsit-
haftet, K Z Dachau, 1938-1942 K Z Buchenwald,
zender
1928
dort im Stubendienst, als Blockältester in Block 3
MdR, seit 1929 Herausgeber mehrerer sozialde-
(junge jüdische Häftlinge), im Stubendienst bei
mokratischer Zeitschriften (Das freie Wort, Sozi-
Emil Carlebach und schließlich als Desinfekteur
der
SPD-Landtagsfraktion,
aldemokratische
Korrespondenz,
1934
KZ
Die
Glocke).
tätig, ab
1942 K Z
Auschwitz,
in
Auschwitz-
Plötzensee,
Oranienburg,
Monowitz Schreiber im Krankenbau, im Januar
Dachau und zuletzt
Buchenwald,
1945 ein zweites Mal im K Z Buchenwald, dort in
verhaftet,
Esterwegen,
seit
Stuben-
der Arbeitsstatistik des "Kleinen Lagers" tätig.
dienst Block 16, im K Z Buchenwald wurde H. als
Nach 1945 Mitglied der B L Thüringen der KPD,
Arbeitskommandos:
Fuhrkommando,
Gründer des Antifa-Komitees in Thüringen, Lei-
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
504
tungsfünktion im ZK der SED, Abtl. Kultur,
Schüler der Heimvolkshochschule Tinz,
1950-1953 Botschafter in Ungarn und 1953-1957
1929 Redakteur der SPD-Zeitung "Das Volk" in 1930-1933
Redakteur
des
1927-
in Polen, Leiter der Hauptabteilung Presse des
Jena,
MfAA, 1960 Professur an der Akademie für
"Reichsbundes der Kriegsbeschädigten,
Organs
des
Staats- und Rechtswissenschaft "Walter Ulbricht",
teilnehmer und Kriegshinterbliebenen" und Mit-
1965 emeritiert.
glied der Kriegsopferinternationale CIAMAC in
Kriegs-
Genf. Ab 1933 illegale politische Arbeit v.a. in Werner Hilpert (1897-1957) geboren und auf-
Erfürt, offizieller Beruf im Jahr 1936: Bezirksin-
gewachsen in Leipzig, nach dem Studium der
spektor, "Allgemeiner Verein für Bestattung und
Volkswirtschaft 1920/21 Direktionssekretär der
Hinterbliebenenfürsorge" in Thüringen, Häftling
Sächsischen Staatsbank, 1922-1933 Syndikus der
im KZ Buchenwald. Nach 1945 Gründungsmit-
Leipziger Einzelhandelsverbände und Hauptge-
glied der sich neu konstituierenden SPD Thürin-
schäftsführer des Verbandes deutscher Linoleum-
gens (3.7.1945), persönlicher Referent des Regie-
händler. Seit 1933 Steuer-, Devisen- und Wirt-
rungspräsidenten Hermann Brill, stellvertretender
schaftsberatung, führendes Mitglied der Zentrum-
SPD-Vorsitzender in Thüringen und politischer
spartei in Sachsen, als solches 1939-1945 politi-
Gegenspieler Hermann Brills; nach dessen Abgang
scher Häftling im KZ Buchenwald, im Lager Mit-
nach Hessen wurde Hoffmann Anfang 1946 Lan-
begründer
Volksfrontkomitees
desvorsitzender der SPD, befürwortete die Ver-
1944. April 1945 bis Anfang Juli 1945 Treuhän-
einigung von SPD und KPD. 1946-1949 Landes-
der für die Erfassung und Verwaltung des im
vorsitzender der SED Thüringen und MdL, 1946-
des
deutschen
Stadt- und Landkreis Weimar befindlichen blok-
50 Mitgl. des PV der SED, 1948-50 Mitglied des
kierten Vermögens,
Dt.
danach
CDU-Politiker
in
Hessen: 1945/46 Minister ohne Geschäftsbereich und stellvertretender Ministerpräsident, Wirtschaftsminister,
1947-1950
Volksrates,
1949
Generalstaatsanwalt
in
Mecklenburg. Weiterer Lebensweg unbekannt.
1946/47
Finanzminister,
Otto Horn (1905-1967) österreichischer kom-
stellvertretender Ministerpräsident und Landes-
munistischer Gewerkschaftsfunktionär. 1937 ver-
vorsitzender
haftet unter der Schuschnigg-Regierung,
der CDU,
1949 MdB,
1949/50
MdBr.
1939-
1945 KZ Buchenwald, dort Schreiber im Elektrikerkommando, Mitglied des Internationalen La-
Arnold HöfTern (1889-1940) Major, österreichi-
gerkomitees als Vertreter der KPÖ. Nach 1945
scher Häftling im KZ Buchenwald, nach dem
Sekretär
"Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich
1965 PB-Mitglied der KPÖ.
interniert,
auf
der
Flucht
erschossen
der
Privat-Angestellten-Gewerkschaft,
am
24.6.1940.
Emil Hrsel (1901) tschechischer Häftling, 19391945 im KZ Dachau und KZ Buchenwald inhafaus
tiert, Mitglied des Internationalen Lagerkomitees.
Schleswig aus einer Friseurfamilie, Lehre als Fri-
Nach 1945 Botschafter der CSSR in der Mongoli-
seur, im I. Weltkrieg Soldat, 1918 schwer ver-
schen Volksrepublik.
Heinrich
Hoffmann
(1898)
stammte
wundet aus dem Krieg zurückgekehrt, 1920 SPD, 1920-1923 Funktionär der SAJ und SPD, 1924
505 Kvetoslav
Innemann
[Deckname
Wenzel]
(1910-1971) tschechischer Häftling, 1938 im KZ
in Sachsen,
Unterbezirksleiter
KPD
Leipzig,
Mitgl. der BL Sachsen, Landessekr. der Volksso-
Dachau und 1939-1945 im KZ Buchenwald in-
lidarität,
haftiert, dort in der Häftlingsbibliothek und in der
Landesvorstands Sachsen und Sekr. für Schulung
1946-1948
Mitgl.
des
FDGB-
Arbeitsstatistik tätig, Mitglied des Internationalen
und Bildung, 1948 Landesvors. FDGB Branden-
Lagerkomitees in Buchenwald als Vertreter der
burg und Mitgl. des Bundesvorst., zugleich Mitgl.
KPTsch. Nach 1945 Mitglied des ZK der KPTsch,
der Landesleit. der SED und ihres Sekretariats, 1949-1952 Ministerpräsident des Landes Bran-
Verlagsdirektor.
denburg, zugleich Mitglied des Volksrats und Jan Izydorczyk (1900-1974) VP AP, 1943/44 KZ
dann der Volkskammer der DDR,
Auschwitz, 1944/45 KZ Buchenwald, Mitglied
Vors. des Rats des Bezirks Dresden, 1958 Au-
1952-1958
des Internationalen Lagerkomitees im Lager Bu-
ßenministerium, 1959-1963 Botschafter in Sofia,
chenwald als Vertreter der PAP. Nach 1945
1963-1968 Abt.-Leiter im Außenmin., aus ge-
Mitglied des ZK der VP AP, Abgeordneter des
sundheitl. Gründen ausgeschieden, einer der Spre-
Sejm, erster Botschafter Polens in der DDR,
cher des Buchenwaldkomitees.
Mitglied des ZK und der Zentralen Revisionskommission der VP AP, Vizepräsident der Gesell-
Walter Jurich (1902-1960) geboren in Böhlen
schaft zur Förderung der polnischen Westgebiete,
bei Leipzig, Lehre als Maschinenschlosser, 1920
Botschafter.
KPD. 1933 KZ Colditz, 1935 erneut verhaftet und drei Jahre Zuchthaus, 1938-1943 politischer Häft-
Rudi Jahn (1906-1990) Sohn eines Leipziger
ling im KZ Buchenwald, dort Führer der sächsi-
Metallarbeiters, Lehre als Tischler, 1922 Holzar-
schen Kommunisten und Mitglied der Parteilei-
beiterverb.,
1925-1928 Wander-
tung der KPD, Aufbau der Abwehrarbeit im La-
schaft, 1928 KPD, 1929 Intern. Leninschule in
ger, danach bis zur Befreiung Zivilarbeiter im
Moskau, danach KPD-Funktionär in Leipzig,
Standortbereich der SS außerhalb des Lagers.
1923 KJVD,
Mitbegründer der Gesellschaft der Freunde der
1945-1949 Polizeipräsident in Leipzig, nach Ab-
SU, 1931 Agitprop. Sekretär KPD Sachsen. 1933
lösung aus dieser Funktion Werkleiter
verhaftet, 18 Monate Zuchthaus Waldheim, 1935
Reifenwerke Finsterwalde, 1949/50 Selbstanzeige
DK-
entlassen, als Tischler tätig, 1939 emeut verhaftet,
vor der ZPKK mit dem Ziel eines Parteiverfahren
KZ-Buchenwald, dort Mitglied des Parteiaktivs
zum
der KPD, aber kein Funktionshäftling, im Lager
(Gruppenbildung, mangelnde Parteidisziplin) und
Buchenwald zunächst für die Leipziger Gruppe,
wegen seiner Beziehungen zu Genossen
später für die westsächsischen und für die gesamte
Westdeutschland, Selbstanzeige 1954 abgewiesen,
Verhalten
weiteres
im
KZ
Buchenwald
Parteiverfahren
aus
sächsische Gruppe, zuletzt für Block 38 (d.i. der
1952
"Prominentenblock") als politischer Leiter ver-
"parteimäßig nicht richtigen Verhaltens"(Grund
wegen
antwortlich, arbeitete in dieser Zeit als Tischler
nicht bekannt), strenge Rüge und Funktionsverbot
und Polierer in den DAW, 1940-1945 mit Aufga-
für zwei Jahre, wird im März 1954 auf 1 1/2 Jahre
ben der Kalkulation betraut, als Schreibhilfe und
herabgesetzt, Abteilungsleiter im Schwefelsäure-
im Bergungstrupp tätig. 1945 Gründer des Antifa-
Werk in Coswig.
Komitees in Leipzig, Leiter des Antifa-Komitees
506
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
Hubert Jusek (?) 1929 KJVD, 1930 KPD, 1935
gemaßregelt, wegen RGO-Tätigkeit vom Ver-
verhaftet, ab Augsut 1939 im KZ Buchenwald,
kehrsbund ausgeschlossen, 1932 fur die KPD
dort 1940 Pfleger im Krankenbau und in der
MdR. 1935 wegen Hochverrats zum Tode verur-
Krankenbaracke der sowjetischen Kriegsgefange-
teilt, Strafe umgewandelt in lebenslängliche Haft,
nen,
Außenkommandos
Zuchthaus Brandenburg, 1943 KZ Buchenwald,
(Dusiburg, Laura, Langensalza), in den 1960er
Häftling im Kommando der EfFektenkammer des
Jahren Verwaltungsdirektor der KMU, Leipzig.
Lagers, starb in Buchenwald im Herbst 1944 an
seit
1943
mehrere
Typhus. Nikolai
Kalschin
oder Kalcin
(?)
NKWD-
Offizier, russischer Häftling im KZ Buchenwald,
Benedikt
Mitglied des russischen Komitees im Lager und
Stuttgart, aufgewachsen in Berlin, Sohn Karl
des Internationalen Lagerkomitees. Nach der Be-
Kautskys,
Kautsky Studium
(1895-1960)
geboren
der Nationalökonomie
in in
freiung Mitglied der Repatriierungskommission.
Wien, SPÖ, 1921-1938 Sekretär der Wiener Ar-
Seit 1950 verschollen.
beitskammer, nach dem "Anschluß" Österreichs
Dr. Edwin Katzellenbogen (1882) aus Prag, in
dort u.a. im Fuhrkommando und HKB beschäf-
USA ausgebildet, im Krieg in Paris deutscher
tigt, 1942-1945 KZ Auschwitz, 1945 KZ Bu-
Abwehragent. Von September 1943 bis April
chenwald. 1945-1949 freier Schriftsteller in der
1938 verhaftet, KZ Dachau, KZ Buchenwald,
1945 Häftlingsarzt im Revier und Chefarzt des
Schweiz,
Reviers im Kleinen Lager. 1947 im amerikani-
Volkswirtschaftsschule in Graz, seit 1958 Privat-
1951-1957 Leiter der
Otto-Möbes-
schen Buchenwald-Prozeß in Dachau wegen Miß-
dozent an der Universität in Wien, Verfasser des
handlung von Häftlingen z.T. mit Todesfolge und
Programms der SPÖ, stellvertretender Generaldi-
wegen Zusammenarbeit mit der SS (bes. mit dem
rektor der "Kreditanstalt".
SS-Arzt Schiedlausky) zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch 1953 vorzeitig entlassen. Er hatte
Karl Keim (1899-1988) geboren in Stuttgart,
im KZ in deutlichem Gegensatz zu den deutschen
KPD, bis 1933 MdL in Württemberg. 1933 nach
kommunistischen Funktionshäftlingen gestanden,
Flucht in die Schweiz und Abschiebung nach
die mehrfach erfolglos seine Ablösung betrieben
Frankreich, Rückkehr nach Deutschland, mehr-
hatten und von denen er 1948 schrieb, ich bin
fach in Haft (KZ Heuberg, KZ Kuhberg bei Ulm),
"stolz auf meinen Kampf gegen die deutschen
1934-1939 Arbeit bei Bosch in Stuttgart, nach er-
Kommunisten, die wahren Beherrscher des La-
neuter Verhaftung 1939 KZ Buchenwald, Kapo
gers."
des Lagerschutzes und Mitgl. des illegalen Militärapparats.
1945
Angestellter
der
Rückfuh-
Albert Kayser (1898-1944) geboren in Stettin,
rungsstelle für politische Gefangene in Stuttgart,
lebte in Berlin, 1919-1921 Arbeiter und Gewerk-
bis 1948 erster Vorsitzender der VVN in Würt-
schaftsfunktionär bei den Berliner
temberg.
städtischen
Gaswerken, 1921 KPD, 1921-1923 Arbeiter bei Siemens, als gewerkschaftlicher Vertrauensmann
Otto Kipp (1903-1978) Sohn einer Arbeiterfami-
gemaßregelt, 1924-1929 Arbeiter bei der Berliner
lie in Münster/Westf., Hutmacher, angeblich zu-
Straßenbahn, 1929 als Arbeiterratsvorsitzender
nächst Anarchist, 1922 KPD, Funktionär in Dres-
507 den, 1933 Schutzhaft, 1934 erneut verhaftet und
chenwald, ab Juni 1943 Arbeit als Sekretär des
nach einem Monat aus der Haft geflohen, Emi-
Leiters
gration in die ÖSR, nach Amsterdam, Paris,
(Fleckfieberversuchsstation). Nach 1945 fur die
1936/37 Mitglied der Internationalen Brigade im
Psychological Warfare Division der US-Armee
Spanischen Bürgerkrieg, Verwundung, Kriegsge-
zuerst in Deutschland, dann in Paris und Bad
fangenschaft, an Deutschland ausgeliefert und
Homburg tätig, Publizist in Westdeutschland, seit
der
Impfabteilungen
von
Block
50
nach Verbüßung seiner Zuchthausstrafe (von
1946 zusammen mit Walter Dirks Herausgeber
1934) 1938 ins KZ Buchenwald überfuhrt, dort
der "Frankfurter Hefte", seit 1947 politisches En-
zunächst im Tischlereikommando, später in der
gagement in der Europäischen Föderalisten-Union
Häftlingsschreibstube, seit 1942 Stellv. Kapo im
und der Europäischen Bewegung, Professor für
Krankenbau. 1945/46 vom CIC der US-Armee
Politikwissenschaft an der TH Darmstadt, Fem-
verhaftet und in Dachau interniert, nach einer in-
sehpublizist.
ternationalen Solidaritätsaktion freigelassen, nach 1946 in der Landesregierung Sachsen-Anhalt, Be-
Walter Krämer (1892-1941) geboren in Siegen
such der Parteihochschule Karl Marx, erster
als Sohn eines Lokomotivführers, im I. Weltkrieg
Kreissekretär der SED in Bitterfeld, später Ar-
freiwilliger Militärdienst bei der Marine, 1915 und
beits- und Werkdirektor des Energiekombinats in
1917 Festungshaft wegen Rebellion, 1918 Rück-
Halle/Saale.
kehr nach Siegen, Mitglied des örtlichen Arbeiterund Soldatenrates, 1919 USPD, 1920 Kämpfer
Fritz Kirchheimer (1911) stammte aus einer jü-
der Roten Ruhrarmee gegen Kapp/Lüttwitz, 1921
dischen Familie, KPD. 1939-1945 als politischer
KPD, 1926-1928 Zuchthaus, 1928 Amnestierung,
Häftling im KZ Buchenwald, dort im Arbeits-
1932 MdL in Preußen. 1934-37 KZ Lichtenburg,
kommando Block 50. 1947 Zeuge im Dachauer
danach KZ Buchenwald, 1938 Aufbau des Kran-
Buchenwaldprozeß, lebte nach 1945 in Frank-
kenreviers auf Beschluß der illegalen Parteilei-
furt/Main.
tung, autodidaktische Aneignung medizinischer Fähigkeiten, stellvertretender Kapo, 1939 erster
Nikolai Kjung (1917) als russischer Häftling
Kapo des Häftlingskrankenbaus, 1941 abgelöst
1943-1945 im KZ Buchenwald, Mitglied des In-
und von der SS im Außenkommando Goslar er-
ternationalen Lagerkomitees. Nach 1945 Lehrer
mordet.
und Mitglied des sowjetischen Komitees der Kriegsveteranen.
Hermann Krause (1905-1944) geboren in Frohburg, Schmied, KPD, politischer Häftling im KZ
Eugen Kogon (1903-1987) geboren in München,
Buchenwald 1938-1944, dort Kapo der Häftlings-
Studium der Nationalökonomie und Soziologie in
heizung, starb im Lager am 26.2.1944.
München, Florenz und Wien 1927-1932 Redaktionsmitglied einer katholischen Wochenzeitschrift
Georg Krausz (1894-1973) geboren in der Slo-
und Berater der Zentralkommission der Christli-
wakei als Sohn einer Professorenfamilie, Gymna-
chen Gewerkschaften in Wien. Ab 1934 Treuhän-
sium, 1918/19 Teilnahme an der ungarischen Rä-
der einer privaten internationalen Vermögensver-
terevolution, Mitglied des revolutionären Direk-
waltung, 1938 KZ Dachau, 1939-1945 KZ Bu-
toriums
in
Nord-Ungarn,
Emigration
nach
508
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
Deutschland, 1919 KPD, 1922-1933 Redakteur
Albert Kuntz [oft Kunze] (1896-1945) Sohn ei-
des kommunistischen Zentralorgans "Rote Fah-
nes Tischlers und eines Dienstmädchens in Wür-
ne". 1936 verhaftet, wegen Hochverrats zu vier
zen, Lehre als Kupferschmied, DMV, SAJ, 1916
Jahren Zuchthaus verurteilt, danach KZ Buchen-
Kriegsdienst,
wald. Nach der Befreiung von sowjetischen Orga-
1918/19 Soldaten- und Arbeiterrat, Mitbegründer
nen im Internierungslager Buchenwald und im
der KPD in Würzen, 1920 Mitgl. der Bezirkslei-
schwerverwundet
bei
Verdun,
Zuchthaus Torgau festgehalten, 1948 Freilassung,
tung Mitteldeutschland, 1922 nach einem Be-
Journalist, Auslandskorrespondent
zuletzt
triebsunfall arbeitslos, Stadtverordneter, seit 1923
stellvertretender Chefredakteur des ND, 1959 Dr.
hauptamtl. KPD-Funktionär, seit 1926 in Frank-
h.c. der KMU Leipzig, 1957-1967 Vorsitz des
furt, 1929 Kandidat des ZK, 1929/30 Parteihoch-
und
VDJ, ab 1967 Mitglied des Präsidiums seines ZV,
schule der KI in Moskau, danach Organisationslei-
Vizepräs, des Internat. Journalistenverbandes.
ter in Berlin-Brandenburg und Frankfurt, 1932 Abgeordneter des Preuß. Landtags. Seit 1933 in
Harry Kuhn (1900-1973) siebtes Kind einer
Haft, 1936 Freispruch im Berliner Polizisten-
Leipziger
und
Mordprozeß (1931), jedoch Zuchthausstrafe we-
der
gen Vorbereitung zum Hochverrat, Zuchthaus
Schneiderlehre, Bezirksleiter der Freien Soz. Ju-
Kassel, danach KZ Lichtenburg, 1937 KZ Bu-
gend in Leipzig, 1922 KJVD (Mitgl. d. ZK), 1923
chenwald, dort einer der Organisatoren der illega-
KPD, 1927-1933 Redakteur von KPD-Zeitungen,
len KPD-Gruppe,
u.a. der Hamburger Volkszeitung. 1933 Verhaf-
"Bunker", anschliessend in den Nebenlagern Kas-
Schneiderfamilie,
Schneidergewerkschaft
1915
SAJ
schon zu Beginn
1942 mehrere Monate im
tung, 1934 Verurteilung zu 3 Jahren Zuchthaus
sel und Dora, dort Anfang 1945 nach Aufdeckung
wegen Hochverrats, 1936-1939 Schneider und il-
von Sabotageversuchen von der SS ermordet.
legale pol. Arbeit in Leipzig, danach Verhaftung der ganzen Familie KZ Buchenwald, dort seit
Grigorij Kuschnir-Kuschnarew (1941) weiß-
1939 Mitgl. der illegalen Parteileitung der KPD
russischer General, nach der Oktoberrevolution
und Leiter ihres Abwehrapparats seit 1943/44,
1917 über Odessa nach Bulgarien und Jugoslawi-
Mitglied des Internationalen Lagerkomitees. 1945
en emigriert. 1938 in Österreich verhaftet, als
Bezirksleiter der KPD in Leipzig,
1945-1948
weißrussischer Häftling im KZ Buchenwald, wur-
Mitglied des Präsidiums und Abt.leiter für politi-
de als vermeintlicher SS-Spitzel im Dezember
sche Massenarbeit in der Zentralverwaltung Ar-
1941 mit einer tödlichen Injektion ums Leben ge-
beit und Sozialfürsorge der SBZ, 1948/49 Besuch
bracht.
der Parteihochschule, danach bis 1951 Generalsekretär der W N , 1951 wegen "mangelnder Wach-
Walter Laue (1905-1960) KPD, 1934 von der
samkeit" von allen leitenden Funktionen ausge-
Gestapo verhaftet, Zuchthaus in Waldheim, 1937
schlossen, 1951-1953 Redakteur in der Sozial-
KZ Esterwegen, 1938-1945 KZ Buchenwald, dort
versicherung, 1954-1962 Sekretär für nationale
im Steinbruch, Baukommando I, Effektenkammer.
und internationale Arbeit im Zentralvorstand der
Nach
Gewerkschaft Wissenschaft, danach Cheflektor
Sektor Post und Fernmeldewesen in der BL der
1945 Mitarbeiter der Abtl. Wirtschaft,
der "Außenpolitischen Korrespondenz" im Au-
SED in Leipzig, seit 1952 Leiter der Oberpostdi-
ßenministerium der DDR.
rektion.
509 Hugo Launicke ( 1 9 0 2 - 1 9 7 5 ) KPD, 1934 verhaf-
strow, zuletzt seit 1956 Stellvertretender Leiter
tet und verurteilt zu 4 Jahren Zuchthaus, 1938-
der Abteilung Geschichte der deutschen Arbeiter-
1945 K Z Buchenwald, dort in den Arbeitskom-
bewegung am I M L beim Z K der SED.
mandos:
Wäscherei,
Pfleger
Häftlingsbekleidungskammer, zu
den Russen,
Wernigerode,
1943-1945
von
dort
im
Krankenbau,
Verbindungsmann
Rene[-Michel]
Außenkommando
nieur, Major,
auf
dem
Evakuie-
1919-1929
(1882-1960)
L'Hopital 1914-1929
Inge-
Armee-Adjudant und
Ordonanzoffizier
Marschall
Fochs,
rungstransport von der Roten Armee befreit. Seit
französischer
Teilnehmer an den Versailler Frie-
Juni 1945 Bürgermeister, danach bis 1950 Land-
densverhandlungen im März 1919, Teilnehmer der
rat in Kölleda, Funktionär in OdF, V d G B und
Resistance. Ab Februar 1945 bis zur Befreiung
Nationaler Front, 1963 Pensionierung.
Häftling im K Z Buchenwald. Mitglied der amerikanischen Inspektionskommission des Lagers En-
Robert
Leibbrand
(1901-1963)
Sohn eines Straßenbahnarbeiters
geboren
als
in Karlsruhe,
1915-1919 Lehre als Modelltischler,
de April 1945, Vorsitzender der Alliance atlantique des anciens combattants.
1919-1921
Arbeit in seinem Beruf, 1918 SAJ, dann K J V D ,
Arno Liske ( 1 9 1 1 - 1 9 6 1 ) 1925-1929 Schriftset-
1921 Delegierter des K J V D auf dem II. Kongreß
zerlehre in Leipzig, 1929/30 arbeitslos, 1930/31
der Kommunistischen Jugend Internationale und
Seefahrt, 1931-1933 arbeitslos, seit 1931 politi-
auf dem III. Weltkongreß der K I in Moskau,
sche Funktionen in der KPD, 1933/34 Tätigkeit
1923-1929 Z K der K J D ( V ) , 1926-1929 E K K J I in
als Schriftsetzer. August 1934 verhaftet und zu 4
Moskau, 1929 Mitglied des westeuropäischen Bü-
Jahren Zuchthaus verurteilt, 1938-1945 KZ Bu-
ros der KJT, als sogenannter "Versöhnler" im Ge-
chenwald, dort im Arbeitskommando Steinbruch,
folge der innerparteilichen Auseinandersetzungen
Kalfaktor
mit dem linken Flügel um H. Neumann und K.
("Schwung"),
Müller nicht mehr in das ZK gewählt und aus der
1945 persönlicher Referent des O B von Leipzig,
Jugendarbeit ausgeschieden, 1930-1933 Funktio-
Dezember 1945 bis Oktober 1946 Regierungs-
när seiner Wohngruppe, Redakteur im Verlag Li-
oberinspektor beim Polizeipräsidenten von Thü-
teratur und Politik, Instrukteur in Berlin und
ringen,
Braunschweig.
Weimar.
1933 verhaftet, Zuchthaus,
KZ
für
SS-Zahnarzt
Leiter
ab November
der
Johannsen
Häftlingszahnstation.
1946 Zahnarztpraxis in
Dachau und 1939- 1945 KZ Buchenwald, im Lager Schreiber der Gustloff-Werke, Mitglied der
Erich
Loch
(1910-1976)
geboren
in
Essen-
illegalen Parteiorganisation. 1945-1951 Mitglied
Stoppenberg,
der KPD-Landesleitung und M d L in Württem-
4 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1938-1945 K Z Bu-
berg, M d B und Landesvorsitzender der KPD in
chenwald, organisierte die KPD-Gruppen Ruhr-
Baden-Württemberg, von dieser Funktion
1951
gebiet, Niederrhein und Mittelrhein, Mitglied des
enthoben, Übersiedlung in die D D R auf Beschluß
militärischen Apparats im Lager, Kapo des Häft-
der S E D ,
lingsmagazins. Nach 1945 Rückkehr nach Essen,
1952/53 untergeordnete Position als
KPD,
1934
verhaftet
und
zu
Sekretär im Bezirks- bzw. Landesausschuß der
1948 Lizenzträger des Zentralorgans der K P D
Nationalen Front in Schwerin und Mecklenburg,
"Freies Volk",
1953-1956 Leiter der Bezirksparteischule in Gü-
Gründung einer Firma fur Ost-West-Handel.
im Verlagswesen
tätig,
später
510
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
Henri Manhes [genannt Frederic] (1889-1959)
senthebung
Journalist, Oberst, 1941 Vertreter Jean Moulins
1933 kurzzeitig Staatssekretär für das Elsaß und
durch
die Vichy-Regierung
tätig.
im nichtbesetzten Gebiet Frankreichs, Delegierter
Staatssekretär fur Auswärtige
des Comite National Francais, 1943 bei seiner
unter Edouard Daladier; während der deutschen
Angelegenheiten
Rückkehr aus London verhaftet und zum Tode
Besetzung Mitglied der Widerstandsgruppe Geor-
verurteilt, 1944/45 KZ Buchenwald, von Marcel
ges France, 1943 von der Gestapo verhaftet,
Paul zum Präsidenten des Komitees fur französi-
1943-1945 KZ Buchenwald. Nach 1945 Rück-
sche Interesssen im Lager ernannt, militärischer
kehr nach Frankreich,
Leiter der französischen Brigade bei der Befreiung
1953/54 Minister für Erziehung.
1948/49
Justizminister,
des Lagers, Mitglied des Internationalen Lagerkomitees. Nach 1945 Ehrenpräsident der FIR.
Otto Meier (1887/1889-1962) geboren in Magdeburg als Sohn eines Steindruckers, 1895-1903
Friedrich (Fritz) Männchen (1901-1960) gebo-
Bürgerschule, 1903-1906 kaufmännische Lehre in
ren in Dresden als Sohn eines Maschinenschlos-
Magdeburg, 1911 SPD, ZdA, 1915/16 Militär-
sers, 1907-1915 Bürgerschule in Berlin, Besuch
dienst, schwer verwundet Heimkehr von
der Fortbildungsschule in Dresden, Lehre und Ar-
Front, 1917 USPD und Parteisekretär in Berlin,
der
beit als Maschinenschlosser, 1921-1933 Angehö-
1919-1922 Redakteur ihres Zentralorgans "Die
riger der Schutzpolizei in Chemnitz und Dresden,
Freiheit" und anderer Parteizeitungen,
(Tätigkeit in der Funkstelle, Fortbildung im Be-
Gegner der Vereinigung von USPD und KPD,
1919/20
reich Kriminalpsychologie), daneben seit 1923 ei-
1921-1933 MdL in Preußen, 1922-1933 Vorsit-
ne verdeckte Mitgliedschaft in der KPD, 1931
zender der Pressekommission des "Vorwärts".
Teilnahme am Roten Schupokongreß. 1933 ver-
Nach 1933 illegale politische Arbeit, 1939 Verhaf-
haftet, 1934-1936 Zuchthaus Waldheim, 1936-
tung, KZ Buchenwaid, dort 1940 entlassen, 1944
1945 KZ Sachsenburg, KZ Sachsenhausen und
erneute Verhaftung, KZ Sachsenhausen. Nach
seit 1937 KZ Buchenwald, dort 1938 Lagerälte-
1945 Reorganisation der SPD, Mitglied des Zen-
ster. 1945 von der Buchenwalder KPD aus der
tralausschusses, 1946-1950 Mitglied des PV und
Partei ausgeschlossen, aber in Dresden wieder
des ZS der SED, 1947 Abgeordneter des Landta-
aufgenommen und mit dem Aufbau der Kripo be-
ges in Brandenburg, 1949-1952 dessen Präsident,
auftragt, bis 1947 Chef des Landeskriminalamtes
1949/50 Mitglied der Provisorischen Volkskam-
in Dresden, 1947-1949 Leiter der Kreispolizei in
mer und der Provisorischen Länderkammer, 1950-
Dresden, 1949-1951 Amtsleiter der Volkspolizei
1958 Mitglied der Länderkammer der DDR, seit
in Dippoldiswalde, 1951/52 Ausscheiden aus dem
1956 Mitglied der Veteranenkommission.
Polizeidienst "wegen Krankheit", seit 1952 Leiter des VEB Färberei und chemische Reinigung in Dippoldiswalde.
Heinz Mißlitz (1912) stammte aus Leipzig, KPD, seit 1933 in Haft, 1937-1945 politischer Häftling im KZ Buchenwald, dort Arbeit in der Effekten-
Andre Marie (1897-1974) geboren in Honfleur
kammer und 1940 Kellner im SS-Führerheim.
(Calvados) in Frankreich, Anwalt, 1923 als Radi-
Nach 1945 SED-Funktionär, beim ZK der SED,
kalsozialist (d.h. Liberaldemokrat) in den Stadtrat
Abteilung Propaganda.
von Rouen gewählt, dort bis zu seiner Funktion-
511 Herbert Morgenstern (1913) 1935-1938 Zucht-
Krankenversicherung,
1935-1938
Abgeordneter
haus, 1938-1945 Häftling im KZ Buchenwald,
der Nationalversammlung für die
dort tätig im Arbeitskommando der Elektriker für
1937-1939 Bürgermeister von Ceske Budejovice.
Sozialisten,
Schwachstrom und in der Telefonzentrale. Nach
1939-1945 politischer Häftling im KZ Buchen-
1945 Mitarbeiter im ZK der SED und leitende
wald, Mitglied des Internationalen Lagerkomitees.
Funktionen im Post- und Fernmeldewesen.
Nach 1945 zunächst Direktor der Krankenversi-
Bernhard Müller (1896) KPD, bis 1945 politi-
Zentralsekretär der Vereinigung befreiter tsche-
scher Häftling im KZ Buchenwald, dort ab 1940
choslowakischer politischer Häftlinge, 1948-1952
Leiter der Berliner Gruppe im Parteiaktiv, be-
Postminister, 1952-1960 Minister für Telekom-
schäftigt in der Wäscherei im Krankenbau und als
munikation, 1946-1960 Vizepräsident der Sozia-
Desinfektor in der Kleinen Desinfektion. Nach
listischen Partei, 1951-1969 ZK der Vereinigung
1945 Mitarbeit bei der Kriminalpolizei.
der Kämpfer gegen den Faschismus, 1965-1968
cherung im Bezirk Ceske Budejovice, 1945-1951
Vorsitzender Theodor Neubauer (1890-1945) geboren in Ern-
der
Regierungskommission
zur
Ermittlung von Nazi-Kriegsverbrechen.
schwert a d. Werra als Sohn eines kaisertreuen 1901-1910
Heinz Neumeister (1908) KPD, seit 1934 in
Studium
Haft, 1938-1945 KZ Buchenwald, dort zunächst
(Geschichte und neuere Sprachen) in Brüssel, Je-
im Steinbruch, dann Kapo der Häftlingsschreib-
na und Berlin, 1913 Promotion im Fach Geschich-
stube. Nach 1945 Funktionen in Verwaltung und
te, 1914-1917 Kriegsfreiwilliger, Arbeit als Hilfs-
Wirtschaft der DDR.
deutschnationalen Gymnasium
in
Gutsinspektors, Erfurt,
1910-1913
lehrer am Lyzeum in Erfurt, 1918 DDP, 1919 USPD, 1920 KPD, Lehrer in Ruhla, 1921 fur die
Hans
KPD MdL in Thüringen, 1922 Anstellung als
bach/Oberfranken, seit 1919 gewerkschaftlich und
Neupert
(1897)
geboren
in
Röthen-
Studienrat am Realgymnasium in Weimar, 1923
politisch organisiert, 1920 KPD. 1933 verhaftet,
Staatsrat in der SPD/KPD-Regierung Thüringens,
bis 1935 KZ Dachau, erneute Verhaftung am 1.
Flucht ins Rheinland, Chefredakteur der Düssel-
September 1939, im KZ Buchenwald bis 1945. N.
dorfer "Freiheit", 1924-1933 MdR, Polit. Leiter
wurde am 13.6.1945 von den Amerikanern ver-
diverser KPD-Bezirke, 1930 ZK der KPD. 1933
haftet, in Bad Dürrenberg bei Merseburg arres-
verhaftet, diverse KZs, seit 1937/38 im KZ Bu-
tiert, später in den Lagern Ziegenhain in Hessen,
chenwald, April 1939 entlassen (zum 50. Geburts-
Zuffenhausen bei Stuttgart und im Kriegsverbre-
tag Hitlers), Aufbau der illegalen KPD-Gruppe
cherlager Dachau bei München interniert, Verhaf-
Neubauer-Poser in Thüringen, 1944 erneut ver-
tung und Ermittlungen standen im Zusammenhang
haftet und am 5.2.1945 hingerichtet.
mit der Vorbereitung des Dachauer Buchenwaldprozesses von 1947.
Alois Neumann (1901) geboren in Smidary, Böhmen,
1922-1925
Ulrich Osche (1911-1975) geboren in Berlin,
Jurastudium, 1922 Vorsitzender des tschechoslo-
Lehre als Chemiegraph, KJVD, 1929 KPD, 1934
wakischen
Bezirkssekretär des Jugendverbandes im Ruhrge-
1931-1938
Ausbildung
als
Sozialistischen Sekretär
der
Lehrer,
Jugendverbandes, Prager
allgemeinen
biet, KPD-Funktionär
im Unterbezirk
Berlin-
512
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäfilinge
Schöneberg, RGO, 1935 Delegierter zum VII.
1915 Jugendorganisation der Sozialistischen Par-
Weltkongreß der KI und zur Brüsseler Konferenz,
tei, Militärdienst, Lehre als Elektriker, 1923 Ge-
Reise nach Moskau. 1936 von der Gestapo ver-
werkschaft, 1924 KPF, in den 1920er Jahren Ge-
haftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt,
neralsekretär
Zuchthaus Siegburg, seit Juli 1943 Häftling im KZ
Elektriker und Stadtrat in Paris. 1941 verhaftet, 4
Buchenwald, dort im Arbeitskommando Patholo-
Jahre Gefängnis, 1944 Deportation in das KZ Au-
des
Gewerkschaftsverbandes
der
gie tätig, Mitglied der Berliner KPD-Leitung.
schwitz und KZ Buchenwald, dort als Vertreter
Nach 1945 Abtl. Leiter der Dt. Verwaltung für
der KPF und der französischen Häftlinge Mitglied
Land- und Forstwirtschaft und Parteisekretär und
des Internationalen Lagerkomitees. Nach 1945
1949 abgesetzt, Leiter der Pressevertretung bei
Minister für Energie in den drei ersten französi-
der Oberpostdirektion, später Verlagsleiter, 1959-
schen Nachkriegsregierungen, Mitglied des ZK
1974 Generaldirektor der DEW AG Werbung.
der KPF, Vorsitzender der Gewerkschaft Energie-
Karl Pankow (1905-1973) geboren in Stettin als
tionalen Buchenwald-Komitees, Vizepräsident der
Sohn eines Arbeiters, Volksschule,
FIR.
Industrie Frankreichs, Vorsitzender des Interna1920-1923
Lehre als Wagenbauer, 1923 SAJ, 1921 KJVD, 1923-1928 Mitglied der BL des KJVD in Pom-
Karl Peix (1899-1941) KPD, 1937-1941 KZ Bu-
mern, 1924-1930 in seinem Beruf tätig, 1928
chenwald, dort Stellvertreter von Walter Krämer
KPD, 1930-1933 arbeitslos. Seit 1933 in Haft,
als Kapo im Häftlingskrankenbau, zusammen mit
1933-1936 KZ Dachau, 1936/37 Zuchthaus Ich-
diesem abgelöst und in Goslar ermordet.
tershausen, 1937-1945 KZ Buchenwald, dort im Kommando der Tischlerei tätig, politischer Leiter
Franz Priester ["Frantisek"] (1902) tschechischer
für Pommern und Ostpreußen, seit 1942 Verbin-
Häftling, Kommunist,
dungsmann zum Parteiaktiv für den Bezirk Was-
Nach 1945 Rückkehr in die CSR.
KZ Buchenwald
1945.
serkante und innerhalb der Häftlingslagerleitung Hein
Karl Reimann (1900-1973) geboren in Illmenau,
Hauptmann), 1944 denunziert und verhaftet, kehrt
einer
der
beiden
Kontrolleure
(neben
1915 Lehre als Gürtler, 1917 Gefolgsmann von
aber ins Lager zurück und wird 3. Lagerältester.
Walter Stoecker in der Zuwendung zur USPD,
1945-1952 Tätigkeit in der Sozialversicherung
1918 Funktionär der kommunistischen Jugend,
und in verschiedenen Ministerien der Landesregie-
1919 KPD, 1921 Verhaftung und Verurteilung zu
rung Thüringen, 1948-1950 Gründungsmitglied
5 Jahren Gefängnis wegen "illegaler Arbeit", nach
der NDPD in Schwerin (als Parteiauftrag der
Verbüßung der Haft in Bautzen und Cottbus 1926
SED), 1952-1959 Vorsitzender des Rates des
Leitung der Roten Hilfe und des Freidenkerbun-
Kreises Sternberg, 1959-1961 Bürgermeister in
des in Erfurt. 1934 erneute Verhaftung und drei-
Boitzenburg.
jährige Zuchthausstrafe in
Marcel Paul (1900-1982) als Findekind ins Ge-
gau, dort neben Karl Barthel einer der führenden
burtsregister von Paris eingetragen, wuchs bei
Organisatoren thüringischer Kommunisten, 1938-
armen Bauern auf und mußte in früher Jugend als
1945 im KZ Buchenwald wiederum eng mit Thü-
"Kleinknecht" in der Landwirtschaft mitarbeiten,
ringer Kommunisten verbunden, in Buchenwald
Kassel-Wehlheiden,
1937 Überführung ins KZ Lichtenburg bei Tor-
513 tätig im Arbeitskommando Steinbruch, als Rohr-
triierung in die DDR, danach Kesselschmied im
leger (DAW) und vermutlich im Häftlingskran-
VEB Bergmann Borsig in Berlin, 1956 rehabili-
kenbau. 1945 Mitarbeit beim Aufbau einer Such-
tiert, später Major der Volkspolizei in der Straf-
und Auskunftsstelle für ehemalige KZ-Häftlinge in
vollzugsverwaltung. Als Rentner 1962 Parteise-
Erfurt, 1946 Wechsel in das Amt fur Handel und
kretär im Wohnbezirk und IM des MfS.
Versorgung als Kreisviehprüfer im Kreis ErfürtWeißensee, ab 1947 Sekretär der Landesleitung
Ferdinand Römhild (1903) stammte aus Frank-
der Gewerkschaft Land- und Forstwirtschaft.
furt, KPD. Seit 1935 in Haft, 1938-1945 KZ Buchenwald, dort seit 1940 als Arztschreiber im
Rudolf Renner (1894-1940) geboren in Beule,
Krankenbau tätig, seit 1943 Privatsekretär der
Kreis Schwelm, Lehre als Steindrucker, 1910
Lagerärzte Hoven und später Schiedlausky. Nach
SAJ, 1914-1918 Soldat, Spartakusbund,
1919
1945 Tätigkeit in der Frankfurter Betreuungsstelle
KPD, BL der KPD in Wuppertal, 1920 vom ZK
OdF, in den Nürnberger Prozessen gegen die KZ-
nach Sachsen geschickt, MdL und seit 1927
Arzte Hoven und Eisele als Zeuge vernommen.
Fraktionsvorsitzender im sächsischen LT, 1929 Vorsitzender der KPD in Sachsen, Chefredakteur
Otto
der "Arbeiterstimme" und politischer Leiter der
furt/Main als Sohn eines Straßenbahnarbeiters und
Roth
(1905-1969)
geboren
in
Frank-
Proletarischen Hundertschaften. 1933 verhaftet,
eines Dienstmädchens, während des I. Weltkrie-
Zuchthaus Waldheim, KZ Sachsenburg, KZ Ora-
ges Abbruch der Schulausbildung, Arbeit in einer
nienburg, seit 1939 politischer Häftling im KZ
Munitionsfabrik, 1918 Lehre als Elektriker, SAJ,
Buchenwald, dort tätig im Arbeitskommando Ge-
1920 Mitglied der Gewerkschaft, 1924 Junge So-
rätekammer, Anfang 1940 Einlieferung in den
zialisten, 1930 KPD und deren Kampfbund gegen
Krankenbau, 1940 ermordet.
den Faschismus, 1933/34 für ein halbes Jahr in-
Erich Reschke (1902-1980) geboren in Dort-
trikerkommando und verantwortlicher Leiter der
haftiert, 1939-1945 KZ Buchenwald, dort Elekmund, Lehre als Nieter im Schiffsbau in Hamburg,
seit 1943/44 bestehenden illegalen Abwehr- und
1920 DMV, 1922 KPD, Rote Hilfe, RFB, 1923
Militärorganisation. Nach 1945 Rückkehr nach
Teilnehmer am sog. Hamburger Aufstand, 1930
Frankfurt/Main, Aktionsausschuß SPD/KPD und
wegen Verbreitung von Flugblättern der RGO aus
antifaschistischer Ausschuß in Frankfürt, Leiter
dem DMV ausgeschlossen, 1930-1933 arbeitslos.
der städtischen Betreuungsstelle für OdF, 1946
1933 Verhaftung, Zuchthaus, KZ Lichtenburg,
Mitbegründer der W N , seit 1958 Sekretär des
1938-1945 KZ Buchenwald, dort Kapo im Bau-
WN-Präsidiums.
kommando, erster Lagerältester. 1945 Polizeichef in Thüringen, 1946-1948 Präsident der DVdl,
Hans Russ oder Rues (1901-1974) stammte aus
1948 Abberufung in die Zentrale Kommission für
Esslingen, 1919 Spartakusbund, Mitbegründer der
Staatliche Kontrolle mit besonderen Aufgaben,
Esslinger KPD, 1928 Delegierter beim VI. Welt-
1950 Leiter des Zuchthauses Bautzen, 1950 von
kongreß der KI, KZ Buchenwald. Nach 1945 be-
sowjetischen Organen verhaftet und als Kriegs-
teiligt am Wiederaufbau der KPD in Baden-
verbrecher zu lebenslänglicher Haft verurteilt,
Württemberg, 1946-1956 MdL für die KPD,
1951-1955 Haft in Workuta, Oktober 1955 Repa-
Stadtrat und Kreistagsabgeordneter in Eßlingen.
514
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhüftlinge
Heinrich Schäfer (1910-1945) KPD, 1938-1944
Weimar, Bahnhof Buchenwald), Bewohner des
KZ Buchenwald, Verwalter der Parteikasse der
Block 38, B-Flügel (Prominente), 1950 Fahrer bei
KPD und Kapo der Häftlingskantine, dort mit der
der Berliner Volkspolizei.
Herstellung von Parfüm beschäftigt, Anfang 1945 in einer Baubrigade in Frankreich tätig, wegen
Paul Schreck (1892-1948) geboren in Haardorf
Zusammenarbeit mit der Resistance 1945 von der
bei Zeitz als Sohn eines sozialdemokratischen
SS ermordet.
Korbmachers, Lehre als Dreher, 1908 SAJ, 1910 Gewerkschaft, 1911 SPD, nach der Lehre auf
Herbert Scheibe (1914-1991) geboren in Ho-
Wanderschaft durch das Ruhrgebiet, während des
henmölsen bei Weißenfels als Sohn einer Arbeite-
I. Weltkrieges Übersiedlung nach Mannheim, Ar-
rin, Volksschule, Lehre und Arbeit als Schriftset-
beit als Dreher, 1919 Mitbegründer der KPD in
zer,
Mannheim, Anhänger des rechten Flügels der
1929
Gewerkschaft,
KJVD,
1935-1945
Zuchthaus und politischer Häftling im KZ Bu-
Partei,
chenwald, dort zunächst im Schachtkommando,
Kreis Mannheim, 1924 verhaftet, 1926 MdL in
dann als Kapo der Poststelle tätig, Mitglied der
Baden, erneut Parteisekretär, 1927-1930 Politi-
illegalen
scher Leiter in Baden, Delegierter des VI. Welt-
Militärorganisation.
Nach
1945
1921 hauptamtlicher Parteisekretär im
Tätigkeit bei der Kriminalpolizei,
kongresses der Komintern in Moskau, 1928-1932
1947 Besuch einer Polizeischule, 1948/49 Leiter
MdR. 1933 verhaftet, KZ Heuberg und Kißlau,
der Kriminalpolizei in Görlitz, 1949/50 militäri-
bei Vernehmungen schwer mißhandelt, 1935 ent-
KPD/SED,
scher Sonderlehrgang in Priwolsk in der SU,
lassen, 1939 erneut verhaftet und bis 1945 im KZ
1950/51 Stellvertreter des Kommandeurs der Po-
Buchenwald, dort tätig in der Häftlingsbeklei-
lizeibereitschaft in Prenzlau, 1951-1956 Abtei-
dungskammer und als Kapo der Strumpfstopferei,
lungsleiter, später Chef der Verwaltung im Stab
wurde 1943 dritter Lagerältester, im Oktober
HV fur Ausbildung der VP bzw. KVP, 1956/57
1944 nach Reschkes Verhaftung zweiter Lageräl-
als Oberst Leiter der Verwaltung Aufklärung im
tester. Im Mai 1945 Rückkehr nach Mannheim,
MfNV, 1957-1959 Besuch der Akademie des Ge-
Politischer Leiter der KPD in Baden, MdL und
neralstabs der Streitkräfte der UdSSR mit Ab-
Stellv. Vors. der Gewerkschaften in Württemberg-
schluß als Dipl. rer. mil., 1959-1967 Stellvertre-
Baden, 1947 Gewerkschaftssekretär der IG Me-
ter, später Chef des Stabs, 1967-1972 Chef der
tall, kam 1948 bei einem Autounfall ums Leben.
Luftstreitkräfte der NVA, 1967-1976 Kandidat und 1976-1986 Mitglied des ZK der SED, 1972-
Willi Seifert (1915-1986) Sohn eines Bauarbei-
1985 Leiter der Abteilung Sicherheit des ZK der
ters aus Plauen, Maurerlehre, Jung-Spartakus, bis
SED, als Generaloberst 1986 in den Ruhestand
1928 Kinderfreunde, 1931 KPD, 1933 arbeitslos.
gegangen.
1934 Verhaftung, 1935-1938 Zuchthaus Waldheim, anschließend bis 1945 KZ Buchenwald, dort
Alfred Scherlinski (1899) etwa seit 1925 KPD,
seit 1941 Kapo in der Arbeitsstatistik.
1934 verhaftet wegen Besitzes illegaler Druck-
Stadtkämmerer in Plauen, 1946 Stellv. Chef der
schriften, seither Haft und KZ, 1937-1945 politi-
DVP in Sachsen, 1946-1957 Vizepräsident der
scher Häftling im KZ Buchenwald, Kapo von
DVdl, bzw. der HVDVP fur die SBZ, 1949-1956
Baukommandos (Entwässerung, Zweckverband-
Generalinspekteur,
1957-1983
1945
Generalleutnant
515 der VP und Stellv. Mdl der DDR, im Range eines
einer der deutschen Vertreter im Internationalen
Generalleutnants zuständig fur die Generalinspek-
Lagerkomitee. 1945 Mitgl. der BL bzw. LL der
tion der Polizei, der Volkspolizei-Bereitschaften
KPD/SED in Sachsen-Anhalt, erster Vizepräsi-
(Bausoldaten) und für die Kampfgruppen, 1961
dent der Provinzialverwaltung, Innenminister von
als Mitglied des Stabs des Nationalen Verteidi-
Sachsen-Anhalt;
gungsrates mitverantwortlich fur den Bau der
(angebl.
Berliner Mauer.
Zugehörigkeit) Abteilungsleiter im Ministerium
wegen
nach
Amtsenthebung
seiner
früheren
1950 KPO-
für Aufbau, dann Ministerium für Bauwesen der Otto Sepke [auch Seppke] (1910) stammt aus
DDR, Leiter des Sekretariats örtliche Organe,
Halle, KPD, 1939-1945 politischer Häftling im
wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit 1947 Mitglied
KZ Buchenwald, dort tätig in den Arbeitskom-
des Präsidiums der VVN, später der Zentrallei-
mandos Klinkerwerk Berlstedt und Häftlingsbe-
tung des Komitees der antifaschistischen Wider-
kleidungskammer. Nach 1945 erster Kreissekretär
standskämpfer, des Buchenwaldkomitees und des
der SED in Greifswald, Vorsitzender der KPKK,
Präsidiums der FIR, seit 1967 Parteiveteran.
danach der LPKK in Mecklenburg, 1950-1954 Kandidat der ZPKK, seit 1950 hauptamtlicher
Nikolai Simakow (1915-1970) KPdSU, 1941-
Mitarbeiter der ZPKK und seit 1952 Mitglied der
1945 russischer Häftling im KZ Buchenwald,
ZPKK, 1967 erneut in die ZPKK berufen.
Häftlingspfleger, Mitglied des Internationalen Lagerkomitees, nach 1945 Ingenieur.
Robert Siewert (1887-1973) Sohn eines Zimmermanns aus Schwersens/Posen, Maurerlehre,
Iwan Smirnow (1898-1967) KPdSU, 1943-1945
1906-1919
er
russischer Häftling im KZ Buchenwald, Pfleger in
1913/14 Sekretär des Schweizerischen Bauarbei-
der Fleckfieberversuchsstation, Mitglied des russi-
terverbandes,
an der
schen Komitees im Lager, Leiter der illegalen mili-
Ostfront, 1918/19 Spartakusbund/KPD, Mitgl. ei-
tärischen Sektion, Mitglied des Internationalen
SPD,
auf Wanderschaft wird
1915-1918 Kriegsdienst
nes Soldatenrats, 1920-1929 MdL Sachsen und
Lagerkomitees. Nach der Befreiung Mitglied der
führender Funktionär des KPD-Bezirks Erzgebir-
Repatriierungskommission, Invalidenrentner.
ge/Vogtland, 1920-1924 Mitgl. der Zentralausschusses der KPD, 1922 Delegierter zum IV
Henryk Sokolak (?) 1940-1945 polnischer Häft-
Weltkongresses der KI in Moskau, organisiert er-
ling im KZ Buchenwald, arbeitete als Saalpfleger
ste Arbeiterdelegationen in die UdSSR, seit 1925
im Revier, 1941 polnisches Mitglied der KPD, seit
Leiter von Parteiverlagen (Viva, Einheit), 1929
1942 Mitglied der Abwehr-Gruppe, Mitglied des
wegen Zugehörigkeit
Internationalen Lagerkomitees im KZ Buchen-
zur KP-Opposition
um
Brandler und Thalheimer ausgeschlossen, Mitgl.
wald, Verbindungsmann zur polnischen Gruppe.
der BL Westsachsen der KPO, Verlagsleiter ihrer
Nach 1945 Tätigkeit im MfAA, Botschafter.
Tageszeitung "Arbeiterpolitik" in Leipzig und Berlin. 1933 Org.-Leiter der illegalen Reichslei-
Robert Steidle (1881-1940) Führer der österrei-
tung der KPO, 1935 Verhaftung und Verurteilung
chischen Heimwehr und Generalkonsul, nach der
zu 3 Jahren Zuchthaus (Luckau), 1938-1945 KZ
Besetzung Österreichs im September 1938 im KZ
Buchenwald, dort Kapo eines Baukommandos,
516
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
Buchenwald interniert, am 30.8.1940 "auf der
zum Verbot der KPD 1956 zweiter Sekretär der
Flucht erschossen".
Landesleitung der KPD in Hessen.
Walter Stoecker (1891-1939) geboren in Köln-
Hans Sündermann (1900-1966) Funktionär der
Deutz als Sohn eines Ingenieurs,
KPÖ, 1939-1945 KZ Buchenwald, dort tätig in
Volksschule, Oberrealschule
1901-1907 in
Köln,
1897-1901
Handelsschule, wegen
1907
der Strumpfstopferei und in der
Pathologie,
finanzieller
1943/44 österreichischer Vertreter im illegalen
Schwierigkeiten der Familie Abbruch der Schul-
Internationalen Lagerkomitee; gehörte zu den im
ausbildung, Volontär in einer Maschinenfabrik,
Gefolge der Thälmann-Gedenkfeier im Winter
1908 SAJ, 1909 SPD, Arbeit als Redakteur sozi-
1944/45 im Gestapo-Gefängnis Weimar und im
aldemokratischer Zeitungen, 1915 zum Kriegs-
Gefängnis Ichtershausen festgehaltenen Häftlin-
dienst eingezogen, 1917 in Mazedonien verwun-
gen. Nach der Befreiung Ehrenmitglied des öster-
det, 1917 USPD, 1920 Mitglied der Gastdelegati-
reichischen Nationalkomitees der Häftlinge.
on der USPD beim II. Weltkongreß der KI, 1920 KPD, führendes Mitglied des ZK der KPD und
Rudi
MdR. 1933 verhaftet, KZ Sonnenburg und KZ
Häftling im KZ Buchenwald, Mitglied des Inter-
Lichtenburg, 1937-1939 KZ Buchenwald, dort im
nationalen Lagerkomitees. Nach 1945 Dozent an
Arbeitskommando Fußbodenleger, Mitglied der
der Universität Zagreb.
Supek
(1913)
1944/45
jugoslawischer
illegalen Parteileitung, starb im Frühjahr 1939. Georg Teucher (1909-1961) KPD, 1938-1945 August Stütze! (1898-1963) stammte aus dem
KZ Buchenwald, dort in der SS-Küche tätig.
Ruhrgebiet, Bergarbeiter, 1919 KPD. 1933 ver-
Nach 1945 Tätigkeit bei der Kripo Leipzig.
haftet, als politischer Häftling im KZ Buchenwald, dort zeitweise Kapo oder Vorarbeiter. Nach 1945
Ernst Thape (1892-1985) geboren in Klein
Tätigkeit beim ZK der SED, seit 1950 Mitglied
Aga/Thüringen, Ausbildung als Maschinenschlosser, SPD, bis 1932 Redakteur der sozialdemokra-
der ZPKK.
tischen Parteipresse in Magdeburg, Hermann Strobel (1915) KPD, 1938-1945 Häft-
1939-1945
KZ Buchenwald, dort Mitbegründer des deut-
ling im KZ Buchenwald, dort zunächst tätig im
schen Volksfrontkomitees 1944. Nach der Befrei-
Steinbruch, in der Tischlerei und dann im Kran-
ung Mitglied des Deutschen Komitees, Vorsitzen-
kenbau. Nach 1945 Mitarbeiter im Rat der Stadt
der der SPD in Sachsen-Anhalt, 1946 SED, Mit-
in Karl-Marx-Stadt.
glied der Provinzialkommission zur Durchführung der Bodenreform, Anfang 1946 Vizepräsident der
Heinrich Studer (1899/1900-1964) stammte aus
Provinz Sachsen, 1946-1948 Kultusminister in
einer hessischen Arbeiterfamilie,
Sachsen-Anhalt, 1948 Flucht in den Westen.
1917 DMV,
1920 KPD. 1933 verhaftet, drei Jahre Zuchthaus, 1939-1945 KZ Buchenwald, dort tätig in der
Herbert
Häftlingsbekleidungskammer, Mitglied des Lager-
Taucha, KPD. Seit 1933 inhaftiert, 1937-1945 KZ
schutzes, Leiter der seit 1943/44 bestehenden ille-
Buchenwald, dort als Elektriker tätig, Mitglied
galen Militärorganisation der KPD. Nach 1945 bis
des illegalen Parteiaktivs. Nach 1945 Bürgermei-
Thiele
(1910-1992)
stammte
aus
517 ster in Taucha, leitende Funktionen im Außenhan-
dort
in den
Arbeitskommandos:
Straßenbau,
del.
Bauleitung, Zimmerei, Lagertischlerei und Schumacherei; Mitglied der illegalen Parteileitung.
Helmut Thiemann [Pseudonyme: Rolf Markert,
Nach 1949 für 20 Jahre im Außenhandel der DDR
Rolf Hellmuth oder Helmuth] (1914) trat der
tätig: Handelsattachee der DDR in China und
Pionierorganisation bei, als sein Vater, ein Mau-
Handelsrat der DDR in Jugoslawien.
rer, wegen Teilnahme am Mitteldeutschen Aufstand 1923 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt,
Arthur Ullrich (1894-1969) geboren in Gör-
allerdings amnestiert wurde und im selben Jahr
litz/Schlesien,
emigrierte; lebte bei seiner Mutter in großer Not,
I. Weltkrieg Soldat, kurzzeitig USPD-Mitglied,
1928 KJVD und Lehre als Klavierbauer, entlas-
1918 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates,
sen, Maurer; 1931 Untergaufiihrer der illegalen
1920 KPD, 1926 Mitglied der BL in Schlesien,
Jungfront, 1931-1934 Lettland und Sowjetunion,
1929 Kandidat des ZK, 1933 MdR. 1935 KZ
dort Jugendfünktionär und (wahrscheinlich) ge-
Dürrgoy und Moorlager Esterwegen, 1938-1945
heimdienstliche Ausbildung. Nach der Rückkehr
KZ Buchenwald, dort Kapo des Fleckfieberkom-
Lehre
als
Elektriker,
im
nach Deutschland verhaftet und zu 3 Jahren
mandos, Mitglied des Internationalen Lagerkomi-
Zuchthaus verurteilt (Luckau, Moorlager), 1938-
tees. Nach 1945 Parteifunktionär in Görlitz, dann
1945 KZ Buchenwald, dort Pfleger im Kranken-
in Dresden,
bau und Mitglied des Abwehrapparats des KPD-
Landesleitung Sachsen, 1949 Vorsitzender der
1946-1952
Mitglied
der
SED-
Parteiaktivs. 1945 KPD-Funktionär in Sachsen,
LPKK in Sachsen und später im Bezirk Dresden,
1946 Personalchef der sächsischen Volkspolizei,
1952-1960 Mitglied der SED-Bezirksleitung in
1948 Chef K-5, also der politischen Polizei in
Dresden, 1958 Vorsitzender der BPKK, 1958-
Sachsen, 1949 Stellv. Leiter des MfS in Sachsen,
1960 Vorsitzender der BRK, seit 1969 Parteivete-
dann Leiter versch. Abt. im MfS Berlin, seit 1953
ran.
Leiter der Bezirksverwaltung Dresden des MfS. Toni Waibel (1899-1969) geboren in Dewangen Georg Thomas (1944) stammte aus München,
bei Aalen, Angestellter, 1907 SPD, 1918 Sparta-
KPD. 1933-1944 Haft und KZ, Lagerältester im
kusbund/KPD,
KZ Buchenwald,
schusses Würzburg der Bayerischen Räterepublik,
Außenlager
Dora-Mittelbau.
Vorsitzender
des
Aktionsaus-
1944 erhängt, weil er sich weigerte, einen aus-
danach zu
ländischen Mithäftling zu töten.
Flucht aus der Haft, 1921-1923 Studium in Mos-
15 Jahren Festungshaft verurteilt,
kau und Aufbau der internationalen Schule, InJosef Trümmer (1877-1940) Österreicher, Ge-
strukteur des ZK der KPD, Funktionär der Roten
fängnisdirektor, nach der Besetzung Österreichs
Hilfe in Deutschland,
im September 1938 im KZ Buchenwald interniert,
Württemberg der KPD. 1933 verhaftet, KZ Kuh-
am 13 .3.1940 „auf der Flucht" erschossen.
berg bei Ulm, Flucht von dort, später KZ Dachau
1932 Mitglied der BL
und KZ Buchenwald, dort "wegen Passivität" aus Werner Türpe (1909-1985) KPD, 1933 verhaf-
der KPD ausgeschlossen. 1945-1947 Sekretär der
tet, 12 Jahre Zuchthaus und KZ, darunter KZ
KPD in HermsdorfTBerlin und bis 1950 Vorsit-
Sachsenburg und 1938-1945 KZ Buchenwald,
518
Kurzbiografien mehrfach erwähnter Buchenwaldhäftlinge
zender der dortigen W N , 1951/52 als "Trotzkist"
1949 Landesvorsitzender des FDGB in Thürin-
aus der Partei ausgeschlossen.
gen.
Gustav Wegerer (1897) geboren in Wien, Inge-
[Karl] Friedrich Wolff [Fritz Wolff] (1892-1943/
nieur, österreichischer Kommunist, Mitglied des
1945) stammte aus einer jüdischen bürgerlichen
Zentralkomitees der KPÖ, lebte längere Zeit in
Familie, Oberleutnant der Reichswehr. 1939/40
der SU. 1938-1945 politischer Häftling im KZ
Lagerältester im "Kleinen Lager" des KZ Bu-
Buchenwald, Kapo in der Pathologie, nach der
chenwald, 1941 wegen seiner "Verdienste" von
Thälmannfeier im Oktober 1944 verhaftet und in
der SS arisiert, 1942/43 als erster Lagerältester im
Gestapo-Haft. Nach 1945 im Informationsbüro
KZ eingesetzt. W. führte einen Kampf gegen die
beschäftigt.
Majorität der kommunistischen Kapos, unterlag aber und wurde 1943 von der SS als Funktions-
Herbert Weidlich (1910-1991) KPD, bis 1938
kraft auf Transport nach Peenemünde geschickt,
Sekretär der Deutschen Emigranten in der Tsche-
wo er bei einem Bombenangriff ums Leben kam;
choslowakei. 1939-1945 politischer Häftling im
sein Nachfolger als Lagerältester wurde Erich
KZ Buchenwald, dort stellvertretender Kapo der
Reschke.
Arbeitsstatistik. Nach 1945 Leiter einer Volkspolizei-Schule in Sachsen, Mitarbeiter im Mdl, Pro-
Ludwig Wolf (1906-1981) KPD,
fessor an der Hochschule der Volkspolizei in
politischer Häftling in Buchenwald, Mitglied der
Berlin.
Parteileitung Bezirk Hessen. Nach 1945 W N -
1939-1945
Leitung in Frankfurt/Main. Heinrich Weingärtner (1902) geboren in Karlsruhe. 1939-1942 KZ Buchenwald, dort 1941/42
Walter Wolf (1907-1977) geboren und aufge-
Kapo im Krankenbau als Vorgänger Ernst Busses,
wachsen in Gotha als Sohn einer traditionellen
1942 auf Transport geschickt. Nach 1945 Leiter
Arbeiterfamilie (Großvater war Leinenweber und
der Fahndungsabteilung bei der Kriminalpolizei in
1875 Mitglied der SPD geworden; sein Vater, von
Braunschweig, 1959 Invalidisierung.
Beruf Gürtler, SPD und später KPD; Geschwister ebenfalls links orientiert), 1920-1928 Deutsche
Robert Winterstein (1874-1940) in den Jahren
Aufbauschule, 1928 Abitur, 1928-1931 Pädago-
1935/36 österreichischer Justizminister und Gene-
gikstudium in Jena, Mitarbeit im Freidenkerver-
ralprokurator der Staatsanwaltschaft in Wien.
band in Gotha, 1929 Mitglied des KJV in Thürin-
Nach dem "Anschluß" Österreichs im September
gen, 1929/30 Leiter der Roten Jungpioniere, 1931
1938-1940 im KZ Buchenwald interniert, dort in
Examen und Kandidat als Volkschullehrer fur den
der Strumpfstopferei tätig, am 13.4.1940 im La-
Freidenker-Unterricht, seit 1930 KPD, 1931-1933
ger gestorben.
Leiter der sog. Lehrerfraktion im Auftrag der BL Thüringen, 1933 strafversetzt nach Kulm, illegale
Paul Woitkowski [Frank] (1892-1960) KPD,
Arbeit. 1937 Verhaftung zusammen mit einer ille-
1928-1933 MdL in Preußen.
1933 verhaftet,
galen kommunistischen Lehrergruppe, 1938-1945
1937-1945 KZ Buchenwald, dort tätig im Bewäs-
KZ Buchenwald, dort seit 1943 Kapo der Geräte-
serungskommando und in der Waffenmeisterei.
kammer, Strafkompanie, Steinbruch, zuletzt Kapo
519 der Schreibstube, Bewohner des Prominenten-
in Köln, erster Sekretär der BL Mittelrhein, Mit-
Blocks 38, Mitglied der internationalen Propa-
glied des Parteivorstandes der KPD, Frühjahr
gandakommission und Mitwirkung am Aufbau der
1946 parteiinterne KPD-Untersuchung gegen Zil-
illegalen
Richard
les wegen "nicht parteimäßigen Verhaltens", 1946
Großkopf, Mitbegründer des deutschen Volks-
SED, 1946-1949 Mitarbeiter der Westkommissi-
frontkomitees 1944. Nach
on im ZS der SED, Übersiedlung in die SBZ,
Abwehrorganisation
unter
1945 Min.f.Volks-
bildung in Thüringen, 1947 Direktor des Instituts
1949 stellvertretender Intendant
fur dialektischen Materialismus an der Universität
Rundfunks und Deutschlandsenders; nach der
Jena, 1949-1953 Professur für Pädagogik an der
Verhaftung des
Intendanten
Leo
des Berliner Bauer
als
Unviersität Leipzig, danach an der Pädagogischen
"Agent" wurde Z. sein Nachfolger, 1952 Parteirü-
Hochschule
ge, kurzzeitige Degradierung zum Leiter des Lan-
Potsdam,
dort
Stellvertreter des Rektors,
1953-1961
erster
1970 Ordentliches
Mitglied der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Jiri Zak [Georg] (1917-1981) Mitglied
der
tschecholsowakisehen KP, 1939-1945 KZ Buchenwald, dort in der Gärtnerei, Zimmerei, im Büro der DAW und in der Häftlingsschreibstube tätig. Nach 1945 Journalist in Prag, nach 1968 Übersiedlung nach Hamburg. Hermann Zilles (1903-1956) geboren in Köln, Ausbildung als kaufmännischer Angestellter, seit 1930 KPD, Lehrer der MASch. 1933-1935 in Haft,
1936-1940
Emigration
nach
Holland,
1937/38 Kurier und Instrukteur zwischen Amsterdam, Duisburg und Düsseldorf, 1940 Verhaftung durch die Fremdenpolizei und Internierung im Lager Hoek van Holland, nach der Besetzung Hollands Auslieferung an die Gestapo, 1943 in den SV-Block (d.i. Sicherheits-Verwahrung) des KZ Buchenwald eingewiesen, deren Häftlinge für Versuchszwecke der SS bestimmt waren; nach seinem Anschluß an das Parteiaktiv (Mittelrhein) wurde Z. Pfleger auf der TBC-Station des Reviers, später kam er in den Stubendienst. Nach der Befreiung Rückkehr nach Köln, Einrichtung einer Hilfsstelle fur OdF, Fraktionsvorsitzender der KPD in der ersten Stadtverordnetenversammlung
dessenders Halle.
520 II
1937
1938
Chronologie der „Häftlingsselbstverwaltung" nach Erinnerungsberichten LA I
LA I
Hubert Richter (BV)
Paul Henning (BV)
Paul Henning (BV)
LA I
Arbeitsstatistik
Schreibstube
Häftlingskrankenbau
Kammern Magazine Kantine
Willi Jahnke (KPD)
Willi Klangwarth (Polit.)
Andreas Höfel (KPD) Bekleidungskammer
Wilhelm Mohr (Polit.)
Otto Halle (KPD) Bekleidungskammer
Hubert Richter (BV) Fritz Männchen (KPD)
Arthur Wyschka (KPD)
? 1939 Arthur Wyschka Karl Barthel (KPD) Emst Frommhold (KPD)
Emst Frommhold (KPD) Emst Busse (KPD)
Hubert Richter (BV) getötet am 23.03.39 Karl Barthel (KPD) Johann Bechert (KPD)
1941
1942
Walter Kramer (KPD) getötet am 06.11.1941
Hubert Niedziella (KPD)
Erich Reschke (KPD) Johann Bechert (KPD) getötet am 02.03.1943
Willi Bleicher (KPO) Effektenkammer
Karl Peix (Stellv. KPD)
1940 Emst Busse (KPD)
Karl Wack (SPD)
Kart Barthel (KPD)
M. Jahreis (polit)
Erich Reschke (KPD) Franz Legowsky Willi Seifert (KPD)
Hans Neumeister
(KPD)
Heinrich Weingartner Emst Busse (KPD)
Josef Ohles (BV) getötet am 08.06.1942 Fritz Wolff denunziert und auf Transport Juni 1943
Karl Keim (KPD)
Machtkampf im Lager Erich Reschke (KPD)
1943
Hans Eiden (KPD)
Erich Reschke (KPD)
Paul Schreck (KPD)
Herbert Weidlich (Stellv. KPD)
Otto Kipp (Stellv. KPD)
Karl Gartig (KPD) Kantine Walter Wolf (KPD) Geratekammer
= 1944 Hans Eiden (KPD) 1946
Lagerschutz
Karl Pankow (KPD)
Heinz Bausch (KPD) Effektenkammer
Leitung ill. KPD
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I 1943 I 1944 1 1945 1 I 1941 I 1942 1937 | 1938 I 1939 I 1940 Häftl.-Schreibstube; Kapo: polil.: W. Jahnke -1938, K. Wack -1940; M. Jahreis -Jan. 1941 Jan.-Juli: BV + ab 5.1. Sonderlager 2000 nissischer Kriegsgefangener im Block 7 + 1 3 Bücherei, Buchbinderei; Kapo: polit. Ant. Gebier; -Arbeitsstatistik K.HäfU. Sept.-Dez.: Lagerält.: BV Herrn. Zinkand 5666 Baubüro: Kapo: BV Greuls, polit. All. Ullrich; H.-Post: W. Bludau Polen BI.Ä.: BV Stubd.: BV Spieker 6719, BV E. Pieper 3889, Pole Wierzbowski 7173 Amlung 3483 -Aug.: BV + Bifo Juli-Sept.: Polen Juli-Aug.: Politische Häftlingspoststelle -März: polit. Rückf. Pathologie, Kapo: polit. Gustav Wegerer Okt.: polit. Rückf. -Aug.: BV, Okt.-Dez.: Politische Poliz. H. BV, Homo, Bifo, Polen, Okt.: Juden 10.9.: 266 HäfU. Juden Nov.: österr. Poliz. Häftl. BV BV BV -Okt.: Polit + Aug.: polit. Rückf. Jan -Mai: BV Jan.-20.4, Jan.-März: Polit. + Politische Komman5.4.: 447 Häftl. Kommdrt. dierte BV, Bifo Mai-Aug.: Politische Schwarzer Bunker Poliz. H. Nov.-Dez.: BV Sani: 6010 März-Sept.: Jud. + Sept.-Dez.: Juden Polen Nov.-Dez.: Polit. Kdrt. BV BV 5.4.: 452 BV HäftJuni: Polit + Holld. BV -Mai: BV -April: Strafkomp. Jan.-Feb.: Juden -Okt.: Russen linge Bibelforscher Jun.-Sept.: Polit. rii. April: Politische + Bifo -Dez.: BV Juni-Dez.: StrafBI.Ä.: polit. G Siegelt 1735 komp. Sept.-Dez. ASR Sani BV Alf. Falldorf 3169
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Polen 5.4.: 441 Häftlinge
Polen 5.4.: 451 Häftlinge
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Aufnahme 1 5.4.: 321 Häftlinge Bl. Ä.: polit. Gg. I Schuchard ι -Sept.: Russen 1 Febr.-Nov.: Franzo- Polen + Franzosen Mä.-Apr.: ASR. sen 5.4.: 473 Häftlinge Holld., BV Bl. Ä.: polit. Κ Böck Jan.-Jul.: Russen, Apr.-Dez.: Franz. + ASR, Norweg., Bifo. 8 Pol. Std.: russ. Mich Sept.-Dez.: Polen Petrow 998 -Dez.: Russen Tschechen + Febr.-Mä.: Holld. + tschech. Poliz. H. Pol. Mai-Dez.: Tschech.
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Polen -Mai: ASR Juni-Aug.: poln. Jud. Sept.: Politische -Dez.: Polen Juden Juden
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-Aug.: Juden Okt.-Nov.. ASR Nov.-Dez..: Zigeuner
März: Sicherungs-V. Juli-Dez.: Holland. -Dez.: Franzosen
Jan.: ASR Febr.-Dez.: Bifo Nov.-Dez.: Franzosen Polen
-Juli: Holländer Aug.-Dez.: Bifo
-März: ASR Aug.-Dez.: polit. Holld.
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Lagerfeuerwehr 5.4.: 335 Häftlinge
Jan.-Juli: Juden Okt.: ASR Nov.-Dez.: Zigeuner
-Aug.: Politische Wehninwürdige Tschechen
-April: Polen + Russen Nov.: Wehrunwürd.
ab 5. Jan. Sonderlager 2000 russischer Kriegsgefangener mit Bl. 1 + 7
-Febr.: ASR + ASRHolld. -Aug.: BV Sept.-Dez.: Russen Apr.-Mai: BV, ASR, Holld., Franzosen, Tschechen Aug.-Okt.: Pol. + Russ.
| 1944 I 1945 Politische, Franzos. Franzosen Italiener französ. 5.4.: 335 Häftlinge Polizei-H.
Jan.-Aug.: ASR Nov.-Dez.: russ. Kriegsgef.
Aufnahmeblock. Nov.: Tschech, Dez.: Franz. Bl. Ä.: polit. Emst Heske 5126
Okt.: ASR
I 1942 I 1941 1 1943 Jan.: Juden Jan.: Juden Jan.-Okt.: BV Mai: Polen Zugänge K-Kompanie Nov.-Dez.: FranzoDez.: BV Polit., Holld., Polen sen Dez.: BV
ASR
I 1940 Juden
Jan.-Juli: Juden Sept.-Dez.: ASR
-März: Juden Homo, Rassenschänder
I 1939 Juden
Juden
Jan.-Sept.: BV Nov.-Dez.: ASRJuden Jan., Juni, Sept, Okt.: BV Aug.-Sept.: ASR Nov.-Dez.: Juden -Mäiz: Politische -Sept.: Bibelforsch. Okt.-Dez.: ASR+Juden
| 1938 -März: BV -Juni: Politische Aug.: ASR Sept.-Dez.: ASRJud. -Mai: Polit. Juni-Aug.: ASR Sept.-Dez.: ASRJud.
Aug.-Sept.: BV -März: Bibelforsch. Okt.-Dez.: Bifo | Apr.-Juni: Politische 10.9.: 245 Häftlinge Sept.: ASR Okt.-Dez.: Juden
Sept.: BV 10.9.: 267 Häftl. Okt.-Dez.: Polit.
Aug.-Okt.: Polit. 10.9.: 252 Häftl. Dez.: BV 10.9.: 251 Häftl. Nov.: BV
1937 Aug.-Sept.: Bifo 10.9.: 262 Häftl. Okt.-Dez.: BV
522 Chronologische Übersicht der Blockbelegung des KZ Buchenwald i
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ASR
| -Sept.: ASR Okt.: BV Dez.: Politische
April: Bifo. Mai: Politische Juni-Dez.: ASR
Apr.-Juni: Polit. Juni-Dez.: ASR
März-Juni: Politische + Ausweisungs. H. Aug.-Dez.: ASR
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Mai: Politische Juni-Dez.: ASR
Jan.-Aug.: ASR Sept.-Dez.: Polen
ASR
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3 «s ASR + Zigeuner
-Sept.: ASR Okt.-Dez.: Juden
ASR
ASR
April: ASR Apr.-Aug.: Juden Sept.-Dez.: ASR
Juden
Jan.-Juni + Nov.' Dez.: ASR Aug.: Politische
1
1
1 Jan.-Apr.: Tschech. Nov.-Dez.: Polen
1
Polen
-April: ASR Juli-Sept.: BV Okt.: Polen
Juden
Jan.-Febr.: BV -Sept.: Polen, Juden
Polen
ASR Dez.: Polen
ASR
Juden Bl. Ä.: Emil Carlebach
Aug.-Nov.: Russen
-Mai: Juden -Juli: ASR, Bifo, Polit. Aug.-Okt.: Russen Dtz.: Poliz. Häftlinge
Mä.-Okt.: Juden Dez.: Holländer
Polen
-April: Polen Juni-Dez.: Arbeitserziehgs. Haft.
Okt.-Dez.: Russen Dez.: ASR
-April: Juden Mai-Nov.: Poliz. H. Juli-Dez.: BV
Juden
Polen
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