Der freie Wille als Rechtsprinzip: Untersuchungen zur Grundlegung des Rechts bei Hobbes und Hegel 9783787321643, 9783787321841

Ausgehend von Hobbes zeigt der Verfasser auf, daß und weshalb der Rekurs auf den Willen als die rechtserzeugende Instanz

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German Pages 396 [397] Year 2012

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Der freie Wille als Rechtsprinzip: Untersuchungen zur Grundlegung des Rechts bei Hobbes und Hegel
 9783787321643, 9783787321841

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HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 56

HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von WALTER JAESCHKE UND LUDWIG SIEP

Beiheft 56

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DER FREIE WILLE ALS RECHTSPRINZIP Untersuchungen zur Grundlegung des Rechts bei Hobbes und Hegel

von ALFREDO BERGÉS

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN E-Book 978-3-78-73-2184-1 ISBN 978-3-7873-2164-3

© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2012. ISSN 0440-5927. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 11 13

1. Elemente des neuzeitlichen Rechtsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

erster teil hobbes’ formulierung des neuzeitlichen rechtsdenkens 2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht. . . . . . . . . . . . . . . .

29

2.1 Einleitung: die Zeichentheorie als begriffliches Mittel für die Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens . . . . . . . . 2.2 Das Zeichen als Gestalt der Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 32 38

3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit durch das Kausalitätsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . .

48

3.1 Kausalitäts- und Begründungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kausalitätsverhältnis und Bewegungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Freiheit und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 52 55

4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

4.1 Der Naturzustand und die rechtserzeugende Einheitsform . . . 4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags . . . . . . . . 4.3 Der Personbegriff als die innere Logik der Vertretung . . . . . .

65 71 82

5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

5.1 Die »similar parts« des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die »organical parts« der Staatsmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 97

6

inhaltsverzeichnis

6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . .

103

6.1 Strafe und Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Das Rechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Vernunft und Positivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 111 117

7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

7.1 Die Gesetze des Kultus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die Gesetze der christlichen Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Das prophetische »Reich Gottes« . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Die kirchliche Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.1 Die kirchliche Macht als Macht, zu lehren . . . . . . . . . 7.2.2.2 Die kirchliche Macht als Macht, zu befehlen . . . . . . . 7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion: Materialismus und Spiritualismus . . . . . . . . . . . . . . .

127 132 146 150 151 157 164

zweiter teil hegels geistesphilosophische begründung und ausgestaltung des neuzeitlichen rechtsdenkens 8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des subjektiven und des objektiven Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

8.1 Das Zeichen als Gestalt des Gedächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

178 181

9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

9.1 Einleitung: die Funktion dieses Wegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Der Begriff des freien Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens . . . . . . . . . . . 9.3.1 Der fühlende Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Der überlegende Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Der sich selbst wollende Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 199 208 209 213 218

inhaltsverzeichnis

7

10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit . . . . . . . . . . . . . .

225

10.1 Die »Offenbarung« der Vernunft in der Geschichte . . . . . . 10.2 Die philosophische Rechtsgeschichte als Schlüssel und Prüfstein des neuzeitlichen Rechtsdenkens . . . . . . . . . . . . . 10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit für die Durchführung einer geistesphilosophischen Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

232

244

11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254

237

11.1 Einleitung: die Notwendigkeit der systematischen Fundierung dieser Vereinbarkeit für eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens . . . . . . . . . 11.2 Willensfreiheit und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Die Begründung des Zwangsrechts: die Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1.1 Das Zwangsrecht als Recht an sich . . . . . . . . . . . . 11.2.1.2 Das Zwangsrecht als »Recht an den Verbrecher« 11.2.1.3 Formen der Wiederherstellung des Rechts: rächende und strafende Gerechtigkeit . . . . . . . . . 11.2.2 Die Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258 259 266

12. Die Rede von einer Logik des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287

12.1 Der Rückverweis auf die Logik qua Methode und Erste Philosophie des Hegelschen Systems . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Logik des geistigen Seins überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes: der sich als Recht objektivierende Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: der geistesgeschichtliche Zusammenhang von epochaler Enthüllung und Ausbildung eines immanenten Rechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254 257

271 275 277

287 291 294

298

13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des objektiven Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

13.1 Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

8

inhaltsverzeichnis

13.2 Die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens 13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen . . . . . . . . . . . 13.3.1 Die Paradoxa der sittlichen Freiheit . . . . . . . . . . . 13.3.2 Die »organische« Struktur der sittlichen Freiheit 13.3.2.1 Der Systembegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2.2 Die Individualität des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . .

327 340 347 365 366 372

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382 393

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemmester 2011 von der Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Sie erhielt das Prädikat summa cum laude. Meinen besonderen Dank spreche ich Herrn Prof. Dr. Walter Jaeschke aus für seine hervorragende Betreuung. Die Gespräche mit ihm haben mir stets einen klaren Blick auf die Problemzusammenhänge gegeben. Durch seine Vorlesungen, Seminare und Schriften hat er einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Diese waren für mich nicht nur lehrreich, sondern auch höchst inspirierend. Außerdem danke ich allen Mitarbeitern und Gästen des Hegel-Archivs, von denen ich im Colloquium des Hegel-Archivs viel gelernt habe. Herrn Prof. Dr. Alexander Haardt gilt mein Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Dem DAAD danke ich für die finanzielle Hilfe. Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinem Bruder Mariano und meiner Mutter Ermelina für ihre unermüdliche Unterstützung bedanken. Dieses Buch ist meinem Lehrer Walter Jaeschke gewidmet. Barcelona, den 17. September 2011

Siglen

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Kant: Werke. Hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1902 ff. AA 5 1–163 Kritik der praktischen Vernunft. AA VI 203–549 Die Metaphysik der Sitten. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 3. Auflage. The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury; Now First Collected and Edited by Sir William Molesworth. Aalen 1966. EW 3 Leviathan. EW 5 The Questions concerning Liberty, Necessity, and Chance. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Hegel: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nordrhein-Westfälischen (1968–1995: Rheinisch-Westfälischen) Akadamie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. Henrich, Dieter (Hg.): Hegel. Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Frankfurt am Main 1983. Hegel-Jahrbuch. Begründet von Wilhelm Raimund Beyer. Hg. Von Andreas Arndt, Karol Bal und Henning Ottmann. Seit HJb 1993/94 Berlin. Hegel-Studien. Hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler (Bde. 1–35) bzw. Walter Jaeschke und Ludwig Siep (Bde. 36 ff.). Bonn 1961–1997 bzw. Hamburg 1998 ff. Hegel-Studien Beihefte. Hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler (Bde. 1–46) bzw. Walter Jaeschke und Ludwig Siep (Bde. 47 ff.). Bonn 1963–1999 bzw. Hamburg 2000 ff. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden von Karl-Heinz Ilting. StuttgartBad Cannstatt. Bd. 1: 1973; Bde. 2–4: 1974 (mehr nicht erschienen). Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Gesamtausgabe hg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke. Hamburg und Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Hans-Joachim Birkner u.a. Berlin / New York 1980 ff.

12

MEW OL

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TIE V W

Siglen

Karl Marx / Friedrich Engels: Werke. Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin 1956 ff. Thomae Hobbes Malmesburiensis quae Latine scripsit omnia in unum corpus nunc primum collecta studio et labore Gulielmi Molesworth. Aalen 1966. OL 1 De Corpore. OL 2 De homine; De Cive. OL 3 Leviathan. OL 5 Historia ecclesiastica carmine elegiaco concinnata. Lipsius: Opera omnia. 4 Bände in 8 Teilen. Nachdruck der Ausgabe Wesel 1675. Hildesheim / Zürich / New York 2001. Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Berlin 1923 ff. Hobbes: The Elements of Law, Natural and Politic. Edited with a preface and critical notes by Ferdinand Tönnies, to which are subjoined selected abstracts from unprinted manuscripts of Thomas Hobbes. London 1969. T 1–190 The Elements of Law. T 191–226 A Short Tract on First Principles. Spinoza: Tractatus de intellectus emendatione, et de via qua optime in veram rerum cognitionem dirigitur. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Manuskripte und Nachschriften. Hamburg 1983 ff. Hegel: Werke. Hg. von einem Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832–1845.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der systematischen Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens, das den freien Willen zum Prinzip des Rechts erhebt, anhand seiner Ausgestaltungen bei Hobbes und Hegel. Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen besteht nicht in einem äußeren Vergleich beider Gestalten der Rechtsphilosophie. Einem solchen Unternehmen würde die wissenschaftliche Dignität fehlen. Die Rechtfertigung einer Fokussierung auf beide Gestalten erfordert einen Überblick über die Elemente und Entwicklungslinien des neuzeitlichen Rechtsdenkens, wie es im ersten Kapitel der Arbeit ausführlich dargestellt wird. Im Rahmen der Einleitung lässt sich provisorisch Folgendes andeuten. Die Formulierung und konsequente Ausgestaltung des neuzeitlichen Rechtsdenkens konstituiert einen bewusstseins- und philosophiegeschichtlichen Zusammenhang. Seine Formulierung setzt eine Aufdeckung der Projektionen des vormodernen Rechtsdenkens und die Entdeckung des immanenten Prinzips des freien Willens voraus. Bei Hobbes findet man die erste radikale Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Seine Radikalität geht in späteren Ansätzen durch eine Vermischung mit vormodernen Denkformen verloren. Erst in Kants Vernunftrecht und in Hegels Philosophie des objektiven Geistes vollzieht sich eine Stabilisierung des Hobbesschen Ansatzes und zugleich eine Korrektur seiner Insuffizienzen. Anhand einer Analyse beider Gestalten lässt sich die Problematik einer radikalen Formulierung und konsequenten Ausführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens rekonstruieren. Das systematische Interesse an Hegels Rechtsphilosophie liegt außerdem in der Analyse des Begriffspotentials der Geistes- und Geschichtsphilosophie für eine adäquate Begründung den neuen Rechtsdenkens. Die Annahmen, die für die Arbeit tragend sind, lassen sich auf folgende Weise formulieren: Die systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens macht sowohl die Entwicklung eines spezifischen Vernunftmodells als auch die Erhebung des freien Willens nicht nur zum Prinzip des Rechts, sondern auch zum Prinzip der Rechtsentwicklungen notwendig. Die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik des Rechts ist Prüfstein und zugleich Schlüssel für eine konsequente Ausführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Aus Hegels Geistes- und Geschichtsphilosophie lässt sich ein adäquates Begriffsinstrumentarium für die erfolgreiche Bewältigung dieser Aufgabe gewinnen.

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Einleitung

Der Leser wird keine allgemeine Darstellung der Hobbesschen und der Hegelschen Rechtsphilosophie finden. Es werden vielmehr die grundlegenden Kenntnisse beider Theorien vorausgesetzt. Der vorliegenden Arbeit liegt ein bestimmter Ansatz zugrunde. Die Untersuchungen zielen nicht nur auf die Prüfung der oben formulierten Annahmen. Sie beinhalten auch eine detaillierte Analyse der Aspekte, die zu einer konsequenten Ausgestaltung des neuzeitlichen Rechtsdenkens gehören: (1) die Ausbildung eines adäquaten Begriffsinstrumentariums; (2) das Ringen um eine adäquate Antwort auf die konstitutiven Probleme dieses Rechtsdenkens und (3) die Systematisierung der immanenten Logik des Rechts. Die Erörterung dieser drei Elemente soll die immanenten Forderungen des neuen Rechtsdenkens offen legen. Ad (1) Die Begründung und Ausgestaltung einer neuen Konstellation des Denkens macht die Herausbildung eines Begriffsinstrumentariums notwendig, das für die Ausführung dieser Aufgabe angemessen ist. Dies gilt ebenfalls für die systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Aus dieser internen Notwendigkeit erklärt sich einerseits, dass unterschiedliche Durchführungen des neuen Rechtsdenkens im Gebrauch ähnlicher gedanklicher Mittel übereinstimmen. Z. B. spielt die Zeichentheorie eine Hauptrolle in der Hobbesschen und in der Hegelschen Rechtsphilosophie. Andererseits liegt sowohl die Schwäche als auch die Stärke einer jeden Durchführung in ihrer Begrifflichkeit. Z. b. verfügt der Hobbessche Ansatz nicht über adäquate Begriffsmittel für die Begründung der Geltung derjenigen Pflichten, die notfalls das Leben in Anspruch nehmen. Die Stärke des Hegelschen Ansatzes liegt nicht so sehr in seinen konkreten Ausführungen, als im enormen Potential des begrifflichen Instrumentariums, das Hegel in seiner Geistes- und Geschichtsphilosophie bereitgestellt hat. Ad (2) Der Anstoß für die Entstehung des neuzeitlichen Rechtsdenkens ist ein gesellschaftliches Problem der Frühneuzeit. Die Projektionen vormoderner Denkweisen – wie z. B. der »Wille Gottes« oder die von Gott geschaffene Natur – verlieren ihre wirksame Kraft für die Gestaltung und Stabilisierung der Gesellschaft. Die Erfahrung der Unwirksamkeit dieser Projektionen ist die Voraussetzung für die epochemachende Entdeckung des immanenten Prinzips des freien Willens. Die systematische Fundierung des auf dem freien Willen beruhenden Rechtsdenkens erfordert die Thematisierung philosophischer Probleme, die mit der Ausgestaltung des neuen Rechtsdenkens notwendigerweise verbunden sind, wie z. B. die Frage der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und Zwang, von subjektiver Freiheit und der geltenden Macht des Staates. Das Ringen um eine adäquate Antwort auf solche philosophischen Probleme konstituiert einen philosophie-

Einleitung

15

geschichtlichen Zusammenhang und kann insofern als Leitfaden für seine Rekonstruktion dienen. Ad (3) Das neue Rechtsdenken als konsequente Denkweise zu erreichen, erfordert die Systematisierung aller immanenten Vernunftstrukturen, die die Sphäre des Rechts ausmachen. Die unterschiedlichen Ansätze müssen einen Leitfaden entwickeln, mit dem sich der Aufbau aller Stufen und Gestalten des freien Willens rekonstruieren lässt. Die sukzessive Bereicherung dieser Logik durch die Einbeziehung weiterer Vernunftstrukturen ist eine Entwicklungslinie, an der sich eine Kontinuität zwischen den verschiedenen Durchführungen des neuzeitlichen Rechtsdenkens aufzeigen lässt. Der eigentliche Vernunftgehalt der philosophischen Wissenschaft des Rechts besteht in einer Logik der gesellschaftlichen Institutionen. Der Terminus »Logik« ist bereits bei Hegel ein besetzter Begriff. Im Teil der Arbeit, der der Hegelschen Philosophie gewidmet ist, wird die Logik des spezifischen Gegenstandes, d. h. des sich als Recht objektivierenden Geistes dargestellt. Die vorliegende Arbeit wird in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich Hobbes’ »civil philosophy« als der ersten radikalen Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens; der zweite Teil beschäftigt sich mit Hegels Philosophie des objektiven Geistes als einer reifen und konsequenten Ausgestaltung dieses Rechtsdenkens. Im Aufbau des Textes ist der spezifische Ansatz der vorliegenden Untersuchung erkennbar. Die Kapitel sind einzelne Untersuchungen, die sich auf die drei oben genannten Elemente der Entwicklung des neuen Rechtsdenkens konzentrieren: auf das Begriffsinstrumentarium, die philosophischen Probleme und die immanente Logik des Rechts. Im Gegensatz zur vorherrschenden Beschäftigung der Forschung mit einzelnen Gestalten der Rechtsphilosophie thematisiert die vorliegende Untersuchung sowohl die Aufgabe einer systematischen Fundierung des Rechtsdenkens, das den freien Willen zum Prinzip des Rechts erhebt, als auch die Kontinuität eines philosophiegeschichtlichen Zusammenhangs. Denn die radikale Formulierung und konsequente Ausführung des neuen Rechtsdenkens lässt sich nicht mit einem Schlag gewinnen. Aus diesem Grund werden hier Gestalten analysiert, die selten in eine systematische Verbindung gebracht werden. Hobbes- und Hegel-Forschung laufen im Wesentlichen getrennte Wege. Es spricht für sich, dass es in den Hegel-Studien nur einen Beitrag über den Zusammenhang von Hobbes und Hegel gibt, der allerdings nicht die Rechtsphilosophie behandelt, sondern die in die Jenaer Zeit fallende Auseinandersetzung Hegels mit Hobbes im Zusammenhang der Anerkennungsproblematik. (HS 9) Erkennt man die philosophische Relevanz der systematischen Fundierung des neuen Rechtsdenkens und ihre Schwierigkeiten, erhalten die neuzeitlichen Gestalten der Rechtsphilosophie eine neue

16

Einleitung

Dimension und kommen in einen neuen Zusammenhang. Im Gegensatz zur derzeitigen Dominanz einer Beschäftigung mit den Abstraktionen der Ethik und geschichtslosen Vernunftmodellen sucht die vorliegende Arbeit Fragestellungen der Rechtsphilosophie zu analysieren und die Notwendigkeit der Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik des Rechts plausibel zu machen.

1. Elemente des neuzeitlichen Rechtsdenkens

Das neuzeitliche Rechtsdenken lässt sich auf folgende Weise charakterisieren: Das Recht ist aus Prinzipien zu erklären, die in uns selbst liegen. Die Tätigkeit des freien Willens ist die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse. Das Recht ist ein Dasein des freien Willens. Die Geltung der Rechtsbestimmungen erfordert die Setzung eines Daseins der Freiheit. Die Vernunft des Rechts betrifft nicht nur die Freiheitsbestimmungen, sondern auch die Funktionsbedingungen ihrer Verwirklichung und Stabilisierung. Z. B. erfordern Geltung und Wirksamkeit der ideellen Unterscheidung zwischen Mein und Dein einen Aufbau von Momenten: Besitznahme, gegenseitige Anerkennung und Sicherung durch öffentliche Gewalt, durch Institutionen. Das Eigentumsrecht ist diese Zusammenwirkung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten. Die Erhebung des freien Willens zum Prinzip des Rechts erfordert die Verabschiedung des vormodernen Rechtsdenkens, das sich anhand der folgenden Grundgedanken charakterisieren lässt: (a) Der Pflichtgedanke: Die letzte Quelle aller Rechtsbestimmungen liege jenseits der Tätigkeit des Menschen, z. B. in Gott oder der Natur, sei es in der christlichen Auffassung der Natur als Schöpfung Gottes oder in der griechischen Auffassung der Natur als Kosmos, als eine vorgegebene Ordnungsstruktur. Da die rechtserzeugende Instanz nicht in uns, sondern jenseits liege, stehe der Mensch vor dieser übergeordneten Instanz ursprünglich in einem Verpflichtungsverhältnis. Dieser Primat der Pflicht ist daher für das vormoderne Rechtsdenken konstitutiv: Alle Rechte und Pflichten sind in ihm über dieses ursprüngliche Verpflichtungsverhältnis zu gewinnen. (b) Die Form des Vorhandenseins: Der Mensch stehe in einem Verpflichtungsverhältnis, das er vermeintlich vorfindet. Dieses Verpflichtungsverhältnis sei »natürlich« vorgegeben. Die menschliche Tätigkeit sei daher nicht der Rechtserzeugung fähig, denn die Quelle aller Rechtsbestimmungen liege jenseits ihrer Tätigkeit. Die Tätigkeit des Menschen solle daher lediglich in einer Abbildung vorgegebener Ordnungsstrukturen bestehen. Der epochemachende Umbruch des Rechtsdenkens erfordert den Durchlauf bestimmter geschichtlicher Prozesse, durch welche die rechtserzeugenden Instanzen vormoderner Denkweisen ihre Glaubwürdigkeit und wirksame Kraft verlieren: (a) Wissenschaftsgeschichte: Die Herausbildung der neuzeitlichen Naturwissenschaft hat eine radikale Transformation des Naturbegriffs zur Folge.

18

1. Elemente des neuzeitlichen Rechtsdenkens

Die mechanistische Betrachtungsweise der Natur ist eine Kritik an einer Auffassung der Natur als einer Ordnungsstruktur, die ein Ziel, einen Plan oder eine Sanktion in sich trägt. Die Wirkung dieses Umbruchs lässt sich im Bereich des Rechts deutlich erkennen: Die Natur als »matter in motion« kann nicht mehr als eine rechtserzeugende Instanz betrachtet werden. Die Naturbestimmungen können nicht mehr als ursprüngliche Rechtsbestimmungen aufgefasst werden. Die letzte Quelle der Rechtsbestimmungen muss daher anderswo gesucht werden. (b) Religionspolitik: In den konfessionellen Bürgerkriegen zeigt sich, dass die Religion ihr integrierendes und stabilisierendes Potential verloren hat. Durch diesen Lernprozess wird deutlich, dass die Funktionen der Erzeugung und Erhaltung der Rechtsverhältnisse nur von Prinzipien geleistet werden können, die in uns selbst liegen. Daher besteht dieser Lernprozess in einer Selbstverständigung des Geistes. Diese Problematik der frühneuzeitlichen Gesellschaft ist der Anstoß für eine philosophische Reflexion über die Grundlagen des Rechts. (c) Theologie und Philosophie: Diese Prozesse haben zur Folge, dass bestimmte Gestaltungen des Gottesgedanken kraftlos werden. Sie verursachen eine weitere Verarbeitung des Gottesgedankens seitens der Theologie und der Philosophie, denn ohne diese Umgestaltung würde der Gottesgedanke seine Glaubwürdigkeit verlieren. Die Theologie kann daher gegen die Forderungen der Gesellschaft und Wissenschaft nicht immun bleiben. Insofern bilden diese Stationen der Wissenschafts- und Rechtsgeschichte zugleich ein wichtiges Kapitel der Geschichte der Theologie und der Religion. Diese in sich irreversiblen Prozesse haben die Herausbildung einer neuen Konstellation des Denkens zur Folge. Die Ausdifferenzierung zwischen dem vormodernen und modernen Rechtsdenken lässt sich anhand der folgenden Grundgedanken gewinnen: (1) Der Freiheitsgedanke: Das Recht ist aus immanenten Prinzipien zu erklären. Das Recht ist ein Produkt der menschlichen Tätigkeiten. Das Recht ist immer ein Recht des Menschen. Die objektivierende Tätigkeit, die für das Recht spezifisch ist, ist die Freiheit. Die Produktion der Rechtsverhältnisse ist aus der Spontaneität des freien Willens zu erklären. Die Freiheit des Menschen ist das »Innerste« (d. h. die Subjektivität qua Tätigkeit), aus der die gesamte Sphäre des Rechts fließt. Die Tätigkeit des Willens lässt sich nicht, wie sich in der Untersuchung zeigen wird, auf ein »empirisches Wollen« reduzieren, denn sonst würde man die »vorhandenen« Instanzen der vormodernen Denkformen durch die »vorhandene« Wirklichkeit des Menschen (seine »Naturtriebe«) ersetzen und in der Konstellation des vormodernen Rechtsdenkens bleiben. Die Tätigkeit des Willens hat als Freiheit, als eine besondere

1. Elemente des neuzeitlichen Rechtsdenkens

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Weise des Denkens einen logischen und vernünftigen Charakter. Die Ambivalenz des Terminus »Wille« ist nicht zufällig, denn sie bringt die spezifische Entfaltungsform der Freiheit zum Ausdruck, die für die Gestalt des Rechts konstitutiv ist: Die objektivierende Tätigkeit des Willens produziert einerseits als eine besondere Weise des Denkens eine machthabende Allgemeinheit. Ohne die Verwirklichung der besonderen Interessen ist die immanente Logik bzw. der Vernunftgehalt der Freiheit nicht durchsetzungsfähig. (2) Der Primat des Rechts: Während sich das vormoderne Rechtsdenken durch den Verpflichtungsgedanken (durch den Primat der Pflicht) charakterisiert, ist der Primat des Rechts für die neuzeitliche Konstellation des Denkens konstitutiv. Der freie Wille ist die einzige Instanz, die der Rechtserzeugung fähig ist und kann als solche nicht rechtlos sein. Die Freiheit ist aufgrund ihrer rechtserzeugenden Funktion das einzige Faktum, das zugleich ein ursprünglich, bedingungslos Berechtigtes darstellt. Aus dieser in sich berechtigten Instanz fließt die gesamte Sphäre der Pflichten und der relativen Rechte. Diese ursprüngliche Berechtigung lässt sich nicht mehr – weder logisch noch politisch – von der Erfüllung einer Pflicht abhängig machen. Dieser Primat des Rechts, der eine basale Bestimmtheit des neuzeitlichen Rechtsdenkens ausmacht, ist nicht mit einer falschen rechtspolitischen Vorstellung zu verwechseln, deren Resultat eine inflationäre Spirale in der Reklamation beliebiger Rechte ist. Solche Reklamationen gehören jedoch zur Sphäre der relativen Rechte, der Positivierung, und haben daher nichts mit der systematischen Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens im Bereich der Philosophie zu tun. (3) Die Form des Geltens: Während das vormoderne Rechtsdenken die Seinsweise des Rechts durch die Form des Vorhandenseins begreift, fasst das neuzeitliche Rechtsdenken sie durch die Form des Geltens auf. Die Geltung ist eine von der menschlichen Geistigkeit produzierte Gestalt. Die Form des Geltens enthält die zwei folgenden Dimensionen: (a) Die Urheberschaft ist die erste Bedingung der Geltung der Rechtsverhältnisse. Die Allgemeinheit des Rechts kann nur durch die Setzung eines allgemeinverbindlichen Willens gewonnen werden: »authoritas, non veritas facit legem« (OL 3.202). (b) Die Geltung der Rechtsgestalten betrifft nicht nur ihre Positivierung, sondern auch eine dem Rechtsbegriff angemessene Gestaltung. Diese begriffsgemäße Verwirklichung ist die zweite Bedingung der Geltung der Rechtsverhältnisse. Dies ist eine konsequente Folge eines Rechtsdenkens, dessen Vernunftgehalt sowohl die Rechtsbestimmungen (qua Freiheitsbestimmungen) als ihre Verwirklichung betrifft. Der Vernunftbegriff, mit dem eine Theorie operiert, bestimmt die Auffassung dieser Angemessenheit. Fasst man z. B. die

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Vernunft als eine schon verwirklichte und sich weiter entfaltende Vernunft auf, erfordert die Geltung einer Rechtsgestalt auch eine Angemessenheit, eine Vereinbarkeit mit den geschichtlichen Denkformen einer Gesellschaft. Die Geltung vernünftiger Rechtsgestalten ist jedoch nur möglich, wenn die Gesellschaft bestimmte Prozesse durchlaufen hat. Die systematische Fundierung der Auffassung des Rechts als Dasein des freien Willens erfordert eine Kritik sowohl am Rechtspositivismus als auch am Natur- und Vernunftrecht, wie sich anhand der folgenden Punkten zeigen lässt: (1) Im Unterschied zum Rechtspositivismus enthält das Prinzip des freien Willens einerseits ein kritisches Potential. (2) Die Erhebung des freien Willens zum Rechtsprinzip vermeidet andererseits die Projektionen des Natur- und Vernunftrechts. Ad (1) Das kritische Potential des Prinzips des freien Willens: Die oben formulierte Andeutung der basalen Bestimmungen der Form des Geltens zeigt den Unterschied zwischen diesem Rechtsdenken und dem Rechtspositivismus. Zu Recht behauptet der Rechtspositivismus, dass die Normen immer eine Setzung der Menschen sind. Der Rechtspositivismus vermeidet die Schwierigkeiten eines juristischen Dualismus, der für das Natur- und Vernunftrecht konstitutiv ist, indem er die ideelle »Seite« des Rechts leugnet. Die Form des Geltens betrifft, wie gesagt, nicht nur die Form, in einem Staat tatsächlich zu gelten. Die Form des Geltens schließt auch eine begriffsgemäße Verwirklichung ein. Ohne eine minimale Angemessenheit zwischen einer Rechtsgestalt und dem Rechtsbegriff vollzieht sich ein Umschlag von der Normativität zur Faktizität, von der Geltung zur Macht und Gewalt: Das Rechtsinstitut der Sklaverei ist daher in allen Gesellschaften eine unvernünftige und daher ungerechte Gestaltung des Rechts. Das Rechtsdenken, das den freien Willen zum einzigen Prinzip des Rechts erhebt, umfasst sowohl die ideellen Bestimmungen des Rechts als auch ihre Verwirklichung, ihre Gestaltung. Insofern enthält dieses Rechtsdenken ein kritisches Potential. Deswegen lässt sich dem Prinzip des freien Willens die Gestaltung der Rechtswirklichkeit zutrauen. Der freie Wille ist das Prinzip des Rechts nicht nur deshalb, weil alle Rechtsgestalten aus der Freiheit fließen, sondern auch, weil der freie Wille sich auf seine eigene Freiheit richtet. Die Tätigkeit des Willens ist, mit Hegel formuliert, sowohl die Selbstbestimmung als auch dieses »Zusichkommen« der Freiheit. Die Freiheit ist ein immanentes Ziel des Willens. Der »sich selbst wollende Wille« ist das Prinzip des Rechts. Ad (2) Der Abschied von den Projektionen des Natur- und Vernunftrechts: Diese Rechtfertigung des kritischen Potentials des Prinzips des freien Willens muss nicht die Aporien des Naturrechtsdenkens wiederholen, welche sich einerseits als Widersprüche und Kollisionen aufgrund der Herausbildung

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eines juristischen Dualismus (Naturrecht und positives Recht) und andererseits als Projektionen des Natur- und Vernunftrechts zeigen. Das berechtigte Moment des Naturrechtsdenkens ist die Auffassung des Rechts als Vernunft. Die Vernunft ist ein Prinzip, das in uns liegt, aber der Vernunftbegriff, mit dem das Naturrechtsdenken operiert, ist eine Projektion, eine Entäußerungsgestalt der Vernunft, die die Form des Vorhandenseins hat: Nach dieser Vorstellung verfügt der Mensch über eine angeborene Fähigkeit (die »recta ratio«), mittels derer er übergeordnete Vernunftstrukturen erkennen kann, z. B. die »vorhandene« Verbindlichkeit der Natur- und Vernunftgesetze, einen »vorhandenen« Staatsgedanken. Das Naturrechtsdenken verabsolutiert die Dimension des Rechts, die gerade der Rechtspositivismus leugnet: die ideelle Seite des Rechts. Das naturrechtliche Denken umfasst nicht die Funktionsbedingungen der Verwirklichung und Stabilisierung des Rechts. Diese reelle Seite des Rechts wird auf die Abbildung einer vorgegebenen Ordnungsstruktur reduziert. Die metaphysikkritische Transformation des Naturrechts in Vernunftrecht bleibt aber auch mit vielen Aporien des Naturrechtsdenkens behaftet, denn sie ist eine Abstraktion, die jenseits der geschichtlichen Verwirklichung der Rechtsbestimmungen existiert. Das Prinzip des freien Willens kann diese Aporien vermeiden, weil die Tätigkeit der Subjektivität auf beiden Seiten des Rechts steht: Der freie Wille ist die Geistigkeit, die in die Wirklichkeit tritt. Sie begreift in sich sowohl die Freiheitsbestimmungen als auch die internen »Gesetzmäßigkeiten« ihrer (geschichtlichen) Verwirklichung. Dieses Rechtsdenken vermeidet die Widersprüche sowohl eines reduktionistischen Monismus (Rechtspositivismus) als auch eines Dualismus (Naturrechtsdenken) durch ein Modell, das beide Seiten des Rechts, ideelle und reelle, vereinigt: Der Inhalt dieses Modells ist eine Produktionslogik, eine immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit. Jenseits dieser produktiven Tätigkeit »gibt« es keine Verbindlichkeit, sondern die Produkte der Tätigkeit des Menschen »gelten« nur als eine begriffsgemäße Verwirklichung der Freiheit. Anhand der Differenz zwischen dem vorneuzeitlichen und neuzeitlichen Rechtsdenken lässt sich erkennen, worin dieser epochemachende Umbruch des Rechtsdenkens besteht. Er besteht in einer Umkehrung des Begründungsgangs, genauer formuliert: in einer Umorientierung vom Primat der Pflicht zum Primat des Rechts. Anhand dieses Prozesses lässt sich erkennen, inwiefern eine Theorie, die in der Neuzeit entstanden ist, eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens gewonnen hat: Spielt der Verpflichtungsgedanke eine eminente Rolle in der Begründung der Rechtsverhältnisse, bleibt diese Theorie mit vormodernen Denkformen behaftet.

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Der Prozess der Transformation des Rechtsdenkens vollzieht sich weder mit einem Schlag noch in einer einzigen geradlinigen Entwicklungslinie. In der Neuzeit findet man daher die folgenden Stationen und Entwicklungslinien, in der sich sowohl vormoderne als auch neuzeitliche Denkformen verarbeitet werden: (1) Die erste Station ist die von Hobbes vollzogene Wende. Hobbes formuliert den neuen Denkansatz mit aller Radikalität. Die letzte Quelle des Rechts sind Prinzipien, die in uns selbst liegen. Es »gibt« keine Ordnungsstruktur, sondern sie muss erst durch die Tätigkeit des Menschen hervorgebracht werden. Hobbes fasst diese immanente Tätigkeit des Menschen als die Spontaneität des Willens auf. Aufgrund des materialistischen Denkansatzes seines Systems vermeidet er die Rede vom freien Willen. Die Menschen produzieren Institutionen, denn nur diese sind der Rechtserzeugung fähig. Die Allgemeinheit des Gesetzes »gilt« nur durch die Setzung eines allgemeinverbindlichen Willens. Hobbes erreicht jedoch, wie zu zeigen sein wird, keine adäquate Durchführung des von ihm formulierten Denkansatzes. Das neue Rechtsdenken als eine konsequente Denkweise zu gewinnen, erfordert die Herausbildung eines komplexeren Begriffsinstrumentariums. So verfügt Hobbes z. B. nicht über die gedanklichen Mittel für die Rekonstruktion von Normen und von übergreifenden Zwecken, die als solche über die Unmittelbarkeit des Selbsterhaltungstriebs hinausgehen. Dies zeigt sich am deutlichsten im Extremfall der Pflichten, die das Leben der Bürger in Anspruch nehmen, etwa im Notfall des Krieges. (2) Neben diesem Umbruch des Rechtsdenkens stellt man eine fast ungestörte Fortsetzung vormoderner Theorien (z. B. bei Robert Filmer, in der Schulphilosophie) fest. Der neue Denkansatz hat fast keine Auswirkung auf vormoderne Denkformen, die sich in der Neuzeit weiter durchsetzen. Diese begreifen das Recht als eine »vorhandene« Ordnungsstruktur, die als solche von unserer Einwilligung unabhängig ist. Die Analyse der Rezeptionen des Hobbesschen Denkansatzes in den vormodernen Theorien ist relevant, denn diese Rezeptionen machen durch ihre Reaktion auf den neuen Anstoß deutlich, worin dieses Novum des neuzeitlichen Denkansatzes liegt. Die Grundgedanken des neuen Rechtsdenkens werden als Paradoxa rezipiert. Hier diskutieren nicht einzelne Autoren, sondern epochale Denkweisen: (a) Das Novum des Hobbesschen Denkansatzes besteht nicht in einer bestimmten Gestaltung der Politik, sondern in der Aufstellung neuer Prinzipien und neuer gedanklicher Mittel für die begriffliche Rekonstruktion der gesamten Sphäre des Rechts. Der radikale Umbruch durch das Hobbessche Rechtsdenken ist sichtbarer in der Rezeption der vormodernen Theorien, die mit Hobbes in der Gestaltung der politischen Macht übereinstimmen:

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in der Bestimmung der Rechte des Inhabers der Souveränität. Aufgrund dieser Ambivalenz zwischen einem Umbruch hinsichtlich der Prinzipien und einer Übereinstimmung hinsichtlich der Gestaltung der politischen Macht erscheint die Neuerung des Hobbesschen Rechtsdenkens als ein Paradoxon, wie Robert Filmer (1588–1653) mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: »With no small content I read Mr Hobbes’ book De Cive, and his Leviathan, about the rights of sovereignty, which no man, that I know, hath so amply and judiciously handled. I consent with him about the rights of exercising government, but I cannot agree to his means of acquiring it. It may seem strange I should praise his building and yet mislike his foundation, but so it is.« (Filmer 1991, 184 f.; Hervorh. A.B.) (b) Die systematische Fundierung einer neuen Konstellation des Denkens erfordert die Herausbildung eines logischen Zusammenhangs, in dem Instanzen und Gedanken vereinigt werden, die scheinbar in einer Entgegensetzung stehen. Die Forderung der Vernunft nach Herausbildung dieses logischen Zusammenhangs liegt in der internen Logik des Begriffs der Freiheit, wie z. B. bei der Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang in der begrifflichen Rekonstruktion der Gerechtigkeit der staatlichen Strafbefugnis. Deswegen muss eine Durchführung des Rechtsdenkens, das den freien Willem zum Rechtsprinzip erhebt, die paradoxale Vereinbarkeit bestimmter Gedanken hervorheben und begründen, z. B.: »liberty, and necessity are consistent« (EW 3.197); »liberty of the subject [is] consistent with the unlimited power of the sovereign« (EW 3.199). Diese Gedankenverhältnisse verbinden Inhalte, die aus der Perspektive vormodernen Denkens notwendigerweise als Paradoxa erscheinen. Deswegen bezeichnet John Bramhall (1594– 1663) die Hobbesschen Grundgedanken als »paradoxical principles« (EW 5.44). Gegen diesen Vorwurf antwortet Hobbes, dass Bramhall unter einem Paradoxon nicht mehr als ein Novum im Reich des Denkens verstehe: »The Bishop speaks often of paradoxes with such scorn or detestation, that a simple reader would take a paradox either for felony or some other heinous crime, or else for some ridiculous turpitude; whereas perhaps a judicious reader knows what the word signifies; and that a paradox, is an opinion not yet generally received. Christian religion was once a paradox; and a great many other opinions which the Bishop now holdeth, were formerly paradoxes.« (EW 5.304) (3) Eine andere Entwicklungslinie in der Rezeption und Verarbeitung des neuen Anstoßes ist die Verwässerung des neuen Denkansatzes. Die Radikalität des Hobbesschen Rechtsdenkens geht in späteren Verarbeitungen dieses Anstoßes verloren. Die »Verfallsgeschichte« dieser Entwicklungslinie besteht in einer Depotenzierung des neuen Denkanstoßes aufgrund einer Vermischung mit vormodernen Denkformen. Viele Theorien, die in der Neuzeit

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entstanden sind, sind eigentlich hybride Formen (z. B. bei Locke oder Pufendorf). Ein sicheres Kennzeichen für diese Vermischung, wie bereits gesagt, ist der Primat des Pflichtgedankens im Begründungsgang dieser Theorien: »the state of nature has a law of nature to govern it, which obliges every one« (The Two Treatises of Civil Government, II, § 6, Hervorh. A.B.) Das neuzeitliche Rechtsdenken als eine konsequente Denkweise zu erhalten, erfordert einen Abschied von diesem wirkungsmächtigen Rest vormoderner Denkformen. (4) Eine andere Entwicklungslinie besteht im Ringen um eine Stabilisierung und adäquate Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Die wichtigsten Stationen dieser Entwicklungslinie sind Kants Vernunftrecht und Hegels Philosophie des objektiven Geistes. Die Stabilisierung des neuen Denkansatzes erfordert nicht nur den Abschied von dem Rest vormoderner Denkformen, sondern auch eine Korrektur der Insuffizienzen der Hobbesschen Durchführung. Diese Stabilisierung ist nur durch die folgenden Schritte möglich: (a) Das Festhalten am Primat des Rechts: Der freie Wille ist die alleinige Instanz der Rechtserzeugung und kann als solche nicht rechtlos sein. Die Freiheit ist das einzige Faktum, das zugleich aufgrund ihrer rechtserzeugenden Tätigkeit ein Berechtigtes ist. Obwohl die Spontaneität des Willens bei Hobbes eine inhärente Berechtigung (das »Recht auf alles«) hat, wird dieser Gedanke bei ihm nicht hervorgehoben. Kant ist der erste Denker, der diese Berechtigung der Freiheit zum Ausdruck bringt. Deswegen bezeichnet er die Freiheit als das einzige angeborene Recht. Dieses angeblich angeborene Recht ist die Quelle aller Rechtsverhältnisse. Die Erzeugung der Sphäre der Pflichten und der relativen Rechte ist eine Entfaltung dieses ursprünglich berechtigten Faktums, das in uns liegt. Die Philosophie des objektiven Geistes beginnt auf der Stufe des abstrakten Rechts mit einem Gebot, das diesen Primat des Rechts prägnant formuliert: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen« (GPR § 36). Die Nötigung zu diesem Respekt liegt in einer bedingungslosen Berechtigung, die als solche nicht mehr von der Erfüllung einer Pflicht abhängig gemacht werden kann, wie es im vormodernen Begründungsgang noch der Fall war. (b) Die Umgestaltung des Freiheitsbegriffs: Der Primat des Rechts liegt, wie gesagt, in der ursprünglichen Berechtigung der Freiheit, die im neuzeitlichen Rechtsdenken als das Rechtprinzip erkannt und anerkannt wird. Die Korrektur der Insuffizienzen der Hobbesschen Durchführung erfordert die Herausbildung eines komplexeren Begriffsinstrumentariums, mittels dessen sich der Begriff der Freiheit adäquat rekonstruieren lässt. Die Umgestaltung des Freiheitsbegriffs macht die Herausbildung eines neuen Vernunftbegriffs notwendig. Die richtig formulierte Frage ist, durch welchen Vernunftbegriff

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sich die Tätigkeit des freien Willens rekonstruieren lässt. Oder anders formuliert: Durch welche Instanz ist die Objektivierung des freien Willens zu begreifen? Die Rechtserzeugung lässt sich (mit Kant) als ein »wechselseitiger« Ausgleich berechtigter Interessen durch die »Gesetzgebung« des freien Willens begreifen. Das Kantische Vernunftrecht operiert mit der Auffassung des freien Willens als »praktischer Vernunft«, d. h. als einer gesetzgebenden Instanz. Die Rechtserzeugung lässt sich auch (mit Hegel) als die Setzung einer Totalität begreifen. Die Vernunft des Rechts wäre daher nicht eine subjektive Vernunft, sondern die schon verwirklichte Vernunft einer Welt, die durch geschichtliche und geographische Faktoren bestimmt ist. Hegel rekonstruiert diesen Vernunftbegriff durch die Analyse der Wirklichkeitsform des Geistes. Die Rekonstruktion dieses Hegelschen Freiheitsbegriffs erfordert daher die Einbeziehung des Geistesbegriffs und der Geschichte in die wissenschaftliche Betrachtung der immanenten Vernunftstrukturen des Rechts. Eine berechtigte Frage lautet insofern: Durch welche Auffassung des freien Willens (entweder als »praktische Vernunft« oder als »objektiver Geist«) kann eine adäquate Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens gewonnen werden? (c) Die Bereicherung der begrifflichen Rekonstruktion der Logik des Rechts: Hobbes thematisiert immanente Vernunftstrukturen (z. B. die innere Logik des Vertrags, die Interdependenz der Staatsgewalten), die für die Wirklichkeit des Rechts konstitutiv sind. Spätere Durchführungen des neuzeitlichen Rechtsdenkens müssen jedoch die Vielfalt und den Reichtum der Stufen und Gestalten des Rechts rekonstruieren, damit der neue Denkansatz nicht in einen Reduktionismus verfällt und dadurch seine Plausibilität verliert. Die Stabilisierung des von Hobbes formulierten Rechtsdenkens erfordert die Einbeziehung neuer Strukturen, die sich nicht mehr mit dem Vertragsdenken rekonstruieren lassen. Spätere Durchführungen müssen, wie sich zeigen wird, eine Logik, eine Notwendigkeit der objektivierten Freiheit rekonstruieren, die als solche nicht mehr zur freien Disposition steht (Kant) und die sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« vollzieht (Hegel). Der freie Wille, durch welchen die Entstehung und Erhaltung der Rechtsverhältnisse zu erklären sind, lässt sich nicht mehr auf bewusste und frei verfügbare Willensakte reduzieren. Der Vernunftgehalt dieser Logik sind die Institutionen, denn nur diese sind der Rechtserzeugung fähig. Die Funktionsbedingungen der Verwirklichung und Stabilisierung der Freiheit können nur von diesen Institutionen zur Geltung gebracht werden. Anhand der bisherigen Andeutung der Stationen und Entwicklungslinien zeigt sich deutlich, dass sie einen bewusstseinsgeschichtlichen Zusammenhang konstituieren, der den folgenden Prozess umfasst: die epochale Ent-

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1. Elemente des neuzeitlichen Rechtsdenkens

hüllung eines immanenten Rechtsprinzips; die radikale Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens; die Rezeption des neuen Denkansatzes in vormodernen Theorien; die Verwässerung dieses neuen Denkansatzes durch seine Vermischung mit vormodernen Denkformen; die Stabilisierung und adäquate Durchführung des neuen Denkansatzes durch Theorien, die über ein feineres Instrumentarium für die systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens verfügen.

ERSTER TEIL Hobbes’ Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens

2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

2.1. Einleitung: die Zeichentheorie als begriffliches Mittel für die Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens Die Herausbildung des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert die begriffliche Rekonstruktion (a) neuer Gedankenverhältnisse und (b) neuer Rechtsentwicklungen. (a) Neue Gedankenverhältnisse: Die neuen Gedankenverhältnisse, die sich mit der Herausbildung einer neuen Freiheitsauffassung erklären lassen, erscheinen im Rahmen vormoderner Denkformen als die Formulierung paradoxaler Prinzipien, z. B.: die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang, die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit. Ein zentrales Paradoxon dieses neuen Rechtsdenkens ist die Begründung einer »absoluten« Autorität durch die individuelle Freiheit. Die Souveränität des Staates ist eine »absolute« Autorität, insofern sie das Leben und Eigentum der Mitglieder des Staates unter bestimmten Bedingungen in Anspruch nehmen darf. Die Begründung dieser Vereinbarkeit ist die interne Forderung einer Begründung der sittlichen Ordnung durch einen »individualistischen« Ansatz (im Gegensatz zu Aristoteles), d. h. durch die Einwilligung aller einzelnen Willen (sei es durch Vertrag oder Autorisierung). (b) Neue Rechtsentwicklungen: Die bewusstseinsgeschichtlichen Entwicklungen lassen sich ohne die Triebkräfte und Entwicklungen der Realgeschichte nicht rekonstruieren. Z. B. erweisen sich die religiösen Instanzen als kraftlos für die Stabilisierung einer sittlichen Ordnung (konfessionelle Bürgerkriege). Auch zeigt sich das enorme Gefahrenpotential der subjektiven Freiheit (der Umschlag der Gewissensfreiheit ins Böse). Die Entstehung der Willenserklärung ist eine weitere relevante Rechtsentwicklung: »Die Willenserklärung ist eine Erfindung der Neuzeit. Sie ist ein Tatbestand, der zum Schutz von Vertragspartnern aus zwei Teilen besteht, einem inneren subjektiven Teil – dem Willen – und einem äußeren objektiven Teil – der Erklärung, also dem, was man sagt oder schreibt und worauf sich der andere erst einmal verlassen können soll.« (Wesel 2006, 226) Betrachtet man diese Prozesse der Bewusstseins- und Realgeschichte zusammen, zeigt sich deutlich die eminente Rolle dieser neuen Rechtsgestalt, der Willenserklärung, in der Formulierung des neuen Rechtsdenkens: Die Erhebung der Tätigkeit des freien Willens zum alleinigen Prinzip aller Rechtsverhältnisse erfordert die begriffliche Rekonstruktion der Heraus-

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

bildung eines allgemeinverbindlichen Willens durch die Einwilligung (die Abgabe einer Willenserklärung) aller einzelnen Willen (sei es durch die Fiktion des Vertrages oder durch die Handlungsweise aller Rechtsgenossen). Der Grund für diese Einwilligung liegt darin, dass nur dieser allgemeine Wille (die Institutionen der sittlichen Ordnung) der Rechtserzeugung fähig ist. Die Rechtserzeugung durch die gesetzgebende Funktion dieser Institutionen erfordert auch die Abgabe einer Willenserklärung: Das positive Gesetz sei eine Willenserklärung des Inhabers der Souveränität. Die Willenserklärung ist daher eine wesentliche Gestalt in der Rekonstruktion der internen Logik der Institutionen. Die allgemeine Rolle dieser basalen Rechtsgestalt lässt sich prägnant auf folgende Weise formulieren: Die Geltung und Wirksamkeit der Gestalten bzw. Stufen des Rechts erfordern eine Willenserklärung. Bereits die begriffliche Rekonstruktion dieses basalen Willensprodukts (der Willenserklärung) erfordert die folgenden Aufgaben: (a) die Rekonstruktion des Zusammenwirkens von Denken und Anschauung; (b) die Rekonstruktion eines neuen Vernunftmodells: Ad (a) Das Zusammenwirken von Denken und Anschauung: Die Willenserklärung ist die Vereinigung einer inneren subjektiven Seite (des Wollens) und einer äußerlichen objektiven Seite (der Erklärung). Der rechtserzeugende Charakter dieses Wollens beruht nicht auf der »sinnlichen« Natur des Willens (Bedürfnisse, Triebe, Leidenschaften usw.), sondern auf der Allgemeinheit des Willens, auf dem Denken, denn das Denken ist die Tätigkeit des Allgemeinen. Dieser innere subjektive Teil ist die Allgemeinheit des Willens. Die Objektivität der äußerlichen Seite (der Erklärung) besteht einerseits darin, dass dieses Dasein für andere Rechtsgenossen zugänglich ist, und andererseits darin, dass die Interpretation dieses Daseins sich nicht nach der Meinung des Erklärenden, sondern nach allgemeinen Kriterien richtet. Daher kann sich der Erklärungsempfänger auf diese Erklärung verlassen. Die Erklärung ist nicht ein Gemeintes, sondern sie ist ein anschauliches Dasein. Das neue Rechtsdenken muss ein begriffliches Mittel entwickeln, um diese minimale Einheit von Denken und Anschauung zu rekonstruieren. Dieses Zusammenwirken von Denken und Anschauung im Bereich des Rechts muss durch die Tätigkeit des freien Willens rekonstruiert werden. Ad (b) Das Vernunftmodell: Die Willenserklärung ist für die Geltung und Ausübung der inneren Logik des Rechts erforderlich. Die Rechtsbestimmungen (die ideelle Seite des Rechts) sind ohne die Setzung einer Willenserklärung nicht gültig. Die Geltung und Wirksamkeit der Rechtsbestimmungen erfordern daher dieses basale Produkt der Tätigkeit des freien Willens. Bereits in der Rekonstruktion dieses minimalen Produkts zeigt sich die innere Notwendigkeit eines allgemeinen Vernunftmodells, das man als »artificial reason«

2.1 Einleitung: die Zeichentheorie als begriffliches Mittel …

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(EW 3.x) bezeichnen kann: Die Geltung und Ausübung der Vernunftbestimmungen erfordert die Produktion eines künstlichen Daseins. Die Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert die Herausbildung eines begrifflichen Instrumentariums, um beide Aspekte (das Zusammenwirken von Denken und Anschauung und das neue Vernunftmodell) zu rekonstruieren. Die Zeichentheorie ist ein gedankliches Mittel für die Durchführung dieser Aufgabe. Die Rekonstruktion beider Aspekte durch die Gestalt des Zeichens lässt sich auf folgende Weise formulieren: Das Zeichen ist eine von unserer Geistigkeit produzierte Gestalt der Anschauung, die für die Geltung und Ausübung der Vernunftbestimmungen (der Rechtsbestimmungen) angemessen ist. Daher spielt dieses begriffliche Mittel eine tragende Rolle in verschiedenen Durchführungen des neuen Rechtsdenkens, insbesondere im Hobbesschen Naturrecht und in der Hegelschen Geistesphilosophie. Die geistesphilosophische Zeichentheorie Hegels wird im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung analysiert (siehe Kapitel 8). Die Herausbildung des neuen Rechtsdenkens erklärt sich aus Prozessen sowohl der Wissenschaftsgeschichte (in der Transformation der Auffassung der Natur) als auch der Rechtsgeschichte (insbesondere in der Religionspolitik). Beide Tendenzen spielen in der Hobbesschen Philosophie eine Hauptrolle. Dies lässt sich schon in der Hobbesschen Zeichentheorie bestätigen. Hobbes thematisiert in seiner Zeichentheorie sowohl die symbolische Bezeichnung der Wissenschaft als auch die Rechtserzeugung durch das Willenszeichen (»sign of the will«, EW 3.125). Außerdem thematisiert Hobbes den Zusammenhang zwischen beiden Produkten unseres Denkens (zwischen der Wissenschaft und dem Recht). Die Entwicklung der Wissenschaften erfordert die Herausbildung von Institutionen, die Produktion eines Rechtszustandes: »Whatsoever therefore is consequent to a time of war, where every man is enemy to every man, the same is consequent to the time wherein men live without other security than what their own strength and their own invention shall furnish them withal. In such condition there is no place for industry, because the fruit thereof is uncertain: and consequently no culture of the earth; no navigation, nor use of the commodities that may be imported by sea; no commodious building; no instruments of moving and removing such things as require much force; no knowledge of the face of the earth; no account of time; no arts; no letters; no society; and which is worst of all, continual fear, and danger of violent death; and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short.« (EW 3.113) In der Hobbesschen Rekonstruktion beider Produkte unserer geistigen Tätigkeiten (Wissenschaft und Recht) spielt die Analyse des Gebrauchs der »Anlage« der Sprache eine Hauptrolle.

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

2.2. Das Zeichen als Gestalt der Anthropologie Hobbes definiert den allgemeinen Gebrauch der »Anlage« der Sprache auf folgende Weise: »The general use of speech is to transfer our mental discourse, into verbal; or the train of our thoughts into a train of words; and that for two commodities; whereof one is the registering of the consequences of our thoughts; which being apt to slip out of our memory, and put us to a new labour, may again be recalled, by such words as they were marked by. So that the first use of names is to serve for marks, or notes of remembrance. Another is, when many use the same words, to signify, by their connexion and order, one to another, what they conceive or think of each matter; and also what they desire, fear, or have any other passion for.« (EW 3.19 f.) In der lateinischen Fassung des Leviathan wird diese basale Operation als eine »conversio« bezeichnet: »Sermonis usus generalissimus, est conversio discursus mentalis in verbalem, sive seriei cogitationum nostrarum in seriem verborum« (OL 3.22). Vorgreifend ist anzudeuten, dass diese »conversio« in einer Transformation der Seinsweise der geistigen Tätigkeiten und ihrer Produkte besteht: dem Umschlag der Form des Gefundenseins, die für die Empfindung und die Vorstellung charakteristisch ist, in die Form des Geltens, die für das Zeichen konstitutiv ist. Dieser Umschlag vollzieht sich durch die setzende Tätigkeit unserer Geistigkeit: »Per impositionem hanc nominum amplioris et strictioris significationes, computationem consequentarium in cogitationibus convertimus in computationem consequentiarum in nominibus.« (OL 3.24) Diese Produkte können entweder die Setzung eines einzelnen Subjekts (»mark«, »nota«) oder ein gesellschaftliches Dasein (»sign«, »signum«) sein. In seiner Definition dieser »Anlage« des Menschen stellt Hobbes sowohl (I) eine ursprüngliche Operation unserer Geistigkeit – die Übersetzung der vorgestellten Inhalte in die äußere Objektivität der Zeichen – als auch (II) die Ableitung der Unterscheidung zwischen Merkzeichen (»mark«) und Zeichen (»sign«) dar.

(I) Die Übersetzung der Vorstellung in Zeichen Die Zeichentheorie erklärt, wie die bezeichnende Tätigkeit eine durch methodische Abstraktion gewonnene Instanz (die Vorstellung) und die Form ihrer Verknüpfung (die Vorstellungskette) transformiert. Die Auffassung der Vorstellung hat einen besonderen Einfluss auf die Metaphysik und auf die Metaphysikkritik einer Theorie. Hobbes thematisiert zunächst die Vorstellung als eine isolierbare Instanz (in Kap. 2 des Leviathan) und danach die Verknüpfungsform der Vorstellungen (in Kap. 3 des Leviathan).

2.2 Das Zeichen als Gestalt der Anthropologie

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Seine materialistische Vorstellungstheorie ist eine Kritik an der schulphilosophischen Theorie der »species intentionales«. In der ersten Phase seines Denkens begründet er – neben einer medialen Theorie – eine »species«-Theorie anhand mechanistischer Modelle und fasst die »species« nicht als Akzidenzien, sondern als Substanzen bzw. Körper auf, die sich als solche nur örtlich bewegen: »species are moved locally« (T 200). Danach verabschiedet er die »species«-Theorie zugunsten einer medialen Theorie der Vorstellung, die auch aus einer mechanistischen Bewegungslehre abgeleitet wird. Nach der Darstellung einer mechanistischen Rekonstruktion der Vorstellung analysiert Hobbes die Vorstellungskette. Die Verbindung der Vorstellungen hat ihm zufolge die Form der Notwendigkeit. Auch in Abgrenzung gegen die schulphilosophische Psychologie leugnet er die »indifferentia« und die »electio« in den mentalen Prozessen: »When a man thinketh on any thing whatsoever, his next thought after, is not altogether so casuall as it seems to be. Not every thought to every thought succeeds indifferently.« (EW 3.11) Hobbes versucht diese scheinbare Zufälligkeit der Vorstellungskette auf die Notwendigkeit materialistischer Zusammenhänge mit dem folgenden Argument zu reduzieren: Eine Vorstellungsreihe reproduziert immer eine gegebene Empfindungsreihe. Die Notwendigkeit der Empfindungsreihe liegt nicht in den verbundenen Inhalten, sondern in ihrer zeitlichen Strukturierung, d. h. in der Relation von Antecedens und Consequens: »Seeing the succession of conceptions in the mind are caused (as hath been said before) by the succession they had one to another when they are produced by the senses; and that there is no conception that hath not been produced immediately or after innumerable others, by the innumerable acts of sense; it must needs follow, that one conception followeth not another, according to our election, and the need we have of them, but as it chanceth us to hear or see such things as shall bring them to our mind.« (T 17 f.) In dieser Strukturierung der subjektiven Inhalte kann noch nicht von einer symbolischen Bezeichnung der Wissenschaft die Rede sein, sondern nur von einer Relation von Antecedens und Consequens. Daher spricht Hobbes auf dieser Ebene nur von »natürlichen Zeichen«. Alle Inhalte sind noch idiosynkratisch und haben die Form des Gefundenseins. Die Produktion der Allgemeinheit und der Form des Geltens, die die Seinsweise geistiger Produkte ausmachen, vollzieht sich nicht durch diese »natürlichen Zeichen«. Aus diesem Grund behauptet er, dass die Klugheit (»prudence«), die aus diesen natürlichen Zeichen entsteht, nicht für den Menschen spezifisch ist: »A sign is the evident antecedent of the consequent; and contrarily, the consequent of the antecedent, when the like consequences have been observed before: and the oftener they have been observed, the less uncertain is the sign. And

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

therefore he that has most experience in any kind of business, has most signs, whereby to guess at the future time; and consequently is the most prudent: and so much more prudent than he that is new in that kind of business, as not be equalled by any advantage of natural and extemporary wit: though perhaps many young men think the contrary. Nevertheless, it is not prudence that distinguisheth man from beast. There be beasts that at a year old observe more, and pursue that which is for their good, more prudently, than a child can do at ten.« (EW 3.15 f.) Die Rekonstruktion der Übersetzung der vorgestellten Inhalte, die die Form des Gefundenseins haben, in die Form des Geltens erfordert nach der Hobbesschen Methode der »resolutio«-»compositio« die Hinzufügung einer neuen Instanz: der »Anlage« der Sprache. Die Erhebung zu einer nicht-natürlichen Sphäre (der Umschlag in die Form des Geltens) vollzieht sich durch die basale Tätigkeit der Sprache. Aus dieser »addition« leitet Hobbes den Dualismus seines Systems ab, den er in der Einteilung der Wissensformen im 9. Kap. des Leviathan zum Ausdruck bringt: »The register of knowledge of fact is called history. Whereof there be two sorts: one called natural history; which is the history of such facts, or effects of Nature, as have no dependence on man’s will; such as are the histories of metals, plants, animals, regions, and the like. The other is civil history, which is the history of the voluntary actions of men in Commonwealths.«(EW 3.71) Vorgreifend muss man bereits sagen, dass die Begründung dieses Dualismus durch die Zeichentheorie und die Willenstheorie in Schwierigkeiten mit dem Hobbesschen Materialismus gerät. Die Hobbessche Metaphysikkritik am Spiritualismus erfordert die Ausweitung der mechanistischen Prinzipien auf alle Inhalte der Wissenschaft. Daher rekonstruiert Hobbes den Begriff des Willens durch mechanistische Prinzipien in Kap. 25 des De Corpore und fasst den Inhalt der neuen Wissenschaft (die »civil philosophy«) als »body politic« auf. Der Gebrauch des Terminus »body« hinsichtlich des Rechts hat bei Hobbes eine besondere Bedeutung, die über einen metaphorischen Gebrauch hinausgeht. Ein solcher materialistischer Monismus ist jedoch unvereinbar mit dem neuen Rechtsdenken, denn die Erhebung des freien Willens zum alleinigen Prinzip des Rechts ist erst dadurch möglich, dass die Natur auf »mater in motion« reduziert wird und daher ihren normativen Charakter als Schöpfung Gottes verliert. Die Durchführung des neuen Rechtsdenkens erfordert notwendigerweise die Formulierung dieses Dualismus zwischen der Natur und der nicht-natürlichen Sphäre des Rechts. Diese Spannung zwischen einem materialistischen Monismus und dem Dualismus des neuen Rechtsdenkens ist der Keim vieler Inkonsequenzen in Hobbes’ Durchführung des neuen Rechtsdenkens, wie später zu zeigen sein wird.

2.2 Das Zeichen als Gestalt der Anthropologie

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(II) Die Unterscheidung zwischen Merkzeichen (»mark«) und Zeichen (»sign«) Die basale Operation der Sprache produziert die Erhebung zu einer nichtnatürlichen Seinsweise und ermöglicht die Ausübung ursprünglicher Funktionen unseres Denkapparats. Für die Analyse der Logik dieser Funktionen bezieht Hobbes die Unterscheidung zwischen »mark« (a) und »sign« (b) ein. Der Grund für die Einbeziehung dieser Unterscheidung liegt jedoch nicht nur in der funktionalen Analyse der Sprache. Diese Unterscheidung ist auch eine interne Forderung des »individualistischen« Ansatzes des Hobbeschen Naturrechts. Hobbes versucht das gesellschaftliche Sein durch seine Zeichentheorie zu rekonstruieren. Das gesellschaftliche Sein kann bei Hobbes im Gegensatz zur aristotelischen Philosophie nicht als eine Voraussetzung aufgefasst werden, sondern es muss durch methodische Abstraktion rekonstruierbar sein. Der Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des gesellschaftlichen Zusammenhangs ist eine »multitude of men« (EW 3.90), eine Mannigfaltigkeit einzelner Subjekte. Die begriffliche Genese des gesellschaftlichen Seins durch das Zeichen ist nicht möglich, denn das Zeichen ist bereits ein gesellschaftliches Dasein. Aus diesem Grund bezieht Hobbes in der Thematisierung dieser »Anlage« des Menschen die Unterscheidung zwischen der Setzung eines einzelnen Subjekts – dem Merkzeichen (»mark«, »nota«) – und dem gesellschaftlichen Produkt des Zeichens (»sign«, »signum«) ein. Er formuliert diese Unterscheidung deutlich in De Corpore: »Notae ergo et signi differentia est, quod illa nostri, hoc aliorum gratia institutum sit.« (OL 1.13) Die Einbeziehung dieses Produkts, das die Setzung eines einzelnen Subjekts ist, ermöglicht eine begriffliche Genese des gesellschaftlichen Seins. Die methodische Relevanz dieser Instanz wird in Elements of law besonders deutlich, denn in diesem Buch thematisiert Hobbes beide Instanzen (»mark« und »sign«) in verschiedenen Kapiteln: die »marks« in Kap. 5 und die »signs« in Kap. 13. (1) Das Merkzeichen (»mark«) Hobbes definiert das Merkzeichen auf folgende Weise: »A mark therefore is a sensible object which a man erecteth voluntarily to himself, to the end to remember thereby somewhat past, when the same is objected to his sense again. As men that have passed by a rock at sea, set up some mark, whereby to remember their former danger, and avoid it.« (T 18) Das Merkzeichen ist ein anschauliches Dasein, das von einem einzelnen Subjekt nur deshalb produziert wird, weil es für die Ausübung einer Funktion unseres Denkapparats

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

(»registering of the consequences of our thoughts«, EW 3.19) angemessen ist. Die Tätigkeit der »notatio« bzw. des »marking« besteht nicht nur in der Produktion von Hilfsmitteln für die Erweiterung des Gedächtnisses, sondern auch in der Produktion der Form der Allgemeinheit, in der Befreiung vom idiosynkratischen Charakter von Empfindung und Vorstellung: »By this imposition of names, some of larger, some of stricter signification, we turn the reckoning of the consequences of things imagined in the mind, into a reckoning of the consequences of appellations […] And thus the consequence found in one particular, comes to be registered and remembered as a universal rule; and discharges our mental reckoning, of time and place, and delivers us from all labour of the mind, saving the first, and makes that which was found true here, and now, to be true in all times and places.« (EW 3.21 f.; Hervorh. A.B.) Durch diese Tätigkeit rekonstruiert Hobbes die symbolische Bezeichnung der Wissenschaft: »But the use of words in registering our thoughts is in nothing so evident as in numbering. […] So that without words there is no possibility of reckoning of numbers; much less of magnitudes, of swiftness, of force, and other things, the reckonings whereof are necessary to the being or well-being of mankind.« (EW 3.22 f.) Die eminente Funktion der symbolischen Bezeichnung in der Entwicklung der Wissenschaft wird bereits bei Descartes in den Regulae ad directionem ingenii (vgl. insbesondere Regulae 17 f.) thematisiert. Ohne die symbolische Bezeichnung ist die Herausbildung komplexer Denkzusammenhänge unmöglich. Aus diesem Grundgedanken leitet Hobbes ein neues Vernunftmodell ab: Unsere Geistigkeit produziert demnach eine äußere Gegenständlichkeit, die für die Geltung und Ausübung ihrer basalen Tätigkeiten angemessen ist. Ohne diese Konstruktionen sind die Funktionen der Vernunft unwirksam. Dieses Vernunftmodell ist der Keim des Hobbesschen Naturrechts: Die Vernunft des Staates ist als »artificial reason« (EW 3.x) zu begreifen. Hobbes betont die Ambivalenz der symbolisierenden Tätigkeit. Anhand dieser Tätigkeit rekonstruiert er auch die begriffliche Genese von Instanzen, die über die Wirklichkeitszusammenhänge der mechanistischen Modelle und daher über die Totalität der Wissenschaft hinausgehen: »All other names are but insignificant sounds; and those of two sorts. One, when they are new, and yet their meaning not explained by definition; whereof there have been abundance coined by schoolmen and puzzled philosophers. Another, when men make a name of two names, whose significations are contradictory and inconsistent; as this name, an incorporeal body, or, which is all one, an incorporeal substance, and a great number.« (EW 3.27). Die Überschreitung der Grenzen der Totalität der Wissenschaft hat die Entstehung von Vorstellungen und Theorien spiritualistischer Art zur Folge. Da der Grundfehler des Spi-

2.2 Das Zeichen als Gestalt der Anthropologie

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ritualismus die Überschreitung dieser Totalität ist, sind seine Instanzen laut Hobbes entweder bedeutungslos (z. B. der Seinsbegriff ) oder widersprüchlich (z. B. die Rede von unkörperlichen Substanzen). Um die These der Bedeutungslosigkeit bestimmter Theorien zu begründen, analysiert er »the train of words« (EW 3.19) in verschiedenen Sprachen. Er leitet den Seinsbegriff aus der Kopula durch das Verb »sein« ab. Die Funktion der Kopula ist jedoch ohne das Verb »sein« möglich, wie er mit der Analyse der Präsensform der hebräischen Sprache zeigt. Daher sei der Seinsbegriff eine Erfindung, die aus dem Missbrauch der Sprache entstehe: »Was seine Opposition gegen Aristoteles betrifft, so ist namentlich eine Stelle aus dem 46. Kapitel [des Leviathan] bemerkenswert, wo er die Verwechslung von Wort und Sache als Grund des Übels hervorhebt. Hobbes trifft hier gewiß den Nagel auf den Kopf, wenn er als den Urquell zahlloser Absurditäten die Hypostasierung der Kopula ›est‹ ansieht.« (Lange 1974, 253) Auch bei Leibniz findet man diese Analyse der Verknüpfungsformen sowohl in der symbolischen Bezeichnung der Wissenschaft (»vincula Algebistrarum«) als auch in den verschiedenen Sprachen (»vincula Hebraei«) (SS VI/4.A, 10). Er begründet ebenso eine Kritik am Spiritualismus durch die Notwendigkeit der symbolischen Bezeichnung für die Ausführung der Funktionen unseres Denkapparats, denn das Erkennen ist ein Zusammenwirken von Denken und Anschauung: »les Ames et les Esprits crées ne sont jamais sans organes et jamais sans sensations, comme ils ne sauroient raisonner sans caracteres« (Nouveaux Essais, II, 21, § 73). Hobbes betont in seiner Metaphysikkritik an der Bedeutungslosigkeit der spiritualistischen Instanzen das folgende Paradox: Diese Instanzen sind bedeutungslos, aber nicht kraftlos. Ihre enorme Wirksamkeit ist ein Hindernis für eine vernünftige Gestaltung der Wirklichkeit des Rechts und für ihre Stabilisierung. Die Schulphilosophie ist aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit »vain philosophy« (EW 3.664) und zugleich eine Gefahr für die sittliche Ordnung. Daher thematisiert er im vierten Buch des Leviathan die »vain philosophy« sowohl als eine falsche Metaphysik (»spiritual darkness«, EW 3.693) als auch als eine bedrohliche Gestalt (»Kingdom of Darkness«, EW 3.603).

(2) Das Zeichen (»sign«) Die Bezeichnung (»significatio«) stiftet eine neue Stufe von Verhältnissen, denn diese Setzung ist ein gesellschaftliches Sein. Die »significatio« ermöglicht nicht nur die Erwerbung von Kenntnissen durch die symbolische Bezeichnung (»notatio«), sondern auch ihre Bekanntmachung (»demonstra-

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

tio«): »Ratio enim, hoc sensu, nihil aliud est praeter computationem sive additionem et substractionem nominum generalium, quae ad notationem sive significationem nostrarum recipientur. Notationem, inquam, quando computamus soli; significationem, quando aliis computationem nostram demonstramus.« (OL 3.32 f.) Ziel der Bezeichnung ist die Mitteilung von Kenntnissen und Leidenschaften. Die Bezeichnung erfordert aufgrund dieser Mitteilungsfunktion eine Äußerung, die eine objektive Geltung hat, so dass der Interlocutor sich auf diese Äusserung verlassen kann: »Nomen est vox humana arbitratu hominis adhibita, ut sit nota qua cogitationi praeteritae cogitatio similis in animo excitari possit, quaeque in oratione disposita, et ad alios prolata signum iis sit qualis cogitatio in ipso proferente praecessit vel non praecessit.« (OL 1.14) In der Seinsweise des Zeichens (eine Institution »aliorum gratia«) zeigt sich, dass die Form des Geltens immer von der Zustimmung anderer abhängig ist. Die objektive Geltung des Zeichens ist daher eine Zusammenwirkung von Denken und Anschauung. Die Geltung der Funktionen des Zeichens erfordert immer den physikalischen Zusammenhang, der durch die Stimme, die Aussprache und die Aufnahme der Zeichen konstituiert ist. Dieser für die Sprache konstitutive Zusammenhang hat in der Hobbesschen Rechtsphilosophie eine besondere Relevanz, wie unten zu zeigen sein wird. In der Rekonstruktion des Zeichens betont Hobbes insbesondere die Momente, die nur durch die Wirkung von körperlichen Bewegungen entstehen können. Diese Akzentsetzung ermöglicht eine Rechtfertigung des Materialismus (und daher eine Kritik am Spiritualismus und seinen Folgen) durch die physikalische Seite des Sprechens. Diese Begründung des Materialismus durch die Struktur der Sprache findet man in anderen Versionen des frühneuzeitlichen Materialismus, z. B. in der Rezeption des stoischen Materialismus bei Lipsius: »Ubi & axioma illud Stoicum observes, Quidquid facit, est corpus. Quâ eâdem illâ ratione Vox corpus adstruitur, in Laërtio: […] Corpus est Vox, secundũ Stoicos. Omne enim quod facit, Corpus est: facit autem Vox, quae à loquentibus ad audientes accidit. Quod tamen pleniùs diceretur, Quidquid facit aut fit, est corpus: id est, agit aut patitur. Ipse noster ita effert alibi: & Plutarchus inter Stoica: […] Sola quae sunt Corpora appellant: quoniam id quod est, facit aliquid, aut patitur.« (OO IV/2, 904 f.)

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts Die Rekonstruktion der Geltung der Willenserklärung erfordert die Einbeziehung eines besonderen Gebrauchs dieser »Anlage« des Menschen (»special use of speech«): »to make known to others our wills and purposes that

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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we may have the mutual help of one another« (EW 3.20) Das Zeichen ermöglicht »the expression of appetite, intention and will« (T 67). Hobbes definiert den Willen als »the last appetite in deliberating« (EW 3.49). Die folgenden Äußerungen sind Beispiele einer Bezeichnung des Willens: »promise«, »threating«, commanding«, »law« usw. (vgl. T 67) Nicht alle Bezeichnungen unseres Willens haben einen verbindlichen Charakter. Daher unterscheidet Hobbes deutlich zwischen einem Ausdruck des Willens und einer Willenserklärung (»declaration of the will«, EW 3.227). Diese Unterscheidung hat eine Wirkung auf die Organisation des Inhalts in Leviathan: (a) In Kap. 6 thematisiert Hobbes »the forms of speech by which the passions are expressed« (EW 3.49). Die Redeformen sind «voluntary significations of our passions« (EW 3.50). Für den Ausdruck der Leidenschaften werden verschiedene Redeformen (Indikativ, Subjunktiv, Optativ, Interrogativ, Imperativ) verwendet. (b) In den Kapiteln 14–15 thematisiert er das Willenszeichen, das auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Daher unterscheidet er zwischen der Verbindlichkeit des Versprechens und der der Willenserklärung in einem Vertrag (»signs of contract«): »Words alone, if they be of the time to come, and contain a bare promise, are an insufficient sign of a free-gift, and therefore not obligatory.« (EW 3.22) Hobbes thematisiert die zwei folgenden Bedingungen für die Erzeugung eines allgemeinverbindlichen Willens durch die »signs of contract«: (a) die Beachtung der funktionalen Einheit von Denken von Anschauung; (b) die richtige Ausübung der immanenten Logik des Rechts. Ad (a) Die Beachtung der funktionalen Einheit von Denken und Anschauung: Eine Willenserklärung ist rechtskräftig, wenn der subjektive innere Teil (der Wille) und der äußere objektive Teil (die Erklärung) nicht auseinanderfallen. Diese minimale Einheit von Denken und Anschauung hat bereits eine interne Logik. Die Geltung der Willenserklärung ist von dieser Logik abhängig. Fällt diese Einheit von Denken und Anschauung (von Wollen und Erklärung) auseinander, liegt ein Willensmangel vor. Die richtige Ausübung dieser Logik ist eine Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit, denn eine betrügerische Ausübung dieser Fähigkeit ist ein Widerspruch, der sich als Unrecht manifestiert. Hobbes thematisiert diesen Betrug als einen Missbrauch der besonderen Funktionen der Sprache: »To these uses, there are also four correspondent abuses. […] Thirdly, by words, when they declare that to be their will which is not.« (EW 3.22) Er stellt die widersprüchliche Ausübung der Vertragsfähigkeit als eine Gestalt des Unrechts anhand der Figur des »fool« dar: »The fool hath said in his heart, there is no such thing as justice; and sometimes also with his tongue;

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

seriously alleging, that every man’s conservation, and contentment, being committed to his own care, there could be no reason, why every man might not do what he thought conduced thereunto: and therefore also to make, or not make; keep, or not keep, covenants was not against reason when it conduced to one’s benefit.« (EW 3.132; Hervorh. A.B.) Diese Figur operiert mit der folgenden Rechtsvorstellung: Die Vernunft des Rechts bestehe nur in Nutzungsverhältnissen, und man begehe daher keinen Widerspruch, wenn man sich nur nach dem Anschein des Rechts orientiere. Diese Figur übersieht jedoch den folgenden Widerspruch: Einerseits negiert diese Figur – durch die Herabsetzung des Rechts zum bloßen Schein – das Gelten der funktionalen Einheit von Denken und Anschauung. Andererseits bringt sie diese funktionale Einheit von Denken und Anschauung zur Geltung, indem sie ihren Gedanken in eine Rede übersetzt. Diese Rede ist nur möglich, wenn man diese minimale Logik der bezeichnenden Tätigkeit als gültig voraussetzt. Der Widerspruch besteht nicht darin, dass diese Figur die Gerechtigkeit als eine Fiktion auffasst, sondern darin, dass sie diese Vorstellung (»in his heart«) auch in Zeichen (»sometimes also with his tongue«) übersetzt. Das Unrecht dieser Figur besteht in einem daseienden Widerspruch. Ad (b) Die richtige Ausübung der immanenten Logik des Rechts: Geltung und Wirksamkeit einer Rechtsgestalt erfordern einerseits eine Willenserklärung. Die Geltung einer Willenserklärung erfordert anderseits auch die Vereinbarkeit ihres Inhalts mit der internen Logik dieser Rechtsgestalt. Die Verbindlichkeit eines Willenszeichens ist von der Logik der immanenten Vernunftstrukturen des Rechts abhängig, z. B. ist die richtige Verwirklichung der internen Logik des Vertrags konstitutiv für das Vorliegen der »signs of contract«. Ein Willenszeichen, das die interne Logik des Vertrags außer Kraft setzt, ist eigentlich keine Willenserklärung. Ein Willenszeichen, durch welches man über die Spontaneität des Willens (die sogenannten unveräußerlichen Rechte) zu disponieren vermeint, ist nur ein Irrtum, denn die Spontaneität ist unübertragbar. Daher behauptet Hobbes, dass die Rechtlichkeit der staatlichen Strafbefugnis nicht durch eine solche Willenserklärung begründet werden kann, in der man die Spontaneität des Willens aufzugeben vermeint, denn diese Spontaneität ist gerade die Möglichkeitsbedingung der Rechtserzeugung. Die Willensäußerung wäre keine Erklärung, sondern nur ein Irrtum aufgrund einer falschen Rechtsvorstellung: »A covenant not to defend myself from force, by force, is always void. For, as I have shown before, no man can transfer, or lay down his right to save himself from death, wounds, and imprisonment, the avoiding whereof is the only end of laying down any right; and therefore the promise of not resisting force, in no covenant trans-

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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ferreth any right, nor is obliging. For though a man may convenant thus, unless I do so, or so, kill me; he cannot covenant thus, unless I do so, or so, I will not resist you when you come to kill me.« (EW 3.127) Die mannigfaltigen Einzelwillen erzeugen durch Vertrag einen allgemeinverbindlichen Willen, denn nur der allgemeine Wille ist der Rechtserzeugung fähig. Die Rechtserzeugung durch die setzende Tätigkeit des allgemeinen Willens erfordert auch das Vorliegen von Willenszeichen. Die Hobbessche Zeichentheorie thematisiert die Funktion des Willenszeichens nicht nur bezüglich der setzenden Tätigkeit des Einzelwillens (Vertrag, Autorisierung), sondern auch bezüglich der Ausübung der berechtigten Funktionen des gemeinsamen verbindlichen Willens. Darin zeigt Hobbes, dass die Willenserklärung eine Gestalt des Willens ist, die für die Geltung und Wirksamkeit aller Stufen und Gestalten des Rechts (sowohl des subjektiven als auch des objektiven Rechts) konstitutiv ist. Bezüglich der Funktion des Willenszeichens in der rechtserzeugenden Tätigkeit des gemeinsamen verbindlichen Willens formuliert Hobbes die folgenden terminologischen Unterscheidungen: (a) Ein Willenszeichen des Souveräns, das mit der internen Logik des allgemeinverbindlichen Willens unvereinbar ist, ist unwirksam, denn seine Geltung würde die Logik des allgemeinen Willens (und daher die Möglichkeitsbedingungen der Rechtserzeugung) außer Kraft setzen. Die Geltung der Willenserklärung erfordert nicht nur die Äußerung des Souveräns, sondern auch die Durchsetzung der immanenten Logik des Rechts. Hobbes bezeichnet dieses nichtige Willenszeichen als »insufficient sign« (EW 3.122). Die Insuffizienz liegt in der Unvereinbarkeit mit der internen Logik des allgemeinen Willens. Die Abgabe eines Zeichens seitens des Souveräns, in der die Teilung oder Beschränkung der Souveränität zugunsten einer anderen Person erklärt wird, ist daher eigentlich keine Willenserklärung, keine Autorisierung des Souveräns, sondern nur das »Zeichen eines Irrtums« (»signs of error and misreckoning«): »And the sovereign in every commonwealth, is the absolute representative of all the subjects; and therefore no other can be representative of any part of them, but so far forth, as he shall give leave. And to give leave to a body politic of subjects to have an absolute representative, to all intents and purposes, were to abandon the government of so much of the commonwealth, and to divide the dominion, contrary to their peace and defence, which the sovereign cannot be understood to do, by any grant that does not plainly and directly discharge them of their subjection. For consequences of words are not the signs of his will, when other consequences are signs of the contrary; but rather signs of error, and misreckoning; to which all mankind is too prone.« (EW 3.211; Hervorh. A.B.)

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

(b) Das Willenszeichen, das für die Ausübung der Rechtsbestimmungen angemessen ist, bezeichnet Hobbes als »sufficient sign« (EW 3.251). Die lateinische Bezeichnung »signum idoneum« (OL 3.104) zeigt deutlicher, mit welchem Vernunftmodell diese Zeichentheorie im Bereich des Rechts operiert: Die Ausübung der Rechtsbestimmungen erfordert die Setzung eines Daseins des freien Willens, aber dieses Dasein ist jedoch nur gültig, wenn es der internen Logik der Rechtsbestimmungen angemessen (»idoneum«) ist. Die Geltung der Willenserklärung des Souveräns ist daher von dieser Angemessenheit abhängig. (c) Die Abgabe der Willenserklärung seitens des Souveräns ist nicht hinreichend für ihre Wirksamkeit. Sie muss durch weitere Zeichen ergänzt werden, die nicht mehr die Funktion der Erklärung haben, sondern die Funktion der Authentifizierung des Erklärenden und seiner Autorität. Hobbes nennt diese Zeichen »manifest signs«: »Nor is it enough the law be written, and published; but also that there be manifest signs, that it proceedeth from the will of the sovereign.« (EW 3.259) Nur wenn diese »manifest signs« vorliegen, ist die Rechtserzeugung zustande gekommen. Die Tragweite der Hobbesschen Zeichentheorie für die Ausbildung des neuen Rechtsdenkens liegt, wie oben gesagt, nicht nur in der Relevanz der Willenserklärung und anderer Willenszeichen für die Geltung der Rechtsgestalten, sondern auch in der Rekonstruktion basaler Mechanismen, die erklären, wie die immanenten Prinzipien des Rechts funktionieren: das Zusammenwirken von Denken und Anschauung, und ein Vernunftmodell, das man mit Hobbes als »artificial reason« (EW 3.x) bezeichnen kann. Alle Durchführungen des neuen Rechtsdenkens operieren, wie zu zeigen sein wird, mutatis mutandis mit diesem minimalen Vernunftmodell: Die Geltung und Wirksamkeit der Vernunftbestimmungen erfordert die Setzung eines unserer Geistigkeit angemessenen Daseins. Diese basalen Mechanismen sind für alle Gestalten des freien Willens konstitutiv. Vorgreifend lässt sich das Funktionieren dieser Mechanismen im Bereich des Rechts anhand der folgenden Rechtsgestalten andeuten: (I) das Gesetz (»civil law«) und (II) die Religionspolitik. (I) Das positive Gesetz (»civil law«) Die Relevanz der Hobbesschen Zeichentheorie in der Rekonstruktion des »civil law« lässt sich anhand der folgenden Punkte aufzeigen: (a) Die Relevanz der Willenserklärung: Laut Hobbes ist die gesetzgebende Funktion des Staates die letzte Quelle der Rechtserzeugung. Das Gesetz ist laut Hobbes eine Willenserklärung des »Souveräns«: »Which considered,

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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I define civil law in this manner. Civil law, is to every subject, those rules, which the commonwealth hath commanded him, by word, writing, or other sufficient sign of the will, to make use of for the distinction of right and wrong; that is to say, of that is contrary and what is not contrary to the rule.« (EW 3.251) Von dieser Theorie ausgehend kritisiert Hobbes die Auffassung des Rechts als Gewohnheitsrecht, denn der Rechtscharakter der Gewohnheit setzt immer ihre Anerkennung seitens des Souveräns voraus. Heute könnten wir sagen, dass die Erhebung der Gewohnheit zur Dignität einer Rechtsquelle ihre Positivierung und daher eine Willenserklärung erfordert. (b) Das Vernunftmodell des neuen Rechtsdenkens: Hobbes rekonstruiert die Geltung des Gesetzes durch das Vernunftmodell seiner Zeichentheorie (die »artificial reason«, EW 3.x). Die »civil laws« sind künstliche Verhältnisse (»artificial chains«, EW 3.198; »vincula artificialia«, OL 3.161), welche für die Ausübung der Vernunftbestimmungen (der sogenannten »Naturgesetze«) angemessen sind. Die Vernunft des Rechts ist nicht mehr die »recta ratio« des Naturrechtsdenkens. Die Seinsweise der Gesetze ist nicht mehr die Form des Vorhandenseins. Die Seinsweise des Gesetzes als Dasein des freien Willens ist die Form des Geltens. (c) Das Zusammenwirken von Denken und Anschauung: Da das Gesetz in einer Willenserklärung besteht, ist die funktionale Einheit von Denken und Anschauung eine Möglichkeitsbedingung für seine Geltung: »But as men, for the attaining of peace, and conservation of themselves thereby, have made an artificial man, which we call a commonwealth; so also have they made artificial chains, called civil laws, which they themselves, by mutual covenants, have fastened at one end to the lips of that man, or assembly, to whom they have given the sovereign power, and at the other to their own ears.« (EW 3.198) (II) Religionspolitik Die Zeichentheorie spielt eine Hauptrolle in der Hobbesschen Analyse der religionspolitischen Probleme. Da dieser Problematik ein eigenes Kapitel der vorliegenden Untersuchung gewidmet ist (siehe Kapitel 6), ist die Funktion der Zeichentheorie in diesem Bereich hier nur kurz anhand der folgenden Punkte anzudeuten. (a) Die Vernünftigkeit des Kultus: Die äußere Sphäre der Religion ist der Kultus. Der Kultus besteht in Worten und Handlungen, die als »signs of honour« gelten. Die Logik dieser Zeichen ist durch bestimmte Vernunftgesetze bzw. »Naturgesetze« des Kultus (»rational worship«, EW 3.353) bestimmt, z. B.: »Public worship consisteth in uniformity.« (ebd.). Daher kann man laut

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

Hobbes eine vernünftige Gestaltung des Kultus auch bei den »Heiden« finden. Er thematisiert diese innere Logik des Kultus in Kap. 31 des Leviathan. In der Rekonstruktion des Kultus verwendet er dasselbe Vernunftmodell, mit dem er in der Rekonstruktion der inneren Logik des Vertrags (in den Kapiteln 14–15 des Leviathan) operiert. (b) Die physikalische Seite der Bekanntmachung des »Willens« Gottes als Bedingung der Verbindlichkeit der religiösen Gesetze: Hobbes thematisiert die Funktionsbedingungen der Geltung und Wirksamkeit dieser religionspolitischen Instanz des »law of God«. Die Geltung eines Gesetzes erfordert immer eine Erklärung. Daher thematisiert Hobbes, wie Gott seinen »Willen« manifestiert. Die »Erklärung« des »Willens« Gottes vollzieht sich nicht durch eine funktionale Einheit von Denken und Anschauung, die für die Rechtsgestalt der Willenserklärung konstitutiv ist. Die Verbindlichkeit der Willenserklärung erfordert, wie oben gesagt, einen Zusammenhang von Stimme, Äußerung und Aufnahme. Hobbes analysiert, inwiefern diese drei Momente in der Manifestation des Willens Gottes vorliegen: »To rule by words, requires that such words be manifestly made known; for else they are no laws: for to the nature of laws belongeth a sufficient, and clear promulgation, such as may take away the excuse of ignorance; which in the laws of men is but of one only kind, and that is, proclamation or promulgation by the voice of man. But God declareth his laws three ways; by the dictates of natural reason, by revelation, and by the voice of some man to whom, by the operation of miracles, he procureth credit with the rest. From hence there ariseth a triple word of God, rational, sensible, and prophetic; to which correspondeth a triple hearing: right reason, sense supernatural, and faith. As for sense supernatural, which consisteth in revelation or inspiration, there have not been any universal laws so given, because God speaketh not in that manner but to particular persons, and to diverse men diverse things.« (EW 3.344 f.; Hervorh. A.B.) Er findet eine Analogie dieser drei Momente in der Analyse des »Wortes« Gottes, aber er betont die folgende Schwierigkeit: Diese Analogie setzt die physikalische Seite dieser Momente außer Kraft. Diese physikalische Dimension des Sprechens (»prolocutio« und »auditio«) ist ein konstitutives Moment der Geltung der Gesetze. Daher thematisiert er die Figur des Propheten hinsichtlich ihrer Funktion als »prolocutor« (EW 3.412). Da diese physikalische Seite auch für die Geltung der religiösen Gesetze notwendig ist, beschränkt Hobbes seine religionspolitische Analyse des »Wortes Gottes« auf die »Scriptures«, denn nur diese schriftliche Manifestation des »Willens« Gottes ist für alle Christen (qua Rechtsgenossen eines christlichen Staates) zugänglich. (c) Die Schaffung religiöser Gesetze: Die Schaffung religiöser Gesetze anhand der Bibel erfordert nicht nur diese physikalische Seite, sondern auch

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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die Verwirklichung der internen Logik der Gesetze. Die Aufstellung religiöser Gesetze erfordert die Herausbildung einer Autorität, die der Rechtserzeugung fähig ist. Die Leitfrage der Hobbesschen Philosophie im Bereich der Religionspolitik ist daher, durch welche Autorität die Heilige Schrift zum Gesetz gemacht wird: »when the question is propounded of our belief; because some are moved to believe for one, and others for other reasons, there can be rendered no one general answer for them all. The question truly stated is: by what authority they [sc. the Scriptures] are made law.« (EW 3.378) (d) Die Rehabilitierung der Gestalt der Willenserklärung in der Religionspolitik: Die einzige Autorität, die der Funktion der Rechtserzeugung fähig ist, ist die Autorität eines allgemeinverbindlichen Willens, der Souveränität. Der Souverän erzeugt auch die religiösen Gesetze durch eine Willenserklärung. Die Institution des Souveräns ist laut Hobbes die Instanz, die Staat und Kirche vereinigt. Die Analyse des »Wortes Gottes« hat gezeigt, dass Gott auch ohne eine äußere Objektivität (»supernaturally«) seinen Willen »erklären« kann. Diese Analogie des Zusammenhangs zwischen Stimme, Äußerung und Aufnahme in Bezug auf die »Erklärung« Gottes setzt die physikalische Seite der Bekanntmachung des Willens außer Kraft. Es besteht daher eine Duplizität von »Zeichen«: (a) die übernatürliche »Erklärung« des Willens Gottes im Bereich der Religion, die sich durch das Fehlen der Seite der äußeren Objektivität charakterisiert; (b) die Rechtsgestalt der Willenserklärung, deren Geltung in einer Zusammenwirkung von Denken und Anschauung besteht. Die Analyse der Logik der Religionspolitik produziert eine Hierarchisierung in dieser Duplizität zugunsten der Rechtsgestalt der Willenserklärung: Nur die Willenserklärung des Souveräns kann die Verbindlichkeit der religiösen Gesetze erzeugen, denn nur die rechtssetzende Gestalt der Willenserklärung kann die Insuffizienzen der übernatürlichen »Erklärung« des »Willens« Gottes (z. B. die ungewisse und idiosynkratische Aufnahme dieser »Erklärung«) vermeiden. Es ist hier erneut daran zu erinnern, dass Hobbes im Materialismus angemessene Begriffsmittel für eine Kritik an den religiösen Vorstellungen findet, die sich der Logik des Rechts entziehen wollen. Durch die Begriffsmittel des Materialismus kann er auf die Notwendigkeit von Wirklichkeitsmomenten hinweisen, welche die spiritualistischen Denkformen außer Acht lassen. Schließlich muss man eine Immunisierung gegen die Hypostasierung der Dimension der Sprache im Bereich des Rechts formulieren. Eine Untersuchung der Funktion der Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht (wie die vorliegende) ist nur überzeugend, wenn sie den Geltungsbereich dieser Zeichentheorie beschränkt. Eine Hypostasierung dieser Dimension hat eine verfehlte Auffassung des Rechts zur Folge, wie dies bei Zarka der Fall ist:

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2. Die Zeichentheorie im Hobbesschen Naturrecht

Die Auffassung des Rechts als »sémiologie du pouvoir«, als Kommunikation (vgl. Zarka 1995, 86–123). Eine Beschränkung der Funktion der Zeichentheorie im Bereich des Rechts muss anhand der folgenden Punkte durchgeführt werden. (a) Der Primat der Vernunft: Die Funktion des Willenszeichens ist immer durch eine interne Logik bestimmt. Dies wurde bezüglich der Willenserklärung deutlich dargestellt: Eine Bedingung der Geltung einer Willenserklärung ist die Vereinbarkeit des erklärten Inhalts mit der internen Logik der Rechtsgestalt, die durch diese Willenserklärung erzeugt werden muss. Das Zeichen gilt lediglich als Wirklichkeitsmoment, als Ausübung von Vernunftbestimmungen. Dies ist sogar trivial. Häufig wird dieser Primat der Vernunft durch den Rekurs negiert, dass die Sprache nicht nur als eine basale Produktion der Vernunft dargestellt wird, sondern als eine Logik. Durch die Identifikation von Sprache und Vernunft wird so schließlich der Primat der Sprache behauptet. Zarka hat diesen Rekurs auf folgende Weise formuliert: »En ce qui concerne la logique, il suffit de rappeler que son champ propre se déploie en une théorie des noms, de la proposition, du syllogisme et de la méthode pour attester d’emblée sa relation essentielle à la fonction linguistique: l’espace logique est un espace logico-linguistique. Je dis logico-linguistique et non pas grammatico-linguistique.« (Zarka 1995, 65; Hervorh. A.B.) (b) Diese Vernunft ist die Logik eines neuen Rechtsdenkens: Diese Logik ist der Prozess der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens, der Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit. Die Funktion der Zeichen muss durch diese Logik begriffen werden. Dies wird offensichtlich, wenn man die Hobbessche Theorie nur als eine der geschichtlichen Durchführungen des neuen Rechtsdenkens thematisiert. Die Hypostasierung der Sprache bei Zarka zeigt sich in seiner Interpretation des Hobbesschen Naturrechts als einer »Semiologie der Macht«. Ein gutes Beispiel dieser verfehlten Interpretation des Rechts als Semiologie ist Zarkas Rekonstruktion der Dialektik des Naturzustandes als ein verfehlter Gebrauch der Sprache: »Pour passer du régime contradictoire à un régime normal de communication, c’est-à-dire pur qu’existe un espace d’interlocution authentique, il faut opérer un déplacement de l’instance interprétative de mon discours: il faut que se prenne l’autre pour mesure du sens de ce que je dis, et que l’autre en fasse de même a mon égard. Autrement dit, il faut que chacun des interlocuteurs accepte de ne plus ériger sa subjectivité en norme universelle: qu’à l’unilatéralité du moi se substitue une réciprocité n’est de l’autre.« (Zarka 1995, 83; Hervorh. A.B.) Die Problematik des Naturzustandes besteht jedoch nicht in einem Kommunikationsproblem, sondern in der Ausführung der Rechtsbestimmungen durch eine sich verfehlende Gestalt der Subjektivität: Der Widerspruch dieser

2.3 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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Gestalt der Subjektivität ist der absolute Anspruch des besonderen Willens auf Allgemeinheit. Daher ist der Übergang in den Rechtszustand nur durch eine adäquate Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit möglich. Diese Vermittlung ergibt sich durch eine Selbstbindung des Einzelwillens an eine Gestalt der Subjektivität (die Person des Staates), die der Rechtserzeugung fähig ist. Das Recht ist daher nicht als »Semiologie« oder als »Kommunikation«, sondern als eine Logik der Verwirklichung der Freiheitsbestimmungen, als »Idee« (im Hegelschen Sinne) zu interpretieren. Der Inhalt dieser Logik ist also weder die Macht noch die Gewalt, wie Zarkas Bezeichnung »Semiologie der Macht« betont, sondern das Dasein des freien Willens. Dies zeigt sich deutlich, wenn man unterschiedliche Ansätze für die Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts als Dasein des freien Willens thematisiert. Die Zeichentheorie zeigt sich nur als ein begriffliches Mittel für die Rekonstruktion der internen Logik der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens.

3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit durch das Kausalitätsverhältnis Hobbes versucht, die Willenszusammenhänge auch als Kausalitätsverhältnisse zu rekonstruieren. Der Hobbessche Gebrauch dieses begrifflichen Mittels im Rahmen einer Willenstheorie erklärt sich aus den zwei folgenden Forderungen: (1) der Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit im neuen Rechtsdenken, (2) der Reduktion der Kategorie des Zwecks auf das Kausalitätsverhältnis im Materialismus. (1) Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit im neuen Rechtsdenken: Die erste Forderung ist eine allgemeine Forderung des neuen Rechtsdenkens, das den freien Willen als das alleinige Rechtsprinzip auffasst. Eine Theorie, die das neue Rechtsdenken zu begründen versucht, muss erklären, wie der freie Wille zur Wirklichkeit einer nicht natürlichen Welt gestaltet wird. Der freie Wille ist die »Ursache« des Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts. Daher müssen die Willenszusammenhänge die Form der Notwendigkeit erhalten. Eine Durchführung des neuen Rechtsdenkens muss die Vereinbarkeit von Freiheit (Spontaneität des Willens) und Notwendigkeit begründen. Hobbes formuliert diese Forderung des neuen Rechtsdenkens plakativ: »liberty, and necessity are consistent« (EW 3.197). Aus diesem Grund kritisiert er die schulphilosophische Willenstheorie, die die Einheit des Subjektiven und des Objektiven durch die Instanz der »faculty« rekonstruiert. Er sieht sehr scharfsinnig, dass diese Instanz nicht nur überflüssig ist, sondern dass sie die Willensäusserung (»volitio«) zur bloßen Möglichkeit der Willensfähigkeit (»voluntas«) depotenziert. Die Vereinigung des Subjektiven und des Objektiven durch die Tätigkeit des Willens lässt sich nicht anhand dieser äußerlichen Einheitsform (»voluntas«»volitio«) begreifen: »For cause of the will to do any particular action, which is called volitio, they assign the faculty, that is to say, the capacity in general, that men have to will sometimes one thing, sometimes another, which is called voluntas; making the power the cause of the act. As if one should assign for cause of the good or evil acts of men their ability to do them.« (EW 3.679) Die Vernunftbestimmungen des freien Willens müssen sich hingegen als die notwendigen Verhältnisse einer Welt ergeben. Hobbes rekurriert auf die Kausalverbindung, um die Form der Notwendigkeit hinsichtlich der Einheit des Subjektiven und des Objektiven zu gewinnen. Das Kausalitätsverhältnis ist nun das begriffliche Mittel, mittels dessen Hobbes die Notwendigkeit der Willensverhältnisse zu rekonstruieren versucht. Die Struktur des Staates charakterisiert sich nicht nur durch die innere

3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

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Logik dieser verbindlichen Willenseinheit – die Sachlogik des Vertrags und die Wirkungsweise der Gewaltendifferenzierung –, sondern auch durch den Kausalzusammenhang eines »natürlichen« Wollens (»causa efficiens«). Strafe und Belohnung wirken laut Hobbes nur als künstliche Steuerung des Naturmechanismus von Unlust und Lust. Dieses künstliche Korrelat von Unlust und Lust zeigt ihm zufolge, dass der Staat zugleich ein Willens- und Kausalzusammenhang ist. (2) Die materialistische Reduktion der Kategorie des Zwecks auf das Kausalitätsverhältnis: Die zweite Forderung ist ein Spezifikum der materialistischen Durchführung des neuen Ansatzes. Der Wille ist eine ins Dasein tretende Tätigkeit unserer Geistigkeit. Nur ein »bestimmtes« Wollen kann die endliche Form des Seins erhalten. Der besondere Willensinhalt ist der Zweck der Handlung. Deswegen kann die Tätigkeit des Willens als die Ausführung von Zwecken definiert werden. Aufgrund seiner materialistischen Denkweise reduziert Hobbes den Zweck auf eine höhere Erscheinungsform der »causa efficiens«. Die »causa finalis« ist eine Erscheinung »in iis rebus quae habent sensum et voluntatem« (OL 1.117). Die Hobbessche »conatus«-Theorie ist die Ausweitung des Kausalitätsverhältnisses auf die höheren und komplexeren Organisationsformen der Materie, die durch Bewusstsein charakterisiert sind. Bezüglich der Vorstellungstheorie wurde bereits gezeigt, dass Hobbes die Form der Notwendigkeit in den mentalen Prozessen zu begründen versucht. Bereits bezüglich der Vorstellungskette bezieht sich er kritisch auf Termini der schulphilosophischen Anthropologie (»indifferently«, »election«). Das theoretische Ziel seiner Anthropologie ist die Begründung der Notwendigkeit in den Phänomenen der Empfindung und des Willens: »Den Kernpunkt in der Betrachtung des Menschen bildet die Lehre von der Notwendigkeit menschlicher Handlungen, oder – wie man sie schon damals bezeichnete – von der Unfreiheit des Willens. Sie ist für Hobbes eine einfache Folgerung aus dem Satze vom Grunde, den er als Denkgesetz auf alle Tatsachen der Natur anwendet.« (Tönnies 1912, 126) Die materialistische Ausweitung des Kausalitätsverhältnisses auf die Phänomene des Willens verdeckt die Erhebung des freien Willens zum Rechtsprinzip. Unter Willen bei Hobbes kann man deshalb nur Freiheit und Intelligenz verstehen, und so hat auch Hobbes den Willensbegriff verstanden. Er begreift die Freiheit des Einzelwillens als die Selbstbindung, als die Zurechnungsfähigkeit der Person. Die Gestalten des Willens sind Formen der Allgemeinheit, z. B. ist das Gewissen ein Urteil (vgl. EW 3.311) und das Unrecht ein Widerspruch des Willens (vgl. EW 3.119). Aus dem Gebrauch materialistischer Begriffe entstehen die meisten Inkonsequenzen der Hobbesschen Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Der Grundirrtum der materialistischen Durchführung lässt sich anhand der

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

folgenden Punkte formulieren: (a) Das Gedankenprinzip des freien Willens verfällt in eine Mannigfaltigkeit von natürlichen Prinzipien (mannigfaltige Triebe und »Naturgesetze«). (b) Das neuzeitliche Rechtsdenken thematisiert das Recht als äußere Sphäre, die aus dem Innersten (aus der Spontaneität des freien Willens) fließt. Der Hobbessche Materialismus versucht, die Spontaneität des freien Willens zu rekonstruieren, indem er die Innerlichkeit des Willens auf äußerliche Zusammenhänge (Kausalitätsverhältnisse, »conatus«Theorie) zurückführt. Das heutige Verständnis des Kausalitätsverhältnisses ist insbesondere durch Hume und Kant vermittelt. Hobbes’ Kausalitätstheorie ist weit von beiden Theorien entfernt. Sie lässt sich auch nicht problemlos anderen Theorien der Kausalität zuordnen. Deswegen muss zunächst das Spezifikum seiner Kausalitätstheorie gezeigt werden. Ihr Spezifikum besteht darin, dass Hobbes folgende Elemente zu vereinigen versucht: Kausalitäts- und Begründungsverhältnis; Kausalitätsverhältnis und Bewegungslehre; Freiheit und Notwendigkeit.

3.1 Kausalitäts- und Begründungsverhältnis Hobbes begreift das Kausalitätsverhältnis als eine notwendige Verbindung. Die Kausalverbindung ist bei Hobbes im Gegensatz zu Hume keine subjektive Notwendigkeit wie die Gewohnheit. Die strukturierende Leistung der Gewohnheit wird bei Hobbes anhand der »natural signs« (EW 3.107) thematisiert. Die Verknüpfungsform der »natural signs« ist die zeitliche Folge zweier Ereignisse (die Verbindung von Antecedens und Consequens). Diese Verbindung wurde bereits anhand der Vorstellungskette thematisiert. Die Verbindung von Ursache und Wirkung ist bei Hobbes hingegen eine apodiktische Notwendigkeit. Die Hobbessche Notwendigkeit »a priori« ist, im Gegensatz zur Kantischen, vor der Erfahrung, aber nicht Bedingung der Erfahrung. Die Erfahrung ist bei Hobbes eine Leistung von »sense« und »memory«. Die einzige strukturierende Funktion des Subjekts bezüglich der Erfahrung ist die Verbindung der »natürlichen Zeichen«. Die Unterscheidung zwischen beiden Verknüpfungsformen (Antecedens-Consequens und Ursache-Wirkung) hat bei Hobbes ihr Korrelat in dem Unterschied zwischen zwei Erkenntnisarten. In Kap. 9 des Leviathan formuliert Hobbes die gewöhnliche Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Historie auf folgende Weise: »There are of knowledge two kinds; whereof one is knowledge of fact: the other knowledge of the consequence of one affirmation to another. The former is nothing else but sense and memory, and is absolute knowledge; as when we see a fact doing,

3.1 Kausalitäts- und Begründungsverhältnis

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or remember it done: and this is the knowledge required in a witness. The latter is called science; and is conditional; as when we know, that, if the figure shown be a circle, then any straight line through the center shall divide it into two equal parts. And this is the knowledge required in a philosopher; that is to say, of him that pretends to reasoning. The register of knowledge of fact is called history. Whereof there be two sorts: one called natural history; which is the history of such facts, or effects of nature, as have no dependence on man’s will; such as are the histories of metals, plants, animals, regions, and the like. The other is civil history, which is the history of the voluntary actions of men in commonwealths.« (EW 3.71) Die defiziente Erkenntnisart ist die subjektive Gewissheit der »natürlichen Zeichen« und beruht daher auf »sense« und »memory«. In § 19 des Tractatus de intellectus emendatione (weiterhin: TIE) formuliert Spinoza die Hobbessche Definition der Erkenntnisart, die durch die »Zeichen« der Sinnlichkeit gekennzeichnet ist: »Est perceptio, quam ex auditu, aut ex aliquo signo, quod vocant ad placitum, habemus.« Diese Erkenntnisart ist auch bei Spinoza die niedrigste Weise des Wahrnehmens. Die andere Erkenntnisart ist die Wissenschaft bzw. Philosophie und beruht auf der »recta ratio«. Hobbes definiert die Philosophie als eine »scientia causarum«: »Philosophia est Effectuum sive Phaenomenωn ex conceptis eorum Causis seu Generationibus, et rursus Generationum quae esse possunt, ex cognitis effectibus per rectam ratiocinationem acquisita cognitio.« (OL 1.2) In Spinozas Hierarchie der Wissensformen ist diese Erkenntnisart die höchste Weise des Wahrnehmens: »Denique perceptio est, ubi res percipitur per solam suam essentiam, vel per cognitionem suae proximae causae.« (TIE § 19) Von dieser Definition der Wissenschaft ausgehend lässt sich rekonstruieren, was Hobbes unter dem Kausalitätsverhältnis versteht. Der Zusammenhang einer Begründungskette ist bei Hobbes immer ein Kausalzusammenhang. Die Gedanken- bzw. Kausalverhältnisse bilden den Inhalt der Philosophie. Die Naturphilosophie erklärt nach Hobbes die Phänomene bzw. vorgegebenen Wirkungen aus möglichen Ursachen oder die Ursachen aus ihren bekannten Wirkungen (vgl. OL 3.315). Die Notwendigkeit a priori der Naturphilosophie ist nach Hobbes nur dadurch möglich, dass die Erfahrung (»sense« und »memory«) auf Anfangs- oder Endpunkt einer apriorischen Gedankenkette reduziert wird. Die Funktion und Tragweite des Experiments sind in der Hobbesschen Naturphilosophie nicht wirklich aufgenommen. Diese beabsichtigt nur zu zeigen, dass die von der Schulphilosophie thematisierten Phänomene sich auch durch mechanistische Modelle erklären lassen. Deswegen beschränkt sich Hobbes darauf, mehrere mögliche Modelle für ein einziges Phänomen darzustellen.

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

Mit der Gleichsetzung von Kausalitätsverhältnis und apriorischer Zusammensetzung (»compositio«) verschwindet der Unterschied zwischen Kausalitäts- und Begründungsverhältnis. Die Darstellung des Spezifikums der Hobbesschen Kausalitätstheorie wurde hier in drei Punkte geteilt. Der erste Punkt lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen: »Much nearer to a comprehension of Hobbes’ concept of causation we do not think one can get. In this he has given expression to the idea of a necessary connection, as it is known from logic and mathematics, and it was his opinion that the principle of causation could be demonstrated. […] There exists the same necessity between cause-effect as between reason-consequence. His system of all scientific (philosophical) knowledge, whether ›formal‹ or ›real‹, is the simple one that with the reason (cause) the consequence (effect) is posited, but because the consequence (effect) is posited, we cannot posit the reason (cause) but only a possible reason (cause).« (Brandt 1928, 278; Hervorh. A.B.)

3.2 Kausalitätsverhältnis und Bewegungslehre Hobbes versucht, Denken und Anschauung durch folgende Schritte zu vereinigen. Zunächst verabschiedet er die Instanzen, die sich anhand dieser Vereinigung nicht begreifen lassen: »er entfernt die Begriffe von Akt und Potenz, die keiner Anschauung angehören und deshalb nicht konstruierbar sind« (Riedel 1969, 430) Danach versucht er, Denken und empirische Anschauung mittels einer Bewegungslehre zu vereinigen. Die empirischen Bewegungsvorgänge lassen sich laut Hobbes als ein gedanklicher Bewegungszusammenhang rekonstruieren. Die Bewegung ist das begriffliche Mittel, durch welches er die Kluft zwischen Denken und Anschauung, Allgemeinheit und Sein zu überbrücken versucht: »Die Bewegung erweist sich hier als der echte Mittelbegriff: denn wie sie auf der einen Seite die Substanz und der Urgrund alles wirklichen Geschehens ist, so ist sie andererseits ein Grundbegriff unseres Geistes, den wir bereits im Aufbau der rein idealen Erkenntnisse, die von aller tatsächlichen Existenz absehen, betätigen. Sie ist das einzige wahrhaft verständliche Objekt des Denkens: ist sie doch bereits mit der Funktion des Denkens gesetzt und gegeben.« (Cassirer 1907, 53 f.) Das Hobbessche Programm besteht darin, ein bestimmtes Vernunftmodell (die Vernunft als Zusammenwirken von Denken und Anschauung) durch verschiedene Denkmittel (z. B. Zeichentheorie, Bewegungslehre) zu begründen. Mit der Bewegungslehre ist ihm dies jedoch nicht gelungen. Obwohl sich dieses Programm der Hobbesschen Ontologie (die Vereinigung des Apriorischen und des Aposteriorischen mittels einer mechanisti-

3.2 Kausalitätsverhältnis und Bewegungslehre

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schen Bewegungslehre) nicht überzeugend durchführen lässt, hat es jedoch eine fruchtbare Wirkung in seiner praktischen Philosophie gehabt. Seine Wissenschaft des Naturrechts (»civil philosophy«, »scientia civilis«) thematisiert die Bewegung eines Körpers: »generation« und »maintenance«. Der Terminus »body politic«, durch welchen die gesamte Sphäre des Rechts bezeichnet wird, lässt sich bei ihm nicht metaphorisch interpretieren. Die Logik dieser Bewegung ist durch empirische Bewegungsvorgänge vermittelt. Die Geltung und Ausführung der Konstruktionsregel des politischen Körpers sind immer mit empirischen Verhältnissen (z. B. »locutio« und »auditio«), mit Wirklichkeitsmomenten verbunden. Die physikalische Seite der Sprache ist beispielsweise ein konstitutives Moment der Erzeugung des Rechts. Hobbes’ Gestaltung der Bewegungslehre lässt jedoch nur Raum für eine monistische Ontologie. Er verwendet seine Bewegungslehre als eine Immunisierung gegen die spiritualistische Ontologie. Auf dieser Bewegungslehre basiert seine Begründung eines materialistischen Monismus. Die Ausweitung der Bewegungslehre (und daher der mechanistischen Prinzipien) auf alle Inhalte der Philosophie vollzieht sich bei Hobbes anhand der folgenden Punkten: (a) Metaphysischer Materialismus: Die Wirklichkeit besteht aus Substanzen bzw. Körpern, die nur durch Ortsbewegung konstituiert sind. Die Termini »Substanz« und »Körper« sind bei Hobbes Synonyme. Aus dieser Synonymie erklärt sich der Titel des Kap. 8 von De Corpore: »De corpore et accidente«. (b) Methodologischer Materialismus: Die Möglichkeit der Wissenschaft hört da auf, wo diese materialistischen Grundannahmen nicht mehr gelten. Man findet die Vorstellung von immateriellen Instanzen sowohl in der Philosophie als auch in der Religion. Diese Instanzen lassen sich nicht wissenschaftlich thematisieren. Unser Denkapparat und daher die Wissenschaft erfordern immer eine apriorische Zusammensetzung von Denken und Anschauung. Hobbes reduziert alle Bewegungszusammenhänge auf Vorgänge, die durch die Anschauung konstruierbar sind. Aufgrund dieser Reduktion kann er das Instrumentarium seiner Bewegungslehre aus der Geometrie entnehmen: »Ex eo tempore de causa sentiendi saepe cogitanti, forte fortuna mentem subiit, quod si res corporeae et earum partes omnes conquiescerent, aut motu simili semper moverentur, sublatum iri rerum omnium discrimen, et (per consequens) omnem sensionem; et propterea Causam omnium rerum quaerendam esse in diversitate motuum. Atque hoc principio usus est primo. Deinde ut cognosceret varietates et rationes motuum, ad geometriam cogebatur.« (OL 1. XX f.; Hervorh. A.B.) Die Hobbessche Naturwissenschaft erfährt mehr Entwicklungen als seine Wissenschaft des Naturrechts. Der Grund für die Entwicklungen im Bereich

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

der Naturphilosophie liegt in dem Versuch, die mechanistische Naturwissenschaft als eine konsequente Denkweise zu gewinnen. Eine erste Entwicklung besteht darin, die Trennung zwischen Bewegungs- und Kausalitätslehre zu überwinden, denn diese Trennung ist laut Hobbes eine letzte Zuflucht teleologischer Instanzen: »In der frühesten Schrift zur prima philosophia, dem sogenannten Short Tract on First Principles (ca. 1630–1636), stehen alte und neue Bewegungslehre auf der einen, Substanz- und Kausalitätstheorie auf der anderen Seite noch unverbunden nebeneinander, so daß der Kausalbegriff eine zugleich mechanische und teleologische Deutung erfährt. Die Idee, daß Sinneswahrnehmung und Begehren auf Ortsbewegung beruhe, ist schon formuliert (Sect. III, Concl. 1–7), aber daneben kennt Hobbes eine dem aktiven Körper (agens) inhärente substanzielle Bewegungskraft, die, nach dem scholastischen Muster des unbewegten Bewegers, den passiven Körper von sich her, d. h. ohne vorhergehenden Anstoß, in Tätigkeit setzt (Sect. I, 9).« (Riedel 1969, 424 f.) Hobbes versucht, die Vereinigung von Kausalitäts- und Bewegungszusammenhängen in Kap. 8–10 des De Corpore zu begründen. Das Resultat dieser Vereinigung ist die Reduktion aller wissenschaftlichen Zusammensetzungen auf Ortsbewegung bzw. gegenwärtige Bewegung (»actual motion«) und auf Wirkursache (»causa efficiens«). Die anderen Formen der Bewegung und der Kausalität reduziert Hobbes entweder auf Perspektiven oder auf höhere Erscheinungsformen der Materie. Die Reduktion der »causa finalis« auf eine Erscheinung »in iis rebus quae habent sensum et voluntatem« (OL 1.117) wird im folgenden Abschnitt thematisiert (siehe 3.3). Die Unterscheidung zwischen »causa materialis« und »causa efficiens« hat laut Hobbes nur eine perspektivistische Bedeutung: »accidentium autem requisitorum ad effectum, eorum quae in agente, vel agentibus sunt aggregatum, producto effectu, vocatur causa ejus efficiens. Eorum vero quae in patiente sunt aggregatum, producto effectu, appellari solet causa materialis« (OL 1.109) Auch reduziert er das Begriffspaar »potentia«-»actus« auf verschiedene Pespektiven: »Causa enim dicitur respectu effectus jam producti, potentia vero respectu ejusdem effectus producendi; ita ut causa praeteritum, potentia futurum respiciat: potentia autem agentis activa dici solet.« (OL 1.113) Hobbes begreift, wie gesagt, die Form der Notwendigkeit durch das Kausalitätsverhältnis. Das Spezifikum seiner Kausalitätstheorie besteht darin, dass sie die Kausalverbindung als eine notwendige Begründungskette und als einen Bewegungszusammenhang auffasst. Aus dieser Kausalitätstheorie leitet er in Kap. 9 des De Corpore die folgenden basalen Bestimmungen der Form der Notwendigkeit ab: (1) »Necessity hath no degrees« (T 197); (2) Die Notwendigkeit ist ein zeitloser Zusammenhang.

3.3 Freiheit und Notwendigkeit

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Ad (1) Die Form der Notwendigkeit ist ein Kennzeichen der Vernunft. Die wissenschaftlichen Zusammensetzungen unseres Denkapparats haben immer ein und dieselbe Notwendigkeit. Die Wirksamkeit kann nur bezüglich der Körper gedacht werden, und die Körper sind nur durch Anstoß wirksam. Deswegen müssen alle Instanzen der verschiedenen Kausalitätstheorien (»causa sufficiens«, »causa integra«, »free-will« usw.) laut Hobbes auf die Notwendigkeit der mechanistischen Modelle reduziert werden: »Causa autem simpliciter sive causa integra est aggregatum omnium accidentium tum agentium quotquod sunt, tum patientis, quibus omnibus suppositis, intelligi non potest quin effectus una sit productus, et supposito quod unum eorum desit intelligi non potest quin effectus non sit productus.« (OL 1.107 f.) Ad (2) Ursache und Wirkung sind gleichzeitig gegeben. Dadurch gewinnt Hobbes eine deutliche Unterscheidung zwischen der subjektiven Notwendigkeit der »natürlichen Zeichen« und der apodiktischen Notwendigkeit des Kausalitätsverhältnisses. Die Verknüpfungsform der »natural signs« ist eine zeitliche Folge. Die Kausalverbindung ist hingegen laut Hobbes zeitlos: »Ex quo et hoc sequitur, quo instante causa fit integra, eodem quoque effectum esse productum; nam si non sit productus deest adhuc aliquod ad productionem requisitum, non erat ergo, ut supponebatur, causa integra.« (OL 1.108 f.) Hobbes fasst die Kausal- und Bewegungszusammenhänge der mechanistischen Modelle als zeitlose Gedankenverhältnisse auf: »To this must further be added that Hobbes conceived the relation between causa and effect as an ›instantaneous‹ relation. […] The relation in time thus threatens to disappear in the causal relation, we have seen, too, that the mediumistic transmission is instantaneous.« (Brandt 1928, 275)

3.3 Freiheit und Notwendigkeit Die Reduktion der verschiedenen Arten von Kausalität auf die »causa efficiens« erfordert eine Ausweitung der mechanischen Kausalität auf alle Seinsbereiche. Hobbes fasst die »causa finalis« als eine Erscheinungsform der Materie (Empfindung und Wille) auf. Die Wesensebene der Willens- und Zweckzusammenhänge ist demnach durch Materie und Bewegung konstituiert: »Finalis causa locum non habet nisi in iis rebus quae habent sensum et voluntatem, quam efficientem quoque esse suo loco ostendemus.« (OL 1.117) Das Dasein der Handlung kann ohne den Begriff des Zwecks nicht begriffen werden. Die Handlung ist eine Einheit des Subjektiven und des Objektiven, des Inneren und des Äusseren. Diese Einheit besteht in einem Zweckzusammhang. Hobbes begreift den Zweck und damit die Handlung durch den

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

Begriff des Willens: Die Handlung ist eine durch die Tätigkeit des Willens produzierte Einheit des Subjektiven und des Objektiven. Die Reduktion der Zweckzusammenhänge auf Kausalitätsverhältnisse erfordert die Begründung der folgenden Punkte: (I) die Vereinbarkeit von Freiheit (bzw. Spontaneität des Willens) und Notwendigkeit, und (II) die materialistische Rekonstruktion der Handlung.

(I) Die Vereinbarkeit von Freiheit (bzw. Spontaneität des freien Willens) und Notwendigkeit Hobbes fasst den Einzelwillen als die Freiheit bzw. Autonomie der natürlichen Person auf. Er charakterisiert die natürliche Person durch die Zurechnungsfähigkeit, durch die Verantwortlichkeit: »A person, is he, whose words or actions are considered, either as his own, or as representing the words or actions of another man, or of any other thing to whom they are attributed, whether truly or by fiction. When they are considered as his own, then is he called a natural person: and when they are considered as representing the words and actions of another, then is he a feigned or artificial person.« (EW 3.147) Diese Verantwortlichkeit ist von der privatautonomen Freiheit, von der Gestaltungsmöglichkeit der natürlichen Person untrennbar. Die Verbindlichkeit des Rechts wird durch die Vereinigung freier Willen erzeugt: »For in the act of our submission, consisteth both our obligation, and our liberty; which must therefore be inferred by arguments taken from thence; there being no obligation on any man which ariseth not from some act of his own; for all men equally are by nature free.« (EW 3.203) Die Produktion der Welt des Rechts durch die Tätigkeit des Willens erfordert, wie oben gesagt, dass die Verhältnisse des freien Willens die Form der Notwendigkeit erhalten. Es wurde gezeigt, dass Hobbes die schulphilosophische Instanz der »facultas« verabschiedet, denn sie depotenziert alle Willensinhalte zur bloßen Möglichkeit. Die Tätigkeit des Willens muss durch andere Instanzen begriffen werden, damit die Form der Notwendigkeit im Bereich des Rechts begründet werden kann. Diese Instanz ist in der Hobbesschen Willenstheorie nicht die Willensfähigkeit (die schulphilosophische »voluntas«), sondern der Willensakt: »In deliberation, the last appetite, or aversion, immediately adhering to the action, or to the omission thereof, is that we call the will; the act, not the faculty, of willing.« (EW 3.48) Hobbes fasst den Willensakt als Willensbewegung auf. Die Willensakte sind ihm zufolge Bewegungszusammenhänge der Körper, die durch Empfindung und Wille gekennzeichnet sind. Da die Willensakte bei ihm in Bewegungszusammen-

3.3 Freiheit und Notwendigkeit

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hängen bestehen, lassen sich sie als notwendige Verhältnisse denken. Im neuen Rechtsdenken ist das Recht eine notwendige Produktion des freien Willens. Hobbes erkennt diese paradoxe Forderung des neuen Rechtsdenkens: die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit. Eine Theorie, die dieses neue Rechtsdenken durchzuführen versucht, muss diese paradoxe Forderung des neuen Rechtsdenkens durch neue begriffliche Mittel begründen. Deswegen bezeichnet Bramhall die Prinzipien der Hobbesschen Willenstheorie als »paradoxical principles« (EW 5.44).. Hobbes formuliert diese paradoxe Forderung seiner Willenstheorie plakativ: »liberty, and necessity are consistent« (EW 3.197). Er verbindet diese Forderung auch mit dem folgenden Paradox: »Fear and liberty are consistent; as when a man throweth his goods into the sea for fear the ship should sink, he doth it nevertheless very willingly, and may refuse to do it if he will; it is therefore the action of one that was free: so a man sometimes pays his debt, only for fear of imprisonment, which, because no body hindered him from detaining, was the action of a man at liberty. And generally all actions which men do in Commonwealths, for fear of the law, are actions which the doers had liberty to omit.« (ebd.) Die Affekte sind in der Hobbesschen Anthropologie Naturbestimmungen. Die Vereinigung von Freiheit und Furcht zeigt daher, dass die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit durch die Natur hervorgebracht wird. Hobbes zeigt, dass das Recht eine spezifische Seinsweise hat: Die Welt des Rechts ist eine Konstruktion. Er entwickelt jedoch kein angemessenes Instrumentarium, um eine spezifische Form der Notwendigkeit für diese Wirklichkeitsform zu gewinnen. Der Begriff der Notwendigkeit in der Hobbesschen Rechtsphilosophie ist das Resultat einer unkritischen Ausweitung metaphysischer und naturphilosophischer Denkmittel auf den Bereich des Rechts. Aufgrund dieser Ausweitung überträgt Hobbes die Bestimmungen seines ontologischen und naturphilosophischen Begriffs der Notwendigkeit auf den Begriff der Freiheit. In der Analyse des Hobbesschen Begriffs der Notwendigkeit wurden die folgenden Bestimmungen dieses Begriffs dargestellt: (1) In der Notwendigkeit sind keine Grade denkbar (»Necessity hath no degrees«, T 197). (2) Die Notwendigkeit aller Verhältnisse besteht immer in Bewegungszusammenhängen. Hobbes überträgt beide Bestimmungen der Form der Notwendigkeit auf den Begriff der Freiheit: Ad (1) In der Freiheit ist laut Hobbes auch kein Grad denkbar: Dies lässt sich am besten anhand der Kontroverse zwischen Hobbes und Bramhall zeigen. Hobbes behauptet, dass sehr junge Kinder zum Überlegen unfähig sind. Dies ist nach Bramhall ein Beweis dafür, dass in der Freiheit Grade (die Grade in der Entfaltung der Vernunftanlage) denkbar sind: »Secondly, for children, T.H. [s.c. Thomas Hobbes] confesseth that they may be so young that they

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

do not deliberate at all; afterwards, as they attain to the use of reason by degrees, so by degrees they become free agents.« (EW 5.87) Hobbes erklärt diese Erwerbung der Fähigkeit zum Überlegen jedoch nicht durch die Entwicklung der Vernunft, sondern durch die Erwerbung von »memory« bzw. »imagination«. Ad (2) Der Wille ist laut Hobbes nicht eine Fähigkeit, sondern ein Akt: Es gibt nichts anderes als Willensakte. Da Hobbes die Willensakte als Bewegungszusammenhänge begreift, fasst er die Freiheit des Einzelwillens als die Abwesenheit von allem auf, was die Bewegung hindert: »But when the words free, and liberty, are applied to anything but bodies, they are abused; for that which is not subject to motion, is not subject to impediment: and therefore, when it is said, for example, the way is free, no liberty of the way is signified, but of those that walk in it without stop.« (EW 3.197) Hobbes begreift einerseits, wie oben gesagt, die Tätigkeit des Einzelwillens als die Selbstbestimmung der natürlichen Person und rekonstruiert die Konstruktion einer Welt des Rechts durch die Selbstbindung des freien Willens. Andererseits reduziert er aufgrund seines materialistischen Monismus die Freiheit des Einzelwillens auf eine ungehinderte Bewegung. Das Prinzip des freien Willens, durch welches eigentlich die begriffliche Genese einer nicht-natürlichen Sphäre zu erklären ist, wird erneut aufgrund des Gebrauchs materialistischer Denkmittel als ein natürliches Phänomen begriffen. Ein solcher Begriff der Freiheit ist, wie Kant es hier formuliert, eine Sophisterei des Materialismus: »Eine Ausflucht darin suchen, daß man blos die Art der Bestimmungsgründe seiner Kausalität nach dem Naturgesetze einem komparativen Begriffe von Freiheit anpaßt (nach welchem das bisweilen freie Wirkung heißt, davor der bestimmende Naturgrund innerlich im wirkenden Wesen liegt, z. B. das was ein geworfener Körper verrichtet, wenn er in freier Bewegung ist, da man das Wort Freiheit braucht, weil er, während daß er im Fluge ist, nicht von außen wodurch getrieben wird […]), ist ein elender Behelf, womit sich noch immer einige hinhalten lassen, und so jenes schwere Problem mit einer kleinen Wortklauberei aufgelöset zu haben meinen, an dessen Auflösung Jahrtausende vergeblich gearbeitet haben, die daher wohl schwerlich so ganz auf der Oberfläche gefunden werden dürfte.« (AA 5.96) Eine ähnliche Ausflucht sucht Hobbes in der Kontroverse mit Bramhall, indem er die Willensfreiheit leugnet und zugleich von »freien Willensakten« spricht: »Free, contingent and necessary are not words that can be joined to means or ends, but to agents and actions; that is to say, to things that move or are moved: a free agent being that whose motion or action is not hindered or stopped, and a free action, that which is produced by a free agent. […] Whereas from the beginning I have often declared that it is none of my opinion [sc. »that a man

3.3 Freiheit und Notwendigkeit

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is not free to do if he will, and to abstain if he will«]; and that my opinion is only this, that he is not free to will, or which is all one, he is not master of his future will.« (EW 5.189)

(II) Die materialistische Rekonstruktion der Handlung Die Reduktion der Zweckbeziehung auf das Kausalitätsverhältnis erfordert eine materialistische Rekonstruktion der Einheit der Handlung, denn die Handlung ist die Vereinigung des Subjektiven und des Objektiven in einem Zweckzusammenhang. In der Handlung werden die inneren Bestimmungen des Willens ausgeführt. Deswegen müssen gedankliche Mittel eingeführt werden, durch welche die Phänomene der subjektiven »Seite« der Handlung begriffen werden können. Hobbes rekonstruiert alle diese subjektiven Phänomene durch den Prozess der Überlegung (»deliberation«). Er versucht zu beweisen, dass die Einheit der Handlung ohne teleologische Instanzen rekonstruierbar ist. Es ist zunächst zu bemerken, worin dieser materialistische Beweis eigentlich bestehen muss. Die Materie kennt keine innere Bestimmungen, sondern nur das Kausalitätsverhältnis und die Ortsbewegung. Die materialistische Rekonstruktion der Handlung muss zeigen, wie die inneren Bestimmungen der Handlung auf äußere Verhältnisse (Kausal- und Bewegungszusammenhänge) zurückführbar sind. Dadurch sucht die materialistische Willenstheorie, die subjektiven Bestimmungen der Handlung (»deliberatio«, »electio«) mit der äußeren Notwendigkeit vereinbar zu machen. Hobbes leugnet hier erneut die »indifferentia« und die »electio« in den subjektiven Prozessen. Um die innerlichen Prozesse des Subjekts als örtliche bzw. gegenwärtige Bewegungen erklären zu können, muss Hobbes zunächst ein begriffliches Mittel entwickeln: »endeavour«, »conatus«. Durch diese Instanz wird die Möglichkeit einer dem Substanz inhärenten Bewegung, der Teleologie geleugnet: »These small beginnings of motion, within the body of man, before they appear in walking, speaking, striking, and other visible actions, are commonly called endeavour.« (EW 3.39) Eine Theorie, die mit dieser Instanz operiert, muss die innerlichen Bestimmungen und Prozesse des Subjekts als Wirkung (»passio«) begreifen: »This endeavour, when it is toward something which causes it, is called appetite, or desire; the latter, being the general name; and the other oftentimes restrained to signify the desire of food, namely hunger and thirst. And when the endeavour is fromward something, it is generally called aversion. […] For the Schools find in mere appetite to go, or move, no actual motion at all: but because some motion they must acknowledge, they

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

call it metaphorical motion, which is but an absurd speech; for though words may be called metaphorical, bodies and motions cannot.« (EW 3.39 f.) Die inneren Bestimmungen des wollenden Subjekts werden bei Hobbes durch das Kausalitätsverhältnis rekonstruiert. Die Leidenschaften sind laut Hobbes äußere Wirkungen (»passions«) und daher Naturbestimmungen. Der spezifische Gegenstand des Willens (das Gute) wird als die äußere Ursache der Empfindung begriffen: »Good is to everything, that which hath active power to attract it locally.« (T 208) Der Willensakt, der zum alleinigen Prinzip des Rechts erhoben wird, wird paradoxerweise zugleich als Passivität definiert. Hier lässt sich ein Paradoxon der frühneuzeitlichen Theorien feststellen: Das Subjekt wird zum Prinzip einer Produktionslogik erhoben und wird zugleich als Passivität begriffen. Diese Theorien verfügen noch nicht über das geeignete Instrumentarium, um die subjektiven Tätigkeiten zu begreifen. Deswegen behauptet Hegel, dass »die Bücher des Aristoteles über die Seele mit seinen Abhandlungen über besondere Seiten und Zustände derselben […] deswegen noch immer das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand« (EPW § 378). Das aristotelische Modell begreift das Subjekt als »actus purus«. Um das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität begrifflich zu rekonstruieren, muss Hegel daher auf vormoderne Denkmittel zurückgreifen. Hobbes hat die inneren Bestimmungen des Subjekts und somit des Willens durch die Wirkung äußerer Gegenstände rekonstruiert. Danach muss er die subjektiven Operationen erklären, die sich auf diese inneren Willensbestimmungen, z. B. die Überlegung, beziehen. Die Einheit der Handlung (die Einheit des Subjektiven und Objektiven) wird als eine ununterbrochene und notwendige Kette dargestellt. Die Überlegung wird als »alternate succession of appetites« (EW 3.48), »chain of appetites« (EW 3.52) begriffen. Das subjektive Phänomen der Überlegung besteht laut Hobbes in einer ununterbrochenen Folge von Gemütsbewegungen. Die Reihe der Überlegungen (wie die Vorstellungsreihe) ist daher nicht indifferent. Die Freiheit des Tuns und Unterlassens besteht laut Hobbes in einer notwendigen Reihe wechselnder Inhalte: »Therefore of things past, there is no deliberation; because manifestly impossible to be changed: nor of things known to be impossible, or thought so; because men know or think such deliberation vain. But of things impossible, which we think possible, we may deliberate; not knowing it is in vain. And it is called deliberation; because it is a putting an end to the liberty we had of doing, or omitting, according to our own appetite, or aversion.« (EW 3.48) Der Wille ist der letzte Inhalt dieser Reihe und daher der Inhalt, der ins Dasein tritt. Das Dasein der Handlung ist die Ausführung dieses letzten Inhalts. Auf diese Weise erklärt Hobbes die Einheit der Hand-

3.3 Freiheit und Notwendigkeit

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lung als eine ununterbrochene und notwendige Kette von örtlichen Bewegungen. Hobbes erklärt die Innerlichkeit des handelnden Subjekts als eine Reihe von Affekten. Der letzte Affekt dieser Reihe ist der Wille. Die Willensbewegung ist Abschluss dieser Reihe und zugleich Übersetzung ins Dasein. Die Handlung ist diese durch die Tätigkeit des Willens gesetzte Einheit des Inneren und Äußeren. Hobbes rekonstruiert diese Vereinigung des Subjektiven und des Objektiven als eine Kausalverbindung. Eine Willenstheorie, die die Handlungseinheit durch dieses materialistische Denkmittel (das Kausalitätsverhältnis) begreift, zeigt sich als problematisch nicht nur in der Analyse der inneren Bestimmungen des Subjekts, sondern auch in den technischen Folgen bezüglich der Rechtspraxis. Dies zeigt sich deutlich in den strafrechtlichen Bestimmungen der Handlung, insbesondere in der Unterscheidung zwischen Tat und Handlung, die für die Zurechnung konstitutiv ist. Diese Unterscheidung ist mit dem Gebrauch materialistischer Denkmittel nicht rekonstruierbar. Hobbes unterscheidet drei Arten von Handlung: »voluntary«, »involuntary«, und »mixed actions« (T 62). Die »voluntary action« ist die Handlung, ein Zusammenhang des Wissens und des Wollens. Die »involuntary action« ist hingegen die Tat, die sich »by necessity of nature« vollzieht, z. B.: »when he is pushed, or falleth, and thereby doth good or hurt to another« (ebd.). Die Notwendigkeit der »involuntary action« ist daher ein Kausalzusammenhang. Die »voluntary action« wird jedoch, wie oben gezeigt, auch als ein Kausalund Bewegungszusammenhang begriffen, denn die materialistische Willenstheorie kennt nur die Naturnotwendigkeit des Kausalitätsverhältnisses. Die Unterscheidung zwischen Handlung und Tat ist auf diese Weise nicht rekonstruierbar, denn die Handlung (»voluntary action«) ist ein Zweckzusammenhang, aber die Kategorie von Zweck ist schon auf die Naturnotwendigkeit des Kausalitätsverhältnisses und der Bewegungsvorgänge reduziert worden. Die bisherige Analyse hat gezeigt, wie Hobbes ein begriffliches Mittel des Materialismus (das Kausalitätsverhältnis) für eine Aufgabe des neuen Rechtsdenkens (die Begründung der Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit) verwendet. Abschließend ist zu bemerken, welche Schwierigkeiten sich in der Ausweitung dieses begrifflichen Mittels auf die Sphäre der geistigen Tätigkeiten und ihrer Produkte (insbesondere auf die Sphäre des Rechts) ergeben. In den folgenden Schwierigkeiten zeigt sich, dass der Geltungsbereich dieses Denkmittels sich auf die Erste Philosophie und die Naturphilosophie beschränkt. (1) Die Unvereinbarkeit zwischen dem materialistischen Monismus und dem Dualismus des neuen Rechtsdenkens: Das neue Rechtsdenken erhebt den freien Willen zum Prinzip einer nicht-natürlichen Sphäre, zum Prinzip einer

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3. Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit

Produktionslogik. Es setzt daher einen Dualismus voraus. Die Produktion einer Welt des Rechts durch dieses immanente Prinzip ist nur möglich, wenn dieses Prinzip notwendige Verhältnisse hervorbringen kann. Der neue Standpunkt muss die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit begründen. Für diese Aufgabe verwendet Hobbes materialistische Denkmittel: das Kausalitätsverhältnis (»causa efficiens«) und die Bewegungslehre. Die »causa efficiens« erscheint in der Zeit Hobbes’ als ein guter Kandidat für diese Aufgabe. Dieses Instrumentarium hat jedoch eine Reduktion aller Produkte unserer Geistigkeit auf die Naturnotwendigkeit der mechanischen Modelle zur Folge. Hobbes rekonstruiert die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit durch »natürliche« Zusammenhänge. Dadurch negiert er die Grundvoraussetzung des neuen Rechtsdenkens. Eine adäquate Durchführung des neuen Rechtsdenkens muss die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit rekonstruieren, ohne den Dualismus des neuen Rechtsdenkens zu leugnen. Vorgreifend ist kurz zu bemerken, dass Hegel die Forderung des neuen Rechtsdenkens nach einer Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit deutlich sieht und hervorhebt. Er formuliert diese Forderung in der Philosophie des objektiven Geistes auf folgende Weise: »Die Freiheit, zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, erhält die Form von Notwendigkeit, deren substantieller Zusammenhang das System der Freiheits-Bestimmungen und der erscheinende Zusammenhang als die Macht, das Anerkanntsein, d. i. ihr Gelten im Bewusstsein ist.« (EPW § 484) Er behauptet zugleich, dass diese Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit nicht durch einen materialistischen Monismus zu erklären ist: »Die Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit ist nicht durch die Natur, sondern durch die Freiheit hervorgebracht.« (Ig 1.239) Er rekonstruiert diese Vereinigung durch ein Vermittlungsmodell, durch welches sich ein Dualismus (von Natur und Geist) und ein Monismus (der »Idee«) zusammendenken lässt. Dieses Vermittlungsmodell, das für die geistesphilosophische Durchführung des neuen Rechtsdenkens konstitutiv ist, setzt die Leistung der praktischen Philosophie Kants voraus: die Ausbildung eines angemessenen Instrumentariums für eine begriffliche Trennung von Natur und Freiheit. (2) Die Einheit der subjektiven Prozesse lässt sich nicht durch materialistische Denkmittel rekonstruieren: Die Freiheit ist das »Innerste«, aus dem eine Welt des Rechts fließt. Die basale Objektivierungsform des Willens (die Handlung) ist eine Einheit des Subjektiven und des Objektiven, ein Willenszusammenhang. Der Materialismus hingegen muss die Innerlichkeit und diese Einheitsformen auf Erscheinungsformen der Materie reduzieren. Die inneren Bestimmungen der Subjektivität müssen auf äußere Zusammenhänge zurückgeführt werden: Kausalitätsverhältnis und Bewegungslehre. Für

3.3 Freiheit und Notwendigkeit

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die Durchführung dieses Programms führt Hobbes eine neue Instanz ein: »endeavour«, »conatus«. In der Rekonstruktion der strafrechtlichen Bestimmungen des Handlungsbegriffs (z. B. die Unterscheidung zwischen Handlung und Tat in der Zurechnung) zeigt sich eine allgemeine Schwierigkeit des Materialismus: Die »Innerlichkeit« und die Einheitsformen der geistigen Tätigkeiten und ihrer Produkte lassen sich nicht durch die begrifflichen Mittel des Materialismus angemessen rekonstruieren. Das berechtigte Streben des Materialismus nach einer monistischen Rekonstruktion der Wirklichkeit (»des ursprünglich Einen«) gerät daher in Schwierigkeiten (vgl. EPW § 389, Zusatz). Diese Schwierigkeiten, Hegelsch formuliert, liegen darin, dass die Selbstverhältnisse der Gestalten des Geistes sich nicht auf die Äußerlichkeit der Natur reduzieren lassen. Das berechtigte Moment des Monismus (die Rekonstruktion »des ursprünglich Einen«) lässt sich nicht einseitig geltend machen, denn dieser Wirklichkeitszusammenhang ist durch verschiedene Seinsweisen konstituiert. Dies ist das berechtigte Moment des Dualismus. Darin zeigt sich bereits die Notwendigkeit eines Vermittlungsmodells, das die Einseitigkeit der berechtigten Momente aufheben kann, die von den unterschiedlichen Monismen und Dualismen zur Geltung gebracht werden.

4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft des Naturrechts Die Philosophie bzw. die Wissenschaft ist bei Hobbes eine methodische Wissensform. Die Methode der Wissenschaft besteht im richtigen Gebrauch der basalen Operationen der Vernunft. Die Wissenschaft kann laut Hobbes nur die Inhalte thematisieren, die durch die Operationen der »resolutio« und der »compositio« behandelt werden können. Die Ausdifferenzierung in verschiedene Wissensgebiete wird bei Hobbes durch diese Methode bestimmt. Der Ausgangspunkt eines Wissensgebiets ist ein Phänomen. Die ursprünglichen »Gegebenheiten« (»data«) einer Wissenschaft und ihre richtig formulierte Frage werden bei Hobbes durch »resolutio« gewonnen. Die »resolutio« besteht immer in einem Gedankenexperiment. Hobbes gewinnt die »data« der theoretischen Philosophie (die »Gegebenheiten« des Denkens) durch das Gedankenexperiment einer Vernichtung des Universums: (»ficta universi sublatio«, »annihilatio«, OL 1.81). Dieses Verfahren gilt auch für eine neue Wissenschaft der Neuzeit, die »civil philosophy«, die »scientia civilis« (vgl. OL 2.142). Der Ausgangspunkt dieser Wissenschaft ist die erfahrene Verbindlichkeit der Rechtsverhältnisse. Das Gedankenexperiment, durch welches Hobbes die »data« und die Frage der praktischen Philosophie bestimmt, ist der Naturzustand. Das Resultat der »resolutio« der Rechtsverhältnisse ist eine vorgegebene Menge natürlicher Personen. Diese vorgegebene Menge einzelner Willen ist das Datum der neuen Wissenschaft. Hobbes formuliert dieses Datum in De Cive auf folgende Weise: »At neutro modo intelligetur multitudo habere unam voluntatem a natura datam, sed alius aliam.« (OL 2.217; Hervorh. A.B.) Das Faktum der Wissenschaft des Naturrechts ist daher nicht eine vorgegebene Vereinigung einzelner Willen, sondern eine Menschenmenge. Hobbes formuliert erneut diesen Gedanken im Leviathan: »the multitude naturally is not one, but many« (EW 3.151). Das Faktum der neuen Wissenschaft ist, mit Kant formuliert, der »von Natur zustehende Wille« (AA VI.267), die natürliche Person. Die natürlichen Personen haben die folgenden Eigenschaften (»personal qualities«, EW 3.379): »will«, »reason« und »voice«. Aus dem Zusammenhang des Naturzustands können auch die folgenden »Gegebenheiten« erkannt werden: die »natural equality« (EW 3.141) der Menschen und die natürliche Freiheit aller Einzelwillen. Hobbes definiert die natürliche bzw. gesetzlose Freiheit des Naturzustandes auf folgende Weise: »The right of nature, which writers commonly call jus naturale, is the liberty each man hath, to use his own power, as he will himself, for the preservation of his own nature;

4.1 Der Naturzustand und die rechtserzeugende Einheitsform

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that is to say, of his own life; and consequently, of doing any thing, which in his own judgement, and reason, he shall conceive to be the aptest means thereunto.« (EW 3.116) Durch die Analyse des »Rechts auf alles« im Naturzustand zeigt Hobbes, dass die Gegebenheiten der (von Gott geschaffenen) Natur nicht rechtserzeugend sind: »Natura dedit unicuique ius in omnia: hoc est, in statu mere naturali, sive antequam homines ullis pactis sese invicem obstrinxissent, unicuique licebat facere quaecunque et in quoscunque libebat, et possidere, uti, frui omnibus, quae volebat et poterat.« (OL 2.164 f.; Hervorh. A.B.) Die »Gegebenheit« der Natur im Bereich des Rechts ist das »Recht auf alles« (»ius in omnia«), des Naturzustandes, aber diese »Berechtigung« ist nicht durchsetzungsfähig und daher nichtig. Die Entfaltung der rechtserzeugenden Tätigkeit des Willens erfordert immer eine Willenseinigung.

4.1 Der Naturzustand und die rechtserzeugende Einheitsform Der Naturzustand ist eine einheits- bzw. formlose Mannigfaltigkeit von natürlichen Personen. Da der freie Wille das Prinzip des Rechts und der neuen Wissenschaft ist, muss der Begriff des Naturzustandes auch durch die Tätigkeit des Willens gewonnen werden. Als Zusammenhang des Willens und des Wissens wird der Naturzustand durch ein Willenszeichen konstituiert: »Hereby it is manifest, that during the time men live without a common power to keep them all in awe, they are in that condition which is called war; and such a war, as is of every man, against every man. For war, consisteth not in battle only, or the act of fighting, but in a tract of time, wherein the will to contend by battle is sufficiently known: and therefore the notion of time is to be considered in the nature of war; as it is in the nature of weather. For as the nature of foul weather lieth not in a shower or two of rain; but in an inclination thereto of many days together: so the nature of war consisteth not in actual fighting; but in the known disposition thereto, during all the time there is no assurance to the contrary. All other time is peace.« (EW 3.112 f.; Hervorh. A.B.) Der Naturzustand lässt sich durch die Tätigkeit des freien Willens auf folgende Weise definieren: Die Vernunftbestimmungen des Rechts werden im Naturzustand nur durch die zusammenhangslose Tätigkeit mehrerer einzelner Willen ausgeübt und aus diesem Grund zugleich außer Kraft gesetzt: »To this war of every man, against every man, this also is consequent; that nothing can be unjust. The notions of right and wrong, justice and injustice, have there no place. Where there is no common power, there is no law: where no

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

law, no injustice. Force, and fraud, are in war the two cardinal virtues. Justice, and injustice are none of the faculties neither of the body, nor mind. If they were, they might be in a man that were alone in the world, as well as his senses and passions. They are qualities that relate to men in society, not in solitude. It is consequent also to the same condition, that there be no propriety, no dominion, no mine and thine distinct; but only that to be every man’s that he can get, and for so long as he can keep it. And thus much for the ill condition which man by mere nature is actually placed in; though with a possibility to come out of it, consisting partly in the passions, partly in his reason.« (EW 3.115 f., Hervorh. A.B.) In diesem durch methodische Abstraktion (»resolutio«) charakterisierten Zustand muss die Möglichkeit einer »compositio« bereits sichtbar werden. Die Möglichkeit zeigt sich im Folgenden: Die Freiheits- und Vernunftbestimmungen des Willens bleiben im Naturzustand unwirksam. Diese Unwirksamkeit ist aber nicht konstitutiv für den Willen, sondern nur für eine Willensform, die zusammenhangslose Form der Menschenmenge. Der freie Wille kann andere Gestalten (d. h. andere Vereinigungsformen) gewinnen. Die Möglichkeit der »compositio« liegt darin, dass es »a possibility to come out of it [sc. des Naturzustandes]« gibt. Diese Möglichkeit liegt in der vereinigenden bzw. formbildenden Funktion des Willens. Die Dynamik des Naturzustandes charakterisiert sich durch die folgende Widersprüchlichkeit der Tätigkeit des freien Willens im Zustand der Rechtlosigkeit: Die Freiheitsbestimmungen des Willens sind für die Tätigkeit des Willens konstitutiv. Die Tätigkeit des Willens ist daher notwendigerweise eine Ausübung dieser Vernunftbestimmungen. Die Freiheitsbestimmungen des Willens, sofern sie im Naturzustand ausgeübt werden, bleiben jedoch unwirksam und ungültig. Wirksamkeit und Gültigkeit sind in den Rechtsbestimmungen immer untrennbare Momente, denn das Recht ist eine Wirklichkeitsform des Willens. Die Ausübung dieser Bestimmungen im Naturzustand ist zugleich ihre Negation. Der freie Wille ist im Naturzustand diese Dialektik. Im Gedankenexperiment des Naturzustandes wird daher eine Dialektik des freien Willens dargestellt. In dieser Dialektik wird die Notwendigkeit einer Umgestaltung der Grundbegriffe des Naturrechts dargelegt, denn die traditionellen Instanzen des Naturrechts erweisen sich im Naturzustand als leer, unwirksam und sogar gefährlich. Dies zeigt sich deutlich anhand der folgenden Instanzen des Naturrechts: (1) »ius naturale«, (2) »bonum«, (3) »recta ratio« und »lex naturalis«. Die Hobbessche Umgestaltung des traditionellen Begriffs des »Naturgesetzes« wird unten (siehe 4.2.) anhand der Vertragstheorie thematisiert.

4.1 Der Naturzustand und die rechtserzeugende Einheitsform

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(1) »ius naturale«: Die Tätigkeit des Einzelwillens im Naturzustand ist die Ausübung eines »natürlichen« Rechts (»Recht auf alles«). Das »ius naturale« ist bei Hobbes keine normative Instanz, sondern gesetzlose bzw. unbeschränkte Freiheit: »The right of nature, which writers commonly call jus naturale, is the liberty each man hath to use his own power as he will himself, for the preservation of his own nature; that is to say, of his own life; and consequently, of doing any thing, which in his own judgement and reason, he shall conceive to be the aptest means thereunto.« (EW 3.116, Hervorh. A.B.) Der absolute Rechtsanspruch des Einzelwillens auf Allgemeinheit – das »Recht auf alles« (»ius in omnia«, OL 2.164) – wird durch eine Menschenmenge ausgeübt und dadurch relativiert, denn dieses »Recht auf alles« erweist sich durch die wechselseitige Wirkung dieser Rechtsansprüche als ein Recht auf nichts. (2) »bonum«: In der Tradition des Naturrechts wurde die Naturordnung als eine Güterordnung begriffen. In der Dialektik des Begriffs des Guten im Naturzustand zeigt sich auch die Hobbessche Umgestaltung und Kritik des vormodernen Naturrechts. Aufgrund der »resolutio« der Rechtsverhältnisse charakterisiert sich der Naturzustand durch das »defectum mensurae certae« (OL 2.116). Von den Vernunftbestimmungen des Rechts (z. B. »meum« und »tuum«) lässt sich im Naturzustand lediglich ein privater Gebrauch machen. Die Empfindung des Guten ist der einzige Maßstab im Naturzustand: »in the condition of mere nature, which is a condition of war, private appetite is the measure of good and evil« (EW 3.146). Das Gute ist im Naturzustand ein idiosynkratischer Inhalt. Durch die Dialektik des Naturzustandes zeigt sich der Frieden jedoch als ein allgemeines Gut. Der Frieden ist ein Vernunftgehalt, ein Allgemeines, das von allen einzelnen Willen erkannt werden kann: »all men agree on this, that peace is good« (ebd.). Durch die Dialektik des Guten gewinnt der freie Wille einen allgemeinen Zweck. Hobbes erklärt die Dialektik des Guten im Naturzustand auf folgende Weise: »Nay, the same man, in diverse times, differs from himself; and one time praiseth, that is, calleth good, what another time he dispraiseth, and calleth evil: from whence arise disputes, controversies, and at last war. And therefore so long as a man is in the condition of mere nature, which is a condition of war, private appetite is the measure of good, and evil: and consequently all men agree on this, that peace is good, and therefore also the way or means of peace, which (as I have shown before) are justice, gratitude, modesty, equity, mercy, and the rest of the laws of nature, are good; that is to say, moral virtues; and their contrary vices, evil.« (ebd.; Hervorh. A.B.)« Die Dialektik des Guten endet jedoch nicht mit der Transformation des Guten in ein Allgemeines. Sonst wäre die Produktion der »Objektivität« des Rechts nicht erklärbar. Die Verwirklichung des allgemeinen Zwecks des Friedens ist nur mittels einer bestimmten Vereinigungsform

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

des Willens möglich. Die Erhebung des Guten zu einem sicheren Maßstab erfordert eine bestimmte Einheitsform. Das öffentliche Gut (»public good«, EW 3.166) ist eine in sich differenzierte Vereinigungsform des Willens. Das Gute des Rechtszustandes ist eine konkrete Allgemeinheit. Die Dialektik des Naturzustandes ist daher eine Umgestaltung des Begriffs des Guten: Der idiosynkratische Inhalt des Guten wird zunächst in ein Allgemeines (»peace«) und letztlich in eine konkrete Allgemeinheit (»public good«) umgestaltet. Die Dialektik des Willens im Naturzustand wird jedoch nicht nur im negativen Sinne gedacht. Sie zeigt zugleich die Potentialität des freien Willens: die Erhebung des freien Willens zum Prinzip des Rechts. Die Dialektik des Willens ist zugleich eine Nötigung, aus diesem Zustand herauszugehen: »exeundum esse e statu naturae« (vgl. OL 2.166). Die Charakterisierung dieser Nötigung hängt von dem Begriff des Willens ab, mit dem eine Theorie operiert. Hobbes fasst den Willen als eine Vermischung von Vernunft und Affekten auf. Deswegen liegt die Möglichkeit dieses Auswegs teils in der Vernunft und teils in den Affekten: »And thus much for the ill condition, which man by mere nature is actually placed in; though with a possibility to come out of it, consisting partly in the passions, partly in his reason.« (EW 3.115 f., Hervorh. A.B.) Diese Nötigung kann bei Hobbes nur die subjektive Notwendigkeit eines »counsel« sein. Sie ist eine Klugheitsregel. Solange man in diesem Zustand bleibt, kann man laut Hobbes nicht von Unrecht sprechen: »In such a war nothing is unjust.« (EW 3.115) Der Naturzustand ist der Zustand der Rechtlosigkeit. Die Trennung der Prinzipien der Natur und der Freiheit ermöglicht einerseits die Überwindung ihrer Vermischung im Willensbegriff und andererseits die Rekonstruktion ihrer Vermittlung im Willensbegriff. Kant leistet diese Trennung und formuliert daher einen reinen Begriff des freien Willens. Die Vermittlung der Prinzipien wird von Hegel geleistet. Durch die Kantische Transformation des Begriffs des freien Willens wird auch das Gedankenexperiment des Naturzustandes umgestaltet. Die Forderung, aus dem Naturzustand herauszugehen, erhält die Form eines kategorischen Imperativs, und das Naturzustand zeigt sich als ein Zustand des Unrechts (vgl. AA VI.307 f.). Das Gedankenexperiment des Naturzustandes zeigt sich als ein heuristisches Mittel nicht nur, um die »data« der Wissenschaft des Naturrechts zu erkennen, sondern auch, um eine richtige Formulierung der Frage dieser Wissenschaft zu gewinnen. Der Naturzustand besteht in einer form- bzw. einheitslosen Menschenmenge. Der Naturzustand ist ein rechtloser Zustand. Aus der Dialektik des Naturzustandes entsteht die Nötigung zur Produktion der Verbindlichkeit. Diese Dialektik zeigt, dass die Möglichkeitsbedingung

4.1 Der Naturzustand und die rechtserzeugende Einheitsform

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dieser Produktion nur in der vereinigenden Tätigkeit des freien Willens liegen kann. Die Funktionen des Willens werden durch die verschiedenen Einheitsformen des Willens ausgeübt. Die Willensformen sind funktionale Vereinigungsformen. Die Nötigung des Naturzustandes ist aus diesem Grunde die Forderung zu einer Vereinigung freier Willen, die der Funktion der Rechtserzeugung fähig ist. Die richtig formulierte Frage der »civil philosophy« ist insofern folgende: Wie kann aus einer natürlich gegebenen Menge einzelner Willen eine rechterzeugende Vereinigungsform des freien Willens produziert werden? Da für Hobbes diese Einheitsform die öffentliche Person des Staates ist, formuliert er diese Frage auch auf folgende Weise: Wie kann aus einer natürlich gegebenen Menge natürlicher Personen die öffentliche Person, die Person des Staates erzeugt werden? Das Prinzip des Rechts ist insofern weder der Einzelwille noch eine Menge einzelner Willen. Es besteht in einer Vereinigung freier Willen und ist daher eine Einheitsform. Die rechtserzeugende Funktion des freien Willens erklärt sich aus seiner vereinigenden Tätigkeit. Alle Gestalten und Stufen des Rechts müssen aus diesem Prinzip, aus der vereinigenden Tätigkeit des Willens rekonstruiert werden. Eine Theorie, die das neue Rechtsdenken durchzuführen versucht, muss alle Rechtsgestalten als Vereinigungsformen des freien Willens thematisieren. Daraus erklärt sich, dass der Systembegriff ein begriffliches Mittel für die Durchführungen des neuen Rechtsdenkens ist, wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird. Die Wirklichkeit des Rechts ist eine Einheitsform, in der sich eine interne Differenzierung ausgebildet hat, wie etwa in der von Hobbes thematisierten Gewaltendifferenzierung. Die Antwort auf die Grundfrage der »civil philosophy« muss wesentlich in der Formulierung und Durchführung eines Vernunftmodells bestehen, denn diese Wissenschaft thematisiert die wirkliche Vernunft des Rechts. Das Hobbessche Vernunftmodell lässt sich auf folgende Weise formulieren: Die Geltung und Ausübung der Vernunftbestimmungen ist ohne die Produktion angemessener Verhältnisse nicht möglich. Da diese Verhältnisse künstlich sind, bezeichnet Hobbes dieses Vernunftmodell als »artificial reason« (EW 3.x). Die Gültigkeit der Rechtsbestimmungen erfordert aus diesem Grunde eine Willenserklärung. Die Funktionen der Vernunft erfordern eine Vereinigung von Denken und Anschauung. Die Vernunft ist das Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Eine Theorie, die den freien Willen zum Prinzip des Rechts erhebt, kommt notwendigerweise mutatis mutandis auf eine Formulierung dieses minimalen Vernunftmodells. (3) »recta ratio« und »lex naturalis«: Das Programm des neuen Rechtsdenkens erfordert nun eine Umgestaltung des naturrechtlichen Vernunftbegriffs. Diese Instanz des Naturrechts (»right reason«, »natural reason«) ist bei

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

Hobbes auch der Dialektik des Naturzustandes unterworfen. Diese Dialektik lässt sich auf folgende Weise rekonstruieren: Die Vernunft ist im Naturzustand zunächst nur eine urteilende Tätigkeit über die angemessenen Mittel für die Selbsterhaltung. Die privaten Urteile im Naturzustand werden von anderen Einzelwillen relativiert. Die urteilende Funktion der Vernunft kann im Naturzustand keine Allgemeinheit, keine Verbindlichkeit hervorbringen, denn sie orientiert sich an den unmittelbaren Interessen eines isolierten Einzelwillens: »Quoniam autem jus ad finem frustra habet, cui jus ad media necessaria denegatur, consequens est, cum unuscuisque jus etiam habeat utendi omnibus mediis, et agendi omnem actionem, sine qua conservare se non potest.« (OL 2.164) In der Relativierung der privaten Urteile über die angemessenen Mittel für die Selbsterhaltung entsteht die Forderung der Vernunft nach Frieden. Die Vernunft erkennt die allgemeine Regel für die Ausführung dieses Zwecks: die »dictates of natural reason«. Die Geltung und Ausübung der Regel der »natural reason« erfordern die Produktion einer »artificial reason« (EW 3.x) bzw. »public reason« (EW 3.436). Auf diese Weise formuliert Hobbes ein neues Vernunftmodell: »Ex quo sequitur consensionem plurium, quae consistit in eo tantum quod actiones suas omnes ad eundem finem et bonum commune dirigant, hoc est, societatem mutui tantum auxilii, non praestare consentientibus sive sociis securitatem, quam quaerimus, exercendi inter se ipsos leges naturae supra dictas; sed oportere amplius quiddam fieri, ut qui semel ad pacem et mutuum auxilium causa communis boni consenserint, ne postea, cum bonum suum aliquod privatum a communi discrepaverit, iterum dissentiant, metu prohibentur.« (OL 2.211) Die Dialektik des Vernunftsbegriffs im Naturzustand lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen: Aus der Relativierung der privaten Urteile der Vernunft werden die praktischen Vernunftregeln gewonnen. Die Durchführung dieser Regeln ist die Produktion einer konkreten Allgemeinheit. Die Antwort auf die Grundfrage der »civil philosophy« muss insofern in der internen Logik der Regel der Vernunft gesucht werden. Die »Gesetze« der natürlichen Vernunft sind bei Hobbes Konstruktionsregeln einer Wirklichkeit. Die »civil philosophy« muss die Sachlogik dieser Konstruktionsregel thematisieren: (4.2) das Naturgesetz als die innere Logik des Vertrags und (4.3) der Personbegriff als die innere Logik der Vertretung. Anhand der Analyse dieser Logik wird das Vernunftmodell des Hobbesschen Naturrechts (»artificial reason«) dargestellt. Hobbes’ Dialektik der Grundbegriffe des Naturrechts erklärt sich auch aus der besonderen Position seiner Rechtsphilosophie im geistesgeschichtlichen Zusammenhang des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Hobbes stellt ein neues Prinzip des Rechts auf, aber er fasst dieses immanente Prinzip (den

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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freien Willen) als eine Vermischung von Vernunft und Trieben auf. Deswegen argumentiert er noch mit »natürlichen« Instanzen, mit der »Natur« des Menschen. Die »civil philosophy« setzt eine Anthropologie voraus, die die »Natur« des Menschen vorzufinden vermeint und beschreibt. Hobbes operiert noch mit den »natürlichen« Instanzen des Naturrechts (»recta ratio«, »ius naturale«, »good«, usw.). Diese »natürlichen« Prinzipien des Rechts sind jedoch bei ihm leer und unwirksam, so dass ihre dialektische Dynamik zur Produktion künstlicher Verhältnisse nötigt. Darin liegt die Zweideutigkeit des Hobbesschen Naturrechts. Diese Ambivalenz ist eine Notwendigkeit in der Entwicklung dieser Geschichte des Geistes. Um den neuen Standpunkt als konsequente Denkform zu gewinnen, muss die Zweideutigkeit des Naturbegriffs – die »principles of nature« wie die Affekte (EW 3.202) und die »principles of natural reason« (EW 3.55) – verabschiedet werden. Die Natur ist im Naturrechtsdenken die vorgegebene Ausstattung als auch der Begriff des Menschen. Diese Aufgabe erfordert, wie oben gesagt wurde, zunächst eine Trennung der Prinzipien (der Prinzipien der Natur und des Prinzips der Freiheit) und danach eine adäquate Vermittlung.

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags Die »civil philosophy« muss erklären, wie die Produktion einer rechtssetzenden Einheitsform des freien Willens aus einer Menschenmenge möglich ist. Die natürliche Vernunft erkennt allgemeine Regeln für die Ausführung des Zwecks des Friedens: »laws of nature« bzw. »dictates of natural reason« (EW 3.345). Den Frieden zu suchen, ist (als Mittel der Selbsterhaltung) das erste »Naturgesetz« und der allgemeine Zweck dieser Klugheitsregeln. Da der Ausgangspunkt der «civil philosophy« eine Menschenmenge ist, sind die Menschen als Menge die Adressaten dieser Vernunftregel: »These are the laws of nature, dictating peace, for a means of the conservation of men in multitudes; and which only concern the doctrine of civil society.« (EW 3.144, Hervorh. A.B.) Hobbes definiert das »Naturgesetz« auf folgende Weise: »A law of nature, lex naturalis, is a precept or general rule, found out by reason, by which a man is forbidden to do that, which is destructive of his life, or taketh away the means of preserving the same; and to omit that, by which he thinketh it may be best preserved.« (EW 3.116 f.) Eine erste Antwort auf die Frage der »civil philosophy« kann durch die Analyse der »Naturgesetze« gewonnen werden. Die neue Wissenschaft könnte als eine Analyse des Naturgesetzes (»lex naturalis«) definiert werden. Diese Analyse ergibt sich jedoch als eine radikale Umgestaltung der traditionellen Instanz des Naturrechts, denn sie beschäftigt

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

sich nicht nur mit dem Inhalt der Vernunftregel und ihrer Erkennbarkeit, sondern auch mit den Funktionsbedingungen ihrer Verwirklichung und Stabilisierung. Die Hobbessche Analyse thematisiert die Geltung und Ausübung der natürlichen Gesetze (vgl. OL 2.211). Das »Naturgesetz« ist nicht mehr eine unmittelbar verbindliche Instanz. Die Geltung der Vernunftregeln erfordert die Vermittlung des Willens, d. h. die sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit des Willens. Diese Akzentverschiebung in der Analyse der »lex naturalis« ist die Folge der oben dargestellten Umgestaltung des Begriffs der »recta ratio«. Die Hobbessche Umgestaltung des Begriffs des »Naturgesetzes« durch das neue Vernunftmodell lässt sich auf folgende Weise formulieren: Die Geltung und Ausübung der Vernunftregel (bzw. der »natürlichen« Gesetze) erfordert die Produktion künstlicher Verhältnisse (»artificial chains«, EW 3.198), d. h. positiver Gesetze. Hobbes’ Umgestaltung des Begriffs der »lex naturalis« durch die neue rechtsphilosophische Denkweise lässt sich anhand der folgenden Punkte zeigen: (a) Die »Naturgesetze« sind eigentlich keine Gesetze; (b) Die »Naturgesetze« sind von Zustimmung abhängig: (a) Die »Naturgesetze« sind eigentlich keine Gesetze: Da die Naturgesetze keinen verbindlichen Charakter haben, ist der Terminus »Gesetz« ungeignet: »These dictates of reason, men used to call by the name of laws, but improperly: for they are but conclusions, or theorems concerning what conduceth to the conservation and defence of themselves; whereas law, properly, is the word of him, that by right hath command over others.« (EW 3.147) (b) Die »Naturgesetze« sind von unserer Zustimmung abhängig: Die »natürlichen Gesetze« sind bei Hobbes Vernunftregel. Der Leitfaden dieser Logik ist eine Sachlogik. Deswegen behauptet Hobbes in Elements of law Folgendes: »the law of nature consisteth not in consent of men, but reason« (T 74). Der Vernunftgehalt dieser Sachlogik ist von einer Einwilligung unabhängig. Dies bedeutet aber nicht, dass die Geltung und Wirksamkeit dieser Vernunftbestimmungen von unserer Zustimmung unabhängig sind. Die Verbindlichkeit »vorgegebener« Instanzen, die aufgrund ihrer Seinsweise (die Form des Vorhandenseins) von einer Zustimmung unabhängig sind, ist mit dem Hobbesschen Rechtsdenken unvereinbar. Dies zeigt sich deutlich in der Kontroverse mit Bramhall. Aus der Fähigkeit der »recta ratio«, allgemeine Regeln zu erkennen, zieht Bramhall die Folge, dass es eine natürlich gegebene Verbindlichkeit gibt. Hobbes behauptet hingegen, dass die »Naturgesetze« von unserer Zustimmung abhängig sind: »And whereas he [sc. Bramhall] saith, the law of nature is a law without our assent, it is absurd; for the law of nature is the assent itself that all man give to the means of their own preservation.« (EW 5.180) Es liegt hierin kein Widerspruch mit den oben zitierten Aus-

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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sagen. Die »Naturgesetze« haben die Imperativform »do this« (EW 3.240). Die Geltung der Klugheitsregel ist von einem empirischen Wollen abhängig, denn sie sind »anrähtig« (AA 5.36). Darin liegt die Relevanz der Hobbesschen Unterscheidung zwischen »counsel« und »command«. Die Befolgung eines Ratschlages ist von unseren Interessen, von unserem Wollen abhängig: »Counsel is where a man saith, ›do‹, or ›do not this‹, and deduceth his reasons from the benefit that arriveth by it to him to whom he saith it. And from this it is evident that he that giveth counsel pretendeth only, whatsoever he intendeth, the good of him, to whom he giveth it.« (EW 3.241) Das Gedankenprinzip des freien Willens verfällt in eine Mannigfaltigkeit »natürlicher« Prinzipien (»principles of natural reason«. EW 3.254). Die mannigfaltigen »Naturgesetze« sind jedoch in einer Sachlogik vereinigt. Der Vernunftgehalt der natürlichen »Gesetze« ist die innere Logik des Vertrags, wie sich in der Analyse dieser mannigfaltigen Vernunftregel zeigt, wie etwa dem Gebot: »pacta sunt servanda«. Im zweiten »Naturgesetz« zeigt sich deutlich, warum Hobbes behauptet, dass die Naturgesetze von unserer Einwilligung abhängig sind: »From this fundamental law of nature, by which men are commanded to endeavour peace, is derived this second law; that a man be willing, when others are so too, as far-forth, as for peace, and defence of himself he shall think it necessary, to lay down this right to all things; and be contented with so much liberty against other men, as he would allow other men against himself.« (EW 3.117 f.) Das »Naturgesetz« hat als Klugheitsregel die Form eines Konditionalsatzes: Wenn du dies willst, tue dies. Der Adressat des »Naturgesetzes« ist »a man be willing«. Die Notwendigkeit des »Naturgesetzes« hängt daher von unserer Zustimmung ab. Es ist jedoch nicht nur durch das empirische Wollen eines Einzelwillens (Frieden und in letzter Instanz Selbsterhaltung), sondern auch durch das Wollen von mehreren einzelnen Willen vermittelt. Der Adressat des Naturgesetzes ist, genauer gesagt, »a man be willing, when others are so too«. Sie sind in diesem Sinne von unserer Einwilligung abhängig. Im Bereich der Religionspolitik wird dieselbe Problematik erneut thematisiert, wie sich in Kapitel 7 der vorliegenden Untersuchung zeigen wird: Ist das »Gesetz Gottes« von unserer Einwilligung abhängig? Sind die Gesetze der Bibel von unserer Zustimmung abhängig? Daher formuliert Hobbes die folgende Frage: »by what authority they [sc. the Scriptures] are made law? (EW 3.378) Durch welche Autorität wird die Bibel zum Gesetz gemacht? Wer ist der Urheber der Verbindlichkeit dieser Gesetze? Das zweite »Naturgesetz« stellt die Hobbessche Auffassung der Selbstbindung des Einzelwillens als Selbstbeschränkung, als ein Freiheitsverzicht dar: »To lay down a man’s right to any thing, is to divest himself of the liberty, of hindering another of the benefit of his own right to the same.« (EW 3.118)

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Hobbes begreift die Selbstbindung als die Produktion eines künstlichen Verhältnisses. Deswegen ist ein künstliches Verhältnis laut Hobbes immer eine Pflicht, während das Recht immer die Form des Vorhandenseins hat. Die Rechte seien, im Gegensatz zu Pflichten, ein Rest der »natürlichen« bzw. gesetzlosen Freiheit (des ursprünglichen »Recht auf alles« ): »For he that renounceth, or passeth away his right, giveth not to any other man a right which he had not before; because there is nothing to which every man had not right by nature: but only standeth out of his way that he may enjoy his own original right, without hindrance from him; not without hindrance from another. So that the effect which redoundeth to one man by another man’s defect of right is but so much diminution of impediments to the use of his own right original.« (ebd.; Hervorh. A.B.) Nur die Pflichten haben die Form des Geltens. Daher versteht sich von selbst, was Hobbes unter »translation of the right« versteht. Hobbes erklärt die »translation« nicht als Wechsel des Trägers von einem künstlichen gleichbleibenden Recht. Die »translation« ist die Selbstbeschränkung der ursprünglichen bzw. natürlichen Freiheit zugunsten einer anderen Person. Die Selbstbeschränkung des Willens vollzieht sich mittels einer Willenserklärung, mittels eines Willenszeichens: »The way by which a man either simply renounceth, or transferreth his right is a declaration, or signification, by some voluntary and sufficient sign, or signs, that he doth so renounce or transfer; or hath so renounced, or transferred the same, to him that accepteth it. And these signs are either words only, or actions only; or, as it happeneth most often, both words and actions.« (EW 3.119; Hervorh. A.B.) Die Gültigkeit und Wirksamkeit der »Naturgesetze« erfordern daher die folgenden Momente der Tätigkeit des freien Willens: Zustimmung, Selbstbeschränkung und Willenserklärung. In der Erörterung des zweiten »Naturgesetzes« stellt Hobbes die wesentlichen Elemente seiner Vertragstheorie dar: »The mutual transferring of right, is that which men call contract.« (EW 3.120) Hobbes begreift den Vertrag durch sein Vernunftmodell. Die Vernunft des Vertrags ist das Zusammenwirken von Denken und Anschauung: die »signs of contract« (EW 3.121). Die Gültigkeit des Vertrags erfordert auch Funktionen des Willens, die das Vertragsverhältnis stabilisieren: Die Vernunft ist eine stabilisierende Instanz und ein funktionaler Zusammenhang. Das Spezifikum der Hobbesschen Vertragstheorie lässt sich daher (I) durch die Analyse der »signs of contract« und (II) durch die Ableitung der mit der Gültigkeit und Wirksamkeit des Vertrags verbundenen Funktionen zeigen.

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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(I) Die Analyse der »signs of contract« Die Zeichen des Vertrags setzen die basalen Bestimmungen des Willenszeichens, der Willenserklärung voraus. Wesentliche Merkmale der »Zeichen des Vertrags« sind folgende: (a) Der Vertrag als mehrseitiges Rechtsgeschäft erfordert eine Annahmeerklärung. Da dieses Rechtsverhältnis (Antrag und Annahmeerklärung) empirische Wirklichkeitsmomente enthält, werden die Tiere und Gott aus der Welt des Rechts ausgeschlossen: »To make covenants with brute beasts, is impossible; because not understanding our speech, they understand not, nor accept of any translation of right; nor can translate any right to another: and without mutual acceptation, there is no covenant. To make covenant with God, is impossible, but by mediation of such as God speaketh to, either by revelation supernatural or by His lieutenants that govern under him, and in his name: for otherwise we know not whether our covenants be accepted or not. And therefore they that vow anything contrary to any law of nature, vow in vain; as being a thing unjust to pay such vow. And if it be a thing commanded by the law of nature, it is not the vow, but the law that binds them.« (EW 3.125 f.; Hervorh. A.B.) Das Recht ist daher eine Wirklichkeitsform des Wissens, die als solche die Produktion empirischer Verhältnisse erfordert. (b) Die Willenserklärung in einem Vertrag ist ein gegenwärtiges Dasein, und sie ist daher gültig und verbindlich, obwohl die Leistung in zukünftigen Handlungen bestehen kann: »In contracts, the right passeth, not only where the words are of the time present, or past, but also where they are of the future: because all contract is mutual translation, or change of right; and therefore he that promiseth only, because he hath already received the benefit for which he promiseth, is to be understood as if he intended the right should pass: for unless he had been content to have his words so understood, the other would not have performed his part first. And for that cause, in buying, and selling, and other acts of contract, a promise is equivalent to a covenant; and therefore obligatory.« (EW 3.122 f.; Hervorh. A.B.) (c) Die Zeichen des Vertrags sind nur gültig, wenn sie veräußerliche Rechte (»alienable«) übertragen. Die unveräußerlichen Rechte sind solche Rechte, die von der ursprünglichen Spontaneität des Willens untrennbar sind. Sie können nicht verloren werden und stehen daher nicht zur Disposition. Hobbes interpretiert die Spontaneität des Willens aus materialistischen Prinzipien. Deswegen fasst er die Spontaneität des Willens als Selbsterhaltung auf: »A covenant not to defend myself from force, by force, is always void. For, as I have showed before, no man can transfer, or lay down his right to save himself from death, wounds, and imprisonment, the avoiding whereof is the only

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end of laying down any right; and therefore the promise of not resisting force, in no covenant transferreth any right, nor is obliging.« (EW 3.127; Hervorh. A.B.) Die Rechtsverhältnisse gelten nur als Willensverhältnisse, als Produkte der Spontaneität des Willens. (d) Die Zeichen des Vertrags erhalten ihre Verbindlichkeit und Wirksamkeit aus der Tätigkeit des freien Willens. Andere Prinzipien sind in diesem Zusammenhang überflüssig: »It appears also that the oath adds nothing to the obligation. For a covenant, if lawful, binds in the sight of God, without the oath, as much as with it; if unlawful, bindeth not at all, though it be confirmed with an oath.« (EW 3.130) Dieses Wissen über die selbständige Wirksamkeit und Gültigkeit der Tätigkeit des Willens erfordert einen geschichtlichen »Lernprozess«, der sich vor allem in der Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege vollzogen hat. Wenn die religiösen Verbindungen nicht mehr wirksam sind, kann die Wirksamkeit des freien Willens erkannt und anerkannt werden. Die Willenserklärung ist eine minimale Vereinigungsform von Denken und Anschauung. Alle Gestalten des freien Willens sind eine Zusammenwirkung von Denken und Anschauung, von Allgemeinem und Seiendem. Daraus entsteht die Möglichkeit eines daseienden Widerspruchs. Der Widerspruch und die Forderung nach Widerspruchsfreiheit sind daher reale Gestalten der Welt des Rechts. Da die Welt des Rechts aus immanenten Prinzipien (aus der Spontaneität des freien Willens) fließt, stellt Hobbes den realen Widerspruch innerhalb des Rechtszustandes als Selbstwiderspruch dar: »Widerspruch gegen den ›Leviathan‹ ist generell Selbstwiderspruch.« (Willms 1987, 214) Diese Gestalten eines realen Selbstwiderspruchs setzen daher den Begriff der Gerechtigkeit voraus. Nach der Analyse der Zeichen des Vertrags formuliert Hobbes eine Forderung der Logik des Vertrags (»pacta sunt servanda«, das dritte Naturgesetz) und gewinnt dadurch den Begriff der Gerechtigkeit: »From that law of nature, by which we are obliged to transfer to another, such rights as, being retained, hinder the peace of mankind, there followeth a third; which is this: that men perform their covenants made: without which, covenants are in vain, and but empty words; and the right of all men to all things remaining, we are still in the condition of war. And in this law of nature, consisteth the fountain and original of justice. For where no covenant hath preceded, there hath no right been transferred, and every man has right to everything and consequently, no action can be unjust. But when a covenant is made, then to break it is unjust: and the definition of injustice, is no other than the not performance of covenant. And whatsoever is not unjust, is just.« (EW 3.130 f.; Hervorh. A.B.)

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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Hobbes thematisiert den Selbstwiderspruch sowohl (a) als eine Daseinsform der Freiheit (das Unrecht) als auch (b) als eine Gestalt des Rechtsbewusstseins, als eine verfehlte Vorstellung der Gerechtigkeit (die Figur des »fool«): Ad (a) Das Unrecht: Hobbes formuliert den Zusammenhang zwischen der Verbindlichkeit des Vertrags und der Möglichkeit eines daseienden Widerspruchs des Willens auf folgende Weise: »Right is laid aside, either by simply renouncing it; or by transferring it to another. By simply renouncing; when he cares not to whom the benefit thereof redoundeth. By transferring; when he intendeth the benefit thereof to some certain person, or persons. And when a man hath in either manner abandoned, or granted away his right; then is he said to be obliged, or bound, not to hinder those, to whom such right is granted, or abandoned, from the benefit of it: and that he ought, and it is duty, not to make void that voluntary act of his own: and that such hindrance is injustice, and injury, as being sine jure; the right being before renounced, or transferred. So that injury, or injustice, in the controversies of the world, is somewhat like to that, which in the disputations of scholars is called absurdity. For as it is there called an absurdity, to contradict what one maintained in the beginning; so in the world it is called injustice, and injury voluntarily to undo that, which from the beginning he had voluntarily done. « (EW 3.118 f.; Hervorh. A.B.) In der lateinischen Version des Leviathan formuliert Hobbes deutlicher das Verhältnis zwischen der setzenden Tätigkeit des freien Willens und dem daseienden Widerspruch: »Quibus autem lex ponitur, illis solis lex est. Neque injustum facit quisquam, quod non sit contra legem ipsi positam.« (OL 3.197; Hervorh. A.B.) Der Widerspruch des Unrechts ist also ein durch die Tätigkeit des Willens gesetztes Dasein. Ad (b) Die Figur des »fool«: »The fool« ist bei Hobbes eine Gestalt des Rechtsbewusstseins, die eine verfehlte Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit verkörpert. Die Insuffizienz dieser Vorstellung der Gerechtigkeit zeigt sich darin, dass sie sich durch den folgenden Selbstwiderspruch charakterisiert: »The fool hath said in his heart, there is no such thing as justice; and sometimes also with his tongue; seriously alleging, that every man’s conservation, and contentment, being committed to his own care, there could be no reason, why every man might not do what he thought conduced thereunto: and therefore also to make, or not make; keep, or not keep covenants, was not against reason, when it conduced to one’s benefit. He does not therein deny, that there be covenants; and that they are sometimes broken, sometimes kept; and that such breach of them may be called injustice, and the observance of them justice: but he questioneth, whether injustice, taking away the fear of God, for the same fool hath said in his heart there is no God, not sometimes

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stand with that reason, which dictateth to every man his own good; and particularly then, when it conduceth to such a benefit, as shall put a man in a condition, to neglect not only the dispraise, and revilings, but also the power of other men.« (EW 3.132; Hervorh. A.B.) »The fool« setzt die Geltung des Zeichens als eine funktionale Vereinigung von Denken und Anschauung voraus, indem er seinen Gedanken äußert: »The fool hath said in his heart, there is no such thing as justice, and sometimes also with his tongue« (Hervorh. A.B.). Er negiert zugleich die Geltung dieser Zusammenwirkung von Denken und Anschauung, indem er die Verbindlichkeit des Vertrags, die durch Willenserklärungen erzeugt wird, von der Nützlichkeit ihrer Befolgung abhängig macht. Das Prinzip des Rechts ist damit nicht die Nützlichkeit, sondern der freie Wille. Und die interne Logik der objektivierenden Tätigkeit des freien Willens konstitutiert die immanenten Vernunftstrukturen des Rechts.

(II) Ableitung der mit der Geltung und Wirksamkeit des Vertrags verbundenen Funktionen Anhand der Selbstbeschränkung der Freiheit rekonstruiert Hobbes die Erzeugung sowohl des Vertragsrechts als auch des ausschließenden Daseins des Eigentums. Das Eigentumsrecht ist ein Aufbau von Momenten: Besitznahme, Anerkennungsverhältnis und Sicherung. Die Geltung des Eigentums erfordert weitere Bestimmungen einer funktionalen Einheitsform des Willens. Im neuzeitlichen Rechtsdenken sind die Gültigkeit und die Wirksamkeit der Freiheitsbestimmungen untrennbar. Das neuzeitliche Rechtsdenken muss die Geltung eines Daseins des freien Willens rekonstruieren, das sich in seiner Wirksamkeit erhält. Daher ist die Vernunft, die das alleinige Rechtsprinzip ist, eine stabilisierende Instanz. Die Geltung und Erhaltung eines Daseins der Freiheit (z. B. des Eigentums) werden durch einen Mechanismus (die »Staatsmaschine« bei Hobbes) ermöglicht. Die Geltung aller Rechtsverhältnisse ist nur durch die Herausbildung von Institutionen möglich, die der Ausübung von bestimmten Funktionen (Gesetze erlassen, Urteilen, Bestrafen usw.) fähig sind. Die Geltung der Rechtsgestalten erfordert die Wirkung dieses Systems von Funktionen, die die staatlichen Befugnisse ausmachen. Hobbes formuliert diesen Gedanken deutlich bezüglich des Eigentums auf folgende Weise: »So that the nature of justice, consisteth in keeping of valid covenants: but the validity of covenants begins not but with the constitution of a civil power, sufficient to compel men to keep them: and then it is also that propriety begins.« (EW 3.131)

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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Nach der Rekonstruktion des Vertrags durch die sich selbst beschränkende Tätigkeit des freien Willens leitet Hobbes die Funktionen eines allgemeinverbindlichen Willens ab, die mit der Selbstbeschränkung der Freiheit notwendig verbunden sind. Das Resultat dieser Ableitung ist eine einheitliche Gewalt, in der sich jedoch eine interne funktionale Differenzierung (z. B. eine Differenzierung in Ministerien, siehe unten 5.2.) herausbildet hat. Dieser funktionale Zusammenhang wirkt als ein einheitlicher Mechanismus. Die genetische Ableitung der Funktionen dieses Mechanismus lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen: Die Selbstbeschränkung der Freiheit erfordert die Funktion der Gesetzgebung, denn die Naturgesetze »are not properly laws, but qualities that dispose men to peace and to obedience« (EW 3.253). Die Gesetze sind jedoch gültig und wirksam nur, wenn sie durch eine künstliche Steuerung der Lust und Unlust (Strafe und Belohnung, siehe unten 5.1) begleitet sind, denn »the laws are of no power to protect them, without a sword in the hands of a man, or men, to cause those laws to be put in execution« (EW 3.199). Die Selbstbeschränkung der Freiheit ist daher auch mit der strafenden Funktion verbunden: »Therefore before the names of just, and unjust can have place, there must be some coercive power, to compel men equally to the performance of their covenants, by the terror of some punishment, greater than the benefit they expect by the breach of their covenant; and to make good that propriety, which by mutual contract men acquire in recompense of the universal right they abandon: and such power there is none before the erection of a commonwealth.« (EW 3.131) Die Gesetze sind eine Wirklichkeit des Wissens und erfordern als solche eine Interpretation, d. h. die urteilende Funktion. Es wurde oben gezeigt, dass das Urteil des Willens der Dialektik des Naturzustandes unterworfen ist. Der Naturzustand lässt sich als der Zustand definieren, in dem alle Einzelwillen als »arbitrator« agieren. Aus dieser Dialektik folgt die Nötigung eines »public judge« (EW 3.714). Die Selbstbeschränkung der Freiheit ist daher von der richterlichen Funktion untrennbar. Da diese Funktion aus der inneren Logik des Vertrags folgt, verleiht Hobbes ihr die Dignität eines Naturgesetzes: »And therefore it is of the law of nature, that they that are at controversy, submit their right to the judgement of an arbitrator.« (EW 3.143) Aus diesem funktionalen Zusammenhang erklärt sich eine paradoxe Forderung der Hobbesschen »civil philosophy«: Aus dem Prinzip des freien Willens ist eine »absolute« Gewalt abzuleiten. Dieses paradoxe Forderung lässt sich aus zwei Perspektiven formulieren: (1) aus der Perspektive der Logik des Vertrags und (2) aus der Perspektive der Autonomie als Selbstbeschränkung. Ad (1) Sie ist eine paradoxe Forderung der inneren Logik des Vertrags. Die Geltung und Verbindlichkeit der Verträge – »validity of covenants« (EW

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

3.131), »obligation by covenant« (EW 3.138) – haben eine bestimmte Art von Vertrag als ihre Voraussetzung: einen Vertrag, aufgrund dessen die natürlichen Personen dazu verpflichtet sind, auf bestimmte »natürliche« Rechte zugunsten einer künstlichen Person zu verzichten. Die Willenseinigung der Verträge ist unwirksam, wenn sie nicht durch die untrennbaren Funktionen der öffentlichen Person stabilisiert wird. Das Korrelat dieses Systems von untrennbaren Funktionen, das den allgemeinverbindlichen Willen des Staates ausmacht, ist laut Hobbes die »simple obedience« des Untertanen (EW 3.343). Ad (2): Die Autonomie wird als Selbstbindung des Einzelwillens begriffen. Die Selbstbindung besteht bei Hobbes in einer Selbstbeschränkung der »natürlichen« Freiheit. Diese Genese der Rechtsverhältnisse hat zwei Folgen: (a) Die Verbindlichkeit der Gehorsamspflicht beruht auf der Einwilligung des Bürgers, der auf ihre Freiheit zugunsten des Inhabers der Souveränität verzichtet hat. (b) Die »natürliche« Freiheit der öffentlichen Person ist unbeschränkt, denn er ist kein Vertragspartner und macht daher keinen Freiheitsverzicht. Der »Souverän« hat noch ein »Recht auf alles«. Die Wahrheit dieses Paradoxons des neuzeitlichen Rechtsdenkens liegt darin, dass die Gültigkeit und Ausübung der Freiheitsbestimmungen die Produktion einer systematischen Einheit, die Konstruktion der allgemeinen Objektivität erfordern. Der freie Wille ist nicht als Einzelwille, sondern als ein allgemeinverbindlicher Wille das Prinzip des Rechts. Der allgemeinverbindliche Wille wird durch die Einwilligung aller Bürger konstituiert, denn der Wirklichkeitszusammenhang des Rechts ist – mit den Worten Hegels formuliert – das »Tun aller« (GW 9.239). Trotz dieser Einwilligung aller Bürger ist das Recht nicht eine subjektive Vernunft, sondern die wirkende Vernunft einer Welt. Die Vernunft des Rechts ist daher eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität, wobei die Objektivität das übergreifende Moment ist: Die Objektivität bestimmt das Recht. In der Hobbesschen Vertragstheorie erhalten, wie oben gesagt wurde, Grundbegriffe des Naturrechts (»recta ratio« und »lex naturalis«) eine radikale Transformation. Als Immunisierung gegen den traditionellen Gebrauch dieser Termini behauptet Hobbes deutlich am Ende der Aufzählung der Naturgesetze, dass die Naturgesetze keine Gesetze sind, und definiert anschließend, was ein Gesetz ist: »These dictates of reason, men used to call by the name of laws, but improperly: for they are but conclusions, or theorems concerning what conduceth to the conservation and defence of themselves; whereas law, properly, is the word of him that by right hath command over others.« (EW 3.147) Eine vollständige Charakterisierung dieser Sachlogik erfordert daher die Thematisierung des Verhältnisses von »Naturgesetz«

4.2 Das »Naturgesetz« als die innere Logik des Vertrags

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und (positivem) Gesetz. Dies ist der Inhalt des Kap. 26 des Leviathan (»Of civil laws«). Hobbes thematisiert dieses Verhältnis durch die Termini »Billigkeit« (»equity«) und Gerechtigkeit (»justice«). Bezüglich seines Modells des Verhältnisses von Naturgesetz und positivem Gesetz sind bereits in Kap. 14–15 des Leviathan einige wichtige Aspekte zu betonen: (a) Hobbes behauptet mit Recht, dass das Dasein des positiven Gesetzes ein notwendiges Wirklichkeitsmoment der Geltung und Ausübung der »natürlichen Gesetze« (d. h. der Vernunftbestimmungen) ist. Er geht noch einen Schritt weiter und behauptet, dass die »natürlichen« und die staatlichen Gesetze (»civil laws«) sich wechselseitig ergänzen und bestätigen: »The law of nature therefore is a part of the civil law in all commonwealths of the world. Reciprocally also, the civil law is a part of the dictates of nature.« (EW 3.253) Da die »natürlichen Gesetze« eigentlich keine Gesetze sind, können die natürlichen und staatlichen Gesetze nicht in Kollision kommen. Das positive Gesetz ist der einzig mögliche Maßstab des Rechts. Deswegen kann von ungerechten Gesetzen laut Hobbes nicht die Rede sein. Dieses Modell hat jedoch die folgende Schwierigkeit: Der Inhalt der staatlichen Gesetze kann unvernünftig sein und daher mit den Vernunftbestimmungen des »Naturgesetzes« unvereinbar werden. Die Problematik des Verhältnisses von Vernunft und Positivität wird in 6.3. weiter thematisiert. (b) Die Geltung der »Naturgesetze« erfordert die Erzeugung künstlicher Verhältnisse. Die Gesetze sind eine Willenserklärung der öffentlichen Person: »Civil law, is to every subject, those rules, which the commonwealth hath commanded him, by word, writing, or other sufficient sign of the will, to make use of, for the distinction of right and wrong; that is to say, of what is contrary, and what is not contrary to the rule.« (EW 3.251) Die Geltung und Wirkung der »Vernunftgesetze« erfordert die empirischen Verhältnisse des positiven Gesetzes: »But as men, for the attaining of peace, and conservation of themselves thereby, have made an artificial man, which we call a commonwealth; so also have they made artificial chains, called civil laws, which they themselves, by mutual covenants, have fastened at one end, to the lips of that man, or assembly, to whom they have given the sovereign power, and at the other to their own ears.« (EW 3.198) Die Vereinigung von »Naturgesetz« und positivem Gesetz (bzw. Billigkeit und Gerechtigkeit) ist auch eine funktionale Vereinigung von Denken und empirischer Anschauung. Deswegen definiert Hobbes den Staat als »visible power« (EW 3.153). Die Grundfrage der »civil philosophy« wurde auf folgende Weise formuliert: Wie kann eine rechtssetzende Willenseinheit aus einer Menge einzelner Willen erzeugt werden? Wie kann eine öffentliche Person aus einer Menge natürlicher Personen erzeugt werden? Von der Analyse der »Naturgesetze«

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

ausgehend lässt sich eine erste Antwort auf diese Frage gewinnen. Die Erzeugung und Erhaltung dieser Vereinigung freier Willen lässt sich als die Ausübung der internen Logik des Vertrags erklären. Die Vernunftregeln dieser Logik sind mit bestimmten Funktionen (Gesetzgeben, Urteilen, Bestrafen usw.) verbunden. Diese Funktionen bestehen in der Produktion von künstlichen und empirischen Verhältnissen. Geltung und Ausübung der ganzen Logik führen zu einer systematischen Vereinigung dieser Funktionen. Diese aus der Logik des Vertrags sich ergebende Einheit ist die rechtserzeugende Willenseinheit, der allgemeinverbindliche Wille. Sobald eine erste Antwort auf die Frage der »civil philosophy« gewonnen ist, können die wichtigsten Aspekte des Vernunftmodells der Hobbesschen Rechtsphilosophie zusammengefasst werden: (a) Die Vernunft als »artificial reason«: Hobbes operiert in der »civil philosophy« mit dem folgenden Vernunftmodell. Die Geltung und Ausübung der Vernunftbestimmungen (der immanenten Rechtsbestimmungen) erfordern die Produktion künstlicher Verhältnisse (»artificial chains«). Die künstlichen Verhältnisse des Staates sind die Ausübung unserer Vernunft. Die Vernunft des Rechts ist eine Produktionslogik. (b) Die Vernunft als Zusammenwirken von Denken und Anschauung: In der Analyse der Willenserklärung und des Vertrags hat sich die Vernunft als eine funktionale Vereinigung von Vernunftbestimmungen und empirischen Verhältnissen erwiesen. Diese empirischen Verhältnisse sind konstitutive Wirklichkeitsmomente der immanenten Logik des Rechts. Die Wirklichkeit des Rechts ist ein Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Daraus erklärt sich die Hauptrolle der Zeichentheorie im neuen Rechtsdenken. (c) Die Vernunft als eine stabilisierende Instanz: Erzeugung und Erhaltung, Geltung und Wirksamkeit der Vernunftbestimmungen sind untrennbare Momente des Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts. Das Recht ist ein Wirkliches und Geltendes. Diese Momente wirken durch denselben Mechanismus (die funktionale Einheit der »Staatsmaschine«). Diese Charakterisierung der Vernunft wird in Kapitel 6 der vorliegenden Untersuchung (»Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen«) weiter ausgeführt.

4.3 Der Personbegriff als die innere Logik der Vertretung Nach der Analyse der inneren Logik des Vertrags thematisiert Hobbes eine andere Sachlogik, die mittels desselben Vernunftmodells rekonstruiert wird. Er thematisiert diese Logik anhand des Personbegriffs: »A person, is he, whose words or actions are considered, either as his own, or as representing

4.3 Der Personbegriff als die innere Logik der Vertretung

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the words or actions of another man, or of any other thing, to whom they are attributed, whether truly or by fiction.« (EW 3.147) Die Person wird einerseits durch die Zurechnungsfähigkeit bestimmt: »A person is he whose words or actions are considered […] as his own«. Die Selbstbindung des freien Willens, die Selbstbestimmung, die die Person ausmacht, ist der Boden der Sphäre des Rechts. Die Person wird andererseits durch das Vertretungsverhältnis definiert: »A person is he whose words or actions are considered […] as representing the words or actions of another man, or of any other thing to whom they are attributed, whether truly or by fiction.« Damit bezieht Hobbes einen neuzeitlichen Gedanken in die Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts ein, der etwa von Rousseau formuliert wird: »L’idée des représentants est moderne: elle nous vient du gouvernment féodal, de cet inique et absurde gouvernment dans lequel l’espèce humaine est dégradée, et où le nom d’homme est en déshonneur. Dans les anciennes républiques, et même dans les monarchies, jamais le peuple n’eut des représentants; en ne connaissait pas ce mot-là.« (Contrat social, III, 15) Diese Logik setzt die Logik des Vertrags voraus: »And therefore all that hath been said formerly, (chap. XIV) of the nature of covenants between man and man in their natural capacity, is true also when they are made by their actors, representers, or procurators, that have authority from them, so far forth as is in their commission, but no further.« (EW 3.148 f.) Die Logik dieses Verhältnisses enthält die folgenden Funktionen: (a) die Autorisierung, (b) die gesetzliche Vertretung und (c) die Vermittlung der Interessen. Jede Funktion lässt sich als ein weiterer Schrit in der Expansion der Logik der Vertretung interpretieren. Ad (a) Die Autorisierung: Die Autorisierung ist die Erzeugung des Vertretungsverhältnisses durch die privatautonome Gestaltungsmöglichkeit der natürlichen Person. Die Autorisierung erfordert die Willenserklärung des Urhebers (»author«). Diese Autonomie zeigt sich in der Selbstbindung der natürlichen Person: »And as the right of possession, is called dominion; so the right of doing any action, is called authority. So that by authority, is always understood a right of doing any act; and done by authority, done by commission or license from him whose right it is.« (EW 3. 148; Hervorh. A.B.) Hobbes stellt die Regel des Vertretungsverhältnisses dar. Er thematisiert die Figur des »falsus procurator« (Vertreter ohne Vertretungsmacht) und die daraus folgende Unwirksamkeit der abgeschlossenen Verträge: »For no man is obliged by a covenant, whereof he is not author; nor consequently by a covenant made against, or beside the authority he gave.« (EW 3.149; Hervorh. A.B.) Das Verhältnis der Autorisierung ist nur wirksam, wenn es bekannt gemacht wird, denn die Rechtsverhältnisse gelten nur als eine Zusammenwirkung

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

von Denken und Anschauung: »And he that maketh a covenant with the author, by mediation of the actor, not knowing what authority he hath, but only takes his word; in case such authority be not made manifest unto him upon demand, is no longer obliged: for the covenant made with the author is not valid without his counter-assurance.« (EW 3.149) Ad (b) Die gesetzliche Vertretung: Es wurde gezeigt, dass die leblosen Dinge, die Tiere und Gott nicht Vertragspartner sein können, denn der Vertrag ist ein mehrseitiges Rechtsgeschäft und als solches erfordert er eine Annahmeerklärung. Die Autorisierung erfordert auch die Willenserklärung des »author«. Leblose Dinge, Zurechnungsunfähige, und »false gods« (EW 3.150) können daher laut Hobbes eine Person nicht autorisieren. Der »wahre Gott« ist Urheber (»author«), aber er »declares his will supernaturally« (EW 3.105). Die Rechtsgestalt der Autorisierung erfordert das Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Daher erzeugt die übernatürliche »Erklärung« des »Willens« Gottes kein Rechtsverhältnis. Die Instanzen, die der Autorisierung nicht fähig sind, können jedoch in das Vertretungsverhältnis eingehen: »There are few things, that are incapable of being represented by fiction.« (EW 3.149) Die Geltung und Wirksamkeit dieses zweiten Schritts in der Expansion des Vertretungsverhältnisses machen jedoch zusätzliche Bedingungen nötig. Die Ausübung und Geltung dieser Vernunftbestimmungen sind nur durch künstliche Verhältnisse möglich. Die allgemeine Bedingung dieser Ausweitung der inneren Logik des Vertretungsverhältnisses ist das Urteil der öffentlichen Person (»public person«). Daher kann die Vertretung als eine gesetzliche Vertretung bezeichnet werden. Die Stellvertretung von leblosen Dingen und Zurechnungsunfähigen ist nur möglich durch die »Herrschaft über Dinge und Personen« (»dominion of persons«, EW 3.150). Der Unterschied von Mein und Dein gilt nur als Urteil der öffentlichen Person. Diese Problematik einer Autorität im Namen Gottes (bzw. einer Stellvertretung Gottes) wird in Kap. 7 der vorliegenden Untersuchung weiter thematisiert. Ad (c) Die Vermittlung der Interessen: Die Autorisierung ist die Ausübung dieser Logik durch die Autonomie einer natürlichen Person. Die gesetzliche Vertretung ist die Ausübung dieser Logik durch das Urteil der öffentlichen Person. Die Autorisierung einer Menschenmenge zugunsten einer Person ist eine weitere Expansion dieser Logik, durch welche sich eine Vereinigung freier Willen rekonstruieren lässt: »A multitude of men, are made one person, when they are by one man, or one person, represented; so that it be done with the consent of every one of that multitude in particular. For it is the unity of the representer, not the unity of the represented, that maketh the person one. And it is the representer that beareth the person, and but one person: and unity cannot otherwise be understood in multitude.« (EW 3.151;

4.3 Der Personbegriff als die innere Logik der Vertretung

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Hervorh. A.B.) Diese Einheit ist noch nicht rechtserzeugend. Ihr müssen andere Bestimmungen hinzugefügt werden: »multitude sufficient to confide in for our security« (EW 3.154). Eine Willensvereinigung ist keine abstrakte Gestalt, sondern eine Vermittlung der Interessen – »plurality of voices« (EW 3.157), »diversity of opinions, and interests of men« (EW 3.152). Die Auswirkung dieser internen Logik der Vertretung (Kap. 16 des Leviathan) auf die Gestaltung der Rechtsphilosophie zeigt sich am meisten in den Begriffen, mit denen Hobbes die Vermittlung der Interessen thematisiert: dem Begriff der Versammlung (Kap. 17 des Leviathan) und dem Systembegriff (Kap. 22 des Leviathan). Die Logik der Repräsentation erklärt die Vermittlung einer »plurality of voices« und daher »contradictory voices« (EW 3.152). Zu vermeiden ist, dass die neue Vereinigung unwirksam bleibt, dass die fiktive Person »mute, and incapable of action« (EW 3.151) wird. Es wurde bereits behauptet, dass Geltung und Wirksamkeit untrennbare Momente des Hobbesschen Vernunftmodells sind. Die Neinstimme wird nur aus dieser Perspektive thematisiert. Diese Logik hat eine Auswirkung auf Hobbes’ Auffassung der Versammlung. Nur im Leviathan wird die Logik der Vertretung thematisiert und nur hier wird die Staatsgründung durch eine Versammlung vermittelt, die nicht mehr einstimmig sein muss (im Gegensatz zu De Cive): »Hieraus folgt also: eine konstituierende Urversammlung – das ist der ›natürliche‹ d. h. der rationale und normale (›typische‹) Ursprung des Staates. Diese Versammlung hat ein bestimmtes und begrenztes Mandat: nämlich das, den Staat zu machen: so ergänzen wir hier den Gedanken, seinem strengen Sinne gemäß. Sie ist nicht selbst der Staat. Sie hat keine souveräne Gewalt. Aber innerhalb ihres Mandates binden ihre Beschlüsse die Menge, die ihr das Mandat verliehen hat.« (Tönnies 1912, 196) Durch die Logik der Autorisierung (bzw. der Stellvertretung) führt Hobbes das »Mehrheitsprinzip« in seine Rechtsphilosophie ein (vgl. Tönnies 1912, 195). Durch die Logik der Repräsentation findet Hobbes einen zweiten Weg, um eine Antwort auf die Grundfrage der »civil philosophy« zu gewinnen: Wie wird die Person des Staates aus einer Menge natürlicher Personen erzeugt? Die Logik der Stellvertretung bei Hobbes muss, wie oben gesagt wurde, als eine Ergänzung der Logik des Vertrags interpretiert werden. Deswegen vereinigt die Formel der Staatsgründung (in Kap. 17 des Leviathan) das Vertragsverhältnis und das Vertretungsverhältnis: »This is more than consent, or concord; it is a real unity of them all, in one and the same person, made by covenant of every man with every man, in such manner as if every man should say to every man, I authorise and give up my right of governing myself, to this man, or to this assembly of men, on this condition; that thou

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4. Das Faktum und die Frage der neuzeitlichen Wissenschaft …

give up thy right to him, and authorise all his actions in like manner. This done, the multitude so united in one person, is called a commonwealth; in Latin, Civitas.« (EW 3.158) Aufgrund dieser Logik formuliert Hobbes erneut die paradoxe Forderung seiner Willenstheorie: Die Autorisierung kann entweder unbeschränkt (»without sint«, EW 3.142) oder beschränkt (»limited by commission«, EW 3.215) sein. Die Expansion der Logik des Vertretungsverhältnisses nötigt jedoch zur Erzeugung der öffentlichen Person durch eine unbeschränkte Autorisierung. Durch die Selbstbindung der Autorisierung rekonstruiert Hobbes die begriffliche Genese einer »absoluten« Macht. Der Ausgangspunkt der »civil philosophy« ist die erfahrene Welt des Rechts. Die »civil philosophy« muss eine methodische bzw. wissenschaftliche Rekonstruktion dieser Einheit erreichen. Erst wenn Hobbes die Logik des Vertrags und der Vertretung thematisiert hat, kann er eine wissenschaftliche Definition der rechtserzeugenden Einheitsform des freien Willens formulieren: »And in him consisteth the essence of the Commonwealth; which, to define it, is one person, of whose acts a great multitude, by mutual covenants one with another, have made themselves every one the author, to the end he may use the strength and means of them all as he shall think expedient for their peace and common defence.« (EW 3.158) Der Begriff der rechtserzeugenden Einheitsform enthält nun die folgenden untrennbaren Bestimmungen: Zweckzusammenhang, ein System von Funktionen, und eine Vereinigung freier Willen.

5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen Der Systembegriff wird bei Hobbes als ein begriffliches Mittel für die Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens verwendet. Auch Kant und Hegel betonen den Systemcharakter des Vernunftgehalts der neuen Wissenschaft. Deswegen spricht Kant von einem »System des Naturrechts« (AA VI.238) und Hegel von einem »System der sittlichen Welt« (GPR § 270). Die Relevanz des Systembegriffs für das neuzeitliche Rechtsdenken lässt sich anhand der folgenden Punkte begründen. (I) Der Inhalt einer Wissenschaft hat immer einen Systemcharakter: Im neuzeitlichen Rechtsdenken vollzieht sich eine Erhebung der praktischen Philosophie zur Dignität einer (philosophischen) Wissenschaft: »civil philosophy«, »scientia civilis«. Im Bereich der praktischen Philosophie gelten dieselben Wahrheitsansprüche wie im Bereich der Geometrie. Die Wissenschaft ist eine methodische Herangehensweise, die immer dieselben Wahrheitsansprüche erhebt. Die Ausweitung der Wissenschaft auf den Bereich der praktischen Philosophie ist nur dadurch möglich, dass das Recht einen Vernunftgehalt hat und dieser Vernunftgehalt durch unseren Denkapparat methodisch rekonstruierbar ist. Der Vernunftgehalt, der von einer Wissenschaft zum Gegenstand gemacht wird, hat als solcher immer einen Systemcharakter. Der Inhalt einer Wissenschaft ist immer – Hegelsch formuliert – eine konkrete Allgemeinheit, d. h. das Zusammenwachsen (»concrescere«) von Denkbestimmungen, denn das Denken ist die Tätigkeit des Allgemeinen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist die methodische Rekonstruktion eines Gesamtphänomens, in dem sich ein Vernunftgehalt manifestiert. Aufgabe der »scientia civilis« ist die methodische Rekonstruktion der Welt des Rechts, in der sich ein Vernunftgehalt manifestiert. Der Terminus »body politic« zeigt bereits den Systemcharakter, die interne Strukturierung dieses Inhalts. (II) Nur eine Vereinigung freier Willen ist rechtserzeugend: Der freie Wille ist das Rechtsprinzip. Weder ein isolierter Wille noch eine Menge einzelner Willen können die rechtserzeugende Tätigkeit des freien Willens vollziehen. Nur eine Vereinigung freier Willen kann diese Tätigkeit ausführen. Aus diesem Gedanken leitet Hobbes Folgendes ab: (1) Alle Rechtsgestalten sind Vereinigungsformen des freien Willens. Die unterschiedlichen politischen Körper sind Verhältnisse, die durch eine Objektivierung des freien Willens entstehen. Diese Objektivierung besteht in der Vereinigung freier Willen durch die immanente Logik dieser Rechtsverhältnisse, z. B. die Sachlogik des Vertrags, die Sachlogik der Vertretung. Die

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

Vermittlung der Interessen vollzieht sich durch die Produktion dieser Einheitsformen des freien Willens. In Kap. 22 des Leviathan bezeichnet Hobbes diese Einheitsformen, die die Welt des Rechts ausmachen, explizit als »system«. (2) Die Geltung dieser Rechtsgestalten erfordert die Herausbildung einer stabilisierenden Instanz. Diese Instanz besteht in einem funktionalen Zusammenhang. Die Funktionen der Institutionen (Gesetze erlassen, Strafen, Urteilen usw.) stehen in einem logischen Zusammenhang. Diese interne Logik macht den Begriff der Souveränität aus. Aus der funktionalen Interdependenz erklärt sich der Systemcharakter des Staates. In Kap. 23 bezeichnet Hobbes diese Glieder der Staatsmaschine als »organical parts«. Die Analyse der Vereinigungsformen des freien Willens teilt er in »similar parts« und »organical parts« ein: »In the last chapter [sc. chapter 22] I have spoken of the similar parts of a Commonwealth: in this I shall speak of the parts organical, which are public ministers.« (EW 3.226) Die »similar parts« werden in 5.1 und »organical parts« in 5.2 analysiert. Der Grund für diese Termini »similar« und »organical« wird in diesen Abschnitten dargestellt. Vorgreifend lässt sich schon sagen, dass diese Termini die Dynamik dieser Einheitsformen bezeichnen: Abhängigkeit und Kollision in den »similar parts« und Interdependenz in den »organical parts«.

5.1 Die »similar parts« des Staates Hobbes definiert die »similar parts« eines Gemeinwesens durch den Systembegriff: »Having spoken of the generation, form, and power of a Commonwealth, I am in order to speak next of the parts thereof. And first of systems, which resemble the similar parts, or muscles of a body natural.« (EW 3.210) Er analysiert die Rechtsgestalten als Einheitsformen des freien Willens. Der Naturzustand wurde als eine einheitslose bzw. formlose Menge einzelner Willen dargestellt. Der Rechtszustand wurde auch als eine Vereinigung freier Willen rekonstruiert. Der Staat und eine gesetzgebende Kirche (der christliche Staat) haben dieselbe Einheitsform, aber nicht notwendigerweise dieselbe Materie. Ein christlicher und ein islamischer Staat etwa unterscheiden sich laut Hobbes nur hinsichtlich ihrer »Materie« (christlicher und islamischer Mensch). Auch rekonstruiert Hobbes den Systembegriff durch die vereinigende Tätigkeit des Willens: »By systems, I understand any numbers of men joined in one interest, or one business.« (ebd.) Das System ist nun eine Vereinigung in einem Interesse oder in einem »business«. Bereits durch diese Definition zeigt sich der Hobbessche Systembegriff als eine vage Eti-

5.1 Die »similar parts« des Staates

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kette, denn durch die Termini »interest« und »business« (die vereinigenden Instanzen des Systemsbegriffs) wird so viel wie nichts gesagt: Das Interesse kann laut Hobbes »particular«, »private«, »common« und »public« sein und unter »business« kann Folgendes verstanden werden: »end«, »affair«, »purpose« usw. Diese Instanzen sind nicht hinreichend, um jede Vereinigungsform der Gesellschaft als eine Vereinigung freier Willen aufzufassen. Dazu müssen weitere begriffliche Mittel einbezogen werden. Aus der Hobbesschen Unterteilung des Systembegriffs lässt sich erkennen, welche diese begriffliche Mittel sind. Hobbes unterteilt den Systembegriff durch die folgenden Begriffspaare: (1) »regular«-»irregular«, (2) »independent«-»dependent«, (3) »political«»private« und (4) »lawfull«-»unlawfull«: (1) »regular«-»irregular«: Die regulären Systeme sind diejenigen, »where one man, or assembly of men, is constituted representative of the whole number«. (ebd.) Die regulären Systeme sind durch die innere Logik der Vertretung definiert. Die Einheitsform des regulären Systems wird daher bereits in Kap. 16 des Leviathan definiert, wo diese Sachlogik anhand des Personbegriffs thematisiert wird: »A multitude of men, are made one person, when they are by one man, or one person, represented; so that it be done with the consent of every one of that multitude in particular. For it is the unity of the representer, not the unity of the represented, that maketh the person one. And it is the representer that beareth the person, and but one person: and unity cannot otherwise be understood in multitude.« (EW 3.151; Hervorh. A.B.) Die irregulären Systeme werden durch die Weglassung des Vertretungsverhältnisses definiert. Die Einheitsform der irregulären Systeme besteht daher nur in einer »similitude of wills and inclinations« (EW 3.222). Die irregulären Systeme bestehen in einer zufälligen und vorfindlichen Übereinstimmung und haben daher keinen verpflichtenden Charakter: »Irregular systems, in their nature but leagues, or sometimes mere concourse of people, without union to any particular design, not by obligation of one to another, but proceeding only from a similitude of wills and inclinations, become lawful, or unlawful, according to the lawfulness, or unlawfulness of every particular man’s design therein: and his design is to be understood by the occasion.« (ebd.) (2) »independent«-»dependent«: Das einzige System, das als »absolute, and independent« (EW 3.210) bezeichnet werden kann, ist der Staat. Die Unabhängigkeit des Staates erklärt sich aus der Vereinigung von bestimmten Funktionen. Dieses System von Funktionen ist laut Hobbes »absolut«, weil eine Beschränkung dieses Systems (d. h. das Weglassen einer dieser Funktionen) ihm alle Gültigkeit und Wirksamkeit nehmen würde. Die Staatsmaschine ist

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

daher eine in sich differenzierte Einheit. Dies ist der Inhalt des folgenden Abschnitts: die Gewaltendifferenzierung (5.2). Der Begriff des abhängigen Systems wird auch negativ definiert. Hobbes definiert ihn durch das Abstrahieren aller Funktionen, die die funktionale Einheit des Staates konstituieren. Die untergeordneten Systeme sind Einheitsformen ohne interne Strukturierung. Diese Anwendung des Terminus »system« auf Einheitsformen ohne interne Strukturierung depotenziert den Hobbesschen Systembegriff und macht ihn fast unbrauchbar, denn eine Einheit hat eigentlich nur Systemcharakter, wenn sie als ein sich selbst organisierendes Ganzes eine interne Strukturierung hat. Diese Gliederung (Interdependenz, interne Differenzierung) macht sowohl den Vernunftgehalt als auch die Wirkungsweise einer systematischen Vereinigung aus. (3) »political«-»private«: Die politischen Systeme werden »by authority from the sovereign power of the Commonwealth« (ebd.) konstituiert. Die Theorie der politischen Körperschaften in Kap. 22 des Leviathan lässt sich als eine Ergänzung des Kap. 16 lesen, denn sie thematisiert die öffentliche Person nicht nur als »actor«, sondern auch als »author«: Die Persönlichkeit des Staates wird durch Autorisierung konstituiert. Die Person des Staates ist nicht in einem metaphorischen Sinne zu verstehen, denn ihm können Wörter und Handlungen zugeschrieben werden. Als Person ist der Staat auch der Autorisierung fähig. Wesentliche Bestimmungen der Logik der Stellvertretung werden hier wiederholt, aber sie erhalten eine neue Bedeutung. Das Verhältnis der Autorisierung wird durch eine Willenserklärung konstituiert. Die Willenserklärung ist die elementare Form des Rechts und ist daher in allen verbindlichen Willensverhältnissen notwendig. Die politischen Systeme werden durch das Willenszeichen der öffentlichen Person (»signs of the authority sovereign«, EW 3.212) konstituiert, z. B. »letters from the sovereign« (EW 3.211). Deswegen kann dieses Kapitel über die Zeichen der Autorisierung seitens der öffentlichen Person auch als eine Ergänzung in Kap. 14 des Leviathan gelesen werden, in dem Hobbes die Willenszeichen nur als »signs of contract« thematisiert. Der Begriff des privaten Systems wird auf folgende Weise definiert: »Private, are those, which are constituted by subjects amongst themselves, or by authority from a stranger. For no authority derived from foreign power, within the dominion of another, is public there, but private.« (EW 3.210) Unter »privates System« werden daher zwei verschiedene Gestalten des Rechts thematisiert. Die Form des privaten Systems ist eine Einheit unterschiedener Willen, die durch die privatautonome Gestaltungsmöglichkeit der Einzelwillen konstituiert wird. Unter privates System ist aber auch eine öffentliche Körperschaft innerhalb der »dominion« einer fremden Macht zu verstehen.

5.1 Die »similar parts« des Staates

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Hier verwendet Hobbes einen neuen Begriff der »dominion«. Dieser neue Begriff kann auch als eine Fortsetzung der Logik der Repräsentation gelesen werden. In Kap. 16 des Leviathan spricht Hobbes von »dominion« über Sachen und über Personen. In Kap. 22 spricht Hobbes von »dominion« eines Territoriums. Auch in Kap. 28 verwendet er den Terminus »dominion« als Synonym für Territorium: »exile (banishment) is when a man is for a crime, condemned to depart out of the dominion of the commonwealth« (EW 3.303). Durch diese Gestaltung der Theorie der Repräsentation versucht Hobbes, einen Ausweg aus den konfessionellen Spaltungen zu finden. Die Autorität des »Souveräns« im Bereich der Religionspolitik liegt nicht in der Wahrheit seiner Konfession und seiner Aussagen, sondern in seiner Herrschaft über ein Territorium: »So that the question of the authority of the Scriptures, is reduced to this, whether Christian kings, and the sovereign assemblies in Christian commonwealths, be absolute in their own territories, immediately under God; or subject to one Vicar of Christ, constituted over the universal Church; to be judged, condemned, deposed, and put to death, as he shall think expedient or necessary for the common good.« (EW 3.379 f.) (4) »lawfull«-»unlawfull«: Die gesetzlichen Systeme sind »those which are allowed by the commonwealth« (EW 3.210 f.). Die ungesetzlichen Systeme sind diejenigen, die aufgrund ihrer Gestaltung grundlegende Bestimmungen der Logik der Systeme außer Kraft setzen. Dies lässt sich anhand des Begriffs des abhängigen Systems veranschaulichen. Der Begriff des abhängigen Systems wurde durch das Weglassen der staatlichen Funktionen gewonnen. Abhängige Systeme, die jedoch staatliche Funktionen (z. B. die Ausbildung von Sicherheitskräften) ausüben wollen, sind ungesetzlich: »In all commonwealths, if a private man entertain more servants, than the government of his estate, and lawful employment he has for them requires, it is faction, and unlawful. For having the protection of the commonwealth, he needeth not the defence of private force.« (EW 3.224) Die Ausartung der ungesetzlichen Systeme besteht in einem Widerspruch des Wollens. Hobbes hat in Kap. 14 das Unrecht als einen Widerspruch des Willens definiert. Die ungesetzlichen Systeme sind diejenigen Systeme, die ihre Unterwerfung erklärt haben und zugleich durch ihre Handlungen die Logik des Staates negieren. Anhand der erörterten Logik der Systeme lassen sich die folgenden Kombinationen denken. Diese Kombinationen sind die Systeme bzw. Vereinigungsformen des freien Willens, die die Welt des Rechts (und daher auch die Gestalt des Unrechts) konstituieren: unabhängig, regulär: der Staat und die staatliche Kirche. abhängig, regulär, politisch: z. B. die Körperschaften zur Regierung einer Kolonie.

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

abhängig, regulär, privat, gesetzlich: z. B. die Familie. abhängig, regulär, privat, ungesetzlich: z. B. eine Gilde von Dieben. abhängig, irregulär, gesetzlich: z. B. eine Menschenmenge in einer Schaustellung. abhängig, irregulär, ungesetzlich: z. B. die Bündnisse von Untertanen. Im Leviathan stellt Hobbes zum ersten Mal die Logik der Autorisierung dar. Durch die Logik der Repräsentation kann Hobbes die Vermittlung der Interessen erklären. Deswegen hat die Einbeziehung dieser Logik in Kap. 16 des Leviathan eine Auswirkung auf die Instanzen, durch welche die Vermittlung der Interessen rekonstruiert wird (Systembegriff und Versammlung): »And this is all I shall say concerning systems, and assemblies of people, which may be compared, as I said, to the similar parts of man’s body; such as be lawful, to the muscles; such as are unlawful, to wens, biles, and apostems, engendered by the unnatural conflux of evil humours.« (EW 3.225) Ohne die Einführung dieses Instrumentariums im Leviathan könnte Hobbes die Ausdifferenzierung von Willensformen in der Welt des Rechts nicht erklären. Deswegen kann er in Elements of Law bezüglich des Inhalts von Kap. 22 des Leviathan (d. h. abhängige Systeme bzw. Körperschaften) nur Folgendes behaupten: »And as this union into a city or body politic, is instituted with common power over all the particular persons, or members thereof, to the common good of them all; so also may there be amongst a multitude of those members, instituted a subordinate union of certain men, for certain common actions to be done by those men for some common benefit of theirs, or of the whole city; as for subordinate government, for counsel, for trade, and the like. And these subordinate bodies politic are usually called corporations; and their power such over the particulars of their own society, as the whole city whereof they are members have allowed them.« (T 104; Hervorh. A.B.) Die Verbindlichkeit dieser durch Autorisierung erzeugten Systeme erfordert immer eine Willenserklärung, denn diese minimale Vereinigung von Denken und Anschauung ist für die Geltung der Rechtsgestalten konstitutiv. Die Geltung einer Willenserklärung erfordert jedoch hier nicht nur das Zusammenwirken von Denken und Anschauung, sondern auch die Vereinbarkeit des erklärten Inhalts mit der internen Logik der Autorisierung. Eine abgegebene Erklärung ist unwirksam, wenn sie mit der Logik der Autorisierung unvereinbar ist. Hobbes spricht daher in diesem Kapitel von »signs of error« (EW 3.211), von »insufficient sign« (EW 3.213) und von widersprüchlichen Zeichen (»he contradicteth his former vote«, EW 3. 214). Die Autorisierung kann, wie oben gesagt wurde, »without stint« (EW 3.151) oder »limited by commission« (EW 3.215) sein. Durch die unbe-

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schränkte Autorisierung wird die Autorität des Staates erzeugt. Die Autorisierung, die die politischen Systeme erzeugt, kann daher nur beschränkt sein: »In bodies politic, the power of the representative is always limited: and that which prescribeth the limits thereof, is the power sovereign. For power unlimited, is absolute sovereignty.« (EW 3.211) Die Handlungen einer politischen Körperschaft, die über diese Beschränkung hinausgehen, sind ungesetzlich, denn die Körperschaft agiert dann als »falsus procurator«. Die Geltung einer Willenserklärung ist von diesen Bedingungen abhängig. Die unbeschränkte Autorisierung eines politischen Körpers durch Zeichen ist ungültig, denn diese Willensäußerungen sind nur Zeichen eines Irrtums: »For consequences of words, are not the signs of his will, when other consequences are signs of the contrary; but rather signs of error and misreckoning; to which all mankind is too prone.« (ebd.) Diese vielfältigen Einschränkungen der politischen Systeme können allein durch positive Gesetze nicht bestimmt werden. Deswegen erfordern sie zusätzliche Willenszeichen (z. B. »letters from the sovereign«, ebd.). Anhand der Logik der Autorisierung und ihrer Ausübung durch die Setzung von Willenszeichen kann Hobbes auch die folgenden Aspekte der Systeme erklären: (1) die Vermittlung der Interessen; (2) die Verantwortung; (3) die Reduktion aller Rechtsgestalten auf die Willensverhältnisse des Vertrags und der Vertretung; und (4) die Verträglichkeit und Kollision der Willensformen. (1) Die Vermittlung der Interessen: Alle Systeme sind laut Hobbes eine Vereinigung in einem Interesse. In den irregulären Systemen besteht diese Vereinigung in einer vorgefundenen Übereinstimmung der Interessen (»similitude of wills and inclinations«, EW 3.222). In den regulären Systemen hingegen besteht die Vereinigung, wie oben gesagt wurde, nicht in der Einheit der Vertretenen (d. h. in der Übereinstimmung ihrer Interessen), sondern in der Einheit des Stellvertreters. Die Vereinigung ist daher eine Vermittlung der Interessen. Hobbes erklärt diese Leistung durch die Funktion der fiktiven Person als »arbitrator« der Interessen (EW 3.143). Die Vermittlung der Interessen in den regulären Systemen zeigt sich am besten anhand des Staates. Die Einheit des Staates ist die Vermittlung des allgemeinen Willens und des besonderen Willens. Von dieser Struktur ausgehend stellt Hobbes die Monarchie als die angemessenste Gestaltung des Staates dar: »From whence it follows, that where the public and private interest are most closely united, there is the public most advanced. Now in monarchy the private interest is the same with the public.« (EW 3.173 f.) Der Frieden zeigt sich im Gedankenexperiment des Naturzustandes als ein allgemeines Gut: »And therefore so long as a man is in the condition of mere nature, which is a condition of war, as a pri-

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

vate appetite is the measure of good, and evil: and consequently all men agree on this, that peace is good, and therefore also the way, or means of peace, which, as I have shewed before, are justice, gratitude, modesty, equity, mercy, and the rest of the laws of nature, are good; that is to say; moral virtues; and their contrary vices, evil.« (EW 3.146) Die Verwirklichung des Rechtszustandes erfordert diese Vermittlung des »private good« und des »common good«. Das Resultat dieser Vermittlung ist die konkrete Wirklichkeit des Staates: das öffentliche Gut (»public good«). (2) Die Verantwortung: Der Begriff der Verantwortung ist mit dem Personbegriff verbunden. In Kap. 16 des Leviathan thematisiert Hobbes die Begriffe der natürlichen und der fiktiven Person und damit das Rechtsverhältnis der Vertretung. In diesem Kapitel bezieht er neue Elemente in seine Rechtsphilosophie ein, z. B. eine neue Interpretation der Neinstimme und das »Mehrheitsprinzip« in einer Versammlung. Das Kap. 22 ergänzt die Logik der Autorisierung in Kap. 16: Die Theorie der regulären Systeme thematisiert die Systeme als fiktive Personen. Die neue Interpretation der Neinstimme und der Mehrheit besagt, dass die Stimme der Mehrheit als die Stimme der Versammlung gilt. Ein Protest gegen das Urteil der Versammlung wäre ein Widerspruch des Willens und daher Unrecht: »For if he voluntarily entered into the congregation of them that were assembled, he sufficiently declared thereby his will, and therefore tacitly covenanted, to stand to what the major part should ordain: and therefore if he refuse to stand thereto, or make protestation against any of their decrees, he does contrary to his covenant, and therefore unjustly.« (EW 3.163) Die Verantwortung der Mitglieder bezüglich der Entscheidungen der Versammlung wird jedoch durch die Logik der Autorisierung auf folgende Weise vermittelt: Eine politische Körperschaft ist immer »limited by commission« (EW 3.215). Ein politisches System, das ungesetzliche Handlungen ausführt, agiert als »falsus procurator«. Alle Mitglieder der Versammlung eines politischen Systems sind für die Handlungen des Systems verantwortlich, wenn diese Handlungen die Beschränkung des Auftrags nicht überschreiten. Die Personen, die eine Neinstimme oder keine abgegeben haben, sind nicht mehr verantwortlich, wenn die politische Körperschaft ungesetzlich, als »falsus procurator« agiert: »But if the representative be an assembly; whatsoever that assembly shall decree, not warranted by their letters, or the laws, is the act of the assembly, or body politic, and the act of every one by whose vote the decree was made; but not the act of any man that being present voted to the contrary; nor of any man absent, unless he voted it by procuration. It is the act of the assembly, because voted by the major part; and if it be a crime, the assembly may be punished […] But they that gave not their vote are therefore innocent, because the assembly cannot

5.1 Die »similar parts« des Staates

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represent any man in things unwarranted by their letters, and consequently are not involved in their votes.« (EW 3.213) (3) Die Reduktion aller Rechtsgestalten auf die Willensverhältnisse des Vertrags und der Vertretung: Das Resultat dieser Reduktion hat einen ambivalenten Charakter. Die Reduktion ist einerseits die Erhebung des freien Willens zum letzten Prinzip des Rechts. Diese Erhebung erfordert, dass alle Gestalten des Rechts ohne Ausnahme sich aus der vereinigenden Tätigkeit des freien Willens erklären lassen. Da Hobbes nur mit diesen Einheitsformen (dem Vertrag, der Vertretung und der Gewaltendifferenzierung) operiert, muss er alle Gestalten des Rechts durch diese Verhältnisse rekonstruieren. Diese Reduktion zeigt sich daher anderseits als ein Reduktionismus. Sie nivelliert die vielfältigen Stufen des Rechts. Diese Ambivalenz zeigt sich sehr deutlich im Hobbesschen Begriff der Familie. Hobbes reduziert die Familie in Kap. 20 des Leviathan auf das Vertragsverhältnis und in Kap. 22 auf das Verhältnis der Vertretung (privates reguläres System). Das positive Resultat dieser Reduktion ist, dass die Familie als eine Gestalt des freien Willens rekonstruiert wird. Hobbes versucht, alle Familienverhältnisse aus der Tätigkeit des Willens abzuleiten. In Kap. 20 thematisiert er die Vereinigung folgender Verhältnisse: »father« und »master«. Das Resultat dieser Vereinigung ist die »paternal dominion« (EW 3.188). Die Verbindung beider Verhältnisse ist laut Robert Filmer unmittelbar gegeben und gilt daher als natürliches Prinzip des Rechts. Gott hat Adam zugleich als »father« und »master« geschaffen: »I see not then how the Children of Adam, or of any man else can be free from subjection to their Parents: And this subjection of Children being the Fountain of all Regal Authority, by the Ordination of God himself; It follows, that Civil Power, not only in general is by Divine Institution, but even the Assignment of it Specifically to the eldest Parents, which quite takes away that New and Common distinction which refers only Power Universal and Absolute to God; but Power Respective in regard of the Special Form of Government to the Choice of people.« (Patriarcha, Kap. 1) Wenn die »paternal dominion« ein »natürliches« bzw. (von Gott geschaffenes) Verhältnis wäre, könnte der freie Wille nicht mehr als das einzige und letzte Prinzip des Rechts bezeichnet werden. Deswegen versucht Hobbes die »paternal dominion« nicht als eine Gegebenheit, sondern als Vertragsverhältnis zu begreifen: »The right of dominion by generation, is that, which the parent hath over his children; and is called paternal. And is not so derived from the generation, as if therefore the parent had dominion over his child because he begat him; but from the child’s consent, either express or by other sufficient arguments declared.« (EW 3.186) Hobbes thematisiert zunächst die Gestalt der Familie im Naturzustand und daher ohne das Dasein der eheli-

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

chen Gesetze. Er rekonstruiert die Verbindung von »father« und »master« im Naturzustand durch zwei Schritte. Zunächst rekonstruiert er die Gültigkeit der Verbindung von Mann und Vater. Wer der Vater ist, kann nur durch eine Willenserklärung der Mutter gewusst werden. Die Vaterschaft ergibt sich daher als eine Wirklichkeit des Wissens und des Wollens: »If there be no contract, the dominion is in the mother. For in the condition of mere nature, where there are no matrimonial laws, it cannot be known who is the father, unless it be declared by the mother: and therefore the right of dominion over the child dependeth on her will, and is consequently hers.« (EW 3.187) Die folgende Verbindung, die aus dem Prinzip des freien Willens abgeleitet werden muss, ist die Verbindung von »father« und »master«. Hobbes begründet diese Verbindung durch die Übertragung der Herrschaft (»dominion«), die in einem Abhängigkeitsverhältnis des Willens ihm zufolge analytisch enthalten ist. Die Mutter hat die Herrschaft über das Kind, denn die Selbsterhaltung des Kindes hängt von der Mutter ab. Wenn aber der Vater die Herrschaft über die Mutter hat, ist er in letzter Instanz der »master«: »if the mother be the father’s subject, the child, is in the father’s power« (EW 3.188). Durch diese Schritte gewinnt Hobbes dasselbe Resultat wie Robert Filmer: Die Bestimmungen »father« und »master« stehen immer zusammen. Dieses Zusammenfallen von Vaterschaft und Autorität (»paternal dominion«) ist jedoch bei Hobbes nicht mehr eine Gegebenheit, eine von Gott geschaffene Ordnungsstruktur, sondern ein Willenszusammenhang, der als solcher die Form des Geltens hat. Die Reduktion der Familie auf eine Gestalt des freien Willens ist eine positive Transformation des Rechtsbewusstseins, eine bessere Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit. Die negative Seite dieser Reduktion der Familie auf ein Vertragsverhältnis zeigt sich darin, dass das Spezifikum dieser Gestalt des freien Willens nicht begriffen wird. Da Hobbes sowohl den Staat als auch die Familie durch Vertragsverhältnisse rekonstruiert, kann er in Kap. 20 des Leviathan den Staat und die Familie nur durch das Maß der Macht beider Willensformen unterscheiden. Wenn die Herrschaft des Vaters mit hinreichender Macht (im Vergleich mit der Macht der feindlichen Familien oder der feindlichen Staaten) verstärkt wird, ist die Familie ein Staat: »By this it appears; that a great family, if it be not part of some commonwealth, is of itself, as to the rights of sovereignty, a little monarchy: whether that family consist of a man and his children; or of a man and his servants; or of a man and his children and servants together: wherein the father or master is the sovereign. But yet a family is not properly a commonwealth; unless it be of that power by its own number, or by other opportunities, as not to be subdued without the hazard of war.« (EW 3.191)

5.2 Die »organical parts« der Staatsmaschine

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Diese Nivellierung der Rechtsgestalten zeigt sich sehr deutlich in Kap. 22 des Leviathan. In diesem Kapitel werden alle verbindlichen Willensformen als reguläre Systeme begriffen. Die irregulären Systeme sind unverbindlich. Die regulären Systeme werden durch folgende Begriffspaare näher bestimmt: »politisch«-»privat« und »gesetzlich«-»ungesetzlich«. Die Familie ist hinsichtlich ihrer Form ein privates reguläres System. Die programmatische Reduktion der Rechtsverhältnisse auf Gestalten des freien Willens verfällt in einen Reduktionismus: Deswegen kann Hobbes so unterschiedliche Willensgestalten als »similar parts« bezeichnen. Alle Stufen der Freiheit werden durch diese Willensverhältnisse (Vertrag und Autorisierung) rekonstruiert und sie werden dadurch nivelliert. (4) Vertrag und Kollision der Willensformen: Die in Kap. 22 dargestellte Logik der abhängigen Systeme erklärt, wie es möglich ist, dass die »similar parts« nicht kollidieren. Gleichförmige Willensformen können nur entweder nebeneinander oder untergeordnet stehen. Wenn sie nebeneinander stehen, agieren sie gegeneinander und kollidieren miteinander. Damit diese Gefahr verschwindet, müssen die gleichförmigen Willensformen in Abhängigkeitsverhältnissen stehen. Deswegen begreift Hobbes die »part similars« als abhängige Systeme. Das Abhängigkeitsverhältnis der regulären Systeme wird durch das Weglassen der staatlichen Funktionen gewonnen. Die Abhängigkeit der irregulären Systeme wird durch das Weglassen des Vertretungsverhältnisses begründet. Die Kollision ist laut Hobbes nicht konstitutiv für die Willensformen dieser Logik der Systeme. Sie entsteht durch verfehlte Willensformen, die die Logik der abhängigen Systeme außer Kraft setzen wollen. Dieses verbrecherische Interesse kann sowohl aus einem Auseinanderfallen von privaten und gemeinsamen Interessen als auch aus einem falschen Rechtsbewusstsein (siehe unten 6.2) entstehen.

5.2 Die »organical parts« der Staatsmaschine Die Erzeugung des Staates erfordert, wie oben gezeigt wurde, eine Vereinigung von Funktionen. Der Vernunftgehalt dieser systematischen Vereinigung von Funktionen ist die Souveränität des Staates: »all judicature is essentially annexed to the sovereignity« (EW 3.228). Die einheitliche Gewalt des Staates gilt und wirkt nur aufgrund ihrer Gewaltendifferenzierung: Es gibt nur eine Gewalt, die durch eine interne Differenzierung konstituiert ist. Aufgrund dieser internen Differenzierung kann der Staat als ein System im eigentlichen Sinne des Wortes (und nicht mehr im vagen Sinne des Kap. 22 des Leviathan) bezeichnet werden. Diese interne Differenzierung ermöglicht,

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

dass die staatlichen Funktionen von verschiedenen Personen ausgeübt werden. Hobbes bezeichnet die Personen, welche staatliche Funktionen ausüben, als »public ministers« aus folgenden Gründen: »ministers, in that they do it not by their own authority, but by another’s; and public, because they do it, or should do it, by no authority but that of the sovereign« (ebd.). Um die logische Interdependenz der Ministerien zu betonen, bezeichnet Hobbes sie als die »parts organical« (EW 3.226) des Staates. Die Vernunft des Rechts ist laut Hobbes ein Staatsorganismus. Die mechanische Charakterisierung des Staates ist nicht nur mit der organischen vereinbar, sondern sie ist von Hobbes formuliert, um gerade die »Organizität« des Staates zu begründen. Wenn Hegel der Staat als Organismus bezeichnet, rekonstruiert er mutatis mutandis dieselbe immanente Vernunftstruktur wie Hobbes in seiner Auffassung des Staates als Maschine. Die Geltung und Wirksamkeit der Rechtsverhältnisse erfordert eine Vereinigung von Funktionen. Die Vernunftbestimmungen des Rechts werden nur durch die Wirksamkeit dieses einheitlichen Mechanismus gültig. Einfach formuliert: die Staatsmaschine ist eine organische Einheit. Durch die Bezeichnung des Staates als Maschine betont Hobbes den Systemcharakter der Staatseinheit. Die Rekonstruktion der internen Differenzierung des Staates durch das Modell einer Maschine ist nur dadurch möglich, dass bestimmte Denkformen der Frühneuzeit nicht mit den folgenden Gegensätzen operieren: (1) der Entgegensetzung zwischen Natur und Kunst und (2) der Entgegensetzung zwischen Mechanismus und Organismus. Ad (1) In der Frühneuzeit werden die aristotelische Entgegensetzung zwischen Natur und Kunst und die mittelalterliche Entgegensetzung der Schulphilosophie zwischen »animalia« und »artificialia« relativiert. Diese Relativierung vollzieht sich durch die zwei folgenden Prozesse: (a) Die Relativierung erfordert einerseits sowohl eine Kritik an der Teleologie als auch die Herausbildung neuer Bewegungsmodelle, die dieselben Phänomene rekonstruieren können (z. B. die mechanischen Bewegungsmodelle bei Hobbes). In der Unterscheidung zwischen einer äußeren und einer inneren Zweckmäßigkeit liegt der Grund für die Unterscheidung zwischen äußerer Bewegung und »Selbstbewegung«. Aristoteles formuliert die Rekonstruktion einer »Selbstbewegung« als Teleologie bei den Lebensformen auf folgende Weise: »Denn ein Naturprodukt ist ein Gebilde, welches von einer bestimmten, in ihm selbst begründeten Ausgangsgegebenheit aus in einem kontinuierlichen Prozeß an ein bestimmtes Prozeßziel gelangt.« (vgl. Aristoteles, Physik, 199 b, 15; Grumach 1967, 54). Durch diese Unterscheidung wird eine begriffliche Begründung der griechischen Ausdifferenzierung zwischen φύσις und τέχνη gewonnen.

5.2 Die »organical parts« der Staatsmaschine

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(b) Der technische Prozess der Konstruktion von »automata«: Diese »automata« sind Maschinen, die, wie die natürlichen Lebensformen, der Selbstbewegung fähig sind. Die »Selbstbewegung« der »automata« ist ohne die Instanz der »causa finalis« rekonstruierbar. Dieser technische und wissenschaftsgeschichtliche Prozess hat eine Wirkung auf die neuzeitliche Bewusstseinsgeschichte: die Relativierung der Unterscheidung zwischen Natur und Kunst, zwischen Leben und Maschine, zwischen Selbstbewegung und äußeren Bewegung. Die Relativierung der Unterscheidungen des »Aristotelismus« vollzieht sich daher nicht nur auf der begrifflichen Ebene. Die Insuffizienzen des aristotelischen Weltbildes werden früher im Bereich der Wissenschaft und der Technologie erkannt (Turró 1985). Das Uhrwerk wird zum Muster dieser »automata« erhoben. In der Hobbesschen Charakterisierung des Staates findet man diese Aufhebung der Trennung zwischen Natur und Kunst, zwischen »animalia« und »artificilia«, wie der Terminus »artificial animal« deutlich zeigt: »Nature, the art whereby God hath made and governs the world, is by the art of man, as in many other things, so in this also imitated, that it can make an artificial animal.« (EW 3.ix; Hervorh. A.B.) Dieser Gegensatz wurde durch den Unterschied zwischen Selbstbewegung und äußerer Bewegung charakterisiert. Der Staat ist laut Hobbes eine Konstruktion, die sich durch ihre künstlichen Verbindungen (»artificial chains«, EW 3.198) selbst erhält. Die Selbstbewegung ist nach dieser neuen Denkform auch für die Maschine konstitutiv. Bei bestimmten Artefakten (bei den »automata«) lässt sich eine »Selbstbewegung« ohne Rekurs auf die Teleologie rekonstruieren. Man findet bei Hobbes sogar die Auffassung der »Staatsmaschine« als »automata« und den Vergleich mit dem Uhrwerk: »For seeing life is but a motion of limbs, the beginning whereof is in some principal part within; why may we not say, that all automata (engines that move themselves by springs and wheels as doth a watch) have an artificial life?« (E 3.ix; Hervorh. A.B.) Der Organismus des Staates ist nur durch die Wirksamkeit der »künstlichen« Verhältnisse »lebensfähig«: »For by art is created that great Leviathan called a Commonwealth, or State, in Latin Civitas, which is but an artificial man; though of greater stature and strength than the natural, for whose protection and defence it was intended; and in which the sovereignty is an artificial soul, as giving life and motion to the whole body; the magistrates, and other officers of judicature and execution, artificial joints; reward and punishment, by which fastened to the seat of the sovereignty every joint and member is moved to perform his duty, are the nerves, that do the same in the body natural; the wealth and riches of all the particular members are the strength; salus populi, the people’s safety, its business; counsellors, by whom all thing needful for it to know are suggested unto

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

it, are the memory; equity, and laws, an artificial reason and will; concord, health; sedition, sickness; and civil war, death. Lastly, the pacts and covenants, by which the parts of this body politic were at first made, set together, and united, resemble that fiat, or the Let us make man, pronounced by God in the creation.« (EW 3.ix f.) Die Relativierung dieser Unterscheidungen vollzieht sich gleichzeitig mit einer Kritik an allen teleologischen Vorstellungen. Die »causa finalis« ist laut Hobbes eine Instanz der »vain philosophy«. Ad (2) Der Gegensatz zwischen Mechanismus und Organismus gehört zu einer späteren bewusstseinsgeschichtlichen Phase des Geistes. Der Mechanismus hat im frühneuzeitlichen Denken nicht die negativen Konnotationen, die er heute evoziert. Er hat in dieser Zeit die zwei folgenden Konnotationen: Eine Wirklichkeit als Mechanismus zu bezeichnen, bedeutet, dass sie einen Vernunftgehalt hat und daher Gegenstand einer methodischen bzw. wissenschaftlichen Wissensform sein kann. Die mechanische Gestaltung eines Inhalts bedeutet in der Terminologie dieser Denkform, einen Inhalt in seine vernünftige Form zu bringen. Hobbes thematisiert daher in Kapitel 23 des Leviathan eine neue Einheitsform: die Interdependenz der Gewalten. Er muss diese Gestalt des Rechts aus der vereinigenden Tätigkeit des freien Willens rekonstruieren. Die Ministerien werden durch Autorisierung, durch ein Vertretungsverhältnis erzeugt: »A public minister, is he, that by the sovereign, whether a monarch or an assembly, is employed in any affairs, with authority to represent in that employment, the person of the Commonwealth.« (EW 3.226) Die stellvertretende Funktion des öffentlichen Ministers wird daher durch »commission« beschränkt. Die »commission« kann entweder für die »general administration« der öffentlichen Interessen oder für die »special administration« eine Funktion sein. Die Geltung dieses Rechtsverhältnisses erfordert ein Willenszeichen. Ein Willenszeichen für die Gestaltung und Durchsetzung einer Rechtsgestalt ist jedoch nur wirksam, wenn es mit der immanenten Vernunftstruktur dieser Rechtsgestalt vereinbar ist. Das Willenszeichen, durch welches der Anspruch auf eine Übertragung der Souveranität erhoben wird, kann nicht als eine Willenserklärung gelten, sondern nur als Zeichen eines Irrtums: »For such protectors, viceroys, and governors have no other right, but what depends on the sovereign’s will; and no commission that can be given them can be interpreted for a declaration of the will to transfer the sovereignty, without express and perspicuous words to that purpose.« (EW 3.227) Die Analyse der »similar parts« des Staates hat die Verträglichkeit dieser Willensformen gezeigt, solange diese interne Logik der abhängigen Systeme nicht außer Kraft gesetzt wird. Die Kollision zwischen den »gleichförmigen Teilen« des Staates ist nicht für diese Gestalten konstitutiv, sondern nur

5.2 Die »organical parts« der Staatsmaschine

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Resultat einer falschen Rechtsvorstellung oder verbrecherischer Handlungen. Dasselbe gilt für die »organical parts« des Staates. Die logische Interdependenz ermöglicht nicht nur die funktionale Einheit des Staates, sondern auch die Verträglichkeit der Gewalten. Nur wenn die Gewaltendifferenzierung in eine Gewaltenteilung verfällt, entsteht die Möglichkeit der Kollision, denn Willensformen, die nebeneinander stehen, agieren gegeneinander. Hobbes erklärt die Genese dieser Ausartung der staatlichen Einheitsform durch das Rechtsbewusstsein. Die Ausartung der Gewaltendifferenzierung ist das Resultat ihrer Gestaltung anhand einer falschen Rechtsvorstellung. Durch die Aufhebung dieser Rechtsvorstellung verschwindet laut Hobbes auch die Gefahr der Kollision. Hobbes thematisiert falsche Bewusstseinsformen des Rechts in Kap. 29 des Leviathan (»Of those things that weaken, or tend to the Dissolution of a Commonwealth«) und in Kap. 46 (»Of Darkness from Vain Philosophy and Fabolus Traditions«). In Kap. 29 thematisiert er die Rechtsvorstellung, die eine Kollision der Staatsgewalten verursachen kann: »There is a sixth doctrine, plainly, and directly against the essence of a commonwealth; and it is this; that the sovereign power may be divided. For what is it to divide the power of a Commonwealth, but to dissolve it; for powers divided mutually destroy each other. And for these doctrines, men are chiefly beholding to some of those, that making profession of the laws, endeavour to make them depend upon their own learning, and not upon the legislative power.« (EW 3.313) In diesem letzten Satz bezieht sich Hobbes auf eine Entgegensetzung zwischen »Common Law« und »Statute Law« und auf den folgenden »Anspruch der ›Common Law‹-Juristen auf Unabhängigkeit von der Souveränität« (Willms 1992, 23). Diese Problematik ist mit der folgenden Frage verbunden: Was ist die Garantie für eine vernünftige Gestaltung des Rechts? Da die Gesetze ihrer Definition nach laut Hobbes gerecht sind, muss nach ihrer »guten« Gestaltung gefragt werden. Was ist die Garantie für das »public good«? Eine subjektive Garantie (z. B. ein »Recht auf Widerstand«) ist mit dem neuen Rechtsdenken unvereinbar, denn weder eine vorgegebene noch eine subjektive Instanz können zum Maßstab des Rechts erhoben werden. Eine solche Instanz wäre vielmehr ein Rest des Naturzustandes innerhalb des Rechtszustandes. Die gut gemeinten Versionen einer subjektiven Garantie haben im Gegenteil ihr enormes Gefahrenpotential gezeigt. Dies hat sich in der Dynamik der konfessionellen Spaltungen deutlich manifestiert (Schnur 1962). Die Garantie für das »public good« muss in dieser »Objektivität« (bzw. in dieser konkreten Wirklichkeit) selbst liegen. Die vernünftige Differenzierung dieser Wirklichkeit und nicht eine subjektive Instanz ist die Garantie eines vernünftigen Funktionierens dieser Wirklichkeit.

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5. Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

Eine angemessene Antwort auf diese Frage zu gewinnen, ist nur möglich, wenn die Wirklichkeit des Rechts als (geschichtliche) Verwirklichung der Vernunftbestimmungen begriffen wird: Das Rechtssystem muss einer geschichtlichen Gestalt des Geistes angemessen sein. Das Recht ist eine Gestalt des Geistes und der Geist ist geschichtlich. Das Prinzip des Rechts muss daher auch das Prinzip der Rechtsentwicklungen sein. Die Formulierung des Entwicklungsprinzips eines Vernunftgehalts erfordert eine Vereinigung von Vernunft und Geschichte. Die rechtsphilosophische Frage nach einer objektiven Garantie des Rechts verweist daher auf geschichtsphilosophische Fragen. Eine »objektive« Garantie des Rechts außerhalb der geschichtlichen Bewegung dieser »Objektivität« zu suchen, führt notwendigerweise zu einer Kluft, zu einem juristischen Dualismus: der Entgegensetzung des Verstandesdenkens zwischen Vernunft und Positivität, zwischen Vernunftrecht und Rechtspositivismus. Ohne die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik des Rechts operiert das neuzeitliche Rechtsdenken eigentlich mit einer Entäußerungsgestalt des freien Willens. Die Erhebung des freien Willens zum Prinzip der Rechtsentwicklungen soll im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung (Kapitel 10, »Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit«) thematisiert werden: der sich wollende Wille als das Entwicklungsprinzip des Rechts.

6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

Der Vernunftbegriff, mit dem die vorliegende Analyse des neuen Rechtsdenkens bisher operiert hat, ist, wie oben gesagt wurde, folgender: Die Tätigkeit des freien Willens ist die Produktion angemessener Verhältnisse für die Gültigkeit und Wirksamkeit der Freiheits- bzw. Vernunftbestimmungen. Nach der neuen Denkform sind Geltung und Wirklichkeit untrennbare Momente. Aus dieser produzierten Einheit von Geltung und Wirksamkeit folgt eine weitere Bestimmung dieses Vernunftmodells: Die Tätigkeit des freien Willens ist eine stabilisierende Vernunft. Durch denselben Mechanismus des Willens muss die Erzeugung und Stabilisierung der Welt des Rechts erklärt werden: »the maintenance, and motion of the whole body« (EW 3.233). Erzeugung und Erhaltung der Rechtsverhältnisse sind auch untrennbare Momente. Die Staatsmaschine ist der Mechanismus der Erzeugung und Stabilisierung des Rechts. Beide Momente müssen immer zusammenfallen, denn ihr Auseinanderfallen ist eine Gefährdung des Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts und damit der Freiheit. Der freie Wille ist laut Hobbes die Produktion einer Welt durch Wörter und Handlungen. Diese juristisch strukturierte Wirklichkeit entsteht durch eine Vereinigung der privaten und der öffentlichen Interessen. Das öffentliche Gute (»public good«) ist die konkrete Wirklichkeit des Rechts. Der Inhalt der stabilisierenden Vernunft des Rechts ist daher das öffentliche Gute. Da das Recht eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Willens ist, erfordert die Erhaltung des öffentlichen Guten, dass »the public good« gewollt und als solches eingesehen wird. Das Wollen und Wissen des öffentlichen Guten erhält sich auf doppelte Weise: durch die vermittelte Einwirkung der einzelnen Subjekte und durch die direkte Einwirkung der öffentlichen Person. Das Wollen des öffentlichen Guten erfordert laut Hobbes eine künstliche Steuerung des Wollens (des Mechanismus der Lust und Unlust): Strafe und Belohnung (6.1). Das Wissen des öffentlichen Guten betrifft nicht nur die Bekanntmachung der (positiven) Gesetze, sondern auch die Einsicht in das Gute. Diese Einsicht ist durch die Erscheinungsformen der Rechtsgestalten und durch die Rechtsvorstellungen vermittelt: das Rechtsbewusstsein (6.2). Das öffentliche Gute besteht nicht nur in der Gerechtigkeit der positiven Gesetze, denn alle Gesetze sind laut Hobbes gerecht. Die Gerechtigkeit ist eine analytische Bestimmung des Begriffs des Gesetzes, denn das Dasein des positiven Gesetzes ist der einzige Maßstab des Rechts. Das öffentliche Gute erfordert auch die Vernünftigkeit der positiven Gesetze, denn alle Gesetze sind gerecht, aber

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

nur die vernünftigen Gesetze sind »gute Gesetze« (»good laws«): Vernunft und Positivität (6.3)

6.1 Strafe und Belohnung Die Stabilisierung der Rechtsverhältnisse erfordert die Steuerung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch den Mechanismus von Strafe und Belohnung. Diese Triebkräfte sind laut Hobbes die Nerven des politischen Körpers: »reward and punishment, by which fastened to the seat of the sovereignty every joint and member is moved to perform his duty, are the nerves, that do the same in the body natural« (EW 3.x). Die Wirksamkeit dieses Mechanismus steht laut Hobbes in engem Zusammenhang mit den folgenden Mechanismen: (a) Der »Naturmechanismus« von Lust und Unlust (»appetitus et fuga«, OL 2.94): Bereits in diesem Naturmechanismus zeigt sich das Spezifikum der »Natur« des Menschen, denn die Gegenstände der menschlichen Triebe sind nicht immer gegenwärtig. Diese zukünftige Dimension zeigt sich in der Relevanz des Mechanismus von Furcht und Hoffnung bei Hobbes. In seinem Materialismus erhält dieser »Naturmechanismus«, wie sich unten zeigen wird, eine besondere Relevanz und eine enge Verknüpfung mit dem künstlichen Mechanismus von Strafe und Belohnung. (b) Die Dualität zwischen »salvation« und »condemnation«: Der Zusammenhang zwischen Furcht und Hoffnung erhält in dieser Dualität, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, eine wirkungsmächtige Verarbeitung. Die Herausbildung von religiösen Instanzen (wie dem »Reich Gottes«) ermöglicht eine politische Instrumentalisierung der immanenten Prinzipien von Furcht und Hoffnung. Daher ist diese Dualität in der Gestaltung der Religionspolitik entscheidend. Obwohl der Zwang kein Definiens von Recht ist, ist der Zwang für viele Rechtsgestalten konstitutiv. Die Belohnung scheint hingegen keine Rolle im Bereich des Rechts zu spielen. Im Bereich des Steuerrechts beispielsweise kann eine steuerliche Exemtion als eine Belohnung betrachtet werden. Dies hat jedoch im Bereich des Rechts einen sekundären Charakter. Als Belohnung im Rechtszustand denkt Hobbes vor allem an Folgendes: (a) Der Frieden ist das allgemeine Ziel der Vernunft (und daher das erste »Naturgesetz«). Die Furcht vor dem Tod und die Hoffnung auf Frieden seien die Triebkräfte, die zur Herausbildung eines Rechtszustandes führen. Die Selbsterhaltung im Frieden sei nun die Belohnung für die Gehorsamkeit.

6.1 Strafe und Belohnung

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(b) Das Streben nach Ehre ist nach Hobbes ein wirkungsmächtiges Prinzip, das leicht zu Konflikten führen kann. Diese Triebkraft sei für die Stabilität des menschlichen Zusammenlebens bedrohlich. Diese Gefahr ist für den Staat immer präsent: »Hitherto I have set forth the nature of man, whose pride and other passions have compelled him to submit himself to government: together whith the great power of his governor, whom I compared to Leviathan, taking that comparison out of the two last verses of the oneand-fortieth of Job; where God having set forth the great power of Leviathan, calleth him king of the proud. There is nothing, saith he, on earth, to compared with him. He is made so as not to be afraid. He seeth every high thing below him; and is king of all children of pride.« (EW 3.307) Die Hierarchie, die für den Staat konstitutiv ist, ermöglicht eine juristische und daher eine friedliche Strukturierung des Strebens nach Ehre. Die Ehre ist auch ein gesellschaftliches Urteil und soll als solche vom Souverän gesetzt werden. Der Inhaber der Souveränität ermöglicht die Herausbildung eines »cursus honorum« und die Geltung eines öffentlichen Urteils. Der Souverän sei daher die letzte Quelle der juristisch strukturierten Ehre, des »civil honour«: »So that of civil honour, the fountain is in the person of the commonwealth, and dependeth on the will of the sovereign; and is therefore temporary, and called civil honour; such as magistracy, offices, tittles; and in some places coats and scutcheons painted: and men honour such as have them, as having so many signs of favour in the commonwealth; which favour is power.« (EW 3.79) »The civil honour« ist eine gesetzlich festgelegte Laufbahn, die eine künstliche Steuerung des »natürlichen« Strebens nach Ehre zugunsten des »public good« ermöglicht. Mit dem neuen Rechtsdenken gewinnt die Strafbefugnis eine besondere Aufmerksamkeit, denn diese Rechtsgestalt scheint mit der Erhebung des freien Willens zum Rechtsprinzip unvereinbar. Diese Befugnis ist zu einem Problem geworden. Die Aufgabe einer Durchführung des modernen Rechtsdenkens ist die Begründung der Rechtlichkeit der Strafe, der Gerechtigkeit eines Zwangsrechts. Die Hobbessche Unterscheidung zwischen Strafe und »feindlichem Akt« (»act of hostility«) erklärt sich aus dieser ursprünglichen Berechtigung des Willens. Die Geltung der Strafbefugnis liegt auch in einem logischen Willenszusammenhang. Die feindlichen Akte sind nur vernünftig, wenn sie auf Feinde und »declared rebels« (EW 3.305) gerichtet sind. Die Aufhebung der Logik der Strafe ist daher nur berechtigt, wenn die Rechtlosigkeit des Naturzustandes aufgrund einer Willenserklärung (aufgrund der Erklärung der Feindschaft oder der Rebellion) die Verhältnisse zwischen den Menschen bestimmt.

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

Eine Begründung der Rechtlichkeit dieser Befugnis muss die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang begrifflich rekonstruieren. Diese Begründung betrifft nicht nur die interne Notwendigkeit dieser Funktion des Staates als einer stabilisierenden Instanz, denn die Problematisierung der Befugnis liegt nicht in der Frage nach ihrer Nützlichkeit, sondern in der Frage nach ihrer Rechtlichkeit, nach ihrer Gerechtigkeit. Die Rechtlichkeit dieser Funktion erfordert zugleich die Einwilligung aller Mitglieder des Staates, denn die »Rechte des Souveräns« liegen in der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens durch die Zustimmung aller Vertragspartner. Die Hobbessche Rechtsphilosophie muss die Vereinbarkeit der Strafe sowohl mit dem neuzeitlichen Rechtsdenken als auch mit den materialistischen Prinzipien begründen. Hobbes behauptet in Kap. 14 des Leviathan, dass »freedom and necessity« und »fear and liberty« vereinbar (»consistent«) sind (EW 3.197). Die Begründung der Rechtsverhältnisse durch das Prinzip der Freiheit (durch die Spontaneität des Willens) ist daher laut Hobbes vereinbar sowohl mit der Reduktion des Willens auf den Naturmechanismus von Lust und Unlust (daher mit dem Zwang) als auch mit »the fear of punishments« (EW 3.92). Die Hobbessche Straftheorie beruht auf folgenden Punkten: (I) der Auffassung des Verbrechens als Daseins des freien Willens; (II) der Erzeugung der Strafbefugnis durch die Einwilligung aller Mitglieder des Staates; (III) der Rekonstruktion der stabilisierenden Funktion der Strafe durch eine »relative« Straftheorie.

(I) Die Auffassung des Verbrechens als Dasein des freien Willens Das Verbrechen ist als Gestalt des Rechts eine durch die Tätigkeit des Willens gesetzte Einheit von Denken und Anschauung. In diesem Sinne kann das Verbrechen als ein »Willenszeichen« bezeichnet werden. Basale Bestimmungen der Willenserklärung lassen sich daher auch in dieser Rechtsgestalt wiederfinden. Das Verbrechen ist eine Daseinsform der Freiheit, denn sie wird durch die sich innerlich bestimmende Tätigkeit des Willens produziert. Die Willensbestimmungen des Verbrechens stehen nicht nur auf der ideellen Seite der Handlung, sondern sie konstituieren die gesetzte Einheit des Subjektiven und des Objektiven, denn die subjektiven Willensbestimmungen (»intentions«) werden im Begriff des Verbrechens berücksichtigt, nur sofern sie auch ins Objektive (»outward act«) übersetzt werden (EW 3.278). Die Gestalt des Verbrechens wird durch die sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit des Willens hervorgebracht. Das Urteil des Richters soll sich auf diese

6.1 Strafe und Belohnung

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anschauliche bzw. »sichtbare« Gestalt des Willens richten. Das Verbrechen kann in diesem Sinne auch als ein Willenszeichen betrachtet werden: »To intend to steal, or kill, is a sin, though it never appear in word, or fact: for God that seeth the thoughts of man, can lay it to his charge: but till it appear by something done, or said, by which the intention may be argued by a human judge, it hath not the name of crime: which distinction the Greeks observed in the word ἁμάρτημα and ἔγκλημα or αἰτία; whereof the former, which is translated sin, signifieth any swerving from the law whatsoever; but the two latter, which are translated crime, signify that sin only whereof one man may accuse another.« (EW 3.278) Aufgrund dieser »objektiven« Vereinigung von Denken und Anschaung ist das Verbrechen (im Gegensatz zur Sünde) ein »Sein für andere« und kann als eine Gestalt der juristischen Welt betrachtet werden: »But of intentions, which never appear by any outward act, there is no place for human accusation. In like manner the Latins by peccatum, which is sin, signify all manner of deviation from the law; but by crimen, which word they derive from cerno, which signifies to perceive, they mean only such sins, as may be made appear before a judge; and therefore are not mere intentions.« (EW 3.278) Das Verbrechen ist, wie ein Willenszeichen, eine Vereinigung von Denken und Anschauung. Als Produkt des Denkens ist die verbrecherische Handlung die Aufstellung einer Allgemeinheit, einer Regel. Das Verbrechen gilt als eine Willenserklärung. In Kap. 27 des Leviathan begründet Hobbes die Strafe als die Ausführung der vom Verbrecher aufgestellten Regel. Die verbrecherische Handlung ist als Äußerung eines denkenden Wesens eine Willenserklärung, deren Folge die Selbstsubsumtion des Verbrechers unter seine Regel ist: »For it is reason, that he which does injury, without other limitation than that of his own will, should suffer punishment without other limitation, than that of his will whose law is thereby violated.« (EW 3.280 f.)

(II) Die Erzeugung der Strafbefugnis durch die Einwilligung aller Mitglieder des Staates In Kap. 18 des Leviathan begründet Hobbes die Strafbefugnis als ein »Recht des Souveräns« durch das Verhältnis der Autorisierung: »Besides, if he that attempteth to depose his sovereign, be killed, or punished by him for such attempt, he is author of his own punishment, as being by the institution, author of all his sovereign shall do: and because it is injustice for a man to do anything, for which he may be punished by his own authority, he is also upon that title unjust.« (EW 3.160)

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

In Kap. 28 des Leviathan erklärt Hobbes die Erzeugung des »right to punish« durch die Tätigkeit des Willens (EW 3.297). Er erklärt diese Erzeugung durch die Selbstbeschränkung des freien Willens. Die Übertragung dieses Rechts besteht ihm zufolge in der Selbstbeschränkung des natürlichen Rechts zugunsten einer Person, die das »natürliche Recht« bzw. die »natürliche Freiheit« unbeschränkt behält: »And this is the foundation of that right of punishing which is exercised in every commonwealth. For the subjects did not give the sovereign that right; but only in laying down theirs, strengthened him to use his own as he should think fit, for the preservation of them all: so that it was not given, but left to him, and to him only; and (excepting the limits set him by natural law) as entire, as in the condition of mere nature, and of war of every one against his neighbour.« (EW 3.298) Diese Einwilligung für die Erzeugung der staatlichen Strafbefugnis kann nicht im Aufgeben der Spontaneität des freien Willens (des Selbsterhaltungstriebs bei Hobbes) zugunsten einer anderen Person bestehen. Eine Willenserklärung, die einen Anspruch auf die Disposition über diese Spontaneität erheben würde, wäre nichtig, denn diese Spontaneität ist, wie das Leben, unveräußerlich. Die ursprüngliche Berechtigung des freien Willens (des Rechtsprinzips) ist immer Möglichkeitsbedingung für die Rechtserzeugung (hier für die Erzeugung der Rechtlichkeit der Strafbefugnis). In der Erzeugung der Rechtsverhältnisse kann das Prinzip der Rechtserzeugung nicht als rechtlos betrachtet werden. Hobbes formuliert diesen Gedanken bezüglich der Erzeugung der Strafbefugnis durch die Einwilligung des Bestraften auf folgende Weise: »For by that which has been said before, no man is supposed bound by covenant, not to resist violence; and consequently it cannot be intended, that he gave any right to another to lay violent hands upon his person. In the making of a commonwealth, every man giveth away the right of defending another; but not of defending himself.« (EW 3.297)

(III) Die Rekonstruktion der stabilisierenden Funktion der Strafe durch eine »relative« Straftheorie In der bisherigen Analyse ist die verbrecherische Handlung als eine durch den Willen gesetzte Vereinigung des Subjektiven und des Objektiven betrachtet worden. Das positive Gesetz und die Figur des öffentlichen Richters (»public judge«), die eine Handlung als Verletzung des positiven Gesetzes beurteilt, sind weitere Momente der Gestalt des Verbrechens. Das Verbrechen ist eine Verletzung des positiven Gesetzes und damit des allgemeinverbindlichen Willens. Dieser besteht, wie gezeigt wurde, in einer Vermittlung der

6.1 Strafe und Belohnung

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privaten und der öffentlichen Interessen. Das Verbrechen ist ein Zeichen des Auseinanderfallens dieser Willenseinheit. Daraus leitet sich laut Hobbes die Funktion der Strafe ab. Die Strafe sei eine künstliche Steuerung des Wollens durch die Zufügung eines Übels: »A punishment is an evil inflicted by public authority, on him that hath done, or omitted that which is judged by the same authority to be a transgression of the law; to the end that the will of men may thereby the better be disposed to obedience.« (EW 3.297) Hobbes stellt immer die Strafe als eine Bedingung der Geltung der Rechtsbestimmungen dar. In Kap. 15 des Leviathan, in dem er die »Naturgesetze« als Konstruktionsregel eines allgemeinverbindlichen Willens thematisiert, wird die Strafe als eine Möglichkeitsbedingung der Produktion der Rechtsverhältnisse dargestellt: »Therefore before the names of just, and unjust can have place, there must be some coercive power, to compel men equally to the performance of their covenants, by the terror of some punishment, greater than the benefit they expect by the breach of their covenant; and to make good that propriety, which by mutual contract men acquire, in recompense of the universal right they abandon: and such power there is none before the erection of a commonwealth.« (EW 3.131) In Kap. 27 des Leviathan behandelt Hobbes die Gefährdung der Rechtsverhältnisse durch das Verbrechen. Anschließend in Kap. 28 thematisiert Hobbes die Stabilisierung der Rechtsverhältnisse durch die Strafe. Die Funktion der Strafe ist auch die Wiederherstellung des Rechts. Durch dieses Modell begreift Hobbes alle Funktionen des allgemeinverbindlichen Willens: Erzeugung und Erhaltung sind untrennbare Momente. Deswegen ist die Vernunft des Rechts eine stabilisierende Instanz, d. h. eine fortdauernde Hervorbringung einer schon verwirklichten Vernunft. Die Vernunft des Rechts ist also weder die »recta ratio« des Naturrechtsdenkens noch eine subjektive Vernunft. Sie ist eine durch immanente Prinzipien konstituierte »Objektivität«. Der Inhalt dieser »Objektivität« sind die Institutionen, die Hobbes mit dem Terminus »Souveränität« thematisiert. Das Verbrechen ist eine Gefährdung des öffentlichen Guten (»public good«). Daher begründet Hobbes die Strafbefugnis durch ein zukünftiges Gutes (»future good«, EW 3.299). Dieses Gute ist die Besserung (»correction«, »reform«) des verbrecherischen Willens. Hobbes begründet seine »relative« Straftheorie durch materialistische Denkmittel: Kausalitätsverhältnis, Empfindung, Ortsbewegung usw. Die Strafe besteht nun in »necessitating of the will to virtue« durch die Zufügung eines Übels (EW 5.177). Sie richtet sich laut Hobbes auf den Willen als ein tierisches System von Trieben: »It seems he [sc. Bramhall] taketh punishment for a kind of revenge, and can never therefore agree with me, that take it for nothing else but for a correction, or for an exemple, which hath for end the framing and necessitating

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

of the will to virtue; and that he is no good man, that upon any provocation useth his power, though a power lawfully obtained, to afflict another man without this end, to reform the will of him or others.« (ebd.) Der Wille wird damit zu einem Naturmechanismus, zu einem Kausalzusammenhang herabgesetzt. Hobbes erklärt die Stabilisierung des öffentlichen Guten durch eine künstliche Steuerung der Empfindungen. Die Staatsbefugnis zu strafen und zu belohnen ist das künstliche Korrelat von Lust und Unlust (»appetitus et fuga«, OL 2.94). Die Strafe gestaltet laut Hobbes den Willen als einen Kausal- bzw. Bewegungszusammenhang. Durch die Steuerung der Strafe und der Belohnung bewegt sich der Einzelwille auf das öffentliche Gute hin: »And thus much shall suffice for the nature of punishment and reward; which are, as it were, the nerves and tendons that move the limbs and joints of a Commonwealth.« (EW 3.307) Die Hobbessche Straftheorie ist somit notwendige Folge seiner materialistischen Willenstheorie. Diese materialistische Straftheorie kann, wie alle »relativen« Straftheorien, die Rechtlichkeit der Strafe nicht begründen. Sie kann auch aufgrund ihrer juristischen Folgen im Bereich der empirischen Rechtspraxis kritisiert werden. Die verbrecherische Handlung fasst sie als Resultat einer Überlegung hinsichtlich der Lust und Unlust auf. Die Antwort dieser Straftheorie auf eine Expansion der kriminellen Energie ist der Ruf nach härteren Strafen. Diese Folgerung hat sich jedoch in der empirischen Rechtspraxis als falsch erwiesen. Bezüglich der Androhungstheorie Feuerbachs, die wie die Hobbessche die Strafe auf einen psychischen Zwang reduziert, behauptet Roxin Folgendes: »Dies ist eine die menschliche Willensfreiheit leugnende, rationalistische Konstruktion, die sich später als überwiegend unzutreffend erwiesen hat, weil die meisten Täter die möglichen Folgen der Tat in ihre Überlegungen gar nicht einbeziehen, sondern damit rechnen, daß sie nicht gefaßt werden.« (Roxin 2003, 44) Psychische Maßnahmen dieser Art, die die Menschen als unfreie Wesen behandeln, können hingegen sogar zu einer Steigerung ihrer kriminellen Energie führen, denn sie versuchen, durch das Verbrechen als Selbstbehauptung der Freiheit die aberkannte Dignität wiederherzustellen. Es wurde gezeigt, dass Hobbes technische Unterschiede der empirischen Rechtspraxis (z. B. »voluntary actions«, »involuntary actions« und »mixed actions«) erwähnt und dass er sie mit seiner materialistischen Theorie (z. B. mit dem Kausalitätsverhältnis) nicht begrifflich rekonstruieren kann. Dasselbe gilt für die Gestalt des Verbrechens. Hobbes referiert technische Unterschiede der Rechtspraxis bezüglich des Verbrechens. (»excuse«, »attenuation«, »aggravation« usw.): »For though all crimes do equally deserve the name of injustice, as all deviation from a straight line is equally crookedness,

6.2 Das Rechtsbewusstsein

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which the Stoics rightly observed: yet it does not follow that all crimes are equally unjust, no more than that all crooked lines are equally crooked; which the Stoics, not observing, held it as great a crime, to kill a hen, against the law, as to kill one’s father.« (EW 3.247) Diese Unterschiede setzen eine Skala von Freiheitsgraden voraus. Die materialistische Willenstheorie Hobbes’ leugnet jedoch diese Freiheitsgrade: Ihr zufolge erwirbt der Mensch in seiner Entwicklung, wie oben gesagt wurde, nicht höhere Freiheitsgrade sondern nur Erinnerungen (»memory« bzw. »imagination«) (siehe Kapitel 3 der vorliegenden Analyse).

6.2 Das Rechtsbewusstsein Die Aufgabe der Rechtsphilosophie ist die methodische Rekonstruktion der Welt des Rechts. Die Rekonstruktion dieses Gesamtphänomens ist zugleich die Konstruktion eines begrifflichen Gebäudes. Als philosophische Wissenschaft muss die Rechtsphilosophie dieses Gebäude aus immanenten Prinzipien ableiten. Sie muss das Fundament und die Form dieses Gebäudes darstellen: Das Fundament ist die Tätigkeit des freien Willens und die Form ist die systematische Einheit der Funktionen des allgemeinverbindlichen Willens (die Vereinigung von »essential and inseparable rights«). Diese Vereinigungsform des freien Willens konstitutiert die »absolute Macht« des Souveräns. Daraus erklärt sich Filmers Rezeption der Hobbesschen »civil philosophy«. Hobbes’ Lehre über die Grundlagen des Rechts besteht laut Filmer nur aus Widersprüchen und Paradoxa, die aus der Diskrepanz zwischen dem Fundament und der Form dieses Gebäudes entstehen. Hobbes begründet wie Filmer eine absolute Autorität, die jedoch von unserer Einwilligung abhängig ist: »With no small content I read Mr. Hobbes’ book De Cive, and his Leviathan, about the rights of sovereignty, which no man, that I know, hath so amply and judiciously handled I consent with him about the rights of exercising, but I cannot agree to his means of acquiring it. It may see strange I should praise his building, and yet mislike his foundation, but so it is, his Jus Naturae and his regnum institutivum will down with me; they appear full of contradictions and impossibilities.« (Filmer 1991, 184 f.) Da das Fundament dieses Gebäudes die produktive Tätigkeit der Menschen ist, liegt die Instabilität dieses Gebäude auch in dieser Tätigkeit: »For by the nature of their institution, they are designed to live, as long as mankind, or as the laws of nature, or as justice itself, which gives them life. Therefore when they come to be dissolved, not by external violence, but intestine disorder, the fault is not in men as they are the matter; but as they are the makers, and order-

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

ers of them. For men, as they become at last weary of irregular jostling, and hewing one another, and desire with all their hearts, to conform themselves into one firm and lasting edifice: so for want, both of the art of making fit laws, to square their actions by, and also of humility, and patience, to suffer the rude and cumbersome points of their present greatness to be taken off, they cannot without the help of a very able architect, be compiled into any other than a crazy building, such as hardly lasting out their own time, must assuredly fall upon the heads of their posterity.« (EW 3.308; Hervorh. A.B.) Hobbes muss eine Instanz auffinden, aus welcher sich die »Infirmities of a Commonwealth« erklären lassen. Die Instanz muss als Rechtsgestalt auch ein Willensprodukt sein. Alle Gestalten des freien Willens sind Vereinigungsformen des Subjektiven und des Objektiven. In dieser Welt vorhandenes Bewusstsein dessen, was Recht oder Unrecht, Gut oder Böse ist, ist als Regel der Handlung eine Gestalt des Willens. Die »Infirmities«, die dieses »firm edifice« gefährden, sind verschiedene Gestalten des Rechtsbewusstseins. Sie sind verfehlte Einsichten in den Grund der Verbindlichkeit. Solche falschen Rechtsvorstellungen sind ein Selbstmissverständnis der eigenen Tätigkeiten unserer Geistigkeit. Sie erklären sich andererseits aus Herrschsucht, aber diese politischen Interessen sind jedoch durchsetzungsfähig nur deshalb, weil diese Gestalten des Rechtsbewusstseins bereits wirksam sind. Das Rechtsbewusstsein zeigt sich als ein Willensprodukt nicht nur hinsichtlich seiner Form (einer Einheitsform des Subjektiven und des Objektiven), sondern auch hinsichtlich seiner Genese: Die verschiedenen Bewusstseinsformen des Rechts sind von den verschiedenen Erscheinungs- und Daseinsformen der Welt des Rechts untrennbar. Die Erscheinungs- und Bewusstseinsformen der sittlichen Welt lassen sich nur durch die Einheitsformen des freien Willens und ihre angemessene oder unangemessene Gestaltung erklären. Dies lässt sich anhand der folgenden Form von »infirmity« veranschaulichen: »Of which, this is one, that a man to obtain a kingdom, is sometimes content with less power, than to the peace, and defence of the commonwealth is necessarily required.« (EW 3.309) Hobbes thematisiert die defiziente Gestaltung einer Willensform, der »absoluten« Autorität des Staates. Diese defiziente Gestaltung der staatlichen Willenseinheit besteht in folgendem Widerspruch: die Beschränkung einer absoluten bzw. unbeschränkten Autorität. Diese Beschränkung vollzieht sich durch Willenszeichen: »Kings deny themselves some such necessary power« (ebd.). Eine solche abgegebene Erklärung ist laut Hobbes notwendigerweise ein »sign of error«, denn dieses Zeichen ist mit der Logik dieser Willensform unvereinbar. Die unvernünftige Beschränkung der Autorität produziert eine Erscheinungsform (»the resemblance of an unjust act«, ebd.) und eine Form des Rechtsbewusstseins,

6.2 Das Rechtsbewusstsein

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die eine bestimmte Handlungsweise zur Folge haben kann: »From whence it cometh to pass, that when the exercise of the power laid by, is for the public safety to be resumed, it hath the resemblance of an unjust act; which disposeth great numbers of men, when occasion is presented, to rebel.« (ebd.) Die Stabilität des Staates ist daher nur mit bestimmten Bewusstseinsformen des Rechts vereinbar. Mit der Behandlung der Erscheinungs- und Bewusstseinsformen des Rechts zeigt sich deutlicher, dass die Welt des Rechts eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Wollens ist. Aufgrund dieser Seinsweise können die Formen der Welt des Rechts als wahr oder als falsch bezeichnet werden. Diese neue Denkweise operiert jedoch mit einem neuen Wahrheitsbegriff. Die Wahrheit besteht nicht mehr in der Abbildung einer vorausgesetzten (von Gott geschaffenen) »Natur«. Die folgenden Bestimmungen dieses neuen Wahrheitsbegriffs müssen aus dem Vernunftbegriff des neuen Rechtsdenkens abgeleitet werden, wie sich anhand der folgenden Punkte zeigen lässt: (a) Die Vernunft des Rechts ist eine immanente Produktionslogik. Diese Auffassung der Vernunft als »artificial reason« (EW 3.x) lässt sich auch auf folgende Weise formulieren: Die Geltung und Ausübung der Rechtbestimmungen erfordern die Produktion angemessener Verhältnisse. Die »Wahrheit« der Rechtsgestalten besteht in ihrer Angemessenheit für die Verwirklichung der Freiheits- bzw. Vernunftbestimmungen. (b) Die Vernunft ist zweitens die fortdauernde Hervorbringung einer bereits hervorgebrachten Wirklichkeit (»maintenance and motion of the whole body«, EW 3.233). Die Funktion der Stabilisierung ist konstitutiv für diesen Vernunftbegriff. Die Auffassung der Vernunft als stabilisierende Instanz lässt sich auf folgende Weise formulieren: Die Funktion der Stabilisierung erfordert eine systematische Vereinigung von Funktionen. Ein lebensfähiges Rechtssystem kann als »wahr« bezeichnet werden. (c) Die »falschen« Gestalten des Rechts sind ein Rest des Naturzustandes innerhalb des Staates. In Kap. 29 des Leviathan, wo Hobbes »falsche« Bewusstseinsformen des Rechts analysiert, wird der Naturzustand als ein wirklicher Zusammenhang thematisiert. Die verschiedenen Gestalten dieses innerstaatlichen Naturzustandes werden in diesem Kapitel politisch eingeordnet. Dasselbe gilt für das Kap. 46 des Leviathan, wo Hobbes Bewusstseinsformen eines religionspolitischen Naturzustands untersucht. Diese Verarbeitung des Naturzustandsbegriffs als eine Gestalt innerhalb des Rechtszustandes wird insbesondere bei Hegel gründlich formuliert: Der Naturzustand ist keine Fiktion, sondern ein konstitutives Moment wirklicher Willensformen (z. B. der bürgerlichen Gesellschaft). »Wahrheit« in dieser Bestimmung der Vernunft bedeutet Vereinbarkeit mit dem Frieden.

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

Die drei oben erörterten Bestimmungen des Vernunft- und Wahrheitsbegriffs lassen sich im Hobbesschen Begriff des Friedens wiederfinden: (a) Der Frieden ist der allgemeine Zweck der Vernunft. Die Ausführung dieses Zwecks erfordert die Produktion angemessener Verhältnisse. (b) Die Erhaltung des Frieden erfordert eine Vereinigung von Funktionen. Diese funktionale Einheit ist ein lebensfähiges System (der Friedens- bzw. Rechtszustand). (c) Eine Gestalt des Willens, die aufgrund ihrer Form eine Gefahr für den Frieden ist, wird laut Hobbes als unvernünftig und falsch bezeichnet. Die gut gemeinten Absichten sind nicht hinreichend für die Berechtigung einer Willensform. Die Inhalte lassen sich nicht mehr isoliert (d. h. ohne ihre logische Form) betrachten. Die Stabilisierung des Rechtszustandes erfordert, dass »the public good« als die wahre Gestalt der Gerechtigkeit eingesehen wird. Das öffentliche Gute ist eine juristisch strukturierte Wirklichkeit. Alle Bewusstseinsformen des Rechts, die von dieser juristischen Konkretion absehen, sind falsch und daher gefährlich. Die von Hobbes aufgezählten Krankheiten des Rechtszustandes bestehen aus drei folgenden Grundirrtümern: (I) Hobbes zeigt die Notwendigkeit der juristischen Vermittlung in Instanzen, die in einer abstrakten Form vorgestellt werden. Durch die Abstraktion werden diese Instanzen als absolut und damit als unmittelbar berechtigt begriffen. Ein einseitiges Moment einer vernünftigen Instanz wird zur Wahrheit dieser Instanz erhoben, und dadurch zeigt sich diese Instanz als Unvernunft, z.B das Gewissen: »that every private man is judge of Good and Evil actions« (EW 3.310); »whatsoever a man does against his conscience, is sin« (EW 3.311). Durch die abstrakte Betrachtung dieser Instanzen wird das Gute auf ein privates Urteil reduziert. Es wurde im Gedankenexperiment des Naturzustandes gezeigt, dass diese Instanzen einer Dialektik unterworfen sind. Durch diese Dialektik gewinnen die Instanzen eine juristische Vermittlung und werden zu einer konkreten Wirklichkeit gestaltet. Hobbes zeigt diese dialektische Vermittlung des Gewissens anhand des Begriffs des Urteils. Das Gewissen ist eine Gestalt des freien Willens, denn das Gewissen ist ein Urteil und dieses Urteil gilt als Regel der Handlungen. Das Urteil des Gewissens kann falsch sein und nur durch eine juristische Vermittlung wird es zu einer wahren Gestalt der Vernunft. Das private Urteil des Gewissens wird in ein öffentliches Urteil und daher in ein öffentliches Gewissen umgestaltet: »For a man’s conscience, and his judgement is the same thing, and as the judgement, so also the conscience may be erroneous. Therefore, though he that is subject to no civil law, sinneth in all he does against his conscience, because he has no other rule to follow but his own reason; yet it is not so with him that lives in a Commonwealth; because the law is the public conscience, by which

6.2 Das Rechtsbewusstsein

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he hath already undertaken to be guided.« (ebd.) Auf dieselbe Weise argumentiert Hobbes auch bezüglich des Eigentums, denn es basiert auf einem Urteil über »meum« und »tuum«: »A fith doctrine, that tendeth to the dissolution of a commonwealth, is, that every private man has an absolute propriety in his goods; such, as excludeth the right of the sovereign.« (EW 3.313) Aufgrund der Dialektik des Urteils im Naturzustand erfordert das Eigentum auch das Urteil der öffentlichen Person. (II) Hobbes verabschiedet Instanzen, die (im Gegensatz zu den vorherigen) keiner juristischen Strukturierung fähig sind, z. B. die »supernatural inspiration«: »It hath been also commonly taught, that faith and sanctity, are not to be attained by study and reason, but by supernatural inspiration, or infusion. Which granted, I see not why any man should render a reason of his faith; or why every Christian should not be also a prophet; or why any man should take the law of his country, rather than his own inspiration, for the rule of his action.« (EW 3.311) Wer sich auf diese Instanz beruft, entzieht sich der Vernunft (und daher der immanenten Logik des freien Willens), denn diese Instanz ist ein idiosynkratischer Inhalt. Durch diese unvernünftige Instanz werden die Grundlagen des Rechts bedroht. Die Rechtsverhältnisse erfordern immer das anschauliche Dasein des Willenszeichens und daher die Logik der Willenserklärung. Dieselbe gilt für die unsichtbare Instanz der Sünde. Nur die Instanzen, die einer Vereinigung von Denken und Anschauung, von Subjektivität und Objektivität fähig sind, können in die Sphäre des Rechts eintreten. Deswegen richtet sich die richterliche Gewalt nicht auf die Sünde, sondern auf das Verbrechen. Das Verbrechen ist eine »sichtbare« (d. h. anschauliche) Wirklichkeit und damit ein Sein für andere (vgl. Kap. 27 des Leviathan). Die unsichtbare Instanz der Sünde kann jedoch durch die elementare Form des Rechts (die Willenserklärung) Rechtscharakter erhalten. Diese »spiritualistische« und unvernünftige Gestaltung des Rechts kritisiert Hobbes auf folgende Weise: »For seeing the ghostly power challengeth the right to declare what is sin, it challengeth by consequence to declare what is law, sin being nothing but the transgression of the law; and again, the civil power challenging to declare what is law, every subject must obey two masters, who both will have their commands be observed as law, which is impossible.« (EW 3.316) Das Recht erfordert immer die Gestalt der Willenserklärung, und diese besteht, wie gezeigt, in einer Vereinigung von Denken und Anschauung. Hobbes meint, in dem Materialismus eine Immunisierung gegen Rechtsvorstellungen zu finden, die diese Vereinigung von Denken und Anschauung außer Kraft setzen wollen. Obwohl bestimmte Instanzen für das Subjekt »unobservable« sind, muss das laut Hobbes nicht als eine Trennung von Denken und Anschauung interpretiert werden. Hobbes wendet hier die Theorie

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

des »conatus« an. Der »conatus« ist »unobservable«, aber er ist Ortsbewegung und daher – logisch gesehen – einer Anschauung fähig. Damit kann Hobbes die teleologischen Instanzen verabschieden. Durch den Materialismus versucht Hobbes, die Vereinigung von Denken und Anschauung im Bereich des Rechts z. B. bezüglich der Inspiration geltend zu machen: »Faith comes by hearing, and hearing by those accidents, which guide us into the presence of them that speak to us; which accidents are all contrived by God Almighty; and yet are not supernatural, but only, for the great number of them that concur to every effect, unobservable.« (EW 3.312, Hervorh. A.B.) Hobbes versucht, das Gebäude des Rechts aus den »natürlichen« Prinzipien abzuleiten. Die »principles of natural reason« und die »principles of natural science« sind ihm zufolge dieselben Prinzipien. Hobbes gestaltet die »civil philosophy« durch die Prinzipien der Naturwissenschaft. Darin zeigt sich, dass die Wissenschaftsgeschichte und die Geschichte des Naturrechts sich in der Frühneuzeit massiv überschneiden. Das Recht ist eine »sichtbare« (bzw. anschauliche) und vernünftige Autorität (»visible power« EW 3.153). Der Materialismus dient Hobbes zur Erzeugung einer Bewusstseinsform, die das Recht als eine Vereinigung von Denken und empirischen Akten interpretiert. Das Gegenbild ist die »unsichtbare« Macht, die durch »spiritualistische« Bewusstseinsformen erzeugt wird: »For the civil authority being more visible, and standing in the clearer light of natural reason, cannot choose but draw to it in all times a very considerable part of the people: and the spiritual, though it stand in the darkness of School distinctions, and hard words, yet, because the fear of darkness and ghosts, is greater than other fears, cannot want a party sufficient to trouble, and sometimes to destroy a commonwealth.« (EW 3.317) Der Materialismus soll zu einer Klärung der spiritualischen Rechtsvorstellungen dienen. Dies wird sich im folgenden Kapitel der vorliegenden Analyse bezüglich der religionspolitischen Fragen des Leviathan klar zeigen (siehe unten 7.3). (III) Da die verschiedenen Rechtsgestalten immer eine Vereinigung freier Willen sind, besteht der Irrtum bestimmter Bewusstseinsformen darin, dass eine Gestalt des Willens durch eine ihr fremde Einheitsform aufgefasst wird: (a) Die Interdependenz der Funktionen wird als Abhängigkeit missverstanden: »A fourth opinion, repugnant to the nature of a commonwealth, is this, that he that hath the sovereign power is subject to the civil laws. […] Which error, because it setteth the laws above the sovereign, setteth also a judge above him, and a power to punish him; which is to make a new sovereign; and again for the same reason a third, to punish the second; and so continually without end, to the confusion, and dissolution of the commonwealth.« (EW 3.312) (b) Die Interdependenz der Funktionen wird als eine Wechselwirkung selbstän-

6.3 Vernunft und Positivität

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diger Instanzen aufgefasst. Dies gilt für die Auffassung der Gewaltendifferenzierung als Gewaltentrennung. Die Umgestaltung dieser »organischen« Wirkungsweise aufgrund einer falschen Rechtsvorstellung bedroht die Stabilität des Staates: »There is a sixth doctrine, plainly, and directly against the essence of a commonwealth; and it is this, that the sovereign power may be divided. For what is it to divide the power of a commonwealth, but to dissolve it; for powers divided mutually destroy each other.« (EW 3.313; Hervorh. A.B.) Hobbes leitet die staatliche Funktion der Strafe aus der Notwendigkeit ab, den Einzelwillen in das Wollen des »public good« zurückzubewegen. Auch leitet er die Funktion der »Instruction of the people« aus der Notwendigkeit ab, den Einzelwillen zur »wahren« Einsicht des »public good« zu bringen: »I conclude therefore, that in the instruction of the people in the essential rights which are the natural and fundamental laws of sovereignty, there is no difficulty, whilst a sovereign has his power entire, but what proceeds from his own fault, or the fault of those whom he trusteth in the administration of the commonwealth; and consequently, it is his duty, to cause them so to be instructed; and not only his duty, but his benefit also, and security against the danger that may arrive to himself in his natural person from rebellion.« (EW 3.326) Da alle »Infirmities« dieses Gebäudes in falschen Einsichten liegen, sind sie laut Hobbes durch eine korrekte Ausübung der staatlichen Funktion auflösbar: »I recover some hope, that one time or other, this writing of mine may fall into the hands of a sovereign, who will consider it himself, (for it is short, and I think clear,) without the help of any interested, or envious interpreter; and by the exercise of entire sovereignty, in protecting the public teaching of it, convert this truth of speculation, into the utility of practice.« (EW 3.358) Diese Naivität ist jedoch konsequent verbunden mit einer Durchführung des Prinzips des freien Willens, die die Tätigkeit des Willens auf selbstbewusste Willensakte reduziert.

6.3 Vernunft und Positivität Die Stabilisierung der Welt des Rechts erfordert das Wollen und Wissen des »public good« (EW 3.166) und daher eine Vereinigung der privaten und der öffentlichen Interessen. Diese Vereinigung wird nicht nur durch die oben erörteten Instanzen (Strafe und Belohnung; das Rechtsbewusstsein) konstituiert. Sie ist ebenso durch die Gesetzgebung bedingt. Diese Vereinigung des privaten und des öffentlichen Interesses erfordert »the making of good laws« (EW 3.335), denn »a good law is that, which is needful, for the good of the people, and withal perspicuous« (ebd.). Der Hobbessche Begriff des

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

guten Gesetzes beruht somit auf dem Begriff des Guten als einer konkreten Allgemeinheit, d. h. als einer Einheit des besonderen und des allgemeinen Willens: »For the good of the sovereign and people, cannot be separated«. (EW 3.336) Die »guten Gesetze« erfordern eine Vereinigung von Vernunft und Positivität. Ohne die Erlassung und Vollstreckung guter Gesetze ist die Staatsmaschine nicht lebensfähig. Hobbes leugnet die Trennung einer ideellen und einer verwirklichten Ordnung durch die Formulierung eines neuen Rechtsdenkens: Das Recht ist das Dasein des freien Willens. Die Durchführung dieser Denkform erfordert, dass das Verhältnis von Vernunft und Positivität auf eine neue Weise gedacht wird. Sie lassen sich nicht mehr getrennt oder gegeneinander denken. Konsequenterweise versucht Hobbes, diese Vereinigung von Vernunft und Positivität begrifflich zu rekonstruieren: »Hobbes unternimmt die naturrechtliche Begründung des positiven Rechts.« (Welzel 1962, 116) Vernunft und Positivität sind in der Tradition des Naturrechtsdenkens anhand der Unterscheidung von »lex naturalis« und »lex positiva« thematisiert worden. In Kap. 26 des Leviathan stellt Hobbes verschiedene Klassifikationen der Gesetze dar, die sich in der Rechtsgeschichte und im Naturrecht eingebürgert haben: »The difference and division of the laws, has been made in divers manners, according to the different methods, of those men that have written of them. For it is a thing that dependeth on nature, but on the scope of the writer; and is subservient to every man’s proper method.« (EW 3.269 f.) Hobbes referiert die naturrechtliche Unterscheidung zwischen natürlichem und positivem Gesetz auf folgende Weise: »Another division of laws, is into natural and positive. Natural are those which have been laws from all eternity; and are called not only natural, but also moral laws; consisting in the moral virtues, as justice, equity, and all habits of the mind that conduce to peace, and charity; of which I have already spoken in the fourteenth and fifteenth chapters. Positive, are those which have not been from eternity, but have been made laws by the will of those that have had the sovereign power over others; and are either written, or made known to men, by some other argument of the will of their legislator.« (EW 3.271) Diese Unterscheidung zwischen natürlichem und positivem Gesetz stellt Hobbes auch anhand der Termini »equity« und »justice« dar: »For in whatsoever is not regulated by the commonwealth, it is equity, which is the law of nature, and therefore an eternal law of God, that every man equally enjoy his liberty.« (EW 3.275) Er versucht also, das Verhältnis von Vernunft und Positivität als eine Vereinigung von Billigkeit und Gerechtigkeit zu rekonstruieren. Das neuzeitliche Rechtsdenken muss die Vereinigung von »lex naturalis« und »lex positiva« durch einen neuen Vernunftbegriff gewinnen. Es ist

6.3 Vernunft und Positivität

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daher zu analysieren, anhand welches Vernunftmodells Hobbes versucht, eine naturrechtliche Begründung des positiven Gesetzes zu gewinnen. Der Inhalt des Naturrechts beschränkt sich daher nicht mehr auf die »lex naturalis«. Dieses Vernunftmodell muss in den Kapiteln analysiert werden, in welchen Hobbes den Begriff des Gesetzes thematisiert. In den Kapiteln 14–15 des Leviathan behandelt Hobbes die »Naturgesetze« (»natural laws«) als die innere Logik des Vertrags. In Kapitel 26 thematisiert er die staatlichen Gesetze (»civil laws«). In Kapitel 30 bezieht er den Begriff des guten Gesetzes (»good law«) ein. Er operiert in dieser philosophischen Begründung der Positivität mit zwei Vernunftmodellen. Diese Modelle haben sehr verschiedene Folgen und zeigen damit, dass die Hobbessche Durchführung des neuen Rechtsdenkens hinsichtlich dieser Problematik in Widersprüche gerät, wie sich anhand der folgenden Punkte zeigen lässt: (I) die Einheit von Vernunft und Positivität; (II) die Entgegensetzung zwischen Vernunft und Positivität.

(1) Die Einheit von Vernunft und Positivität Das erste Modell wird in den Kapiteln 14, 15 und 26 dargestellt. Die mannigfaltigen »Naturgesetze«, die in Kap. 14–15 dargestellt werden, stehen, wie oben gesagt wurde, in einem sachlogischen Zusammenhang (die innere Logik des Vertrags). Das Kap. 15 endet mit der These, dass die »Naturgesetze« eigentlich keine Gesetze seien: »These dictates of reason, men used to call by the name of laws, but improperly: for they are but conclusions, or theorems concerning what conduceth to the conservation and defence of themselves; whereas law, properly, is the word of him that by right hath command over others.« (EW 3.147) Die Analyse der »Naturgesetze« verweist daher auf das Dasein des positiven Gesetzes. Die Analyse der »natürlichen Gesetze« (in Kap. 14–15) wird durch die Analyse der staatlichen Gesetze (»civil laws«) (in Kap. 26) ergänzt. Hobbes definiert den Begriff des positiven Gesetzes auf folgende Weise: »Civil law, is to every subject, those rules, which the commonwealth hath commanded him, by word, writing, or other sufficient sign of the will, to make use of for the distinction of right and wrong; that is to say, of what is contrary, and what is not contrary to the rule.« (EW 3.251) Nur durch die positiven Gesetze erhalten die Begriffe von Recht und Unrecht, Gut und Böse eine Allgemeingültigkeit. Die positiven Gesetze sind die »mensura certa« für Recht und Unrecht, für Gut und Böse. Alle Gesetze sind daher nach ihrer Definition gerecht und gut. Das Problem des Fehlens eines sicheren Maßstabs (»defectum mensurae certae«, OL 2.116), das den Naturzustand ausmacht, wird durch die Produktion positiver Gesetze im Rechts-

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6. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen

zustand gelöst. In Kap. 26 thematisiert Hobbes das Verhältnis von »Vernunftgesetzen« und positiven Gesetzen. Hobbes formuliert dieses Verhältnis prägnant auf folgende Weise: »The law of nature, and the civil law, contain each other, and are of equall extent« (EW 3.253); »civil, and natural law are not different kinds, but different parts of law« (ebd.). Dieses Verhältnis erklärt sich aus dem Hobbesschen Modell einer »artificial reason« (EW 3.x): Die staatlichen Gesetze bestätigen und ergänzen die Klugheitsregel der praktischen Vernunft. Die Tätigkeit des Willens besteht in der Produktion angemessener Verhältnisse für die Geltung und Ausübung der Vernunftbestimmungen, der Rechtsbestimmungen. Diese künstlichen Verhältnisse (»artificial chains«, EW 3.198) sind die staatlichen Gesetze. Die Folge davon ist, dass die Gesetze nie gegen die Vernunft sein können. Deswegen kritisiert Hobbes Rechtstheorien, die auch diese These (»das positive Gesetz kann nie gegen die Vernunft sein«) behaupten, aber mit einem anderen Vernunftmodell operieren. Die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Positivität verweist auf die Frage bezüglich des Vernunftmodells. Das positive Gesetz kann nie gegen die Vernunft sein, aber welche ist die gesetzgebende Vernunft? Mit welchem Vernunftmodell muss die Wirklichkeit des Rechts und das positive Gesetz begriffen werden?: »That law can never be against reason, our lawyers are agreed; and that not the letter, that is, every construction of it, but that which is according to the intention of the legislator, is the law. And it is true: but the doubt is of whose reason it is, that shall be received for law.« (EW 3.256; Hervorh. A.B.) Diese gesetzgebende Vernunft ist weder »privat reason« noch »iuris prudentia« (im Gegensatz zur Theorie Edward Cokes), sondern die künstliche Vernunft des Staates: »It is not meant of any private reason; for then there would be as much contradiction in the laws, as there is in the Schools; nor yet, as Sir Edward Coke makes it, an artificial perfection of reason, gotten by long study, observation, and experience, as his was. For it is possible long study may increase and confirm erroneous sentences: and where men build on false grounds, the more they build, the greater is the ruin: and of those that study and observe with equal time and diligence, the reasons and resolutions are, and must remain, discordant: and therefore it is not that juris prudentia, or wisdom of subordinate judges; but the reason of this our artificial man the commonwealth, and his command, that maketh law: and the commonwealth being in their representative but one person, there cannot easily arise any contradiction in the laws; and when there doth, the same reason is able, by interpretation or alteration, to take it away.« (EW 3.256; Hervorh. A.B.) In diesem ersten Vernunftmodell kann kein Widerspruch zwischen Vernunft und Positivität entstehen. Durch dieses Modell leugnet Hobbes die Möglichkeit einer Kluft zwischen Vernunft und positivem Recht.

6.3 Vernunft und Positivität

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(II) Die Entgegensetzung von Vernunft und Positivität Dieses Modell zeigt sich problematisch in Kap. 30, wo Hobbes den Begriff des »guten Gesetzes« einführt. Die Gesetze können nicht mehr nach ihrer Definition als gut bezeichnet werden: »But what is a good law? By a good law, I mean not a just law: for no law can be unjust. The law is made by the sovereign power, and all that is done by such power, is warranted, and owned by every one of the people; and that which every man will have so, no man can say is unjust. It is in the laws of a Commonwealth, as in the laws of gaming: whatsoever the gamesters all agree on is injustice to none of them.« (EW 3.335) Die Vernünftigkeit der guten Gesetze zeigt sich darin, dass sie notwendige und verständliche Gesetze sind. Die positiven Gesetze, die diese Bestimmungen nicht enthalten, sind gegen die Vernunft. Die »iniquity« dieser Gesetze zeigt, dass nach diesem zweiten Vernunftmodell ein Widerspruch zwischen Vernunft (»equity«) und Positivität (»justice«) bestehen kann. Die Theorie der guten Gesetze ist nicht mehr mit dem bisher dargestellten Vernunftmodell vereinbar: »Damit wird in diesem Punkte das voluntaristische Wertsystem gesprengt. Nicht der Wille schlechthin, sondern nur der gute Wille schafft das Gute.« (Welzel 1962, 121) Hier zeigt sich eine allgemeine Inkonsequenz der Hobbesschen Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Sie besteht in der Aporie seiner Prinzipien: »Aber selbst wenn man über solche Widersprüche hinwegsieht, vermag Hobbes nur die Notwendigkeit einer daseinserhaltenden Ordnung zu erweisen; es fehlen ihm alle Prinzipien, die die nähere Ausgestaltung dieser Ordnung sinnvoll und gerecht regeln könnten. Bei dem großartigen Versuche, Positivität und Idealität zu vereinen und das Ideelle in die Wirklichkeit des positiven Rechts hinabzuzwingen und es aus ihr zu gewinnen, ist Hobbes letztlich darum gescheitert, weil er das Ideelle zu gering nahm.« (Welzel 1962, 123)

7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« Die Erhebung der praktischen Philosophie zur Dignität einer Wissenschaft erfordert, dass richtig formuliert wird, welche die spezifischen Data und die Fragestellung dieser Wissenschaft sind. Das Faktum dieser Wissenschaft ist laut Hobbes eine natürlich gegebene Menge einzelner Willen. Die richtig formulierte Frage der »civil philosophy« lautet, Wie kann aus dieser natürlichen Menschenmenge eine rechtssetzende Einheitsform produziert werden? In den ersten zwei Büchern des Leviathan stellt Hobbes die Data der »civil philosophy« dar und gewinnt eine erste Antwort auf die oben gestellte Frage. Eine vollständige Antwort auf diese Frage muss auch die Verbindlichkeit der sogenannten »laws of God« thematisieren. Deswegen verweist Hobbes auf diese Problematik, nachdem er die Resultate der ersten zwei Bücher zusammengefasst hat: »That the condition of mere nature, that is to say, of absolute liberty, such as is theirs, that neither are sovereigns, nor subjects, is anarchy, and the condition of war: that the precepts, by which men are guided to avoid that condition, are the laws of nature: that a commonwealth, without sovereign power, is but a word without substance, and cannot stand: that subjects owe to sovereigns, simple obedience, in all things wherein their obedience is not repugnant to the laws of God, I have sufficiently proved, in that which I have already written. There wants only, for the entire knowledge of civil duty, to know what are those laws of God.« (EW 3.343) Die Religion zeigt sich in der Welt des Rechts als ein Problem des Wissens. Dieses Problem des Wissens bezieht sich auf die Vereinbarkeit oder Kollision von staatlichen und »göttlichen Gesetzen«: »For without that [sc. die Kenntnis des Inhalts der »Gesetze Gottes« und eine adäquate Einsicht in den Grund ihrer Verbindlichkeit], a man knows not, when he is commanded anything by the civil power, whether it be contrary to the law of God, or not: and so, either by too much civil obedience, offends the Divine Majesty; or through fear of offending God, transgresses the commandments of the commonwealth. To avoid both these rocks, it is necessary to know what are the laws divine.« (ebd.) Hobbes’ Religionspolitik orientiert sich an einem »epistemological problem«: »The problem posed by mediate revelation is an epistemological problem.« (Martinich 2003, 223). Die Religion ist bereits in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension ein Zusammenhang des Wissens. Der Inhalt dieses Wissens ist nicht die Natur Gottes. Dies zeigt sich noch deutlicher bei Hobbes, denn er fasst die Natur Gottes als unbegreiflich auf. Durch die natürliche Vernunft sind laut Hobbes

7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« 123

im Bereich der Religion nur die »natürlichen Gesetze« des Kultus erkennbar. Um eine Lösung für diese Problematik zu gewinnen, müssen die »gesetzgebenden« Instanzen der Religion thematisiert werden. Deswegen beschäftigt sich Hobbes mit der in der christlichen Welt verbreiteten Vorstellung des »Reichs Gottes«: »And seeing the knowledge of all law, dependeth on the knowledge of the sovereign power, I shall say something in that which followeth, of the Kingdom of God.« (EW 3.343 f.) Eine wichtige Frage ist, ob die »civil philosophy« neue Data und Prinzipien einbeziehen muss, um dieses Problem zu lösen. Das neue Rechtsdenken besagt, dass der freie Wille das letzte Prinzip aller Verbindlichkeit ist. Es versteht sich daher von selbst, dass der freie Wille sich auch als Ursache der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« zeigen muss. Nach dem Standpunkt der Religion steht der Mensch vor Gott in einem Abhängigkeitsverhältnis. Hobbes muss zeigen, dass dieser Grundgedanke der Religion (ein »vorgegebenes« Abhängigkeitsverhältnis) mit der neuen Denkweise vereinbar ist, die besagt, dass alle Gesetze (und daher auch die »Gesetze Gottes«) von unserer Zustimmung abhängig sind. Der Mensch steht vor Gott in einem »vorgebenenen« Abhängigkeitsverhältnis, aber das Abhängigkeits- bzw. Herrschaftsverhältnis, welches das Gesetz ist, hat die Form des Geltens. Die Geltung der »Gesetze Gottes« erfordert die Herausbildung von künstlichen Verhältnissen. Diese paradoxe Forderung der neuen Denkweise löst sich auf, wenn Folgendes betrachtet wird: Der freie Wille ist das letzte Prinzip des Rechts, weil die Tätigkeit des freien Willens die Möglichkeitsbedingung der Wirksamkeit der religiösen Prinzipien im Verhältnis der Menschen untereinander ist. Es handelt sich daher nicht nur um den Glauben an das vorgegebene Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott, sondern um die Wirksamkeit dieses Gedankens im Verhältnis der Menschen untereinander. Diese Wirkung im Bereich der Regelung des menschlichen Zusammenlebens erfordert die Herausbildung von Willenszusammenhängen. Hobbes versucht dies anhand des Begriffs des »Reichs Gottes« zu zeigen. Der Grundgedanke der Religion (das »vorgegebene« Abhängigkeitsverhältnis) und der Grundgedanke des neuen Rechtsdenkens (das Abhängigkeits- bzw. Herrschaftsverhältnis als Produkt unserer Zustimmung, unseres Wollens) finden sich im Hobbesschen Begriff des »Reichs Gottes«. Der Begriff »Reich Gottes« setzt die Macht Gottes voraus, und diese ist nicht von einer Zustimmung abhängig, sondern eine »vorgegebene« Macht: »Whether men will or not, they must be subject always to the divine power. By denying the existence, or providence of God, men may shake off their ease, but not their yoke.« (EW 3.344; Hervorh. A.B.) Diese Macht ist jedoch nicht hinrei-

124 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

chend, um von einem »Reich Gottes« sprechen zu können. Es ist notwendig, dass das gegebene Abhängigkeitsverhältnis in einen Zusammenhang des Wissens (Bekanntmachung des »Wortes« Gottes) und des Wollens (Hoffnung und Furcht vor Strafe sowie Belohnung Gottes) umgestaltet wird. Deswegen bleiben die Menschen, die die natürliche Abhängigkeit von der Macht Gottes leugnen, außerhalb des »Reichs Gottes« und werden daher als Feinde dieses Zusammenhang des Wissens und des Wollens betrachtet: »But to call this power of God, which extendeth itself not only to man, but also to beasts, and plants, and bodies inanimate, by the name of kingdom, is but a metaphorical use of the word. For he only is properly said to reign, that governs his subjects by his word, and by promise of rewards to those that obey it, by threatening them with punishment that obey it not. Subjects therefore in the kingdom of God, are not bodies inanimate, nor creatures irrational; because they understand no precepts as his: nor atheists, nor they that believe not that God has any care of the actions of mankind; because they acknowledge no word for his, nor have hope of his rewards or fear of his threatenings. They therefore that believe there is a God that governeth the world, and hath given precepts, and propounded rewards, and punishments to mankind, are God’s subjects; all the rest are to be understood as enemies.« (ebd.) Das »Reich Gottes« ist somit als Zusammenhang des Willens von unserer Zustimmung abhängig: »It is therefore manifest enough by this one place, that by the kingdom of God, is properly meant a commonwealth, instituted, by the consent of those which were to be subject thereto, for their civil government, and the regulating of their behaviour, not only towards God their king, but also towards one another in point of justice, and towards other nations both in peace and war; which properly was a kingdom wherein God was king, and the high-priest was to be, after the death of Moses, his sole viceroy or lieutenant.« (EW 3.400; Hervorh. A.B.) Durch die Vorstellung des »Reichs Gottes« wird ein neues Element in die »civil philosophy« einbezogen: das »Wort« Gottes. Die Wirkung, durch welche Gott seinen Willen »erklärt«, wird als »Wort« bezeichnet. Wille und Willenserklärung sind zentrale Begriffe des neuen Rechtsdenkens: Der Wille ist das letzte Prinzip des Rechts und die Willenserklärung ist (als eine minimale Vereinigung von Denken und Anschauung) eine elementare Form des Rechts, die für die Geltung und Wirksamkeit aller Rechtsgestalten notwendig ist. Diese Termini erhalten jedoch in Bezug auf Gott eine ganz andere Bedeutung. Der Terminus »Wille« bedeutet dann nur »the power, by which he effecteth every thing« (EW 3.352). Diese Macht operiert »by causes to us unknown« (EW 3.396), d. h. »extraordinarily«, »supernaturally«. Aus diesem Willensbegriff folgt ein anderer Gebrauch der Terminus »Willenserklärung«:

7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« 125

Gott »declares his will supernaturally (EW 3.105)«. Die Willenserklärung, die die Gestaltung der Rechtsverhältnisse ermöglicht, ist jedoch eine funktionale Einheit von Denken und Anschauung. Hobbes interpretiert einige Passagen der Bibel anhand der Trennung zwischen geoffenbartem und »wahrem« Willen: »the Protestant doctors, both of our and other Churches, did use to distinguish between the secret and revelead will of God; the former they called voluntas bene placiti, which signifieth absolutely his will, the other voluntas signi, that is, the signification of his will, in the same sense that I call the one his will, the other his commandment, which may sometimes differ. For God’s commandment to Abraham was, that he should sacrifice Isaac, but his will was, that he should not do it« (EW 5.103). Diese Unterscheidung gilt jedoch nicht für den rechtserzeugenden Willen, denn alle Gestalten des freien Willens sind immer als Vereinigungsformen von Denken und Anschauung ein Produkt für andere. Der freie Wille ist das letzte Prinzip der Religionspolitik nur deshalb, weil er die Bedingung der Wirksamkeit des »Wortes« Gottes im Verhältnis der Menschen untereinander, in der Regelung des menschlichen Zusammenlebens ist. Die bisherige Analyse hat gezeigt, welche die Möglichkeitsbedingungen der Verbindlichkeit der positiven Gesetze sind. Die Gesetze sind immer ein Zusammenhang des Wissens: »To rule by words, requires that such words be manifestly made known; for else they are no laws: for to the nature of laws belongeth a sufficient, and clear promulgation, such as may take away the excuse of ignorance; which in the laws of men is but of one only kind, and that is, proclamation, or promulgation by the voice of man.« (EW 3.343; Hervorh. A.B.) Die Geltung dieses Zusammenhangs des Wissens erfordert eine Willenserklärung. Die Wirksamkeit einer Willenserklärung wird als funktionale Einheit von Denken und Anschauung durch eine »prolocutio ad alios« und eine »auditio« konstituiert. Die positiven Gesetze sind eine Willenserklärung des Souveräns und daher ein Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Die positiven Gesetze sind künstliche Ketten, mit der die Lippen des Souveräns mit den Ohren der Untertanen verbunden sind: »But as men, for the attaining of peace, and conservation of themselves thereby, have made an artificial man, which we call a commonwealth; so also have they made artificial chains, called civil laws, which they themselves, by mutual covenants, have fastened at one end, to the lips of that man, or assembly, to whom they have given the sovereign power; and at the other to their own ears.« (EW 3.198) Die Willenserklärung und ihre Aufnahme sind Bedingungen der Verpflichtungskraft der Gesetze. Die Erzeugung eines »Reichs Gottes« (und damit eines Zusammenhang des Wissens und des Wollens) aus dem »Wort« Gottes ist nur möglich, wenn das sogenannte »Wort« Gottes

126 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

durch diese Momente ergänzt wird. Deswegen analysiert Hobbes die verschiedenen Arten des »Worts« Gottes (»rational, sensible and prophetique«) durch diese zwei Kriterien (ihre Erklärung und ihre Aufnahme): »But God declareth his laws three ways; by the dictates of natural reason, by revelation, and by the voice of some man, to whom, by the operation of miracles, he procureth credit with the rest. From hence there ariseth a triple word of God, rational, sensible, and prophetic: to which correspondeth a triple hearing: right reason, sense supernatural, and faith.« (EW 3.345; Hervorh. A.B.) Die Aufnahme des sinnlichen Wortes Gottes ist eine übernatürliche Empfindung. Dieses »Wort« Gottes ist nun eine idiosynkratische Instanz, und daher lässt sich aus ihr die Allgemeingültigkeit der Gesetze nicht gewinnen: »As for sense supernatural, which consisteth in revelation or inspiration, there have not been any universal laws so given, because God speaketh not in that manner but to particular persons, and to divers men divers things.« (ebd.) Die Erklärung des prophetischen Wortes ist »the voice of some man, to whom by the operation of miracles, he procureth credit with the rest« (ebd.). Der Prophet ermöglicht als »prolocutor« das Zusammenwirken von Denken und Anschauung (die »prolocutio ad alios«), das für die Welt des Rechts konstitutiv ist. Die natürliche Macht Gottes wird »by mediation of the prophets« (EW 3.361) zu einem Zusammenhang des Wissens und des Wollens: dem prophetischen »Reich Gottes«. Die natürlichen Prinzipien sind im Verhältnis der Menschen untereinander nur durch die vermittelnde Tätigkeit des freien Willens wirksam. Das natürliche »Wort« Gottes sind »dictates of natural reason« (EW 3.348). Da diese Regeln eigentlich keine Gesetze sind, erfordern ihre Ausübung und Verbindlichkeit, wie gezeigt, die Herausbildung eines Willenszusammenhangs: des natürlichen »Reichs Gottes«. Aus der Analyse der verschiedenen Formen des »Worts« Gottes ergibt sich die Erzeugung eines doppelten »Reichs Gottes«: »From the difference between the other two kinds of God’s word, rational, and prophetic, there may be attributed to God, a twofold kingdom, natural, and prophetic: natural, wherein he governeth as many of mankind as acknowledge his providence, by the natural dictates of right reason; and prophetic, wherein having chosen out one peculiar nation, the Jews, for his subjects, he governed them, and none but them, not only by natural reason, but by positive laws, which he gave them by the mouths of his holy prophets.« (EW 3.345) Die »Gesetze« Gottes sind bei Hobbes im natürlichen »Reich Gottes« Vernunftregel und im prophetischen »Reich Gottes« positive Gesetze. Es wurde gezeigt, wie Vernunft und Positivität sich laut Hobbes ergänzen und bestätigen. Sie sind Momente einer künstlichen Vernunft. Hobbes kritisiert die Modelle, die die Differenzierungen im Bereich des Rechts in Trennungen

7.1 Die Gesetze des Kultus

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umgestalten, denn sie führen zu Kollisionen und Spaltungen. Instanzen, die nebeneinander stehen, agieren gegeneinander (z. B. »regnum duplex, Carnale et Spirituale«, OL 5.382). Hobbes begründet hingegen Einheitsformen, in denen die Dualismen in eine Ergänzung und Interdependenz umgestaltet werden, z. B.: »twofold kingdom, natural and prophetic« (EW 3.345); »natürliche Gesetze« und positive Gesetze. Diese Modelle zeigen die stabilisierende Funktion der »artificial reason«. Es wird sich auch bezüglich beider Arten des »Reichs Gottes« zeigen, dass diese Instanz als ein Zusammenhang des Wissens und des Wollens die Vereinigung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten erfordert. Die Verbindlichkeit aller Gesetze (der göttlichen inklusive) erfordert die Produktion einer »sichtbaren« und vernünftigen Macht, d. h. einer funktionalen Vereinigung von Denken und Anschauung (»visible power« EW 3.153). Da die Problematik bezüglich der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« auf die Instanz des »Reichs Gottes« verweist, teilt sich die vorliegende Analyse der »göttlichen Gesetze«, wie bei Hobbes, in die Analyse beider Arten des »Reichs Gottes« ein: der Gesetze des Kultus (7.1) und der Gesetze der christlichen Politik (7.2)

7.1 Die Gesetze des Kultus Anhand der Instanz des »Reichs Gottes« versucht Hobbes die Vereinbarkeit der zwei formulierten Gedanken zu begründen: (1) das Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott ist »vorgegeben«; (2) die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« ist von unserer Zustimmung abhängig. Das Thema ist also das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Seinsweisen: der Form des Vorhandenseins und der Form des Geltens. Die Vermittlung beider Gedanken ermöglicht den Eintritt der Religion in die Sphäre des Rechts. In diesem Abschnitt wird die Vereinbarkeit beider Gedanken nur hinsichtlich des natürlichen »Reichs Gottes« dargelegt. Der prophetische »Reich Gottes« wird in 7.2.1. thematisiert. (1) Das Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott ist »vorgegeben«: Hobbes zeigt diese vorgegebene Abhängigkeit (a) durch den Begriff des Naturzustandes und (b) durch den Inhalt der »Naturgesetze« im Bereich der Religion. Ad (a) Im Naturzustand sind alle Menschen gleich, denn die Ungleichheit ist ein Produkt des Rechts. Der Rechtszustand ist laut Hobbes ein produziertes Abhängigkeitsverhältnis (»imperium«). Dieses »imperium« erfordert auch eine künstliche Vereinigung von Funktionen (von »Rechten des Souveräns« in der Hobbesschen Terminologie). Wenn im Gedankenexperiment

128 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

des Naturzustandes Gott einbezogen wird, lässt sich hingegen von einem vorgegebenen Abhängigkeitsverhältnis sprechen: »I have formerly shown, how the sovereign right ariseth from pact: to show how the same right may arise from nature, requires no more, but to show in what case it is never taken away. Seeing all men by nature had right to all things, they had right every one to reign over all the rest. But because this right could not be obtained by force, it concerned the safety of every one, laying by that right, to set up men, with sovereign authority, by common consent, to rule and defend them: whereas if there had been any man of power irresistible, there had been no reason why he should not by that power have ruled and defended both himself, and them, according to his own discretion.« (EW 3.153 f.; Hervorh. A.B.) Hobbes argumentiert hier mit der Logik der Machtverhältnisse in einem rechtsfreien Raum. Die Vereinigung von »Rechten« ist in diesem Fall nicht mehr das Produkt einer Selbstbeschränkung der Freiheit, sondern sie ist vorgegeben: »To those therefore whose power is irresistible, the dominion of all men adhereth naturally by their excellence of power; and consequently it is from that power, that the kingdom over men, and the right of afflicting men at his pleasure, belongeth naturally to God Almighty; not as Creator, and gracious; but as omnipotent. And though punishment be due for sin only, because by that word is understood affliction for sin; yet the right of afflicting, is not always derived from men’s sin, but from God’s power.« (EW 3.346; Hervorh. A.B.) Die Wirksamkeit dieser vermeintlich vorgefundenen »Rechte« Gottes im Verhältnis der Menschen untereinander erfodert die Herausbildung eines Zusammenhang des Wissens und des Wollens: die Produktion der künstlichen Verhältnisse, die die Gesetze im Bereich der Religionspolitik sind. Ad (b) Die Prinzipien der natürlichen Vernunft sind laut Hobbes die Prinzipien der Naturwissenschaft. Damit zeigt sich bei ihm eine enge Verknüpfung zwischen der neuzeitlichen Naturwissenschaft und der wissenschaftlichen Betrachtung des Naturrechts (»civil philosophy«, »scientia civilis«) hinsichtlich des Begriffs der »ratio«. Der methodische Materialismus von Hobbes besagt, dass nur die teilbaren Inhalte durch die »recta ratio« thematisiert werden können. Die Natur Gottes kann daher nicht Gegenstand der Vernunft werden: »And that disputing of God’s nature is contrary to his honour: for it is supposed, that in this natural kingdom of God, there is no other way to know anything, but by natural reason, that is, from the principles of natural science; which are so far from teaching us anything of God’s nature, as they cannot teach us our own nature, nor the nature of the smallest creature living.« (EW 3.353 f.) Der Inhalt der »recta ratio« im Bereich der Religion ist »the honour naturally due to our Divine Sovereign« (EW 3.448; Hervorh. A.B.). Aus diesem »natürlichen« Abhängigkeitsverhältnis des Men-

7.1 Die Gesetze des Kultus

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schen von Gott erklären sich die Attribute Gottes: »For there is but one name to signify our conception of his nature, and that is, I Am: and but one name of His relation to us, and that is, God; in which is contained father, king, and lord.« (EW 3.353) (2) Die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« ist von unserer Einwilligung abhängig: Hobbes muss, wie gesagt, die Vereinbarkeit der folgenden Vorstellungen begründen: die »natürliche« Abhängigkeit des Menschen von Gott und die Erzeugung der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« durch unsere Einwilligung. Sonst wäre das (natürliche) »Reich Gottes« eine von dem Willen unabhängige Quelle der Verbindlichkeit. Die Folge davon wäre die Erzeugung eines Rechtsdualismus zwischen dem Prinzip der natürlichen Autorität Gottes und dem Prinzip des freien Willens. Das »Wort« Gottes, durch welches das natürliche »Reich Gottes« konstituiert wird, besteht in den »natürlichen Gesetzen«. Die »Gesetze Gottes« im natürlichen »Reich Gottes« sind die »natürlichen Gesetze«, die sich auf das natürliche Abhängigkeitsverhältnis beziehen, d. h. auf den »honor naturally due to our Divine Sovereign«. Deswegen stellt Hobbes die Gesetze des natürlichen »Reichs Gottes« als eine Ergänzung der in den Kap. 14–15 thematisierten »natürlichen Gesetze« dar: »Having spoken of the right of God’s sovereignty, as grounded only on nature; we are to consider next, what are the Divine laws, or dictates of natural reason; which laws concern either the natural duties of one man to another, or the honour naturally due to our Divine Sovereign. The first are the same laws of nature, of which I have spoken already in the fourteenth and fifteenth Chapters of this treatise; namely, equity, justice, mercy, humility, and the rest of the moral virtues. It remaineth therefore that we consider, what precepts are dictated to men, by their natural reason only, without other word of God, touching the honour and worship of the Divine Majesty.« (EW 3.347 f.) Aus diesem Verweis auf die »natürlichen Gesetze« der Kap. 14–15 lässt sich ableiten, dass die Gesetze des natürlichen »Reichs Gottes« eigentlich keine Gesetze sind. Hobbes begreift die natürlichen Gesetze des Kultus anhand des Vernunftmodells der Kap. 14–15. Er begründet die Vereinbarkeit beider Gedanken (einer natürlichen Abhängigkeit von Gott und unserer Einwilligung als Möglichkeitsbedingung aller Verbindlichkeit) durch den Begriff der Ehre. Die Notwendigkeit der Verehrung Gottes leitet sich »naturgemäß« aus der Allmacht Gottes ab, und die Verehrung erfordert die Produktion eines Willenszusammenhangs. Hobbes erklärt die Verehrung durch zwei Elemente der Welt des Rechts: (a) das Willenszeichen und (b) das Vernunftmodell der »artificial reason«. Ad (a) Das Willenszeichen: Die Verehrung besteht in einer Vereinigung von Denken und Anschauung, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit (»inward

130 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

thought« bzw. »internal honour« und »external sign« bzw. »outward act«): »honour consisteth in the inward thought, and opinion of the power, and goodness of another; and therefore to honour God, is to think as highly of his power and goodness, as is possible. And of that opinion, the external signs appearing in the words and actions of men, are called worship« (EW 3.348; Hervorh. A.B.). Die Verehrung ist ein Willenszeichen. Das Zeichen ist laut Hobbes »aliorum gratia institutum« (OL 1.13). Deswegen begreift er die Verehrung als ein für andere produziertes Dasein: »But when free, the worship consists in the opinion of the beholders: for if to them the words, or actions by which we intend honour, seem ridiculous, and tending to contumely, they are no worship, because no signs of honour; and no signs of honour, because a sign is not a sign to him that giveth it, but to him to whom it is made, that is, to the spectator.« (EW 3.350) Die Verbindlichkeit eines Willenszusammenhangs erfordert immer das Willenszeichen. Die Verehrung ist die Übersetzung vorgestellter Inhalte ins Dasein durch Zeichen: »and of that opinion, the external signs appearing in the words of actions of men, are called worship« (EW 3.348). Durch den Begriff der Verehrung bezieht Hobbes die Zeichentheorie in den Begriff des »Reichs Gottes« ein: Die »Zeichen der Ehre« und damit der Kultus setzen die minimale Logik der Willenserklärung voraus. Hobbes stellt alle Gestalten des Rechts als eine Vereinigung von Denken und Anschauung, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit dar. Daher sagt er, dass »the law […] the public conscience«, EW 3.311) ist. Dies soll auch für die Verbindlichkeit des Kultus gelten: Die kultischen Handlungen sind die Äußerung der inneren Meinung. Dies kann jedoch nur solange gelten, wie der Souverän und die Untertanen zu derselben Konfession gehören. Wenn diese Übereinstimmung verschwindet, können die positiven Gesetze des Kultus nicht mehr die Äußerung der inneren Meinung sein. Um dieses Problem zu vermeiden, behauptet Hobbes einerseits, dass der Souverän der »author« dieser Gesetze sei. Damit werden die Untertanen für die falschen Interpretationen und für das falsche Bekenntnis des »Souveräns« entschuldigt. Andererseits denkt er die Verehrung nicht mehr als eine Vereinigung von Innen und Außen: »A private man has always the liberty, because thought is free, to believe or not believe in his heart those acts that haven given out for miracles« (EW 3.436 f.). Mit dieser Spaltung wird die juristische Vermittlung von Innerlichkeit und Äußerlichkeit außer Kraft gesetzt, und dadurch werden die Fundamente des Hobbesschen Staates in Frage gestellt: »Die Vernunft des Staates ist im System durch die Konstruktion gefestigt, die sie aus der Vernunft der einzelnen hervorgehen läßt: Widerspruch gegen den ›Leviathan‹ ist Selbstwiderspruch. Aber mit der Möglichkeit des inneren Glaubens ist eben der Vorbehalt der Innerlichkeit überhaupt ausgesprochen: Das Private war

7.1 Die Gesetze des Kultus

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begründet. Es sollte in der späteren Geschichte immer wieder seine Dynamik entfalten.« (Willms 1987, 214; vgl. ebd. 1970, 213) Ad (b) Das Vernunftmodell der »artificial reason«: Die »natürlichen Gesetze« des natürlichen »Reichs Gottes« stehen in einem logischen Zusammenhang: in der Logik des »rational worship« (EW 3.353). Da diese »natürlichen Gesetze« durch die »recta ratio« erkennbar sind, lassen sie sich nicht auf eine bestimmte Religion beschränken. Sie sind Vernunftregel einer allgemeinen Politik des Kultus. Von einer christlichen Politik kann noch nicht die Rede sein, denn dafür muss ein anderes Prinzip einbezogen werden: das »Wort« der christlichen Propheten. Deswegen findet sich auch bei den »Heiden« eine vernünftige Gestaltung des Kultus. Bestimmte Regeln dieser Logik wurden laut Hobbes bereits von den »Heiden« angewandt: »Sixthly, in prayers, thanksgiving, offerings, and sacrifices, it is a dictate of natural reason, that they be every one in his kind the best, and most significant of honour. […] And therefore the heathens did absurdly, to worship images for gods: but their doing it in verse, and with music, both of voice and instruments, was reasonable. Also that the beasts they offered in sacrifice, and the gifts they offered, and their actions in worshipping, were full of submission, and commemorative of benefits received, was according to reason, as proceeding from an intention to honour him.« (EW 3.354) Es ist hier erneut zu fragen, durch welches Vernunftmodell die Ausübung und die Gestaltung der Logik des »rational worship« begrifflich rekonstruiert werden. Um auf diese Frage antworten zu können, müssen die mannigfaltigen Vernunftregeln jener Logik (insgesamt acht Regeln) berücksichtigt werden. Die ersten sechs Regeln können in einem privaten Kultus ausgeübt werden. Dies gilt jedoch nicht für die siebte und die achte. Die Verehrung ist als Zeichen göttlicher Ehre ein für andere produziertes Dasein. Die Zeichen göttlicher Ehre müssen nicht geheim bleiben, sondern sollen öffentlich werden. Aus diesem Gedanken leitet Hobbes die siebte Regel ab. Diese Regel besagt, dass Verehrung in Öffentlichkeit besteht. Daher erfordert die Verehrung die Erzeugung einer bestimmten Einheitsform: die Einheit der öffentlichen Person. Nach dieser Regel muss die Verehrung Gottes die Befolgung aller »natürlichen Gesetzen« (und damit auch der internen Logik des Vertrags und des Staates) beinhalten. Auf diese Weise wird die Vernunft des Staates in die Logik des vernünftigen Kultus einbezogen. Die Produktionslogik des freien Willens (der Inhalt der ersten zwei Bücher des Leviathan) lässt sich daher nicht durch die Logik eines vernünftigen Kultus außer Kraft setzen: »Seventhly, reason directeth not only to worship God in secret; but also, and especially, in public, and in the sight of men. For without that, that which in honour is most acceptable, the procuring others to honour him, is lost. Lastly,

132 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

obedience to his laws, that is, in this case to the laws of nature, is the greatest worship of all. For as obedience is more acceptable to God than sacrifice; so also to set light by His commandments, is the greatest of all contumelies. And these are the laws of that divine worship, which natural reason dictateth to private men. But seeing a commonwealth is but one person, it ought also to exhibit to God but one worship; which then it doth, when it commandeth it to be exhibited by private men, publicly. And this is public worship; the property whereof, is to be uniform: for those actions that are done differently, by different men, cannot said to be a public worship.« (EW 3.355) Damit kann die oben formulierte Frage beantwortet werden: Die Geltung und Ausübung der Vernunftregel des Kultus erfordert die Produktion angemessener Verhältnisse (der staatlichen Gesetze des Kultus). Die Vernunft des Kultus ist daher die künstliche Vernunft der öffentlichen Person: »And therefore, where many sorts of worship be allowed, proceeding from the different religions of private men, it cannot be said there is any public worship, nor that the Commonwealth is of any religion at all. And because words, and consequently the attributes of God, have their signification by agreement and constitution of men, those attributes are to be held significative of honour, that men intend shall so be; and whatsoever may be done by the wills of particular men, where there is no law but reason, may be done by the will of the commonwealth, by laws civil.« (ebd.) Ausübung und Geltung der Logik des Kultus erfordern das Dasein künstlicher Verhältnisse. Deswegen kann diese Vernunft als eine »artificial reason« bezeichnet werden. Die Verehrung erfordert auch eine Vereinigung von Denken und Anschauung. Die Vernunft des Kultus ist daher eine »sichtbare« und vernünftige Macht. Damit gewinnt Hobbes erneut die basalen Bestimmungen einer juristisch strukturierten Vernunft: »artificial reason« und »visible power«. Die spiritualistische Interpretation des »Reichs Gottes« leugnet beide Bestimmungen und ist daher eine Gefahr für die Stabilität der Welt des Rechts, wie noch zu zeigen sein wird.

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik Die vernünftige Politik eines Staates wurde aus »natürlichen« Prinzipien abgeleitet. Diese »natürlichen« Prinzipien sind bei Hobbes sowohl die durch Erfahrung bekannten Prinzipien (die »Natur« des Menschen) als auch die durch »natürliche Vernunft« erkennbaren Prinzipien (die »Naturgesetze«). Unter diese durch Vernunft erkennbaren Prinzipien subsumiert Hobbes auch die Prinzipien der Naturwissenschaft (»principles of natural science«, EW

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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3.354). Die »natürlichen« Prinzipien enthalten die »göttlichen Gesetze« der religiösen Politik, d. h. die Vernunftregeln des Kultus. Deswegen wurden diese »Gesetze« Gottes noch am Ende des zweiten Buches des Leviathan thematisiert. Um die »Gesetze« Gottes im Bereich der spezifisch christlichen Politik zu erörtern, wird jedoch am Anfang des dritten Buchs ein neues Prinzip einbezogen: »The word of God delivered by the Prophets is the main Principle of Christian Politiques« (EW 3.359). Die Politik eines christlichen Staates hängt von der übersinnlichen »Willenserklärung« Gottes ab: »But in that I am next to handle, which is the nature and rights of a Christian Commonwealth, whereof there dependeth much upon supernatural revelations of the will of God; the ground of my discourse must be, not only the natural word of God, but also the prophetical.« (ebd.; Hervorh. A.B.) Eine Antwort auf die wesentlichen Fragen der christlichen Politik lässt sich jedoch nicht aus diesem einzigen Prinzip (dem prophetischen Wort) gewinnen. Die Durchsetzung und Gestaltung dieses Prinzips machen die Ausübung der natürlichen Vernunft und die Erkenntnis der »Natur« des Menschen notwendig. Die vernünftige Gestaltung der christlichen Politik leitet sich daher auch aus den »natürlichen« Prinzipien ab: »Nevertheless, we are not to renounce our senses, and experience; nor, that which is the undoubted word of God, our natural reason. For they are the talents which he hath put into our hands to negotiate, till the coming again of our blessed Saviour; and therefore not to be folded up in the napkin of an implicit faith, but employed in the purchase of justice, peace, and true religion.« (ebd.) Erneut betont Hobbes hier das Paradoxon einer begrifflichen Rekonstruktion der Religionspolitik anhand der Prinzipien des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Dieses Paradoxon lässt sich auf folgende Weise formulieren: Eine normative Instanz der christlichen Welt »dependeth much upon supernatural revelations of the will of God«, und zugleich ist sie als normative Instanz von unserer Einwilligung abhängig. Die Geltung der normativen Instanzen in der christlichen Welt ist von zwei Prinzipien abhängig: dem Prinzip des freien Willens und dem Prinzip des prophetischen Wortes. Wie stehen beide Prinzipien der christlichen Politik zueinander? Die philosophische Relevanz dieser Frage liegt in Hobbes’ Begründung der Möglichkeit der Ausweitung des neuzeitlichen Rechtsdenkens auf den Bereich der christlichen Politik. Ist der freie Wille auch das letzte Prinzip der christlichen Politik? Hobbes versucht, einen Grundgedanken der Religion (die vorgegebene Abhängigkeit des Menschen von Gottes Willen) und das neuzeitliche Rechtsdenken (die Abhängigkeit der Geltung aller Gesetze von unserer Einwilligung) vereinbar zu machen. Bezüglich der Gesetze des Kultus erklärt Hobbes die Vermittlung beider Gedanken, wie oben gezeigt

134 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

wurde, durch den Begriff der Verehrung. Bezüglich der Gesetze der christlichen Politik erklärt Hobbes, wie sich zeigen wird, die Vermittlung beider Gedanken durch die Unterscheidung zwischen »author« und »authority« der »Gesetze Gottes«, durch die Frage nach dem Urheber der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«. Der Hobbessche Leitfaden für die Rekonstruktion des Verhältnisses der Prinzipien der christlichen Politik (des Prinzips des prophetischen Wortes und der »natürlichen Prinzipien«) ist, wie oben gesagt wurde, die Fragestellung nach dem Geltungsgrund der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«. Gott spricht zum Menschen unmittelbar oder durch die Vermittlung eines anderen Menschen. Aus diesem »Faktum« der christlichen Religion leitet sich die wesentliche Fragestellung der christlichen Politik ab. Hobbes formuliert sie bereits in Kap. 26 des Leviathan, in welchem er den Begriff des Gesetzes und damit auch das »Gesetz Gottes« behandelt: »But because it is of the essence of law, that he who is to be obliged, be assured of the authority of him that declareth it, which we cannot naturally take notice to be from God, how can a man without supernatural revelations be assured of the revelation received by the declarer? And how can he be bound to obey them?« (EW 3.272; Hervorh. A.B.) Durch diese Frage zeigt sich die christliche Politik als ein Zusammenhang des Wissens und des Wollens. Das Problem des Wissens lässt sich nicht »naturgemäß« lösen, denn »we cannot take naturally notice to be from God« (Hervorh. A.B.). Dieser Zusammenhang des Wissens muss daher durch künstliche Verhältnisse konstituiert werden. Die Geltung des prophetischen »Wortes« ist insofern auf die vermittelnde Tätigkeit des freien Willens angewiesen. Die philosophische Rekonstruktion dieser künstlichen Verhältnisse ist der Gegenstand der religionspolitischen Reflexionen von Hobbes. Er formuliert erneut diese Frage in Kap. 32 des Leviathan auf folgende Weise: »How then can he to whom God hath never revealed his will immediately, saving by the way of natural reason, know when he is to obey, or not to obey his word, delivered by him that says he is a prophet?« (EW 3.362) Da Hobbes die Verbindlichkeit der christlichen Gesetze als einen Zusammenhang des Wissens begreift, versucht er, die Religion auch anhand der »principles of natural science« (EW 3.354) zu thematisieren. Er kritisiert die religiöse Rolle der Träume nicht nur aufgrund der Form des Gesetzes: Die Gesetze sind allgemeingültig und die Träume sind idiosynkratisch. Hobbes behandelt die Träume auch als Naturphänomene. Dasselbe gilt für das Wunder. Das Wunder und das Predigen der »wahren Lehre« werden in der Bibel laut Hobbes als sicheres Kennzeichen für die Authentifizierung eines Propheten dargestellt. Hobbes relativiert die Funktion des Wunders in der Religi-

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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onspolitik durch eine Periodisierung: In der Zeit zwischen der Auferstehung Christi und dem Kommen des »Reichs Christi« gibt es laut Hobbes keine Wunder mehr. Er kritisiert die Funktion des Wunders für die Authentifizierung des wahren Propheten auch aus erkenntnistheoretischen Gründen. Die Beurteilung eines Phänomens als Wunder ist von der Erkenntnis jedes Menschen abhängig. Das Wunder ist daher eine idiosynkratische Instanz: »Furthermore, seeing admiration and wonder is consequent to the knowledge and experience, wherewith men are endued, some more, some less; it followeth, that the same thing may be a miracle to one, and not to another.« (EW 3.429) Die Funktionen des Propheten sind, »prolocutor« und »predictor« zu sein. Die Vorhersagen sind Kennzeichen eines wahren Propheten. Diese Kennzeichen sind jedoch im Bereich des Rechts unwirksam, denn die wissenschaftliche Prüfung einer Vorhersage kann sehr schwierig sein oder zu spät erfolgen. Die Tatsachen können außerdem mit der Vorhersage aufgrund eines Zufalls übereinstimmen: »But a man may here again ask, when the prophet hath foretold a thing, how shall we know whether it will come to pass or not? For he may foretell it as a thing to arrive after a certain long time, longer than the time of man’s life; or indefinitely, that it will come to pass one time or other: in which case this mark of a prophet is unuseful; and therefore the miracles that oblige us to believe a prophet, ought to be confirmed by an immediate, or a not long deferred event.« (EW 3.364 f.) Diese kritische Analyse des »prophetischen Wortes« hat zur Folge, dass das prophetische »Wort« auf die Bibel reduziert wird: »Seeing therefore miracles now cease, we have no sign left, whereby to acknowledge the pretended revelations or inspirations of any private man; nor obligation to give ear to any doctrine, farther than it is conformable to the Holy Scriptures, which since the time of our Saviour, supply the place, and sufficiently recompense the want of all other prophecy; and from which, by wise and learned interpretation, and careful ratiocination, all rules and precepts necessary to the knowledge of our duty both to God and man, without enthusiasm or supernatural inspiration, may easily be deduced.« (EW 3.365) Aufgrund dieser Reduktion ist die Bibel laut Hobbes das Prinzip, das für die christliche Politik spezifisch ist. Die wissenschaftliche Behandlung der Frage nach dem Geltungsgrund der »Gesetze Gottes« in der christlichen Welt und der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Prinzip des »prophetischen Wortes Gottes« (»prophetical word of God«, EW 3.359) und dem Prinzip des freien Willens erfordert laut Hobbes eine Bibelanalyse: »And this Scripture is it, out of which I am to take the principles of my discourse, concerning the rights of those that are the supreme governors on earth of Christian commonwealths; and of the duty of Christian subjects towards their sovereigns. And to that end, I shall

136 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

speak in the next chapter, of the books, writers, scope and authority of the Bible.« (EW 3.365) Die »Gesetze Gottes« setzen immer eine »Erklärung« des Willens Gottes voraus. Aus der dargestellten Reduktion des prophetischen Wortes auf die Bibel erklärt sich, worin die philosophische Hauptfrage in der Bibelauslegung besteht: »By the Books of Holy Scripture, are understood those, which ought to be the canon, that is to say, the rules of Christian life. And because all rules of life, which men are in conscience bound to observe, are laws; the question of the Scripture is the question of what is law throughout all Christendom, both natural and civil.« (EW 3.366; Hervorh. A.B.) Die Bücher der Heiligen Schrift sind in der christlichen Welt als ein Kanon (als Regel der Handlung) aufgefasst. Diese in der christlichen Welt allgemein akzeptierte Aussage bereitet jedoch eine erste Schwierigkeit: Welche Bücher des Alten und des Neuen Testaments sind kanonisch? Welche Bücher der Bibel haben einen normativen Rang? Das Problem des grundlegenden Konsens in der christlichen Welt bezüglich des kanonischen Charakters der Bibel ist zugleich die erste Kontroverse der christlichen Welt: »As for the books of the New Testament, they are equally acknowledged for canon by all Christian churches, and by all sects of Christians, that admit any books at all for canonical.« (EW 3.367) Hobbes erhebt diese Kontroverse und ihre Auflösung zum Grundmuster der philosophischen Reflexion bezüglich der christlichen Politik. Die Geltung der Bücher als kanonisch ist durch die Auflösung dieser Kontroverse bedingt. Diese Kontroverse zeigt daher, wie die Form des Geltens im Bereich der Religion entsteht. Aus den Schwierigkeiten dieser Kontroverse gewinnt Hobbes sowohl eine adäquate Formulierung der Grundfrage der Religionspolitik als auch das begriffliche Instrumentarium für die Antwort auf diese Frage. Die Kontroverse soll auch zeigen, worin die Bibelauslegung besteht. Auslegen ist eine Funktion unseres Denkapparats, und diese Funktion ist laut Hobbes in der Welt des Rechts von anderen Funktionen untrennbar. Die Bibelauslegung erfordert, wie sich zeigen wird, auch eine Vereinigung von Funktionen. Mit dieser ersten Kontroverse entsteht die Notwendigkeit einer Auslegung der Bücher, die als kanonisch gelten könnten. Nach der Darlegung dieser Kontroverse interpretiert Hobbes daher jene Bücher, um eine Information über die Autoren, das Alter und das Ziel der Bücher zu gewinnen. Ein Resultat seiner Auslegung ist, dass die Geltung der Bücher als kanonisch nicht vorfindbar ist. Eine korrekte Information über die Autoren der Bücher ist nicht hinreichend, um diese Bücher als kanonisch gelten zu lassen. Die Form des Geltens muss durch eine Autorität produziert werden: »But it is not the writer, but the authority of the church that maketh a book canonical.« (EW

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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3.376) Aus dieser Problematik gewinnt Hobbes eine klare Unterscheidung zwischen »author« und »authority« bezüglich der Verbindlichkeit der Bibel: Die Verbindlichkeit der Bibel sei die Setzung einer Autorität. Der Grund der Verbindlichkeit sei weder der Verfasser noch der Inhalt, sondern eine Autorität. Anhand des Resultats der ersten Kontroverse, welches in der Bestimmung des Kanons als Setzung einer verbindlichen Autorität besteht, kann Hobbes die entscheidende Kontroverse der christlichen Politik richtig formulieren. Die philosophische Hauptfrage der christlichen Politik ist, »from whence the Scriptures derive their authority« (EW 3.377). Dieses Problem erhält verschiedene Formulierungen, weil die Unterscheidung zwischen »author« und »authority« bezüglich der Verbindlichkeit der Bibel in den religiösen Vorstellungen nicht deutlich erkannt wird. Die Kontroverse wird zuweilen auf folgende Weise formuliert: »how we know them [sc. the Scriptures] to be the word of God, or, why we believe them to be so«. (ebd.) Es ist eine in der christlichen Welt allgemein akzeptierte Aussage, dass Gott »the first and original author« (EW 3.377 f.) der Bibel ist. Durch die erste Kontroverse ist außerdem deutlich geworden, dass die Verbindlichkeit nicht von dem »author«, sondern von einer »authority« abhängt. Die richtig formulierte Frage der christlichen Politik ist daher folgende: Durch welche Autorität wird die Bibel zum Gesetz gemacht? Welche Autorität ist Urheber der Verbindlichkeit der Bibel: »It is a question much disputed between the divers sects of Christian religion, from whence the Scriptures derive their authority; which question is also propounded sometimes in other terms, as, how we know them to be the word of God, or, why we believe them to be so: and the difficulty of resolving it, ariseth chiefly from the improperness of the words wherein the question itself is couched. For it is believed on all hands, that the first and original author of them is God; and consequently the question disputed is not that. Again, it is manifest, that none can know they are God’s word, (though all true Christians believe it,) but those to whom God himself hath revealed it supernaturally; and therefore the question is not rightly moved, of our knowledge of it. Lastly, when the question is propounded of our belief; because some are moved to believe for one, and others for other reasons; there can be rendered no one general answer for them all. The question truly stated is, by what authority they are made law.« (ebd.; Hervorh. A.B.) Die »Gesetze Gottes« haben immer die charakteristische Ambivalenz der Religion: Sie erscheinen als eine »natürliche« Folge des vorgegebenen Abhängigkeitsverhältnisses des Menschen von Gott, aber ihre Geltung und Wirksamkeit machen zugleich die Herausbildung eines Zusammenhang des Wissens und des Wollens notwendig, so dass die Verbindlichkeit dieser Gesetze

138 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

die Form des Geltens (und nicht die Form des Vorhandenseins) hat. Dies wurde bereits anhand der Gesetze des Kultus gezeigt. Die Ambivalenz wurde anhand des Begriffs der Verehrung dargestellt. Die Verehrung ist die Folge einer natürlichen Abhängigkeit von Gott, denn Gott ist im Verhältnis zum Menschen »father, king and lord« (EW 3.353). Die Ausübung einer öffentlichen Verehrung erfordert die Erzeugung einer verbindlichen Einheitsform. Dies versucht Hobbes auch für die Bibel (als »Gesetz Gottes«) geltend zu machen. Gott ist der erste und ursprüngliche Urheber (»author«) der Bibel. Dies ist jedoch nicht die Ursache der Geltung der Bibel als Gesetz. Die Setzung dieser Geltung setzt die Erzeugung einer verbindlichen Einheitsform, d. h. einer Autorität voraus. Das künstliche Abhängigkeitsverhältnis, das eine Autorität (»authority«) immer darstellt, ist der Grund für die Verbindlichkeit der Bibel. Nur eine Gestalt des freien Willens kann Urheber der Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«, der Positivierung der Bibel sein. Der Willenszusammenhang dieser Autorität ist daher das letzte Prinzip der Verbindlichkeit der Bibel, und dieses Prinzip ist vereinbar mit dem Grundgedanken der Religion, welcher besagt, dass die Menschen »naturgemäß« von Gott abhängig sind. Diese Ambivalenz der Religion zeigt sich sehr deutlich in der Diskussion zwischen Bramhall und Hobbes über die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«. Bramhall kritisiert die Hobbessche Theorie des Gesetzes, nach welcher alle Gesetze von unserer Zustimmung abhängig sind. Diese Theorie ist eine Konsequenz der Erhebung des Willens zum Prinzip aller Verbindlichkeit. Bramhall bezeichnet die Ausweitung dieser Theorie auf die »Gesetze Gottes« als ein Paradox: »The ground of this error is as great an error itself (such an art he hath learned of repacking paradoxes); which is this, ›that every man make by his consent the law which he is bound to keep.‹ If this were true, it would preserve them, if not from being unjust, yet from being injurious. But it is not true. The positive law of God, contained in the Old and New Testament; the law of nature, written in our hearts by the finger of God; the laws of conquerors, who come in by the power of the sword; the laws of our ancestors, which were made before we were born; do all oblige us to the observation of them; yet to none of all these did we give our actual consent.« (EW 5.158) Bramhall bezeichnet die Hobbesschen Prinzipien als »paradoxical principles«, weil Hobbes (aus der Perspektive einer vormodernen Denkweise) scheinbar unvereinbare Gedanken in einem Prinzip zu vereinigen versucht. Als Paradox bezeichnet Bramhall die Hobbessche Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und Furcht. Diese neuen Gedankenverhältnisse sind paradoxe Forderungen einer neuen Denkweise. Deswegen antwortet Hobbes auf diese Rezeption seiner Prinzipien als »para-

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doxical principles«, dass Bramhall den Terminus »Paradox« als Synonym für neue Gedanken verwendet: »The Bishop speaks often of paradoxes with such scorn or detestation, that a simple reader would take a paradox either for felony or some other heinous crime, or else for some ridiculous turpitude; whereas perhaps a judicious reader knows what the word signifies; and that a paradox, is an opinion not yet generally received. Christian religion was once a paradox; and a great many other opinions which the Bishop now holdeth, were formerly paradoxes.« (EW 5.304) Diese Ausweitung des neuen Rechtsdenkens auf den Bereich der christlichen Polik produziert (aus der Perspektive vormoderner Denkformen) ein Paradoxon, indem sie das Prinzip der christlichen Politik (das »Wort« Gottes) und das Prinzip des freien Willens vereinbar zu machen sucht. Hobbes stimmt mit Bramhall überein, dass der zentrale Punkt dieses Problems in der Frage bestehe, ob alle Gesetze von unserer Zustimmung abhängig sind oder nicht: »The reason why he thinketh this an error, is because the positive law of God, contained in the Bible, is a law without our assent; the law of nature was written in our hearts by the finger of God without our assent; the laws of conquerers, who come in by the power of the sword, were made without our assent; and so were the laws of our ancestors, which were made before we were born.« (EW 5.178 f.) Hobbes erwidert, dass das »Gesetz Gottes«, im Gegensatz zu den »Naturgesetzen«, nur innerhalb eines Herrschaftsbereichs gilt. Anschließend fragt Hobbes, wie die Bibel in einem Herrschaftsbereich zum Gesetz gemacht wird. Zum Gesetz kann sie nur durch eine bestimmte Form der Autorität gemacht werden. Diese Gestalt der Autorität muss die Funktion der Gesetzgebung ausüben können. Eine gesetzgebende Gewalt (»legislative power«) ist die Form der Autorität, die die Bibel zum Gesetz machen kann, und diese Form ist von unserer Zustimmung abhängig: »They that have the legislative power make nothing canon, which they make not law, nor law, which they make not canon. And because the legislative power is from the assent of the subjects, the Bible is made law by the assent of the subjects.« (EW 5.179; Hervorh. A.B.) Die Bibel ist ein Prinzip der christlichen Politik. Die Geltung und Wirksamkeit dieses überlieferten Prinzips im Verhältnis der Menschen untereinander ist jedoch ohne die Funktionen einer bestimmten Form der Autorität nicht möglich. Diese Form der Autorität ist eine Vereinigungsform des freien Willens, die Produktion eines immanenten Prinzips. Der freie Wille ist daher Möglichkeitsbedingung der Verbindlichkeit der Bibel und daher das letzte Prinzip der christlichen Politik. In der christlichen Welt wird das »Wort« Gottes als das vorgegebene Prinzip der christlichen Politik allgemein akzeptiert. Die Verbindlichkeit dieses Prinzips ist nur durch das Prinzip des

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freien Willens möglich. Die wirkliche Ordnung des christlichen Staates ist das Resultat der Vermittlung beider Prinzipien. Die Ausweitung des neuzeitlichen Rechtsdenkens auf den Bereich der christlichen Politik erfordert die Einbeziehung dieses überlieferten Prinzips in die immanente Logik des Rechts. Nur durch die Tätigkeit und Vermittlungsfunktion des Willens ist das überlieferte Prinzip ein Wirkliches und Geltendes. Was Bramhall als Paradox des Hobbesschen Denkens beurteilt, ist eigentlich das wirkliche Paradox der normativen Instanzen der christlichen Welt: Die Geltung und Wirksamkeit der Projektionen im Bereich des Rechts, oder – wie Hegel es formuliert – die Wirksamkeit eines »sich jenseits seiner selbst versetzenden Willens« (GPR § 179). Hobbes zeigt die begriffliche Vermittlung von Prinzipien, die in der christlichen Welt in einer Vermischung vorgestellt werden. Diese Logik der Vermittlung beider Prinzipien lässt sich am besten anhand der Hobbesschen Unterscheidung zwischen »author« und »authority« darstellen. Die richtig formulierte Frage der »civil philosophy« im Bereich der christlichen Politik ist: Durch welche Autorität bzw. durch welche Vereinigungsform des Willens wird die Bibel zum Gesetz gemacht? Da die Vereinigungsformen des freien Willens aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können, kann diese Frage verschiedene Akzentsetzungen erhalten: (a) als Frage nach der Form der Kirche und (b) nach der Funktion der Bibelauslegung. Ad (a) Die Form der Kirche: Es wurde bereits anhand des Hobbesschen Systembegriffs gezeigt, dass der freie Wille verschiedene Formen erhalten kann. Die Kirche kann alle diese in Kap. 22 des Leviathan aufgeführten Einheitsformen annehmen, denn die Kirche ist eine Vereinigung christlicher Menschen. Alle Unterteilungen des Hobbesschen Systembegriffs (absolut, abhängig, regulär, irregulär usw.) können auf den Begriff der Kirche angewandt werden: Die Kirche kann öffentlich, privat, gesetzlich, ungesetzlich usw. sein. Das Spezifikum des Begriffs der Kirche liegt laut Hobbes nicht in der Form, sondern in der Materie: dem christlichen Menschen. Von dieser Perspektive ausgehend kann die religionspolitische Frage der »civil philosophy« als eine Frage nach der vernünftigen Form der Kirche betrachtet werden: »So that the question of the authority of the Scriptures is reduced to this: whether Christian kings, and the sovereign assemblies in Christian commonwealths, be absolute in their own territories, immediately under God; or subject to one vicar of Christ, constituted of the universal Church; to be judged, condemned, deposed, and put to death, as he shall think expedient, or necessary for the common good.« (EW 3.379 f.; Hervorh. A.B.) Ad (b) Die Funktion der Bibelauslegung: Die Transformation der Bibel in die Form eines positiven Gesetzes erfordert ihre Interpretation. Hobbes thematisiert die Bibelauslegung als eine Positivierung der Bibel. Eine private

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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Auslegung kann diese Funktion nicht erfüllen. Die Funktion der Auslegung ist daher von anderen Funktionen untrennbar. Die Bibelauslegung als Positivierung der Bibel ist nur durch eine bestimmte funktionale Vereinigungsform möglich. Diese Einheitsform ist eine Gestalt der Autorität. Die religionspolitische Frage der »civil philosophy« kann insofern auch als eine Frage nach dem funktionalen Zusammenhang der Bibelauslegung betrachtet werden: »Which question cannot be resolved, without a more particular consideration of the kingdom of God; from whence also, we are to judge of the authority of interpreting the Scripture. For, whosoever hath a lawful power over any writing, to make it law, hath the power also to approve, or disapprove the interpretation of the same.« (EW 3.380) Zu bestimmen ist auch, wie sich die religionspolitische Grundfrage der »civil philosophy« lösen lässt. Bereits in der Formulierung der Frage bemerkt Hobbes, dass sie »without a more particular consideration of the Kingdome of God« nicht lösbar ist. Das natürliche »Reich Gottes« wurde bereits erörtert. Das prophetische »Reich« muss noch thematisiert werden (7.2.1). Es wird durch das prophetische »Wort« Gottes konstituiert, und dieses »Wort« wird auf die Heilige Schrift reduziert. Eine Antwort auf diese Frage erfordert daher eine Bibelauslegung: eine Auslegung der Instanzen der christlichen Welt, die durch die Bibel bekannt sind. Die Bibel wurde in Kap. 32 des Leviathan zum Prinzip der christlichen Politik erhoben, diese Erhebung ist jedoch nicht ein Abschied von den Prinzipien der natürlichen Vernunft. Die Grundfrage der christlichen Politik ist daher anhand beider Prinzipien, (1) der »natürlichen Vernunft« (»recta ratio«) und (2) des überlieferten Prinzips der Bibel, zu thematisieren: »Who that one chief pastor is, according to the law of nature, hath been already shown; namely, that it is the civil sovereign: and to whom the Scripture hath assigned that office, we shall see in the chapters following.« (EW 3.461) (1) Die »natürliche Vernunft«: Die Grundfrage der Religionspolitik ist bei Hobbes eigentlich eine Ausweitung der Grundfrage der »civil philosophy« auf den Bereich der christlichen Politik. Das Faktum dieser Wissenschaft ist eine Menschenmenge, und die Frage dieser Wissenschaft ist, wie diese Menschenmenge eine rechtserzeugende Einheitsform werden kann. Die neue Wissenschaft fragt nach dieser Form. In der christlichen Politik gibt es ein neues Datum: das durch Propheten überlieferte »Wort« Gottes. Die Materie ist daher eine andere: eine Menge christlicher Menschen. Die religionspolitische Frage der »civil philosophy« ist, wie eine Menge christlicher Menschen eine rechtserzeugende Einheitsform werden kann. Die Philosophie im Bereich der christlichen Politik muss nach Hobbes nach einer spezifischen Form des freien Willens fragen, nach der Einheitsform der Kirche, die die

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Bibel zum Gesetz machen kann. Die »natürliche Vernunft« hat gezeigt, dass nur eine Einheitsform die Funktion der Gesetzgebung erfüllen kann. Deswegen muss die Kirche, die die Bibel zum Gesetz macht, ein christlicher Staat sein. Staat und Kirche sollen laut Hobbes ein und dieselbe Form haben: die Person, die die Form der Souveränität hat. Staat und Kirche, wenn sie eine vernünftige Gestaltung erhalten haben, unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer Materie: der Mensch und der christliche Mensch. (2) Die Bibel: Eine Lösung der Hobbesschen Frage durch die Bibelauslegung kann es jedoch eigentlich nicht geben. Dies zeigt sich deutlich in den folgenden Punkten aufgrund der Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Bibelauslegung. Die Antwort der oben formulierten Frage durch die Bibel selbst würde die Bibel zu einer vorgegebenen Autorität erheben. In der Diskussion zwischen Bramhall und Hobbes über Freiheit und Notwendigkeit argumentieren beide Philosophen anhand der Bibel. Beide Kontrahenten verwenden einige Argumente »drawn from the authority of Scripture« (EW 5.ii). Hobbes bezeichnet seine religionspolitische Frage als »the question of the authority of the Scriptures« (EW 3.377). Daher versteht sich von selbst, dass diese Frage nach der Autorität der Bibel nicht durch die Autorität der Bibel selbst beantwortet werden kann. Die religionspolitische Frage der »civil philosophy« wurde aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Eine davon war die Bibelauslegung. Die Hobbessche Problematik ist die Frage nach der Möglichkeitsbedingung der Positivierung einer bestimmten Bibelauslegung. Die Frage zielt damit auf die Funktionen und Formen des Willens. Die Frage nach den Bedingungen der Positivierung der Bibel lässt sich daher nicht durch den Inhalt einer privaten Auslegung der Bibel lösen. Die Hobbessche Interpretation der Bibel ist eine private Bibelauslegung, und Hobbes selbst ist sich der Bedeutung und Tragweite seiner privaten Bibelauslegung bewusst. Die materialistische Bibelauslegung von Hobbes ist nicht eine Bedingung der Positivierung der Bibel, sondern eine Kritik an der spiritualistischen Gestaltung der religiösen Instanzen aufgrund ihres Gefahrenpotentials (siehe unten 7.3). Hobbes behauptet, dass die Beantwortung der religionspolitischen Frage die Analyse biblischer Instanzen (wie des »Reichs Gottes«) erfordert. Die Hobbessche Auslegung biblischer Instanzen ist eine Ergänzung der bisher dargestellten »civil philosophy«. Die bisher ausgeführte Analyse des neuen Rechtsdenkens bliebe ohne eine Analyse der politisch wirksamen Instanzen der christlichen Religion abstrakt und unvollständig. Eine Analyse des Rechtsbewusstseins als der Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit im Bereich der Religion erfordert die Analyse derjenigen religiösen Instanzen, die einen starken Einfluss auf die Gestaltung der Welt des Rechts haben.

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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Hobbes muss zeigen, dass diese überlieferten Instanzen (als Form des Vorhandenseins) nur innerhalb eines Zusammenhangs des Wissens und des Wollens (Form des Geltens) wirklichkeitsgestaltende Prinzipien sein können. Versucht man, diese Instanzen aus der immanenten Logik des Rechts zu entfernen, können sie nur eine zerstörerische, instabilisierende Wirkung haben. Diese Instanzen werden durch Berichte bekannt. Deswegen sind sie Inhalt verschiedener Gattungen der Geschichtsschreibung: »civil history«, »holy history« und »historia ecclesiastica«. Hobbes führt jedoch im Leviathan eigentlich keine Kirchengeschichte aus, und der Inhalt seines Werks, das diesen Namen, Historia ecclesiastica in carmine elegiaco concinnata, trägt, fällt nicht ganz in diese Gattung der Geschichtsschreibung. Bei der Thematisierung der Bücher III und IV des Leviathan ist eine Immunisierung gegen eine bestimmte Rezeptionslinie in der Hobbes-Forschung (vgl. Willms 1979, 117–120) notwendig. Die These dieser Rezeptionslinie besagt, dass in den gennanten Büchern die Trennung zwischen Wissenschaft und Geschichte und damit zwischen Vernunft und Geschichte, die Hobbes in Kap. 9 des Leviathan formuliert, überwunden wird. Dieser Schritt vollziehe sich durch die Einbeziehung der Geschichtlichkeit des Glaubens in die Logik des Rechts. Die Vermittlungsfunktion werde durch die »sacred history« übernommen: »Faith was distinct from either reason or experience, and this must be why sacred history, to which so large a part of Leviathan is devoted, does not figure in the scheme of knowledge set out in Chapter IX and divided into modes of philosophy and modes of history. Experience and prudence, forms of thought appropiate to the study of natural and civil history, have no part to play in the study of revealed history.« (Pocock 1979, 164) Die Relevanz dieser von der Hobbes-Forschung vergessenen Bücher sei daher die Vermittlung von Vernunft und Geschichte: »It seems that here, at least, Hobbes reveals very deeply held convictions; that his philosophy of history and his logic interpenetrate, mutually informed by an ontological commitment to the Laws of Natural Reason, supported by a nominalist epistemology; and that his attempt to establish the supremacy of reason drives him into peculiar theological corners.« (Springborg 1975, 291) Eine Vermittlung von Vernunft und Geschichte lässt sich jedoch nicht aufgrund dieser Instanz (»sacred history«) vollziehen, wie sich anhand der folgenden Punkte zeigen lässt: (I) Die Heilsgeschichte bezieht sich nicht auf die Entfaltung eines Vernunftgehalts, was durch den Terminus »Heilsökonomie« deutlich wird. In der Heilsgeschichte findet man einen Ablauf, der nicht, wie bei der Wissenschaft, durch die Entfaltungsform eines Vernunftgehalts konstituiert ist. Dieser Ablauf ist der Plan Gottes. Geschichte bedeutet hier einfach Bericht.

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Heilsgeschichte und Kirchengeschichte sind, wie die »civil history« und die »natural history«, Erzählungen. (II) Die Vermittlung von Vernunft und Geschichte vollzieht sich eigentlich in den zwei folgenden Schritten, die die Möglichkeitsbedingungen zweier philosophischen Disziplinen sind: (1) Die Entdeckung der Geschichtlichkeit der Vernunft: Diese Entdeckung findet man bereits in der Kritik der reinen Vernunft, wo Kant von einer Geschichte der Vernunft spricht. Sie ermöglicht die Entstehung einer Geschichte der Philosophie. (2) Die Entdeckung der Vernünftigkeit der Geschichte: Diese Entdeckung ermöglicht die Entstehung der Geschichtsphilosophie. (III) Die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert die Erhebung des freien Willens nicht nur zum Rechtsprinzip, sondern auch zum Prinzip aller Rechtsentwicklungen. Diese Einbeziehung der Geschichte erfordert die Gestaltung dieses Prinzips als eine geschichtliche Triebkraft. Dieser Punkt wird in Kap. 10 (»Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit«) der vorliegenden Untersuchung ausgeführt. Daher bleibt die Trennung zwischen Vernunft und Geschichte, wie sie Hobbes in Kap. 9 des Leviathan formuliert, ganz unberührt. Die Interpretation von Pocock ist jedoch richtig bei der Hervorhebung der Zeitlichkeit in den Büchern III und IV des Leviathan (vgl. Pocock 1975, 153). Die zeitliche Dimension, die hier zur Geltung gebracht wird, ist die zeitliche Dimension der Gestalten des Willens, wie sich anhand der folgenden Argumente zeigen lässt: (1) Die Relevanz der Zeit in der Geltung der Rechtsgestalten zeigt sich z. B. sehr deutlich in der Figur der Verjährung. Hobbes macht auf diese zeitliche Dimension der Rechtsgestalten bereits in der Charakterisierung des Naturzustandes durch eine Willenserklärung aufmerksam: »For war, consisteth not in battle only, or the act of fighting; but in a tract of time, wherein the will to contend by battle is sufficiently known: and therefore the notion of time, is to be considered in the nature of war; as it is in the nature of weather. For as the nature of foul weather, lieth not in an shower or two of rain; but in an inclination thereto of many days together: so the nature of war, consisteth not in actual fighting; but in the known disposition thereto, during all the time there is no assurance to the contrary. All other time is peace.« (EW 3.113) (2) Die Sphäre des Rechts charakterisiert sich durch die Erhebung von Ansprüchen, die miteinander kollidieren. Die Regelung dieser Kollisionen vollzieht sich durch die Herausbildung einer befehlenden Instanz. Diese Herrschaft hat jedoch einen geographischen Geltungsbereich (z. B. »territory under the dominion of a commonwealth«, EW 3.232). Daher sind die Rechts-

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ansprüche einer »universal church« (EW 3.379) nichtig. Die Zeitlichkeit hat dieselbe Folge. Eine Herrschaft gilt nur in einer Periode. Die Gleichzeitigkeit ist auch eine Bedingung für die Kollision der Herrschaftsbereiche. (3) Damit lässt sich die besondere Funktion verstehen, die die Periodisierung der »sacred history« hat: »But all these subdivisions of sacred history, including the future, are also subdivisions of the history of political authority.« (Pocock 1979, 169) Das »Reich Gottes« ist laut Hobbes im wörtlichen Sinne eine rechtliche Instanz, die als solche ein Willenszusammenhang ist. Das »Reich Gottes« sei daher ein Herrschaftsbereich, der einen geographischen Bereich (die Erde) und eine zeitliche Dimension hat. Das »Reich Gottes« könnte daher wenigstens geographisch mit dem »mortal god« in Kollision kommen. Durch die Periodisierung, die Hobbes in den Büchern III und IV skizziert, zeigt sich jedoch klar, dass der Staat (oder die staatliche Kirche) nicht durch das »Reich Gottes« bedroht werden kann. Die Autorität des Staates lässt sich daher durch diese Instanzen nicht in Frage stellen. Die Zeit dient zur Abgrenzung der Periode der Geltung zwischen den unterschiedlichen Herrschaftsgebilden und somit in letzter Instanz zur Relativierung bestimmter Rechtsansprüche. Die Periodisierung in diesen Büchern dient daher, wie sich unten zeigen wird, zu einer Abgrenzung und Relativierung bestimmter religionspolitischer Instanzen, die Rechtsansprüche gegen den Staat erheben. Hobbes thematisiert die Funktionen und Formen von zwei Instanzen, die durch die Historie bekannt sind: »Kingdom of God« (7.2.1) und »ecclesiastical power« (7.2.2). Deswegen skizziert er im Leviathan eine Periodisierung, die die Kontinuität und Diskontinuität dieser Formen in der »Geschichte« zeigt. Hinsichtlich des »Reichs Gottes« formuliert er eine erste Periodisierung am Ende des Kap. 38. Bezogen auf diese Instanz lässt sich die »holy history« in drei Zeiten einteilen: »From this that hath been said of the kingdom of God, and of salvation, it is not hard to interpret what is meant by the world to come. There are three worlds mentioned in Scripture, the old world, the present world, and the world to come.« (EW 3.456) Anhand des »office of the Messiah« gewinnt Hobbes in Kap. 41 eine zweite Periodisierung: »We find in Holy Scripture three parts of the office of the Messiah: the first of a Redeemer or Saviour; the second of a pastor, counsellor, or teacher, that is, of a prophet sent from God to convert such as God hath elected to salvation: the third of a king, an eternal king, but under his Father, as Moses and the high priests were in their several times. And to these three parts are correspondent three times.« (EW 3.475; Hervorh. A.B.) In Kap. 43 unterteilt Hobbes hinsichtlich der »ecclesiastical power« die Zeit zwischen der Auferstehung Christi und dem Kommen des »Reichs Gottes« in zwei Zeiten: »For the understanding of

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power ecclesiastical, what, and in whom it is, we are to distinguish the time from the ascension of our Saviour, into two parts; one before the conversion of kings, and men endued with sovereign civil power; the other after their conversion.« (EW 3.485)

7.2.1 Das prophetische »Reich Gottes« Hobbes thematisiert das »Reich Gottes« in Bezug auf die folgenden Vorstellungen der christlichen Politik: Das »Reich Gottes« wird als eine vorgegebene Instanz aufgefasst, die einen normativen Rang hat. Die Seinsweise der Pflichten, die aus dieser Quelle fliessen, sei daher die Form des Vorhandenseins. Die Kirche wird auch in bestimmten Vorstellungen als eine Abbildung dieser vorgefundenen Instanz aufgefasst. Die besondere Berechtigung der Kirche liege daher in dieser Abbildung einer vorgebenen Ordnungsstruktur. Hobbes kritisiert diese Vorstellungen der christlichen Politik durch die folgenden Thesen über das »Reich Gottes«: (a) Das prophetische »Reich Gottes« ist ihm zufolge in der Tat eine normative Instanz, aber sie hat eine rechtserzeugende Wirkung nur deshalb, weil sie ein Zusammenhang des Wissens und des Wollens ist. (b) Die Analyse dieser Instanz zeigt, dass sie eine systematische Vereinigung von Funktionen ist, die auch die Form der Souveränität hat. (c) Die souveräne Macht des »Reich Gottes« kann mit der souveränen Macht des Staates nicht in Kollision kommen. Für die Begründung dieser These bezieht Hobbes eine Periodisierung in Bezug auf die Geltung dieser Instanz ein: »old word«, »world to come« und die Zwischenzeit, in der sich die christliche Politik vollzieht. (d) Die Gestaltung der Kirche als »Abbildung« dieser Instanz kann daher die interne Logik der Souveränität nicht außer Kraft setzen, denn sie ist auch eine souveräne Macht. Die Gestaltung der Kirche sowohl nach den Prinzipien der »recta ratio« als auch nach dem Prinzip des prophetischen »Wortes« (d. h. nach dem spezifischen Prinzip der christlichen Politik) erfordert laut Hobbes die Vereinigung von Staat und Kirche: Die normativen Funktionen der Kirche sollen nur vom Souverän ausgeübt werden. Das »Reich Gottes« ist laut Hobbes »an institution by pact« (EW 3.398). Da es in einem Zusammenhang des Wissens und des Wollens besteht, ist es ein beschränkter Herrschaftsbereich. Die Instanz des »Reichs Gottes« muss daher durch die Tätigkeit des freien Willens rekonstruiert werden. Da Hobbes im Wesentlichen mit den Denkverhältnissen der »addition« und »substraction« operiert, erklärt er das Spezifikum dieser »Institution by pact« auch durch

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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eine »addition«: »All the nations of the world are mine; but it is not so that you are mine, but in a special manner: for they are all mine, by reason of my power; but you shall be mine, by your own consent, and covenant; which is an addition to his ordinary title, to all nations.« (EW 3.399) Das »Reich Gottes« sei daher die staatliche Souveränität über ein auserwähltes Volk. Das Spezifikum der Institution des »Reichs Gottes« wird durch die Sakramente zur Geltung gebracht. In der Hobbesschen Sakramentenlehre ist das Sakrament als ein sichtbares Dasein aufgefasst, das als »Erklärung« und Erinnerung der Mitgliedschaft in diesem Willenszusammenhang gilt. Das Sakrament ist insofern ein Willenszeichen, als es eine funktionale Vereinigung von Denken und Anschauung darstellt, die die Form des Geltens produziert. Aufgrund dieser »addition« erhält die öffentliche Person (»public person«) laut Hobbes ein neues Recht, oder genauer formuliert: eine neue berechtigte Funktion: »to inform the people of God’s will« (EW 3.400). Dieses Recht des Souveräns ist die Funktion des Propheten als »prolocutor«: »The name of prophet signifieth in Scripture, sometimes prolocutor; that is, he that speaketh from God to man, or from man to God: and sometimes predictor, or a foreteller of things to come: and sometimes one that speaketh incoherently, as men that are distracted. It is most frequently used in the sense speaking from God to the people.« (EW 3.412) Diese Funktion der Vermittlung »from God to man, or from man to God« ermöglicht die Ausweitung der funktionalen Vereinigung von Denken und Anschauung, die für alle Rechtsgestalten konstitutiv ist, auf den Bereich der Religionspolitik. Die Funktion des »prolocutor« ist daher Möglichkeitsbedingung der Verbindlichkeit der religiösen Gesetze. Ohne diese vermittelnde Funktion des »prolocutor« wäre die Positivierung des »Wortes« Gottes unmöglich. Die »Gesetze Gottes« sind im Verhältnis der Menschen untereinander nur wirksam, sofern sie vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt sind: »it is therefore manifest enough by this one place, that by the kingdom of God, is properly meant a commonwealth, instituted, by the consent of those which were to be subject thereto, for their civil government, and the regulating of their behaviour, not only towards God their king, but also towards one another in point of justice, and towards other nations both in peace and war« (EW 3.400). Die Funktion der »prolocutio« (»to inform the people of God’s will«) erfordert die Eigenschaften der Person (»will«, »voice« und »reason«) und lässt sich daher laut Hobbes problemlos auf die Funktionen und Formen des freien Willens reduzieren. Als »prolocutor« spricht der Prophet im Namen Gottes. Die Funktion der »prolocutio« ist die Funktion der Vertretung Gottes und lässt sich daher nach Hobbes durch die interne Logik der Vertretung begreifen. Die Autorität des »Reichs Gottes« ist somit Gott, und der souveräne Prophet ist nur »viceroy

148 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

or lieutenant« (ebd.). Da diese Autorität nicht übertragbar ist, wird das Recht des Stellvertreters Gottes bei Hobbes als »particular commission« bezeichnet: »By which it is manifest, that speaking by the spirit, or inspiration, was not a particular manner of God’s speaking, different from vision, when they, that were said to speak by the Spirit, were extraordinary prophets, such as for every new message, were to have a peculiar commission, or, which is all one, a new dream, or vision.« (EW 3.418) Es wurde anhand des Kap. 23 des Leviathan gezeigt, dass die Organizität des Staates eine Differenzierung der staatlichen Funktionen in Ministerien ermöglicht. Die Funktion des Propheten kann auch diese Form annehmen: »Of prophets, that were so by a perpetual calling in the Old Testament, some were supreme, and some subordinate: supreme were first Moses; and after him the high-priests, every one for his time, as long the priesthood was royal; and after the people of the Jews had rejected God, that he should no more reign over them, those kings which submitted themselves to God’s government, were also his chief prophets; and the high priest’s office became ministerial.« (EW 3.418 f.) Die Hobbessche Analyse der christlichen Politik zeigt nun die Konkretion der Funktionen und Formen des Willens, die in den zwei ersten Büchern des Leviathan analysiert wurden, in der christlichen Welt. Hobbes erklärt erneut bezüglich dieser religionspolitischen Instanzen, dass die Ausübung der Funktionen nicht zu ihrer Verselbständigung, sondern nur zu ihrer Differenzierung führen darf. In Kap. 36 des Leviathan stellt Hobbes die verschiedenen Bedeutungen des Terminus »Wort Gottes« dar. Unter »Wort Gottes« ist nicht nur die »Erklärung« des Willens Gottes, sondern auch die christliche Lehre zu verstehen. Die Positivierung der christlichen Lehre kann daher auch als eine prophetische Funktion bezeichnet werden. Deswegen lässt sich die religionspolitische Frage der »civil philosophy« (durch welche Autorität wird die Bibel zum Gesetz gemacht?) auch aus der Perspektive der prophetischen Funktion formulieren: »every man therefore ought to consider who is the sovereign prophet; that is to say, who it is, that is God’s vicegerent on earth; and hath next under God, the authority of governing Christian men; and to observe for a rule, that doctrine, which in the name of God, he hath commanded to be taught; and thereby to examine and try out the truth of those doctrines, which pretended prophets, with miracle, or without, shall at any time advance« (EW 3.426; Hervorh. A.B.). Die Hobbessche Bibelauslegung zeigt, dass das »Reich Gottes« eine juristisch strukturierte Instanz, ein Zusammenhang des Wissens und Wollens ist. Ein anderer Parallelismus lässt sich zwischen den Kapiteln 18 und 40 des Leviathan feststellen. In Kap. 18 thematisiert Hobbes die Rechte (bzw.

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die berechtigte Funktionen) des »Souveräns« und in Kap. 40 die Rechte des »Reichs Gottes« in »the old world«. In beiden Kapiteln rekonstruiert er eine Einheitsform des Wissens und des Wollens (den Staat und das »Reich Gottes«) als eine systematische Vereinigung von Funktionen. Diese Systematisierung ist eine Bedingung für die Geltung und Wirksamkeit dieser Funktionen: »Therefore whatsoever obedience was yielded to any of the judges, who were men chosen by God extraordinarily to save his rebellious subjects out of the hands of the enemy, it cannot be drawn into argument against the right the high-priest had to the sovereign power, in all matters both of policy and religion. And neither the judges nor Samuel himself had an ordinary, but an extraordinary calling to the government; and were obeyed by the Israelites, not out of duty, but out of reverence to their favour with God, appearing in their wisdom, courage, or felicity. Hitherto therefore the right of regulating both the policy and the religion were inseparable.« (EW 3.470; Hervorh. A.B.) Die Hobbessche Auslegung des Alten Testaments zeigt, dass die Instanz des »Reichs Gottes« die Logik der Willensformen nicht außer Kraft setzt, sondern dass sie diese Logik bestätigt. Daher behauptet Hobbes, dass das »Reich Gottes« im Alten Testament (in »the old world«) keine metaphorische Instanz ist. Er versucht auch, diese nicht-metaphorische Interpretation des »Reichs Gottes« auch für die »world to come« zur Geltung zu bringen. In Kap. 41 des Leviathan will Hobbes zeigen, dass das alt- und neutestamentliche »Reich Gottes« sich durch dieselbe Form interpretieren lassen. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass das neutestamentliche »Reich Gottes« nur noch eine Vorstellung ist. Das neutestamentliche »Reich Gottes« sei auch eine von unserer Einwilligung abhängige Institution, ein Zusammenhang des Wollens und des Wissens, obwohl dieses Reich noch kein gegenwärtiges Dasein ist. Deswegen sind die Erklärung und die Erinnerung der Mitgliedschaft durch das »sichtbare« Dasein der neutestamentlichen Sakramente konstituiert: »As for the third part of his office, which was to be king, I have already shewn that his kingdom was not to begin till the resurrection. But then he shall be king, not only as God, in which sense he is king already, and ever shall be, of all the earth, in virtue of his omnipotence; but also peculiarly of his own elect, by virtue of the pact they make with him in their baptism.« (EW 3.418) Da das neutestamentliche »Reich Gottes« sich als ein Zusammenhang des Wissens und des Wollens gezeigt hat, ist nach der Form dieses Willenszusammenhangs zu fragen: Das neutestamentliche »Reich Gottes« hat, wie das alttestamentliche, die Einheitsform der souveränen Macht. Deswegen wird Jesus im zukünftigen »Reich Gottes« dieselbe Funktionen ausüben, die im alttestamentlichen »Reich Gottes« von Moses ausgeübt wurden: »Again, he is to be king then, no otherwise than as subordinate or vicegerent

150 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

of God the Father, as Moses was in the wilderness; and as the high-priests were before the reign of Saul; and as the kings were after it.« (EW 3.482) Da diese Funktionen nur in der »world to come« gelten werden, können sie (in der Zeit vor der Geltung dieses »Reichs«) nicht mit den Funktionen des Souveräns in Kollision kommen: »Hitherto, therefore, there is nothing done or taught by Christ, that tendeth to the diminution of the civil right of the Jews or of Caesar.« (EW 3.480)

7.2.2 Die kirchliche Macht Die Hobbessche Analyse der kirchlichen Politik wird anhand der folgenden Periodisierung eingeteilt: »For the understanding of power ecclesiastical, what, and in whom it is, we are to distinguish the time from the ascension of our Saviour, into two parts; one before the conversion of kings, and men endued with sovereign civil power; the other after their conversion. For it was long after the ascension, before any king or civil sovereign embraced and publicly allowed the teaching of Christian religion.« (EW 3.485) Das Ziel dieser Periodisierung ist, zwischen zwei Formen der Autorität der Kirche zu unterschieden: der Form der »private authority« und der Form der »public authority« (der christliche Staat). Hobbes erklärt den Unterschied zwischen beiden Grundformen der Kirche durch die Unterscheidung zwischen zwei Willensäußerungen, die in ihrer sprachlichen Gestaltung die Imperativform erhalten: die subjektiv bedingte Nötigung des »counsel« und die allgemein verbindliche Nötigung des »command« (bzw. »law«). Das Wesentliche ist daher nicht die Sprachform (die Imperativform »do this, or do not this«, EW 3.241), die beiden Gestalten gemeinsam ist, sondern die Willensform, durch welche beide Gestalten der Kirche sich unterscheiden. Die zwei Grundformen der kirchlichen Macht können daher auf folgende Weise bezeichnet werden: die Kirche als Macht, zu lehren (7.2.2.1) und die Kirche als Macht, zu befehlen (7.2.2.2). Deswegen lassen sich die zwei Teile des Kap. 42 des Leviathan (die Analyse der Kirche als Macht, zu lehren und als Macht, zu befehlen) teilweise aus den Kapiteln 25 und 26 interpretieren, wo Hobbes die Begriffe des »counsel« und des »civil law« erörtert. Diese Grundunterscheidung der kirchlichen Formen entspricht auch, wie sich zeigen wird, der allgemeineren Hobbesschen Unterschiedung zwischen »libertas« und »imperium«. Die Analyse der kirchlichen Macht in Kap. 42 setzt eine Logik der Vereinigungsformen des freien Willens voraus. Hobbes skizziert eine rudimentäre Logik der Einheitsformen in Kap. 22 (die Logik der abhängigen Systeme). Die Analyse des biblischen Gebrauchs des

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Terminus »Kirche« in Kap. 39 wendet diese Logik auf die unterschiedlichen Formen der Kirche an. Deswegen sind diese Kapitel auch relevant für die Analyse des Kap. 42.

7.2.2.1 Die kirchliche Macht als Macht, zu lehren Das neue Rechtsdenken muss zeigen, dass die Gestalt der Kirche auch eine von unserer Einwilligung abhängige Autorität ist. Die biblische Instanz der Kirche wird, wie das »Reich Gottes«, auf Funktionen und Formen des Willens reduziert. Die Hobbessche Analyse der Kirche ist eine Analyse von Funktionen. Die Autorität der Kirche als Macht zu lehren funktioniert wie eine private Versammlung und ist daher von einer Zustimmung abhängig. Sie wird durch die Logik des Vertretungsverhältnisses konstituiert. Ein System ist laut Hobbes immer eine Vereinigung in einem Interesse, mit einem Ziel. Das Ziel der Kirche (als »privates System«) ist die Vollendung eines Teils der Mission Christi: »We find in Holy Scripture three parts of the office of the Messiah: the first of a Redeemer or Saviour; the second of a pastor, counsellor, or teacher, that is, of a prophet sent from God to convert such as God hath elected to salvation: the third of a king, an eternal king, but under his Father, as Moses and the high-priests were in their several times. And to these three parts are correspondent three times. For our redemption he wrought at his first coming, by the sacrifice wherein he offered up himself for our sins upon the cross: our conversion he wrought partly then in his own person, and partly worketh now by his ministers, and will continue to work till his coming again.« (EW 3.475 f.; Hervorh. A.B.) Die Ausführung dieses Ziels erfordert die Ausübung der »pastoral functions«. Die Formen der Welt des Rechts werden bei Hobbes immer durch das Vereinigen und Weglassen von Funtionen konstituiert. Die richtig formulierte Frage ist daher: Welche ist die angemessene Form (bzw. Gestaltung) der Kirche für die Ausübung der »pastoral functions«? Durch diese Analyse der »pastoral functions« gewinnt das Hobbessche Naturrecht eine religionspolitische Konkretion. Mit seiner Analyse der Ausübung der »pastoral functions« versucht Hobbes zu zeigen, dass diese Funktionen sich auf eine Macht zu lehren reduzieren, solange die Kirche nicht in einen christlichen Staat transformiert wird: »For they are really monarchs of their own people; that is, of their own Church; for the Church is the same thing with a Christian people; whereas the power of the Pope, though he were St. Peter, is neither monarchy, nor hath anything of archical, nor cratical, but only of didactical; for God accepteth not a forced, but a willing obedience.« (EW 3.569) Die Autorität der kirchlichen Vorschrif-

152 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

ten gleicht der Autorität der Vorschriften eines Arztes: »And why are not also the precepts of good physicians so many laws, but that it is not the imperative manner of speaking, but an absolute subjection to a person, that maketh his precepts laws?« (EW 3.563) Dies lässt sich problemlos bezüglich des ersten Auftrags der Kirche (Lehren und Predigen) zeigen: »teaching therefore, and preaching, is the same thing. For they that proclaim the coming of a king, must withal make known by what right he cometh, if they mean men shall submit themselves unto him« (EW 3.497). Die kirchliche Funktion, in der sich das Verhältnis beider religiöser Instanzen (kirchliche Macht und »Reich Gottes«) am besten zeigt, ist die »Macht der Schlüssel« (bzw. die Macht, zu binden und zu lösen): »The power of remission and retention of sins, called also the power of loosing and binding, and sometimes the keys of the kingdom of heaven, is a consequence of the authority to baptize, or refuse to baptize. For baptism is the sacrament of allegiance of them that are to be received into the kingdom of God; that is to say, into eternal life; that is to say, to remission of sin: for as eternal life was lost by the committing, so it is recovered by the remitting of men’s sins.« (EW 3.499) Die Macht der Schlüssel ist eigentlich eine Vereinigung mehrerer kirchlichen Funktionen: von (a) Taufe, (b) Vergebung und Belassung der Sünde und (c) Exkommunikation. Die Macht, die Sünde zu vergeben und zu belassen, ist ein Teil der Macht der Schlüssel und eine Folge des Auftrags, zu taufen. Der andere Teil dieser Macht besteht in der Funktion der Exkommunikation: »this part of the power of the keys, by which men were thrust out from the kingdom of God, is that which is called excommunication« (EW 3.502). Hobbes versucht zu zeigen, dass der Zweck und die Wirkung der Macht der Schlüssel, solange diese nicht durch die staatliche Macht verstärkt wird, eigentlich in einer Macht zu lehren bestehen. Die Autorität der Taufe, die Macht der Vergebung und Belassung der Sünde und die Funktion der Exkommunikation sind eigentlich nur »didactical power« (EW 3.569). Die Vorschriften, die aufgrund dieser Macht verkündet werden, haben daher eine subjektiv bedingte Nowendigkeit. Sie gelten nur als Klugheitsregeln für die Rettung der Seele. Aufgrund dieser subjektiv bedingten Notwendigkeit sind sie auch von unserer Zustimmung abhängig. Die Vorschriften der kirchlichen Macht als Macht zu lehren gelten daher nicht »without our assent« (EW 5.179). Ad (a) Die Taufe: Die Taufe besteht in einer Erklärung, in einem Zeichen: »And therefore, seeing to baptize is to declare the reception of men into God’s kingdom; and to refuse to baptize is to declare their exclusion; it followeth, that the power to declare them cast out, or retained in it, was given to the same apostles, and their substitutes and successors.« (EW 3.499) Die Frage

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ist daher, welche Relevanz und Wirkung diese Erklärung hat. Die Wirkung einer Erklärung hängt nicht von der Sprachform, sondern von der Willensform ab. Die Analyse der kirchlichen Macht zeigt, dass, solange sie nicht ein christlicher Staat ist, diese Zeichen keine verbindliche Autorität erzeugen: »it is manifest, that we do not in baptism constitute over us another authority, by which our external actions are to be governed in this life; but promise to take the doctrine of the Apostles for our direction in the way to life eternal« (ebd.). Die einzigen Zeichen, die eine verbindliche Autorität erzeugen können, sind laut Hobbes »the signs of contract«. Die Zeichen des Vertrags gelten jedoch nur, wenn sie durch die Willensform des Staates verstärkt werden. Ad (b) Die Vergebung und Belassung der Sünde: Bezüglich der Macht, Sünden zu vergeben und zu belassen, formuliert Hobbes einige Elemente seiner Kritik an der spiritualistischen Gestaltung der kirchlichen Macht. Die Sünde ist eine »unsichtbare« Instanz. Die Funktion der richterlichen Gewalt ist ohne die durch den Willen produzierte Gestalt der Anschauung nicht möglich. Die »unsichtbaren« Instanzen bleiben daher außerhalb der menschlichen Gerichtsbarkeit: »for internal faith is in its own nature invisible, and consequently exempted from all human jurisdiction« (EW 3.518). Deswegen kritisiert Hobbes bereits in Kap. 29 des Leviathan, dass eine gesetzgebende Gewalt für die Beurteilung der Sünde erzeugt wird: »For notwithstanding the insignificant distinction of temporal, and ghostly, they are still two kingdoms, and every subject is subject to two masters. For seeing the ghostly power challengeth the right to declare what is sin, it challengeth by consequence to declare what is law, sin being nothing but the transgression of the law; and again, the civil power challenging to declare what is law, every subject must obey two masters, who both will have their commands be observed as law; which is impossible.« (EW 3.316) Eine menschliche Gerichtsbarkeit für die Beurteilung der Sünde erfordert eine durch Wörter und Handlungen produzierte Gestalt der Anschauung (»outward marks«). Diese Funktion der Kirche ist durch die folgende Inkonsequenz beschränkt: Die Kirche richtet sich auf eine »unsichtbare« Instanz (die Sünde), aber sie muss sich an äußerlichen Zeichen (»outward marks«) orientieren: »Therefore the apostles, and their successors, are to follow but the outward marks of repentance; which appearing, they have no authority to deny absolution; and if they appear not, they have no authority to absolve.« (EW 3.500) Die Herausbildung einer Gerichtbarkeit über diese »outward marks« besteht auch in der Produktion eines Zusammenhangs des Wissens und des Wollens. Obwohl sich diese Gerichtsbarkeit vermeintlich auf eine »unsichtbare« Instanz richtet, kann sich diese Instanz der internen Logik des freien

154 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

Willens nicht entziehen. Hobbes formuliert diesen Gedanken anhand der folgenden Frage: »But seeing no man is able to discern the truth of another man’s repentance, further than by external marks, taken from his words and actions, which are subject to hypocrisy; another question will arise, who is it that is constituted judge of those marks?« (ebd.; Hervorh. A.B.) Das Urteil erfordert die Eigenschaften der Person (»reason«, »voyce«, »will«). Diese Person agiert als »prolocutor« der Kirche: »By which it is manifest, that the judgment concerning the truth of repentance, belonged not to any one man, but to the Church, that is, to the assembly of the faithful, or to them that have authority to be their representant. But besides the judgement, there is necessary also the pronouncing of sentence. And this belonged always to the apostle, or some pastor of the Church, as prolocutor; and of this our Saviour speaketh in the 18th verse, Whatsoever ye shall bind on earth shall be bound in heaven; and whatsoever ye shall loose on earth shall be loosed in heaven.« (EW 3.500 f.) Der »prolocutor« ist der Stellvertreter einer Versammlung christlicher Menschen. Ad (c) Die Exkommunikation: Die Macht der Exkommunikation ist das Recht der Ausschließung von der Versammlung der Kirche. Die Wirksamkeit dieser Funktion erfordert die Verbindlichkeit eines ausschließenden Daseins des Rechts. Ihre Wirkung ist daher erneut von einer Willensform abhängig. Solange die Kirche nicht die Form des Staates gewonnen hat, ist das Eigentum das einzige ausschließende Dasein des Rechts. Deswegen behauptet Hobbes, dass dieses Recht nur von den Eigentümern der kirchlichen Gebäude ausgeübt werden kann. Da das Eigentumsrecht nicht absolut ist, ist die Exkommunikation der öffentlichen Person immer ungültig: »As for keeping them out of their synagogues, or places of assembly, they had no power to do it, but that of the owner of the place, whether he were Christian, or heathen. And because all places are by right in the dominion of the commonwealth; as well he that was excommunicated, as he that never was baptized, might enter into them by commission from the civil magistrate; as Paul before his conversion entered into their synagogues at Damascus, (Acts ix. 2) to apprehend Christians, men and women, and to carry them bound to Jerusalem, by commission from the high-priest.« (EW 3.503) Durch die Nichtigkeit der Exkommunikation zeigt sich laut Hobbes, dass die Funktion der Exkommunikation sich in dieser kirchlichen Gestalt auf ein religiöses Belehren reduziert: »whereby we may understand, that excommunication, in the time that Christian religion was not authorized by the civil power, was used only for a correction of manners, not of errors in opinion« (EW 3.504). Da die Exkommunikation sich in dieser bestimmten Form der kirchlichen Macht als unwirksam gezeigt hat, lässt sich nach den Möglichkeitsbedingun-

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gen ihrer Wirksamkeit fragen. Hobbes gewinnt eine Antwort auf diese Frage anhand der Analyse der Figur der Häresie. Die Häresie ist ein privates Urteil, das im Widerspruch zu einem öffentlichen Urteil steht. Sie erfordert daher eine Vereinigung von Menschen und die Unterwerfung der Mitglieder dieser Vereinigung (»subjection«). Man kann von Häresie nur innerhalb eines Herrschaftsbereichs sprechen. Die Möglichkeitsbedingungen der Häresie und die der Exkommunikation sind dieselben. Die Geltung und Wirksamkeit der Exkommunikation erfordern eine Gemeinschaft, das Willensverhältnis der »subjection«: »That a man be liable to excommunication, there be many conditions requisite; as first, that he be a member of some commonalty, that is to say, of some lawful assembly, that is to say, of some Christian Church, that hath power to judge of the cause for which he is to be excommunicated. For where there is no community, there can be no excommunication; nor where there is no power to judge, can there be any power to give sentence.« (EW 3.506; Hervorhebung, AB.) Durch die Analyse der Bedingungen der Wirksamkeit der Funktion der Kirche begründet Hobbes, welche die vernünftige Gestaltung der Kirche ist. Die Funktion der Exkommunikation ist unwirksam (»without effect«), solange sie nicht durch ein ausschließendes Dasein des Rechts (Eigentum und Herrschaftbereich des Staates) verstärkt wird. Die Wirksamkeit der Funktion der Exkommunikation erfordert die Gestaltung der Kirche als Herrschaftsbereich. Die Funktion der Exkommunikation kann nur durch einen christlichen Staat ausgeübt werden. Sie ist im christlichen Staat wirksam, aber zugleich überflüssig, denn der Herrschaftsbereich des Staates und der der Kirche sind notwendigerweise dieselben: »And as to other princes and states, because they are not parts of one and the same congregation, they need not any other sentence to keep them from keeping company with the state excommunicate: for the very institution, as it uniteth many men into one community, so it dissociateth one community from another: so that excommunication is not needful for keeping kings and states asunder; nor has any further effect than is in the nature of policy itself, unless it be to instigate princes to war upon one another.« (EW 3.507) Diese Funktion der Kirche kann daher weder durch die Form der katholischen Kirche (»universal Church«) noch durch bestimmte Formen der reformierten Kirche (als »private authority«) ausgeübt werden. Nach der Analyse der Exkommunikation thematisiert Hobbes die Bibelauslegung als eine konstitutive Funktion der kirchlichen Macht. In Kap. 42 des Leviathan formuliert er erneut die Frage, die der Leitfaden der Hobbesschen Philosophie im Bereich der Religionspolitik ist: »There be two senses, wherein a writing may be said to be canonical; for canon, signifieth a rule;

156 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

and a rule is a precept, by which a man is guided and directed in any action whatsoever. Such precepts, though given by a teacher to his disciple, or a counsellor to his friend, without power to compel him to observe them, are nevertheless canons; because they are rules. But when they are given by one, whom he that receiveth them is bound to obey, then are those canons, not only rules, but laws. The question therefore here, is of the power to make the Scriptures, which are the rules of Christian faith, laws.« (EW 3.512 f.) Die kirchliche Funktion der Bibelauslegung hat, wie gezeigt, eine Hauptrolle in der Hobbesschen religionspolitischen Analyse aus folgenden Gründen: Erstens, die Bibel ist laut Hobbes das spezifische Prinzip der christlichen Politik (vgl. EW 3.365). Zweitens, die Wirksamkeit dieser Funktion (der Bibelauslegung) setzt eine Vereinigung von Funktionen (»judicature«, »execution«, »instruction« usw.) voraus. Der gesuchte Inhalt dieser Frage ist somit eine bestimmte Einheitsform des Willens. Die »legislative authority« der Kirche ist ein Verhältnis von Einheit und Vielheit, durch welche die Möglichkeit des Widerspruchs und damit die Rechtsgestalt des Unrechts konstituiert wird. In Kap. 42 des Leviathan konkretisiert Hobbes daher diese Hauptfrage der Religionspolitik auf folgende Weise: »But the question here, is not what any Christian made a law or canon to himself, which he might again reject by the same right he received it; but what was so made a canon to them; as without injustice they could not do anything contrary thereunto.« (EW 3.518; Hervorh. A.B.) Da die Wirklichkeitsform des Rechts das Wissen und das Wollen ist, hat das Recht eine Beziehung auf das Bewusstsein. Die Rechtsphilosophie muss sowohl die Daseins- und Erscheinungsformen des Rechts als auch das Rechtsbewusstsein (die Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit) thematisieren. Deswegen erörtert Hobbes weitere kirchliche Funktionen (»ecclesiastical« und »pastoral functions«), die den Schein einer vorgegebenen Autorität der Kirche erzeugen: »That which may seem to give the New Testament, in respect of those that have embraced Christian doctrine, the force of laws, in the times and places of persecution, is the decrees they made amongst themselves in their synod.« (EW 3.512; Hervorh. A.B.) Die Urteile der Kirche sind nur Vorschriften einer privaten Autorität, und eine private Autorität hat nur die Macht, zu lehren. Auch erzeugt den Schein eines »vorgegebenen« Herrschaftsverhältnis die folgende Funktion der Kirche: »the right of constituting ecclesiasticall officers in the time of the apostles« (EW3.523). Die Produktion einer in sich differenzierten Struktur setzt die Produktion der Ungleichheit voraus. Hobbes bezeichnet das künstliche Verhältnis der Ungleichheit als »imperium«. Aus der Hobbesschen Unterscheidung zwischen »imperium« und »libertas« lässt sich der Charakter dieser kirchlichen Funktion ableiten,

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solange sie nicht durch eine staatsförmige Kirche ausgeübt wird: »The kingdom of God was yet to come, in a new world: so that there could be no authority to compel in any Church, till the Commonwealth had embraced the Christian faith: and consequently no diversity of authority, though there were diversity of employments.« (EW 3.512; Hervorh. A.B.) Die Vielfalt von »ecclesiastical officers« erzeugt in der Kirche (als Macht, zu lehren) weder die Ungleichheit eines berechtigten Herrschaftsverhältnisses (»imperium«, »subjection«) noch die interne Differenzierung eines »politischen Körpers« (»body politic«), sondern nur eine Vielfalt von »employments«. Die Analyse der kirchlichen Macht, die nicht durch die Autorität des Staates verstärkt wird, lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen: Die Ausübung der kirchlichen Funktionen erfordert die Herausbildung eines Willenszusammenhangs, aber die Wirkung dieses Willenszusammenhangs beschränkt sich auf eine Macht, zu lehren. Die Vorschriften der Kirche haben nur eine subjektiv bedingte Notwendigkeit. Hinsichtlich der Sprache haben die kirchlichen Vorschriften die Imperativform, aber hinsichtlich des Willenszusammenhangs haben sie die Form des »counsels«. Die Funktionen der kirchlichen Macht erfordern auch einen funktionalen Zusammenhang von Denken und Anschauung, denn die Kirche muss sich in der Ausübung ihrer Funktionen an Willenszeichen orientieren. So muss sich z. B. die Funktion der Vergebung der Sünde an den Wörtern und Handlungen der Büssers (»outward marks«) orientieren. Die kirchliche Macht soll daher, selbst wenn sie sich auf eine Macht zu lehren beschränkt, die Form einer »sichtbaren« und vernünftigen Macht erhalten (»visible power«). Die immanente Logik des Rechts lässt sich daher nicht durch die Instanz der kirchlichen Macht (als Macht zu lehren) außer Kraft setzen.

7.2.2.2 Die kirchliche Macht als Macht, zu befehlen Die zweite Fundamentalform der kirchlichen Macht ist die Gestaltung der Kirche als eine Macht zu befehlen. Beide Formen der kirchlichen Politik, die kirchliche Macht als Macht zu lehren und als Macht zu befehlen, werden als Perioden der Historie (in diesem Fall, der »civil history« und der Kirchengeschichte) thematisiert: Die zweite Grundform der kirchlichen Macht gehört zur Periode »after their conversion« [sc. »kings, and men endued with sovereign civil power«] (EW 3.485). Diese Periodisierung der Kirchengeschichte muss auch innerhalb der umfassenderen Periodisierung der »holy history« betrachtet werden. Beide Formen der kirchlichen Macht sind Formen einer einzigen Periode der heiligen Geschichte: der Zeit zwischen der »old world«

158 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

und der »world to come«. Die kirchliche Macht entsteht in der Zwischenzeit, in der eine Diskontinuität in der Herrschaft des »Reichs Gottes« stattfindet. Durch die komplementäre Periodisierung der verschiedenen Gattungen der Geschichtsschreibung wird die analytische Ausdifferenzierung beider Instanzen (»Reich Gottes« und kirchliche Macht) verstärkt: Die analytische Ausdifferenzierung beider Instanzen ist durch eine geschichtliche Abgrenzung sichtbarer. Die Verwechslung von »Reich Gottes« und kirchlicher Macht ist laut Hobbes der Grundirrtum der spiritualistischen Bibelauslegung und der Keim der Gefahren der kirchlichen Politik (siehe unten 7.3). Die Hauptfrage ist erneut, ob diese Form der kirchlichen Macht sich auch als ein Dasein des freien Willens begreifen lässt. Die »pastoral« bzw. »ecclesiastical functions« erhalten in dieser Gestaltung der Kirche eine rechtserzeugende Dimension. Die Frage ist daher, ob die Tätigkeit des freien Willens eine Möglichkeitsbedingung der Geltung und Wirksamkeit der rechtlichen Funktionen dieser Gestalt der Kirche ist. Aus diesen erörterten Gründen orientiert sich die Hobbessche Analyse an einer Frage, die beide Elemente (die Periodisierung der Historie und die funktionale Analyse des neuen Rechtsdenkens) vereinigt: »We are to consider now, what office in the Church those persons have, who being civil sovereigns, have embraced also the Christian faith.« (EW 3.537) Die berechtigten Funktionen des Souveräns sind der Inhalt des Kap. 18 des Leviathan. Daher verweist Hobbes, direkt nach der Formulierung dieser Frage, auf dieses Kapitel: »And first, we are to remember that the right of judging what doctrines are fit for peace, and to be taught the subjects, is in all commonwealths inseparably annexed, as hath been already proved (chapter XVIII), to the sovereign power civil, whether it be in one man, or in one assembly of men.« (ebd.) In Kap. 42 werden jedoch nur die »pastoral functions« thematisiert. Deswegen kann die Frage nach dem Verhältnis des Souveräns mit den »pastoral funcions« auch auf folgende Weise formuliert werden: Wer ist »the supreme pastor«? (EW 3.539) Durch die Antwort auf diese Frage stellt Hobbes die Konkretion der kirchlichen Funktionen in der christlichen Welt nach der Umgestaltung der christlichen Religion in eine öffentliche Religion dar. Die »pastoral functions« orientieren sich an einem Begriff des Guten: Hobbes zitiert Bellarmin bezüglich des »spiritual good« (EW 3.578). Obwohl Hobbes selber diesen Terminus nicht benutzt, behandelt er die Forderungen des sogenannten »spiritual good« im folgenden Kapitel: »Of What is Necessary for a Man’s Reception into the Kingdom of Heaven«. Der Staat, der auch dieses Gut bezweckt, wird daher als ein »geistlicher Staat« (»spiritual commonwealth«, EW 3.577) aufgefasst. Sowohl die Selbsterhaltung des Körpers als auch das »Seelenheil« (»salvation of souls«, EW 3.572) sind ein Gut für

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den christlichen Menschen. Eine Entgegensetzung beider Güter ist der Kern aller Spaltungen und Gefahren innerhalb der christlichen Welt, das Dilemma des christlichen Menschen, ob er Gott oder dem Menschen gehorchen muss. Diese Entgegensetzung ist die unvernünftige Trennung des christlichen Menschen in Christ und Mensch: »And that governor must be one; or else there must needs follow faction and civil war in the commonwealth, between the Church and State; between spiritualists and temporalists; between the sword of justice, and the shield of faith: and, which is more, in every Christian man’s own breast, between the Christian, and the man.« (EW 3.460 f.; Hervorh. A.B.) Deswegen versucht Hobbes, mit der Leugnung der unkörperlichen Substanzen diesen Gegensatz von Körper und Seele zu vermeiden. Die Selbsterhaltung des Körpers ist ein Zweck des Einzelwillens, aber die Ausführung dieses Zwecks erfordert, wie gezeigt, eine juristische Strukturierung des menschlichen Zusammenlebens. Das Gut der Selbsterhaltung wird daher zu einem öffentlichen Gut (»public Good«) erhoben. Das »Seenlenheil« ist, wie die Selbsterhaltung, ein individuelles Gut, und die Frage ist daher, ob das Streben nach diesem individuellen Gut auch die Vermittlung eines Willenszusammenhangs erfordert. Hobbes verfügt aber nicht über die gedanklichen Mittel, um die Verbindlichkeit von Geboten zu rekonstruieren, welche die Selbsterhaltung zu einem sekundären Gut heruntersetzen: »Aber mit der daseinserhaltenden Kraft der Ordnung ist nur der elementarste Rechtswert erreicht. Er wäre der ganze, wenn das Leben wirklich das höchste Gut wäre, wie Hobbes meinte. In der Verabsolutierung des Lebenswertes liegt die Grenze der Hobbesschen Naturrechtslehre. Hobbes’ Naturrecht verliert sofort seine Gültigkeit, wenn ihm eine Weltanschauung entgegentritt, die einen höheren Wert als das individuelle Leben ansetzt. Hieraus erklärt sich die große Reizbarkeit Hobbes’ gegenüber Lehren, die in der Befolgung des Gewissens oder in der Erringung des Seelenheils das höchste Gut sehen (besonders gegen den Kardinal Bellarmin). Diese Reizbarkeit erklärt sich nicht bloß aus der Abwehr kirchlicher Herrschaftsansprüche, sondern auch aus dem Gefühl der Unterlegenheit seiner Grundposition.« (Welzel 1962, 122) Eine Herangehensweise, auf die Hobbes mehrmals rekurriert, um eine Antwort für die Hauptfragen der »civil philosophy« zu gewinnen, besteht darin, zu zeigen, dass eine Ausübung zusammenhangsloser Funktionen unwirksam ist oder nur gefährlich wirkt. Ihre Geltung und Wirksamkeit erfordern immer die Erzeugung einer Einheitsform, die die Interdependenz dieser Funktionen zur Geltung bringt. Es ist nicht relevant, welche Funktion der Ausgangspunkt dieser Analyse ist. Die Wirksamkeit einer Funktion verweist notwendigerweise auf die anderen Funktionen, denn sie sind »inseparably annexed« (EW 3.168). Die Analyse einer Funktion endet aufgrund der inneren Negativität

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dieser Funktionen mit der Rekonstruktion eines Systems von Funktionen. Bezüglich der Funktion der Bibelauslegung zeigt Hobbes, dass die Positivierung einer Bibelauslegung ohne den funktionalen Zusammenhang einer souveränen Macht unmöglich ist. Dieselbe Strategie verwendet Hobbes bei der Frage nach der juristischen Strukturierung des »spiritualischen« Gutes (d. h. des Seelenheils). Das Erlangen des Seelenheils erfordert, dass die christlichen Menschen wissen, was für die Rettung der Seele notwendig ist. Deswegen thematisiert Hobbes die Rechtlichkeit der folgenden Funktion: »right of judging what doctrines are fit for peace, and to be taught the subjects« (EW 3.537). Das Objekt dieser allgemeinen Funktion sind alle Einsichten, Vorstellungen und Begriffe des Guten, denn sie sind laut Hobbes die Ursache der Handlungen: »For it is evident to the meanest capacity, that men’s actions are derived from the opinions they have of the good or evil, which from those actions redound unto themselves; and consequently, men that are once possessed of an opinion, that their obedience to the sovereign power will be more hurtful to them than their disobedience, will disobey the laws, and thereby overthrow the commonwealth, and introduce confusion and civil war; for the avoiding whereof, all civil government was ordained.« (ebd.) Hobbes bezeichnet diese Funktion auch in Kap. 18 des Leviathan als »instruction of the people«. Die Funktion der »instruction« muss von der öffentlichen Person ausgeübt werden, denn sie steht im Zusammenhang mit den anderen staatlichen Funktionen: »And therefore in all commonwealths of the heathen, the sovereigns have had the name of pastors of the people, because there was no subject that could lawfully teach the people, but by their permission and authority.« (EW 3.537 f.) Die individuellen Güter (das Seelenheil, die Selbsterhaltung) erhalten auf diese Weise eine juristische Vermittlung. Das Naturrechtsdenken ist eine Lehre der Güterordnung. Das Hobbessche Naturrecht zeigt, dass kein Gut (so individuell wie dieses auch sein mag) der immanenten Logik einer juristischen Strukturierung (»the public good«) entzogen ist. Deswegen sind alle Güter mit dem öffentlichen Gut vereinbar. Im Hobbesschen Naturrecht wird nicht eine Hierarchisierung der Güter, sondern eine (juristische) Vermittlung der Güter begründet. Der »christliche Mensch« ist in letzter Instanz eine wirkliche Vermittlung dieser Güter. Hobbes stellt die Wahrheit der folgenden Aussagen, die in der christlichen Welt seiner Zeit allgemein akzeptiert waren, nicht in Frage: Die Bibel ist das Prinzip der christlichen Politik; das Seelenheil ist das höchste Gut des christlichen Menschen. Diese Aussagen sind mit der Erhebung des freien Willens zum Prinzip des Rechts nicht unvereinbar, denn der freie Wille erhält diese Dignität nur als vermittelnde Tätigkeit. Die durch Offenbarung über-

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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lieferten Prinzipien beschränken sich nicht auf ein subjektivistisches Verhältnis des christlichen Menschen Gott gegenüber. Diese Prinzipien werden in Worten und Handlungen ausgeführt, und die Anhänger dieser Prinzipien beanspruchen, das Verhältnis der Menschen untereinander zu regeln. Daraus erklärt sich die Ausweitung des Prinzips des freien Willens auf den Bereich der Religion: Die Gültigkeit und Wirksamkeit der überlieferten Prinzipien in der Regelung des menschlichen Zusammenlebens sind ohne die Tätigkeit des Willens (das Prinzip der immmanenten Logik des Rechts) nicht möglich. Bereits in Kap. 31 des Leviathan spricht Hobbes im Zusammenhang der verschiedenen Arten des Worts Gottes über die »mediation of the prophets« (EW 3.361). Da die Leitfrage bezüglich der kirchlichen Macht nach der Bekehrung der Souveräne sich auf Funktionen bezieht, muss sich die Vermittlung des freien Willens in diesen Funktionen zeigen. Die Frage ist daher, ob diese »pastoral rights« (bzw. »pastoral functions«) die Vermittlung des freien Willens erfordern. Auf die Frage nach den kirchlichen Funktionen eines christlichen Souveräns antwortet Hobbes prägnant: »Christian kings have power to execute all manner of pastoral function.« (EW 3.541) In Kap. 29 des Leviathan, in dem Hobbes Erscheinungsformen und Vorstellungen des Rechts thematisiert, bezieht er sich auf die folgende Gefahr in der Ausübung der kirchlichen Funktionen: Die beschränkte oder nur vermittelte Ausübung der souveränen Funktionen erzeuge den Schein, als ob eine über diese Beschränkung hinausgehende Ausübung oder eine unmittelbare Ausübung dieser Funktionen seitens des Souveräns ein Unrecht, eine unrechtsmäßige Autorität wäre: »For proof therefore that Christian kings have power to baptize, and to consecrate, I am to render a reason, both why they use not to do it, and how, without the ordinary ceremony of imposition of hands, they are made capable of doing it when they will.« (ebd.) Gegen diesen Schein formuliert Hobbes das folgende Argument: »Whereby it is manifest, that the greater charge, such as is the government of the Church, is a dispensation for the less. The reason therefore why Christian kings use not to baptize, is evident, and the same for which at this day there are few baptized by bishops, and by the Pope fewer.« (EW 3.542) Hobbes stellt auch einen anderen Weg dar, um eine Antwort auf die ursprüngliche Frage nach den Funktionen des christlichen Souveräns zu gewinnen. Die Erzeugung eines Herrschaftsbereichs (»dominion« eines Territoriums) ist eine Möglichkeitsbedingung für die Gültigkeit und die Wirksamkeit der kirchlichen Autorität und ihrer Funktionen. Die ursprüngliche Frage lässt sich daher aus diesem Blickwinkel auf folgende Weise formulieren: Wer ist die höchste Autorität dieses Herrschaftsbereichs? In der Diskussion

162 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

zwischen Hobbes und Bramhall bezüglich der Frage, ob die Autorität der Bibel von unserer Einwilligung abhängig ist oder nicht, stellt Hobbes diese Perspektive dar: »The Bible is a law. To whom? To all the world? He knows it is not. How came it then to be a law to us? Did God speak it viva voce to us? Have we then any other warrant for it than the word of the prophets? Have we any other assurance of their certainty than the authority of the Church? And is the authority of the Church any other than the authority of the commonwealth, or that of the commonwealth any other than that of the head of the commonwealth, or hath the head of the commonwealth any other authority than that which hath been given him by the members?« (EW 5.179) Aus diesem Blickwinkel formuliert Hobbes im Leviathan auch diese religionspolitische Frage der »civil philosophy«: »So that the question of the authority of the Scriptures, is reduced to this, whether Christian kings, and the sovereign assemblies in Christian commonwealths, be absolute in their own territories, immediately under God; or subject to one Vicar of Christ, constituted over the universal Church; to be judged, condemned, deposed, and put to death, as he shall think expedient or necessary for the common good.« (EW 3.379 f.; Hervorh. A.B.) Die Struktur dieses Herrschaftsbereichs erfordert eine »absolute« Macht, d. h. den allgemeinverbindlichen Willen des Souveräns. Unabhängige bzw. absolute Herrschaftsbereiche sind nur die Territorien der Staaten. Von dieser Logik ausgehend lässt sich die Frage auf folgende Weise beantworten: »The civil Sovereign, if a Christian, is head of the Church in his own dominions« (EW 3.546). Deutlicher formuliert Hobbes diesen Gedanken gegen Bellarmin: »To which I answer, first, that there are no ecclesiastical princes but those that are also civil sovereigns; and their principalities exceed not the compass of their civil sovereignty; without those bounds, though they may be received for doctors, they cannot be acknowledged for princes.« (EW 3.562) Die naturrechtliche Frage nach der Verbindlichkeit des Staates und der Kirche lässt sich mit dem analytischen Instrumentarium der ersten zwei Bücher des Leviathan beantworten. Eine Analyse, die die Konkretion der Religionspolitik in der christlichen Welt begrifflich rekonstruieren will, muss jedoch die vernünftigen Formen und die Ausartung der kirchlichen Politik thematisieren: »And thus much of Power Ecclesiastical; wherein I had been more brief, forbearing to examine these arguments of Bellarmine, if they had been his as a private man, and not as the champion of the Papacy against all other Christian Princes and States.« (EW 3.583 f.) Hobbes thematisiert Theorien, die die Einheit der staatlichen und kirchlichen Verbindlichkeit mittels inhaltsloser Unterscheidungen leugnen. Diese Unterscheidungen sind begrifflich inhaltlos, aber politisch wirksam, denn sie haben als Rechtsvorstellungen Einfluss auf die Gestaltung der kirchlichen Politik. Bezüglich der

7.2 Die Gesetze der christlichen Politik

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Unterscheidung zwischen »temporal« und »spiritual power« behauptet Hobbes bereits in Kap. 39 des Leviathan, dass sie eine inhaltlose, aber gefährliche Einsicht ist: »Temporal and spiritual government, are but two words brought into the world, to make men see double, and mistake their lawful sovereign.« (EW 3.460) Eine andere Unterscheidung Bellarmins, durch welche die christlichen Menschen auch »doppelt sehen«, ist die Unterscheidung zwischen »potestas directa« und »potestas indirecta«. Hobbes fasst die Theorie der »potestas indirecta« auf folgende Weise zusammen: »The fourth is, that the Pope has, in the dominions of other princes, the supreme temporal power indirectly: which is denied; unless he mean by indirectly, that he has gotten it by indirect means, then is that also granted. But I understand, that when he saith he hath it indirectly, he means, that such temporal jurisdiction belongeth to him of right, but that this right is but a consequence of his pastoral authority, the which he could not exercise, unless he have the other with it: and therefore to the pastoral power, which he calls spiritual, the supreme power civil is necessarily annexed; and that thereby he hath a right to change kingdoms, giving them to one, and taking them from another, when he shall think it conduces to the salvation of souls.« (EW 3.572) Die Hobbessche Kritik an diesen Ausartungen der kirchlichen Politik lässt sich in zwei Schritten darstellen. (a) Die kirchliche Macht wird in der christlichen Welt als eine von unserer Einwilligung unabhängige Autorität vorgestellt. Aufgrund dieser Vorstellung herrschen im Bereich der Religionspolitik politische Formen, die sich der immanenten Logik des Rechts (und damit der internen Logik des freien Willens) entziehen wollen. Dadurch entziehen sie sich letztendlich aber der Allgemeinheit der Vernunft: »The Pope therefore, when he disclaimeth the supreme civil power over other states directly, denieth no more, but that his right cometh to him by that way; he ceaseth not for all that, to claim it another way; and that is, without the consent of them that are to be governed, by a right given him by God, which he calleth indirectly, in his assumption to the papacy.« (EW 3.573; Hervorh. A.B.) Die Formen der Kirche, die den Anspruch auf eine gesetzgebende Funktion erheben, aber zugleich ihre Macht als eine »vorgegebene«, d. h. eine von unserer Einwilligung unabhängige, Autorität durchsetzen wollen, sind unvernünftig und daher mit dem Zweck des Friedens unvereinbar. (b) Diese verfehlten Formen der Kirche sind, wie alle Formen der Welt des Rechts, Vereinigungsformen oder Systeme in Hobbesscher Terminologie. Ein System ist laut Hobbes, wie oben gesagt wurde, eine Vereinigung in einem Interesse. Die Entstehung der verfehlten Formen der christlichen Politik erklärt sich nicht nur aus einem falschen Rechtsbewusstsein, sondern auch

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aus der Durchsetzung von politischen Interessen. Das Hauptinteresse dieser Ausartungen der Religionspolitik ist laut Hobbes einfach eine unbeschränkte Expansion ihrer Macht. Dies gilt insbesondere laut Hobbes für die Form der katholischen Kirche, denn »the universal church« (EW 3.379) erhebt den Anspruch auf eine »vorgebene« Autorität über die ganze christliche Welt, auf eine »universal monarchy over all Christendom« (EW 3.689). Dies erklärt Hobbes ausführlich in Kap. 47 des Leviathan (»Of the Benefit that Proceedeth from such Darkness, and to Whom it Accrueth«) anhand der Frage »cui bono?« (EW 3.688). Durch diese Frage versucht Hobbes zu zeigen, dass diese Ausartungen der kirchlichen Politik Gestalten der Heteronomie sind. Denn sie produzieren mittels falscher Rechtsvorstellungen Herrschaftsformen, die sich gegen die immanenten Zwecke des Einzelwillens – die Selbsterhaltung und den für sie notwendigen Frieden – durchsetzen wollen.

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion: Materialismus und Spiritualismus Die Religion ist, wie gezeigt, in der Frühneuzeit zu einem Problem geworden. Die frühneuzeitliche Problematik der Religion besteht zugleich in religionspolitischen und naturwissenschaftlichen Fragen. Die Hobbessche Philosophie ist die philosophiegeschichtliche Gestalt, die beide Richtungen dieser Problematik deutlich vereinigt. Diese verschiedenen Richtungen der neuzeitlichen Problematik der Religion haben einen gemeinsamen Keim in den von ihr erhobenen Wahrheitsansprüchen. Die Religion erhebt einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aufgrund der die »wahre Religion« zu einem Prinzip des Rechts erhoben wird. Diese politische Wirkung der Wahrheitsansprüche der Religion kritisiert Hobbes prägnant mit dem berühmten Satz: »authoritas, non veritas, facit legem« (OL 3.202) Aufgrund des Anspruchs auf Allgemeingültigkeit steht die »wahre Religion« in Konkurrenz mit verschiedenen Formen der Welterklärung. Die Vereinbarkeit des religiösen Weltbildes mit der naturwissenschaftlichen Erklärung ist in der Neuzeit problematisch geworden. Hobbes thematisiert die Wahrheitsansprüche der Religion sowohl in der Religionspolitik als auch in der Wissenschaft. Die Wahrheitsansprüche der Religion zeigen sich jedoch als unbegründet, wenn die Religion sich als Unvernunft manifestiert. In der Frühneuzeit entsteht diese Manifestation der »wahren Religion« sowohl in der christlichen Politik als auch in der Naturwissenschaft: (a) Eine Gestaltung der Religion, die mit dem Frieden nicht mehr vereinbar ist, ist unvernünftig, denn der Frieden ist ein allgemeiner Zweck der Ver-

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion

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nunft: »For they are the talents which he hath put into our hands to negotiate, till the coming again of our blessed Saviour; and therefore not to be folded up in the napkin of an implicit faith, but employed in the purchase of justice, peace, and true religion.« (EW 3.359 f.; Hervorh. A.B.) (b) Eine Gestaltung der Religion, die mit der Wissensform der Wissenschaft unvereinbar ist, ist auch unvernünftig: »Our own navigations make manifest, and all men learned in human sciences, now acknowledge there are antipodes: and every day it appeareth more and more, that years and days are determined by motions of the earth. Nevertheless, men that have in their writings but supposed such doctrine, as an occasion to lay open the reasons for, and against it, have been punished for it by authority ecclesiastical. But what reason is there for it? Is it because such opinions are contrary to true religion? That cannot be, if they be true.« (EW 3.687; Hervorh. A.B.) Hobbes sieht dann sehr deutlich, dass die Religion eine stabile Gestalt nur dann gewinnen kann, wenn ihre Wahrheitsansprüche mit den neuen Begriffen der Vernunft und der Wissenschaft vereinbar werden. Die Erlangung dieser Vereinbarkeit erfordert jedoch eine Transformation des Wahrheitsbegriffs. In der »civil philosophy« entwickelt Hobbes einen Wahrheitsbegriff, der der künstlichen Vernunft des Staates (»artificial reason«, EW 3.x) angemessen ist: Eine Rechtsvorstellung ist nur wahr, wenn sie mit dem Frieden und daher mit den Grundlagen der »künstlichen Vernunft« des Staates vereinbar ist. Die stabile Gestalt der Religion ist eine vernünftige Form der Religionspolitik. Die »wahre Religion« muss sich daher als vereinbar mit dem Frieden zeigen. Das Gefahrenpotential einer bestimmten Gestalt der Religion für das menschliche Zusammenleben ist ein Zeichen für die Unwahrheit dieser Gestalt. Die »wahre Religion« muss auch mit den Prinzipien der neuzeitlichen Naturwissenschaft vereinbar werden. Hobbes versucht, beide Aspekte seines Wahrheitsbegriffs – die Wahrheit als Vereinbarkeit mit der Logik des Friedens und als Vereinbarkeit mit der modernen Naturwissenschaft – in den Prinzipien seiner Philosophie zu vereinigen. Die »natürlichen« Prinzipien sind »principles of natural reason« (d. h. »Naturgesetze«) und die »principles of natural science«. Die natürlichen Prinzipien sind aber auch die mannigfaltigen Bestimmungen der »Natur« des Menschen, die nur durch Erfahrung gewusst werden können. Darin zeigt sich die Zweideutigkeit der Prinzipien und des Naturbegriffs der Hobbesschen Philophie. Die Zweideutigkeit des Naturbegriffs ist jedoch für die naturrechtliche Denkweise konstitutiv: »Der Ausdruck Naturrecht, der für die philosophische Rechtslehre gewöhnlich gewesen, enthält die Zweideutigkeit, ob das Recht als ein unmittelbar Naturweise vorhandenes, oder ob es so gemeint sei, wie es durch die Natur der Sache, d. i. den Begriff, sich bestimme.« (EPW § 502)

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Die Prinzipien der Naturwissenschaft sind laut Hobbes die mechanistischen Prinzipien der »matter in motion«. Die »wahre Religion« darf daher wenigstens mit den materialistischen Prinzipien nicht unvereinbar sein. Die materialistische Bibelauslegung Hobbes’ ist eine private Auslegung, die die folgenden Ziele hat: (a) Sie ist der Versuch, zu zeigen, dass die Bibel sich materialistisch interpretieren lässt. Die Inhalte und Instanzen der Bibel stehen daher nicht im Widerspruch mit den Prinzipien und den Konstruktionen der Wissenschaft. Hobbes hat die neuzeitliche Problematik der Religion gut erkannt, aber die Versöhnung von Religion und Wissenschaft lässt sich auf diese unmittelbare Weise nicht gewinnen. (b) Diese private Auslegung soll zu einer Immunisierung gegen die Denkformen des Spiritualismus verhelfen, die sowohl Irrtümer in Bereich der Wissenschaft als auch gefährliche Rechtsvorstellungen im Bereich der Religionspolitik erzeugen. Hinsichtlich dieser Problematik muss die Hobbessche Entgegensetzung zwischen Materialismus und Spiritualismus im Bereich der Religion interpretiert werden. Hobbes thematisiert mit dieser Entgegensetzung beide Aspekte der Religion: die Religion als Gestalt des freien Willens und als Wissensform, die aufgrund ihrer Wahrheitsansprüche mit den einzelnen Wissenschaften und mit der Philosophie in Konkurrenz steht. Hervorzuheben ist, dass diese materialistische Bibelauslegung Hobbes’ als private Auslegung keinen verpflichtenden Charakter hat. Sie setzt die interne Logik des Hobbesschen Staates nicht außer Kraft. Nur der Souverän bestimmt das Recht und daher auch die verbindlichen Glaubensartikel der staatlichen Kirche. Wenn diese verbindlichen Glaubensartikel mit den materialistischen Prinzipien (und insofern mit einer materialistischen Bibelauslegung) in Widerspruch stehen, behalten sie jedoch ihre Verpflichtungskraft, denn die Verbindlichkeit dieser Glaubensartikel liegt nicht in ihrem Wahrheitscharakter, sondern in der Urheberschaft. Hobbes betont diese Unterscheidung zwischen dem Grund der Verbindlichkeit und dem Wahrheitscharakter in der »Appendix ad Leviathan«: »Voces illae [sc. »substantia incorporea, vel substantia immaterialis, vel essentia separata«] in Scriptura Sacra non sunt. Caeterum in primo ex triginta novem articulis religionis, editis ab ecclesia Anglicana A.D. MDLXII expresse dicitur, Deum esse sine corpore et sine partibus. Itaque non negandum est. Poena etiam in negantes constituitur excommunicatio.« (OL 3.537, Hervorh. A.B.) Hobbes definiert den Materialismus als metaphysische Lehre, die besagt, dass alle Substanzen körperlich sind. Körper und Substanz sind in De Corpore Synonyme. Aus dieser Synonymie erklärt sich der Titel des Kap. 8 von De Corpore: »De corpore et accidente«. Bestimmte metaphysische Instan-

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion

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zen können unsichtbar sein, aber sie sind durch Ausdehnung und Ortsbewegung konstituiert, sodass die Einheit von Denken und Anschauung, die für den Hobbesschen Materialismus konstitutiv ist, nicht außer Kraft gesetzt wird. Diese Problematik macht den Kern der »conatus«-Theorie aus: »And although unstudied men do not conceive any motion at all to be there, where the thing moved is invisible; or the space it is moved in is, for the shortness of it, insensible; yet that doth not hinder, but that such motions are. For let a space be never so little, that which is moved over a greater space, whereof that little one is part, must first be moved over that. These small beginnings of motion, within the body of man, before they appear in walking, speaking, striking, and other visible actions, are commonly called endeavour.« (EW 3.39) Hobbes wendet dieses materialistische Instrumentarium auf den Glauben an, um die spiritualistische Theorie der Inspiration zu kritisieren: »And thus we fall again into the fault of taking upon us to judge of good and evil; or to make judges of it, such private men as pretend to be supernaturally inspired, to the dissolution of all civil government. Faith comes by hearing, and hearing by those accidents, which guide us into the presence of them that speak to us; which accidents are all contrived by God Almighty; and yet are not supernatural, but only, for the great number of them that concur to every effect, unobservable.« (EW 3.311 f.) Es wurden bereits einige Wirkungen beider metaphysischen Lehren auf die Rechtsvorstellungen gezeigt. Der Spiritualismus begeht den folgenden Grundirrtum: Er operiert mit inwendigen und damit »unsichtbaren« Instanzen (z. B. der Sünde). Über diese Instanzen kann es jedoch eigentlich keine Gerichtsbarkeit geben, denn sie erfordert die Gestalt der Anschauung, damit die vorgestellten Inhalte für andere erkennbar sind. Der Spiritualismus muss sich daher an äußerlichen Zeichen (»outward marks«) für die Beurteilung dieser unsichtbaren Instanzen orientieren. Die religiösen Gesetze für diese unsichtbaren Instanzen gelten jedoch nur durch eine Willenserklärung, denn das Recht erfordert immer eine funktionale Vereinigung von Denken und Anschauung. Die politischen Formen des Spiritualismus sind daher eine widersprüchliche Ausübung der Logik des Willens. Der Materialismus behauptet hingegen, dass alle Instanzen von der Körperlichkeit und daher von der Anschauung untrennbar sind. Das Recht ist eine funktionale Vereinigung von Denken und Anschauung, eine vernünftige und »sichtbare« Macht. Deswegen denkt Hobbes, dass die Denkweise des Materialismus dem neuen Rechtsdenken am meisten angemessen ist. Die Hobbessche Zeichentheorie zeigt, dass Gültigkeit und Ausübung der Rechtsbestimmungen eine funktionale Einheit von Denken und Anschauung (das Willenszeichen) erfordern. Der Hobbessche Übersetzungsgedanke zeigt, dass die innerlichen Bestim-

168 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

mungen im Bereich des Rechts nur sofern gelten, als sie durch die Tätigkeit des Willens ins Dasein übersetzt werden. Aus diesem Grund thematisiert Hobbes Materialismus und Spiritualismus auch als Bewusstseinsformen des Rechts. Diese Bewusstseinsformen sind wesentlich für die naturrechtliche Frage nach der Verbindlichkeit der Gesetze. In Kap. 29 des Leviathan erörtert Hobbes falsche Rechtsvorstellungen, die als solche eine Gefahr für die Stabilität der Welt des Rechts sind. Im vierten Buch behandelt Hobbes »the spiritual errors« der christlichen Religion auch als gefährliche Bewusstseinsformen in der christlichen Welt. Die »spiritual errors« sind die »infirmities« des christlichen Staates. Das »Reich Gottes« und die kirchliche Macht haben sich als von einer Einwilligung abhängige Instanzen erwiesen. Auch die Zusammenhänge, die durch spiritualistische Rechtsvorstellungen konstituiert werden, sind Vereinigungsformen des Willens. Der Widerspruch besteht jedoch darin, Willenszusammenhänge zu produzieren, innerhalb derer der Versuch gemacht wird, die innere Logik der Willenszusammenhänge außer Kraft zu setzen. Die Instanzen der christlichen Welt sind Daseinsformen des freien Willens, die sich der immanenten Logik des Willens (und damit des Rechts) entziehen wollen. Hobbes bezeichnet diese unvernünftigen Gestalten im Bereich der christlichen Politik als »kingdom of darkness« (EW 3.x). Unter »kingdom of darkness« versteht Hobbes die Form der katholischen Kirche und verschiedene Formen der reformierten Kirche. Die Hobbessche Analyse beschäftigt sich auch im vierten Buch des Leviathan mit Formen des Willens. Diese Formen sind Produkte der »spiritual darkness« (EW 3.603). Die Wahrheitsansprüche der christlichen Religion sind nicht vereinbar mit der Unvernunft der »spiritual darkness«, die sich in den Kriegen der christlichen Welt und in den Irrtümern bezüglich naturwissenschaftlicher Fragen zeigen: »The darkest part of the kingdom of Satan, is that which is without the Church of God; that is to say, amongst them that believe not in Jesus Christ. But we cannot say, that therefore the Church enjoyeth, as the land of Goshen, all the light, which to the performance of the work enjoined us by God, is necessary. Whence comes it, that in Christendom there has been, almost from the time of the Apostles, such jostling of one another out of their places, both by foreign and civil war; such stumbling at every little asperity of their own fortune, and every little eminence of that of other men; and such diversity of ways in running to the same mark, felicity, if it be not night amongst us, or at least a mist? We are therefore yet in the dark.« (EW 3.304) Hobbes gewinnt die Einteilung des vierten Buchs des Leviathan über die Klassifikation der »spiritual errors«, durch welche sich die Existenz der »Finsternis« in der Kirche erklären lässt: (I) die spiritualistische Bibelausle-

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion

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gung (Kap. 44 des Leviathan), (II) die Dämonologie (Kap. 45), (III) die »vain philosophy« (Kap. 46) und (IV) die Heteronomie (Kap. 47).

(I) Die spiritualistische Bibelauslegung Das entscheidende Missbrauch der spiritualistischen Bibelauslegung ist für Hobbes die Identifikation des Reichs Gottes mit einer Menschenmenge und mit der gegenwärtigen Kirche: »the greatest and main abuse of Scripture, and to which almost all the rest are either consequent or subservient, is the wresting of it, to prove that the kingdom of God, mentioned so often in the Scripture, is the present Church, or multitude of Christian men now living […]« (EW 3.605; Hervorh. A.B.) In dieser unangemessenen Interpretation wird »eine Menge christlicher Menschen« (die Form einer »universal church«) als eine gemeinsame verbindliche Instanz dargestellt. Die anderen Irrtümer der spiritualistischen Bibelauslegung sind eine Folge der ursprünglichen Identifikation des »Reichs Gottes« mit der gegenwärtigen Kirche. Die Konstruktion eines »Reichs Gottes« aus den kirchlichen Funktionen erfordert, dass diese Funktionen eine spiritualistische Transformation erhalten: »A second general abuse of Scripture, is the turning of consecration into conjuration, or enchantment.« (EW 3.610) Die Formen der gegenwärtigen Kirche erklären sich aus dem Fehlen von Zeichen (z. B. Wunder), durch welche ein wahrer Prophet erkannt werden kann. Die Identifikation der gegenwärtigen Kirche mit dem »Reich Gottes« erfordert die Hinzufügung von Zeichen, die auch als aussergewöhnliche Werke Gottes gelten: »But when by such words, the nature or quality of the thing itself, is pretended to be changed, it is not consecration, but either an extraordinary work of God, or a vain and impious conjuration.« (ebd.) Andere Irrtümer in der Bibelauslegung stammen jedoch laut Hobbes aus der Übertragung der Dämonologie der Heiden auf die Bibel.

(II) Die Dämonologie An Hobbes’ Begriff der Dämonologie zeigt sich am besten, worin seine Abgrenzung zwischen Materialismus und Spiritualismus im Bereich der Religion besteht. Im dritten Buch des Leviathan wird die materialistische Auslegung der Bibel und der religiösen Instanzen dargestellt und im vierten Buch die spiritualistische Auslegung. Hobbes trennt die Auslegung der Engel im dritten Buch des Leviathan (Kap. 34) von der Auslegung des Teufels (Kap. 44)

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und der Dämonen (Kap. 45) im vierten Buch. Die Engel lassen sich materialistisch interpretieren. Das Reich Satans besteht in »spiritual darkness« und die Dämonen (»demons«, »spirits«) sind falsche Vorstellungen bezüglich der »nature of sight« (EW 3.367). In der Dämonologie zeigen sich auch deutlich die Wahrheitsansprüche der Religion. Der spiritualistische Irrtum der Dämonologie besteht in einer falschen Vorstellung bezüglich »the nature of sight«. Dies lässt sich laut Hobbes aus dem rudimentären Zustand der Wissenschaften im Altertum erklären. Die Wahrheitsansprüche der »true religion« werden widerlegt, indem die Irrtümer eines solchen Zustands der Wissenschaft auf die Glaubensinhalte der Kirche übertragen werden. Die Frage, die hinter der Dämonologie steht, ist die Frage nach dem »Wesen des Sehens«. Aufgrund einer falschen Vorstellung des Wesens des Sehens entstehen die immateriellen Instanzen der Spiritualismus: »This nature of sight having never been discovered by the ancient pretenders to natural knowledge; much less by those that consider not things so remote, as that knowledge is, from their present use; it was hard for men to conceive of those images in the fancy and in the sense, otherwise, than of things really without us: which some, because they vanish away, they know not whither nor how, will have to be absolutely incorporeal, that is to say immaterial, or forms without matter; colour and figure, without any coloured or figured body; and that they can put on airy bodies, as a garment, to make them visible when they will to our bodily eyes; and others say, are bodies and living creatures, but made of air, or other more subtle and ethereal matter, which is, then, when they will be seen, condensed. But both of them agree on one general appellation of them, demons.« (EW 3.367 f.; Hervorh. A.B.) In diesem Kontext weist Hobbes auf die ersten Kapitel des Leviathan hin, wo er »sense« und »imagination and memory« thematisiert. Das Wesen des Sehens wird jedoch in den Kapiteln der Dämonologie als die Grundfrage der Erkenntnistheorie dargestellt. In De Corpore wird dieses Problem zum Hauptproblem der Naturwissenschaft erhoben. Die Hobbessche Formulierung der Definition der Philosophie bzw. Wissenschaft in der Einleitung des vierten Teils des De Corpore betont, dass die methodisch rekonstruierten Wirkungen der Natur Phänomene sind: »Itaque duae sunt philosophandi methodi, altera a generatione ad effectus possibiles, altera ab effectibus φαινομένοις ad possibilem generationem.« (OL 1.315) Deswegen ist das Erscheinen selbst (τὸ φαίνεσθαι) nach Hobbes das Hauptphänomen und die Hauptfrage sowohl der Erkenntnistheorie als auch der Naturwissenschaft: »Phaenomenῶn autem omnium, quae prope nos existunt, id ipsum τὸ φαίνεσθαι est admirabilissimum, nimirum, in corporibus naturalibus alia omnium fere rerum, alia nullarum in seipsis exemplaria habere; adeo ut si phaenomena principia sint

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion

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cognoscendi caetera, sensionem cognoscendi ipsa principia principium esse, scientiamque omnem ab ea derivari dicendum est, et ad causarum ejus investigationem ab alio phaenomeno, praeter eam ipsam, initium sumi non posse. Sed quo, inquies, ensu contemplabimur sensionem? Eodem ipso, scilicet, aliorum sensibilium etsi praetereuntium, ad aliquod tamen tempus manente memoria. Nam sentire se sensisse, meminisse est.« (OL 1.316 f.) Das Wesen des Sehens wird in der Frühneuzeit durch die Dioptrik untersucht. Im Kapitel über die »Dämonologie« versucht Hobbes, das Wissen der Dioptrik über das Wesen des Sehens auf die Interpretation religiöser Instanzen zu übertragen: »an image, in the most strict signification of the word, is the resemblance of something visible: in which sense the fantastical forms, apparitions, or seemings of visible bodies to the sight, are only images; such as are the show of a man, or other thing in the water, by reflection, or refraction; or of the sun, or stars by direct vision in the air; which are nothing real in the things seen, nor in the place where they seem to be; nor are their magnitudes and figures the same with that of the object; but changeable, by the variation of the organs of sight, or by glasses […]« (EW 3.648 f.) In Kapitel über die »Dämonologie« fasst Hobbes die spiritualistische Metaphysik als die Metaphysik des gemeinen Menschenverstandes auf. Der Mensch, der sich nicht zum Standpunkt der Wissenschaft erhoben hat, kann sich von den spiritualistischen Instanzen nicht befreien. Dieser Standpunkt der Wissenschaft wird laut Hobbes erst in der Neuzeit gewonnen, wenn die Methode der Wissenschaft nach materialistischen Prinzipien formuliert wird. Es wurde bereits in Kap. 3 der vorliegenden Analyse über das Kausalitätsverhältnis der Hobbessche Versuch dargestellt, den Materialismus als konsequente Denkungsart zu gewinnen. Die Entwicklung seiner Naturwissenschaft lässt sich als ein progressives Weglassen der immateriellen und teleologischen Instanzen verstehen. Die Formulierung der »conatus«-Theorie, durch welche sich alle Bewegung auf Ortsbewegung reduzieren lässt, ist ein gutes Beispiel davon. Nur durch einen adäquaten Wissenschaftsbegriff und seine konsequente Durchführung kann sich der Mensch laut Hobbes von der »spiritual darkness« befreien. Die Dämonologie der Griechen besteht nach Hobbes darin, die Phantasmen als von der Phantasie unabhängige Instanzen aufzufassen. Durch die Expansion des griechischen Herrschaftsbereichs werden die Vorstellungen der Dämonologie von anderen Völkern aufgenommen: »The Grecians, by their colonies and conquests, communicated their language and writings into Asia, Egypt, and Italy; and therein, by necessary consequence their demonology, or, as St. Paul calls it (1 Tim.iv.1) their doctrines of devils. And by that means the contagion was derived also to the Jews, both of Judaea and

172 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

Alexandria, and other parts, whereinto they were dispersed.« (EW 3.369) Die juristische Umgestaltung der griechischen Dämonologie besteht darin, den Terminus »demons« für böse Geister zu reservieren: »But the name of demon they [sc. »the Jews«] did not, as the Grecians, attribute to spirits both good and evil; but to the evil only: and to the good demons they gave the name of the spirit of God; and esteemed those into whose bodies they entered to be prophets.« (ebd.) Die Ursachen der Expansion dieser spiritualistischen Metaphysik liegen jedoch laut Hobbes nicht nur in den Vorurteilen des gemeinen Menschenverstandes. Die Furcht vor diesen Instanzen ist so mächtig, dass sie einer politischen Instrumentalisierung günstig sind. Damit werden der Zweck und der Willenszusammenhang des Staates (der Frieden und in letzter Instanz die Selbsterhaltung) zersprengt. Mittels dieser Instanzen können unvernünftige Formen der christlichen Politik konstituiert werden, die gegen den Staat agieren. Diese unvernünftigen Formen sind daher zur gleichen Zeit Ausgeburten von Herrschsucht. Die Expansion der Dämonologie der Heiden in der kirchlichen Macht erklärt sich daher sowohl aus Vorurteilen als auch aus Herrschsucht: »and if a man would well observe that which is delivered in the histories, concerning the religious rites of the Greeks and Romans, I doubt not but he might find many more of these old empty bottles of Gentilism, which the doctors of the Roman Church, either by negligence or ambition, have filled up again with the new wine of Christianity, that will not fail in time to break them« (EW 3.633).

(III) Die »vain philosophy« Unter »vain philosophy« subsumiert Hobbes vor allem die unterschiedlichen Varianten des »aristotelism« und des Spiritualismus. Er negiert den Wissenschaftscharakter dieser Theorien aus den folgenden Gründen, in denen sich der Hobbessche Gebrauch des Adjektivs »vain« erklärt. (a) Diese Theorien operieren laut Hobbes mit Instanzen, die bloß aus einem Missbrauch der Sprache entstehen. Instanzen wie »abstract essences, and substantial forms« (EW 3.672) entstehen aus einem Gebrauch der Sprache, der über ihren Geltungsbereich hinausgeht. Z. B. wird das Verb »sein« nicht nur als Kopula verwendet, sondern auch als eine Kategorie der Ersten Philosophie. (b) Diese Instanzen sind bedeutungslos: »Then for physics, that is, the knowledge of the subordinate and secondary causes of natural events; they render none at all, but empty words.« (EW 3.678) Es werden zu Prinzipien

7.3 Wahrheitsansprüche und metaphysische Grundlagen der Religion

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der Wissenschaft und der Wirklichkeit Wörter erhoben, die eigentlich nichts bedeuten und daher nichts von der Wirklichkeit fassen können. (c) Diese Theorien »dispute in vain« (EW 3.490). Sie thematisieren Fragestellungen, die nicht richtig formuliert sind und daher unfruchtbar bleiben müssen. In der Formulierung dieser mißgeleiteten Fragestellungen zeigt sich auch das Fehlen einer methodischen Herangehensweise und somit einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise. Im Bereich der praktischen Philosophie zeigt sich laut Hobbes die unwissenschaftliche Betrachtungsweise des Aristotelismus noch deutlicher, denn dieser erhebt in diesem Bereich nicht die Wahrheitsansprüche der Wissenschaft. Die Wissensform des Aristotelismus in diesem Bereich ist die »prudence« (vgl. EW 3.664). Diese Theorien beziehen in diesem Bereich der Wissenschaft Instanzen ein, die bedeutungslos und irreführend sind, z. B. die Einbeziehung der Instanz »facultas« für die Auffassung des Willens. Die Einbeziehung dieser Instanz hat die Trennung zwischen »voluntas« und »volitio« (Willensfähigkeit und Willensakt) zur Folge. Es gibt aber keine Wirklichkeit außerhalb dieser Tätigkeit, dieser Willensakte: »For cause of the will, to do any particular action, which is called volitio, they assign the faculty, that is to say, the capacity in general, that men have, to will sometimes one thing, sometimes another, which is called voluntas; making the power the cause of act.« (EW 3.679) Der Gebrauch dieser überflüssigen Instanz depotenziert außerdem alle Willensinhalte zur bloßen Möglichkeit und macht die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit unmöglich. Im Bereich der praktischen Philosophie erhalten diese überflüssigen Instanzen eine neue Dimension, die einen Paradoxien Charakter hat: Diese Instanzen werden durch bedeutungslose Wörter (»nil significantia verba«, OL 5.366) erzeugt, die aber ein enormes Gefahrenpotential darstellen: »Audio verba, meras sed video tenebras.« (ebd.) Die »spiritual darkness« ist das Zusammenfallen beider Aspekte: Bedeutungslosigkeit und Gefahrenpotential. Die Instanzen dieser Theorien und dieser Vorstellungen sind unsichtbar, wie z. B. die Sünde. Der Staat ist hingegen eine »visible power«, denn diese Konstruktion beruht auf einer Zusammenwirkung von Denken und Anschauung, die nie auseinanderfallen darf. Das einzige Sichtbare in diesen spiritualistischen Theorien, die die Zusammenwirkung von Denken und Anschauung im Bereich des Rechts außer Kraft setzen, ist hingegen ihre zerstörerische Wirkung. Diese neue Dimension der »vain philosophy«, des Spiritualismus im Bereich der praktischen Philosophie und der Religionspolitik, zeigt sich in folgendem Punkt: Die Unterscheidungen und Fragestellungen dieser Theorien im Bereich der praktischen Philosophie sind nicht nur unfruchtbar (»in vain«), sondern sie erzeugen Spaltungen, die zur religions-

174 7. Das religionspolitische Problem: die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes«

politischen Konflikten führen. Hobbes versucht, die Eitelkeit (»vanity«) der religiösen Bürgerkriegsparteien zu entlarven.

(IV) Heteronomie Die enorme Wirksamkeit dieser Instanzen im Bereich der praktischen Philosophie erklärt sich nicht nur aus den Irrtümern des gemeinen Menschenverstandes oder verbreiteter Rechtsvorstellungen. Sie erklärt sich auch aus der Durchsetzung bestimmter religionspolitischer Interessen. Daher formuliert Hobbes die Frage »cui bono?« Diese Frage erhält in einer Theorie, die die Autonomie des Willens zum Prinzip des Rechts erhebt, eine neue Dimension (einen normativen Rang). Die Menschen müssen in der Konstruktion eines Rechtszustandes die berechtigten Interessen des Einzelwillens und daher der Vernunft des Einzelnen verfolgen: die Selbsterhaltung und der Frieden, der zugleich ein Vernunftinteresse ist. Daher ist der Frieden der Inhalt des ersten »Naturgesetzes«. Die Hervorhebung der Autonomie hat bei Hobbes eine pragmatische Folge, die sich auf folgende Weise formulieren lässt: Wenn du überleben willst, befolge diese einfachen Regeln. Die Gebote, die mit diesen Regeln in Widerspruch stehen, sind laut Hobbes eine Gestalt der Heteronomie: »And by that means the most men, knowing their duties, will be the less subject to serve the ambition of a few discontented persons, in their purposes against the state; and be the less grieved with the contributions necessary for their peace, and defence; and the governors themselves have the less cause, to maintain at the common charge any greater army, than is necessary to make good the public liberty, against the invasion and encroachments of foreign enemies.« (EW 3.713; Hervorh. A.B.) Hobbes verfügte nicht über die notwendigen gedanklichen Mittel für die Rekonstruktion von Rechtsgestalten, von Normen, die das Leben in Anspruch nehmen. Hier zeigt sich eine Insuffizienz der Hobbesschen Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Gegen die Theorien, die solche Normen durch ein höchstes Gut (z. B. die Rettung der Seele) begründen, könnte Hobbes nur erwidern, dass die Normen, die auf solchen Auffassungen des Guten beruhen, eigentlich nur Gestalten der Heteronomie sind. Dieser Ausweg ist jedoch nicht überzeugend, denn für den Staat sind übergreifende Zwecke und Normen konstitutiv, die die Selbsterhaltung der Mitglieder des Staates zu etwas Sekundärem herabsetzen.

ZWEITER TEIL

Hegels geistesphilosophische Begründung und Ausgestaltung des neuzeitlichen Rechtsdenkens

8. Die Zeichentheorie in Hegels Philosophie des subjektiven und des objektiven Geistes Im ersten Kapitel der vorliegenden Untersuchung wurde gezeigt, dass das Zeichen und insbesondere die Willenserklärung eine Hauptrolle in der begrifflichen Rekonstruktion der Rechtsgestalten als Daseinsformen des freien Willens spielen. Die Zeichentheorie ist ein begriffliches Mittel für die Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Diese Hervorhebung der Zeichentheorie in der Rekonstruktion des Rechts muss jedoch, wie im ersten Kapitel gesagt wurde, nicht in eine Auffassung des Rechts als Semiologie oder als Kommunikation verfallen. Das Zeichen konstituiert ein Wirklichkeitsmoment der Vernunft des Rechts. Es gehört zur reellen Seite des Rechts. Der Inhalt des neuen Rechtsdenkens ist insofern keine Semiologie, sondern ein Vernunftmodell. Die Zeichentheorie ist unter dem Primat der Vernunft zu verstehen. Als begriffliches Mittel des neuen Rechtsdenkens setzt sie ein neues Vernunftmodell voraus. Unterschiedliche Durchführungen des neuen Rechtsdenkens operieren mutatis mutandis mit demselben Vernunftmodell, das bezüglich der Hobbesschen Theorie als »artificial reason« (EW 3.x) bezeichnet wurde. Dieses Vernunftmodell lässt sich auf folgende Weise formulieren: Geltung und Wirksamkeit der Rechtsbestimmungen erfordern die Produktion eines Daseins der Freiheit. Die Vernunft des Rechts besteht daher in nichts anderem als in einer Produktionslogik. Die Vernunft ist insofern ein Zusammenwirken von Begriffsbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten. Hegel gestaltet dieses Vernunftmodell mit den Prinzipien seiner Geistesphilosophie. Der Inhalt des vorliegenden Kapitels ist die geistesphilosophische Zeichentheorie Hegels. Sie ist bei ihm der systematische Ort für die Thematisierung der Sprache. Seine Zeichentheorie ist jedoch nicht nur eine Theorie der Sprache, sondern auch eine Theorie der Vernunft und der Wirklichkeitsform des Geistes. Darin liegt das Spezifikum der geistesphilosophischen Zeichentheorie. Der Geist hat kein anderes Wesen, kein anderes Sein als seine Tätigkeit. Diese Tätigkeit ist ein Prozess der Befreiung. Diese Befreiung ist jedoch nur möglich, wenn die geistigen Tätigkeiten sich auf angemessene Produkte richten. Die Angemessenheit ist nicht vorhanden, sondern sie muss ebenso durch die Tätigkeit des Geistes produziert werden. Deswegen produziert die Intelligenz eine ihr angemessene Gestalt der Anschauung, das Zeichen. Das Zeichen ist die elementare Form einer funktionalen Vereinigung von Denken und Anschauung. Anhand seiner Zeichentheorie stellt Hegel die Wirklichkeitsform des Geistes als Zusammenwirken von Denken

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

und Anschauung dar. Diese minimale Einheit von Denken und Anschauung, die das Zeichen ist, hat somit eine eminente Funktion in der Rekonstruktion aller Stufen der geistigen Wirklichkeit, so das Zeichen auf der Stufe des subjektiven Geistes; die Willenserklärung auf der Stufe des objektiven Geistes, und das Kunstwerk (als »Zeichen der Idee«, EPW § 556) auf der Stufe des absoluten Geistes. In diesem Kapitel soll einerseits die Analyse der basalen Bestimmungen des Zeichens und die geistesphilosophische Gestaltung des neuen Vernunftmodells in der Philosophie des subjektiven Geistes (8.1), und andererseits die Analyse der Funktion des Willenszeichens in der Philosophie des objektiven Geistes (8.2) vorgenommen werden.

8.1 Das Zeichen als Gestalt des Gedächtnisses Das Vernunftmodell der geistesphilosophischen Zeichentheorie auf der Stufe des Gedächtnisses lässt sich am besten anhand der folgenden Aussage der Enzyklopädie (1830) erklären: »die Intelligenz durchläuft als Gedächtnis gegen die Anschauung des Worts dieselben Tätigkeiten des Erinnerns, wie als Vorstellung überhaupt gegen die erste unmittelbare Anschauung« (§ 461). Die Intelligenz vollzieht zweimal denselben Prozess, dieselben Tätigkeiten. Die »Tätigkeiten des Erinnerns«, auf welche sich Hegel bezieht, sind drei. Die erste Tätigkeit des Erinnerns ist das Aufnehmen der Äußerlichkeit der Anschauung in die Innerlichkeit des Subjekts. Die zweite Tätigkeit ist das Erkennen der Produkte der ersten Erinnerung. Die dritte Tätigkeit ist das Hervorgehen der Inhalte aus der Innerlichkeit. Der Ausgangspunkt dieses Prozesses ist eine bestimmte Gestalt der Anschauung, und das Resultat des Prozesses ist die Macht des Ich über die Produkte der Intelligenz. Beide Prozesse der Intelligenz (verstanden als Vorstellung überhaupt und als Gedächtnis) lassen sich anhand der folgenden Kriterien voneinander abgrenzen. Ein mögliches Kriterium dafür wäre die Anschauungsgestalt, die der Ausgangspunkt beider Prozesse ist. Die Anschauungsgestalt des ersten Prozesses ist eine Affektion der Intelligenz, eine räumlich-zeitliche Gestalt. Die Anschauungsgestalt des Gedächtnisses hingegen ist die zeitliche Gestalt des gesprochenen Zeichens. Deswegen unterscheidet Hegel zwischen der Zeichen machenden Phantasie und dem Gedächtnis. Die Tätigkeit des Gedächtnisses richtet sich auf das gesprochene Zeichen. Ein anderes mögliches Kriterium für die Abgrenzung wäre die Instanz, mit der die Intelligenz operiert. Die Intelligenz als Vorstellung überhaupt operiert mit Bildern. Die Intelligenz als Gedächtnis ist die Tätigkeit, die »überhaupt nur mit Zeichen

8.1 Das Zeichen als Gestalt des Gedächtnisses

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zu tun hat« (§ 458). Aufgrund dieses Kriteriums bezeichnet Hegel die »Zeichen machende Phantasie« (EPW § 457) auch als produktives Gedächtnis. Die drei Tätigkeiten des Erinnerns erhalten durch den ersten Durchgang die folgende Gestaltung: Die erste Tätigkeit (die Aufnahme der Anschauung in die Innerlichkeit) produziert das Bild. Die zweite Tätigkeit (das Erkennen des erinnerten Inhalts) erhält die mangelhafte Form der Subsumtion: Die Aktivierung der Bilder ist von einer Anschauung abhängig. Die Beziehung der Subsumtion zeigt, dass Anschauung und Bild noch auf dieser Stufe unterscheidbare Existenzen der Intelligenz sind. Durch die dritte Tätigkeit (das Hervorgehen der Inhalte aus der Innerlichkeit) erhält das Ich die Macht über die Bilder. Die Tätigkeit der Intelligenz ist immer eine Befreiung. Durch das Durchlaufen dieses ersten Prozesses hat sich die Intelligenz von der Anschauung unabhängig gemacht: »Die Intelligenz ist so die Gewalt, ihr Eigentum äußern zu können und für dessen Existenz in ihr nicht mehr der äußeren Anschauung zu bedürfen.« (§ 454) Die Inhalte der Bilder sind jedoch aus der Anschauung, aus dem ungeistigen Bestimmtsein der Intelligenz genommen. Das Sich-bestimmt-Finden ist nicht die Seinsweise des Geistes. Nach dem ersten Durchgang dieser Tätigkeiten befindet sich die Intelligenz noch in einem unfreien Zustand. Das Negative der Tätigkeit des Geistes muss das ungeistige Bestimmtsein der Intelligenz fortschreitend tilgen und die Wirklichkeitsform des Geistes hervorbringen. Die Inhalte der Intelligenz müssen die Form des Geltens, die Form des Wissens und Wollens erhalten. Die Intelligenz führt erneut dieselben Tätigkeiten aus, aber sie richtet sich jetzt auf eine andere Gestalt der Anschauung, das Zeichen. Sie produziert eine Gestalt der Anschauung, die ihrer negativen Tätigkeit angemessen ist. Ohne diese künstliche Angemessenheit kann der Geist sein Ziel (die Produktion der geistigen Seinsweise) nicht ausführen. Für Hegel besteht das Ziel des Gedächtnisses in der Vereinigung von Subjektivität und Objektivität. Das Gedächtnis ist die Produktion eines angemessenen Daseins (des Zeichens) und zugleich die negative Tätigkeit, die mit dieser angemessenen Gestalt der Anschauung operiert. Das Gedächtnis ist daher ein Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Auf der Stufe der »Zeichen machenden Phantasie« analysiert Hegel die basalen Bestimmungen der Struktur des Zeichens. Diese Analyse zeigt, warum das Dasein des Zeichens für die negative Tätigkeit des Geistes angemessen ist. Die erste Bestimmung ist, dass das Zeichen nicht als positiv gilt, sondern etwas vorstellt. Das Zeichen vertritt die Sache. Dieses Vertretungsverhältnis muss näher bestimmt werden. Die zweite Bestimmung ist, dass die Anschauungsgestalt des Zeichens nicht an den Inhalt, nicht an die Bedeutung gebunden ist. Das Zeichen zeigt sich daher im Vergleich zum Symbol als

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

eine höhere Stufe der Freiheit: »Als bezeichnend beweist daher die Intelligenz eine freiere Willkür und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung, denn als symbolisierend.« (§ 458) Aufgrund der Willkür der bezeichnenden Intelligenz ist die Bedeutung das Wesentliche in der Vereinigung von Zeichen und Bedeutung. Sie ist die Seele des Zeichens. Die dritte Bestimmung gilt nur für das gesprochene Zeichen. Das gesprochene Zeichen ist eine zeitliche Gestalt der Anschauung, »ein Dasein in der Zeit, – ein Verschwinden des Daseins, indem es ist« (§ 459). Die Anschauungsgestalt des gesprochenen Zeichens enthält ein wesentliches Moment des Geistes: die Setzung und Negation der Unmittelbarkeit. Auf diese Struktur des Zeichens richten sich die Tätigkeiten des Erinnerns. Die Tätigkeiten des Erinnerns erhalten durch das Durchlaufen des Gedächtnisses eine neue Gestaltung. Die erste Tätigkeit des Erinnerns auf der Stufe des Gedächtnisses (das Namen behaltende Gedächtnis) transformiert die subjektive, willkürliche Verknüpfung von Zeichen und Bedeutung in eine allgemeine, objektive Verknüpfung. Als Tätigkeit des Gedächtnisses ist diese Stufe eine erste Phase in der Vereinigung von Subjektivität und Objektivität. Die Erinnerung der zeitlichen Gestalt der Anschauung produziert eine Identifikation von Zeichen und Bedeutung und transformiert die Innerlichkeit der Intelligenz in eine konkrete Einheit dieser beiden Seiten. Da das Produkt der ersten Erinnerung ein konkretes Dasein ist, hat die zweite Tätigkeit des Erinnerns nicht mehr die äußerliche Form der Subsumtion. Aufgrund dieser Konkretion erfordert das Gedächtnis nicht mehr die Vermittlung des Bildes. Diese zweite Phase ist somit die Befreiung von der bildlichen Existenz: »Das […] reproduzierende Gedächtnis hat und erkennt im Namen die Sache, und mit der Sache den Namen, ohne Anschauung und Bild.« (§ 462) Die Intelligenz als Gedächtnis ist eine »bildlose einfache Vorstellung« (ebd.). Die Intelligenz als bezeichnende Tätigkeit gibt den gefundenen Inhalten eine Existenz, die die geistige Form des Geltens hat. Trotz der Identifikation von Zeichen und Bedeutung bleibt noch ein Unterschied. Die Bedeutung ist das Wesentliche, die Seele des Zeichens. Die Intelligenz ist daher noch nicht für sich Denken, denn die Intelligenz bleibt an Bedeutungsverhältnisse gebunden. Die Befreiung der Intelligenz von diesen äußerlichen Beziehungen erfordert die Aufhebung des Unterschiedes von Bedeutung und Namen. Daher erklärt sich das paradoxe Resultat der dritten Erinnerung: »diese höchste Erinnerung des Vorstellens ist die höchste Entäußerung« (§ 463) Die Intelligenz hat sich von der Anschauung, vom Bild und von der Bedeutung unabhängig gemacht und sich dadurch zu den Gedankenverhältnissen befreit. Die Gedankenverhältnisse sind die Inhalte, die aus der Freiheit erzeugt werden. Zusammenfassend formuliert ist das Gedächtnis

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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die Produktion einer Gestalt der Anschauung, die der negativen Tätigkeit der Intelligenz angemessen ist. Diese Vereinigung von Denken und Anschauung ermöglicht die Produktion eines geistigen Seins.

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts Da das Zusammenwirken von Denken und Anschauung für die »Rechtsidee« konstitutiv ist, spielt das Willenszeichen eine zentrale Funktion auf allen Stufen des objektiven Geistes, wie sich anhand der folgenden Rechtsgestalten zeigen lässt: (I) dem Eigentum; (II) der Willenserklärung; (III) der Handlung; (IV) der Ehe; (V) dem Gesetz und der Kodifizierung; (VI) der formellen Spitze der Entscheidung.

(I) Das Eigentum Das neue Rechtsdenken muss das Eigentum als Dasein des freien Willens rekonstruieren. In dieser Aufgabe spielt die Gestalt des Zeichens eine eminente Rolle. Dies lässt sich schon in der Kantischen Eigentumstheorie feststellen, an die Hegel eng anknüpft. Daher sind einige ihrer Aspekte anschließend kurz darzustellen. Der Ausgangspunkt der Kantischen Eigentumstheorie ist die Ausdifferenzierung zwischen Person und Sache. Das Eigentumsrecht ist das erste erworbene Recht. Es geht über die Sphäre des »angeborenen Rechts« (AA VI.237) bzw. des inneren Meins, die Leiblichkeit hinaus. Das Urteil des Eigentums ist daher nicht analytisch, sondern synthetisch a priori. Die Frage ist daher, wie sich die »praktische Vernunft« a priori erweitern kann. Die Explikation der Freiheit vollzieht sich durch die Produktion von Vereinigungsformen des freien Willens. Das Eigentumsrecht muss daher auch als eine Einheitsform rekonstruiert werden. Diese Einheit besteht einerseits in einer Verknüpfung zwischen Einzelwillen und Sache (1) und andererseits in der Vereinigung mehrerer Einzelwillen (2). (1) Die Verknüpfung zwischen Einzelwillen und Sache: Die Produktion einer synthetisch-allgemeinen Verknüpfung zwischen Willen und Sache erfordert das Weglassen der empirischen Verhältnisse. Diese Verbindung muss unabhängig von zeitlichen und räumlichen Bedingungen gelten. Sie wird nicht durch die Leiblichkeit vollzogen. Sonst wäre das Eigentumsrecht ein analytisches Urteil. Der Vernunftbesitz ist daher eine Verknüpfung zwischen Person (»homo noumenon«) und Sache.

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

(2) Die Vereinigung mehrerer Einzelwillen: Kant thematisiert das Eigentumsrecht als Vereinigung mehrerer Einzelwillen anhand der folgenden Frage: Wie kann der einseitige Akt eines Einzelwillens (Besitznahme) Rechtscharakter (d. h. Allgemeingültigkeit) erhalten? Durch die Antwort auf diese Frage gewinnt er eine Lösung für zwei Probleme: (a) Die praktischen Begriffe der Vernunft sind rein, aber sie müssen auf die Erfahrung anwendbar sein. Durch diesen Ansatz kann er die Vereinbarkeit zwischen der »Reinheit« und der Anwendbarkeit dieser Rechtsgestalt begründen. Die Rekonstruktion des Eigentumsbegriffs ist zugleich seine Schematisierung. (b) Die Vereinigung mehrerer Einzelwillen im Eigentum ist als ein Aufbau von Momenten zu begreifen. Durch diese Frage gewinnt Kant einen Leitfaden für die begriffliche Rekonstruktion der Momente: Besitznahme, Anerkennungsverhältnis und Sicherung durch öffentliche Gewalt. Die Geltung und Ausübung dieser Momente erfordern, wie gesagt, das Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Durch das anschauliche Dasein des Willenszeichens wird die Freiheit (für andere) wirklich. Der einseitige Anspruch auf Eigentumsrecht (Besitznahme) durch ein Willenszeichen ist jedoch nicht hinreichend für die Allgemeingültigkeit dieses Rechtsanspruchs (provisorischer Besitz). Sie erfordert eine Vereinigung mehrerer Einzelwillen: Anerkennungsverhältnis und staatliche Sicherung (peremptorischer Besitz). Diese Eigentumstheorie stellt eine Kritik an der Lockeschen Formationstheorie dar: (a) Die Formationstheorie begründet das Eigentumsrecht als eine Vermischung von Leiblichkeit und Sache durch die Arbeit. Diese Theorie geht daher nicht über die Sphäre der Leiblichkeit (bzw. des inneren Meins) hinaus und fasst daher das Eigentum als ein analytisches Urteil auf. (b) Die Arbeit ist rechtserzeugend nur als ein »äußeres Zeichen der Besitznehmung, welches man durch viele andere, die weniger Mühe kosten, ersetzen kann« (AA VI.265) Die Arbeit ist hinsichtlich der Rechtserzeugung nur ein anschauliches Dasein, das für die Funktion der Willenserklärung unangemessen ist. Hegel begründet das Eigentumsrecht, wie Kant, durch das Verhältnis zwischen Willen und Sache. Das abstrakte Recht beginnt mit der Trennung zwischen der Person und der Sachenwelt. Um als »Idee« (d. h. als wirkliche Freiheit) zu existieren, muss die Person diese Äußerlichkeit in Besitz nehmen. Dieser Willensakt sei jedoch nur ein Moment im Aufbau des Eigentumsrechts. Hegel thematisiert verschiedene Formen der Besitznahme (körperliche Ergreifung, Formierung, Bezeichnung), um die Dominanz der Formationstheorie zu relativieren: »Die für John Locke so wichtige Formationstheorie ist hierdurch zu einem äußeren Akt relativiert, der die Willensbestimmung ergänzt und durch andere Formen ersetzt werden kann.« (Jaeschke 2003, 379)

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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Die Bezeichnung des Willens erscheint nur als ein Willensakt, der gleichrangig neben den anderen Formen der Besitznahme steht und bestimmte Insuffizienzen aufweist: »Die für sich nicht wirkliche, sondern meinen Willen nur vorstellende Besitznahme ist ein Zeichen an der Sache, dessen Bedeutung sein soll, daß Ich meinen Willen in sie gelegt habe. Diese Besitznahme ist nach dem gegenständlichen Umfang und der Bedeutung sehr unbestimmt.« (GPR § 58) Die Funktion des Zeichens in der Begründung des Eigentumsrechts scheint daher sekundär. Dies ist nach Hegel jedoch anhand der zwei folgenden Punkte zu kritisieren: (a) Die verschiedenen Formen der Besitznahme gelten nur deshalb, weil sie als Zeichen des Willens wirken: »Die Besitznahme durch die Bezeichnung ist die vollkommenste von allen, denn auch die übrigen Arten haben mehr oder minder die Wirkung eines Zeichens an sich.« (GPR § 58, Zusatz) Die Besitznahme ist ein Willensakt, der nur als Zusammenwirkung von Denken und Anschauung gilt. Die anderen Formen der Besitznahme sind hinsichtlich der Rechtserzeugung, wie Kant behauptet, eigentlich nur Zeichen, die sich nur nach der Angemessenheit für diese Funktion unterscheiden. (b) Die Besitznahme macht nur ein Moment im Aufbau des Eigentumsrechts aus: der Anspruch des Einzelwillens auf die Gestaltung der äußeren Sphäre der Freiheit. Die Geltung dieses Rechtsanspruchs erfordert, wie oben gesagt, die Einbeziehung weiterer Momente. Hegel rekonstruiert diese weiteren Momente durch die Erhebung des besonderen Daseins des Eigentums zu einem gemeinsamen Willen. Diese Erhebung vollzieht sich laut Hegel durch die Willenserklärung im Vertrag.

(II) Die Willenserklärung Die Erhebung des besonderen Willens zu einem gemeinsamen, objektiven Willen vollzieht sich bei Hegel durch die Überleitung in die Sphäre des Vertrags (die Eigentumsübertragung), wie sich im letzten Kapitel der vorliegenden Untersuchung über die Logik des Rechts zeigen wird. Diese Erhebung vollzieht sich durch die Vermittlung dieser Daseinsform der Freiheit (des Eigentums) mit den anderen Willen: »Diese Vermittlung, Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittelst eines anderen Willens, und hiermit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus.« (§ 71) Im Vertrag erfährt das Eigentum durch diese Erhebung zu einem gemeinsamen Willen einen Zuwachs. Dieser geistige Zuwachs muss durch die Setzung eines anschaulichen Daseins, einer Willenserklärung, zur Geltung gebracht wer-

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

den: »Nun, im Vertrage, hat die äußerliche Seite des Eigentums darüberhinaus einen Zuwachs erfahren: sie besteht nicht mehr nur im Dasein der Sache allein, sondern dazu im Dasein des Vertragswillens als in einem äußeren Zeichen, der Förmlichkeit des Worts oder sonstiger symbolischer Handlungen. Beide, die Sache und die äußere Vertragsform, verkörpern nun den Willen der Person. Aber während die Sache an sich eine reine Äußerlichkeit ist, ist die Vertragsform oder, modern gesprochen, die Erklärung von vornherein nur ein Zeichen für das vorgestellte Innere, den Willen. Insofern enthält die äußere Seite des entwickelten Eigentums, das erst durch den Vertrag zustande kommt, unmittelbar ›das Moment eines (und hiermit anderen) Willens in sich‹. Der Vertragswille muß daher erklärt werden; ein nicht erklärter Wille ist kein Vertragswille und wie jeder nur innerliche Wille in sich nichtig.« (Dulckeit 1936, 83) Die Geltung der Willenserklärung liegt in der Zusammengehörigkeit der subjektiven inneren Seite (das Gewollte) und der äußerlichen objektiven Seite (die Erklärung). Da die Geltung der Willenserklärung in der Zusammenwirkung beider Seiten besteht, wird diese Rechtsgestalt durch das Auseinanderfallen beider Seiten nichtig. Daher bezieht sich Dulckeit kritisch auf zwei Rechtsvorstellungen (die »Willenstheorie« und die »Erklärungstheorie«), die jeweils eine Seite der Willenserklärung zum Prinzip der Geltung dieser Rechtsgestalt erheben: »Auch für das positive Recht ist ein solcher innerer ›Wille‹ kein ›rechtlich bedeutsamer‹ oder ›kein Wille im Rechtssinn‹, weil er überhaupt nicht wirklicher Wille ist. Von hieraus erhellt die ganze Sinnlosigkeit der byzantinischen und modernen Scheidung zwischen Wille und Erklärung und dem auf dieser abstrakten Trennung beruhenden Gegensatz zwischen ›Willens‹- und ›Erklärungstheorie‹.« (ebd., 83 f.) Anhand beider Theorien über die Auslegung dieser elementaren Form des Rechts lässt sich bereits die Möglichkeit zweier komplementärer Grundfehler in der Gestaltung des Rechts erkennen, die auf allen Stufen des Rechts auftauchen können: (a) die Rechtsunsicherheit und (b) der Rechtsformalismus. (a) Die Rechtsunsicherheit in der »Willenstheorie«: Die Willenserklärung kann nicht auf ein Vorgestelltes, auf ein Gemeintes reduziert werden, das eine Willenserforschung erfordert. Diese Reduktion hätte das Unrecht der Rechtsunsicherheit zur Folge, denn der Empfänger könnte sich nicht mehr auf die Äußerung des Erklärenden verlassen. Das Subjekt bleibt an die anschauliche Seite der Erklärung gebunden: »Eine Schwäche der Willenstheorie liegt auch darin, daß der wahre innere Wille sich kaum je wird mit Sicherheit beweisen lassen. Beweisgegenstand kann immer nur ein anderen erkennbares äußeres Verhalten sein, wie es sich in der Erklärung manifestiert.« (Larenz / Wolf 2004, 442; Hervorh. A.B.)

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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(b) Der Rechtsformalismus in der »Erklärungstheorie«: Die »Erklärungstheorie« vermeidet durch die Verabsolutierung der äußeren Seite der Erklärung die Gefahr der Rechtsunsicherheit: »Den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers will die Erklärungstheorie dadurch sicherstellen, daß sie den Geltungsgrund für die rechtsgeschäftlichen Rechtsfolgen in dem durch die Erklärung geschaffenen Vertrauenstatbestand sieht.« (ebd., Hervorh. A.B.) Die Willenserklärung kann jedoch nicht auf die Seite der Anschauung reduziert werden, denn sie ist ein Produkt des freien Willens. Diese Reduktion wäre ein Umschlag ins Faktische, in das Unrecht des Formalismus. Die Bindung des Subjekts an die anschauliche Seite der Willenserklärung ist eine Selbstbindung der Freiheit. Die von einem Geschäftsunfähigen abgegebene Erklärung ist daher nichtig: »Die Erklärungstheorie verselbständigt die Erklärung jedoch zu stark und vernachlässigt im Gegensatz zum BGB die Bedeutung des Willens. […] Ebenso läßt sich aufgrund der Erklärungstheorie, für die nur die Erklärung maßgeblich ist, schlecht begründen, warum eine mit Willensmängeln behaftete Erklärung angefochten werden darf, auch wenn diese Mängel dem Erklärungsempfänger nicht erkennbar sind.« (ebd.) Zutreffend rekonstruiert Hegel diese funktionale Vereinigung von Denken und Anschauung, die für die Willenserklärung konstitutiv ist, als eine »abgeschlossene« Verwirklichung des Willens in der Erklärung: »Die Stipulation ist nach dieser Bestimmung zwar die Form, wodurch der im Vertrag abgeschlossene Inhalt als ein erst vorgestellter sein Dasein hat. Aber das Vorstellen ist nur Form und hat nicht den Sinn, als ob damit der Inhalt noch ein Subjektives, so oder so zu Wünschendes und zu Wollendes sei, sondern der Inhalt ist die durch den Willen vollbrachte Abschließung hierüber.« (GPR § 78) Durch die Bestimmung dieser »vollbrachten Abschließung« begründet Hegel die Unterscheidung zwischen Versprechen und Willenserklärung (a), sowie zwischen Erklärung und Leistung (b): (a) Versprechen und Willenserklärung: Das Versprechen ist ein Zukünftiges, das als solches noch eine subjektive Bestimmung des Willens bleibt. Die Willenserklärung charakterisiert sich hingegen durch ihre Gegenwärtigkeit: »Die Stipulation des Vertrags hingegen ist schon selbst das Dasein meines Willensbeschlusses in dem Sinne, daß ich meine Sache hiermit veräußert, sie jetzt aufgehört habe, mein Eigentum zu sein, und daß ich sie bereits als Eigentum des anderen anerkenne.« (§ 79) (b) Erklärung und Leistung: Aufgrund dieser Abgeschlossenheit, dieser Gegenwärtigkeit kann die Verbindlichkeit einer Erklärung nicht von anderen Leistungen abhängig gemacht werden. Hegel kritisiert diese Rechtsvorstellung im Zusammenhang der Fichteschen Vertragslehre nicht nur deshalb,

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

weil sie die Natur der rechtlichen Verbindlichkeit missversteht, sondern auch, weil sie das Funktionieren des Rechts außer Kraft setzen würde (vgl. ebd.). Die Geltung der Verbindlichkeit liegt in der Erklärung, in der Selbstbindung des Willens. Die Leistung ist nur eine »selbstlose Folge« (ebd.).

(III) Die Handlung Die Handlung ist die spezifische Objektivierungsform des objektiven Geistes. Hegel unterscheidet den Handlungsbegriff, den die gesamte Sphäre der Moralität ausmacht, von der »gerichtlichen Handlung (actio)« (§ 113). Die Handlung im engeren Sinne wird durch die Reflexion des Willens in sich konstituiert. Dieser Reflexionsprozess setzt eine Entzweiung, in der die Freiheit auf der Stufe des abstrakten Rechts expliziert wird: die Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Willen (dem »Recht an sich«) und dem für sich seienden besonderen Willen. Die Daseinsformen des Unrechts (unbefangenes Unrecht, Betrug und Verbrechen) sind Urteilsformen, in denen sich die innere Notwendigkeit der Reflexion des Willens zeigt. Die Geltung und Wirksamkeit aller Rechtsgestalten erfordert immer eine Willenserklärung. Diese Aussage gilt für die Gestalt der Handlung. Sie enthält die basalen Bestimmungen der Willenserklärung, so dass sie sich auch als eine Willenserklärung betrachten lässt. Dies lässt sich anhand der folgenden Punkte zeigen, die die Zurechnung der Handlung betreffen: (1) Das »Recht an den Verbrecher« (§ 100); (2) das Abwägen zwischen dem Recht des subjektiven Willens und dem Recht der Objektivität.

(1) »Das Recht an den Verbrecher« Hegel unterscheidet zwischen der Rechtserzeugung durch Selbstbindung (Erklärung) und der Ausführung der Verbindlichkeit (Leistung). Durch die Erklärung wird der Wille an eine rechtliche Folge gebunden. Die Rechtserzeugung ist in der Willenserklärung abgeschlossen. Die Ausführung dieser rechtlichen Folge erzeugt keine Verbindlichkeit und kann in diesem Sinne als eine »selbstlose Folge« bezeichnet werden. Die Handlung kann auch durch diese Unterscheidung betrachtet werden. Die Handlung ist als Objektivierung des freien Willens (»einer besonderen Weise des Denkens«, § 4, Zusatz) die Aufstellung einer Allgemeinheit (einer Regel, einer Maxime). Durch seine Handlung erhebt der Wille einen Anspruch auf Allgemeinheit. Die Selbstsubsumtion des Willens unter seinen erklärten Willen (die Regel sei-

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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ner Handlung) ist eine selbstlose Folge der Erhebung eines Rechtsanspruchs. Hegel erörtert diese Selbstsubsumtion bezüglich der Strafe. Die Rechtlichkeit der Strafe enthält laut Hegel nicht nur die Berechtigung der staatlichen Strafbefugnis, sondern auch das »Recht an den Verbrecher«. Die Handlung des Verbrechens ist die Äußerung eines vernünftigen Wesens, und sie muss hinsichtlich dieser Vernünftigkeit betrachtet werden. Die Strafe ist die Subsumtion des Verbrechers unter die von ihm abgegebene Regel, die er durch seine Handlung zur Geltung gebracht hat. Diese Selbstsubsumtion ist eine selbstlose Folge des durch die Tat erklärten Inhalts: »Denn in seiner als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich erkannt hat, unter welches er also, als unter sein Recht subsumiert werden darf.« (ebd.) In der Akzentuierung der Notwendigkeit der Einwilligung des Verbrechers für die Rechtlichkeit der Strafe liegt das berechtigte Moment der Straftheorie Beccarias. Die Geltung der Strafbefugnis erfordert – wie die Geltung aller Rechtsgestalten – eine Willenserklärung. Diese Einwilligung soll nicht nur die Setzung der Person des Staates, sondern auch die des Verbrechers sein. Beccaria begründet diese Willenserklärung durch das Vertragsdenken. An dieser vertragstheoretischen Begründung der Einwilligung des Verbrechers kritisiert Hegel Folgendes: (a) Die Willenserklärung des Vertrags erzeugt keine berechtigte Instanz, die das Eigentum und die Person in Anspruch nehmen darf. (b) Die Willenserklärung seitens des Verbrechers, die die Rechtlichkeit der Strafe erzeugt, erfordert die Hinzufügung eines besonderen Zeichens. Die Einwilligung wird durch die Tat, durch das Verbrechen (als Daseinsform der Freiheit) gesetzt: »Das was Beccaria verlangt, daß der Mensch nämlich seine Einwilligung zur Strafe geben müsse, ist ganz richtig, aber der Verbrecher erteilt sie schon durch seine Tat.« (§ 100, Zusatz) Die Handlung des Verbrechers ist eine Willenserklärung, die zu negieren ist, weil es »sonst gelten würde« (§ 99).

(2) Das Abwägen zwischen dem Recht des subjektiven Willens und dem Recht der Objektivität Die Handlung als Willenserklärung enthält die folgenden Bestimmungen: (a) Die Handlung ist ein Zusammenwirken von Denken und Anschauung. Sie ist die Übersetzung eines vorgestellten Inhalts ins Dasein durch die Tätigkeit des freien Willens. (b) Die Handlung ist die Erhebung eines Rechtsanspruchs. Durch sie erhebt die subjektive Vernunft den Anspruch, in der Welt des Rechts zu gelten. Die Welt des Rechts ist jedoch eine schon verwirk-

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

lichte Vernunft, die eine eigene Berechtigung hat und durch die verfehlten Ansprüche der subjektiven Vernunft gefährdet werden kann. Die Objektivität des Rechts ist eine Vernunft, die die Geltung und Wirklichkeit der Rechtsbestimmungen stabilisiert. Die konkrete Allgemeinheit der Objektivität hat eine höhere Berechtigung als die Allgemeinheit der bewussten Willensakte. Die Handlung lässt sich als eine Willenserklärung betrachten, aber diese Erklärung hat den Zuwachs des in sich reflektierten Willens erfahren. Die Rechtssicherheit erfordert, dass die Handlung nicht als ein Vorgestelltes und als eine subjektive Allgemeinheit beurteilt wird, denn sie ist ein Dasein des freien Willens und kann nur in der Objektivität (in der konkreten Allgemeinheit der Welt des Rechts) gelten. Dieser Primat des Rechts der Objektivität setzt jedoch die Geltung des Rechts des subjektiven Willens voraus. Im Gegensatz zur Tat, ist die Handlung kein äußerer Ursachenzusammenhang, sondern ein Dasein des Wissens und des Wollens. Das Subjekt bleibt an die Folgen seiner Handlung durch die Selbstbindung des freien Willens gebunden. Das Urteil der Zurechnung ist daher immer ein Abwägen zwischen diesem Recht des subjektiven Willens und dem übergreifenden Recht der Objektivität. (IV) Die Ehe Das Spezifikum der Gestalt des Zeichens in der Sphäre des objektiven Geistes liegt darin, dass es nur innerhalb der immanenten Logik der Verwirklichung des Rechts gilt. Das Willenszeichen ist eine minimale Einheitsform von Denken und Anschauung, die nur innerhalb der Produktionslogik des Rechts wirksam ist. Ein Willenszeichen, das mit der internen Logik einer Rechtsgestalt unvereinbar ist, ist nichtig. Es ist eigentlich keine Willenserklärung, sondern nur, mit Hobbes gesagt, das Zeichen eines Irrtums (»signs of error«, EW 3.211). Dies lässt sich anhand der sittlichen Gestalt der Familie veranschaulichen. Sie ist eine Einheit des freien Willens. Der Geltungsgrund dieser Einheit liegt in einem Zeichen. Die Willenserklärung der Eheschließung gilt nicht als die Selbstbindung der abstrakten Person, wie im Vertrag, sondern als Zeichen sittlicher Verhältnisse. Die Freiheitsform der Ehe besteht in der Einwilligung sittlicher Personen, um eine neue Person zu konstituieren (vgl. GPR § 162). Die Willenserklärung der Eheschließung gilt daher als Zeichen sittlicher Verhältnisse. Die Einheit des freien Willens, die durch diese Erklärung erzeugt wird, besteht daher nicht in der Willenseinigung des Vertrags. Deswegen erhält das Willenszeichen auf der Stufe der Sittlichkeit eine besondere Gestaltung. Das Willenszeichen der Eheschlie-

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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ßung ist laut Hegel eine »feierliche Erklärung«, die durch die Familie und die Gemeinde anerkannt und bestätigt wird: »Wie die Stipulation des Vertrags schon für sich den wahrhaften Übergang des Eigentums enthält (§ 79), so macht die feierliche Erklärung der Einwilligung zum sittlichen Bande der Ehe und die entsprechende Anerkennung und Bestätigung desselben durch die Familie und Gemeinde […] die förmliche Schließung und Wirklichkeit der Ehe aus, so daß diese Verbindung nur durch das Vorangehen dieser Zeremonie als der Vollbringung des Substantiellen durch das Zeichen, die Sprache, als das geistigste Dasein des Geistigen (§ 78), als sittlich konstituiert ist.« (§ 164)

(V) Das Gesetz und die Kodifizierung In der Hobbesschen Durchführung des neuen Rechtsdenkens wird das Gesetz als eine Wirklichkeit des Wissens und des Wollens begriffen: Es ist eine Willenserklärung, die eine Bekanntmachung erfordert. Hegel rekonstruiert diese Wirklichkeitsform des Gesetzes durch die Seinsweise des Geistes. Auf der Stufe der Rechtspflege erklärt Hegel die Erzeugung des Gesetzes durch die Tätigkeit des Denkens: »Etwas als Allgemeines setzen, – d. i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen, – ist bekanntlich denken […]; indem es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt, gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit. Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetz wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit.« (§ 211) Die Form des Wissens, die für die Gestalt des Gesetzes konstitutiv ist, erfordert nicht nur die Setzung dieser Allgemeinheit, sondern auch ihre Systematisierung: »Das Recht muß gewußt werden, so ist es Gesetz und dieß Gesetz muß denkend gewußt werden d. h. es muß ein System in sich selbst sein, das dann gesetzt ist als gültig.« (Ig 4.534) Der Prozess der Systematisierung ist die Wirkung einer Triebkraft des Geistes: die Selbstverständigung einer Gerechtigkeitsauffassung, mit der eine geschichtliche und geographische Gestalt des objektiven Geistes operiert. Das Ziel der Kodifikation ist, die Rechtsprinzipien eines »beschränkten« Geistes (eines »Volkes«) zu denken und auszusprechen. Eine Rechtsgemeinschaft wird durch die Kodifikation zu ihrer selbstbewussten Allgemeinheit erhoben: »Es wird sich vornehmlich von einem eigentlich Gesetzbuche dadurch unterscheiden, daß dieses die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit und damit in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht.« (§ 211) Das Ziel der Kodifikation ist daher nicht die Produktion eines »Systems ihrem Inhalt nach neuer Gesetze«: »Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in

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8. Die Zeichentheorie in der Philosophie des Geistes

derselben, die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen, – da es nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkend zu fassen mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere –, wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte.« (ebd.) Das Ziel der Kodifikation ist nicht nur, das »Recht des Selbstbewußtseins« (§ 215) durch die Bekanntmachung der Gesetze zu sichern, sondern die Rechtsprinzipien einer Nation als eine konsequente Denkweise zu gewinnen: Durch die Kodifikation werden die mannigfaltigen Normen einer Nation in ein »konsequentes System von Gesetzen« (Ig 4.535) gebracht. Diese Auffassung des Rechts als eine Erzeugung, die eine Willenserklärung der gesetzgebenden Gewalt und ihre Bekanntmachung erfordert, hat eine Kritik an der Auffassung des Rechts als Gewohnheitsrecht zur Folge. Diese Kritik ist für die Formulierung des neuen Rechtsdenkens konstitutiv, und man findet sie daher bei Hobbes, wie oben gezeigt, und bei Hegel. Der Inhalt der Normen wird in der Gewohnheit auf subjektive und zufällige Weise gewusst. Das Wissen von sich, das für den (objektiven) Geist konstitutiv ist, ist nicht eine subjektive Gestalt, sondern es erfordert eine Objektivierung. Diese Objektivierung produziert, wie gesagt, die Systematisierung des Inhalts und die Erhebung eines Wissens von sich zur Form der selbstbewussten Allgemeinheit. Diese geistige Operation kann sich auf der Ebene der Gewohnheit und des Gewohnheitsrechts nicht vollziehen: »Unter Gewohnheit ist jedoch nicht an ein Instinktmäßiges zu denken wie bei den Tieren. Bleibt es bei dem bloßen Gewohnheitsrecht und ist es nicht ein geschriebenes Recht und als System in sich ausgebildet, so bleibt die Allgemeinheit des Denkens noch ein Getrübtes. Das Gewohnheitsrecht ist auch ein geschriebenes und unterscheidet sich vom eigentlich geschriebenen nur dadurch, daß es eine inkonsequente Sammlung ist.« (H 1983, 170) Die Allgemeinheit des Rechts ist, im Rahmen des neuen Rechtsdenkens, eine objektive Gestalt des Willens: der allgemeinverbindliche Wille (»volonté générale«), der an und für sich freie Wille. Die Erhebung zu dieser Gestalt der Allgemeinheit, zu dieser Daseinsform der Freiheit ist hingegen im Gewohnheitsrecht nicht möglich: »Die Form des Gewohnheitsrechts kommt aus einer ungebildeten Zeit her, wo man das Allgemeine nur so nahm als etwas, das alle tun, noch nicht als etwas an und für sich Vorhandenes. Bei einem bloßen Gewohnheitsrecht entstehen wegen der Zufälligkeit vielfältige Abweichungen.« (ebd.)

8.2 Das Willenszeichen als Gestalt des Rechts

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(VI) Die formelle Spitze der Entscheidung Die Relevanz der Willenserklärung in der Philosophie des objektiven Geistes zeigt sich am meisten in der formellen Spitze der Willensentscheidung: das »Ich will« des Inhabers der Souveränität (ein Monarch oder eine Versammlung), das »letzte Selbst des Staatswillens« (GPR § 280). In der Neuzeit liegt die Spitze der Willensentscheidung nicht mehr in einer Projektion – in einem »jenseits seiner selbst versetzenden Willen« (GPR § 279) –, sondern in der Tätigkeit der Subjektivität. Diese Willenserklärung ist formell, denn sie ist nicht die Quelle des Inhalts (der objektiven Seite) der Gesetze: »Was man also braucht zu einer Monarchie ist dieß einen Menschen zu haben, der ›Ja‹ sagt, den Punkt auf das I setzt; denn die Spitze soll so sein, dass die Besonderheit des Characters nicht das Bedeutende sei.« (Ig 3.764) Diese formelle Willenserklärung ist die subjektive Bedingung der Geltung und Wirksamkeit der Gesetze. Dieses Moment der Person des Staates ist jedoch sehr relevant, denn nur durch diese letzte Selbstbestimmung können die Gesetze in Kraft treten. Obwohl Hegel diese letzte Willenserklärung zu einem formellen und armen Willensakt depotenziert, erhebt er diese Willenserklärung zu einem Moment, das sich nicht außer Kraft setzen lässt. Diese formelle und arme Willensäußerung (dieses »Ich will«) ist zugleich unverzichtbar und hoch relevant, denn sie ist Möglichkeitsbedingung der Zurechnung und zugleich der Legitimität der Wörter und Handlungen der Person des Staates.

9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

9.1 Einleitung: die Funktion dieses Wegs Eine Theorie, die den freien Willen zum alleinigen Prinzip aller Rechtsverhältnisse erhebt, muss einen begrifflichen Weg rekonstruieren, der von den basalen Tätigkeiten des freien Willens zur rechtserzeugenden Gestalt des Willens führt. Die rechtserzeugende Gestalt des freien Willens lässt sich nicht unmittelbar als ein vorhandener Gegenstand thematisieren. Die innere Notwendigkeit dieses begrifflichen Wegs zeigt sich an den zwei folgenden Punkten: Der freie Wille ist (a) der Boden des Rechts, aber (b) nicht jede Gestalt des freien Willens ist rechtsetzend: (a) Der freie Wille ist der Boden des Rechts: Dass der freie Wille der Boden des Rechts ist, zeigt sich deutlich darin, dass in der begrifflichen Rekonstruktion der basalen Tätigkeiten des freien Willens die Freiheitsbestimmungen auftauchen, die für die Sphäre des Rechts spezifisch sind. Die Tätigkeit des Willens ist daher die Quelle aller Bestimmungen, z. B. der Rechtsbestimmungen wie Mein und Dein, der Form des Geltens, der Rede vom Guten usw. (b) Nicht jede Gestalt des freien Willens ist rechtserzeugend: Die Freiheitsbestimmungen tauchen in einer dialektischen Bewegung auf, die ihre Gestaltung in den ersten Formen des freien Willens relativiert. Daher ist die Rechtserzeugung in diesen Formen noch nicht möglich. Diese Relativierung dringt jedoch zur Produktion einer neuen Form, in denen diese Freiheitsbestimmungen erneut in einer verwandelten Gestalt erscheinen. Das Ziel dieses immanenten Wegs ist die Gestalt des Willens, die der Rechtserzeugung fähig ist, indem sie die Grundbestimmungen und Momente des Rechts adäquat vereinigt und stabilisiert: Freiheit und Natur; Allgemeinheit und Besonderheit; Geltung und Wirksamkeit usw. Verschiedene Theorien rekonstruieren diesen immanenten Weg, diese dialektische Bewegung anhand eines Leitfadens: das Zwei-Phasen-Modell des mechanistischen Wissenschaftsbegriffs (»resolutio« und »compositio«) im Hobbesschen Gedankenexperiment des Naturzustandes; das Vermittlungsmodell der Hegelschen Geistesphilosophie anhand des Wegs des freien Willens zum objektiven Geist. Die interne Notwendigkeit dieses Wegs, der von der Analyse der basalen Tätigkeiten des Willens zur rechtserzeugenden Gestalt des Willens führt, lässt sich auch vom Standpunkt der Geistesphilosophie begründen. Hegel hat im Bereich des Rechts kein neues Prinzip aufgestellt. Seine Geistesphilosophie bietet jedoch ein adäquates Begriffsinstrumentarium für eine konsequente

9.1 Einleitung: die Funktion dieses Wegs

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Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Die Bestimmtheit des Geistes als eine rechtserzeugende Instanz ist nicht unmittelbar mit dem Geistbegriff gegeben, sondern sie erfordert eine nähere Bestimmung: »Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur.« (GPR § 4) Diese nähere Bestimmung ist die Fortbestimmung des Geistes zu einer spezifischen Gestalt des freien Willens: der sich selbst wollende Wille. Der auf seine Freiheit gerichtete Wille ist der sich als Recht objektivierende Geist: »mit ›Geist‹ ist aber noch nicht unmittelbar ›Recht‹ gesagt, sondern dies wird nach Hegel erst dort möglich, wo der subjektive Geist begrifflich bis zum freien Willen entwickelt ist, und das ist erst am Schluß der Lehre vom subjektiven Geist der Fall« (Schnädelbach 2000, 178). Der »Weg des Willens […] zum objektiven Geiste« (EPW § 469) ist der systematische Ort für die nähere Bestimmung des Geistes als die rechtserzeugende Instanz. Das Instrumentarium der Geistesphilosophie ermöglicht in der Rekonstruktion des Begriffs des freien Willens eine Überwindung der folgenden begriffslosen Entgegensetzungen: (a) die Trennung von Wille und Freiheit; (b) die Trennung von Wollen und Denken. (a) Die Trennung von Wille und Freiheit: Die Freiheit ist nicht eine Bestimmung, durch welche sich eine Substanz oder ein fertiges Subjekt charakterisieren lässt. Die Freiheit ist selbst die Seinsweise des objektiven Geistes. Hegel nimmt die von Kant vollzogene Trennung zwischen Freiheit und Natur auf, obwohl diese Trennung bei Hegel nicht das letzte Wort bleibt. Sie wird innerhalb des Vermittlungsprogramms der Geistesphilosophie rekonstruiert: »Dies ist die Freiheit des Willens, welche seinen Begriff oder Substantialität, seine Schwere so ausmacht wie die Schwere die Substantialität des Körpers.« (GPR § 7) (b) Die Trennung von Wollen und Denken: Die Hegelsche Willenstheorie stellt ein sehr komplexes Modell dar, welches das Zusammenwirken theoretischer und praktischer Tätigkeiten begrifflich zu rekonstruieren versucht, wie sich anhand der Analyse der »Einleitung« zu den Grundlinien zeigen wird. Um die Begriffslosigkeit der Trennung von Denken und Wollen zu betonen, stellt Hegel die Tätigkeit des freien Willens als eine »besondere Weise des Denkens« dar: »Der Unterschied zwischen Denken und Willen ist nur der zwischen dem theoretischen und praktischen Verhalten, aber es sind nicht etwa zwei Vermögen, sondern der Wille ist eine besondere Weise des Denkens: das Denken als sich übersetzend ins Dasein, als Trieb, sich Dasein zu geben.« (§ 4, Zusatz) Diese besondere Weise des Denkens ist die sich ins

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

Dasein übersetzende Tätigkeit des Denkens. Der freie Wille ist die Weise des Denkens, durch welche unsere Geistigkeit in die Wirklichkeit tritt. Der objektive Geist ist das sich im Willen durchsetzende Denken. Durch diese sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit des Geistes rekonstruiert Hegel die spezifische Vermittlungsfunktion des freien Willens, die die Rechtserzeugung ermöglicht. Der freie Wille ist das alleinige Prinzip des Rechts nur deshalb, weil er die einzige Instanz ist, die die konstitutiven Momente des Rechtsbegriffs vermitteln und stabilisieren kann. Die Form des Geltens, die die Seinsweise des Rechts ausmacht, erfordert eine Vereinigung von Momenten, die im vormodernen Rechtsdenken unabhängig voneinander gedacht werden. Dies lässt sich anhand zweier wesentlicher Momente der Rechtsbestimmungen, Geltung und Wirksamkeit, veranschaulichen. Die vormoderne Denkweise operiert mit einer Vernunft (mit der »recta ratio«), die das Vernunftgesetz (die »lex naturalis«) erkennen kann. Die Verpflichtungskraft dieser »Naturgesetze« hat die Form des Vorhandenseins. In dieser Denkweise werden Geltung und Wirksamkeit der Vernunftbestimmungen in einer abstrakten Trennung gedacht: Die Verbindlichkeit der »Naturgesetze« ist in dieser Denkweise von ihrer Verwirklichung, von der Dynamik ihrer Ausübung unabhängig gemacht. Das neue Rechtsdenken, das den freien Willen als die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse begreift, operiert hingegen mit einem Vernunftbegriff, in dem Geltung und Verwirklichung als untrennbare Momente begriffen werden. Ohne die Vereinigung beider Momente lässt sich noch nicht von Recht sprechen. Der freie Wille ist die alleinige Instanz der Rechtserzeugung, denn er ist die Freiheit als »Idee«: »Die philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.« (§ 1) Die sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit des freien Willens vermittelt beide Seiten der »Rechtsidee«. Diese Vermittlungsfunktion, die bezüglich dieser Momente von Geltung und Wirksamkeit der Vernunftbestimmungen dargestellt worden ist, betrifft andere Momente, die für die Produktion der Sphäre des Rechts konstitutiv sind. Daher ist zunächst darzustellen, welche diese Momente sind und wie sich ihre Vermittlung durch die Tätigkeit des freien Willens vollzieht. Diese untrennbaren Momente sind Folgende: (1) Faktizität und Berechtigung, (2) Freiheit und Natur, (3) Allgemeinheit und Besonderheit, (4) Geltung und Wirksamkeit und (5) die Wahrheit und das Gute. Die Tätigkeit des freien Willens ist die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse nur deshalb, weil sie diese Momente vereinigt und dadurch die Rechtsbestimmungen zur Geltung bringt. Die Notwendigkeit der genannten Momente lässt sich anhand des Hobbesschen Gedankenexperiments des Naturzustandes veranschaulichen. Dieses Gedankenexperiment erörtert in einem dialektischen Zusam-

9.1 Einleitung: die Funktion dieses Wegs

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menhang die Forderung der Vernunft nach einer adäquaten Verbindung dieser Momente. Die Tätigkeit des Einzelwillens im Naturzustand ist eine widersprüchliche Handlungsweise. Die Analyse des Naturzustandes soll zugleich als eine Überleitung in die Analyse der Hegelschen Willenstheorie dienen, welcher der zweite Teil der vorliegenden Arbeit gewidmet ist. In der »Einleitung« zu den Grundlinien rekonstruiert Hegel die Vermittlung derselben Momente, die auch im dialektischen Zusammenhang des Naturzustandes thematisiert werden. (1) Faktizität und Berechtigung: In einem Rechtsdenken, in dem die Rechtsordnung durch die Autorität Gottes und der von ihm geschaffenen Natur begründet wird, lässt sich von einem Primat der Pflicht sprechen. Die Rechte werden aus den Pflichten des Menschen gegenüber Gott abgeleitet. Wenn diese Instanzen ihre stabilisierende Funktion verlieren, lassen sich die Rechtsverhältnisse nicht mehr aus Pflichten ableiten. Im frühneuzeitlichen Rechtsdenken vollzieht sich eine Umkehrung des Begründungsgangs: Das neue Rechtsdenken charakterisiert sich nicht mehr durch einen Primat der Pflicht, sondern durch einen Primat des Rechts. Der freie Wille kann die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse nur deshalb sein, weil er schon immer eine ursprünglich berechtigte Instanz ist. Er ist ein Datum, (»una voluntas a natura data«, OL 2.217), aber diese Gegebenheit ist zugleich ein in sich Berechtigtes. Der Primat des Rechts besteht darin, dass die Pflichten aus der Tätigkeit eines in sich berechtigten Willens abgeleitet werden. Diese neue Konstellation des Denkens zeigt sich im Gedankenexperiment des Naturzustandes in folgenden Aspekten: (a) Das Experiment besteht in einer Auflösung aller Pflichten. (b) Obwohl der isolierte Einzelwille im Naturzustand noch keine rechtserzeugende Instanz ist, ist der Wille schon eine berechtigte Instanz: Der Einzelwille hat im Naturzustand ein »Recht auf alles« (»ius in omnia«, OL 2.164). Der Einzelwille ist daher im Naturzustand in sich berechtigt, obwohl seine Berechtigung nicht durchsetzungsfähig ist. Die Pflichten sind künstliche Verhältnisse (»artificial chains«, EW 3.198), die durch die Tätigkeit dieses berechtigten Willens produziert werden. (2) Freiheit und Natur: Das »Recht auf alles« lässt sich nur aus der Beziehung zwischen Freiheit und Natur im Bereich des Rechts erklären. Dieses »Recht auf alles« hat (a) eine negative und (b) eine positive Bestimmung: (a) Die negative Bestimmung des »Rechts auf alles«: Als endlicher Geist, d. h. als Geist, der noch nicht die Form des »Beichsichseins« gewonnen hat und daher noch formelle Selbstbeziehung ist, bezieht der Wille sich auf Naturbestimmungen und auf eine »Sachenwelt«: »Der freie Wille hat unmittelbar zunächst die Unterschiede an ihm, daß die Freiheit seine innere Bestimmung und Zweck ist und sich auf eine äußerliche vorgefundene Objektivität bezieht,

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

welche sich spaltet in das Anthropologische der partikulären Bedürfnisse, in die äußern Naturdinge, die für das Bewußtsein sind, und in das Verhältnis von einzelnen zu einzelnen Willen, welche ein Selbstbewußtsein ihrer als verschiedener und partikulärer sind; diese Seite macht das äußerliche Material für das Dasein des Willens aus.« (EPW § 483) Der Einzelwille hat ein »Recht auf alles«, denn dieses äußerliche Material ist aufgrund seiner Äußerlichkeit willenlos, rechtlos: »Das von dem freien Geist unmittelbar Verschiedene ist für ihn und an sich das Äußerliche überhaupt, – eine Sache, ein Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses.« (GPR § 42) Die negative Bestimmung dieses »Rechts auf alles« besteht darin, dass der Einzelwille sich auf eine rechtlose Objektivität, auf »Sachen« im rechtlichen Sinn bezieht. Der Einzelwille kann sie daher in Besitz nehmen. (b) Die positive Bestimmung des »Rechts auf alles«: Der Wille charakterisiert sich durch seine Selbstbezüglichkeit. Diese konstituiert die Freiheit, die Spontaneität des freien Willens. Obwohl im Naturzustand noch nicht vom Recht die Rede sein kann, operiert der Einzelwille mit Rechts- bzw. Freiheitsbestimmungen, z. B. mit dem Urteil von Mein und Dein. Der Einzelwille, dessen Ziel die Befriedigung seiner Bedürfnisse, seine Selbsterhaltung ist, wendet diese Rechtsbestimmungen auf eine rechtlose Objektivität an. Die positive Bestimmung dieses »Rechts auf alles« besteht darin, dass der Einzelwille im Naturzustand eine (unbeschränkte) Ausübung dieser Rechtsbestimmungen vollzieht. Durch die negative und positive Bestimmung des »Rechts auf alles« zeigt sich, welches das Verhältnis von Natur und Freiheit im Bereich des Rechts ist: »Die Sphäre des Rechts ist die Sphäre der Freiheit, in welche[[r]], insofern die Freiheit sich äußert und sich Existenz giebt, die Natur zwar eintritt, aber als ein unselbständiges.« (Ig 1.239) Die Äußerlichkeit der Natur wird in der Sphäre des Rechts zum Modus eines Moments herabgesetzt. (3) Allgemeinheit und Besonderheit: Der im Naturzustand agierende Wille ist eine bestimmte Vereinigungsform von Allgemeinheit und Besonderheit. Der besondere Wille erhebt einen totalen Anspruch auf Allgemeinheit (»ius in omnia«, OL 2.164). Die dialektische Dynamik des Naturzustandes erklärt sich aus dieser verfehlten Verknüpfung von Besonderheit und Allgemeinheit. Der freie Wille im Naturzustand ist – Hegelsch formuliert – eine doppelte Sollensstruktur: (a) Das erste Sollen besteht im Verhältnis zwischen dem Einzelwillen und dem äußerlichen Material, auf das er sich richtet. Das Sollen ist hier die Inkongruenz zwischen den Zwecken eines »natürlichen« Wollens und der vorgefundenen Wirklichkeit. Hobbes stellt ein tierisches Wollen dar, das sich auf die äußere Gegenständlichkeit richtet, die für seine Selbsterhaltung

9.1 Einleitung: die Funktion dieses Wegs

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angemessen ist. Die Befriedigung dieses natürlichen Wollens ist nur durch eine vorgefundene Angemessenheit (d. h. eine unmittelbare und vorfindliche Übereinstimmung zwischen der subjektiven Willensbestimmung und dem äußeren Gegenstand) möglich. Dieses Wollen nimmt alle Dinge in Besitz, die für seine Selbsterhaltung angemessen sind. Im Naturzustand subsumiert der Einzelwille auch den Körper anderer Menschen unter die »Sachenwelt«. Daher ist der Einzelwille dazu berechtigt, die menschlichen Körper zu verletzen, die seine Selbsterhaltung bedrohen. (b) Das zweite Sollen besteht in dem Gegensatz von Allgemeinheit und Einzelheit. Die Handlungsweise des Einzelwillens im Naturzustand ist die Aufstellung und Ausführung einer Allgemeinheit, einer Regel: die Subsumtion aller »Sachen« unter den Herrschaftsbereich eines isolierten Einzelwillens. Durch die Ausführung dieser Regel manifestiert sich die dialektische Dynamik des Naturzustandes. Diese Allgemeinheit wird durch die Berechtigung der anderen Einzelwillen relativiert. (4) Geltung und Wirksamkeit: Der totale Anspruch des Einzelwillens auf Allgemeinheit wird durch die Tätigkeit der anderen Einzelwillen relativiert. Dieser Irrtum manifestiert sich durch die dialektische Dynamik des Naturzustandes: Das »Recht auf alles« erweist sich als ein »Recht auf nichts«. Zum einen zeigt diese Dialektik, dass ein isolierter Einzelwille keine allgemeinverbindliche Allgemeinheit setzen kann. Der freie Wille ist das Prinzip des Rechts nur dann, wenn er eine adäquate Vereinigung von Besonderheit und Allgemeinheit vollzieht und zum allgemeinverbindlichen Willen, zur »volonté générale« wird. Zum anderen zeigt diese Dialektik, dass die Geltung der Rechtsbestimmungen nicht von ihrer Ausübung unabhängig gemacht werden kann. Hobbes wie Hegel kritisieren ein Rechtsdenken, das die Gültigkeit der Rechts- bzw. Freiheitsbestimmungen von ihrer Verwirklichung trennt. Der freie Wille ist das alleinige Rechtsprinzip, weil er die Vernunftbestimmungen und ihre ergänzenden Wirklichkeitsmomente vermitteln kann. Das Recht hat – Hegelsch formuliert – die Form des Geltens nur als »Idee«. Der freie Wille ist die rechtserzeugende Gestalt des Geistes, denn sie ist der Geist, der in die Wirklichkeit tritt. (5) Die Wahrheit und das Gute: Das »Recht auf alles« ist eine verfehlte Vereinigungsform von Allgemeinheit und Besonderheit. Indem der Wille (qua Intelligenz) mit einem Rechtsanspruch auftritt, erhebt er einen Wahrheitsanspruch. Der freie Wille ist daher auch theoretische Tätigkeit. Durch die Dialektik des Naturzustandes erweist sich der Frieden als ein gemeinsames Gut (»common good«, EW 3.156). Der Frieden ist bei Hobbes der allgemeine Zweck des Willens und das erste »Naturgesetz«, aus dem sich die mannigfaltigen weiteren »Naturgesetze« ableiten lassen. Die Produktion und

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

Stabilisierung eines Friedens- bzw. Rechtszustandes erfordert eine wahrhafte Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit: die Einheit des Staats. Diese Vereinigung ist das »public good« (EW 3.166). Obwohl eigentlich vom Begriff des Guten nur die Rede sein kann, wenn der freie Wille eine konkrete Wirklichkeit produziert hat, kann man hier schon Folgendes behaupten: Der Wille ist als rechtserzeugende Instanz ein Zusammenwirken theoretischer und praktischer Tätigkeiten. Der Wahrheitsbegriff, der für die Tätigkeit des Willens konstitutiv ist, folgt aus der immanenten Logik der Verwirklichung und Explikation der Freiheit. Daher kritisiert Hobbes die Rechtsansprüche, die sich auf die Instanz der Wahrheit berufen, um diese immanente Logik außer Kraft zu setzen: »authoritas, non veritas, facit legem« (OL 3.202). Die Rechtsordnung gilt nicht als Abbild des Wahren und Guten, die vermeintlich in der Form des Vorhandenseins sind. Nur die rechtserzeugende Tätigkeit des freien Willens ermöglicht eine Rede von Wahrheit und sittlichem Guten. Darin zeigt sich, dass der freie Wille die letzte Quelle aller Bestimmtheit im Bereich des Rechts ist. Die bisherige Analyse des vorliegenden Kapitels hat zu zeigen versucht, dass der freie Wille nur als eine vermittelnde Tätigkeit der analysierten Momente seine rechtserzeugende Funktion ausführen kann. Alle Gestalten des Willens sind notwendigerweise immer eine Vereinigung dieser Momente, aber nicht alle Vereinigungsformen dieser Momente können Recht erzeugen. Die rechtserzeugende Tätigkeit des freien Willens setzt eine Entwicklung voraus, die von den verfehlten Verknüpfungsformen zu einer adäquaten Vermittlung dieser Momente treibt. Die »wahrhafte« Vermittlung dieser Momente ist der freie Wille als das Prinzip des Rechts. Das Gedankenexperiment des Naturzustandes bietet einen Leitfaden für die dialektische Rekonstruktion dieser Entwicklung. Der Leitfaden ist, wie bekannt, das Hobbessche Zwei-PhasenModell (»resolutio«-»compositio«): Der Naturzustand ist das Resultat einer Auflösung aller Rechtsverhältnisse. Der Rechtszustand als die Produktion einer Sphäre des Rechts durch die Konstruktion eines allgemeinverbindlichen Willens ist eine immanente Forderung der dialektischen Dynamik des Naturzustandes. Hegel thematisiert auch diese Entwicklung, die von den verfehlten Verknüpfungsformen der oben genannten Momente zur adäquaten Vermittlung treibt. Darin zeigt sich, dass die Analyse dieses Prozesses eine allgemeine Forderung für eine Theorie ist, die das neue Rechtsdenken konsequent durchzuführen versucht, denn der freie Wille kann nicht unmittelbar als eine rechtserzeugende Instanz thematisiert werden. Hegel nennt diese immanente Entwicklung, die zur rechtserzeugenden Gestalt des freien Willens treibt, den »Weg des Willens zum objektiven Geist«, denn nur die vollendete Form die-

9.2 Der Begriff des freien Willens

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ser Entwicklung kann Recht erzeugen. Diese Gestalt wird in der Philosophie des objektiven Geistes als »gegeben« angenommen. Die Entwicklung des Willens ist Inhalt der Philosophie des subjektiven Geistes. Die Frage ist daher, durch welchen Leitfaden Hegel diese dialektische Bewegung des Willens thematisiert. Er operiert mit einem Vermittlungsmodell. Die Triebkraft dieser dialektischen Entwicklung ist der Widerspruch zwischen dem Begriff des freien Willens als Selbstbestimmung und der formellen Existenz des freien Willens. Der Widerspruch, der durch den Weg zum objektiven Geist aufgelöst wird, lässt sich auf folgende Weise formulieren: Der formelle Wille ist Fürsichsein, aber als formelles Fürsichsein relativ und bedingt. Er kann nur in einem vorgefundenen Inhalt eine Bestimmung gewinnen. Weil er noch Bestimmtsein ist, kann er sich noch nicht einen eigenen Inhalt geben. Die Triebkraft des Wegs ist daher die Aufhebung dieses Formalismus. Der zum Leitfaden genommene Widerspruch zwischen dem Begriff des freien Willens und seiner Realisierung enthält einen immanenten Wahrheitsbegriff: die Entsprechung zwischen dem Begriff und seiner Realisierung. Da die Kongruenz zwischen dem Begriff des freien Willens und der Realisierung das Telos dieser dialektischen Bewegung ist, ist zunächst der Begriff des freien Willens zu erörtern. Hegel thematisiert den Begriffs des freien Willens in den §§ 5–9 der »Einleitung« zu den Grundlinien und die Realisierung in den §§ 11–28.

9.2 Der Begriff des freien Willens Der Begriff des freien Willens ist die Selbstbestimmung: die Geistigkeit, die sich ihren eigenen Inhalt gibt. In der Geistesphilosophie wird der Begriff des freien Willens (»der Geist als Wille«, EPW § 469) aus dem Ich abgeleitet (ebd., § 413). Das Ich ist die basale Form des Begriffs des freien Willens: »Nach Hegel entdeckt Kant zwar im Prinzip des transzendentalen Ich das grundlegende Moment der Selbstbestimmung des Willens, das der ›reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich‹, in welcher alle Beschränkung und jeder durch die Natur ›gegebene‹ Inhalt aufgelöst ist.« (Riedel 1975, 118) Die transzendentalphilosophische Rekonstruktion der Einheit des Bewusstseins ist daher der Boden des Begriffs des freien Willens. Hegel formuliert diesen transzendentalphilosophischen Standpunkt auf folgende Weise: »Ich ist die unendliche Beziehung des Geistes auf sich, aber als subjektive, als Gewißheit seiner selbst« (EPW § 413). Das Ich ist die unendliche Endlichkeit einer noch formellen Geistigkeit. Der Begriff des freien Willens als Selbstbestimmung ist die reine Negativität, die Einzelheit des Ich: »Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist; als

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

diese Beziehung auf sich ist es ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt.« (GPR § 7) Diese reine Form, die die basale Struktur des Begriffs des freien Willens ausmacht, ist der Begriff selbst: »Diese Einheit ist die Einzelheit, aber sie nicht in ihrer Unmittelbarkeit als Eins, wie die Einzelheit in der Vorstellung ist, sondern nach ihrem Begriffe […], – oder diese Einzelheit ist eigentlich nichts anderes als der Begriff selbst.« (ebd.) Diese Einzelheit ist daher noch eine reine Form, die als solche sich durch rein logische Bestimmungen rekonstruieren lässt: »Das Ich ist somit der Sonderfall einer realphilosophischen ›Entität‹, die ausschließlich logisch bestimmt werden kann, weil es gerade kein ›ens‹, sondern die reine Negativität und Negation allen bestimmten Inhalts ist« (Jaeschke 2003, 356) Obwohl Hegel die Selbstbestimmung durch das transzendentalphilosophische Prinzip des Ich erklärt, rekonstruiert er die Einheit des Bewusstseins, die Einzelheit, durch die immanente Negativität, durch die »Besonderung« des Allgemeinen. Obwohl die Einzelheit des Ich eine minimale und logische Form ist, liegt in der Hegelschen Auffassung dieser reinen Form schon eine erste Kritik an der Transzendentalphilosophilosophie Kants und an der Philosophie Fichtes, die Hegel beide als »Reflexionsphilosophie« bezeichnet: Die Einzelheit muss durch immanente Negativität rekonstruiert werden. Die Tätigkeit, die die Einzelheit ausmacht, ist die »Besonderung« des Allgemeinen. Der Grundfehler der Reflexionsphilosophie in der Rekonstruktion der Einzelheit sei die Entgegensetzung von Allgemeinheit und Besonderheit: »Die Unterscheidung und Bestimmung der zwei angegebenen Momente findet sich in der Fichteschen Philosophie, ebenso in der Kantischen u. s. f.; nur, um bei der Fichteschen Darstellung stehen zu bleiben, ist Ich als das Unbegrenzte (im ersten Satze der Fichteschen Wissenschaftslehre) ganz nur als Positives genommen (so ist es die Allgemeinheit und Identität des Verstandes), so daß dieses abstrakte Ich für sich das Wahre sein soll, und daß darum ferner die Beschränkung, – das Negative überhaupt, sei es als eine gegebene, äußere Schranke oder als eigene Tätigkeit des Ich – (im zweiten Satze) hinzukommt. – Die im Allgemeinen oder Identischen, wie im Ich, immanente Negativität aufzufassen, war der weitere Schritt, den die spekulative Philosophie zu machen hatte; – ein Bedürfnis, von welchem diejenigen nichts ahnen, welche den Dualismus der Unendlichkeit und Endlichkeit nicht einmal in der Immanenz und Abstraktion, wie Fichte, auffassen.« (GPR § 6) Hegel findet schon in der Rekonstruktion der basalen Bestimmungen der Einzelheit wesentliche Unterschiede, die erhebliche Folgen in der Durchführung des neuen Rechtsdenkens haben. Die verschiedenen Durchführungen

9.2 Der Begriff des freien Willens

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operieren mit demselben Prinzip und unterscheiden sich daher nur in der Gestaltung des Willensbegriffs. Die sogenannte Reflexionsphilosophie könne die immanente Negativität des Begriffs des Willens nicht begreifen, denn sie operiere mit begriffslosen Gegensätzen, genauer: mit der Entgegensetzung von abstrakter Allgemeinheit und Beschränkung. In der Kantischen Definition des Rechts findet man diese »verstandesmäßige« Gestaltung der basalen Bestimmungen der Einzelheit: »Die Kantische (Kants Rechtslehre Einl.) und auch allgemeiner angenommene Bestimmung, worin ›die Beschränkung meiner Freiheit oder Willkür nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne‹, das Hauptmoment ist, enthält teils nur eine negative Bestimmung, die der Beschränkung, teils läuft das Positive, das allgemeine oder sogenannte Vernunftgesetz, die Übereinstimmung der Willkür des anderen, auf die bekannte formelle Identität und den Satz des Widerspruchs hinaus.« (§ 29) Die Auffassung des Willens als »wahrer Geist« (ebd.) erfordert eine adäquate Rekonstruktion dieser basalen Einzelheit, denn diese ist die Elementarform der unendlichen Selbstbeziehung des Geistes (vgl. EPW § 413). Das neue Rechtsdenken begreift die Rechtsordnung durch Prinzipien, die in uns selbst liegen. Die Frage ist, wie diese Immanenz des freien Willens zu rekonstruieren ist. Die reine Reflexion des Ich ermöglicht durch die abstrahierende Tätigkeit des Allgemeinen die Ablösung von der Naturordnung. Der freie Wille ist an seine Bestimmungen nicht mit unfreier Notwendigkeit gebunden. Sonst wäre der Wille eine natürliche Einzelheit (BestimmtSein). Die geistige Einzelheit des Ich (als Selbstbestimmung) depotenziert alle Willensinhalte zur bloßen Möglichkeit, zu einer ideellen Bestimmung. Die immanente Verbindung von Allgemeinheit und Besonderheit zeigt, dass die Besonderheit nicht in einer Beschränkung der Unendlichkeit des Ich besteht. Die reine Form des Ich ist die Tätigkeit, aus der alle Freiheitsbestimmungen fließen, wie sich später zeigen wird: Die Freiheit ist das Innerste, aus dem eine geistige Welt hervorgeht. Hegel rekonstruiert die Immanenz der Freiheit mit Hilfe der zwei folgenden Gedanken: (a) der Auffassung des Ich als die basale Struktur der Freiheit und (b) der immanenten Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit. Beide Gedanken lassen sich auf folgende Weise formulieren: Hegel rekonstruiert den Begriff des freien Willens durch die immanente Negativität des Ich. Diese Rekonstruktion der Immanenz des Prinzips des freien Willens ist angemessener als die Hobbessche Rekonstruktion über eine begriffslose Mannigfaltigkeit von »Naturgesetzen« und Naturbestimmungen (Affekten). Hegels Rekonstruktion des Begriffs des freien Willens ist zugleich die Darstellung der folgenden Bestimmungen des Begriffs der Subjektivität: (a) Das Subjekt ist nichts anderes als Tätigkeit; (b) die Rechtserzeu-

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gung erfordert die Herausbildung einer bestimmten Gestalt der Subjektivität. (a) Das Subjekt ist nichts anderes als Tätigkeit: Diese Tätigkeit ist die einzige Bestimmung und Substanz der Subjektivität. Die Subjektivität des Willens ist als Selbstbestimmung weder eine fertige Entität noch eine Fähigkeit, die mit seinen Äußerungen in einem äußerlichen Verhältnis steht. Der Geist hat kein anderes Sein als die Tätigkeit des »Sichoffenbarens«. Die Subjektivität kann nicht als eine Vorgegebenheit begriffen werden, denn ihre Tätigkeit ist die Quelle aller Voraussetzung: »Es kann hier nur noch bemerklich gemacht werden, daß, wenn man so spricht: der Wille ist allgemein, der Wille bestimmt sich, man den Willen schon als vorausgesetztes Subjekt, oder Substrat ausdrückt, aber er ist nicht ein Fertiges und Allgemeines vor seinem Bestimmen und vor dem Aufheben und der Idealität dieses Bestimmens, sondern er ist erst Wille als diese sich in sich vermittelnde Tätigkeit und Rückkehr in sich« (GPR § 7) Dadurch erklärt sich das Paradoxon, mit dem die Darstellung der Hegelschen Geistesphilosophie anfängt. Die neuzeitlichen Prinzipien, die den Kern der Geistesphilosophie ausmachen, lassen sich nur spekulativ mit dem Instrumentarium einer antiken Theorie rekonstruieren, die als solche diese Prinzipien nicht thematisieren konnte: anhand der Schrift De Anima von Aristoteles (vgl. EPW § 378). Der freie Wille (qua Subjektivität) ist als »actus purus« zu begreifen. (b) Die Rechtserzeugung erfordert die Herausbildung einer bestimmten Gestalt der Subjektivität: Die begriffliche Genese dieser Gestalt ist der Inhalt des Wegs des Willens zum objektiven Geist. Die rechtserzeugende Gestalt des freien Willens ist eine bestimmte Gestalt der Subjektivität: der sich selbst wollende Wille (vgl. GPR § 27). Der sich selbst wollende freie Wille ist jedoch noch eine abstrakte Gestalt. Die unmittelbare Verkörperung dieser Idee ist die Person. Die Rechtsperson ist daher eigentlich die erste Gestalt der Subjektivität, die Recht erzeugen kann. Die Person wird aus der Einzelheit des freien Willens (§ 7) durch immanente Negativität abgeleitet. Das lässt sich daran erkennen, dass die Person sich auch durch basale Bestimmungen des Ich charakterisieren lässt: die Einzelheit der Person, wie die des Ich, ist etwas Allgemeines, das alle Menschen gleichermaßen sind. Diese reine Negativität macht die logische Form des »Ich« aus, und die Akte dieser negierenden Tätigkeit vollziehen sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Trotz dieser für die Tätigkeit des »Ich« konstitutiven Bewusstlosigkeit können basale Bestimmungen dieser Tätigkeit auch durch eine äußerliche Reflexion nachvollzogen werden. Diese Betrachtungsweise kann nur Gegenstand einer phänomenologischen Betrachtung des freien Willens sein. In diese Betrachtungsweise integriert Hegel geschichtliche

9.2 Der Begriff des freien Willens

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Formen auch der Erfahrung von misslingender Freiheit, wie z. B. den Fanatismus im Politischen und im Religiösen (vgl. § 5). Die Darstellung dieser phänomenologischen Seite der Einzelheit des Willens (§§ 5–7) erfordert die Einbeziehung von Instanzen (z. B. »Bedürfnisse, Begierden und Triebe«, § 5), die eigentlich die Realisierung des Begriffs des freien Willens betreffen (§§ 10–28). Die abstrahierende Allgemeinheit des freien Willens manifestiert sich in dem Unterschied zwischen den menschlichen Trieben und den Naturtrieben eines tierischen Organismus. Der Wille (als Denken, als Tätigkeit des Allgemeinen) kann alles Mögliche wollen, denn seine Tätigkeit ist nicht an einen festen Inhalt gebunden. Die immanente »Besonderung« des Allgemeinen manifestiert sich darin, dass der Wille als solcher etwas wollen muss. Ohne das Moment der Allgemeinheit könnte vom Willen (qua Vernunft) nicht die Rede sein, sondern nur von einem tierischen System von Naturtrieben. Ohne die »Besonderung« als immanente Bewegung dieses Denkens wäre der Wille willenlos. Der Wille weiß die Bestimmtheit als die »seinige und ideelle« (§ 7): Er ist an einen Inhalt (die Willensbestimmung) nicht mit unfreier Notwendigkeit gebunden, sondern er nimmt die Inhalte in »Besitz« und depotenziert sie zugleich zur bloßen Möglichkeit. Die Analyse der realphilosophischen Gestalt der Subjektivität, die der freie Wille ist, erfordert die Einbeziehung der Kategorie von Zweck und Handlung. Der Geist tritt als Wille in die Wirklichkeit. Dies ist möglich, weil der Geist nur als Endliches, als Beschränktes wirklich sein kann. Hegel stellt diese Bewegung als Akt des Ich in § 6 der Grundlinien auf folgende Weise dar: »Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Bestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands.« Die Rekonstruktion dieses Übergehens des Geistes ins Dasein anhand der Vermittlung der Tätigkeit des freien Willens vollzieht sich durch die Ausführung eines Zwecks, durch Handlungen. Die Tätigkeit des Willens strebt nicht mehr nach einer unmittelbaren und zufälligen Übereinstimmung von subjektiver Bestimmung und vorgefundener Objektivität (Genuss), sondern sie produziert diese Übereinstimmung durch Zweckzusammenhänge: »Wir haben diese Äußerlichmachung jedoch hier, in der Sphäre des subjektiven Geistes, nur bis zu dem Punkte zu verfolgen, wo die wollende Intelligenz zum objektiven Geiste wird, d. h. bis dahin, wo das Produkt des Willens aufhört, bloß der Genuß zu sein, und anfängt, Tat und Handlung zu werden.« (EPW § 469, Zusatz) Die sittliche Welt ist eine Totalität, die durch Handlungen, durch Zweckzusammenhänge konstituiert wird. Hegel stellt im Weg des Willens zum objektiven Geist das Zusammenwirken von bewussten Zwecken und Zwecken dar, die sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« vollziehen. Die Vereinigung verschiedener Formen von Zweckmäßigkeit auf dem

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Weg zum objektiven Geist hat als Resultat die Herausbildung von Stufen, die von den Zielen des praktischen Gefühls bis zum allgemeinen und immanenten Ziel des sich selbst wollenden Willens führen. (vgl. GPR § 27) Da die Handlung die spezifische Objektivierungsform des Willens ist, muss Hegel diese Instanz des Zwecks und der Handlung in den Weg des Willens zum objektiven Geist einbeziehen, obwohl die Moralität der systematische Ort für die Thematisierung des Handlungsbegriffs im engeren Sinne ist, denn nur auf dieser Stufe hat sich die Reflexion des Willens in sich vollzogen, und die Willensäußerung ist daher die Ausführung einer inneren Bestimmtheit. Durch die Einbeziehung der Handlung als der allgemeinen Objektivierungsform des freien Willens kann Hegel in den §§ 8–9 der Grundlinien die übersetzende Tätigkeit des freien Willens definieren: »Das weiter bestimmte der Besonderung […] macht den Unterschied der Formen des Willens aus: a) insofern die Bestimmtheit der formelle Gegensatz von Subjektivem und Objektivem als äußerlicher unmittelbarer Existenz ist, so ist dies der formale Wille als Selbstbewußtsein, welcher eine Außenwelt vorfindet, und als die in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzelheit der Prozeß ist, den subjektiven Zweck durch die Vermittlung der Tätigkeit und eines Mittels in die Objektivität zu übersetzen.« (§ 8) Diese erste Definition stellt nur eine Seite der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens dar: das Übergehen der subjektiven Bestimmungen in die Objektivität (als unmittelbare Wirklichkeit). Dies erklärt sich daraus, dass die Definition des § 8 sich noch auf den formellen Willen bezieht. Nachdem der Wille alle Phasen des Formalismus durchlaufen und zugleich aufgehoben hat, kann Hegel eine vollständige Definition der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens geben: Die übersetzende Tätigkeit ist ein Übergehen in eine unmittelbare Wirklichkeit, eine dem Subjekt gegenüberstehende Objektivität und zugleich auch eine Explikation und Systematisierung der Freiheit, eine durch das Subjekt konstituierte Objektivität (vgl. § 21). Daher erörtert Hegel in den §§ 25–26 der Grundlinien die verschiedenen Bedeutungen der Termini »Subjektivität« und »Objektivität«. Die vollständige Formulierung der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens in § 28 lautet: »Die Tätigkeit des Willens, den Widerspruch der Subjektivität und Objektivität aufzuheben und seine Zwecke aus jener Bestimmung in diese zu übersetzen und in der Objektivität zugleich bei sich zu bleiben, ist außer der formalen Weise des Bewußtseins (§ 8), worin die Objektivität nur als unmittelbare Wirklichkeit ist, die wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee (§ 21), eine Entwicklung, in welcher der Begriff die zunächst selbst abstrakte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle unabhängig von dem Gegensatze eines bloß subjektiven Zwecks und seiner Realisierung, dasselbe in diesen beiden Formen ist.«

9.2 Der Begriff des freien Willens

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Diese übersetzende Tätigkeit des freien Willens ist eine basale Objektivierungsform des endlichen Geistes in der Expansion und Stabilisierung seiner Seinsweise. Diese Expansion besteht in der Aufhebung der einseitigen Form der Subjektivität: »Der praktische Geist ist das Aufheben der Einseitigkeit. Der Geist, der bis zum Begriff fortgegangen ist, ist frei, die freie Intelligenz, die für sich, frei ist, die in dem Begriff sich selbst hat – und so ist der Geist dann Wille; dieser ist für sich, bei sich selbst, d. h. der Inhalt, die Bestimmtheiten sind von Anfang an die seinigen. Er nimmt ihnen die Einseitigkeit, die seinigen zu sein, und sein Tun ist, seinen Bestimmungen Objektivität zu geben.« (V 13.183) Die Aufhebung der Einseitigkeit der subjektiven, ideellen Bestimmungen besteht in ihrer Realisierung. Diese »Richtung« der Expansion des endlichen Geistes, sein Übergehen ins Dasein ist für die Rechtsordnung charakteristisch. Die Naturordnung ist eine Voraussetzung des Geistes. Geltung und Wirksamkeit der Rechtsverhältnisse sind hingegen durch das Wollen und Wissen der Subjektivität vermittelt. Das Recht ist eine Seinsordnung, die durch unsere Innerlichkeit, durch unser Tun vermittelt ist. Die geistige Welt des Rechts ist eine »zweite Natur« (GPR § 4), die aus dem Innersten fließt, und hat daher eine höhere Autorität als das Sein der Natur, das gegen die Innerlichkeit der Freiheit nur ein Äußerliches ist: »Die Substanz ist in diesem ihrem wirklichen Selbstbewußtsein sich wissend und damit Objekt des Wissens. Für das Subjekt haben die sittliche Substanz, ihre Gesetze und Gewalten einerseits als Gegenstand das Verhältnis, das sie sind, im höchsten Sinne der Selbständigkeit, – eine absolute, unendlich festere Autorität und Macht als das Sein der Natur. […] Die Autorität der sittlichen Gesetze ist unendlich höher, weil die Naturdinge nur auf die ganz äußerliche und vereinzelte Weise die Vernünftigkeit darstellen, und sie unter der Gestalt der Zufälligkeit verbergen.« (GPR § 146) Die Tätigkeit des freien Willens ist die Transformation der subjektiven Bestimmungen in objektive und notwendige Verhältnisse. Diese Transformation ist aber immer schon geschehen. Auf der Stufe der Psychologie ist das Bewusstsein schon zum Standpunkt des Geistes (als unendliche Vernunft) erhoben worden. Die Seite der Erscheinung auf der Stufe der Psychologie ist ein notwendiger »Rest« des Standpunkt des Bewusstseins: »Der objektive Geist ist die absolute Idee, aber nur an sich seiend; indem er damit auf dem Boden der Endlichkeit ist, behält seine wirkliche Vernünftigkeit die Seite äußerlichen Erscheinens an ihr.« (EPW § 483) Sie ist für die Endlichkeit des subjektiven und objektiven Geistes konstitutiv, denn die Endlichkeit ist die Erscheinung des unendlichen Geistes. Auf dem Weg zum objektiven Geist muss die Form des Gefundenseins, die sich als bloßer Schein herausgestellt hat, aufgehoben werden: z. B. zeigt sich die Form der Unmittelbarkeit (das

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praktische Gefühl) als eine Form der Vernünftigkeit. Diese Forderung erklärt sich aus dem spezifischen Begründungsgang der Hegelschen Philosophie. Er besteht in der Entfaltung einer autonomen Struktur. In dieser Entfaltung vollzieht sich eine Rückkehr dieser Struktur zu sich, und in ihr werden die Konkretion und die Grundlage derselben erreicht, z.B der Wille »an und für sich«, der »Wille bei sich« (§ 469). In den §§ 8–9 und 28 der Grundlinien stellt Hegel die übersetzende Tätigkeit des freien Willens als einen Zweck- bzw. Handlungszusammenhang dar. In § 280 erweitert er diese Analyse der übersetzenden Tätigkeit auf Objektivierungen, die sich »ohne die Vermittlung durch einen besonderen Inhalt – (einen Zweck im Handeln)« vollziehen. Er erörtert diese eigentümliche Form der Übersetzung im Bezug auf die Begründung der Monarchie, denn in dieser Rechtsgestalt werden Rechtsbestimmungen unmittelbar mit Naturbestimmungen verbunden: »Es ist übrigens im ganzen derselbe Übergang, welcher als die Natur des Willens überhaupt bekannt und der Prozeß ist, einen Inhalt aus der Subjektivität (als vorgestellten Zweck) in das Dasein zu übersetzen (§ 8). Aber die eigentümliche Form der Idee und des Überganges, der hier betrachtet wird, ist das unmittelbare Umschlagen der reinen Selbstbestimmung des Willens (des einfachen Begriffs selbst) in ein Dieses und natürliches Dasein, ohne die Vermittlung durch einen besonderen Inhalt – (einen Zweck im Handeln).« Die Erweiterung der Tätigkeit des Übersetzens auf ein unmittelbares Umschlagen, in eine Objektivierung des Willens ohne die Vermittlung eines Zwecks, kann sehr leistungsfähig in folgenden Fragen sein: (a) die Verbindlichkeit der Naturbestimmungen in den Rechtsgestalten; (b) die Projektionen des Geistes im Bereich des Rechts; (c) die unmittelbare Berechtigung des menschlichen Körpers als Träger der Person. (a) Die Verbindlichkeit der Naturbestimmungen in den Rechtsgestalten: Die Freiheit ist das Prinzip des Rechts, und die Natur tritt daher in die Sphäre des Rechts im Modus eines Moments. Die Naturbestimmungen können insofern nur durch die Vermittlung der Freiheit einen verbindlichen Charakter erhalten. Für die Verbindlichkeit der Naturbestimmungen kann es verschiedene Gründe geben. Hegel erklärt sie am Beispiel der Monarchie als ein notwendiges Moment in der spekulativen Einheit der Staatsgewalten. Diese rechtliche Dimension der Naturbestimmungen kann auch für Rechtsgestalten gerechtfertigt werden, in denen die Natur ein wesentliches Moment ist (z. B. im Erbrecht), oder für Rechtsgestalten, in denen die Willkür zu tilgen ist (z. B. die Festigkeit der Thronfolge, vgl. § 286). (b) Die Projektionen des Geistes im Bereich des Rechts: Die Objektivierung, die die übersetzende Tätigkeit des Willens immer ist, kann die eigentümliche Form eines Außer-sich-Setzens erhalten: als der sich »jenseits seiner

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selbst versetzende Wille« (§ 279). Diese Berechtigung, die das Bewusstsein in äußerlichen Instanzen vermeintlich vorfindet, ist eine Voraussetzung des freien Willens, eine Entäußerungsgestalt. Durch diese eigentümliche Form der Übersetzung wird die übersetzende Tätigkeit des Willens zugleich »vergessen gemacht«. Die Entscheidungen werden »von außen« empfangen (ebd.). Der Geist setzt eigene Bestimmungen außer sich und bezieht sich auf dieselben als auf vorgefundene Instanzen. Durch diese Logik lassen sich die Projektionen des Geistes im Bereich des Rechts als ein Selbstmissverständnis der Freiheit erklären. (c) Die unmittelbare Berechtigung des menschlichen Körpers als Träger der Person: Da die Freiheit das Prinzip des Rechts ist, ist die Sachenwelt, weil ohne Willen, rechtlos. Die Sachen können nur Träger geistiger Verhältnisse, von Rechtsbestimmungen sein. Dies gilt auch für den menschlichen Körper, der Träger unserer Person ist. Als Träger unserer Person ist jedoch der Körper nicht mehr unter die Sachenwelt zu subsumieren. Der Körper ist eine sinnliche Darstellung, ein Zeichen der Person. Daher ist er – als Dasein der Freiheit – zu respektieren. Diese Auffassungen der Leiblichkeit als Träger oder als sinnliche Darstellung (Zeichen) der Person rekonstruieren die interne Verbindung mit der äußeren Sphäre unserer Person, mit unserer »körperlichen Person«. Diese Auffassungen vermeiden die Irrtümer früherer Auffassungen des Verhältnisses von Subjektivität und »körperlicher Person«, die wirkungsvoll gewesen sind. Hervorzuheben ist die Lockesche Auffassung eines Eigentums an der Person (2. Traktat, 5. Kapitel, 27 und 44). Locke versucht, das ausschließende Dasein (»private right«) des Privateigentums (»private dominion«, »private possession«) durch eine Formationstheorie zu begründen. Die Vermischung der »körperlichen Person« mit der äußeren Gegenständlichkeit durch die Arbeit produziert das Eigentumsrecht. Die Rechtserzeugung ist eigentlich eine Ausweitung der »körperlichen Person« durch die Arbeit. Sie geht nicht über die Sphäre des inneren Mein, der Leiblichkeit, hinaus. Das Urteil des Mein ist in der Formationstheorie – Kantisch formuliert – ein analytisches Urteil. Die Formationstheorie rekonstruiert daher eigentlich nicht die Verbindlichkeit des Eigentumsrechts, sondern ihre Ausweitung durch Arbeit, denn das Eigentumsrecht an der »körperlichen Person« ist die unkritische Voraussetzung dieser Theorie. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht nur inakzeptabel, weil sie die richtige Fragestellung (die Geltung des Eigentumsrechts überhaupt) außer Acht lässt, sondern auch, weil das Ich zu seinem Körper nicht in einem Eigentumsverhältnis steht. Dies zeigt sich deutlich darin, dass die freie Verfügbarkeit, die für das Eigentumsrecht konstitutiv ist, mit dem Körper unmöglich ist.

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens Die übersetzende Tätigkeit des freien Willens ist die Aufhebung der Einseitigkeit der subjektiven Willensbestimmungen durch die Realisierung des Begriffs des freien Willens. Der Wille ist nur »bei sich« als die Einheit des Subjektiven und des Objektiven. Die Tätigkeit des freien Willens ist die Aufhebung des Gegensatzes von Subjektivität und Objektivität. Auf der Stufe der Psychologie existiert dieser Gegensatz, wie schon gesagt, nur als Schein. Der Weg des Willens zum objektiven Geist ist die Aufhebung des vom Geist selbst vorausgesetzten Gegensatzes von Subjektivem und Objektivem. Die übersetzende Tätigkeit des Willens ist (a) die Aufhebung der formellen Subjektivität und (b) die Aufhebung des Scheins einer vorgefundenen Objektivität (vgl. § 28): (a) Die Aufhebung der formellen Subjektivität: Die Tätigkeit der Subjektivität ist auf dieser Stufe noch durch den folgenden Widerspruch gekennzeichnet: Zum einen besteht sie in der Verwirklichung der Freiheit (vgl. § 6). Zum anderen depotenziert sie alle Willensinhalte zur bloßen Möglichkeit (vgl. § 7). Die Erzeugung einer Welt des Rechts ist jedoch nur möglich, indem die Freiheit die Form der Notwendigkeit gewinnt (vgl. EPW § 484). Diese Gestalt der Subjektivität ist als abstrakte Selbstbestimmung noch keine wirklichkeitsgestaltende Instanz. Es ist selbstverständlich, dass ein willenloser Wille eigentlich kein Wille ist. Gleichermaßen ist ein wirkungsloser Wille eigentlich kein Wille, denn der Wille ist der Geist, der in die Wirklichkeit tritt und eine Welt der Freiheit produziert. Das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit kann durch den Freiheitsbegriff des Verstandes nicht rekonstruiert werden. Die Seinsweise des freien Willens (qua Geist) ist die Tätigkeit des »Sichoffenbarens«, denn Möglichkeit und Wirklichkeit, sowie Wesen und Erscheinung, stehen nicht im Gegensatz: »Weil der Geist Freiheit ist, ist er Manifestation. Seine Möglichkeit (δύναμις) ist Wirklichkeit (ἐντελέχεια) und sein Wesen ist die beide identifizierende Bewegung (κίνησις), die niemals aufhören kann.« (Peperzak 1987, 32) Der freie Wille beschließt nicht etwas, sondern er entschließt sich zu einer geistigen Welt: Er ist der »Urkeim alles Daseins« (GPR § 12). Die Wahrheit dieser abstrakten und unwirksamen Reflexion (§§ 5–7) ist der Wille, der sich auf eine vermeintlich vorgefundene Wirklichkeit einlässt, denn diese Gestalt des Willens räumt den vorausgesetzten Inhalten ein eigenes Recht ein und befreit dadurch die Subjektivität von ihrer Abstraktheit und Unwirksamkeit. Diese äußere Reflexion ist die immanente Reflexion einer endlichen Subjektivität und ein konstitutives Moment in der Befreiung der Subjektivität vom Widerspruch einer abstrakten Selbstbestimmung. Die

9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens

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Immanenz dieser vermeintlich vorgefundenen Bestimmungen (Triebe wie Furcht und Ehre) zeigt, dass sie ein internes Moment in der Verwirklichung der Freiheit sind. (b) Die Aufhebung des Scheins einer vorgefundenen Objektivität: Die Objektivität erscheint als ein unmittelbares Sein, auf das sich die Subjektivität äußerlich bezieht. Die Form des bloßen Findens ist jedoch nur ein Schein, denn diese Form lässt sich ohne die setzende Tätigkeit des freien Willens nicht rekonstruieren. Die Form des Vorgegebenseins ist, wie gesagt, ein Produkt der Subjektivität, die ihre setzende Tätigkeit »vergessen« macht. Die erste Setzung der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens ist die Voraussetzung eines unmittelbaren Seins: Das praktische Gefühl ist daher die erste Stufe in der Realisierung des Begriffs des Willens. Da die Stufe der Psychologie sich durch die Einheit des Subjektiven und des Objektiven charakterisiert, ist die Form des bloßen Findens ein notwendiger Schein des subjektiven Geistes aufgrund seiner Endlichkeit. Auf den drei Stufen des subjektiven Geistes (Seele, Bewusstsein, Geist) wird die Unmittelbarkeit immer in verwandelter Form thematisiert. Auf der Stufe der Psychologie ist die Einheit des Subjektiven und des Objektiven schon in der Form der Unmittelbarkeit (Anschauung und praktisches Gefühl) gegenwärtig, denn die Form der Unmittelbarkeit hat sich auf der Stufe der Seele (Empfindung) von der subjektiven Einseitigkeit der Unmittelbarkeit und auf der Stufe der Phänomenologie (sinnliches Bewusstsein) von der objektiven Einseitigkeit der Unmittelbarkeit befreit. Diese unentwickelte Einheit des Subjektiven und des Objektiven des Geistes ist jedoch noch geistlos, denn die Seinsweise des Geistes ist nicht die Form der Unmittelbarkeit, sondern die konkrete Unendlichkeit des Wissens und des Wollens.

9.3.1 Der fühlende Wille Die erste Stufe in der Realisierung des Begriffs des freien Willens ist die unmittelbare Einzelheit des praktischen Gefühls: der Wille als »Herz« (vgl. EPW § 471). Der unmittelbare Wille hat, wie alle Willensformen, die Vernunft als seine Grundlage. Daher findet man auf dieser Stufe die folgenden Kennzeichen der Vernunft: Immanenz und Totalität (ebd.). Aufgrund dieser Unmittelbarkeit sind die Willensbestimmungen mit Partikularität und Zufälligkeit behaftet. Diese erste Willensform ist der Ausgangspunkt der Erhebung des »natürlichen« Willens zur rechtserzeugenden Gestalt des freien Willens, zum objektiven Geist. Auf dieser ersten Stufe tauchen schon die Momente auf, die die Tätigkeit des freien Willens vermitteln und stabilisieren müssen, um ihre

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

rechtsetzende Funktion ausüben zu können: Freiheit und Natur; Allgemeinheit und Besonderheit; Faktizität und Berechtigung; Geltung und Wirksamkeit; die Wahrheit und das Gute. (1) Freiheit und Natur: Wie sich in der Analyse der Seele (bzw. des »Naturgeistes«) auf der Stufe der Anthropologie zeigt, ist der Geist nicht eine Wirklichkeit, die der Natur entgegensteht, sondern eine Vermittlung von Freiheit und Natur zugunsten der Freiheit. Der unmittelbare Wille kann als »natürlich« aus folgenden Gründen bezeichnet werden: (a) Der freie Wille befindet sich noch in einem ungeistigen Zustand, denn die Willensbestimmungen haben die geistlose Form des Gefundenseins. (b) Auf dieser Stufe hat der freie Wille noch nicht eine eigene Wirklichkeit produziert. Da die Welt auf dieser Stufe noch nicht das Produkt der immanenten Explikation und Systematisierung der Freiheit ist, bezieht sich die Tätigkeit des freien Willens hier lediglich auf eine »Sachenwelt«. Die übersetzende Tätigkeit des freien Willens erscheint daher auf dieser Stufe als die Anwendung subjektiver Bestimmungen auf eine vorgegebene Wirklichkeit. Der unmittelbare Wille ist natürlich, da die Subjektivität auf dieser Stufe der Unmittelbarkeit relativ und bedingt ist. Er existiert als ein äußerliches Verhältnis zur Natur: »Der Verstand bleibt bei dem bloßen Ansichsein stehen und nennt so die Freiheit nach diesem Ansichsein ein Vermögen, wie sie denn so in der Tat nur die Möglichkeit ist. Aber er sieht diese Bestimmung als absolute und perennierende an und nimmt ihre Beziehung auf das, was sie will, überhaupt auf ihre Realität, nur für eine Anwendung auf einen gegebenen Stoff an, die nicht zum Wesen der Freiheit selbst gehöre; er hat es auf diese Weise nur mit dem Abstraktum, nicht mit ihrer Idee und Wahrheit zu tun.« (§ 10) Der unmittelbare Wille ist die erste Stufe der Vermittlung von Sinnlichkeit und Vernunft und damit der Aufhebung der Trennung zwischen den Freiheitsbestimmungen und den vorgefundenen Bestimmungen des empirischen Wollens. Die Sinnlichkeit ist eine Form der Vernünftigkeit. Da diese Form für die Darstellung der Vernunftgehalte unangemessen ist, kann sie als eine »Form der Unvernünftigkeit« (§ 11) bezeichnet werden. Die »Modifikationen des formellen praktischen Gefühls« (EPW § 472) produzieren nicht eine immanente »Besonderung« des Allgemeinen, sondern eine Mannigfaltigkeit vorgegebener Bestimmungen, die sich nur aufzählen und beschreiben lässt. Der Inhalt der philosophischen Betrachtung kann nur der Vernunftgehalt eines Gegenstandes sein, der sich durch Allgemeinheit und Notwendigkeit auszeichnet. Das Eigentümliche, das man in dieser subjektiven Form vorzufinden vermeint, ist nur »besondere Subjektivität, das Eitle und die Willkür« (§ 471), die sich gegen die Allgemeinheit des Willens fixiert hat. Durch die Fixierung und Vertiefung der Entgegensetzung der Vernunftgehalte und

9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens

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Gefühle taucht das Böse auf. Das Böse ist begrifflich früher als das Gute, obwohl beide eigentlich Inhalte des objektiven Geistes sind: »Für die eigentümliche Betrachtung der praktischen Gefühle wie der Neigungen blieben nur die selbstsüchtigen, schlechten und bösen; denn nur sie gehören der sich gegen das Allgemeine festhaltenden Einzelheit; ihr Inhalt ist das Gegenteil gegen den der Rechte und Pflichten, eben damit erhalten sie aber nur im Gegensatze gegen diese ihre nähere Bestimmtheit.« (ebd.) Die Widersprüchlichkeit des »natürlichen« Willens und seine notwendige Selbstaufhebung manifestieren sich in zwei Strukturen, die für alle Gestalten des Willens konstitutiv sind, die die wahre Selbstbezüglichkeit des freien Willens (als eines sich selbst wollenden Willens) noch nicht gewonnen haben: (2) das Sollen und (3) der Formalismus. (2) Das Sollen: Bezüglich des »natürlichen« Willens spricht Hegel von einem doppelten Sollen. Die Sollensstruktur manifestiert sich einerseits darin, dass die Geltung der Willensbestimmungen von ihrer Wirksamkeit, von ihrer Verwirklichung getrennt ist. Die Form des Geltens ist die Seinsweise des Rechts, und das Recht ist eine schon verwirklichte Vernunft, so dass eine ursprüngliche Einheit von Geltung und Wirkung für die Sphäre des Rechts konstitutiv ist. Diese Willensformen, die sich durch die Form des Sollens charakterisieren, können nicht die rechtserzeugende Gestalt des freien Willens sein, denn das Recht gilt nur als »Idee« als Einheit von Vernunftbestimmungen und ihrer Verwirklichung. Die Sollensstrukur manifestiert sich andererseits darin, dass der freie Wille schon auf der Stufe der Unmittelbarkeit Rechts- und Wahrheitsansprüche erhebt: (a) Das erste Sollen erklärt sich aus dem noch »naturhaften« Charakter des Wollens. Es besteht in der Inkongruenz zwischen den subjektiven Bestimmungen und den äußeren Objekten. Der freie Wille kann aufgrund eines Selbstmissverständnisses der Freiheit immanente »Rechtsbestimmungen« (Berechtigung, Übel) auf dieser Stufe anwenden, obwohl sie eigentlich einer höheren Sphäre der Freiheit (dem objektiven Geist) angehören. Hegel erörtert das anhand der Frage nach dem Ursprung des Übels. Die Vorstellung, auf der diese Frage beruhe, setze ein Recht an einer falschen Sphäre voraus. Diese Frage setzt eine Berechtigung voraus, die in dieser naturhaften Sphäre noch keine Wirklichkeit hat: »Das Übel ist nichts anderes als die Unangemessenheit des Seins zu dem Sollen. Dieses Sollen hat viele Bedeutungen, und da die zufälligen Zwecke gleichfalls die Form des Sollens haben, unendlich viele. In Ansehung ihrer ist das Übel nur das Recht, das an der Eitelkeit und Nichtigkeit ihrer Einbildung ausgeübt wird. Sie selbst sind schon das Übel.« (§ 472) (b) Hegel rekonstruiert das zweite Sollen durch den Gegensatz zwischen Allgemeinheit und Besonderheit, denn diese erste Form der Selbstbestim-

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mung hat sich als unmittelbare Einzelheit noch nicht zur Allgemeinheit des Denkens erhoben: Der freie Wille ist noch nicht wirklich frei. Hegel behauptet auf dieser Stufe, wie Kant, eine Diskrepanz zwischen der Allgemeinheit der Vernunft und den Bestimmungen des empirischen Wollens. In dieser Diskrepanz ist die Allgemeinheit des freien Willens das berechtigte Moment: »das ›Sollen‹ geht also nicht von einer äußeren Instanz aus, sondern es liegt in der recht verstandenen ›Allgemeinheit des Denkens‹. Sie tritt schon mit berechtigtem normativen Anspruch auf – und diesem Anspruch unterstehen bereits die ›Modificationen des formellen praktischen Gefühls‹« (Jaeschke 2003, 363). (3) Der Formalismus: Der Formalismus des unmittelbaren Willens besteht darin, dass der Willensinhalt »noch nicht der Inhalt und das Werk seiner Freiheit« (GPR § 13) ist. Der freie Wille setzt die vorgefundene Bestimmung als die »seinige und ideelle«. Der Willensinhalt hat daher eine Form der Freiheit, aber er ist keine Freiheitsbestimmung, sondern ein Gefundenes. In diesem Formalismus zeigt sich die Ambivalenz der Tätigkeit des freien Willens: (a) Zum einen ist dieser Formalismus die Möglichkeitsbedingung der Erhebung des Willens zum Denken: Der freie Wille ist an den unmittelbaren Inhalt nicht mit unfreier Notwendigkeit gebunden, sondern seine Tätigkeit depotenziert den gefundenen Willensinhalt zur bloßen Möglichkeit. Diese Erhebung des Willens zum Denken ist möglich, weil die Allgemeinheit des freien Willens in diesem unmittelbaren Willen immanent ist: »Im Willen hat das Allgemeine zugleich wesentlich die Bedeutung des Meinigen, als Einzelheit, und im unmittelbaren d.i. formellen Willen, als der abstrakten, noch nicht mit seiner freien Allgemeinheit erfüllten Einzelheit.« (ebd.) (b) Zum anderen ist das Ziel dieser Erhebung des Willens zum Denken die Aufhebung dieses Formalismus: »Im Willen beginnt daher die eigene Endlichkeit der Intelligenz, und nur dadurch, daß der Wille sich zum Denken wieder erhebt und seinen Zwecken die immanente Allgemeinheit gibt, hebt er den Unterschied der Form des Inhalts auf und macht sich zum objektiven, unendlichen Willen.« (ebd.) Prägnant formuliert: Die Möglichkeitsbedingung dieses Wegs der Befreiung ist der Formalismus, aber diese Entwicklung besteht in einer fortschreitenden Aufhebung des Formalismus. Diese Ambivalenz macht die teleologische Dimension des freien Willens aus: Der formelle Wille ist der Urkeim aller Daseinsformen der Freiheit. Die Produkte dieser formellen Freiheit tilgen sukzessiv den Formalismus. Das Resultat dieser fortschreitenden Aufhebung ist der Umschlag der Form der Freiheit in den eigenen Inhalt des freien Willens, in den immanenten Zweck des freien Willens: der freie Wille, der sich auf seine Freiheit richtet. Die Vollendung der

9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens

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übersetzenden Tätigkeit des freien Willens ist nun eine Rückkehr zu sich, der Wille, der »bei sich« selbst ist. (4) Die Wahrheit: Die erste Realisierung des Begriffs des freien Willens steht im Widerspruch zum Begriff des freien Willens: Die Unmittelbarkeit des praktischen Gefühls ist kein adäquates Dasein des Begriffs des freien Willens. Die Form der Unmittelbarkeit ist nicht die angemessene Seinsweise des Geistes. Die unmittelbare Einzelheit dieser Willensform ist eine unvermittelte und zufällige Vereinigung von Subjektivität und Objektivität. Die Einheit des Subjektiven und des Objektiven wird noch nicht durch die übersetzende Tätigkeit des freien Willens gesetzt. Die Dialektik des freien Willens treibt zu einer angemesseneren Realisierung des Begriffs des Willens.

9.3.2 Der überlegende Wille Die Erhebung des freien Willens zum Denken erfordert ein Heraustreten aus der Unmittelbarkeit: der Wille als Verstand, als Willkür. Dieser Prozess ist das Produkt der Allgemeinheit des Verstandes, denn er hat die ambivalente Wirkung des Verstandes: Er ist ein »Prozess der Zerstreuung« der Bestimmungen (EPW § 478) und zugleich ihre Systematisierung. Da die Willensinhalte noch die Form des Vorhandenseins haben, sind die Willensbestimmungen noch mit Zufälligkeit behaftet. Auf dieser Stufe ist der freie Wille das Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten. Die übersetzende Tätigkeit des freien Willens ist auf dieser Stufe durch die Willkür vermittelt. Diese Stufe ist »der Wille als der Widerspruch« (GPR § 15), denn der Widerspruch einer inadäquaten Realisierung des Begriffs des Willens wird auf dieser Stufe entfaltet. Die Auflösung dieses Widerspruchs produziert die Aufhebung der formellen Subjektivität. (1) Freiheit und Natur: Der freie Wille ist, nach dem Heraustreten aus der Unmittelbarkeit, der Gegensatz zwischen der Freiheit der abstrahierenden Tätigkeit des Allgemeinen und der Abhängigkeit einer Geistigkeit, die sich noch nur auf die Welt als auf ihre Voraussetzung, die vorgefundene Wirklichkeit der Naturordnung, richtet. Der Formalismus des Willens zeigt auf dieser Stufe seinen widersprüchlichen Charakter: Die reine Form der Subjektivität ist unendlich, aber der Inhalt ist endlich. Die vorgefundenen Inhalte sind für die leere Unendlichkeit eine Schranke. Die unendliche Subjektivität ist daher auf dieser Stufe relativ und bedingt. Die Unendlichkeit der Subjektivität ist leer, und der Inhalt muss daher »von außen« kommen. Der freie Wille kann als formelle Subjektivität nicht »bei sich« sein. Dieser Widerspruch des formellen Willens zeigt sich in der Entgegensetzung zwischen der Unentschlos-

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senheit und dem Sich-bestimmt-Finden: »Mit dieser Möglichkeit aber, ebenso über jeden anderen Inhalt, den er an die Stelle setzt, und ins Unendliche fort hinauszugehen, kommt er nicht über die Endlichkeit hinaus, weil jeder solche Inhalt ein von der Form Verschiedenes, hiermit ein Endliches, und das Entgegengesetzte der Bestimmtheit, die Unbestimmtheit, – Unentschlossenheit oder Abstraktion, – nur das andere gleichfalls einseitige Moment ist.« (§ 16). Diese Entgegensetzung ist mit dem Begriff des freien Willens, mit der Selbstbestimmung, unvereinbar: Der Wille qua Selbstbestimmung ist weder willenloser Wille (Unentschlossenheit) noch unfreier Wille (Bestimmtsein). (2) Allgemeinheit und Besonderheit: Die Allgemeinheit des Verstandes ist die Durchgangsphase des Wegs des Willens zum objektiven Geist, die eine Befreiung von der Form der Unmittelbarkeit und dadurch eine Systematisierung des mannigfachen Willensinhalts ermöglicht. Durch das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit geht die Vernünftigkeit des »Herzens« (die Immanenz und Totalität) verloren. Die »Zerstreuung« des praktischen Geistes ist ein konstitutives Moment unserer Geistigkeit: Die Ausbildung einer konkreten Allgemeinheit, eines organischen Zusammenhangs erfordert eine vom Geist selbst produzierte Äußerlichkeit. Das »Beisichsein« des Geistes setzt einen Prozess von Entäußerung voraus. Hegel stellt denselben Mechanismus bezüglich des theoretischen Geistes dar. Er formuliert die paradoxale Wirkungsweise dieses Mechanismus unserer Geistigkeit in einer knappen Formel: »die höchste Erinnerung des Vorstellens ist ihre höchste Entäußerung« (EPW § 463). Die Entäußerung des mechanischen Gedächtnisses ist ein notwendiges Moment in der Systematisierung des theoretischen Geistes, in der Herausbildung eines organischen Zusammenhangs des Denkens: »es ist einer der bisher ganz unbeachteten und in der Tat der schwersten Punkte in der Lehre vom Geiste, in der Systematisierung der Intelligenz die Stellung und Bedeutung des Gedächtnisses zu fassen und dessen organischen Zusammenhang mit dem Denken zu begreifen« (§ 464). Die Tätigkeit des Verstandes hat die positive Bestimmung des Allgemeinen und die negative Bestimmung der Beschränkung. Die verstandesmäßige Willensform ist eine ausschließende und beschließende Einzelheit. Die Totalität des »Herzens« legt sich in einen beschränkten Inhalt (Leidenschaft) und hebt durch diese ausschließende Bewegung ihre unmittelbare Totalität auf. Diese Setzung produziert eine Mannigfaltigkeit vorgefundener Bestimmungen, die sich als besondere gegenseitig beschränken: die Neigungen. Die Dialektik dieser »Zerstreuung« manifestiert sich in der Kollision und Unterordnung der Willensbestimmungen. Die Verabsolutierung einer beschränkten Bestimmung wird durch die anderen Inhalte relativiert. Der freie Wille

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als berechnender Verstand kann weder in der Zerstreuung mannigfaltiger Inhalte noch in der Verabsolutierung eines besonderen Inhalts bleiben: Er produziert eine Systematisierung der Willensbestimmungen. Da diese Systematisierung noch mit der Form der Unmittelbarkeit operiert, produziert der Verstand nicht eine konkrete Allgemeinheit, sondern nur die »vorgestellte, abstrakte Allgemeinheit« der Glückseligkeit (§ 480). (3) Geltung und Wirksamkeit: Auf dieser Stufe des Wegs zum objektiven Geist wird eine stabilere Vereinigung von Geltung und Wirksamkeit erreicht. Dies ist eine Folge einer angemesseneren Vermittlung von Sinnlichkeit und Vernunft. Die ambivalente Einheit von Geltung und Wirksamkeit auf dieser Stufe lässt sich aus der Vermittlung zwischen dem reinen Willen und dem empirischen Wollen erklären: (a) Zum einen ist die Sinnlichkeit nicht mehr nur eine unangemessene Form der Vernünftigkeit, sondern sie ist die »wirksame Subjektivität« (§ 475). Hegel formuliert diesen Gedanken schon bezüglich der ersten Gestalt dieser Stufe: »Es ist nichts Großes ohne Leidenschaft vollbracht worden, noch kann es ohne solche vollbracht werden.« (§ 474) Diese Vermittlung von Allgemeinheit und Sinnlichkeit manifestiert sich deutlicher in der Form, in der der Wille eine erste Gestalt des »Beisichseins« gewinnt: das Interesse. Der Wille ist selbst in der Sache, die er hervorbringt: »Das Subjekt ist die Tätigkeit der Befriedigung der Triebe, der formellen Vernünftigkeit, nämlich der Übersetzung aus der Subjektivität des Inhalts, der insofern Zweck ist, in die Objektivität, in welcher es sich mit sich selbst zusammenschließt. Daß, insofern der Inhalt des Triebes als Sache von dieser seiner Tätigkeit unterschieden wird, die Sache, welche zu Stande gekommen ist, das Moment der subjektiven Einzelheit und deren Tätigkeit enthält, ist das Interesse. Es kommt daher nichts ohne Interesse zu Stande.« (§ 475) Daher spricht Hegel auf dieser Stufe von der Handlung. Sie ist die Ausführung eines Zwecks. Sie ist die Subjektivität als »Idee«, die Vereinigung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten. Das »Beisichsein« des Interesses ist eine Form der Einzelheit, die zur Vollendungsgestalt des Wegs zum objektiven Geist als sich selbst wollender Wille treibt. Die Auffassung der Befriedigung als ein Produkt der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens ist eine Kritik sowohl an der Vorstellung eines Naturglücks, einer Befriedigung der Bedürfnisse ohne die Wirksamkeit der Subjektivität, als auch an dem Kantischen Gedanken einer Kausalität der gesetzgebenden Vernunft, einer Wirksamkeit der Subjektivität ohne Triebe: der »Pflicht um der Pflicht willen« (ebd.). Diese Kritik trifft jedoch den Kantischen Ansatz nur teilweise, denn Kant begründet durch die Achtung vor dem Gesetz sowohl die Reinheit als auch die Wirksamkeit der praktischen Vernunft.

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

(b) Zum anderen bleibt diese »wirksame Subjektivität« eine Sollensstruktur. Unter diese Struktur subsumiert Hegel sowohl die gesetzgebende Tätigkeit der »praktischen Vernunft« als auch den Eudämonismus: »Die Glückseligkeit ist die nur vorgestellte, abstrakte Allgemeinheit des Inhalts, welcher nur sein soll.« (§ 480) Beide Gestalten operieren laut Hegel mit der Entgegensetzung zwischen einer abstrakten Allgemeinheit und einem beschränkten Inhalt. Obwohl diese Gleichsetzung beider Theorien, die noch als zwei wichtige Ansätze für die Begründung der Ethik gelten, fragwürdig ist, ist die folgende Akzentuierung relevant: Die rechtserzeugende Gestalt des freien Willens hat nicht die Form des Sollens, sondern sie ist eine Vereinigung von Geltung und Verwirklichung »in actu«. (4) Das Gute: Auf der Stufe des überlegenden Willens kann eigentlich von Gut und Böse nicht die Rede sein. Der Gebrauch dieser Kategorien kann nur subjektiv und willkürlich sein (vgl. GPR § 18). Neben dieser Willkür im Gebrauch der Kategorien besteht die folgende Notwendigkeit: Diese Kategorien tauchen notwendigerweise auf und werden zugleich relativiert. Diese Notwendigkeit ist der Dialektik der Triebe immanent: »Aber von den Neigungen wird unmittelbar die Frage gemacht, welche gut und böse, ingleichen bis zu welchem Grade die guten gut bleiben, und, da sie sich doch in Einem Subjekte befinden und sich nach der Erfahrung nicht wohl alle befriedigen lassen, gegeneinander wenigstens einschränken müssen.« (EPW § 474) Eine Willensbestimmung, die als gut beurteilt wird, wird durch andere Bestimmungen relativiert oder schlägt in ihr Gegenteil um. Die Willensbestimmungen wirken gegeneinander. Da diese Bestimmungen kein immanentes Maß haben, kann die Wirkung einer guten Willensbestimmung (z. B. Ehre, Mut) ins Böse (z. B. Eitelkeit, Verbrechen) umschlagen. Da alle diese Bestimmungen sich in einem Subjekt befinden, taucht schon hier die Frage nach der Einheit der Tugend, nach der allgemeinen Tugend, auf. Sie lässt sich jedoch nur auf der Stufe der Sittlichkeit beantworten: Die allgemeine Tugend ist die Rechtschaffenheit (vgl. GPR § 150). (5) Faktizität und Berechtigung: Die Dialektik der Triebe manifestiert sich auch im theoretischen Geist. Eine Betrachtungsweise, die mit der Denkform der äußeren Reflexion operiert, behandelt eine Mannigfaltigkeit von vermeintlich vorgefundenen Inhalten. Diese Mannigfaltigkeit kann nicht der wahre Inhalt einer Wissenschaft sein, denn das Prinzip einer Wissenschaft ist das Denken, die Tätigkeit des Allgemeinen. Sie lässt sich nur aufzählen und beschreiben, aber nicht durch eine interne Logik rekonstruieren. Die Affektenlehren thematisieren eine Vernunft in der Form der Unmittelbarkeit, in der die Bestimmungen noch mit Subjektivismus und Zufälligkeit behaftet bleiben. Allgemeinheit und Notwendigkeit sind dagegen die Kennzeichen

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der Vernunft und damit der Wissenschaft. Die äußere Reflexion ist die immanente Reflexion des endlichen, formellen Willens. Sie selbst geht daher über die Form der Unmittelbarkeit hinaus und produziert eine Systematisierung der Vernunftgehalte, die in der Form der Unmittelbarkeit unangemessen dargestellt werden. Durch diese Systematisierung fallen die Kennzeichen der Form der Unmittelbarkeit, Partikularität und Zufälligkeit weg. Die immanente Reflexion produziert diese Systematisierung durch die Objektivierung notwendiger und allgemeiner Verhältnisse, die Rechtsverhältnisse. Die Tätigkeit des freien Willens übersetzt die Inhalte, die in der Form des Vorgefundenseins erscheinen, in die Form des Geltens. Die basale Tätigkeit des freien Willens hat ihr Korrelat in der Form der Wissenschaft: Die vorgefundenen Inhalte lassen sich ohne die geltenden Inhalte des Rechts nicht thematisieren. Diese Transformation der Form der Vernunftgehalte – der Form der Vorgegebenheit in die Form des Geltens – hat ihr Korrelat in der Transformation der Wissenschaftsform der Affekten- in Pflichtenlehren. Die Willensform, die diese Transformation vollzieht, gehört zu einer höheren Freiheitsstufe, aber ihre dialektische Notwendigkeit manifestiert sich schon auf dieser Stufe. Da der Inhalt des Rechts eine schon verwirklichte Vernunft ist, charakterisiert sich die Sphäre des Rechts durch die Faktizität. Die wissenschaftliche Behandlung dieser Faktizität ist aus Hegels Sicht nicht in der Form der Darstellung von äußeren Fakten zu leisten, sondern in der Form einer begrifflichen Rekonstruktion von Daseinsformen der Freiheit, die als solche »Selbstzweck«, d. h. in sich berechtigt sind. Die Rekonstruktion dieser Faktizität ist daher anhand der Frage der Gerechtigkeit auszuführen. Die Seinsweise des Rechts ist eine Vereinigung von Faktizität und Berechtigung: »Es ist aber die immanente Reflexion des Geistes selbst über ihre Besonderheit wie über ihre natürliche Unmittelbarkeit hinauszugehen und ihrem Inhalte Vernünftigkeit und Objektivität zu geben, worin sie als notwendige Verhältnisse, Rechte und Pflichte sind. Diese Objektivierung ist es denn, welche ihren Gehalt, sowie ihr Verhältnis zueinander, überhaupt ihre Wahrheit aufzeigt; wie Plato, was die Gerechtigkeit an und für sich sei, mit wahrhaftem Sinne, auch insofern er unter dem Rechte des Geistes seine ganze Natur befaßte, nur in der objektiven Gestalt der Gerechtigkeit, nämlich der Konstruktion des Staates, als des sittlichen Lebens, darstellen zu können zeigte.« (EPW § 474) Der Hinweis auf die Frage der Gerechtigkeit zeigt bereits auf dieser Stufe das kritische Potential des Prinzips des freien Willens, denn das neue Rechtsdenken thematisiert die Sphäre des Rechts durch eine normative Logik. (6) Die Wahrheit: Die Vollendungsgestalt dieser Stufe ist die Glückseligkeit, denn sie versucht, die Freiheit (als Willkür) und die Abhängigkeit von den Trieben in eine Einheit zu bringen. Eine Gestalt des Geistes, die sich durch

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

ihre Begriffslosigkeit als eine »nur vorgestellte, abstrakte Allgemeinheit« (§ 480) charakterisiert, kann nicht die adäquate Realisierung des Begriffs des freien Willens sein. Dieser Widerspruch zwischen Begriff und Realität treibt zur Herausbildung einer »reinen und konkreten« Subjektivität (vgl. § 480). Diese Gestalt der Subjektivität ist der Wille, der seine unendliche Bestimmtheit (seine Form) als Zweck setzt: »der freie Wille, der den freien Willen will« (GPR § 27).

9.3.3 Der sich selbst wollende Wille Der freie Wille, der sich auf seine Freiheit richtet, ist »die sich selbst bestimmende Allgemeinheit« (§ 21). Der freie Wille ist als eine Tätigkeit des Allgemeinen nichts anderes als Denken. Der freie Wille ist nicht mehr die Unmittelbarkeit des »Herzens« und auch nicht die Reflexion des Verstandes, sondern Vernunft: »Das Selbstbewußtsein, das seinen Gegenstand, Inhalt und Zweck bis zu dieser Allgemeinheit reinigt und erhebt, tut dies als das im Willen sich durchsetzende Denken.« (ebd.) Der sich selbst wollende Wille ist eine besondere Weise des Denkens, die theoretische und praktische Leistungen der Subjektivität in sich vereinigt: Zum einen ist der Begriff des freien Willens aus der Selbstbestimmung des theoretischen Geistes abgeleitet worden. Zum anderen produziert der freie Wille, der zu einem Wissen von sich gekommen ist, eine Rechtsordnung. Die Vertiefung dieses »Sichwissens« hat eine Umgestaltung der Rechtsordnung zur Folge. Der sich selbst wollende Wille ist die spezifische Gestalt des freien Willens, die der Rechtserzeugung fähig ist. Diese Willensform ist die Vollendungsgestalt des Wegs des Willens zum objektiven Geist und wird daher in der Philosophie des objektiven Geistes als »gegeben« angenommen. In der Thematisierung dieser Gestalt des freien Willens müssen die folgenden Punkte erörtert werden: (I) Die Vernunft ist die Grundlage aller Willensformen; (II) der freie Wille ist nur als eine vermittelnde und stabilisierende Instanz das Prinzip des Rechts.

(I) Die Vernunft ist die Grundlage aller Willensformen In allen Willensformen, die den Weg zum objektiven Geist ausmachen, liegen sichere Kennzeichnen der Vernunft vor: (a) Man findet Spuren der Vernunft auf der Stufe, auf der die Vernunftgehalte in der »Form der Unvernünftigkeit« (§ 11) dargestellt werden. Immanenz und Totalität sind die Kennzeichnen der Vernunft auf der Stufe des praktischen Gefühls (vgl. EPW § 471). (b) Der

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Wille als Verstand ist die Stufe, auf der der Geist sich als das Andere seiner selbst, als Äußerlichkeit, darstellt: Die notwendige Entäußerung des Willens als Verstand (der »Prozess der Zerstreuung«) ist die immanente Verinnerlichung des Willens als Vernunft (der sich auf sich selbst beziehende freie Wille). Diese Verinnerlichung vollzieht sich auf dem Weg zum objektiven Geist durch eine Systematisierung der Willensbestimmungen und durch die Aufhebung des Formalismus. Die Dialektik von Zerstreuung und Systematisierung ist das Kennzeichen der Vernunft auf der Stufe der willkürlichen Triebbefriedigung. Neben diesen Kennzeichen der Vernunft (Immanenz, Systematisierung) findet man in dieser Gestalt des Willens Bestimmungen, die den Vernunftcharakter des Willens in Frage stellen: Partikularität und Zufälligkeit. Auf der Stufe des sich selbst wollenden freien Willens kann eigentlich von Totalität und Notwendigkeit noch nicht die Rede sein, denn die Willensform, die sich durch die Aufhebung des Formalismus konstituiert hat, charakterisiert sich durch einen Formalismus anderer Art, den »Formalismus des Rechts«: ein Formalismus, der »aus dem Unterschiede der Entwickelung des Freiheitsbegriffes« entsteht (GPR § 30). Der sich selbst wollende freie Wille ist jedoch das immanente Prinzip, aus dem eine Totalität, wie sie Montesquieu verstanden hat (vgl. § 3), fließt. Diese Gestalt der Subjektivität (der Wille als reines und konkretes Subjekt, vgl. EPW § 480) konstituiert eine Objektivität, in der alle Kennzeichen der Vernunft, die in der Analyse der Willensformen des subjektiven Geistes dargestellt worden sind, in verwandelter Form auftauchen: als Immanenz, Totalität und Systematizität. Die objektivierende Tätigkeit des freien Willens ist »eine Entwicklung, in welcher der Inhalt der Selbstbestimmung die Zufälligkeit oder Willkür verliert« (§ 474). Die objektivierende Tätigkeit dieser Gestalt des freien Willens produziert daher ein System allgemeiner und notwendiger Verhältnisse, die Sittlichkeit als ein System von Rechten und Pflichten. Diese Objektivierung der übersetzenden Tätigkeit des freien Willens ist immer schon geschehen, und sie macht nur die »Seite des äußerlichen Erscheinens« (§ 483) aus. Die Vernunft ist die alleinige Grundlage des freien Willens, denn die objektivierende Tätigkeit des freien Willens produziert alle Kennzeichen der Vernunft (Immanenz, Totalität, Systematizität, Allgemeinheit und Notwendigkeit) und tilgt stufenweise die Kennzeichen der Unvernünftigkeit (Partikularität und Zufälligkeit).

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

(II) Der freie Wille ist nur als eine vermittelnde und stabilisierende Instanz das Prinzip des Rechts Der sich selbst wollende freie Wille ist die rechtserzeugende Gestalt der Subjektivität, weil sie die auf den vorherigen Stufen thematisierten Momente adäquat vermittelt und stabilisiert. Auf dieser Stufe werden die Freiheits- bzw. Rechtsbestimmungen nicht mehr dialektisch relativiert. Die Entwicklung dieser Gestalt der Subjektivität produziert Rechtsgestalten und zugleich die Möglichkeitsbedingungen ihrer Stabilisierung. Der sich selbst wollende Wille ist die Vollendungsgestalt des Wegs des Willens zum objektiven Geist, denn sie ist der Umschlagpunkt, an dem sich die Widersprüche dieses Wegs auflösen, z. B.: (a) die Aufhebung des Formalismus: die unendliche Form der Freiheit in den wesentlichen Willensinhalt umgeschlagen; (b) die Aufhebung des Sollens: die Sollensstruktur ist in den »wirklichen freien Willen« umgeschlagen. (1) Freiheit und Natur: Auf dieser Stufe vollzieht sich ein neuer Schritt in der Vermittlung von Natur und Freiheit, in dem sich der Primat des Geistes manifestiert. Dieser Schritt besteht in der Aufhebung des Formalismus: Der Wille setzt seine Bestimmtheit (die Freiheit) als Zweck. Durch die Aufhebung des Formalismus fällt die Abhängigkeit von der Natur weg. Der Widerspruch zwischen formeller Freiheit und Abhängigkeit von der Natur löst sich auf dieser Stufe zugunsten des geistigen Seins auf. Die Willensformen, die den Weg zum objektiven Geist ausmachen, sind ein sukzessives Tilgen des »natürlichen« bzw. ungeistigen Zustands des Geistes. Der sich selbst wollende Wille ist nur deshalb die Gestalt des Willens, die diese vermittelnde Funktion ausführen kann, weil er die Vereinigung und das Zusammenwirken der theoretischen und praktischen Tätigkeiten des Geistes ist. Durch seine theoretische Tätigkeit tilgt der Geist sukzessiv seine Abhängigkeit von der Anschauung und dem Bild: »Es ist in Namen, daß wir denken.« (§ 462) Durch seine praktische Tätigkeit befreit sich der Geist stufenweise vom Gefühl und von der Willkür. Als die Übersetzung des Gefundenen in ein Gewußtes produziert die Tätigkeit des theoretischen Geistes nur die ideelle Äußerung des gesprochenen Zeichens. Die komplementäre »Richtung« des praktischen Geistes, die in der Übersetzung der ideellen Bestimmungen ins Dasein besteht, vollzieht sich durch die Aufhebung der einseitigen Form der Subjektivität. Diese einseitige Form ist ungeistig, denn eine solche Subjektivität ist relativ, bedingt. Die Befreiung der Willensbestimmungen von der einseitigen Form der Subjektivität besteht in nichts anderem als in ihrer Realisierung, in ihrer Objektivierung. Beide Weisen der Tätigkeit stellen komplementäre Richtungen in der Expansion und Erhaltung des Geistes

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dar. Ihr Zusammenwirken ist der Geist als das Prinzip einer Welt der Freiheit. (2) Allgemeinheit und Besonderheit: In § 6 der Grundlinien zeigt sich, dass die Allgemeinheit als Abstraktion von aller Bestimmtheit »selbst nicht ohne die Bestimmtheit« ist. Die Besonderheit ist der Allgemeinheit immanent. Bereits in diesem Paragraphen kritisiert Hegel, wie oben gesagt wurde, die »verstandesmäßige« Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen Allgemeinheit und Besonderheit: Die Allgemeinheit des Ich sei das Unbegrenzte und die Besonderheit sei eine Beschränkung. Durch die Aufhebung des Formalismus vollzieht sich ein weiterer Schritt in der Begründung der immanenten Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit: Die abstrakte und unendliche Form der Freiheit wird zur wesentlichen Willensbestimmung, zum übergreifenden Zweck des Willens erhoben. Das rechtserzeugende Subjekt ist die »sich selbst bestimmende Allgemeinheit«: »Die Wahrheit aber dieser formellen, für sich unbestimmten und ihre Bestimmtheit an jenem Stoffe vorfindenden Allgemeinheit, ist die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, der Wille, die Freiheit. Indem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern ebenso der für sich freie Wille – die wahrhafte Idee.« (§ 21) Aufgrund der immanenten »Besonderung« des Allgemeinen ist die Tätigkeit des Willens nicht nur die Ausführung beschränkter Inhalte. Der freie Wille ist das Zusammenwirken beider Zweckzusammenhänge, der endlichen Zwecke und der übergreifenden Zwecke des sich selbst wollenden Willens. Der sich selbst wollende freie Wille ist zugleich reine und konkrete Subjektivität: »Die Willkür ist auf diese Weise der Wille nur als die reine Subjektivität, welche dadurch rein und konkret zugleich ist, daß sie zu ihrem Inhalt und Zweck nur jene unendliche Bestimmtheit, die Freiheit selbst, hat.« (EPW § 480) Anhand dieser Auffassung der immanenten Vereinigung von Allgemeinheit kritisiert Hegel, wie oben gezeigt, die Kantische Definition des Rechts, die ihm zufolge auf dem folgenden Gegensatz beruht: der Trennung zwischen der positiven Bestimmung der Allgemeinheit (dem Vernunftgesetz) und der negativen Bestimmung der Besonderheit (der Beschränkung) (vgl. GPR § 29). Die immanente Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit ist für den Hegelschen Begriff des Geistes konstitutiv. Der sich selbst wollende Wille ist der Wille, der »bei sich« selbst ist. Die sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit des freien Willens kehrt in sich zurück: Der Wille bleibt »in der Objektivität zugleich bei sich« (§ 28). (3) Geltung und Wirksamkeit: Die Glückseligkeit ist eine Vorstellung, »welche nur sein soll« (EPW § 480). Durch die Aufhebung des Formalismus fällt zugleich die Sollensstruktur der Subjektivität weg: »Der wirkliche freie Wille

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ist die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes; freier Wille, der für sich als freier Wille ist, indem der Formalismus, Zufälligkeit und Beschränktheit des bisherigen praktischen Inhalts sich aufgehoben hat.« (§ 481) Der sich selbst wollende freie Wille überwindet als »wirklicher freier Wille« die Trennung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten, die für das Sollen charakteristisch ist. Darin zeigt sich, dass der sich selbst wollende Wille die rechtserzeugende Willensgestalt ist: Die Geltung der Rechtsbestimmungen kann nicht von ihrer Ausübung, von ihrer Verwirklichung getrennt werden. Das Recht ist ein Wirkliches und Geltendes. Der Inhalt der Rechtsphilosophie ist die »Idee« des Rechts. Im Gebrauch dieses Terminus zeigt sich, wie Hegel diese ursprüngliche Vereinigung von Geltung und Wirkung begrifflich rekonstruiert. Diese Vereinigung hat die Form eines wirklichen Selbstverhältnisses, eines »Wirklich-Unendlichen«: »Er [sc. der an und für sich seiende Wille] ist ferner nicht bloße Möglichkeit, Anlage, Vermögen (potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infinitum-actu), weil das Dasein des Begriffs, oder seine gegenständliche Äußerlichkeit das Innerliche selbst ist.« (GPR § 22) (4) Die Wahrheit und das Gute: Der Leitfaden des Wegs des Willens zum objektiven Geist ist der Widerspruch zwischen dem Begriff des Willens und der formellen Existenz des Einzelwillens. Der sich selbst wollende freie Wille produziert Daseinsformen der Freiheit. Die Identität zwischen der subjektiven und der gegenständlichen Seite ist die vom formellen Willen angestrebte Entsprechung zwischen Begriff und Gegenstand. In dieser Entsprechung lässt sich erkennen, dass der sich selbst wollende Wille die wahre Gestalt bzw. die Vollendungsgestalt dieses Wegs ist: »Er [sc. der sich selbst wollende Wille] ist wahr oder vielmehr die Wahrheit selbst, weil sein Bestimmen darin besteht, in seinem Dasein, d.i. als Gegenüberstehendes zu sein, was sein Begriff ist, oder der reine Begriff die Anschauung seiner selbst zu seinem Zwecke und Realität hat.« (§ 23) Der wahrhafte Wille kann, im Gegensatz zum formellen Willen, weder als böser noch als guter Wille beurteilt werden (vgl. § 18): Zum einen hat der wahre Wille den Gegensatz der Natürlichkeit gegen die Innerlichkeit des Willens (ein formelles und relatives Fürsichsein) hinter sich gelassen und kann daher nicht mehr als böser Wille beurteilt werden (vgl. § 139). Zum anderen charakterisiert er sich als noch abstrakte Gestalt durch einen neuen Formalismus, den Formalismus des Rechts als einen Aufbau von Stufen: »Als abstrakte Idee ist sie wieder nur im unmittelbaren Willen existierend, ist die Seite des Daseins der Vernunft, der einzelne als Wissen jener seiner Bestimmung, die seinen Inhalt und Zweck ausmacht und deren nur formelle Tätigkeit er ist.« (EPW § 482) Aufgrund dieses Formalismus kann der wahre Wille auch nicht als guter Wille beurteilt werden. Die Produktion des Guten erfordert die Erhebung des Willens zu einem höheren Boden der

9.3 Die Realisierung des Begriffs des freien Willens

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Freiheit: der Moralität. Das Gute ist, wie das Schöne im Bereich der Kunst, nicht der vorgegebene Gegenstand der Rechtsphilosophie, sondern eine hohe Stufe in der Rekonstruktion der »Rechtsidee«. (5) Faktizität und Berechtigung: Die Aufhebung des Formalismus, der Umschlag der Form in einen Willensinhalt, in den übergreifenden Zweck des Willens enthält noch eine zentrale Dimension: den unmittelbaren Umschlag einer Gegebenheit, eines Datums – »una voluntas a natura data« (OL 2.217), ein »Factum der Vernunft« (AA 5.31) – in die alleinige Quelle aller Verbindlichkeiten und damit in eine in sich berechtigte Wirklichkeit. Die Freiheit ist insofern das einzige angeblich »angeborene Recht« (AA VI.237). Aus dieser Perspektive lässt sich der Unterschied zwischen Natur und Geist erneut definieren. Die Natur ist keine rechtserzeugende Instanz, denn sie ist aus der Perspektive des praktischen Geistes eine »Sachenwelt« und daher ein »Willenloses ohne Recht« (EPW § 488): »das Recht kommt nur aus dem Geist, denn die Natur hat keine Rechte« (Ig 3.94) Umgekehrt gilt auch, dass die Rechtserzeugung durch die Tätigkeit des freien Willens nur deshalb möglich ist, weil der freie Wille eine immer schon berechtigte Instanz ist. Diese Berechtigung ist nicht von bestimmten Willensakten abhängig, sondern sie ist das absolute Recht der Freiheit: »Der Wille ist frei nur, insofern er nichts Anderes, Äußerliches, Fremdes will, denn da wäre er abhängig, sondern nur sich selbst – den Willen will. Der absolute Wille ist dies, frei sein zu wollen. Der sich wollende Wille ist der Grund alles Rechts und aller Verpflichtung und damit aller Rechtsgesetze, Pflichtengebote und auferlegten Verbindlichkeiten. Die Freiheit des Willens selbst, als solche, ist Prinzip und substantielle Grundlage alles Rechts, ist selbst absolutes, an und für sich ewiges Recht und das höchste, insofern andere, besondere Rechte daneben gestellt werden; sie ist sogar das, wodurch der Mensch Mensch wird, also das Grundprinzip des Geistes.« (W 12.524) Diese zwar unvermittelte Einheit von Faktizität und Berechtigung, die das absolute Recht des freien Willens ist, zeigt jedoch die Vermittlungsfunktion des freien Willens: Das »Beisichsein« des freien Willens ist ein mit der Natur vermitteltes Selbstverhältnis. Die Freiheit ist die einzige Gegebenheit, die zugleich die Form des Geltens hat. Der freie Wille ist ein vorgegebenes und berechtigtes Sein. Der sich selbst wollende Wille kann seine rechtserzeugende Funktion nur ausüben, weil er der Umschlagspunkt dieser unterschiedlichen Seinsweisen (der Form des Vorhandenseins und der Form des Geltens) ist. Dieses ursprüngliche Zusammenfallen von Faktizität und Berechtigung lässt sich anhand des Personbegriffs veranschaulichen. Die Person ist die erste Realisierung des sich selbst wollenden Willens. Als die unmittelbare

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9. Der Weg des Willens zum objektiven Geist

Verkörperung des sich selbst wollenden Willens ist sie eine berechtigte Instanz, ein Zweck für sich selbst. Hegel charakterisiert die Rechtsperson durch die Rechtsfähigkeit und durch das folgende Rechtsgebot: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen« (GPR § 36). Diese Berechtigung gilt auch für das Eigentum als Komplement der Freiheit der Person. Das Eigentum ist kein Rechtsinstitut, welches auf Nützlichkeitsverhältnissen beruht. Das Eigentum ist auch Selbstzweck: »Eigentum zu haben, erscheint in Rücksicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, daß vom Standpunkte der Freiheit aus das Eigentum als das erste Dasein derselben, wesentlicher Zweck für sich ist.« (§ 45) Die Person als Sein, dessen Substanz das Denken ist, gehört zu einer geistigen Seinsordnung. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zu einem »Reich des Geistes« ist die Person Träger von Rechten und Pflichten bzw. Subjekt und Objekt von Recht. Hegel vermeidet die Rede von Menschenrechten. Er verwendet stattdessen verschiedene Redewendungen wie »Zweck für sich«. Dies lässt sich nicht nur aus dem politischen Missbrauch der Rede von den Menschenrechten erklären. Es gibt tiefe begriffliche Gründe, die schon vorher Kant dargestellt hat: Es gibt nur ein einziges (angeblich) »angeborenes Recht«, die Freiheit (AA VI.237), und die Mannigfaltigkeit der Menschenrechte (die Sphäre der relativen Rechte) ist das Produkt der immanenten Explikation und Verwirklichung dieses angeborenen Rechts. Hegel verbindet diesen Kantischen Gedanken mit seiner Auffassung der Wirklichkeitsform des Willens als objektiver Geist: Diese Mannigfaltigkeit von Rechten gilt nur in der Totalität der sittlichen Welt. Daher lassen sich die subjektiven Rechte von dieser Totalität, von dem »Recht der Objektivität« nicht loslösen. Die subjektiven Rechte sind nur deshalb gültig und wirksam, weil die Individuen an eine sittliche Totalität gebunden sind. Auf diese Weise vermittelt Hegel die Mannigfaltigkeit subjektiver, besonderer Rechte mit dem Recht der Objektivität, der allgemeinen Rechtsordnung: Der Staat ist Selbstzweck. Diese Vereinigung subjektiver und objektiver Rechte enthält zwei wichtige Aspekte: (a) Der erste Aspekt lässt sich aus der Hobbesschen Formulierung des Naturzustandes und aus der Kantischen Transformation dieses Gedankens ableiten: Der Naturzustand ist der Zustand der Rechtlosigkeit (Hobbes), und gerade aus diesem Grund ist er vielmehr der Zustand des Unrechts. Die Pflicht »exeundum esse«, die Nötigung zur Produktion eines Rechtszustandes, ist ein kategorischer Imperativ (Kant). Mitglied eines Staates zu sein, ist daher die höchste Pflicht (vgl. § 258). (b) Die subjektiven Rechte, die gegen das Recht der Objektivität, gegen die Totalität der sittlichen Welt fixiert werden, schlagen ins Unrecht, ins Böse um.

10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

Der Gegenstand dieses Kapitels ist der Versuch einer Explikation der folgenden These: Die Rechtsgeschichte ist eine Geschichte der Freiheit. Die erste Bedingung der Formulierung dieser These ist die Einführung des Prinzips der Freiheit als des besten Kandidaten für eine begriffliche Rekonstruktion aller Rechtsgestalten. Die erste Bedingung dieser These ist daher die Herausbildung des neuen Rechtsdenkens, welches den freien Willen als die alleinige Quelle aller Rechtsverhältnisse betrachtet. Die Form des Geltens, die für die Seinsweise des Rechts konstitutiv ist, ist das Produkt der Tätigkeit des freien Willens. Der Zweck der Tätigkeit des freien Willens ist die Produktion einer Welt der Freiheit, einer nicht-natürlichen Sphäre. Der freie Wille kann diesen Zweck ausführen, weil er die sich ins Dasein übersetzende Tätigkeit unserer Geistigkeit ist. Der Gehalt dieses neuen Rechtsdenkens kann somit auf folgende Weise formuliert werden: Das Recht ist das Dasein des freien Willens. Dieses Rechtsdenken thematisiert daher nicht nur Vernunftgesetze und Vernunftbestimmungen, die durch eine »recta ratio« erkennbar wären, sondern zugleich ihre Wirklichkeitsmomente. Die Geltung der Freiheitsbestimmungen kann nicht von ihrer Verwirklichung unabhängig gemacht werden. Die Verbindlichkeit des Rechts erfordert deshalb das Zusammenwirken beider Seiten der »Rechtsidee«, der Bestimmungen des Rechtsbegriffs und des Daseins der Rechtsgestalten. Der freie Wille ist die alleinige Quelle des Rechts nur deshalb, weil er die einzige Instanz ist, die beide Seiten der »Rechtsidee« vereinigen und stabilisieren kann. Diese basale Einheit von Begriff und Verwirklichung, die für die »Rechtsidee« konstitutiv ist, ist der Keim der Einheit von Vernunft und Geschichte im Bereich des Rechts. Die Trennung zwischen einer rein geschichtlichen Betrachtung des Rechts (einer begriffslosen Rechtsgeschichte) und einer rein begrifflichen Betrachtung des Rechts (einer statischen, geschichtslosen Rechtsphilosophie) ist eine leere Abstraktion. Der Terminus »Rechtsentwicklung« bezeichnet sowohl einen geschichtlichen Prozess als auch eine logische Entfaltung des Rechtsbegriffs. Die philosophische Rechtsgeschichte thematisiert die Entfaltung eines Vernunftgehalts. Die Einführung des Prinzips der Freiheit ist keine hinreichende Bedingung für die Erhebung der Freiheit zum alleinigen Prinzip aller Rechtsentwicklungen. Dies erfordert außerdem eine bestimmte Gestaltung des Prinzips der Freiheit. Die notwendigen Voraussetzungen für diese spezifische Gestaltung des Prinzips der Freiheit sind nicht unmittelbar mit der Einführung dieses Prinzips gegeben. Die Einführung des Prinzips des freien Willens und das

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10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

Ringen um eine adäquate Durchführung dieses Prinzips konstituieren einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang. Eine konsequente Durchführung dieses Prinzips erfordert die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik der Explikation und Verwirklichung der Freiheit. Nur eine Durchführung, die diese Bedingung erfüllt, kann als die Vollendungsgestalt dieses neuen Rechtsdenkens gelten. Die Aufstellung dieser These von der Auffassung der Rechtsgeschichte als einer Entfaltungsform der Freiheit erfordert die folgende Gestaltung des Prinzips der Freiheit: Die Geschichte muss als Seinsweise der Freiheit begriffen werden. Die Geschichte ist die Explikationsform aller Gestalten des Geistes: »der Weltgeist ist der Geist überhaupt, der die Substanz der Geschichte, der Eine Geist, dessen Natur Eine und immer dieselbe, und in dem Weltdaseyn diese seine Eine Natur explicirt« (GW 18.142). Die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit ist eine Leistung der Geistesphilosophie. Die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Geistes hat eine allgemeine Auswirkung auf alle Partialgeschichten des Geistes: Das Recht ist eine Gestalt des Geistes und der Geist ist geschichtlich. Daher ist zu fragen, wie das Recht mit seiner Geschichte zusammenhängt. Die Notwendigkeit der Einbeziehung der Geschichte in die Wissenschaft kann als eine allgemeine »Gesetzmäßigkeit« der Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften betrachtet werden. Der erste Schritt in der begrifflichen Rekonstruktion einer Wirklichkeit ist die wissenschaftliche Entdeckung des Prinzips dieser Wirklichkeit. Die systematische Fundierung der neuen Wissenschaft erfordert die geschichtliche Ausgestaltung dieses Prinzips. Nur in einer reifen Gestalt der Wissenschaft gewinnt man das notwendige Begriffsinstrumentarium für die Einbeziehung der Geschichte. Diese »Gesetzmäßigkeit« kann anhand der philosophischen Wissenschaft des Rechts in der Neuzeit veranschaulicht werden: Der erste Schritt ist die Entdeckung des Prinzips dieser Wirklichkeit: Das Recht ist Dasein des freien Willens. Alle Rechtsgestalten sind Daseinsformen des freien Willens. Nur in einer reifen Gestalt dieser philosophischen Wissenschaft kann der freie Wille als das Prinzip der Rechtsentwicklungen begriffen werden. Marx formuliert diese »Gesetzmässigkeit« in Bezug auf die neuzeitliche Wissenschaft der Nationalökonomie. Zunächst wird das Prinzip der Wirtschaft, die Arbeitszeit, entdeckt. Nur in einer reifen Gestalt der neuen Wissenschaft lässt sich eine geschichtliche Gestaltung dieses Gehalts gewinnen: »Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, als auch ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen Entwicklung entgegensetzten Weg ein. Es beginnt post festum und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses. Die Formen, welche Arbeitsprodukte zu Waren stem-

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peln und daher der Warenzirkulation vorausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich Rechenschaft zu geben suchen nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt.« (MEW 23.89 f.) Hobbes ist, wie oben gesagt wurde, der erste Philosoph, der das neue Rechtsdenken mit Radikalität formuliert. Die Hobbessche Theorie operiert mit einem neuen Vernunftbegriff, die für eine konsequente Durchführung dieses Rechtsdenkens notwendig ist. Dieser Vernunftbegriff lässt sich auf folgende Weise formulieren: Gültigkeit und Wirksamkeit der Vernunftbestimmungen erfordern die Produktion angemessener Verhältnisse. Angemessene Verhältnisse sind im Wesentlichen die staatlichen Gesetze, die Hobbes als »artificial chains« (EW 3.198) bezeichnet. Gültigkeit und Wirksamkeit sind untrennbare Momente aller Rechtsgestalten. Ohne diese Vereinigung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten kann von Recht nicht die Rede sein. Neben der Formulierung dieses neuen Vernunftbegriffs im Bereich des Rechts findet man bei Hobbes eine ständige Auseinandersetzung mit der Geschichte, insbesondere mit der Geschichte der Bürgerkriege und der konfessionellen Spaltungen: Er schreibt eine Übersetzung des Werks von Thukydides (Eight Books of the Peloponnesian Warre Written by Thucydides, 1629), eine Geschichte der englischen Bürgerkriege (Behemoth, the History of the Causes of the Civil-wars of England, 1682) und Texte über Kirchengeschichte (An Historical Narration Concerning Heresy, and the Punishment Thereof, 1680; Historia ecclesiastica, carmine elegiaco concinnata, 1688). Eine wichtige Frage ist daher: Wie stehen der von Hobbes formulierte neue Vernunftbegriff und die geschichtliche Betrachtung des Rechts zueinander in der ersten Station dieses neuen Rechtsdenkens? Diese Frage lässt sich leicht beantworten, wenn man den Wissenschaftsbegriff und die Wahrheitsansprüche der verschiedenen Wissensformen bei Hobbes analysiert. Die Wissenschaft entwickelt sich laut Hobbes dort, wo eine apodiktische Beweisführung möglich ist. Alle Gebiete der Wissenschaft treten daher mit denselben Wahrheitsansprüchen auf wie die Geometrie. Dieser rationalistische Vernunftbegriff ermöglicht die Erhebung des Naturrechts zur Dignität einer Wissenschaft. Im Gegensatz zu Aristoteles begründet Hobbes eine Ausweitung der wissenschaftlichen Wahrheitsansprüche auf den Bereich der praktischen Philosophie. Philosophie und Wissenschaft sind bei ihm synonymische Termini: Philosophie ist eine »causarum et generationis rerum scientia« (OL 1.73). Ein solcher rationalistischer Vernunftbegriff ist jedoch mit einer wissenschaftlichen Betrachtung der Geschichte unvereinbar. In Kap. 9 des Leviathan formuliert Hobbes die Einteilung aller Wissensformen in Wissenschaft und

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10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

Geschichte. Sie sind getrennte Bereiche, die sich durch ihr Instrumentarium und ihre Wahrheitsansprüche unterscheiden. Die Geschichte sei ein Wissen von Äußerlichkeiten, von Fakten. Deswegen spricht Hobbes auch von Naturgeschichte und, redundant, von »historical narration«. Geschichte bedeutet bei Hobbes Erzählung, Bericht. Die herabgesetzten Wahrheitsansprüche dieses Berichts ermöglichen die Thematisierung von Fragen, die sich eigentlich nicht wissenschaftlich beantworten lassen. Welche die beste Regierungsform sei, lässt sich nicht durch eine Beweisführung aus den Prinzipien der »scientia civilis« (vgl. OL 2.142) begründen. Diese Frage lässt sich allein beantworten entweder durch Vergleich der Vor- und Nachteile jeder Regierungsform oder durch Beispiele und Zeugen (vgl. OL 2.266 f.). Die Geschichte des peloponnesischen Krieges etwa sei ein Bericht, der trotz seines unwissenschaftlichen Charakters als Beispiel und Zeugnis der zerstörerischen Folgen der Demokratie belehrend sei. Aus dieser Erzählung kann jedoch weder Allgemeinheit noch Notwendigkeit gewonnen werden. Daher gehört diese Wissensform nicht zum Wissenschaftsbereich. Man muss also auf eine reife Gestalt des neuen Rechtsdenkens warten, um das notwendige Instrumentarium für die Erhebung der Freiheit zum Prinzip der Rechtsentwicklungen zu finden. Im ersten Paragraphen der Grundlinien formuliert Hegel die basalen Bestimmungen des neuen Vernunftbegriffs, die sich schon bei Hobbes gefunden haben: Der Inhalt der Rechtsphilosophie ist »die Idee des Rechts, der Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung«. Die Vernunft des Rechts ist daher eine Vereinigung von Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomenten. Die »Idee« enthält beide Seiten. So ist beispielsweise die »Idee« des äußeren Rechts die Verbindung von Person und Eigentum und die »Idee« des inneren Rechts die Verbindung von Subjekt und Handlung. Die Instanz, die beide Momente vermittelt, ist bei Hegel auch die Tätigkeit des freien Willens: »der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist« (§ 4). Die Geistesphilosophie verfügt über das adäquate Begriffsinstrumentarium, um die Verwirklichung der Begriffsbestimmungen als geschichtlichen Prozess zu betrachten. Bei Hobbes sind die Wirklichkeitsmomente hingegen geschichtslose Willensäußerungen, z. B. ist die anschauliche Seite eines Willenszeichens, einer Willenserklärung ein unmittelbares, geschichtsloses Dasein. Anhand des Instrumentariums der Geistesphilosophie können die Wirklichkeitsmomente als eine Verwirklichung, als ein geschichtlicher Prozess begriffen werden. Denn die Geschichte ist hier begriffen als die Entfaltungsform des objektiven Geistes. Die Vereinigung von Vernunft und Geschichte ist daher eine schon von der »Rechtsidee« geforderte Einheit. Bereits in den ersten Paragraphen der Grundlinien findet man neben der

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Formulierung dieses Rechtsdenkens eine Stellungnahme zu zwei verschiedenen Gestalten der Betrachtung der Geschichte: (a) zu Montesquieu und (b) zur historischen Rechtsschule. (a) Montesquieu: Hegel formuliert eine positive Stellungnahme zu Montesquieu in § 3 der Grundlinien. Montesquieu sei ein Held der Neuzeit, denn er habe den Gedanken erreicht, dass die Vernünftigkeit der Rechtsinstitute durch eine Totalität begriffen werden muss, die durch geographische und geschichtliche Faktoren bestimmt ist. Damit formuliere Montesquieu die »wahrhafte historische Ansicht, den echten philosophischen Standpunkt« im Bezug auf die Rekonstruktion des geschichtlichen Elements des positiven Rechts. Bereits im Naturrechtsaufsatz wird diese Rezeption formuliert. Die Problematik des Naturrechtsaufsatzes ist die Forderung des neuzeitlichen Naturrechts nach einer Erhebung der praktischen Philosophie zur Dignität einer Wissenschaft. Hegel charakterisiert verschiedene Strömungen des Naturrechts durch den Gegensatz zwischen einer empirischen und einer formellen Gestaltung dieser neuen Wissenschaft. Obwohl diese Entgegensetzung, philosophiegeschichtlich gesehen, nicht richtig ist, ist sie fruchtbar, weil sie gemeinsame Voraussetzungen und Folgen verschiedener Theorien zeigt: Das Verstandesdenken beider »unächten Arten der wissenschaftlichen Behandlung des Naturrechts« (GW 4.420) sei eigentlich mit der Aufgabe einer wissenschaftlichen Betrachtung des Rechts, d. h. mit der begrifflichen Rekonstruktion der Totalität einer sittlichen Welt, unvereinbar. Beide rekonstruierten das Rechtssystem nicht als ein System der wirklichen Freiheit, sondern als ein Zwangssystem. Die Ansicht von Montesquieu hingegen sei der richtige Standpunkt für eine wissenschaftliche Betrachtung des Rechts, denn nur dieser Ansatz könne den Inhalt des Rechts, die Totalität einer schon verwirklichten Vernunft, thematisieren, ohne ihn zu verklären. (b) Die historische Rechtsschule: Ebenfalls in § 3 der Grundlinien formuliert Hegel seine Kritik an der historischen Rechtsschule anhand bestimmter Voraussetzungen des neuen Rechtsdenkens. Das neue Rechtsdenken thematisiert die Form des Geltens als die spezifische Seinsweise des Rechts. Die Frage der Rechtsphilosophie zielt auf den Geltungsgrund und die Gerechtigkeit der Rechtsinstitute. Das neue Rechtsdenken enthält ein kritisches Potential: Der freie Wille ist das Prinzip des Rechts nicht nur deshalb, weil alle Rechtsverhältnisse aus der Freiheit fließen, sondern auch, weil die Tätigkeit des freien Willens auf seine Freiheit gerichtet ist – das Prinzip des objektiven Geistes ist »der freie Wille, der den freien Willen will« (§ 27). Dieser Gedanke gewinnt eine besondere Bedeutung im Bereich einer philosophischen Rechtsgeschichte. Denn eine Triebkraft der Rechtsgeschichte besteht

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darin, eine »konsequente Gestaltung« der Rechtsbestimmungen zu gewinnen. Daher ist zu fragen, was unter einer »konsequenten Gestaltung« des Rechts, unter einer »konsequenten Rechtsgestalt« zu verstehen ist. Hegel kritisiert die Geschichtsauffassung der historischen Rechtsschule, denn sie fasse eine konsequente Gestaltung des Rechts als eine Ableitung aus Äußerlichkeiten auf, ohne die Geltung und Gerechtigkeit der Rechtsbestimmungen zu hinterfragen. Anhand dieser Geschichtsauffassung ließen sich alle Formen des Unrechts und der Unfreiheit rechtfertigen: »eine Rechtsbestimmung kann sich aus den Umständen und vorhandenen Rechts-Institutionen als vollkommen gegründet und konsequent zeigen lassen und doch an und für sich unrechtlich und unvernünftig sein, wie eine Menge der Bestimmungen des römischen Privatrechts, die sich aus solchen Institutionen, als die römische väterliche Gewalt, der römische Ehestand, ganz konsequent flossen« (§ 3). Eine konsequente Gestalt des Rechts ist bei Hegel hingegen eine vernünftige Gestaltung des Rechtsbegriffs. Der Rechtsbegriff lässt sich nicht aus den Umständen ableiten. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Begriff eine Projektion, eine Entäußerungsgestalt des Denkens ist. Der Inhalt des Rechtsbegriffs sind nämlich immanente Vernunftstrukturen. Ohne diese immanente Logik kann eigentlich weder von der Form des Geltens noch von einer konsequenten Gestaltung des Rechts die Rede sein. Die konsequente Gestaltung der Rechtsbestimmungen durch das Selbstverhältnis des freien sich selbst wollenden Willens hat in der Geistesphilosophie die Form einer Selbstkritik. Die Rechtsbestimmungen eines Rechtssystems sind zunächst notwendigerweise mannigfaltig und widersprechend. Die konsequente Gestaltung dieser Rechtsbestimmungen besteht darin, diese Mannigfaltigkeit und Widersprüchlichkeit in ein konsequentes System zu bringen. Das ist nicht möglich ohne eine Korrektur der widersprüchlichen Bestimmungen, die sich als Unrecht und Unfreiheit gezeigt haben: »je unzusammenhängender und widersprechender in sich die Bestimmungen eines Rechtes sind, desto weniger sind Definitionen in demselben möglich, denn diese sollen vielmehr allgemeine Bestimmungen enthalten, diese aber machen unmittelbar das Widersprechende, hier das Unrechtliche, in seiner Blöße sichtbar« (§ 2). Hegel stellt diese Dynamik deutlich bezüglich der Kodifizierung des Rechtswillens dar. Das Produkt der Kodifizierung ist nicht ein System neuer Gesetze, sondern ein konsequentes System von Gesetzen. Daher ist die Kodifizierung ein Akt der Gerechtigkeit: Die Rechtsprinzipien einer Gesellschaft werden in eine Einheit gebracht und durch diesen Prozess geprüft. Durch die Kodifizierung gewinnt eine Gesellschaft eine angemessenere Selbstverständigung ihrer Gerechtigkeitsauffassung.

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Mit der starken Akzentuierung der Distanz zwischen der geschichtlichen Betrachtungsweise der historischen Rechtsschule und der begrifflichen Aufgabe der Rechtsphilosophie hat Hegel die Geltung der basalen Bestimmungen des Geistesbegriffs im Bereich des objektiven Geistes in Frage gestellt. Im Bereich des Rechts erkennt er nur eine Alternative zur »rein geschichtlichen Bemühung« der historischen Rechtsschule an: eine rein systematische Betrachtungsweise. Nur in dieser systematischen Betrachtung ließen sich die Frage nach dem Geltungsgrund und die Frage nach der Gerechtigkeit der Rechtsinstitutionen thematisieren: »Das in der Zeit erscheinende Hervortreten und Entwickeln von Rechtsbestimmungen zu betrachten, – diese rein geschichtliche Bemühung, sowie die Erkenntnis ihrer verständigen Konsequenz, die aus der Vergleichung derselben mit bereits vorhandenen Rechtsverhältnissen hervorgeht, hat in ihrer eigenen Sphäre ihr Verdienst und ihre Würdigung und steht außer dem Verhältnis mit der philosophischen Betrachtung, insofern nämlich die Entwicklung aus historischen Gründen sich nicht selbst verwechselt mit der Entwickelung aus dem Begriffe, und die geschichtliche Erklärung und Rechtfertigung nicht zur Bedeutung einer an und für sich gültigen Rechtfertigung ausgedehnt wird.« (§ 3) Die Entgegensetzung zwischen einer rein begrifflichen und einer rein geschichtlichen Betrachtung des Rechts ist mit den Grundgedanken der Geistesphilosophie in folgenden Aspekten unvereinbar: (1) Die Geistesphilosophie fasst die Geschichte als die Seinsweise des Geistes auf. Geschichte ist die Explikationsform, die Entfaltungsform des Geistes. (2) Die Geistesphilosophie überwindet dabei die Kluft zwischen Vernunft und Geschichte und damit auch die Kluft zwischen Wissenschaft und Geschichte. Durch die Überwindung dieser Trennung entstehen neue philosophische Disziplinen: die Geschichte der Philosophie und die Philosophie der Weltgeschichte. Die Geschichte der Philosophie setzt die Geschichtlichkeit der Vernunft voraus, wie Kant es in der Kritik der reinen Vernunft angedeutet hat. Die Philosophie der Weltgeschichte operiert hingegen mit der Annahme, dass die Vernunft sich in der Geschichte »offenbart«. Eine Philosophie der Rechtsgeschichte setzt als Partialgeschichte des Geistes die Begründung der These von der Offenbarung der Vernunft in der Geschichte voraus, denn die »Offenbarung« der Vernunft im Bereich des Rechts ist die Entfaltung des sich als Recht objektivierenden Geistes. Schon die von der »Rechtsidee« geforderte Einheit von Vernunft und Verwirklichung setzt die Gültigkeit dieser geschichtsphilosophischen These voraus.

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10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

10.1 Die »Offenbarung« der Vernunft in der Geschichte Bereits am Anfang seiner Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte macht Hegel darauf aufmerksam, dass die Verbindung der Termini »Philosophie« und »Geschichte« ein Novum im Bereich des Denkens ist: »Der Gegenstand dieser Vorlesung ist die Philosophie der Weltgeschichte. – Was Geschichte Weltgeschichte ist, darüber brauche ich nichts zu sagen; die allgemeine Vorstellung davon ist genügend, auch etwa stimmen wir in derselben überein. Aber daß es eine Philosophie der Weltgeschichte ist, die wir betrachten, daß wir die Geschichte philosophisch behandeln wollen, diß ist es, was gleich bei dem Titel dieser Vorlesungen auffallen kan, und was wohl einer Erläuterung, oder wohl vielmehr einer Rechtfertigung zu bedürfen scheinen muß.« (GW 18.138) Die Entdeckung dieser neuen philosophischen Disziplin, der Geschichtsphilosophie, ist verbunden mit der Aufstellung der These, dass die Vernunft sich in der Geschichte offenbart. Die These enthält zwei minimale Grundgedanken der Geschichtsphilosophie: (I) Die Vernunft ist in der Geschichte wirksam; (II) Der Vernunftgehalt ist für unser Denken fassbar. (I) Die Vernunft ist in der Geschichte wirksam Eine notwendige Voraussetzung der philosophischen Betrachtung der Geschichte ist der Gedanke, dass »die Vernunft die Welt beherrscht« (GW 18.140). Die Vernunft ist »nicht so unmächtig«, dass sie nur als Sollen, als eine wirklichkeitsfremde Instanz (»ausserhalb der Wirklichkeit, wer weiß wo«) oder als subjektive Vernunft (»als etwas Besonderes in den Köpfen einiger Menschen«) existieren kann (GW 18.140 f.). Die Geschichtsphilosophie ist nur deshalb möglich, weil diese Vernunft eine wirklichkeitsgestaltende Instanz ist. Hegel analysiert zwei Gestaltungen des Gedankens der Weltregierung, in denen sich deutlich zeigt, dass dieser Gedanke für die Begründung einer Philosophie der Weltgeschichte nicht hinreichend ist: (a) die philosophische Formulierung dieses Gedankens bei Anaxagoras und (b) die religiöse Auffassung der Weltregierung als ein Plan der Vorsehung. Ad (a) An der Formulierung von Anaxagoras kritisiert Hegel einerseits, dass sie in der Abstraktion bleibt. Eine Theorie, die eine Instanz zum einzigen Prinzip einer konkreten Wirklichkeit erklärt, muss erklären, wie diese Wirklichkeit aus jenem Prinzip zusammenwächst. Andererseits kritisiert er die Beschränkung dieses Prinzips auf die Natur. Dieser Vorwurf gewinnt in der Neuzeit eine besondere Relevanz, denn das Programm der praktischen Philosophie der Neuzeit besteht darin, auch diesen Bereich der Philosophie nach

10.1 Die »Offenbarung« der Vernunft in der Geschichte

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den allgemeinen Prinzipien der Wissenschaft zu gestalten. Hegel formuliert diese Kritik in der »Vorrede« zu den Grundlinien: »Von der Natur gibt man zu, daß die Philosophie sie zu erkennen habe, wie sie ist, daß der Stein der Weisen irgendwo, aber in der Natur selbst verborgen liege, daß sie in sich vernünftig sei und das Wissen diese in ihr gegenwärtige, wirkliche Vernunft, nicht die auf der Oberfläche sich zeigenden Gestaltungen und Zufälligkeiten, sondern ihre ewige Harmonie, aber als ihr immanentes Gesetz und Wesen zu erforschen und begreifend zu fassen habe. Die sittliche Welt dagegen, der Staat, sie, die Vernunft, wie sie sich im Elemente des Selbstbewußtseins verwirklicht, soll nicht des Glücks genießen, daß es die Vernunft ist, welche in der Tat in diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt gebracht habe, darin behaupte und inwohne.« Ad (b) An dem Glauben an die Vorsehung kritisiert Hegel »die Diskrepanz, daß von einem ›Plan der Vorsehung‹ geredet und zugleich darauf insistiert wird, es sei ›Vermessenheit‹, ihn zu erkennen« (Jaeschke 2003, 409). Die Vernunft, die diesen Plan bestimmt, sei in der Geschichte wirksam, aber sie bleibe zugleich in ihr verborgen. Mit derselben Absicht polemisiert er in der Religionsphilosophie gegen die religiöse Denkweise, die die christliche Religion als die Offenbarungsreligion darstellt und zugleich die Ausweitung des begreifenden Denkens auf diesen Bereich verweigert.

(II) Der Vernunftgehalt ist für unseres Denken fassbar Die Philosophie der Weltgeschichte setzt voraus, dass die Vernunft, die sie zum Gegenstand macht, weder auf eine subjektive noch auf eine objektive Instanz zu beschränken ist. Die Vernunft, die in der Geschichte wirksam ist, ist das Zusammenwirken subjektiver und objektiver Prozesse des Denkens. Die Gestalt der Vernunft setzt daher eine Einheit und Trennung voraus: Sie ist das »Urteil« in eine sich verwirklichende Vernunft und in eine subjektive Vernunft, für welche diese objektive Vernunft ist. Die logische Grundbestimmung dieser Gestalt der Vernünftigkeit ist ein konstitutives Moment des Geistesbegriffs. In den einleitenden Paragraphen der Enzyklopädie (1830) über die Sphäre des absoluten Geistes stellt Hegel erneut basale Bestimmungen des Geistesbegriffs auf, die als solche eigentlich für die gesamte Sphäre des Geistes gelten. Er bestimmt den Geist als eine Wirklichkeit des Wissens und des Wollens, die als solche durch Selbstverhältnisse konstituiert wird: »Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste.« (§ 553) Diese selbstbezügliche Struktur ist nur durch die logische Form des Urteils möglich, denn durch diese Form erklärt sich die Zusammengehörigkeit der subjektiven und

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10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

der objektiven Seite der geistigen Prozesse: »Der absolute Geist ist ebenso ewig in sich seiende als in sich zurückkehrende und zurückgekehrte Identität; die Eine und allgemeine Substanz als geistige, das Urteil in sich und in ein Wissen, für welches sie als solche ist.« (§ 554) Die Einbeziehung von Strukturen, die auch für den absoluten Geist gelten, zeigt, dass jede Partialgeschichte des Geistes im Zusammenhang mit den anderen Gestalten des Geistes steht. Die Rechtsgeschichte ist daher Teil einer Universalgeschichte der Freiheit, die sowohl die Sphäre des objektiven als auch die des absoluten Geistes umfasst. Die Analyse der Möglichkeitsbedingungen dieser neuen philosophischen Disziplin hat zur Folge die Aufstellung der zwei erörterten Thesen: Die Vernunft ist in der Geschichte wirksam, und dieser Vernunftgehalt ist für unseren Denken fassbar. Die innerliche Grundlage, die beide Thesen vereinigt, ist das »Sichoffenbaren« der Vernunft in der Geschichte: »Daß nur solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechthin Mächtige ist, daß sie sich in der Welt offenbart, und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Herrlichkeit und Ehre, diß ist es, was wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier so als bewiesen vorausgesetzt wird.« (GW 18.141) Diese allgemeine These von der »Offenbarung« der Vernunft in der Geschichte, die eine Philosophie der Weltgeschichte ermöglicht, beruht auf den minimalen Grundbestimmungen des Geistesbegriffs: Der Geist hat einerseits kein anderes Sein, kein anderes Wesen als diese Tätigkeit des »Sichoffenbarens«; der Geist ist »actus purus«. Und andererseits ist die Geschichte die Seinsweise dieser Tätigkeit. Daher ist es kein Zufall, dass diese Reform des Kanons der Geisteswissenschaften sich in der Geistesphilosophie vollzogen hat. Die Geistesphilosophie kann aus folgenden Gründen als ein metaphysikkritisches Programm betrachtet werden: (a) Diese zwei minimalen Thesen sind »Aprioritäten«, aber keine wirklichkeitsfremden Konstruktionen oder Erdichtungen. Sie sind, wie gesagt, Möglichkeitsbedingungen einer Ausweitung des begreifenden Denkens auf die Analyse der Entität »Geschichte«. Eine Theorie, die eine philosophische Betrachtung einer Partialgeschichte durchzuführen versucht, operiert notwendigerweise mit diesen Annahmen, obwohl ihre Tätigkeit aus einer naivobjektivistischen Perspektive anders erscheinen mag. Diese Formulierung beider erörterten »Aprioritäten« kann daher als eine kritische Betrachtung des Gebrauchs der Vernunft im Bereich einer Partialgeschichte aufgefasst werden. (b) Eine solche Kritik befreit das Denken von Denkweisen, die von metaphysischen Annahmen und mythologischen Instanzen gesättigt sind, z. B. von Erdichtungen von Urzuständen, vom Glauben an einen Plan der Vorsehung, von der naiv-objektivistischen Auffassung der Geschichte usw.

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Die Geltung beider Thesen hat wichtige Implikationen für die Auffassung folgender Aspekte der geschichtlichen Prozesse: (1) die Konstitution der Objektivität der geschichtlichen Prozesse; (2) die besondere Stellung des Bewusstseins in den geschichtlichen Prozessen; (3) die spezifische Form der Vereinigung von Apriori und Aposteriori in einer philosophischen Betrachtung der Geschichte. (1) Die Konstitution der Objektivität der geschichtlichen Prozesse: Die These des »Sichoffenbarens« der Vernunft in der Geschichte führt zu einer Kritik an einer naiv-realistischen Denkweise, die die Entität »Geschichte« als gegeben vorzufinden vermeint. Die Entstehung dieser Entität setzt objektive Prozesse voraus wie die Ausbildung übergreifender Zwecke durch die Entstehung neuer Vereinigungsformen des freien Willens, die nicht mehr auf »natürlichen« Zusammenhängen wie Blutsverhältnissen beruhen. Diese »objektiven« Prozesse sind eine Bedingung der Entstehung der Geschichte, denn ohne dieses »Material« kann der subjektive Konstitutionsakt der Geschichte nicht stattfinden. Geschichte ist die Objektivierung einer Subjektivität, die dieses »Material« verarbeitet und zum »Tempel der Mnemosyne« (GW 18.123) erhebt. Sie ist insofern eine geistige Wirklichkeit, ein »Werk der Vorstellung« (GW 18.124), eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität. Die terminologische Übereinstimmung zwischen der subjektiven und der objektiven Geschichte sowie die Gleichzeitigkeit der Entstehung beider Arten von Geschichte ist eine Manifestation dieser logischen Struktur der Geschichte, die sich am besten durch die Geistesphilosophie erklären lässt: »Geschichte vereinigt in unserer Sprache die objective sowohl und subjective Seite und bedeutet ebensowohl die Historiam rerum gestarum als die Res gestas selbst, die eigentlicher unterschiedene Geschichtserzählung als das Geschehene, die Thaten und Begebenheiten selbst. Die Vereinigung der beyden Bedeutungen müssen wir für höhere Art als für eine äusserliche Zufälligkeit ansehen; es ist dafür zu halten, daß Geschichtserzählung mit eigentlich geschichtlichen Thaten und Begebenheiten gleichzeitig erscheinen; es ist eine innerliche gemeinsame Grundlage, welche sie zusammen hervortreibt.« (GW 18.192) Geschichte ist also ein spezifischer Bereich, welcher subjektive und objektive Prozesse des Denkens vereinigt, denn die Tätigkeit des freien Willens ist eine besondere Weise des Denkens: »Geschichte vollzieht sich stets in dem Zwischenbereich zwischen objektiver und subjektiver Geschichte – oder besser: Sie ist diejenige komplexe Wirklichkeit, die sowohl äußere Gegenständlichkeit als auch subjektive Konstitution umfaßt, die nie bloß ›objektiv‹ ist, aber ebensowenig bloß ›subjektiv‹« (Jaeschke 2003, 407). (2) Die besondere Stellung des Bewusstseins in den geschichtlichen Prozessen: Die Auffassung der Entität »Geschichte« als eine geistige Wirklichkeit, die

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durch die Zusammenwirkung subjektiver und objektiver Prozesse konstituiert ist, hat wichtige Folgen für die Auffassung der Bedeutung des Bewusstseins überhaupt in den geschichtlichen Prozessen und insbesondere für das Rechtsbewusstsein in der Rechtsgeschichte: Das Bewusstsein ist nicht einfach als die »ideelle« Seite der geschichtlichen Prozessen zu begreifen. Es ist aufgrund der Zusammengehörigkeit subjektiver und objektiver Prozesse eine wirklichkeitsgestaltende Instanz. Dies wird sich unten deutlicher in der Erörterung der Hegelschen Formulierung des allgemeinen Entwicklungsprinzips der Weltgeschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit zeigen. Das Bewusstsein fällt daher nicht nur auf die subjektive Seite der Geschichte, sondern in diesen Zwischenbereich, der die Geschichte ausmacht. Sonst wäre eine Entwicklung des Bewusstseins wirkungslos. In einer Philosophie der Weltgeschichte ist das Bewusstsein als ein konstitutives Moment dieser Zusammenwirkung von subjektiver und objektiver Geschichte zu thematisieren: »Sie [sc. die Weltgeschichte] stellt, wie früher bestimmt worden ist, die Entwicklung des Bewußtseyn des Geistes von seiner Freyheit und der von solchen Bewußtseyn hervorgebrachten Verwirklichung dar.« (GW 18.196) Eine Rechtsgeschichte muss auch die Geschichte des Rechtsbewusstseins als »die Ausbildung von Vorstellungen über den Grund der Verbindlichkeit des Rechts« (Jaeschke 1993/94, 70) zum Gegenstand machen. Die Transformation der Vorstellungen über den Geltungsgrund des Rechts und über die konsequente bzw. »wahre« (d. h. diesem Prinzip angemessene) Gestaltung des Rechts ist sowohl Resultat als auch Ausgangspunkt objektiver Prozesse der Realgeschichte. Eine Geschichte des Rechtsbewusstseins thematisiert damit Erscheinungs- und Daseinsformen der Freiheit. (3) Die spezifische Form der Vereinigung von Apriori und Aposteriori in einer philosophischen Betrachtung der Geschichte: In der Begründung einer philosophischen Betrachtung der Geschichte ist eine Auseinandersetzung mit den apriorischen Bestimmungen dieser Wissenschaft notwendig, denn ohne »Aprioritäten« ist keine Wissenschaft möglich. Daher kritisiert Hegel den Vorwurf, eine denkende Betrachtung der Geschichte suche nur ihre apriorische Konstruktion in dem Erfahrungsmaterial der Geschichte zu bestätigen. In der Rechtfertigung dieser neuen Wissenschaft formuliert Hegel ganz minimale Bestimmungen, die die Ausweitung des Denkens auf diese neu entdeckte »Entität« ermöglichen: »Der einzige Gedanke, den sie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist.« (GW 18.140) Diese Rechtfertigung ist, wie gesagt, zugleich eine Kritik an metaphysischen und mythologischen Aprioritäten bestimmter Formen der Geschichtsschreibung: »Unter anderem auch müssen wir uns nicht

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durch Historiker von Fache verführen lassen, denn wenigstens unter den deutschen Historikern, sogar solchen, die eine grosse Autorität besitzen, auf das sogenannte Quellenstudium sich alles zu Gute thun, gibt es solche, die das thun, was sie den Philosophen vorwerfen, nemlich à priorische Erdichtungen in der Geschichte zu machen.« (GW 18.142) Da die Geschichte sich im Zwischenbereich äußerer Gegenständlichkeit und subjektiver Konstitutionsakte vollzieht, versteht sich, dass die Empirie in dieser Wissenschaft eine besondere Rolle spielen muss: »die Geschichte haben wir zu nehmen wie sie ist; wir haben historisch, empirisch zu verfahren.« (ebd.) Die apriorischen Bestimmungen, die bisher erörtert wurden, sind ganz minimal und werden von jeder Theorie zur Geltung gebracht, die diese neue philosophische Disziplin durchzuführen versucht. Der minimale Charakter dieser Thesen erklärt sich daraus, dass wir die allgemeine Triebkraft der Geschichte noch nicht bestimmt haben. Die genaue Bestimmung einer Triebkraft erfordert die Herausbildung einer komplexeren Ausrüstung. Hegel erklärt die Rechtsgeschichte als eine Geschichte des freien Willens. Der Inhalt einer philosophischen Rechtsgeschichte ist eine immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit. Die Thematisierung einer immanenten Logik der Rechtsgeschichte ist ohne die Behauptung neuer apriorischer Bestimmungen nicht möglich. Die Logik dieser Geschichte betrifft nicht nur Bestimmungen der Hegelschen Logik (eine Logik der »Idee«), sondern auch die Bestimmungen der Geistesphilosophie (eine spezifische Logik der Seinsweise des Geistes) und die Bestimmungen des neuen Rechtsdenkens (eine nähere Logik des freien Willens). Die folgende Analyse deutet anhand der folgenden Punkte an, worin diese immanente Logik der Rechtgeschichte bestehen muss: – die philosophische Rechtsgeschichte als Schlüssel und Prüfstein des neuzeitlichen Rechtsdenkens (10.2) – die Gestaltung des Prinzips der Freiheit für die Durchführung einer geistesphilosophischen Rechtsgeschichte (10.3)

10.2 Die philosophische Rechtsgeschichte als Schlüssel und Prüfstein des neuzeitlichen Rechtsdenkens Das Rechtsdenken, das den freien Willen als das einzige Prinzip aller Rechtsverhältnisse auffasst, konstituiert einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang, der die Einführung und adäquate Durchführung dieses Prinzips umfasst. Das neuzeitliche Naturrecht ist die erste Station dieses Rechtsdenkens. Die folgenden Stationen (insbesondere Kants Vernunftrecht und Hegels

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Philosophie des objektiven Geistes) sind eine angemessenere Durchführung dieses Prinzips und zugleich eine sukzessive Vertiefung in der Kritik an grundlegenden Annahmen des Naturrechts. Die Aufnahme und konsequente Ausbildung der Prinzipien des neuzeitlichen Naturrechts haben notwendigerweise den Abschied des Naturrechtsdenkens zur Folge. Die Analyse von zwei Stationen des neuen Rechtsdenkens im Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit einer philosophischen bzw. wissenschaftlichen Betrachtung der Geschichte zeigt durch den Kontrast beider Antworten, Hobbes’ negativer und Hegels positiver Antwort, eine Bewegung des neuen Rechtsdenkens zur Vereinigung beider Bereiche, von Vernunft und Geschichte sowie von systematischer und geschichtlicher Betrachtung des Rechts. Eine wichtige Frage ist daher, inwiefern diese Tendenz Resultat eines Anstoßes von außen (a) oder von einer internen Bewegung dieses Rechtsdenkens (b) ist. (a) Die Forderung von außen: Ein Anstoß von außen ist die Entstehung des Geschichtsbewusstseins, die Entdeckung der Entität »Geschichte« in der Neuzeit. Diese Entdeckung hat eine allgemeine Forderung für alle Bereiche des geistigen Seins zur Folge: Recht, Kunst, Religion, Philosophie sind Gestalten des Geistes, und der Geist ist geschichtlich. Wie steht jede Objektivierung des Geistes zu ihrer Geschichte? Jede Geisteswissenschaft muss die Partialgeschichte ihres Gegenstandes rekonstruieren. (b) Die interne Forderung des neuen Rechtsdenkens: Es gibt jedoch auch eine interne Bewegung dieses Rechtsdenkens, die zu einer Vereinigung von Vernunft und Geschichte führt. Diese fortschreitende Vereinigung ist, wie oben gesagt wurde, bereits ein von der »Rechtsidee« geforderter Prozess. Diese interne Bewegung lässt sich nicht nur in der abstrakten Formulierung des Inhalts der Rechtsphilosophie in den Grundlinien finden: Sie thematisiert die Idee des Rechts, d. h. die Bestimmungen des Rechtsbegriffs und ihre Verwirklichung. Sie lässt sich auch durch die folgende These näher bestimmen: Die Einbeziehung der Geschichte in das neue Rechtsdenken (oder besser: die Erhebung des freien Willens zum Prinzip aller Rechtsentwicklungen) ist sowohl (I) Schlüssel als auch (II) Prüfstein für eine adäquate Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Eine Theorie, die die Geschichte in die Durchführung des neuen Rechtsdenkens adäquat mit einbezieht, kann daher in diesem Sinne als eine Vollendungsgestalt des neuen Rechtsdenkens betrachtet werden.

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(I) Die Geschichte als Schlüssel für zentrale Probleme des neuen Rechtsdenkens Hegel hat im Bereich der Rechtsphilosophie kein neues Prinzip aufgestellt. Die Thematisierung des freien Willens als Prinzip des Rechts ist, wie gesagt, bereits bei anderen Philosophen zu finden. Er hat jedoch das Instrumentarium entwickelt, um die Freiheit als Prinzip der Rechtsentwicklungen zu begreifen. Nur durch eine rechtsgeschichtliche Gestaltung dieses Prinzips ist eine adäquate Antwort auf die zentralen Probleme der Rechtsphilosophie möglich. Die Einbeziehung der Entität »Geschichte« als Schlüssel für Kernfragen einer Denktradition lässt sich auch in anderen Denkbereichen feststellen. Sie vollzieht sich etwa im Bereich der politischen Ökonomie. Die Marxsche Werttheorie hat auch kein neues Prinzip aufgestellt. Es gab schon vor Marx Arbeitswerttheorien. Diese Theorien konnten aber die Kategorien und Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft laut Marx nicht richtig begreifen, weil sie mit geschichtslosen Abstraktionen operierten: »Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie, daß es ihr nie gelang, aus der Analyse der Ware und spezieller des Warenwerts die Form des Werts, die ihn eben zum Tauschwert macht, herauszufinden. […] Der Grund ist nicht allein, daß die Analyse der Wertgröße ihre Aufmerksamkeit ganz absorbiert. Er liegt tiefer. Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter entwickelt der Geldform, Kapitalform usw.« (MEW 23.95) Die Hauptrolle der Geschichte für die Auflösung der Probleme des neuen Rechtsdenkens lässt sich anhand der Frage nach dem Geltungsgrund der Gesetze veranschaulichen. Die Denkweise des Naturrechts operiert mit der Annahme, dass es eine »lex naturalis« gibt, die durch die »recta ratio« zu erkennen ist. Die Berufung auf diese »Naturgesetze« kann sowohl als eine Kritik als auch als eine Rechtfertigung der vorhandenen Rechtsverhältnisse wirken. Hobbes kritisiert diese Denkweise auf folgende Art: Das Gedankenexperiment des Naturzustandes zeigt, dass kein sicherer Maßstab für die Regelung des menschlichen Zusammenlebens vorgegeben ist. Die »Naturgesetze« sind die innere Logik des Vertrags und daher eigentlich keine Gesetze, sondern nur Klugheitsregeln. Geltung und Wirksamkeit dieser Vernunftregel erfordern daher die Produktion positiver Gesetze, die Hobbes als künstliche Kette

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bezeichnet. Durch diese Vereinigung von Vernunft und Positivität versucht Hobbes, die Aporien des Naturrechts zu vermeiden. Die Hobbessche Unterscheidung zwischen gerechten und guten Gesetzen (»good laws«) in Kap. 30 des Leviathan zeigt jedoch die Aporien dieses Versuchs. Die Gerechtigkeit der Gesetze ist laut Hobbes eine analytische Folge ihrer Funktion, denn sie konstituieren den einzigen sicheren und allgemeinen Maßstab für die Organisation des Zusammenlebens. Aber nicht alle Gesetze sind gut, denn einige sind widersprüchlich oder überflüssig. Die Unterscheidung zwischen gerechten und guten Gesetzen hat einen Dualismus zur Folge, der ein Rest der naturrechtlichen Denkweise bei Hobbes ist. Kant ringt weiter mit diesem Problem. Er verabschiedet auch die Denkweise des Naturrechts, indem er beide Seiten des Rechts, Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomente, zusammendenkt: Die praktische Vernunft ist bei Kant apriorische Gesetzgebung und zugleich Wirkung durch Freiheit. Der Inhalt des Vernunftrechts ist eine Logik der Verwirklichung und der Explikation der Freiheit, die er als das einzige »angeborene Recht« (AA VI.237) bezeichnet. Aufgrund des apriorischen Charakters dieser Gesetzgebung zeigt sich der freie Wille bei Kant als eine subjektive Vernunft, die sich gegen die Wirklichkeit zu behaupten versucht. Die Vernunft des Rechts ist jedoch nicht eine subjektive Instanz, die eine Anwendung erfordert, sondern die wirkende Vernunft einer Welt, und sie lässt sich daher durch die Forderungen einer subjektiven Vernunft nicht außer Kraft setzen. Der Anspruch auf eine Transformation der sittlichen Welt durch eine apriorische Gesetzgebung kann in Zwang und Unfreiheit umschlagen. Deswegen behauptet Hegel, dass nur Montesquieu die Tätigkeit der Gesetzgebung richtig begriffen habe. Die Gesetzgebung sei das Produkt einer Totalität, die durch geschichtliche und geographische Faktoren konstituiert ist. Hobbes und Kant formulieren dasselbe Programm, aber in beiden Theorien findet man einen Riss, dessen Folge ist, dass die ideelle Seite der »Rechtsidee« ohne die Vermittlung der Tätigkeit des freien Willens, wie im Naturrechtsdenken, als ein Maßstab des Rechts erscheint. Daher entstehen wieder die Probleme, die mit der Denkform des Naturrechts verbunden sind. Das neue Rechtsdenken muss die Dynamik des freien Willens gegen eine unvernünftige und daher ungerechte Gesetzgebung rekonstruieren, denn das Ziel seiner Tätigkeit ist die Freiheit. Diese Aufgabe muss jedoch ohne Rekurs weder auf vorgegebene Instanzen noch auf eine verstandesmäßige Isolierung der ideellen Seite des Rechts ausgeführt werden. Die Ausführung dieser Aufgabe macht die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik der Freiheit notwendig, denn nur durch die Geschichtlichkeit der Tätigkeit des freien Willens können sowohl das Zusammenwirken beider Seiten der

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»Rechtsidee« als auch die Verarbeitung der unvernünftigen und daher ungerechten Rechtsgestalten nach der internen Logik der Freiheit rekonstruiert werden. Die geschichtliche Auffassung der Vernunft des Rechts ist daher ein Schlüssel für bestimmte Probleme, die mit anderen Vernunftbegriffen wie z. B. mit der »recta ratio« des Naturrechts, dem rationalistischen Vernunftmodell Hobbes’ oder mit der »praktischen Vernunft« Kants nicht ganz gelöst wurden. (II) Die Geschichte als Prüfstein der Grundannahmen des neuen Rechtsdenkens Wenn das neue Rechtsdenken die Geschichte in die immanente Logik des freien Willens einbezieht, muss es eine allgemeine Prüfung seiner Grundannahmen durchführen. Diese Prüfung erfordert die zwei folgenden Aufgaben. Zum einen muss das neue Rechtsdenken ein neues und feineres Begriffsinstrumentarium entwickeln, um die Insuffizienzen einer geschichtslosen, rein systematischen Formulierung seiner Grundgedanken zu korrigieren. Aufgrund der Einbeziehung der Geschichte können die Grundgedanken dieses Rechtsdenkens nicht unmittelbar und ohne Kritik aufrechterhalten werden. Zum anderen erfordert die Erhebung der Freiheit zum Prinzip der Rechtsentwicklung eine neue Gestaltung dieses Prinzips. Diese zweite Aufgabe wird im folgenden Abschnitt (10.3) angedeutet. Bleiben wir zunächst bei der ersten Aufgabe. Eine Durchführung des neuen Rechtsdenkens muss die Begründung der zwei folgenden Grundgedanken erreichen: Der erste Grundgedanke ist die Trennung von Natur und Freiheit. Das neue Rechtsdenken überwindet die Vermischung von Natur- und Freiheitsbestimmungen und dadurch die Zweideutigkeit des Naturbegriffs, die für die Denkweise des Naturrechts konstitutiv sind. Der zweite Grundgedanke ist die Immanenz der Logik der Freiheit. Diese Logik ist einerseits immanent, weil die Prinzipien dieser Sphäre in uns liegen: Die Rechtsgestalten wirken nur durch die Tätigkeit der Subjektivität. Immanenz bedeutet andererseits, dass diese Logik einen Anstoß fremder Triebkräfte (wie der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Religion) nach ihren internen »Gesetzen« verarbeitet. Diese zwei Grundgedanken sind nicht unmittelbar vereinbar mit den zwei folgenden Thesen, die von Walter Jaeschke für eine Durchführung einer Genealogie des Rechts formuliert worden sind (Jaeschke 2009): (1) Die erste These fordert die Rekonstruktion einer Genealogie des Rechts anhand des folgenden Leitfadens: »eine Dialektik, die von der ›Natur‹ zur Freiheit treibt« (Jaeschke 2009, 293). Diese These ist nicht unmittelbar ver-

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einbar mit dem ersten Grundgedanken, der Trennung von Natur- und Freiheitsbestimmungen. Die Vereinbarkeit beider Thesen erfordert die Formulierung einer Instanz, die sowohl die Trennung von Natur und Freiheit als auch die dialektische Vermittlung von Natur und Freiheit zugunsten der Logik der Freiheit zusammendenken kann. Die Ausformung des Prinzips des neuen Rechtsdenkens beinhaltet eine Umgestaltung der Trennung von Natur und Freiheit. Daher ist der Geistbegriff ein besserer Kandidat für diese Aufgabe als Instanzen wie die »praktische Vernunft« Kants, die über das dualistische Moment nicht hinausgehen können. Der Geist ist nämlich eine mit der Natur vermittelte Selbstbeziehung. Er ist ein Bereich der Wirklichkeit, aber zugleich aufgrund seiner systematischen Funktion eine »Resumtion« der ganzen Wirklichkeit und des ganzen Systems. (2) Die zweite These besagt, dass die Wirksamkeit eines in der »Natur« manifesten Rechts auf einer Projektion des freien Willens beruht. Die Wirksamkeit der Rechtsformen kann entweder als eine Leistung der Subjektivität oder als die Wirkung einer von außen her bestimmenden Instanz aufgefasst werden: »Aber eingeschlossen in die gediegen bleibende Vereinigung der Gewalten, muß solche Subjektivität des Entscheidens teils ihrem Entstehen und Hervortreten nach zufällig, teils überhaupt untergeordnet sein; nicht anderswo daher als jenseits solcher bedingten Spitzen konnte das unvermischte reine Entscheiden, ein von außen her bestimmendes Faktum, liegen. Als Moment der Idee mußte es in die Existenz treten, aber außerhalb der menschlichen Freiheit und ihres Kreises, den der Staat befaßt, wurzelnd.« (GPR § 279) Diese These erfordert eine Verarbeitung und Vertiefung des zweiten Grundgedankens des neuen Rechtsdenkens: die Rekonstruktion des Rechts durch immanente Vernunftstrukturen. Diese Verarbeitung besteht in der Entwicklung eines komplexeren Begriffsinstrumentariums, um diese Immanenz vermittelter, d. h. durch Umwege wie die Natur und den Gottesgedanken, zu begreifen. Dieses Begriffsinstrumentarium ist im Wesentlichen ein komplexes Selbstbewusstseinsmodell, das die interne Bewegung dieses Modells geschichtlich rekonstruiert: »Hier liegt der Ursprung des Bedürfnisses, von Orakeln, dem Dämon (beim Sokrates), aus Eingeweiden der Tiere, dem Fressen und Fluge der Vögel u.s.f. die letzte Entscheidung über die großen Angelegenheiten und für die wichtigen Momente des Staats zu holen – eine Entscheidung, welche die Menschen, noch nicht die Tiefe des Selbstbewußtseins erfassend, und aus der Gediegenheit der substantiellen Einheit zu diesem Fürsichsein gekommen, noch nicht innerhalb des menschlichen Seins zu sehen die Stärke hatten.« (ebd.) Durch die Tätigkeit der Projektionen lässt sich die Vereinbarkeit zwischen einer immanenten Logik der Freiheit und einer Logik von fremden Wirkungsweisen, z. B. von »Wirkformen«

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begründen. Ohne diese Vereinbarkeit kann die Tätigkeit des freien Willens nicht zum Prinzip der Rechtsentwicklungen erhoben werden. Ein solches komplexes Selbstbewusstseinsmodell muss sowohl die Genese der Projektionen als auch ihre Enthüllung erklären. Das Selbstbewusstseinsmodell der Geistesphilosophie kann die innere Notwendigkeit dieser Entäußerungsgestalten und ihre Aufdeckung begrifflich rekonstruieren: »Im Dämon des Sokrates […] können wir den Anfang sehen, daß der sich vorher nur jenseits seiner selbst versetzende Wille sich in sich verlegte und sich innerhalb seiner erkannte, – der Anfang der sich wissenden und damit wahrhaften Freiheit.« (ebd.) Die Enthüllung einer Projektion hat daher immer die Form der Selbsterkenntnis des freien Willens. Dies lässt sich anhand zweier Projektionen veranschaulichen: (a) die Formalakte des Vertrags im römischen Recht und (b) die vorgegebene Autorität der Kirchen in der Frühneuzeit. (a) Die Formalakte des Vertrags: Das Recht als eine von den Sitten und vom Sakralen abgelöste Sphäre ist ein Produkt des römischen Geistes. Der freie Wille wird im römischen Recht jedoch nicht als die alleinige Quelle des Rechts erkannt: »Am Anfang seiner Entwicklung in Rom spielt allerdings weder der Wille noch die Willensübereinstimmung eine große Rolle. Anders als in Griechenland ist der frühe römische Vertrag ein Formalgeschäft. Seine Wirksamkeit hängt davon ab, daß bestimmte Formen eingehalten werden. Der Wille der Parteien ist zwar letztlich die Grundlage des Ganzen, wird als solche aber weder erkannt noch anerkannt.« (Wesel 2006, 213) Die Willenseinigung als Prinzip der Geltung des Vertrags wurde erst dort erkannt, wo die Wirksamkeit dieser Formen außer Kraft gesetzt wurde. Aufgrund ihres symbolischen und nationalen Charakters zeigten sich diese Rechtsriten im Rechtsverkehr zwischen verschiedenen Völkern als unwirksam: »Der Prätor erkannte an, daß Verpflichtungen auch ohne formale Stipulation entstanden seien, durch bloßen Konsens. Wahrscheinlich geschah dies zuerst in der Rechtsprechung des praetor peregrinus, des Fremdenprätors, der zuständig war für Rechtstreitigkeiten unter Fremden oder zwischen Fremden und Römern.« (ebd.) Dieselbe Hypothese über die Ursachen der Aufdeckung dieser Projektion formuliert Dulckeit in seinem Buch über die römische Rechtsgeschichte: »Neben diesem formgebundenen reinen Bürgerrecht […] bildete sich daher bald ein völlig formfreies Fremdenrecht heraus, das vor allem dem auswärtigen Handelsverkehr diente, zugleich aber wohl von vornherein auch unter römischen Bürgern Anwendung fand und dann mittelbar auch die Weiterentwicklungen des Zivilrechts maßgebend beeinflußt hat.« (Dulckeit 1957, 63) Ein Anstoß der Wirtschaft (des internationalen Handelsverkehrs) führte zu einer Selbsterkenntnis des freien Willens, zu einer Vertiefung des Selbstbewusstseins in sich: »für das entwickeltere

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Rechtsbewußtsein nahm der Wille die Wirkungskraft der Formel mehr und mehr in sich selbst auf und ließ die Form auf diese Weise zur bloßen Form, d. h. zur äußeren Hülle oder schließlich auch nur zum bloßen Ausdruck des Willens herabsinken.« (ebd.) (b) Die vorgegebene Autorität der Kirche in der Frühneuzeit: Besonders wichtig für eine epochale Enthüllung der Projektionen des freien Willens und für die Erhebung der Freiheit zum einzigen Prinzip des Rechts ist die Wirkung der religiösen Spaltungen in der Frühneuzeit gewesen. Durch die konfessionellen Spaltungen verliert die Religion ihre integrierende Funktion. Die Berufung auf eine religiöse Autorität zeigte sich vielmehr als eine Gefahr für die Stabilisierung des Rechts. Die Unwirksamkeit der Religion für die Funktion der Stabilisierung einer Rechtsordnung hatte zur Folge die Frage nach der Geltung dieser Autorität. In diesem Kontext formuliert Hobbes die folgende Frage: »by what authority they [sc. the Scriptures] are made law?« (EW 3.378) Es lässt sich erneut dieselbe Gesetzmäßigkeit feststellen: Durch die Unwirksamkeit einer Projektion wird der freie Wille als die Grundlage des Rechts erkannt. Dieses Mal hat die Enthüllung einen epochalen Charakter und eine Auswirkung auf alle Bereiche des Rechts gehabt.

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit für die Durchführung einer geistesphilosophischen Rechtsgeschichte Die Erhebung des Prinzips der Freiheit zum Erklärungsprinzip der Entität »Geschichte« erfordert, wie gesagt, eine neue Gestaltung dieses Prinzips. Die Auffassung der Freiheit als Prinzip der Rechtsentwicklungen operiert mit der Annahme, dass eine einzige Instanz in allen Stationen der Rechtsgeschichte wirksam ist. Die rechtsgeschichtliche Gestaltung dieses Prinzips muss die Rechtsentwicklung als eine interne Bewegung dieser Instanz rekonstruieren. Die Auffassung des freien Willens als Geist kann beide Aspekte vereinigen: die Einheit der Entität »Rechtsgeschichte« wegen der Kontinuität eines einzigen Prinzips einerseits und die Entwicklung innerhalb dieser Entität aufgrund der internen Struktur dieses Prinzips andererseits. Das Selbstverhältnis des Geistes ist die interne Struktur, aus der sich die treibende Kraft der Rechtsgeschichte ableiten lässt. Die Andeutung des Mechanismus sowohl der Produktion als auch der Enthüllung der Projektionen erforderte im vorhergehenden Abschnitt die Einbeziehung eines Selbstbewusstseinsmodells. In der kurzen Andeutung dieses Selbstbewusstseinsmodells wurden die folgenden Bestimmungen dargestellt:

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit …

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(a) Die Freiheit ist die einzige rechtserzeugende Instanz, die in allen Stationen des Rechts wirksam ist, obwohl andere Instanzen als Geltungsgrund der Rechtsverhältnisse erscheinen können. (b) Die Enthüllung der Projektionen hat immer die Form eines Selbsterkenntnisakts des Geistes. Diese Selbsterkenntnis ist von »objektiven« Prozessen abhängig, in denen die Wirksamkeit der Projektionen außer Kraft gesetzt wird. (c) Die Selbsterkenntnis des Geistes ist daher notwendigerweise durch einen Prozess von Entäußerung und Enthüllung vermittelt. Die Selbsterkenntnis des Geistes ist durch seine objektivierende Tätigkeit vermittelt. Der Geist richtet seine Tätigkeiten auf seine eigenen Produkte und tilgt fortschreitend die Form des Vorhandenseins, die für seine Projektionen konstitutiv ist. Nur die Geistigkeit, die in die Wirklichkeit tritt, kann sich selbst zum Gegenstand machen. Dieser Umweg ist jedoch eine interne Notwendigkeit der Entität »Geschichte«. Die Triebkraft der Rechtsgeschichte kann durch die drei folgenden Formeln näher erörtert werden: (I) Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit; (II) der freie Wille, der den freien Willen will; (III) Herausbildung der Subjektivität. (I) Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit Hegel formuliert dieses Selbstbewusstseinsmodell als Triebkraft der Weltgeschichte: der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Obwohl die Weltgeschichte bei Hegel keine Rechtsgeschichte, sondern eine Geschichte von Staaten ist, gilt dieser Mechanismus auch für eine Rekonstruktion der Rechtsgeschichte als einer Geschichte der Freiheit. Die Freiheit ist ein Faktum, obwohl es von einer besonderen Art ist: Die Freiheit ist als Tätigkeit der Selbstbestimmung das Prinzip der Rechtserzeugung. Aufgrund dieser Rechtserzeugung ist die Freiheit ein in sich berechtigtes Faktum, ein Vorhandensein, das zugleich die Form des Geltens hat. Dieses Faktum kann nicht aus vorhergehenden Daten abgeleitet werden. Die Freiheit hat keine »ratio essendi«, sondern nur eine »ratio cognoscendi«. Diese Aussage gilt auch für die Rekonstruktion des Gedankens des Fortschritts innerhalb einer Geschichte der Freiheit. Der Fortschritt vollzieht sich daher nur im Bewusstsein der Freiheit, denn die Freiheit ist immer »vorhanden«. Der Mensch ist immer »de facto« frei, aber nur in der Neuzeit ist der Mensch als Mensch »für sich« frei. Der Mensch muss nicht auf eine adäquate Selbsterkenntnis warten, um frei zu sein. Einen Menschen als Mittel zu behandeln, ist Unrecht, auch wenn dieser Mensch nicht zu einem Wissen von sich gekommen ist. Obwohl dieses Selbstbewusst-

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sein noch nicht vorhanden ist, lässt sich dieser Mensch nicht unter die »Sachenwelt« subsumieren. Dieses Wissen von sich hat notwendigerweise eine Folge in der Transformation der Rechtsordnung, denn das Bewusstsein hat eine konstitutive Funktion, eine Rückwirkung auf die Organisation des Zusammenlebens: »Das Selbstbewusstsein, das seinen Gegenstand, Inhalt und Zweck bis zu dieser Allgemeinheit reinigt und erhebt, tut dies als das im Willen sich durchsetzende Denken. Hier ist der Punkt, auf welchem es erhellt, daß der Wille nur als denkende Intelligenz wahrhafter, freier Wille ist. Der Sklave weiß nicht sein Wesen, seine Unendlichkeit, die Freiheit, er weiß sich nicht als Wesen; – und er weiß sich so nicht, das ist, er denkt sich nicht. Dies Selbstbewusstsein, das durch das Denken sich als Wesen erfaßt, und damit eben sich von dem Zufälligen und Wahren abtut, macht das Prinzip des Rechts, der Moralität und aller Sittlichkeit aus.« (GPR § 21) Diese Ausformung des Selbstbewusstseinsmodells als Entwicklungsprinzip der Geschichte hat die folgenden Implikationen: (1) Die Selbsterkenntnis des Geistes erfordert, wie gesagt, dass die theoretischen und praktischen Tätigkeiten des Geistes sich auf ihre eigene Objektivationen richten, obwohl diese zunächst als eine »Naturordnung« erscheinen können. Diese Objektivationen sind daher ein Bedingungsverhältnis des Sichwissens des Geistes. Es besteht daher eine chronologische Ordnung und ein Bedingungsverhältnis zwischen dem Selbstmissverständnis und der Selbstverständigung der Freiheit. Daher befindet sich der Geist zunächst in einem ungeistigen, unfreien Zustand. Der Geist ist eine Wirklichkeitsform des Wissens, die sich nur in ihrer Vergegenständlichung erkennen kann. (2) Das Bewusstsein der Freiheit und die von diesem Wissen hervorgebrachte Ordnung sind eine Wirklichkeit, die der Geist in »Besitz« nimmt. Die geschichtliche Entwicklung ist daher sowohl ein objektiver Prozess, eine Transformation der Rechtsordnung, als auch ein subjektiver Prozess, die Transformation dieses objektiven, anschaulichen Prozesses in Vorstellung, in Erinnerung. Dieses Wissen von sich kann daher nicht in Vergessenheit geraten. (3) Der Fortschritt ist in bestimmten Entwicklungslinien des Rechts abschließbar. Der Fortschritt in der Selbsterkenntnis des Geistes vollzieht sich in der Zeit, aber die Zeit kann aufgrund der Abschliessbarkeit dieses Prozesses getilgt werden: »Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist, und als leere Anschauung sich dem Bewußtseyn vorstellt; deßwegen erscheint der Geist nothwendig in der Zeit, und er erscheint solange in der Zeit als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, das heißt, nicht die Zeit tilgt.« (GW 9.429) Dieses abgeschlossene Wissen von sich ist ein »ewiger Besitz« des Geistes. Die Abgeschlossenheit kann in bestimmten Linien der Verwirklichung der Freiheit deutlich erkannt werden. Wenn etwa der Mensch qua Mensch als frei

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit …

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gewusst wird, ist eine Entwicklungslinie des Rechts (wenigstens, was ihre ideelle Seite betrifft) abgeschlossen. Wenn die Zurechnung als Vereinigung und Abwägen des »Rechts der besonderen Subjektivität« und des »Rechts der allgemeinen Objektivität« erkannt wird, ist eine andere Entwicklungslinie abgeschlossen, obwohl die Zurechnung aufgrund neuer Anstöße verschiedener Art (wie z. B. der Technologie) neue Schwierigkeiten für die empirische Rechtspraxis bereiten mag. Diese Rechtsentwicklungen im Bereich der empirischen Rechtspraxis sind jedoch geschichtslos. Die Abschliessbarkeit kann nicht allen Entwicklungslinien der Freiheit zugeschrieben werden, denn die Philosophie ist Nachdenken und keine Prophezeiung. (4) Der geschichtliche Zusammenhang, der durch die Wirksamkeit dieses Prinzips konstituiert wird, ist ein Stufengang in der Entwicklung dieses Prinzips (vgl. GW 18.185). In der geschichtlichen Entwicklung des Rechts kann daher – mit bestimmten Nuancen, wie in der systematischen Entwicklung (vgl. GPR § 30), – von einer Stufenfolge die Rede sein. Prägnant deutet Hegel diese Auffassung der Geschichte als einen Stufengang durch eine Gliederung der Geschichte in drei Stufen an: »Einer ist frey«; »Einige sind frey« und »der Mensch als Mensch ist frey« (GW 18.185 f.). Bereits in dieser plakativen Formulierung ist der Gedanke der Abschliessbarkeit und des Tilgens der Zeit enthalten. Diese Prinzipien bilden als konstitutive Momente des Rechtsbegriffs keine Mannigfaltigkeit. Die Betätigung und adäquate Ausbildung eines Prinzips ist die Aufgabe eines besonderen bzw. beschränkten Geistes. Diese Auffassung der Rechtsgeschichte als ein Stufengang muss durch die zwei folgenden Punkte relativiert werden: (a) Es lässt sich in Bezug auf das Recht (wie in Bezug auf die Natur) von einem Auseinandersein der »Idee« sprechen. Dieses Auseinandersein besteht einerseits in einem geographischen und zeitlichen Zerfallen der besonderen Prinzipien der Freiheit. Es besteht andererseits im Vorhandensein einer Mannigfaltigkeit von Rechtsordnungen, die sich nicht vom Rechtsbegriff ableiten lassen, gleich wie die Organismus-Arten sich nicht vom Organismusbegriff ableiten lassen. Dieses Auseinandersein, das Hegel für den Begriff der Natur geltend macht, ist in diesem Sinne auch in der geschichtlichen Verwirklichung einer geistigen Welt zu finden. (b) Dieser Stufengang besteht nicht in einer einzigen Entwicklungslinie, in der sich alle Rechtsordnungen wie die Glieder einer Kette einordnen lassen: Der Stufengang der Rechtsgeschichte ist nicht ein bloßes Abbild der systematischen Stufenfolge des Rechtsbegriffs, die Hegel in § 30 der Grundlinien andeutet. Die Rechtsgeschichte besteht in der Kontinuität und in der chronologische Ordnung von Partialentwicklungen. Diese Partialentwicklungen sind aber zugleich eine Voraussetzung für eine Gesamtgestaltung des Rechts-

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begriffs, so dass diese beschränkten Partialentwicklungen sich in eine (auch beschränkte) Rechtsgeschichte, z. B. eine abendländische Rechtgeschichte, integrieren lassen: »Es wäre infolgedessen auch eine im Grunde genommen müßige Frage, ob die reine Gestaltung des äußeren Rechts in Rom oder die Entdeckung des reinen Prinzips der Subjektivität in Griechenland zeitlich früher oder später als die andere geschichtliche Wirklichkeit geworden ist: hier kommt es wesentlich und ausschließlich darauf an, daß nur im Zusammenwirken beider eine echte Gesamtgestaltung des Rechts denkbar ist.« (Dulckeit 1950, 146) Diese Stufen bestehen daher nicht ganz gleichgültig nebeneinander, denn sonst wäre keine Geschichte der Freiheit möglich. Die basalen Bestimmungen der Geschichte, chronologische Ordnung und Kontinuität, heben dieses Auseinanderfallen auf.

(II) Der freie Wille, der den freien Willen will Das Entwicklungsprinzip des Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit wurde von Hegel für eine Weltgeschichte (als Geschichte von Staaten) formuliert. Eine andere mögliche Formulierung eines Entwicklungsprinzips für die Rechtsgeschichte kann aus den Grundlinien gewonnen werden, obwohl die Durchführung der Rechtsphilosophie in diesem Werk fast die Form eines statischen Vernunftrechts hat. Diese Formulierung ist die Bestimmung der Willensgestalt, durch welche der Weg des freien Willens zum objektiven Geist vollendet wird: »der freie Wille, der den freien Willen will« (GPR § 27). Diese zweite Formulierung kann lauten: Die interne Bewegung des sich selbst wollenden Willens ist das Prinzip der Rechtsentwicklungen. Diese Formulierung hat die folgenden Vorteile: (a) In ihr geht die fruchtbare Unterscheidung zwischen objektivem und absolutem Geist nicht verloren. Die Rechtsgeschichte ist eine Partialgeschichte der Geschichte der Freiheit, die den objektiven und absoluten Geist umfasst. Das Spezifikum des objektiven Geistes muss in dieser Partialgeschichte geltend gemacht werden. (b) Diese Formulierung enthält den Mechanismus, der in der Formel vom »Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit« bezeichnet wird. Die »Thaten des selbstbewußtwerdenden Willens« (GW 18.195), die Hegel bezüglich der Weltgeschichte erörtert, gelten auch für die selbstbezügliche Tätigkeit des sich wollenden Willens. Die Selbstbezüglichkeit des freien Willens kann als Entwicklungsprinzip der Rechtsgeschichte betrachtet werden. (c) Diese Ausformung des Prinzips des freien Willens als sich selbst wollender Wille zeigt, dass diese Tätigkeit zielgerichtet und nur teilweise abschliess-

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit …

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bar ist. Die zielgerichtete Tätigkeit des sich wollenden Willens kann sich in bestimmten Entwicklungslinien als Telos (Ziel und Ende) manifestieren.

(III) Herausbildung der Subjektivität Eine dritte mögliche Formulierung des Prinzips der Rechtsgeschichte ist folgende: Die Entwicklung des Rechts ist die Herausbildung der Subjektivität. Diese Formulierung expliziert eine wesentliche Dimension der geschichtlichen Entwicklung, die in den vorherigen Formulierungen enthalten ist. Sowohl die Taten der selbstbewusstwerdenden Freiheit als auch das Selbstverhältnis des sich wollenden Willens sind Leistungen der Subjektivität. Der Terminus »Herausbildung« ist hier sehr relevant: Die Subjektivität wird in der Geschichte herausgebildet, aber nicht hervorgebracht. Die Herausbildung der Subjektivität vollzieht sich durch die Vertiefung des Selbstbewusstseins in sich. Der Vorteil dieses Prinzips der »Herausbildung der Subjektivität« besteht darin, dass es eine nähere Bestimmung dieser Partialgeschichte der Freiheit ermöglicht. Aufgrund dieser näheren Bestimmung ist es für die Rekonstruktion der Rechtsgeschichte als Partialgeschichte der Freiheit besonders geeignet. Die Angemessenheit zeigt sich deutlich darin, dass dieses Prinzip die eigentliche Rechtsgeschichte inauguriert: Der Ausgangspunkt der Rechtsgeschichte, wie ihn Hegel in der Phänomenologie des Geistes darstellt, ist die Herausbildung der Rechtsperson. Die These, dass die Herausbildung der Rechtsperson der Beginn der Rechtsgeschichte sei, ist durch rechtsgeschichtliche Untersuchungen bestätigt worden. Die Rechtsgeschichte beginnt mit der Herausbildung der personenrechtlichen Seite des Rechts: »In der Geschichte hingegen findet umgekehrt an erster Stelle diese personenrechtliche Seite der Rechtspersönlichkeit ihre mehr oder weniger volle Ausgestaltung; noch bevor das einzelne Individuum seine Eigentums- und Vermögensrechtsfähigkeit gewinnt, gilt es im Geschäftsleben bereits rechtlich als verantwortlich handelnde freie Persönlichkeit.« (Dulckeit 1950, 63–64) (a) Die »Idee« des äußeren Rechts ist die Vereinigung von Person und Eigentum. Die allgemeine Anerkennung der Eigentumsfähigkeit als Bestandteil der vollständigen Rechtsperson hat sich »seit gestern« (GPR § 62) durchgesetzt. Die Herausbildung der Rechtsperson vollzieht sich geschichtlich vor der Anerkennung und vor der adäquaten Gestaltung ihrer äußeren Sphäre. Der Primat der Person – als Geltungsgrundlage der Eigentumsfreiheit und nicht umgekehrt – wird in der chronologischen Ordnung der geschichtlichen Entwicklung bestätigt. Die »ordo

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10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

rerum« wiederholt in dieser Partialentwicklung die »ordo idearum«. (b) Die Herausbildung der Rechtsperson und die Durchsetzung ihrer internen Logik vollziehen sich, bevor der freie Wille als der Geltungsgrund dieser Logik erkannt und anerkannt wird. Die Herausbildung der Rechtsperson ist das Heraustreten des Einzelnen aus der Unmittelbarkeit der sittlichen Welt, der »lebendige[n] unmittelbare[n] Einheit der Individualität und der Substanz« (GW 9.260). Der Terminus »Unmittelbarkeit« enthält hier verschiedene Bedeutungen. Er bedeutet einerseits die unmittelbare und ungeschiedene Einheit von Sitte, Riten und Normen. Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit der sittlichen Welt ist als ein Ablösungsprozess zu interpretieren. Durch diese Ablösung kann sich das Recht als eine »selbständige Lebenswirklichkeit« (Dulckeit 1950, 124 f.) durchsetzen. Der Terminus »Unmittelbarkeit« bezieht sich hier auf die Empfindung und auf »das allgemeine Blut der Familie« (GW 9.261). Die Herausbildung der Rechtsperson, der »abstracten Allgemeinheit« (ebd.) vollzieht sich daher durch eine Reflexion in sich der Subjektivität (»das in sich reflektierende absolute Wesen«, ebd.), durch eine Vertiefung des Selbstbewusstseins in sich: »Die Persönlichkeit ist also hier aus dem Leben der sittlichen Substanz herausgetreten; sie ist die wirkliche geltende Selbständigkeit des Bewußtseins.« (ebd.) Die Herausbildung der Person ist das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit der sittlichen Welt und zugleich Übergang in die abstrakte Allgemeinheit des Rechtszustandes. Diese Ablösung der Rechtsperson aus der Unmittelbarkeit der Sittlichkeit erfordert den Prozess einer Vermittlung von Allgemeinheit und Einzelheit. Die Erörterung dieses Prinzips, der Herausbildung der Person, zeigt daher eine andere Dimension des Prinzips der Rechtsgeschichte: Das Prinzip der Rechtsgeschichte ist das Streben nach einer adäquaten Vermittlung von Einzelheit und Allgemeinheit, von Individuum und Gemeinschaft: »Auf diese Weise ist schließlich auch die geschichtliche Entwicklung des Rechts sozusagen im Begriff, an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren: die Einheit des Allgemeinen und Einzelnen, von der sie ihren Anfang nahm, steht nunmehr als Ziel wieder vor ihr. Aber diese Einheit ist nicht mehr eine unmittelbare und einfache Gegebenheit oder eine als selbstverständlich anerkannte alleinige Herrschaft des Allgemeinen über das Einzelne, sondern die durch den harten Kampf der Gegensätze vermittelte Versöhnung der beiden Extreme und ihre konkrete Wirklichkeit: die Einheit nicht mehr des abstrakten Einzelnen und der ebenso abstrakten Allgemeinheit, sondern der sittlichen Persönlichkeit und der echten Gemeinschaft im wahrhaft, das heißt an und für sich freien allgemeinen Willen.« (Dulckeit 1950, 132) In der Herausbildung der Rechtsperson ist daher im Keim die Notwendigkeit der Staatsbil-

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit …

251

dung enthalten. Dieser vermittelnde Prozess erfordert daher die Binnendifferenzierung des Rechts: Ablösung, Vermittlung, Differenzierung sind Prozesse, die durch die Herausbildung der Rechtsperson in Bewegung gesetzt werden. Dieser Prozess, der durch einen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit in Gang gesetzt wird, besteht in einem Widerspruch, dem »Widerspruch der Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Bewusstseyns« (GW 9.262). Das Resultat dieses Prozesses ist daher ein dialektischer Umschlag, eine »Verkehrung« (GW 9.264). Diese Dialektik ist die interne Logik einer grundlegenden Gefahr der Welt des Rechts: des »Formalismus des Rechts« (ebd. 262). Dieser Formalismus besteht in der Gestaltung aller Stufen der Freiheit nach den Prinzipien des äußeren Rechts, nach dem abstrakten Prinzip der Rechtsperson, und stellt daher eine Gefährdung, eine Negation der sittlichen Freiheitsformen dar. Im Formalismus des Rechts manifestiert sich die Einheit beider Dimensionen dieser Prozesses: Die Herausbildung der Rechtsperson und das Heraustreten aus der sittlichen Welt. Der Formalismus des Rechts ist als Gefährdung der Freiheit zugleich eine Form des Unrechts. Daher zeigt sich bereits in der Entstehung der Welt des Rechts die innere Notwendigkeit des Unrechts als Daseinsform der Freiheit. Durch diese Dialektik zeigt Hegel in der Phänomenologie des Geistes, dass die Wirkung der Vertiefung des Selbstbewusstseins eine höchst ambivalente Natur hat. Die Ambivalenzen, die den Übergang in den Rechtszustand charakterisieren, sind die folgenden: (a) Die herausgebildete Rechtsperson (die Individuen als »Selbstwesen und Substanzen«) schlägt in ein »unwirkliche[s], kraftlose[s] Selbst«, in die »Substanzlosigkeit« (GW 9.263) um. Paradox formuliert: Die Verwirklichung der Person ist zugleich ihre Entwirklichung. (b) Die Subjektivität der Rechtsperson entsteht aus der Vertiefung des Selbstbewusstseins, aber sie ist zugleich »Wegwerfen seines Selbstbewußtseyns«. Aufgrund dieser leeren Reflexion in sich ist das Individuum »außer sich« (ebd.). Das »Beisichsein« des Geistes kann nicht bloß durch die Gewissheit des Ich gewonnen werden. Das Individuum kann nur in der Wahrheit einer sittlichen Welt »bei sich« sein. Die Herausbildung der Subjektivität ist daher ihre Entäußerung, ihre Entfremdung. (c) Die Entstehung des Rechtszustandes besteht nicht in einer Organisation der Freiheit, sondern in der atomistischen Zersplitterung, und stellt somit eine Gefährdung des menschlichen Zusammenlebens dar. Die Person ist ein Atom, ein »geistloser Punkt« (GW 9.262). Diese Zersplitterung hat ein »Chaos der geistigen Mächte« (GW 9.263), Zerstörung und Verwüstung zur Folge. Die Erklärung dieser Unordnung ist, dass die Einheit von Individuum

252

10. Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit

und Gemeinschaft nicht mehr durch sittliche Freiheitsformen zusammengehalten wird: Der Übergang in den Rechtszustand ist eine Desintegration des menschlichen Zusammenlebens. Dieser Prozess der Herausbildung der Subjektivität ist für alle Stufen der »Rechtsidee« konstitutiv: (1) Die Herausbildung der Rechtsperson produziert die Stufe des äußeren Rechts. Die »Idee« des äußeren Rechts ist die Verbindung von Person und Eigentum. Die adäquate Gestaltung der Eigentumsfreiheit als die äußere Sphäre der Rechtsperson ist, wie gesagt, »seit gestern« (GPR § 62) gewonnen worden. Die Verwirklichung der Eigentumsfreiheit (als Bestandteil der vollständigen Rechtsperson) ist nicht nur als Expansion (allgemeine Anerkennung der Eigentumsfähigkeit), sondern zugleich als ein Abbau zu interpretieren: Die Herrschaft des Eigentumsrechts darf nur über eine Sache (d. h. äußere Gegenständlichkeit) oder über eine »Versachlichung« (Leistung) ausgeübt werden. Die Verwirklichung der Eigentumsfreiheit ist daher auch ein Abbau der Subsumtion von Personen unter dieses Sachenrecht. (2) Die Herausbildung der Subjektivität macht die Stufe des inneren Rechts aus. Die »Idee« des inneren Rechts ist die Verbindung von Subjekt und Handlung. Auf dieser Stufe werden die basalen Bestimmungen der Zurechnung entwickelt. Der Prozess der Herausbildung der Subjektivität besteht nicht nur in der Herausbildung und Durchsetzung des »Rechts der Subjektivität« durch eine Reflexion des Willens in sich, sondern auch in der Rückbindung dieses subjektiven Rechts an eine gewusste und gewollte Rechtsordnung, an das »Recht der Objektivität«. Diese Rückbindung vollzieht sich durch eine Vermittlung des besonderen und allgemeinen Willens: die begriffliche Genese des allgemeinverbindlichen Willens, der »volonté générale«. (3) Die Herausbildung der sittlichen Person (a) und der staatlichen Person (b) macht im Wesentlichen die Freiheit der Sittlichkeit aus. (a) Die sittliche Person: Sie ist das Resultat der Vermittlung des besonderen und des allgemeinen Willens, oder anders formuliert: der Vermittlung des Rechts der Subjektivität und der Objektivität. Die Durchsetzung des Rechts der Subjektivität hat eine Transformation der Objektivität des Rechts zur Folge. Diese Transformation ermöglicht die freiwillige Einbindung der sittlichen Person in die Institutionen. Trotz der subjektiven Transformation zeigt sich in dieser Vermittlung, dass das Recht der Objektivität das übergreifende Moment ist: Die Objektivität bestimmt das Recht. Hegel stellt das Zusammenfallen von Recht und Pflicht als ein Kennzeichen der spezifischen Freiheit der sittlichen Person dar. (b) Die staatliche Person: Der Staat ist im wörtlichen Sinn eine Person, denn einem Staat können Wörter und Handlungen zugeschrieben werden.

10.3 Die Gestaltung des Prinzips der Freiheit …

253

Die Gesetze können nur in Kraft durch das »Ich will« des Inhabers der Souveränität (sei dieser ein Monarch oder eine Versammlung), durch das »letzte Selbst des Staatswillens« (§ 280) gesetzt werden: »Der rechtliche Begriff des Staates ist nur an sich ein Zurechnungsbegriff, der nichts darüber besagt, wer real hinter der Staatsgewalt steht, welche Person oder Personengruppen also in der Lage sind, die Staatsmaschinerie in ihrem Sinn in Bewegung zu setzen.« (Braun, 247–248) Der Prozess der neuzeitlichen Staatenbildung durch das Prinzip der Souveränität ist daher auch als ein Prozess der Herausbildung der Subjektivität, der Selbstbestimmung zu verstehen: »Die Souveränetät, zunächst nur der allgemeine Gedanke dieser Idealität, existiert nur als die ihrer selbst gewisse Subjektivität und als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt.« (GPR § 279)

11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

11.1 Einleitung: die Notwendigkeit der systematischen Fundierung dieser Vereinbarkeit für eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens In der bewusstseinsgeschichtlichen Phase der Neuzeit entsteht die Vorstellung, dass Zwang nicht aus Leidenschaften, aus besonderen Interessen ausgeübt werden darf. Die Ausübung von Zwang erfordert in dieser Phase eine Legitimierung. Diese Forderung der Vernunft nach einer rechtlichen Ausübung des Zwangs führt selten zu einer Beschränkung und Mäßigung des Zwangs, denn die Leidenschaften, die Sonderinteressen setzen sich weiter durch. Diese Forderung hat vielmehr sowohl eine neue Gestaltung dieser Zwangsbefugnis als auch eine Herabsetzung des Rechts zu bloßem Anschein zur Folge: »Zu keiner Zeit wie in der unsrigen sind hierüber allgemeinere Sätze, Gedanken und mit grösserer Pretension aufgestellt worden; wenn die Geschichte sonst vornemlich sich als ein Kampf der Leidenschaften darzustellen scheint, so zeigt sie in unserer Zeit, obgleich die Leidenschaften nicht fehlen, theils überwiegend für sich den Kampf berechtigter Gedanken untereinander, theils den Kampf der Leidenschaften und subjectiven Interessen wesentlich nur unter dem Titel solcher höhern Berechtigungen.« (GW 18.169) Daher findet man in dieser Phase eine besondere Beschäftigung mit Gestalten, für welche der Zwang konstitutiv ist, etwa wenn die Begründung der Rechtlichkeit der Strafe zu einem Hauptproblem gemacht wird. Das Rechtsdenken, das den freien Willen zum alleinigen Prinzip aller Rechtsverhältnisse erhebt, muss sich mit der folgenden Problematik beschäftigen: Zum einen ist das Recht Dasein des freien Willens. Zum anderen ist der Zwang ein konstitutives Moment in der Produktion und Stabilisierung einer Sphäre der Freiheit. Die konsequente Durchführung dieses Rechtsdenkens erfordert die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang. Der Zwang kann nur legitim sein, wenn er zum Werk der Freiheit gemacht wird. Eine Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang im Bereich des Rechts muss sich mit allen Rechtsgestalten beschäftigen, in denen sich eine rechtliche Verletzung der Freiheit der Besonderheit (insbesondere Person und Eigentum) vollzieht, wie Strafe, Notrecht, Militärwesen usw. Alle diese Normen, diese Befehle können nicht mehr aus einer Logik der Machtverhältnisse, sondern müssen aus der immanenten Logik einer machthabenden Allgemeinheit rekonstruiert werden. Der

11.1 Einleitung: die Notwendigkeit der systematischen Fundierung …

255

Inhalt dieser Problematik ist daher die Form des Geltens in diesen Rechtsgestalten. Die systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens hat die Begründung neuer Gedankenverhältnisse zur Voraussetzung, die aus der Perspektive moderner Denkweise als Paradoxien erscheinen, z. B. die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang, die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit. Die Begründung aller dieser Paradoxien wird zu einem Prüfstein der Theorien, die die Tätigkeit des freiens Willens als das Rechtsprinzip auffassen. Die interne Notwendigkeit dieser Paradoxien liegt in der Struktur des Freiheitsbegriffs selbst. Aus dieser Struktur erklärt sich der Zusammenhang zwischen den verschiedenen paradoxalen Bestimmungen des Freiheitsbegriffs. In Bezug auf das Strafrecht thematisiert Hegel z. B. die Vereinbarkeit sowohl von Freiheit und Zwang als auch von Freiheit und Notwendigkeit. In seiner Straftheorie begreift er »die Wirklichkeit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermittelnde Notwendigkeit« (GP § 97). Die Rekonstruktion dieser Paradoxien der Freiheit lässt sich als ein Fortschritt in der Selbstverständigung des Geistes in Bezug auf seine Seinsweise betrachten. Im ersten Teil der vorliegenden Analyse wurde gezeigt, wie Hobbes die Paradoxien des neuen Rechtsdenkens plakativ formuliert, z. B. (a) die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit (»liberty, and necessity are consistent«, EW 3.197); (b) die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit: »fear and liberty are consistent« (ebd.) Diese Vereinbarkeit gilt auch für die »fear of punishment« (EW 3.92). Es wurde auch gezeigt, dass Hobbes nicht über die adäquaten Begriffsmittel verfügt, um eine systematische Fundierung dieser Paradoxien zu gewinnen. Er begründet die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit durch das Kausalitätsverhältnis und die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang durch eine »relative« Straftheorie, die sowohl die Strafe auf psychischen Zwang als auch den Willen auf einen unfreien Mechanismus von »Naturtrieben« reduziert. Kant formuliert diese Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang bereits in der Erörterung des Rechtsbegriffs. Sie sei eine analytische Folge der Trennung von Recht und Moral: »wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d.i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich ein Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft« (AA VI.230). Der Kantische Lösungsversuch zeigt sich als prob-

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

lematisch in folgenden Punkten. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang lässt sich nicht durch die analytische Erörterung eines Begriffs begründen. Die Begriffsbestimmungen machen nur eine »Seite« der »Idee« des Rechts aus. Diese Vereinbarkeit liegt in einer Produktionslogik, die Vernunftbestimmungen und Wirklichkeitsmomente vereinigt. Diese Vermittlung vollzieht sich nicht mit einem Schlag, sondern sie ist das Resultat einer Vermittlung, die mehrere Freiheitsstufen durchläuft. Obwohl der Zwang ein notwendiges Moment in der Produktion und Stabilisierung einer Sphäre des Rechts ist, kann diese Sphäre durch den Zwang nicht definiert werden: »Das abstrakte oder strenge Recht sogleich von vornherein als ein Recht definieren, zu dem man zwingen dürfe, – heißt es an einer Folge auffassen, welche erst in dem Umwege des Unrechts eintritt.« (GPR § 94) Der Zwang ist keine basale Bestimmung des Rechtsbegriffs. Die Begründung der Zwangsbefugnis setzt, wie sich unten zeigen wird, bereits die Begründung der Geltung einer äußeren Sphäre der Freiheit voraus, die durch eine Daseinsform der Freiheit (das Unrecht) verletzt wird: »Die Zwangsbefugnis ist eine Folge, kein Definiens von Recht.« (Mohr 1997, 103) Hegel rekonstruiert die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang als einen Prozess, der mehrere Freiheitsstufen durchläuft und auf der Stufe der Sittlichkeit seine Vollendungsgestalt findet; denn ihre Vereinbarkeit liegt laut Hegel in einer gelungenen Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit. Diese adäquate Vermittlung ist die gesetzte »Identität« des allgemeinen und des besonderen Willens, wie sich im sittlichen Zusammenfallen von Pflicht und Recht zeigt: »Wenn beispielsweise der Rechtsbegriff sich in die drei Stufen des äußeren, inneren und sittlichen Rechts gliedert, die erste als objektiv gewordener freier Wille durch den Geist der Äußerlichkeit (Rechtszwang) und die zweite als subjektiv freier Wille durch den Geist der Innerlichkeit (Freiheit der Moral) gekennzeichnet wird, so bildet der sittliche Geist des wahren Rechts als die Einheit beider in das bestehende und bestehen bleibende objektive System des äußeren Rechtsordnung die moralische Haltung ein: Das Zwangsrecht wird auf diese Weise durch die freiwillige Unterwerfung unter seine Bestimmungen in seiner Äußerlichkeit verinnerlicht oder, anders gewendet, nur innerlich aufgehoben, während die Moral nunmehr in den objektiv sittlichen Mächten ihren wahren Inhalt gewinnt und daher nur als Form der freien Entscheidung erhalten bleibt.« (Dulckeit 1950, 44) Die systematische Strukturierung aller Freiheitsstufen (des äußeren, inneren und sittlichen Rechts) kann, wie Dulckeit behauptet, als eine Antwort auf diese Problematik gelesen werden. Die Stufen des äußeren und des sittlichen Rechts sind jedoch die systematischen Orte, an denen Hegel diese Problematik erörtert. Auf der Stufe des äußeren Rechts formuliert er diese Verein-

11.2 Willensfreiheit und Strafe

257

barkeit von Freiheit und Zwang prägnant: »das abstrakte Recht ist Zwangsrecht« (GPR § 94). Er begründet diese Vereinbarkeit durch eine »absolute« Straftheorie. Auf der Stufe des sittlichen Rechts thematisiert er erneut diese Problematik in Bezug auf die folgende Pflicht, die für die »Souveränetät des Staates gegen aussen« konstitutiv ist: »die Pflicht, durch Gefahr und Aufopferung ihres Eigentums und Lebens, ohnehin ihres Meinens und alles dessen, was von selbst in dem Umfange des Lebens begriffen ist, diese substantielle Individualität, die Unabhängigkeit und Souveränetät des Staates zu erhalten« (§ 324). Die Geltung beider Institutionen, der strafenden Gewalt und des Militärwesens, liegt letztendlich in einer Freiheitsform, die die Rechte der Besonderheit (die Person und das Eigentum) in Anspruch nehmen darf: »Die Gerichte, Krieger haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Menschen zu töten, wo aber genau bestimmt ist, wegen welcher Qualität Menschen und unter welchen Umständen dies erlaubt und Pflicht sei.« (§ 140) Die vorliegende Analyse der Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang bei Hegel teilt sich in die folgenden Punkte ein: (11.2) Willensfreiheit und Strafe; (11.3) die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg.

11.2 Willensfreiheit und Strafe Die begriffliche Betrachtung des Rechts enthält eine rechtspolitische Dimension. Es ist daher notwendig, einen Leitfaden zu finden, durch welchen sich die philosophischen und rechtspolitischen Fragen des Strafrechts adäquat zusammendenken lassen. Zu diesem Zweck sind die unterschiedlichen Fragen bezüglich der Rechtsinstitutionen richtig zu formulieren und deutlich zu unterscheiden. Dies ist bei Hegel sehr deutlich, denn jede Frage hat bei ihm ihren systematischen Ort. Dies lässt sich anhand des Eigentumsrechts veranschaulichen. Er unterscheidet die Frage nach der Begründung des Eigentumsrechts (auf der Stufe des abstrakten Rechts) von der Frage nach der Verteilung des Reichtums (auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft). Er begründet das Eigentum als die notwendige Objektivierung der Person: Die »Idee« des äußeren Rechts ist die Verbindung von Person und Eigentum. Die deutliche Richtung dieses Verhältnisses (von Person zu Eigentum und nicht umgekehrt) hat eine rechtspolitische Dimension: Der rechtliche Status der Person ist nicht von der äußeren Sphäre abhängig, aber die Person hat einen legitimen Anspruch auf die Gestaltungsmöglichkeit der äußeren Sphäre, die nicht als Unwirklichkeit bleiben darf. Obwohl man bereits in den basalen Bestimmungen des abstrakten Rechts diese politische Dimension findet, ge-

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

hören nicht zu dieser Stufe Gleichheitsforderungen, die die Frage der Verteilung des Reichtums betreffen (vgl. GPR § 49). Diese Frage ist jedoch nicht nur anhand des Eigentums, sondern auch anhand des Vermögens und des gesellschaftlichen Reichtums zu beantworten. Hegel formuliert deutlich die philosophischen Fragestellungen bezüglich des Strafrechts und ihre Hierarchie: (1) die Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe in der Strafbegründung und (2) die Frage nach der Strafzumessung. Die Begründung der Gerechtigkeit der Strafe ist die Hauptfrage, denn die Aufgabe der Zumessung setzt die Gerechtigkeit der Strafe voraus. Die rechtspolitischen Dimensionen beider Fragen dürfen daher nicht vermischt werden. Diese Fragen haben bei Hegel einen systematischen Ort: das abstrakte Recht ist die systematische Stelle für die Strafbegründung und die bürgerliche Gesellschaft für die Strafzumessung. Die Thematisierung des Strafrechts wird daher in folgende Punkte eingeteilt: Die Begründung des Zwangsrechts: die Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe (11.2.1) und die Strafzumessung (11.2.2).

11.2.1 Die Begründung des Zwangsrechts: die Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe Die Hauptfrage einer philosophischen Straftheorie ist die Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe. Von dieser Frage ausgehend thematisiert Hegel die Existenz eines »Zwangs der Freiheit«. Dieser Genitiv ist zugleich als objektiv und als subjektiv zu interpretieren: Die Freiheit kann gezwungen werden und der Zwang ist zugleich eine Forderung der Produktionslogik der Freiheit. Nur durch diesen Zusammenhang lässt sich die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang begründen. Dieser Zwang der Freiheit (als subjektiver Genitiv) ist das Zwangsrecht. Dieses Zwangsrecht kann nicht nur als ein Recht des allgemeinen Willens (das Zwangsrecht als Recht an sich) und daher als eine negative Beziehung auf den besonderen Willen des Verbrechers (das Zwangsrecht als Recht gegen den Verbrecher) interpretiert werden. Das Zwangsrecht erfordert, wie alle Rechtsgestalten, auch die Einwilligung des besonderen Willens, und dies gilt auch für den besonderen Willen des Verbrechers. Das Zwangsrecht hat daher auch eine positive Beziehung auf den besonderen Willen des Verbrechers (das Zwangsrecht als »Recht an den Verbrecher«, GPR § 100). Die Begründung der Rechtlichkeit der Strafe (bzw. die Begründung des Zwangsrechts) wird daher in folgende Punkte eingeteilt: Das Zwangsrecht als Recht an sich (11.2.1.1); das Zwangsrecht als »Recht an den Verbrecher« (11.2.1.2).

11.2 Willensfreiheit und Strafe

259

11.2.1.1 Das Zwangsrecht als Recht an sich Im Vertrag finden sowohl die erste Selbstunterscheidung des freien Willens – der allgemeine Wille (das »Recht an sich«) und der besondere, für sich seiende Wille – als auch die erste Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit statt: »Im Verhältnis unmittelbarer Personen zueinander überhaupt ist ihr Wille, ebensosehr wie an sich identisch und im Vertrage von ihnen gemeinsam gesetzt, so auch ein besonderer.« (§ 81) Die Einheitsform des Vertrags ist eine unmittelbare Übereinstimmung von Allgemeinheit und Besonderheit: die Allgemeinheit als nur ein Gemeinsames und die Besonderheit als die Willkür der Vertragspartner. Diese Form ist für die Vereinigung beider Momente unangemessen. Die Manifestation dieser Unangemessenheit ist die Instabilität und Verletzung des Vertrags, das Unrecht: »Als besonderer für sich vom allgemeinen verschieden, tritt er in Willkür und Zufälligkeit der Einsicht und des Wollens gegen das auf, was an sich Recht ist, – das Unrecht.« (ebd.) Durch die Tätigkeit des freien Willens tritt die Freiheit ins Dasein und in die Erscheinung. Die Rechtsgestalten sind als Gestalten des Geistes zugleich Daseins- und Erscheinungsformen. Die Gefährdung der äußeren Sphäre der Freiheit durch das Unrecht und der folgende Prozess der Stabilisierung betreffen beide untrennbare Dimensionen des Rechts. Hegel versucht ein Begriffsinstrumentarium zu entwickeln, mittels dessen er die zwei folgenden Aspekte zusammendenken kann: (1) die Verletzung und Restitution beider Dimensionen des Rechts und (2) die Rekonstruktion dieser Sequenz von Verletzung und Wiederherstellung als eine notwendige Durchgangsphase im Vermittlungsprozess des abstrakten Rechts. Mittels der Kategorie des Scheins versucht er beide genannten Aspekte zu thematisieren: Ad (1) Durch die Kategorie des Scheinens lassen sich beide Dimensionen des Rechts (das Dasein und die Erscheinung der Freiheit) zusammendenken. Zum einen ist der Schein ein dem Wesen unangemessenes Dasein. Zum anderen ist er eine Beziehung auf das Bewusstsein, auf den besonderen, für sich seienden Willen: »Diese Erscheinung des Rechts, in welchem dasselbe und sein wesentliches Dasein, der besondere Wille, unmittelbar, d. i. zufällig übereinstimmen, geht im Unrecht zum Schein fort, – zur Entgegensetzung des Rechts an sich und des besonderen Willens, als in welchem es ein besonderes Recht wird.« (§ 82) Ad (2) Der Schein ist aufgrund seiner Unangemessenheit ein unwahres Dasein, das verschwinden muss, damit das Wesen sich als Macht über den Schein erweist und durch dessen Vernichtung die Wiederherstellung der Wirklichkeit bewirkt. Die Seinsweise des Rechts ist als Gestalt des Geistes

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

nicht die Form der Unmittelbarkeit. Daher erfordert das Recht einen Vermittlungsprozess, der die Einheit von Geltung und Wirksamkeit der Rechtsbestimmungen wiederherstellt: »Die Wahrheit dieses Scheins aber ist, daß er nichtig ist und daß das Recht durch das Negieren dieser seiner Negation sich wiederherstellt, durch welchen Prozess seiner Vermittlung, aus seiner Negation zu sich zurückkehren, es sich als Wirkliches und Geltendes bestimmt, da es zuerst nur an sich und etwas Unmittelbares war.« (ebd.) Hegel stellt daher die Formen des Unrechts als drei Stufen des Scheins dar. Das Unrecht ist eine notwendige Folge der für das Vertragsrecht charakteristischen Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit. Hegel thematisiert die Formen des Unrechts auch als Stufen in der Vertiefung der Trennung zwischen Allgemeinheit und Besonderheit. Die Vertiefung in diesem Auseinandertreten von Allgemeinheit und Besonderheit hat ihre Ergänzung in einem Vermittlungsprozess, in dem Allgemeinheit und Besonderheit auf einem höheren Boden vereinigt werden. Die Restitution der Wirklichkeit des Rechts ist daher nicht als eine Rückkehr zu dem Ausgangpunkt, sondern als die Herausbildung einer angemesseneren Form der Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit zu begreifen. Hegels Kriterium für die Einteilung der Formen des Unrechts sind die Stufen des Scheins und die Stufen der Trennung zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Willen: (a) unbefangenes Unrecht, (b) Betrug und (c) Verbrechen. (a) Unbefangenes Recht: Die erste Form respektiert den allgemeinen Willen (das »Recht an sich«), aber negiert den besonderen Willen des Anderen. Der Schein dieser Stufe ist an sich oder unmittelbar, d. h. »dem Recht rein objektiv Eigentümliches und Anhaftendes« (Flechtheim 1975, 78). Die Divergenz ist das Auseinandergehen von Meinungen über das Recht an sich: die Rechtskollision. Die Reaktion des Rechts auf die erste Form des Unrechts ist die Prüfung der Rechtsansprüche: »die Sphäre des bürgerlichen Rechtsstreits« (GPR § 85). Der Widerstreit der Interessen betrifft daher nur die »Subsumtion der Sache unter das Eigentum des einen oder des anderen« (ebd.). (b) Betrug: Die zweite Form des Unrechts negiert den allgemeinen Willen, aber respektiert den besonderen Willen des Anderen. Die zweite Stufe des Scheins ist nicht mehr objektiv, sondern durch das Subjekt gesetzt. Die Form des Unrechts negiert den allgemeinen Willen, denn sie setzt das »Recht an sich« zum bloßen Schein herunter. Der Betrug respektiert den besonderen Willen des Anderen, denn er produziert den Anschein des Rechts, um die Zustimmung des Anderen zu gewinnen. Diese Rechtswidrigkeit ist nicht Resultat eines Rechtsirrtums, sondern eines rechtswidrigen Willens. Die Reaktion auf diese Form des Unrechts kann die Strafe sein, denn sie ist eine

11.2 Willensfreiheit und Strafe

261

Verletzung des allgemeinen Willens: »Beim Betruge hingegen treten Strafen ein, weil es sich hier um das Recht handelt, das verletzt ist.« (ebd., Zusatz) (c) Verbrechen: Die dritte Form des Unrechts respektiert weder den allgemeinen Willen noch den besonderen Willen des Anderen. Das Verbrechen kann auch als eine Stufe des Scheins bezeichnet werden, denn es ist ein seinem Wesen unangemessenes Dasein, das als solches verschwinden muss. Es ist eine höhere Gestalt der Freiheit, aber sie ist der Freiheit zugleich unangemessen. Diese Gestalt des Unrechts negiert sowohl das »Recht an sich« (die objektive Seite) als auch den Anschein des Rechts (die subjektive Seite). Sie ist daher eine Verletzung des Rechts als Recht. Die Verletzung des Rechts durch das Verbrechen ist eine positive Existenz, die Äußerung einer kriminellen Energie. Die Verletzung des Rechts als Recht ist Zwang, und die einzig mögliche Reaktion des Rechts auf dieses Phänomen ist die Strafe. Betrachtet man in den Formen des Unrechts die fortschreitende Divergenz zwischen Allgemeinheit und Besonderheit, zeigt sich die Notwendigkeit der Produktion eines neuen Konvergenzpunktes. Ohne einen solchen Konvergenzpunkt wäre die Produktion und Stabilisierung einer Welt der Freiheit unmöglich. Dieser Konvergenzpunkt lässt sich nicht durch das Aufgeben der Willkür und des subjektiven Rechts gewinnen, denn dies wäre selbst eine Gestalt des Unrechts: »Die Idee des platonischen Staats enthält das Unrecht gegen die Person, des Privateigentums unfähig zu sein, als allgemeines Prinzip.« (§ 46) Das Beharren in einem der Freiheit unangemessenen Zustand ist selbst eine Verletzung der Freiheit: »der nur natürliche Wille ist an sich Gewalt gegen die an sich seiende Idee der Freiheit« (§ 93) Die Freiheit des Einzelnen ist ein Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Durch die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Rechtsentwicklung wird sie irreversibel. Da die unmittelbare Einheit zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Willen sich notwendig durch das Unrecht als instabil manifestieren muss, kann dieser Konvergenzpunkt nur Resultat eines Vermittlungsprozesses sein. Die Verletzung des Rechts als Recht ist ein Zwang der Freiheit. Der erste Schritt in der Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang ist die Begründung der Möglichkeit, die Freiheit zu verletzen. Hegel erklärt diese Art von Zwang durch die basalen Bestimmungen der Tätigkeit des freien Willens, die er in den §§ 5–7 thematisiert. Die Freiheit als reine Unbestimmtheit kann nicht gezwungen werden (§ 5). Der Wille kann nur als Bestimmtes und Endliches ins Dasein treten. Nur das Dasein des freien Willens kann dem Zwang unterworfen werden (§ 6). Das Dasein des freien Willens ist eine »bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt« (§ 7). Der freie Wille kann nur als »Idee«, d. h. als wirkliche Freiheit, gezwungen werden, und sie ist das Produkt der

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

Selbstbestimmung: »Es kann nur der zu etwas gezwungen werden, der sich zwingen lassen will.« (§ 91) Der Scheincharakter des Zwangs zeigt sich darin, dass die Gewalt sich in ihrem Begriff widerspricht. Die notwendige Selbstaufhebung der Daseinsform der Freiheit, die das Verbrechen ist, liegt in ihrer Widersprüchlichkeit: Das Verbrechen ist eine Willensäußerung, die das Dasein eines Willens negiert. Das Dasein des Verbrechens charakterisiert sich durch seine Nichtigkeit. Unter der Nichtigkeit des Verbrechens muss Folgendes verstanden werden: (a) Das Verbrechen hat keine rechtliche Geltung. Es ist ein Rechtsanspruch, der sich als ungültig, als nichtig erweist. (b) Es verletzt das Recht als Recht, aber das Recht ist das Absolute und Unendliche und als solche unaufhebbar. (c) Es ist eine notwendige Durchgangsphase in der Produktion und Erhaltung einer äußeren Sphäre der Freiheit, aber es ist als Schein ein verschwindendes Dasein. Die Aufhebung des Verbrechens ist daher eine Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit. Die Aufhebung hat die Form eines zweiten Zwangs. Daher hat die Auflösung des Widerspruchs, die das Verbrechen als Zwang der Freiheit ist, die Form einer Selbstzerstörung: »Der Zwang hat davon, daß er sich in seinem Begriffe zerstört, die reelle Darstellung darin, daß Zwang durch Zwang aufgehoben wird; er ist daher nicht nur bedingt rechtlich, sondern notwendig, – nämlich als zweiter Zwang, der ein Aufheben eines ersten Zwangs ist.« (§ 93). Der Zwang ist als Willensäußerung, die sich gegen die Freiheit richtet, »abstrakt genommen unrechtlich« (§ 92). Der zweite Zwang, durch welche die Selbstaufhebung bzw. »Selbstzerstörung« des Verbrechens demonstriert wird, ist hingegen weder unrechtlich noch »bedingt unrechtlich« (ebd.), sondern eine Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit, die die Gerechtigkeit der Strafe ausmacht. Das Phänomen einer Sequenz von Zwang und Gegenzwang im Bereich des Rechts ist als eine Sequenz von Unrecht und Zwangsrecht zu begreifen. Der Zwang ist ein konstitutives Moment des Rechts: »das abstrakte Recht ist Zwangsrecht« (§ 94). Die Hauptfrage in einer philosophischen Betrachtung des Strafrechts ist die Frage nach der Rechtlichkeit dieses zweiten Zwangs. Hegel begründet die »absolute«, d. h. von einzelnen Zwecken »losgelöste« Verbindung dieser Sequenz durch die begriffliche Notwendigkeit einer Restitution des Rechts in seiner Geltung, denn ohne diese Wiederherstellung würde das Verbrechen gelten. Die Zwangsbefugnis lässt sich nicht rekonstruieren, wenn die Sequenz von Normbruch und Gegenzwang als eine Sequenz zweier Übel aufgefasst wird: »Wenn das Verbrechen und dessen Aufhebung, als welche sich weiterhin als Strafe bestimmt, nur als ein Übel überhaupt betrachtet wird, so kann man es freilich als unvernünftig ansehen, ein Übel bloß deswegen zu wollen,

11.2 Willensfreiheit und Strafe

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weil schon ein anderes Übel vorhanden ist (Klein, Grunds. Des peinlichen Rechts, § 9 f.).« (§ 98) Die Auffassung dieser Verbindung als einer »willkürlichen Verbindung eines Übels mit einer unerlaubten Handlung« (§ 101) ist eine übliche Betrachtung in der Rekonstruktion der Strafe. Es wird jedoch nicht bestraft, weil schon ein Übel vorhanden ist, sondern, weil ein Unrecht begangen worden ist. Das Übel betrifft nur die sinnlich wahrnehmbare Seite des Daseins des Verbrechens, aber das Verbrechen ist eine Daseins- und Erscheinungsform der Freiheit, die einen Rechtsanspruch erhebt, der die Geltung des Rechts außer Kraft zu setzten droht. Durch die Reduktion des Verbrechens auf Übel oder Schaden wird außerdem die Scheidungslinie zwischen Zivil- und Strafrecht verwischt: »Die Verletzung als nur an dem äußerlichen Dasein oder Besitze ist ein Übel, Schaden an irgendeiner Weise des Eigentums oder Vermögens; die Aufhebung der Verletzung als einer Beschädigung ist die zivile Genugtuung als Ersatz, insofern ein solcher überhaupt stattfinden kann.« (§ 98) Die Auffassung der Strafe als Ausgleich eines Übels ist daher eine Verwechslung von Kategorien, eine Reduktion des Strafrechts auf zivilrechtliche Kategorien. Aufgrund dieser Verwechslung, der Betrachtung des Unrechts als Übel, treten in die Sphäre des Strafrechts verwandte Kategorien ein, wie z. B. das Gute: »Dieser oberflächliche Charakter eines Übels wird in den verschiedenen Theorien über die Strafe, der Verhütungs-, Abschreckungs-, Androhungs-, Besserungs- usw. Theorie, als das Erste vorausgesetzt, und was dagegen herauskommen soll, ist ebenso oberflächlich als ein Gutes bestimmt. Es ist aber weder bloß um ein Übel, noch um dies oder jenes Gute zu tun, sondern es handelt sich um Unrecht und um Gerechtigkeit.« (§ 99) Die Verbindung von Verbrechen und Strafe als eine Sequenz von einem Übel und einem Guten (wie Sicherung, Abschreckung, Besserung usw.) ist auch (1) unvernünftig und (2) willkürlich. Ad (1) Die Begründung der Zwangsbefugnis durch die Beförderung eines Guten rekonstruiert nicht die Vernünftigkeit der Strafe. Kant und Hegel betonen den begriffslosen Charakter der »relativen« Straftheorien. Durch den Rekurs auf das Prinzip der Nützlichkeit lassen sich die basalen Bestimmungen des Strafbegriffs nicht gewinnen. Ad (2) Die Verbindung von einem Verbrechen und einem Gut kann nur durch die Willkür gesetzt werden. Aufgrund dieser Willkür bringt die Gestaltung der Zwangsbefugnis eine rechtspolitische Gefahr mit sich: die Herabsetzung des Menschen zum Mittel für die Beförderung gut gemeinter Zwecke. Die Rechtsgestalten sind Daseins- und Erscheinungsformen der Freiheit: Das Unrecht ist eine der Freiheit unangemessene Willensäußerung, und im Unrecht geht die Erscheinung zum Schein fort. Die »absolute« Verbindung

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

von Normbruch und Strafe ist die sich mit sich selbst durch die Aufhebung des Unrechts vermittelnde Notwendigkeit des abstrakten Rechts. Dieser notwendige Vermittlungsprozess, den das abstrakte Recht als Zwangsrecht durchläuft, ist die Erhaltung des Daseins und der Erscheinung der Freiheit. Das Begriffsinstrumentarium der Geistesphilosophie ermöglicht die Rekonstruktion der spekulativen Einheit beider Dimensionen des Rechts, des Daseins der Freiheit und seiner Beziehung auf das Bewusstsein. Die Gestalten des Geistes sind nicht die Offenbarung eines Wesens. Der Geist hat kein anderes Sein als die Tätigkeit des Offenbarens selbst. Hegel verdeutlicht die spekulative Einheit beider Dimensionen im Strafrecht dadurch, dass er das Zwangsrecht als die »reelle Darstellung« der begrifflichen »Selbstzerstörung« des Zwangs bezeichnet (§ 93). Die Reaktion des Zwangsrechts auf das Verbrechen ist »die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung jener Verletzung« als »Manifestation dieser ihrer Nichtigkeit« (§ 97). Dieser Zusammenhang eines realen Prozesses und seiner Erscheinung, die »reelle Darstellung«, zeigen, dass die Phänomene des Strafrechts sich nicht durch eine verstandesmäßige Isolierung beider Dimensionen begreifen lassen. Hegel kritisiert das Verstandesdenken der relativen Straftheorien, das die Strafe auf die Seite der Erscheinung und ihre Beziehung auf das Bewusstsein reduziert. Die stabilisierende Wirkung der Strafe lässt sich nicht durch die Einwirkung auf die Vorstellung, auf das besondere, fürsichseiende Bewusstsein des Verbrechers erklären. Gegen die Präventionstheorien formuliert er die folgende Kritik: »Durch jene oberflächlichen Gesichtspunkte aber wird die objektive Betrachtung der Gerechtigkeit, welche der erste und substantielle Gesichtspunkt bei dem Verbrechen ist, beiseite gestellt, und es folgt von selbst, daß der moralische Gesichtspunkt, die subjektive Seite des Verbrechens, vermischt mit trivialen psychologischen Vorstellungen von den Reizen und der Stärke sinnlicher Triebfedern gegen die Vernunft, von psychologischem Zwang und Einwirkung auf die Vorstellung (als ob eine solche nicht durch die Freiheit ebensowohl zu etwas nur Zufälligen herabgesetzt würde), zum Wesentlichen wird.« (§ 99) Diese Momente des Strafrechts, die in den »relativen« Straftheorien zum Prinzip der Strafe erhoben werden, sind auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft zu thematisieren, denn sie betreffen nicht die Strafbegründung, sondern die Strafzumessung: »Die verschiedenen Rücksichten, welche zu der Strafe als Erscheinung und ihrer Beziehung auf das besondere Bewußtsein gehören und die Folgen auf die Vorstellung (abzuschrecken, zu bessern usf.) betreffen, sind an ihrer Stelle, und zwar vornehmlich bloß in Rücksicht der Modalität der Strafe, wohl von wesentlicher Betrachtung, aber setzen die Begründung voraus, daß das Strafen an und für sich gerecht sei.« (ebd.). In der »Vereinigungstheorie« Roxins findet

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man dieselbe Denkform, mit der die relativen Straftheorien laut Hegel operieren. Einerseits vermischt Roxin die Frage der Strafbegründung mit der Frage der Modalität der Strafe. Andererseits stellt er bezüglich der Frage nach der Rechtlichkeit der Strafe eine »verstandesmäßige« Reduktion der Strafe auf ein Phänomen des Bewusstseins dar: »Gegen die bereits […] dargelegten Gründe für dieses Verdikt wird gelegentlich eingewandt, nur die Vergeltungstheorie könne die Bestrafung von NS-Gewaltverbrechern rechtfertigen, die heute sozial eingeordnet lebten und keine Gefahr mehr darstellten. Aber das ist nicht richtig. Denn eine Bestrafung dieser Taten ist aus generalpräventiven Gründen nötig, weil ihre Nichtverfolgung das allgemeine Rechtsbewusstsein schwer erschüttern müsste.« (Roxin 2006, 88; Hervorh. A.B.) In diesem Argument Roxins findet man einerseits eine Begründung der Strafe durch eine Bestimmung, die eigentlich zur Strafzumessung gehört: die Gefährlichkeit der Nichtverfolgung. Andererseits reduziert er die Strafe auf eine Einwirkung auf die Vorstellung, auf das Bewusstsein (die Erschütterung des Rechtsbewusstseins). Man muss sagen, dass dieses Verstandesdenken moderner Vereinigungstheorien ein Rückschritt in Bezug auf eine begriffliche Betrachtung des Strafrechts ist. Die bisher erörterte Auffassung der Strafe als Aufhebung des Verbrechens betrifft nur die objektive Rechtfertigung der Strafe. Sie behandelt das Zwangsrecht als eine Forderung des allgemeinen Willens. Die Kantische Definition des Zwangsrechts ist für eine objektive Rechtfertigung der Strafe charakteristisch: »Das Strafrecht ist das Recht des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn wegen seines Verbrechens mit einem Schmerz zu belegen.« (AA VI.331) Die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang betrifft nicht nur die Auffassung des Zwangs als notwendiges Moment für die Erhaltung des Daseins der Freiheit, denn sonst hätte das Strafrecht nur eine negative Beziehung auf den Willen des Verbrechers (das Zwangsrecht als Recht gegen den Verbrecher). Willensfreiheit und Strafe sind nur vereinbar, wenn die Strafe mit der Freiheit des Täters vereinbar ist. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Strafe mit der Achtung vor der Freiheit des Verbrechers betrifft die subjektive Rechtfertigung der Strafe. Das Zwangsrecht ist nicht nur ein Recht an sich (ein Recht des allgemeinen, ansichseienden Willens), sondern auch ein »Recht an den Verbrecher«: »Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht – als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht –, sondern sie ist auch ein Recht an den Verbrecher selbst, d. i. in seinem daseienden Willens, in seiner Handlung gesetzt.« (§ 100)

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11.2.1.2 Das Zwangsrecht als »Recht an den Verbrecher« Die Frage nach der Vereinbarkeit des Zwangs mit der Achtung vor dem freien Willen des Verbrechers ist sehr relevant im Rahmen eines Rechtsdenkens, das sich durch einen »Primat des Rechts«, einen »Primat der Freiheit« charakterisiert: Der Wille ist als die alleinige Instanz der Rechtserzeugung eine an sich berechtigte Instanz. Das neuzeitliche Rechtsdenken verabschiedet die vormodernen Denkformen, die sich durch den Primat des Verpflichtungsgedankens charakterisieren. Dies gilt auch für den Einzelwillen überhaupt und für den Willen des Verbrechers. In der Moralität bezeichnet Hegel die Berechtigung des besonderen, für sich seienden Willens als das »Recht der Subjektivität«. Diese Berechtigung ist ein epochales Prinzip, das eine ihm angemessene Gestaltung aller Rechtsgestalten fordert. Das Zwangsrecht muss auch durch das Recht der Subjektivität neu gestaltet werden: das »Recht an den Verbrecher«. Dieses Recht des besonderen Willens im Bereich des Strafrechts enthält die zwei folgenden Gedanken: (I) Der Mensch kann nicht als Mittel behandelt werden; (II) das Zwangsrecht gilt durch die Einwilligung des Verbrechers.

(I) Der Mensch kann nicht als Mittel behandelt werden Kant bezeichnet die Freiheit als das einzige »angeborene Recht« (AA VI.237). Die mannigfaltigen Rechte, die man in den Menschenrechtekatalogen vorzufinden vermeint, sind die Explikation und Verwirklichung dieses »Rechts«. Die Freiheit ist jedoch nicht ein Recht, sondern ein Datum. Dieses Datum kann die rechtserzeugende Funktion vollziehen, nur weil es an sich schon berechtigt ist. Die Freiheit ist das einzige Faktum, wo sich ein unmittelbarer Umschlag der Faktizität (der Form des Vorhandenseins) in die Berechtigung (die Form des Geltens) vollzieht: Der Wille ist daher Vermittlung und Umschlagpunkts zweier unterschiedlicher Seinsweisen. Aufgrund dieser ursprünglichen Berechtigung ist der Mensch Zweck an sich selbst. In der zweiten Formel des kategorischen Imperativs wird dieser Gedanke ausgesprochen: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« (AA IV.429) Daher sei das Zwangsrecht nicht nach den Prinzipien des Sachenrechts zu gestalten: »denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt.« (AA VI.331)

11.2 Willensfreiheit und Strafe

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Aufgrund dieser positiven Beziehung, die das Zwangsrecht mit dem Willen des Verbrechers haben muss, ist das oberflächliche Prinzip der Nützlichkeit, das für die Präventionstheorien charakteristisch ist, zu verabschieden: Der Verbrecher »muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen.« (ebd.) An den utilitaristischen Straftheorien ist laut Hegel zu kritisieren, dass sie »die Strafe in erster Linie in ihrem Gegensatz zum Willen des Verbrechers, als bloßen Zwang darstellen und sie so in sittlichem Sinne degradieren« (Primoratz 1986, 22). Feuerbachs Begründung der Strafe reduziert den Willen auf die Unfreiheit eines äußeren Mechanismus von Triebfedern. Die Zwangsbefugnis wird ausgeübt, »wie wenn man gegen einen Hund einen Stock erhebt. Da ist also der Mensch wie ein Hund behandelt, nicht nach seiner Ehre, seiner Freiheit.« (Ig 3.312) Dieser psychologische Determinismus ist nicht nur begrifflich unvereinbar mit einem Rechtsdenken, das die Geltung aller Rechtsgestalten und daher des Strafrechts durch die Willensfreiheit zu begründen versucht, sondern auch empirisch nicht haltbar: »Der negative Aspekt lässt sich ›mit dem Begriff der Abschreckung anderer umschreiben, die in Gefahr sind, ähnliche Straftaten zu begehen‹. Es handelt sich dabei um den von Feuerbach […] betonten Gesichtspunkt. Doch besteht heute Einigkeit darüber, dass nur ein Teil der kriminalitätsgeneigten Menschen mit so viel Überlegung an eine Tat herangehen, dass sie einer ›Abschreckung‹ zugänglich sind und dass auch bei diesen nicht in erster Linie die Höhe der angedrohten Strafe abschreckend wirkt, sondern das Ausmaß des Risikos, gefasst zu werden.« (Roxin 2006, 80)

(II) Das Zwangsrecht gilt durch die Einwilligung des Verbrechers Der gegen den Willen des Verbrechers gerichtete Zwang gilt nicht als ein äußerer Mechanismus, der eine Einwirkung auf die Vorstellung und auf die Triebfeder hat (wie Feuerbachs psychologischer Determinismus behauptet). Der rechtliche Zwang gilt nicht nur als staatlicher Gegenzwang (wie die Kantische Definition des Strafrechts meint), sondern er fließt zugleich aus dem eigenen Willens des Verbrechers. Diese Auffassung des Zwangsrechts enthält die zwei folgenden Gedanken: (a) Im abstrakten Recht vollzieht sich eine Selbstunterscheidung des freien Willens zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Willen. Das »Recht an sich« ist eine immanente Produktion des Willens und beruht auf Prinzipien, die im Willen des Verbrechers selbst liegen. Der besondere Wille des Verbrechers kann vom Allgemeinen nicht abgelöst werden, denn die Unter-

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scheidung zwischen besonderem und allgemeinem Willen setzt keine äußere Allgemeinheit voraus, sondern sie ist eine Selbstunterscheidung des freien Willens: »Der Wille als (a) in seiner Beziehung auf sich, nicht von einer anderen Person (b), sondern in sich selbst unterschieden, ist er, als besonderer Wille von sich als an und für sich seiendem verschieden und entgegengesetzt, Unrecht und Verbrechen.« (§ 40) Der vernünftige Wille des Verbrechers kann daher nicht auf einen fürsichseienden Willen reduziert werden. (b) Das Zwangsrecht gilt durch die Einwilligung des Verbrechers. Das ist das berechtigte Moment der Straftheorie Beccarias. Die Frage ist daher, wie diese Erklärung vom Verbrecher abgegeben wird. Beccaria rekonstruiert die Willenserklärung durch die Vertragstheorie. Diese Auffassung der Einwilligung des Verbrechers hat einerseits eine positive Folge im Bereich der Rechtspolitik, denn sie problematisiert die Anwendung der Todesstrafe. Sie hat andererseits eine Übertragung privatrechtlicher Bestimmungen auf die Sphäre des öffentlichen Rechts zur Folge. Der Staat ist jedoch kein Vertrag. Diese Einwilligung bedarf keiner besonderen Erklärung, sondern sie wird laut Hegel durch die Tat des Verbrechers gesetzt: »Das was Beccaria verlangt, daß der Mensch nämlich seine Einwilligung zur Strafe geben müsse, ist ganz richtig, aber der Verbrecher erteilt sie schon durch seine Tat.« (§ 100, Zusatz) Die »subjektive« Begründung des Zwangsrechts durch die Einwilligung des Verbrechers bildet kein neues Argument, das neben der »objektiven« Rechtfertigung der Strafe, d. h. neben der Auffassung der Strafe als Bestätigung der Geltung des Rechts steht. Die subjektive Rechtfertigung des Rechts (die Strafe als »Recht an den Verbrecher«) zeigt, wie dieser Vermittlungsprozess, der durch das Unrecht in Bewegung gesetzt wird, aus Prinzipien folgt, die im vernünftigen Willen des Verbrechers selbst liegen und durch die Einwilligung des Verbrechers zur Geltung gebracht werden. Hegels Straftheorie besteht insofern nicht aus mannigfaltigen Argumenten, sondern sie erklärt das Zwangsrecht als einen Vermittlungsprozess, der aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten ist. Dieser Prozess muss zugleich aus der subjektiven, handlungstheoretischen Perspektive rekonstruiert werden: »Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht, – als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht –, sondern sie ist auch ein Recht an den Verbrecher selbst, d. i. in seinem daseienden Willen, in seiner Handlung gesetzt.« (§ 100) In der »objektiven« Rechtfertigung der Strafe ist die Willensäußerung des Verbrechens nur als Zwang thematisiert worden: Das Verbrechen ist eine Willensäußerung, die das Dasein der Freiheit zwingt. Dabei hat sich einerseits gezeigt, dass die Freiheit gezwungen werden kann, und andererseits,

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dass der Zwang zum Werk der Freiheit gemacht werden kann: Der Gegenzwang des Rechts ist eine immanente und notwendige Durchgangsphase in der Erhaltung des Daseins der Freiheit. Die »subjektive« Rechtfertigung der Strafe hingegen thematisiert die Willensäußerung des Verbrechers nicht als Zwang, sondern als Handlung. Dieser Perspektivenwechsel in der handlungstheoretischen Betrachtung dieses Vermittlungsprozesses ist der letzte Schritt in der Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang: der Zwang als Selbstbestimmung, als Forderung der subjektiven Freiheit. Der Konvergenzpunkt dieses Vermittlungsprozesses, der durch das Unrecht in Bewegung gesetzt wird, ist die Reflexion des Willens in sich. Das Verbrechen ist, wie gesagt, eine Fehlform der Freiheit, aber zugleich eine hohe Daseinsform der Freiheit. Aufgrund der Reflexion in sich besteht diese Willensäußerung in der Ausführung einer inneren Bestimmtheit, in einer Handlung. Die Verbindung von Subjekt und Handlung macht die »Idee« des inneren Rechts aus. Daher greift Hegel in der Betrachtung des Verbrechens als Handlung auf Begriffsbestimmungen der Moralität vor. Das »Recht an den Verbrecher« ist eine Andeutung von basalen Bestimmungen eines strafrechtlichen Handlungsbegriffs, die auf der Stufe der Moralität ausgeführt werden. Durch den Vorsatz entsteht die Unterscheidung zwischen Tat und Handlung und auch die Grundlage für die Strafzumessung, die Schuld: »Das Recht des Willens aber ist, in seiner Tat nur dies als seine Handlung anzuerkennen und nur an dem schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – Die Tat kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens.« (§ 117) In der Unterscheidung zwischen Tat und Handlung zeigt sich erneut, dass Verbrechen und Strafe nicht als äußere Fakten aufeinander zu beziehen sind. Es handelt sich nicht um die Sequenz zweier Ereignisse, sondern zweier bedeutungshaltiger Existenzen. Aus diesem Grund kann Hegel die Kategorie des Werts in die Straftheorie einbeziehen: Verbrechen und Strafe sind kommensurabel. Diese Vergleichbarkeit ist nur dadurch möglich, dass beide Existenzen auf dem Boden des Denkens beruhen. Dies wird eine besondere Relevanz in der Frage der Strafzumessung haben. Die Handlung des Verbrechers ist die Ausführung eines Allgemeinen, eines Gesetzes. Darin zeigt sich, dass der Täter nicht auf seinen fürsichseienden Willen zu reduzieren ist. Den Täter als vernünftiges Wesen zu ehren, bedeutet, ihn nach dem von ihm aufgestellten Gesetz zu behandeln. Die Analyse des Verbrechens als Zwang hat die Widersprüchlichkeit und Nichtigkeit dieser Willensäußerung gezeigt. Die Manifestation des Selbstwiderspruchs und der Nichtigkeit des Verbrechens (qua Zwang) hat die Form einer »Selbstzerstörung«. Diese beiden Bestimmungen des Verbrechens

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(Selbstwiderspruch und Nichtigkeit) findet man in der Analyse der Willensäußerung als Handlung wieder. Die Geltung des Zwangsrechts erfordert die Zustimmung des Verbrechers. Diese Willenserklärung wird durch die Handlung abgegeben. Durch sie erhebt der Einzelwille den Anspruch auf ein Allgemeines, auf ein »Gesetz«, das zu verneinen ist, denn es ist dem allgemeinen Willen (dem »Recht an sich«) entgegensetzt. Diese Negation fließt aus der von dem Verbrecher selbst abgegebenen Erklärung. Der Verbrecher als vernünftiges Wesen erhebt durch seine Handlung einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es handelt sich um eine verfehlte Form der »Verknüpfung« von Besonderheit und Allgemeinheit. Die notwendige Folge dieser verfehlten Form ist die Verletzung des besonderen Willens des Verbrechens. Die Manifestation des Selbstwiderspruchs und der Nichtigkeit des Verbrechens (qua Handlung) hat die Form einer »Selbstsubsumtion«: »Denn in seiner als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich anerkannt hat, unter welches er also, als unter sein Recht subsumiert werden darf.« (§ 100) Die Strafe ist die Demonstration sowohl der »Selbstzerstörung« des Begriffs des Zwangs (§ 93) als auch der »Selbstsubsumtion« des Verbrechers »unter sein Recht« (§ 100). Darin zeigt sich, dass es nur einen Vermittlungsprozess gibt, der durch den besonderen Willen des Verbrechers selbst zur Geltung gebracht wird. Die Strafe ist die rechtliche Folge der vom Verbrecher abgegebenen Erklärung. Die rechtspolitischen Folgen dieses »Rechts an den Verbrecher« sind diejenigen, die einer absoluten Straftheorie eigentümlich sind. Dieses Recht bietet ein deutliches Kriterium für den Geltungsbereich der Ausübung der staatlichen Zwangsbefugnis und für die Festsetzung eines Strafmaßes: Der Geltungsbereich des Strafrechts ist die Reaktion auf das Verbrechen (als Negation des Rechts als Recht), und die Grundlage für die Strafzumessung ist die Schuld. Die rechtspolitische Relevanz des Rechts an den Verbrecher zeigt sich darin, dass dieses Recht auch das Kriterium für eine Unterscheidung zwischen rächenden und strafenden Gerechtigkeit ist: »Nur wenn wir die Strafe als das eigene Recht des Bestraften ansehen, gelangen wir nach Hegel zu einer ›vom subjektiven Interesse und Gestalt sowie von der Zufälligkeit der Macht befreiten, so nicht rächenden, sondern strafenden Gerechtigkeit‹« (Schnädelbach 2000, 217). Die Bestrafung, die nicht an diese Berechtigung des Bestraften gebunden bleibt, hat »wenigstens noch einen Teil von Rache an sich« (GPR § 102). Die subjektive Rechtfertigung der Strafe (als Berechtigung des verbrecherischen Willens) ist daher die Überleitung in die Thematisierung der geschichtlichen Formen der Restitution des Rechts in seiner Geltung: rächende und strafende Gerechtigkeit.

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11.2.1.3 Formen der Wiederherstellung des Rechts: rächende und strafende Gerechtigkeit Hobbes unterscheidet zwischen »punishment« einerseits, und »act of hostility«, »revenge« andererseits. Er macht eine präventionstheoretische Interpretation dieser Unterscheidung: Der Grund für die Unterscheidung liegt in der Funktion der Strafe als Drohung. Die Gesetze und die an sie gebundene Drohung müssen daher bekannt gemacht werden. Eine Ausübung der staatlichen Zwangsbefugnis, die dieses »Naturgesetz« negiert, lässt sich laut Hobbes nicht mehr als Strafe bezeichnen. Diese Negation ist bei ihm jedoch kein Unrecht, sondern ein feindlicher Akt: «Eighthly, if a punishment be determined and prescribed in the law itself, and after the crime committed, there be a greater punishment inflicted, the excess is not punishment, but an act of hostility. For seeing the aim of punishment is not a revenge, but terror; and the terror of a great punishment unknown, is taken away by the declaration of a less, the unexpected addition is no part of the punishment. But where there is no punishment at all determined by the law, there whatsoever is inflicted, hath the nature of punishment. For he that goes about the violation of a law, wherein no penalty is determined, expecteth an indeterminate, that is to say, an arbitrary punishment. Ninthly, harm inflicted for a fact done before there was a law that forbade it is not punishment, but an act of hostility: for before the law, there is no transgression of the law: but punishment supposeth a fact judged to have been a transgression of the law; therefore harm inflicted before the law made, is not punishment, but an act of hostility.« (EW 3.299 f.) Von den Prinzipien einer absoluten Straftheorie ausgehend gewinnt Hegel eine begriffliche Rekonstruktion der Unterscheidung zwischen Rache und Strafe. Rache und Strafe sind Gestalten der Gerechtigkeit, denn sie entstehen als Reaktionen auf den einseitigen Zwang eines besonderen Willens. Die Rechtlichkeit der Rache und der Strafe liegt in der »absoluten« Verbindung von Normbruch und Reaktion. Beide sind als Gestalten der Wiedervergeltung gerecht: »Das Aufheben des Verbrechens ist in dieser Sphäre der Unmittelbarkeit des Rechts zunächst Rache, dem Inhalte nach gerecht, insofern sie Wiedervergeltung ist.« (GPR § 102) Der zweite Zwang ist in der Rache die Handlung eines besonderen subjektiven Willens. Erneut muss man hier die Einheit beider Dimensionen des Rechts betrachten: (a) das Dasein und (b) die Erscheinung des Rechts. (a) Das Dasein des Rechts: Der zweite Zwang ist in der Rache ein Dasein des besonderen Willens und hat sich als solche von den unmittelbaren Interessen nicht befreit. Der besondere Wille kann in jede geschehene Verletzung seine Unendlichkeit legen und dadurch das Recht des Verbrechers auf

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eine schuldangemessene Reaktion (das »Recht an den Verbrecher«) verletzen. (b) Die Erscheinung des Rechts: Der zweite Zwang ist »für den anderen nur als besonderer« Wille (ebd.). In dieser subjektiven Form der Wiedervergeltung bleibt das Recht noch als Schein. Die Rache kann daher nicht die Wiederherstellung des Daseins und der Erscheinung des Rechts leisten. In der Rache erscheint die Wiedervergeltung noch als willkürliche Verbindung. Die Rache ist eine ungerechte Form der Durchsetzung der Gerechtigkeit. Durch diesen Widerspruch zwischen Form und Inhalt produziert sich ein Progreß ins Unendliche: »Die Rache wird hierdurch, daß sie als positive Handlung eines besonderen Willens ist, eine neue Verletzung: sie verfällt als dieser Widerspruch in den Progress ins Unendliche und erbt sich von Geschlechtern zu Geschlechtern ins Unbegrenzte fort.« (ebd.) Durch diese Instabilität zeigt sich die rächende Gerechtigkeit noch als eine verfehlte Form der Verknüpfung von Allgemeinheit und Besonderheit. Dieser Progress ins Unendliche zeigt, dass der Vermittlungsprozess, den die Wiederherstellung des Rechts durchläuft, keinen Konvergenzpunkt in dieser Form der Gerechtigkeit finden kann. Die Auflösung der Widersprüchlichkeit der rächenden Gerechtigkeit kann nur durch eine neue Gestalt des Willens geleistet werden: durch einen Willen, »der als besonderer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle« (§ 103). Diese Gestalt des Willens ist der gesuchte Konvergenzpunkt des Vermittlungsprozesses, der durch das Unrecht in Bewegung gesetzt wird: »Das Verbrechen und die rächende Gerechtigkeit stellt nämlich die Gestalt der Entwicklung des Willens als in die Unterscheidung des allgemeinen an sich und des einzelnen, für sich gegen jenen seienden, hinausgegangen dar und ferner, daß der an sich seiende Wille durch Aufheben dieses Gegensatzes in sich zurückgekehrt und damit selbst für sich und wirklich geworden ist.« (§ 104) Die Selbstunterscheidung des freien Willens zwischen dem allgemeinen, an sich seienden Willen und dem besonderen, für sich seienden Willen produziert sowohl die Möglichkeit der Entgegensetzung als auch die begriffliche Notwendigkeit einer tieferen Vermittlung. In der Gestalt des freien Willens, in der dieser Prozess seinen Konvergenzpunkt findet, zeigt sich die innere Zweckmäßigkeit dieses Prozesses: Der Vermittlungsprozess ergibt sich als ein Reflexionsprozess. Zum einen produziert dieser Reflexionsprozess als Wiederherstellung der Wirklichkeit des Rechts eine Stabilisierung der Einheit von Geltung und Wirksamkeit: »So ist und gilt das Recht, gegen den bloß für sich seienden einzelnen Willen bewährt, als durch seine Notwendigkeit wirklich.« (ebd.) Zum anderen produziert dieser Reflexionsprozess eine tiefere Vermittlung zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Willen.

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Der Reflexionsprozess ist die Überleitung in das innere Recht bzw. in die Moralität. Durch diese Transformation zeigt sich, dass der Vermittlungsprozess, der durch das Unrecht in Bewegung gesetzt wird, eigentlich nicht in diesem Konvergenzpunkt (d. h. in der Reflexion in sich) endet, sondern dass er auf einem höheren Boden weitergeführt wird: »Die Sphäre der Moralität also ist der Bereich der Vermittlung zwischen dem für sich seienden Willen des einzelnen Subjekts und dem an sich seienden oder ›allgemeinen Willen‹ – und somit gleichsam die begriffliche Genese der ›volonté générale‹.« (Jaeschke 2003, 382). Die Abstraktheit des äußeren Rechts besteht in ihrer Unmittelbarkeit. Die Unmittelbarkeit als äußerliche Existenz ist eine dem Geist unangemessene Form. Diese Form ist viel zu objektiv und schlägt daher in die Form der Reflexion in sich um. Auch diese Form ist einseitig, denn sie ist zu wenig objektiv. In der Erfahrung manifestiert sich diese Einseitigkeit als »Sollen« und als das Böse. Für die Auflösung der Widersprüche des »Sollens« zeigt sich die Vereinigung des »Rechts der Besonderheit« und des »Rechts der Objektivität« als notwendig. Das Böse zeigt die Notwendigkeit einer tieferen Vermittlung des besonderen und des allgemeinen Willens. Der Konvergenzpunkt dieses Vermittlungsprozesses muss daher die Einseitigkeiten des inneren und des äußeren Rechts aufheben. Es ist daher ein Triebkraft der Sittlichkeit, die Trennung des Inneren und Äußeren aufzuheben. Die Triebkräfte, durch welche eine Wiederherstellung des Rechts geleistet wird, wirken noch auf der Stufe der Sittlichkeit. Die Problematik, die durch das Unrecht in die Welt des Rechts eingeführt wird, kann ihre Lösung nur auf der Stufe der Sittlichkeit finden, denn auf dieser Stufe wird die Trennung des Inneren und Äußeren aufgehoben. In der Rechtspflege zeigt sich, dass der Vermittlungsprozess der Wiederherstellung des Rechts bis zur Freiheitsstufe der Sittlichkeit treibt. Die Erfahrung sowohl des Unrechts (auf der Stufe des äußeren Rechts) als auch des Sollens und des Bösen (auf der Stufe des inneren Rechts) ist die Manifestation des Auseinanderfallens von allgemeinem und besonderem Willen. Die Identität von Recht und Pflicht auf der Stufe der Sittlichkeit ist die Manifestation einer gelungenen Vereinigungsform von Allgemeinheit und Besonderheit. Im Moment der Rechtspflege (auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft) gilt diese sittliche Identität von Recht und Pflicht: Die Rechtspflege ist »so sehr als Pflicht wie als Recht der öffentlichen Macht anzusehen« (GPR § 219). Der Bürger hat »das Recht, im Gericht zu stehen, sowie die Pflicht, sich vor Gericht zu stellen und sein streitiges Recht nur von dem Gericht zu nehmen« (§ 221). Diese Identität von Recht und Pflicht zeigt, dass die öffentliche Rechtspflege die Form ist, die den Widerspruch der rächenden Gerechtigkeit auflösen kann. In der Rechtspflege vollzieht sich auch die Wie-

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derherstellung der Einheit von Geltung und Wirksamkeit des Rechts, die auf dieser Stufe nicht mehr die Form des »Rechts an sich«, sondern die Form des positiven Gesetzes hat: »Statt der verletzten Partei tritt das verletzte Allgemeine auf, das im Gerichte eigentümliche Wirklichkeit hat, und übernimmt die Verfolgung und Ahndung des Verbrechens, welche damit die nur subjektive und zufällige Wiedervergeltung durch Rache zu sein aufhört und sich in die wahrhafte Versöhnung des Rechts mit sich selbst, in Strafe verwandelt, – in objektiver Rücksicht, als Versöhnung des durch Aufheben des Verbrechens sich selbst wiederherstellenden und damit als gültig verwirklichenden Gesetzes, und in subjektiver Rücksicht des Verbrechers als seines von ihm gewußten und für ihn und zu seinem Schutze gültigen Gesetzes, in dessen Vollstreckung an ihm er somit selbst die Befriedigung der Gerechtigkeit, nur die Tat des Seinigen, findet.« (§ 220) Der Konvergenzpunkt der Freiheit, die nach den Prinzipien des abstrakten Rechts gestaltet wird, ist die Rechtspflege der bürgerlichen Gesellschaft: »In der Rechtspflege führt sich die bürgerliche Gesellschaft, in der sich die Idee in der Besonderheit verloren [hat] und in die Trennung des Inneren und Äußeren auseinandergegangen ist, zu deren Begriffe, der Einheit des an sich seienden Allgemeinen mit der subjektiven Besonderheit zurück, jedoch diese im einzelnen Falle und jenes in der Bedeutung des abstrakten Rechts.« (§ 229) Die Hauptfrage einer philosophischen Betrachtung des Strafrechts ist die Begründung der Strafe, d. h. die Frage nach ihrer Rechtlichkeit. Die bisherige Analyse hat diese Frage mittels des Instrumentariums der »absoluten« Straftheorie Hegels zu beantworten versucht. Die »absolute« Straftheorie ermöglicht Anschlusspunkte zu den relativen Straftheorien, ohne jedoch dabei von einer Vereinigungstheorie sprechen zu können, denn diese Aspekte haben bei Hegel einen sekundären Charakter. Bevor die Frage der Strafzumessung auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft analysiert wird, ist nach diesen Anschlussmomenten in der Frage der Strafbegründung auf der Stufe des abstrakten Rechts zu fragen. Die Reintegration des Straffälligen in die Gesellschaft ist ein berechtigtes Moment der »relativen« Straftheorien, das sich aus den Prinzipien des abstrakten Rechts begrifflich rekonstruieren lässt. Dieses Moment ist eine notwendige Folge der Begründung der Strafe als Aufhebung der Verletzung und als ein »Recht an den Verbrecher«: »Wer sich über den anderen erhoben hat, muß deshalb, um wieder mit ihm gleich zu sein, das Gleiche an Anerkennungsverlust erkennbar erleiden, und eben dies soll die Strafe bewirken. Der Verbrecher wird durch sie in die Gesellschaft reintegriert.« (Seelmann 1987, 235)

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11.2.2 Die Strafzumessung Auf der Stufe des abstrakten Rechts erörtert Hegel die basalen Bestimmungen des Strafbegriffs. Deswegen thematisiert er auf dieser Stufe nur die Grundlagen der Strafzumessung. Die Vernunft erkennt in der objektiven Seite des Strafbegriffs quantitative und qualitative Bestimmungen, obwohl die Festsetzung des Strafmaßes Aufgabe des Verstandes ist. Die Rekonstruktion dieser Bestimmungen beruht auf denselben geistesphilosophischen Grundlagen, durch welche Hegel erklärt, wie die Freiheit erzwingbar ist. Der freie Wille kann nur als »Idee« (als wirkliche Freiheit) gezwungen werden, denn sie ist als »Idee« ein bestimmtes, konkretes Dasein. Die Verletzung eines Daseins der Freiheit hat quantitative und qualitative Bestimmungen, die die Grundlage für die Strafzumessung sind. Ein Zwang, der sich auf alle Willensäußerungen richtet (z. B. Mord, Religionszwang, Sklaverei), ist hingegen eine Negation der Freiheit in ihrer Unendlichkeit. Für diese Formen des Verbrechens entfällt daher laut Hegel die Frage nach der Strafzumessung: »Insofern es der daseiende Wille ist, welcher allein verletzt werden kann, dieser aber im Dasein in die Sphäre eines quantitativen Umfangs sowie qualitativer Bestimmungen eingetreten, somit danach verschieden ist, so macht es ebenso einen Unterschied für die objektive Seite der Verbrechen aus, ob solches Dasein und dessen Bestimmtheit überhaupt in ihrem ganzen Umfang, hiermit in der ihrem Begriffe gleichen Unendlichkeit (wie in Mord, Sklaverei, Religionszwang usf.), oder nur nach einem Teile, sowie nach welcher qualitativen Bestimmung verletzt ist.« (§ 96) Durch diese Rekonstruktion der Grundlagen der Strafzumessung erfüllt Hegel eine seiner rechtspolitischen Forderungen: die Einschränkung des Geltungsbereichs der »höchsten Spitze der Strafe« (§ 100, Zusatz). Mit dem Tod zu bestrafen seien nur die Handlungen, die die Freiheit nicht nur in einem konkreten Dasein, sondern in ihrer Unendlichkeit negieren. Die Bestimmung der Strafzumessung in den »absoluten« Straftheorien hängt davon ab, wie sie die »absolute« Verbindung von Verbrechen und Strafe auffassen. Die Willensäußerung des Täters ist als Handlung die Ausführung eines Inhaltes, eines Allgemeinen. Die »absolute« Straftheorie Hegels rekonstruiert die Verbindung von Normbruch und Strafe nicht als Verbindung zweier äußerer Fakten, sondern als die Verknüpfung zweier bedeutungshaltiger Vorgänge. Diese absolute Verbindung setzt daher eine Vergleichbarkeit von Verbrechen und Strafe voraus. Die Hegelsche Rekonstruktion der »absoluten« Verbindung von Verbrechen und Strafe ermöglicht die Einführung der Kategorie des Werts in die Strafzumessung. Die Retribution bezieht sich insofern nicht auf eine Artgleichheit, sondern auf eine wertmäßige Gleich-

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heit: »Das Aufheben des Verbrechens ist insofern Wiedervergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der Verletzung ist und dem Dasein nach das Verbrechen einen bestimmten, qualitativen und quantitativen Umfang, hiermit auch dessen Negation als Dasein einen ebensolchen hat. Diese auf dem Begriffe beruhende Identität ist aber nicht die Gleichheit in der spezifischen, sondern in der an sich seienden Beschaffenheit der Verletzung – nach dem Werte derselben.« (§ 101) Verbrechen und Strafe sind nur wertmäßig proportional. Die Einführung der Kategorie des Werts bedeutet nicht eine Reduktion des Strafrechts auf Bestimmungen der Wirtschaft (Tauschwert) oder des Privatrechts (Schadenersatz), denn in der Strafzumessung werden Maximen verglichen. Das Verbrechen ist eine Verletzung des konkreten Daseins der Freiheit. Die Konkretion der Freiheit als »Idee« erhält unterschiedliche Bedeutungen auf den verschiedenen Stufen der Freiheit. Auf der Stufe des abstrakten Rechts ist das konkrete Dasein der Freiheit eine äußerliche Existenz, die die Person in Besitz genommen hat. Auf der Stufe der Sittlichkeit ist die Konkretion der Freiheit die systematische Einheit einer Welt der Freiheit: die Konkretion als das geographische und geschichtliche Zusammenwachsen (»concrescere«) der Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft. Das Verbrechen ist eine Verletzung der konkreten Wirklichkeit einer Gesellschaft. Daher thematisiert Hegel die Festsetzung der qualitativen und quantitativen Bestimmungen der Strafe durch den Verstand auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft: »manche qualitative Bestimmungen, wie die Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit, haben in den weiter bestimmten Verhältnissen ihren Grund, aber sind auch öfters erst auf dem Umwege der Folgen statt aus dem Begriffe der Sache, aufgefaßt« (§ 96; vgl. § 218). Die Rekonstruktion der Bestimmungen der Strafzumessung nicht auf dem Umwege der positiven Folgen der Strafe, sondern aus der Verletzung der konkreten Existenz der Gesellschaft ist eine konsequente Durchführung einer absoluten Straftheorie. Auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft gewinnt das »Recht an sich« die Form des positiven Gesetzes. Daher ist das Verbrechen auf dieser Stufe eine Verletzung eines Systems von Gesetzen und damit der konkreten Wirklichkeit einer Gesellschaft. Da die Funktion der Strafe in der Wiederherstellung des Rechts besteht, hängen die Relevanz der Verletzung und das mit ihr verbundene Strafmaß vom Stabilitätsgrad einer Gesellschaft ab: »Es tritt damit der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft ein, wodurch einerseits die Größe des Verbrechens verstärkt wird; andererseits aber setzt die ihrer selbst sicher gewordene Macht der Gesellschaft die äußerliche Wichtigkeit der Verletzung herunter und führt daher eine größere Milde in der Ahndung desselben herbei.« (§ 218) Das Strafmaß sinkt daher in

11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg

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einer konsolidierten Gesellschaft und steigt in einem Staat, dessen Existenz (z. B. durch Krieg oder durch innere Spaltungen) bedroht wird. Die Momente der Gefährlichkeit und der Sicherung, die in präventiven Modellen zum Prinzip der Strafe erhoben werden, werden in der Straftheorie Hegels auch rekonstruiert. Im Gegensatz zu den »relativen« Straftheorien rekonstruiert er diese Momente nicht durch das Prinzip der Nützlichkeit (die positiven Folgen der Strafe), sondern durch das Prinzip des freien Willens. Die Möglichkeit der Rekonstruktion dieser Momente durch das Prinzip der Freiheit hängt vom Vernunftbegriff ab, mit dem eine absolute Straftheorie operiert. Kant begreift den freien Willen als »praktische Vernunft«, d. h. als eine gesetzgebende Instanz: Das Strafgesetz sei ein kategorischer Imperativ. Auf der Grundlage des Kantischen Vernunftbegriffs sind diese Momente der relativen Straftheorien als Bestandteile einer Glückseligkeitslehre abzulehnen. Hegel begreift den freien Willen hingegen als die wirkende Vernunft einer Welt, d. h. als eine stabilisierende Instanz. Die Momente der Gefährlichkeit und der Sicherung lassen sich daher als konstitutive Momente eines Stabilisierungsprozesses (der Wiederherstellung des Rechts in seiner Geltung) rekonstruieren. Das Argument einer fiktiven Gesellschaftsauflösung (Kants Inselbeispiel, vgl. AA VI.333) ist unnötig hart, denn die Strafe gilt nur im Stabilisierungsprozess einer Gesellschaft. In der Frage der Strafzumessung zeigt sich erneut Hegels Straftheorie als eine »absolute« Straftheorie, die mögliche Anschlusspunkte (Gefährlichkeit und Sicherung) zu den relativen Straftheorien zulässt: »Bei Hegel ist also die Strafe zwar dem Begriff nach absolut, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung relativ zum jeweiligen Stand der Gesellschaft.« (Jakobs 1983, 11) Trotz dieser Anschlussmomente zu den relativen Straftheorien (Reintegration, Gefährlichkeit, Sicherung usw.) formuliert Hegel eine »absolute« Straftheorie, denn die berechtigten Momente der Präventionstheorien haben bei ihm einen sekundären Charakter, und die Prinzipien der »relativen« Straftheorien (die Nützlichkeitsverhältnisse und die mannigfaltigen Zwecke) werden stark kritisiert.

11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg Die Problematik der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang zeigt sich in den Rechtsgestalten, die die Negation besonderer Rechte (Person und Eigentum) als ein konstitutives Moment haben. Die Frage ist, ob die Rechtsgestalten von Kriegserklärung und von Befehlen im Krieg Daseinsformen der Freiheit sind. Anders formuliert: Die Frage ist, ob die Seinsweise dieser Macht bloße Faktizität oder die Form des Geltens ist.

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

In Hobbes’ Anwort auf diese Problematik zeigen sich die Insuffizienzen der Hobbesschen Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Hobbes begeht den folgenden Widerspruch: (a) Einerseits ist die Souveränität eine Instanz, die zur Ausübung bestimmter Funktionen berechtigt ist. Die Erklärung von Krieg oder Frieden ist eine berechtigte Funktion des Inhabers der Souveränität. Deswegen thematisiert Hobbes diese Funktion in der Analyse der Rechte des Souveräns in Kap. 18 des Leviathan (»Of the rights of Sovereigns by Institution«): »Ninthly, is annexed to the sovereignty, the right of making war and peace with other nations, and commonwealths; that is to say, of judging when it is for the public good, and how great forces are to be assembled, armed, and paid for that end; and to levy money upon the subjects, to defray the expenses thereof. For the power by which the people are to be defended, consisteth in their armies; and the strength of an army, in the union of their armies; and the strength of an army, in the union of their strength under one command; which command the sovereign instituted, therefore hath; because the command of the militia, without other institution, maketh him that hath it sovereign.« (EW 3.166) Die Kriegserklärung und der Befehl (»command«) des Souveräns haben bei Hobbes die Form des Geltens. (b) Andererseits ist ein Vertrag, in dem jemand auf seine Selbstverteidigung verzichtet, nichtig. Die Spontaneität des Willens ist unverlierbar und steht daher nicht zur Disposition. Aus demselben Grund ist ein Vertrag für eine zeitlich unbeschränkte Disposition der Leistungen einer Person unwirksam. Die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens erfordert die Konstruktion einer »absoluten« Macht. Die Befehle dieser »absoluten« Macht haben dann die Form des Geltens nur, wenn sie nicht die Spontaneität des freien Willens (bei Hobbes der Selbsterhaltungstrieb eines »natürlichen« Wollens) negieren. Die »absolute« Macht des Staates hat bei Hobbes daher niemals ein Recht auf die Disposition des Lebens, das eine »absolute Berechtigung« hat: »In der Verabsolutierung des Lebenswertes liegt die Grenze der Hobbesschen Naturrechtslehre.« (Welzel 1962, 122) In der Ausübung der »absoluten« Macht des Staates für die Kriegführung vollzieht sich eigentlich bei Hobbes ein Umschlag ins Faktische. Der Geltungsbereich des Staates reduziert sich auf die Befehle, die mit der Selbsterhaltung vereinbar sind. Dieser Widerspruch zeigt die Insuffizienzen des Hobbesschen Instrumentariums für die Rekonstruktion der Freiheitsformen, die die besonderen Rechte des Einzelnen notfalls negieren. Der Grundirrtum liegt in einem unzureichenden Willensbegriff: Zum einen ist der freie Wille nicht ein »natürliches« Wollen, denn er ist nichts anderes als eine Objektivierungsform der Freiheit, eine besondere Weise des Denkens. Sie besteht nicht im Selbsterhaltungstrieb

11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg

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eines tierischen Organismus. Die Spontaneität des freien Willens besteht in den basalen Akten der Subjektivität, die das »Innerste« ist. Zum anderen besteht die Selbstbezüglichkeit des Willens nicht in der Selbstbezüglichkeit eines Organismus. Der freie Wille richtet sich auf seine eigene Freiheit. Die rechtserzeugende Gestalt des freien Willens ist der sich selbst wollende Wille, »der freie Wille, der den freien Willen will« (GPR § 27). Auch Kant formuliert diese Problematik, die für eine systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens konstitutiv ist: »welches Recht hat der Staat gegen seine eigene Unterthanen, sie zum Kriege gegen andere Staaten zu brauchen, ihre Güter, ja ihr Leben dabei aufzuwenden, oder aufs Spiel zu setzen: so daß es nicht von dieser ihrem eigenen Urtheil abhängt, ob sie in den Krieg ziehen wollen oder nicht, sondern der Oberbefehl des Souveräns sie hineinschicken darf?« (AA VI.344) Das neuzeitliche Rechtsdenken operiert notwendigerweise mit der Annahme, dass der freie Wille als das Prinzip der Rechtserzeugung selbst nicht rechtlos ist. Die Rechtlichkeit dieser Befehle kann daher nicht im Eigentumsrecht liegen, denn die Person ist nicht als Sache, sondern als »Zweck an sich selbst« zu betrachten (AA VI.354). In dieser Problematik bringt Kant auch den Begründungsgang des neuzeitlichen Rechtsdenkens zur Geltung. Da dieses Denken sich durch einen Primat des Rechts charakterisiert, müssen die Befehle im Krieg aus der ursprünglichen Berechtigung des freien Willens abgeleitet werden: »Wir werden also wohl dieses Recht von der Pflicht des Souveräns gegen das Volk (nicht umgekehrt) abzuleiten haben; wobei dieses dafür angesehen werden muß, daß es seine Stimme dazu gegeben habe, in welcher Qualität es, obzwar passiv (mit sich machen läßt), doch auch selbstthätig ist und den Souverän selbst vorstellt.« (AA VI.346; Hervorh. A.B.) Dieses Recht sei daher von der Einwilligung der Staatsbürger abhängig. Geltung und Beschränkung dieses Rechts liegen in einem System der Repräsentation, durch welches die Staatsbürger ihre »freie Bestimmung«, ihre Willenserklärung geben. Die Kantische Begründung der Rechtlichkeit solcher Befehle durch eine besondere Einwilligung, die durch ein System der Repräsentation vermittelt ist, lässt sich in folgenden Punkten kritisieren: (a) Die Hegelsche Kritik gegen Beccarias Begründung der Rechtlichkeit der Strafbefugnis gilt auch hier. Beccaria behaupte mit Recht, dass die Rechtlichkeit des Strafrechts von unserer Einwilligung abhängig ist. Diese Einwilligung werde jedoch durch die Straftat selbst gesetzt. Sie erfordere daher nicht die Abgabe einer zusätzlichen Willenserklärung. Die Rechtlichkeit der Funktion der Kriegserklärung liegt, wie die Rechtlichkeit die Strafbefugnis, in einer bereits existierenden Handlungsweise. Diese Handlungsweise ist eine Freiheitsform.

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

(b) Die Funktion der Repräsentation ist die Vermittlung der Interessen und nicht die Rechtfertigung der staatlichen Befugnisse. Ein System der Repräsentation kann nicht die Geltung dieser Rechtsgestalt erzeugen. Sie muss bereits vorliegen. Ein Staat, der sich auf die Sicherung und Durchsetzung der privaten Interessen beschränkt, tut Unrecht, wenn er einen Anspruch auf die Disposition des Lebens der Staatsbürger erhebt: »Es gibt eine sehr schiefe Berechnung, wenn bei der Forderung dieser Aufopferung der Staat nur als bürgerliche Gesellschaft, und als sein Endzweck nur die Sicherung des Lebens und Eigentums der Individuen betrachtet wird; denn diese Sicherung wird nicht durch die Aufopferung dessen erreicht, was gesichert werden soll; – im Gegenteil.« (GPR § 324) Die durch ein System der Repräsentation abgegebene Einwilligung würde nichts an der Logik der Sache ändern. Dieselbe Logik würde sich einfach unter dem Titel berechtigter Gedanken durchsetzen (vgl. GW 18.169). Eine solche Legitimierung würde nur eine Einwirkung auf das Bewusstsein (die Setzung des Anscheins der Rechtsmäßigkeit) haben, wenn die Berechtigung nicht bereits vorliegt. Die systematische Fundierung der Rechtlichkeit der Macht zu befehlen kann nur durch die Rekonstruktion der inneren Dialektik der Freiheit gewonnen werden: Durch die Produktion einer Sphäre der Freiheit, der allgemeinen Objektivität des Rechts, wird die Freiheit des Einzelnen ermöglicht und zugleich aufgehoben. Es gibt keine Freiheit außerhalb der sittlichen Welt. Durch das Eingehen von Rechtsverhältnissen wird die Freiheit nicht beschränkt, sondern vielmehr erst ermöglicht. Wie die Kantische Relativierung des Vertragsdenkens zur Geltung bringt, stehen die Menschen immer in einem rudimentären Rechtsverhältnis. Die Produktion einer Sphäre der Freiheit steht nicht zur Disposition. Die Menschen begehen Unrecht, wenn sie im Naturzustand verharren wollen, denn sie nehmen dem Rechtsbegriff seine Gültigkeit. Die Rechtlichkeit der Befehle im Krieg liegt in der Dialektik des Verwirklichungsprozesses der Freiheit, in dem der Rechtsbegriff zu Dasein und Gültigkeit gebracht wird. In der Dialektik von Sicherung und Aufhebung der besonderen Rechte zeigt sich der Primat der allgemeinen Objektivität des Rechts. Dieser Primat ist keine Hegelsche Akzentuierung, sondern eine begriffliche Rekonstruktion der Funktionsbedingungen des Rechts: Die Objektivität bestimmt das Recht. Die Menschen produzieren Institutionen, denn nur diese sind der Rechtserzeugung fähig. In der immanenten Logik der gesellschaftlichen Institutionen liegt die Geltung der Pflichten im Krieg. Diese Logik wird im letzten Kapitel der vorliegenden Untersuchung thematisiert. An dieser Stelle ist jedoch anzudeuten, dass die immanente Logik der Institutionen eine Handlungsweise ist, die Hegel bekanntlich als die Sittlichkeit bezeichnet. In dieser Handlungsweise und nicht in einer besonderen

11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg

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Einwilligung liegt die Rechtlichkeit jener Pflichten. Die Einwilligung wird bereits durch sie selbst gesetzt. Sie besteht in der Produktion einer sittlichen Welt durch die objektivierende Tätigkeit des freien Willens. Die Rekonstruktion der spezifischen Freiheitsform der Sittlichkeit ist laut Hegel nur möglich, wenn man den Willen nicht als die Freiheit des Einzelnen, sondern als (wahren) Geist (vgl. § 29) auffasst. Die Philosophie des objektiven Geistes versucht, die innere Dialektik, die in der Struktur des Freiheitsbegriffs selbst liegt, begrifflich zu rekonstruieren. Die Paradoxien der sittlichen Freiheit erklären sich aus den immanenten Vernunftstrukturen des Geistes. In der Analyse dieser Dialektik müssen die folgenden Bestimmungen betrachtet werden, in denen die Kantische Relativierung des Vertragsdenkens weiter entwickelt wird: (1) Die Herausbildung übergreifender Zwecke: Aus der Entstehung von sittlichen Lebensformen, von Herrschaftsgebilden erklärt sich die Herausbildung übergreifender Zwecke. Die Handlung der einzelnen Menschen ist auf die Befriedigung der Leidenschaften und der privaten Interessen gerichtet, aber sie ist zugleich die Betätigung allgemeinerer Inhalte. Diese Handlungsweise der Menschen geht daher über die unmittelbaren Interessen hinaus und setzt sich auch gegen sie durch. (2) Unbewusste Willensakte: Die Objektivierung des freien Willens besteht nicht nur aus bewussten Willensakten. Bestimmte Prozesse in der Herausbildung und Stabilisierung der sittlichen Formen vollziehen sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Letztlich vollzieht sich das Entscheidende, das Wichtigste unbewusst. (3) Die Souveränität: Die allgemeine Objektivität des Staates hat die geistige Form der Unendlichkeit, der Subjektivität; der Staat ist ein individuelles Ganzes. Die Souveränität des Staates macht die »Idealität« dieser Objektivität aus. In der Souveränität findet man die folgenden dialektischen Momente, die zwei »Seiten« desselben Vermittlungsprozesses sind: (a) Die auseinandertreibende Besonderheit (die »Realität« der sittlichen Welt) wird in die Allgemeinheit erhoben. Diese Erhebung besteht, wie gesagt, nicht in einer Beschränkung, sondern in einer Befreiung (vgl. § 149). Die »Identität« von Besonderheit und Allgemeinheit ist eine durch diesen Erhebungsprozess vermittelte Vereinigung. Bekanntlich findet Hegel eine Manifestation dieser gesetzten »Identität« im sittlichen Recht, dem Zusammenfallen von Pflicht und Recht (vgl. § 155). (b) Die »organische« Struktur, die für die konkrete Allgemeinheit des Staates konstitutiv ist, setzt notwendigerweise zugleich die besonderen Rechte zu Momenten herab. Die Geltung der Souveränität setzt immer, auch im Frieden, das Tilgen der besonderen Rechte voraus. Deswegen bringt Hegel diesen

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

Gedanken bereits im Abschnitt »Die innere Verfassung für sich« zur Geltung: »Weil die Souveränetät die Idealität aller besonderen Berechtigung ist, so liegt der Mißverstand nahe, der auch sehr gewöhnlich ist, sie für bloße Macht und leere Willkür, und Souveränetät für gleichbedeutend mit Despotismus zu nehmen.« (§ 277) Beide Momente sind für die »Idealität« des Staates konstitutiv. Deswegen thematisiert Hegel die Pflichten im Krieg unter dem Titel »Die Souveränetät gegen außen« (§§ 321–329). Diese »Seite« der Souveränität besteht in einem Außenverhältnis, das von der Subjektivität des Staates selbst erzeugt wird: »Die Individualität, als ausschließendes Für-sich-sein, erscheint als Verhältnis zu anderen Staaten, deren jeder selbständig gegen die anderen ist.« (§ 322). Dieses Außenverhältnis (scheinbar »ein Äußerliches« § 323) ist ein notwendiges Moment des Staates (»sein höchstes eigenes Moment«, ebd.), das die immanente Vernunftstruktur des Geistes, die Hegel unter dem Titel »Innere Verfassung für sich« (§§ 272–320) thematisiert, zu ihrer Erscheinung und ins Dasein bringt. Daran sieht man die Verbindung der zwei Teile des »inneren Staatrechts«. Diese »Seite« der Souveränität, das vom Prinzip der Person geschaffene Verhältnis zwischen den Staaten und die Gestalt des Krieges, heben die Geltung und Wirkungsweise der Souveränität ins Bewusstsein, die bereits auf der anderen »Seite« der Souveränität vorhanden sind. Darin sieht man den Einteilungsgrund des inneren Staatsrechts. Die Souveränität und die Befehlsmacht im Krieg haben ihre Geltung in ein und demselben Verhältnis: »Im Dasein erscheint so diese negative Beziehung des Staates auf sich als Beziehung eines anderen auf ein anderes, und als ob das Negative ein Äußerliches wäre. Die Existenz dieser negativen Beziehung hat darum die Gestalt eines Geschehens und der Verwickelung mit zufälligen Gegebenheiten, die von außen kommen. Aber sie ist sein höchstes eigenes Moment, – seine wirkliche Unendlichkeit als die Idealität des Endlichen in ihm, – die Seite, worin die Substanz als die absolute Macht gegen alles Einzelne und Besondere, gegen das Leben, Eigentum und dessen Rechte, wie gegen die weiteren Kreise, die Nichtigkeit derselben zum Dasein und Bewußtsein bringt.« (ebd.) Für die »Idealität« des Staates sind auch die folgenden Bestimmungen konstitutiv: (1) Die Aufopferung des Lebens als Selbstbehauptung der sittlichen Person des Einzelnen: Die »Idealität« des Staates enthält nicht nur das Negative der Nichtigkeit der Besonderheit, sondern auch das Positive der Selbstbehauptung der allgemeinen, geistigen Individualität des Einzelnen. In dieser Selbstbehauptung liegt die Bindung des Einzelnen an die »substantielle Pflicht« der Aufopferung des Lebens für die Erhaltung des Staates im Notfall (vgl. § 324).

11.3 Die Geltung der Kriegserklärung und der Befehlsmacht im Krieg

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Das allgemeine Interesse an der Produktion einer Sphäre der Freiheit erfordert, dass unter bestimmten Bedingungen das Allgemeine gegen die besonderen Rechte bzw. durch ihre Aufopferung durchgesetzt wird. Diese Bedingungen sind objektiv, denn sie stehen im Verhältnis mit den Funktionsbedingungen der Stabilisierung dieser Sphäre. Die Forderung nach einer Aufopferung der besonderen Rechte (des Eigentums und der Person) ist kein äußerer Zwang, sondern sie ist der Subjektivität des Einzelwillens immanent. Der freie Wille ist auf seine Freiheit gerichtet (vgl. § 27). Die Erhaltung einer äußeren Sphäre der Freiheit als Wirkliches und Geltendes ist eine immanente Forderung des einzelnen Subjekts als geistiges und vernünftiges Wesen: Die Selbstbezüglichkeit des Willens manifestiert sich nicht im Selbsterhaltungstrieb eines tierischen Organismus, sondern im »Trieb« der Selbstbehauptung der Freiheit. Aus dieser Immanenz begründet Hegel auf der Stufe des abstrakten Rechts das Zwangsrecht als ein »Recht an den Verbrecher«. Aus der Immanenz des sich selbst wollenden Willens begründet er auch auf der Stufe der Sittlichkeit den Zwang oder die Negation der besonderen Rechte (die Aufopferung des Lebens) als »substantielle Pflicht«. Diese Pflicht kann auch als ein Recht des Staatsbürgers betrachtet werden. Dieser hat ein Recht auf die Selbstbehauptung ihrer sittlichen Person. Die Erhaltung der Freiheit des Staates ist ein immanentes und berechtigtes Ziel des Einzelwillens. Aus diesem Grund darf kein Staatsbürger gegen seinen Willen aus diesem Verhältnis (aus dem Wehrdienst) ausgeschlossen werden. Dieser Ausschluss wäre ein Zeichen der Verachtung, der Negation der sittlichen Person. (2) Der Krieg ist ein Gewolltes: Hegel zeigt, dass das individuelle Ganze des sittlichen Staates das »Tun aller« ist. Da das bedrohliche Außenverhältnis ein notwendiges Moment der Logik des Staates (des allgemeinverbindlichen Willens) ist, ist das Dasein des Krieges für die Erhaltung dieses Ganzen auch ein Gewolltes. Damit begründet Hegel zwei Paradoxien der Freiheit, die sich im Krieg manifestieren: die Vereinbarkeit sowohl von Zwang und Freiheit als auch von Freiheit und Notwendigkeit. Der Zwang des Krieges setzt sich nicht als Naturgewalt durch, sondern als eine Notwendigkeit der objektivierten Freiheit: »Es ist notwendig, daß das Endliche, Besitz und Leben, als Zufälliges gesetzt werde, weil dies der Begriff des Endlichen ist. Diese Notwendigkeit hat einerseits die Gestalt von Naturgewalt, und alles Endliche ist sterblich und vergänglich. Im sittlichen Wesen aber, dem Staate, wird der Natur diese Gewalt abgenommen, und die Notwendigkeit zum Werke der Freiheit erhoben; – jene Vergänglichkeit wird ein gewolltes Vorübergehen, und die zum Grunde liegende Negativität zur substantiellen eigenen Individualität des sittlichen Wesens.« (§ 324) Dieses »gewollte Vorübergehen« wird auf der Stufe des »äußeren Staatsrechts« (§§ 330–340) als »ein Vorübergehen-

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

sollendes« (§ 338) weiter bestimmt (siehe das letzte Kapitel der vorliegenden Untersuchung). (3) Die Entäußerung der Freiheit im Wehrdienst: Der paradoxale Charakter dieses geistigen Verhältnisses zeigt sich auch in der Notwendigkeit der Entäußerung der Freiheit im besonderen Verhältnis des »Standes der Tapferkeit« (vgl. § 326). Diese Entäußerung ist eine Forderung der Gestalt der objektivierten Freiheit nach dem Aufgeben der inneren Freiheit im Notfall: »Abtun des eigenen Meinens«, »Abwesenheit des eigenen Geistes« (§ 328). Dieser bedingungslose, »gänzliche Gehorsam« ist ein äußerlicher, ungeistiger Zustand, der jedoch für die Produktion und Sicherung einer Sphäre der Freiheit notwendig ist. Er ist eine vom objektiven Geist geforderte Gestalt der »Ungeistigkeit«. Daher liegt die Geltung dieser Pflichten, wie oben gesagt wurde, letztendlich in der Dialektik der Freiheit: »Diese Gestalt [sc. die Tapferkeit] enthält daher die Härte der höchsten Gegensätze: die Entäußerung selbst, aber als Existenz der Freiheit; – die höchste Selbständigkeit des Fürsichseins, deren Existenz zugleich in dem Mechanischen einer äußeren Ordnung und des Dienstes ist, – gänzlichen Gehorsam und Abtun des eigenen Meinens und Räsonnierens, so Abwesenheit des eigenen Geistes, und intensivste und umfassende augenblickliche Gegenwart des Geistes und Entschlossenheit, – das feindseligste und dabei persönlichste Handeln gegen Individuen, bei vollkommen gleichgültiger, ja guter Gesinnung gegen sie als Individuen.« (ebd.) Diese Gestalt erfordert daher nicht nur eine Aufopferung der Person und des Eigentums, sondern auch die Aufopferung des »Rechts des subjektiven Willens«. Die Selbstbehauptung der sittlichen Personalität darf notfalls die Freiheit des »äußeren« und des »inneren Rechts« in Anspruch nehmen. (4) Der Träger der Funktion der Kriegserklärung und der Macht, zu befehlen: Da die Berechtigung dieser Funktion in der Subjektivität des Staates liegt, ist die Trägerin dieser berechtigten Funktion diejenige Institution, die die Subjektivität verkörpert. Diese ist bei Hegel bekanntlich die fürstliche Gewalt: »Seine Richtung nach außen hat der Staat darin, daß er ein individuelles Subjekt ist. Sein Verhältnis zu anderen fällt daher in die fürstliche Gewalt, der es deswegen unmittelbar und allein zukommt, die bewaffnete Macht zu befehligen, die Verhältnisse mit den anderen Staaten durch Gesandte u. s. f. zu unterhalten, Krieg und Frieden, und andere Traktate zu schließen.« (§ 329) Es braucht keine besondere Scharfsinnigkeit, um Hegels Rechtfertigung des Daseins des Krieges aus der heutigen Perspektive zu kritisieren. Diese Perspektive ist durch das heutige Verhältnis zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat bestimmt. Dieses Verhältnis lässt sich durch das Hegelsche Instrumentarium beurteilen. Die enorme Entwicklung der bürger-

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lichen Gesellschaft in Expansion und Intensität hat die sittlichen Bande nicht nur der Familie, sondern auch des sittlichen Staates aufgelöst. Diese Entwicklung hat zu einem Abbau des sittlichen Staates und zur Transformation seiner Bestandteile in Werkzeuge der bürgerlichen Gesellschaft geführt. Daher ist die Unterscheidung zwischen »bourgeois« und »citoyen« sinnlos geworden. Die Bestandteile des sittlichen Staates werden fortschreitend zu Elementen des Systems der bürgerlichen Gesellschaft, des Systems des Sonderinteresses, depotenziert. Die Befehlsmacht im Krieg gilt jedoch nur, wenn der (sittliche) Staat als das Allgemeine und nicht als der Staat der bürgerlichen Gesellschaft handelt (vgl. § 324). Das heutige Dasein des Krieges bringt nicht die Berechtigung des sittlichen Staates zur Erscheinung. Es hebt in Bewusstsein vielmehr das Unrecht des Staates der bürgerlichen Gesellschaft und die innere Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft, durch welche sie über sich selbst hinausgetrieben wird (vgl. § 246). Das heutige Dasein des Krieges bringt vielmehr das Unrecht des Naturzustandes der bürgerlichen Gesellschaft zu Dasein und Erscheinung. Das Unrecht der Herabsetzung des Staates zu einem Werkzeug der bürgerlichen Gesellschaft manifestiert sich auch in der heutigen Transformation des Militärwesens: Die Kriege, die für die Durchsetzung der besonderen Interessen der bürgerlichen Gesellschaft notwendig sind, lassen sich nicht mehr reibungslos auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht der Staatsbürger führen. Dies lässt sich nicht aus einem Respekt vor der Gewissensfreiheit der Staatsbürger, vor dem Recht des subjektiven Willens erklären. Die zur Durchsetzung von Sonderinteressen geführten Kriege finden in der Allgemeinheit der sittlichen Wehrpflicht vielmehr ein Hindernis. Denn die allgemeine Wehrpflicht bringt deutlich den Missbrauch der staatlichen Funktionen zur Erscheinung. Man muss auch sagen, dass diese innere Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft sich nicht allein aus der Logik der objektivierten Freiheit, aus dem Freiheitsbegriff ableiten lässt. Denn sie erklärt sich insbesondere aus »Gesetzmäßigkeiten«, die nur durch eine Werttheorie rekonstruierbar sind. In den »subjektiven Werttheorien«, die eine Dominanz in der akademischen Welt gewonnen haben, findet man jedoch nicht eine systemimmanente Thematisierung dieser inneren Dialektik und des Gefahrenpotentials der bürgerlichen Gesellschaft. Die Triebkräfte der heutigen Gesellschaft setzen sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« durch, und die heutige Wissenschaft kann sie nicht ins Bewusstsein, d. h. ins methodologische Selbstbewusstsein des Menschen heben. Die Denkansätze und nicht selten trivialen Formeln der heutigen Wissenschaft – methodologischer Individualismus, Intersubjektivität, Utilitarismus, positivistische Metaphysik(kritik) usw. – sind nicht fähig, eine systematische Rekonstruktion dieser dialektischen Prozesse zu

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11. Die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang

gewinnen. Die Herausbildung des notwendigen Instrumentariums zur Erfüllung dieser Aufgabe erfordert zunächst eine Klärung dieser Vorurteile und Denkweisen.

12. Die Rede von einer Logik des Rechts

12.1 Der Rückverweis auf die Logik qua Methode und Erste Philosophie des Hegelschen Systems Die Aufgabe der Rechtsphilosophie ist, die immanente Logik des Rechts begrifflich zu rekonstruieren. Der Gebrauch des Terminus »Logik« in einer Untersuchung, die die geistesphilosophische Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens erörtert, scheint eine besondere Rechtfertigung zu benötigen. Die scheinbare Notwendigkeit einer besonderen Rechtfertigung für den Gebrauch dieses Terminus in der Analyse der Hegelschen Rechtsphilosophie liegt einerseits darin, dass er in der Hegelschen Systemkonzeption ein besetzter Terminus ist: Die Logik ist der Systemteil, in dem die Methode und die Erste Philosophie dargestellt werden. Sie liegt andererseits darin, dass sein Gebrauch in Verbindung mit einem »ungelösten Problem«, mit dem Problem des Verhältnisses von Logik und »Realphilosophie« (vgl. Ottmann 1982; vgl. de Vos 120) steht: Die Rede von einer Logik des Rechts scheint eine Lösung für das Problem der Beziehung zwischen der Logik und der Philosophie des (objektiven) Geistes anzubieten. Die Notwendigkeit eines Rückverweises auf den Systemteil der Logik (weiterhin: Logik) wird bei Hegel in der »Vorrede« zu den Grundlinien formuliert. Dieser Hinweis enthält zwei Gedanken: (a) Die Logik ist eine Voraussetzung der Rechtsphilosophie. Die philosophische Wissenschaft des Rechts hat nur zwei Voraussetzungen: die Logik und der Weg des Willens zum objektiven Geist (Inhalt der Philosophie des subjektiven Geistes). (b) Die Durchführung der Rechtsphilosophie muss laut Hegel nach der Logik gelesen und beurteilt werden. Diese starke Akzentuierung der Logik ist jedoch mit den zwei folgenden Bemerkungen zu relativieren: (a) Die Rückweise auf die Logik in den Grundlinien, die laut Hegels Behauptung ein Maßstab für die Lektüre dieses Textes ist, sind seltener zu finden, wenn der Text die höheren Freiheitsstufen thematisiert: »Nach der Darstellung des abstrakten Rechts verschwinden Hegels eigene Hinweise auf logische Begriffe und Gestaltungen quasi total. Auch bei den Übergängen, wo Hegel jedesmal die Logik erwähnt, gibt er nie die genauen logischen Bestimmungen.« (de Vos 1981, 119–120) (b) Der Rückverweis auf die Logik erklärt sich nicht nur aus innersystematischen Gründen, sondern auch aus politischen Gründen: »Der Ort diese nachhaltigen Rekurses auf das Fundament der Rechtsphilosophie – die ›Vorrede‹ zu den

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

Grundlinien – läßt vermuten, daß ihm neben der wissenschaftlichen Funktion eine politische zukomme: den wissenschaftlichen und insofern nicht an den tagespolitischen Ereignissen orientierten Charakter des Buches zu betonen.« (Jaeschke 2003, 374) Aus der Deutung des Verhältnisses zwischen Logik und Rechtsphilosophie lässt sich eine logische Rechtfertigung der Gliederung der Rechtsphilosophie gewinnen. Die Logik ist dann der Einteilungsgrund der Rechtsphilosophie. Versucht man, wie Theunissen, die Sphären des Rechts Teilen der Logik zuzuordnen, scheint eine Parallelisierung zwischen Logik und Rechtsphilosophie möglich: abstraktes Recht als Seinslogik, Moralität als Wesenslogik und Sittlichkeit als Begriffslogik (Theunissen 1982). Betrachtet man außerdem, wie Ottman, die Rechtsphilosophie als einen logischen Weg vom Abstrakten zum Konkreten, findet man hingegen eine »Springprozession«: »Die Springprozession vom Abstrakten zum Konkreten und vice versa erscheint dann als ein Oszillieren zwischen subjektiver und objektiver Logik […] Dieses rätselhafte Hin- und Her zwischen den Teilen der Logik bedarf einer Erklärung, und der verwirrte Leser fragt sich, ob es denn nun die Seinslogik von Anfang und Ende der Rechtsphilosophie oder die Reflexionslogik von Moralität und bürgerlicher Gesellschaft oder doch das von der Sittlichkeit intendierte Niveau der subjektiven sind, worin die logische Pointe der Rechtsphilosophie zu suchen ist.« (Ottmann 1982, 383) Die Analyse des Verhältnisses von Logik und »Realphilosophie« ist in der Hegel-Forschung zu einem Hauptproblem erhoben worden. Die Analyse dieses Verhältnisses in Bezug auf die Rechtsphilosophie scheint daher ein vielversprechendes Unternehmen zu sein. Man muss jedoch sagen, dass man aus der Lektüre der verschiedenen Versuche gerade den umgekehrten Eindruck gewinnt. Die Leistungsfähigkeit einer solchen Beschäftigung für das Verstehen der Hegelschen Rechtsphilosophie und des Rechts überhaupt ist eher gering und die Gefahr der Fehldeutungen überwiegt: »Insbesondere glaube ich nicht, daß man die Entwicklung der Hegelschen Theorie des Rechts allein aus der Kenntnis ihres Gegenstandes und der Vertrautheit mit der sogenannten Form des Logischen heraus versteht. Auch die zusätzliche Versiertheit im Umgang mit einzelnen Inhalten der Logik und deren intuitiver Anwendung auf den Gegenstand der Rechtsphilosophie oder auf Einzelthemen in ihr kann leicht zu Fehlurteilen führen. Diejenigen inhaltlichen spekulativ-begrifflichen Grundlagen der Rechtsphilosophie, die nicht schon in der Logik enthalten sind, scheinen mir für das Verständnis des Hegelschen Vorgehens in der Rechtsphilosophie mindestens ebenso wichtig wie die ausschließlich mit Hilfe der Logik explizierbaren Bestimmungen.« (Fulda 1982, 412)

12.1 Der Rückverweis auf die Logik qua Methode …

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Eine andere Ursache der Fehldeutungen der Rechtsphilosophie liegt darin, dass unter »Logik« nicht nur der Systemteil, sondern auch die folgenden Inhalte der Geistesphilosophie verstanden werden: eine Logik der Intersubjektivität, eine Logik der Anerkennung. Die Logik der Intersubjektivität, wird behauptet, sei die eigentliche Logik des Rechts, der fruchtbare Kern der Hegelschen Rechtsphilosophie. Diese philosophiegeschichtliche These wird durch eine weitere These, der Annahme einer Verfallsgeschichte in der sukzessiven Revidierung des Hegelschen Systems, ergänzt: Dieser fruchtbare Kern wird fortschreitend in den verschiedenen Umgestaltungen der Rechtsphilosophie »verdrängt« (Theunissen 1982, 317). Eine besondere Gestalt der Realphilosophie, der Kampf um Anerkennung, wird zum Kern der Rechtsphilosophie erhoben. Die Ausweitung dieser Gestalt auf die gesamte Sphäre des objektiven Geistes zeigt sich jedoch als falsch in den zwei folgenden Punkten: (1) Es ist sogar trivial zu sagen, dass die Interpersonalität eine konstitutive Dimension des Personbegriffs ist. Die Zurechnung, die eine wesentliche Bestimmung des Personbegriffs ist, wird von anderen Personen vollzogen. Dies gilt selbstverständlich für alle Gestalten der Subjektivität im Bereich des Rechts: »Diese Beziehung von Willen auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freiheit Dasein hat.« (GPR § 71) Die Anerkennung ist auf allen Stufen des Rechts enthalten und vorausgesetzt: »Der Vertrag setzt voraus, daß die darein Tretenden sich als Personen und Eigentümer anerkennen; da er ein Verhältnis des objektiven Geistes ist, so ist das Moment der Anerkennung schon in ihm enthalten und vorausgesetzt.« (ebd.) Wie ist diese Voraussetzung der Anerkennung in der Rechtsphilosophie zu verstehen? Der Kampf um Anerkennung wird im Phänomenologie-Kapitel der Enzyklopädie (1830) thematisiert. Er findet nur dort statt, wo die Verhältnisse des Naturzustandes herrschen. Durch den Eintritt in den Rechtszustand ist dieser Kampf nicht mehr Gegenstand der Philosophie. Selbstverständlich könnte man den folgenden Einwand formulieren: Durch Hegels Einbeziehung der Fiktion des Naturzustandes in die Wirklichkeit des Rechts (die bürgerliche Gesellschaft und das äußere Staatsrecht) werde der Kampf um Anerkennung innerhalb dieser Sphäre rehabilitiert. Gegen einen solchen Rehabilitierungsversuch muss man jedoch sagen, dass das äußere Staatsrecht sich bei Hegel eher durch seine Rechtlosigkeit charakterisiert, so dass dieser Kampf um Anerkennung nicht für die eigentliche Logik des Rechts gehalten werden kann. Dasselbe gilt für die bürgerliche Gesellschaft: Der Naturzustand der bürgerlichen Gesellschaft erklärt sich aus Gesetzmäßigkeiten, die in der Politischen Ökonomie thematisiert werden. Diese Gesetzmäßigkeiten sind nun konstitutiv für die Sphäre des Systems der Wirtschaft und sind daher im

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

Bereich des Rechts nur als ein Anstoß für die Ausbildung neuer Institutionen zu thematisieren. Diese rechtlichen Institutionen (Korporation, Polizei, Rechtspflege usw.) sind aber der Ausgang aus diesem wirtschaftlichen Naturzustand, die Verwirklichung des von der Vernunft geforderten »exeundum esse«. Diese Relativierung der Problematik der Anerkennung kann auch geschichtlich begründet werden. Der Kampf um Anerkennung herrscht nur auf einer geschichtlichen Stufe, in der nicht alle Menschen als frei erkannt und anerkannt werden, in der sich der Rechtszustand kaum herausgebildet hat: »Aus dem eben Gesagten erhellt aber, daß mit jenem ein notwendiges Moment in der Entwicklung des menschlichen Geistes ausmachenden Kampfe um Anerkennung der Zweikampf durchaus nicht verwechselt werden darf. Der letztere fällt nicht wie der erstere in den Naturzustand der Menschen, sondern in eine schon mehr oder weniger ausgebildete Form der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates. Seine eigentliche weltgeschichtliche Stelle hat der Zweikampf im Feudalsystem, welches ein rechtlicher Zustand sein sollte, es aber nur in sehr geringem Grade war.« (EPW § 432, Zusatz) (2) Die Herabsetzung dieser »Logik der Anerkennung« zu einer Voraussetzung impliziert, dass sie nicht der eigentliche Inhalt ist, den die Rechtsphilosophie zu ihrem Gegenstand machen muss. Der eigentliche Inhalt des Rechts ist die immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit. Da diese Verwirklichung nur durch die Herausbildung von Institutionen möglich ist, ist die Analyse dieser Institutionen die wahre Aufgabe der Rechtsphilosophie. Diese Behauptung soll in diesem Kapitel begründet werden. Da der unmittelbare Rückbezug auf die Logik in der Analyse der Rechtsphilosophie sich meistens als unfruchtbar, wenn nicht als irreführend zeigt, lässt sich fragen, warum dies nicht funktioniert. Die Ursache liegt im Wesentlichen darin, dass das Verhältnis zwischen Logik und Rechtsphilosophie durch die Logik des spezifischen Gegenstandes vermittelt ist: »Es dürfte aber ohnehin vergebens sein, die Fundierungsfunktion der Logik für die Rechtsphilosophie – oder jede beliebige andere Disziplin des Systems – so geradewegs im unmittelbaren Rückbezug auf Strukturen der Logik und nicht vielmehr auf die immanente Logik des spezifischen Gegenstandes erweisen zu wollen.« (Jaeschke 2003, 374) Der Gegenstand der Rechtsphilosophie ist der sich als Recht objektivierende Geist. Eine Analyse der immanenten Logik des Rechts muss sich mit der näheren Logik des Gegenstandes beschäftigen. Eine Analyse der Logik des Rechts in der Philosophie des objektiven Geistes muss die nähere Ausgestaltung der Logik durch die Logik des spezifischen Gegenstandes rekonstruieren. Der Gegenstand der Philosophie des Geistes ist daher eigentlich nicht die Logik,

12.2 Die Logik des geistigen Seins überhaupt

291

sondern die nähere Logik des Gegenstandes. Sonst würde der folgende Vorwurf von Marx gegen die Rechtsphilosophie gelten: »Nicht die Rechtsphilosophie, sondern die Logik ist das wahre Interesse. Nicht daß das Denken sich in politischen Bestimmungen verkörpert, sondern daß die vorhandenen politischen Bestimmungen in abstrakte Gedanken verflüchtigt werden, ist die philosophische Arbeit. Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment. Die Logik dient nicht zum Beweis des Staats, sondern der Staat dient zum Beweis der Logik.« (MEW 1.216; Hervorh. A.B.) Dieser Vorwurf trifft sicher für einige Rezeptionen der Logik und ihres Verhältnisses zur Realphilosphie zu, aber nicht für das Hegelsche Konzept der Philosophie des objektiven Geistes, denn der Inhalt der Rechtsphilosophie ist eine spezifische Gestalt des Geistes, nämlich, wie sich unten zeigen wird, die nähere Ausgestaltung der Tätigkeit des Geistes durch die interne Logik des freien Willens. Diese interne Logik macht die »differentia specifica« dieser Gestalt des Geistes aus. Die immanente Logik des Gegenstandes der Rechtsphilosophie umfasst daher: die Logik des geistigen Seins überhaupt (12.2); die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes: der sich als Recht objektivierende Geist (12.3); die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: der geistesgeschichtliche Zusammenhang von epochaler Enthüllung und Ausbildung eines immanenten Rechtsprinzips (12.4).

12.2 Die Logik des geistigen Seins überhaupt Aus der Logik der Geistesphilosophie erklärt sich, warum die Rechtsgestalten nicht unmittelbar Formen der Logik darstellen. Das Spezifikum der Logik der Geistesphilosophie zeigt sich deutlich anhand der Stellung des Geistbegriffs innerhalb der Hegelschen Systemkonzeption. Hegels Geistbegriff ist charakterisiert durch die folgende Ambivalenz: (a) Zum einen ist die Geistesphilosophie ein Teil des Hegelschen Systems. Der Geist ist ein beschränkter, deutlich definierter Bereich der Wirklichkeit. Die logischen Formen sind daher im Bereich der Geistesphilosophie reicher als im Bereich des »reinen Denkens«. Der Geist ist eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Wollens: »Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste.« (EPW § 553). Aufgrund dieser spezifischen Seinsweise unterscheidet sich der Geist von der Natur, deren Seinsweise »die Idee in der Form des Andersseins« (§ 247) ist. (b) Zum anderen hat der Geist eine Schlüsselfunktion innerhalb des Systems. Der Geist richtet seine erkennende Tätigkeit nicht nur auf die Natur,

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

sondern auch auf sich selbst, auf seine Objektivationen. Durch diese selbstbezügliche Tätigkeit ist der Geist die Vollendung der internen Dynamik der Natur, d. h. die Selbstaufhebung ihres Außersichseins: »Die Natur ist damit in ihre Wahrheit übergangen, in die Subjektivität des Begriffs, deren Objektivität selbst die aufgehobene Unmittelbarkeit der Einzelheit, die konkrete Allgemeinheit ist, so daß der Begriff gesetzt ist, welcher die ihm entsprechende Realität, den Begriff zu seinem Dasein hat, – der Geist.« (§ 376) Diese selbstbezügliche Tätigkeit, die den systematischen Ort der Geistesphilosophie bestimmt, macht den Hegelschen Geistbegriff aus: »wie das absolute Wesen selbst in der Idee sein Bild gleichsam entwirft, sich in der Natur realisirt, oder in ihr sich seinen entfalteten Leib erschafft, und dann als Geist sich resumirt, in sich zurükkehrt und sich selbst erkennt, und als diese Bewegung eben das absolute Wesen ist« (GW 5.262). Der Geistbegriff ist daher, im Gegensatz zum Naturbegriff (das Absolute in der Form des »Auseinanderseins«), das Absolute in der Form der Freiheit (das »Beisichsein« des Geistes). Hegel, der als Philosoph des spekulativen Denkens bekannt ist, formuliert plakativ diese Schlüsselfunktion des Geistbegriffs innerhalb seiner Systemkonzeption durch eine Definition: »Das Absolute ist der Geist; dies ist die höchste Definition des Absoluten.« (EPW § 384) An diese Definition anschließend bezieht Hegel bereits die Geschichte in die Logik der Geistesphilosophie ein: »Diese Definition zu finden und ihren Sinn und Inhalt zu begreifen, dies, kann man sagen, war die absolute Tendenz aller Bildung und Philosophie, auf diesen Punkt hat sich alle Religion und Wissenschaft gedrängt, aus diesem Drang allein ist die Weltgeschichte zu begreifen.« Diese Definition wird zur allgemeinen Triebkraft der Geschichte erhoben. Die Logik thematisiert die Rekonstruktion der logischen Gestalten durch das »reine Denken«. Die Geistesphilosophie thematisiert hingegen die Verwirklichung von Gestalten des Wissens und des Wollens. Die Geschichte ist daher die Seinsweise der Gestalten des Geistes. Auf dieser Schlüsselfunktion des Geistbegriffs beruht die Eigengesetzlichkeit der Bestimmungen und Stufen des Geistes. Sie sind einerseits aus dem Auseinandersein zu sich zurückgekehrte Bestimmungen: »Die Reihe der Bestimmungen oder der realisierten Begriffe ist, weil hier in der Rechtsphilosophie der Begriff nicht nur der logische, sondern der aus seiner Entäußerung zu sich zurückgekommene, also geistige Begriff ist, auch eine Reihe von Gestaltungen, eine gegliederte Ganzheit von konkreten, geistigen Formbestimmtheiten.« (de Vos 1981, 101) Die Bestimmungen und Stufen des Geistes sind andererseits nicht mehr, wie es in der Natur der Fall ist, besondere Existenzen, die gleichgültig nebeneinander bleiben, sondern sie existieren im Modus eines Moments, eines Zustandes der höheren Stufen: »Die konkrete

12.2 Die Logik des geistigen Seins überhaupt

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Natur des Geistes bringt für die Betrachtung die eigentümliche Schwierigkeit mit sich, daß die besondern Stufen und Bestimmungen der Entwicklung seines Begriffs nicht zugleich als besondere Existenzen zurück und seinen tiefern Gestaltungen gegenüber bleiben, wie dies in der äußern Natur der Fall ist, wo die Materie und Bewegung ihre freie Existenz als Sonnensystem hat, die Bestimmungen der Sinne auch rückwärts als Eigenschaften der Körper und noch freier als Elemente existieren usf. Die Bestimmungen und Stufen des Geistes dagegen sind wesentlich nur als Momente, Zustände, Bestimmungen an den höhern Entwicklungsstufen.« (EPW § 380) Daher erklärt sich, warum die Notwendigkeit der Antizipationen, die für eine Systemkonzeption wie die Hegelsche konstitutiv ist, in der Geistesphilosophie zunimmt und eine besondere Berechtigung erhält: »Aber zugleich wird es, indem niedrigere Stufen betrachtet werden, nötig, um sie nach ihrer empirischen Existenz bemerklich zu machen, an höhere zu erinnern, an welchen sie nur als Formen vorhanden sind, und auf diese Weise einen Inhalt zu antizipieren, der erst später in der Entwicklung sich darbietet (z. B. beim natürlichen Erwachen das Bewußtsein, bei der Verrücktheit den Verstand usf.).« (ebd.) Die Eigengesetzlichkeit der Logik der Geistesphilosophie zeigt sich noch deutlicher in einer Theorie, in welcher dem Geistbegriff diese von Hegel formulierte Schlüsselfunktion abgesprochen wird. Nicolai Hartmann rekonstruiert die Seinsweise des Geistes durch ein Schichtenmodell. Er rekonstruiert das Verhältnis zwischen den mannigfaltigen Schichten der Welt durch mehrere »Gesetzmäßigkeiten«, z. B. das Überformungsverhältnis und das Überbauungsverhältnis. Durch das Überbauungsverhältnis kann er die Eigengesetzlichkeit, die Autonomie der geistigen Prozesse erklären. Diese Verhältnisse konstituieren die Seinsweise des Geistes und daher seine Stellung im Schichtenbau der Welt: »Das geistige Sein, so zeigt sich, ist ›getragenes‹ und zugleich ›autonomes‹ Sein.« (Hartmann 1933, 54) Eine Philosophie des geistigen Seins thematisiert »Gesetze«, die die geistigen Prozesse in Bewegung setzen und strukturieren. Die Analyse der Theorie Hartmanns zeigt, dass von einer Logik des Geistes die Rede sein kann, ohne, im Unterschied zur Hegelschen Systemkonzeption, eine Logik (qua Erste Philosophie) voraussetzen zu müssen. Man kann die Logik des Geistes entweder als die Realisierung einer grundlegenderen Logik oder als eine selbständige Logik begreifen. In beiden Fällen sind jedoch die internen »Gesetze« der Logik des Geistes das wesentliche Begriffsinstrumentarium für die Rekonstruktion der unterschiedlichen Produkte des Geistes. Da das Recht eine Gestalt des Geistes ist, rekonstruiert die Philosophie des objektiven Geistes die Wirksamkeit der geistigen »Gesetze« im Bereich des Rechts.

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

12.3 Die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes: der sich als Recht objektivierende Geist Ein unmittelbarer Rückbezug der Rechtsgestalten auf die Formen der Logik ist, wie gesagt, aufgrund der Bereicherung dieser logischen Formen durch die internen »Gesetze« der Logik des geistigen Seins ein unzulässiges Verfahren, denn das Recht ist eine Gestalt des Geistes und nicht eine Gestalt des reinen Denkens. Die Rekonstruktion der Logik des spezifischen Gegenstandes erfordert auch eine weitere Bereicherung der logischen Formen, denn die »nähere Stelle und Ausgangspunkt« des Rechts ist der »Wille, welcher frei ist« (GPR § 4). Die Tätigkeit des freien Willens ist die Geistigkeit, die in die Wirklichkeit tritt. Sie ist die spezifische Objektivierungsform der geistigen Gestalt des Rechts. Die Rechtsphilosophie thematisiert die »Idee des Rechts« (§ 1), d. h. die Idee des freien Willens. Der Gegenstand der Rechtsphilosophie ist daher die Realisierung der Logik der »Idee« durch die immanenten »Gesetze« des freien Willens. Diese Bereicherung und Vermittlung der Logik durch eine geistesphilosophische Willenstheorie kann in Vergessenheit geraten, wenn man die Abgrenzungsproblematik der Hegelschen Logik gegenüber der Realphilosophie nicht vor Augen hat, denn auch in der Begriffslogik thematisiert Hegel die »Idee« des freien Willens: »Die Willens-Idee hat als das Selbstbestimmende für sich den Inhalt in sich selbst. Dieser ist nun zwar bestimmter Inhalt, und insofern ein endliches und beschränktes; die Selbstbestimmung ist wesentlich Besonderung, da die Reflexion des Willens in sich als negative Einheit überhaupt auch Einzelheit im Sinne des Ausschließens und des Voraussetzens eines Andern ist.« (GW 12.231 f.) Die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen der Logik und der Realphilosophie erklärt sich aus der Notwendigkeit der Antizipationen innerhalb eines philosophischen Systems. Die Abgrenzung der Logik von der Geistesphilosophie ist besonders schwierig in der Begriffslogik, denn diese thematisiert »das Concreteste und Subjectivste«, »die reine Persönlichkeit« (GW 12.251). Trotz dieser Antizipationen der Geistesphilosophie in der Logik kann das Spezifikum der immanenten Logik eines geistigen Gegenstandes (trotz der Aussage Hegels in der »Vorrede« zu den Grundlinien) nicht aus der Perspektive der Logik gelesen und beurteilt werden. Dies lässt sich durch den Gebrauch des Terminus »Idee« in der Rechtsphilosophie veranschaulichen. Hegel verwendet diesen Terminus nicht nur für die gesamte Sphäre des Rechts, sondern auch für die logische Form einzelner Stufen des Rechts: Die Stufen des Rechts sind einerseits eine Vereinigung von Begriffsbestimmungen und ihrer Verwirklichung, und, andererseits, eine Gestalt der Subjekti-

12.3 Die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes: …

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vität, des Selbstverhältnisses. Die »Idee« des abstrakten Rechts ist die Verknüpfung von Person und Eigentum und die »Idee« der Moralität die Verknüpfung von Handlung und Eigentum. Es ist unbestreitbar beispielsweise, dass die Logik der Zurechnung sich nur aus der »Idee« des inneren Rechts und nicht aus der »Idee« des reinen Denkens ableiten lässt, denn sie umfasst sowohl die apriorischen als auch die empirischen Bestimmungen des Handlungsbegriffs. Die Realisierung der Logik in der Realphilosophie kann nicht in der Anwendung auf eine Gegebenheit bestehen, denn die »Idee« kann als das Absolute nicht in diesem äußerlichen Verhältnis stehen. Gleichermaßen zeigt der Gebrauch des Terminus »Selbstbestimmung« sowohl für die »absolute Idee« als auch für den Geistbegriff, dass die Realisierung der Logik in der Geistesphilosophie in einer immanenten Entwicklung besteht. Die Gestalten des reinen Denkens erhalten durch die internen »Gesetze« des Geistes und des freien Willens eine Bereicherung und Umgestaltung. Anders formuliert: Die Umgestaltung der »Gesetze« des reinen Denkens (bzw. der Logik) durch die »Gesetze« des freien Willens (»eine besondere Weise des Denkens«, GPR § 4, Zusatz) konstituiert die Logik der Entwicklung des Rechts. Diese besondere Weise des Denkens ist nicht mehr ein reines Denken, denn sie konstituiert ein Gesamtphänomen: die Welt des Rechts. Die Entwicklung des freien Willens ist die Produktion und Stabilisierung einer Welt der Freiheit: »Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.« (§ 4) Die Bereicherung und Umgestaltung der Logik durch die basale Logik der Geistesphilosophie und die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes (die immanente Logik des Rechts) lassen sich hinsichtlich der Umgestaltung der logischen Stufen in der Geistesphilosophie (a) und in der Rechtsphilosophie (b) veranschaulichen. (a) Umgestaltung in der Geistesphilosophie: Die Stufen in der Geistesphilosophie erhalten, wie gesagt, eine besondere Gestaltung aufgrund der spezifischen Seinsweise des Geistes. Die Stufen sind Momente in der Entwicklung der »Idee« der Freiheit. Sie sind »Momente, Zustände, Bestimmungen an den höhern Entwicklungsstufen« (EPW § 380). Diese basale Umgestaltung der logischen Bestimmungen oder Stufen ist eine spezifische Bestimmtheit der Logik der Geistesphilosophie. (b) Umgestaltung in der Rechtsphilosophie: Der Inhalt der Rechtsphilosophie ist ein Aufbau von Stufen. Diese Stufen erhalten jedoch im Bereich

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

des Rechts eine weitere Gestaltung durch die innere Logik des Rechts: Die Stufen des objektiven Geistes sind nicht nur Momente in der Entwicklung der »Idee« der Freiheit (eine basale Bestimmung der Logik der Geistesphilosophie), sondern sie können auch in Kollision kommen, denn jede Stufe »hat ihr eigentümliches Recht« (eine spezifische Bestimmung der Logik der Rechtsphilosophie): »Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit hat ihr eigentümliches Recht, weil sie das Dasein der Freiheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist. […] In Kollision können sie nur kommen, insofern sie auf gleicher Linie stehen, Rechte zu sein; wäre der moralische Standpunkt des Geistes nicht auch ein Recht, die Freiheit in einer ihrer Formen, so könnte sie gar nicht in Kollision mit dem Rechte der Persönlichkeit oder einem anderen kommen, weil ein solches den Freiheitsbegriff, die höchste Bestimmung des Geistes, in sich enthält, gegen welchen anderes ein substanzloses ist. Aber die Kollision enthält zugleich dies andere Moment, daß sie beschränkt und damit auch eins dem anderen untergeordnet ist; nur das Recht des Weltgeistes ist das uneingeschränkt absolute.« (GPR § 30) Die Freiheitsstufen des Rechts können nur in Kollision miteinander kommen, »insofern sie auf gleicher Linie stehen, Rechte zu sein«. Hier stellt Hegel einen Gedanken dar, den Spinoza in seiner Ethica prägnant formuliert: Die Beschränkung (und damit die Kollision) endlicher Gestalten ist nur möglich, insofern sie »von gleicher Natur« sind: »Ea res dicitur in suo genere finita, quae alia ejusdem naturae terminari potest. Ex. gr. corpus dicitur finitum, quia aliud semper maius concipimus. Sic cogitatio alia cogitatione terminatur. At corpus non terminatur cogitatione, nec cogitatio corpore.« (Ethica, I, definitio II) Die Normenkollisionen sind nur dadurch möglich, dass alle Rechtsgestalten als Stufen des objektiven Geistes »von gleicher Natur« sind. Sie alle sind Gestalten und Stufen der Freiheit, die als solche eine Berechtigung haben: entweder in sich (die Würde des Menschen bzw. das nach Kant »angeborne Recht der Freiheit«, AA VI.238) oder durch die Setzungen des freien Willens (die Sphäre der relativen Rechte). Diese Einbeziehung der Normenkollisionen in die immanente Logik des Rechts ist zweifelsohne ein Fortschritt in der Ausbildung des neuzeitlichen Rechtsdenkens, wie es sich im Vergleich mit dem Kantischen Vernunftrecht deutlich zeigt. Kant fasst eine Kollision zwischen Pflichten und Verbindlichkeiten als vernunftrechtlich undenkbar auf: »Ein Widerstreit der Pflichten (collisio officiorum s. obligationum) würde das Verhältniß derselben sein, durch welches eine derselben die andere (ganz oder zum Theil) aufhöbe. – Da aber Pflicht und Verbindlichkeit überhaupt Begriffe sind, welche die objective praktische Nothwendigkeit gewisser Handlungen ausdrücken, und zwei einander entgegensetzte Regeln nicht zugleich nothwendig sein können, son-

12.3 Die nähere Logik des spezifischen Gegenstandes: …

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dern wenn nach einer derselben zu handeln es Pflicht ist, so ist nach der entgegensetzten zu handeln nicht allein keine Pflicht, sondern sogar pflichtwidrig: so ist eine Collision von Pflichten und Verbindlichkeiten gar nicht denkbar (obligationes non colliduntur).« (AA VI.224) Die Einbeziehung der Normenkollisionen in die Hegelsche Rechtsphilosophie hat die folgenden Vorzüge: die Rekonstruktion einer Rechtsgestalt als eine Kollision zwischen bestimmten Daseinsformen der Freiheit, sowie die Rekonstruktion der aus dieser Kollision immanent folgenden nächsthöheren Entwicklungsstufe der Freiheit. Durch die Analyse der Normenkollision kann Hegel daher einen logischen Zusammenhang des Rechts dialektisch begreifen. Dies lässt sich anhand des Notrechts erläutern, denn durch dieses Rechtsinstitut lässt sich der logische Zusammenhang der folgenden Rechtsgestalten (das Recht und das Wohl; das Notrecht; die »Idee« des Guten) rekonstruieren. Hegel stellt das Notrecht als eine Kollision dar: »Dieses in der letzten Gefahr und in der Kollision mit dem rechtlichen Eigentum eines anderen hat ein Notrecht (nicht als Billigkeit, sondern als Recht) anzusprechen, indem auf der einen Seite die unendliche Verletzung des Daseins und darin die totale Rechtlosigkeit, auf der anderen Seite nur die Verletzung eines einzelnen beschränkten Daseins der Freiheit steht, wobei zugleich das Recht als solches und die Rechtsfähigkeit des nur in diesem Eigentum Verletzten anerkannt wird.« (GPR § 127) Dieses Recht entsteht aus der Spannung zwischen zwei Daseinsformen der Freiheit (zwischen dem Recht und dem Wohl): »Die Not offenbart sowohl die Endlichkeit und damit die Zufälligkeit des Rechts als [auch] des Wohls, – des abstrakten Daseins der Freiheit, ohne daß es als Existenz der besonderen Person ist, und der Sphäre des besonderen Willens ohne die Allgemeinheit des Rechts.« (§ 128) Die Relativierung sowohl des abstrakten Rechts als auch des Wohls durch dieses Rechtsinstitut ist zugleich die begriffliche Genese der folgenden Freiheitsstufe, der »Idee« des Guten: »Das Gute hiermit, als die Notwendigkeit, wirklich zu sein durch den besonderen Willen und zugleich als die Substanz desselben, hat das absolute Recht gegen das abstrakte Recht des Eigentums und die besonderen Zwecke des Wohls. Jedes dieser Momente, insofern es von dem Guten unterschieden wird, hat nur Gültigkeit, insofern es ihm gemäß und ihm untergeordnet wird.« (§ 130)

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: der geistesgeschichtliche Zusammenhang von epochaler Enthüllung und Ausbildung eines immanenten Rechtsprinzips In der Hegelschen Systemkonzeption ist der Terminus »Logik« bereits für die Bezeichnung der Ersten Philosophie besetzt. Die bisherige Analyse hat jedoch gezeigt, inwiefern im Bereich der Geistesphilosophie und der Rechtsphilosophie auch von einer Logik die Rede sein kann. Der Terminus »Logik« lässt sich im Bezug auf die Hegelsche Philosophie nicht nur für die Methode und die Erste Philosophie verwenden, sondern auch für die Eigengesetzlichkeit des geistigen Seins und für die Eigengesetzlichkeit des spezifischen Gegenstandes (hier des Rechts). Dieser Terminus kann in der Thematisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie noch in einem dritten Sinne verwendet werden: im Sinne der Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens, das den freien Willen – ein Prinzip, das in uns liegt – zur letzten Quelle aller Rechtsverhältnisse erhebt. Diese Logik ist nicht einfach eine apriorische Sachlogik, sondern die Logik eines geistesgeschichtlichen Zusammenhangs: des geistesgeschichtlichen Zusammenhangs von epochaler Enthüllung und Ausbildung eines immanenten Rechtsprinzips. Dieser geistesgeschichtliche Zusammenhang umfasst die epochale Enthüllung dieses Prinzips, die radikale Formulierung dieses Prinzips sowie die späteren Rezeptionen und Durchführungen. Dieser Zusammenhang lässt sich aus der internen Logik dieses Rechtsdenkens rekonstruieren, denn es strebt nach einer adäquaten und konsequenten Ausbildung dieses Prinzips. Die Logik dieses geistesgeschichtlichen Zusammenhangs setzt sich jedoch nicht geradlinig durch. Die Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens ist nun die interne Dynamik der Einführung und Durchführung eines immanenten Rechtsprinzips. Dieser geistesgeschichtliche Zusammenhang umfasst nicht nur die Philosophiegeschichte, sondern auch unterschiedliche Entwicklungslinien einer »Universalgeschichte«: Wissenschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte, Weltgeschichte, Bewusstseinsgeschichte usw. Die Logik der Philosophie des objektiven Geistes erklärt sich insofern nicht nur aus den innersystematischen Gründen der Hegelschen Philosophie: Die Philosophie des objektiven Geistes ist zugleich Aufnahme und Kritik der Naturrechtstradition. Die Aufnahme und Vertiefung der Prinzipien des frühneuzeitlichen Naturrechts (insbesondere des Hobbesschen Naturrechts) führt zugleich notwendigerweise zur Verabschiedung des Naturrechtsdenkens. Daher verschwindet in späteren Durchführungen des neuzeitlichen Rechtsdenkens, die jedoch mit derselben Radikalität wie Hobbes das Prinzip des freien Willens formulieren (insbesondere in Kants Vernunftrecht und

12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: …

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Hegels Philosophie des objektiven Geistes), der Terminus »Naturrecht« oder erhält wenigstens eine wesentliche Bedeutungsverschiebung (z. B. Naturrecht qua Vernunftrecht bei Kant). Hegels Rechtfertigung der Philosophie des objektiven Geistes liegt darin, dass der Geist oder besser: die Auffassung des freien Willens als »wahrer« Geist (vgl. GPR § 29) eine Instanz ist, mittels derer das neue Rechtsdenken sich durchführen lässt, ohne die Insuffizienzen früherer Versuche zu wiederholen. Der Geist ist daher ein besserer Kandidat für diese Aufgabe als beispielsweise die »praktische Vernunft« Kants oder die Freiheitsauffassung Rousseaus. In der Darstellung des Hobbesschen Naturrechts war von der Logik viel die Rede, ohne dass diese Rede befremdend wirkte. Im Folgenden soll an den Gebrauch des Terminus »Logik« in unserer Rekonstruktion des Hobbesschen Naturrechts anhand der folgenden Punkte erinnert werden: (1) der Gedanke vom Naturzustand, (2) die Vertragstheorie, (3) der Begriff des Souveräns und (4) die Gewaltendifferenzierung. (1) Der Gedanke vom Naturzustand: Der isolierte Einzelwille ist nicht rechtserzeugend. Die Rechtserzeugung erfordert die Vereinigung mehrerer Einzelwillen. Daher charakterisiert sich der Naturzustand (die Gesellschaft ohne Rechtsverhältnisse gedacht) durch seine Rechtslosigkeit und durch die aus ihr folgende Forderung der Vernunft nach der Produktion rechtssetzender Instanzen (»exeundum esse e statu naturae«, vgl. OL 2.166). Diese Formel zeigt das kritische Potential dieser Logik. Diese Logik des Gedankens des Naturzustands erklärt sich nicht einfach aus der Hobbesschen Methode (»resolutio«-»compositio«), sondern aus der internen Logik des neuen Rechtsdenkens. Die Methode »resolutio«-»compositio« ist nur ein heuristisches Verfahren. Beweis dafür ist die Aufnahme und Verarbeitung des Gedankens des Naturzustands und der Formel »exeundum esse« in der Klassischen Deutschen Philosophie. (2) Die Vertragstheorie: Das erste Naturgesetz bei Hobbes formuliert einen Vernunftzweck: den Friedens- bzw. Rechtszustand. Die »Naturgesetze« sind Klugheitsregeln für die Selbsterhaltung mittels der Produktion der Sphäre des Rechts. Dieser Übergang in den Rechtszustand vollzieht sich durch eine Willenseinigung, die bei Hobbes durch die Einheitsform des Vertrags begründet wird. Die Mannigfaltigkeit der Hobbesschen »Naturgesetze« wird durch eine Sachlogik vereinigt: die innere Logik des Vertrags. Diese Behauptung lässt sich sehr deutlich anhand mehrerer Naturgesetze beweisen. Der Inhalt des dritten Naturgesetzes ist die bekannte Formel »pacta sunt servanda«: »From that law of nature by which we are obliged to transfer to another, such rights, as being retained, hinder the peace of mankind, there followeth a third; which is this: that men perform their covenants made: without which covenants are

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

in vain, and but empty words; and the right of all men to all things remaining, we are still in the condition of war.« (EW 3.130) In späteren Durchführungen des neuen Rechtsdenkens (Kant, Hegel) lässt sich, wie sich zeigen wird, eine fortschreitende Relativierung dieses Vertragsdenkens feststellen. Diese Entwicklungslinie führt zu einer angemesseneren Rekonstruktion der immanenten Logik der Verwirklichung der Freiheit, denn diese Relativierung befreit die Willenstheorie von einer Reduktion des freien Willens auf den Einzelwillen, auf die bewußten Akte des besonderen Individuums (vgl. GPR § 29). (3) Der Begriff des Souveräns: Hobbes stellt die Überleitung in den Rechtszustand durch einen Vertrag dar. Die Rekonstruktion der Geltung des Vertrags verweist notwendigerweise auf das öffentliche Recht, denn eine private Einigung ist für sich allein nicht rechtssetzend. Hobbes formuliert diesen Gedanken prägnant: »And convenants, without the sword, are but words and of no strength to secure a man at all.« (EW 3.154) Die Geltung des Vertrags erfordert die Herausbildung von Institutionen, denn nur sie ermöglichen die Erzeugung und Stabilisierung einer Allgemeinheit, die über die Besonderheit der privaten Einigung hinausgeht. Anders formuliert: Die Logik des freien Willens besteht in der Produktion eines allgemeinverbindlichen Willens, denn nur sie kann gesetzgebend, urteilend, strafend usw. sein. Die mannigfaltigen Einzelwillen vereinigen sich, um Institutionen hervorzubringen, die der Rechtserzeugung fähig sind. Hobbes formuliert diesen Gedanken vereinfacht durch den Begriff des Souveräns: Der Souverän ist eine durch Autorisierung berechtigte Instanz, die alle diese Funktionsbedingungen des Rechts in sich vereinigt und durchsetzen kann. Der Inhalt des Hobbesschen Begriffs des Souveräns ist einfach die Produktionslogik der Institutionen. (4) Die Gewaltendifferenzierung: Die Geltung des Vertragsverhältnisses erfordert laut Hobbes, wie gesagt, die Herausbildung von Institutionen, die bestimmte Funktionen ausüben können. Diese Institutionen ermöglichen eine Produktion und Stabilisierung der Rechtsverhältnisse. Diese Stabilisierung erfordert zugleich eine bestimmte Vereinigungsform der Funktionen. Die Vielfalt von Funktionen steht in einer logischen Interdependenz, welche für den Staatsbegriff konstitutiv ist: die Gewaltendifferenzierung. Die Transformation dieser inneren Differenzierung in eine Gewaltenteilung aufgrund einer falschen Rechtsvorstellung würde sowohl die Ausübung dieser Funktionen als auch die Stabilität der Staatseinheit gefährden. Bei dieser Andeutung der Logik der Gewaltendifferenzierung ist erneut auf die Diskussion über die mechanische oder organische Verfasstheit des Staates zu verweisen. Es ist auch daran zu erinnern, dass zur Zeit Hobbes’ die Entgegensetzung zwischen Mechanismus und Organismus noch nicht existiert: Die Staatsgewalten sind die »parts organical« der Staatsmaschine (EW 3.226).

12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: …

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Denselben Gedanken findet man erneut bei Hegel und Schleiermacher: »Und die Lehre von der Trennung der Gewalten hat also nur ihre Wahrheit in dem Zustande des Staats, dem man sobald als möglich ein Ende machen muß. Denn dieser Zustand ist ein Krankheitszustand, und die Trennung kann nur dienen, diesen durch eine Crisis zur Gesundheit zurückzuführen. – Fragen wir nun die Geschichte so ist diese Trennung eigentlich nie gewesen.« (KGA II/8.818) Bei Hegel wird jedoch dieser Gedanke durch die Entgegensetzung von Mechanismus und Organismus vermittelt. Die Logik der Gewaltendifferenzierung erklärt sich aus der Organizität des Staates. Eine wichtige Frage ist daher, ob der Organismusbegriff wirklich den Hauptgedanken dieser Logik vertieft und bereichert. Der Gedanke der Gewaltendifferenzierung besagt nur, dass die Interdependenz der Staatsgewalten sich nicht ohne die Zertrümmerung des Staates außer Kraft setzen lässt. In dieselbe Richtung lässt sich auch fragen, ob die Rekonstruktion des Staatsbegriffs durch die logische Figur des Syllogismus (vgl. Henrich 1982) leistungsfähig ist. Der Erfolg dieser Aufgabe ist jedoch erneut abhängig davon, dass die Syllogismus-Logik durch die Logik der Geistesphilosophie und der Rechtsphilosophie bereichert wird. Die Interdependenz der geistigen Gestalten von fürstlicher, regierender und gesetzgebender Gewalt lässt sich nicht unmittelbar aus der reinen Syllogismus-Logik ableiten. Der bisherige Rückblick auf den Gebrauch des Terminus »Logik« in der Rekonstruktion der Durchführung des neuen Rechtsdenkens bei Hobbes hat sich auf die Analyse einzelner Gestalten seiner Theorie beschränkt. Die Analyse der internen Logik des neuen Rechtsdenkens soll sich jedoch von diesen beiden Beschränkungen, der Reduktion auf die Betrachtung der Hobbesschen Durchführung dieses Rechtsdenkens und der Reduktion auf die Analyse einzelner Rechtgestalten befreien. Die allgemeine Thematisierung der Eigengesetzlichkeit dieses Rechtsdenkens ist sehr relevant für die Rekonstruktion der Philosophie des objektiven Geistes, denn diese ist nichts anderes als eine Ausbildung dieses Rechtsdenkens anhand des Begriffsinstrumentariums der Geistesphilosophie. Im Folgenden sollen basale Bestimmungen dieser allgemeinen Logik angedeutet werden, die sich teilweise aus der bisherigen Analyse einzelner Rechtsgestalten ableiten lassen: (1) Der Inhalt dieser Logik sind die Produktion und Stabilisierung eines Rechtszustandes durch die Wirksamkeit von Prinzipien, die in uns liegen: Die Rechtsphilosophie thematisiert die immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit. Der Inhalt dieser Logik ist die Produktion einer äußeren Sphäre des Rechts aus der Innerlichkeit des Menschen. Es ist nicht hinreichend, dass diese Prinzipien in uns liegen (Wille, Freiheit, Ich, Vernunft, Triebe, Affekte usw.), sondern Hauptsache ist, dass die Spontaneität dieser Prinzipien nichts

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

anderes als Selbstbestimmung ist. Die Spontaneität einer »inhärenten Kraft«, die sich mit unfreier Notwendigkeit durchsetzt, lässt sich daher nicht zum Erklärungsgrund dieser Innerlichkeit erheben. Ohne die Selbstbindung des freien Willens wäre die Verbindlichkeit der Rechtsgestalten nicht rekonstruierbar. Bereits die minimale Äußerung der Willenserklärung ist durch die Gestaltungsmöglichkeit der rechtlichen Person bestimmt. Daher findet man die Allgemeinheit des Personbegriffs in allen konsequentesten Durchführungen dieses Rechtsdenkens. Es ist daher eine sehr relevante Frage, wie sich die Vereinbarkeit dieser Selbstbestimmung (des Ich, der Person, des freien Willens usw.) mit den vermeintlich vorgefundenen Bestimmungen der Sinnlichkeit (Triebe, Neigungen, Leidenschaften usw.) erklären lässt. (2) Der Inhalt dieser Logik sind die Funktionsbedingungen des Rechtszustandes: Am Anfang dieses Abschnitts war die Rede von den »Gesetzen« der Logik der Geistesphilosophie und des spezifischen Gegenstandes. Der Terminus »Gesetz« hat sich außerdem in der Rede- und Denkweise des Naturrechts eingebürgert, denn es thematisiert eine »lex naturalis«, die durch die »recta ratio« zu erkennen ist. Trotz dieses Konsenses im Gebrauch des Terminus »Gesetz« verbergen sich wichtige Bedeutungsverschiebungen hinter ihm. Darin zeigt sich, dass dieser Terminus irreführend und daher nur cum grano salis zu verwenden ist. Die richtig formulierten Fragen sind daher, (a) worin die interne Logik des Rechts besteht, und (b) wie die Vernunft dieser Logik zu begreifen ist. Ad (a) Der Inhalt dieser Logik sind die Funktionsbedingungen des Rechtszustandes. Sie rekonstruiert, wie die Sphäre des Rechts funktioniert. Die sogenannten »Gesetze« sind einfach Möglichkeitsbedingungen der Produktion und Stabilisierung dieser Sphäre. Daher erklärt sich, dass man mit neuen Begriffen des Wahren und des Guten operieren muss, die immanent aus dieser Logik folgen müssen. Das Wahre und das Gute sind nicht mehr Abstraktionen, die außerhalb dieser Sphäre liegen. Die Stabilität der Sphäre des Rechts kann nicht mehr aus der Wirkung solcher Projektionen gewonnen werden, denn sie haben ihr integrierendes Potential verloren. Ad (b) Die Vernunft des neuen Rechtsdenkens ist nicht die subjektive Einsicht einer »recta ratio«, sondern die Vernunftbestimmungen und ihre Verwirklichung. Die Vernunft des neuen Rechtsdenkens thematisiert daher sowohl die Rechtsbestimmungen als auch die Funktionsbedingungen ihrer Ausübung. Diese Verwirklichung betrifft nicht nur die unmittelbaren Produktionen des Willens, denn das Recht ist – Hegelsch formuliert – kein Gemachtes. Die Verwirklichung betrifft auch die allgemeine Objektivität des Rechts. Das Recht ist eine schon verwirklichte Vernunft. Die Vernunft, die diese Logik ausmacht, ist die wirkende Vernunft einer Welt. Darin zeigt sich

12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: …

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die enorme Distanz dieses Vernunftmodells, das vom neuen Rechtsdenken gefordert wird, zur »recta ratio« des Naturrechtsdenkens. (3) Die minimalen Bestimmungen dieser Logik lassen sich nicht ohne eine Gefährdung des menschlichen Zusammenlebens außer Kraft setzen: Da die basalen Bestimmungen dieser Logik auch Funktionsbedingungen der Stabilisierung des Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts sind, hat eine Umgestaltung der Rechtsgestalten gegen die Gesetzmäßigkeiten dieser Logik immer eine Destabilisierung und Verletzung der Objektivität des Rechts zur Folge. Es lässt sich von einer Verletzung sprechen, denn der Wirklichkeitszusammenhang des Rechts ist eine durch die Tätigkeit des Willens konstituierte Objektivität. Die Wirklichkeit des Rechts ist daher ein Gewolltes und hat eine eigene Berechtigung. Erneut ist auf das Spezifikum des Vernunftbegriffs des neuen Rechtsdenkens zu verweisen: Die Vernunft, die die Logik des Rechts ausmacht, ist eine schon verwirklichte Vernunft (die allgemeine Objektivität des Rechts), die durch die Ansprüche und falschen Rechtsvorstellungen einer subjektiven Vernunft gefährdet und verletzt werden kann. (4) Diese Logik produziert die Vielfalt der Rechtsgestalten durch die vereinigende Tätigkeit des freien Willens: Der freie Wille des Einzelnen ist ein Faktum, das nicht unmittelbar rechtserzeugend ist. Die Tätigkeit des freien Willens ist der Rechtserzeugung nur fähig, indem sie eine Vereinigung freier Willen produziert und stabilisiert. Nur aufgrund seiner vereinigenden Tätigkeit kann der freie Wille zum Rechtsprinzip erhoben werden und dadurch die Form des Geltens produzieren. Aus dieser vereinigenden Tätigkeit müssen auch die Vielfalt und der Reichtum der Welt des Rechts immanent rekonstruiert werden. Die Vielfalt von Rechtsgestalten besteht in unterschiedlichen Vereinigungsformen des freien Willens. Die Rechtsphilosophie muss einerseits das Spezifikum jeder logischen Einheitsform und zugleich ihre Stelle im Wirklichkeitszusammenhang des Rechts rekonstruieren. Sie muss daher die Vielfalt von Rechtsgestalten aus einem einheitlichen Leitfaden begrifflich rekonstruieren. Die Rekonstruktion der unterschiedlichen logischen Formen der Willensvereinigung (Vertrag, Familie, Staat usw.) erfordert die Ausbildung eines komplexeren Begriffsinstrumentariums. Durch ein solches müssen sowohl die Freiheitsformen des Privatrechts (die private Einigung durch die Gestaltungsmöglichkeit der Rechtsperson) als auch des Öffentlichen Rechts (die Ausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens) rekonstruiert werden. (5) Diese Logik besteht in der Herausbildung von Institutionen: In der Rede des Souveräns bei Hobbes werden wichtige Aspekte dieser Logik zusammengedacht: (a) Geltung und Ausübung der Rechtsbestimmungen sind nur durch bestimmte Funktionsbedingungen möglich. (b) Der freie Wille kann

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

nicht unmittelbar diese Funktionen ausüben, sondern er muss zu diesem Zweck bestimmte Instanzen ausbilden, z. B. den Gesetzgeber, den Richter, die Armee usw. (c) Diese Instanzen erfordern die Ausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens. Aus diesen Punkten wird deutlich, was Hobbes mit der Rede des Souveräns pauschal formuliert. Er thematisiert eine Institutionenlehre. Der Wirklichkeitszusammenhang des Rechts wird durch diese Institutionen ermöglicht. Daher ist die Logik der Institutionen der eigentliche Inhalt der Rechtsphilosophie. (6) Der Inhalt dieser Logik ist die Vermittlung des besonderen und des allgemeinen Willens: Die wissenschaftliche Rekonstruktion der Logik der Vereinigungsformen des freien Willens, der Institutionen erfordert die Aufstellung eines begrifflichen Leitfadens. Durch die innere Notwendigkeit dieses Leitfadens müssen Vielfalt und Reichtum der Welt des Rechts begriffen werden. Der begriffliche Leitfaden dieser Logik ist der Vermittlungsprozess von Besonderheit und Allgemeinheit. Die in sich vermittelte Einheit des besonderen und allgemeinen Willens ist daher die Totalität, durch welche alle Rechtsgestalten begriffen werden müssen. Die für den Personbegriff konstitutive Allgemeinheit ist eine basale Bestimmung, die für die Produktion des Rechts notwendig ist. Die Produktion dieser Sphäre ist jedoch nur durch die Ausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens möglich: die (konkrete) Allgemeinheit des Staates. Die Erzeugung dieser konkreten Allgemeinheit wird durch die Einwilligung aller einzelnen Willen vermittelt. Darin liegt ein für das neuzeitliche Rechtsdenken charakteristisches Paradoxon: Die begriffliche Genese eines allgemeinverbindlichen Willens (die Allgemeinheit des Staates) erfordert einerseits die Einwilligung des besonderen Willens. Diese Allgemeinheit des Staates hat andererseits das Recht darauf, die Besonderheit der Person und des Eigentums in Anspruch zu nehmen (z. B. im Krieg). (7) Die Logik des Rechts ist eine normative Logik und enthält daher ein kritisches Potential: Da diese Logik in der Verwirklichung der Freiheit besteht, enthält sie auch eine normative Dimension. Eine unvernünftige Gestaltung der Rechtsgestalten, die sich gegen diese Logik durchzusetzen versucht, gefährdet nicht nur das Funktionieren dieser Wirklichkeit, sondern sie ist als Verletzung der Freiheit auch ungerecht. Diese Logik ist insofern ein Maßstab, mit dem sich die Wirklichkeit des Rechts beurteilen lässt. Dieses kritische Potential beruht jedoch nicht mehr auf den Prinzipien des Naturrechtsdenkens. Der Maßstab der Logik ist nicht mehr ein erkennbarer Vernunftgehalt, der jenseits der Wirklichkeit des Rechts zu finden ist, denn außerhalb der Setzungen des freien Willens kann von einem normativen Maßstab nicht die Rede sein. Der Naturzustand charakterisiert sich durch ein »defectum mensurae certae« (OL 2.116). Dieser kritische Maßstab muss aus der internen

12.4 Die geschichtliche Logik des neuzeitlichen Rechtsdenkens: …

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Dynamik der Produktion und Stabilisierung der Rechtsverhältnisse gewonnen werden. Aus diesen Gründen wurde in dem Kapitel über die philosophische Rechtsgeschichte begründet, dass nur durch die Geschichtsphilosophie die Immanenz dieser normativen und kritischen Logik gerettet werden kann. Sonst muss man noch mit Projektionen, Entäußerungsgestalten des freien Willens operieren, die dazu verdammt sind, hinter das neuzeitliche Rechtsdenken zurückzufallen und die Inkonsequenzen des Naturrechtsdenkens zu wiederholen. In dieser Frage verweist die Rechtsphilosophie in letzter Instanz auf die Geschichtsphilosophie. Die Begründung eines juristischen Monismus ist weder durch den Rechtspositivismus noch durch das »Naturrechtsdenken« (sei es Naturrecht oder Vernunftrecht) möglich. Der Dualismus ist für die Denkweise des Naturrechts, des Vernunftrechts konstitutiv. Das Rechtspositivismus kann den Unterschied zwischen einem positiven Gesetz und einem »guten Gesetz« nicht begründen, wie sich anhand der Analyse der »naturrechtlichen Begründung des positiven Rechts« bei Hobbes gezeigt hat: Alle positiven Gesetze sind laut Hobbes per definitionem gerecht, denn sie sind das einzige objektive Kriterium für die Gerechtigkeit, aber nicht alle Gesetze sind gut (»good laws«), denn einige sind unvernünftig, widersprüchlich, überflüssig, gefährlich usw. Der »ideelle Seite« des Rechts taucht daher notwendigerweise auf. Der einzige Weg für die Begründung eines juristischen Monismus, der für das Programm des neuzeitlichen Rechtsdenkens konstitutiv ist, ist die Einbeziehung der Geschichtsphilosophie in die Durchführung des neuen Rechtsdenkens. Anders formuliert: Die adäquate Durchführung des neuen Rechtsdenkens erfordert nicht nur die Erhebung des freien Willens zum alleinigen Prinzip aller Rechtsverhältnisse, sondern auch zum einzigen Prinzip aller Rechtsentwicklungen. Die Begründung des juristischen Monismus des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert eine geschichtliche Gestaltung des Prinzips der Freiheit. In diesem Standpunkt führen die Divergenzen, die für die Sphäre des Rechts konstitutiv sind (z. B. die Divergenz zwischen einer Gestaltung des positiven Rechts und der eigentlich vernünftigen Gestaltung des Rechts; die Divergenz zwischen einer vernünftigen Kodifikation und der Gerechtigkeitsauffassung eines »Volkes«) nicht zu einer Rehabilitierung des Dualismus und der Spannungen des Naturrechtsdenkens, sondern zur Einbeziehung geschichtlicher »Gesetzmäßigkeiten«, durch welche sich das Streben nach einem neuen Konvergenzpunkt begrifflich rekonstruieren lässt. Diese Einbeziehung von geschichtlichen »Gesetzmäßigkeiten« lässt sich durch die zwei folgenden Beispiele veranschaulichen: (a) Dieser neue Konvergenzpunkt kann bestimmte Gestaltungen des Rechts nicht außer Kraft

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12. Die Rede von einer Logik des Rechts

setzen, denn ihre Durchsetzung ist irreversibel. Diese Irreversibilität liegt darin, dass ein Rechtsprinzip (z. B. die juristische Irrelevanz der Rasse) zum »ewigen Besitz« des Geistes geworden ist. (b) Dieser Konvergenzpunkt muss eine »konsequente« Gestaltung des Rechts sein. Diese konsequente Gestaltung besteht sowohl in der geschichtlichen Selbstverständigung eines »Volkes« in Bezug auf seine Gerechtigkeitsauffassung als auch in der vernunftrechtlichen Forderung nach Widerspruchsfreiheit. Abschließend ist zu bemerken, dass die Einbeziehung der Geschichte in die immanente Logik des Rechts eine Vermittlung beider berechtigter Einseitigkeiten ermöglicht: der berechtigten Forderungen der Vernunft (Vernunftrecht) und der Berechtigung der geschichtlich gewachsenen Lebensformen (Burke, historische Rechtsschule). Diese Vermittlung vollzieht sich durch die begriffliche Rekonstruktion einer Totalität, wie sie Montesquieu verstanden hat: eine schon verwirklichte Vernunft, die durch geographische und geschichtliche Faktoren bestimmt ist. Dieses Vermittlungsmodell ermöglicht die Begründung eines juristischen Monismus, ohne das Recht auf eine einseitige Dimension zu beschränken: sei es auf die »ideelle Seite« der »Rechtsidee« (Vernunftrecht) oder auf ihre Faktizität (Rechtspositivismus).

13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des objektiven Geistes In diesem Abschnitt soll angedeutet werden, wie die immanente Logik des spezifischen Gegenstandes durch das Begriffsinstrumentarium der Geistesphilosophie oder anders formuliert: durch eine Auffassung des freien Willens als (wahren) Geist (vgl. GPR § 29) zu rekonstruieren ist. Im Kontext dieser immanenten Logik thematisiert Hegel einerseits die rechtlichen Figuren des neuzeitlichen Naturrechtsdenkens (Person, Eigentum, Strafe, das Gute, Familie, Staat usw.). Andererseits bezieht er den Vernunftgehalt einer neuen Wissenschaft (die »Staatsökonomie«, vgl. GPR § 189) als eine Gestalt des objektiven Geistes (der bürgerlichen Gesellschaft) mit ein. Auch werden in der Philosophie des objektiven Geistes andere Inhalte thematisiert, die die Herausbildung neuer Entwicklungslinien und Disziplinen in den Geisteswissenschaften präfigurieren: »Die Moralität wird in den GPR nur als ein ›geistiges‹, d. h. kulturelles und soziales Phänomen gefaßt und wird nicht – wie bei Kant – als dasjenige angesehen, wozu wir als die Fragenden selbst unbedingt verpflichtet sind. Hegel bereitet damit die wertfreie Moralpsychologie und Moralsoziologie des 19. und 20. Jahrhunderts vor.« (Schnädelbach 2000, 224) Der Inhalt der Moralität sei auch eine »Handlungstheorie« (Schnädelbach 2000, 220; Quante 1993). Die Analyse der Regierungsgewalt »enthält im übrigen eine bemerkenswerte Theorie des Berufsbeamtentums, mit der Hegel sich einmal mehr als Theoretiker der modernen Gesellschaft und als Mitbegründer der modernen Soziologie erweist.« (Schnädelbach 1997, 255) Diese unterschiedlichen Inhalte und Entwicklungslinien werden in einem System von Stufen organisiert. Diese Organisationsform des Inhalts hat wichtige Folgen für die Rekonstruktion der Logik des Rechts. In diesem hierarchisch organisierten System von Freiheitsstufen wird nicht nur die Relevanz der Normenkollisionen, sondern auch die Relevanz des Formalismus des Rechts dargestellt. Man muss zwischen dem Formalismus des Willens auf dem Weg des Willens zum objektiven Geist und dem Formalismus des Rechts (und damit des objektiven Geistes) unterscheiden. Der erste Formalismus besteht darin, dass der Willensinhalt noch nicht Werk seiner Freiheit ist. Der Wille hat noch nicht seine eigene Form (die Unendlichkeit, die Selbstbestimmung) als Zweck gesetzt. Der formelle Wille in der Philosophie des subjektiven Geistes richtet sich noch nicht auf seine Freiheit. Der Formalismus des Rechts hingegen »entsteht aus dem Unterschiede der Entwickelung des Freiheitsbegriffs« (GPR § 30). Dieser Formalismus des Rechts hat eine methodologische Seite (a) und eine ontologische Seite (b):

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

(a) Die methodische Seite des Formalismus des Rechts: Die Organisation des Inhalts hat eine wichtige Folge für die methodische Gestaltung einer philosophischen Wissenschaft des Rechts: Sie kann als ein heuristisches Verfahren betrachtet werden. Bei der Betrachtung der Dimensionen einer Rechtsgestalt ist es sehr wichtig, auf dem Abstraktionsniveau jeder Stufe der Philosophie des objektiven Geistes zu bleiben. Nur indem man diese methodische Beschränkung berücksichtigt, können die Fragen dieser Wissenschaft richtig formuliert werden. Daher thematisiert Hegel bestimmte Fragen, die sich mit unterschiedlichen Dimensionen derselben Rechtsgestalt beschäftigen, auf verschiedenen Stufen, z. B. die Begründung der Rechtlichkeit der Strafe auf der Stufe des abstrakten Rechts und die Strafzumessung auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft. (b) Die ontologische Seite des Formalismus des Rechts: Diese Organisationsform des Inhalts ist jedoch nicht nur ein bloß methodisches Verfahren, sondern sie erfasst wichtige Aspekte der Rechtswirklichkeit. Der Formalismus des Rechts besteht einerseits darin, dass das Recht der formelleren, abstrakteren Stufen nicht gegen die Konkretion der höheren Freiheitsstufen durchgesetzt werden kann, denn die Geltung jener Stufen liegt letztendlich in der sittlichen Freiheit. Andererseits muss dies auch umgekehrt behauptet werden. Das Recht der abstrakten Stufen lässt sich aufgrund der Berechtigung der höheren Stufen beschränken, aber nicht außer Kraft setzen. Darin liegt die Dialektik der Entwicklung der Freiheitsstufen: Die Freiheit der abstrakteren Stufen wird in den höheren aufgehoben und zugleich gesichert. Eine Gestaltung der Rechtswirklichkeit, die den abstrakteren Freiheitsstufen ihre Berechtigung abspricht, verletzt ein Dasein der Freiheit (Hegels Vorwurf gegen die Idee des platonischen Staates, vgl. § 46) und gefährdet die Stabilität dieser Wirklichkeit, denn jene formelleren Stufen sind in der Neuzeit Funktionsbedingungen der sittlichen Welt und lassen sich daher nicht ohne die Zerstörung dieser Welt außer Kraft setzten. Die folgende Analyse der Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts in der Philosophie des objektiven Geistes beschäftigt sich mit den folgenden Punkten: (13.1) Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten«; (13.2) die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens; (13.3) die Logik der gesellschaftlichen Institutionen.

13.1 Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten«

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13.1 Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten« Der Geist produziert die Sphäre des Rechts, indem er in die Wirklichkeit tritt. Auf dem Abstraktionsniveau des abstrakten Rechts legt der Geist seine Allgemeinheit in die Äußerlichkeit. Daher kann diese Stufe auch als das äußere Recht bezeichnet werden. Die Objektivierungsform dieser Stufe charakterisiert sich durch ihre Unmittelbarkeit: Diese Unmittelbarkeit ist sowohl für die Objektseite (Unmittelbarkeit als äußere Gegenständlichkeit) als auch für die Subjektseite (Unmittelbarkeit als inhaltlose, leere Einzelheit) konstitutiv. Sie bestimmt daher die Rechtsfiguren des abstrakten Rechts: Person und Eigentum. Unmittelbar ist auch die Verbindung zwischen dem gemeinsamen Willen des Vertrags (Recht an sich, dem an sich seienden allgemeinen Willen) und dem für sich seienden besonderen Willen. Die Unmittelbarkeit besteht hier in der unmittelbaren Übereinstimmung zwischen dem gemeinsamen Willen und den unmittelbaren Interessen der Vertragspartner. Eine unmittelbare Übereinstimmung zwischen Allgemeinheit und Besonderheit ist notwendigerweise instabil. Die Unmittelbarkeit dieser Übereinstimmung ist daher der Grund für die Genese der weiteren Gestalten der Freiheit auf der Stufe des abstrakten Rechts: Unrecht und Strafe. Durch diese Logik des Geistes in der Unmittelbarkeit rekonstruiert Hegel die Inhalte des frühneuzeitlichen Rechtsdenkens: Person, Eigentum, Vertrag, Unrecht und Strafe. Die vorliegende Analyse des abstrakten Rechts hat jedoch als einziges Interesse die Andeutung einer Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts durch das Begriffsinstrumentarium der Geistesphilosophie. Der Begriff der Person spielt in den unterschiedenen Durchführungen des neuzeitlichen Rechtsdenkens eine Hauptrolle. Unter dem Personbegriff versteht man nicht mehr nur die Charaktermasken im Rechtsverkehr, sondern die Spontaneität des Subjekts, die Selbstbindung des freien Willens. Auf dieser Spontaneität beruht die Zurechenbarkeit der Willensakte (Wörter und Handlungen) der Person: »A person is he whose words or actions are considered, either as his own, or as representing the words or actions of another man, or of any other thing to whom they are attributed, whether truly or by fiction.« (EW 3.147) Der Personbegriff enthält bereits die logische Dynamik einer Vielfalt von Personen. Die Zurechnung enthält nicht nur eine subjektive Dimension (die Selbstbestimmung), sondern auch ein allgemeingültiges Urteil, das von anderen Personen gesetzt wird. Dieses Urteil ist daher nur möglich, wenn der freie Wille sich schon in ein »anschauliches« Dasein (und daher in ein »Sein für Andere«) übersetzt hat. Die logische Notwendigkeit dieser Vielfalt von Personen erklärt sich auch aus dem Prinzip der Personalität, denn für die Personalität überhaupt (beispielsweise auch für die Per-

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

son des Staates) ist eine ausschließende Bewegung konstitutiv. Durch diese immanente Bewegung wird eine Vielfalt von Personen mitgesetzt. Hegel stellt diese Bewegung durch die logische Form von Attraktion und Repulsion (vgl. EPW § 490) dar. Aufgrund der ausschließenden Bewegung des Prinzips der Personalität macht er auf die Gefahren eines Zusammenschlusses von Staaten aufmerksam, denn diese neue Einheit produziert aufgrund des Prinzips der Person (einer ausschließenden Einzelheit) einen neuen Feind: »Wenn also auch eine Anzahl von Staaten sich zu einer Familie macht, so muß sich dieser Verein als Individualität einen Gegensatz creiren, sich einen Gegensatz, einen Feind erzeugen.« (Ig 4.735) Diese Interpersonalität ist eine basale Dimension des Rechtsbegriffs: »Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht, (d. i. der moralische Begriff desselben) betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können.« (AA VI.230) Diese basale Bestimmung muss durch die folgende Beschränkung ergänzt werden: »Aber zweitens bedeutet er [sc. der Rechtsbegriff ] nicht das Verhältnis der Willkür auf den Wunsch (folglich auch auf das bloße Bedürfnis) des anderen, wie etwa in den Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die Willkür des anderen.« (AA VI.230) Es muss daher von der besonderen Seite (d. h. von den besonderen Bedürfnissen, von den Trieben) der Person abstrahiert werden. In der Analyse der Tätigkeit des Willens in der Philosophie des subjektiven Geistes haben sich die Bedürfnisse, die Triebe, die Leidenschaften usw. als eine Form der Vernünftigkeit gezeigt. Auf dem Abstraktionsniveau des abstrakten Rechts ist jedoch diese besondere Seite außer Acht zu lassen. Die Bedürfnisse treten stufenweise in die Sphäre des Rechts. Im abstrakten Recht wird die Nützlichkeit nur als ein sekundäres Moment des Eigentumsrechts betrachtet: der Gebrauch. Das Eigentum ist verbindlich nicht als nützliches Dasein, sondern als Daseinsform des freien Willens. Der Gebrauch sei jedoch schon ein konstitutives Moment des Eigentumsrechts. Eine »Herrenschaft ohne utile« (GPR § 69) wäre eine »ideenlose« Abstraktion. Die Einbeziehung der Bedürfnisse in die Logik des Rechts vollzieht sich auf höheren Stufen der Freiheit: das »Wohl« (in der Moralität); der »Mensch« der Vorstellung und das »Recht der Besonderheit« (in der bürgerlichen Gesellschaft). Auf diese Weise vermeidet Hegel die komplementären Fehler des Utilitarismus (die Reduktion der Rechtsverhältnisse auf Nutzungsverhältnisse) und des Kantischen Vernunftrechts (die Negation der vernünftigen Dimension der Sinnlichkeit). Die (inhaltlose) Allgemeinheit ist die basale Bestimmung, die die Rechtsperson konstituiert. Hegel erreicht eine deutlichere Formulierung dieses

13.1 Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten«

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Gedankens, indem er die Person durch die Rechtsfähigkeit charakterisiert: »Um ihrer Allgemeinheit willen ist Persönlichkeit mehr als bloßes konkretes, individualisierendes Selbstbewußtsein; in einer Welt, in der das Selbstbewußtsein nicht zu dieser im Personbegriff gedachten Allgemeinheit fortginge, gäbe es kein Recht – denn dieses richtet sich an den einzelnen Willen als einen allgemeinen. Die Person ist deshalb das Prinzip der ›Rechtsfähigkeit‹.« (Jaeschke 2003, 377) Die Allgemeinheit der Person ist »die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes« (GPR § 36). Da die Allgemeinheit der Person das Prinzip der Rechtserzeugung auf der Stufe des abstrakten Rechts ist, ist dieses Prinzip immer schon ein Berechtigtes. Diese Berechtigung ist nicht eine Setzung innerhalb der Sphäre der relativen Rechte, sondern ein unmittelbarer Umschlag des Faktums der Freiheit der Person in ein berechtigtes Dasein, das als solches nicht mehr die Form des Vorhandenseins, sondern die Form des Geltens hat. Der freie Wille ist nur deshalb die alleinige Instanz, die der Rechtserzeugung fähig ist, weil er bereits eine immer schon berechtigte Instanz ist. Aus dieser ursprünglichen Berechtigung wird die erste Pflicht abgeleitet: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen« (ebd.). Aufgrund der leeren Allgemeinheit der Person handelt es sich eigentlich um ein Rechtsverbot: »Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.« (§ 38) Diese positiven Pflichten (Rechtsgebote) leiten sich in letzter Instanz aus der ursprünglichen Berechtigung der Person ab. Auf dem Abstraktionsniveau des abstrakten Rechts gibt es, im Gegensatz zur Stufe der Sittlichkeit, den Schein der Trennung von Rechten und Pflichten. Trotz des Scheincharakters dieser Trennung ist jedoch an der folgenden Wahrheit festzuhalten: Die mannigfaltigen Pflichten werden aus einer Berechtigung, aus einem Recht abgeleitet und nicht umgekehrt. Im Rahmen des neuen Rechtsdenkens wird diese ursprüngliche Berechtigung nicht mehr von der Erfüllung einer Pflicht abhängig gemacht. Die Philosophie des objektiven Geistes ist eine »ethische Pflichtenlehre« (§ 148), die die ursprüngliche Berechtigung des freien Willens zur Grundlage hat. Das vormoderne Rechtsdenken leitet hingegen die Rechte vom Verpflichtungsgedanken ab. Durch diese Umkehrung des Begründungsgangs steht das neuzeitliche Rechtsdenken in einer ganz anderen Konstellation des Denkens. Diese Konstellation des Denkens setzt, wie oben gesagt, die ursprüngliche Berechtigung des freien Willens voraus. Der freie Wille ist der Umschlagspunkt zweier unterschiedlicher Seinsweisen, der Form des Vorhandenseins

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

und der Form des Geltens. In allen Ansätzen, die das neuzeitliche Rechtsdenken mit Radikalität formulieren, finden sich beide Gedanken notwendigerweise eng verbunden: die ursprüngliche Berechtigung der rechtserzeugenden Instanz des neuzeitlichen Rechtsdenkens (der freie Wille) und der spezifische Begründungsgang des neuzeitlichen Rechtsdenkens (die Ableitung der Pflichten aus dieser ursprünglichen Berechtigung). Als Beispiel ist erneut an die Hobbessche und Kantische Durchführung des neuen Rechtsdenkens kurz zu erinnern: (a) Hobbes: Durch die Auflösung aller Pflichten, aller Rechtsverhältnisse erhält Hobbes den Naturzustand. Der freie Wille hat im Naturzustand ein »Recht auf alles«. Diese ursprüngliche Berechtigung ist für den freien Willens konstitutiv. Der Wille ist bei Hobbes der Umschlagspunkt zwischen der Form des Vorhandenseins und der Form des Geltens: Die Freiheit des Willens ist ein Datum (»voluntas a natura data«, OL 2.217) und zugleich ein Berechtigtes. (b) Kant: Die Selbstbestimmung durch Gesetzgebung ist bei Kant ein »Factum der Vernunft« (AA 5.31), aber dieses faktische Sein hat zugleich eine inhärente Berechtigung: das (angeblich) »angeborne Recht der Freiheit« (AA VI.238). Diese beiden Gedanken sind ein sicheres Kennzeichen für eine radikale Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Die erste Formulierung dieser neuen Konstellation des Denkens ist nicht der Ausgangspunkt einer geradlinigen Entwicklung dieser Denkweise. Dieser Gedanke muss vielmehr stabilisiert werden. Eine konsequente und adäquate Ausbildung dieses Rechtsdenkens wird daher nicht mit einem Schlag gewonnen. Nach der epochalen Enthüllung dieses Rechtsprinzips und nach der radikalen Formulierung dieses Rechtsdenkens findet man sowohl eine ungestörte Fortsetzung des vormodernen Rechtsdenkens (z. B. bei Robert Filmer) als auch eine Verwässerung des neuen Rechtsdenkens, d. h. eine Vermischung vormoderner und neuzeitlicher Prinzipien (z. B. bei Locke und Pufendorf). Dieser Rest vormoderner Prinzipien innerhalb des neuen Rechtsdenkens lässt sich anhand sicherer Kennzeichen beurteilen: (a) Macht man die Geltung der ursprünglichen Berechtigung der Rechtsperson von der Erfüllung bestimmter Pflichten oder von bestimmten äußeren Bedingungen abhängig, bleibt das Denken mit dem vormodernen Primat des Verpflichtungsgedankens behaftet. (b) Fasst man die einfache und ursprüngliche Berechtigung des Willens als eine vorgegebene Mannigfaltigkeit von Rechten auf, operiert das Rechtsdenken noch mit einer vormodernen Denkweise, die das Recht fälschlich als eine Wirklichkeitsform des Vorhandenseins auffasst.

13.1 Die Produktion einer äußerlichen Sphäre aus dem »Innersten«

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Von dieser einfachen und ursprünglichen Berechtigung des Einzelwillens ausgehend lassen sich die zwei folgenden Fragen formulieren: (1) Die gewöhnliche Rede von Menschenrechten besagt, dass es eine Mannigfaltigkeit von Menschenrechten gebe. Die Auffassung des Rechts als ein Sein in der Form des Vorgegebenseins gehört eigentlich zu einer vormodernen Denkweise, obwohl die Positivierung der Menschenrechte in der Neuzeit stattgefunden hat. Es gibt nur ein einziges Faktum, das zugleich ein schon immer Berechtigtes ist. Die Behauptung einer vorgegebenen Mannigfaltigkeit von Rechten ist daher mit dem neuzeitlichen Rechtsdenken unvereinbar. Dieser begriffliche Unterschied zwischen dem Singular einer ursprünglichen Berechtigung und dem Plural von Rechten hat hier eine besondere Relevanz. Eine wichtige Frage ist daher, wie sich die begriffliche Genese einer Vielfalt von Rechten (die sogenannten Menschenrechte) aus dieser einfachen und ursprünglichen Berechtigung durch die Prinzipien des neuzeitlichen Rechtsdenkens rekonstruieren lässt. (2) Da der Einzelwille das einzige Datum ist, das zugleich als berechtigtes Datum die Form des Geltens hat, lässt sich auch fragen, wie das Verhältnis zwischen der ursprünglichen Berechtigung des freien Willens und der Rechtlosigkeit der anderen Gegebenheiten zu begreifen ist. Ad (1) Die begriffliche Genese der Vielfalt von Rechten: Diese begriffliche Genese lässt sich im Rahmen des neuen Rechtsdenkens nicht einfach durch den Rekurs auf die Positivierung erklären. Sie muss vielmehr durch die immanente Logik des Rechts gewonnen werden. Die Vielfalt von Rechten wird durch die vereinigende Tätigkeit des freien Willens erzeugt. Die immanente Logik des freien Willens besteht in der Produktion unterschiedlicher Formen der Willenseinigung. Der Leitfaden der Rekonstruktion dieser unterschiedlichen Einheitsformen freier Willen ist zugleich der Leitfaden der begrifflichen Genese der Vielfalt von Rechten. Kant formuliert diese basale Bestimmung des Rechtsbegriffs (die Produktion von Rechtsgestalten durch die vereinigende Tätigkeit des freien Willens) auf folgende Weise: »Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.« (AA VI.230) Kant rekonstruiert diese vereinigende Tätigkeit durch die Gesetzgebung der praktischen Vernunft. Hegel kritisiert die Kantische Definition des Rechts, die auf der Instanz des reinen Vernunftgesetzes beruht. Diese Kantische Definition enthält die positive Bestimmung der Allgemeinheit und die negative Bestimmung der Beschränkung (vgl. GPR § 29). Von dieser Definition ausgehend erscheint die Rechtserzeugung durch die Vereinigung freier Willen notwendigerweise als eine Konstruktion durch Freiheitsverzicht. Ohne die Aus-

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bildung dieser Sphäre des Rechts kann jedoch eigentlich von Freiheit nicht die Rede sein. Daher bleibt noch zu bestimmen, mit welchem Vernunftmodell eine Rekonstruktion dieser immanenten Logik der Produktion und Stabilisierung von Vereinigungsformen des freien Willens am angemessensten möglich ist: »Der freie Wille ist die letzte Quelle des Rechts – aber wirkliches Recht entsteht erst aus der ›Vereinigung‹ dieser freien Willen unter einem Gesetz der Freiheit, die man entweder (mit Kant) als einen wechselseitigen Ausgleich der isolierten Einzelwillen oder (mit Hegel) als eine im Begriff der Freiheit selbst liegende Struktur denken kann.« (Jaeschke 2001, 208) Die Kantische Auffassung des Rechts ist aufgrund des Primats des Ethischen für die gesamte Sphäre der praktischen Philosophie zu kritisieren. Die Dominanz des Ethischen zeigt sich in den folgenden Punkten: (a) Die Auffassung des guten Willens in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: Der gute Wille ist der Wille, der die Verbindlichkeit der Pflicht selbst als Bewegungsgrund der Handlung hat. Die Idee der Pflicht bei Kant enthält einerseits die objektive Verbindlichkeit der Pflicht und andererseits die subjektive Einsicht als Bewegungsgrund für die Erfüllung dieser Pflicht. Der gute Wille ist die Vereinigung beider Momente. Die Objektivierung einer Sphäre des Rechts ist hingegen die Tätigkeit eines Willens, die sich auch an endlichen Zwecken, an unmittelbaren Interessen orientiert. (b) Die Charakterisierung des kategorischen Imperativs: Die Verbindlichkeit des kategorischen Imperativs ist die Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit. Diese Forderung gilt für die gesamte Sphäre der praktischen Philosophie. Sie gilt somit auch für die Rechtsgestalten. Kant behandelt z. B. das Hobbessche »exeundum esse« als einen kategorischen Imperativ, denn diese Forderung entsteht aus der Widersprüchlichkeit der Rechtlosigkeit des Naturzustandes. Der Naturzustand ist der Zustand der Rechtlosigkeit und gerade aus diesem Grund das Unrecht in höchstem Grad, denn er nimmt dem Rechtsbegriff seine Gültigkeit. Die Formulierung des kategorischen Imperativs bezieht sich jedoch nicht auf die Forderung nach Widerspruchsfreiheit aller Daseinsformen der Freiheit, sondern nur auf die Widerspruchsfreiheit der Maximen, die zum allgemeinen Prinzip des Handelns erhoben werden: »Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.« (AA IV.421) (c) Die Formulierung des Primats des Ethischen in der Metaphysik der Sitten: »Hieraus ist zu ersehen, daß alle Pflichten blos darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik gehören, aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten, sondern von vielen derselben außerhalb derselben.« (AA VI.219) Kant begründet diesen Primat des Ethischen dadurch, dass die

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Idee der Pflicht sowohl die äußere Befolgung einer objektiven Notwendigkeit als auch ihre Achtung einschließt. Die Innerlichkeit der Subjektivität ist nach Kant aber nur in der Ethik gegenwärtig. In diesem Punkt missversteht Kant die Innerlichkeit und Immanenz der Freiheit im Bereich des Rechts. Die äußere Sphäre des Rechts fließt aus der Freiheit, die das Innerste ist. Die Innerlichkeit, die für die Sphäre des Rechts konstitutiv ist, ist nicht die subjektive Überzeugung eines in sich reflektierten Willens, sondern die Selbstbestimmung des freien Willens. Diese Selbstbestimmung des freien Willens beruht auf den basalen Operationen des Ich. Die Abkoppelung des Rechts von der subjektiven Überzeugung ist nicht eine Insuffizienz des Rechts, sondern die Befreiung zu einer vernünftigeren Gestaltung des Rechts. Die Erfahrung der »terreur« während der Französischen Revolution zeigt die Unvernunft und das Unrecht eines rechtspolitischen Programms, das die Rechtmäßigkeit von der Tugend abhängig machen will. Ad (2) Person und Sache: Der Gegenbegriff für die ursprüngliche Berechtigung der Person ist die Rechtlosigkeit der Sache: »Sache ist ein Ding, was keiner Zurechnung fähig ist. Ein jedes Objekt der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt, heißt daher Sache (res corporalis).« (AA VI.223) Die ausschließende Einheit der Person richtet sich auf eine gegenüberstehende Vielfalt von Personen und auf die Äußerlichkeit der Natur. In dieser Äußerlichkeit muss man zwischen dem menschlichen Körper und der Sache unterscheiden. Der menschliche Körper ist eine »res corporalis«, aber als Träger der Person ist er nicht unter die »Sachenwelt« zu subsumieren. Die äußeren Existenzen, die sich nicht unter das Prinzip der Person subsumieren lassen, sind rechtlich als »Sachen« zu betrachten. Der Person gegenüber steht eine »Sachenwelt«. »Sache« ist daher nur eine rechtliche Bestimmung. »Sache« ist ein Sein, das keine inhärente Berechtigung hat. Insofern versteht sich, dass die Naturdinge aufgrund ihrer Äußerlichkeit (im Hegelschen Sinne) rechtlos sind. Die Welt der Sachen ist zunächst durch Naturgegenstände konstituiert, aber ihr Bereich kann, wie sich unten zeigen wird, erweitert werden. Kant formuliert daher deutlich das ausschließende Verhältnis zwischen dem Personbegriff und dem rechtlichen Gegenbegriff der Sache. Hegel nimmt diese Trennung auf, zeigt aber zugleich ihre Vermittlung in der Herausbildung einer äußeren Sphäre der Freiheit durch das Eigentumsrecht: Das Eigentum ist die Objektseite der Person, die als »Idee« existiert. Daher kritisiert er (nur auf der Ebene der philosophischen Reflexion) die Trennung zwischen Personen- und Sachenrecht als eine »ideenlose« Abstraktion. Trotz dieser Kritik an Kant ist die Hegelsche Eigentumstheorie mit der Kantischen eng verknüpft. Das Eigentum ist bei Hegel, wie bei Kant, ein »Vernunftbesitz«, der von räumlichen und zeitlichen Bedingungen unabhängig ist. Das

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Eigentum (das »äußere Mein«) geht als Vernunftbesitz über das tatsächliche Verhältnis der physischen Gewalt hinaus, in der der Besitz besteht. Daher findet man bei Kant und bei Hegel eine Relativierung der Formationstheorie des Eigentums: Die Arbeit sei im Bezug auf das Eigentumsrecht nur ein Zeichen, das viel Mühe kostet (AA VI.265), sie sei nur eine einzelne Form der Besitznahme (GPR § 56). Hegels Eigentumstheorie enthält drei Momente: Besitznahme, Gebrauch und Veräußerung (vgl. § 53). Das dritte Moment ist die Überleitung in die Gestalt des Vertrags. Diese begriffliche Genese des Vertrags ermöglicht seine inhaltliche Bestimmung. Der Vertrag ist nicht nur als eine Form (eine Willenseinigung freier Willen), sondern auch als ein Inhalt (Eigentumsübertragung) zu betrachten. Aus der Reduktion des Vertrags auf die formelle Seite des Vertrags erklärt sich die im Naturrechtsdenken gewöhnliche Reduktion sittlicher Rechtsgestalten (z. B. Familie, Staat) auf die innere Logik des Vertrags. Die inhaltliche Bestimmung des Vertrags hat wichtige Folgen in der Auffassung des Vertrags und in den folgenden Aspekten: (1) der Erweiterung der Sachenwelt durch die »Versachlichung« der Willensäußerungen; (2) der Erhebung des Eigentums zu einem gemeinsamen Willen; (3) der sachenrechtlichen Einschränkung der Sphäre des Vertrags. (1) Die Erweiterung der Sachenwelt durch die »Versachlichung« der Willensäußerungen: Die Erweiterung dieser Sachenwelt durch eine »Versachlichung« der Äußerungen der Person (der zeitlich beschränkten Leistungen) erfordert die Einbeziehung der Gestalt des Vertrags. Hier vollzieht sich ein unmittelbarer Umschlag der Selbstbestimmung der Person in ihr Gegenteil, die Leistung als »Sache«. Diese Funktion des Willens zeigt bereits auf dieser Stufe ein enormes Gefahrenpotential: die »Versachlichung« oder »Verdinglichung« der Freiheit. (2) Die Erhebung des Eigentums zu einem gemeinsamen Willen: Die Überleitung in die Sphäre des Vertrags durch die Eigentumsübertragung ist die Erhebung des Eigentums (des Daseins eines subjektiven Willens) zu einem allgemeinen, objektiven Willen. Diese Erhebung vollzieht sich durch die Vermittlung dieser Daseinsform mit den anderen Willen: »Diese Vermittlung, Eigentum nicht mehr nur vermittels einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittels eines anderen Willens, und hiermit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus.« (§ 71) Im Vertrag erfährt die äußerliche Seite des Eigentums einen Zuwachs (vgl. Dulckeit 1936, 83). Dieser geistige Zuwachs des Eigentums muss von der Setzung eines anschaulichen Daseins begleitet werden. Die Erhebung der Daseinsform des Eigentums zu einem gemeinsamen Willen erfordert die Produktion einer neuen Daseinsform des freien Willens: der Willenserklärung.

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(3) Die sachenrechtliche Einschränkung der Sphäre des Vertrags: Hegels Bestimmung der inhaltlichen Seite des Vertrags (Eigentumsübertragung) beschränkt die Sphäre des Vertrags auf die Sachenwelt. Ein Vertrag, dessen Inhalt über die Sphäre der Sachen und der »Versachlichungen« zeitlich beschränkter Leistungen hinausgeht, ist daher laut Hegel unrechtlich: »Anzumerken ist, daß sich Hegel mit dieser These in unserer Rechtstradition nicht durchgesetzt hat; unser Vertragsrecht ist nicht nur Sachenrecht.« (Schnädelbach 2000, 210) Trotz dieser Divergenz der Entwicklung des positiven Rechts mit der Hegelschen Einschränkung der Sphäre des Vertrags wird mit dieser Einschränkung eine grundlegende Wahrheit des neuen Rechtsdenkens formuliert: Eine »Entäußerung« bzw. »Veräußerung« ist rechtlich nur im Bezug auf die Sache (der Gegenbegriff der Person) möglich. Eine Entäußerung der Rechte der Person ist hingegen unrechtlich und hat eine Transformation der Rechtsverhältnisse in Machtverhältnisse zur Folge. Die Unrechtlichkeit dieser Entäußerung erklärt sich aus folgenden Gründen: (a) Die Spontaneität des freien Willens ist, wie die menschliche Existenz, unverlierbar und daher nicht disponibel: Eine Selbstaufhebung der Spontaneität des freien Willes ist unmöglich, denn diese Spontaneität steht als die inhärente Kraft der Subjektivität nicht zur Disposition. Daher behauptet Hobbes, dass die Spontaneität des Willens (bei ihm der Selbsterhaltungstrieb eines »natürlichen« Wollens) durch den Eintritt in den Rechtszustand nur unter Bedingungen aufgegeben wird. Die Rechtlichkeit der Strafe wird laut Hobbes durch eine Einwilligung konstituiert, aber die Einwilligung des freien Willens kann niemals in einem bedingungslosen Aufgeben dieser Spontaneität (des Selbsterhaltungstriebs) im Falle einer Bedrohung (hier die Strafe) bestehen: »Before I infer any thing from this definition, there is a question to be answered, of much importance; which is, by what door the right or authority of punishing in any case, came in. For by that which has been said before, no man is supposed bound by covenant, not to resist violence; and consequently it cannot be intended that he gave any right to another to lay violent hands upon his person.« (EW 3.297) Das Aufgeben dieser Spontaneität wäre letztendlich das Aufgeben der menschlichen Existenz, des Lebens, aber dieses steht nicht zur Disposition. Die freie Verfügbarkeit gilt für das Eigentum, aber für die körperliche Person ist sie unmöglich. (b) Die Achtung vor dieser inhärenten Berechtigung des freien Willens ist eine logische Bedingung für die Rechtserzeugung: Die rechtserzeugende Funktion des Willens ist, wie oben gesagt wurde, nur deshalb möglich, weil der freie Wille bereits eine in sich berechtigte Instanz ist. Negiert man diese ursprüngliche Berechtigung (bzw. die unveräußerlichen Rechte der Person), dann lässt sich nicht mehr von Rechtserzeugung sprechen. Rechtserzeugung und

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Berechtigung des freien Willens sind untrennbare Dimensionen des Begriffs des freien Willens. Die ursprüngliche Berechtigung kann in der Sphäre der Rechtswirklichkeit nicht aufgegeben werden, denn sie ist eine Möglichkeitsbedingung der Form des Geltens, die für alle Rechtsgestalten konstitutiv ist: »Denn das Prinzip aller Normativität – letztlich auch allen staatlichen, abgeleiteten Rechts – kann nicht vollständig der Verfügung anderer unterworfen sein.« (Jaeschke 2001, 194) Auf dem Abstraktionsniveau des abstrakten Rechts ist das Leben noch ein »absolutes« Recht. Das Leben ist ein höheres Recht als die relativen Rechte der Sphäre des Privatrechts. Die Produktion der allgemeinen Sphäre des Rechts erfordert jedoch die Herausbildung von Institutionen, die die Aufopferung des Lebens unter bestimmten Bedingungen fordern können. Die immanente Logik des Rechts besteht daher in der Produktion einer Allgemeinheit, die ein höheres Recht als die Besonderheit der Person und des Eigentums ist. Und hier ist erneut an die Organisation des Inhalts der Rechtsphilosophie in einem System von Stufen zu erinnern. Auf der Stufe des abstrakten Rechts muss die bedingungslose Berechtigung des Lebens, die Besonderheit der Person und des Eigentums begründet werden: die Rechtsverbote des abstrakten Rechts. Auf der Stufe des sittlichen Rechts muss das Recht der Institutionen begründet werden, das die Besonderheit der Person und des Eigentums in Anspruch nehmen darf. Diese Organisation des Inhalts in einem System von Stufen zeigt die Kollision der Normen und zugleich ihre Hierarchisierung. Die inhaltliche Bestimmung des Vertrags (Eigentumsübertragung) und die daraus folgende Einschränkung des Vertrags auf die Stufe des abstrakten Rechts oder, genauer gesagt, auf den privatrechtlichen Teil des abstrakten Rechts haben eine Relativierung des Vertragsdenkens zur Folge. Diese Relativierung ist ein Fortschritt in der Ausbildung des neuen Rechtsdenkens. Die mannigfaltigen »Naturgesetze« bilden bei Hobbes, wie oben gesagt wurde, eine Sachlogik: die innere Logik des Vertrags. Betrachtet man den Vertrag nur hinsichtlich seiner Form (einer Einigung freier Willen), dann erscheint er als Vorbild für eine begriffliche Rekonstruktion des Rechtzustandes durch die Einwilligung aller Rechtsgenossen. Bezieht man jedoch auch die inhaltliche Seite des Vertrags in die Rekonstruktion dieser Gestalt mit ein, dann ist eine Einschränkung seines Geltungsbereichs nötig: Die gesamte Sphäre des Rechtszustandes lässt sich begrifflich nicht mehr durch das Vertragsdenken gewinnen. Im Kantischen Vernunftrecht findet man schon ein höchst ambivalentes Verhältnis zum Vertragsdenken: (1) Zum einen formuliert Kant immanente Vernunftstrukturen, die über den Standpunkt des Vertragsdenkens hinausgehen: (a) Die Verbindlichkeit des Gebots »exeundum esse« ist eine kategorische

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Forderung der Vernunft. Die bedingungslose Nötigung dieser Pflicht zeigt, dass der »Eintritt« in den Rechtszustand nicht zur Disposition steht: »Bei dem Vorsatze, in diesem Zustande äußerlich gesetzloser Freiheit zu sein und zu bleiben, thun sie einander auch gar nicht unrecht, wenn sie sich untereinander befehden; denn was dem Einen gilt, das gilt auch wechselseitig dem Anderen, gleich als durch eine Übereinkunft (uti partes de iure suo disponunt, ita ius est): aber überhaupt thun sie im höchsten Grade daran unrecht) in einem Zustande sein und bleiben zu wollen, der kein rechtlicher ist, d. i. in dem Niemand des Seinen wider Gewalttätigkeit sicher ist.« (AA VI.307 f.) Das Eingehen eines Vertragsverhältnisses steht hingegen zur Disposition der Vertragspartner, und die Ablehnung des Angebots eines Vertrags lässt sich nicht als Unrecht beurteilen. Bei Hegel findet man auch diese Kantische Verarbeitung des Hobbesschen Gedankens vom Naturzustand und der Pflicht »exeundum esse«: »Status naturae non est injustus, et eam ob causam ex illo exeundum.« (GW 5.227) (b) Der Aufbau aller Momente des (peremptorischen) Eigentums – Besitznahme, Anerkennungsverhältnis und Sicherung – erfordert auch bedingungslos die Produktion einer Sphäre des Rechts. (c) Die Geltung des Strafrechts liegt laut Kant (im Gegensatz zur Straftheorie Beccarias) in keinem Vertrag. (d) Die Verbindlichkeit des Oberbefehls des Souveräns im Krieg lässt sich nicht aus dem Standpunkt des Vertrags ableiten. Das Vertragsdenken ist nicht der letzte Standpunkt, sondern es wird durch die Herausbildung höherer Gestalten der Freiheit relativiert. (2) Zum anderen spielt das Vertragsdenken eine Hauptrolle in Kants Vernunftrecht. Er fasst das Verhältnis zwischen dem »angebornen Recht der Freiheit« (AA VI.237) und dem Vertrag als ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis auf: Ohne den Staatsvertrag ist die Verwirklichung und Explikation der Freiheit nicht möglich, und ohne die Selbstbindung durch Freiheit sind die Verträge nichtig. Dieser Rest des Vertragsdenkens im Kantischen Vernunftrecht hat erhebliche Probleme zur Folge: die Vermischung und Nivellierung der Stufen der Freiheit. So wird das sittliche Verhältnis der Ehe bei Kant durch privatrechtliche Normen rekonstruiert. Hegel formuliert die Relativierung des Standpunkts des Vertrags innerhalb eines Systems von Stufen. Er kritisiert die Kantische Vermischung von privatrechtlichen und sittlichen Verhältnissen. Er behauptet gegen Kant, dass die Überwindung der Stufe des Vertrags unmöglich ist, wenn die Reduktion des freien Willens auf die Willkür, auf den Einzelwillen eines besonderen Individuums nicht verabschiedet wird. Ein endgültiger Abschied vom Vertragsdenken des Naturrechts erfordert die Auffassung des freien Willens als (wah-

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ren) Geistes (vgl. GPR § 29). Die sittlichen Verhältnisse lassen sich ohne das Begriffsinstrumentarium der Geistesphilosophie nicht rekonstruieren. Eine adäquate Ausbildung des neuen Rechtsdenkens erfordert laut Hegel die Einbeziehung des Geistbegriffs. In Bezug auf diese Relativierung des Vertragsdenkens ist in diesem Abschnitt über die Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts Folgendes zu betonen: Die Logik des Rechts ist durch immanente Vernunftstrukturen konstituiert, die nicht zur Disposition stehen. Der freie Wille ist das Prinzip des Rechts, aber die Rechtsordnung besteht nicht in willkürlichen Ordnungsstrukturen, in einer unmittelbaren Produktion. Der Wille, der als die alleinige rechtserzeugende Instanz fungiert, ist alles anderes als Willkür. Für die vorliegende Darstellung der immanenten Logik des Rechts ist noch auf einen anderen Aspekt des Vertrags zu verweisen. Im Vertrag vollzieht sich, wie oben gesagt wurde, eine Erhebung des Daseins des Eigentums zu einer höheren Daseinsform, dem gemeinsamen Willen des Vertrags. Diese Erhebung ist nur dadurch möglich, dass sich eine Entzweiung schon vollgezogen hat: »das Recht an sich oder der Wille als allgemeiner, und das Recht in seiner Existenz, welche eben die Besonderheit des Willens ist« (§ 81). Diese immanente Entzweiung bzw. Selbstunterscheidung der Freiheit zwischen dem allgemeinen an sich seienden Willen und dem besonderen für sich seienden Willen ist die logische Voraussetzung für die folgenden Prozesse: (a) für die Erhebung des Eigentums zu einem gemeinsamen Willen, die sich durch das Vertragsrecht vollzieht, (b) für die Formen des Urteils, die die unterschiedlichen Gestalten des Unrechts konstituieren, und (c) für den Vermittlungsprozess, der durch die Strafe in Bewegung gesetzt wird: die Reflexion des Willens in sich. Das »Recht an sich« ist daher nicht als eine »Entäußerungsgestalt« des Willens, als eine Projektion aufzufassen. Das Vertragsdenken des frühneuzeitlichen Naturrechts operiert mit einer ideellen Gestalt des Willens, mit einer »regulativen Idee«. Das »Recht an sich« ist hingegen das Resultat einer immanenten Logik der Explikation und Verwirklichung der Freiheit: Es ist das Produkt einer Selbstunterscheidung des Willens durch die Verwirklichung einer äußeren Sphäre der Freiheit. Explikation und Verwirklichung der Freiheit sind insofern untrennbare Momente. Daher spricht Kant im Singular von einem »angebornem Recht der Freiheit« (AA VI.237) und negiert die Rede von einer vorgegebenen Mannigfaltigkeit von Rechten der Person, von Freiheitsrechten. Die Erzeugung dieser Vielfalt von Freiheitsrechten (diese Rede im Plural) vollzieht sich nicht einfach durch eine Positivierung, sondern, wie oben gesagt wurde, durch eine Produktion von Einheitsformen des freien Willens. Dieser Prozess ist eine immanente Verwirklichung der Freiheit.

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Die Rede von der Immanenz der Logik der Freiheit enthält die folgenden Bedeutungen: (1) In dieser Logik wirken Prinzipien, die in uns liegen. Der Inhalt dieser Logik ist eine Wirklichkeitsform, die aus dem »Innersten«, aus der Spontaneität des freien Willens, aus dem »Ich« fließt. (2) Der objektive Geist besteht in einem System von Stufen. Diese Stufen sind die Verwirklichung einer im Begriff der Freiheit liegenden Struktur. Sie sind daher eine Explikation der immanenten Vernunftstrukturen des Freiheitsbegriffs. (3) Die Immanenz dieser Logik besteht auch darin, wie sich unten zeigen wird, dass diese Logik einen Anstoß fremder Triebkräfte (z. B. Wissenschaft, Wirtschaft, Religion usw.) nach ihren internen »Gesetzen« verarbeitet. Bereits auf dem Abstraktionsniveau des Vertragsrechts tauchen Kategorien auf, die eigentlich zu den »Gesetzmäßigkeiten« der bürgerlichen Gesellschaft gehören: Die Gerechtigkeit des Tauschvertrags liegt laut Hegel in einer wertmäßigen Äquivalenz (vgl. § 77). Er bezieht die Kategorie Wert durch einen Begriff der materialen Gerechtigkeit in das Vertragsrecht ein. Der Eigentümer erhebt einen Rechtsanspruch auf den Wert der Sache. Der Schadenersatz im Privatrecht operiert mit dieser wertmäßigen Äquivalenz. Relevant für unsere Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts ist vielmehr diese antizipierende Einbeziehung der Warenproduktion in die Analyse des Vertragsrechts. Durch diese Analyse des Verhältnisses zwischen Vertragsrecht und Warenproduktion auf dem Abstraktionsniveau dieser Stufe lässt sich die dritte Bedeutung von Immanenz näher bestimmen und veranschaulichen. Es ist eine »Gesetzmäßigkeit« der Rechtsgeschichte, dass die Herausbildung eines entwickelten Vertragsrechts eine bestimmte Produktionsform (die Warenproduktion) voraussetzt: »Der voll entwickelte Vertrag ist Ausdruck einer Warenwirtschaft mit einer größeren Zahl freier und gleicher Personen, die ihre wirtschaftliche Existenz, oft auch das tägliche Leben, im wesentlichen über Verträge organisieren.« (Wesel 2006, 213) Die Bedeutung dieser »Gesetzmäßigkeit« (kein entwickeltes Vertragsrecht ohne Warenproduktion) ist nicht selbstverständlich, sondern höchst umstritten. Eine genaue Interpretation dieser Gesetzmäßigkeit erfordert die Herausbildung eines komplexen Begriffsinstrumentariums. Im zweiten Kapitel seines Hauptwerks thematisiert Marx den Austauschprozess. Damit bezieht er das Vertragsrecht in seine Werttheorie ein. Wie bei Hegel ist der Tauschvertrag bei ihm die Hauptgestalt, durch welche die ganze Sphäre des Vertragsrechts zu begreifen ist. Marx verwendet den Terminus »Person« in seiner ursprünglichen Bedeutung: Die Personen agieren im Rechtsverkehr als »Charaktermasken«, als Rollen. Diese Reduktion des

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Personbegriffs auf eine Mannigfaltigkeit von Rollen enthält eine Kritik an den Ansätzen, die den Personbegriff durch eine Willenstheorie der juristischen Handlungen rekonstruieren. Diese juristischen Handlungen haben laut Marx mit einer Logik des Willens nichts zu tun. Die Willenstheorie sei vielmehr eine Mythologisierung des Rechts. Die juristischen Handlungen der Person (des Warenbesitzers) sind nach Marx nur eine äußerliche Betätigung der »internen Gesetze« der Warenproduktion: »Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben.« (MEW 23.99) Durch den Terminus »Widerspiegelung« bezeichnet er den Scheincharakter der Selbstbestimmung, der Subjektivität. Es kann eigentlich nicht von Freiheit, von Selbstbestimmung die Rede sein, denn diese Tätigkeit wird nicht von Subjekten, sondern von »Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse« vollzogen: »Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.« (MEW 23.99 f.). Diese Interpretation der »Gesetzmäßigkeit« »kein Vertragsrecht ohne Warenproduktion« ist mit einer Theorie der immanenten Logik des Rechts unvereinbar. Das Vertragsrecht erklärt sich laut Marx nicht aus den »internen Gesetzen« des freien Willens, sondern aus den »internen Gesetzen« der Reproduktionsprozesse der Wirtschaft, aus dem »Wertgesetz«. Die Rechtsfiguren werden als Akzidenzien dieser »Reproduktionsprozesse« begriffen. Sie werden durch das »Wertgesetz« herausgebildet und bestimmt. In dieser Theorie kann von einer internen Logik der »(Re)produktion« (im Quesnayschen Sinne) die Rede sein, aber nicht von einer immanenten Logik des Rechts. Diese »Gesetzmäßigkeit« – die Herausbildung eines entwickelten Vertragsrechts als Ausdruck der Warenproduktion freier und gleicher Personen – wird in der Marxschen Theorie auf folgende Weise interpretiert: Der Prozess der Personifikation ist nicht die Herausbildung einer Gestalt der Subjektivität (der Rechtsperson), sondern eine »Widerspiegelung«. Der Plural »Personifikationen« weist darauf hin, dass die Person nicht die einfache Selbstbestimmung des noch abstrakten Willens, eine ausschließende Einzelheit ist, sondern eine Mannigfaltigkeit von Rollen, deren Inhalt von den ökonomischen Verhältnissen bestimmt wird. Die Person ist nach diesem Ansatz nicht eine inhaltslose Einzelheit, sondern eine Mannigfaltigkeit von ökonomischen Inhalten (Personifikationen bzw. »Charaktermasken«). Zugespitzt

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formuliert: Die Logik der Warenproduktion produziert nicht nur die Waren, sondern zugleich sowohl die »Wirklichkeit« der mannigfaltigen Personifikationen als auch den aus ihr folgenden Schein der Rechtsperson als einer logischen Einzelheit. Die Hegelsche Interpretation dieser »Gesetzmäßigkeit« behauptet das Gegenteil. Die Betätigung der wirtschaftlichen Prozesse erfordert die Leistungen der Subjektivität. Die wirtschaftlichen Prozesse können nicht die Ursache der Subjektivität, der Person sein. Sie sind der Anstoß für die Herausbildung der Subjektivität, der Rechtsperson durch die Selbsterkenntnis des Geistes: »Fraglos vollzieht sich die Genese des Rechts nicht unabhängig von sozialund wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen – dies ist trivial. Doch sind diese Entwicklungen selber an einen Rahmen gebunden, der durch subjektivitätstheoretische Voraussetzungen abgesteckt ist. Sie beruhen selber auf Leistungen der Subjektivität, und deshalb werden Person und Subjekt durch sie nicht erst hervorgebracht, sondern sie werden zum Wissen von sich selbst, zu ihrem selbstbewußten Fürsichsein gebracht – zum Wissen dessen, was sie an sich sind.« (Jaeschke 2009, 300) Die entscheidende Triebkraft für die Herausbildung der Subjektivität ist daher nicht die wirtschaftliche Dynamik, sondern die Selbstverständigung der Subjektivität. Diese These, die für die Genese der Rechtsperson gilt, beruht auf dem Selbstbewusstseinsmodell des Geistesphilosophie: Das Ansich des Menschen kann nicht hervorgebracht werden, sondern nur zu einem Wissen von sich gebracht werden. Kantisch formuliert: das Ansich des Menschen kann nur eine »ratio cognoscendi« haben. Daher besagt die Formel der Weltgeschichte »Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit« und nicht »Fortschritt in der Verwirklichung der Freiheit«. Selbstverständlich erfordert die Rechtsperson, im Gegensatz zum Ansich des Menschen, eine Positivierung, aber die Geltung dieser Positivierung setzt voraus, dass das Ansich des Menschen, seine Freiheit, erkannt wird. In der Phänomenologie des Geistes fasst Hegel den Entstehungsprozess des Rechtszustandes als Herausbildung der Subjektivität, der Rechtsperson auf. Die basalen Bestimmungen der Rechtsperson lassen sich nicht aus einer Mannigfaltigkeit von Rollen ableiten, deren Inhalt durch die »internen Gesetze« eines Wirtschaftssystems bestimmt wird. Die basalen Bestimmungen der Person sind vielmehr aus der Allgemeinheit einer ausschließenden Einzelheit (des Ich, eines »diskreten Selbst«) abzuleiten. Sie bilden nicht eine Mannigfaltigkeit von »Charaktermasken«, sondern eine Sachlogik: die Produktionslogik eines Rechtszustandes durch die Herausbildung der Rechtsperson. Die Herausbildung eines Rechtssystems lässt sich nicht aus den Forderungen anderer gesellschaftlicher Systeme – wie des Wirtschaftssystems – ableiten. Die Begründung dieser These erfordert die Einbeziehung der oben erör-

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terten dritten Bestimmung der Immanenz der Logik des Rechts: Das Rechtssystem verarbeitet einen Anstoß fremder Systeme (z. B. der Produktionsweise, des Finanzsystems, des Bankwesens) nach den internen »Gesetzen« der Logik der Freiheit. Immanenz bedeutet daher nicht eine ungestörte Durchsetzung der internen Gesetze des Rechts, sondern eine Verarbeitung fremder Anstöße nach den internen »Gesetzen« des Rechts. Durch diese Verarbeitung werden die heterogenen Inhalte zu einem Werk der Freiheit gemacht. Die Hegelsche Interpretation der hier analysierten »Gesetzmäßigkeit« lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen: Die Rechtsperson ist eine Gestalt der Subjektivität, der Einzelheit, die nicht durch die Wirtschaft hervorgebracht wird, sondern durch die Prozesse der Realgeschichte zu einem Wissen von sich gebracht wird. Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann zu einer Vertiefung des Selbstbewusstseins führen, aber nicht zu einer Produktion dieser Gestalten, denn der Mensch ist immer an sich frei und daher Subjektivität, Einzelheit. Die wirtschaftlichen Prozesse bestimmen nicht die Gestalten des Rechts, sondern das Recht produziert seine eigenen Gestalten, indem es die Forderung anderer Bereiche (hier der Warenproduktion) nach der internen Logik der Freiheit verarbeitet. In allen Gestalten des Geistes vollzieht sich eine Herausbildung der Subjektivität, denn die Einzelheit der Subjektivität ist die Seinsweise des Geistes. Daher bildet sich in allen Sphären des Geistes (im subjektiven, objektiven und absoluten Geist) die Subjektivität heraus, denn es gibt nur einen Geist, eine Subjektivität, die in den verschiedenen Sphären eine besondere Gestaltung erhält. Diese These lässt sich auch in einer weltgeschichtlichen Perspektive formulieren. In den Gestalten des »Weltgeistes« vollzieht sich eine Entwicklung der Subjektivität, obwohl jeder »beschränkte« Geist nur partiell diese Aufgabe vollzieht, wie z. B. in der Entwicklung der schönen Individualität (griechische Sittlichkeit), der Rechtsperson (römisches Recht), der Gotteskindschaft und der Gottesebenbildlichkeit (Christentum), der bedingungslosen Berechtigung des Menschen als Menschen (Neuzeit). In der hier angestellten Rekonstruktion der internen Logik des Vertragsrechts bleibt noch ein wichtiger Aspekt zu erörtern. Die Stabilisierung dieser Sphäre erfordert einen Vermittlungsversuch der erörterten Entzweiung, einen Zusammenschluss des allgemeinen und besonderen Willens. Die Logik des Rechts ist die Produktion und Stabilisierung der Daseinsformen der Freiheit, denn das Recht ist zugleich ein »Wirkliches und Geltendes«. Die erste Willenseinigung besteht auf der Stufe des äußeren Rechts in einer unmittelbaren Übereinstimmung zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Willen. Da die Form der Unmittelbarkeit nicht die Seinsweise des Geistes ist, kann die »Schlussform« des äußeren Rechts nicht diese stabilisierende Funk-

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tion vollziehen. Die Stabilisierung des Rechts, die durch die Rechtsgestalt des Unrechts vermittelt ist, erfordert daher eine Korrektur der Insuffizienzen dieser Unmittelbarkeit, dieser Äußerlichkeit. Diese Korrektur soll der Ausgangspunkt einer angemesseneren Form der Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit sein. Für Hegel vollzieht sich diese Korrektur durch die Strafe. Die Straftheorie Hegels wurde bereits im neunten Kapitel thematisiert. Die Perspektive der Analyse der Strafe war in diesem Kapitel die Begründung der Rechtlichkeit der Strafe. Diese Begründung wurde in der Neuzeit zu einem Problem, denn sie setzt nach den Prinzipien des neuzeitlichen Rechtsdenkens eine allgemeinere Aufgabe voraus: die Begründung der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang. In diesem Kapitel ist die Analyse der Strafe nur von Interesse, insofern sie relevante Aspekte der immanenten Logik des Rechts zeigt. Deshalb sind hier nur die vier folgenden Aspekte kurz zu erwähnen: (1) Der Zwang ist kein Definiens des Rechtsbegriffs, sondern ein beschränktes Moment der Logik der Stabilisierung des Rechts: Der rechtliche Zwang ist kein Definiens, eine analytische Folge des Rechtsbegriffs, wie Kant in der Erläuterung des Rechtsbegriffs behauptet: »wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich ein Befugnis, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft« (AA VI.231; Hervorh. A.B.) Diese Auffassung der Zwangsbefugnis als Definiens des Rechtsbegriffs bei Kant lässt sich mit einer anderen Insuffizienz des Kantischen Rechtsbegriffs in Verbindung setzen. Aus der Kantischen Formulierung des Primats des Ethischen erklärt sich die Disposition für eine mögliche Ausdifferenzierung zwischen Ethik und Recht anhand der Zwangsbefugnis. Die Rechtlichkeit des Zwangs könne nicht durch die Analyse des Rechtsbegriffs, sondern nur durch den Umweg bestimmter Daseinsformen der Freiheit (die Gestalten des Unrechts) rekonstruiert werden. Dieser Umweg betrifft ein beschränktes Moment der internen Logik der Stabilisierung der Freiheit. Der beschränkte Geltungsbereich des Zwangsrechts zeigt sich deutlich in epochalen Rechtsentwicklungen der Gegenwart, in denen die Zwangsbefugnis keine Rolle spielt: »Eigentümlich ist allerdings, daß die einflußreichste und das Völkerrecht so begünstigende Rechtstheorie diese Jahrhunderts, die Reine Rechtslehre, weiterhin das Zwangsmoment als einziges Kriterium der Unterscheidung von Rechts- und Moralordnung ausgibt. […] Gerade von der Erkenntnis der Rechtsnatur des Völkerrechts als eines Koordinationsrechts her legt sich vielmehr das Zurücktreten des Zwangscharakters nahe – trotz der auch im Völkerrecht vorgesehenen Sank-

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tionen. Denn anders als in der staatlichen Gemeinschaft gefährdet in der Völkergemeinschaft die Anwendung des Zwangs eben die Rechtsordnung, deren Schutz sie zu dienen bestimmt ist.« (Jaeschke 1987, 48) (2) Der Prozess der Stabilisierung des Rechts ist auch eine Logik der Erscheinung und des Scheins: Die unterschiedlichen Gestalten des Rechts werden durch eine »Scheintheorie« begriffen: »diese Erscheinung des Rechts, in welchem dasselbe und sein wesentliches Dasein, der besondere Wille, unmittelbar, d. i. zufällig übereinstimmen, geht im Unrecht zum Schein fort« (§ 82). Das Verbrechen ist nicht nur die Verletzung eines Daseins der Freiheit, sondern auch die Negation der Geltung der Rechtsfähigkeit. Durch diese Stabilisierung ist das Recht ein Wirkliches und Geltendes. Die Erhaltung der Geltung des Rechts enthält auch die Erscheinung des Rechts, die durch das Unrecht zum bloßen Schein depotenziert wird. Die Wiederherstellung des Rechts erfordert die Erscheinung der Nichtigkeit des Unrechts. Der Scheincharakter des Unrechts »offenbart« sich durch einen reellen Prozess, der doppelten Negation als bedingungsloser Verbindung von Verbrechen und Strafe: »Die geschehene Verletzung des Rechts als Rechts ist zwar eine positive, äußerliche Existenz, die aber in sich nichtig ist. Die Manifestation dieser ihrer Nichtigkeit ist die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung jener Verletzung – die Wirklichkeit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermittelnde Notwendigkeit.« (§ 97) Die »absolute« Straftheorie Hegels rekonstruiert sowohl die objektive Seite (die doppelte Negation) als auch die subjektive Seite (die Beziehung auf das Bewusstsein) dieser Logik der Stabilisierung der Geltung des Rechts. Die Einbeziehung der Erscheinung des Rechts (der Beziehung auf das Bewusstseins) in der Thematisierung dieser geistigen Wirklichkeit stimmt mit den Prinzipien der Geistesphilosophie überein: Der Geist hat kein anderes Sein, kein anderes Wesen als die Tätigkeit des »Sichoffenbarens« (EPW § 383). Daher betrifft die Expansion und Erhaltung der geistigen Seinsweise immer die Manifestation des Geistes. (3) Die Stabilisierung des Rechts ist zugleich eine Fortbestimmung des Willens, die Reflexion des Willens in sich: Die Wiederherstellung der Erscheinung des Rechts ist zugleich eine Vertiefung der Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit: »Die Wahrheit dieses Scheins aber ist, daß er nichtig ist und daß das Recht durch das Negieren dieser seiner Negation sich wiederherstellt, durch welchen Prozeß seiner Vermittlung, aus seiner Negation zu sich zurückkehren, es sich als Wirkliches und Geltendes bestimmt, da es zuerst nur an sich und etwas Unmittelbares war.« (§ 82) Das Resultat dieses Prozesses ist die Erhebung der unmittelbaren Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit zu einer höheren Einheitsform: ein Wille, »der als beson-

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derer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle« (§ 103). Die Stabilisierung des Rechts ist ein Prozess der Reflexion des Willens in sich, der Verinnerlichung der Allgemeinheit. Die Rechtsgestalt der Strafe muss daher als eine Stufe der Logik des Vermittlungsprozesses von Allgemeinheit und Besonderheit begriffen werden. (4) Die Logik der Produktion und Stabilisierung des Rechts ist eine Logik der Herausbildung der Subjektivität überhaupt: Die Stabilisierung des Geistes in der Äußerlichkeit (des äußeren Rechts) ist seine Verinnerlichung, die Reflexion in sich (das innere Recht). Diese Verinnerlichung ist die Erhebung des Rechts auf eine höhere Stufe der Freiheit: die Subjektivität. Auf der Stufe des abstrakten Rechts wird von der (moralischen) Subjektivität abgesehen, denn die inneren Beweggründe der Person sind nicht relevant, sondern nur die von dieser inhaltslosen Einzelheit vorgezeichneten Rollen. Dieses konstitutive Absehen von der Innerlichkeit (der Besonderheit der Willkür) führt verborgen zu einem Untergang und Übergang des äußeren Rechts in das innere Recht. Unter Untergang muss hier eine Beschränkung und Relativierung (bzw. Unterordnung) des Vertragsrechts verstanden werden. (vgl. Dulckeit 1936, 153) Die Produktion der Sphäre des abstrakten Rechts ist die Herausbildung der Rechtsperson, und die Stabilisierung ihrer Rechtsfähigkeit ist die Herausbildung der (moralischen) Subjektivität. Auf der Stufe der Moralität thematisiert Hegel die strafrechtlichen Bestimmungen des Handlungsbegriffs. Dabei zeigt sich erneut, dass die Logik des Rechts in einem dialektischen Prozess besteht, der von der Negativität des freien Willens (§§ 5–7) und daher letztendlich von den basalen Tätigkeiten des »Ich« zu höheren Gestalten der Subjektivität treibt.

13.2 Die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens Durch die Reflexion des Willens in sich wird die Einheit von Person und Eigentum zur Einheit von Subjekt und Handlung weiter bestimmt. Die begriffliche Rekonstruktion dieser »Rechtsidee« enthält eine Handlungstheorie, denn sie thematisiert nicht nur die Verbindlichkeit des Handelns aus innerer Überzeugung (Ethik) und die strafrechtlichen Bestimmungen des Handlungsbegriffs (Zurechnungstheorie), sondern sie ist auch der systematische Ort für die Einbeziehung der Kategorien, die das Handeln überhaupt bestimmen (Selbstbestimmung, Zweck, das Gute usw.). Der eigentliche Inhalt dieser spezifischen Gestaltung der »Rechtsidee« ist jedoch ein Prozess, der für eine immanente Logik der Verwirklichung der Freiheit konstitutiv ist: »Die zweite Sphäre, die Moralität, stellt daher im gan-

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zen die reale Seite des Begriffs der Freiheit dar, und der Prozeß dieser Sphäre ist, den zunächst nur für sich seienden Willen, der unmittelbar nur an sich identisch ist mit dem an sich seienden oder allgemeinen Willen, nach diesem Unterschiede, in welchem er sich in sich vertieft, aufzuheben und ihn für sich als identisch mit dem an sich seienden Willen zu setzen.« (§ 106) Das neue Rechtsdenken muss begrifflich rekonstruieren, wie sich die Vereinigung des Rechts an sich bzw. des allgemeinen Willens und des besonderen Willens vollzieht. Die Thematisierung dieses Prozesses der Setzung der Identität des allgemeinen und besonderen Willens zeigt sich als ein Spezifikum des neuen Rechtsdenkens in den drei folgenden Aspekten: (1) Das Recht an sich ist nur durch den besonderen Willen wirklich; (2) der allgemeine Wille ist keine Projektion des Denkens; (3) diese Identität vollzieht sich durch die setzende Tätigkeit des freien Willens. (1) Das Recht an sich ist nur durch den besonderen Willen wirklich: Das neue Rechtsdenken thematisiert nicht mehr Vernunftgesetze (»leges naturales«), die durch eine »recta ratio« erkennbar wären. Der Inhalt des neuen Rechtsdenkens sind Funktionsbedingungen der Geltung und Wirksamkeit einer Sphäre des Rechts. Der Inhalt des neuen Rechtsdenkens sind nicht nur Begriffsbestimmungen des Rechts, sondern er ist auch die »Rechtsidee«. Der Wille ist als die ins Dasein tretende Wirklichkeit die einzige Instanz, die einer Rechtserzeugung fähig ist. Die Gültigkeit ideeller, allgemeiner Inhalte ist von ihrer Verwirklichung nicht unabhängig. Daher gewinnt die Vermittlung der Allgemeinheit und der Besonderheit eine besondere Bedeutung. Bereits in § 6 der Grundlinien wird diese Relevanz der Besonderheit formuliert. Nur ein Endliches, Besonderes kann wirklich sein: »Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. – Dieser Inhalt sei nun weiter als durch die Natur gegeben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt. Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.« Hegel formuliert diesen Gedanken auf der Stufe der Sittlichkeit. Sie ist die Stufe, auf der dieser Prozess der Vereinigung des allgemeinen und besonderen Willens vollendet ist. Die Sittlichkeit ist die »Einheit des Begriffs des Willens und seines Daseins, welcher der besondere Wille ist« (§ 143, Hervorh. A.B.). Durch die Tätigkeit des besonderen Willens ist daher ein adäquates Dasein des Begriffs des freien Willens (die »Wahrheit« der Sittlichkeit) möglich. Das sittliche Recht ist durch Institutionen konstituiert, aber das geistige Dasein der Institutionen erhält sich nur durch die Betätigung des besonderen Willens. Daher sind die Institutionen das »Tun Aller« (GW 9.239).

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(2) Der allgemeine Wille ist keine Projektion des Denkens: Durch die Rekonstruktion der Identität des allgemeinen und des besonderen Willens zeigt sich, dass der allgemeine Wille weder eine Fiktion noch eine bloß regulative Idee ist. Der allgemeine Wille ist keine normative Entäußerungsgestalt des freien Willens, durch welche die vorhandene Verhältnisse zu bemessen sind. Die Trennung zwischen einem sich jenseits seiner selbst versetzenden Willen und der Tätigkeit des besonderen Willens ist eigentlich mit einer konsequenten Durchführung des Rechtsdenkens unvereinbar, denn das neue Rechtsdenken enthält die Auffassung, dass es keinen sicheren Maßstab des Gerechten und Guten gibt. Kant überwindet diese naturrechtliche Denkweise, indem er das »wechselseitige Verhältniß der Willkür« (AA VI.230) zu einem konstitutiven Moment des Rechtsbegriffs macht. Die deutliche Hervorhebung der »Wechselseitigkeit« in der immanenten Produktionslogik des Rechts bei Kant hat daher eine epochale Bedeutung. Die Allgemeinheit einer Willenseinigung ist immer durch diese Wechselseitigkeit vermittelt. (3) Die Identität wird durch die Tätigkeit des Willens gesetzt: Auch die Projektion eines allgemeinen Willens jenseits des Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts kann als ein vormoderner Rest innerhalb des neuen Rechtsdenkens bezeichnet werden. Ein Rechtsdenken, das noch mit solchen Projektionen operiert, fasst die Rechtsordnung auf als die Abbildung, die Nachahmung einer vorgegebenen Instanz, einer ideellen Ordnung (sei es Gott, die von Gott geschaffene Natur oder die regulative Idee eines allgemeinen Willens als Entäußerungsgestalt eines Vernunftrechts). Diese Projektion des freien Willens bewegt sich noch in einer vormodernen Konstellation des Denkens. Daher sind die Rekonstruktionen des allgemeinen Willens durch einen rationalistischen Vernunftbegriff zu verabschieden. Hegel verwendet hingegen den Terminus, der für das neue Rechtsdenken charakteristisch ist: Das Ziel dieses Prozesses ist, diese Identität zu setzen (vgl. GPR § 106) Der Terminus »Setzung« einerseits und die Termini »Abbildung« und »Nachahmung« andererseits stehen für sehr unterschiedliche Denkweisen im Bereich des Rechts. Diese neuzeitliche Unterscheidung überschneidet sich teilweise mit der traditionellen Unterscheidung zwischen θέσις und φύσις, in der Neuzeit vollzieht sich jedoch eine Umkehrung der Bedeutung dieser Unterscheidung: Nur durch die setzende Tätigkeit des freien Willens lässt sich ein sicherer und stabiler Maßstab des Rechts gewinnen, denn die von Natur gegebenen Instanzen haben ihre Allgemeingültigkeit und damit ihr Integrationspotential verloren. Die antike Ausdifferenzierung zwischen dem Relativismus menschlicher Produkte und der Allgemeingültigkeit der »Natur« transformiert sich in die neuzeitliche Ausdifferenzierung zwischen der Verbindlichkeit der menschlichen Konstruktionen und der Kraftlosigkeit der »natürlichen« Instanzen im Bereich des Rechts.

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Von diesem gesamten Prozess, der die Sphäre der Moralität konstituiert, ist in der vorliegenden Analyse der immanenten Logik des Rechts Folgendes hervorzuheben: die Logik der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens, einer »volonté générale«. Diese Logik lässt sich auf der Stufe der Moralität aus zwei Perspektiven betrachten. Zum einen stellt die Moralität die begriffliche Genese dieses allgemeinverbindlichen Willens dar. Er ist das Resultat dieses Prozesses. Zum anderen zeigt die Moralität die Schwierigkeiten der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens, denn diese Identität lässt sich nicht aus den Grundbestimmungen der Moralität gewinnen. Die durch diesen Prozess erzielte Identität ist nur durch eine Beschränkung und Relativierung des inneren Rechts möglich. Die Insuffizienzen der Moralität weisen jedoch darauf hin, welche die richtigen Grundbestimmungen für die Hervorbringung eines allgemeinverbindlichen Willens sind. Daher sind zunächst die Grundbestimmungen der Moralität zu analysieren. Diese sind im wesentlichen folgende: (1) Die Selbstbestimmung und das Recht der subjektiven Freiheit; (2) das Sollen; (3) die »Idee« des Zwecks. (1) Die Selbstbestimmung und das Recht der subjektiven Freiheit: Die Selbstbindung der inhaltslosen Einzelheit der Person wird auf der Stufe des inneren Rechts zur Selbstbestimmung des Subjekts weiter bestimmt. Die Selbstbestimmung betrifft die innere Bestimmung des Willens, die das Subjekt in »Besitz« nimmt und als das »Seinige« setzt. Die inneren Bestimmungen erhalten durch diese Reflexion in sich eine Berechtigung: das »Recht des subjektiven Willens« (§ 107), das »Recht der subjektiven Freiheit« (§ 112). Durch die Reflexion des Willens in sich treten die unterschiedlichen Gestalten der Sinnlichkeit, die in der Philosophie des subjektiven Geistes (auf dem Weg des Willens zum objektiven Geist) thematisiert wurden, in die Sphäre des Rechts: »Es ist dies als der Standpunkt des Verhältnisses (§ 108), auf dem das Subjekt zu seiner Unterschiedenheit bestimmt, somit als Besonderes gilt, der Ort, wo der Inhalt des natürlichen Willens (§ 11) eintritt; er ist hier aber nicht, wie er unmittelbar ist, sondern dieser Inhalt ist, als dem in sich reflektierten Willen angehörig, zu einem allgemeinen Zwecke, [dem] des Wohls oder der Glückseligkeit […] erhoben.« (§ 123) Dieser Inhalt hat jedoch nicht mehr die Form der Unmittelbarkeit des »natürlichen« Willens, sondern die Form der inneren Berechtigung des Subjekts. Nur in diesem Formunterschied liegt der Unterschied zwischen Wohl und Glückseligkeit: »Die Glückseligkeit ist vom Wohl nur dadurch unterschieden, daß erstere als ein unmittelbares Dasein überhaupt, letzteres aber als berechtigt in Beziehung auf die Moralität vorgestellt wird.« (EPW § 505) Diese Berechtigung des freien Willens (das Recht der subjektiven Freiheit) ist ein einziges und einfaches Recht, das auf den verschiedenen Stufen des

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inneren Rechts expliziert wird. Die Mannigfaltigkeit von Rechten der Moralität ist daher eine konkrete Gestaltung der in sich berechtigten Innerlichkeit des Subjekts. In den unterschiedlichen Gestalten der Innerlichkeit – Vorsatz, Absicht, Gewissen bzw. Einsicht in das Gute oder Böse – erhält diese basale Berechtigung des Subjekts eine nähere Gestaltung: (a) Auf der Stufe der Unmittelbarkeit bzw. der äußerlichen Einzelheit (»Der Vorsatz und die Schuld«) gewinnt man eine Ausdifferenzierung zwischen Tat und Handlung durch das »Recht des Wissens«: »Das Recht des Willens aber ist, in seiner Tat nur dies als seine Handlung anzuerkennen und nur an dem schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – Die Tat kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens.« (GPR § 117) (b) Auf der Stufe der subjektiven Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit (»Die Absicht und das Wohl«) formuliert Hegel Rechte, die sich aus der Ambivalenz der Absicht ableiten. Die Absicht enthält sowohl die Form der Allgemeinheit (als Absehen von den vereinzelten Bestimmungen der äußeren Wirklichkeit) als auch die Seite der Besonderheit (als Herausnehmen einer einzelnen Bestimmung). Im Begriff der Absicht formuliert Hegel erneut die immanente Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit, die er in § 6 der Grundlinien bereits zur Geltung gebracht hat: »wie das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen dies zweite Moment im ersten schon enthalten und nur ein Setzen dessen, was das erste schon an sich ist«. Auf dieser Stufe vollzieht sich daher eine Entzweiung des Rechts der subjektiven Freiheit: das »Recht der Absicht« (die Seite der Allgemeinheit) einerseits und das »Recht des Wohls« (EPW § 505) bzw. das »Recht der Besonderheit des Subjekts« (GPR § 124) andererseits. Diese Entzweiung der subjektiven Freiheit hat die Möglichkeit einer Kollision zwischen dem objektiven (äußeren) Recht und dem subjektiven (inneren) Recht des Wohls zur Folge. Die innere Dialektik dieser Kollision, die sich im Notrecht manifestiert, führt zur Relativierung beider berechtigter Einseitigkeiten durch die Erhebung des Subjekts zum Standpunkt des subjektiven Guten. (c) Die nähere Gestaltung der subjektiven Freiheit auf der Stufe des Guten ist das Recht der Gewissensfreiheit, das »Recht der Einsicht in das Gute« (§ 132). Eine Vertiefung des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert eine akribische Rekonstruktion des Rechts der subjektiven Freiheit und seiner Wirkung auf die Umgestaltung der Rechtswirklichkeit, denn dieses Prinzip (die innere Berechtigung des Subjekts) ist für die bewusstseinsgeschichtliche Phase der Neuzeit konstitutiv: »Das Recht der Besonderheit des Subjekts, sich befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht der subjektiven Freiheit

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macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit.« (§ 124). Dieses Wissen von sich ist ein Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, und ihre Wirkung auf die Umgestaltung des gesamten Wirklichkeitszusammenhangs des Rechts ist irreversibel. Obwohl dieses Prinzip aufgrund seiner atomisierenden Kraft ein destabilisierendes Moment der sittlichen Welt ist, ist es in der Neuzeit zu einer Funktionsbedingung des Rechts geworden. Trotz der notwendigen Beschränkung und Relativierung dieses Rechts ist es ein konstitutives Moment in der Gestaltung aller Rechtsgestalten. Es lässt sich nicht außer Kraft setzen. Die Erzeugung und Stabilisierung der Institutionen des Rechts erfordern daher in der Neuzeit eine tiefere Vermittlung. In der Analyse aller Rechtsgestalten zeigt sich die Notwendigkeit einer Einbeziehung der Geschichte in die Rekonstruktion der Logik des Rechts. (2) Das Sollen: Der Prozess der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens besteht darin, die Identität des allgemeinen und besonderen Willens zu setzen. Dieser Konvergenzpunkt hat einen Resultatcharakter. Die begriffliche Genese dieses Prozesses hat daher eine Divergenz zwischen dem besonderen Willen und dem allgemeinen Willen zu ihrer Voraussetzung. Hegel analysiert die Erfahrung dieser Divergenz durch die Form des Sollens. Das Sollen setzt diese Divergenz als ein perennierendes, unaufhebbares Verhältnis: Die Ausführung dieses Sollens hat nicht eine Aufhebung des Bruchs zwischen dem gesetzgebenden Vernunft und der vorhandenen Wirklichkeit zur Folge. Dieser Bruch wird vielmehr vertieft und ins (schlechte) Unendliche überführt. Daher ist diese Stufe laut Hegel der »Standpunkt des Verhältnisses« (§ 108). Die Aufhebung der Divergenz ist nur durch eine Beschränkung und Relativierung dieses Standpunkts möglich. Durch diese Charakterisierung des Sollens gewinnt Hegel in den Grundlinien, im Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen, eine positive Stellungnahme zur praktischen Philosophie Kants. Er fasst sie als den Standpunkt der Moralität auf, und dadurch kann er das Spezifikum seiner Philosophie des objektiven Geistes hervorheben. Diese positive Rezeption der praktischen Philosophie Kants erklärt sich aus folgenden Gründen: Kant fasst den Willen als »praktische Vernunft« auf, d. h. als eine gesetzgebende Instanz. Die »praktische Vernunft« ist als die Tätigkeit der Gesetzgebung eine positive Beziehung auf die Allgemeinheit. Durch diese positive Stellungnahme nimmt Hegel in seiner Handlungstheorie nicht nur die von Aristoteles betonten Aspekte der Praxis (z. B. die Zurechnung) auf, sondern auch die Fragestellungen des neuzeitlichen Ansatzes der Kantischen Ethik, die auf die Begründung einer allgemeinen und notwendigen Verbindlichkeit zielen. Die Radikalität der praktischen Philosophie Kants ist zugleich ein Fortschritt in der

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Ausbildung des neuen Rechtsdenkens, denn sie fasst die »reine unbedingte Selbstbestimmung des Willens als die Wurzel der Pflicht« (§ 135) auf. (3) Die Idee des Zwecks: Durch die Erhebung der Person zur Gestalt der Subjektivität zeigt sich, dass die Tätigkeit des Willens zielgerichtet ist. Die Objektivierungsform der Handlung ist ein Zweckzusammenhang. Der Zweck ist nicht eine Instanz, die auf einer der Seiten der Subjekt-Objekt-Einheit steht, sondern der Inhalt, der sich gegen die Trennung zwischen beiden Formen der Einseitigkeit durchsetzt: »Die einfache Identität des Willens mit sich in dieser Entgegensetzung ist der sich in beiden gleichbleibende und gegen diese Unterschiede der Form gleichgültige Inhalt, der Zweck.« (§ 109) Diese innere Dialektik der »Idee« des Zwecks ist die Expansion und Erhaltung der Subjektivität in der Objektivität durch eine Beziehung auf den Willen anderer. Die Expansion der Subjektivität vollzieht sich durch eine Aufhebung der einseitigen Form der unmittelbaren Subjektivität. Diese Beziehung auf den Willen anderer nötigt zu einer Erhebung der unmittelbaren und partikulären Subjektivität zu einer allgemeinen Subjektivität: »Indem ich meine Subjektivität in Ausführung meiner Zwecke erhalte (§ 110), hebe ich darin als [in] der Objektivierung derselben diese Subjektivität zugleich als unmittelbare, somit als diese meine einzelne auf. Aber die so mit mir identische äußerliche Subjektivität ist der Wille anderer (§ 73).« (§ 112) Durch diese positive Beziehung auf den Willen anderer charakterisiert Hegel das Spezifikum der Freiheitsform dieser Stufe. Der Einzelwille hat auf der Stufe des abstrakten Rechts aufgrund ihrer Unmittelbarkeit hingegen »keine ausdrückliche Beziehung auf den Begriff« (§ 113). Die Verbindlichkeiten auf der Stufe des abstrakten Rechts bestimmen nur eine negative Beziehung auf den Willen anderer. Die Form der Pflicht auf der Stufe des abstrakten Rechts ist daher das Verbot. Diese positive Beziehung auf den Willen anderer auf der Stufe der Moralität ist auch in der gesamten Explikation des Rechts der subjektiven Freiheit immer in verwandelter Form zu finden, so enthält z. B. das »Recht des Wohls« das »Wohl auch anderer« (§ 125). Die Einbeziehung der Kategorie des Zweckes in den objektiven Geist führt zur Formulierung der Frage nach dem Zweck dieses Willens. Die Reflexion des Willens in sich ermöglicht, wie oben gesagt wurde, die Einbeziehung der Inhalte des natürlichen Willens. Der Inhalt, der als das letzte und höchste Ziel der Tätigkeit des Willens gilt, kann jedoch nicht die Form der Unmittelbarkeit haben. Dieser Inhalt muss in einer Allgemeinheit bestehen, die diese besonderen Inhalte übergreift. Er ist, wie in der »Einleitung« zu den Grundlinien dargestellt wird, die unendliche Form des Willens: »der freie Wille, der den freien Willen will« (§ 27). Auf der Stufe der Moralität ist das Gute das letzte und höchste Ziel der Tätigkeit des freien Willens. Die Ableitung des

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Guten aus der Relativierung der in Kollision geratenen Einseitigkeiten des Rechts und des Wohls zeigt den übergreifenden Charakter dieses allgemeinen Zwecks. Die Gestalt des Guten ist die vom Prozess der Moralität intendierte »Vereinigung« des allgemeinen und besonderen Willens. Darin zeigt sich der teleologische Charakter dieses übergreifenden Inhalts. Die Immanenz der Logik des Rechts besteht daher auch in der inneren Zweckmäßigkeit dieses Prozesses. Der Begriff des Guten in der Philosophie des objektiven Geistes ist, wie der Begriff des Schönen in der Philosophie der Kunst, eine konkrete Gestalt, die als solche nicht der Ausgangspunkt einer philosophischen Wissenschaft sein kann. Hegel zeigt außerdem, dass bestimmte Instanzen, die die praktische Philosophie Kants unmittelbar thematisiert, eine begriffliche Genese haben: (a) Die Selbstbestimmung des subjektiven Willens, die Kant als ein »Factum der Vernunft« (AA 5.31) darstellt, wird durch den Prozess der Reflexion des Willens in sich (auf der Stufe des abstrakten Rechts) begrifflich gewonnen. (b) Das Gute ist bei Hegel, im Gegensatz zum Kantischen Begriff des guten Willens, nicht eine unmittelbar erkennbare Instanz, sondern die Vollendungsgestalt des Prozesses der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens. Diese Leistung des Zwecks, den Bruch und die Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität zu überbrücken, erhält in der Neuzeit eine besondere Relevanz. Dieser Bruch wird in der Neuzeit durch die Trennung zwischen den subjektiven Beweggründen und der objektiven Qualität der Handlung vertieft. Er zeigt sich sowohl in der Ausdifferenzierung zwischen einem Recht der Subjektivität und einem Recht der Objektivität als auch in der Möglichkeit einer Kollision beider Rechte. Der geschichtliche Charakter dieses Bruchs lässt sich durch die Zurechnungstheorie veranschaulichen. In einer bewusstseinsgeschichtlichen Phase, in der noch keine Ausdifferenzierung zwischen Tat und Handlung erfolgt ist, besteht die Zurechnung wesentlich in einem kausalen Wirkungszusammenhang, in einer äußerlichen Verbindung mit der Objektivität (vgl. § 118). Aufgrund der Herausbildung des Rechts der Subjektivität wird die Zurechnung in einen Zusammenhang des Wissens und des Wollens transformiert. Nach der Anerkennung dieses Rechts der Subjektivität bleibt die Aufgabe, dieses Recht der Subjektivität mit dem Recht der Objektivität in Einklang zu bringen. Wenn die Zurechnung als ein Abwägen beider Rechte erkannt wird, ist die geschichtliche Gestaltung der Zurechnung zu einem ideellen Abschluss gekommen. Anhand dieser geschichtlichen Interpretation des Problems der Zurechnung kann die allgemeinere Problematik der Sphäre der Moralität verstanden werden: Die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens besteht in der Rückbindung des Rechts der

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Subjektivität an das Recht der Objektivität. Diese Rückbindung ist die ergänzende Bewegung der Reflexion des Willens in sich. Da die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens in einer Vermittlung zwischen dem Recht der Subjektivität und dem der Objektivität besteht, ist die Rekonstruktion dieses Prozesses untrennbar von der Frage nach dem Vernunftmodell, durch welches sich diese Vermittlung rekonstruieren lässt. Die Frage nach dem Vernunftmodell kann mit Jacobi auf folgende Weise formuliert werden: »hat der Mensch Vernunft; oder hat Vernunft den Menschen?« (JWA I/1.259) In Kants Tugendlehre findet man eine Aufnahme dieser Frage bezüglich des Tugendbegriffs: »die Tugend in ihrer ganzen Vollkommenheit betrachtet, wird also vorgestellt, nicht wie der Mensch die Tugend, sondern als ob die Tugend die Menschen besitze« AA VI.406). Auch bei Hegel findet man eine indirekte Verarbeitung dieser Frage im Abschnitt der Phänomenologie »Die Tugend und der Weltlauf« und in der Enleitung zur Begriffslogik »Vom Begriff im Allgemeinen« (vgl. GW 12.17). Selbstverständlich steht die Vernunft nicht auf einer der beiden Seiten. In der Sphäre des Rechts gibt es nur eine Vernunft, die die subjektive Vernunft (das Recht der Subjektivität) und die objektive Vernunft (das Recht der Objektivität) vermittelt. Die Frage ist daher, ob beide Seiten (beide Rechte) in Gleichberechtigung oder in einer hierarchischen Organisierung stehen. Der Begriff des Guten zeigt, dass die Vernunft nicht in einer Kollision gleichberechtigter Instanzen bestehen kann: »Das subjektive Recht des Selbstbewußtseins, daß es die Handlung unter der Bestimmung, wie sie an und für sich gut oder böse ist, wisse, muß mit dem absoluten Recht der Objektivität dieser Bestimmung nicht so in Kollision gedacht werden, daß beide als trennbar gleichgültig und zufällig gegeneinander vorgestellt werden, welches Verhältnis insbesondere auch bei den vormaligen Fragen über die wirksame Gnade zugrunde gelegt wurde.« (GPR § 140) Die Kollisionen stehen zueinander nicht in der Form einer Gleichberechtigung, sondern sie werden in einem System von Stufen hierarchisch organisiert (vgl. § 30) Die richtig formulierte Frage ist daher, wie diese Hierarchisierung zwischen beiden Rechten begrifflich zu rekonstruieren ist. Welches Recht zeigt sich in diesem Prozess als das übergreifende Moment? Es ist für diese Frage wesentlich, eine wertfreie Antwort zu gewinnen. Das Ziel ist hier nicht, eine gut gemeinte Vorstellung, sondern eine überzeugende Erklärung des Funktionierens des Rechts zu erhalten. Die Antwort auf diese Frage kann auch als eine Erläuterung der folgenden Frage betrachtet werden: Was bedeutet es, den freien Willen als (wahren) Geist zu begreifen? (vgl. § 29) Hegel rekonstruiert diese Hierarchisierung – die Durchsetzung eines Rechts als des übergreifenden Moments – durch eine begriffliche Entwick-

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lungslinie (vgl. §§ 137–141). Das Prinzip dieser Entwicklungslinie ist die Erhebung des subjektiven Rechts zum übergreifenden Moment. Der Inhalt dieser verfehlten Entwicklungslinie ist daher die interne Logik der falschen Antwort: eine Hierarchisierung beider Rechte zugunsten der subjektiven Seite. Der Ausgangspunkt der Entwicklungslinie ist die Hegelsche Unterscheidung zwischen Gewissen und Gesinnung (vgl. § 137). In den Grundlinien führt die innere Dialektik dieser verfehlten Entwicklungslinie zum sittlichen Recht, und in der Phänomenologie, wie Hegel erinnert (vgl. GPR § 137), zur Religion, die auch eine Gestalt der Sittlichkeit ist. Dieselbe Entwicklungslinie erhält in jedem Werk jedoch eine spezifische Bedeutung. In den Grundlinien wird diese Entwicklungslinie im Rahmen des Prozesses der Herausbildung eines allgemeinen Willens thematisiert. In der Phänomenologie ist der Rahmen hingegen der Prozess des Bewusstwerdens der »Widersprüche einer geistigen Wirklichkeitsauffassung« (vgl. Siep 2000, 210). Diese Entwicklungslinie enthält in den Grundlinien die folgenden Dimensionen: (1) das Selbstmissverständnis des Geistes; (2) die Dialektik der Moralität; (3) die begriffliche Genese des Bösen; (4) eine »Scheintheorie« der Tugend. (1) Das Selbstmissverständnis des Geistes: Das Recht der subjektiven Freiheit wird bei Hegel als »der Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit« aufgefasst. Hegel thematisiert dieses Recht und seine Explikation in mannigfaltigen Rechten als einen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. In der oben genannten Entwicklungslinie der Moralität thematisiert Hegel hingegen die zunehmende Verabsolutierung dieses Rechts als ein Selbstmissverständnis der Freiheit. Der allgemeine Prozess der Moralität ist also höchst ambivalent: Die Entstehung und Durchsetzung des Rechts der subjektiven Freiheit ist ein Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit und zugleich die Herausbildung »sich selbst verfehlender Gestalten der Subjektivität« (Jaeschke 2003, 384) Diese Zusammengehörigkeit zwischen einem Fortschritt in der Selbstverständigung des Geistes und einem »Verfall« aufgrund eines Selbstmissverständnisses des Geistes ist für die Hegelsche Geschichtsphilosophie konstitutiv. Die Ambivalenz ist nuancenreicher als der scheinbar nur optimistische Charakter der bekannten Formel der Philosophie der Weltgeschichte. Diese Ambivalenz wurde bereits hinsichtlich des Rechtzustandes in der Phänomenologie angedeutet: Die Entstehung eines Rechtszustandes ist eine Herausbildung der Rechtsperson, aber zugleich ein Heraustreten aus der Sittlichkeit. (2) Die Dialektik der Moralität: Der Kulminationspunkt dieser Erhebung des subjektiven Rechts zum übergreifenden Moment erweist sich paradoxerweise als der Konvergenzpunkt des Prozesses der Moralität: die Identität zwischen dem subjektiven und dem allgemeinen Willen. Die zunehmende Ver-

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absolutierung des subjektiven Rechts führt zu seiner Beschränkung und Relativierung, zu einer Unterordnung der Moralität unter die Sittlichkeit. Diese Dialektik der Moralität ist die konträre, aber komplementäre Bewegung der Dialektik des abstrakten Rechts. Die Dialektik des abstrakten Rechts besteht in der Herausbildung einer äußeren Sphäre der Freiheit ohne Betrachtung der Besonderheit (der inneren Beweggründe) der Person. Diese Besonderheit bereitet jedoch durch die Gestalten des Unrechts den Untergang und die Umkehrung des äußeren Rechts in inneres Recht vor. Die Dialektik der Entwicklungslinie der Moralität ist die Verabsolutierung des subjektiven Rechts durch das Insichgehen des Gewissens. In diesem Prozess wird die Objektivität zunehmend außer Acht gelassen. Auf den ersten Stufen findet man nur noch eine »Spur von Objektivität« (GPR § 140). Dieser Rest von Objektivität im Gewissen wird zunehmend bis zu dem Punkt ausgedünnt, an dem die Objektivität in eine subjektive Willensentscheidung transformiert wird: »Aber diese objektive Frage fällt hier hinweg, oder vielmehr ist es die Subjektivität des Bewußtseins selbst, deren Entscheidung das Objektive allein ausmacht.« (ebd.) Die Objektivität des Rechts bereitet jedoch langsam und verborgen den Untergang und die dialektische Umkehrung des Rechts des subjektiven Willens in das sittliche Recht vor, in dem die Objektivität sich als das übergreifende Moment (vgl. § 141) durchsetzt. (3) Die begriffliche Genese des Bösen: Die Darstellung dieser neuzeitlichen Verfallsgeschichte ist auch von systematischem Interesse. Sie ermöglicht die Einführung der Kategorie des Bösen und dadurch die Rekonstruktion der gesamten Sphäre der Moralität, denn diese Sphäre umfasst nicht nur das Moralisch-Gute, sondern sie ist der von der Natur unterscheidbare Bereich des »esse morale« (vgl. § 108). Die formelle Reflexion des Gewissens, die im Gegensatz zum allgemeinverbindlichen Willen steht, schlägt ins Böse um. Durch diese Ableitung des Guten und des Bösen, der gesamten Sphäre der normativen Wirklichkeit aus der Tätigkeit des freien Willens gewinnt Hegel eine Begründung der Erhebung des freien Willens zur letzten Quelle aller Bestimmtheit: »an der für sich seienden, für sich wissenden und beschließenden Gewißheit seiner selbst haben beide, die Moralität und das Böse, ihre gemeinschaftliche Wurzel« (§ 139). Der Kulminationspunkt dieses Prozess ist die Stufe, auf der kein objektives Urteil mehr möglich ist. Es gibt kein Böses mehr, aber gerade aus diesem Grund ist diese vollendete Verabsolutierung der Subjektivität »das in sich ganz allgemeine Böse«: »Diese Gestalt ist nicht nur die Eitelkeit alles sittlichen Inhalts der Rechte, Pflichten, Gesetze, – das Böse, und zwar das in sich ganz allgemeine Böse –, sondern sie tut auch die Form, die subjektive Eitelkeit, hinzu, sich selbst als diese Eitelkeit alles Inhalts zu wissen und in diesem Wissen sich als das Absolute zu wissen.«

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

(§ 140) Diese Formulierung ist eine Nachahmung der Kantischen Transformation des Hobbesschen Naturzustandsgedankens: Der Naturzustand ist der Zustand der Rechtlosigkeit und daher ist das Verharren in diesem Zustand Unrecht »im höchsten Grade« (AA VI.307). (4) Die Scheintheorie der Tugend: Die Rechtfertigung der Gewissensurteile durch das subjektive Gute depotenziert die Erscheinung des Rechts zum Schein. Denn diese dem Wesen der Freiheit unangemessene Daseinsform nimmt dem Rechtsbegriff ihre Gültigkeit und reduziert das Recht (hier die Tugend) auf etwas Unwesentliches: »Das Böse als die innerste Reflexion der Subjektivität in sich gegen das Objektive und Allgemeine, das ihr nur Schein ist, ist dasselbe, was die gute Gesinnung des abstrakten Guten, welche der Subjektivität die Bestimmung desselben vorbehält; – das ganz abstrakte Scheinen, das unmittelbare Verkehren und Vernichten seiner selbst.« (EPW § 512) Hinsichtlich des Bösen formuliert Hegel auf der Stufe der Moralität erneut, wie schon hinsichtlich des Unrechts auf der Stufe des abstrakten Rechts, die Notwendigkeit der Einbeziehung einer Scheintheorie in die immanente Logik des Rechts. Auf dieser Stufe thematisiert die Scheintheorie die Herabsetzung der Tugend zu etwas bloß Subjektivem, Unwesentlichem: Die Herabsetzung vollzieht sich entweder durch die Reduktion der Objektivität der Tugend auf eine Beziehung auf das Bewusstsein anderer (Heuchelei) oder durch die absolute Negation dieser Objektivität, die Reduktion der Tugend auf eine subjektive Willensentscheidung. Die Wiederherstellung der Objektivität der Tugend setzt den Untergang dieser verfehlten Gestalten der Subjektivität und die Überleitung in das sittliche Recht voraus: Die Erhebung des Gewissens zur »Gesinnung« durch die Stabilisierung des Rechts der Objektivität. Diese Stabilisierung vollzieht sich nicht durch Zwang, wie auf der Stufe des abstrakten Rechts, sondern durch einen geschichtlichen und kollektiven »Lernprozess«, durch Bildung. Unter diesem »Lernprozess« ist hier die kollektive Erfahrung der Realgeschichte zu verstehen, die eine Wirkung auf die Bewusstseinsgeschichte hat, wie z. B. die Erfahrung der konfessionellen Bürgerkriege, die »terreur« in der Französischen Revolution, die Erfahrung der Dialektik einer Gesinnungsethik (der erörterte Umschlag ins Böse) usw. Damit zeigt sich erneut deutlich, dass die gesamte Sphäre des Rechts sich nicht einfach durch den Zwang definieren lässt. Nach der Analyse dieser Entwicklungslinie kann die von Jacobi formulierte Frage nach dem Vernunftbegriff auf folgende Weise beantwortet werden: Es gibt nur eine Vernunft, die beide Seiten – die beiden Rechte: das »Recht der subjektiven Freiheit« und »das Recht der Objektivität« – vereinigt. Beide Rechte stehen nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern in einer Hierarchisierung. Diese Vermittlung vollzieht sich zugunsten des Rechts der

13.2 Die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens

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Objektivität. Die Begründung dieser Hierarchisierung zugunsten der allgemeinen Objektivität besteht in der Analyse der rechtswidrigen Folgen einer Hierarchisierung zugunsten der besonderen Subjektivität, in der Erkenntnis der Notwendigkeit der Nicht-Anerkennung der unterschiedlichen Gestaltungen dieses Selbstmissverständnisses der subjektiven Freiheit. Denn sie setzen die Rechtsbestimmungen außer Kraft. Darin zeigt sich, dass eine Hierarchisierung zugunsten des Rechts der Objektivität eine wesentliche Funktionsbedingung der Produktion und Stabilisierung einer Sphäre des Rechts ist. Diese Hierarchisierung ist, wie die Organisierung des Inhalts der Rechtsphilosophie in einem System von Stufen, eine wertfreie Rekonstruktion des Funktionierens der Logik des Rechts. Ohne diese Hierarchisierung gäbe es kein Recht. Die Frage Jacobis nach dem Vernunftbegriff lässt sich, wie gesagt, in Bezug auf den Begriff der Tugend stellen: Besitzt der Mensch die Tugend oder die Tugend den Menschen? In dieser Fragestellung muss auch die Hierarchisierung zugunsten der Objektivität zur Geltung gebracht werden. Hegel formuliert die Antwort prägnant. Die Tugend ist die Rechtschaffenheit: »Das Sittliche, insofern es sich an dem individuellen durch die Natur bestimmten Charakter als solchem reflektiert, ist die Tugend, die, insofern sie nichts zeigt als die einfache Angemessenheit des Individuums an die Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört, Rechtschaffenheit.« (GPR § 150) Das tugendhafte Gewissen (in Hegels Terminologie die »Gesinnung«) ist dasjenige, das in der Objektivität seine Erfüllung und Wahrheit gewonnen hat (vgl. § 153). Die Geltung dieser Objektivität des Rechts vollzieht sich, wie gesagt, nicht nur durch Zwang, sondern im Wesentlichen durch »Bildung«. Daher verweist Hegel auf die in der Antike formulierte Frage nach der besten Form, ein Individuum durch Erziehung zur Tugend zu erheben: »Auf die Frage eines Vaters nach der besten Weise, seinen Sohn sittlich zu erziehen, gab ein Pythagoreer (auch anderen wird sie in den Mund gelegt) die Antwort: wenn du ihn zum Bürger eines Staats von guten Gesetzen machst.« (ebd.) Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Prozess der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens (»volonté générale«) sich als eine Sequenz von zwei Phasen gezeigt hat: die Reflexion des Willens in sich (die Entstehung des Rechts des subjektiven Willens) und die Rückbindung dieses Rechts an die allgemeine Objektivität des Rechts durch die Herausbildung von Institutionen (die Überleitung in das sittliche Recht). Die Fortsetzung der vorliegenden Analyse der immanenten Logik des Rechts muss daher in einer Analyse des Funktionierens der gesellschaftlichen Institutionen bestehen.

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen Der Terminus »Institution« bezeichnet, wenn er in einem engeren Sinne verwendet wird, eine spezifische Gestalt des Rechts. Diese spezifische Rechtsgestalt besteht weder in einer »besonderen« Gestalt (wie es z. B. das Gewissen ist) noch in einer instabilen und noch subjektiven »Allgemeinheit«. Die Allgemeinheit des Vertrags, die durch die Gestaltungsmöglichkeit der privatautonomen Person gesetzt wird, ist nur ein Gemeinschaftliches zwischen einzelnen Subjekten. In diesem engeren Gebrauch steht der Terminus »Institution« für diejenigen Rechtsgestalten, die die allgemeine »Objektivität« des Rechts ausmachen. Das Spezifikum dieser Rechtsgestalten lässt sich hinsichtlich ihrer Funktionen definieren. Da die Institutionen in einer allgemeinen Objektivität bestehen, lassen sich die für sie charakteristischen Funktionen nicht von einzelnen Subjekten ausüben. Nur Institutionen sind z. B. der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung fähig. Selbstverständlich erfordert die Wirkungsweise der Institutionen die Handlungen der einzelnen Subjekte. Die Institutionen sind in diesem Sinne eine Handlungsweise. Die interne Logik dieser Handlungen lässt sich jedoch nicht durch die privatautonome Gestaltungsmöglichkeit der einzelnen Subjekte rekonstruieren, sondern nur durch die immanente Logik der Institutionen. Die Bestimmungen dieser Funktionen werden nicht von den einzelnen Subjekten gesetzt, sondern sie sind für die immanenten Vernunftstrukturen der Institutionen konstitutiv. Die Handlungen der einzelnen Subjekte setzen nur diese Strukturen in Bewegung und bestätigen ihre interne Logik. Diese funktionellen Instanzen, die die allgemeine Objektivität des Rechts ausmachen, stehen daher in einem bestimmten Verhältnis zu den einzelnen Subjekten. (1) Dieses Verhältnis lässt sich einerseits anhand der folgenden Punkte negativ bestimmen: (a) Die Institutionen sind der unmittelbaren Disposition der einzelnen Subjekte entzogen. Diese Bestimmung des Institutionsbegriffs manifestiert sich deutlich im Gefahrenpotential der Rechtsvorstellungen, die ganz elementare Bestimmungen dieser immanenten Vernunftstrukturen außer Kraft setzen wollen. (b) Die Entstehung und Durchsetzung dieser Institutionen vollzieht sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Die Institutionen sind nicht das Resultat bewusster Akte. (c) Die Entstehung der Institutionen vollzieht sich durch die Herausbildung übergreifender Zwecke und Interessen. Da diese Interessen über die unmittelbaren Interessen hinausgehen, setzen sich diese in den Institutionen

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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verkörperten Interessen auch gegen die besonderen Interessen einzelner Subjekte durch. Das Ziel der Institutionen beschränkt sich daher nicht auf die Sicherung der Person und des Eigentums. Das Allgemeine der Institutionen kann sogar, wie oben gezeigt wurde, die Aufopferung der Besonderheit (der Person und des Eigentums) in Anspruch nehmen. (2) Andererseits ist das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen auch positiv zu bestimmen. Das Individuum hat sein geistiges und »moralisches« Sein (in dem Sinne von »esse morale«, vgl. GPR § 108; EPW § 503), sein »Selbst« (seine sittliche Person) nur als Mitglied dieser Institutionen. Dies zeigt sich in folgenden Punkten: (a) Das Individuum vollzieht seine Tätigkeiten weder unmittelbar noch isoliert. Dies lässt sich anhand der moralischen Einsicht in das Gute andeuten. Sie erfordert einen Prozess der Selbstverständigung des Geistes. Diese Selbstverständigung ist nicht eine subjektive und unmittelbare Reflexion, sondern sie ist zugleich durch objektive Prozesse und subjektive Konstitutionsakte vermittelt. Der geschichtliche Prozess der Institutionalisierung ist ein notwendiges Moment in der Selbstverständigung des Geistes. Die Selbstverständigung des Geistes und die Einsicht in das Gute müssen diesen Umweg durchlaufen. Diese Tätigkeiten vollziehen sich daher weder unmittelbar noch in der Reflexion eines einzelnen Subjekts, sondern sie setzen eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität voraus. Im Bereich des Rechts machen die Institutionen diese durch das Subjekt konstituierte Objektivität aus. Eine Geschichte des Rechtsbewusstseins (die Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit) setzt eine Geschichte der Institutionen voraus. Dieses Wissen lässt sich nicht unmittelbar durch die subjektive Vernunft (wie die »recta ratio« des Naturrechts) gewinnen. (b) Der Inhalt der subjektiven Reflexion wird nicht durch die Tätigkeit des einzelnen Subjekts gesetzt. Das einzelne Subjekt setzt den Inhalt und die Gültigkeit der Bestimmungen voraus, mit denen es operiert. Das einzelne Subjekt kann nicht die letzte Quelle aller Bestimmtheit im Seinsbereich des »esse morale« sein. Die Reduktion der Bestimmungen des »esse morale« auf Setzungen eines einzelnen Subjekts würde diesen Vernunftbestimmungen ihre Gültigkeit nehmen. Die Wurzel des Inhalts und der Gültigkeit dieser Bestimmungen liegt in der Welt der Institutionen. Die Analyse der Institutionen als Funktionsbedingungen der Verwirklichung und Stabilisierung des Rechts zeigt, dass diese Institutionen ein systematisches Ganzes konstituieren. Die Funktionen der einzelnen Institutionen wirken nicht nebeneinander, sondern ihre Wirksamkeit ist voneinander abhängig. Die Institutionen wirken als ein einheitlicher »Mechanismus«. Die Geltung und Wirksamkeit der Funktionen der Institutionen (Gesetzgebung,

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

Rechtsprechung, Bestrafung usw.) erfordern ihr Zusammenwirken. Ein System von positiven Gesetzen, das nicht durch ein System von Sanktionen verstärkt wird, ist »nichtig«, im doppelten Sinne von ungültig und unwirksam. Die Funktionen sind daher voneinander untrennbar. Die Institutionen, die als Träger dieser Funktionen gelten, machen eine Totalität aus: ein System von Gesetzen und Einrichtungen. Aus dieser systematischen Vereinigung von Funktionen lassen sich die Interdependenz der Institutionen und die interne Gliederung dieser Totalität erklären. Der Institutionsbegriff lässt sich aus der Analyse der Funktionsbedingungen der Entwicklung und Stabilisierung der allgemeinen Objektivität des Rechts gewinnen. Aus der Interdependenz dieser Funktionen und der Institutionen, die Träger dieser Funktionen sind, lässt sich auch ein Verfassungsbegriff gewinnen. Die Institutionen machen die Verfassung aus. Der Vernunftgehalt des Verfassungsbegriffs ist die Vernünftigkeit einer in sich gegliederten Totalität. Diese konkrete Wirklichkeit entsteht aus einem Prozess der Selbstunterscheidung der allgemeinen Sphäre des Rechts. Die Institutionenund Verfassungslehre sind daher untrennbare Gegenstände einer Rechtsphilosophie, die die immanente Logik des Rechts thematisiert. Aus dieser Rekonstruktion des Institutions- und Verfassungsbegriffs versteht sich, welcher Inhalt in den Souveränitätslehren zu finden ist. Die Analyse der Souveränität und die pauschale Rede des Souveräns thematisiert sowohl die berechtigten Funktionen der Institutionen als auch die immanent in sich gegliederte Vernunftstruktur des Staates, die die Verfassung der neuzeitlichen Rechtsordnung ausmacht. In der Hervorhebung einer Souveränitätslehre in den neuzeitlichen Theorien zeigt sich die Relevanz einer Institutionen- und Verfassungslehre für die begriffliche Rekonstruktion der immanenten Logik des Rechts. Wenn man die Institutionen durch das Prinzip des freien Willens zu rekonstruieren versucht, lässt sich die Notwendigkeit dieser Instanzen auf folgende Weise ableiten. Ein isolierter Wille ist nicht rechtserzeugend. Nur durch eine Vereinigung freier Willen kann diese Tätigkeit als die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse fungieren. Nur bestimmte Gestalten des freien Willens können diese Funktionen vollziehen. Die Menschen bringen Institutionen nur deshalb hervor, weil nur diese der Rechtserzeugung fähig sind. Durch diese Vereinigung bestimmter Funktionen (Gesetzgebung, Rechtssprechung, Bestrafung usw.) kann die Rechtserzeugung zustande kommen. Der Naturzustand charakterisiert sich durch ein »defectum mensurae certae« (OL 2.116). Die Menschen produzieren die Institutionen, denn nur sie können eine »mensura certa« setzen und stabilisieren. Die Herausbildung der Institutionen kann als eine interne Forderung der immanenten Produktionslogik

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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des Rechts rekonstruiert werden, obwohl dieses Produzieren, wie sich unten zeigen wird, nicht in einer unmittelbaren Produktion, in einem »Machen« besteht. Die Rekonstruktion der Institutionen als eine Gestalt des freien Willens erfordert die Herausbildung eines komplexen Begriffsinstrumentariums für eine angemessene Rekonstruktion der Logik der objektivierten Freiheit. Die Rekonstruktion der Institutionen durch das Rechtsdenken, das den freien Willen zum einzigen Rechtsprinzip erhebt, operiert mit den folgenden Annahmen eines neuzeitlichen Freiheitsbegriffs: (a) Der neuzeitliche Primat des Rechts: Die Berechtigung des freien Willens ist von der Erfüllung einer Pflicht unabhängig. Die Pflichten sind vielmehr aus der ursprünglichen Berechtigung des freien Willens abzuleiten. Hegel formuliert diesen Primat des Rechts auf folgende Weise: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen« (GPR § 36) Dieser Begründungsgang ist eine neue Konstellation des Rechtsdenkens. (b) Das neuzeitliche Prinzip der Subjektivität und selbstbewussten Freiheit: Dieses Prinzip existiert in der neuzeitlichen Welt nicht mehr nur als »unruhige Beweglichkeit« (§ 355) oder als eine besondere Gestalt (z. B. das Gewissen), sondern als ein notwendiges Vermittlungsmoment in der Verwirklichung und Entwicklung des Vernünftigkeit der Institutionen. Dieses Prinzip ist in der Neuzeit auch für die Objektivität des Rechts konstitutiv. Aus der Betrachtung beider geschichtlich gesättigten Annahmen wird deutlich, dass der Gegenstand des neuzeitlichen Rechtsdenkens eine Verfassung ist, die die allgemeine Objektivität des Rechts und das Prinzip der Subjektivität zu vereinbaren versucht (vgl. § 185). Die Rekonstruktion der Institutionen und der Verfassung des neuzeitlichen Staates durch die Tätigkeit des freien Willens hat die Formulierung ambivalenter und paradoxaler Gedanken zur Folge, wie sich unten zeigen wird. Der Grund aller dieser Ambivalenzen und Paradoxien liegt in der Begründung der Vereinbarkeit zwischen der Erhebung der Freiheit zum Prinzip aller Rechtsgestalten (und somit der Institutionen und der Verfassung) und dem negativen Verhältnis der Individuen zu den Institutionen: (a) Die Individuen sind einerseits an bestimmte Institutionen gebunden, die, wie oben gesagt wurde, der Disposition der Individuen entzogen sind. Sie sind nicht das Produkt bewusster Willensakte. Das Wichtigste vollzieht sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Die Institutionen nehmen unter bestimmten Bedingungen die Aufopferung der Freiheit des Einzelnen zugunsten übergreifender Zwecke und Interessen in Anspruch, wie sich im Militärwesen am deutlichsten zeigt. (b) Diese Bindung der Individuen an die Institutionen ist andererseits eine Selbstbindung des Willens. Die äußere Welt des Rechts fließt aus dem Innersten, aus der Spontaneität des freien Willens. Diese machthabende

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

Allgemeinheit ist nicht ein Fremdes, das sich nur durch Gewalt erhält, sondern eine Gestalt, die aus der immanenten Logik der Verwirklichung und Explikation der Freiheit entsteht. Ohne eine überzeugende Begründung aller Ambivalenzen und Paradoxien, die aus der Vermittlung beider berechtigten Momente entstehen, lässt sich eine konsequente Durchführung des neuen Rechtsdenkens nicht gewinnen. Die Ambivalenzen und Paradoxien, die für dieses neue Rechtsdenken konstitutiv sind, müssen durch eine Vertiefung und Bereicherung des Freiheitsbegriffs begründet werden. Der Freiheitsbegriff anderer Theorien, die auch die Tätigkeit des freien Willens als das Rechtsprinzip aufgestellt haben, ist für die Rekonstruktion der Welt des Rechts unzureichend. Das neue Rechtsdenken als eine konsequente Denkweise zu gewinnen, erfordert eine angemessenere Auffassung des Begriffs des freien Willens. Nach Hegel liegt sie in der Auffassung des freien Willens nicht als Wille des Einzelnen, sondern als »wahrer Geist« (vgl. § 29). Das Programm der Rekonstruktion der Sphäre des Rechts durch das immanente Prinzip des freien Willens qua »wahrer Geist« ist nicht das Resultat einer internen Forderung der Geistesphilosophie. Die Notwendigkeit der Rekonstruktion des Begriffs des freien Willens als Geist erklärt sich nicht aus einem metaphysischen Apriori, sondern vielmehr aus den Insuffizienzen der Durchführungen des neuen Rechtsdenkens, die mit einer anderen Auffassung des freien Willens operieren. Die Ansätze, die den freien Willen auf eine subjektive Vernunft, auf die Selbstbestimmung des Einzelwillens reduzieren, können die Entstehung einer Welt der Freiheit durch die Herausbildung von Institutionen nicht begrifflich rekonstruieren. Das Begriffsinstrumentarium einer geistesphilosophischen Willenstheorie kann die Insuffizienzen der anderen Durchführungen vermeiden. Darin soll sich die Leistungsfähigkeit der Geistesphilosophie im Bereich des Rechts zeigen. Der objektive Geist ist nicht eine metaphysische, vorkritische Instanz, sondern ein System von geistigen Tätigkeiten und Produkten, das die gesamte Sphäre des Rechts ausmacht. Der Geist ist »actus purus« und hat kein Dasein außerhalb dieser Akte. Der objektive Geist ist eine Auffassung der Tätigkeit des freien Willens, durch welche sich die verfehlten Annahmen und die manifesten Insuffizienzen vorheriger Willenstheorien korrigieren lassen. Das Recht ist eine Gestalt des Geistes und als solche eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Wollens. Da diese Gestalt des Geistes durch die Tätigkeit des freien Willens zu rekonstruieren ist, hat die Auffassung der Tätigkeit des freien Willens viele Folgen in der Rekonstruktion des Rechtsbegriffs. Fasst man den freien Willen als »praktische Vernunft«, d. h. als eine gesetzgebende Instanz auf, erscheint das Recht als ein Ausgleich der Interessen der einzelnen Subjekte durch Maximen, die die Form der Allgemeinheit besitzen. Wel-

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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cher Rechtsbegriff folgt aus der Auffassung des freien Willens als Geist? Der Rechtsbegriff ist nach der Geistesphilosophie die Verwirklichung einer im Begriff der Freiheit liegenden Struktur: »Gegen das Prinzip des Einzelwillens ist an den Grundbegriff zu erinnern, daß der objektive Wille das an sich in seinem Begriffe Vernünftige ist, ob es von einzelnen erkannt und von ihrem Belieben gewollt werde oder nicht: – daß das Entgegengesetzte, das Wissen und Wollen, die Subjektivität der Freiheit, die in jenem Prinzip allein festgehalten ist, nur das eine, darum einseitige Moment der Idee des vernünftigen Willens enthält, der dies nur dadurch ist, daß er ebenso an sich, als daß er für sich ist.« (§ 258; Hervorh. A.B.) Die Vernunft des Rechts ist keine subjektive Vernunft, die einen Anspruch auf die Gestaltung der Wirklichkeit erhebt und durch die Wirkung sich verfehlender Gestalten der Subjektivität, durch ein Selbstmissverständnis der Freiheit diese Wirklichkeit gefährden kann, sondern sie ist die wirkende Vernunft einer Welt. Die Rechtsbestimmungen verlieren außerhalb dieser Objektivität ihre Gültigkeit. Die objektive Vernunft des Rechts ist eine konkrete Wirklichkeit, die aus der Verwirklichung und Entwicklung der Freiheitsbestimmungen »zusammenwächst«. Durch diesen immanenten Prozess wird der Freiheitsbegriff zu seinem Dasein und seiner Gültigkeit gebracht. Die Binnendifferenzierung der Institutionen liegt in einem Prozess, in dem die Momente des Begriffs der Freiheit eine ausdifferenzierte und adäquate Wirklichkeit erhalten. Die Binnendifferenzierung des Rechts ist eine Manifestation dieser immanenten Explikation und Systematisierung der Momente, die im Begriff des freien Willens liegen. Die Herausbildung der Institutionen ist ein immanenter Prozess der Verwirklichung und Entwicklung der Freiheit, der sich adäquat rekonstruieren lässt, wenn man den freien Willen als Geist auffasst. Daher zeigt sich auf der Stufe der Sittlichkeit die Relevanz der geistesphilosophischen Charakterisierung des freien Willens in der »Einleitung« zu den Grundlinien: Der freie Wille als Geist ist »der freie Wille, der den freien Willen will« (§ 27). Die Freiheit, die das ganze Wesen des Willens ausmacht, ist nicht nur die Spontaneität der Selbstbestimmung. Die Erhebung der Freiheit zum Rechtsprinzip besagt nicht nur, dass alle Rechtsverhältnisse aus der Freiheit hervorgehen. Sie besagt auch, dass die immanente Produktionslogik des Rechts auf die Freiheit gerichtet ist. Der freie Wille setzt seine Form (die Unendlichkeit bzw. die Selbstbeziehung der Subjektivität) als immanentes Ziel, als den »eigenen« Willensinhalt. Könnte sich unsere Geistigkeit nur auf »vorgefundene« Inhalte richten, könnte von Selbstbestimmung nicht die Rede sein. Das Prinzip des Rechts ist der sich selbst wollende Wille. Das Recht ist eine immanente Logik der Freiheit nicht nur deshalb, weil das Recht immer ein »Recht der Menschen« ist, sondern auch, weil dieser Verwirklichungsprozess

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

ein »Zusichkommen« der Freiheit ist. Das Resultat dieses Prozesses ist die Freiheit des »Beisichseins«, die für die Seinsweise des Geistes konstitutiv ist. Der Geist hat kein anderes »Sein« als seine Tätigkeiten und diese sind auf sich selbst gerichtet. Das Prinzip des objektiven Geistes ist der sich selbst wollende Wille und der Vernunftgehalt dieser objektiven, schon verwirklichten Vernunft ist »der zur vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbewusstseins gewordene Begriff der Freiheit« (§ 142). Die Institutionen sind ein immanentes Ziel des Willens und eine Selbstverständigung der Freiheit. Sie sind ein notwendiger Umweg des Wissens von sich des Geistes, denn der Geist kann sich nur in seinen Vergegenständlichungen (hier in den Institutionen) erkennen. Daher ist die Sittlichkeit der systematische Ort für die Überleitung in die Sphäre des absoluten Geistes, in der die Freiheit des »Beisichseins« sich in ihrer Vollgültigkeit zeigt. Diese durch Institutionen vermittelte Selbstbeziehung des Rechts (als Gestalt des Geistes) ist eine Notwendigkeit, die im Begriff der Freiheit selbst liegt. Die Auffassung der Institutionen als eine immanente Logik der Freiheit bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Institutionen sich analytisch aus dem Begriff des freien Willens ableiten lassen. Eine solche Interpretation der Immanenz dieser Logik wäre ein großes Missverständnis, denn die Immanenz besteht nicht in einem solchen Apriorismus, sondern darin, dass das Recht Anstöße fremder Systeme und fremder Triebkräfte nach internen »Gesetzen« verarbeitet. Die staatlichen Institutionen sind ohne das System der bürgerlichen Gesellschaft und seine Triebkräfte nicht rekonstruierbar. Die Rekonstruktion der Institutionen als Gestalten der Freiheit erfordert eine Vertiefung und Bereicherung des Freiheitsbegriffs: die Auffassung der Freiheit als eine Gestalt des Geistes, die zur Wirklichkeit einer Welt geworden ist. Hegel thematisiert diese Gestalt der Freiheit bekanntlich im Bereich der »Sittlichkeit«. Durch eine solche systematische Fundierung des Freiheitsbegriffs kann man eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens gewinnen und die Insuffizienzen der Durchführungen, die mit einer anderen Freiheitsauffassung operieren, vermeiden. Die systematische Fundierung dieser Gestalt der Freiheit erfordert, wie Hegel erkannt hat, die folgenden Aspekte des Freiheitsbegriffs zu rekonstruieren: (13.3.1) die Paradoxien der sittlichen Freiheit; (13.3.2) die »organische« Struktur der sittlichen Freiheit.

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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13.3.1 Die Paradoxa der sittlichen Freiheit Die Rekonstruktion der Institutionen durch einen Freiheitsbegriff hat die Formulierung paradoxaler und ambivalenter Gedanken zur Folge. Diese Paradoxien entstehen nicht aus innersystematischen Forderungen der Hegelschen Geistesphilosophie, sondern aus der Widersprüchlichkeit sowohl der »Substantialität« der sittlichen Welt (des »esse morale«) als auch der modernen Verfassungen. Die Stärke der Philosophie des objektiven Geistes liegt gerade darin, dass sie diese Widersprüchlichkeit ins Bewusstsein hebt. Die Geistesphilosophie enwickelt Begriffsmitttel, die einer begrifflichen Rekonstruktion dieser Paradoxien fähig sind. Ohne die Rekonstruktion dieser Paradoxien kann eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens nicht erreicht werden. In der vorliegenden Untersuchung werden die folgenden Paradoxien angedeutet: (I) der freie Wille setzt eine (zweite) Natur aus sich selbst; (II) in der Welt der Institutionen setzt sich eine »Notwendigkeit« des freien Willens durch; (III) das Prinzip der modernen Staaten ist »das Prinzip der Subjektivität und selbstbewussten Freiheit«; (IV) die Verfassungen sind das Werk und Tun aller, aber kein »Gemachtes«.

(I) Der freie Wille setzt eine (zweite) Natur aus sich selbst In dieser Formulierung findet man eine Relativierung des traditionellen Gegensatzes zwischen φύσις und τέχνη: »Die natürlichen Dinge bleiben wie sie sind, haben sich nicht vom Gesetz losgemacht, um sich selbst Gesetze zu machen. Der Geist aber reißt sich von der Natur los und erzeugt seine Natur, seine Gesetze selbst.« (Ig 1.239) Die setzende Tätigkeit des Menschen besteht nicht mehr nur in einer unmittelbaren Produktion, in einem »Machen«, sondern sie konstituiert eine Gesamtordnung. Das Gesamtphänomen dieser Ordnungsstruktur wird bei Hegel sowohl als Welt als auch als »Natur« bezeichnet: »der zur vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbewußtseins gewordene Begriff der Freiheit« (§ 142). Diese Ambivalenz liegt in den folgenden Punkten: (a) Der »Naturcharakter« der »sittlichen Mächte« (§ 145) liegt in ihrer »Selbständigkeit«, in ihrer Widerständigkeit. Sie haben »eine absolute, unendlich festere Autorität und Macht als das Sein der Natur« (§ 146). Trotz dieser ähnlichen Erscheinungsweise gilt in dieser Gestalt der Freiheit die allgemeine Unterscheidung zwischen der »Idee der Natur« (vgl. EPW) und der »Idee des Geistes« (vgl. EPW): »Die Autorität der sittlichen Gesetze ist

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unendlich höher, weil die Naturdinge nur auf ganz äußerliche und vereinzelte Weise die Vernünftigkeit darstellen, und sie unter der Gestalt der Zufälligkeit verbergen.« (GPR § 146) (b) Diese sittlichen Mächte als Stufen des Geistes sind daher »dem Subjekt nicht ein Fremdes, sondern es gibt das Zeugnis des Geistes, von ihnen als von seinem eigenen Wesen, in welchem es sein Selbstgefühl hat« (§ 147). Diese Gesamtordnung ist eine Natur höherer Art, eine »vergeistigte Natur« (Peperzak 1997, 171). Der Geist ist eine Dialektik, die von der Natur zur Freiheit treibt. Die Vergeistigung der Natur besteht daher nicht in einer Ablösung, denn die Natur lässt sich von der »Welt des Geistes« nicht wegdenken. Die Vergeistigung liegt vielmehr in einem Prozess der »Befreiung« durch die Herabsetzung der Naturverhältnisse zur Modalität eines Moments (§ 149). Darin zeigt sich der Zwischencharakter der Gestalten der »sittlichen« Freiheitsform, die zugleich durch Naturmomente und Willensakte konstituiert sind. In diesem Sinn ist die geistesphilosophische Willenstheorie ein Vermittlungsmodell. Durch diese Freiheitsauffassung überwindet Hegel Insuffizienzen, die notwendigerweise aus den folgenden Gegensätzen entstehen. Einige Insuffizienzen entstehen aus den Entgegensetzungen zwischen Naturalismus und Konstruktivismus. Das neue Rechtsdenken operiert notwendigerweise mit einem Dualismus, denn es erklärt die Herausbildung einer nicht-natürlichen Sphäre. Nur aufgrund der Tätigkeit des freien Willens können die Naturbestimmungen einen Rechtscharakter erhalten. In dieser immanenten Produktionslogik des Rechts steht der freie Wille nicht in einem äußerlichen Verhältnis mit der »Natur«, wie es bei der Produktion eines Artefaktes der Fall ist, z. B. ist der Körper Träger der Person (ein »Zeichen des Geistes«) und als solcher ein ursprünglich berechtigtes Dasein der Freiheit. Andere Insuffizienzen entstehen aus den Entgegensetzungen eines unzureichenden Subjektivismus und eines naiv-realistischen Objektivismus. Die »objektiven« Prozesse innerhalb der Sphäre des Geistes lassen sich nicht ohne subjektive Konstitutionsakte begreifen. Die »Welt des Rechts« ist eine durch das Subjekt konstituierte Objektivität, die jedoch einer freien Disposition entzogen ist. Die Objektivität des Rechts ist eine äußere Welt, die aus dem Innersten (aus der Subjektivität) hervorgeht.

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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(II) In der Welt der gesellschaftlichen Institutionen setzt sich eine Notwendigkeit des freien Willens durch Alle Gestalten des Rechts fließen aus dem Innersten, aus der Spontaneität des freien Willens. Die Freiheit, die in den gesellschaftlichen Institutionen eine »Festigkeit« gewonnen hat, konstituiert eine Welt. Die Rekonstruktion der Vernünftigkeit und Freiheit der gesellschaftlichen Institutionen erfordert die Rekonstruktion dieser Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit: »Die Freiheit, zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, erhält die Form von Notwendigkeit, deren substantieller Zusammenhang das System der Freiheits-Bestimmungen und der erscheinende Zusammenhang als die Macht, das Anerkanntsein, d.i. ihr Gelten im Bewußtsein ist.« (EPW § 484) Die objektivierte Freiheit der Institutionen ist daher ein »Kreis der Notwendigkeit« (GPR § 145). Diese Notwendigkeit enthält eine normative Dimension, denn sie wird nicht durch äußere Fakten konstituiert, sondern sie ist eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität der Freiheit, und daher eine in sich berechtigte Wirklichkeit. Diese normative Dimension wird bei Hegel einerseits anhand der Formulierung des »Rechts der Objektivität« formuliert. Das »Recht der Objektivität« ist die inhärente Berechtigung der objektivierten Freiheit: »sowie umgekehrt das Recht der Objektivität der Handlung, wie es genannt werden kann, ist, sich vom Subjekt als Denkendem als gewußt und gewollt zu behaupten.« (§ 120) Diese normative Dimension zeigt sich andererseits darin, dass diese »notwendigen Verhältnisse« den Vernunftgehalt einer »ethischen Pflichtenlehre« ausmachen: »Die ethische Pflichtenlehre, d. i. wie sie objektiv ist, nicht in dem leeren Prinzip der moralischen Subjektivität befaßt sein soll, als welcher vielmehr nicht bestimmt (§ 134), – ist daher die in diesem dritten Teile folgende systematische Entwicklung des Kreises der sittlichen Notwendigkeit. Der Unterschied dieser Darstellung von der Form einer Pflichtenlehre liegt allein darin, daß im Folgenden die sittlichen Bestimmungen sich als die notwendigen Verhältnisse ergeben, hierbei stehen geblieben und nicht zu jeder derselben noch der Nachsatz gefügt wird, also ist diese Bestimmung für den Menschen eine Pflicht.« (§ 148; Hervorh. A.B.) Eine strenge Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens muss auf die Problematik der Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit zu sprechen kommen. Hobbes hat diese interne Forderung des neuzeitlichen Rechtsdenkens zum ersten Mal erkannt und ins Bewußtsein gehoben: »liberty, and necessity are consistent« (EW 3.197). In Kap. 2 der vorliegenden Untersuchung wurde dargestellt, wie Hobbes diese Vereinbarkeit begründet. Er rekurriert auf Begriffsmittel der Ersten Philosophie und der Naturphiloso-

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phie. Dieser Begründungsgang erweist sich, wie gesagt, als aporetisch, denn er leugnet dadurch den für dieses Rechtsdenken konstitutiven Dualismus: die Spontaneität des freien Willens produziert eine nicht-natürliche Sphäre. Die »Notwendigkeit« dieser Sphäre lässt sich nicht als Naturnotwendigkeit begreifen, denn die Gegenständlichkeit und »Festigkeit« dieser Sphäre bestehen in einer objektivierten Freiheit. Die »Natur« ist daher nicht die Instanz, mittels derer sich diese Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit erklären lässt. Prägnant formuliert Hegel eine Immunisierung gegen diesen Begründungsgang: »Die Vereinigung von Freiheit und Nothwendigkeit ist nicht durch die Natur, sondern durch die Freiheit hervorgebracht.« (Ig 1.239) Die Begründung dieser paradoxalen »Vereinigung« von Freiheit und Notwendigkeit besteht daher eigentlich in der begrifflichen Rekonstruktion der konkreten Vermittlung zwischen der Spontaneität des freien Willens, aus der alle Gestalten des Rechts fließen, und der Festigkeit der objektivierten Freiheit. Diese »Vereinigung« ist insofern nicht mit einem Schlag gegeben, sondern sie wird durch die Freiheit hervorgebracht oder, genauer formuliert: durch den Prozess der Freiheit. Dieser Prozess besteht in der Verwirklichung der Freiheit, die sich als die Explikation und Systematisierung einer im Freiheitsbegriff liegenden Struktur erweist. Dieser Prozess der Verwirklichung der Freiheit in gesellschaftlichen Institutionen vollzieht sich, wie gesagt, »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Die Freiheit, die in der Sphäre des objektiven Geistes die »Form von Notwendigkeit« erhält, ist nicht die »wahre« Freiheit des Geistes (die Freiheit des »Beisichseins«), denn das Ziel der Objektivierungen des freien Willens ist nicht die Selbstverständigung des Geistes, sondern die Regelung des menschlichen Zusammenlebens. Die wirkungsmächtigen Triebkräfte der Sphäre der Sittlichkeit setzen sich als eine »bewußtlose Notwendigkeit« (§ 216) durch. Aufgrund dieser Prozessualität rekonstruiert Hegel die »Vereinigung« von Freiheit und Notwendigkeit in einem Aufbau von Stufen: die Stufen des Prozesses der »Vereinigung« der individuellen Willen zu einem allgemeinen Willen. In der Rekonstruktion der Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens hat sich das »Recht der Objektivität« als das übergreifende Moment gezeigt. In der Herausbildung der Objektivität der modernen Institutionen behält jedoch die Freiheit und Besonderheit der Individuen ihre Berechtigung (»das Recht der Subjektivität«). Diese Berechtigung ist ein notwendiges Vermittlungsmoment der konkreten Wirklichkeit der Institutionen. Dies lässt sich anhand der Zwecke dieser Institutionen zeigen, denn alle Institutionen sind als Handlungsweisen Zweckeinrichtungen. Die Zwecke dieser Institutionen müssen die Freiheit und Besonderheit der Individuen

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zu ihrem Recht und Dasein bringen: »Der ›Erfolgsfall‹ für die Ausübung des Rechts des subjektiven Willens besteht darin, daß das Subjekt eine Handlungsoption als Verwirklichung eines eigenen Zweckes anerkennt, die sich zugleich harmonisch einfügt in die normative Verfassung eines Ganzen, etwa des modernen Verfassungsstaats, das die Erhaltung und Beförderung freien Handelns aller seiner Glieder selbst zum Ziel hat.« (Halbig 2010, 101) Durch diese »Vereinigung« enthält die Verbindlichkeit gegen die sittlichen Institutionen zugleich das Dasein der besonderen Freiheit (vgl. GPR § 261). Hegel findet ein Kennzeichen dieser Konvergenz zwischen dem allgemeinen und besonderen Willen im sittlichen Zusammenfallen von Recht und Pflicht: »In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens fällt somit Pflicht und Recht in Eins, und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten, und Pflichten, insofern er Rechte hat.« (§ 155) Diese »Vereinigung« des besonderen und allgemeinen Willens wird jedoch eigentlich auf der Stufe der staatlichen Institutionen gewonnen. Daher ist der Staat für Hegel die »wahrhafte« Sittlichkeit. Erneut ist auf der Stufe der Sittlichkeit an die notwendige Relativierung des Vertragsdenkens zu erinnern, die bereits auf der Stufe des abstrakten Rechts (vgl. § 75) formuliert worden ist: (a) Die Notwendigkeit der Logik des freien Willens zeigt sich darin, dass es nicht zur Disposition der Rechtsgenossen steht, ob sie in den Rechtszustand eingehen und als Mitglied des Staates handeln: »Wenn der Staat mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt und seine Bestimmung in die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit gesetzt wird, so ist das Interesse des Einzelnen als solcher der letzte Zweck, zu welchem sie vereinigt sind und es folgt hieraus ebenso, daß es etwas Beliebiges ist, Mitglied des Staates zu sein.« (§ 258) Diese Notwendigkeit ist zugleich eine Möglichkeitsbedingung der Verwirklichung und Stabilisierung der Freiheit. Diese interne Forderung des Objektivierungsprozesses der Freiheit hat daher einen verbindlichen Charakter: »Diese substantielle Einheit [sc. die Einheit des Staates] ist absoluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, sowie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staates zu sein.« (ebd.) (b) Die Regelung bestimmter Staatsverhältnisse kann die Form von Vertragsverhältnissen erhalten. Die Form der Regelung ändert jedoch nichts an der Natur der Verbindlichkeit dieser Verhältnisse, obwohl sie einen Einfluss auf die Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit dieser Verhältnisse haben mag. Ein solches Rechtsbewusstsein wäre nur ein Selbstmissverständnis der Freiheit: »Das Amtsverhältnis ist gleichfalls kein Vertragsverhältnis (§ 75),

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

obgleich ein gedoppeltes Einwilligen und ein Leisten von beiden Seiten vorhanden ist. Der Bedienstete ist nicht für eine einzelne zufällige Dienstleistung berufen, wie der Mandatarius, sondern legt das Hauptinteresse seiner geistigen und besonderen Existenz in dies Verhältnis.« (§ 294) Anhand dieser Relativierung des Vertragsdenkens zeigt sich die besondere Stellung der »Willkür« in den modernen Verfassungen: (a) Die »Willkür« ist ein notwendiges Vermittlungsmoment der »Vereinigung« von Freiheit und Notwendigkeit, wie z. B. die Freiheit der Berufswahl: »Andererseits aber, welchem besonderem Stande das Individuum angehöre, darauf haben Naturell, Geburt und Umstände ihren Einfluß, aber die letzte und wesentliche Bestimmung liegt in der subjektiven Meinung und der besonderen Willkür, die sich in dieser Sphäre ihr Recht, Verdienst und ihre Ehre gibt, so daß, was in ihr durch innere Notwendigkeit geschieht, zugleich durch die Willkür vermittelt ist und für das subjektive Bewußtsein die Gestalt hat, das Werk seines Willens zu sein.« (§ 106) Die geschichtliche Notwendigkeit dieses Vermittlungsmoments zeigt sich im Spezifikum der modernen Staaten, die die folgende Funktion leisten können. Sie müssen die Gestalten der Besonderheit, die auch aus dem Prinzip der Subjektivität fließen, auseinandergehen lassen und zugleich in sich zusammenhalten: »Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.« (§ 260) (b) Die modernen Staaten können diese Funktion nur deshalb vollziehen, weil die »Willkür« nicht mehr nur als »unruhige Beweglichkeit« (§ 355) wirkt. Daher definiert Hegel den Staat als den »absolute[n] unbewegte[n] Selbstzweck« (§ 258). Die Idee einer von der Willkür unbewegten Subjektivität, die der Rechtserzeugung fähig ist, ist eine interne Forderung der im Freiheitsbegriff liegenden Struktur. Hegel thematisiert diese Forderung anhand der Gewalt, die die letzte Spitze der Willensentscheidung und damit der Subjektivität (das »Ich will« des Staates) ausmacht: die fürstliche Gewalt. Die Forderung nach der Unbeweglichkeit der Subjektivität lässt sich laut Hegel nur durch einen Umschlag der Freiheit in ihr Gegenteil, die Natur (vgl. 280), begründen. Dieses Naturmoment (die erbliche Thronfolge) ist ein vorgegebenes Dasein, das jedoch einer immanenten Forderung der Freiheit angemessen ist. Daher ist diese »natürliche« Verbindung ein Dasein der Freiheit, eine berechtigte Wirklichkeit: »Beide Momente in ihrer ungetrennten Einheit, das letzte grundlose Selbst des Willens und die damit ebenso grundlose Existenz, als der Natur anheimgestellte Bestimmung, – diese Idee des von der Willkür Unbewegten macht die Majestät des Monarchen aus.« (§ 281) Der Grund der

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Legitimität der erblichen Monarchie liegt also nicht mehr in einem vormodernen Prinzip (wie z. B. in Gott, in der von Gott geschaffenen Autorität, in der »väterlichen Autorität« usw.), sondern in einem Moment des Begriffs der Freiheit: »So sind öffentliche Freiheit überhaupt und Erblichkeit des Thrones gegenseitige Garantien und stehen im absoluten Zusammenhang, weil die öffentliche Freiheit die vernünftige Verfassung ist, und die Erblichkeit der fürstlichen Gewalt das, wie gezeigt, in ihrem Begriffe liegende Moment.« (§ 286) Die Natur gilt daher hier nur als eine angemessene Wirklichkeit für die Herausbildung des geistigen Zentrums des Staates. Erneut formuliert Hegel in der Erörterung dieser Gewalt die Relativierung des Vertragsdenkens und der Reduktion der Freiheit auf »Willkür«: »Diese Ansicht, wie die Vorstellungen vom Monarchen als obersten Staatsbeamten, von einem Vertragsverhältnisse zwischen demselben und dem Volke u.s.f. geht von dem Willen als Belieben, Meinung und Willkür des Vielen aus, – einer Bestimmung, die, wie längst betrachtet worden, in der bürgerlichen Gesellschaft als erste gilt, oder vielmehr sich nur geltend machen will, aber weder das Prinzip der Familie, noch weniger des Staates ist, überhaupt der Idee der Sittlichkeit entgegensteht.« (§ 281) Die »Vereinigung« von Freiheit und Notwendigkeit vollzieht sich, wie gesagt, in einem Prozess, in einem Aufbau von Stufen. Das Zusammenfallen von Freiheit und Notwendigkeit ist das Resultat eines Prozesses, in dem die Einheit des besonderen und allgemeinen Willens zusammenwächst. Das Auseinandergehen von Besonderheit und Allgemeinheit ist zugleich ein Auseinanderfallen von Freiheit und Notwendigkeit. Dieses Auseinanderfallen vollzieht sich in der bürgerlichen Gesellschaft, denn sie ist die Stufe, auf der die »unmittelbare« Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit verlorengeht: »Diese Einheit, die wegen der Selbständigkeit beider Prinzipien auf diesem Standpunkte der Entzweiung (§ 184) nicht die sittliche Identität ist, ist eben damit nicht als Freiheit, sondern als Notwendigkeit, daß das Besondere sich zur Form der Allgemeinheit erhebe, in dieser Form sein Bestehen suche und habe.« (§ 186) Dieses Auseinanderfallen von Freiheit und Notwendigkeit kann aus verschiedenen Prozessen zustande kommen und erhält daher unterschiedliche Gestaltungen: (a) Das Auseinanderfallen als eine notwendige Freiheitstufe in der Herausbildung einer »vermittelten« Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit: Hegel begreift die »Entzweiung« der bürgerlichen Gesellschaft (§ 184) als ein notwendiges Moment in der Herausbildung einer konkreten Einheit, denn ohne das Moment der Verselbständigung kann es keine interne Differenzierung geben. Die Freiheit des Geistes ist das Resultat einer Vermittlung.

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In diesem Vermittlungsprozess behält die »Entzweiung« ihre Berechtigung, aber sie wird auf höheren Stufen immanent beschränkt und relativiert. Dieses Auseinanderfallen von Freiheit und Notwendigkeit ist nach Hegel daher nur ein notwendiges Vermittlungsmoment in der Herausbildung der allgemeinen Objektivität des Rechts. Der Vernunftgehalt dieser »Notwendigkeit« ist eine immanente und normative Logik der Freiheit: Die vermittelte »Vereinigung« von Allgemeinheit und Besonderheit sei ein immanentes Ziel dieses Prozesses und zugleich ein »höheres Recht«. (b) Das Auseinanderfallen als ein Umschlag ins Faktische: Dieses Auseinanderfallen lässt sich nicht allein aus einer im Freiheitsbegriff liegenden Struktur rekonstruieren. Dieser Prozess setzt sich nicht nur als eine »Notwendigkeit« der objektivierten Freiheit durch, sondern er vollzieht sich durch Triebkräfte und »Gesetzmäßigkeiten«, die einer anderen Logik folgen. Er richtet sich daher nicht auf eine vermittelte Konvergenz der Extreme, in die die »Sittlichkeit« verlorengegangen ist (§ 184). Das Hineinragen einer solchen »Notwendigkeit« in die Sphäre der Welt der Freiheit produziert eine Transformation der Seinsweise der Normen. Die Seinsweise dieser anderen Normen ist nicht mehr die Form des Geltens, sondern die Form der Faktizität: »Denn der Begriff der Norm verändert sich, wenn ihr Grund nicht mehr der selbstbewußte freie Wille ist, sondern der objektivierte, in den ›Kreis der Nothwendigkeit‹ gebannte Wille. Hier scheint sich ein Umschlag von der sittlichen Norm zur ›Normativität des Faktischen‹ abzuzeichnen.« (Jaeschke 2003, 372) Zweifelsohne rekonstruiert Hegel dieses Auseinanderfallen von Freiheit und Notwendigkeit überwiegend als eine notwendige Freiheitsstufe der modernen Verfassungen. Trotzdem kann man beide Formen des Auseinanderfallens von Freiheit und Notwendigkeit bei ihm finden. Dies lässt sich anhand der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft veranschaulichen, denn sie ist, wie gesagt, die Gestalt der Sittlichkeit, in welcher dieses Auseinanderfallen stattfindet. Die bürgerliche Gesellschaft hat die innere Dialektik des Naturzustandes. Diese Gestalt ist daher nicht nur »Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle« (§ 289) und »Desorganisation«, sondern zugleich die immanente Triebkraft, über sich selbst hinauszugehen: »durch diese ihre Dialektik wird die bürgerliche Gesellschaft über sich hinausgetrieben« (§ 246). Eine dialektische Gestalt ist sie, weil sie eine immanente Logik bzw. Vernunftstruktur beinhaltet, die über sich selbst hinausgetrieben wird. Diese interne Forderung ist eine wirkliche Gestalt der Forderung »exeundum esse e statu naturae«. Anhand dieser immanenten Forderung der inneren Dialektik des Naturzustandes lassen sich beide Formen des Auseinanderfallens von Freiheit und Notwendigkeit erörtern:

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(a) Das »exeundum esse« als eine immanente Forderung der Logik der Freiheit: Die Vermittlung der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit erfordert die Herausbildung von gesellschaftlichen Institutionen, in denen diese Anstöße der wirtschaftlichen »Gesetzmäßigkeiten« verarbeitet werden. Die gesellschaftlichen Institutionen können diese Funktion nur vollziehen, indem sie die Kollision der berechtigten Interessen ausgleichen (vgl. § 236). Dieser Ausgleich erfordert die Herausbildung von Institutionen, die die Interessen wirklich vertreten: »Das Repräsentieren hat damit auch nicht mehr die Bedeutung, daß einer an der Stelle eines anderen sei, sondern das Interesse selbst ist in seinem Repräsentanten wirklich gegenwärtig, so wie der Repräsentant für sein eigenes objektives Element da ist.« (§ 311) Diese Institutionen sind notwendig, denn die Interessen lassen sich weder unmittelbar noch arithmetisch vermitteln. Daher spricht Hegel mit Recht von der Notwendigkeit der Herausbildung von »besonderen Systemen« (§ 201) innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Die Forderung »exeundum esse« ist in letzter Instanz das Hineingehen in die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen. Das Herausgehen aus dem »Misstrauen« der bürgerlichen Gesellschaft ist zugleich das Hineingehen in das »Zutrauen« der sittlichen Institutionen. Das »Misstrauen« des Naturzustandes (»diffidence of one another« bei Hobbes, EW 3.111) ist hier bei Hegel sowohl die Herabsetzung der Allgemeinheit des Rechts zum bloßen Mittel der Besonderheit und zum Anschein des Rechts als auch die Gesinnung des »Pöbels«. Das »Zutrauen« des Rechtszustandes sei hier hingegen das »Selbstgefühl« der Rechtsgenossen, der »Patriotismus« im Hegelschen Sinne (vgl. § 268). Die Nötigung der Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft zeigt sich hier als eine Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit. Durch dieses Hineingehen in den Staat erhält das Auseinanderfallen von Freiheit und Notwendigkeit die Form einer notwendigen Stufe der immanenten Logik der Freiheit. (b) Das »exeundum esse« als ein Umschlag ins Faktische: Das »exeundum esse« kann die Wirkung von »Gesetzmäßigkeiten« sein, die einer anderen Logik folgen. Eine »bestimmte Gesellschaft« (§ 246) wird über sich hinausgetrieben und muss daher notwendige Verhältnisse – z. B. ein internationales System allseitiger Abhängigkeit (ebd.), Kolonisation (§ 248) – eingehen, die sich nicht mehr aus der »Notwendigkeit« der objektivierten Freiheit erklären lassen. Hegel macht dies am Beispiel der Kolonisation deutlich: »Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das Mittel der Kolonisation, zu welcher – einer sporadischen oder systematischen – die ausgebildete bürgerliche Gesellschaft getrieben wird, und wodurch sie teils einem Teil ihrer Bevölkerung in einem neuen Boden die Rückkehr zum Familienprinzip, teils sich selbst damit einen neuen Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes verschafft.«

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

(ebd.) Die Normen dieser Herrschaftsgebilde, die durch diese treibenden Kräfte entstehen, haben nicht mehr die Form des Geltens, sondern die der Faktizität. Die Durchsetzung der Interessen hat nicht mehr eine Explikation und Systematisierung der Freiheit zur Folge, sondern einen Umschlag ins Faktische. Die heutigen Rechtsentwicklungen zeigen, dass diese zweite Entwicklung (der Umschlag ins Faktische) wirkungsmächtiger gewesen ist als Hegel glaubte. Die bürgerliche Gesellschaft löst bekanntlich die Familie auf und transformiert dadurch die Familienmitglieder in Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Die interne Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft depotenziert die staatlichen Institutionen zu Momenten, die die bürgerliche Gesellschaft aus sich selbst erzeugt. Der Staat als eine Gestalt der Freiheit, die mit einer anderen Vernünftigkeit operiert, wird fortschreitend abgebaut. Nur die Bestandteile des Staates, die für die Expansion und Stabilisierung der bürgerlichen Gesellschaft notwendig sind, sind lebensfähig. Die staatlichen Institutionen sind dadurch Zweckeinrichtungen, die nur auf die Sicherung der besonderen Interessen gerichtet sind. Die Stabilisierung der bürgerlichen Gesellschaft erfordert jedoch Rechtsgestalten, die die Freiheit der Besonderheit (insbesondere das Leben) in Anspruch nehmen, wie z. B. das Militärwesen. Die innere Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft führt sogar (wie im Falle der Kolonisation) zu einer Zunahme der Mächte, die die Freiheit der Besonderheit zu etwas Sekundärem heruntersetzen. Ein Staat, der sich jedoch nur auf die Sicherung der Besonderheit beschränkt, kann – wie es Hobbes konsequent zum Ausdruck gebracht hat – die Geltung, die Berechtigung dieser Normen nicht begründen. Die Normen, die für die Durchsetzung dieser gesellschaftlichen Mächte jedoch notwendig bleiben, haben daher nur die Form der Faktizität. Sie sind letztlich eigentlich kein Dasein der Freiheit mehr, sondern nur Gewalt- und Machtverhältnisse.

(III) Das Prinzip der modernen Staaten ist »das Prinzip der Subjektivität und selbstbewussten Freiheit« Diese paradoxale Bestimmung der modernen Staaten muss in die zwei folgenden Aspekte geteilt werden: (1) die Zusammenwirkung von bewusstlosen Prozessen und bewussten Willensakten; (2) die Subjektivität als Prinzip moderner Staaten.

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(1) Die Zusammenwirkung von bewusstlosen Prozessen und bewussten Willensakten Einerseits vollzieht sich die Herausbildung der staatlichen Institutionen »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Andererseits ist diese Produktion ohne den Anteil des Bewusstseins nicht rekonstruierbar. Dies zeigt sich deutlich darin, dass sich in diesem Prozess eine Selbstverständigung des Geistes vollzieht. Dieser Selbstverständigungsprozess hat einen ambivalenten Charakter, denn er hat nicht nur einen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit zur Folge, sondern auch ein Selbstmissverständnis der Freiheit. Eine Rechtsgeschichte thematisiert nicht objektive Prozesse, die sich »natürlich« durchsetzen: »Um solcher Bedingung einer Geschichte willen ist es auch geschehen, daß jenes so reiche, ja unermesliche Werk der Zunahme von Familien zu Stämmen, der Stämme zu Völkern und deren durch diese Ausdehnung herbeygeführte Ausbreitung der Völker, welche selbst so viele Verwicklungen, Kriege, Umsturze, Untergänge vermuthen läßt, ohne Geschichte sich nur zugetragen hat; noch mehr daß die damit verbundene Verbreitung und Ausbildung des Reichs der Laute selbst stumm geblieben, lautlos-schleichend geschehen«. (GW 18.195) Die Rechtsgeschichte beginnt, wenn die Organisation des menschlichen Zusammenlebens durch »Thaten des selbstbewußtwerdenden Willens« (ebd.) vermittelt ist. Der Wirklichkeitszusammenhang des Rechts ist ohne die Wirkung des Bewusstseins nicht rekonstruierbar: »Sie [sc. die Weltgeschichte] stellt, wie früher bestimmt worden ist, die Entwicklung des Bewußtseyn des Geistes von seiner Freyheit und der von solchem Bewußtseyn hervorgebrachten Verwirklichung dar.« (GW 18.196) Trotz dieser Hervorhebung des Bewusstseins und damit der Bewusstseinsgeschichte begründet die Geistesphilosophie den Primat der Realgeschichte anhand der Bestimmungen des Geistesbegriffs: Der Geist ist »actus purus«. Er hat kein Wesen, keine Substanz außerhalb dieser Tätigkeit. Daher sind seine Gestalten (die Produkte des Geistes) nicht die Manifestation eines verborgenen Wesens. Die Tätigkeit des »Sichoffenbarens« selbst macht das ganze »Wesen« des Geistes aus. Der Geist ist daher ein System von geistigen Tätigkeiten und Produkten, das die Struktur der Subjektivität hat. Diese Subjektivität kann sich selbst nur in einem »Anderen« anschauen. Der Geist kann sich nur in seiner Vergegenständlichung erkennen. Die bewußtlosen Objektivierungen, die die Realgeschichte ausmachen, sind eine Möglichkeitsbedingung für die Selbstverständigung des Geistes. Daher kann der Geist nicht unmittelbar, sondern nur durch einen »Umweg« ein adäquates Wissen von sich gewinnen.

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

Der Vernunftgehalt dieses Prozesses ist nicht das Selbstbewusstseins des einzelnen Subjekts, sondern die interne Logik der Subjektivität, obwohl diese Prozesse immer durch die Handlungen der einzelnen Subjekte in Bewegung gesetzt werden. Dies ist trivial. Das Gleiche wurde in der Thematisierung der Freiheit zur Geltung gebracht: Der Vernunftgehalt der Rechtsphilosophie ist nicht die Freiheit der einzelnen Subjekte, sondern eine im Freiheitsbegriff liegende Struktur (»die Idee des vernünftigen Willens«, GPR § 257). Insofern versteht sich die Hegelsche Kritik an einer Reduktion der Subjektivität auf die Reflexion des einzelnen Subjekts von selbst. Der Selbstverständigungsprozess des Geistes ist nur durch das Einleben in den Institutionen möglich. Diese konstitutive Tätigkeit der Subjektivität kann sich nur auf der Freiheitsstufe der Institutionen vollziehen: »Hegel läßt nämlich ausdrücklich die Möglichkeit zu, daß die Verständigung des Subjekts über seine Gründe nicht im Medium rationaler Reflexion erfolgt, die diese ausdrücklich thematisiert und sie einer kritischen Prüfung unterzieht, sondern in dem eines sich Einlebens in institutionelle Strukturen, deren Rationalität als ›geronnene‹ bestenfalls erlebt, aber nicht selbst auf ihre Geltungsansprüche hin befragt wird.« (Halbig 2010, 103)

(2) Die Subjektivität als Prinzip der modernen Staaten Das Prinzip der modernen Staaten ist das »Prinzip der Subjektivität und selbstbewußten Freiheit« (GPR § 355). Aus diesem Prinzip gehen nicht nur die Gestalten des subjektiven Willens hervor, die die gesamte Sphäre des »inneren Rechts« ausmachen, sondern auch die sittliche Person aller Rechtsgenossen und die Person des Staates. Die vorliegende Untersuchung wird unten (siehe 13.3.2) darstellen, worin diese Subjektivität besteht. Hier soll nur der paradoxale Charakter des modernen Staates hervorgehoben werden: »In diesen wenigen, aber entscheidenden Worten skizziert Hegel den paradoxalen Charakter der Genese des modernen Staates: »Er [der moderne Staat] entspringt dem Denken, dem Willen, also dem ›Prinzip der Subjektivität‹ – und deshalb kann der Einzelne sich in ihm als versöhnt finden. Er entspringt aber gerade nicht dem seiner selbst bewußten Denken und Willen, sondern gleichsam‚ ›hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins‹.« (Jaeschke 2003, 391) Daraus versteht sich die Hegelsche Rezeption der anderen Theorien des neuzeitlichen Rechtsdenkens, die in den Grundlinien (insbesondere in § 29 und § 258) verarbeitet ist. Die Insuffizienzen dieser Durchführungen erklären sich aus ihrem unzureichenden Begriffsinstrumentarium. Die Rekonstruktion des Willens als »wahrer Geist« (§ 29) ist aufgrund des enormen Begriffs-

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potentials der Geistesphilosophie der beste Ansatz, um dieses Rechtsdenken als eine konsequente Denkweise zu gewinnen. Ein adäquates Verständnis des Rechtsprinzips (des Prinzips des freien Willens) muss die folgenden Bestimmungen zur Geltung bringen: (a) Immanenz: Die neuzeitlichen Theorien gehen von Prinzipien aus, die in uns liegen. Das Recht ist nicht die Abbildung einer vorgegebenen Ordnungsstruktur, sondern eine immanente Produktionslogik. (b) Allgemeinheit: Das Prinzip der Wissenschaft muss die Form der Allgemeinheit haben. Hobbes operiert mit immanenten Prinzipien, die jedoch die Form der Mannigfaltigkeit (wie etwa »Naturgesetze«, Naturtriebe) haben. Das Prinzip des freien Willens ist nicht nur als immanent aufzufassen, sondern es ist die Tätigkeit des Allgemeinen selbst, das Denken: »Die philosophische Betrachtung hat es nur mit dem Inwendigen von allem diesen, dem gedachten Begriffe zu tun. In Ansehung des Aufsuchens dieses Begriffes hat Rousseau das Verdienst gehabt, ein Prinzip des Staates aufgestellt zu haben.« (§ 258) Die Tätigkeit des freien Willens ist eine »besondere Weise des Denkens« (§ 4, Zusatz): die Weise des Denkens, durch welche der Geist in die Wirklichkeit tritt. (c) Subjektivität: Die Tätigkeit des Denkens ist eine basale Operation der Subjektivität. Der freie Wille ist eine Tätigkeitsweise der Subjektivität. Das Recht ist eine äußere Sphäre, die aus dem »Innersten« (aus der Subjektivität) fließt. Es ist eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität. (d) Bewusstlose Produktion: Die Objektivationen, die durch diese besondere Weise des Denkens konstituiert sind, vollziehen sich nicht nur durch bewusste Willensakte einzelner Subjekte. Das Wichtigste der immanenten Produktionslogik des Rechts vollzieht sich vielmehr »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins«. Die Person des Staates ist eine Subjektivität, die nicht nur aus bewussten Willensakte hervorgebracht wird: »Allein indem er [sc. Rousseau] den Willen nur in bestimmter Form des einzelnen Willens (wie nachher auch Fichte) und den allgemeinen Willen nicht als das an und für sich Vernünftige des Willens, sondern nur als das Gemeinschaftliche, das aus diesem einzelnen Willen als bewußten hervorgehe, faßte: so wird die Vereinigung des Einzelnen im Staat zu einem Vertrag, der somit ihre Willkür, Meinung und beliebige, ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weiteren bloß verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstörenden Konsequenzen.« (§ 258). Unter der Subjektivität des freien Willens darf nicht die Subjektivität des Einzelnen, sondern muss die interne Logik der Subjektivität selbst verstanden werden. Diese Logik lässt sich am besten anhand der Geistesphilosophie rekonstruieren.

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Die Hegelsche Rezeption der Gestaltung des Prinzips des freien Willens bei Rousseau wird gewöhnlich an dem folgenden Punkt relativiert: »Erstaunlich ist […], daß Hegel in seiner Kritik an Rousseau dessen Differenz zwischen der ›volonté générale‹ und der ›volonté de tous‹ völlig ignoriert.« (Schnädelbach 2000, 305). Die Frage ist, ob Rousseau die spezifische Allgemeinheit des Staates richtig begreifen kann. Welche Art von Allgemeinheit kann eine Tätigkeit des freien Willens hervorbringen, die sowohl auf bewusste Akte als auch auf verfügbare Produktionen reduziert wird? Diese Allgemeinheit, die durch unzureichende Begriffsmittel rekonstruiert wird, kann nicht die konkrete Allgemeinheit sein, die aus der Vermittlung zwischen Allgemeinheit und Besonderheit, zwischen dem Begriff der Freiheit und seinem Dasein zusammenwächst. Sie ist vielmehr die Allgemeinheit des Vertrags (ein »Gemeinschaftliches«). Rousseau konnte den spezifischen Charakter der Allgemeinheit des Staates erkennen und eine terminologische Unterscheidung dafür finden, aber er konnte die Fremdheit der Rechtsgestalten nur durch eine Gestalt der Willenseinigung (die Einigung des Vertrags) vermeiden. Er konnte das »Selbstgefühl« und das »Zeugnis« des Willens in diesen Gestalten nur durch diesen dürtigen Behelf rekonstruieren. Die Vertragstheorien verfügten nicht über das angemessene Begriffsinstrumentarium, um sowohl das Spezifikum der Freiheitsform des Staates als auch den Reichtum der sittlichen Welt, die Vielfalt von Rechtsgestalten zu begreifen. Diese Aufgabe erfordert die Herausbildung eines komplexeren Begriffsinstrumentariums, durch welches die Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Gestalten und Stufen der Freiheit (vgl. § 30) rekonstruierbar ist, ohne in den Reduktionismus des Vertragsdenkens zu verfallen.

(IV) Die Verfassung ist das Werk und »Tun aller«, aber kein »Gemachtes« Die Auffassung, dass die Verfassung das Werk und Tun aller ist, lässt sich aus den folgenden Punkten begründen, die bereits teilweise erörtert worden sind: (1) Die Menschen bringen die Institutionen hervor, denn nur diese sind der Rechtserzeugung fähig. Das System der Institutionen macht die Vernünftigkeit der Verfassung aus (vgl. § 265 und § 272). Die immanenten Vernunftstrukturen der Verfassung werden durch eine immanente Produktionslogik konstituiert. (2) Der Gehalt dieser Vernunftstrukturen ist die objektivierende Tätigkeit des freien Willens. Nicht ein isolierter Wille, sondern eine Vereinigung freier Willen ist der Rechtserzeugung fähig. Das System der Institutionen ist eine Vereinigung freier Willen.

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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(3) Diese gesetzte »Einheit«, die die Welt der sittlichen Institutionen ausmacht, ist die »Einheit des Begriffes des Willens und seines Daseins, welches der besondere Wille ist« (§ 143, Hervorh. A.B.). Das Recht ist die »Idee« der Freiheit, das Dasein des freien Willens. Dieses Dasein ist – wie der Paragraph 143 hervorhebt – der besondere Wille, und zwar aus folgenden Gründen: (a) In der »Einleitung« zu den Grundlinien, wo Hegel Inhalte der Philosophie des subjektiven Geistes thematisiert, sagt er, dass unsere Geistigkeit nur als Besonderes, als Endliches in die Wirklichkeit treten kann: »Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt« (§ 6). Diese Endlichkeit ist für die immanente Vereinigung von Allgemeinheit und Besonderheit konstitutiv. (b) Die sittliche Freiheit ist die Einheit des Begriffs der Freiheit und seiner Verwirklichung durch Handlungen. Die Betätigung der im Freiheitsbegriff liegenden Struktur vollzieht sich durch Handlungen. In diesen Punkten zeigt sich die geistige Seinsweise der Institutionen. Sie sind eine Handlungsweise. Das System der gesellschaftlichen Institutionen ist eine »zweite Natur« (§ 4), denn es ist eine durch Handlungen konstituierte Welt, eine durch subjektive Leistungen konstituierte Objektivität. Die Objektivierungen des objektiven Geistes sind Zweck- und Handlungszusammenhänge: »Aber in der einfachen Identität mit der Wirklichkeit der Individuen erscheint das Sittliche, als die allgemeine Handlungsweise derselben – als Sitte, – die Gewohnheit desselben als eine zweite Natur, die an die Stelle des ersten bloß natürlichen Willens gesetzt, und die durchdringende Seele, Bedeutung und Wirklichkeit ihres Daseins ist, der als eine Welt lebendige und vorhandene Geist, dessen Substanz so erst als Gesetz ist.« (§ 151) Die Auffassung, dass die Verfassungen das »Tun aller« seien, besagt daher nur, dass die innere Dialektik der Verfassungen durch die Handlungen aller Subjekte in Bewegung gesetzt wird. Stabilisierung und Gefährdung der Institutionen lassen sich nur durch die äußere Notwendigkeit, die durch die Zusammenwirkung der Handlungen aller Subjekte entsteht, erklären. Diese These gilt daher für alle Stationen einer Verfassungsgeschichte. Auch Kant rekonstruiert in diesem Sinne die Rechtsgestalten durch die »Wechselseitigkeit« der einzelnen Subjekte. Diese Akzentsetzung ist eine berechtigte Immunisierung gegen die Projektionen, gegen die Entäußerungsgestalten, die mit bestimmten Denkformen (z. B. die naturrechtliche Denkweise) operieren. Gleichermaßen kann man mit Hegel behaupten, dass die Ordnung des Rechts nicht eine vorgegebene Ordnungsstruktur, sondern das »Tun aller« ist. Diese These besagt daher nicht, dass sich eine allgemeine politische Freiheit – d. h. eine politische Freiheit, die keine Besonderheit (Geburt, Rasse, Religion usw.)

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

mehr ausschließt – durchgesetzt hat. Dies würde nur für die neuzeitlichen Verfassungen gelten. Die Auffassung, dass die Verfassung »kein Gemachtes« ist, ist vereinbar mit der Aussage, dass der Vernunftgehalt des Rechts eine immanente Produktionslogik ist. Hegel erörtert diese Problematik anhand der folgenden Frage: »wer die Verfassung machen soll?« (§ 173) Diese Frage ist sinnlos. Die Verfassung ist eine Gestalt der immanenten Produktionslogik des Rechts, aber sie ist nicht das Resultat eines unmittelbaren Produzierens, eines »Machens«. Diese Gestalt ist »vielmehr das schlechthin an und für sich Seiende, das darum als das Göttliche und Beharrende, und als über der Sphäre dessen, was gemacht wird, zu betrachten ist.« (ebd.) Die Bezeichnung der Verfassung als »das Göttliche« muss hier wie die Hobbessche Bezeichnung des Staates als »deus mortalis« gelesen werden. Die Erfahrung zeigt, wie alle Verfassungen dem Wechsel und der Zerstörung unterworfen sind. Obwohl es weder »ewige« Staaten noch »ewige« Verfassungen geben kann, sind sie »Selbstzweck«, eine in sich berechtigte Wirklichkeit. Die Mächte, die sich auf eine vorgegebene Autorität (z. B. einen göttlichen Ratschluss, die von Gott geschaffene »Natur«) berufen, haben daher kein höheres »Recht«. Alle Verfassungen sind laut Hegel eine bestimmte (mehr oder weniger angemessene) Form der Verwirklichung einer im Freiheitsbegriff liegenden Struktur. Diese im Begriff der Freiheit liegende Struktur ist ein »Faktum« unserer Geistigkeit und kann als solches nur eine »ratio cognoscendi« haben. Diese immanente Vernunftstruktur unserer Geistigkeit kann nicht erschaffen werden; sie hat keine »ratio essendi«. Die Frage »wer die Verfassung machen soll?« ist sinnlos, denn sie beruht auf den folgenden Voraussetzungen, die Hegel in den §§ 273–374 erörtert: (1) die Gegebenheit eines »atomistischen Haufens von Individuen« (§ 273); (2) die Voraussetzungslosigkeit eines unmittelbaren Produzierens; (3) die Möglichkeit einer »Verfassung a priori« (§ 274); (4) das Missverständnis der Geschichtlichkeit der geistigen Produkte: (1) Die Gegebenheit eines »atomistischen Haufens von Individuen« (§ 273): Das Vertragsdenken operiert mit der Annahme, dass es eine Menschenmenge gibt. Daher ist die Hauptfrage des Hobbesschen Naturrechts folgende: Wie kann aus dieser vorgegebenen Menschenmenge eine Vereinigung freier Willen hervorgebracht werden, die der Rechtserzeugung fähig ist. Diese Annahme einer Menschenmenge, die für die ersten Durchführungen des neuzeitlichen Rechtsdenkens tragend ist, zeigt sich problematisch in der Rekonstruktion der Freiheitsformen der Sittlichkeit. (2) Die Voraussetzungslosigkeit eines unmittelbaren Produzierens: Dieses

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»Machen« setzt notwendigerweise entweder eine bestimmte Verfassung oder die Wirkung »sittlicher Mächte« (den »Kreis der Notwendigkeit«) voraus, wie sich anhand der drei folgenden Punkte zeigen lässt: (a) Auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft thematisiert Hegel die Frage der Kodifizierung. Das Resultat der Kodifizierung ist, wie oben gesagt wurde, nicht ein System neuer Gesetze, sondern ein konsequentes System von Gesetzen. Die Kodifizierung setzt daher eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen voraus und gewinnt nur ein geprüftes System von Gesetzen. Dieser Prozess besteht in der Selbstverständigung einer Gerechtigkeitsauffassung durch die Systematisierung einer gestalteten Wirklichkeit. (b) Auf der Stufe des »inneren Staatsrechts« thematisiert Hegel die gesetzgebende Gewalt. Diese Gewalt sei ein Teil der Verfassung. Die Gesetzgebung setzt daher eine Verfassung voraus und kann nur einen Anspruch auf eine Änderung und Entwicklung der Verfassung erheben. Daher charakterisiert Hegel die Gesetzgebung als »Fortbestimmung« und »Fortbildung«: »Die gesetzgebende Gewalt betrifft die Gesetze als solche, insofern sie weiterer Fortbestimmung bedürfen, und die ihrem Inhalte nach ganz allgemeinen inneren Angelegenheiten. Diese Gewalt ist selbst ein Teil der Verfassung, welche ihr vorausgesetzt ist und insofern an und für sich außer deren direkten Bestimmung liegt, aber in der Fortbildung der Gesetze und in dem fortschreitenden Charakter der allgemeinen Regierungsangelegenheiten ihre weitere Entwicklung erhält.« (§ 298) Sowohl in der Kodifikation als auch in der Gesetzgebung zeigt sich deutlich, dass dieses unmittelbare Produzieren (dieses »Machen«) nicht über eine »Änderung« der Verfassung hinausgehen kann, und dass diese Änderung nur durch die Vermittlung der Institutionen (»auf verfassungsmäßige Wegem«) möglich ist: »Setzt aber jene Frage schon eine vorhandene Verfassung voraus, so bedeutet das Machen nur eine Veränderung, und die Voraussetzung einer Verfassung enthält es unmittelbar selbst, daß die Veränderung nur auf verfassungsmäßigem Wege geschehen könne.« (§ 273) (c) Die Entstehung einer neuen Verfassung durch übergreifende Zweckund Handlungszusammenhänge oder durch wirkungsmächtige Taten einzelner Subjekte (z. B. im »Heroenrecht«) setzt das Vorhandensein »sittlicher Mächte« voraus, die den »Kreis der Notwendigkeit« ausmachen. Die Zusammenwirkung dieser Handlungszusammenhänge konstituiert eine äußere Notwendigkeit, durch welche die Durchsetzungsfähigkeit einer neuen Verfassung erklärt werden muss. Ohne das Vorhandensein dieser »sittlichen Mächte« könnte man die Kontinuität und die chronologische Ordnung einer Verfassungsgeschichte nicht rekonstruieren. Diese »sittlichen Mächte«, die sowohl in der Zerstörung als auch in der Entstehung der Verfassun-

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gen am Werk sind, sind selbst »über der Sphäre dessen, was gemacht wird« (ebd.). (3) Die Möglichkeit einer »Verfassung a priori« (§ 274): Die Frage nach der Instanz, die die Verfassung machen soll, findet auch eine scheinbare Berechtigung in der Vorstellung, die Vernunft sei eine Instanz, die eine Verfassung a priori erzeugen kann. Eine solche Vorstellung ist für die Denkweise eines Vernunftrechts konstitutiv. Eine solche Vernunft, die beansprucht, sich gegen die vorhandene Welt des Rechts durchzusetzen, manifestiert sich zugleich als Unvernunft und als Unrecht, denn sie gefährdet eine Wirklichkeit, die eine schon verwirklichte Vernunft (eine Objektivierung des freien Willens) ist und als solche eine eigene Berechtigung (das »Recht der Objektivität«, § 140) hat. Die Thematisierung der Erfahrung dieser Unvernunft und dieses Unrechts findet man nicht nur bei Hegel, sondern auch bei sehr unterschiedlichen Denkern wie Jacobi und Burke. Als Manifestationen dieses Unrechts erwähnt Hegel sowohl die »terreur« in der Französischen Revolution als auch den napoleonischen Krieg in Spanien. Die französische Verfassung war zwar vernünftiger als die spanische, aber sie war dem spanischen »Volk« unangemessen und konnte daher nur Instabilität und Brutalität zur Folge haben. (4) Das Missverständnis der Geschichtlichkeit der geistigen Produkte: Die Verfassungen sind in der Zeit entstanden. Sie sind außerdem nicht einfach ein Gewordenes wie die natürlichen Prozesse, sondern ein Geschaffenes. Daher erscheint die Verfassung »als ein Gemachtes«: »überhaupt aber ist es schlechthin wesentlich, daß die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen, nicht als ein Gemachtes angesehen werde« (§ 273). Der Entstehungsprozess der Verfassungen ist als ein geschichtliches Zusammenwachsen von »Lebensformen« zu betrachten, die nicht zur Disposition eines unmittelbaren Produzierens stehen. Daher bezeichnet Hegel die Sittlichkeit als »das lebendige Gute« (§ 142). Diese Erklärung der Gestalten des Rechts durch die Faktizität unterschiedlicher Entwicklungslinien der Geschichte ist ein berechtigtes Moment, das jedoch nicht einseitig behauptet werden darf. An der historischen Rechtsschule kritisiert Hegel gerade diese Einseitigkeit, wie in Kapitel 9 der vorliegenden Untersuchung (»Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit«) gezeigt wurde. Durch eine solche geschichtliche Rekonstruktion des Rechts lassen sich alle Gestalten des Unrechts und der Unvernunft als eine »konsequente« Gestaltung des Rechts begründen, denn die historische Rechtsschule fasst eine »konsequente« Rechtsgestalt nicht als eine begriffsgemäße Verwirklichung des Rechts auf, sondern einfach als eine geschichtliche Angemessenheit zu den vorhandenen Institutionen. In den Punkten (3) und (4) werden zwei berechtigten Momente hervorgehoben, die jedoch einseitig aufgefasst werden: die Forderung eines Vernunft-

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rechts nach einer begriffsgemäßen Verwirklichung des Rechts und die Forderung des modernen Geschichtsdenkens nach einer geschichtlichen Angemessenheit, wie sie in der historischen Rechtsschule zur Geltung gebracht wird. Die Erhebung zu einem adäquaten Standpunkt für die Betrachtung des Rechts erfordert eine Vermittlung beider berechtigten Einseitigkeiten. Bekanntlich vollzieht Montesquieu diesen Schritt laut Hegel. Diese Vermittlung erfordert die Rehabilitierung eines Wahrheitsbegriffs innerhalb des neuen Rechtsdenkens. In der Formulierung des neuen Rechtsdenkens leugnet Hegel die Wahrheitsansprüche des Rechts. Entscheidend ist die Urheberschaft und nicht die Wahrheit der positivierten Inhalte: »authoritas, non veritas, facit legem« (OL 3.202). Diese Immunisierung gegen vormoderne Denkformen, die sich der immanenten Produktionslogik des Rechts entziehen wollen, ist ein notwendiger Schritt für die Formulierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Erst wenn dieser Gedanke eine Festigkeit gewonnen hat, kann man einen neuen Wahrheitsbegriff einführen, der für eine konsequente und adäquate Durchführung des neuen Rechtsdenkens erforderlich ist. Der Wahrheitscharakter einer Rechtsgestalt liegt in den zwei folgenden Bestimmungen: (a) Er liegt einerseits in einer begriffsgemäßen Verwirklichung. Darin relativiert Hegel die Einseitigkeit der historischen Rechtsschule. (b) Er liegt andererseits in einer Angemessenheit zu der geschichtlichen Konkretion. Darin relativiert Hegel die Einseitigkeit des Vernunftrechts. Er rekonstruiert diese Angemessenheit durch die Geschichtsphilosophie (d. h. durch eine Einbeziehung der Vernunft in die Geschichte). Die Verfassung eines Volkes hängt »von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins« (§ 274) ab: »Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.« (ebd.) Diese Einbeziehung der bekannten Formel »Fortschritt in Bewusstsein der Freiheit« zeigt diese Vermittlung beider Bestimmungen des neuen Wahrheitsbegriffs: Eine Verfassung hängt von einer geschichtlichen Bewusstseinsstufe der im Begriff der Freiheit liegenden Struktur ab. Die Verfassungen sind eine geschichtliche Verwirklichung, die zugleich bewusstseins- und begriffsgemäß werden muss.

13.3.2 Die »organische« Struktur der sittlichen Freiheit Die sittliche Freiheit ist bei Hegel keine gesetzgebende Instanz (wie die »praktische Vernunft« Kants), sondern ein »organischer« Zusammenhang. Diese »Organizität« lässt sich anhand der folgenden Bestimmungen der objektivierten Freiheit veranschaulichen: (13.3.2.1) des Systembegriffs und (13.3.2.2) der Individualität des Staates.

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13.3.2.1 Der Systembegriff Im vierten Kapitel der vorliegenden Untersuchung (»Der Systembegriff und die Logik der gesellschaftlichen Institutionen«) wurde anhand der Kap. 22 und 23 des Leviathan gezeigt, dass der Systembegriff aus folgenden Gründen ein adäquates Begriffsmittel für die Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens ist: (a) Der Vernunftgehalt einer Wissenschaft hat als konkrete Allgemeinheit notwendigerweise Systemcharakter. Der Inhalt einer philosophischen Wissenschaft des Rechts ist ein System von Vernunft- und Freiheitsbestimmungen. Ohne diesen Systemcharakter könnte die philosophische Behandlung des Rechts nicht zur Dignität einer Wissenschaft erhoben werden, wie sie die Gestalten der »scientia civilis« bei Hobbes, der Rechtslehre bei Kant und der Rechtsphilosophie bzw. Philosophie des objektiven Geistes bei Hegel auszeichnet. (b) Der freie Wille ist nicht als ein isolierter Wille, sondern nur als eine Vereinigung freier Willen die letzte Quelle aller Rechtsverhältnisse. Vielfalt und Reichtum der Gestalten der Freiheit, die die Welt des Rechts konstituieren, sind als Vereinigungsformen des freien Willens zu rekonstruieren. Die allgemeine Objektivität des Rechts ist ein in sich gegliedertes Ganzes. Eine interne Forderung des neuzeitlichen Rechtsdenkens ist die Herausbildung einer Begrifflichkeit für die Rekonstruktion von Einheitsformen des freien Willens, die sich durch eine interne Differenzierung charakterisieren. Der Systembegriff ist ein angemessenes Mittel für diese Aufgabe. Es wurde jedoch gezeigt, dass die Hobbessche Definition von System für die Aufgabe unzureichend ist: »By systems, I understand any numbers of men joined in one interest, or one business.« (EW 3.210) Hobbes verwendet diesen vagen Systembegriff auch für Formen einer Willenseinigung, die sich einfach durch eine zufällige Übereinstimmung oder durch eine Gemeinschaft der besonderen Interessen charakterisieren. Dadurch depotenziert er den Systembegriff und macht ihn fast unbrauchbar für die Rekonstruktion einer Vermittlung der Interessen: »Die Verfassung ist wesentlich ein System der Vermittlung« (GPR § 302, Zusatz). Das Allgemeine der Verfassung ist nicht ein Gemeinschaftliches, sondern ein Konkretum, eine Vermittlung. Die objektivierende Tätigkeit des freien Willens ist nur als eine vermittelnde Instanz das Prinzip des »Systems der sittlichen Welt« (§ 270). Die Insuffizienzen des Hobbesschen Systembegriffs lassen sich mittels des geistesphilosophischen Systembegriffs vermeiden. Zunächst ist daher das Spezifikum des geistesphilosophischen Systembegriffs im Unterschied zu anderen Ansätzen hervorzuheben. Kant rekonstruiert die Systematisie-

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rung der »praktischen Vernunft« durch die Tätigkeit einer Gesetzgebung. Die treibenden Kräfte dieser Systematisierung seien die immanente Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit und das Streben der Vernunft nach einer Totalität. Das Resultat dieser Tätigkeit sei ein konsequentes bzw. widerspruchsfreies System von Gesetzen: das »System des Naturrechts« (AA VI.238). Hegel rekonstruiert hingegen die Systematisierung des Geistes als eine Explikation des Freiheitsbegriffs. Die interne Dialektik dieser Explikation ist daher als ein Prozess der Befreiung zu rekonstruieren. Hegel formuliert die Momente dieser Systematisierung des Geistes sowohl in Bezug auf die Systematisierung der Intelligenz (durch die Tätigkeit des Gedächtnisses) in der Philosophie des subjektiven Geistes (EPW §§ 463–464) als auch in Bezug auf die Systematisierung der sittlichen Freiheit durch die Tätigkeit des freien Willens in der Philosophie des objektiven Geistes (vgl. GPR § 187). Die Momente dieses immanenten Prozesses der Systematisierung des Geistes lassen sich auf folgende Weise andeuten: (I) Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit: Die Notwendigkeit dieses Prozesses liegt darin, dass die Formen der Unmittelbarkeit (Vorhandensein, Gefundensein, »Sinnlichkeit«) nicht die Seinsweise des Geistes sind. Zugleich muss man jedoch sagen, dass bestimmte Formen der Unmittelbarkeit zugleich eine Form der Vernünftigkeit sind (vgl. die Vielfalt von Gestalten der »Sinnlichkeit« in der »Einleitung« zu den Grundlinien). (II) Die immanente Produktion einer Äußerlichkeit und Endlichkeit des Geistes: Die Notwendigkeit dieses Moments liegt in folgenden Gründen: (a) Ohne diese Äußerlichkeit, Endlichkeit des Geistes kann der Geist weder Selbstbestimmung noch eine Wirklichkeitsform sein. Der Geist kann nur als Endliches, als Besonderes in die Wirklichkeit treten (vgl. § 6). (b) Diese Äußerlichkeit muss aus dem Geist entstehen, denn ohne diese von ihm selbst produzierte Angemessenheit der Äußerlichkeit kann sich der dialektische Umschlag in die Innerlichkeit des Geistes, in die Freiheit des »Beisichseins« nicht vollziehen. Der Geist ist einerseits ein mit der »Natur« vermitteltes Selbstverhältnis. Der Geist ist andererseits ein System von Tätigkeiten und Produkten. Seine Tätigkeiten richten sich nicht nur auf die »Natur«, die vom Geist selbst vorausgesetzt ist, sondern auf seine eigenen Objektivierungen (auf seine Äußerlichkeit und Endlichkeit). Dieses durch die objektivierende Tätigkeit des Geistes vermittelte Selbstverhältnis macht die »wirkliche Unendlichkeit« des Geistes aus. Dies ist das dritte Moment in der Systematisierung des Geistes. (III) Die »wirkliche Unendlichkeit« des Geistes: Die Freiheit ist ein Prozess, der nicht nur in einer formellen Selbstbestimmung, sondern in einem »Zusichkommen« des Geistes besteht, das die Selbstverständigung des Geis-

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tes ermöglicht. Diese »wirkliche Unendlichkeit« ist das immanente Ziel des Geistes, denn die Subjektivität ist die Seinsweise des Geistes. Hegel formuliert die Selbstunterscheidung dieser Momente durch die immanente Entgegensetzung von »Realität« und »Idealität«, sowie durch die Entgegensetzung von »Mechanismus« und »Organismus« – ein Gegensatz, der in der bewusstseinsgeschichtlichen Phase des Hobbesschen Denkens noch nicht existiert (siehe Kap. 5 der vorliegenden Untersuchung). Hegel stellt diese wirkliche und konkrete Unendlichkeit des Geistes als einen sich auf sich selbst beziehenden »Organismus« dar. Der Mechanismus ist bei Hegel das Moment der vom Geist produzierten Äußerlichkeit und Endlichkeit. Der Organismus ist das Moment der konkreten Unendlichkeit. Hegel formuliert expressis verbis diesen Gegensatz zwischen Mechanismus und Organismus in der Geistesphilosophie, z. B. in Bezug auf die Tätigkeit des Gedächtnisses und in Bezug auf die Struktur der modernen Staaten. Das »mechanische Gedächtnis« (EPW § 463) ist ein notwendiges Moment in der Konstitution des »organischen Zusammenhangs [des Gedächtnisses] mit dem Denken« (§ 464). Durch diesen Gegensatz formuliert Hegel auch die ambivalente Natur des Staates: Die stabilisierende und vereinigende Funktion des modernen Staates beruht nicht auf der Innerlichkeit der Religion. Der Staat ist eine Verbindlichkeit, die einen Anspruch auf die Regelung der äußeren Sphäre der Freiheit und nicht mehr auf die Regelung der Innerlichkeit (z. B. Sünde, Gewissen, Bekenntnis) erhebt. Andererseits ist der Staat eine Produktion, die aus dem Prinzip der selbstbewussten Freiheit, aus der Subjektivität, die das Innerste ist, hervorgeht: »Die Lehre selbst aber hat ihr Gebiet in dem Gewissen, steht in dem Rechte der subjektiven Freiheit des Selbstbewußtseins, – der Sphäre der Innerlichkeit, die als solche nicht das Gebiet des Staats ausmacht. Jedoch hat auch der Staat eine Lehre, da seine Einrichtungen und das ihm Geltende überhaupt über das Rechtliche, Verfassung u.s.f. wesentlich in der Form des Gedankens als Gesetz ist, und indem er kein Mechanismus, sondern das vernünftige Leben der selbstbewußten Freiheit, das System der sittlichen Welt ist, so ist die Gesinnung, sodann das Bewußtsein derselben in Grundsätzen ein wesentliches Moment im wirklichen Staate.« (GPR § 270) Der Systemcharakter der sittlichen Freiheit lässt sich durch den geistesphilosophischen Systembegriff rekonstruieren. Die Analyse der Momente des »Systems der sittlichen Welt« ist keine apriorische Konstruktion, sondern sie muss sowohl die spezifische Seinsweise des objektiven Geistes als auch die Logik der modernen Verfassungen begrifflich rekonstruieren. In den modernen Verfassungen werden konstitutive Momente des Freiheitsbegriffs expliziert: die Allgemeinheit des Rechts und die Berechtigung der Besonderheit. Deswegen besteht die spezifische Leistung der neuzeitlichen Sittlichkeit

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darin, diese Extreme zugleich auseinandergehen zu lassen und zu vermitteln (vgl. GPR § 185). In diesem Sinne kann man behaupten, dass die modernen Verfassungen einen ideellen Abschluss in der Explikation bestimmter Momente des Freiheitsbegriffs erreichen. Die Momente einer Systematisierung der sittlichen Freiheit lassen sich anhand der oben erörterten Momente des geistesphilosophischen Systembegriffs rekonstruieren:

(I) Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit Die Gestalt der Sittlichkeit, die sich durch die Unmittelbarkeit charakterisiert, ist bei einem Denker der Vermittlung wie Hegel durch den geistigen Umweg der Rechtsgeschichte vermittelt: Die Unmittelbarkeit in der modernen Sittlichkeit ist nicht die Blutsverwandtschaft eines Stammes (»das allgemeine Blut«), sondern die sittliche Liebe einer Familie: »aber nicht dieses Haus oder Stamm, sondern die Familie als solche ist die Idee, die solches Recht [sc. das Erbrecht] hat« (§ 180). Dieser Umweg der Rechtsgeschichte zeigt sich als ein Prozess der Vergeistigung der Unmittelbarkeit. Die sittliche Liebe hat ihren Ort nur in der Gestalt der Familie. Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit für die Produktion des Systems des objektiven Geistes enthält auch eine Relativierung des Prinzips der Liebe, wie es Hegel in der Frankfurter Zeit formuliert hat. Dieses Prinzip kann aufgrund seines subjektiven Charakters die allgemeine Objektivität des Rechts nicht gestalten. Das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit vollzieht sich in den modernen Verfassungen durch die treibende Kraft der bürgerlichen Gesellschaft: Sie löst die sittlichen Bande der Familie auf und transformiert dadurch das Familienmitglied in einen »Sohn der bürgerlichen Gesellschaft« (§ 238). Durch diese Auflösung der Unmittelbarkeit kann die Freiheit einen Systemcharakter erhalten. Insofern kann von System nur von der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft ab die Rede sein: das »System der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft« (§ 260) als ein System der besonderen Interessen.

(II) Die immanente Produktion einer Äußerlichkeit und Endlichkeit des Geistes Hegel bezeichnet die bürgerliche Gesellschaft als die »Realität der Idee«, als die Sphäre des Relativen. Die bürgerliche Gesellschaft ist die in ihre Extreme verlorene Sittlichkeit: das Prinzip der Besonderheit und das Prinzip der Allgemeinheit. Diese Extreme stehen zunächst in einem äußerlichen Verhältnis:

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Die Form der Allgemeinheit wird zum bloßen Mittel für die Durchsetzung der besonderen Interessen herabgesetzt. Daraus erklärt sich der ambivalente Charakter der bürgerlichen Gesellschaft: Sie ist ein spezifisches Moment der neuzeitlichen Sittlichkeit (eine dem Freiheitsbegriff angemessenere Verwirklichung) und zugleich ein Verlust der Sittlichkeit. Die Äußerlichkeit und Endlichkeit dieser Sphäre ist wie ihre Ungleichheit »aus dem Geist produziert« (§ 200). Diese Sphäre ist auf die Befriedigung der Bedürfnisse gerichtet. Daher ist die Gestalt der Subjektivität auf dieser Stufe »das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt« (§ 190). Die Bedürfnisse dieser Sphäre sind nicht nur die Naturtriebe, und ihre Befriedigung vollzieht sich auch nicht unmittelbar. Diese Befriedigung besteht daher nicht in einem »Naturglück«, sondern in einem produzierten und vermittelten Verhältnis des Geistes mit der Natur. Dieses Verhältnis konstituiert die Endlichkeit und Besonderheit dieser Sphäre. Das Verhältnis der Freiheit mit der Natur, das für die Wirklichkeitsform des Geistes konstitutiv ist, erhält auf dieser Stufe die Form der Arbeit. Die bürgerliche Gesellschaft ist eine neue Sphäre, die durch die Organisation der Arbeit nach den Prinzipien der modernen Verfassungen konstituiert wird. Die Organisation der Befriedigung der Bedürfnisse und der Arbeit durch die Prinzipien der modernen Verfassungen (die berechtigte Besonderheit und die Form der Allgemeinheit) vollzieht sich nicht durch die Setzung äußerer Regeln, durch eine äußerliche Gesetzgebung des Staates. Eine äußerliche Gesetzgebung für eine absolute Regelung dieser Sphäre (z. B. eine gesetzliche Regelung des Kreditzinses oder der Preise) hat sich als nicht durchsetzungsfähig erwiesen, denn diese Sphäre hat ihre eigene Eigengesetzlichkeit, welche den Systemcharakter der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht. Daher bezeichnet Hegel diese Sphäre sowohl als das »System der Bedürfnisse« (§ 188) als auch – aufgrund der Interdependenz in den Produktionsverhältnissen – als das »System allseitiger Abhängigkeit« (§ 183). Eine Gestalt, die einen Systemcharakter hat, lässt sich, wie oben gesagt wurde, wissenschaftlich thematisieren. Das System macht den Vernunftgehalt der Wissenschaft aus. Das gilt auch für die Entstehung einer neuen Wissenschaft (der »Staatsökonomie«, § 189). Hegel hebt die Wissenschaftlichkeit dieser modernen Disziplin auf folgende Weise heraus: »Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die von diesen Gesichtspunkten ihren Ausgang hat, dann aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwickelung darzulegen hat. – Es ist dies eine der Wissenschaft, die in neuerer Zeit als ihrem Boden entstanden ist. Ihre Entwickelung zeigt das Interessante, wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm

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liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den ihn ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet.« (ebd.) Aufgrund dieses Systemcharakters kann Hegel auch die Sphäre der Ökonomie in eine philosophische Wissenschaft (die Philosophie des objektiven Geistes) einbeziehen. Aufgrund seiner Eigengesetzlichkeit ist dieses System ein sich selbst regulierendes Ganzes. Die Stabilisierung vollzieht sich nicht nur durch die bewußtlose Notwendigkeit wirtschaftlicher »Gesetzmäßigkeiten«. Die interne Dialektik dieses Systems erfordert auch die Erzeugung bestimmter Daseinsformen der Freiheit zur Erfüllung dieser Funktion, z. B. das Dasein des Gesetzes; die Rechtspflege, die Bestandteile des Staates, die Hegel als den Not- und Verstandesstaat (wie z. B. die Polizei) bezeichnet, usw. Diese Gestalten sind nicht ein äußeres Eingreifen, sondern sie sind immanente Gestalten dieses Systems. Sie werden aus diesem System selbst erzeugt. Die Sphäre der Ökonomie ist das System des Sonderinteresses. Die Entzweiung und Vermittlung der Interessen dieser Sphäre erfordert die Herausbildung von »besonderen Systemen«. Die Vernünftigkeit dieser »besonderen Systeme« zeigt sich auf höheren Stufen deutlich, denn die Vermittlung der Interessen durch die Repräsentation vollzieht sich, wie oben gesagt wurde, weder unmittelbar noch arithmetisch. Aufgrund der internen Dialektik der objektiven Freiheit vollzieht sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« ein Umschlag der »Realität« dieser Sphäre in die »Idealität« des sittlichen Staates. In diesem Umschlag vollzieht sich eine Vermittlung der Extreme, die diese Sphäre konstituieren, obwohl diese Vermittlung auf dieser Stufe nur eine »relative Vereinigung« (§ 229) sein kann. Diese sittliche Vermittlung manifestiert sich auch im sittlichen Zusammenfallen von Pflicht und Recht in dieser Sphäre (§ 219). Das dritte Moment (die wirkliche Unendlichkeit des Geistes) wird im folgenden Abschnitt über die Individualität des sittlichen Staates erörtert. Die Individualität des Staates ist ein sich »auf sich selbst beziehender Organismus« (§ 259). In der folgenden Analyse der Individualität des Staates wird daher auch der Systemcharakter der sittlichen Freiheit weiter thematisiert. Während das »System der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft« (§ 260) das »System des Sonderinteresses« ist, ist die Individualität des Staates das »System des allgemeinen Interesses« (MEW 1.203). In dieser Allgemeinheit ist aufgrund des Vermittlungsprozesses die Besonderheit enthalten.

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13.3.2.2 Die Individualität des Staates Hegel formuliert das dritte Moment der Systematisierung einer geistigen Wirklichkeit (die wirkliche Unendlichkeit des Geistes) auf folgende Weise: »Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffs, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit scheidet, um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein, teilt somit diesen Sphären das Material dieser seiner endlichen Wirklichkeit, die Individuen als die Menge zu, so daß diese Zuteilung am Einzelnen durch die Umstände, die Willkür und eigene Wahl seiner Bestimmungen vermittelt erscheint« (§ 262). Das individuelle Ganze des Staates ist eine Konstruktion, in der die vom Geist produzierte Endlichkeit und Besonderheit (die sogenannte »Realität« der Idee) zu Momenten herabgesetzt wird. Diese »Idealität« hat eine Hierarchisierung der Stufen der Freiheit, der Rechten und Pflichten zur Folge. Dieses individuelle Ganze besteht nicht nur in einer rein vernunftrechtlichen Konstruktion. Hegel bringt in Bezug auf den Staat erneut den Standpunkt von Montesquieu zur Geltung (§ 261). Es kann von einer »Verfassung a priori« nicht die Rede sein. Die Individualität eines Staates lässt sich auch nicht allein aus einer äußeren Notwendigkeit rekonstruieren. Die Rechtsphilosophie thematisiert den Vernunftgehalt der Rechtsgestalten. Die innere Logik der modernen Staaten besteht laut Hegel in der Souveränität (im »inneren Staatsrecht«) und im Völkerrecht (im »äußeren Staatsrecht«). Hegel erörtert die immanenten Vernunftstrukturen des Staates (I) durch eine Rekonstruktion der Gewaltendifferenzierung; (II) durch die objektive Garantie der Freiheit; (III) durch eine Theorie der Subjektivität des Staates.

(I) Die Gewaltendifferenzierung Hegel rekonstruiert das System der Gewalten, das den sittlichen bzw. politischen Staat (im Unterschied zum Staat der bürgerlichen Gesellschaft) ausmacht, als die stabilisierende Vernunft einer »organischen« Struktur: »Dieser Organismus ist die Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiver Wirklichkeit. Diese unterschiedenen Seiten sind so die verschiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt sind, auf notwendige Weise hervorbringt, und indem es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich erhält; – dieser Organismus ist die politische Verfassung.« (§ 269) Hegel akzentuiert die innere Logik der

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Gewaltendifferenzierung durch eine explizite Referenz auf den Systemteil der Logik: »Wie der Begriff, und dann in konkreter Weise die Idee sich an ihnen selbst bestimmen und damit ihre Momente abstrakt der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit setzen, ist aus der Logik, […] zu erkennen.« (§ 272) Diese Referenz auf die Logik ist jedoch hier nicht sehr hilfreich, denn die Frage hier ist nicht die Sache der Logik, sondern die Logik der Sache (die immanente Vernunftstruktur der Gewaltendifferenzierung). Nicht zufällig sind deswegen diese Referenzen auf der Stufe der Sittlichkeit seltener geworden. Dies zeigt sich deutlich, wenn man diese Gestalt nicht als eine vernunftrechtliche Konstruktion, sondern als eine Gestalt des (objektiven) Geistes thematisiert, die als solche geschichtlich ist. Hegel zeigt den geschichtlichen Charakter dieser immanenten Vernunftstruktur (der Gewaltendifferenzierung) in seiner Kritik an einer Trennung der Staatsgewalten, die entweder (a) aufgrund falscher Rechtsvorstellungen (vgl. § 272 und § 276) oder (b) aufgrund der noch feudalen Gestaltung der staatlichen Institutionen (vgl. § 277) entsteht: (a) In § 272 formuliert Hegel die Hobbessche Kritik an der Gewaltentrennung: Gewalten, die eine »absolute Selbständigkeit« besitzen, stehen nebeneinander und wirken letztendlich gegeneinander. Diese gegenseitige Beschränkung hat kein Gleichgewicht, sondern eine Zerstörung des Staates zur Folge, denn sie setzt die immanente Logik dieser »organischen« Struktur außer Kraft. Diese bedrohliche Gestaltung des Rechts entsteht nicht nur aus Herrschsucht, sondern auch aus einem Selbstmissverständnis der Freiheit, aus einer falschen Einsicht in den Grund der Verbindlichkeit und Berechtigung der Staatsgewalten. Die Berechtigung einer Gewalt liegt nicht in ihr selbst, sondern in der »substantiellen Einheit«, in der »Idealität« des Staates (vgl. § 276). Diese Berechtigung der Gewalten liegt in der internen Differenzierung der einheitlichen Gewalt des Staates. Es gibt eigentlich nur einen Staat, und daher eine Gewalt, die als ein einheitlicher Mechanismus wirkt. (b) In § 277 formuliert Hegel seine Kritik an einer feudalen Gestaltung des Staates, wie er sie bereits in der Verfassungsschrift dargestellt hatte. Das Staatsrecht sei kein Privatrecht: »Die besonderen Geschäfte und Wirksamkeit des Staats sind als die wesentlichen Momente desselben ihm eigen, und an die Individuen, durch welche sie gehandgehabt und betätigt werden, nicht nach ihren allgemeinen und objektiven Qualitäten geknüpft und daher mit der besonderen Person als solcher, äußerlicher- und zufälliger Weise verbunden. Die Staatsgeschäfte und Gewalten können daher nicht Privateigentum sein.« Da die Gewalten Momente der Allgemeinheit des Staates darstellen, können sie nicht als Gestalten der Besonderheit ausgebildet werden. Diese Kritik könnte auch für einen Abbau des »sittlichen Staates« aufgrund der Entwick-

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lung und Expansion der bürgerlichen Gesellschaft gelten. Die Vernünftigkeit des »sittlichen Staates« sollte nicht zu einem Mittel der Privatinteressen herabgesetzt werden, denn aus einem solchen Prozess können nur eine Gefährdung der Freiheit und eine Expansion der Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft entstehen. Hegel thematisiert die in sich gegliederte Einheit des Staates nicht nur als eine stabilisierende Vernunft, sondern auch als eine Garantie der Freiheit. Diese objektive Garantie besteht darin, dass die Momente dieser machthabenden Allgemeinheit eine ausdifferenzierte Wirklichkeit gewinnen. Aufgrund der internen Differenzierung dieser Allgemeinheit wirkt diese »organische« Vernunftstruktur zugleich als eine Stabilisierung und als eine Kontrolle der Staatsgewalten, denn diese Gewalten werden nur »in ihrer Eigentümlichkeit« (§ 286) erhalten. Diese Eigentümlichkeit besteht in der Ausübung einer berechtigten Funktion. Die Problematik einer Garantie der Freiheit erfordert eine eigene Behandlung.

(II) Die objektive Garantie der Freiheit Der systematische Ort für die Frage nach einer Instanz, die als Garantie gegen eine despotische Gestaltung und Ausübung der Machtverhältnisse gelten könnte, ist die Stufe des »inneren Staatsrechts«. Diese Frage muss im Rahmen einer Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens beantwortet werden. Die vormodernen Instanzen lassen sich aus folgenden Gründen nicht mehr zu einer Garantie der Gerechtigkeit erheben: Im Bereich des wissenschaftlichen Rechtsdenkens sind sie nicht mehr haltbar. Im Bereich der Religionspolitik können sie noch wirkungsmächtig sein, aber sie haben ihre integrierende Kraft verloren. Ihre Wirksamkeit enthält nur ein Gefahrenpotential. Dasselbe gilt für neuzeitliche Instanzen, die allein aus einem Selbstmissverständnis der Freiheit entstehen. Eine systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens macht eine Kritik an den folgenden Instanzen notwendig, die gewöhnlich als Garantie der Freiheit und der Gerechtigkeit betrachtet werden: (1) vorgegebene Instanzen; (2) subjektive Instanzen; (3) absolut selbständige Instanzen. (1) Vorgegebene Instanzen: Im neuzeitlichen Rechtsdenken wird erkannt, dass die Form des Geltens und nicht die Form des Vorhandenseins die Seinsweise des Rechts ist. Die Kategorien des Rechts haben im »Naturzustand« keine Geltung. Es kann daher von einer vorgegebenen Garantie der Gerechtigkeit nicht die Rede sein. Durch diese systematische Fundierung des neuzeitlichen Rechtsdenkens werden alle Instanzen verabschiedet, die die vor-

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modernen Denkweisen vorzufinden vermeinen: Gott, die von ihm geschaffene »Natur«, die »Naturgesetze«, ein Widerstandsrecht, die Menschenrechte (im Plural) usw. Da die Geistesphilosophie alle diese Instanzen verabschiedet, kann sie als ein metaphysikkritisches Programm betrachtet werden. In den vormodernen metaphysischen Instanzen herrscht außerdem nicht weniger Willkür als in einer Despotie. In den Menschenrechtskatalogen findet man eine beliebige Aufzählung mannigfaltiger Rechte, die immer von besonderen Interessen geprägt sind. Es gibt jedoch keine Menschenrechte im Sinne des Vorhandenseins, sondern eine ursprüngliche Berechtigung der Freiheit, und dies nur deshalb, weil der freie Wille die Tätigkeit der Rechtserzeugung ist. Diese ursprüngliche Berechtigung wird im Aufbau der Freiheitsstufen (in der Sphäre der relativen Rechte) expliziert. Die Mannigfaltigkeit dieser Rechte ist eine Konstruktion. Sie sind daher nicht vorhanden, sondern sie gelten nur durch eine Willenserklärung, durch unser Wollen. Dieser Standpunkt ist jedoch kein Rechtspositivismus, denn die Positivierung dieser mannigfaltigen Rechte ist eine immanente Forderung der Tätigkeit, aus der die gesamte Sphäre des Rechts hervorgeht. (2) Subjektive Instanzen: Die Instanz, die als eine Garantie der Freiheit und der Gerechtigkeit gelten muss, muss notwendigerweise eine Daseinsform der Freiheit, eine Setzung des freien Willens sein. Die oben erörterte Dialektik der Freiheit auf der Stufe der »Moralität« zeigt, dass die Kategorien des Rechts nur in einer allgemeinen Objektivität gelten können. Mit den sich verfehlenden Gestalten der Subjektivität bezieht Hegel auf der Stufe der »Moralität« die Kategorie des Bösen ein, denn diese Gestalten depotenzieren die Kategorien des Rechts zu einem bloßen Anschein und setzen sie sogar außer Kraft. Die Folge dieser Dialektik besagt, dass nur die allgemeine Objektivität das Recht bestimmt. Das bedeutet in dieser Problematik, dass es nur eine »objektive Garantie« geben kann. Die Dialektik der Moralität führt zu einer Verabschiedung aller subjektiven Instanzen, die gewöhnlich zu einer Garantie der Freiheit erhoben werden: »Als subjektive Garantien können Liebe des Volkes, Charakter, Eide, Gewalt u.s.f. angesehen werden, aber sowie von Verfassung gesprochen wird, ist die Rede nur von objektiven Garantien, den Institutionen, d. i. den organisch verschränkten und sich bedingenden Momenten.« (§ 286) Diese »objektive Garantie« besteht in einer »Sicherung durch Institutionen« (ebd.). (3) Absolut selbständige Instanzen: Die Sicherung der Freiheit durch Institutionen ist jedoch unmöglich, wenn diese als absolut selbständige Instanzen gedacht werden. Instanzen dieser Art lassen sich nicht zu einer Garantie der Freiheit und der Gerechtigkeit erheben, denn ihre Wirkung könnte nur eine Gefährdung der Welt des Rechts und daher Unfreiheit und Unrecht zur

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Folge haben. Aus diesen Gründen formuliert Hegel nicht nur die Hobbessche Kritik an der Gewaltenteilung, sondern auch eine Kritik an der »abstrakten« Vorstellung eines »Gleichgewichts« der Institutionen: Das Gegengewicht eines »Ephorats« solle zu einer Wiederherstellung des Gleichgewichts dienen (vgl. § 273). Institutionen, die aus einem Selbstmissverständnis der Freiheit entstehen, können keine Garantie für das Konkretum der sittlichen Welt sein. Aus diesen Punkten versteht sich, warum Hegel die folgenden »objektiven Instanzen« zur Garantie der Freiheit und der Gerechtigkeit erhebt: (4) die Verfassung als ein »System der Vermittlung« und (5) den Staat als »unbewegten Selbstzweck«. (4) Die Verfassung als ein »System der Vermittlung«: Die objektive Garantie gegen despotische Machtverhältnisse liegt bei Hegel darin, dass der Staat nicht mehr durch die Prinzipien des Privatrechts, sondern durch die Prinzipien einer »machthabenden Allgemeinheit« gestaltet wird, in welcher die verschiedenen begrifflichen Momente eine ausdifferenzierte Wirklichkeit erhalten. Die objektive Garantie ist eine Ausdifferenzierung der Institutionen aufgrund ihrer eigentümlichen Funktion. Die Geltung einer Institution liegt, wie oben gesagt wurde, »in ihrer Eigentümlichkeit«, d. h. in ihrer berechtigten Funktion. Der Geltungsbereich einer Institution beschränkt sich auf die Erfüllung dieser berechtigten Funktion. Die Ausübung der Macht einer Institution über ihre »eigentümliche Sphäre« hinaus hat einen Umschlag ins Faktische, in eine rechtlose Macht zur Folge. Diese Vermittlung der Institutionen hinsichtlich ihrer Funktionen wird von Hegel in jeder Staatsgewalt betont. Die fürstliche Gewalt als objektive Garantie soll im nächsten Abschnitt thematisiert werden. In Bezug auf die Regierungsgewalt betont Hegel das objektive Moment des Erweises der »Befähigung« der Beamten für die Ausübung der Funktionen des Allgemeinen. Bezüglich der gesetzgebenden Gewalt hebt Hegel die Forderung nach einer adäquaten Gestaltung der »politischen Stände« für die Ausübung ihrer immanenten Funktion (die Vermittlung der Interessen durch die Repräsentation) hervor: »Organisch, d. i. in die Totalität aufgenommen, beweist sich das ständische Element nur durch die Funktion der Vermittlung.« (§ 302, Hervorh. A.B.) Die objektive Garantie soll in einem System der Vermittlung liegen, in der die Kontrolle »von oben« durch die Kontrolle »von unten« ergänzt wird (vgl. § 295). Da die objektive Garantie in der Verfassung aufgrund ihrer Vermittlungsfunktion liegt, bezeichnet Hegel in der Verfassungsschrift eine Despotie als einen »verfassungslosen Staat«. (5) Der Staat als »unbewegter Selbstzweck«: Der moderne Staat ist, wie gesagt, eine Vereinigung freier Willen, in der die Besonderheit zu ihrem Dasein und Recht gebracht wird. Daher kann die »Willkür« nicht negiert

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werden, wie es Platon nach Hegel systematisch macht. Die Willkür kann auch nicht »unruhige Beweglichkeit« sein. Der Staat ist zugleich »unbewegter Selbstzweck«. Er ist nicht bloße Gewalt, sondern ein berechtigtes Machtzentrum: die »Idee des von der Willkür Unbewegten«. Das immanente Ziel dieses geistigen Machtzentrums bestehe darin, eine ausreichende Kontrolle der negativen Wirkungen der Willkür zu erreichen. Obwohl es sich um ein geistiges Machtzentrum handelt, gewinnt Hegel dieses von der Willkür unbewegte Zentrum durch eine bestimmte Form der sich ins Dasein übersetzenden Tätigkeit des freien Willens: einen unmittelbaren Umschlag des Geistes in sein Gegenteil – in die Äußerlichkeit der Natur, in die Geburt als Prinzip der erblichen Thronfolge (vgl. § 280). Der Geltungsgrund für die Berechtigung dieses natürlichen Moments ist jedoch ein im Freiheitsbegriff liegendes Moment. Die natürliche Bestimmung der Geburt gilt nur innerhalb eines geistigen Systems der Vermittlung. Die Formulierung dieser Garantie ist daher vereinbar mit dem neuzeitlichen Rechtsdenken. Keinesfalls ist sie als eine Rehabilitierung vormodernen Denkens aufzufassen: »So sind sich öffentliche Freiheit überhaupt und Erblichkeit des Thrones gegenseitige Garantien und stehen im absoluten Zusammenhang, weil die öffentliche Freiheit die vernünftige Verfassung ist, und die Erblichkeit der fürstlichen Gewalt das, wie gezeigt, in ihrem Begriffe liegende Moment.« (§ 286) Die Darstellung dieser natürlichen Bestimmung als eine Garantie der Freiheit könnte politisch wirkungslos oder verdächtig erscheinen. In der jüngsten Geschichte Spaniens, in dem Putschversuch von 1981, kann man jedoch ein Beispiel für diese Funktion der Monarchie sehen. Die Monarchie reagierte auf diesen Umsturzversuch als ein Zentrum, als die Allgemeinheit des »sittlichen Staates«, die als solche über der Sphäre der besonderen Interessen steht. Eine Regierung, die nicht selten nur die Verkörperung der besonderen Interessen einer Partei oder bestimmter gesellschaftlichen Gruppen ist, hätte vielleicht die Geltung dieser Allgemeinheit nicht zu einem adäquaten Dasein und Erscheinung bringen können. Die Monarchie trat in diesem Kampf als die höchste Legitimierungsinstanz auf. Die öffentlich abgegebene Willenserklärung des Monarchen in Bezug auf die Unrechtmäßigkeit des Putsches hatte daher eine nicht zu unterschätzende Wirkung.

(III) Eine Theorie der Subjektivität des Staates In der Dialektik der Moralität, die vom Recht des subjektiven Willens zum Recht der Objektivität treibt, hat sich der Primat der Objektivität gezeigt: Die Objektivität bestimmt das Recht. In der Thematisierung der Frage nach der

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

Sicherung der Freiheit hat sich auch gezeigt, dass nur von objektiven Garantien die Rede sein kann. Bei diesem Primat der Objektivität sind die folgenden Aspekte der Subjektivität hervorzuheben: (a) Die Objektivität lässt sich nicht ohne die Tätigkeit der Subjektivität rekonstruieren, wie die vorliegende Untersuchung es anhand verschiedener Fragen zum Ausdruck gebracht hat. Das Recht ist eine Wirklichkeit, die aus dem »Innersten« (aus der Subjektivität) hervorgeht. Der objektive Geist ist eine durch die Subjektivität konstituierte Objektivität. Die Entwicklung der Subjektivität wurde auch in Kapitel 10 der vorliegenden Untersuchung (»Die Rechtsgeschichte als Geschichte der Freiheit«) als die treibende Kraft der Rechtsgeschichte herausgestellt. (b) Die Relevanz der Subjektivität in Bezug auf die Objektivität des Staates liegt nicht nur darin, dass die Objektivität des Staates eine Objektivierung der Subjektivität ist, sondern auch darin, dass die begriffliche Rekonstruktion der Wirkungsweise dieser Objektivität die Einbeziehung einer immanenten Logik der Subjektivität, der Person erfordert. Die »Substantialität« des objektiven Geistes kann als die Tätigkeit einer bestimmten Gestalt der Subjektivität betrachtet werden. Durch das Spezifikum dieser Gestalt der Subjektivität lässt sich der Unterschied zwischen Staatsrecht und Privatrecht weiter bestimmen. Das »innere« und das »äußere Staatsrecht« sind zwei »Seiten« dieser Subjektivität. Das »innere Staatsrecht« wird durch die Selbstbestimmung dieser Subjektivität konstituiert. Die Selbstbestimmung ist hier die immanente Selbstunterscheidung der Totalität des Staates. Das »äußere Staatsrecht« hingegen wird durch das immanente Verhältnis der Person des Staates zu den anderen mitgesetzten Personen, den anderen Staaten konstituiert: »Seine Richtung nach außen hat den Staat darin, daß er ein individuelles Subjekt ist.« (§ 329) Hegel formuliert das Spezifikum dieser Gestalt der Person auf folgende Weise: »Die Persönlichkeit und die Subjektivität überhaupt hat aber ferner, als unendliches sich auf sich Beziehendes, schlechthin nur Wahrheit und zwar seine nächste unmittelbare Wahrheit als Person, für sich seiendes Subjekt, und das für sich Seiende ist ebenso schlechthin Eines. Die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch, wirklich. – Persönlichkeit drückt den Begriff aus, die Person enthält zugleich die Wirklichkeit desselben, und der Begriff ist nur mit dieser Bestimmung Idee, Wahrheit. – Eine sogenannte moralische Person, Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so konkret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahrheit ihrer Existenz gekommen.« (§ 279) Die Rede von der Person des Staates ist nicht metaphorisch zu verstehen, denn dem Staat werden Wörter und Handlung zugeschrieben. Die Verant-

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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wortlichkeit ist mittels des Begriffs der Person zu denken. Diese Person ist Träger der Verantwortung der Handlungen des Staates. Die Subjektivität des Staates kann als solche nicht nur Zwecke setzen, sondern sie hat als solche innere Grundsätze, die als Regel der Handlung gelten. Ein Staat richtet sich aufgrund seiner Verfassung notwendigerweise auf bestimmte Zwecke. Ein theokratischer Staat hat beispielsweise als Zweck die Bestrafung der Sünde: »Der Staat weiß daher, was er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit, als Gedachtes; er wirkt und handelt deswegen nach gewußten Zwecken, gekannten Grundsätzen, und nach Gesetzen, die es nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind; und ebenso, insofern seine Handlungen sich auf vorhandene Umstände und Verhältnisse beziehen, nach der bestimmten Kenntnis derselben.« (§ 270) Die Subjektivität des Staates ist eine Entscheidungseinheit. Die Rechtserzeugung ist nur möglich, wenn bereits eine Instanz existiert, die ein »letztes Wort« setzen kann. Der Rechtszustand charakterisiert sich dadurch, dass in ihm eine »mensura certa« gesetzt wird. Diese Setzung ist das Produkt der »absoluten Selbstbestimmung« des Staates (§ 275). Da diese Instanz aufgrund ihrer Allgemeinheit die höchste Berechtigung besitzt, ist »das Moment der letzten Entscheidung« (ebd.) zugleich das Moment der Legitimierung. Die Prinzipien des »äußeren Staates« konstituieren bei Hegel eine Sachlogik der Subjektivität des Staates im »Naturzustand«. Durch das Prinzip der Person wird die Mannigfaltigkeit der Staaten erzeugt: »So wenig der Einzelne eine wirkliche Person ist ohne Relation zu anderen Personen (§ 71 u. sonst), so wenig ist der Staat ein wirkliches Individuum ohne Verhältnis zu anderen Staaten (§ 322).« (§ 331) Hegel stellt diese immanente Bewegung der Person auf der Stufe des abstrakten Rechts als ein Prinzip der »Repulsion« dar. Dieses Prinzip besteht einfach in einem für die Person konstitutiven Moment der Negation, in einem ausschließenden Verhältnis: »Die konkrete Rückkehr meiner in mich in der Äußerlichkeit ist, daß Ich, die unendliche Beziehung meiner auf mich, als Person die Repulsion meiner von mir selbst bin und in dem Sein anderer Personen, meiner Beziehung auf sie und dem Anerkanntsein von ihnen, das so gegenseitig ist, das Dasein meiner Person habe.« (EPW § 490) Durch diese Logik lässt sich die Dynamik und das Gefahrenpotential mehrstaatlicher Herrschaftsgebilde sowohl in der Zeit Hegels (z. B. die Heilige Allianz) als auch in der Blockbildung des 20. Jahrhunderts begreifen: »Wenn also auch eine Anzahl von Staaten sich zur einer Familie macht, so muß sich dieser Verein als Individualität einen Gegensatz creiren, sich einen Gegensatz, einen Feind erzeugen.« (Ig. 4.735) Da diese Verhältnisse zwischen selbständigen Staaten im »Naturzustand« (d. h. im »Zustand der Rechtlosigkeit«, GPR § 338) wirken, muß auf dieser

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13. Die immanente Logik des Rechts in der Philosophie des Geistes

Stufe das »Anerkennungsprinzip« einbezogen werden. Das »Anerkennungsprinzip« ist eigentlich in der Stufe des objektiven Geistes enthalten und vorausgesetzt und insofern nicht mehr zu thematisieren. Die Anerkennung anderer Staaten ist ein notwendiges Moment, durch welches die Subjektivität des Staates »vervollständigt« wird (§ 331). Der Unterschied zwischen Staats- und Privatrecht lässt sich auch anhand dieses Prinzips bestimmen. Auf der Stufe des abstrakten Rechts formuliert Hegel die Voraussetzung der bereits vollbrachten Anerkennung im Rechtszustand: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen« (§ 36). Auf der Stufe des »äußeren Staatrechts« kann diese Anerkennung jedoch verweigert werden: »Aber diese Anerkennung fordert eine Garantie, daß er [der Staat] die anderen, die ihn anerkennen sollen, gleichfalls anerkenne, d.i. sie in ihrer Selbstständigkeit respektieren werde, und somit kann es ihnen nicht gleichgültig sein, was in seinem Innern vorgeht. – Bei einem nomadischen Volke z. B., überhaupt bei einem solchen, das auf einer niederen Stufe der Kultur steht, tritt sogar die Frage ein, inwiefern es als ein Staat betrachtet werden könne. Der religiöse Gesichtspunkt (ehemals bei dem jüdischen Volke, den mohammedanischen Völkern) kann noch eine höhere Entgegensetzung enthalten, welche die allgemeine Identität, die zur Anerkennung gehört, nicht zuläßt.« (§ 331) Das Moment der Negation, die für das ausschließende Dasein der Person des Staates konstitutiv ist, treibt zum Dasein des Krieges. Die interne Dialektik des Krieges führt zu einer Wiederherstellung des Anerkennungsprinzips. Man könnte auch sagen, dass die Bekämpfung des erzeugten Feindes auch für den Feind eine identitätsbildende Wirkung haben kann. In bestimmten Kriegen können die Besiegten jedoch in ihrer Identität bestärkt werden. Der Krieg ist nach dieser internen Dialektik ein »Vorübergehensollendes«: »Darin, daß die Staaten sich als solche gegenseitig anerkennen, bleibt auch im Kriege, dem Zustand der Rechtslosigkeit, der Gewalt und Zufälligkeit, ein Band, in welchem sie an und für sich seiend füreinander gelten, so daß im Kriege selbst der Krieg als ein Vorübergehensollendes bestimmt ist.« (§ 338) Die begriffliche Rekonstruktion dieser Dialektik des Naturzustandes transformiert den fiktiven Naturzustand in eine geschichtliche Wirklichkeit und die Forderung »exeundum esse« in eine immanente Notwendigkeit dieser Verhältnisse: Der Krieg ist »ein gewolltes Vorübergehen« (§ 324), das auf der Stufe des »äußeren Staatsrechts« als »ein Vorübergehensollendes« weiter bestimmt wird (§ 338). Diese Forderung ist (im Gegensatz zu Hobbes) keine Klugheitsregel, sondern (mit Kant argumentiert) eine interne Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit. Aber diese Forderung wird bei Hegel (im Gegensatz zu Kant) nicht durch die Gesetzgebung der »praktischen Vernunft« gewonnen, son-

13.3 Die Logik der gesellschaftlichen Institutionen

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dern durch die interne Dialektik der Wirklichkeit des Staates. Sie hat daher nicht mehr den Charakter einer moralischen Nötigung. Der Unterschied zwischen der Konkretion der Person des Staates und dem abstrakten Charakter der Person des Einzelnen bestimmt nach Hegel auch den Unterschied zwischen den Verträgen des äußeren Staatsrechts und den des Privatrechts sowohl in Bezug auf ihren Inhalt (vgl. § 322) als auch in Bezug auf ihren Geltungsgrund (vgl. § 336). Trotz der Fruchtbarkeit des Hegelschen Ansatzes ist das Völkerrecht ein Rechtsbereich, in welcher seitdem wichtige Rechtsentwicklungen stattgefunden haben. Die Rekonstruktion dieser Rechtsentwicklungen erfordert eine neue philosophische Reflexion. Außerdem macht sie die Einbeziehung einer Analyse der wirtschaftlichen Prozesse notwendig, denn diese Entwicklungen lassen sich nicht allein aus der Logik der objektivierten Freiheit erklären.

Schluss

In der Frühneuzeit verlieren die Instanzen, die im vormodernen Rechtsdenken als Prinzipien des Rechts aufgefasst werden, ihre Glaubwürdigkeit und ihre wirksame Kraft. In der christlichen Welt der Frühneuzeit ist die Natur als Schöpfung Gottes eine Ordnungsstruktur, die von den Menschen abzubilden ist. Die Entstehung einer mathematischen Naturwissenschaft und der wissenschaftlichen Rechtfertigung der atomistischen Prinzipien hat eine Transformation des Naturbegriffs zur Folge, was sich auch auf das Rechtsdenken auswirkt. Die Gestaltung der Welt des Rechts kann insofern nicht mehr als Nachahmung einer natürlichen Ordnung begründet werden. In den konfessionellen Spaltungen und Bürgerkriegen zeigt sich, dass die Religion ihr integrierendes Potential verloren hat. Die Instanzen der Religion und der Theologie können nicht mehr als das Prinzip des Rechts aufgefasst werden. Diese Prozesse führen in der europäischen Philosophie der Frühneuzeit zur Herausbildung eines neuen Rechtsdenkens. Hobbes ist die philosophiegeschichtliche Gestalt der Frühneuzeit, die den Zusammenhang beider Prozesse, der Umgestaltung des Naturbegriffs und der Kraftlosigkeit der religiösen Instanzen im Bereich des Rechts, zum Gegenstand der philosophischen Reflexion macht. Da die vorgegebenen und überlieferten Prinzipien der Religion und der Theologie kraftlos geworden sind, müssen die Begründung der Verbindlichkeit und die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse in einem wirklichkeitsgestaltenden Prinzip, das in uns selbst liegt, gesucht werden. Hobbes vollzieht die epochemachende Erhebung der objektivierenden Tätigkeit des freien Willens zum Prinzip des Rechts. Die Erhebung der Tätigkeit der Subjektivität zum Prinzip des Rechts und die Auflösung der Probleme, die aus der Kraftlosigkeit der vormodernen Prinzipien entstehen, machen die Entwicklung eines neuen Vernunftmodells notwendig, mittels dessen sich das Vernunftmodell des vormodernen Naturrechts (die »recta ratio«) verabschieden lässt. Die Vernunft des Rechts lässt sich nicht mehr als die Einsicht in die vermeintlich vorgegebene Verbindlichkeit von »Naturgesetzen« begreifen. Die Geltung der Rechtsbestimmungen erfordert Wirklichkeitsmomente, die Setzung eines Daseins der Freiheit. Die Entwicklung dieses neuen Vernunftmodells ist damit ein wirkungsmächtiger Schritt in der Verabschiedung des Naturrechtsdenkens. Geltung und Wirksamkeit sind in der Vernunft des Rechts untrennbare Momente. Nicht im Wahrheitscharakter, sondern in der wirksamen Kraft der Objektivierungen des freien Willens liegt die Verbindlichkeit der Rechtsverhältnisse. Das

Schluss

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Moment der Wirksamkeit, die für die Form des Geltens konstitutiv ist, ist jedoch nicht bloße Faktizität, sondern eine begriffsgemäße Verwirklichung. Das neue Vernunftmodell, das Hobbes als »artificial reason« bezeichnet, schließt sowohl die reelle als auch die ideelle Seite des Rechts ein. Die Subjektivität produziert künstliche Verhältnisse, die für die Entfaltung der Vernunft und für die Wechselwirkung der Menschen angemessen sind. Hobbes rekonstruiert die basalen Bestimmungen dieses Vernunftmodells durch seine Zeichentheorie. Sowohl in der symbolischen Bezeichnung der Wissenschaft als auch in der Willenserklärung lässt sich der Grundgedanke des neuen Vernunftmodells zeigen: das Zusammenwirken von Denken und Anschauung, von Geltung und Setzung eines Daseins. In der Zeichentheorie zeigt sich, wie die immanenten Prinzipien, die Tätigkeiten der Subjektivität funktionieren. In seinem Materialismus findet Hobbes adäquate gedankliche Mittel für die Immunisierung gegen eine Verabsolutierung der ideellen Seite des Rechts, für die Akzentuierung der Relevanz der Wirklichkeitsmomente des Rechts, z. B. die Betonung der physikalischen Seite des Sprechens sowohl in der Geltung der Willenserklärung als auch in der Bekanntmachung des »Willens Gottes«. Der Vernunftgehalt der neuen Wissenschaft ist bei Hobbes eine immanente Produktionslogik. In der von ihm entwickelten Wissenschaft (»civil philosophy«, »scientia civilis«) erhebt er dieselben Wahrheitsansprüche wie die Geometrie, denn sie beschäftigt sich auch mit der genetischen Rekonstruktion ihres Inhalts. Eine solche Begründung des Wissenschaftscharakters der neuen Disziplin führt zu einer Verselbständigung der praktischen Philosophie der Theologie gegenüber. Der Wissenschaftscharakter und die Wahrheitsansprüche der Inhalte des Naturrechts sind nicht mehr durch ihre Ableitbarkeit aus den ersten Prinzipien der Theologie zu begründen. Hobbes bringt einerseits den Begründungsgang zur Geltung, der für das neuzeitliche Rechtsdenken konstitutiv ist. Die Pflichten werden aus der ursprünglichen Berechtigung des Willens abgeleitet. Andererseits formuliert er den individualistischen Denkansatz des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Die ursprüngliche Berechtigung eines isolierten Einzelwillens (das »Recht auf alles«) ist der Ausgangspunkt der Rekonstruktion der Pflichten, die die gesamte Sphäre des Rechts ausmachen. Hobbes bringt deutlich zum Ausdruck, dass der Vernunftgehalt der neuen Wissenschaft in einer Logik besteht. Der besondere Wille erhebt im Naturzustand einen Anspruch auf das Allgemeine, aber diese Rechtsansprüche werden in der Dialektik des Naturzustandes relativiert, denn die Geltung der Rechtsverhältnisse erfordert eine adäquate Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit, die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen Willens.

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Schluss

Die »Naturgesetze« sind eigentlich keine Gesetze, sondern sie bilden eine Sachlogik, die innere Logik des Vertrags. In der Rekonstruktion dieser Logik bringt Hobbes auch sein neues Vernunftmodell zur Geltung: Die positiven Gesetze sind künstliche Verhältnisse (»artificial chains«), die für die Verwirklichung der Vernunftbestimmungen, der »Naturgesetze«, angemessen sind. In der pauschalen Rede vom Souverän wird eine Logik der Institutionen, z. B. die Interdependenz der Staatsgewalten, dargestellt. Da die verwirklichte Vernunft der Institutionen aus dem immanenten Prinzip des freien Willens hervorgeht, liegt in den Handlungen, die die Geltung der Rechtsverhältnisse außer Kraft setzen wollen, nicht nur ein Gefahrenpotential, sondern auch ein Selbstwiderspruch. In einem solchen Widerspruch besteht laut Hobbes z. B. das Unrecht. Darin findet man eine rudimentäre Formulierung der Forderung der Vernunft nach Widerspruchsfreiheit, die später von Kant adäquat formuliert wird und von Hegel in einem neuen Vernunftbegriff weiter entwickelt wird. Hobbes hat wesentliche Paradoxa der neuen Konstellation des Denkens, die mit dem Freiheitsbegriff verbunden sind, zum Ausdruck gebracht, z. B. die Forderung nach der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und Zwang, von subjektiver Freiheit und der Macht der objektivierten Freiheit usw. Im Bereich der Religionspolitik thematisiert Hobbes den Grund für die Verbindlichkeit der »laws of God«. Er muss das Verhältnis zwischen dem Grundgedanken der Religion – das vorgegebene Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott – und dem Grundgedanken des neuzeitlichen Rechtsdenkens, dass die Geltung aller Gesetze von einer Einwilligung abhängig ist, und damit die Vereinbarkeit zwischen den überlieferten Prinzipien der Religion und dem immanenten Prinzip des freien Willens rekonstruieren. Der Leitfaden für die Thematisierung dieser Problematik ist bei Hobbes die Frage: Durch welche Autorität wird die Bibel zum Gesetz gemacht? Die Verbindlichkeit der »Gesetze Gottes« erfordert laut Hobbes die Setzung eines allgemeinverbindlichen Willens. Der freie Wille ist auch im Bereich der Religionspolitik nur deshalb das Prinzip der Verbindlichkeit, weil seine objektivierende Tätigkeit Möglichkeitsbedingung der Geltung und Wirksamkeit der überlieferten Inhalte der Religion ist. Die folgenden Insuffizienzen der Hobbesschen Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens führen zu einer Verdeckung der von ihm formulierten Erhebung des freien Willens zum Prinzip des Rechts: (a) Trotz der Verabschiedung des Naturrechtsdenkens durch ein neues Vernunftmodell, anhand dessen Hobbes seine Auffassung des Rechts als Dasein des freien Willens und die Relevanz der Wirklichkeitsmomente des Rechts zur Geltung bringen kann, bleibt sein Rechtsdenken mit der Zweideutigkeit

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des Naturrechtsdenkens behaftet. Unter Natur versteht das Naturrechtsdenken sowohl den Begriff des Gegenstandes als auch vermeintlich vorgefundene Bestimmungen. Hobbes rekonstruiert die äußere Sphäre des Rechts durch Prinzipien, die in uns liegen. Diese Prinzipien sind bei ihm sowohl die produktive Tätigkeit der Subjektivität als auch immanente »Naturbestimmungen« (die »Naturtriebe« des Menschen). (b) Die Vermischung von Freiheits- und Naturbestimmungen, die für das Naturrechtsdenken charakteristisch ist, wird in Hobbes’ Naturrecht zugespitzt, indem er mit einem materialistischen Begriffsinstrumentarium operiert. Der Hobbessche Materialismus hat eine Ausweitung naturphilosophischer Denkmittel, z. B. »body«, »conatus« bzw. »endeavour«, Kausalitätsverhältnis usw. auf den Bereich der menschlichen Produktionen zur Folge und insofern die Übertragung von Naturbestimmungen auf die Sphäre der Freiheit. Hobbes fasst den Inhalt der »civil philosophy« nicht nur metaphorisch als »body politic« auf. Der Materialismus dient zu einer Immunisierung gegen die Instanzen des Spiritualismus und, wie oben gesagt, zur Akzentuierung der Relevanz der Wirklichkeitsmomente des Rechts. Diese Wirklichkeitsmomente werden jedoch im Materialismus nicht als Dasein der Freiheit rekonstruiert, sondern als »naturhafte« Wechselwirkung menschlicher »Körper«. Immanente Bestimmungen der Subjektivität wie die Leidenschaften werden nicht als die Spontaneität der Subjektivität, als eine Form der Vernünftigkeit begriffen, sondern als eine geistlose Wirkung von außen, als Passivität (»passio«). Im Hobbesschen Materialismus zeigt sich ein Paradoxon des neuzeitlichen Denkens: Die Subjektivität wird zum Prinzip, zu einer wirklichkeitsgestaltenden Tätigkeit erhoben und zugleich aufgrund eines unzureichenden Begriffsinstrumentariums als Passivität begriffen. Durch den materialistischen Denkansatz werden die immanenten Bestimmungen der Subjektivität, das »Innerste«, aus dem die ganze Sphäre des Rechts hervorgeht, auf äußerliche Verhältnisse, z. B. die »causa efficiens«, zurückgeführt und das einfache Prinzip des Denkens, die Tätigkeit der Subjektivität, auf mannigfaltige Bestimmungen (die Mannigfaltigkeit der vermeintlich vorgegebenen »Naturtriebe« des Menschen). Durch seinen Materialismus versucht Hobbes auch Probleme der neuen Konstellation des Denkens aufzulösen, z. B. die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit. Die Anwendung einer materialistischen Begrifflichkeit auf diese Aufgabe ist jedoch eine verfehlte Strategie, denn es handelt sich nicht um eine Naturnotwendigkeit, sondern um eine Notwendigkeit der objektivierten Freiheit. Hobbes betont die Notwendigkeit in den Prozessen und Produkten der Subjektivität. In seiner Zeit wird eine solche Notwendigkeit als eine Lehre der Unfreiheit des Willens verstanden. Aufgrund einer verfehlten Rekonstruktion der Notwendigkeit

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wird Hobbes’ Erhebung des freien Willens zum Prinzip des Rechts verdeckt. In der Begründung einer solchen Notwendigkeit, z. B. gegen Bramhall, gerät Hobbes in Schwierigkeiten und sogar in sophistische Behauptungen, was sich z. B. zeigt bei der Leugnung der Freiheit des Willens und der gleichzeitigen Begründung einer Rede von »freien Willensakten« als der ungehinderten Bewegung von Körpern, die durch Empfindung und Willen gekennzeichnet sind. Der aporetische Charakter sowohl der Zweideutigkeit des Naturbegriffs im Naturrechtsdenken als auch der Ausweitung materialistischer Begriffsmittel auf den Bereich der Rechtsphilosophie zeigt sich am meisten in der folgenden Schwierigkeit. Der materialistische Monismus ist mit dem Dualismus, der für das neuzeitliche Rechtsdenken konstitutiv ist, unvereinbar. Das neuzeitliche Rechtsdenken rekonstruiert das Recht durch ein immanentes Prinzip. Dieses Prinzip ist ein Faktum und hat daher die Form des Vorhandenseins. Die Tätigkeit dieses Prinzips produziert eine nicht-natürliche Sphäre, deren Seinsweise die Form des Geltens ist. Die Forderung der Vernunft nach einer konsequenten Ausgestaltung des neuzeitlichen Rechtsdenkens macht die Entwicklung eines feineren Instrumentariums für die Rekonstruktion dieses Dualismus von Seinsweisen – von Natur und Freiheit, von der Form der Vorhandenseins und der Form des Geltens – notwendig. (c) Der Vernunftgehalt der neuzeitlichen philosophischen Wissenschaft des Rechts ist die immanente Logik der Institutionen. Die Rekonstruktion dieser Logik bei Hobbes hat nicht die Form einer konkreten (d. h. zusammengewachsenen) Allgemeinheit, sondern noch die Form der Mannigfaltigkeit, wie die mannigfaltigen »Naturgesetze« zeigen, die die innere Logik des Vertrags konstituieren. In der Hobbesschen Rechtsphilosophie offenbaren sich die Insuffizienzen der Freiheitsauffassungen, die auf dem Vertragsdenken beruhen. Die Objektivierungen des freien Willens sind nicht frei verfügbare Akte, sondern im wesentlichen Prozesse, die sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« vollziehen. Neben der Sachlogik des Vertrags werden bei Hobbes andere immanente Vernunftstrukturen, z. B. die Gewaltendifferenzierung, thematisiert. In der Hobbesschen Rekonstruktion der Logik der Institutionen fehlen daher sowohl eine Systematisierung dieser immanenten Strukturen als auch eine nähere Ausgestaltung der Prinzipien, die für eine adäquate Rekonstruktion der Vielfalt und des Reichtums der Institutionen notwendig sind. Die pauschale Rede vom Souverän ist einleuchtend, aber unzureichend. (d) Hobbes verfügt nicht über die notwendigen gedanklichen Mittel für die Rekonstruktion der Normen, die das Leben in Anspruch nehmen. Damit gerät er in Widersprüche. Die Erklärung des Friedens und des Krieges sei einerseits eine berechtigte Funktion des Souveräns. Die Verträge, in denen

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auf die Sicherung des Lebens verzichtet wird, seien andererseits nichtig, denn die Spontaneität des Willens (der Selbsterhaltungstrieb) stehe nicht zur Disposition. Das basale Selbstverhältnis des freien Willens ist jedoch nicht die Selbsterhaltung des tierischen Organismus, sondern die Unendlichkeit des Geistes. Der freie Wille ist auch auf die Behauptung und Wiederherstellung der Freiheit gerichtet und setzt daher notfalls das Naturmoment des Lebens zu etwas Sekundärem herunter. Aus diesem Grund bezeichnet Hegel das basale Selbstverhältnis des freien Willens, das die Spontaneität des rechtserzeugenden Willens ausmacht, als den sich selbst wollenden Willen. (e) Hobbes versucht, eine naturrechtliche Begründung des positiven Rechts durch die wirklichkeitsgestaltende Tätigkeit des freien Willens zu erreichen. Die positiven Gesetze sind als Willenserklärung des Souveräns der einzige stabile Maßstab, der für die Unterscheidung von Recht und Unrecht gültig ist. Daher kann per definitionem von ungerechten Gesetzen nicht die Rede sein. Vernunft und Positivität ergänzen einander und können damit nicht in Widerspruch stehen. Neben diesem Vernunftmodell, das die ideelle Seite der Idee des Rechts zu gering nimmt, formuliert Hobbes ein anderes Vernunftmodell, in dem die ideelle und reelle Seite in Widerspruch stehen können. Es kann von guten und schlechten Gesetzen die Rede sein, denn es gibt widersprüchliche und überflüssige Gesetze. Nur der gute Wille des Souveräns schafft die guten Gesetze. Darin zeigt sich, dass Hobbes noch keine adäquate Vermittlung zwischen den Vernunftbestimmungen und den Wirklichkeitsmomenten erreicht hat. Aus der Rezeption des Hobbesschen Naturrechts entstehen verschiedene Entwicklungslinien. Zum einen geht die Radikalität des Hobbesschen Denkansatzes durch eine Vermischung mit vormodernen Denkformen verloren. Eine solche Vermischung ist durch die Rehabilitierung des Primats des Verpflichtungsgedankens erkennbar. Locke und Pufendorf leiten die Rechte aus einem ursprünglichen Verpflichtungsverhältnis ab. Zum anderen wird das neuzeitliche Rechtsdenken stabilisiert und zu einer angemesseneren Durchführung gebracht. Zu dieser Linie gehören Kants Vernunftrecht und Hegels Philosophie des objektiven Geistes. Die Philosophie des objektiven Geistes wächst auf dem von Kant vorbereiteten Boden. Die Stärke des Kantischen Vernunftrechts liegt in Gedanken, die von Hegel aufgenommen und weiter entwickelt werden. Wie Kant bringt Hegel das Festhalten an dem Primat des Rechts, des Freiheitsgedankens zur Geltung und expliziert damit den Begründungsgang des neuzeitlichen Rechtsdenkens. Hegels Pflichtenlehre beginnt mit der Allgemeinheit der Person, die der Grund der Rechtsfähigkeit ist. Das Gebot »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen«, das für die erste Stufe des objektiven Geistes

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konstitutiv ist, bringt diesen Primat des Rechts zum Ausdruck. Hegel fasst die Mannigfaltigkeit der relativen Rechte nicht als eine vorgegebene Wirklichkeit auf, sondern begreift sie mit Kant als eine Entfaltung der ursprünglichen Berechtigung des freien Willens. Das angeblich angeborene Recht der Freiheit ist eine Berechtigung, die auf ihrer rechtserzeugenden Tätigkeit beruht. Kant verabschiedet die Zweideutigkeit des Naturbegriffs, die für das Naturrechtsdenken konstitutiv ist, indem er eine begriffliche Trennung von Freiheit und Natur erreicht. Diese Trennung ist Möglichkeitsbedingung für das Vermittlungsmodell, das den Freiheitsbegriff der Geistesphilosophie ausmacht. Die Seinsweise des Geistes ist die Freiheit des »Beisichseins«, d. h. ein mit der Natur vermitteltes Selbstverhältnis. Hegels Rekonstruktion der Notwendigkeit der objektivierten Freiheit ist als eine Fortsetzung der Kantischen Relativierung des Vertragsdenkens zu betrachten. Seine Philosophie ist zugleich eine Korrektur der Insuffizienzen des Kantischen Vernunftrechts. Die »praktische Vernunft« Kants ist eine subjektive Instanz. Trotz seiner Kritik an den Instanzen des Naturrechts (den »Naturgesetzen«, der »Natur« des Menschen) bleibt in Kants Vernunftrecht ein Rest des Naturrechtsdenkens erhalten: Die Idee des allgemeinverbindlichen Willens ist hier noch eine Entäußerungsgestalt, eine Projektion des Denkens (mit Hegels Worten ein sich jenseits seiner selbst versetzender Wille), denn sie existiert jenseits der geschichtlichen Verwirklichung der Freiheitsbestimmungen. Aufgrund dieser Kluft zwischen der ideellen Seite des Rechts und ihrer geschichtlichen Verwirklichung kann Kants Vernunftrecht das Hobbessche Problem der Vermittlung zwischen Vernunft und Positivität nicht auflösen. Aus den Insuffizienzen der Hobbesschen und Kantischen Rechtsphilosophie erklärt sich die Forderung nach der Einbeziehung einer Instanz, die für eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens angemessener ist. Hegel rekonstruiert die Tätigkeit des freien Willens durch den Geistbegriff. Der Geist ist eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Wollens. Sie geht insofern aus Prinzipien hervor, die in uns liegen. Die immanenten Prinzipien sind nicht mehr vermeintlich vorgegebene Bestimmungen der »Natur des Menschen«, wie im frühneuzeitlichen Rechtsdenken, sondern die Tätigkeit der Subjektivität. Der Geist hat kein anderes Wesen als seine Tätigkeit; er ist »actus purus«. Die Tätigkeit der Subjektivität ist das Denken, die Tätigkeit des Allgemeinen. Der freie Wille, der sich noch nicht zum Bewusstsein seiner Allgemeinheit erhoben hat, kann eigentlich noch kein Recht erzeugen. Er ist diejenige Weise des Denkens, durch welche der Geist in die Wirklichkeit tritt. Der Geist produziert eine Wirklichkeit, die seiner Bewusstseinsstufe der Freiheit angemessen ist. Der sich selbst wol-

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lende Wille ist das rudimentäre Selbstverhältnis, das für die Sphäre des objektiven Geistes charakteristisch ist. Die geistesphilosophische Rekonstruktion der Tätigkeit des freien Willens hat auch eine Umgestaltung des Vernunftbegriffs zur Folge. Die Vernunft ist bei Hegel nicht mehr eine subjektive Instanz wie die gesetzgebende Tätigkeit der »praktischen Vernunft« Kants, sondern eine schon verwirklichte Vernunft, die durch die falschen Ansprüche sich verfehlender Gestalten der Subjektivität gefährdet werden kann. Die Vernunft des objektiven Geistes ist eine stabilisierende Instanz. Der Vernunftgehalt der geistigen Wirklichkeit hat den Systemcharakter einer Totalität, die durch geographische und geschichtliche Faktoren bestimmt ist. Der Geist ist geschichtlich, und das Recht ist eine Gestalt des Geistes. Eine geistesphilosophische Durchführung des neuzeitlichen Rechts muss insofern den freien Willen nicht nur zum Prinzip des Rechts, sondern zugleich zum Prinzip der Rechtsentwicklungen erheben. Der Inhalt der Philosophie des objektiven Geistes ist die immanente Logik des Rechts. In Hegels System ist der Terminus »Logik« ein bereits besetzter Begriff. Unter Logik ist hier die spezifische Logik des Gegenstandes zu verstehen: die als Recht objektivierte Freiheit. Die Geistesphilosophie thematisiert eine im Begriff der Freiheit liegende Struktur, die in einem Verwirklichungsprozess expliziert wird. Dieser Prozess schließt sowohl die Freiheit des objektiven als auch des absoluten Geistes ein. Der freie Wille ist eine Gestalt des Geistes, und dessen immanente Logik setzt insofern die basalen Bestimmungen des Geistbegriffs voraus. Der Inhalt dieser Logik ist nicht das »reine Denken«, sondern »eine besondere Weise des Denkens«, die die objektivierende Tätigkeit des freien Willens ausmacht. Die Logik des objektiven Geistes wird in einem Aufbau von Stufen dargestellt, durch welche sich die Kollision und die Hierarchisierung der Daseinsformen des freien Willens rekonstruieren lassen. Da sie sowohl eine Pflichtenlehre als auch eine begriffsgemäße Verwirklichung darstellt, enthält diese Logik ein normatives und kritisches Potential. Die Vernunft des Rechts umfasst die Freiheitsbestimmungen und ihre Verwirklichung, die beiden Seiten der »Idee« des Rechts. Wie Hobbes thematisiert Hegel die Wirklichkeitsmomente der äußeren Sphäre der Freiheit als konstitutive Momente der Geltung und der wirksamen Kraft der Rechtsbestimmungen. Auf der Stufe des abstrakten Rechts erklärt Hegel, wie eine äußere Sphäre der Freiheit aus dem »Innersten«, aus der Subjektivität, hervorgeht. Die Person ist der Grundbegriff dieser Sphäre. Bereits auf dieser Stufe zeigt sich, dass die Logik des Rechts in einer Herausbildung der Subjektivität besteht, die mittels eines Selbstbewusstseinsmodells zu rekonstruieren ist. In diesem Prozess wird die Subjektivität nicht hervorgebracht, sondern zu einem Wis-

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sen von sich erhoben. Auf der Stufe der Moralität wird die Genese eines allgemeinverbindlichen Willens dargestellt. Dieser Prozess schließt die Reflexion des Willens in sich und die Rückbindung des subjektiven Willens an die allgemeine Objektivität des Rechts ein. Hegel thematisiert die Frage, ob die Vernunft des Rechts in einer subjektiven Vernunft oder in der Objektivität einer Totalität besteht. In der Rekonstruktion der Kollision zwischen dem Recht des subjektiven Willens und dem Recht der Objektivität zeigt sich die Objektivität als das übergreifende Moment. Die Objektivität bestimmt das Recht, und nur in ihr kann das Recht des subjektiven Willens zur Geltung gebracht und stabilisiert werden. Die sich verfehlenden Gestalten der Subjektivität gefährden die schon verwirklichte Vernunft des Rechts und setzen die Rechtsbestimmungen außer Kraft. Auf der Stufe der Sittlichkeit thematisiert Hegel den Hauptinhalt der Rechtsphilosophie, die Logik der gesellschaftlichen Institutionen. Der freie Wille setzt eine »zweite Natur« aus sich selbst. Auf dieser Stufe zeigt sich die Organizität bzw. der Systemcharakter der Freiheit. Die Institutionen konstituieren eine Notwendigkeit der objektivierten Freiheit. Hegel rekonstruiert den Zusammenhang zwischen der Spontaneität des freien Willens, aus der alle Rechtsgestalten fließen, und der Festigkeit der »Naturformen« der sittlichen Welt. Für den Erfolg dieser Aufgabe vollzieht er eine Bereicherung des Freiheitsbegriffs. Die Tätigkeit des freien Willens wird nicht mehr auf frei verfügbare und bewusste Akte beschränkt. Die übergreifenden Zwecke der Objektivierungen des freien Willens gehen über die unmittelbaren Interessen hinaus und setzen sich notfalls gegen die berechtigte Freiheit der Besonderheit durch. Hegel rekonstruiert die Logik der Institutionen durch eine immanente Produktionslogik, die jedoch nicht in einem unmittelbaren Produzieren, in einem »Machen« besteht. Die Entwicklung dieses neuzeitlichen Freiheitsbegriffs hat die Formulierung weiterer Paradoxa zur Folge. Die Subjektivität, das Denken, ist das Prinzip des Staates, obwohl eine solche Gestalt der Freiheit sich »hinter dem Rücken des Selbstbewusstseins« vollzieht. Dieser Prozess ist zugleich ohne einen Anteil des Bewusstseins nicht rekonstruierbar. In der Herausbildung der Institutionen vollzieht sich ein Prozess der Selbstverständigung, z. B. einer Gerechtigkeitsauffassung. Die Objektivierung der Institutionen ist zugleich Möglichkeitsbedingung des Sichwissens des absoluten Geistes, denn der Geist kann sich nur in seiner Vergegenständlichung erkennen. Der objektive Geist, die objektivierte Welt der Institutionen, ist insofern eine Wirklichkeitsform des Wissens und des Wollens. Die Rekonstruktion der Logik der »Idee« des Rechts erfordert die Einbeziehung der Geschichte, denn sie schließt die geschichtliche Verwirklichung der Freiheitsbestimmungen ein. Die Einbeziehung der Geschichte ist sowohl

Schluss

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Prüfstein als auch Schlüssel für eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtdenkens. Ein solcher Schritt erfordert einerseits eine Prüfung der Annahmen des neuzeitlichen Rechtsdenkens, denn sie muss die Wirksamkeit der Projektionen des Rechts – der Gestalten eines »sich jenseits seiner selbst versetzenden Willens«, z. B. des »Willens Gottes« – durch die immanenten Vernunftstrukturen des freien Willens rekonstruieren. Die Vereinigung von Vernunft und Geschichte ist auch der Schlüssel für die Schwierigkeiten des neuzeitlichen Rechtsdenkens, denn sie ermöglicht die Vermittlung zweier berechtigter Einseitigkeiten, der Forderung des Vernunftrechts nach begriffsgemäßer Verwirklichung und der Berechtigung der geschichtlich gewachsenen Lebensformen den Abstraktionen der Vernunft gegenüber. Die adäquate Ausgestaltung des neuzeitlichen Rechtsdenkens erfordert insofern die Erhebung des freien Willens zum Prinzip der Rechtsentwicklungen und die Begründung einer neuen philosophischen Wissenschaft, einer philosophischen Rechtsgeschichte. Hegel hat durch seine Geistes- und Geschichtsphilosophie die Begriffsmittel dafür bereitgestellt, mithilfe derer wir sowohl eine konsequente Durchführung des neuzeitlichen Rechtsdenkens ohne Reste vormoderner Denkformen als auch eine begriffliche Rekonstruktion der heutigen Rechtsentwicklungen erreichen können. Das enorme Begriffspotential der Hegelschen Geistesphilosophie muss von unserer Kultur noch in Besitz genommen werden.

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