Der geschlossne Handelsstaat: Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik mit einem bisher unbekannten Manuskript Fichtes "Ueber Staatswirtschaft" 9783787326136, 9783787304646

Mit dem Entwurf eines merkantilistischen, autarken und sozialen Ständestaates liefert Fichte eine der geschlossensten Ko

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German Pages 146 [222] Year 1979

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Der geschlossne Handelsstaat: Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik mit einem bisher unbekannten Manuskript Fichtes "Ueber Staatswirtschaft"
 9783787326136, 9783787304646

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JOHANN GOTTLIEB FICHTE

Der geschloßne Handelsstaat Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik mit einem bisher unbekannten Manuskript Fichtes "Ueber StaatsWirthschaft"

Auf der Grundlage der Ausgabe von FRITZ MEDICUS herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von HANS HIRSCH

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 316 1910 1922 1943 1979

Enthalten in der Ausgabe »Johann Gottlieb Fichte, Werke. Auswahl in 6 Bänden« herausgegeben von Fritz Medicus, in Band III, S. 417–543, PhB 129. Zweite Auflage als Einzelveröffentlichung PhB 129d, neu heraus gegeben von Fritz Medicus. Unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage. Dritte durchgesehene Auflage (PhB 316) nach dem Erstdruck von 1800, erweitert um den Anhang »Ueber StaatsWirthschaft«, herausgegeben und mit Einleitung, Anmerkungen, Bibliographi schen Hinweisen, Namen- und Sachverzeichnis versehen von Hans Hirsch.

Vorliegende Ausgabe: Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der Ausgabe von 1979 identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-0464-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2613-6

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1991. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­ papier, hergestellt aus 100 % chlor­f rei gebleich­tem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.

Inhalt Einleitung. Von Hans Hirsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Einordnung des ,Geschloßnen Handelsstaats' in Fichtes Gesamtwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beiträge zur Entwicklung des wirtschaftlichen Denkens 1. Fichtes Bild der vernunftgemäßen wirtschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der "Geschloßne Handelsstaat" als sozialistische Planwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Stellung des "Geschloßnen Handelsstaates" in der Entwicklung der sozialistisch-planwirtschaftliehen Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fichtes Beitrag zur Geldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur Wert- und Preislehre Fichtes . . . . . . . . . . . . . . 6. Zur Entstehung und Entwicklung von Fichtes Wirtschaftsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9* 9* 12* 12* 17 • 24* 30* 3 3• 42 •

III. Das Verhältnis der leitenden Ideen der Fichteschen Wirtschaftsordnung zu seiner praktischen Philosophie . . 45* 1. Freie Selbsttätigkeit in der Planwirtschaft? . . . . . . . . 45 • 2. Freiheit des Einzelnen und Vernunftstaat . . . . . . . . 49* 3. Zur Kritik des Fichteschen Modells der Wirtschaftsordnung, insbesondere seines "Eigentums"-Begriffs . . 54* 4. Freiheit oder Gleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56* 5. Was folgt aus Fichtes praktischer Philosophie für die Frage der Wirtschaftsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . 57* IV. Zur Textgestalt*

61*

V. Anmerkungen .

63*

•zum vergleichenden Nachschlagen von Seitenzahlen bisheriger Ausgaben und der vorliegenden siehe Anmerkung auf folgender Seite.

Inhalt

johann Gottlieb Fichte Der geschloßne Handelsstaat Zueignung ....

. ......... 3

Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung. Vom Verhältnisse des Vernunftstaates zu dem wirklichen und des reinen Staatsrechts zur Politik . . . . . .

9 . . 11

Erstes Buch. Philosophie.- Was in Ansehung des Handelsverkehrs im Vernunftstaate Rechtens sei (Erstes bis Siebentes Kapitel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Zweites Buch. Zeitgeschichte. -Vom Zustande des Handelsverkehrs in den gegenwärtigen wirklichen Staaten (Erstes bis Sechstes Kapitel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Drittes Buch. Politik. -Wie der Handelsverkehr eines bestehenden Staates in die von der Vernunft geforderte Verfassung zu bringen sei; oder, von der Schließung des Handelsstaates (Erstes bis Achtes Kapitel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Anhang: johann Gottlieb Fichte, Ueber StaatsWirthschaft ... 129 Wort- und Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5 Bibliographische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 • Zum vergleichenden Nachschlagen befinden sich oberhalb der Textzeilen folgende Seitenangaben (BeispielS. 13): (1)

Zu (1)

(2)

(3)

(4)

429 I III,399 I 7,9-10 13 Die Seitenangabe am Innenrand bezieht sich auf die Ausgabe ,.Johann Gottlieb Fichte, Werke. Auswahl in sechs Bänden", Band III (Leipzig 1910, Darmstadt 1962), hier: S. 429. Die Seitenabgren-

Inhalt

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zung ist mit der der Einzelveröffentlichungen PhB 129d (1922, 1943) und (4) identisch, wobei die Seitenzählung der PhB-Ausgaben von 1922 und 1943 mit der vorliegenden (4) übereinstimmt. Zu (2) Die Seitenangabe zwischen den Schrägstrichen bezieht sich auf die Ausgabe "Johann Gottlieb Fichte's sämmtliche Werke" (Berlin 1845/46), hier: Band III, S. 399. Die Seitenabgrenzung zu (1) und (4) weicht nur geringfügig, in nur 10 Fällen um mehr als zwei Zeilen ab. Zu (3) Seitenangaben der Erstausgabe von 1800, hier: 7, 9-10. Die senkrechten Striche im laufenden Text zeigen die Seitenabgrenzung der Erstausgabe an. Zu (4) Die Seitenangabe am Außenrand bezieht sich auf diese Ausgabe. In der Erstausgabe von 1800 sind die Seiten x 1-x22 ohne Seitenzählung geblieben. Den Seitenzahlen ist darum ein x vorangestellt. Kursiv sind alle die Seitenzahlen gesetzt, die in den Ausgaben nur blind gezählt, nicht gedruckt sind.

Einleitung I. Zur Einordnung des ,Geschloßnen Handelsstaats'

in Fichtes Gesamtwerk

,Der geschloßne Handelsstaat', erschienen 1800, gehört zu den. meistgenannten Schriften J ohann Gottlieb Fichtes 1 •2 . Es gibt mehr als vierzig Bücher, Broschüren und Aufsätze, die sich ganz oder hauptsächlich mit dieser Schrift befassen, mehr als zwanzig, die sich schon im Titel auf sie beziehen; in dieser Hinsicht ist sie unter seinen Werken ein Spitzenreiter. Dies ist verwunderlich. Die epochemachende Leistung dieses zusammen mit Hege!, und nach der Meinung vieler Kenner noch vor Hege!, bedeutendsten Philosophen des deutschen nachkantischen Idealismus liegt in der Entwicklung einer rein idealistischen Erkenntnistheorie, der ,Wissenschaftslehre'- seit 1794 in vielen Fassungen vorgelegt, besonders empfohlen seien außer der ursprünglichen Fassung von 1794 die von 1801/02 und die zweite Fassung des Jahres 1804 3 , - sowie einer damit auf's lnnerlichste verknüpften idealistischen Ethik, Geschichts- und Religionsphilosophie: insbesondere ,System der Sittenlehre' (1798), ,Bestimmung des Menschen' (1800), ,Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters' (1806), ,Anweisung zum seligen Leben' (1806), ,Reden an die deutsche Nation' (1808), sogenannte ,Staatslehre' aus dem Nachlaß 1820 4 . Der ,Handelsstaat' stellt demgegenüber eine Randerscheinung dar. Wir werden allerdings sehen, daß er über die Rechtsphilosophie Fichtes - ,Grundlage des Naturrechts' (1796/97) 5 , Vorlesung über ,Rechtslehre', gehalten 1812 6 , - aus der er erwachsen ist, gleichfalls in einem notwendigen Zusammenhang mit Fichtes ethisch-geschichtsphilosophischen Hauptwerken steht und auf eine Kernfrage seiner Geschichtsphilosophie ein eigenartiges und bedeutendes Licht wirft. Der Eifer, mit dem diese Schrift zeitweilig herausgestellt und propagiert wurde, führte aber verschiedentlich zu

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einer Verzerrung der Proportionen in der Würdigung von Fichtes Gesamtwerk und war oft mit Mißdeutungen verbunden. Andererseits verdient der ,Handelsstaat' auch in der Geschichte der wirtschaftlichen Ideen einen ausgezeichneten Platz. Es handelt sich um eines der frühesten und für lange Zeit um das theoretischlogisch am gründlichsten ausgearbeitete Modell einer sozialistischen Planwirtschaft. Anregungen, die der Bedeutung seines geistigen und theoretischen Gehaltes entsprächen, sind allerdings von dem Werk weder auf die Theorie der Planwirtschaft noch auf die Entwicklung der sozialistischen Ideen ausgegangen; beide haben sich aus anderen Quellen und Ansätzen weiterentwickelt. Trotzdem ist schon der ökonomisch-theoretische Beitrag im ,Handelsstaat' ein fesselndes Dokument; es ist erstaunlich, wie eine überragende Intelligenz der allgemeinen theoretischen Entwicklung durch weitsichtige Fragestellung, Scharfsinn und geistige Unabhängigkeit um Generationen vorauseilen kann. Noch bedeutender aber ist Fichtes Beitrag für die Beurteilung sozialistischer Ideen wegen der Reinheit und Größe der geistig-sittlichen Maßstäbe, die er auch bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Fragen zur Geltung bringt, aber auch, weil sich gerade bei diesem hohen Niveau der sittlichen Maßstäbe wie der logischen Ausarbeitung das Dilemma sozialistischer Ideen um so eindringlicher darstellt. In der vorliegenden Einführung soll zunächst der ökonomischtheoretische Gehalt der Schrift herausgearbeitet und in den Entwicklungsgang des wirtschaftlichen Denkens eingeordnet werden. Dabei ist mit dem Kernpunkt, dem sozialistisch-planwirtschaftliehen Modell zu beginnen. Die beiden anderen theoretisch wichtigen und bedeutenden Ansätze, die Beiträge zur Geldtheorie und zur Wertoder Preislehre sind als Elemente der planwirtschaftliehen Ordnung entwickelt, insbesondere die Preislehre ist nur in deren Rahmen sinnvoll. Aus der Darstellung des planwirtschaftliehen Ordnungsmodells wird dann die zweite Hauptfrage hervorwachsen. Wie fügt dieses die Freiheit des Einzelnen hart beschränkende Modell sich Fichtes praktischer Philosophie ein, in der die Idee der Freiheit und Selbsttätigkeit eine so große Rolle spielt? Dies führt auf ein Kernproblem

Einleitung

der Fichteinterpretation: Wie verhält sich in seinem System die Freiheit und Selbstverantwortung des Einzelnen, des empirischen Ich, zur Autorität der Vernunft, die in jedem Einzelnen das Kernstück seines Wesens ist und die doch in allen nur Eine sein kann. Eine Antwort auf diese Frage wäre letztlich natürlich aus seiner Ethik und Geschichtsphilosophie zu gewinnen. Immerhin nötigt gerade das wirtschaftliche Modell ihn und uns dazu, von der Höhe abstrakt formulierter Grundsätze in die Konkretheit des praktischen Lebens herabzusteigen - ein solcher Test trägt mindestens dazu bei, die Grundsatzfragen in neuem, vielleicht in schärferem Licht zu sehen. Für manche Fragen mußte die Vorlesung Fichtes über "Rechtslehre" aus dem Jahre 1812 als weitere Quelle herangezogen werden. In ihr hat Fichte auch die wirtschaftlichen Fragen, denen der ,geschloßne Handelsstaat' gewidmet ist, noch einmal neu erörtert. So muß im vorat1s geklärt werden, wie diese Darstellung im Verhältnis zu der des ,Handelsstaates' bewertet werden soll. Grundsätzlich würde man jeweils der spätesten Darstellung den Rang der abschließenden Stellungnahme geben, Fichtes endgültige Auffassung also vor allem aus ihr erheben wollen. Andererseits liegt die ,Rechtslehre' nur in Gestalt handschriftlicher Aufzeichnungen vor, die oft nur Stichwortcharakter haben und zuweilen sehr schwer verständlich sind 6 . Darüberhinaus macht das Manuskript verschiedentlich den Eindruck des gedanklich Unausgereiften. So wird ein besonders tiefgreifender innerer Widerspruch, der allerdings auch systematisch bedingt ist, bei der Interpretation dieses Werkes erhebliche Bedeutung erhalten. Deshalb muß jedenfalls berücksichtigt werden, daß ein vom Verfasser selbst nicht veröffentlichtes Manuskript bei der Feststellung seiner Anschauungen nicht dieselbe Geltung erhalten kann wie die Schriften, die er selbst in den Druck gegeben hat. Es ist auch zu beachten, daß Fichte selbst seinen "Handelsstaat" besonders hoch gewertet hat. So ist es angemessen, die in sich abgerundete, von ihm selbst voll verantwortete Darstellung des 'Handelsstaates' bei der Erörterung seiner Wirtschaftslehre als Hauptdokument zugrunde zu legen. Soweit jedoch neue Gedanken und Abweichungen von seiner damaligen Auffassung in der "Rechtslehre" von 1812 deutlich hervortreten, sind sie als Weiterentwicklungen seines Denkens einzubeziehen.

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li. Beiträge zur Entwicklung des wirtschaftlichen Denkens

1. Fichtes Bild der vernunftgemäßen wirtschaftlichen Ordnung Der ,geschloßne Handelsstaat' heißt schonaufdem Titelblatt "Anhang zur Rechtslehre". Damit ist die Stellung von Fichtes Wirtschaftslehre im System seiner Philosophie treffend gekennzeichnet: Die Rechtslehre ist die Grundlage, auf der Fichtes wirtschaftliches Denken sich entwickelt hat. Sie ist wiederum eng mit dem tragenden Gedanken seiner theoretischen Philosophie verknüpft: Das Wesen der Vernunft ist Selbsttätigkeit. Schon der Erkenntnisakt, in dem jedes "Vernunftwesen" als "Ich" "sich selbst setzt", ist zugleich und vor allem Ausdruck dieser Selbsttätigkeit, und der erste Lehrsatz seines Naturrechts lautet deshalb: "Ein endliches vernünftiges Wesen kann sich selbst nicht setzen, ohne sich eine freie Wirksamkeit zuzuschreiben" 7 . Damit ist Freiheit zur Selbsttätigkeit eine Existenzbedingung jedes Vernunftwesens. Wenn man nun das Vorhandensein einer Mehrheit solcher Vernunftwesen bedenkt 8 , so wird das Verhältnis ihrer Freiheit und Selbsttätigkeit zueinander zu einem Kernproblem. Die von Kant so eindrucksvoll formulierte Aufgabe der vernunftgemäßen Rechtsordnung, die "Bedingungen" zu bestimmen, "unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 9 , muß für Fichtes Rechtsphilosophie eher noch tiefere Bedeutung bekommen, weil sie so auf den Wesenskern jedes Vernunftwesens bezogen ist. Der rechtliche Begriff, der vor allem der Abgrenzung der Rechtssphären der einzelnen Bürger dient, ist der des Eigentums. Deshalb liegt es nahe, daß die überragende Bedeutung, die in Fichtes System der Freiheit zur Selbsttätigkeit zukommt, gerade in seinem Eigentumsbegriff Ausdruck findet. Er soll dazu dienen, jedem Bürger für seine Selbsttätigkeit unmittelbar einen Freiraum abzugrenzen; deshalb bestimmt Fichte Eigentum als "das ausschließende Recht auf Handlungen, keineswegs auf Sachen" (S. 15) 10 . Wir werden allerdings später zu prüfen haben, ob diese Folgerung zwingend ist, ja sogar, ob ein solcher Eigentumsbegriff mit den Mitteln einer Rechtsordnung durchgeführt werden kann.

Einleitung

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Innerhalb der Rechtsphilosophie Fichtes erhalten weiterhin inhaltliche Maßstäbe für die Gestaltung und Geltung des Rechts besondere Bedeutung. Gewiß ist es ein gemeinsamer Zug aller naturr~chtlichen oder, wie Fichte ihre Grundlage besser bestimmt, vernunftrechtlichen Rechtslehren, daß sie das nach theoretischen Grundsätzen richtige Recht ableiten wollen, daß ihnen der Inhalt der Rechtssätze wichtiger ist als die Wahrung formaler Bedingungen; die Versuchung, die Geltung des theoriewidrigen wirklichen Rechts zu bestreiten, ist damit natürlicherweise verbunden. Bei Fichte ist dieser Zug sehr deutlich ausgeprägt. Die Neigung, dem Vernunftwidrigen die Existenzberechtigung überhaupt abzustreiten, ist in seiner Philosophie besonders tief angelegt; die Aussagen darüber, daß die Verwirklichung der Vernunft ein auf Äonen zu berechnendes Langzeitprogramm ist, können deshalb als Gegengewicht nur teilweise wirksam werden 11 . Gleichzeitig ist nun der Inhalt des Rechts bei Fichte in besonderem Maße vom Zweck der rechtlich zu ordnenden Handlungen her bestimmt. Der Zweck gerade der wichtigen Handlungen, an deren rechtlicher Ordnung besonderes Interesse besteht, ist jedoch wirtschaftlich; eine Hauptaufgabe jeder Rechtsordnung ist die Abgrenzung wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche: Rechtsordnung ist Wirtschaftsordnung. Schon aus diesem abstrakten A,nsatz folgen alle Grundlinien der von Fichte entworfenen Wirtschaftsordnung. Sie hat die Aufgabe, jedem Bürger einen abgegrenzten Bereich besonderer wirtschaftlicher Tätigkeit zuzuweisen und zu garantieren. Als wichtigster Zweck der Wirtschaftstätigkeit ist dabei die Sicherung des notwendigen Bedarfs, der Lebensmöglichkeit erfaßt. Der garantierte Tätigkeitsbereich soll deshalb eine Garantie der Lebensmöglichkeit, der wirtschaftlichen Existenz für jeden Beteiligten einschließen. Das bedeutet gleichzeitig, daß der Erfolg dieser wirtschaftlichen Tätigkeit garantiert wird -eine sehr folgenreiche Annahme! Sie wird besonders wichtig, weil Arbeitsteilung als wesentliche Bedingung aller wirtschaftlichen Tätigkeit vorausgesetzt ist: alle Glieder dieses wirtschaftlichen Systems sind in irgendeinem Maße auf Leistungen anderer angewiesen. Sicherung der Existenz bedeutet also zugleich

HansHirsch

Garantie der Versorgung mit Leistungen der andern. Weiterhin kann man diese Leistungen nicht unentgeltlich beanspruchen, kann als Entgelt jedoch nur die eigenen Leistungen anbieten, die ohnehin auch für die Mitbürger bestimmt sind; so ist die Bereitschaft der Bürger, Leistungen jedes Mitbürgers im erforderlichen Umfang anzunehmen bzw. abzunehmen, ein Element der ihm gegebenen Existenzgarantie. Das Wesen der Rechtsordnung ist es, gerade in Fichtes Ansatz, daß die Bürger sich diese Garantien gegenseitig leisten. So entspricht jeder empfangenen Garantie auch eine übernommene Verpflichtung: dem garantierten Tätigkeitsbereich die Pflicht, sich des Eingriffs in die Tätigkeitsbereiche der andern zu .enthalten, der Erfolgsgarantie, die als Abnahmegarantie gestaltet ist, die Pflicht, die Leistungen der andern vollständig abzunehmen, der Versorgungsgarantie die Pflicht, die übernommene Tätigkeit wirksam auszuüben und ihr Ergebnis den anderen zur Verfügung zu stellen. Diese Garantien setzen ein planwirtschaftliches System notwendig voraus. Die Abnahmegarantie kann nur für solche Güter gegeben werden, die zur Versorgung beitragen; die Gesamtheit der zugewiesenen und garantierten Tätigkeitsbereiche muß aber auch imstande sein, die geforderten Versorgungsleistungen vollständig zu erbringen. Die Produktionsleistung aller Tätigkeitsbereiche muß also in einem Gesamtplan den Versorgungsansprüchen gegenübergestellt und mit ihnen in Übereinstimmung gebracht werden; nach diesem Plan entscheidet sich, welche Versorgungsansprüche erfüllbar sind, und in welchem Umfang welche Tätigkeitsbereiche zulässig, aber auch erforderlich sind. Die geschützten Tätigkeitsbereiche verwandeln sich so in auferlegte Arbeits- und Leistungspflichten; diese müssen im Prinzip mengenmäßig fixiert sein 12 . Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen Fichtes darüber, wie der Aufbau des Plans erfolgen muß. Mit dem Grundsatz: "Das Entbehrliche ist überall dem Unentbehrlichen, oder schwer zu Entbehrenden nachzusetzen" spricht er den Leitgedanken jeder wirtschaftlichen Planung aus und nimmt eine Kernaussage der zwei Generationen später entwickelten Grenz-

Einleitung

nutzentheorie vorweg. Daraus ergibt sich ein stufenweiser Aufbau des Plans: Das Notwendigste sind die im Ackerbau zu erzeugenden Lebensmittel. Der Produktivitätsüberschuß der Landwirtschaft gibt deshalb den Umfang vor, den alle nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten zusammen in diesem Land erhalten können. Dabei steht die Tätigkeit der Kaufleute in einem notwendigen Verhältnis zur gesamten Produktionsleistung unter Beachtung ihrer räumlichen und fachlichen Aufgliederung. Der Bedarf an Tätigkeiten im Staatsdienst ergibt sich aus den öffentlichen Aufgaben, deren Umfang anscheinend als fest gegeben angesehen wird. Der verbleibende Überschuß an Arbeitskräften steht für eine sich spezialisierende gewerbliche Produktion zur Verfügung. Diese wird gleichfalls stufenweise geplant; dem "Entbehrlichen" dürfen Kräfte erst dann gewidmet werden, wenn für alle dringlicheren Bedürfnisse gesorgt ist (soweit insbesondere S. 22 f, 25, 39, 42-45). Eine andere Verwendung des Kräfteüberschusses ist die Verminderung der Arbeitsbelastung für alle, so daß Zeit und Kraft zur freien Verwendung durch die Bürger, zur "Muße für Freiheit und Bildung" übrigbleiben. Dies Ziel wird im ,Geschloßnen Handelsstaat' immerhin angedeutet, in der "Rechtslehre" von 1812 dann ausdrücklich zum Hauptziel erklärt 13 . Wir werden sehen, daß sich hier wichtige und schwierige Fragen ergeben. Wie soll nun dieser Plan durchgeführt werden? Die Berechnungen über Bedarf und Produktion, die Fichte vorschreibt und die, wie gezeigt wurde, auf einen umfassenden Gesamt-Wirtschaftsplan hinauslaufen, sollen trotzdem nicht zu direkten Produktionsanweisungen Anlaß geben; sie können also die Versorgung der Bürger nicht unmittelbar veranlassen. Vielmehr soll aufgrund dieser Berechnungen nur über die Zulassung der Bürger zu den verschiedenen Gewerben und Berufen entschieden werden; von denen, die sich um die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit bewerben, dürfen nur so viele zugelassen werden, daß die vorberechnete Produktionsleistung gerade erreicht wird; eirl Überschuß an Bewerbern wird abgewiesen; falls sich zu wenige bewerben sollten, so soll durch Prämien ein zusätzlicher Anreiz geboten werden (S. 22 ff.). Die Anpassung soll dabei im Normalfall ausdrücklich durch das Ausscheiden der Alten

Hans Hirsch

und die Berufswahl des Nachwuchses erfolgen; eine kurzfristige Umlenkung von Arbeitskräften wird nur einmal nebenbei als Verlegenheitslösung erwähnt, deren Tragweite unklar bleibt (vgl. S. 24, 44 f). Besondere Probleme bietet bei diesem Organisationsprinzip der Handel. Für die Abwicklung der Lieferungen an die Verbraucher und zwischen den Gewerbetreibenden ist ein selbständiger Kaufmannsstand vorgesehen. Er wird allerdings aufgrund der vereinbarten bzw. festgelegten Liefer- und Abnahmepflichten tätig und vermittelt zu Preisen, die nach öffentlichen Bewertungsgrundsätzen bestimmt werden. Die Zahl der Kaufleute und der Umfang ihrer Vermittlungsaufgabe soll nach denselben Grundsätzen wie bei den Produzenten berechnet werden. jeder Kaufmann ist auf bestimmte Güterarten spezialisiert und hat in dem ihm zugewiesenen Handelsbereich dasselbe Ausschließlichkeitsrecht auf seine Tätigkeit wie alle andern Bürger; so sind die Produzenten 14 entsprechend ihrem Produktionsumfang zur Lieferung, die Verbraucher zum Bezug bei ihm verpflichtet. Der Kaufmann selbst trägt die entsprechende Abnahme- und Lieferpflicht. Die Regierung soll jedoch B~zugsquellen, Abnehmer und Umfang der Lieferungen nicht angeben müssen; diese zu kennen soll vielmehr die Berufsleistung des Kaufmanns selbst sein, und ein Bericht darüber soll die Grundlage seiner Gewerbezulassung bilden. Andererseits soll die Einhaltung der Abnahme- und Liderverpflichtungen sowohl beim Kaufmann wie bei seinen Tauschpartnern durch Strafandrohungen erzwungen werden (soweit S. 253 3). Diese Konstruktion ist unmöglich: da über die Lieferungs- und Abnahmepflichten nut Informationen von Seiten der streitenden Parteien vorliegen, diese Pflichten noch dazu mit mancherlei wirtschaftlicher Ungewißheit belastet sind, so ist eine strafrechtliche Sanktion grundsätzlich unangemessen; darüberhinaus müßte diese Regelung häufig zu groben und sehr drückenden Ungerechtigkeiten führen. In der ,Rechtslehre' (1812) hat Fichte die Konsequenz gezogen: der gesamte Zwischenhandel wird Staatsbeamten übertragen 15 . Damit ist das System geschlossen: alle Produzenten sind zur Lieferung an die staatlichen Handelsämter verpflichtet, alle Abnehmer an sie gewiesen: die "Berechnungen" der Zentrale über den Produktionsumfang werden nun zum verbindlichen Produktions- und Ver-

Einleitung

sorgungsplan, zur Grundlage für die Abwicklung aller Lieferungsbeziehungen innerhalb der Volkswirtschaft. Ein wichtiger Zug des Modells scheint schließlich die Ausschließung aller Handelsbeziehungen mit den Ausland, die "Schließung des Handelsstaats" zu sein. Fichte selbst hat sie schon durch den Namen der Schrift, aber ebenso durch die besonders ausführliche Behandlung hervorgehoben - etwa ein Drittel des Textes bezieht sich auf den Außenhandel. Dem entspricht es, daß dieser Punkt vor allem die Aufmerksamkeit und den Widerspruch der Zeitgenossen geweckt hat 16 • Als Hauptargument für diesen so hart empfundenen Eingriff führt Fichte an, daß nur so die Übereinstimmung von Produktion und Bedarf entsprechend den Plänen der Regierung gesichert werden kann; ausländische Lieferanten und Abnehmer können der Regierung und ihrem Gesamtplan nicht unterworfen werden und würden ihn also stören (S. 33 ff.). Fichte selbst sieht allerdings, daß dies Ziel auch durch ein staatliches Außenhandelsmonopol erreicht werden kann (S. 35, 93, 111 f., 119). Es handelt sich hier also, rein theoretisch gesehen, in dieser Strenge nicht um eine notwendige Bedingung. Erst recht ist die überaus starke Betonung, die die Probleme des Außenhandels bei Fichte erfahren, systematisch nicht gerechtfertigt. Die Leidenschaft dieser Ausführungen (vgl. z.B. 71 f., 87 ff. mit Anmerkungen) zeugt davon, daß die Unberechenbarkeit der freien Weltmärkte seinem vom Ideal der Vernunft besessenen Denken zutiefst anstößig gewesen ist. 2. Der ,Geschloßne Handelsstaat' als sozialistische Planwirtschaft Die Kennzeichnung dieses Ordnungsmodells als planwirtschaftlieh und sozialistisch, die wir schon vorweggenommen haben, ist in der Literatur nicht unbestritten. Die Mehrzahl der angesehenen Autoren allerdings vertritt diese Auffassung 17 . Doch haben auch die Gemeinsamkeiten des Systems mit der mittelalterlichen Zunftwirtschaft natürlich Aufmerksamkeit gefunden 18 . Allgemeiner fällt auf, daß hier die unmittelbaren, laufenden Entscheidungen über die Produktion in der Hand der einzelnen Bürger verbleiben, daß in die-

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sem System also starke, sogar bestimmende staatliche Einflüsse und private Zuständigkeiten ineinanderwirken -das wäre, ganz im groben gesehen, das System der "gelenkten Marktwirtschaft" oder des "Dirigismus". Die Gemeinsamkeiten mit der zunftwirtschaftlichen Ordnung sind allerdings auf den ersten Blick überraschend. Sie erscheinen noch dadurch gesteigert, daß Fichte, entsprechend einem methodischen Grundansatz seiner Rechtslehre, die Bestimmung der zu erzeugenden und auszutauschenden Mengen formalrechtlich auf Gruppenverträge gründet, die zuerst zwischen den "Hauptständen" der landwirtschaftlichen und der gewerblichen Produzenten und dann zwischen den als "Stände" gefaßten einzelnen Berufsgruppen geschlossen werden (S. 17 -21). Im ganzen ergeben sich so mit der mittelalterlichen Zunftwirtschaft folgende Gemeinsamkeiten 19 : beide gewähren ausschließliche Rechte zum Gewerbebetrieb, die wie ein Eigentum behandelt werden; die Gewerbetreibenden, denen diese Rechte gewährt werden, sind zu Gruppen zusammengefaßt, denen eine gewisse Gesamtverantwortung zugeschrieben wird; der Umfang des Gewerbes und die Höhe des Entgelts wird reguliert nach der Idee der "Nahrung", das heißt des angemessenen, existenzsichernden Unterhalts des Produzenten; das wird garantiert durch öffentliche Preistaxen,- in der Zunftwirtschaft nur teilweise. So eindrucksvoll diese Liste nun sein mag, sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle die gleichartigen Elemente bei Fichte zu einem rational begründeten System zusammengeschlossen und einem Gesamtzweck untergeordnet sind, daß dagegen in der Zunftwirtschaft von solcher rational bestimmten Einheit nicht die Rede sein kann. Die Zunftwirtschaft ist nie im Sinne der Planwirtschaft als geschlossenes System gedacht oder wirksam gewesen, das allen Bürgern in gleicher Weise dient. Vor allem die Existenzgarantie gab es nicht entfernt für alle Bürger, sondern nur für die zufällig gegebenen Mitglieder vorhandener Zünfte. Noch weniger gab es irgendeine Gesamtplanung des Bedarfs; die Begrenzung der Produktion durch Zugangsbeschränkungen der Zunft erfolgte

Einleitung

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vielmehr in Anpassung an einen Bedarf, wie er durch äußere Umstände, unter anderem auch durch Entscheidungen der Verbraucher gegeben war. Erst recht kann von planmäßiger Bemessung verschiedener Produktionen im Verhältnis zueinander nicht die Rede sein. Aus demselben Grunde wäre auch eine Einordnung des Fichtesehen Systems als gelenkte Marktwirtschaft verfehlt: auch für diese sind partielle Eingriffe und Regelungen im Dienste begrenzter Einzelziele typisch; sie bleibt trotz lenkenden Eingriffen Marktwirtschaft eben deshalb, weil wichtige Teile der Produktion weiterhin von den freien Kräften des Marktes gesteuert werden 20 . Für das System Fichtes ist es dagegen kennzeichnend, daß die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit an einem einheitlichen, in sich geschlossenen Zielsystem ausgerichtet wird; über Umfang und Richtung der Produktion wird hier nicht von den produzierenden Bürgern entschieden, sondern aufgrund eines von der Regierung aufzustellenden Gesamtplans; dieser Plan, und nicht etwa der Marktmechanismus, sichert, daß die verschiedenartigen Produktionen sich gegenseitig zu einem sinnvollen Ganzen ergänzen. Eine solche Koordination durch den Plan statt durch Märkte aber ist das Wesensmerkmal der Planwirtschaft - auch als "Zentralverwaltungswirtschaft" bezeichnet - 21 • Die von Fichte herausgestellten "Verträge" zwischen den "Ständen" dagegen haben für die Funktionsweise des Systems keine Bedeutung. Sowohl der beiderseitige Leistungsumfang als auch die Preise ergeben sich aus dem von der Regierung aufgestellten Gesamtplan; ein Aushandeln der Tauschbedingungen wird von Fichte ausdrücklich abgelehnt (soweit insbes. S. 21-27, 31-34). Die "Verträge" sind also nur eine rechtsphilosophische Fiktion. Damit kommen wir zur Frage, ob dies Fichtesche System zugleich sozialistisch genannt werden kann. Da es für diesen Begriff einen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht gibt, ist zunächst zu erklären, wie der Begriff "Sozialismus" hier bestimmt werden soll. Die häufigste Bestimmung, als ein System, in dem das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben ist, ist schon deshalb unzureichend, weil der Begriff des Eigentums infolge mannigfacher öffentlich-rechtlicher Beschränkungen,

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aber auch aus unterschiedlichen rechtlich-kulturellen Traditionen heraus einen sehr verschiedenen Inhalt haben kann. Gerade Fichte zeigt, wie das Eigentumsrecht durch Nebenbedingungen so ausgehöhlt werden kann, daß ein der Marktwirtschaft entgegengesetztes Wirtschaftssystem entsteht. Andererseits hat man Modelle einer "sozialistischen Marktwirtschaft" entworfen, die ohne Privateigentum ähnlich wie ein privatwirtschaftlich organisiertes System funktionieren sollen 22 - ist das dann noch Sozialismus? Es kommt also nicht auf das formelle Eigentumsrecht am Produktionsapparat an, sondern auf die Verfügungsgewalt 23 • Sozialismus wäre dann ein Wirtschaftssystem mit öffentlicher, das heißt staatlicher Verfügungsgewalt über den gesamten Produktionsapparat - oder wenigstens über ausschlaggebende Teile davon -, also mit staatlicher Leitung und Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit. Damit fiele der Begriff mit dem der Planwirtschaft zusammen. Nun gibt es aber Planwirtschaften, die kaum jemand als sozialistisch bezeichnen wird, wie zum Beispiel eine Planwirtschaft im Dienst eines Eroberervolks oder einer Herrenkaste. Zur Verstaatlichung des Produktionsapparats, zur "Vollsozialisierung" muß also wenigstens noch eine Bindung des Systems hinsichtlich der Ziele hinzukommen, für die die staatlich geleitete Wirtschaft eingesetzt wird. Als Mindestanforderung dürfte es sinnvoll sein, festzulegen, daß diese Ziele in irgendeinem Sinne allen innerhalb des Systems wirtschaftlich Tätigen, allen "Mitbürgern" als "Interesse" oder als "Verpflichtung" zugerechnet werden können oder sollen. - Andererseits können die Organisationsformen einer staatlich gelenkten Produktion wiederum verschieden sein; neben der straff zentralen Organisationsform der "Zentralverwaltungswirtschaft" sind verschiedene Auflockerungsformen erörtert worden. Auch der Anteil des Staates am Produktionsapparat kann vielfältig abgestuft sein. So dürfte es sich empfehlen, bei der Bestimmung des Begriffs des Sozialismus auf die öffentliche Zielbestimmung den Hauptakzent zu legen. Ein Wirtschaftssystem ist also dann als sozialistisch einzuordnen, wenn die Entscheidung über die Ziele der wirtschaftlichen Tätigkeit ganz oder überwiegend nicht mehr der Privatinitiative der einzelnen Bürger und ihrer frei gebildeten Einzelorganisa-

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tionen zufällt, sondern von politischen Zentralinstanzen maßgeblich bestimmt wird. Wie wir bereits sahen, muß aber zusätzlich die Bedingung erfüllt sein, daß bei dieser politischen Zielbestimmung ein Ausgehen von den "Interessen" aller beteiligten Bürger oder von ihnen zugemuteten "Verpflichtungen" angenommen werden kann. Daß über die Erfüllung dieser letzten Bedingung objektive Feststellungen kaum oder gar nicht getroffen werden können, ist der Problemlage durchaus angemessen. In der praktisch-politischen Diskussion um den Sozialismus ist es gerade ein Kernproblem, daß in den sozialistischen Systemen um gewisser, sozusagen "ideeller" Ziele 24 willen das Recht einer weitgehenden politischen Gestaltung des gesamten Lebens beansprucht wird und die politischen Leitungsorgane für diesen Zweck ungeheuer gesteigerte Kompetenzen erhalten sollen, daß aber für die Verwirklichung dieser "ideellen" Ziele institutionelle oder andere Garantien nicht geboten werden können und die Verwirklichung dieser Ideen schon deshalb umstritten bleibt 25 . Ob man ein bestimmtes System dann sozialistisch nennen will, ist offenbar unvermeidlich auch eine ideologische Frage. In der Näherbestimmung der Ideen, die durch ein sozialistisches System verwirklicht werden sollen, zeigt sich eine große Vielfalt. Besonders betont wird der Gleichheitsgedankc, bezogen vor allem auf die Einkommensverteilung. Wollte man das jedoch zum Begriffsmerkmal des Sozialismus machen, so wird es überhaupt fraglich, ob es sozialistische Systeme größeren Umfangs schon gegeben hat und ob sie praktisch auf die Dauer durchführbar sind. Mit dem Gleichheitsgedanken eng verbunden ist eine utilitaristisch-materialistisch eingeengte Auffassung der Ziele: daß es vor allem um eine möglichst reichliche Versorgung aller Bürger mit materiellen Gütern gehe "Zuckererbsen für jedermann", wie Heine diese Einstellung besungen hat 26 • Für diese Auffassung wäre dann ein "konservativer Sozialismus", der zum Beispiel die Sorge um den langfristigen Bestand der Gemeinschaft, die Pflege des geistig-kulturellen Gemeinschaftsbesitzes und die Verantwortung vor den noch Ungeborenen betont, der also die Konsumziele der jetzt lebenden Bürger anderen Zwekken unterordnet, gar kein Sozialismus mehr.

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Nun, das Fichtesche System gehört offensichtlich auch dann in den Gedankenkreis des Sozialismus, wenn man ihn eng abgrenzen wollte: die wirtschaftlichen Zielentscheidungen werden "zentral", von der "Regierung", getroffen; diese läßt sich dabei vom Interesse der Versorgung aller mit materiellen Gütern leiten; dabei spielt der Gleichheitsgedanke eine erhebliche Rolle, wenn er auch leicht modifiziert wird (S. 16 f., 2 3, 31 ff., 37, 59; näheres in Abschn. II. 5 über die Preisbildung); für die Ausgestaltung des Planes sind jedoch die Zweck- und Dringlichkeitsvorstellungen der Regierung maßgebend (S. 22 f., 31 ff., 39). Es bleibt zu fragen, wie sich der Einbau von Elementen der Zunftwirtschaft in dies planwirtschaftlich-sozialistische Ordnungsmodell erklären läßt. Die Frage drängt sich um so mehr auf, als diese Elemente tatsächlich mit dem planwirtschaftliehen Grundgedanken des Modells nicht voll vereinbar sind. Das wird besonders deutlich daran sichtbar, daß die zünftlerische Organisation des Handels, wie gezeigt, den Anforderungen der Planwirtschaft nicht genügen konnte. Dasselbe Problem entsteht jedoch etwas versteckter auch für den Produktionsbereich; wenn die Anpassung des Produktionsumfangs an wechselnde Bedürfnisse nur gelegentlich des Ausscheidens der Alten und des Neueintritts des Nachwuchses erfolgen soll, so ist das mit Sicherheit viel zu langsam. Da bieten sich zwei Erklärungen an. Einmal können wir feststellen, daß sich das System Fichtes gegenüber allen früheren - und vielen späteren - durch den Verzicht auf phantasievolle Konstruktionen und auf Ausmalung der Institutionen und Einrichtungen, durch Bemühung um Nüchternheit und Konkretheit auszeichnet; dies muß auch dann anerkannt werden, wenn das Ergebnis im ganzen nicht als wirklichkeitsnah überzeugt. In den früheren sozialistischen Utopien spielt nun eine zentrale Wirtschaftsverwaltung eine wichtige Rolle; doch bleibt sie ziemlich nebelhaft, denn von den konkreten Möglichkeiten einer solchen Zentralverwaltung konnte in früherer Zeit niemand eine Vorstellung haben. Demgegenüber ist

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es ein sehr sinnvolles Vorgehen, wenn Fichte auf Organisationsmethoden zurückzugreifen versucht, mit denen man bereits praktische Erfahrungen gesammelt hatte und die immerhin ähnlichen Zielsetzungen gedient hatten. Da gab es eigentlich nur das Vorbild der Zunftwirtschaft. Zum andern sind gerade die zunftwirtschaftlichen Elemente eng mit Fichtes rechtsphilosophischer Grundlegung verknüpft: die wichtigsten ergeben sich unmittelbar aus seinem Eigentumsbegriff und der aus ihm abgeleiteten Idee des Gruppenvertrages der Stände. Dieser rechtsphilosophische Ansatz geht, wie wir sahen, vom Freiheitsgedanken aus; so ist die Wahl der "zunftwirtschaftlichen" Organisation gewiß auch durch den Wunsch mitbedingt, auf diesem Wege innerhalb der Planwirtschaft ihren Gliedern eine gewisse Freiheit zu sichern, etwa im Sinne der dezentralisierten Formen des Sozialismus, die man bis heute immer wieder zu entwickeln versucht27. Um so wichtiger ist die Feststellung, daß diese freiheitlichen Elemente, wie wir soeben sahen, mit dem Grundgedanken des Systems notwendig in Widerspruch geraten. Wenn eine Zunftwirtschaft sich zur Planwirtschaft weiterbildet, so können die Zunftgenossen auch das bescheidene Maß an wirtschaftlicher Selbstbestimmung nicht festhalten, das das alte System ihnen bot: wieviel sie in welcher Qualität produzieren müssen, und zu welchen Bedingungen bzw. Preisen sie es abgeben müssen - alles das muß zentral bestimmt werden, wenn Fichtes Systemgedanke durchgeführt werden soll. Damit werden, wie wir sahen, die zunftwirtschaftlichen Elemente tatsächlich funktionslos. - Doch ist es gerade im Hinblick auf die weitere Entwicklung des sozialistischen Denkens wichtig sowohl, daß auch Fichte schon das Dezentralisierungsanliegen gesehen hat, als auch daß er es nicht hat durchführen können. In diesem Punkte ist der Übergang von der zunftwirtschaftlichen zur offen planwirtschaftlichen Organisation des Handels, der, wie wir sahen, erst während des Vortrags der ,Rechtslehre' (1812) vollzogen wurde 28 , von besonderem Interesse.

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3. Die Stellung des ,Geschloßnen Handelsstaates' in der Entwicklung der sozialistisch-planwirtschaftliehen Theorien Eigenart und Bedeutung des Fichteschen Wirtschaftsordnungsmodells treten mit voller Deutlichkeit hervor, wenn wir es vor dem Hintergrund der Entwicklung der sozialistischen und planwirtschaftliehen Theorien sehen. Dabei geht es vor allem um solche Theorien, die sich die Gesamtgestaltung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen in einem geschlossenen politischen Körper zur Aufgabe machen 29 . Die auch im Gange früherer Jahrhunderte immer wieder auftauchende Kritik am Privateigentum nebst Forderung seiner Abschaffung ergibt noch keine sozialistische Theorie, wenn nicht erkennbar wird, wie die wirtschaftlichen Entscheidungen, die sich sonst auf dieses Eigentum stützen, nach der Abschaffung getroffen und koordiniert werden sollen. Von stärkstem Einfluß auf die Bildung aller solcher Theorien und Modelle war der große Entwurf des vollkommenen "Staates", den Plato, der bedeutendste Philosoph der Antike, vorgelegt hae0 , -vermutlich ist dies überhaupt der erste Versuch, ein menschliches Gemeinwesen aus einer einheitlichen Idee rational zu entwickeln. Hierin liegt die große Gemeinsamkeit mit den sozialistischen Gesellschaftsmodellen31. Eine darüberhinausgehende Parallele scheint sich daraus zu ergeben, daß das System offenbar sogar kommunistische Elemente enthält: Aufhebung der Familie und des Privateigentums, also "Güter- und Weibergemeinschaft" wenigstens für einen im System besonders wichtigen Stand, die "Wächter". Schließlich möchte man auch eine Beziehung auf die für sozialistische Systeme entscheidend wichtigen wirtschaftlichen Fragen erwarten, da der Gedanke, von dem aus das System entwickelt wird, der für jedes wirtschaftliche Denken grundlegende der Arbeitsteilung ist. Bei näherer Betrachtung erweist sich das System allerdings für die eigentlich wirtschaftlichen Ordnungsfragen als unergiebig. Die Arbeitsteilung dient nur der Qualität der Leistung; daß bei ihrer Einführung auch die Bemessung der Produktionsmengen und ihre Abstimmung aufeinander ein Problem wird, ist nicht gesehen. Allerdings müßte man aus der sehr knappen Darstellung entnehmen,

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daß für die in Landwirtschaft und Gewerbe Tätigen ein Austausch der Leistungen über den Markt angenommen wird; jedenfalls ist für diesen Stand privater Wohlstand zulässig. Daher handelt es sich nicht um eine Planwirtschaft, noch sind deren Probleme angesprochen. Das Interesse Platos gilt jedoch ohnehin nicht so sehr dem Stand der wirtschafdich Tätigen, sondern vor allem den beiden höheren Ständen, dem Kriegerstand der "Wächter" und dem Stand der philosophisch gebildeten Regenten. Die Bedeutung seines Systems liegt hier in der Folgerichtigkeit, mit der die gesamte Lebensführung dieser Stände, und ebenso ihre Auswahl und ihre Erziehung, an ihren Funktionen im Interesse des Ganzen ausgerichtet ist: "Du vergißt, mein Freund, daß dem Gesetze nichts daran liegt, daß sich ein Stand im Staate besonders wohl befindet; das soll das Gesetz vielmehr für den ganzen Staat bewirken, indem es die Bürger durch Überredung und Zwang zusammenfügt und schafft, daß sie einander von dem Nutzen mitteilen, den jeder Einzelne dem Gemeinwesen zu stiften vermag ... " 32 Auch der Kommunismus dieses Wächterstandes wird damit begründet, daß die Wächter nur auf diese Weise in ihrem Denken und Wollen ganz auf die Wächteraufgaben ausgerichtet werden können - er ist also völlig anders begründet als in den sozialistisch-kommunistischen Ideologien; insbesondere spielt die Gleichheitsforderung keine Rolle 33 . Sehr interessant ist gerade in diesem Punkt das Verhältnis zu Fichte. Fichtes System ist von seinem ursprünglichen Ansatz her viel stärker individualistisch; wie wir sahen, geht er aus von der Freiheit und den Rechten der Einzelnen. Im Verlaufe der Entwicklung seiner Ideen prägt sich dann allerdings eine Unterordnung der Bürger unter den "Vernunftstaat" stärker aus - die Probleme dieser Entwicklung sind im Abschnitt III zu besprechen. Dadurch entsteht auch eine stärkere Gemeinsamkeit mit Plato, in dessen Utopie die Ausrichtung des ganzen "Staates" an der so tief und rein gefaßten Idee des Guten das eindrucksvollste ist 34 • Jedoch ist bei Plato der konkrete weltliche Staat selbst viel eindeutiger als die Verkörperung der Idee genommen, die Mehrzahl der Bürger hat nur in ihrer Unterordnung unter diesen konkreten Staat an der Idee überhaupt

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teil. Bei Fichte dagegen ist die Vollendung der Einzelnen in die Vernunft hinein das eigentliche Ziel, bei der dann der Staat entschwinden muß; die Einzelnen sind - als Teil und Glied der göttlichen Vernunft - letztlich wichtiger als der Staat, über ihnen steht endgültig nur das in Gott vollendete Ganze der Vernunft selbst. Dem entspricht es, daß auch die abstoßenden Züge eines Systems, das die Idee des Guten durch Zwang verwirklichen will, bei Plato viel stärker ausgeprägt sind. Der Widerspruch zwischen der Herrlichkeit der Idee und der Unmenschlichkeit des Systems, das sie durch Zwang verwirklichen soll, war wohl nie so ausgeprägt wie in dieser ersten Utopie 35 . Die nächste bedeutende Utopie, in wirtschaftlicher Hinsicht gewiß die bedeutendste vor Ficht\!, ist die ,Utopia' des Thomas Morus aus dem Jahre 1516, die dem ganzen Typus den Namen gegeben hat 36 . Sie ist nun zweifellos sozialistisch und kommunistisch. Morus geht aus von einer sehr scharfen Kritik der wirtschaftlichen und sozialen Mißstände seiner Zeit, die er vor allem auf das Privateigentum zurückführt. Deshalb konstruiert er als Gegenbild ein System ohne Privateigentum, mit öffentlicher Arbeitsorganisation und allgemeiner Arbeitspflicht, dafür mit unentgeltlicher Versorgung aller aus öffentlichen Magazinen. Folgende Einzelheiten sind wichtig: Die wichtigste Tätigkeit ist der Ackerbau; er wird von allen Einwohnern außer einer geistigen Führungsschicht im Turnus ausgeübt und ist idyllisch gesehen. Gewerbliche Tätigkeit beschränkt sich auf wenige einfache Arten des Handwerks; genannt sind: Wollweber, Leineweber, Maurer, Zimmerleute, Schmiede, Schlosser; die Kleidung wird im Haus angefertigt. Luxusgewerbe sollen nicht betrieben werden. Welches Handwerk der einzelne ausübt, bestimmt sich nach Neigung und Familientradition; der Bedarf an Leistungen dieses Handwerks wird nicht berücksichtigt. Die Arbeitszeit - 6 Stunden täglich - ist offenbar nach einem humanistischen Ideal glücklicher Tätigkeit ohne Plage bemessen, wiederum ohne daß ein Zusammenhang zwischen dem Umfang der erforderlichen Arbeit und den Zwecken, für die sie gefordert ist, hergestellt würde.

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- Dasselbe zeigt sich besonders eindrucksvoll an folgender Bestimmung: Wer wandern möchte, darf das tun, muß aber am jeweiligen Aufenthaltsort sein Arbeitspensum ableisten; die Frage, ob seine Arbeit dort nutzbar verwertet werden kann, ist nicht gesehen. Die Tätigkeit der Regierung und Verwaltung beschränkt sich auf folgendes: Als "wichtigstes und beinahe einziges Geschäft" der Vorsteher wird es bezeichnet, "dafür zu sorgen ... , daß keiner müßig herumsitzt, sondern jeder fleißig sein Gewerbe treibt", also nurdaß die Leute arbeiten, ist ein Problem, nicht aber, was sie arbeiten. - Im übrigen hat die Regierung für den regionalen Ausgleich der Überschüsse und Fehlmengen zu sorgen, die Lagerhäuser zu verwalten, in denen stets ein Vorrat aller Bedarfsgüter für zwei Jahre bereitliegen soll, und die darüber hinausgehenden Überschüsse zu exportieren 37 • Schon dieser kurze Überblick zeigt: Das ganze ist eine Überflußwirtschaft. Knappheit, die Mutter aller wirtschaftlichen Probleme, existiert nicht; vielmehr liefern die großen Lagerhäuser den Bürgern alles, was sie nötig haben. Die Aufstellung einer Rangordnung des Bedarfs, die Wahl zwischen verschiedenen Gütern nach der Dringlichkeit ihrer Verwendun~ und nach der Produktionsmöglichkeit, die Bemessung der Produktionsmengen und ihre wechselseitige Abstimmung aufeinander sind als Probleme nicht gesehen. Die Ziele des Wirtschaftens sind bestimmt durch ein eingehend geschildertes Konsumideal; Morus nimmt offenbar naiv an, daß dies - stark humanistisch geprägte - Ideal sich schon mit der Darstellung selbst als das einzig Vernunftgemäße erweise. Das heißt aber: Man muß fragen, ob dies System überhaupt schon als Planwirtschaft bezeichnet werden kann, da die für eine Planwirtschaft wesentlichen Probleme nicht erkannt sind. Trotzdem bleibt die ,Uto_pia' des Morus für die Entwicklung des wirtschaftlichen Denkens sehr wichtig und lehrreich. Hier ist es jedenfalls unternommen, ein Gesamtsystem des gemeinschaftlichen menschlichen Lebens vielseitig und konkret zu entwickeln. Dabei werden - das ist neu gegenüber Plato - die wirtschaftlichen Aufgaben der Produktion und der Regelung des Verbrauchs voll und mit

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besonderer Ausführlichkeit im Entwurf berücksichtigt; es entsteht ein anschauliches und eindrucksvolles Bild, wie wirtschaftliche Tätigkeit und Versorgung im ganzen funktionieren sollen. Gerade deshalb ist es ja hier auch möglich, konkret nachzuweisen, für welche wirtschaftlichen Probleme eine Lösung nicht gefunden ist. Dagegen liegt in einer anderen, grundsätzlicheren Hinsicht gegenüber dem Vorbild Plato ein Rückschritt vor: Die Ideen und Ideale, die ein System so umfassender und eingehender Regelungen des menschlichen Lebens rechtfertigen sollen, sind bei Morus abgeflacht zu einem wohlwollenden Eudämonismus: seine Utopier "meinen ... , die Natur selbst habe uns ... ein angenehmes Leben, d.h. eben das Vergnügen, als Ziel aller unserer Handlungen vorgezeichnet, und nach ihrer Vorschrift leben nennen sie Tugend. Aber zugleich lädt die Natur die Menschen ein zu ge3enseitiger Hilfe bei dem Versuch, das Leben fröhlich zu gestalten" 8 . Dies ist doch ein sehr kahles und dürftiges Bild menschlichen Strebens, in dem weder höhere Ziele und das Ringen um einen tieferen Lebenssinn Platz haben noch die Dämonien, von denen gerade das menschliche Gemeinschaftsleben immer wieder bedroht sein kann und um deren Bewältigung Plato so sehr gerungen hat. So erscheint auch ein Konflikt zwischen dem eigenen Vergnügen und der dem Nächsten geschuldeten Rücksicht einfach als überflüssig. Der Verlust an menschlicher Freiheit, den dies perfekt organisierte Gemeinwesen mit sich bringt, ist nicht einmal gesehen; da die Ziele, um derentwillen die Freiheit so sehr beschränkt wird, selbst nur das Wohlbefinden der Einzelnen betreffen, liegt hier sogar ein Widerspruch vor. Mit ihren Leistungen und Vorzügen wie mit ihren Grenzen hat die ,Utopia' des Morus für die weitere Entwicklung den Typus der sozialistischen Ordnung vorgebildet. Gern malt man auch weiterhin das Leben im sozialistischen Paradies idyllisch aus. Vor allem erzeugt die Arbeit - von kurzer Dauer und mehr ein Vergnügen von selbst den Überfluß, der von Behörden mit schönen Namen mühelos verwaltet wird. So scheinen mit der Aufhebung des Privateigentums und der Einführung einer gemeinschaftlichen und für alle gleichen Arbeitspflicht alle wirtschaftlichen Probleme gelöst zu sein 39 .

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Hier ist noch kurz auf die Programme des "Gracchus" Babeuf einzugehen, da für sie gelegentlich ein besonderer Einfluß auf Fichte behauptet wird. Auch hier sind die Zielwahl unter dem Gesichtspunkt der Knappheit der Güter und die Koordination der verschiedenen Produktionsprozesse als Problem nicht gesehen. Das Interesse Babeufs konzentriert sich vielmehr auf die Gleichheit der Versorgung aller. Wenn er wichtige Lenkungskompetenzen bis auf die Gemeindeebene dezentralisieren will, so ist das Fehlen konkreter Angaben über die Art der Koordination ihrer Entscheidungen um so mißlicher 40 Die wirtschaftlichen Hauptfragen, die bis dahin vernachlässigt wurden, sind nun von Fichte klar gesehen und in sein System folgerichtig eingebaut. Wie wir schon sahen, hat er erkannt und berücksichtigt, daß Kräfte und Produktionsmöglichkeiten im Verhältnis zu den Zielen und Wünschen knapp sind. Daher faßt er, in dieser Anwendung und Ausführlichkeit zum erstenmal in der Geschichte des wirtschaftlichen Denkens, den Gedanken einer einheitlichen Rangordnung aller wirtschaftlichen Zwecke nach ihrer Wichtigkeit, so daß unwichtige Zwecke erst nach den wichtigeren verwirklicht werden, sofern dann noch Kräfte und Mittel verfügbar sind. Das bedeutet den planmäßigen Einsatz aller Kräfte einer arbeitsteilig organisierten Gesamtwirtschaft entsprechend dieser Rangordnung, die koordinierte Unterordnung aller wirtschaftlichen Anstrengungen unter ein geschlossenes gesamtwirtschaftliches Zielsystem. Es bleibt hinzuzufügen, daß Fichte mit diesen Ideen für lange Zeit allein steht. Insbesondere Claude Henri de Saint-Sirnon und Kar! Marx, denen für die Entwicklung sozialistischer Ideen eine so große Rolle zugeschrieben wird, haben weder das Problem der Rangordnung des Bedarfs noch das der Koordination der Produktionstätigkeit innerhalb einer Gesamtwirtschaft theoretisch erfaßt. Erst gegen Ende des Jahrhunderts, drei Generationen später hat eine planwirtschaftliche Theorie sich aus anderen Ansätzen wieder an diese Fragestellung herangetastet; zu nennen sind hier besonders Friedrich von Wieser und Enrico Barone 41 . Von den institutionellen und organisatorischen Problemen einer Planwirtschaft haben wir erst auf-

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grund der lange Zeit sehr verwirrten praktischen Versuche in der Sowjetunion etwas klarere Vorstellungen. Auch hinsichtlich der grundsätzlichen philosophischen Begründung eines die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen so eingehend regelnden und die menschliche Freiheit so sehr einschränkenden Systems hebt sich das Werk Fichtes deutlich von der ,Utopia' des Thomas Morus und der Vielzahl anderer sozialistischer Utopien ab. Das wurde schon aus der Kennzeichnung der ,Utopia' des Morus in dieser Hinsicht sichtbar. jedoch sollen die Probleme, die auch Fichtes System in dieser Hinsicht bietet, im 111. Abschnitt eingehender besprochen werden. Zuvor wenden wir uns einigen wichtigen Einzelheiten des wirtschaftstheoretischen Denkens bei Fichte zu. 4. Fichtes Beitrag zur Geldtheorie Neben dem Beitrag zur Theorie der Planwirtschaft sind auch die Aussagen Fichtes zur Geldtheorie hochbedeutend. Er bietet eine der ersten Formulierungen der "Zeichentheorie" des Geldes, und unter den frühen Formulierungen zeichnet sich die seine noch durch besondere Klarheit und Folgerichtigkeit aus. Auch hier steht sein Beitrag in direktem Gegensatz zu den in seiner Zeit herrschenden theoretischen Vorstellungen. Eben damals hatte das epochemachende Werk von Adam Smith, "An Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations", London 1776, seinen Siegeszug durch Europa angetreten. Damit wurde auch die Wirkung der- in früheren Zeiten ohnehin vorherrschenden - metallistischen oder "Warentheorie" des Geldes noch weiter gesteigert. Nach dieser Theorie ist es eine wesentliche Eigenschaft des Geldes, daß es ebenso wie jede - andere - Ware seinen Tauschwert im Stoff der Geldstücke, die umlaufen - oder wenigstens für umlaufende stoffwertlose Geldzeichen als "Deckung" hinterlegt sind-, selbst verkörpert. Die Gegenthese, daß auch stoffwertloses Geld die Geldfunktionen, vor allem auch die des Tauschmittlers, erfüllen könne, und sie vielleicht sogar besser erfüllen könne als Metallgeld, war zwar schon von verschiedenen Autoren vertreten worden; zu nennen sind vor allem

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Nicholas Barbon, der späte John Law, George Berkeley und James Steuart42. Doch bestand über die Bedingungen, unter denen stoffwertloses Geld funktionieren kann, oft - und noch lange Zeit danach - keine genügende Klarheit; auch ist die Abgrenzung gegen den Metallismus nicht immer folgerichtig durchgeführt. Fichtes Geldtheorie zeichnet sich demgegenüber aus durch die Verbindung folgender Vorzüge: 1) Er formuliert die Zeichentheorie mit der größten Klarheit und Schärfe als Gegensatz zum herrschenden Metallismus: gerade aus dem "wenigst brauchbaren Materiale" soll man die Geldzeichen herstellen; etwas für andere Zwecke Nützliches wäre zu schade dafür, denn der Staat "kann zu Gelde machen, schlechthin was er will" (S. 46 f., 100 f.). 2) Die einzige Bedingung für die Eignung des Geldes ist die Bereitschaft der Bürger, die Geldzeichen im Handelsverkehr als Geld anzunehmen - die von Friedrich v. Wieser43 so eindrucksvoll formulierte Aussage der Funktionswerttheorie, daß die "Massengewohnheit der Annahme" die wesentliche Eigenschaft des Geldes ist, ist hier vollständig vorweggenommen (S. 47, 101, 104). 3) Darüberhinaus gibt Fichte klar Rechenschaft von den Bedingungen, auf denen die Annahme des Geldes durch die Benutzer beruht. Für diese kommt es, wie Fichte ausdrücklich feststellt, "nur darauf an, daß jeder andere ... es von ihm um denselben Wert wieder annimmt, um welchen er es erhalten hat" (S. 47, ebenso S. 104). Dafür soll zunächst die Sicherheit der Annahme durch den wichtigsten Zahlungsempfänger, den Staat selbst, bürgen (S. 47, 99) 44 ; darüberhinaus ist zu beachten, daß sein Geld für ein System mit staatlicher Preissetzung und staatlicher Lenkung der Güterströme bestimmt ist, die beide eine Garantie für die Beständigkeit des Geldwertes einschließen sollten (S. 50, 101 f., vgl. auch S. 122). Fichte begnügt sich jedoch nicht mit diesen Garantien, die die gerade in einem planwirtschaftliehen System so starke Staatsautorität zu bieten scheint. Der bedeutendste Zug seiner Geldtheorie ist vielmehr die Verbindung, die er von der Idee des Zeichengeldes zur Quantitätstheorie herstellt45 . Die Beziehung, die nach der Quantitätstheorie zwischen Geldmenge und Preisniveau besteht, formuliert er zwar

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in einer noch ganz unentwickelten Fassung, die, besonders hinsichtlich der Umlaufgeschwindigkeit, auch dem damaligen Entwicklungsstand nicht mehr entsprach 46 ; jedoch ist sie insoweit mit aller wünschenswerten Deutlichkeit und Anschaulichkeit dargestellt, und schon diese einfache Fassung genügt für die in diesem Zusammenhang wichtigen Folgerungen, die mit größter Klarheit abgeleitet werden: daß eine Vermehrung der Geldmenge über das Maß hinaus, das durch ein gleichzeitiges Wachstum der Produktion gerechtfertigt ist, eine Geldentwertung zur Folge hat (S. 49, 107 u.ö.), daß dies ein rechtswidriger Zugriff auf das Eigentum der Bürger wäre, das man ihnen auf solche Weise "sogar aus dem verschlossenen Kasten" raubt (S. 107, vgl. auch S. 101 f.), daß der Staat damit aber zugleich seine eigene Planung der GüterströmeundPreiseüberden Haufen würfe (S. 122, dazu S. 107 f.). Daraus ergibt sich dann der eindeutige und besonders betonte Auftrag an die Regierung, die Geldmenge im Hinbiick auf die Entwicklung des Gesamtumfangs aller wirtschaftlichen Tätigkeiten so zu bestimmen, daß der Geldwert mindestens erhalten bleibt (S. 49 ff., 69, 101f., 118, 122). Damit ist, wenn auch in sehr einfacher Form, das moderne Geldsystem der nach gesamtwirtschaftlichen Zielen manipulierten Papiergeldwährung vorweggenommen und in seinen wichtigsten Zügen richtig gekennzeichnet 47 . Besonders bemerkenswert ist es, daß die Probleme der wachsenden Wirtschaft und der steigenden Produktivität dabei ausdrücklich einbezogen werden; sogar die moderne Frage, ob der Fortschritt der Produktivität den Bürgern besser durch steigende Einkommen oder durch sinkende Preise zugute kommen solle, ist schon besprochen (S. 49 f., 53).

Schließlich hat Fichte auch nicht verkannt, daß ein stoffwertloses Zeichengeld, um funktionsfähig zu bleiben, einer besonderen Absicherung gegenüber dem Ausland bedarf. Dies Problem wird allerdings auf die radikalste Weise gelöst: durch das völlige Abschneiden aller Außenhandelsbeziehungen. Daß innerhalb seines Systems auch der Weg eines staatlichen Außenhandelsmonopols gangbar wäre, stellt Fichte selbst fest (S. 111 f., 119). Die Entscheidung dafür,

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daß der sozialistische Staat als gegen den Außenhandel "geschloßner Handelsstaat" entwickelt wird, ist also durch die geldtheoretischen Überlegungen nicht erzwungen. Daß auch diese, wie wir sahen, sehr bedeutenden und fortschrittlichen theoretischen Einsichten Fichtes in der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften nicht fruchtbar geworden sind, ist noch einleuchtender als bei seinem allgemeinen planwirtschaftliehen Modell. Zwar wäre sein theoretischer Ansatz, die Verbindung eines konsequent entwickelten Zeichengeldes mit den Grundeinsichten der Quantitätstheorie, auch in einer marktwirtschaftliehen Ordnung anwendbar gewesen. Er war aber ausdrücklich für eine sozialistischplanwirtschaftliche Ordnung entwickelt worden, seine Darstellung war ganz in die Erörterung dieses Ordnungsmodells eingebettet und auf sie bezogen. Zur Klärung der Frage, wie dies Geldsystem sich bei freier Preisbildung verhalten würde, bot er weder Aussagen noch analytische Instrumente an. Besonders hinderlich mußte es sein, daß auch seine Wert- und Preislehre, der ja für eine Geldtheorie vordringliche Bedeutung zukommt, ganz auf das planwirtschaftliche Modell ausgerichtet war. So hätte man eine Antwort auf geldtheoretische Fragen in dieser Schrift auch dann nicht gesucht, wenn ihrer Wirkung nicht noch andere, stärkere Hindernisse entgegengestanden hätten. 5. Zur Wert- und Preislehre Fichtes Aus wirtschaftstheoretischer Sicht bieten schließlich auch die Aussagen Fichtes zur Wert- und Preislehre einiges Interesse. Hier ist zunächst festzustellen, daß er von einer anderen Fragestellung ausgeht als die übliche Preistheorie. Während man in dieser fragt, wie Preise sich am Markt tatsächlich bilden, also eine Kausalanalyse unternimmt, fragt Fichte, einer Planwirtschaft angemessen, teleologisch: Wie sollen die Preise vom Staat gesetzt werden? Das ist wirtschaftstheoretisch gesehen eine sehr eingeschränkte Fragestellung. Der Unterschied, der sich dabei ergibt, ist allerdings nicht so groß, wie man annehmen möchte. Vielmehr hat gerade die teleologische Fragestellung Fichte auch hier zu einem moderneren Ansatz verhol-

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fen. Denn die Faktoren, die in einer Marktwirtschaft die Preisbildung vor allem bestimmen, sind ja gleichfalls menschliche Handlungen, die selbst zweckorientiert sind; der Marktmechanismus ist dann ein Koordinator von Zweckvorstellungen der Marktteilnehmer. Seit dies Problem - mit dem Aufkommen der Grenznutzenschule - in der Wirtschaftstheorie erlaßt wurde, hat die marktwirtschaftliche Wert- und Preislehre mit dem Zielsystem einer Planwirtschaft, aus dem deren Preise abgeleitet werden müssen, die logische Grundstruktur gemeinsam; ihr Generalnenner "Nutzen" ist nur eine Spielart des Zweckbegriffs. So hat es tiefe systematische Gründe, daß Fichte auch hier bei seinem Bemühen, Preisbildungsregeln für eine Planwirtschaft zu entwickeln, Grundgedanken der späteren marktwirtschaftliehen Theorie vorwegnimmt. Bei der Erörterung seines planwirtschaftliehen Modells hatten wir schon gesehen, daß er den Gedanken einer Rangordnung der Zwecke, die allen planwirtschaftliehen Entscheidungen zugrunde liegen muß, klar gefaßt hatte. Daß er auch bei der Behandlung der Wert- und Preisbildung von diesem Gedanken ausgeht, zeugt von richtigem und für seine Zeit wiederum hochoriginellem Verständnis des wirtschaftlichen Wertes; dieser muß tatsächlich als Ausdruck der Eignung und Bedeutung von Gütern und Leistungen für die Erfüllung von unter dem Gesichtspunkt ihrer Dringlichkeit geordneten Zwecken gefaßt werden, wie dies mit dem Ausbau der Wirtschaftstheorie seit dem Beginn der Grenznutzenschule immer klarer und differenzierter herausgearbeitet worden ist. Als Vorgriff auf diese Entwicklung ist von Interesse schon die Kritik Fichtes an der Kosten- und Arbeitswertlehre, die gerade damals von Adam Smith zu stärkstem Einfluß gebracht worden war48 : wieso sollen wir das Erzeugnis anderer nach deren Mühe schätzen statt nach unserem Nutzen - wer will uns verpflichten, "zwecklose Mühe" "durch zweckmäßige zu vergelten" (S. 68 f.)? Diese Kritik hindert ihn nicht, im Rahmen seiner eigenen Preisbestimmungsgrundsätze unter anderem auch auf Kostenäquivalenzen zurückzugreifen: in solchen Fällen, in denen er die Annahme für berechtigt hält, daß ein höherer Kostenaufwand Kennzeichen einer höheren Nutzenschätzung ist (S. 31). Die Probleme dieser

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Verbindung werden uns noch beschäftigen. Im Grundsätzlichen entspricht diese Lösung der der modernen Gleichgewichtstheorie, der zufolge - allerdings nur bei Erfüllung gewisser Normalbedingungen der Marktform und der Kostenentwicklung - im Gleichgewichtszustand nach vollständiger Anpassung von Angebot und Nachfrage an die Marktlage (Grenz-)Nutzen und (Grenz-)Kosten einander gleich sind. Von den Näherbestimmungen der späteren Theorie hat Fichte nun allerdings keinerlei Vorstellung, insbesondere nicht davon, daß Nutzen und Kosten sich im Verlaufe der Anpassungsprozesse in mannigfachen, oft sehr feinen Abstufungen ändern, noch auch vom Marginalprinzip. So erklärt es sich, daß er bei dem Versuch einer konkreten Ausarbeitung seiner Preisbildungsgrundsätze in Unklarheiten und Widersprüche gerät. Der richtige und fortschrittliche Grundansatz seiner eigenen Preislehre lautet: bei der Bestimmung des "wahren inneren Wertes jeder freien Tätigkeit" ist von ihrem Zweck auszugehen. Dieser Zweck wird dann in der "Möglichkeit und Annehmlichkeit des Lebens" gesehen - das scheint recht plausibel, wird sich allerdings als zu eng und von Fichtes eigenen philosophischen Grundsätzen aus als problematisch erweisen. Auch die nächsten Schritte scheinen plausibel. Da die Schätzung der Annehmlichkeit dem Wechsel von Geschmack und Neigung unterworfen ist, scheint sich nur die Lebensmöglichkeit zum "gemeingeltenden Maßstab" zu eignen; deshalb ist im Prinzip jedes Erzeugnis "um so viel mehr wert, als das andere, als man länger davon leben kann", und das allgemeinste und am billigsten erzeugbare Nahrungsmittel, das Brotkorn, ist der bestgeeignete Wertmaßstab (soweit S. 29 ff.). Dann bliebe nur die Aufgabe, die anderen Erzeugnisse in diesen Wertmaßstab umzurechnen. Dafür sieht Fichte vier verschiedene Regeln vor: 1) Die soeben genannte Grundregel ist unmittelbar auf Nahrungsmittel anwendbar und bedeutet deren Bewertung nach Nährkraftäquivalenzen: den Wert eines Kilogramms Brot hat danach zum Beispiel die Menge Fleisch, von der man ebensolange leben kann (S. 30).

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2) Nahrungsmittel, die wegen ihrer "Annehmlichkeit" trotz höheren Kosten angebaut werden, sollen die Menge Korn wert sein, die mit gleichem Kosten- und Mühenaufwand hätte erzeugt werden können 49 • Dasselbe soll für in der Landwirtschaft erzeugte gewerbliche Rohstoffe gelten (S. 31, 30). 3) Der Wertanteil gewerblicher Erzeugnisse, der auf die Verarbeitung entfällt, soll nach der Kornmenge bestimmt werden, die der gewerbliche Arbeiter im Zeitraum der Verarbeitung für seine Ernährung benötigt, - diesem Zeitraum soll eine angemessene Quote der beruflichen Lehrzeit zugerechnet werden (S. 30). 4) Im ganzen sollen sich Preise ergeben, von denen die in der Landwirtschaft und im Gewerbe Tätigen und ebenso die Kaufleute "mit der ihrem Geschäfte angemessenen Annehmlichkeit leben können", so daß sie "davon sich ernähren, und für dasübrige die anderen ihrer Lebensart zukommenden Bedürfsnisse eintauschen können" (S. 32). Hier ist zunächst das Verhältnis der ersten beiden Regeln zu klären. Da ergibt sich, daß die zweite für eine Anwendung der ersten gar keinen Raum übrig läßt. Als Wertmaßstab soll das Nahrungsmittel gewählt werden, das mit dem geringsten Kostenaufwand erzeugt werden kann - dann werden alle anderen nur wegen ihrer größeren "Annehmlichkeit" erzeugt, und die Preisbildungsregel für solche Güter muß gelten: die Preise aller Nahrungsmittel verhalten sich zueinander wie ihre Erzeugungskosten 5°. Ob man den Preis dann in Kilogramm Brotgetreide oder in Normalarbeitsstunden oder in Geld ausdrückt, macht keinen Unterschied. Auch bei der dritten der genannten Bewertungsregeln ergibt sich ein Widerspruch vor allem zur vierten Regel und damit zugleich zu den von Fichte sonst herausgestellten Verteilungsgrundsätzen. Die Preise der Erzeugnisse sind die Grundlage der Einkommensbildung; so ist auch das Einkommen jedes Gewerbetätigen, ebenso wie in einer Marktwirtschaft, der Erlös für die an den Kaufmannsstand gelieferten Erzeugnisse abzüglich des Preises bezogener Vorprodukte und Werkzeuge. Wenn in den Preis für den Zeitraum, den er zur Herstellung eines Gutes benötigt, als Gegenwert seiner Arbeit nur der Wertbetrag eingerechnet wird, der der zu seiner Ernährung be-

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nötigten Menge des Grundnahrungsmittels entspricht, so kann auch sein Einkommen nur zum Kauf des Grundnahrungsmittels ausreichen, dagegen nicht einmal zum Erwerb von Kleidung und anderen Gebrauchsgütern, von denen gewisse Mindestmengen sogar zum notdürftigsten Existenzbedarf gehören; erst recht kann von einem Austausch gegen andere Nahrungsmittel nicht die Rede sein,- den Fichte in demselben Abschnitt vorsieht, - da diese, wie sich aus dem zuvor Gesagten ergibt, einen geringeren Nährstoffgehalt je Werteinheit haben müssen, der dann im ganzen nicht mehr ausreichen kann, noch läßt sich die gleichmäßige Verteilung aller Erzeugnisse entsprechend den der jeweiligen Berufstätigkeit angemessenen Bedürfnissen und die Beteiligung am steigenden Wohlstand verwirklichen, die Fichte im unter 4. genannten Grundsatz und auch sonst so nachdrücklich fordert (S. 30 ff., 16 f., 23) 51 . Die vierte Bewertungsregel bedeutet also eine Aufhebung der dritten gerade ebenso wie die zweite Regel die Aufhebung der ersten. Bei der Bemessung des Preiselements, das der Tätigkeit der Gewerbetreibenden entspricht, ist demnach statt von der während der Arbeit an einem Gut benötigten Nährkraft von dem gesamten Einkommen auszugehen, das der Gewerbetätige nach den Verteilungsregeln für diesen Zeitraum empfangen soll 52 . Es bleibt noch das Verhältnis der vierten Regel zur zweiten zu klären. Da zeigt sich, daß die zweite Regel der vierten untergeordnet werden bzw. in ihr aufgehen kann. Die Kosten, deren Verhältnis zueinander nach der zweiten Regel die Preisrelationen der Nahrungsmittel bestimmen soll, sind ja vor allen Dingen Arbeitsaufwendungen, deren Entgelt Einkommen darstellt. Kosten und Preise müssen also in ihrer Höhe so bemessen sein, daß sich Einkommen entsprechend der vierten Regel ergeben. Zugleich zeigt sich, daß das Nährkraftäquivalent, in dem diese Preise ausgedrückt werden sollten, für alle Güter außer dem Grundnahrungsmittel selbst eine Fiktion ist. Insbesondere bei anderen Nahrungsmitteln bedeutet derselbe Preis, wie schon gezeigt, geringere Nährkraft, aber gleiche Arbeitsaufwendungen und Einkommen, und diese Art der Gleichwertigkeit ist es allein, die auch bei den gewerblichen Erzeugnissen feststellbar ist.

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Nun nennt Fichte allerdings als Kostenfaktor außer der Arbeit "Kraft und Zeit" - noch den Boden. Er gibt jedoch nicht an, wie die Gleichwertigkeit verschiedener Nahrungsmittel berechnet werden soll, wenn für die Erzeugung des einen z.B. mehr Boden, aber weniger Arbeit benötigt wird als für andere. Er bleibt hier also in den für jede Kostenwertlehre typischen Schwierigkeiten befangen, daß sie keine Regel angeben kann, wie der Aufwand an verschiedenartigen Produktionsfaktoren auf einen Nenner gebracht werden könnte. Dies Problem ist erst mit der Grenzproduktivitätstheorie gelöst worden. Müssen wir dann nicht zu der Feststellung gelangen, daß Fichte trotz der besseren Einsicht seines ursprünglichen Ansatzes im Ergebnis in eine Art Arbeitswertlehre zurückgefallen ist? Die Preise der Güter sollen ja nun schließlich doch der für sie aufgewendeten Arbeitszeit entsprechen, die jeweils mit unterschiedlichen, der Eigenart der Arbeitsaufgabe angepaßten Lohnsätzen bewertet ist. Den Einwendungen, die Fichte selbst gegen eine Arbeitswertlehre vorgetragen hat (S. 68 f., siehe oben), ist seine Preislehre jedoch nicht ausgesetzt. Denn schon die öffentliche Arbeitslenkung und der nach abgestuften Dringlichkeiten aufgestellte Arbeitsplan sollen ja garantieren, daß die Produktion jeweils auf die wichtigsten Zwecke ausgerichtet wird; den Aufwand von "zweckloser Mühe" zu vermeiden ist gerade ein Hauptziel des Systems. Es werden also nur solche Güter in die Bewertung einbezogen, bei denen auch die Nützlichkeit durch das wirtschaftliche System gesichert ist. Wenn der Nutzen allerdings nicht nur als Bedingung der Wertbildung im System berücksichtigt werden, sondern selbst einen Wertausdruck, ein Maß finden sollte, so hätte noch ein logischer Schritt getan werden müssen: aus der- bei Fichte, wie wir sahen, grundsätzlich vorliegenden - Vorstellung einer Rangordnung der Zwecke nach ihrer Wichtigkeit ergibt sich auch, daß dasselbe Gut je nach der verfügbaren Menge für Zwecke verschiedener Wichtigkeit eingesetzt werden kann, daß es je nach seiner Einsatzrichtung verschiedenen Nutzen stiftet und verschiedenen Wert hat - dann ist es nicht möglich, ein Gut selbst zum Standardmaß des Nutzens zu machen, wie Fichte das mit dem Grundnahrungsmittel versucht. Diese

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Folgerungen konnten jedoch erst zwei Generationen später, in der Grenznutzenschule, systematisch entwickelt und zur Wert- und Preislehre ausgebaut werden. Gegenüber der Arbeits- bzw. Kostenwertlehre der damals vorherrschenden "klassischen" Nationalökonomie, wie sie vor allem von Adam Smith vertreten wurde, ergeben sich noch zwei weitere Unterschiede. Der erste betrifft die Einordnung der anderen Produktionsfaktoren, Boden und Kapital. Soweit ein Wertsystem von der Kostenseite her bestimmt wird, erweist es sich aus logischen Gründen als unmöglich, verschiedenartige Aufwandfaktoren auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Das Wertsystem der klassischen Nationalökonomie ist vor allem an diesem Punkt gescheitert; immerhin ist in ihr um die Frage, wie der Einsatz der Produktionsfaktoren Boden und Kapital dem grundsätzlich auf Arbeitskosten aufbauenden Wertsystem eingegliedert werden könnte, beharrlich gerungen worden. Bei Fichte taucht das Problem praktisch nicht auf. Die Bedingtheit der Produktion durch Boden und Kapital scheint zwar gelegentlich gesehen (S. 31, 28). Doch verbleibt es für den Boden, wie wir schon sahen, bei einer nicht genauer durchdachten Erwähnung, die letztlich nicht zur Berücksichtigung eines Wertelements für Bodennutzungen in den Preisen führt; vom Zins ist im ,Handelsstaat' nicht die Rede 53 . Diese Behandlung des Problems ist unmittelbar dadurch gerechtfertigt, daß das Preissystem bei Fichte vor allem als planwirtschaftliches Verteilungsinstrument entworfen ist; da könnte es sinnvoll sein, nur Arbeitseinkommen vorzusehen. Zugleich ist jedoch wiederum festzustellen, daß es nicht gelungen ist, den Zweck- bzw. Nutzengedanken im Preissystem tiefer zu verankern; hier geht es darum, daß dies Preissystem nicht geeignet ist, selbst als Planungsinstrument bzw. Planungshilfsmittel zu dienen. Diese wichtige Rolle des Preissystems, die sich aus dem Zweckgedanken ergibt, würde voraussetzen, daß alle Produktionsfaktoren entsprechend ihrem "produktiven Beitrag" bewertet und in ihrem Einsatz mit Hilfe dieser Werte gesteuert werden. Noch interessanter ist das Verhältnis Fichtes zur "klassischen" Nationalökonomie in der Frage, wie die verschiedenen Arbeitseinkommen im Verhältnis zueinander bemessen werden sollen. Auf

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den ersten Blick scheint weitgehende Übereinstimmung zu bestehen, indem Fichte von den Faktoren, durch die bei Adam Smith die Einkommensunterschiede bestimmt werden, die für sein System geeigneten: Unterschiede der Annehmlichkeit und solche des Aufwands beim Erlernen des Berufs, übernommen hat, wobei sich die Unterschiede der Annehmlichkeit als die eigentlich wichtigen herausstellen54. Doch besteht eine wesentliche Abweichung hinsichtlich der Art, wie diese Unterschiede wirksam werden. Bei Smith ist es der freie Fluß der Arbeitskräfte selbst, der, auf freien Märkten vom Selbstinteresse gelenkt, die den unterschiedlichen Anforderungen der Berufe entsprechenden Einkommensunterschiede hervorbringt. Bei Fichte dagegen handelt es sich um ein Element der Planungsentscheidungen der Regierung. Und zwar soli das aus Produktivitätssteigerungen erwachsende Mehrprodukt "verhältnismäßig unter alle gleich verteilt" werden; was als verhältnismäßig zu gelten hat, soll dabei entschieden werden im Hinblick auf "diejenige Art von Kraft und Wohlsein ... , deren ein jeder für sein bestimmtes Geschäft bedarf" - wobei z.B. auch die ästhetischen Bedürfnisse der Wissenschaftler und "höheren Künstler" zu berücksichtigen sind (soweit S. 31 f.). Die Einkommensrelationen sind also bei Adam Smith von menschlichen Urteilen bzw. Meinungen unabhängig, sie ergeben sich aus den Wirkungen des Marktmechanismus und erhalten damit eine gewisse Objektivität; bei Fichte dagegen werden sie durch Planungsentscheidungen bewußt hergestellt, und diese Entscheidungen schließen dabei sehr schwierige, unsichere Wertungen ein, deren Grundlagen nur teilweise überhaupt objektiv belegt werden könnten, während ein höchst subjektives Ermessensurteil über das Angemessene eine große Rolle spielt. Damit beruhen aber alle Wert- und Preisgrößen des Systems auch auf diesem Ermessensurteil der Planungsbehörden. Dies festzustellen ist um so wichtiger, als Fichte für seine Rechts- und Wirtschaftsordnung, unter Einschluß des Inhalts der Verträge, also auch der Einkommensverteilung, in Anspruch nimmt, daß sie die einzig vernunftgemäße, damit auch die einzige rechtliche ist. In der "Rechtslehre" von 1812 ist der Radikalismus dieses Standpunktes so weit gesteigert, daß Verträge zu "unrichtigen" Preisen nicht gültig sind und der, der

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nicht sein faires Einkommen erhält, an die Rechtsordnung nicht gebunden ist 55 . Danach wäre unbedingt die Gründung aller Werte und Preise ausschließlich auf objektiv feststellbare Tatsachen zu fordern - dem genügt sein Preissystem also durchaus nicht. Auch hier ergibt sich die Frage, ob die nach diesen Gesichtspunkten bemessenen Einkommen und Preise auch als Planungsinstrumente geeignet sein könnten. Dafür kommt es einmal darauf an, ob die Einkommensunterschiede im Hinblick auf objektive Notwendigkeiten der verschiedenen Berufe festgesetzt werden sollen, oder ob es mehr um berufliche Differenzierungen eines Konsumideals geht. Der Text (S. 31 f.) zeigt eine Verbindung oder besser Vermischung beider Gesichtspunkte; schon insoweit ist das Preissystem also als Planungsinstrument nur bedingt geeignet. Noch wichtiger ist die Beobachtung, daß die Lenkung der Arbeitenden entsprechend ihrer Eignung und dem Bedarf ausdrücklich auf anderem Wege erfolgen und die Preise nicht beeinflussen soll, wie das bei der Darstellung des Planungssystems gezeigt war; soweit für diese Lenkung Weisungen. und Verbote nicht ausreichen und Prämien als finanzielle Anreize nötig werden, sollen sie nicht in die Preise eingehen (S. 24). Im ganzen sehen wir, daß Fichte seinen vielversprechenden und modernen Ansatz, die Wert- und Preislehre vom Zweck bzw. Nutzen her aufzubauen, nicht durchhalten kann, sondern in ein System zurückgleitet, das der "klassischen" Wertlehre nahe verwandt, dazu in wichtigen Punkten mit Widersprüchen belastet ist. Diese Widersprüche müssen dadurch behoben werden, daß man die aus dem Verteilungsgesichtspunkt abgeleitete Preisbildungsregel (hier als "vierte" dargestellt) als die eigentlich maßgebende zugrundelegt und alles dem Widersprechende ausscheidet. Das sich dann ergebende Preissystem erfüllt angemessen die Anforderungen eines planwirtschaftliehen Verteilungsinstruments. Dagegen kann es die Bedürfnisse eines Hilfsinstruments der Planung selbst nicht erfüllen - die hohe Bedeutung dieser Funktion der Preise ist mit dem praktischen Aufbau planwirtschaftlicher Systeme deutlich geworden. Auch der Anspruch, daß hier das eindeutig verbindliche, allein vernunft- und rechtsgemäße Wertsystem entwickelt sei, erweist sich als nicht haltbar. Gerade in diesem Punkt führt die Erörterung des Preissystems

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auf die grundsätzliche Frage zurück, wie das Wirtschaftsordnungsmodell Fichtes sich zu den Grundgedanken seiner praktischen Philosophie verhält. 6. Zur Entstehung und Entwicklung von Fichtes Wirtschaftsdenken Über die Entstehung und Entwicklung der bisher dargestellten wirtschaftlichen Ideen und Vorstellungen Fichtes sind einige interessante Beobachtungen möglich. Der wirtschaftliche Gehalt des ,Beitrags zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution' ( 179 3) ist nicht sehr eindrucksvoll noch auch ganz ausgereift: Die richtige Eigentumsordnung - ein auf Arbeit bzw. Verarbeitung beruhendes dingliches Eigentum - ist vor aller staatlichen Gesetzgebung durch die Vernunft bestimmt. Die Verbindlichkeit zwingenden Rechts wie alle staatlichen Funktionen werden demgegenüber abgewertet und unter Bedingungen gestellt, die praktisch ihre Aufhebung bedeuten. Wir haben hier einen zum Extrem gesteigerten Liberalismus, der sich von der Aufhebung der "vernunftwidrigen" gegenwärtigen Ordnung und der Herstellung vollständiger Selbstbestimmung aller Menschen zugleich die Verwirklichung einer alle Not beseitigenden Güterverteilung erhofft 56 • Die entscheidende Wandlung hat sich im wirtschaftlichen Denken Fichtes wie in seiner Rechtsphilosophie vor und in der Ausarbeitung der ,Grundlage des Naturrechts' vollzogen. Der Übergang zum neuen nicht dinglichen Eigentumsbefriff läßt sich genau im Anfang des II. Teils von 1797 nachweisen 5 . Daraus folgen sogleich, jedoch in sehr knapper Skizzierung, die Grundlinien seines planwirtschaftlichen Modells 58 . Die Funktionen, die dabei der Regierung als dem Organ der Gesamtplanung zufallen, sind gelegentlich schon scharf betont; im ganzen treten sie aber doch nicht so deutlich hervor. Denn einmal richtet Fichte seine Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf die Abgrenzung zwischen den Ansprüchen der Einzelnen und auf die "Verträge" zwischen ihnen. Zum andem ist dasplanwirtschaftliche System noch nicht geschlossen; vielmehr wird ein Unterschied zwischen "unentbehrlichen" und Luxus-

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gütern gemacht - nur für erstere sollen Höchstpreise gelten, nur diese sind also von der staatlichen Kontrolle der Produktion und des Austauschs erfaßt 59 . Die übrigen Elemente der Wirtschaftslehre Fichtes sind meist nur angedeutet. So beschränken sich die Aussagen zur Preislehre auf die Forderung eines "höchsten Preises" für unentbehrliche Güter - statt des staatlich garantierten Festpreises für beide Seiten, der systemgerecht wäre 60 . Die Abschließung gegen den Außenhandel ist in zwei knappen Andeutungen als denkbar empfohlen, aber noch nicht strikt gefordert61. Um diesen Punkt, - den wir als theoretisch weniger bedeutend erkannten, - hat Fichte sich danach bei der Ausarbeitung des ,Geschloßnen Handelsstaats' besonders intensiv bemüht, und dabei hat sich dies Problem in der Gesamtdarstellung so in den Vordergrund geschoben, daß die "Schließung des Handelsstaates" für Fichte selbst -und deshalb, wie wir sahen, auch für die Zeitgenossen - fälschlich zum Hauptkennzeichen und Symbol des gesamten Ordnungsmodells wurde. Sehr interessant ist im ,Naturrecht' noch die Stellungnahme zur Geldtheorie 62 . Die Theorie des Zeichengeldes ist hier gleichfalls noch nicht folgerichtig durchgeführt; der Leitgedanke hat jedoch schon deutlich Ausdruck gefunden. In gewissem Sinne ist es hier reizvoll, daß Fichte sich dabei auch für diese so spezielle ökonomische Theorie um eine enge Verbindung zum Grundgedanken seines Systems bemüht: Er sucht auch an dieser Stelle schon einen Weg, die Freiheit des Einzelnen und den Zwang der Gesamtplanung zu vereinigen. Und zwar soll der Staat seinen Anspruch auf die "Materie" der Güter beschränken, während ihre Form in den Freiheitsbereich der Einzelnen fällt - und das Zeichengeld soll deshalb als "bloße Form des Eigentums" von aller staatlichen Verfügungsgewalt frei bleiben. Tatsächlich ist dies ein Scheinargument: Die Unterscheidung von "Materie" und "Form" bleibt in ihrer Abgrenzung wie in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ganz unklar 63 - sie kann wirtschaftliche Bedeutung gar nicht erhalten, weil das Geld ja seine Funktion nur insoweit ausübt, wie es ungehindert zur Beschaffung von Gütern verwendet werden kann; jede Beschränkung in der

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Beschaffbarkeit von Gütern schlägt auf den Wert des Geldes zurück. Über die Entwicklung von der ,Grundlage des Naturrechts' (1796/97) zum ,Geschloßnen Handelsstaat' (1800) gibt dann ein sehr interessantes Dokument Auskunft, das sich jetzt neu in Fichtes Nachlaß gefunden hat: ein Manuskript ,Ueber StaatsWirthschaft' im Anhang abgedruckt. Es handelt sich offensichtlich um erste Überlegungen zu dem Plan, die Gedanken zur wirtschaftlichen Ordnung, die in der ,Grundlage des Naturrechts' eher beiläufig entwikkelt waren, als besondere Schrift gründlich auszuarbeiten. Das Manuskript ist vor allem in drei Punkten aufschlußreich. Das Ringen um die endgültige, durchdachte Theorie des Zeichengeldes, die in Auseinandersetzung mit der damals herrschenden metallistischen Geldtheorie erwuchs, tritt in diesen vorläufigen Notizen besonders anschaulich hervor. Die Kritik am Metallgeld verbindet sich dabei mit der am liberalen Wirtschaftssystem überhaupt; zugleich wird der Gegensatz von freiem Markt und Planung grundsätzlich philosophisch als ein solcher von "blinder Naturgewalt" und planmäßig-vernünftigem Handeln gedeutet. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Stufenleiter: absolutistischer Wohlfahrtsstaat bzw. Merkantilismus als "Willkür" - liberale Wirtschaftsordnung als "(physische) Notwendigkeit" -- Planwirtschaft als "moralische Notwendigkeit, und besonnene Kunst". Schließlich kommt schon hier sehr deutlich eine Überordnung des Staates als der "gemeinsamen Vernunft der Nation" über die einzelnen Bürger zum Ausdruck:" ... die Erreichung des höhern Zwecks der Menschheit ist Gegenstand der Staatswirtschaft". Dies ist ein wichtiges Zeugnis, daß diese später in den ,Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters', den ,Reden an die deutsche Nation'und der sogenannten ,Staatslehre' von 1813 stark hervortretende Auffassung schon den ,Geschloßnen Handelsstaat' beeinflußt hat. Die hier vorliegende systematische Spannung wird uns in den folgenden Abschnitten beschäftigen. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Kennzeichnung des idealen Staats als "Reich der moralischen Notwendigkeit" - ein Zeugnis, daß die Grenzen zwischen einer rechtlich und einer sittlich

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vernünftigen Ordnung sich bei Fichte entgegen seiner ursprünglichen Absicht gelegentlich verwischen. Für die Entwicklung des Fichteschen Wirtschaftsdenkens nach der Abfassung des "Geschloßnen Handelsstaats" ist vor allem die ,Rechtslehre' (1812) zu vergleichen. Auf die wichtigen Wandlungen ist schon in der Darstellung der jeweiligen Sachfragen hingewiesen. Am wichtigsten ist einmal die "Verstaatlichung" des Handels, durch die das planwirtschaftliche System erst vollendet wird. Zum andern ist besonders auf die Betonung der allen im gleichen Maß zuzuteilenden Muße hinzuweisen, durch die vor allem in der Planwirtschaft die Freiheit verwirklicht werden soll - die Probleme dieses Gedankens sind im folgenden zu besprechen. III. Das Verhältnis der leitenden Ideen der Fichteschen Wirtschaftsordnung zu seiner praktischen Philosophie64 1. Freie Selbsttätigkeit in der Planwirtschaft? Schon in der Darstellung des Beitrags Fichtes zur Wirtschaftstheorie war verschiedentlich sichtbar geworden, daß das Verhältnis seines Ordnungsmodells zu den Grundgedanken seines philosophischen Systems wichtige Probleme aufwirft. Hier liegt ja gerade ein besonderes Interesse seines Modells. Die sozialistischen Systeme sind in der Regel von einem Mißverhältnis geplagt zwischen dem hohen Anspruch, die Gesamtheit der menschlichen Lebensbedingungen aus einer Idee zu gestalten, und dem geringen ethischen und philosophischen Tiefgang der Ideen, die sie dieser Gestaltung zugrundelegen. Fichtes Philosophie dagegen ist sowohl durch eine sehr hochsinnige, ideale Auffassung des Sittlichen ausgezeichnet als auch durch die tiefe Verankerung seiner Ethik im Gesamtsystem der ,Wissenschaftslehre'. Nicht die tote Welt der äußeren Dinge, sondern das Reich der tätigen Iche ist die wahre Wirklichkeit. Dabei ist die Tätigkeit sittlich verstanden; es geht nicht um den Selbstgenuß des Erfolgserlebnisses, sondern um die Bejahung und Verwirklichung hoher Aufgaben, die in unserm Wesenskern angelegt sind, sofern wir Vernunftwesen sind. So sind seine theoretische Philoso-

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phie und seine Ethik gerade durch den Freiheitsgedanken tief innerlich verknüpft. Wir hatten gesehen, daß dieser Freiheitsgedanke auch die Grundlage seiner Wirtschaftslehre bildet. Schon in seinem Eigentumsbegriff kam das zum Ausdruck: Was der Mensch braucht, sind nicht tote Objekte, sondern es ist Raum für seine lebendige, frei schaffende Tätigkeit. Diesen Freiraum zu sichern ist demgemäß die erklärte Absicht der von ihm entworfenen Wirtschaftsordnung. Ist dies Ziel nun aber erreicht worden? In dem System der sozialistischen Planwirtschaft, das aus dem eben genannten Grundanliegen, scheinbar logisch zwingend, abgeleitet worden ist, sind die grundlegenden Entscheidungen, in denen sich die Selbsttätigkeit des einzelnen Bürgers schöpferisch verwirklichen könnte, auf die Regierung als die oberste Planungsbehörde übergegangen. Sie trifft gerade die Entscheidungen, von denen der praktische Sinn der wirtschaftlichen und beruflichen Tätigkeit aller Bürger hauptsächlich abhängig ist: nur mit ihrer Bewilligung darf der einzelne Bürger einen Beruf ergreifen - sie berechnet, wieviel er leisten muß und was er für seine Leistung erhält, - sie bestimmt, welche Güter überhaupt wichtig genug sind, erzeugt zu werden, was also Ziel und Zweck der wirtschaftlichen Tätigkeit der Bürger werden darf. Diese Paradoxie hat auch Fichte selbst gesehen. Noch nicht im ,Geschloßnen Handelsstaat', wohl aber in der "Rechtslehre" von 1812 spricht er es selbst aus: "Nun wird der ganze Eigentumsvertrag geschlossen, und der Rechtszustand eingegangen, lediglich um der Freiheit willen. Aber durch die Vorkehrungen, die wir treffen, sie zu schützen, sehen wir das gerade Gegenteil erfolgen, ihre Vernichtung"65. Bei Fichte selbst finden sich verschiedene Ansätze, diesen Widerspruch aufzulösen. Einmal findet sich eine Andeutung, daß die Freiheit auch in der Art liegen kann, wie gegebene Aufgaben erfüllt werden 66 . Dies wäre jedoch ein sehr geringer Spielraum. Die wichtigste Betätigung der Freiheit ist jedenfalls die Wahl der Ziele und Zwecke selbst. Darüberhinaus schließt das planwirtschaftliche System, wie wir sahen, eine Bemessung und Kontrolle des Leistungsumfangs ein, die den Spielraum füreigene Entscheidungen auch über

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die Arbeitsmethoden weiter einengt. Da Fichte selbst eine fortschreitende Arbeitsteilung zur Steigerung der Produktivität ins Auge faßt (S. 37 f.), so ist hier zu bedenken, daß diese auch die Produktionsverfahren selbst einbezieht und den einzelnen Arbeiter oft auf unselbständige Teilverrichtungen in festgelegten Produktionsabläufen beschränkt. Von dieser Freiheit bleibt also oft nichts übrig. Das Hauptgewicht legt Fichte auf die Forderung, daß die zentral geplante Wirtschaft nicht die gesamten Kräfte ihrer Bürger für sich in Anspruch nehmen dürfe, sondern jedem noch "Freiheit ... für frei zu entwerfende Zwecke", zur "Muße" übriglassen müsse 67 . Mit dieser Antwort scheint das Schicksal vorausbezeichnet und bejaht, das die moderne Industriegesellschaft vielen Menschen bereitet hat: sie absolvieren mit geringer innerer Beteiligung ein Arbeitspensum, während ihre eigentlichen Lebensinteressen in die Freizeit verlegt sind; man spricht schon von der "Freizeitgesellschaft". Bei Fichte selbst besteht hier eine Beziehung zu seinen sittlichen Idealen; die materiellen Bedürfnisse sollen möglichst wenig von der Kraft des Menschen mit Beschl~ belegen, so daß er frei wird, sich zur sittlichen Freiheit zu bilden 8 . Trotzdem muß festgestellt werden, daß das eigentliche Ziel dieses Ordnungsmodells damit verfehlt ist: die Restfreiheit nach Leistung eines auferlegten Arbeitspensums ist jedenfalls etwas anderes als die freie Entfaltung der Selbsttätigkeit in wirtschaftlichen Aufgaben, die jedem Bürger als "Eigentum" gesichert werden sollte. Fichte selbst sagt in diesem Zusammenhang: "Diese Freiheit soll nun eigentlich das ganze Geschäft des Menschen durchdringen, und nicht abgesondert sein in ... Zeiten, und besondere Verrichtungen" 69 . Und dies ist die Auffassung, die dem tieferen Anliegen Fichtes gemäß ist: Wenn die gesamte Außenwelt das "Materiale unserer Pflicht" ist 70 , so können wir keinen Teil unserer auf sie bezogenen Selbsttätigkeit aus dem Bemühen um sittliche Gestaltung entlassen. Gerade die wirtschaftliche Tätigkeit nimmt bei den meisten Bürgern die besten Kräfte in Anspruch; wenn sie in ihr einen sittlichen Sinn nicht finden können, so muß ihr Leben arm sein. Auch wäre es nicht sinnvoll, eine Wirtschaftsordnung nach Vernunftprinzipien zu gestalten, wenn dabei den in ihr Tätigen ein sittlich bedeutender Freiheitsraum nicht ge-

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schaffen werden kann. Schließlich entsteht sogar ein auffälliger Widerspruch zu einem Grundgedanken der "Wissenschaftslehre": der Freiheitsraum, der dem Menschen für seine sittliche Entfaltung gegeben ist, wäre damit wohlstandsabhängig, Faktoren der Außenwelt würden jedem Ich den Spielraum für seine sittlich-schöpferische Selbsttätigkeit vorgeben 71 . Schließlich hat Fichte für diese Frage noch eine dritte Antwort. Ste findet sich allerdings nicht im "Handelsstaat" und auch nicht in der ,Rechtslehre' ( 1812), liegt aber verschiedenen anderen Schriften der späteren Zeit zugrunde, besonders den "Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" und der sogenannten ,Staatslehre' (1813)auch die ,Reden an die deutsche Nation' sind aus diesem Geist geschrieben: Wenn das menschliche Gemeinschaftsleben in richtigem Geist geleitet wird, also "im Vernunftstaat", müßte der Lenkungsprozeß gerade zur Verwirklichung der Zwecke führen, die die einzelnen Bürger selbst sich setzen - mindestens soweit auch sie von ihrer Freiheit einen - oder "den" - vernünftigen Gebrauch machen: " ... es soll im vollkommenen Staate durchaus kein gerechter individueller Zweck stattfinden, der nicht in die Berechnung des Ganzen eingegan:fen, und für dessen Erreichung durch das Ganze nicht gesorgt sei" 7 . Damit entsteht jedoch die Frage, ob die Muße als "Freiheit ... für frei zu entwerfende Zwecke", in der sich nach der "Rechtslehre" von 1812 der Sinn der Wirtschaftsordnung vor allem verwirklichen soll, überhaupt noch eine Berechtigung behält: Wenn dem "Vernunftstaat" Kräfte für frei gewählte Zwecke entzogen werden, die er nicht selbst verwirklicht hätte, so können offenbar diese Zwecke vor der Vernunft nicht bestehen, sie stellen einen Mißbrauch der Freiheit dar. So erscheint es durchaus als folgerichtig, wenn Fichte in den "Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" dem Staat das Recht zuspricht, "den gesamten Überschuß aller Kräfte seiner Staatsbürger ohne Ausnahme für seine Zwecke zu verwenden" 73 .

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2. Freiheit des Einzelnen und Vernunftstaat Damit stehen wir vor einer Kernfrage der Fichte-Interpretation: Wie verhalten sich Freiheit und Vernunft in seiner praktischen Philosophie, vor allem in der Rechtslehre? Es ist ein Grundgedanke seiner Philosophie, daß die Trennung des Seins in die vielen empirischen Iche ein Zeichen ihrer Unvollkommenheit ist, daß das reine Wollen, das die Selbsttätigkeit jedes Ichs lenkt, für alle zur harmonischen Einheit zusammenstimmen muß. Ein Ich, ein Bürger, der sich gegen den Vernunftzweck sträubt, kennt im tiefsten sein eigenes Wollen nicht; der Zwang, der zur Verwirklichung des Vernunftzwecks gegen ihn geübt wird, dient seinem wahren Willen und damit seiner sittlichen Freiheit. So sagt Fichte in der sogenannten ,Staatslehre' (1813): Dem "höchsten Verstand" "zu gehorchen, ist jeder Freie verbunden; denn er ist das Gesetz der Freiheit, und nur inwiefern er diesem folgt, ist jeder frei: ... - ihm nicht folgend, ist er blinde Naturgewalt" 74 . Ist dann aber im Vernunftstaat Freiheit im rechtlichen Sinne überhaupt erforderlich oder auch nur zulässig? Wie verhält sich diese Aussage zum Anliegen der Rechtslehre, den Bürgern Freiheit zu garantieren, ehe sie "vom Sittengesetze ergriffen" sind? Dies ist offensichtlich eine Freiheit, die noch nicht an einen sittlichen Gebrauch gebunden ist: Rechtsordnung ist gerade nach Fichtes ursprünglichem Ansatz eine Ordnung im Bereich der menschlichen Unvollkommenheit 75 • Damit wird nun aber der Begriff des "Vernunftstaats" selbst zweideutig und zweifelhaft. Er ist zunächst bestimmt als die vernunftgemäß verwirklichte Rechtsordnung. Dabei soll er von der vollkommenen sittlichen Ordnung, der Herrschaft des "Sittengesetzes" klar unterschieden werden. Die Rechtsordnung soll nur einer Störung der "Freiheit des Einen" durch "die des Andern" abhelfen. "Unter dem Sittengesetz", in einer "Gemeine vernünftiger Wesen" dagegen stimmt der Freiheitsgebrauch aller von selbst zu "einem Willen" zusammen; deshalb ist "in reiner Vernunft ... ein Rechtsgesetz nicht möglich" 76 . Andererseits ist auch der vollkommene Zustand der Herrschaft

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des Sittengesetzes selbst als Verwirklichung der Vernunft, als vernunftgemäße Ordnung bestimmt - gibt es dann etwa zwei verschiedene vernunftgemäße Zustände, den des Rechtsgesetzes in der Unvollkommenheit und den der Herrschaft des Sittengesetzes 77 ? Eine andere Folgerung für das Verhältnis von Vernunftstaat und Sittengesetz ergibt sich aus den Aussagen darüber, daß der Vernunftstaat berechtigt sei, das Wollen und die Kräfte aller Bürger vollständig für sich in Anspruch zu nehmen, - eben weil er alle vernünftigen und sittlichen Zwecke vollständig in sich verkörpert. Das würde bedeuten, daß der Vernunftstaat sich von der Herrschaft des Sittengesetzes nur dadurch unterscheidet, daß er das vollkommene Handeln erzwingt, während es unter dem Sittengesetz freiwillig geschieht 78 . Dann beträfe der Unterschied zwischen Rechtsgesetz und Sittengesetz aber nicht mehr deren Inhalt, sondern nur noch den Geltungsgrund. Das kann nicht sein. Das Sittengesetz ist die innere Einigung mit dem unendlichen schöpferischen Willen Gottes; das Rechtsgesetz dagegen stellt eine weltliche Ordnung der Interessen dar: jeder gewährt Sicherheit und begrenzte Freiheit im eigenen Interesse, weil er sie von den Rechtsgenossen auch selbst in Anspruch nehmen will. So verschiedene Prinzipien müssen auch zu einem verschiedenen Inhalt führen 79 . Die bisherigen Überlegungen zeigen aber zugleich, daß dieser Unterschied sich bei Fichte in manchen Aussagen verwischt hat. Da liegt zunächst die Vermutung nahe, daß es sich um verschiedene Entwicklungsstadien seines Denkens handele. Eine solche Entwicklung liegt gewiß auch in dem Sinne vor, daß Fichte in den früheren Äußerungen die Freiheit und Selbsttätigkeit des Einzelnen besonders betont, während in den späteren Schriften die alle Einzelnen zur Einheit verbindende Kraft der Vernunft und des sie vertretenden Vernunftstaates wie auch der "Gattung" sehr in den Vordergrund tritt. Wenn wir von den noch unausgereiften politischen Frühschriften von 179 3/94 absehen, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine vollständige Wandlung, sondern eher um eine Akzentverschiebung. So gehört vor allem der ,Geschloßne Handelsstaat' noch eng mit der ,Grundlage des Naturrechts' (1796/97) zusam-

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men, gehört also der früheren Epoche an; daß in ihm jedoch die Selbsttätigkeit aller Bürger den Entscheidungen des Vernunftstaates untergeordnet ist, ist ja gerade unser Problem. Auf der andern Seite finden wir viele die Rechte des Einzelnen betonenden Aussagen gerade in der ,Rechtslehre', die dem Jahre 1812, also der letzten Schaffensepoche Fichtes angehört 80 • Der Konflikt liegt also tiefer in Fichtes Denken verankert. Er ist schon im Begriff des "Ich" als eines "Vernunftwesens" angelegt; da der Mensch als denkendes Wesen in seinem Wesenskern von Vernunft geprägt sein soll, fällt es Fichte schwer, die Berechtigung eines vernunftwidrigen Handeins überhaupt anzuerkennen 81 . Die Rechtsordnung als Ordnung der Unvollkommenheit muß ja nach seinem ursprünglichen Ansatz eine vernünftige Ordnung sein, die trotzdem aus dem Willen von noch nicht vernünftig Handelnden entspringt. Die Versuchung, diese logische Spannung dadurch aufzulösen, daß Vernunftordnung und Sittengesetz in eins gesetzt werden, mußte immer wieder entstehen. Die wichtigsten Versuche Fichtes, diese Spannung zu bewältigen, bedienen sich des Entwicklungsgedankens. Die Rechtsordnung wird damit zum Instrument, das der sittlichen Vernunftordnung zum Dasein verhilft. Doch nimmt der Konflikt damit nur eine andere Gestalt an. Nun ist die Frage gestellt, welche Rolle dem Staat als der mit äußeren Mitteln zwingenden Ordnungsmacht bei der Erfüllung der Aufgabe zukommt, für die Menschheit den wahrhaft vernunftgemäßen Zustand, das Reich der sittlichen Vernunft zu verwirklichen. Um die Frage, wie dieser Aufstieg der Menschheit zur sittlichen Vollendung in einer Vernunftgemeinde vorstellbar ist und wie er bewirkt werden könnte, hat Fichte immer wieder gerungen; dies Ringen, und die Tiefe, mit der er dabei das Ideal des Vernunftreichs ergriffen hat, gehören zum eindrucksvollsten seines Werkes 82 . Der genannte Konflikt zeigt sich hier in zwei mit Betonung vorgetragenen Aussagen, die sich unmittelbar widersprechen. So sagt Fichte in der "Rechtslehre" von 1812 einerseits: der Zwang einer vernunftgemäßen Rechtsordnung ist die Voraussetzung für eine Verwirklichung des Reiches der Sittlichkeit;

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- andererseits: eine Ordnung, die das Gute mit äußeren Mitteln als notwendig erzwingt, vernichtet die Sittlichkeit 83 . In der ,Staatslehre' (1813) wird dieser Widerspruch als "Gegensatz" offen formuliert; er soll seine Auflösung dadurch finden, daß der Zwang eingesetzt wird, um durch Erziehung bei allen Gliedern des Staates die Einsicht zu erzeugen, die das vernünftig-sittlich Gebotene freiwillig tut, - und dies ist überhaupt der Lösungsversuch, der im Spätwerk Fichtes in den Vordergrund tritt. Besonders ist er durch die ,Reden an die deutsche Nation' bekannt geworden 84 . Zunächst drängt sich hier die Frage auf, wie denn garantiert werden soll, daß der Staat seine Gewalt tatsächlich zur Verwirklichung des Reichs der sittlichen Vernunft einsetzt. Die Frage ist um so brennender, wenn dem Staat dabei die Verantwortung für die zwangsweise Erziehung aller Bürger zur vernünftig-sittlichen Einsicht auferlegt ist - durch Auswahl der falschen Lehrer und Vorschreiben falscher Erziehungsideale würde er dieses Ziel dann auch gerade vereiteln können. Fichte hat zunächst an einer vollkommenen Verfassung gebastelt, die, vor allem durch ein die Regierung kontrollierendes "Ephorat", einen vernunftwidrigen Mißbrauch der Regierungsgewalt verhindern soll. In der ,Rechtslehre' (1812) legt er dann dar, daß institutionelle Garantien dies Problem nicht lösen können, weil sie die Verantwortung nur von einer Instanz auf die andere verschieben; er zieht selbst die Folgerung, daß dies Ziel also überhaupt nicht durch planmäßiges menschliches Handeln verwirklicht werden kann, sondern nur von der "göttlichen Weltregierung"85. - Schon damit erweist sich diese Fassung des Vernunftstaats als nicht haltbar. Daß er die Institutionen verkörpert, die ein vernunftgemäßes Funktionieren des Ganzen garantieren, das sollte ja gerade das Wesen des Vernunftstaates - und des "Geschloßnen Handelsstaates" als vernunftgemäßer Wirtschaftsordnung - ausmachen. Darüberhinaus ergibt sich, daß der Gegensatz zwischen Freiheit und Vernunftordnung, der durch die Erziehung als Zwang zur vernünftigen Einsicht vermittelt werden sollte, nicht etwa eine Antinomie darstellt, bei der eine solche "dialektische Vermittlung" zu höherer Einheit möglich wäre. Vielmehr handelt es sich um einen

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simplen Widerspruch. Fichte selbst hat festgestellt, daß das Handeln nach sittlicher Vernunft ein solches aus dem inneren Gesetz des eigenen Wesens ist, ohne Rücksicht auf Zwang und Druck äußerer Umstände; das bedeutet Spontaneität, Ursprünglichkeit des Wollens86. Ein Handeln, das durch den Zwang einer äußeren Ordnung nebst Gewöhnung an sie oder durch eine "unfehlbare Erziehungskunst" mit Sicherheit herbeigeführt werden kann, erfüllt diese Bedingung begriffsnotwendigerweise nicht. Das müßte selbst dann gelten, wenn Ordnung und Erziehung dem äußeren Ablauf und Erfolg nach genau dasselbe Handeln erzwingen, das aus sittlicher Vernunft freiwillig vollzogen würde. Damit kommen wir schließlich auf die Frage zurück, ob in der vernunftgemäßen Rechtsordnung und im Reich der sittlichen Vernunft auch nur dem äußeren Erfolg nach dieselben Ziele verfolgt werden. Daß dies gerade nicht der Fall ist, läßt sich noch genauer begründen. Die Rechtsordnung muß ihre Vorschriften, auch wenn sie deren Geltung an wechselnden Situationen und Erfolgen ausrichten will 87 , in Gestalt allgemeingültiger Formulierungen geben; die Ordnung fordert dann nur die Einhaltung dieser Vorschriften. Das Wesen des sittlichen Handelns, wie es dem Grundanliegen nach gerade auch von Fichte verstanden wird, liegt im lebendigen Einfühlen in die wechselnden Situationen, um das ihnen individuell Angemessene zu finden. Dies ist jeweils ein Akt sittlicher Originalität und ist dem Handeln nach vorgegebenen Regeln oft gerade entgegengesetzt. Besonders gilt das für das Kernproblem alles sittlichen Handelns, die Einwirkung auf das sittliche Werden der Mitmenschen88. Der Staat, der nach den ,Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters' und der ,Staatslehre' die gesamte Kraft der Bürger in Anspruch nehmen soll, läßt für dies sittliche Handeln keinen Raum mehr; für Entscheidungen des Einzelnen könnte er nur die Tugend des Gehorsams kennen. Diese Überlegungen zeigen, wie tief das Wirtschaftsordnungsmodell Fichtes in den letzten Fragen und Zielen seiner Ethik, Staatsund Geschichtslehre verankert ist. So können diese Probleme und Fichtes Ringen um ihre Lösung hier nicht ausgeschöpft werden. Schon die kurze Erörterung zeigt aber auch, wie sein Streben, ein

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rationales, vernunftgemäßes System der politischen Ordnung zu entwickeln, ihn mit dem tiefsten Anliegen seiner Ethik in Widerstreit bringt. 3. Zur Kritik des Fichteschen Modells der Wirtschaftsordnung, insbesondere seines "Eigentums"-Begriffs Welche Folgerungen ergeben sich nun hieraus für die Beurteilung des Entwurfs einer Rechts- und Wirtschaftsordnung, wie Fichte ihn im ,Geschloßnen Handelsstaat' und in der "Rechtslehre" von 1812 entwickelt hat. Dies Modell liefert uns, wie wir zuvor sahen, gerade einen besonders eindrucksvollen Beleg dafür, wie das Unternehmen, eine vernunftgemäße Ordnung in ihrer konkreten Ausgestaltung nach sachlichen Maßstäben abzuleiten, zu dem Grundanliegen, durch diese Ordnung die Freiheit ihrer Glieder zu sichern, in Widerspruch geraten kann. Dabei bietet sie uns nuu zugleich die Möglichkeit, die Begründung dieser sachlichen Maßstäbe im Vernunftideal zu überprüfen. Damit erhalten wir einen Ansatz für eine inhaltliche Kritik dieses Ordnungsmodells. Daß die Bedingungen, die Fichte für das Modell aus seinem Grundansatz ableitet, übersteigert sind und der ursprünglichen Aufgabe gerade deshalb nicht mehr genügen, läßt sich an den Einzelaussagen konkret belegen. Diese Übersteigerung tritt vor allem darin hervor, daß den Rechtsgenossen nicht nur der Tätigkeitsbereich als Freiheitsraum garantiert werden soll, sondern auch der Erfolg ihrer Tätigkeit, nämlich ein bestimmter Lebensstandard. Das geht über die genannte Kernaufgabe der Rechtsordnung, die Vereinigung der Freiheit der Rechtsgenossen nach allgemeingültigen Regeln, eindeutig hinaus. Um die Vereinbarkeit der Freiheitsräume verschiedener Handelnder auf rechtlichem Wege zu sichern, dafür ist die erste und die einzig notwendige Voraussetzung die zuverlässige Abgrenzung der Kompetenzen, so daß stets eindeutig festgestellt werden kann, wer zu welcher Handlung berechtigt ist. Eine Erfolgsgarantie ist dafür nicht nur nicht erforderlich - sie widerstreitet sogar diesem unmittelbaren Ziel; denn Freiheit impliziert ja, daß ich von den garantierten Möglichkeiten verschiedenen Gebrauch machen kann, daß also ge-

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rade verschiedene Erfolge möglich sein müssen. Dies ist für unser Problem geradezu ein Schlüsselgedanke 89 • Darüberhinaus ergibt es sich, daß die Rechtsordnung, wenn sie der Abgrenzung der Freiheitsräume Erfolgskriterien zugrundelegt, die Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit einbüßt, die die erste Voraussetzung für die Sicherung des Rechtsfriedens und der Freiheitsräume ist. Eine zuverlässige Abgrenzung der Rechtssphären setzt voraus, daß die Abgrenzungsmerkmale eindeutig und zuverlässig feststellbar sind. Das ist bei Erfolgskriterien gerade nicht der Fall; vielmehr handelt es sich hier regelmäßig um Ermessensurteile und Vermutungen über Leistungs- und Nutzungsmöglichkeiten, bei denen erhebliche Unterschiede im Urteil möglich und typisch sind. So ist es kein Zufall, daß der Garantie des Lebensunterhalts im "Geschloßnen Handelsstaat" für alle Beteiligten unter anderem auch eine Leistungskontrolle gegenübersteht. Wir sehen wiederum, wie hier, um die Erfolgsgarantie geben zu können, die erste Aufgabe der Rechtsordnung, die Garantie der Freiheitsräume, geradezu vereitelt wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich nun eine grundsätzliche Kritik des Fichteschen Eigentumsbegriffs. An ihm läßt sich besonders eindrucksvoll die große Paradoxie der Fichteschen Rechtslehre aufzeigen, daß sie die Freiheit des Handelns, die sie schützen will, durch die Art der gewählten rechtlichen Abgrenzung gerade ausschließt90. Freiheit des Handeins heißt vor allem, daß Ziel und Inhalt der Tätigkeit frei gewählt werden können. Wenn man nun das Handeln selbst zum Inhalt des Eigentumsbegriffs macht, so heißt das, daß das zulässige Handeln nach Zweck und Inhalt normiert wird, daß also alle Zwecke und Inhalte des Handeins zu Vorbehaltsrechten einzelner Rechtsgenossen gemacht werden. Damit werden jedem Rechtsgenossen alle Zwecke und Inhalte des Handelns, die ihm nicht als Eigentum zugewiesen sind, verwehrt, seine Freiheit, sich Ziele und Zwecke des Handeins selbst zu wählen, wird also gerade aufgehoben 91 . Dagegen ist es der von Fichte so hart kritisierte klassische Eigentumsbegriff, der die von ihm gewünschte Abgrenzung der Freiheitsräume am besten möglich macht. Eigentum ist das Recht, "mit einer Sache nach Belieben zu verfahren

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und andere von jeder Einwirkung auszuschließen". Sacheigentum grenzt also die Handlungskompetenzen der Rechtsgenossen gegenständlich ab; damit läßt es aber Art, Inhalt und Ziel der Tätigkeit im übrigen frei. Da die Wirksamkeit des Ich in der Außenwelt regelmäßig auf Objekte bezogen ist, ist hier das Kriterium längst gefunden, das für die freiheitliche Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche am besten geeignet ist. 4. Freiheit oder Gleichheit? Wie ist nun die Wahl jener ungeeigneten Kriterien in der Rechtslehre Fichtes zu erklären? Er sah richtig, daß die herkömmliche, an Gegenständen orientierte Eigentumsordnung gerade wegen der Verschiedenheit des wirtschaftlichen Erfolgs, die wiederum auf die Eigentumsverhältnisse zurückwirkt, in der wirtschaftlit:hen Lage der Bürger zu großen Ungleichheiten führt. Die Gleichheit der Rechtsgenossen zu garantieren war ihm jedoch ein wesentliches Anliegen. Deshalb bleibt uns die Aufgabe, die Legitimität des Gleichheitsgedankens innerhalb des Fichteschen Systems zu bedenken. Überraschend ist es, wie wenig eindrucksvoll die Begründung ist, die er selbst gibt. Sie läuft darauf hinaus, daß es die Rechtsgenossen selbst sind, die dies zur Bedingung für die Anerkennung der Rechtsordnung machen 92 . Das wäre kein überzeugender Grund: die Erfahrung zeigt ja, daß Rechtsordnungen mit starker wirtschaftlicher Ungleichheit das Normale und sehr beständig sind. Wenn es keinen systematischen Grund gibt, alle diese tatsächlich funktionierenden Rechtsordnungen als der Rechtsidee widersprechend zu verwerfen, so ist diese Begründung nicht haltbar. Darüber hinaus ist es jedoch evident, daß die geforderte Gleichheit gerade von der Fichteschen Werteordnung aus kein wesentlicher Gesichtspunkt ist, daß sie im Gegenteil mit ihr in Konflikt gerät. Zunächst: Was könnte Gleichheit in der Freiheit heißen -etwa gleichwertige Tätigkeit für alle? Das ist unmöglich, weil die persönlichen Voraussetzungen der Tätigkeit - Gesundheit und Körperkraft, Begabung, Interessenrichtung -ungleich sind; darüberhinaus bedeutet die Arbeitsteilung, die Fichte als Voraussetzung der Lei-

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stungsfähigkeit der Wirtschaft anerkennt, daß die Aufgaben und Funktionen der Einzelnen gerade verschiedenartig sein müssen 93 . Dabei bringt die Planwirtschaft selbst die krasseste Ungleichheit der Funktionen mit sich: die interessanteste und wichtigste aller Funktionen ist die Bestimmung des Zwecks und Inhalts aller wirtschaftlichen Tätigkeiten; sie wird hier bei einer zentralen Lenkungsinstanz konzentriert. - So könnte Gleichheit allenfalls im Hinblick auf die Verteilung des Erfolgs der Tätigkeiten, auf die Ausstattung mit Gütern hergestellt werden. jedoch zeigten unsere Überlegungen, daß die Freiheit des Handeins die Ungleichheit des Erfolgs notwendig einschließt. Die Tätigkeitsbereiche der Einzelnen lassen sich ohne Aufhebung ihrer Freiheit nicht so abgrenzen, daß alle einen gleichwertigen äußeren Erfolg erzielen: die Vereinigung von Freiheit und Gleichheit in einem System ist nicht möglich. Welchem Gesichtspunkt muß Fichte dann nach seinen eigenen Wertvorstellungen den Vorzug geben? Da zeigt es sich, daß die Maßstäbe für Gleichheit sämtlich der Außenwelt der Gegenstände entnommen sind, Gleichheit oder Ungleichheit drückt sich aus in materiellen Gütern, die vor allem auch dem sinnlichen Genuß dienen können. Die Freiheit des Handeins dagegen ist bezogen auf den geistigen Urgrund der Persönlichkeit, die die Güter der äußeren Welt nur als Substrat ihrer geistig-sittlich orientierten Seihsttätigkeit ansehen soll. So kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Fichte sich bei einem Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit für die Freiheit entscheiden muß 94 . 5. Was folgt aus Fichtes praktischer Philosophie für die Frage der Wirtschaftsordnung Die bisherigen Überlegungen führen zu dem Schluß, daß das Wirtschaftsordnungsmodell Fichtes sich als verfehlt erweist, gerade wenn man es an den sittlichen Maßstäben seiner eigenen Philosophie mißt. Mit diesem Urteil soll die große Leistung nicht abgewertet werden, die Fichte für die Auseinandersetzung mit den Ideen des Sozialismus erbracht hat. Es ist tief zu bedauern, daß die politisch wirksam gewordenen sozialistischen Ideen sich aus anderer

ss•

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Wurzel entwickelt haben. Gerade die Auseinandersetzung mit Fichtes Modell hätte dazu Anlaß geben müssen, die Frage nach den sittlichen Maßstäben planmäßiger politischer und sozialer Gestaltung schärfer und tiefer zu stellen. Die von Fichte selbst in seiner praktischen Philosophie entwickelten Maßstäbe bleiben auch dann hoch bedeutungsvoll, wenn es ihm nicht gelungen ist, sie in der Ausarbeitung seines wirtschaftlichen Ordnungsmodells wirksam werden zu lassen. Vor allem ist bei ihm Freiheit nicht nur als Anspruch gesehen, sondern je weiter sein Denken fortschreitet, desto mehr als Verantwortung. Darum richtet sich sein Interesse jedenfalls nach den Kerngedanken seines Systems nicht auf materielle Güter, sondern auf Raum für sinnvolle Tätigkeit. Es könnte aber im Gegenteil auf Dämonien des Sozialismus hinweisen, daß Fichte der Einbau dieser Ideen in ein folgerichtiges wirtschaftliches Ordnungsmodell nicht gelungen ist. So wollen wir nun zum Abschluß jedenfalls die Frage stellen, ob sich für eine Gestaltung der Wirtschaftsordnung nach den Maßstäben der Fichteschen Ethik aus unserer Analyse auch positive Folgerungen ziehen lassen. Da ist zuerst und vor allem diese Beobachtung wichtig: der Konflikt mit der Freiheitsidee in Fichtes Ordnungsmodell entsteht eben dadurch, daß die inhaltlichen Ansprüche an die Vollkommenheit der Ordnung überspannt werden, und daß dabei die Ordnung selbst bereits das sittliche Ideal verkörpern soll. Demgegenüber muß der Entwurf einer Rechts- und Wirtschaftsordnung, der als "Probe einer künftig zu liefernden Politik" für praktische politische Zwecke ernst genommen werden soll, gerade dem von Fichte selbst grundsätzlich ja klar genug bezeichneten Ansatz entsprechen, daß die Rechtsund Wirtschaftsordnung eine Ordnung der Unvollkommenheit sein muß; sie darf also ein Handeln nach den aus der Idee der Vernunft abgeleiteten sittlichen Maßstäben weder voraussetzen noch erzwingen, muß vielmehr auch dem menschlichen Eigennutz seinen legitimen Raum lassen 95 . Dies ist um so mehr geboten, als Fichte selbst deutlich genug gesagt hat, daß die Verwirklichung des Zustands der vollkommenen Vernunft als Ziel über den Rahmen unserer Welt hinausreicht 96 .

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59*

Das Anliegen, diese Ordnung dann so zu gestalten, daß sie zum Werden des vollkommenen vernunftgemäßen Zustands beiträgt, ist für Fichte nach der Grundausrichtung seiner Geschichtsphilosophie unverzichtbar. Er hat jedoch den Ansatz zur Lösung dieses Problems gerade dadurch verfehlt, daß er schon an die Rechtsordnung in ihrer konkreten Ausgestaltung Maßstäbe angelegt hat, die die Verwirklichung einer vollkommenen Vernunftordnung voraussetzen. Wir müssen daraus im Gegenteil die Folgerung ziehen, daß ein freiheitliches System stets Freiheit zu Mißbräuchen eröffnet. Dies folgt rein logisch zwingend aus der Wesensbestimmung des sittlichen Handelns, die eben darin liegt, nicht institutionellen Zwängen zu folgen, sondern nur der eigenen sittlich-vernünftigen Einsicht. Daraus folgt umgekehrt, daß ein System, welches die Vernunft oder das Gute institutionell in sich verkörpern will, der sittlichen Freiheit keinen Raum lassen kann. Dies ist eine der schwersten Dämonien politischer Gestaltung, die sich auch in der geschichtlichen Erfahrung immer wieder bestätigt: Wer das Gute durch Zwang verwirklichen will, zerstön eben dadurch mit der Möglichkeit selbstverantwortlichen sittlichen Handeins die Möglichkeiten des Guten, das zu verwirklichen den Menschen gegeben sein könnte. Für die Ausgestaltung einer Rechtsordnung, die in diesem Sinn Freiheitsordnung sein soll, erhalten wir weiterhin aus Fehlern des Fichteschen Systems zwei wichtige Hinweise. Erstens: Eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Freiheit unseres Handeins wie für einen sinnvollen Gebrauch dieser Freiheit ist es, daß die Mö.glichkeiten unseres Handeins für uns berechenbar sind. Damit die Rechtsordnung das leistet, muß das Recht eindeutig sein. Diese Eindeutigkeit wird jedoch durch ideelle und ideologische Ansprüche an das Recht, wie auch Fichte sie mehrfach geltend macht 97 , zerstört. Der Schaden, den wir durch die so bewirkte Auflösung der Rechtsordnung an den Möglichkeiten eines sinnvollen Gebrauchs unserer Freiheit erleiden, ist viel gewichtiger als der Gewinn an Gerechtigkeit, der dabei vielleicht erzielt werden könnte. Zweitens: Diese Ideologisierung des Rechts beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, daß Fichte die Gemeinschaft, die das

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Recht trägt, rein rational aus dem Freiheitsgedanken und damit individualistisch konstruieren will. Wenn dieser Individualismus dann neutralisiert werden soll - wie es für viele Gemeinschaftsaufgaben, z.B. zur Begründung eines Mindestunterhalts für alle Bedürftigen, erforderlich ist - so bleibt nur die Gleichheitsideologie. Tatsächlich müssen die Eingriffsrechte der Gemeinschaft, die das Recht trägt, aus einer spezifischen Existenzverbundenheit der Rechtsgenossen abgeleitet werden, nämlich aus der Erfahrungstatsache, daß menschliches Leben auf die Dauer nur in einer es tragenden und schützenden Gemeinschaft möglich ist 98 . Dabei ergibt sich mit der Rechtfertigung der Eingriffe zugleich ihre Begrenzung auf das Maß, das durch die Bedingungen der gemeinsamen Existenz bestimmt ist, und dadurch kann eine Ideologisierung, insbesondere aber der Gleichheitsfanatismus, vermieden werden 99 . Es ist interessant und bedrückend,- und es zeigt wiederum, wie aktuell eine Beschäftigung mit Fichte ist, -daß gerade diese beiden Faktoren, eine Zerstörung der Rechtsordnung durch Ideologisierung und fehlendes Verständnis für die Verpflichtungen, die wir gegenüber der unsere Existenz tragenden Gemeinschaft haben, in der gegenwärtigen Krise unserer Freiheit und unserer Kultur die Hauptrolle spielen. Mein herzlicher Dank für Unterstützung bei dieser Ausgabe gilt meinem Freund Klaus Hammacher, der den Anstoß zu dieser Arbeit sowie wertvolle Hilfen und Anregungen gab, dem Herausgeber der Gesamtausgabe der Werke Fichtes, Reinhard Lauth, der mich mit wertvollem Rat unterstützte und mich mit dem interessanten Manuskript Fichtes ,Ueber StaatsWirthschaft' bekannt machte, sowie ihm und der Deutschen Staatsbibliothek, Berlin, für die freundliche Erlaubnis, dies Manuskript hier mit abzudrucken.

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IV. Zur Textgestalt Das Manuskript Fichtes ist nicht erhalten. Wissenschaftlich maßgebend muß daher die im ] ahre 1800 bei ] . G. Cotta in Tübingen erschienene Druckfassung sein. Das Erscheinen eines auch in der Orthographie originalgetreuen Abdrucks in Reihe I Band 6 der Fichte-Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, herausgegeben von Reinhard Lauth u.a., steht unmittelbar bevor. Bis dahin erfolgten wissenschaftlich wichtige Neuausgaben im Band III der "sämmtlichen Werke", herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845, S. 387-513, und im Band III der "Werke. Auswahl in sechs Bänden", herausgegeben von Fritz Medicus, Leipzig 1910 (Nachdruck Darmstadt 1962), S. 417-543; die zweite war zugleich die Grundlage der Einzelausgabe 1922 und 1943 als Band 129 d der Philosophischen Bibliothek, die hier nun in Neuauflage vorgelegt wird. In den beiden älteren Werkausgaben ist die Schreibweise Fichtes modernisiert. Diese Modernisierung betrifft zunächst die Orthographie. So hat Medicus, dessen Ausgabe hier wiederum zugrundegelegt wird, insbesondere th, z, c, ey altmodischer Schreibweise durch t, tz, z, ei ersetzt. Darüberhinaus hat er in die Modernisierung auch die Groß- und Kleinschreibung, gewisse Fälle der Zusammen- und Getrenntschreibung und vor allem eine größere Zahl von Wort- und Endungsformen einbezogen. So druckt Medicus z.B. "einziger" statt "einiger", "fordern" statt "fodern", "nunmehr" statt "nunmehro", "hin für" statt "hinführo ", "darein" statt "drein", "alles Gelüst" statt "allen Gelust", ·"des Studiums/Publikums/Klimas" statt "des Studium/Publikum/Klima". Der Originaltext Fichtes bietet bei Endungen auf -eren, -erem, -enen, -enem usw. zwar nicht durchweg, aber recht häufig die "stumpfen" Kurzformen-ern oder -ren usw. Umgekehrt bietet er bei Endungen auf -s und -t und in verwandten Fällen häufiger "klingende" Formen: "passet", "setzet", "keinesweges". Auch schreibt Fichte bei Adjektiven u.ä. oft starke Endungen, wo man heute schwache verwendet. Eine Prüfung an anderen Originalmanuskripten führt zu dem Schluß, daß es sich

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hier in der Regel nicht um Willkür des Setzers handelt, sondern um einen für Fichte charakteristischen Sprachrhythmus. Um in dieser für einen breiteren Benutzerkreis bestimmten Ausgabe die Herstellungskosten niedrig zu halten, ist auf einen Neusatz verzichtet worden. Wir geben daher in den genannten Punkten die Textgestalt wieder, wie sie von Medicus - meist im Anschluß an I. H. Fichte - hergestellt worden ist. Der Textvergleich mit dem Original ergab, daß Entstellungen des Sinns dabei nicht unterlaufen sinq. Die Interpunktion des Erstdrucks ist erhalten geblieben. Die Fälle, in denen im hier vorgelegten Text, fast durchweg nach Medicus, aus anderen als den genannten Gründen vom Originaltext abgewi1=hen wird, sind im folgenden in einer Liste zusammengefaßt; es handelt sich meist um berichtigte Irrtümer und Druckfehler des Originals, zum Teil auch um zweifelhafte sprachliche Formen. Position: S. 7 Z. 13

V. U.

Hier: ihn

S. 16 Z. 17/16 v. u. gleich recht s. 23 z. 8 mehrerer

s. 23 z. 24

Original: ihm gleich Recht mehrere

s. 32 z. 12

den nötigen Verzicht die nöthige Verzicht den Arbeitslohn das Arbeitslohn einer eine

s. 45 z. 1

erstern

S. 30 Z. 3 V.

S. 48 Z. 2

s. 59 z. 1

U.

V. U.

S. 60 Z. 16 V. U. s. 66 z. 12/13 S. 66 Z. 8 V. U.

s. 72 z. 14 S. 77 Z. 6

V. U.

Ietztern

Erliiuterung: Druckfehler des Originals Druckfehler des Originals

Druckfehler des Originals Druckfehler oder Irrtum des Originals

ihm ihn Gedankenstrich hin- (fehlte) Druckfehler des ter "muß" Originals alles das Meinige alle das Meinige unter anderm unter andern GoldGold Druckfehler des Originals ihm ihnen Druckfehler des Originals die Die Druckfehler des Originals

Einleitung

Position: s. 92 z. 9

Hier: Komma hinter "Ausländischen" Semikolon hinter "geschehe" auf der

Original: Semikolon

s. 108 z. 9

welchem

welcher

s. 108 z. 10 v.u.

keinen

keinem

S. 115 Anm. Z. 11/6 v. u.

Anführungszeichen zur Erleichterung des Verständnisses eingesetzt dem ... Sicheren, ... Belohnenden

(fehlten)

s. 95 z. 6 v.u. S. 98 Z. 10 V.

U.

Z. 7/6 v.u. S. 116 Z. 9 v.u.

Komma hintel

S. 120 Z. 16v.u.

Punkt hinter "werden"

"lÜsten"

Komma auf der der

63*

Erliiuterung: Druckfehler des Originals Druckfehler des Originals Druckfehler des Originals Druckfehler des Originals Druckfehler des Originals

dem ... siehe- Druckfehler des rem, ... beloh- Originals nendem (fehlte) Druckfehler des Originals (fehlte) Druckfehler des Originals

V. Anmerkungen 1 johann Gottlieb Fichte ist geboren 1762 in Rammenau (Oberlausitz) in einer armen Weberfamilie. Schulbildung, zuletzt in Schulpforta, durch Förderung uneigennütziger Gönner und Stipendien; er erkämpft sich Studium und erste philosophische Leistungen in drückenden wirtschaftlichen Verhältnissen, vor allem als Privat- und Hauslehrer; 1794 Professor der Philosophie in Jena, 1799 wegen "Atheismus" aus dem Amt gedrängt, seitdem überwiegend in Berlin, zunächst in ungesicherten Verhälmissen, seit 1805 Professor in Erlangen, wo er jedoch kaum liest, 1810 an die neu gegründete Berliner Universität berufen und deren erster gewählter Rektor, gestorben 1814 am Lazarettfieber. 2 Fichtes Werke werden hier in der Regel zitiert mit Bandziffer (römisch) und Seitenzahl der ,sämmtlichen Werke', hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845/46, unter der Abkürzung "SW" (Band IX-XI entsprechen den "nachgelassenen Werken", Bonn 1834/35, Band I-III). Bandnummern und Seitenzahlen dieser Ausgabe sind in den meisten anderen Ausgaben als Zitierhilfe angegeben, insbes. in der gern benutzten Ausgabe: "Werke. Auswahl in sechs Bänden", hrsg. von Fritz Medicus. Leipzig 1908-1911, Neudruck

64.

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Darmstadt 1962, sowie in den Einzelausgaben der "Philosophischen Bibliothek", Felix Meiner Verlag, Hamburg, --soweit lieferbar, werden die Einzelausgaben zitiert unter "PhB" mit Bandziffer und Seitenzahl. Eine neue Gesamtausgabe der Werke Fichtes sowie des gesamten handschriftlichen Nachlasses, im Auftrage der Bayrischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky, Stattgart-Bad Cannstatt, erscheint seit 1962; berechnet auf ca. 30 Bände, bisher erschienen 17 Bände (hier zitiert als "Gesamtausgabe"). 3 Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre . . . , ( 1794, verbesserte Ausg. 1802) SW I S. 83-328; PhB 246, 2. Auf!. 1970, Gesamtausgabe Reihe I, Band 2; ,Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus den Jahren 1801/02', hrsg. von Reinhard Lauth, PhB 302, Harnburg 1977; ,Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804', hrsg. von Reinhard Lauthund J oachim Widmann, PhB 284, Harnburg 197 5; dem ,Handelsstaat' selbst steht am nächsten die sog. ,Wissenschaftslehre nova methodo' (1797), zuerst veröffentlicht in: Nachgelassene Schriften, Bd. 2, Berlin 1937, jetzt in: Gesamtausgabe: Reihe IV, Band 2. Eine bequeme Einführung in die Wissenschaftslehre bietet H. Heimsoeth, ,Fichte', München 1923; zur Vertiefung seien empfohlen: R. Lauth, ,J .G. Fichtes Gesamtidee der Philosophie', sowie ders., ,Die Bedeutung der Fichtesehen Philosophie für die Gegenwart', beides in: Lauth, ,Zur Idee der Transzendentalphilosophie', S. 43-123, München und Salzburg 1965; M. Wondt, ,Fichte-Forschungen', Stattgart 1929; M. Gueroult, ,L'cvolution et Ia structure de Ia doctrine de Ia science chez Fichte', 2 Bände, Paris 1930;A. Philonenko, ,La liberte humaine dans Ia philosophie de Fichte', Paris 1966; W. }anke, ,Fichte Sein und Reflexion - Grundlagen der kritischen Vernunft', Berlin 1970. 4 ,System der Sittenlehre' (1798), SW IV, PhB 257; ,Bestimmung des Menschen' (1800), SW II, PhB 226; ,Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters' (1806), SW VII, PhB 247; ,Anweisung zum seligen Leben' (1806), SW V, PhB 234; ,Reden an die deutsche Nation' (1808), SW VII, PhB 204 (5. Auf!. mit neuer Einleitung von Reinhard Lauth, 1978); ,Staatslehre' ( 1813 als Vorlesung gehalten), veröffentlicht zuerst 1820, SW IV. 5 ,Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre' (1796/97), SW III, PhB 256, Gesamtausgabe Reihe I Band 3 und 4. 6 Die Vorlesung über ,Rechtslehre'(1812) wurde zuerstveröffentlicht in: Nachgelassene Werke, hrsg. von I. H. Fichte, Band 2, 1834 (= SW X). Diese Fassung bietet jedoch keinen authentischen Fichtetext, sondern ist zur Erleichterung der Lesbarkeit vom Herausgeber stark ergänzt und z.T. verändert; nicht selten finden sich auch falsche Lesungen. Die Ergänzungen sind als Verständnishilfen verschiedentlich sehr wertvoll. Zur Feststellung von Fichtes eigener Auffassung ist jedoch nur die Neuausgabe geeignet, die Hans Schulz 1920 nach Fichtes Originalmanuskript besorgt hat (Felix Meiner Verlag, Leipzig, wiederabgedruckt in ,Werke. Auswahl, Ergänzungs-Band 1', hrsg.

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von F. Medicus, PhB 163, Leipzig 1925. Eine Neuauflage der ,Rechtslehre' auf der Grundlage der Ausgabe von Schutz ist in Vorbereitung). Schutz bietet neben Fichtes Originaltext auch die Ergänzungen und Änderungen I. H. Fichtes, jedoch als solche gekennzeichnet. - Der Neudruck der ,Rechtslehre' in: J. G. Fichte, Ausgewählte Politische Schriften', hrsg. von Z. Batscha und R. Saage, Frankfurt/M. 1977 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 201) bietetdie Textfassungder Nachgelassenen Werke (1834), sogar ohne zureichende Kennzeichnung dieses Tatbestands. - Die ,Rechtslehre' wird hier zitiert als "Ausg. Schutz" mit Seitenzahl, dazu in Klammern die Seitenzahl der nachgelassenen Werke als "SW X". 7 ,Grundlage des Naturrechts', a.a.O. SW III S. 17, PhB 256, S.17. Zur Grundlegung der Fichteschen Wirtschaftslehre in seiner Rechtsphilosophie vgl. insbes. Heinrich Rickert, ,Die philosophischen Grundlagen von Fichtes Sozialismus' in: Logos (XI), Heft 2, Tübingen 1922/23, S. 149-180, Richard Schottky, ,Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert', Diss. München 1962/63, 3. Kap., Wilhelm Wundt, ,Völkerpsychologie', 9. Bd. Das Recht, Leipzig 1918 S. 84-105; Wilhelm Metzger, ,Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des deutschen Idealismus', Heidelberg 1917 (Neudruck Aalen 1966), insbes. S. 148-176. 8 Von Fichte erkenntnistheoretisch abgeleitet a.a.O. SW III/PhB 256 S. 29-40. Auch wer die Deduktion nicht als zwingend ansieht, wird von dieser Tatsache ausgehen müssen. 9 Immanuel Kant, ,Metaphysik der Sitten' (1797) 1. Teil, in der "Einleitung in die Rechtslehre" § B, vgl. auch § C-E. Den Grundgedanken hatte Kant schon in der ,Kritik der reinen Vernunft' (1781) formuliert, dort S. 316, 2. Auf!. S. 373. Bei Fichte vgl. ,Grundlage des Naturrechts', SW III/ Phb 256 S. 40/41 ff., 92 ff., 8 ff. 10 Seitenangaben im Text ohne weitere Erklärung beziehen sich stets auf die vorliegende Ausgabe des ,Geschloßnen Handelsstaats'. - Der Eigentumsbegriff ist ebenso bestimmt in der ,Grundlage des Naturrechts' 2. Teil (1797), SW III S. 210 ff., PhB 256, S. 204 ff.; dagegen setzt der 1. Teil (1796) noch einen gegenständlichen Eigentumsbegriff voraus, vgl. SW II1 S. 124-136, PhB 256 S. 123-135. Der Übergang zum nichtdinglichen Eigenrumsbegriff erfolgt zu Beginn des 2. Teils, SW III S. 195, PhB 256 S. 189, vgl. mit SW III S. 191 ff., PhB 256 S. 185 ff. 11 Vgl. hierzu im ,Geschloßnen Handelsstaat', S. 16f., 23,35-38, 58-61, schon in der ,Grundlage des Naturrechts' z.B. SW III S. 212 ff., PhB 256 S. 207 f. Die Radikalität dieses Standpunktes ist noch gesteigert in der Rechtslehre' (1812), Ausg. Schutz S. 29, 32 f., 46 f. (SW X S. 520, 523 f., 536), nach der eine Rechtsordnung, die den von Fichte entwickelten Maßstäben nicht genügt, die z.B. nicht die "richtigen" Preise und Einkommen enthält, rechtlich nicht verbindlich ist- vgl. auch Anm. 97.

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12 Für dies alles vgl. im ,Geschloßnen Handelsstaat', S. 14-28, 54-61. Die Arbeitspflicht ergibt sich implizit aus dem Gesamtgedankengang, vgl. S. 18 f., 2 3, 26 f.; ausdrücklich ausgesprochen ist sie in der ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schulz S. 42-45 (SW X S. 532 ff.). 13 Vgl. im ,Geschloßnen Handelsstaat' S. 36 ff., 16 f. ,Rechtslehre', a.a.O. Ausg. Schulz S. 46 f., 54 f., 72 f., 75 (SW X S. 535 f., 543 f., 559 f., 562). 14 Ich verwende den Begriff "Produzenten" entsprechend dem heutigen Sprachgebrauch. Fichte hat eine eigenartige Sonderterminologie: Produzenten heißen bei ihm nur die landwirtschaftlichen Erzeuger, die gewerblichen dagegen "Künstler", gelegentlich auch "Fabrikanten" (S. 18 f., 26, vgl. ,Grundlage des Naturrechts', SW III S. 231 f., PhB 256 S. 225 f.). 15 Ausg. Schulz a.a.O. S. 82 f. (SW X S. 568 f.), - nachdem noch auf S. 69 ff. (SW X S. 556 ff.) ein selbständiger Kaufmannsstand vorgesehen war. 16 Die wichtigsten Rezensionen - durch Friedlich (von) Gentz, August Wilhelm Rehberg und den jungen Adam Heinrich Müller (siehe Bibliographie) -stellen bei ihrer scharfen Kritik diesen Punkt in den Vordergrund. Der Vergleich mit der Stallfütterung, den Adam Müller heranzieht, beweist mehr für seine polemischen Fähigkeiten als für seinen Scharfsinn. 17 Als wichtige Beispiele sind zu nennen: Gustav Schmoller, ,J. G. Fichte', in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1865, wieder abgedruckt in: Schmoller, ,Zur Litteraturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften', Leipzig 1888; Wilhelm Wundt, a.a.O.; H. Rickert, a.a.O; Karl Diehl, Art. Fichte, J ohann Gottlieb, in: ,Handwörterbuch der Staatswissenschaften', 4. Aufl. Bd. 3, Jena 1926, S. 990-993. 18 Vgl. insbes. die seinerzeit sehr einflußreiche Darstellung bei W. Roscher, ,Geschichte der National-ökonomik in Deutschland', München 1874, S. 642 f., weiterhin E. Zeller, ,Johann Gottlieb Fichte als Politiker', in: Historische Zeitschrift (Hrsg. v. H. v. Sybel), München, Bd. 4 1860, S. 1 ff., insbes. S. 21 ff., Marianne Weber, ,Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin', Tübingen 1900 (2. Aufl. unverändert 1925), S. 66 ff.; diese Autoren betonen allerdings auch die sozialistischen Elemente in Fichtes System. 19 Vorzügliche Darstellungen der Grundzüge der Zunftwirtschaft bieten Werner Sombart, ,Der moderne Kapitalismus', 2. Aufl. München, Leipzig 1916 u.ö. Bd. 1, S. 180-308; Max Weber, ,Wirtschaftsgeschichte'. Aus den nachgelassenen Vorlesungen hrsg. v. S. Hellmann und M. Palyi, München, Leipzig 1923, S. 127-133, S. 138 ff. u.ö. 20 Durchaus abwegig sind die Versuche, Fichtes System als merkantilistisch einzuordnen - in diesem Zusammenhang wird häufiger auf die sehr schwache und problematische Dissertation von Kurt Scholz: J. G. Fichtes "Staatssozialismus'", Köln 1955 verwiesen (insbes. S. 540, 661-682); vgl. ebenso Z. Batscha, Einleitung zu: ,Johann Gottlieb Fichte, Ausgewählte Politische Schriften'(suhrkamp 1977), a.a.O. insbes. S. 39-43. Diese These ist

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deshalb so überraschend, weil gerade der ,Handelsstaat' eine ausgeprägte Polemik gegen verschiedene merkantilistische Kernthesen enthält: seine Kritik an der herrschenden Außenhandelspolitik, insbes. an ihrem Ziel der aktiven Handelsbilanz, an Exportförderung, Importhemmung, Kolonialismus, heimlichem Handelskrieg u.a.m., ebenso dann die Ablehnung der machtpolitischen Ausrichtung aller dieser Mai~nahmen (soweit S. 79-86, 6 f.) richtet sich gegen typisch merkantilistische Auffassungen. Die den ,Handelsstaat' kennzeichnende Abschließung gegen den Außenhandel dagegen ist ganz unmerkantilistisch. Auch die für Fichte so charakteristische Idee des Zeichengeldes widerstreitet entschieden den bei der Mehrheit der Merkantilisten herrschenden Auffassungen. Andererseits verbindet sich mit der Fürsorge des merkantilistisch-absolutistischen Wohlfahrtsstaates für die "Nahrung" seiner Untertanen nicht im Entferntesten die Vorstellung eines Gesamtplans der Versorgung; seine Preistaxen betreffen nur eine begrenzte Zahl versorgungswichtiger Güter, sie werden nie zu einem vollständigen Preissystem entwikkelt; an eine Gesamtregulierung der Einkommensverteilung wird nicht gedacht. Dem entspricht ein anderer Gesamtgeist des Wirtschaftdenkens: die Merkantilisten denken dynamisch, Produktionskraft und Wachstum sind ihre Hauptanliegen -- bei Fichte dagegen liegt der Hauptakzent auf Verteilung und Versorgung. - Mit der ständischen Gliederung des Merkantilismus schließlich - die übrigens nicht systemtypisch, sondern historisch überkommen ist - haben Fichtes "Stände" nichts gemeinsam als die Vokabel: bei Fichte ist mit den Unterschieden der Berufsgruppen kein Unterschied der Bürgerrechte verbunden. - Im ganzen ist also Fichtes System dem Merkantilismus ebenso schroff entgegengesetzt wie dem Liberalismus. Vgl. auch den Anhang "Ueber StaatsWirthschaft", dazu unten Abschn. II.6. 21 Die Bezeichnung "Planwirtschaft" ist entgegen dem heute Üblichen vorzuziehen. Durch den Begriff ";1:entralverwaltungswirtschaft" wird verdeckt, daß eine volle Zentralisierung der Entscheidungen in keiner differenzierteren Wirtschaft noch möglich ist; die Koordination einer Vielzahl von doch nicht voll determinierten Tätigkeiten durch den "Plan" ist gerade das charakteristische Problem dieser Wirtschaftsordnung. Vgl. H. Hirsch, ,Mengenplanung und Preisplanung in der Sowjet-Union', Tübingen 1957, insbes. 3. Kap. 22 Z.B. Eduard Heimann, ,Sozialistische Wirtschafts- und Arbeitsordnung', Potsdam 1932 (Neudruck Offenbach 1948); Oskar Lange, Fred Taylor, ,On the Economic Theory of Socialism', Minneapolis 1938. 23 Von hier aus ergibt sich zugleich ein Urteil über die weitere, aus. der vorigen abgeleitete Begriffsbestimmung, "Sozialismus" sei ein System mitwegen fehlenden Privateigentums an den Produktionsmitteln - "klassenloser Gesellschaft"; sie ist die herrschende bei den marxistischen und vom Marxismus stärker beeinflußten Autoren. Die zu naiven Vorstellungen von den sozialen und politischen Wirkungen des Privateigentums werden hier wiederum

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sehr deutlich sichtbar. Die Entwicklung der modernen Industriegesellschaften hat gezeigt, daß soziale Stellung, Einkommenslage und politischer Einfluß von vielen verschiedenen Faktoren abhängen, unter denen das Eigentum mehr und mehr zurücktritt. Vollends von einer Scheidung der Bürger in zwei Klassen, die der Eigentümer und die der Nichteigcntümer, mit jeweils "klassentypischer" einheitlicher sozialer und wirtschaftlicher Stellung kann nicht die Rede sein. Andererseits muß jedes System mit moderner Technik und Produktionsstruktur, ob es sich nun sozialistisch nennt oder nicht. eine weit differenzierte Arbeits- und Funktionsteilung aufweisen, die notwendig zu starken Unterschieden in der Bedeutung der von den einzelnen Bürgern erfüllten Aufgaben, und, daraus folgend, in ihrem gesellschaftlichen Ansehen, politischen Einfluß, Lebenszuschnitt und Lebensgeftihl führt, - und es erweist sich, daß diese Unterschiede gerade in den sich sozialistisch nennenden Systemen wegen der Politisierung des wirtschaftlichen Lebens die Tendenz haben, sich eher zu verhärten, so daß sich in ihnen am ehesten etwas den sogenannten "Klassenunterschieden" ähnliches findet; man denke etwa an Milovan Djilas, ,Die neue Klasse', deutsche Übersetzung München 1963. -- Fichtes System wäre übrigens ohne Zweifel ,klassenlos" in dem Sinne, daß aus dem verbleibenden, staatlich gebundenen "Eigentum" keinerlei politische oder soziale oder wirtschaftliche Unterschiede zwischen den Bürgern sid1 ergeben können. Soweit er ein Abgehen von der absoluten Gleichheit der Einkommensverteilung ins Auge faßt, ist sie nicht durch Eigentum oder politische Stellung bedingt, sondern durch den sachlichen Inhalt der ausgeübten Funktionen (näheres vgl. im Abschn. II. 5). Daß er den grundlegenden Unterschied in der Wichtigkeit der von den verschiedenen Bürgern erfüllten Aufgaben nicht aufheben kann, wird uns im Abschnitt III beschäftigen. 24 "Ideelle Ziele" soll hier soviel besagen wie: Ziele, die abgeleitet sind aus einem Ordnungsbild, das aus allgemeinen, überindividuellen Grundsätzen begründet ist und dem Einzelnen gegenüber verpflichtende, "normative" Kraft haben soll. Ein solches Ordnungsbild hat auch der Marxismus, obwohl er es bestreiten möchte. 25 Fichte selbst hat sich mit dem Problem, wie ein Mißbrauch der Regierungsgewalt verhindert werden könnte, mehrfach sehr beschäftigt. Vor allem seine Konstruktion eines "Ephorats" neben der eigentlichen Regierung gehört in diesen Zusammenhang: ,Grundlage des Naturrechts', SW III S. 157187, PhB 256 S. 155-184. In der ,Rechtslehre' (1812) hat er resigniert: die Aufgabe sei "durch menschliche Freiheit nicht zu lösen. Es ist drum eine Aufgabe an die göttliche Weltregierung". (Ausg. Schulz S. 155 f., vgl. im ganzen S. 147-157 = SW X S. 635, i. g. 627-636). Vgl. hierzu unten Abschnitt III. 2. Auch der sogenannte "demokratische Sozialismus" fällt unter die soeben abgeleitete Begriffsbestimmung. Demokratie betrifft die Frage, auf welchem Wege die Normen und Zielentscheidungen zustande kommen, die die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen beschränken oder aufheben. Auch wenn sie

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auf einem Mehrheitsbeschluß beruhen, tritt für den von der Entscheidung betroffenen Bürger der Freiheitsverlust ein. Es kommt hinzu, daß angesichts der so sehr gesteigerten Macht der zentralen Wirtschaftsverwaltung, von der alle Bürger in ihrer Existenz abhängen, das Funktionieren der demokratischen Willensbildung nicht mehr gewährleistet werden kann. Deshalb ist das Programm eines "Sozialismus zur Befreiung von Zwängen" nachweislich utopisch. - Bei der Einordnung eines Systems der "Arbeiterselbstverwaltung", etwa nach jugoslawischem Muster, käme es auf die Kompetenzverteilung zwischen den selbstverwalteten Betrieben und den verbleibenden zentralen Lenkungsinstanzen an. Diese bleibt regelmäßig schwer durchschaubar. Doch läßt sich zeigen, daß das System, wenn es in seiner jet7igen Struktur funktionsfähig bleiben soll, weitgehender zentral steuernder Eingriffe bedarf. 26 Vgl. hierzu W. Sombart, ,Der proletarische Sozialismus', Jena 1924, Bd. 1, S. 87-97. 27 S.o. Anm. 22 und 25. 28 S.o. Abschnitt 11.1 gegen Ende mit Anm. 15. 29 Einen ebenso gründlichen und umsichtigen wie lesbaren Oberblick über die Entwicklung der politisch-wirtschafdichen Utopien bietet Hans Freyer, ,Die politische Insel', Leipzig 1936. 30 Plato, ,Politeia' = Republik= Der Staat, zitiert wie üblich mit den Seitenzahlen der Ausgabe von H. Stephanus, Paris 1578; als deutsche Obersetzungen seien empfohlen die von R. Rufener in: Platon, ,Sämtliche Werke', Artemis-Paperbackausgabe Bd. 4, hrsg. v. 0. Gigon, Zürich, München 1974, und die von 0. Apelt, PhB 80, 8. Aufl. durchgesehen von K. Bormann, 1961. -Zum folgenden vgl.Freyer, a.a.O. S. 39-68; W. Windelband, E. Hoffmann, Art. Platon, in: ,HWB der Staatswissenschaften', 4. Aufl., Bd. 6,jena 1925, s. 877-883. 31 Werner Sombart, einer der bedeutendsten Theoretiker des Sozialismus, will dessen Begriff in diesem Sinne ganz allgemein als "sozialen Normativismus" bestimmen: Sombart, ,Der proletarische Sozialismus', a.a.O. Bd. 1, S. 11, im ganzen S. 3-18. Dann wäre auch Plato ein Sozialist. 32 ,Politeia', S. 519 f., vgl. auch S. 420 f., 33 Dies führt Freyer, a.a.O. S. 44-47 sehr schön aus. 34 Vgl. besonders ,Politeia'. S. 379-383, 507-518. Die stärksten Parallelen zu Fichte bestehen in der Erziehungslehre, vgl. a.a.O. insbes. S. 382413, 449-471 sowie Fichte, ,Reden an die deutsche Nation', SW VII/PhB 204 5. Aufl., hrsg. von Reinhard Lauth 1978, 2./3. und 9./11. Rede. 35 Auffällige Parallelen in Einzelheiten weist der ,Handelsstaat' Fichtes eher auf zu der zweiten, als Fragment hinterlassenen Staatsutopie Platos, den ,Gesetzen'= Nomoi= Leges. Wir haben dort insbesondere schon das "Landesgeld", eine starke Feindschaft gegen den Außenhandel, die Erschwerung der Auslandsreisen und mancherlei, z.T. sehrengherzige Regulierungen aller, auch der wirtschaftlichen Tätigkeiten. Doch scheint es mir nicht möglich, aus den verstreuten und fragmentarischen Äußerungen Platos überhaupt ein logisch

Hans Hirsch in sich geschlossenes und sinnvolles Modell einer Wirtschaftsordnung und ihrer Funktionsweise zu konstruieren. 36 Zitiert nach der deutschen Übersetzung von Gerhard Ritter, Berlin 1922, Neudruck Darmstadt 1973 (dieselbe Übersetzung auch bei Reclam, Stuttgart 1964 u.ö.). Vgl. dazu die wertvolle Einleitung von Hermann Oncken (Ausgabe 1922/73 a.a.O.). - Utopia heißt: Land, das "keinen Ort" hat, Land "Nirgendwo". 37 Soweit a.a.O., S. 44 f., 49-53, 55, 59 f. (Reclam S. 62 ff., 69-75, 77 f., 82 ff.). 38 a.a.O. S. 69, im ganzen S. 67-76 (Reclam S. 94 f., i.g. S. 92-105). 39 Vgl. Freyer, a.a.O. Besonderen Eindruck hat noch der ,Sonnenstaat' (Civitas solis) des Tommaso Campanella gemacht - zuerst veröffentlicht 1623, bequem zugängliche Übersetzung in: ,Der utopische Staat', hrsg. v. K. Heinisch, Harnburg 1960 u.ö. (Rowohlts Klassiker). Flüchtige, in ihren Konsequenzen nicht durchdachte Hinweise auf eine zentrale Planung finden sich etwa bei Morelly, ,Code de Ia Nature' (1755), vgl. H. Girsberger, ,Der utopische Sozialismus des 18. Jahrhunderts in Frankreich', 2. Aufl. Wiesbaden 1973, S. 147 ff. 40 Vgl. Filippo Buonarotti, ,Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit .. .' (aus dem Französischen 1828), übersetzt von A. u. W. Blos, Neudruck Bonn-Bad Godesberg 197 5 . 41 F. v. Wieser, ,Der natürliche Wert', Wien 1889; E. Barone, ,Der Produktionsminister im kollektivistischen Staat', zuerst italienisch 1908, englische Übersetzung in: Collectivist Economic Planning, hrsg. von F. A. von Hayek, London 1935. 42 N. Barbon, ,A discourse of trade' (1690); J. Law, insbes.: ,Troisieme lettre sur le nouveau systemedes finances' (18.5.1720),in: Oeuvres completes, publ. par P. Hatsin, Paris 1934, Vol. 3; G. Berkeley, The Querist', 17351737; J. Steuart, ,An Inquiry into the principles ofPolitical Economy' (1767). Vgl. J. A. Schumpeter, ,History of Economic Analysis' (1954), deutsch: ,Geschichte der ökonomischen Analyse', Göttingen 1965, S. 373-78, 407 f. 43 F. v. Wieser, Art. Geld, I. Theorie des Geldes, in: HWB der Staatswissenschaften', 4. Aufl., Bd. 4, Jena 1927, S. 681 ff. 44 Dieser Gedanke spielt eine wichtige Rolle bei Georg Friedrich Knapp, ,Staatliche Theorie des Geldes', München 1905. Wie das.folgende zeigt, hat Fichte jedoch den Kardinalfehler der Knappsehen Theorie vermieden: die Vernachlässigung der Bedingungen, die der. Staat beachten muß, wenn sein Geld auch im freien Verkehr angenommen werden soll -vor allem kommt es dabei auf die Reguiierung der Geldmenge an. 45 Die Geschichte der Geldtheorien zeigt, daß diese Verbindung, entgegen dem, was man erwarten möchte, keineswegs selbstverständlich ist. 46 Nach den Formulierungen der wichtigsten Stellen - S. 48 f., ebenso S. 69 ff. - ist eine Umlaufgeschwindigkeit von 1 naiv vorausgesetzt: "Die ganze Summe des zirkulierenden Geldes repräsentiert die ganze ... Summe

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der Ware ... " (S. 48); die Dauer der Umlaufperiode scheint dabei als Problem nicht einmal gesehen; daß er an 1 Jahr denkt, ergibt sich nur nebenbei aus der Bemerkung, daß die Kornmenge innerhalb dieser "Summe der Ware" "von einer Ernte zur andern" zu berechnen ist. In einem anderen Zusammenhang, aufS. 76 f., findet sich ein kurzer Hinweis, daß eine Verknappung der Geldmenge durch Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit kompensiert werden könnte- ohne daß daraus sonst Folgerungen gezogen würden. 47 Das Geheimnis des unverfälschbaren Geldstoffes - S. 51, 101 - hat Fichte leider mit ins Grah genommen. 48 Die Kritik ist an einem geldtheoretischen Anwendungsfall der Kostenwertlehre entwickelt, richtet sich jedoch gegen ihren allgemeinen Grundgedanken. 49 Daß in der Bewertung dieser Nahrungsmittel das Kom-Aequivalent ihrer Erzeugungskosten zum Nährkraftaequivalent hinzutreten soll, wie Fichte das aufS. 31 vorschreibt, ist ein handfester Denkfehler. Wir sehen für die Interpretation von diesem Fehlgriff ab - weiteres s. in der folgenden Anmerkung. 50 Hierdurch erklärt sich auch der in der vorigen Anmerkung bezeichnete Denkfehler: Gerade das Wertmaß kommt nun nicht mehr zur Geltung, das zunächst als das grundsätzlich richtige abgeleitet worden war. Deshalb möchte Fichte es wenigstens neben dem Wertmaß der Kostenaequivalente festhalten. Daß dies ein Fehler ist, ergibt sich schon aus Fichtes Begründung selbst: Daß der Aufwand hier zur Bewertungsgrundlage gemacht wird, wird damit begründet, "die Nation" mache "diesen größeren Aufwand, das Produkt muß ihr sonach denselben belohnen". (S. 31). Zu den Vorteilen, die dieser Aufwand verschafft, gehört aher nicht nur die Annehmlichkeit des besseren Geschmacks, sondern auch die Nährkraft des Nahrungsmittels selbst; sie war also bei der Entscheidung, statt des Grundnahrungsmittels dies Gut zu erzeugen, bereits mit bewertet worden. - Auch die unterschiedliche Bewertung des Aufwands für Nahrungsmittel und für gewerbliche Rohstoffe, die sich sonst ergibt, wäre völlig unbegründet. - Es sei noch bemerkt, daß hier ein Verstoß gegen ein allgemeines Wertungsprinzip vorliegt: Wertungen, die auf verschiedenartigen Gesichtspunkten beruhen, - hier einerseits Nutzen, andererseits Kosten,- können nicht addiert werden. 51 Diesen Widerspruch sucht Fichte dadurch zu entschärfen, daß er die Bewertung nach Nährkraftaequivalenzen als erste Stufe im Aufbau des Wertund Preissystems darstellt, auf die die Bewertung nach Annehmlichkeit als zweite Stufe aufgesetzt wird. jedoch ist dieser Stufenaufbau logisch nicht haltbar aus drei Gründen. Erstens enthält schon die erste Stufe des Wertsystems in sich eine schwerwiegende Ungleichheit der Verteilung, da den landwirtschaftlichen Produzenten das Produkt ihrer Arbeit in seinem ganzen Wertbetrag zufallt, ohne Rücksicht auf die Nährkraft, die sie während ihrer Arbeitszeit benötigen. Zweitens ist eine Stufe, auf der ein Teil der Arbeitenden nur die erforderliche Menge Grundnahrungsmittel empfangt, in sich nicht

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einmal existenzfähig, da die Lebensmöglichkeit auch von gewerblichen Erzeugnissen, insbesondere von Kleidung, Wohnung, Heizung und einfachen Gerätschaften abhängt. Drittens wird, wie wir bei der Analyse der ersten beiden Bewertungsregeln gesehen haben, diese erste Stufe der Bewertung nach Nährkraftaequivalenzen durch die folgenden nicht ergänzt,sondem ersetzt und aufgehoben: In dem auf S. 32 beschriebenen Wertsystem kommen Nährkraftaequivalenzen als Preiselement nicht mehr vor. 52 Der Wertanteil des einzelnen Erzeugnisses ergäbe sich z.B. in einfachen Fällen aus einer Division des Einkommens je Periode durch die Zahl der in ihr erzeugten Stücke. 53 In der ,Rechtslehre' (1812, Ausg. Schulz a.a.O. S. 96 ff., SW X S. 581 ff.) wird ein Zins zwar grundsätzlich zugelassen. Seine Entstehung wird aber als an die Einführung technischer Fortschrittegekoppelt angesehen. Zins soll also nur aus den Kostendifferenzen der technisch fortschrittlichen Produktion gegenüber dem allgemeinen Produktivitätsniveau gezahlt werden können; mit der allgemeinen Durchsetzung einer Erfindung versiegt jeweils diese Quelle; bis dahin sollte auch die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals erreicht sein. - Für Nicht-ökonomen sei vermerkt, daß diest: Lösung des Kapital-Zins-Problems theoretisch unzureichend ist. Immerhin ist sie u.a. von Schumpeter vertreten worden und hat in dessen Fassung zeitweilig größeren Eindruck gemacht; auch Marx läßt sich in diesem Sinne interpretieren. 54 In dem mit Recht berühmten 10. Kapitel (1. Abt.) des I. Buchs des "Wealth of nations" erklärt Smith die Einkommensunterschiede verschiedener Beschäftigungsarten aus 5 Faktorgtuppen: aus Unterschieden 1. der Annehmlichkeit, 2. der Schwierigkeit und Kostspieligkeit beim Erlernen des Berufs, 3. der Beständigkeit der Beschäftigung, 4. der Ansprüche des Berufs an die Vertrauenswürdigkeit des Ausübenden, 5. der Erfolgswahrscheinlichkeit. Für Fichte entfallen von ihnen der 3. und der 5. durch die Vollbeschäftigungsgarantie der Planwirtschaft, der 4. durch die Eignungsprüfung bei der Berufszulassung. Der 2. wird von Fichte durch Umlage der Lehrzeit auf die Gesamtzeit der Berufsausübung berücksichtigt. So verbleiben als wesentlich die Unterschiede der Annehmlichkeit. 55 Fichte, ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schutz a.a.O. S. 29 f., 32 f., 46 f. (SW X S. 520 f., 523 f., 536)- vgl. auch Anm. 97. 56 Vgl. R. Schottky, Einleitung zu: ,] . G. Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution'. 1. Teil, PhB 282, Harnburg 1973; derselbe, Diss. München, a.a.O. S. 116-131; W. Metzger, a.a.O. S. 133-148; Rickert, a.a.O. S. 157 ff., 172 ff. 57 Siehe oben Anm. 10. 58 SW lll S. 212-215, 218 f., 231-237; PhB 256 S. 206-209, 212 f., 225--231. 59 SW lll S. 235 ff.; PhB 256 S. 229 ff. - Andererseits wird ein "vollkommenes Gleichgewicht ... zwischen rohen Produkten und Fabrikaten" gefordert: a.a.O., S. 234 bzw. 228.

Einleitung 60 And::rerseits soll der Tausch zwischen den Berufsgruppen so reguliert werden, daß jeder gewerbliche Produzent das erhält, was er braucht, "um während der Zeit der Verfertigung zu leben": SW III S. 234, PhB 256 S. 228. Der Widerspruch zwischen beiden Aussagen ist nicht bemerkt. 61 SW III S. 234, 236 f., PhB 256 S. 228, 230 f. 62 SW III S. 237-242, PhB 256 S. 231-236. 63 Die Unterscheidung von "Materie" und "Form" hier soll offensichtlich an die scheinbar gleiche Unterscheidung anknüpfen, die mit der Idee des "Arbeitseigentums" im "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" entwickelt worden war. Tatsächlich haben die beiden nichts miteinander zu tun. Die Nützlichkeit der konkreten Güter, die der Staat als "Materie" in Anspruch nimmt, beruht ja zum großen Teil erst auf ihrer Verarbeitung, im Sinne des "Beitrags" also auf einer "Formung''.

64 Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf meinen Vortrag über "Fichtes Beitrag zur Theorie der Planwirtschaft und dessen Verhältnis zu seiner praktischen Philosophie" im August 1977 auf der Fichte-Tagung in Zwettl. Die Tagungsreferate werden veröffentlicht als: ,Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes', hrsg. von Klaus Hammacher, Harnburg 1980. 65 ,Rechtslehre', Ausg. Schutz, a.a.O., S. 46 (SW X S. 535). 66 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 47 (SW X S. 536). 67 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 46 (SW X S. 535). 68 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 46-53 (SW X S. 535-542). 69 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 47 (SW X S. 537). 70 "Ober den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung" (Philosophisches J oumal (8) 1798), SW V S. 185. 71 In demselben Sinne systemwidrig ist die folgende Aussage der ,Rechtslehre' (1812): "Das Sittengesetz wendet sich nur an den von allen äußern Zwecken befreiten, gleichsam von der Natur müßigen, und von ihr losgesprochnen Willen. Die äußern Zwecke aber, die uns die Natur auflegt, als Bedingungen des höhern Zwecks, sind unsre Erhaltung, und unsere Sicherheit. Diese müssen drum erreicht sein, und allgemein erreicht sein, ehe das Sittengesetz allgemein erscheinen kann". (Ausg. Schutz a.a.O. S. 25; SW X S. 517). 72 SW VII S. 148; PhB 247, Harnburg 1956, S. 154. 73 SW VII S. 208, vgl. weiterS. 143-148, 165 f., 169 f., 208 ff.; PhB 247 S. 216, vgl. S. 149-154,172 f., 175 ff., 216 ff. 74 SW IV S. 444, vgl. S. 445-457,432-440 sowie ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schutz a.a.O. S. 49-53 (SW X S. 538-542). 75 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 8 f. (SW X S. 501 f.); ebenso ,Grundlage des Naturrechts" (1796/97), SW III S. 54 f., 150 f., 273 f., PhB 256 S. 54 f., 148 f., 266 f. und öfter. 76 ,Rechtslehre', a.a.O. S. 8 (SW X S. 501). 77 Vgl. hierzu W. Metzger, a.a.O. S. 125 f.

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78 Z. B. ,Rechtslehre' (1812), a.a.O. S. 127 ff. (SW X S. 609 ff.), etwa: "Es ist drum klar, daß für einen solchen das Gesetz gar nicht da ist, indem er ohne alles Gesetz nichts andres will, noch tut, als was das Gesetz auch will . . . . Er ist über das Gesetz und gibt dem Gesetze selbst das Gesetz durch die Sittlichkeit seines Willens, des höchsten Vorbildes aller Gesetze". 79 Diese Frage findet sich besonders gründlich erörtert bei Richard Schottky, Diss. München, a.a.O., insbes. S. 143 ff. mitAnmerkung91 S. 347355. 80 Zu der im einzelnen sehr schwierigen und vielschichtigen Frage des Verhältnisses von Eigenrecht der Einzelnen und Oberordnung der Vernunft im Rechts- und Staatsdenken Fichtes vgl. vor allem Richard Schottky, Diss. München, a.a.O. insbes. S. 133-145 mit Anmerkung 91 (S. 347 ff.), 159 ff., 176-209, ders., Einleitung zu PhB 282 a.a.O. S. XLVI-LV sowie die sehr interessante und materialreiche, wenn auch im Ergebnis nicht immer überzeugende Darstellung bei Wilhelm Metzger, a.a.O. S. 127-165, 175-191, dazu auch Rickert, a.a.O. Besonders aufschlußreich für eine eher "ganzheitliche", den Einzelnen dem Staat unterordnende Auffassung sind z.B. schon in der ,Grundlage des Naturrechts' die Aussagen SW III S. 202 f., PhB 256 S. 196 f.; vgl. auch das Manuskript, Ueber StaatsWirthschaft' im Anhang. 81 Vgl. z.B. die sog. ,Staatslehre' (1813), SW IV S. 394: "Alles, wa", in der Welt geschehen soll (eigentlich auch wahrhaftig geschieht; denn das Verkehrte sind keine Positionen, sondern nur Negationen), gründet sich auf das Sittengesetz". 82 Vgl. Emanuel Hirsch, ,Christentum und Geschichte in Fichtes Philosophie', Tübingen 1920; derselbe, ,Die Reich-Gottes-Begriffe des neueren europäischen Denkens', Göttingen 1921, S. 22-28. 83 ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schulz a.a.O. S. 125-131, 25 f. (SW X s. 607-613,517 f.). 84 SW IV S. 439 f., 445-458, 583-591, 595 ff.; vgl. auch ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schulz a.a.O. S. 50-53 (SW X S. 540 ff.), ,Reden an die deutsche Nation' (SW VII, PhB 204) 2./3. und 9./11. Rede. 85 Belege s. o. Anm. 25. In der ,Staatslehre' (1813) erhofft er die Verwirklichung des Vernunftreichs vom Fortschreiten der allgemeinen Bildung; die Herrschaft im Vernunftreich soll dann den Besten aus dem Lehrerstand zukommen (Belege s. Anm. 84). 86 Z.B. ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schulz a.a.O. S. 127 f. (SW X S. 609 f.); ,System der Sittenlehre' (1798), a.a.O. SW IV S. 59 f., PhB 257 S. 58- und öfter. 87 Dies ist ein wesentliches Kennzeichen der Rechts- und Wirtschaftsordnung im ,Geschloßnen Handelsstaat' wie in der ,Rechtslehre' (1812), dessen Probleme im folgenden zu besprechen sind. Für Belege vgl. Anm. 11 und 97. 88 Vgl. zum Beispiel ,Ober das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit' (1806), SW VI S. 350, 368) und in Verbindung damit ,Anweisung zum seligen Leben' (1806; SW V, PhB 234), 10. Vor-

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Iesung. - Diese "ungesetzliche" Auffassung der Sittlichkeit ergibt sich schon aus der bei Fichte häufig wiederkehrenden Aussage, daß das sittlich Gebotene für jeden Menschen eine besondere, gerade ihm gestellte Aufgabe ist. Zu der Frage, wie sich die Grundgedanken einer solchen gesetzesfreien Ethik auf das Problem der Wirtschaftsordnungen anwenden lassen, vgl. H. Hirsch, Die Wirtschaftsordnungen aus der Sicht einer christlich bestimmten Persönlichkeitsethik, in: ,Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag', hrsg. von Klaus Harnmacher und Albert Mues, 1979. 89 Vgl. hierzu Schottky, Diss. München, a.a.O. S. 172 f. 90 Zum folgenden vgl. Schottky, a.a.O., insbes. S. 167 ff., der die hier vorliegenden Widersprüche- soviel ich sehe, erstmals- scharfsinnig und vielseitig erörtert. Schottky weist noch besonders darauf hin, daß gerade höhere geistige und ästhetische Interessen an Gegenständen zweckfrei sein könnenein Gesichtspunkt, der für die geistige Auffassung des Menschen, wie sie bei Fichte vorliegt, von besonderer Bedeutung sein müßte, der jedoch in seiner Eigentumslehre ignoriert wird. 91 Wie drückend Vorbehaltsrechte auf Handlungen für die Rechtsgenossen sein können, läßt sich besonders am Patentrecht zeigen; vgl. hierzu H. Hirsch, ,Patentrecht und Wettbewerbsordnung', in: Wirtschaft und Wettbewerb (20) 1970, S. 99-143. 92 Vgl. ,Rechtslehre' (1812), Ausg. Schulz, a.a.O. S. 58 f., 76f. (SW X, S. 547, 562 f.), dort ohne jede sachliche Begründung. Der ,Geschloßne Handelsstaat' bietet vor allem die Phrase, daß "keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andere", und deutet sogar den berühmten Rechtssatz "suum cuique" ohne Begründung und entgegen seinem Sinn in dieser Weise um (S. 16 f.). Daneben finden sich dort einige nicht präzisierte Auflockerungen; Unterschiede werden, wie wir bei Besprechung der Preislehre gesehen hatten, vor allem gereehrfertigt im Hinblick auf "diejenige Art von Kraft und Wohlsein ... , deren ein jeder für sein bestimmtes Geschäft bedarf" (S. 31 f., vgl. auch S. 37). 93 Die Verschiedenartigkeit der Aufgaben ist übrigens sogar im Bereich der sittlichen Freiheit von Fichte anerkannt. Vgl. ,Rechtslehre' (1812), S. 3: "Individuelles Gebot für Einzelne", S. 8: "Was dem Einen geboten ist, ist es dem andern nicht, ... " (SW X S. 497, 501). 94 Für die ethische Abwertung des sinnlichen Genusses vgl. z.B. ,System der Sittenlehre', a.a.O. SW IV S. 215 f., PhB 257, 2. Aufl. 1969 S. 212 f. 95 Vgl. Anm. 75. 96 Sehr eindrucksvoll ist schon die Formulierung dieses Gedankens in der Vorlesung ,Von den Pflichten der Gelehrten' (1794), SW VI S. 310 f., 315 f., 321 ff., PhB 274, Harnburg 1971, S. 19 ff., 25 f., 30 ff. 97 So würden die folgenden in der ,Rechtslehre' (1812) aufgestellten Grundsätze jede Rechtsordnung zerstören: Verträge, die den Ansprüchen der Rechtsidee nicht entsprechen, sollen ungültig sein. So sollen insbesondere

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Hans Hirsch

Kaufverträge nur rechtsgültig sein, wenn Ware und Preis gleichwertig sindeine ganz unerfüllbare Bedingung, die jeden Handelsverkehr unmöglich machen würde (soweit Ausg. Schutz a.a.O. S. 29, 32 f., SW X S. 520, 523 f.) Dabei wird noch eine ständige Anpassung der Verträge an neue Umstände gefordert (a.a.O. S. 40, SW X S. 5 30). - Nurwer den notwendigen Unterhalt und seinen "gleichen" Anteil an der Muße erhalten hat, ist an die Rechtsordnung gebunden (a.a.O. S. 46 f., SW X S. 535 f.) - In der Sittenlehre von 1798 hatte Fichte dagegen richtig ausgeführt, daß der Bürger auch an unvollkommenes Recht gebunden ist (SW IV S. 237-240, 356-361; PhB 257 s. 234-237, 353-358). 98 Vgl. H. Hirsch, ,Wirtschafdiches Prinzip und öffendiches Interesse als Leitideen des Steuersystems', in: Finanzarchiv N. F. (27) Heft 1-2 (Festschrift für Hans Ritschl), 1968, S. 10-17. 99 Dies Argument war für Fichte nicht brauchbar, weil er eine rein vernunftgemäße Begründung ohne Rekurs auf Erfahrungstatsachen sucht.

417 I li/, 3871 xl

Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und

Probe einer künftig zu liefernden Politik von johann Gottlieb Fichte.

Tübingen, in der j. 0. Cottaschen Buchhandlung. Im Spätjahre 1800.

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Der geschloßne Handelsstaat

x2 I 111, 388 I 418

Vorläufige Erklärung des Titels. Den juridischen Staat bildet eine geschloßne Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen, und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter- und füreinander eingeschränkt, und jeder, der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Anteil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden. Sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßnen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschloßnen juridischen Staat bildet. 1

419 1111, 3891 x3, x5-6

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Seiner Exzellenz dem König). Preußischen wirklichen geheimen Staatsminister, und Ritter des roten Adlerordens

Herrn von Struensee. Vom Verfasser.

Euer Exzellenz erlauben, daß ich nach der Sitte besonders älterer Dedikations-Schriftsteller vor I h n e n meine Gedanken niederlege über den Zweck und den wahrscheinlichen Erfolg einer Schrift, die ich I h n e n hierdurch öffentlich, als ein Denkmal meiner freien Verehrung, zueigne. - Ca sau b o n u s unterredet an der Spitze seiner Ausgabe des Polybius mit Heinrich dem Vierten sich sehr unbefangen über das Studium der Alten, und die gewöhnlichen Vorurteile in Rücksicht dieses Studiums. VerstaUen Euer Exzellenz, daß ich ebenso unbefangen mit Ihnen, im Angesichte des Publikums, über das Verhältnis des SMkulativen Politikers zum ausübenden mich unterrede. Die letztem haben zu allen Zeiten den erstem das Recht zugestanden, über Einrichtung und Verwaltung der Staaten ihre Gedanken vorzutragen, ohne daß sie übrigens an diese Gedanken sich sehr gekehrt, und von den platonischen Repu-

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Zueignung

x6-x9 ,111, 390/420

bliken und utopischen Verfassungen derselben ernsthafte Kunde genommen hätten. Auch ist der Vorwurf der unmittelbaren Unausführbarkeit, der den Vorschlägen der spekulativen Politiker von jeher gemacht worden, zuzugeben; und gereicht den Urhebern dieser Vorschläge gar nicht zur Unehre, wenn sie nur mit denselben in einer idealen Welt geblieben sind, und dieses ausdrücklich bekennen, oder es durch die Tat zeigen. Denn so gewiß in ihren Oeda~en Ordnung, Konsequenz und Bestimmtheit ist, so gewiß passen ihre Vorschriften aufgestelltermaßen nur auf den von ihnen vorausgesetzten und erdichteten Zustand der Dinge, an welchem· die allgemeine Regel, wie an einem Exempel der Rechenkunst dargestellt wird. Diesen vorausgesetzten Zustand findet der ausübende Politiker nicht vor sich, sondern einen ganz anderen. Es ist kein Wunder, daß auf diesen eine Vorschrift nicht paßt, welche aufgestelltermaßen auf ihn nicht berechnet ist. Doch wird der Philosoph, wenn er nur nicht seine Wissenschaft für ein bloßes Spiel, sondern für etwas Ernsthaftes hält, die absolute Unausführbarkeit seiner Vorschläge nimmermehr zugeben, oder voraussetzen; indem er in diesem Falle seine Zeit ohne Zweifel auf I etwas Nützlicheres wenden würde, als auf ein von ihm selbst dafür erkanntes Begriffe-Spiel. Er wird behaupten seine, wenn sie nur rein theoretisch aufgestellt worden, unmittelbar unausführbaren Vorschriften, indem sie in ihrer· höchsten Allgemeinheit auf A II es passen, und eben darum auf nichts Bestimmtes, müßten für einen gegebenen wirklichen Zustand nur weiter bestimmt werden: ebenso, wie man durch die Kenntnis des allgemeinen Verhältnisses der Seiten, und Winkel zueinander im Triangel, noch keine einzige wirkliche Seite oder Winkel im Felde erkennt, und noch immer an irgendein Stück Maßstab und Winkelmesser wirklich anlegen und messen muß; aber durch die Kenntnis des allgemeinen Verhältnisses in den Stand gesetztlwird, das übrige durch b l o ß e Rechnung, ohne wirkliche Anlegung des Maßstabes zu finden. Diese weitere Bestimmung der im reinen Staatsrechte aufzustellenden allgemeinen Regel geschieht nun meines Erachtens

421 I 111,391 I

Zueignung

x9~xl2

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in der Wissenschaft, deren Begriff ich im folgenden bestimme, und sie Politik nenne; und welche ich gleichfalls für das Geschäft des spekulativen Philosophen a I s so Ich e n halte (denn daß der ausübende Politiker zugleich auch ein spekulativer Philosoph sein könne, - vielleicht auch das umgekehrte + Verhältnis stattfinde, ergibt sich von selbst). Einer als politisch sich ankündigenden Schrift würde der Vorwurf und der Beweis der Unausführbarkeit ihrer Vorschläge zu größerer Unehre gereichen, als einer staatsrechtlichen. Zwar I geht meines Erachtens auch die Politik, so gewiß sie nur Wissenschaft, nicht aber die Praxis selbst ist, nicht von einem durchaus bestimmten wirklichen Staate aus, indem es sodann keine allgemeine, sondern nur eine besondere Politik sein würde für England, Frankreich, Preußen, und zwar für diese Staaten im Jahre 1800, und zwar im Herbste des Jahres 1800, usw. - sondern von dem Zustande, der etwa allen Staaten der großen europäischen Republik in dem Zeitalter, da sie aufgestellt wird, gemeinschaftlich ist. Noch immer hat der ausübende Politiker die in gewisser Rücksicht noch immer allgemeine Regel auf den besonderen Fall anzuwenden, und für jeden besondem Fall eine wenig anders anzuwenden; aber diese allgemeine Regel liegt doch der Anwendung weit näher. I Wenn eine Politik nach dieser Idee nur sonst gründlich, mit richtiger Kenntnis der gegenwärtigen Lage, aus festen, staatsrechtlichen Prinzipien, und mit richtiger Folgerung aus diesen, bearbeitet wäre, so könnte diese Politik meines Erachtens nur noch dem bloßen Empiriker unnütz scheinen, welcher überhaupt keinem Begriffe, und keinem Kalkul, sondern nur der Bestätigung in unmittelbarer Erfahrung vertraut, und der sie verwerfen würde, weil sie doch nicht Tatsachen, sondern nur Begriffe und Berechnungen von Tatsachen enthielte, mit einem Worte, weil sie nicht Historie wäre. Ein solcher Politiker hat eine Anzahl von Fällen, und von gelungenen Maßregeln, welche andere vor ihm in diesen Fällen genommen haben, in seinem Gedächtnisse vorrätig. Was ihm auch vorkomme, denkt er an einen jener Fälle, und verfährt wie einer jener Politiker vor ihm, deren einen nach dem andern er aus dem Grabe erweckt, 1

Zueignung

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x12-x15 I 111,392/422

in seinem Zeitalter wieder darstellt, und so seinen politischen Lebenslauf zusammensetzt aus sehr verschiedenen Stücken sehr verschiedener Männer, ohne aus sich selbst etwas hinzuzutun. Ein solcher wäre bloß zu befragen, Wen denn diejenigen, die die von ihm gebilligte und nachgeahmte Maßregel zuerst gebraucht, nachgeahmt hätten; und worauf sie denn bei Ergreifung derselben gerechnet, ob auf vorhergegangene Erfahrung oder auf Kalkul. Er wäre zu erinnern, daß alles, was nun alt ist, irgend einmal neu gewesen; daß das Menschengeschlecht in diesen letzten Zeiten doch unmöglich so herabgekommen sein könne, daß ihm nur noch Gedächtnis und Nachahmungsvermögen übriggeblieben. Es wäre ihm zu zeigen, daß durch den ohne sein Zutun geschehenen und durch ihn nicht aufzuhaltenden Fortgang des Menschengeschlechtes gar vieles sich verändert habe, wodurch ganz neue, in den vorigen Zeitaltern weder zu ersinnende, noch anzuwendende Maßregeln nötig gemacht würden. - Es ließe sich ihm gegenüber eine vielleicht lehrreiche historische Untersuchung anstellen über die Frage, ob mehr übel in der Welt durch gewagte Neuerungen entstanden sei, oder durch träges Beruhen bei den alten nicht mehr anwendbaren oder nicht mehr hinlänglichen Maßregeln. Ob die gegenwärtige Schrift die eben erwähnten Erfordernisse einer gründlichen Behandlung der Politik an sich I habe, darüber maßt der Verfasser derselben sich keine Stimme an. In Absicht ihres eigentlichen Vorschlages, den Handelsstaat ebenso wie den juridischen zu schließen, und des entscheidenden Mittels zu diesem Zwecke, der Abschaffung des WeItund Einführung des Landes- Geldes, sieht er freilich voraus, daß kein Staat diesen Vorschlag annehmen wo I I e n wird, der nicht müßte, und daß der letztere die versproebnen Vorteile von dieser Maßregel nicht haben werde; daß der Vorschlag sonach unbeschließbar, und da eben nie ausgeführt wird, wozu man sich nicht entschließen kann, eben darum auch u nausführbar gefunden werden wird. Der deutlich, oder nicht deutlich gedachte Grund dieses Nichtwollens wird der sein, daß Europa über die übrigen Wel*eile im Handel großen Vorteil 1

423 I III,393 I xl5-xl7

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hat, und ihre Kräfte und Produkte, bei weitem ohne hinlängliches Äquivalent von seinen Kräften und Produkten an sich bringt, daß jeder einzelne europäische Staat, so ungünstig auch in Beziehung auf die übrigen europäischen Staaten die Handelsbilanz für ihn steht, dennoch von dieser gemeinsamen Ausbeute der übrigen Welt einigen Vorteil zieht, und die Hoffnung nie aufgibt, die Handelsbilanz zu seinen Gunsten zu verbessern, und einen noch größeren Vorteil zu ziehen; auf welches alles er durch seinen Austritt aus der größeren europäischen Handelsgesellschaft freilich Verzicht tun müßte. Um diesen Grund des Nichtwollens zu heben, müßte gezeigt werden, daß ein Verhältnis, wie das Europas gegen die übrige Welt, we~hes sich nicht auf Recht und Billigkeit gründet, unmöglich fortdauern könne: ein Erweis, der außerhalb der Grenzen meines gegenwärtigen Vorhabens lag. Aber auch nachdem dieser Erweis geführt wäre, könnte man mir noch immer sagen: "Bis jetzt wenigstens dauert dieses Verhältnis, - dauert die Unterwürfigkeit der Kolonien gegen die Mutterländer, dauert der Sklavenhandel noch fort, und Wir werden es nicht erleben, daß alles dieses aufhöre. Laßt uns Vorteil davon ziehen, solange es noch hält; die Zeitalter, da es brechen wird, mögen zusehen, wie sie zurechtkommen. Mögen allenfalls diese untersuchen, ob sie aus Deinen Gedanken sich etwas nehmen können; wir können sogar Deinen Zweck nicht wollen, bedürfen sonach gar keiner AnJweisung über die Mittel ihn auszuführen." - Ich bekenne,