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German Pages 251 [246] Year 2007
Der französische Hegel
Herausgegeben von
Ulrich Johannes Schneider
Deutsche Zeitschrift für Philosophie Zweimonatsschrift der internationalen
philosophischen Forschung
Sonderband
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Der französische
Hegel Herausgegeben von
Ulrich Johannes Schneider
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen
Stiftung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-05-004195-7 © Akademie Das
Verlag GmbH, Berlin 2007
eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -
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Lektorat: Mischka Dammaschke
Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Satz: Veit Friemert, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal
Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Ulrich Johannes Schneider Einleitung: Der französische Hegel
I.
Hegel im Raster der Geschichtsphilosophie
Jacques D'Hondt
Die populäre Hegel-Rezeption in Frankreich. 19 Patrice Vermeren Victor Cousins Hegel.33 Knut Ebeling Alexandre Kojève. Ein Snobismus sans réserve.49 Andreas Gelhard Abstraktion, Attraktion Maurice Blanchot liest Hegel.65 -
II.
Emphatische Lektüren
Bernard Bourgeois Jean Wahl als Leser von Hegel.77 Sabina Hoth Jean Hyppolite: Logique et Existence.91 Pierre Aubenque Eric Weil oder der letzte Hegelianer.105
III. Abarbeiten
an
Hegel
Franck Fischbach Der französische Neo-und Anti-Hegelianismus als Quietismus .113 Stéphane Douailler Die Eroberung des Inhalts: Orte und Knoten Louis Althussers.129
Inhaltsverzeichnis
6
Denis Kambouchner Hegel unter Dekonstruktion.143 Catherine Malabou Dialektik und Dekonstruktion: ein neues „Moment".155
Hegel als Abstoßungspunkt
IV.
Brigitte Rauschenbach Hegel und der französische Feminismus.163 Angelika Pillen Michel Foucault oder der Versuch, Hegel zu entkommen.175 Jean-Pierre Cotten Hegel als „Abstoßungspunkt" in der Denkgeschichte von Gilles Deleuze?.187 Warren Breckman Die Rückkehr des Königs.205
V
Hommage
Joachim Wilke Freund Jacques D'Hondt.219
Anhang Jan Neersö
Chronologische Bibliographie französischen Hegel 1918-1970.225
zum
Personenverzeichnis
247
Ulrich Johannes Schneider
Einleitung: Der französische Hegel
gibt eine Reihe von Büchern zum Thema „Hegel in Frankreich", und die vorliegende Sammlung schließt daran an.1 Sie erweitert den Blick auf die spezifische Rezeptionsgeschichte des deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) jenseits des Rheins. Dabei behandeln die vorliegenden Beiträge Hegels Philosophie nicht wie eine feststehende Größe, der man mehr oder weniger gerecht werden kann, sondern eher wie ein Gedankenkapital, das nach verschiedenen Bedürfnissen eingesetzt wird. Daher der Titel „Der französische Hegel". Dieser Band eröffnet eine große Vielfalt an Hegelverständnissen von den frühen emphatischen Briefen Victors Cousins bis zu den späten Verschweigungen seines Namens bei Louis Althusser oder Michel Foucault. Der Beginn der französischen Hegelrezeption im strengen Sinn fällt in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu nennen sind hier die Namen von Maurice Blanchot, Jean Hyppolite, Alexandre Kojève, Jean Wahl und Eric Weil. Deren Lektüren stellen erste intensive Einlassungen auf Hegel und seine Philosophie dar. Diese war gleichwohl in Frankreich auch zuvor präsent, was allerdings weniger in den Philosophiegeschichten vermerkt ist, sondern aus den Chroniken und Annalen des politischen Denkens herausgelesen werden Es
muß. Der französische Hegel ist zuerst eine geistespolitische Orientierungsfigur, bevor sein Denken zum Gegenstand akademischer Auseinandersetzungen wird. Daß dies in Frankreich tatsächlich später als in Deutschland geschieht, ist bedingt wohl auch durch die neu oder erstmals angefertigten Übersetzungen seines Werkes: Im 19. Jahrhundert entstanden französische Versionen der Ästhetik (1840), der Logik (1859), der Religionsphilosophie (1876) und eine Reihe von Auswahlübersetzungen. Im 20. Jahrhundert kommen dazu die Vorlesungen über Geschichtsphilosophie (1937), die Phänomenologie des Geistes (1939/40), gefolgt von den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1940), den Vorlesungen zur Ästhetik (1944), der Wissenschaft der Logik (1947—49), und den Vorlesungen über die Philosophiegeschichte (1954).2 Ein gründliches Studium der Texte war also in 1
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Michael Kelly, Hegel in France, Birmingham 1992; Jacques D'Hondt, Hegel et les Français, Hildesheim 1998; Bruce Baugh, French Hegel. From Surrealism To Postmodernism, New York 2003; Angelika Pillen, Hegel in Frankreich, München 2003. Vgl. für den Zeitraum ab 1918 auch die Bibliographie im Anhang und für das 19. Jahrhundert Michel Espagne, En deçà du Rhin. L'Allemagne des philosophes français au XIXe siècle, Paris 2004, S. 393-398.
Ulrich Johannes Schneider
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Frankreich ohne ausreichende Deutschkenntnisse Tode Hegels möglich. -
erst über hundert Jahre nach dem -
Hegel im Raster der Geschichtsphilosophie Die anfänglich starke Wirkung Hegels über die Grenzen der Universität hinaus kommt im ersten Teil dieses Bandes zur Sprache. Die Beiträge von Jacques D'Hondt, Patrice Vermeren, Knut Ebeling und Andreas Gelhard thematisieren keine ,uneigentliche' Hegel-Rezeption, sondern eine Form der modernen Philosophierezeption, die Schlagworte und einfache Vorstellungen artikuliert: ein politisch-ideologisches Verstehen in stark abkürzender Weise, wie es zuvor höchstens nur bei der europaweiten Rezeption von Spinoza und seiner ,atheistischen' Philosophie der Fall war. Hegels Gewicht bei denen, die ihn politisch verstanden und nicht philosophisch-systematisch auslegen wollten, ist zu allen Zeiten groß gewesen, nicht nur im 19. Jahrhundert. Sich darauf einzulassen, stellt für Philosophiehistoriker immer eine Provokation dar, wie Jacques D'Hondt in seinem Beitrag beispielgebend bekennt. Der Gründer und langjährige Leiter des „Zentrums für die Erforschung von Hegel und Marx"3 mobilisiert alle Ressourcen der historischen Gelehrsamkeit, um den philosophiehistorischen Rahmen, innerhalb dessen wir gerne Hegel verorten wollen, zu sprengen; Philosophiehistoriker können angesichts der tatsächlich breiten politischen Rezeption kein Monopol auf die Interpretation Hegels erheben. D'Hondt zeigt etwa am Beispiel von Maurice Barres, wie um die Wende zum 20. Jahrhundert Hegel auch im Hintergrund der Ausbildung des französischen Nationalismus eine Rolle spielte. Im politisch-ideologischen Denken von Barres gab es zwar zuerst eine sozialistische Phase, in der Hegel bzw. sein Konzept einer mit Notwendigkeit ablaufenden Weltgeschichte ganz selbstverständlich integriert wurde. Es macht dann keinen Unterschied auch zum Teil aus der Sicht der Akteure -, wenn in der späteren nationalistischen Phase das geschichtsphilosophische Denken immer noch Hegeischen Kriterien gehorcht, selbst wenn diese Filiation nicht als explizite Entlehnung bekannt wird. Barres wird von D'Hondt mit den Worten zitiert, man müsse eine Philosophie nicht studieren, man könne sie auch atmen. Ein Denken, das derart selbstverständlich angenommen wird, eignet sich immer als Bestandteil von Ideologien. Das zeigte sich in der Hegel-Rezeption schon sehr früh, wie man seit den zahlreichen Arbeiten von Patrice Vermeren über Victor Cousin weiß.4 Vermeren geht in seinem Beitrag auf die erste Phase der französischen Rezeption Hegels zurück, als über Cousin und durch ihn in seinen vielen intellektuellen, politischen und administrativen Rollen das Denken Hegels bis nach Lateinamerika vermittelt wurde. Vermerens Hinweis auf die zweideutige Wirkung Hegels dort ist ein Lehrstück ähnlich wie bei Barres. So wird die von Cousin aus Hegel gezogene These, die Geschichtsphilosophie spiegele die Geschich-
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Centre de Recherches sur Hegel et Marx, in Poitiers von Jacques D'Hondt 1969 gegründet, 1995 neu orientiert als Forschungzentrum für den Deutschen Idealismus; vgl. die Hommage von Joachim Wilke am Ende dieses Bandes. Zu D'Hondt vgl. auch Fiorinda Li Vigni, Jacques D 'Hondt et le parcours de la raison hégélienne, Paris 2005. Vgl. auch die große Studie von Patrice Vermeren (Professor an der Universität Paris 8 in Saint-Denis), Victor Cousin. Le jeu de la philosophie et de l'Etat, Paris 1995.
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Einleitung: Der französische Hegel te
selbst, im lateinamerikanischen Kontext gegensätzlich ausgelegt. Einerseits liest man
in den Ländern am Rio de la Plata daraus ein Versprechen zur Freiheit vom Despotismus, einen Aufruf zur Emanzipation, und andererseits wird durch dieselbe Philosophie auf Kuba die koloniale Ordnung legitimiert gesehen. Es gab dazu tatsächlich eine philosophische Polemik, die in den Zeitungen Havannas 1839 und 1840 tobte und im innersten Kern den karibischen Import eines historischen Fatalismus deutscher Prägung in französischer Gestalt betrifft: auch das eine Wirkung Hegels und seiner ersten Interpreten. Daß die politische Seite des Hegelverständnisses nicht als bloßes frühes Mißverständnis' abgetan werden sollte, das durch spätere Klärungen zum Verschwinden gebracht werden konnte, zeigt in polemischer Schärfe der Beitrag von Knut Ebeling über Alexandre Kojève. Wir befinden uns damit einhundert Jahre nach dem Tod Hegels und nach den ersten Debatten über die politische Auslegung der Geschichtsphilosophie, aber wir sind damit noch nicht wirklich entfernt von einer Lektüre mit politischem Überschußpotential. Ebeling geht das Dilemma offensiv an: Zwar habe man das Phänomen der wirkungsmächtigen Pariser Vorlesungen Kojèves am Ende der 1930er Jahre philosophiehistorisch in den Griff zu bekommen gesucht, sei aber nicht einig geworden, ob es sich beim „Hegel-Marxismus" Kojèves um Phänomenologie oder um Existentialismus, um eine christliche oder eine atheistische, um eine rechts- oder eine linkshegelianische Deutung handelt. Man hat auch nach der Richtigkeit der Übersetzung von zentralen Begriffen wie „Aufhebung" und „Sklave" bzw. „Knecht" gefragt und was Faschismus und Stalinismus damit zu tun haben könnten. Für Ebeling sind das alles Fragen, die die Besonderheit der historischen Situation überspielen wollen und sich nicht einlassen können auf das Faktum einer produktiven Fehl-Lektüre. Als eine Fortsetzung der Wirkung Hegels über das Verständnis einer aus ihm herausgelesenen Geschichtsphilosophie kann auch die Interpretation durch Maurice Blanchot gelten, der Andreas Gelhard nachgeht. Der Dichter-Denker Blanchot, der für die Generation von Deleuze und Foucault prägend war, hat 1947 zwei Aufsätze zur Phänomenologie des Geistes veröffentlicht. Gelhard zeigt, daß sich Blanchot in den Grundlinien seiner Lektüre nicht so sehr an Hyppolite als vielmehr an Kojève orientiert, wenn es um die Auslegung dessen geht, was absolute Freiheit und das Recht auf Leben und Tod heißen kann. Die absolute Freiheit ist für Blanchot in Hegelscher Diktion die Freiheit dessen, der „von allem absolut abstrahieren", der sich aus allen Zusammenhängen reißen kann. Diese Konzeption radikaler Freiheit im Grunde die Freiheit des Selbstmörders assoziiert Blanchot mit den Akteuren der Französischen Revolution, die in jeder ihrer Handlungen den eigenen Tod vorwegnahmen. Die Revolutionäre handelten damals wie „reine Abstraktionen", was sie für den Schriftsteller anziehend macht. Denn der Schriftsteller schreibt, er tut nichts anderes, und das heißt bei Blanchot: er abstrahiert, verunwirklicht, negiert. Gelhard sieht in der Hegel-Annäherung Blanchots dessen Literaturverständnis präzisiert und geht den Verweisen auf de Sade und Mallarmé nach zwei Schriftstellern, denen in Blanchots Augen eine Sonderstellung zukommt, weil sie das Prinzip der Negation ins Extrem treiben. Wie D'Hondt und Vermeren stehen Ebeling und Gelhard vor dem Problem, etwas verständlich machen zu müssen, was aus Hegel allein gar nicht verständlich gemacht werden kann, sondern nur über eine ganze Reihe von Rekonstruktionen politischer, ideologischer, historischer, psychologischer, literarischer usw. Gründe, die zuletzt doch nicht -
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Ulrich Johannes Schneider
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erklären können, was Faktum ist: Hegel wurde gern und nachhaltig von vielen angerufen und angeführt, die ohne hermeneutische Skrupel waren und ihr eigenes Denken gewissermaßen auf dem Umweg über Hegel schärften. Und das ist noch zu milde ausgedrückt, denn das eigentliche Problem besteht in der prinzipiellen Unmöglichkeit, Ereignisse in die Geschichte des Denkens zu integrieren. Wir mögen es Fehllektüren nennen oder Mißverständnisse: was damit jeweils gemeint wird, bleibt außerhalb einer auf disziplinierte Erzählbarkeit angewiesenen Vergegenwärtigung. Anders gesagt: Wir müßten aus der Philosophiegeschichte aussteigen, wenn wir uns Intellektuellen wie Cousin, Barres oder Kojève nähern, und können es doch nicht wirklich tun, wenn wir am Schicksal von Hegels Philosophie interessiert sind. Die Frage also, inwieweit der französische Hegel überhaupt „ein Hegel" ist, bleibt ebenso unbeantwortbar wie die Fragen danach, bis zu welcher Weiterung Interpretationen auf Lektüre basiert sein müssen, um als Interpretationen anerkannt werden zu können.
Emphatische Lektüren Im zweiten Teil des
vorliegenden Bandes stehen diese grundlegenden Fragen nicht zur
Debatte; hier werden einige ,emphatische' Lektüren thematisiert, die für die Prägung des
französischen Hegel im engeren Sinne verantwortlich gemacht werden können: ausgearbeitete Interpretationen von Jean Wahl, Jean Hyppolite und Eric Weil. Hegel ist hier dem akademischen Verständnisse nahe, was die Form der Auslegung angeht, die sich kontrolliert an den Texten des Meisters selbst aufhält was nicht im Widerspruch dazu steht, daß diese frühen Interpretationen französischer Universitätslehrer durchaus ,starke' Interpretationen sind, nicht einfachhin Erklärungen Hegels. Die emphatische Lektüre Hegels durch Jean Wahl ist eine existentialistische, wie Bernard Bourgeois zeigt5, der bei Wahl beobachtet, wie bei diesem der systematische Diskurs Hegels auf eine Verdeckung des gelebten, ursprünglichen religiösen Bewußtseins des Seins heruntergestuft wird. Die Studie von Wahl über die Gestalt des „unglücklichen Bewußtseins" von 1929 ist eine Uminterpretation des bei Hegel systematisierten Monismus einer versöhnenden Vernunft in das erstarrte und tote Ende eines eigentlich zu erfassenden Lebens. So wird auch die Hegeische Dialektik in ihrer Bewegung nicht als spontaner Prozeß der Zusammensetzung eines absoluten Seins gewürdigt, sondern im Grunde als „Erfahrung" angenommen, nicht als Methode. Bourgeois zeigt, wie Wahl in seiner Auslegung in Hegel den Theologen wiederfindet, denn Erfahrung ist für ihn zunächst religiöse Erfahrung, christliche Erfahrung des menschgewordenen Gottes. Hegel war Theologe, bevor er Philosoph wurde, und Wahl sieht bei ihm die Reflexion über das christliche Denken als Vorbereitung zur Auffassung des konkreten Allgemeinen. Daraus folgt zuletzt, daß für Wahl die wahre Bedeutung des Hegelianismus darin besteht zu -
Zu den zahlreichen Werken des französischen
Hegelübersetzers und -forschers B. Bourgeois (emeritierter Professor der Sorbonne, Mitglied der Académie des sciences morales et politiques) gehören La pensée politique de Hegel, Paris 1969; Hegel à Francfort ou judaïsme, christianisme, hégélianisme, Paris 1970; Etudes hégéliennes. Raison et décision, Paris 1992; Hegel, les actes de l'esprit, Paris 2001; 2006 ist seine Übersetzung und Kommentierung der Phänomenologie des Geistes erschienen.
Einleitung: Der französische Hegel
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erkennen, daß sich das System zerstört, sobald es erklärt wird. Diese paradoxe Einsicht dokumentiert die Tiefe der Einlassung (vor allem auf die Phänomenologie des Geistes)
und zugleich die Radikalität der Interpretation, der es um das Ganze der menschlichen Erfahrung und ihrer philosophischen Bewältigung geht bis eben dahin, bei Hegel ein selbstzerstörerisches Element auszumachen. Einen existentialistischen Ansatz der Auslegung Hegels gibt es auch bei Jean Hyppolite, wie Sabina Hoth ausführt. Am Ende seines Hauptwerkes von 1953 über „Logik und Existenz" (Logique et Existence) konkretisiert Hyppolite, der zuvor als Übersetzer der Phänomenologie des Geistes hervortrat, was er unter Existenz versteht, nämlich die Beziehung des Menschen zum Logos. Existenz ist mithin eine Beziehung, die den Menschen mit der absoluten Idee als diskursivem Prozeß verbindet. Zugleich ist Existenz eine Kategorie, die Hegel in seiner Wesenslogik behandelt, und wesenslogische Bestimmungen sind Beziehungen. Existenz ist in der Hegel-Auslegung Hyppolites einerseits Wesen, und damit unbedingt, und andererseits ein Dasein, welches aus seinem Grunde hervorgegangen ist, woraus er folgert: „Das Wesen ist die Existenz". Wer also im Sinne Hegels von Existenz spricht, meint ein in sich vermitteltes Unmittelbares. Für Hyppolite ist es dann vor allem die Sprache, in welcher der Geist seine Existenz hat und der Mensch in unmittelbarer Einheit mit dem Absoluten lebt. Auch die Geschichte läßt Hyppolite als einen Bereich des Übergangs vom menschlichen Bewußtsein zum absoluten Wissen gelten, ohne diesem Übergang realgeschichtliche Gestalten zuzuordnen, wie beispielsweise eine Revolution. Wie man sehen kann, differenziert sich der französische Hegel, der aus emphatischer Textarbeit entsteht, in verschiedene Gestalten, die deutlich von ihren Quellen gezeichnet sind. Während Wahl die Figur des Bewußtseins bei Hegel aus dem Frühwerk Hegels herausholt, das der gedanklichen Bewegung gilt, nimmt Hyppolite seinen Ansatz bei der Logik und identifiziert die Probleme des Daseins auf der Ebene des absoluten Wissens. Wenn dagegen Eric Weil sich hauptsächlich auf die Rechtsphilosophie stützt, wenn er Hegels Staatsverständnis untersucht (Hegel et l 'Etat, 1950), ändert sich die durch seine Lesart produzierte Gestalt entsprechend. Wie Pierre Aubenque6 darlegt, war sich Weil bewußt, mit der Rechtsphilosophie ein vernachlässigtes und zugleich gefährliches Terrain zu betreten. Weil schloß sich an die Interpretation Kojèves an, wonach die Begriffe der Befriedigung und der Anerkennung den Kern der Hegelschen Philosophie ausmachen. Er betrachtete die Phänomenologie jedoch nur als eine „Leiter", die dem gemeinen Bewußtsein verhelfen soll, sich auf das Niveau des reinen Denkens zu erheben. Erst in der Philosophie des Rechts werden für Weil diese Ansichten konkret. Dort wird im einzelnen gezeigt, daß und wie der Staat die Freiheit der Menschen verwirklicht. Dies wird von Weil nicht als Feststellung interpretiert, sondern als Forderung: Ob so ein Staat möglich sei, beantwortet Weil auf Hegeische Weise: In der stetig fortschreitenden Geschichte der Nationen sei das Wesen des Staates -
Zu den
Hauptwerken des französischen Philosophiehistorikers und Aristotelesexperten Pierre Aubenque (emeritierter Professor der Sorbonne) gehören u.a. La prudence chez Alistóte, Paris 1960 (eine deutsche Ausgabe „Klugheit bei Aristoteles" ist in Vorbereitung); Le problème de l'être chez Aristote. Essai sur la problématique aristotélicienne, Paris 1983, sowie eine große Zahl an Aufsätzen
und Editionen.
Ulrich Johannes Schneider
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besten in der Organisation des zuletzt entstandenen Staats verwirklicht, also zur Zeit Hegels im preußischen Staat. Dessen Entwicklung zu einem autoritären Staat sei erst nach Hegels Tod geschehen. Weil will nicht politisch argumentieren, sondern philosophisch, und spricht nicht von einem besonderen Staat, sondern vom Staat an sich. Diese von Weil aus Hegel genommene Auffassung, daß nur der rationale Staat mit seiner Verwaltung und Regierung eine Revolution herbeiführen könne, läßt Aubenque an Lenin erinnern, der wohl eben dies aus Hegel gelernt habe. Emphatische Lektüren sind solche, die bei aller Kritik und interpretatorischen Abweichung nicht zum Dissens mit dem ausgelegten Autor führen, vielmehr die Vertiefung der Auseinandersetzung jederzeit einer Verkürzung der Arbeitsergebnisse vorziehen. Von dieser Art sind die im zweiten Teil dieses Bandes vorgeführten französischen Denker, und es lassen sich bis heute noch andere Namen nennen, die mit der genauen Hegelauslegung verbunden werden können, nicht zuletzt die in diesem Band selbst vertretenen Jacques D'Hondt, Bernard Bourgeois und Franck Fischbach. Der französische Hegel aber erschöpft sich nicht in den Interpretamenten der Kenner und Verstehen Man darf nur an Fichte, Schelling oder auch Schleiermacher erinnern, die als Zeitgenossen Hegels in Frankreich über die akademische Rezeption hinaus wenig allgemeine Beachtung gefunden haben. Hegel aber gehört in einen anderen Teil der aktuellen französischen Bibliothek, dorthin, wo auch die deutschen Denker Marx, Freud, Husserl und Heidegger stehen, d.h. in den Bereich der unumgänglichen Konnotationen für den philosophischen Diskurs selbst, nicht nur für den philosophiehistorischen. Es ist ja ziemlich erstaunlich, daß noch die jüngsten französischen Philosophen einen festen Kanon deutscher Philosophen besitzen. Und wer nicht zum Hegelianer wird, sei es durch Lektüre der Werke Hegels selbst oder seiner Interpreten, der wird sich herausgefordert fühlen, sich an Hegel abzuarbeiten. Und auch dies hat im Frankreich des 20. Jahrhunderts eine Tradition, wie der dritte Teil dieses Bandes dokumentiert. am
Abarbeiten an Hegel Um den Blick auf die nach 1945
prominent werdende Zurückweisung Hegels bei einflußreichen Philosophen zu öffnen, ist Franck Fischbach der bestgeeignete Autor. Der französische Hegelforscher7 beschreibt in seinem Beitrag die verschiedenen Phasen der französischen Hegel-Rezeption und besonders die letzte davon: den Versuch, Hegel völlig zu entgehen. Von Sartre oder Merleau-Ponty bis zu Foucault oder Deleuze gibt es einen stetig wachsenden Willen, sich dem Einfluß Hegels zu entziehen. Bekannt geworden ist das vor allem in Foucaults Antrittsvorlesung am Collège de France 1970, als er dort die Nachfolge Jean Hyppolites antrat und seinem verstorbenen Vorgänger die Ehre erweisen mußte. Foucault tat das mit der seither sprichwörtlich gewordenen Einschätzung, daß die „gesamte Epoche" Hegel zu entkommen trachte, gerade dann, wenn man sich auf Marx oder Nietzsche berufe. Fischbach führt noch ein anderes, weniger bekanntes Zeugnis Fischbach, Philosophieprofessor an der Universität Toulouse, liegen u.a. folgende Hegel betreffende Monographien vor: Du commencement en philosophie. Etude sur Hegel et Schelling, Paris 1999; L'être et l'acte. Enquête sur les fondements de l'ontologie moderne de l'agir, Paris 2002. Von F.
Einleitung: Der französische Hegel
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an, einen
Ausspruch von Maurice Blanchot, der lautet: „Man kann Hegel nicht lesen, sei denn, man liest ihn nicht". Hegel wird, so die Einschätzung von Fischbach, kaum daß ihm in Frankreich auch philosophiehistorisch die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird, philosophisch ins Abseits gestellt. Wie schon Kojève nicht als Philosophiehistoriker wahrgenommen werden wollte und keinen diesbezüglichen Anspruch erhob, so nun eine ganze Generation, zu der Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Michel Foucault und andere gehören. Fischbach kann dieses Phänomen nicht erklären bzw. verweist darauf, daß andere Einflüsse berücksichtigt werden müßten wie vor allem der von Martin Heidegger -, wenn man den französischen Skeptizismus und Fatalismus und den darin impliziten Anti-Hegelianismus verstehen soll. Aber freilich gilt auch, daß Ablehnung und Abweisung indirekte Formen der Einlassung darstellen, und darauf konzentrieren sich die Beiträge dieses dritten Teils des vorliegendes Bandes. Ein schwieriger Autor in dieser Beziehung ist Louis Althusser, auf den sich Stéphane Douailler einläßt.8 Althussers Denken hat einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil, schreibt Douailler, und versucht, letzteren aus den „Briefen an Franca" aufzuhellen. Aus der Perspektive der Selbstkommentierung Althussers eine Literaturform, die mit dessen verstörender Autobiographie nach dem Mord an seiner Frau eine extreme Gestalt angenommen hat versucht Douailler die Abwendung von Hegel aus der Einlassung auf Spinoza zu erläutern. Dabei folgt er Althusser bis in die Konzeption eines „meisterlosen" Philosophierens, das gewissermaßen ohne aktiven Literaturbezug auskommt. Althusser warf dem jungen Marx vor, Hegel noch wie einen Meister behandelt und dessen Illusionen geteilt zu haben, Geschichte und Realität „wie im offenen Buch" lesen zu können. Dagegen will, wie Douailler mit Briefzitaten zu zeigen versucht, Althusser sein eigenes Denken entwickeln, das eher Knoten knüpft als sie (dialektisch) auflöst, das dabei allerdings keine Sicherheit gewinnen kann, nicht einmnal die Sicherheit des Kommentars. Bei Jacques Derrida gibt es zwar eine sich selbst versichernde kommentarähnliche Rede auch in Bezug auf Hegel, aber Derrida ist nicht wie auch in seinen anderen Schriften, die sehr oft philosophiehistorische Bezüge herstellen, um sie umgehend zu unterlaufen an einer Klärung Hegels interessiert, sondern nimmt ihn als Herausforderung an, wie Denis Kambouchner zeigen kann.9 Hegel ist der Philosoph, der alles „bei sich" sein läßt, der Denker universaler Einbeziehung und ausnahmsloser Aneignung von allem in das philosophische Denken selbst. In seinem Buch Glas (1974, dt. 2006) unternimmt Derrida, nach vielen anderen, aber begrenzteren Auseinandersetzungen mit Hegel in kleineren Schriften, dieser eine Ausführlichkeit angedeihen zu lassen, die einer abschließenden Erledigung gleichkommt. Kambouchner geht dieser Konfrontation nach und zeigt, wie Derrida mit dem Hegelschen Anspruch umgeht und ihn durch immer neue Ansätze, es
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S. Douailler, Professor an der Universität Paris 8 (Saint-Denis), hatte nie vor, Bücher zu schreiben. France, XIXe siècle. Ecrits et opuscules (Paris 1994) herausgegeben, und nun einige eigene Texte von ihm zusammengefügt: Le philosophe et le grand nombre, politiques du texte en fuite, Bourg-en-Bresse 2006. Von D. Kambouchner, Professor an der Sorbonne, sind drei Bände Notions de philosophie herausgegeben worden (Paris 1995); er hat mehrere Werke von Descartes herausgegeben und kommentiert (u.a. 2 Bände L'homme des passions: commentaires sur Descartes, Paris 1995) und ist mit Frédéric de Buzon Ko-Autor des Vocabulaire de Descartes, Paris 2002. Er hat das Buch Philosophie,
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Ulrich Johannes Schneider
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die spekulative Dialektik aus ihrer Verbindung mit bestimmten Einzelheiten zu lösen, dekonstruiert. Dabei ist, was Kambouchner herausarbeitet, die Grundvoraussetzung einer Anerkennung Hegels als philosophische Autorität durchweg gegeben, weil Hegel gerade im universalen Anspruch ernstgenommen wird. Derridas Ironie oder Infragestellung läuft dann darauf hinaus, die Bewegung, durch die das Denken das setzt, wovon es sich loslösen muß, selber bestätigen zu lassen, daß es sich davon nicht loslösen kann. Hegel wird in der Dekonstruktion zum Gegenpol durch den Versuch, das reine Denken in sich für Derrida eine wiederum absolute Unmöglichkeit. zu versammeln Einen „Hegel-Test" unternimmt Catherine Malabou auf ihre Weise, nämlich in Form der Prüfung einer eigenen Interpretation von Hegel, dessen Philosophie sie als wesentlich „plastisch" ein Ausdruck, der sich bei Hegel selbst findet qualifiziert.10 Für Malabou charakterisiert die Plastizität bei Hegel sowohl die Seinsweise des philosophischen Inhalts als auch die Seinsweise der Darstellung dieses Inhalts und zuletzt auch weil die ontologische Vokabel eine hermeneutische Anwendung besitzt die Seinsweise des Lesers, der in der Aneignung selbst jeder Sache eine neue Form gibt. Da Malabou über die bei Hegel selbst reklamierte „Plastizität" einen Weg gefunden zu haben glaubt, die Bewegung der Dialektik unterlaufen zu können, liegt ein Vergleich mit der Dekonstruktion bei Derrida nahe. Genauer gesagt: der Versuch, Hegel zu dekonstruieren, kann nach Malabou mit Hegel selbst unternommen werden, der seine Dialektik sozusagen selber „ruiniert", weil er den Übergang vom prädikativen zum spekulativen Satz nicht völlig verlustfrei vollziehen kann: ein Gegensatz bleibt bestehen, und damit setzt sich die dialektische Anstrengung fort. Malabous Beitrag kann insofern auch als eine nachträgliche Rechtfertigung der Anstrengung Derridas gelesen werden, Hegels Anspruch zu dekonstruieren. Was bei Kambouchner und Malabou deutlich wird, ist der Hegel im Hintergrund des französischen Philosophierens, selbst wenn es sich beispielsweise bei Derrida stärker an Edmund Husserl und Emmanuel Levinas anlehnt. Hegel bedeutet in vielerlei Hinsicht eine Provokation für die philosophische Ambition selbst, weil die dialektische Methode und die Vokabeln „Begriff, „Idee", „Wirklichkeit" und andere im philosophischen Vokabular gewissermaßen durch Hegel besetzt erscheinen. Man mag sich fragen, ob die Rücksichtnahme auf solche Besetzung eine Stärke des französischen Philosophierens darstellt oder eine Schwäche denn andere Traditionen üben bezüglich Hegel komplette Enthaltsamkeit und lassen sich durch keine noch so anspruchsvolle philosophische Geste irritieren. In jedem Fall bestätigt die Intensität der Auseinandersetzung, wie sie bei Derrida und seinen Schülern vorliegt, die Aktualität des französischen Hegel als systematischem Denker par excellence. Es ist dieses Verständnis, welches ihn auch zum Abstoßungspunkt macht für solche Denker, die an Hegel in keiner Weise anknüpfen, nicht einmal in der Form der kritischen Zurückweisung. -
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Vgl. C. Malabou (Maître de conférences an der Universität Paris X Nanterre), L'Avenir de Hegel,
Plasticité, Temporalité, Dialectique, Paris 1996; engl. Ausgabe The future ofHegel: Plasticity, Temporality and Dialectic, New York 2005; C. Malabou hat auch einen Sammelband zum Thema „Plas-
ticité"
herausgegeben (Paris 2000).
Einleitung: Der französische Hegel
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Hegel als Abstoßungspunkt Im vierten Teil dieses Bandes ist das französische Philosophieren Thema, wie es sich abseits oder neben der Auseinandersetzung mit Hegel bewegt. Die Linien sind natürlich nicht leicht mit großer Präzision zu ziehen, wann es sich um eine wenigstens implizite Auseinandersetzung mit Hegel handelt im Sinne des „Abarbeitens" und wann um eine völlige Umgehung. Die Einteilung dieses Bandes in vier Teile ist lediglich ein nachträglicher Vorschlag, durch Gruppierung die Bandbreite der Probleme innerhalb der Produktion des „französischen Hegel" deutlich zu machen. Auch wenn man die französischen Denker je einzeln verstehen und ihr Hegelbild im eigenen Werkzusammenhang ausleuchten kann, so gibt es doch einige Charakteristika, die eine Nebeneinanderstellung erlauben. Und während man für die im dritten Teil dieses Bandes besprochenen Autoren sagen kann, daß sie sich an Hegel messen, ist das für die Autoren im vierten Teil keine vordringliche Perspektive; hier kommt Hegel problemorientiert ins Spiel, wenn überhaupt, und er wird sachlich abgetan, wenn überhaupt. Die von Brigitte Rauschenbach eingenommene feministische Perspektive fordert eine einschlägige Rolle Hegels bei der Formulierung des französischen Feminismus zutage. Simone de Beauvoir wurde für die egalitäre Phase des Feminismus bestimmend, Luce Irigaray gehört als Vertreterin des Differenzfeminismus in die Rezeptionsgeschichte Hegels nach 1968 und die Amerikanerin Judith Butler setzt sich von Hegel innerhalb des sogenannten Postfeminismus ab. Bei Beauvoir schließt ihre im weitesten Sinne existentialistische Philosophie eine Hegellektüre nur insofern ein, als dessen Dialektik von Herr und Knecht auf die Beziehung zwischen Mann und Frau übertragen und zurückgewiesen wird. Bei Irigaray ist es eine Relektüre des von Hegel interpretierten Antigone-Stoffes, die sie zur Ablehnung führt: Hegel artikuliert für die Ins-Recht-Setzung von Antigone „virile Werte", die anzuerkennen Irigaray sich weigert. Sie billigt Hegel zu, das Projekt einer Konzeption der Sittlichkeit unter Einbeziehung der Geschlechterfrage angegangen zu sein, setzt dagegen aber eine Konzeption der Weiblichkeit, die keine Gleichstellung mit dem Männlichen duldet. Rauschenbach zeichnet das Dilemma dieser Positionierung, die sich in einer gewissermaßen gestuften Abwehr Hegels artikuliert, deutlich nach. Wenn sie dann Judith Butler einbezieht, dann weil diese direkt an die französische Philosophie und an den französischen Feminismus hier kritisch gegen die Exklusivstellung des „Weiblichen" gerichtet anschließt. Butler knüpft ebenfalls an die Antigone-Interpretation Hegels und Irigarays an und versucht, aus dem Gedanken der Geschlechterdifferenz das Différente herauszuhalten, was nach Rauschenbach nur geht, wenn man den philosophischen Diskurs zugunsten gesellschaftspolitischer Forderungen (des Tages) aufgibt. So erweist sich der französische Feminismus bei einigen Autorinnen, vielleicht überraschend, als Teil der Hegel-Rezeption in Frankreich. Nach dem Motto ,Hegel ist auch da, wo man ihn nicht vermutet', könnte der deutsche Philosoph auch bei denjenigen französischen Denkern gefunden werden, die nach eigener Aussage sich von Hegel früh und gründlich losgesagt haben, wie beispielsweise bei Foucault. Das jedenfalls ist die These von Angelika Pillen, deren Beitrag in diesem Band ein Seitenstück aus ihrem Buch über Hegel in Frankreich darstellt." Pillen findet in Foucaults Frühwerk Denkstrukturen und -
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Vgl. FN1.
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Motive, die diese Texte als Teil der Wirkungsgeschichte Hegels in Frankreich erscheinen
lassen. Noch in dem ersten großen Buch Wahnsinn und Gesellschaft findet Pillen einer Bemerkung von Georges Canguilhem folgend, Foucault schreibe dialektisch einen „verdeckten Hegelianismus", insofern auch Foucault das (Hegeische) Programm verfolgt, das Werden der Vernunft zu rekonstruieren. Gerade Foucaults Behauptung einer durchgängig tragischen Geschichte der Wahrheit artikuliere eine Perspektive der Totalität, die Pillen vor allem bei Hegel vorgebildet findet. Die Aufgabe, die Pillen sich stellt, erfordert eine Lektüre des Werks von Foucault, die über sichtbare Anhaltspunkte hinaus auf dessen gedankliche Strukturen abhebt. Foucault ist kein Philosophiehistoriker, bei dem es ausreichend wäre, sich die Stichworte (etwa die zu Hegel) zu suchen. Anders verhält es sich mit Gilles Deleuze, möchte man meinen, der in einer Reihe von Büchern eine große Anzahl an Philosophen zum Teil äußerst intensiv behandelt hat wenn denn „behandeln" ein Verbum ist, das die interpretatorische Tätig-
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keit von Deleuze zureichend beschreiben kann. Aber Deleuze ist als „Denker der Differenz" apostrophiert worden, und Jean-Pierre Cotten nimmt ihn in dieser Hinsicht ernst, fragt also im Zusammenhang der Themenstellung dieses Bandes nach der Differenz der Differenz bei Deleuze zu Hegel. Cotten stellt heraus, daß es bei Deleuze um eine Ontologie der Differenz geht, der Hegel mit seiner dialektischen Logik, die den Widerspruch benötigt, nicht genügen kann. Die weitere Analyse vor allem eines Kapitels aus Differenz und Wiederholung (1968) zeigt, daß Deleuze Hegel nur gelegentlich und zur Versicherung gewissermaßen eines völligen Unverständnisses heranzieht. Hegel war, wie es Cotten ausdrückt, für Deleuze erledigt und in keiner Weise eine Hilfestellung bei der Entwicklung seiner eigenen Philosophie, die nicht àfïïerenzlogisch und nicht dialektisch sein will. Analysen des Mißverstehens so könnte man den letzten Teil dieses Bandes auch überschreiben, wenn man die Untersuchungen von Rauschenbach, Pillen, Cotten und nun auch Breckman liest. Es sind Explorationen am Rande des Selbstverständlichen und an der Grenze zwischen der Philosophie von Hegel und anderen, andersgerichteten und anders motivierten Theorien und Philosophien. Wenn Hegel der Abstoßungspunkt ist, dann liegt darin immer noch eine Privilegierung, die etwa Kant oder Marx im französischen Denken nicht oder nur gelegentlich zuteil wurde. Im Beitrag von Warren Breckman werden mit Jean-Luc Nancy und Slavoj Zizek die zwei relativ jüngsten Denker innerhalb einer französischen Tradition des Philosophierens behandelt, die zugleich eine Abkehr von Hegel impliziert. Nancy, so zeigt Breckman, verkehrt den bekannten Vorwurf, Hegels Staat sei eine unpersönliche Totalität, die das Individuum überwältige, in sein Gegenteil. Bei Nancy ist eben der Versuch Hegels, die staatliche Union als solche in der Gestalt des Subjekts zu aktualisieren, Zeichen eines totalitären Impulses und Grund für seine Zurückweisung. Allerdings findet Nancy zugleich zu einer Problematisierung totalitärer Politik ausgehend von der Überständigkeit des Individuums oder der bei Hegel manifesten Unvollständigkeit der Beziehung zwischen Individuum und Staat. Damit wiederum findet Breckman seinen Einstieg in die Darstellung der Rolle, die der Hegeische Monarch in den frühen Werken des slowenischen Philosophen Zizek spielt (der so stark an die französische Philosophie anschließt, daß er zu dieser Tradition gerechnet werden kann). Für diesen ist die Hegeische Personalität des Königs gleichbedeutend mit der Namensgebung des Universalen, mit einem universalen Signifikanten. Zizek verleiht dem Monarchen eine grundsätzlich systematische Funktion, -
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Einleitung: Der französische Hegel
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die bei Hegel auf den Machtkalkül beschränkt war. In Zizeks Denken zielt jede Politik darauf ab, ihre Ansprüche zu totalisieren, dem kontingenten Partikularen universalen Status zu geben. Darum verlangt Zizeks Politik nach einem Etwas im Zentrum, nach einem Etwas am Ort der Macht. Breckman sieht hier ein fetischistisches Denken am Werk, das psychoanalytisch verfahrt und damit an den meisten Traditionen des politischen Denkens und an Hegel vorbeigeht.
Der französische
Hegel
Die vier Teile dieses Bandes decken mit ihren Beiträgen nicht alles ab, was über die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts und ihre Beziehung zu Hegel zu sagen wäre. Aber der Überblick zeigt doch, wie stark einmal die systematische Herausforderung Hegels war, sowohl in den emphatischen Lektüren wie bei denen, die sich um Distanz bemühten und sich an Hegel abarbeiteten. Vermutlich ist diese Zeit vorbei und es scheint, als ob die akademischen Interpreten weitgehend freies Feld hätten, die Philosophie Hegels philosophiehistorisch zu würdigen, ohne damit einen Skandal des Denkens heaufzubeschwören oder auch nur anzudeuten. Die Phänomenologie des Geistes ist inzwischen viermal ins Französische übersetzt (durch Jean Hyppolite 1939/40, durch Jean-Pierre Lefebvre 1991, durch Gwendolyne Jarczyk und Pierre-Jean Labarrière 1993, durch Bernard Bourgeois 2006). Die Auseinandersetzung um das genaue Verstehen Hegels erreicht offenbar eine neue Qualität. Freilich bleiben einzelne Elemente des Hegelschen Denkens nachhaltig anstößig, wie vor allem die Geschichtsphilosophie und die politische Philosophie. Es gilt ja auch für den deutschen oder den englischen Hegel nicht weniger als für den französischen, daß die Frage der Demokratie und der republikanischen Tugenden, der Verbindung von Staat und Gesellschaft sowie die Analyse der Gemeinschaften innderhalb der Gesellschaft an einer so ausgearbeiteten Philosophie wie Hegels Rechtsphilosophie kaum vorbeigehen können, zustimmend wie vor allem kritisch. Man ist in Beziehung auf die Geschichtsphilosophie und das politische Denken am Ende des 20. Jahrhunderts nicht weniger unruhig als im 19. Jahrhundert, als man Hegel zu diskutieren begann. Hegel ist und bleibt das Synonym für sachliche Probleme beim gedanklichen Erfassen der historischen Wirklichkeit und der sozialen Realität. Es scheint fast so, als ob es eine Klammer gäbe zwischen dem ersten und dem vierten Teil dieses Bandes, die beide in rein sachlicher Fixierung an den Rand eines aus Studium und intensiver Beschäftigung erarbeiteten Hegelbildes führen, aber immerhin Hegel noch nicht loslassen, seine Einschreibung in die Geschichte des europäischen Denkens nicht auszulöschen wagen. Das ist auch in der Zukunft nicht zu erwarten. Zwar sind Voraussagen über den Gang der philosophischen Diskussionen müßig, aber der Umgang mit Hegel ist ja nicht nur eine Frage genialer Thesen, sondern hängt vor allem von dem Grad der Bildung ab und ob sie an so schwierige Texte wie diejenigen Hegels überhaupt heranführt. Im Gegensatz zu Deutschland hält die französische Universitätskultur einen Kanon diskutierenswerter Denker mit Nachdruck aufrecht, im Prüfungswesen wie in der Interpretionstradition, so daß die kulturellen Bedingungen für eine Weiterentwicklung des französischen Hegel gegeben sind. -
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Ulrich Johannes Schneider
Zu diesem Band Die hier versammelten Beiträge verdanken sich einer Berliner Tagung aus dem Jahr 2004, welche die „Deutsche Gesellschaft für französischsprachige Philosophie e.V." mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung Köln im Literaturhaus in der Fasanenstraße durchgeführt hat. Dort waren mehrere Generationen von Philosophen versammelt. Der betagte Jacques D'Hondt konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen, Franck Fischbach war anderweitig kurzfristig verhindert: beider Texte sind gleichwohl im Band vertreten, in dem aus Gründen der thematischen Beschränkung der Text von Antonia Birnbaum fehlt, die in Berlin über Ludwig Feuerbach sprach. Ein bereits als Buchkapitel veröffentlichter Beitrag zu Jean-François Lyotard von Andreas Herberg-Rothe fehlt hier ebenso. Der Herausgeber war als Organisator der Tagung damals und bei der Drucklegung dieses Bandes Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für französischsprachige Philosophie", deren Geschäftsführer Dr. Andris Breitling für das Zustandekommen und bei der Durchführung des deutsch-französischen Kolloquiums ganz wesentliche Unter-
stützung gab.
Für den Druck wurden alle Texte überarbeitet, alle fremdsprachigen Beiträge ins Deutsche übersetzt und alle Fußnoten vereinheitlicht und für den deutschen Leser eingerichtet. Für Literaturrecherche, Übersetzungs- und Korrekturarbeiten danke ich (wie teilweise auch im Text vermerkt) Christian Driesen, M. A., Prof. Dr. Cordula Grewe, André Reichert, M. A., Jan Neersö und Dr. Heiko Pollmeier. Dem Akademie-Verlag und dort besonders Dr. Mischka Dammaschke gebührt Dank nicht nur für die Sorgfalt bei der Buchherstellung, sondern vor allem für die Geduld bei der Redaktion des Bandes, die sich durch meinen beruflichen Wechsel von Wolfenbüttel nach Leipzig notgedrungen verzögerte. Dankenswerter Weise hat sich die Fritz Thyssen Stiftung Köln an den Kosten des Drucks der Ergebnisse der von ihr unterstützten Tagung beteiligt.
Leipzig, im Mai 2007 Ulrich Johannes Schneider
I.
Hegel im Raster der Geschichtsphilosophie
Jacques D'Hondt Die populäre Hegel-Rezeption in Frankreich Vorlesungen über die Philosophie der Religion spricht sich Hegel erneut, und wahrscheinlich zum letzten Mal, über den Status aus, den die Philosophie in der Welt hat. Die Formulierung ist berühmt geworden: „Die Philosophie ist in dieser Beziehung ein Heiligtum, und ihre Diener bilden einen Klerus, der keine Beziehung mit der Welt hat und eifersüchtig über das Besitztum der Wahrheit wacht." Die feierliche religiöse Note dieser These findet sich übrigens durch die unmittelbar darauf folgenden, oft mißbrauchten Worte desavouiert Worte, die aus fast allen deutschen Ausgaben getilgt sind und auch in der französischen Übersetzung nicht erscheinen.1 Die Tatsache der Bereinigung wiederum kann uns als Warnung dienen: Statt zu schmunzeln oder uns über die Vereinfachungen und mutwilligen Veränderungen und Modifikationen zu erregen, welche eine Philosophie unfreiwillig oder ungehörigerweise in ihrer Popularisierung2 erfahrt, sollte man sich an die Vereinfachungen, Veränderungen und mißbräuchlichen Modifikationen erinnern, welche der Philosophie gelegentlich ganz bewußt und absichtlich die wissenschaftliche Kommentierung antut.3 Am Ende seiner
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie der Religion, in: Werke, hg. v. Hermann Glockner, Bd. 16, S. 356; und in: ders., Sämtliche Werke, hg. v. Georg Lasson, Bd. 14.3, S. 231; G. W. F. Hegel, Religionsphilosophie, hg. v. Karl-Heinz Ilting, Neapel 1979, S. 708; vgl. ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 17, S. 343f. Diese Passage wurde nicht beibehalten in Jean Gibelins französischer Übersetzung der Religionsphilosophie (Leçons sur la philosophie de la religion, übers, v. J. Gibelin, 5 Bde., Paris 1954-1959, erneut aufgelegt 1970 und 1975). 1996 erschien eine neue Übersetzung dieses Werkes durch Pierre Garniron. Mit „populär" und „Popularisierung" werden hier und im folgenden nicht nur die (selten vorkommenden) französischen Ausdrücke „populaire" und „popularisation", sondern auch die (durchgängig gebrauchten) Ausdrücke „profan" und „profanation" wiedergegeben, weil die religiösen Anklänge im Deutschen bei „profan" und „Profanierung" zu stark wären; A.d.Ü. Ein Beispiel dafür ist Kostas Papaioannous französische Übersetzung von „der Christ, der den Abglanz der Wahrheit anbetet" {Die Vernunft in der Geschichte, hg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg
Jacques D'Hondt
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Hegels Denken in dieser Sache wird übrigens nicht ganz angemessen und vollständig durch heuchlerische Reserviertheit oder elitäre Zurückgezogenheit charakterisiert. Oft hat er sich ganz anders ausgedrückt. So präzisiert er beispielsweise in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes über die Ausstellungs- und Erklärungsbedingungen des neuen Wissens, das er ins Werk setzen will: „Ohne diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der allgemeinen Verständlichkeit und hat den Schein, ein esoterisches Besitztum einiger Einzelner zu sein; ein esoterisches Besitztum: denn sie ist nur erst in ihrem Begriffe oder ihr Inneres vorhanden; einiger Einzelner: denn ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr Dasein zum Einzelnen. Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich exoterisch, begreiflich und fähig, gelernt und das Eigentum aller zu sein. Die verständige Form der Wissenschaft ist der allen dargebotene und für alle gleichgemachte Weg zu ihr [...]."* Hegel hat sich deutlich dafür ausgesprochen, was wir den Ausbruch der Philosophie aus ihrem Heiligtum nennen könnten oder die Intervention dieser Philosophie in weltlichen Geschäften. Er selbst hatte Anregungen zu einigen seiner allereigensten Lehrmeinungen in Werken und bei Autoren gefunden, die nicht im engsten Sinne philosophisch waren: Forster, Voltaire, Goethe, Marivaux, um nur einige wenige zu nennen.5 Uns kommt es freilich vor allem darauf an zu wissen, wie eine Philosophie philosophisch aufgenommen wird. Eher verdient sie ein ausgewähltes Publikum als eine volks-
tümliche Zuhörerschaft. Diese zu beschreiben und zu untersuchen, ist nur in zweiter Linie wichtig und auch nur relativ interessant, allerdings umso schwerer, als eine solche Forschung bislang nicht unternommen wurde.
Schwierigkeiten liegt tatsächlich die erste Schwierigkeit einer Analyse der populären Rezeption Hegels in Frankreich: Sie kann sich auf keine vorausgehenden Arbeiten von einiger Gründlichkeit stützen. Ihr stehen lediglich die zwar seriösen, aber auch sehr allgemeinen Untersuchungen über den Einfluß des deutschen Denkens in Frankreich zur Verfügung, oder über Hegels Einfluß in den im engsten Sinne philosophisch zu nennenden französischen Hier
Milieus. Diese unvermeidbare Unzulänglichkeit ist um so schmerzlicher darin besteht die zweite Schwierigkeit -, als das Untersuchungsfeld sehr breit und fast ohne angebbare Grenzen ist. Welches Echo hat diese deutsche Philosophie in Frankreich während der letzten 150 Jahre und in allen nicht spezifisch philosophischen Bereichen Literatur, Dichtung, Politik, Recht, Strategie, Kunst etc. ausgelöst? Selbst die Liste dieser einzelnen Bereiche ist unendlich. Die Erkundung ist notwendigerweise eingeschränkt auf das, was von diesem weitverstreuten Einfluß bewahrt werden konnte: Spuren, Dokumente, Erinnerungen, also hauptsächlich Bücher und erst in letzter Zeit auch Tonbandaufnahmen. In dieser Hinsicht ist -
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51) mit „le chrétien qui prie le vrai Dieu" (La Raison dans l'histoire, Paris 1965, S. 72). Hegel, Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Bd. 3, S. 19f. Vergleiche in diesem Zusammenhang vom Verfasser: Hegel et les Français, Hildesheim 1998. 1955, S. G. W. F.
Die populäre Hegel-Rezeption
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Frankreich
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interessant zu sehen, wie oft Hegel, in jeder Ecke, im Radio oder Fernsehen während der politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre zitiert wurde. In diesem Ozean der Ermittlungsarbeit kann hier nur eine Sondierung erfolgen, die aufs Geratewohl vorgeht und sich ihres Vergessens wie auch ihrer Nachlässigkeit und ihrer Unwissenheit bewußt ist, was angesichts der Umstände vermutlich entschuldigt werden kann. Eine dritte große Schwierigkeit betrifft die Unterscheidung des populären auf der einen Seite von dem gelehrten, eingeweihten und professionellen Philosophen auf der anderen Seite. Nun war die gelehrte Rezeption Hegels nicht immer so gelehrt, wie sie zu sein vorgab. Wer wird hier wagen, das letzte Wort zu sprechen? Aber auch Ignoranz ist abgestuft. Wer den Namen Hegels in den Mund nimmt, bezeugt zumindest, daß er von ihm hat sprechen hören. Menschen mit hoher Bildung, auch mit geringerer, fühlen sich berechtigt, Hegels Ideen aufzunehmen oder abzulehnen, sie auch fruchtbar anzuwenden, ohne vorher Tag und Nacht mit der ausschließlichen Lektüre seiner Werke zugebracht zu haben. Die Extreme sind leicht zu identifizieren der reine Analphabet und der vollendete Philosoph -, aber man wird zögern, zwischen den beiden diejenigen auszuzeichnen, welche mit gutem Recht für die Popularisierung der Philosophie Hegels Verdienste zugesprochen erhalten sollten. Die Etikettierung wird hier pragmatisch, annäherungsweise und problembewußt sein. es
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Das Beispiel der Philosophen All diese großen Schwierigkeiten müssen überwunden werden, um auf eine relativ einfache Frage antworten zu können: Was gibt die Hegeische Philosophie, sobald sie unter die Öffentlichkeit fällt? Große Philosophen ermuntern uns, eine solche Frage zu stellen, und haben selbst häufig große Anstrengungen unternommen, um bei den weniger Vorbereiteten Gehör zu finden. Piaton hat beispielsweise sein strenges Denken in mythische Fabeln gekleidet: „etwa Pädagogisches" sagt Hegel mit Nachdruck und sehr vorwurfsvoll.6 Hegel behandelt die Theodizee von Leibniz mit Verachtung, weil der Autor „sich Mühe gab, eben die Sache nicht spekulativ vorzustellen" und nennt den Text „in populärer Form" ein „Geschwätz".7 Piaton, Leibniz und viele andere, die mit mehr oder weniger Erfolg ein größeres Publikum suchten, finden genau darin jedoch auch in Hegel einen Nachfolger. Spielen nicht das Unbewußte und Heuchelei in den Anschuldigungen Hegels gegen „die schlechte[n], populäre[n] Ausdrücke" von Leibniz eine Rolle? Nutzt er nicht selbst mit Talent die volkstümliche deutsche Sprache, ihre Metaphern, und sind es nicht berühmte Bilder, welche das Publikum von ihm vor allem im Gedächtnis behielt? Hegel hat sich beständig darum gesorgt, sein System solchen Personen bekannt zu machen, die gewiß allgemein gebildet waren, sich aber auf keinen Fall als berufsmäßige, selbstberufene oder ausgebildete Philosophen ausgeben konnten. Er wußte, daß in seinem Berliner Publikum im wesentlichen Staatsbeamte, Offiziere, Händler, Rentner, Kirchenleute saßen, und er war auf diese zusammengewürfelte Schar sehr stolz. Wie
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke, Bd. 19, S. 30.
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Ebd., Werke, Bd. 20, S. 236, 248, 255 [frz, VI, S. 1587, 1590, 1624]
Jacques D'Hondt
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Dominique Losurdo in seinem Werk über das deutsche Erbe Hegels gezeigt hat, hegte Hegel sehr starke und nachdrückliche Absichten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und durch diese Vermittlung auf den Lauf der Dinge einzuwirken. Er hat dafür eine Art Strategie ins Werk gesetzt.8 An wen richten sich also die Philosophen? Eine andere Frage wäre: Wenn sie das große Publikum erreichen wollen, welche Mittel wählen sie zu diesem Zweck? Man wird wohl konstatieren müssen, daß, selbst wenn sie mythische Erzählungen einsetzen oder sich volkstümlichen Ausdrücken anbequemen bzw. ihre Thesen mit griffigen Bildern illustrieren, sie damit letztlich fehlgehen und jedenfalls nicht die Wirkung beim Publikum hervorrufen, die sie wünschten, und das schon allein aus dem Grunde, weil sie das Publi-
kum gar nicht kennen welches Publikum überhaupt? Das Publikum nimmt sie in jedem Falle auf sehr merkwürdige Weise wahr, aber immerhin nimmt es sie wahr während die Spezialisten der Philosophie in Frankreich sich nicht besonders willig gezeigt haben, Hegel wahrzunehmen, ihn zu verbreiten und zugänglich zu machen, oder ihn gar zu vulgarisieren, jedenfalls vor langer Zeit. Einige haben ihn brutal zurückgewiesen, ohne sich genauer zu erklären, oder sie haben ihn liegen gelassen. Hippolyte Taine, der 1851 eine Dissertation über Hegels Logik schreiben wollte, mußte auf diesen Plan verzichten, nachdem sein Freund Vacherot ihm erklärt und ihn auch überzeugt hatte, daß ein solches Thema damals keine Aussichten hatte, von der Universität akzeptiert zu werden.9 Etienne Vacherot wußte, wovon er sprach, weil er als Direktor der École Normale und dann als Professor an der Sorbonne von beiden Funktionen abgesetzt wurde, weil man ihn in den Veröffentlichungen und in seinem Unterricht des Hegelianismus verdächtigte!10 Diejenigen wiederum, die gegenüber dem Hegelianismus keinerlei Ostrazismus praktizierten und ihn den Franzosen zu vermitteln versuchten, hatten nicht immer Erfolg. Bekannt ist die zweideutige Stellung Victor Cousins und sein zweitweise einflußreicher Unterricht. Es gäbe viel über die sehr große Schwierigkeit und Langsamkeit der Durchdringung der philosophischen Welt Frankreichs durch den Hegelianismus zu sagen. Um die Irrwege der populären Benutzung Hegels besser zu verstehen und zu entschuldigen, muß man an die Enttäuschung erinnern, welche den Philosophen durch eigene Nachfolger und vorgebliche Schüler bereitet werden. Dazu gibt es einen Ausspruch Hegels, der am Ende seines Lebens erklärt haben soll, daß er nur von einem verstanden worden sei, und der habe ihn nicht verstanden. Verstehen die Gebildeten besser als das Volk? Bekannt sind die Schlußfolgerungen, die Fichte aus acht Jahren der Unterhaltung, der Diskussion, des Gedanken- und Briefaustauschs mit Schelling zog, der nun sicher nicht als zurückgeblieben gelten kann. Am Ende schrieb Fichte an Schelling und bereitete so den Bruch mit ihm vor: Sein System, schreibt er, hatte er und habe er „nicht gefaßt" und werde es, „auf dem Wege, den Sie einschlagen, nimmermehr fassen".11 -
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Domenico Losurdo, Hegel und das deutsche Erbe, Köln 1989, S. 28f. Victor Giraud, Essai sur Taine, son oeuvre et son influence, Fribourg und Paris 1901, S. 24. Nouvelle Biographie Générale, hg. v. J. Ch. Ferdinand Hoefer, 46 Bde., Paris 1852-1866, Bd. 45/46 (1866), S. 825. Myriam Bienenstock, Correspondance de Fichte et Schelling (1794-1802), Paris 1991, S. 135;vgl. Brief an Schelling vom Oktober 1801, als Nr. 614 in: Johann Gottlieb Fichte. Briefwechsel 1801-
Die populäre Hegel-Rezeption
in
Frankreich
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Zuvor hatte er sich Schelling gegenüber und mit großer Bitterkeit beklagt, wie unfähig die anderen Philosophen seien, ihn zu verstehen: Christoph Gottfried Bardili, Karl Leonard Reinhold, Immanuel Kant usw.: alles Dummköpfe und Ignoranten. Aber nach acht Jahren des philosophischen Austauschs schreibt er eben an einen von diesen über Schelling, daß dieser „mein System [...] nie verstanden hat" und fragt: Kann Schelling Jemals gewußt haben, was der kritische Idealismus sey? Freilich hat Schelling dieses nie gewußt."12 Fichte fand sich zweifellos darauf zurückgeworfen zu glauben, daß die einzigen, welche ihn verstünden, mittelmäßige Studenten waren, die seine Vorlesungen mit Applaus begleiteten. Insofern geht es hier nicht darum, eine populäre Rezeption überzubewerten, allerdings können die eben angeführten Zeugnisse die Verachtung mäßigen, die man gelegentlich und in Einzelfällen gezwungenermaßen empfinden wird.
Hegels Eintritt in Frankreich Hegel gibt vielleicht ein besseres Beispiel als andere dafür ab, den abwegigen, gelegentlich schockierenden Charakter der populären Rezeption von Philosophen zu zeigen. Heute erfreut sich Hegel einer außergewöhnlich hochgelobten Stellung beim französi-
schen Publikum. Man findet ihn überall zitiert und auf verschiedene Weise und in ganz heterogenen Kontexten angewendet, mit allen möglichen Soßen begossen.13 Man sollte sich einmal über die Einzigartigkeit eines solchen zweideutigen Erfolgs Gedanken machen, der von fast keinem anderen klassischen Philosophen geteilt wird: beispielsweise Spinoza, Leibniz oder Kant. Es gibt eine Art von Kontrast, wenigstens in bestimmten Epochen, zwischen der Zurückhaltung französischer Philosophen in bezug auf Hegel und der Neugier, dem Interesse und selbst der Faszination im Volk. Der Eintritt Hegels in Frankreich läßt bereits dieses einzigartige Schicksal erahnen. Wie ich anderswo gezeigt habe, geht die erste öffentliche Erwähnung von Hegels Namen in Frankreich nicht auf einen Philosophen, sondern 1804 auf Jean-Geoffroy Schweighäuser zurück, Sohn eines Griechischlehrers aus Straßburg, der auch Lehrer der Kinder des Marquis d'Argenson war, im nahe Poitiers gelegenen Schloß von Ormes. Dort schrieb er für die Zeitschrift Archives Littéraires de l'Europe einen Artikel über „den gegenwärtigen Zustand der Philosophie in Deutschland", in welchem er die Lehren Schellings aus der Perspektive seines Gegners Jacobi exponiert. In diesem Artikel wird Hegel als ein Schüler Schellings bezeichnet, und Schweighäuser bereits entwirft ein Bild von ihm, das bis heute überdauert: ein dunkler und etwas lächerlicher Denker, für den das Sein und das Nichts ein und dasselbe sind. Später wird Schweighäuser durch Arbeiten auf den Gebieten der Archäologie und der Geschichte bekannt. Ein anderer, auch kein Philosoph im eigentlichen Sinn, nämlich der Jurist Eugène Lerminier, rühmte sich (zu Unrecht), in Frankreich als erster von Hegel gesprochen zu
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1806, hg. v. R. Lauth und H. Gliwitzky, Stuttgart 1982 (J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. III, 5), S. 92. Bienenstock, Correspondance de Fichte et Schelling, S. 146; dt.: Fichtes Brief vom 29.12.1801 an Johann Baptist Schad (Jena), als Nr. 619 in: Fichte. Briefwechsel, S. 101. Anspielung auf Hegels Ausspruch über Cousin, dieser habe ihm einige Fische genommen, sie aber in seiner eigenen Soße ertränkt; vgl. den Beitrag von Patrice Vermeren in diesem Band.
Jacques D'Hondt
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„Ich kann hier nicht weitergehen, ohne mich vor dem Grab eines berühmten Manzu verbeugen, dessen Namen in Frankreich ich als erster ausgesprochen habe, von
haben: nes
dem ich einige Ideen bekannt machte und ihm allerdings dafür auch Ehre bezeugte."14 Mit den letzten Worten bezieht sich Lerminier auf Victor Cousin, dem man allgemein nachsagt, einige Ideen Hegels bekannt gemacht zu haben, ohne „ihm die Ehre dafür bezeugt zu haben", d.h. als schamloser Plagiator. Lerminier war nach Schweighäuser unter den ersten, die Hegel den Franzosen präsentierten. Nach ihm haben Philosophen, wenn auch nicht die bekanntesten, diese erste Kenntnisnahme vertieft, und schließlich hat Hegel erst kürzlich seinen Platz in den Programmen der französischen Universität gefunden.
Von der Anspielung
zur
Vereinnahmung
Popularisierung Hegels hat sich parallel ausgebreitet und unendlich diversifiziert. Gelegentlich handelt es sich nur um unüberlegte Anspielungen, denen man allerdings allen einen Sinn geben können muß, wie auch in Edouard Paillerons 1881 zuerst publizierter und nach zahlreichen Wiederauflagen sehr erfolgreicher Komödie „Die Welt, in der man sich langweilt" in bezug auf die Verbreitung von Hegels Namen. Der Autor setzt einen jungen Unterpräfekten in Szene, der unsicher und ehrgeizig nach Beförderung strebend davon ausgeht, daß die Ernennung zum Präfekten in den Salons vonstatten geht. In diesem Sinne rät er seiner Gattin: „Die Welt beurtheilt den Mann immer nach der Frau [...]. Schmeicheleien kannst Du sagen, so viel Du willst und Citate so viel Du Die
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weißt, das macht immer einen guten Eindruck Aber sie müssen kurz und tief sein, sehr
tief! In der Philosophie Hegel, in der Poesie Jean Paul [...]".15 Er hält seine Frau für in der Lage, Texte von Hegel zu lesen und zu wiederholen, und sein Publikum für fähig, den Wiedererkennungs- oder Verhandlungswert Hegels zu begreifen. Ziemlich leichthin ist auch Baudelaires Anspielung. Beim Porträtieren einer verabscheuenswerten Persönlichkeit „Doctor estaminetus crapulosus pédantissimus" ergänzt er auf französisch: „sein Hegelianismus!"16 Ohne von ihm etwas gelesen zu haben, beurteilte Lamennais Hegel als „Piaton des Antichristen".17 Kaum mehr Gerechtigkeit gegenüber Hegels Christentum hat Flaubert walten lassen, wenn er es in den Worten von Bouvard und Pécuchet exponiert und ein böses Vergnügen daran nimmt, durch die unfromme Lehre den Dorfpfarrer zu terrorisieren. Immerhin verweist Flaubert auf Hegels Ästhetik, wenn er diese dem Naturalismus entgegensetzt: „die eigentliche Kunst, die der -
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Zur Beziehung zwischen
Schweighäuser und Hegel siehe vom Verfasser: Première vue française sur Hegel et Schelling ( 1804), in: Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling, hg. von Dieter Henrich/Klaus Düsing, Bonn 1980 [Hegel-Studien, Beiheft 20], S. 45-57, hier S. 57. Zur Beziehung zwischen Lerminier und Hegel siehe Eric Puisais, La naissance de l'hégélianismefrançais (1830-1870) [mit einem Vorwort von Jacques D'Hondt], Paris 2005, Bd. 2, S. 4-104. Edouard Pailleron, Die Welt, in der man sich langweilt. Lustspiel in 3 Acten, Berlin 1881, S. 5. Charles Baudelaire, Mein entblößtes Herz (Tagebücher), Kap. XIX, Nr. 31, in: ders., Werke und Briefe, hg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, Darmstadt 1991, Bd. 6, S. 235f. Félicité de Lamennais, Brief an die Gräfin Louise de Senfft vom 9. März 1830, in: ders., Correspondance générale, hg. v. Louis Le Guillon, Bd. 4, Paris 1977, S. 259 (Brief 1601).
Die populäre Hegel-Rezeption
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Frankreich
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Mensch als zweite Natur in sich trägt; ist sie doch die jüngere oder ältere Schwester der göttlichen andern. So wenigstens dachte Hegel, wenn auch die empirische Schule seine Gedanken immer sehr lächerlich gefunden hat und ich?"18 Das ist, wie man sieht, ein sehr ungefährer Hegelianismus. Marcel Proust berührt etwas wesentlich Wichtigeres in der Hegelschen Dialektik, wenn er in Die wiedergefundene Zeit, nach einer tatsächlich einigermaßen dialektischen Erklärung der Kriegsstrategie von 1914 in den Worten Saint-Loups schließt: „,Der Krieg', erklärte er mir,,entzieht sich den Gesetzen unseres alten Hegels nicht, er ist in unaufhörlichem Werden begriffen'."19 Es handelt sich hier nur um augenzwinkernde Hinweise von Schriftstellern an ihre Leser, die aber immerhin eine gewisse Vertrautheit mit Hegel verraten, oder zumindest einen Anspruch, ihn zu kennen, ihn sogar zu beurteilen. Schon genauer ist das Engagement des Autors, wenn beispielsweise bei der Gräfin Gasparin in ihrer Novelle mit dem Titel „Der Hegelianer" das Abenteuer eines selbsternannten Schülers Hegels erzählt wird, der als revolutionärer Demokrat 1849 nach Deutschland zurückkehrt, um gegen die Reaktion zu kämpfen. Dieser junge Hegelianer, der Hegel nach Heines Weise interpretiert, läßt sich für seine Ideen erschießen, die er dem großen Berliner Philosophen zu verdanken glaubt!20 Gelegentlich wird der Rückgriff auf Hegel ausgreifender, besitzergreifender, bedeutsamer, ohne darum weniger phantastisch zu sein. So genießt Hegel beispielsweise bei den surrealistischen Dichtern und ihren Lesern in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts eine erstaunliche Popularität: Eine erstaunliche Hinwendung zu Hegel in einem sehr befremdlichen Milieu, das auf poetische Weise eine gewisse Sinnwidrigkeit in Hegel und einige triftige Interpretationssplitter zum Erklingen brachte.21 In dieser Ausbeutung Hegels triumphiert eine bewundernswerte Impertinenz. Wird man jemals erklären können, warum diese jungen Dichter sich so heftig an Hegel rieben, an ihm weit mehr als an allen anderen deutschen Philosophen? Alle Surrealisten haben daran teil: Louis Aragon, Paul Eluard, Tristan Tzara, Raymond Queneau (dieser mit etwas mehr Verstand als die anderen). Es ist aber vor allen Dingen André Breton, der sich mit diesem kostbaren Aushängeschild schmückt und in dadaistischer Ernsthaftigkeit die Hegelschen Texte erklärte und kommentierte. 1912 erklärt er, Hegel „vorausgeahnt" zu haben, und zwar durch die Sarkasmen hindurch, mit denen sein Philosophieprofessor Hegel belegte, der Positivist André Cresson, der im übrigen ein kleines Werk mit einer allgemeinverständlichen Darstellung Hegels publiziert hatte. Breton hat Hegel in den Übersetzungen Augusto Veras ein wenig nähergebracht und besonders durch das berühmte Buch von Benedetto Croce über das, was in Hegel „lebendig und was tot ist".22 Offenbar hat er auch die Werke von Friedrich Engels benutzt. Hegel ist für ihn ein wahrhafter Messias, den er gleichwohl nicht ohne Schauder -
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Gustave Flaubert, Über Feld und Strand
[1847], in: ders., Die Reisetagebücher [1919/20], 3 Bde., Leipzig 1993, Bd. 1 (1840-1847), S. 279. Marcel Proust, Die wiedergefundene Zeit, 2. Aufl., Frankfurt am Main 2003, S. 88f. [Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Frankfurter Ausgabe, hg. v. Luzius Keller, Bd. 7]. Valérie de Gasparin, Les Horizons prochains, Paris 1858. Vgl. vom Verfasser, De Hegel à Marx, Paris 1972, S. 187-191. Siehe Bernard-Paul Robert, Antécédents du surréalisme, Ottawa 1988. B. Croce, Cio ehe e vivo e cio ehe e morto nella filosofía di Hegel, Bari 1907.
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verehrt. Er ruft aus: „Wo die Hegeische Dialektik nicht funktioniert, gibt es für mich kein Denken, keine Hoffnung auf Wahrheit."23 Wie sollte man dieser Formulierung nicht zustimmen? Aber was verstand Breton genau unter Hegelscher Dialektik? Die Zeitschrift der Surrealisten, Der Surrealismus im Dienst der Revolution [Le Surréalisme au service de la Révolution], widmet ihre gesamte dritte Nummer im Jahr 1931 Hegel anläßlich dessen 100. Todestags. Breton zitiert sowohl aus der Naturphilosophie (darunter erstaunliche Betrachtungen über „den Kristall" ! ) wie der Philosophie der Geschichte und der Ästhetik, besonders wo diese die Poetik betrifft. Wenn die Dichter verschwunden sind, läuft ihr Lied immer noch durch die Straßen und es kann sein, daß es den Namen von Hegel ruft! Alle diese Fälle extremer und aumißbräuchlicher ßergewöhnlicher häufig genug Benutzung seines Namens und seines und seiner Bilder verdienten eine besondere Untersuseiner Lehren Werkes, bevorzugten leicht daß sie reich der man an Überraschungen und Einsichten vorhersagen kann, chung, sein wird. Nach diesem raschen Durchgang durch eine weit gefächerte Verschiedenartigkeit, Fremdartigkeit und Fruchtbarkeit der popularisierenden, wenn nicht vulgarisierenden Interpretationen Hegels ist es vielleicht angebracht, sich bei einem besonderen Fall etwas aufzuhalten. ...
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Maurice Barres Wenn ich hier den Fall von Maurice Barres anführe, dann weil dieser im Jahre 1894 einen Artikel, dann eine Textsammlung publizierte, die einen in unseren Augen phantastischen und fast surrealistischen Titel trägt: „Von Hegel zu den Kantinen des Nordens".24 Barres war damals relativ jung 32 Jahre -, und er bekannte sich zu Meinungen, die er später gänzlich verwarf. Gleichwohl hat er diese Seiten, die mehrere Wiederauflagen durchliefen, niemals verleugnet und niemals verändert. Seine Studie wird erneut 1904 veröffentlicht er ist nun 42 Jahre alt, und er gibt einem besorgten Verleger gerne das Recht zum Wiederabdruck: „Nehmen Sie es ruhig. Ich schäme mich nicht. Das Denken ist eine lebendige Sache, d.h. es setzt sich fort und ist beweglich zugleich."25 Einige Interpreten von Barres finden bereits in dieser Formulierung eines lebendigen Denkens, das sich fortsetzt und zugleich beweglich ist, ein Zeugnis des Hegelianismus! Die Studie wurde zunächst in der Zeitschrift Le Journal publiziert und dann in einen Sammelband eingefügt, hatte also zahlreiche Leser unter insgesamt wenig spekulativen Köpfen. Wie der Herausgeber Noient in seinem Kommentar sagt, war Barres „erstaunt, und später noch stärker, über bestimmte Beziehungen sehr beschaulicher Theorien und den Wagnissen und Entscheidungen des politischen Bereichs".26 Barres wollte jedenfalls nicht die Hegeische Philosophie vom Leben isolieren. Seine weithin verbreitete Studie über Hegel hat nicht allein die Bergleute von Borinage erreicht, sondern auch ein großes gebildetes Publikum, das daraus seine Sicht des -
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Zitiert ebd., S. 116. Maurice Barrés, De Hegel aux cantines du Nord, Paris 1904. Ebd., S. 5. Eugène Noient, Vorwort, in: ebd., S. 7.
Die populäre Hegel-Rezeption
in
Frankreich
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Hegelianismus entnahm, wahrscheinlich ohne das Bemühen, sie zu verifizieren, zu vervollständigen und letztlich sie zu korrigieren. Anlaß oder Vorwand für diese Reflexion über Hegel ist ein Besuch oder eine Rundreise, die Barres als Redakteur der Zeitschrift La Cocarde in die großen Arbeiterregionen führte. Er schrieb: „In Roubaix, in
Vierzon, in Carmaux, in Rives de Giers, in den trau-
rigsten Kantinen des Borinage, manchmal bei der abendlichen Predigt eines Sozialisten, erkannten wir an einer bestimmten Wendung des Redners und an seiner historischen Methode einige Bruchstücke und die Dialektik des Professors aus Jena."27 Alle Probleme der populären Rezeption Hegels und alle Einsichten, die man daraus gewinnen kann, kristallisieren sich in Barres und seiner Person und seiner Tat. Zunächst aber: Kann man ihn überhaupt und rückhaltlos als populär qualifizieren? Dieser Romancier, Schreiber, Politiker, der ehemals in seiner Jugend fleißige Student hat der Beschäftigung mit der Philosophie einen großen Platz eingeräumt. Sein Interesse dafür schien evident: „Verse, Verse, rief er aus, und Philosophie!"28 Gleichwohl hatte er keinen speziellen Unterricht in Hegel erhalten. Der Lehrer mit dem größten Einfluß auf ihn, der auch das Vorbild für einige Personen seiner Romane abgab, war Auguste Burdeau, gelehrt, brillant, verführerisch, aber im wesentlichen Kantianer, beeinflußt durch Fichte. Er gab Barres seine Übersetzung von Schopenhauers Werken.29 Es scheint, als ob Barres eben das von Hegel aufnimmt, was den Thesen von Kant, Fichte und Schopenhauer entgegenläuft. Hegel wurde damals nur durch einige Vulgarisatoren in sehr oberflächlichen Interpretationen unterrichtet oder dargestellt. Der Tenor des kleinen Werkes von Barres und die Hinweise, die er selbst gibt, läßt uns jenseits der wenigen Werke Hegels, die er in den Übersetzungen von Vera und Bénard konsultierte, sowie den seltenen Universitätsabhandlungen, auf die er hätte zurückgreifen können, die Arbeiten von Engels entdecken, die ihn am direktesten beeinflußt haben. Wie er selbst anzeigt, hatte er zwei sehr verbreitete und zugleich sehr hegelianische Broschüren von Engels gelesen, nämlich „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" sowie „Utopischer und wissenschaftlicher Sozialismus".30 Es ist ein Engels'scher Hegel, den Barres in den Reden der sozialistischen Arbeiter des Nordens wiedererkennt. So optiert er, ob bewußt oder nicht, für eine der beiden großen und miteinander rivalisierenden Ausrichtungen der Interpretation der Philosophie Hegels. Mit keiner Silbe erwähnt er den Theologen, den kontemplativen oder meditativen Hegel. Für ihn ist Hegel derjenige Denker, welcher in der Moderne für die Erkenntnis der Dinge der Welt die Form des historischen und dialektischen Denkens instauriert oder restauriert.
Ebd., S. 15f. Es ist sehr erstaunlich, daß Barres Hegel eben Jena zuordnet, wo dieser in der Tat vorübergehend unterrichtete, während der Philosoph seit langem als dauerhafter mächtiger Meister der Philosophie in Berlin bekannt war. Diese Besonderheit dürfte erlauben, gewisse Quellen von Barres präziser identifizieren zu können. Sylvia M. King, Maurice Barrés. La pensée allemande et le problème du Rhin, Paris 1933, S. 18. Burdeau übersetzte u.a. Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (Le monde comme volonté et comme représentation, Paris 1888-1890); die Übersetzung wurde leicht verändert nochmals in Paris 2003 aufgelegt. Diese beiden kleineren Werke von veröffentlicht.
Engels wurden
1904 bzw. 1883 ins Französische übersetzt und
Jacques D'Hondt
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In dieser Epoche nimmt er also nicht das bei Hegel auf, was später seine nationalistische Ideologie nährt. 1894 präsentiert er einen „sozialistischen" Hegel, bzw. einen von den Sozialisten für die Ausarbeitung ihrer eigenen Lehre herangezogenen und benutzten Hegel. Mit seinem Aufsatz richtet er sich direkt an diese Fortsetzer Hegels: „Denn schließlich, rief er aus, Söhne Hegels [es handelt sich um die Bergleute des Nordens!, J. D'H], geht es nicht an, daß ihr die schönen Gesetze eures alten Vaters vergeßt!"31 Diese „Gesetze" sind im wesentlichen die des dialektisch verstandenen Werdens. Mehrere Seiten widmet er der Hegel-Engels'sehen Konzeption des Werdens, die er selber einige Jahre später, in einem Kapitel von Les Déracinés, kritisieren wird.32 Mehrere Hegeische Themen sind ihm bei seiner Überlegung wichtig: die Rolle des Übels in der Geschichte, die Ablehnung des Dezisionismus in der Politik, „denn es handelt sich nicht darum, den Propheten abzugeben, sondern sich der notwendigen Entwicklung zu überlassen" und diese Begriffe lassen klarerweise an das Ende der Vorrede zu Hegels Rechtsphilosophie denken.33 Er glaubt, dem Denken Hegels treu zu bleiben, indem er erklärt, daß „es die schlechten Leidenschaften sind, die die Aktivität in der Menschheit und im Universum aufrechterhalten [...]".34 Was für ihn vor allen Dingen zählt, ist Hegels historische Perspektive: „Von nun an wissen wir, der historischen Entwicklung der Völker zu folgen, wir verstehen alle abgeschlossenen Bewegungen; mehr noch, wir respektieren sie, weil Hegel uns lehrt, daß alles, was notwendig war, auch wahr ist, und daß der Platz jeder Sache ihre Wahrheit konstituiert."35 Diese historische Hegeische Weise, die Dinge zu sehen, die zu diesem Zeitpunkt seine sozialistische Option begleitet, wird merkwürdigerweise zum Teil seinen späteren Verzicht auf diese Option und seinen vollständigen Übergang zum Nationalismus erklären. Im Anschluß an eine Darlegung der wichtigsten Themen dieses Nationalismus konnte ein Kritiker hinzufügen: „Begründet sind diese Schlußfolgerungen auf historischen und evolutiven Betrachtungen der Gesellschaft [...]. Es ist immer noch Hegels Philosophie, Inspiration für die deutschen Sozialisten, die ihn zu den französischen Wahrheiten führen wird."36 In der nationalistischen Epoche seines Denkens wird Barres die Hegeische Theorie des Staates bewundern, und von daher eine Nostalgie für die Ideen seiner Jugend etwickeln. Die Theorie des Staates, so schätzt er es dann ein, „ist ein mächtiges Denken, das für mich den Sozialismus rechtfertigt".37 1894 aber ist es der Sozialismus selbst, den er in Teilen zu rechtfertigen sucht, und seine Anhörung der militanten Arbeiter des Nordens führt ihn zur kritischen Prüfung der verschiedenen Strömungen des französischen Sozialismus und zu einer Wahl zwischen ihnen. Er sieht in Hegel den „Vater", wie er sagt, dreier unterschiedlicher Orientierungen -
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M. Barres, De Hegel aux cantines du Nord, S. 34. M. Barrés, Les déracinés [1897], in: ders., L'Œuvre Bd. 3, Paris 1965. Ebd., De Hegel aux cantines du Nord, S. 25. Ebd., S. 26f. Ebd., S. 22f. Sylvia M. King, Maurice Barrés, S. 106. Zitiert bei: Claude Digeon, La crise allemande et la pensée française 422, Anm. 1.
(1870-1914), Paris 1959,
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dieser politischen Bewegung: des Kollektivismus (so bezeichnet er die Lehre von Marx), von Bakunins Anarchismus und von Proudhons Föderalismus. Den Marxismus verwirft er aus verschiedenen Gründen, aber auch und in merkwürdiger Wendung gegen Marx und Engels durch Argumente, welche diese selbst gegen Hegel aufgebaut hatten: Marx verrät, weil er sich ein System gegeben hat, wie Hegel seine eigene Dialektik, die eine Transformation und einen unbegrenzten Fortschritt der Ideen impliziert. Andererseits lehnt er auch den Bakunismus ab und spielt in gewisser Weise Bakunin und Marx beides selbsterklärte Schüler Hegels gegeneinander aus, zugunsten von Pierre-Joseph Proudhon, auf dessen Seite er sich schlägt. Er bevorzugt den französischen Föderalismus gegenüber dem deutschen Kollektivismus und dem russischen Anarchismus und er rühmt sich, zwischen den beiden dank eines Hegelschen Kriteriums gewählt zu haben. Seine Initiation in den Sozialismus führt Barres aber nicht ausschließlich auf Hegel zurück. In seinen Augen ergibt sich der französische Sozialismus aus einer Synthese oder einem Amalgam, wie es sich ursprünglich in den Kantinen des Nordens ausdrückt: eine Synthese aus Hegelianismus und Rousseauismus. Entschieden erklärt er: „Ein französischer Revolutionär, sei er nun Kollektivist, Föderalist oder Anarchist, hat von Rousseau seine Empfindlichkeit und von Hegel seine Dialektik."38 Im Blick auf den französischen Sozialismus am Ende des 19. Jahrhunderts ist das gewiß gewagt und kurzgegriffen, aber ziemlich gut gesehen. Als Erbe von Hegel und Rousseau wählt er die Wertsetzung Proudhons: „Wenn die revolutionäre Kraft der Hegelschen Idee, konzentriert im einfachen Volk, wie wir es in den Kantinen des Nordens sahen, die Welt transformieren soll, wenn die alte Zivilisation zusammenbrechen soll, muß ihr wenigstens eine Föderation nachfol-
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gen."39
Hegel sehr viel verdankte. Hat er ihn auch gut verstanden? Hegel verstanden und angenommen haben, um sich selbst für einen Hegelianer zu halten? Die sarkastischen Bemerkungen von Marx in dieser Hinsicht sind bekannt. Proudhon hatte sich für Hegels Philosophie interessiert und sich auf verschiedenen Wegen informiert, ist sogar auf Marx selbst zurückgegangen. Dieser erinnerte nach dem Tode von Proudhon daran: „Während langer, oft übernächtiger Debatten infizierte ich ihn zu seinem großen Schaden mit Hegelianismus, den er doch bei seiner Unkenntnis der deutschen Sprache nicht ordentlich studieren konnte. Was ich begann, setzte nach meiner Ausweisung aus Paris Herr Karl Grün fort. Der hatte als Lehrer der deutschen Philosophie noch den Vorzug vor mir, daß er selbst nichts davon verstand."40 Nun gibt allerdings Barres bezüglich Rousseau vor: „Es ist nicht notwendig, eine Proudhon wußte, daß
In welchem Maße muß
Lehre
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zu
er
man
kennen, um unter ihren Einfluß zu geraten, es genügt, sie zu atmen."41
Barres, De Hegel aux cantines du Nord, S. 19. Ebd., S. 37 Karl Marx, Misère de la philosophie [1847], Paris 1961, Anhang, S. 185f; dt.: K. Marx, Brief an J. B. von Schweitzer (24. Januar 1865), in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1962, 6. Aufl. 1975, Bd. 16, S. 27. M. Barres, De Hegel aux cantines du Nord, S. 18. M.
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Der Sinn der populären
Rezeption
besonderen Fall von Barres interessiert, ist die Tatsache, daß bei ihm und in seiUmfeld alle Popularisierungen versammelt sind, wenn man so sagen kann: Unter Ausschluß der gelehrten Kenntnis finden sich hier alle Grade und alle Formen des mehr oder weniger entfernten, des verzerrten und des annäherungsweisen Kontakts mit Hegel. Was für ein Weg, den er in Abstufungen bis zu den analphabetischen und ungelenken Manövern von Roubaix oder Mons zurücklegte, über Marx, Engels, Bakunin, Proudhon, Burdeau, Jaurès und seine lateinische Doktorarbeit über die deutsche Philosophie, die sozialistischen Theoretiker, die Arbeiterführer, die gebildeten und neugierigen Arbeiter selbst! Was für ein Weg vom Kantianismus à la Burdeau zum föderalen Sozialismus angeblich Hegelscher Prägung und zum Nationalismus der Colline inspirée^2 Welcher Tanz um das Heiligtum der schlecht geschützten, schlecht dargestellten Hegeischen Philosophie, deren Wahrheit durch ihre Priester nicht recht gehütet wurde! Es ist wohl wahr, daß die populäre Rezeption Hegels in gewisser Weise der Gelehrtenrezeption, von der sie abhängt, ähnelt, denn sie ist ebenso zögerlich, einseitig, zerstritten, widersprüchlich und polemisch. Man kann auch von ersterer sagen, was von letzterer Barrés mit größerer Allgemeinheit feststellt: „Vom Lehrer oder vom Buch nehmen wir uns, was unser Instinkt als das Seine erkennt, und wir interpretieren mit der Unabhängigkeit des Fremden."43 Wie aber könnte es anders sein, sobald eine Lehre gewissermaßen wie ein fremder Meteorit in epistemisch heterogenen und einander abwechselnden Feldern einschlägt? Die Popularisierung unterscheidet sich andererseits tiefgründig von gelehrten Studien. Wir erkennen darin nur mit Schwierigkeiten unsere Philosophen. Woran liegt das? Man kann dazu einige Hypothesen formulieren. Zunächst ist die vulgäre Kenntnis der Philosophen weder vollständig noch systematisch. Der gewöhnliche Leser hat Zeit und Geschmack nur dafür, einen Aspekt, eine Teiltheorie, ein Bruchstück zu entdecken. Nur gelegentlich liest er ein Kapitel oder ein ganzes Buch. Im allgemeinen begegnet er den Philosophen in Werken zweiter Hand, die als Vermittlungen dienen, jedoch zugleich Interpretationen konstituieren, die mehr oder weniger unvollständig und parteiisch sind. Er nimmt nur auf, was ein Interpret bereits ausgewählt hat, weil ihm dies gefallt. Hier liegt wahrscheinlich die wichtigste Bestimmung: Das Publikum akzeptiert oder lehnt Philosophen nach den spontanen Neigungen seines eigenen Denkens ab. Hier hat der Empfänger die größte Wirksamkeit, oder wenigstens so viel wie der Sender. Er ergreift nur, was er ergreifen kann, was auf seiner eigenen Wellenlänge liegt, und also das, von dem er fühlt, daß er es verstehen und damit etwas anfangen kann. Nur schwerlich vorstellbar ist, daß die Bergleute des Nordens etwas aus der Philosophie von Schelling oder derjenigen Schopenhauers sich aneignen hätten können. Bei Hegel gab es andererseits bereits modifizierte und durch Vermittler simplifizierte Elemente oder Tendenzen, die ihnen verständlich erscheinen konnten. Sicher gäbe es viele andere interessante Bemerkungen anläßlich der populären Rezeption zu machen, deren ganzes Schauspiel für uns zunächst ein großes Problem für die Was
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Ders., Colline inspirée, Paris 1925. Ders., Les déracinés, S. 23.
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Philosophie darstellt, und vor allem für die Philosophie unserer Zeit. Wen will sie aufkläund überzeugen? Worüber will sie handeln? Oder will sie nur einen sehr beschränkten Kreis von Spezialisten erreichen dann wäre es für den Philosophen bei der Exposition seiner Ideen nicht nötig, Konzessionen zu machen: Verstehe ihn, wer kann! Zweifellos hätte sich Hegel, wenn er nur gewollt hätte, einfacher ausdrücken können, klarer und deutlicher es gab aber gute Gründe für ihn, dies nicht immer zu wollen. Man muß allerdings auch einräumen, daß er dafür nicht sonderlich begabt war, was man ihm seit seiner Jugend vorwarf. So hat er vielleicht aus seiner Schwäche eine Tugend gemacht. Wenn aber die Philosophie auf das große Publikum zielt, die Menge, die ganze Menschheit, dann berührt sie es gelegentlich dank der glücklichen Übereinstimmung ren
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spontaner Absichten oder dank einer bestehenden Gemeinsamkeit im Denken und Hoffen. In diesem Fall können kleinste Konzessionen an volkstümliche Formen im Denken und im Ausdruck genügen, sonst müßte der Philosoph wirklich übermenschliche Anstrengungen unternehmen, um im Publikum ein Echo seiner Ideen wachzurufen. Was Hegel betrifft, so finden wir in Frankreich lediglich eine negative Bestätigung dieser Hypothesen. Es spricht der Dichter: „Ein Denkmal schuf ich mir, von keiner Hand erhoben / Das Volk tritt seinen Pfad zu ihm aus eigener Kraft."44 Daß die Massen sich um das Monument von Hegel scharen, kann man nicht erkennen. Aber es ist auch nicht gänzlich verlassen. Freilich irren sich die Leute oft im Monument.45 Aus dem Französischen von Ulrich Johannes Schneider
Aleksandr S. Puskin, Exegi monumentum, in: ders., Die Gedichte, hg. v. Rolf-Dietrich Keil, aus dem Russischen übertr. v. Michael Engelhard, Frankfurt/Leipzig: Insel 1999, S. 951. Der vorliegende Text basiert auf einem Artikel (La réception profane de Hegel en France) in: La réception de la philosophie allemande en France aux XIXe et XXe Siècles, hg. von Jean Quillien, Lille 1994, S. 55-71. Gegenüber dem ursprünglichen Text wurden einige Details verändert und die Fußnoten aktualisiert.
Patrice Vermeren
Victor Cousins Hegel
wenn wir glauben, daß die Philosophie von Hegel eben die theoretischen und praktischen Fehler enthält, die auch sein Schüler Victor aufweist, wollen wir jene nicht nach diesem beurteilen. Wir bekennen freimütig, daß Cousin uns als guter Handwerker erscheint, der bei anderen Nationen Maschinen sieht, deren schöne und bewundernswert hergestellte Teile er beschreibt, ohne allerdings genau die Verbindung zu kennen, die sie zu Maschinen machten. Er zeigt uns zweifellos schöne und kunstvoll polierte Teile, die jedoch nicht zusammenwirken und keinen Mechanismus in Gang setzen."
„Auch
Pierre Leroux
'
Die Beziehungen Victor Cousins zu Hegel und der deutschen Philosophie sind ausführlich in den Arbeiten von Jacques d'Hondt, Jean-Pierre Cotten und Guido Oldrini dargestellt worden.2 Daraus zeichnet sich eine gemeinsame Struktur ab, denn sie betonen alle die Armseligkeit der Lesart deutscher Denker durch den nicht Deutsch sprechenden Cousin, gemäß des berühmten Ausspruchs von Hegel bei Entgegennahme der stenographierten Vorlesungen, die Cousin 1827 und 1828 gehalten hat: „er hat mir einige Fische entwendet, sie aber in seiner eigenen Sauce ertränkt."3 Ich möchte an diesen Ausspruch anknüpfen, um seine gesamte Paradoxie auszumessen, und das im wörtlichen Sinne: ge-
gen die Meinung (doxa). Das erste Paradox besteht darin, daß die deutsche Philosophie, und insbesondere diejenige Hegels, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur durch Vermittlung Cousins und seiner Schüler an viele Orte der Welt gelangt. Das kann man beispielsweise mit Susana Villavicencio für die Länder des Rio de la Plata behaupten, wo im Jahr 1843 Domingo Sarmiento, damals im chilenischen Exil er wird später Präsident der Republik Argentinien -, ein Buch veröffentlicht, das zum Handbuch der Emanzipation für alle lateinamerikanischen Republiken gegen den Despotismus der Caudillos werden wird: Facundo, im Untertitel: Zivilisation und Barbarei [civilización y barbarie]. Der Text ba-
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Pierre Leroux, Du cours de philosophie de Schelling, in: Revue indépendante (Mai 1842), Neudruck Paris 1982, S. 67. Jean-Pierre Cotten, Autour de Victor Cousin, Besançon 1992; Jacques D'Hondt, Hegel in seiner Zeit, Berlin 1984; Guido Oldrini, Hegel y e l'hegelismo nella Francia dell 'Ottocento, Mailand 1991. Nach einem Artikel von Karl Ludwig Michelet in: Der Gedanke, Berlin, Mai 1862, S. 136f.
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siert auf einer über Cousin und Guizot aus Hegel extrahierten Geschichtsphilosophie. Neben den Franzosen wird explizit auf die Pariser Vorlesung Cousins von 1828 Bezug genommen und ein Zitat daraus dem Kapitel über den Diktator Facundo und sein alter ego Rosas vorangestellt: „Nachdem er gesiegt und sich dabei völlig verausgabt hatte, ist er nun erschöpft, ist seine Zeit um, fällt er sich selbst zum Opfer: jetzt verläßt er die Bühne der Welt, weil er der Menschheit nutzlos geworden ist." Die Theorie des großen Mannes, der kein Individuum ist, sondern die Bedürfnisse der Menschen seiner Zeit, des Mensch gewordenen Volkes repräsentiert, stammt ganz und gar von Hegel und bestimmt in der von Cousin popularisierten Version die Inszenierung des Caudillo Facundo, in welchem die Zeitgenossen leicht den Caudillo Rosas erkannten, der nichts anderes als der große Mann des Gaucho-Volkes ist, das Prinzip der Barbarei und des Rückschritts. Eben darum aber sind die Tage des Diktators gezählt: So wird die Geschichtsphilosophie Hegels im Gewand Cousins auf Argentinien angewandt, wird die Tyrannei der Facundos und der Rosas als notwendig beschrieben, aber auch ihr endlicher Fall vorhergesagt, weil sie nichts anderes als Verkörperungen des Vergangenen sind.4 Barbey d'Aurevilly hat von Cousin gesagt, er sei ein armer Mann in erbettelten Kleidern gewesen, der bei Hegel vorgesprochen und Hegels Groschen in Paris als Falschgeld in Umlauf gebracht habe.5 Daß tatsächlich die Philosophie Hegels den Atlantik in Cousins Kleidern überquert hat, dafür gibt es mehrere Textzeugen, auch wenn gelegentlich der Cousinsche Eklektizismus durch die Werke seiner Gegner Leroux und Lerminier bekannt wurde. Die Bezugspunkte in der philosophischen Konfiguration Argentiniens implizieren die Annahme, daß Cousin treuer Fortsetzer der Prinzipien der französischen Revolution war. Zugleich ist wahr und darin liegt eine zweites Paradox -, daß der Import deutscher Lehren in die neuen amerikanischen Länder auch negativ und als Bremse der politischen Emanzipation vom spanischen Kolonialismus erlebt werden kann. Die Frage stellt sich daher folgendermaßen: Was geschieht mit der Philosophie Hegels beim Übergang über den Rhein oder über den Atlantik, im Schweigen, das die geschichtsphilosophischen Vorlesungen Cousins über ihn verhängen? Wie kann es sein, daß die Annahme des Eklektizismus, die Philosophiegeschichte reflektiere die Quintessenz der Menschheitsgeschichte, die Wendung der Philosophiegeschichte in Geschichtsphilosophie, die Identifizierung der Geschichtsphilosophie mit der Geschichte selbst, im Export eher deutscher als französischer Lehren, einerseits (im Rio de la Plata) die Freiheit gegenüber dem Despotismus und andererseits (auf Kuba) die Bewahrung der kolonialen Ordnung gegen die Emanzipation legitimiert? Man muß den Hegel im Spiegel Victor Cousins über beide Paradoxa befragen, wenn man sich auf die philosophische Polemik rund um den Eklektizismus einläßt, die in den Zeitungen Havannas 1839 und 1840 tobte und im innersten Kern den karibischen Import eines historischen Fatalismus deutscher -
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Susana Villavicencio, Sarmiento y la emergencia de la nación cívica, in: Relatos de la Nación. La construcción de las identidades nacionales en el mundo hispánico, hg. v. Francisco Colom, Biblioteca Valenciana 2004. Das achte „symbolische Wort" des Dogma socialista (1846) von Echeverría bezieht direkte Anregungen aus der Definition des großes Mannes bei Cousin; vgl. auch Patrice Vermeren, Sarmiento: No se puede matar las ideas, in: Filosofías del Exilio, Valparaiso 1993, S. 65-83. Old Nol (Pseudonym für Jules Barbey d'Aurevilly), Quarante médaillons de l'Académie, in: Le Nain jaune (1863).
Victor Cousins Hegel
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Prägung in französischer Gestalt betrifft, welcher die intellektuelle und politische Emanzipation des kubanischen Volkes verhinderte. I. Victor Cousin in Kuba, oder die
Geistes
trügerische Idee des menschlichen
Die Polemik beginnt mit einem Artikel von José Zacarías Gonzalez del Valle vom 16. Setpember 1839 im Noticioso y Lucero.6 Dieser Text ist die auszugsweise Wiedergabe auf Spanisch des Vorworts zur dritten Auflage der Fragments von Victor Cousin. Dieser Auszug führt zu einem weltweiten Echo auf die nach einem Ausdruck Stendhals „neue Pariser Philosophie", deren Anspruch es ist, den gesamten Planeten zu erobern und die Philosophie der Zeit zu werden: Beckers, Schelling, Wendt in Deutschland, Limberg, Henry, Ripley, Brownson in den Vereinigten Staaten, Galluppi, Mancino, Poli, Rosmini in Italien markieren Punkte des Widerhalls. Auf den ersten Artikel antwortet José de la Luz y Caballero, der Übersetzer von Volney, nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Paris, London, Edinburgh (wo er Walter Scott trifft), Berlin, Dresden, Wien, Rom, Florenz, Mailand, mit Rückkehr nach Kuba über New York.7 Die Replik erscheint am 3. Oktober 1839 im Diaro de la Habana* und beschuldigt José Zacarías Gonzalez del Valle einer verzerrten Wiedergabe des Textes von Cousin und Cousin selbst der Übertreibung bei der Darstellung der wohlwollenden Aufnahme seiner Philosophie. Überall nämlich artikulierten sich die Kritiker: Broussais, Lerminier, Aza'is, die zwei Comte in Frankreich, Wendt, Schelling, Beckers, Grusse, Schleiermacher, Savigny in Deutschland, Hamilton in England, die Schweizer, die Italiener usw. Alle erheben sich, nach José de la Luz y Caballero, gegen die Idee des Eklektizismus, d.h. einer Vorstellung von der Versöhnung entgegengesetzter Systeme. -
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Der Eklektizismus Cousins kann durch zwei Postulate charakterisiert werden: 1) Die Psychologie ist das Vorzimmer der Philosophie. Die experimentelle Methode Ba-
muß nicht allein auf Erfahrungstatsachen, sondern auch auf Bewußtseinstatsachsen ausgedehnt werden. Das Feld der Möglichkeiten ist für die Philosophie erschöpft. Jedes neue System muß sich an einen der vier Archetypen anschließen, die historisch bereits manifest geworden sind, auch jenseits der Griechen bei den Indern: Der Idealismus oder Spiritualismus, der Materialismus oder Sensualismus, der Mystizismus und der Skeptizismus. Man muß in jedem System lediglich das Falsche vom Wahren trennen und über den Rückgriff auf die Philosophiegeschichte einen Eklektizismus hervorbringen, der als Friedensvertrag zwischen den Systemen über allen steht und die Philosophie der Zeit cons
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(José Zacarías González del Valle), Defensa del Eclecticismo de Cousin, in: Noticioso y Lu16. Sept. 1839, nachgedruckt in: José de la Luz y Caballero et alii, La polémicafilosófica, Havanna 1946, Teil III, S. 3-7. Vgl. Perfil histórico de las letras cubanas desde los orígenes hasta 1898, hg. v. Instituto cubano de literatura y lingüística de la Academia de ciencias de Cuba, Havanna 1990, S. 107. José de la Luz y Caballero, Primera refutación a Tulio sobre el eclecticismo de Cousin, in: Diario de La Habana vom 3. Okt. 1839, nachgedruckt in: La polémicafilosófica, S. 8-29. Tulio
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der konstitutionellen Monarchie darstellt (diese Monarchie selbst billigt, in der politischen Ordnung und nach Guizot, die Zwecke der Revolutionen und konstituiert eine Mischung aus den Wahrheiten des Monarchismus und des Demokratismus). Für José de la Luz y Caballero ist der „Eklektizismus der neuen französischen Schule nicht nur ein falsches, sondern ein unmögliches System". Entweder entstammen alle Vorstellungen der Sinne, oder nur einige, nicht aber alle, man kann jedoch nicht beides zugleich behaupten. „Es como convertir lo blanco y negro", wie eine Versöhnung zwischen Ptolemäus und Kopernikus. Die Argumente von José de la Luz y Caballero in dieser Polemik halten sich an die logische Widerlegung durch Aufzeigen einer unauflösbaren Paradoxie. „Der Eklektizismus ist die trügerischste Idee, die der menschliche Geiste jemals hervorgebracht hat", schreibt er am 29. Oktober 18399 und bringt erneut die Kriterien von Schelling in Anschlag: Man kann die experimentelle Methode „nicht auf
Bewußtseinstatsachen anwenden und zugleich anstreben, zum Absoluten zu gelangen".10 Cousin wollte sich außerhalb der Systeme halten und Entgegensetzungen miteinander versöhnen, den Frieden unter den Philosophien einführen, also die Philosophie wie einen Verhandlungsgegenstand in der Politik oder unter Individuen behandeln. Die Position der bürgerlichen Mitte [Juste-milieu] kann aber in der Philosophie nicht eingenommen werden. Man muß wählen. Im übrigen hatte Cousin gewählt: Er war Spiritualist. „Ich bekämpfe die Idee des Eklektizismus", schreibt José de la Luz y Caballero, „als irrig und undurchführbar. Ich bekämpfe sie als Wiederbelebung des Spiritualismus, weil sie mir diesem in allen Punkten gleichbedeutend scheint". Der Eklektizismus ist folglich: -
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eine falsche Philosophie, die auf einer widersprüchlichen Idee beruht („Man könnte leicht ein Buch darüber schreiben, wie der Eklektizismus sich selber widerlegt", sagt José de la Luz y Caballero11) ein verkleideter Spiritualismus, der die Wissenschaft bremst und zur Scholastik zurückkehrt eine Philosophie, die, weil sie Philosophie von Religion trennt, zum Niedergang der Moral führt. woran sich Betrachtungen über die heimliche Absicht dieses Spiritualismus anschließen, die Macht zu erobern und herrschend zu werden, nicht allein im Bereich der Erziehung, sondern auch in dem der Politik. „Nun nennt man diejenigen Materialisten und Atheisten", schreibt José de la Luz y Caballero, „die auf der Seite der Wahrheit José de la Luz y Caballero, Segunda refutación a Tulio sobre el eclecticismo de Cousin, in: Diario de la Habana vom 29. Okt. 1839, S. 48. Vgl. Patrice Vermeren, El eclectismo en Cuba, la utopia platónica y la historia política de la filosofía, in: Utopia y experiencia en la idea americana, Havanna 1999, S. 5If. Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Jugement sur la philosopie de M. Cousin et sur l'état de la philosophie française et de la philosophie allemande en général, in: Nouvelle revue germanique, Paris 1834, nachgedruckt und mit Vorwort versehen von Christiane Mauve und Patrice Vermeren, Le passage de la ligne; politiques de la nationalité philosophique sur les deux rives du Rhin, in: Cahiers du Collège international de philosophie, Paris 1988, S. 53-65. Filolezes [d.i. José de la Luz y Caballero], El epígrafe (II). Cuarto articulo contra La psicología según la doctrina de Cousin, in: Diario de la Habana vom 30. März 1840, S. 200.
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um die Jugend der Forschung zu entfremden [...] Cousin und seine kubanischen Schüler beabsichtigen eine vollkommene Revolution der Ideen, um darauf eine vollständige Revolution der Politik aufzubauen."
stehen,
Philosophie Hegels und den DoktriGuizots zusammen und rechtfertigt die herrschende Ordnung als notwendige Gestalt der Geschichte, was im Falle Kubas die allgemeine Willkürherrschaft der Generäle von Madrid bedeutet Bereicherung durch Sklaverei und Sklavenhandel -, während José de la Luz y Caballero sich für eine Regierung auf Kuba stark macht, welche die Kubaner beteiligt.12 Im Falle Frankreichs bedeutet es eine Argumentationsweise, die seit 1828 vor den politischen Gefahren des Fatalismus warnt und den historischen Optimismus von jenseits des Rheins importiert, welcher die Sieger rechtfertigt und der Wirklichkeit die Würde des Vernünftigen verleiht.13 Die Widerlegung des Versuchs von Manuel Gonzalez del Valle und seines Bruders José Zacarías, die Lehre Hegels und Cousins auf Kuba zu adoptieren, wird in ihrer Verfahrensweise durch eine doppelte, Philosophie und Politik eng verbindende Logik getragen. In letzter Instanz läuft der Eklektizismus mit der nen
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II. Cousins
Schweigen über Hegel
nach Deutschland gefahren, um eine Verstärkung der französischen Philosophie suchen, die im Sensualismus von Condillac, in der Theorie der „Ideologen" und in den aus Schottland importierten und von Anwendern jenseits des Ärmelkanals bearbeiteten Kriterien des Empirismus steckengeblieben war. Nach Auskunft seiner Vorlesungen hat Cousin Hegel 1817 in Heidelberg getroffen und dort mit dessen Schüler Carové die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften studiert, „ein Buch voller auf den ersten Anschein scholastischer Formeln, in einer wenigstens für mich wenig klaren Sprache", wie Cousin 1833 im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Fragments philosophiques schreibt. Sofort von Hegel in den Bann gezogen, wurde Cousin zu dessen Freund. Hegel setzte sich 1824 und 1825 für ihn ein, als Cousin in Dresden festgenommen und in Berlin ins Gefängnis geworfen wurde, mit der Anklage, als Liberaler und französischer Carbonaro Verbindungen zu deutschen Liberalen und Geheimgesellschaften geknüpft zu haben, insbesondere zur Burschenschaft.14 Hegels Brief bezeugt zumindest eine starke Freundschaft, wenn nicht eine politische Komplizenschaft mit einem französischen Philosophen, mit dem er sich ohne Probleme 1827 in Paris ankündigen läßt, nachdem dieser befreit worden war, auch als Antwort auf eine Einladung, die er Victor Cousin
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Vgl. Manuel Sanguily y Garritte, José de la Luz y Caballero, in: ders., Obras, Havanna 1925-1930, S. 81f, zit. nach Medardo Vitier, Las ideas en Cuba (1838), 2. Aufl.: Las ideas y la filosofía en Cuba,
Havanna 1970, S. 220; Antonio Sánchez de Bustamante y Montoro, La filosofía clásica alemana en Cuba (1841-1898), Havanna 1964; Eduardo Torres-Cuevas, Felix Várela. Los origines de la ciencia y conciencia cubanas, Havanna 1995, Kap. VI. Armand Marrast, Examen critique du cours de M. Cousin, Paris 1829; und Patrice Vermeren, Victor Cousin. Le jeu de la philosophie et de l'Etat, Paris 1995, S. 105-106. Patrice Vermeren, Les vacances de Cousin en Allemagne, in: Raison Présente 63 (1982), S. 77-97 und 64 (1982), S. 101-115; vgl. auch Vermeren, Cousin, S. 77-94.
Patrice Vermeren
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ihm
gemacht hatte und die mit der Veröffentlichung eines Artikels
im Constitutionnel
zusammenfallt, worin sein Mut gespriesen wurde, was wiederum den Polizeitpräfekten
Berlin in höchstem Maße irritierte.15 Auch wenn Cousins Vorlesungen von 1818 bis 1820 eher Einflüsse von Kant, Fichte und Schelling als von Hegel zeigen, bezieht Cousin doch, wie Pierre Macherey nachgewiesen hat16, von diesem die allgemeine Idee eines philosophischen Systems und den Begriff des Absoluten, was ihm erlaubt, eine Versöhnung der deutschen und französischen Traditionen zu versuchen, indem er in ein und demselben System die psychologische Beschreibung von Bewußtseinstatsachen und die Metaphysik des Absoluten vereint. Macherey beweist, daß bei allem Anschein eines spekulativen Vorgehens wie bei Hegel Cousin diesem entgegengesetzt ist und auf die Konstruktion einer national-französischen Philosophie abzielt. Auf gleiche Weise könnte man zeigen, daß die Vorlesungen Cousins von 1828 und 1829 die Vorlesungen Hegels über die Philosophiegeschichte voraussetzen, ja davon abhängen, auch wenn sie deren Geist verraten.17 Warum wird Hegel niemals zitiert? Zeigt das Schweigen Cousins nicht dessen Absicht, als einziger Urheber einer neuen, für Frankreich entworfenen Philosophie zu erscheinen? Zweifellos gibt es auch andere Gründe: Von diesem Zeitpunkt an wird Cousin von zwei Seiten angegriffen, nämlich wegen seiner Treue zu aus Deutschland importierten Lehren, insbesondere zu derjenigen Hegels, und wegen Pantheismus und historischem Fatalismus. Die Anschuldigung, einen reaktionären historischen Fatalismus zu verbreiten, wird zunächst von den Schülern der „Ideologen" und den Saint-Simonisten aufgebracht, etwa von Armand Marrast, der für das Journal de la langue française die „Vorlesungen eines allzu mächtigen Professors" kommentiert, „der zu berühmt ist, als daß die Handlungen seiner Worte unschuldig sein könnten". Diese Vorlesungen entflammten 1828 und 1829 die jungen Köpfe, „die sich ohne umzusehen auf den Weg des Kanto-Platonismus begeben, der mit täuschenden Vorspiegelungen die Köpfe zu allerhand verrückten Ausbrüchen, zur ganzen Selbstgenügsamkeit des absoluten Wissens verführt".18 Der Eklektizismus wird als neue Gestalt eines antiken Spiritualismus (Piaton) denunziert, importiert und verkleidet im Nebel der Allgemeinheiten, pompöser Logeleien, die heute von zahlreichen Geistern bewundert werden. Diese Neuverkleidung eines baufälligen Hauses, die Vorliebe Cousins für das Ideal zuungunsten des Realen, für Deutschland zum Nachteil Frankreichs, läßt diese irrige Philosophie in einem Prinzip und in Folgerungen auslaufen, die Marrast wie folgt zusammenfaßt: „1) Gott manifestiert sich in der Weltordnung, diese in der Menschheit, die Menschheit entwickelt sich in der Geschichte. Die Geschichte ist demnach letzte Nachwirkung göttlicher Tätigkeit. Also ist alles gut hieniedenfür die Völker und für die Einzelnen; 2) Wenn von
15
Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Berlin, Akten B3 377 und C3 354; D'Hondt,
Zeit,'S,. 110-121. 16
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Hegel in seiner
Pierre Macherey, Les débuts philosophiques de Victor Cousin, in: Corpus 18-19 (1991), S. 29^19. Vgl. Ulrich Johannes Schneider, Philosophie und Universität. Die Historisierung der Vernunft im 19. Jahrhundert, Hamburg 1999, S. 180-246. M. A. M. [d.i. Armand Marrast], Examen critique du cours de philosophie de M. Cousin, Paris 1929, S. VI: les jeunes esprits „se jetant, sans regarder, dans ces voies du kanto-platonisme qui, avec les apparences les plus trompeuses, conduisent l'esprit à toutes les folies de l'extase, à toute la suffisance du savoir absolu".
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sich die Menschheit in der Geschichte entwickelt, gibt es in der Geschichte nichts, was es nicht in der Menschheit gibt. Nun gehören dazu drei Ideen, nicht mehr und nicht weniger, also drei Epochen der Geschichte: Das Unendliche, das Endliche und die Beziehung des Endlichen zum Unendlichen; 3) Jedes Volk repräsentiert eine Idee, und eine der drei Ideen. Nun sucht aber die jüngste Idee zu herrschen, die älteste setzt dem ihren Widerstand entgegen. Daher der Krieg. Die letzte Idee wird immer besiegt. Der Krieg ist also nützlich, notwendig und gerecht. 4) Weil der Krieg nichts anderes ist als der Zusammenprall zweier Ideen, ist jede große Schlacht nichts anderes, und weil der Krieg gerecht ist, ist es jede Schlacht auch. Folglich ist der Besiegte immer derjenige, der es sein muß. 5) Völker werden durch ihre großen Männer zusammengefaßt. Diese sind nichts anderes als die Instrumente der zeitgemäßen Ideen. Sie gehorchen dem Schicksal [la fatalité]."19 Mit Cousin wird der historische Optimismus von unsicheren Gesetzen abgeleitet, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmen und fatal in ihren Folgen sind. Diese Theorie hält den größten Teil der Menschheit außerhalb der Geschichte, weil sie in ihrer großen Mehrheit keinerlei Idee ausdrücken soll. Sie unterwirft den Rest der Konzeption des Fortschritts, der die herrschende Ordnung rechtfertigt und für die Sieger Partei ergreift. Und sollte ein schweres Schicksal [une fatalité] die Welt bedrücken und die Macht der Verhältnisse die Nationen führen, dann ist alles, was war, gut und gerecht, der Krieg wie die Macht, und die unwissenden Völker müssen untätig ihre Erleuchtung abwarten, und die unterdrückten müssen sich friedlich in die Zeit schicken, welche die langsame Zerstörung des Despotismus bringt, der sie zerbricht. Dieselben Argumente findet man bei Lerminier: „Mit einer solchen Philosophie [d.i. Hegels] wird die Macht andauernd freigesprochen, geduldet man sich in Anbetracht der Übel, der Unwissenheit und der Schmerzen des Menschen; mit einer solchen Philosophie versteht man keine Revolutionen, findet man selbst metaphysische Gründe für deren Verurteilung, beschuldigt man sogar alle Anstrengungen eines Volkes, innerhalb des Kreises seiner Gesetze die Verfassung zu reformieren."20 Was Marrast im historischen Fatalismus bekämpft, den Cousin von Hegel erbte, ist das, was die Individuen wie die Völker in die Resignation treibt und jede Idee einer Revolte oder einer Revolution verbannt. 19
Ebenda, S. 47: „1) Dieu se manifeste par l'ordre universel, l'ordre universel se résume dans l'humanité, l'humanité se développe dans l'histoire. L'histoire est donc le contrecoup de l'action divine. Donc tout est bien ici bas pour les peuples et les individus; 2) Si l'humanité se développe dans l'histoire, il n'y aura dans l'histoire que ce qu'il y a dans l'humanité. Or il y a trois idées dans l'humanité, ni plus, ni moins, donc trois époques dans l'histoire: l'infini, le fini et le rapport du fini à l'infini; 3) tout peuple représente une idée, et une de ces trois idées. Cependant l'idée la plus jeune cherche à dominer; l'idée ancienne oppose de la résistance. De là la guerre. La dernière idée est toujours vaincue. La guerre est donc utile, nécessaire et juste. 4) La guerre n'étant autre chose que le choc de deux idées, toute grande bataille n'est pas autre chose, et puisque la guerre est juste, la grande bataille l'est aussi. Donc le vaincu est toujours celui qui doit l'être. 5) Les peuples se résument dans leurs grands hommes. Ceux-ci ne sont autre chose que les instruments des idées du temps. Ils obéissent à la fatalité."
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Eugène Lerminier, Lettres philosophiques adressées à un berlinois, Paris 1832: „Avec une telle philosophie (celle de Hegel), on absout constemment le pouvoir, on amnistie le despotisme, on prend patience sur les maux de l'homme, ses ignorances et ses douleurs, avec une telle philosophie, on ne comprend pas les révolutions, on trouve même des raisons métaphysiques pour les condamner, on blâme jusqu'aux efforts que fait un peuple dans le cercle de sa loi pour réformer la constitution."
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Die zweite Anschuldigung ist die des Pantheismus. Sie wird gestützt zunächst durch die Katholiken und wird am Ende, zehn Jahre später, ihre größte Ausführlichkeit mit dem Essai sur le Panthéisme des Abbé Maret finden. Der Pantheismus meint die Ununterscheidbarkeit von Gott und Welt, die Vergöttlichung des Universums und die Identifizierung des Endlichen mit dem Unendlichen. Dieser französische Pantheismus nach Maret, dem Schüler des Abbé Louis Bautain21 verbindet sich mit dem deutschen Pantheismus und vor allem mit der übel beleumundeten Lehre des Juden Spinoza22: „Der menschliche Geist wird als notwendige Manifestation des Absoluten vorgestellt, das allein hier unten handelt; er schafft die Geschichte durch die sukzessiven Entfaltungen seiner Vorstellungen und Vermögen, und alle seine Entfaltungen sind legitim. Bei den Herren Cousin, Michelet, Lerminier und den Saint-Simonisten findet sich überall, mit verschiedenen Modifikationen, diese grundlegende Idee der deutschen Pantheisten, die bei diesen nichts weiter als eine strenge Anwendung ihrer Prinzipien darstellt. Der französische Pantheismus verbindet sich mit dem deutschen Pantheismus und vervollständigt dessen Geschichte."23 Maret kommt 1844 darauf zurück, um ausdrücklich Hegel und seine schädliche Lehre vom Absoluten zu widerlegen, durch welche man die moralische Freiheit, die Liebe und die Unsterblichkeit, das Leben und das Glück gefährdet sah, weil nach ihr die Existenz nur eine Illusion, das Leben ein grausamer Traum und der Tod ein Nichts sei.24 Man unterscheidet gemeinhin drei Perioden der Beziehung Victor Cousins zur deutschen Philosophie.25 Zunächst 1817, als er sie noch nicht bzw. nur durch Hörensagen über Madame de Staël kennt. Danach von 1817 bis 1832 (in diesem Jahr verfaßt er einen Nachruf auf Hegel), als er sich zum Vermittler zwischen der französischen Philosophie und der von Kant, Fichte, Schelling, und Hegel erklärt. Jean-Pierre Cotten hat gezeigt, daß Cousin die Mitschriften von Hegels Vorlesungen 1822 und 1823 von Hotho26, Nellhaus, Ody und Cornelius27 benutzt; so sind die Jahre 1826 bis 1833 der Höhepunkt des -
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Louis Bautain, Philosophie du christianisme, Paris 1835. Patrice Vermeren, La philosophie au présent: le juif Spinoza, in: Revista de Filosofía, übers, v. Humberto Giannini Santiago, Chile 1992. H. L. C. Maret, Essai sur le Panthéisme dans les sociétés modernes, Mequignon junior, 1840, S. 185: „L'esprit humain est présenté comme la manifestation nécessaire de l'absolu; seul il agit ici bas; il crée l'histoire par les développements successifs de ses idées et de ses puissances, et tous ses développements sont légitimes. MM. Cousin, Michelet, Lerminier, les saint-simoniens, reproduisent tous, avec des modifications diverses, cette idée fondamentale qui appartient aux panthéistes allemands, et qui n'est, chez ces philosophes, qu'une application rigoureuse de leurs principes. Le panthéisme français se rattache au panthéisme allemand, et vient compléter son histoire." H. L. C. Maret, Théodicée chrétienne, comparaison de la notion chrétienne avec la notion rationaliste de Dieu (1844), 2. Aufl. Paris 1850, S. 417. Jean-Pierre Cotten, Victor Cousin et la „mauvaise métaphysique de l'Allemagne dégénérée", in: Jean Quillien, La réception de la philosophie allemande en France aux XIXe et XXe siècles, Lille 1994, S. 85-107. Philosophie der Weltgeschichte, nach dem Vortrage des Herrn Professor Hegel im Winter 18221823 (Berlin), in: Bibliothèque Victor Cousin à la Sorbonne, Ms 92. Dagobert Neilhaus, Der Einfluss des deutschen Idealismus auf die Entwicklung der Philosophie Victor Cousins, Breslau 1916; H. J. Ody, Victor Cousin, Saarbrücken 1953; Alfred Cornelius, Die
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Einflusses von Hegel auf Cousin, der schließlich sein Schweigen über Hegel bricht und zu diesem späten Zeitpunkt zugibt (im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Fragments philosophiques): „Hegel hat viel von Schelling entlehnt, ich selbst viel schwächer als
der eine wie der andere habe von beiden entlehnt; es ist verrückt, mir das vorzuwerfen, und erfordert keine große Demut, es anzuerkennen."28 Die öffentliche Einräumung einer philosophischen Schuld unterscheidet sich deutlich von derjenigen, die er 1821 gegenüber Schelling und Hegel bekannte, als er ihnen seine Ausgabe des Parmenides-Kommentars von Proklos widmete: „Amicis et magistris, philosophiae praesentis ducibus", und von der Freundschafts-Schuld, die er gegenüber Hegel abtrug, als er ihm 1826 den dritten Teil seiner Gesamtausgabe von Piaton mit dem Protagoras und dem Gorgias widmete: „Mein lieber Hegel, ich möchte Sie um Annahme dieser Übersetzung des Gorgias als Ehrung bitten. Sie gebührt demjenigen, der zweifellos in Ehren und als erster, aus den ewigen Prinzipien der Rechtsphilosophie, die in diesem alten Monument enthaltenen Maximen ersetzt hat. Ein anderer Grund führt mich dazu, Ihnen diese Ehrung anzutragen. Vor zehn Jahren haben Sie, Hegel, mich in Heidelberg wie einen Bruder aufgenommen, und vom ersten Augenblick haben sich unsere Seelen verstanden und geliebt. Weder Abwesenheit noch Schweigen haben unsere Freundschaft erkalten lassen; und wenn in letzter Zeit, bei meinen erneuten Reisen durch Deutschland, eine übereifrige Polizei, unwissend geleitet durch eine hassenswerte Politik, mich meiner Freiheit zu berauben versuchte, mich den absurdesten Anschuldigungen aussetzte und mich für bereits geschlagen und verurteilt erklärte, sind Sie spontan an meine Seite geeilt und bei den Richtern vorstellig geworden, haben mich Ihren Freund genannt und Ihr Wort für meines gegeben. Ich wollte Ihnen, Hegel, für dieses edle Verhalten öffentlich danken, nicht für Sie noch für mich, sondern für die Philosophie. Sie haben bewiesen, daß diese nicht immer eine unfruchtbare Beschäftigung ist und daß der Genius der Abstraktion sich sehr wohl mit der Festigkeit der Seele und dem Mut im Leben verbinden kann. Ich danke Ihnen, Hegel, dafür noch einmal. Victors Cousin, Paris, den 15. Juli 1826."29 -
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Geschichtslehre Victor Cousins unter besonderer Berücksichtigung des Hegelschen Einflusses, Genf und Paris 1958. Victor Cousin, Fragments philosophiques, Vorwort der zweiten Auflage, Paris 1833, 5. Aufl. 1866, S. LXIV: „Hegel a beaucoup emprunté à Schelling; moi bien plus faible que l'un et que l'autre, j'ai emprunté à tous les deux; il y a de la folie à me le reprocher, il n'y a pas certes grande humilité à le reconnaître." Œuvres de Platon, übers, v. Victor Cousin, Bd. 3, Paris 1826, Widmung: „Je viens, mon cher Hegel, vous prier d'accepter l'hommage de cette traduction du Gorgias. Il était dû sans doute à celui qui le premier replaça avec honneur, parmi les principes éternels de la philosophie du droit, les maximes contenues dans cet antique monument. Mais un autre motif me dirige en vous adressant cet hommage. Hegel, il y a dix ans que vous me reçûtes à Heidelberg comme un frère, et que dès le premier moment nos âmes se comprirent et s'aimèrent. L'absence et le silence ne refroidirent pas notre amitié; et quand dans ces derniers temps, voyageant de nouveau en Allemagne, une police extravagante, dirigée à son insu par une politique odieuse, osa attenter à ma liberté, me charger des accusations les plus atroces, et me déclarer d'avance convaincu et condamné, vous accourûtes spontanément vous présenter devant mes juges, leur dire que j'étais votre ami, et engager votre parole pour la mienne. J'ai voulu, Hegel, vous remercier publiquement de cette noble conduite, non pour vous ni pour moi, mais pour la Philosophie. Vous avez prouvé qu'elle n'est pas toujours une occupation stérile, et que
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Als er jedoch seine Verehrung gegenüber Schelling und Hegel 1833 erneuert, achtet Cousin genau darauf, jenseits der erklärten Ähnlichkeiten zwischen der von ihm gelehrten Philosophie und derjenigen der beiden großen Meister auch die grundsätzlichen Unterschiede anzumerken, die sie von einander trennen, wie bereits Hamilton sehr gut gezeigt hatte.30 „Ich werde rot, wenn ich darauf bestehe, ich muß gleichwohl daran erinnern, daß die erste und fruchtbarste aller dieser Differenzen die Methode ist. Wie gesagt, behandeln meine beiden berühmten Freunde die Spekulation als Tatsache, ich gehe von der Erfahrung aus. Um dem subjektiven Charakter der Induktionen einer unvollkommenen Psychologie zu entgehen, beginnen sie mit der Ontologie, die insofern nur eine Hypothese ist; ich gehe von der Psychologie aus, und lasse mich durch die Psychologie selbst zur Ontologie führen, was mir auf einmal sowohl den Skeptizismus und die Hypothese erspart. Im Vertrauen darauf, daß die Wahrheit ihre eigene Evidenz mit sich bringt, und daß im übrigen das Ganze alle Teile rechtfertigen muß, beginnt Hegel mit Abstraktionen, die für ihn das Fundament und der Typ jedweder Realität sind; nirgendwo aber zeigt oder beschreibt er das Verfahren, zu diesen Abstraktionen zu gelangen. Schelling spricht gelegentlich von der intellektuellen Anschauung als Verfahren, das sich selbst begreift; aus Angst aber davor, dieser intellektuellen Anschauung einen subjektiven Charakter zu verleihen, gibt er vor, daß sie nicht ins Bewußtsein fällt, was sie meines Erachtens völlig unbegreiflich macht. In meiner Theorie erreicht im Gegenteil die intellektuelle Anschauung, ohne persönlich oder subjektiv zu sein, das Sein im Innern des Bewußtseins; sie ist eine Tatsache des Bewußtseins mit ebensolcher Wirklichkeit wie die reflektierte Begrifflichkeit, nur schwerer zu greifen, ohne jedoch unbegreiflich zu sein, weil sie dann gewissermaßen gar nicht wäre. Schließlich: Welchem Vermögen verdankt sich die intellektuelle Anschauung bei Schelling? Ist es ein besonderes Vermögen? Oder ist es, wie in meiner Theorie, nur ein höherer und reinerer Grad der Vernunft? Mir erscheint es nicht statthaft, leichthin über diese Punkte und viele andere, die ich hier nicht einmal anzeigen kann, hinwegzugehen. Weit gefehlt, und ich bin zutiefst überzeugt, daß man bei der Erklärung des Übergangs von der Psychologie zur Ontologie nicht gründlich genug sein kann, damit diese nicht ein künstlich geflochtenes Hypothesengewebe ist oder zumindest so erscheint. Hier wie überall manifestiert sich ein allgemeiner Unterschied, der mich von der neuen deutschen Schule trennt, nämlich der in allen meinen Ansichten verankerte psychologische Charakter, an den ich mich genauestens halte wie an eine Stütze für meine Schwäche und eine Sicherheit bei meinen Schlüssen."31 Man beschuldigt jemanden, die deutsche Philosophie le génie de l'abstraction peut très bien s'allier avec la fermeté de l'âme et le courage dans la vie. Encore une fois, Hegel, je vous en remercie. Victor Cousin. Paris, le 15 juillet 1826". William Hamilton, M. Cousin's Course of Philosophy, in: Edinburgh Review 99 (Okt. 1829), S, 194-221. Cousin, Fragments philosophiques (5. Aufl. 1866), S. LXV: „Je rougirais d'y insister; mais je ne puis pas ne pas rappeler la première et la plus féconde de toutes (ces différences): la méthode. Comme je l'ai déjà dit, mes deux illustres amis se placent d'abord au fait de la spéculation, moi je pars de l'expérience. Pour échapper au caractère subjectif des inductions d'une psychologie imparfaite, ils débutent par l'ontologie, qui n'est plus alors qu'une hypothèse; moi je débute par la psychologie, et c'est la psychologie elle-même qui me conduit à l'ontologie et me sauve à la fois du scepticisme et de l'hypothèse. Dans la confiance que la vérité porte avec elle son évidence, et que c'est d'ailleurs à l'ensemble à justifier toutes les parties, Hegel débute par des abstractions qui sont pour lui le fon-
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nach Frankreich zu importieren, und er antwortet, daß die einzige Heimat der Philosophie die Wahrheit sei und daß er zwar seine Schuld bei den Deutschen anerkenne, aber nur, um die Originalität seines Eklektizismus besser herauszustreichen.
III. Der Schatten
Banquos
Die dritte Periode folgt auf diese Feier der Schuld gegenüber Hegel und ist eine der Zurückweisung. Nach Jules Simon erwähnt Cousin 1836 in der Ecole normale den Namen Hegels noch als den eines seiner deutschen Freunde, allerdings ohne einen Bezug auf dessen Lehre. Und bald wird er dahin kommen zu sagen, daß er der deutschen Philosophie und Hegel nichts verdankt und daß der eigentliche Vater der französischen Philosophie nicht Leibniz, sondern Descartes sei, läßt aber Leibniz als letzten und größten Cartesianer gelten: „Descartes hat in der Tat alles erfunden", schreibt er 1845, „er ist auch ohne Vorläufer oder zumindest ohne Vorbild. Die von ihm gegründete Schule verdankt sich keiner fremden Inspiration. Sie ist eine Frucht des Bodens, ein Werk, das im Grunde und in der Form zutiefst und ausschließlich französisch ist."32 Und nach der Revolution von 1848 beschuldigt er Hegel und seine Philosophie explizit, „die Konspiration des Atheismus und der Demagogie, die wir erleben mußten", provoziert zu haben. Dieser Hegel hat, unter vielen Monstren, in Frankreich als eines seiner Kinder einen Proudhon hervorgebracht, den „letzten Sprößling der hegelianischen Philosophie in Frankreich, nachdem er freimütig bekannte, weder an Gott noch an den Teufel zu glauben!"33 dement et le type de toute réalité; mais nulle part il n'indique ni ne décrit le procédé qui lui donne ces abstractions. Schelling parle bien quelquefois de l'intuition intellectuelle comme du procédé qui saisit l'être lui-même; mais, de peur d'imprimer un caractère subjectif à cette intuition intellectuelle, il prétend qu'elle ne tombe pas dans la conscience, ce qui la rend pour moi absolument incompréhensible. Tout au contraire, dans ma théorie, l'intuition intellectuelle, sans être personnelle et subjective, atteint l'être du sein de la conscience; elle est un fait de conscience tout aussi réel que celui de la conception réfléchie, mais seulement plus difficile à saisir, sans être pourtant insaisissable., car il serait alors comme s'il n'était pas. Enfin à quelle faculté appartient l'intuition intellectuelle de Schelling? Est-ce une faculté spéciale? Ou bien n'est-elle, comme dans ma théorie, qu'un degré plus élevé et plus pur de la raison? Je ne crois pas qu'il soit permis de glisser légèrement sur tous ces points et sur bien d'autres queje ne puis pas même indiquer. Loin de là, je suis profondément convaincu qu'on ne peut éclairer avec trop de soin le passage de la psychologie à l'ontologie, pour que celle-ci ne soit pas ou du moins ne paraisse pas un tissu d'hypothèses plus ou moins artistement enchaînées. Ici comme partout se manifeste la différence générale qui me sépare de la nouvelle école allemande, savoir le caractère psychologique plus emprunt dans toutes mes vues, et auquel je m'attache scrupuleusement comme à un appui pour ma faiblesse et à une garantie pour mes inductions." Victor Cousin, Vorwort zur zweiten Auflage der Fragments de philosophie cartésiennes, Paris 1845 : „Descartes en effet a tout inventé. Il est aussi sans devancier ou du moins sans modèle. L'école qu'il a fondé ne doit rien à aucune inspiration étrangère. C'est un fruit du sol, c'est une œuvre qui, dans le fond et la forme, est profondément et exclusivement française." Brief von Karl Ludwig Michelet an Victor Cousin vom 1. Juni 1849, in: Lettres d'Allemagne. Victor Cousin et les hégéliens, hg. v. Michel Espagne und Michael Werner, Tusson 1990, S. 232: le „dernier rejeton de la philosophie hégélienne en France, après avoir avoué franchement qu'il ne croyait ni en Dieu, ni au diable."
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gelangt Cousin von der Faszination durch Hegel zu dessen Verteufelung? Eine mögliche Antwort könnte sich aus der Betrachtung des letzten Textes ergeben, die Cousin Hegel gewidmet hat, als er 1857 vorgeblich die Notizen seiner vierzig Jahre zuvor gemachten Deutschlandreise von 1817 wiederaufnimmt, nachdem er 1833 schon einige Passagen daraus im zweiten Vorwort zu seinen Fragments philosophiques gebracht hatte. Erneut spricht er die Legende einer beiderseitigen Verführung beim zweisamen Aufeinandertreffen an, wobei Cousin berichtet, wie er ihn zufällig traf, ihn angenehm fand und als einen der herausragenden Männer erkannte, denen man sich anschließen muß, nicht um ihnen zu folgen, sondern um sie zu studieren und sie zu verstehen, wenn man schon einmal so glücklich war, ihnen über den Weg zu laufen. Hegel war weder berühmt noch in den Diskussionen brillant, und Französisch sprach er schlecht. Cousin, der unter den Attacken von Karl Michelet, Hyppolite Taine und Augusto Vera zu leiden hatte, erinnert die Welt daran, daß er es war, der Hegel in Frankreich eingeführt habe. Und erneut modifiziert er die Legende und gibt an, niemals der Philosophie Hegels nahe gewesen zu sein, daß ihre Freundschaft ganz und gar auf der politischen Nähe beider zueinander beruhe. „Hegel liebte Frankreich, er liebte die Revolution von 1789, und um einen Ausdruck Napoleons zu gebrauchen, den Hegel oft zitierte auch er war ,bleu'. Er war zugleich ein Liberaler und ein Monarchist, und diese beiden Überzeugungen gibt es im höchsten Maße auch in meinem Herzen und meiner Vernunft. Er Wie
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kannte die Geschichte der französischen Revolution sehr gut, die auch mir vertraut war, und darüber haben wir andauernd gesprochen. Ich war entzückt, bei einem Mann seines Alters und seiner Verdienste meine innersten Überzeugungen zu finden; er, der bereits alt war, schien gleichsam seine Seele am Feuer der meinen zu wärmen. Und dann war Hegel ein Kopf mit grenzenloser Freiheit. Seinen Spekulationen unterwarf er alle Dinge, Religionen wie Regierungen, Künste, Bildung, Wissenschaft; über alles aber stellte er die Philosophie. Er hat mich sozusagen die Geister großer und weiter Ideen sehen lassen; er stellte mir in der ihm eigenen, ein wenig scholastischen Sprache eine Menge von allgemeinen Aussagen vor, eine gewagter als die andere, was auf mich einen Eindruck machte wie die sichtbaren Schatten bei Dante. Alles habe ich nicht verstanden, und das, was ich begriff, hat mich heftig nach mehr verlangen lassen. Es gab zwischen Hegel und mir zumindest etwas Gemeinsames, einen gemeinsamen Glauben an die Philosophie, eine geteilte Überzeugung, daß es für den menschlichen Geist eine Wissenschaft geben wird oder geben kann, die des Namens würdig ist und nicht nur die Erscheinungen erreichte, sondern die Wirklichkeit der Dinge, die nicht nur die beweglichen Träume der menschlichen Einbildungskraft, sondern den inneren Charakter der Dinge selbst ausdrücken würde. Hegel war Dogmatiker, und auch wenn ich mich noch gut in seinem Dogmatismus zurechtfinden konnte, hat er mich dadurch angezogen. Seinerseits war er mir dankbar für die Anstrengungen, die ich unternahm, ihn zu verstehen, und für meine Neigung zu großen Spekulationen. So entstand unsere Freundschaft, eine Verbindung sowohl des Herzens wie des Geistes, die niemals gekündigt wurde, auch wenn mit der Zeit die Unterschiede unserer Ansichten in der Metaphysik deutlicher zum Vorschein traten und die Politik unser einziges und letztes Band blieb."34 In dieser dritten Periode 34
Victor Cousin, Souvenirs d'Allemagne, in: Etudes littéraires, 3. Aufl., Paris 1857, S. 78: „M. Hegel aimait la France, il aimait la révolution de 1789, et pour me servir d'une expression de l'empereur
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will Cousin das Bild einer feundschaftlichen und privilegierten Beziehung mit Hegel bewahren, begründet jedoch allein auf eine gemeinsame Treue gegenüber den Prinzipien der französischen Revolution und auf den Glauben an die Philosophie. In diesem Bild tritt Cousin nicht mehr, wie noch 1833, in bezug auf Hegel zurück, sondern befindet sich auf Augenhöhe mit ihm, sowohl in der größten philosophischen Distanz wie in der engen politischen Nähe einer Feier der politischen Freiheit und unzweifelhaft auch der konstituionellen Monarchie. Diese Feier Hegels im zweiten Kaiserreich ist auch eine Antwort auf die briefliche Mitteilung des Bruches, die ihm Karl Ludwig Michelet 1849 zukommen ließ und die von Amédée Jacques, Philosophieprofessor mit lange Zeit orthodox eklektischen Neigungen, jedoch Republikaner, in der Zeitschrift La liberté dépenser publiziert wurde.35 Michelet war mit Ravaisson Sieger in Philosophie der Académie des Sciences Morales et Politiques anläßlich der Preisfrage von 1835 über die Metaphysik des Aristoteles, ein zwischen einem Schellingschüler und dem Hegelnachfolger geteilter Preis (den Wunsch Cousins verlängernd, niemals zwischen den beiden Lehrgebäuden zu entscheiden). Er hatte sich vergeblich Hoffnungen auf einen Lehrstuhl am Collège de France oder an der Sorbonne gemacht36, aber Cousin wollte nie, daß dort ein Hegelianer unterrichtete. Michelet berichtet von einer Unterhaltung mit Cousin aus dem Vormonat und über die enorme Entfernung zwischen beiden.
Napoléon, que M. Hegel me rappelait souvent, lui aussi était Bleu. Il était à la fois très libéral et très monarchique, et ces deux sentiments sont aussi au plus haut degré et dans mon cœur et dans ma raison. Il connaissait parfaitement l'histoire de la révolution française, qui m'était familière, et nous en parlions perpétuellement. J'étais charmé de trouver dans un homme de son âge et de son mérite mes sentiments les plus intimes; et lui, déjà vieux, semblait comme réchauffer son âme au feu de la mienne. Et puis M. Hegel était un esprit d'une liberté sans bornes. Il soumettait à ses spéculations toutes choses, les religions aussi bien que les gouvernements, les arts, les lettres, les sciences; et il plaçait au-dessus de tout la philosophie. Il me laissa voir pour ainsi dire le fantôme d'idées grandes et vastes; il me présenta, dans le langage un peu scolastique qui lui était propre, une masse de propositions générales plus hardies et plus étranges les unes que les autres, et qui firent sur moi l'effet des ténèbres visibles du Dante. Tout ne m'y était pas entièrement intelligible, et ce que j'en saisissais me donnait un ardent désir d'en connaître davantage. Il y avait du moins entre M. Hegel et moi quelquechose de commun, une foi commune dans la philosophie, une commune conviction qu'il y a ou qu'il peut y avoir pour l'esprit humain une science vraiment digne de ce nom qui n'atteint pas seulement l'apparence, mais la réalité des choses, qui n'exprime pas seulement les rêves mobiles de l'imagination humaine, mais les caractères intrinsèques des êtres. M. Hegel était dogmatique; et, sans queje pusse encore me bien orienter dans son dogmatisme, il m'attirait par là. De son côté, il me savait gré des efforts queje faisiais pour l'entendre et de mon goût pour les grandes spéculations. Ainsi se forma notre amitié, et cette liaison à la fois de cœur et d'esprit qui ne s'est jamais démentie, alors même qu'avec le temps la différence de nos vues en métaphysique se déclara de plus en plus, et que la politique demeura notre seul et dernier lien." Brief von K. L. Michelet an Victor Cousin, in: La liberté de penser 23 (Bd. IV), S. 422^27, vgl. Patrice Vermeren, Le rêve démocratique de la philosophie, Paris 2002, S. 54, 131-139. Brief von K. L. Michelet an Victor Cousin vom 20. April 1838, m: Lettres d'Allemagne, S. 186-191; vgl. auch Patrice Vermeren, Post-Scriptum zum philosophischen Briefwechsel über den Rhein hinweg, in: Lendemains 62 (1991), S. 56-63.
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In bezug auf die Vorstellung, daß die Philosophie Hegels in Frankreich und Deutschland nur Übles bewirkt habe, entgegnet Michelet zunächst, daß das Denken, als Erbsünde des Menschen und sein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Tier, worauf seine Würde begründet sei, auch Heilung bringen könne, wenn die Menschheit offensichtlich geplagt sei. Für Michelet sind die verdächtigten Lehren in der Nähe des Pantheismus keineswegs schädlich für die Moral, noch führten sie zum Atheismus und zur Immoralität. Cousin möge sich von Hegel distanzieren, aber gibt es nicht einen Widerspruch, wenn er die konstitutionelle Monarchie über die Republik stellt? Für Michelet ist zwar die konstitutionelle Monarchie der direkten Demokratie der Antike überlegen, nicht aber der modernen repräsentativen Republik, in welcher die nationale Souveränität aus der Mitte der Demokratie selbst alle legal konstituierten Mächte entspringen läßt, woraus die fortschrittlichste Regierung geformt werde, die die Menschheit kenne. Der wohlverstandene Hegelianismus legitimiert für Michelet heute die Republik. Schließlich weist er zurück, daß die wahrhafte Philosophie heute oder gestern einen persönlichen Gott legitimieren könne, und lehnt die von Cousin angenommene Transzendenz des göttlichen Prinzips als bloße politische Strategie ab: „Sie sehen, mein Herr, daß die Annahme eines persönlichen Gottes nur bei den Philosophen zu finden ist, die sich ganz der Theologie ausgeliefert haben, oder bei Denkern, die in ihrem hohen Alter keinen Bruch mit der getrunkenen Wahrheit37 wagen können, oder schließlich bei einigen Eklektikern, die vergeblich nach Wahrheit unter dem löchrigen [bigarré] Mantel des Mythos und der gewöhnlichen Meinung der Menschen gesucht haben." Für Michelet steht die Sache fest: indem er Hegel ablehnt, hat Cousin die wahre Philosophie zugunsten einer vulgären verlassen, hat er sich den Katholiken angenähert und die Philosophie an die Religion verkauft. Amédée Jacques, der ihm in seiner Zeitschrift an Stelle von Cousin antwortet, von dem er sich politisch, aber auch philosophisch entfernt hat, verschiebt die Frage: Um Republikaner und Demokrat zu sein, muß man wie er selbst nicht Pantheist sein, mithin ist der Pantheismus nicht die für die Demokratie notwendige Philosophie.38 Wie kann man von daher den Hegel Cousins verstehen? Vielleicht über den ganz besonderen Umweg der philosophischen Regierung, der sich nach der Analyse von George Navet Cousin verschrieben hatte.39 Cousin ist demnach von Hegel im Moment der Restauration ergriffen worden, als sein Ehrgeiz dahin ging, eine neue französische Philosophie zu konstruieren, und er sich als Figur eines geistreichen Metaphysikers, eines geduldigen Gelehrten und eines an die Vernunft gebundenen Liberalen entwarf. Anschließend findet er sich in der Juli-Monarchie auf den strategisch wichtigsten Posten für die Philosophie, deren Unterricht darauf zielt, die legitime Aristokratie der modernen liberalen Gesellschaft in einem Staat zu modellieren, der das Theologische von der Politik separiert. Regierung der Philosophie im Sinne einer regierten Philosophie, d.h. auf eine Orthodoxie ausgerichtet: Eklektizismus, aber auch praktisch regiert, von den Übungen der Schüler zu den Militärvorlesungen [leçons du régiment] der Professoren; zugleich aber ist die Philosophie regierend, selbstregiert durch die Vernunft, denn der Vernunft gehorchen -
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Damit ist Schelling gemeint. Amédée Jacques, Lettre à Michelet de Berlin, sur la panthéisme et la démocratie druckt in: Vermeren, Le rêve démocratique de la philosophie, S. 141f. Georges Navet, Le gouvernement de la philosophie, in: Passages 76 (1996).
(1850), nachge-
Victor Cousins Hegel
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heißt frei sein, und auch regierend im dem Sinne, daß es an ihr liegt, daß nur diejenigen, die Vernunft besitzen und für sich entwickeln, auch fähig sind, das Land zu regieren. So kann sich der Eklektizismus nur halten, wenn er bestätigt, daß die Geschichte der Philosophie Widerspiegelung der Quintessenz der Menschheit ist, daß sich die Geschichte der Philosophie zur Geschichtsphilosophie wandelt und die Geschichtsphilosophie mit der Philosophie selbst identifiziert wird. Darum muß man Cousin als einen Politiker der Philosophie und vom Standpunkt einer immer zugleich politischen und philosophischen Geschichte der Philosophie verstehen. Es läßt sich immer nachweisen, daß Cousin nichts von Hegel verstanden hat, und man hätte Recht, wenn man wie einstmals Martial Gueroult mit Strenge feststellte: „Die Vollendung der Philosophiegeschichte, die bei Hegel dem konstruierenden Vermögen entspricht, alles übersteigen zu können, ruht bei Cousin auf der Negation eines solchen Vermögens. Der Synthese a priori der philosophischen Geschichte Synthese verstanden als neue und definitive philosophische Tatsache setzt er die Synthese a posteriori der Philosophie entgegen, die allein vorhandene Tatsachen kombinieren und nicht mehr durch sich selbst eine neue Tatsache hervorbringen kann."40 Man kann überdies beispielsweise dem Vorbild Derridas folgen und auf subtile Weise die Geburt der Philosophie im Zeitalter europäischer Funktionäre nachzeichnen.41 Ein Schlüssel für die Lektüre Hegels durch Cousin müßte festhalten, daß es zu nichts führt, Cousin weniger Originalität und Statur als Hegel zu unterstellen, sondern daß es sich um einen authentischen Philosophen handelt und daß er, um ein Politiker der Philosophie zu sein, dies als Philosoph gewesen ist. So könnte man die verborgene Wahrheit seiner Beziehung zu Hegel befragen, und die Gründe dafür suchen, warum Cousin in den Worten Veras, des Übersetzers von Hegel in Frankreich „die zwanzig letzten Jahre seines Lebens seine Wunde leckte, das Geschwür, das ihn zerfrißt und ihm keinen Frieden gibt, denn aus den Zeiten, wo er sich an Deutschland erfreute, bleiben dem alternden Cousin nur die Namen Schleiermacher, Schelling, Hegel vor allem Hegel -, die sich vor ihm wie der Schatten Banquos aufbauen und seine lächelnden Visionen in schaurige Träume verwandeln."42 Vera war Zeitgenosse von Joseph Ferrari, der 1849 aufzeigte, wie Cousin die Nachfolger Kants totschwieg und seinen ganzen Einfluß geltend machte, um die Universität in Unkenntnis der deutschen Theorien zu halten, wobei er soweit ging, am Ende der französischen Ausgabe des Handbuchs der Geschichte der Philosophie von Tennemann die Darstellungen Fichtes, Schellings und Hegels herauszuschneiden, und auch soweit, an der Universität die Übersetzer in Ungnade zu setzen, beispielsweise Charles Bénard, der auf Französisch die Ästhetik Hegels herausbrachte. Welche Gründe gibt es dafür? Ferrari klagt an: Cousin habe alle Revolutionen bekämpft, und ganz besonders bei den (französischen) Philoso-
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41 42
Martial Guéroult, Histoire de l'histoire de la philosophie, Bd. 3, Paris 1988, S. 733: „L'achèvement de l'histoire de la philosophie, qui répondait chez Hegel à la puissance constructrice capable de tout dépasser, repose chez Cousin sur la négation d'une telle puissance. A la synthèse a priori de l'histoire philosophique, synthèse conçue comme créatrice d'un nouveau fait philosophique, définitif celui-là, s'oppose la synthèse a posteriori de la philosophie, capable seulement de combiner des faits donnés, non plus de produire, par elle-même, un fait nouveau." Jacques Derrida, L'âge de Hegel, in: ders., Le droit à la philosophie, Paris 1990, S. 181-227. A. Vera, M. Cousin et sa philosophie, à propos de ses Fragments et souvenirs, in: Revue des cours littéraires vom 4. Nov. 1865, S. 794.
Patrice Vermeren
4S
phen des
18. Jahrhunderts die
„Die offizielle Philosophie
politische Revolution und bei den deutschen die soziale43:
am
Institut und
an
der Universität setzte sich der Verbin-
dung von deutscher Ideologie und französischem Sozialismus entgegen. Man schwieg mit Verachtung über erstere und warf die zweite auf die Straße, und die ganze Jugend der französischen Bourgeoisie empfing den Bazillus der doppelten Reaktion, wie es das Juste-Milieu wünschte."44
Aus dem Französischen von Ulrich Johannes Schneider
Joseph Ferrari, Les philosophes salariés, Paris 1849, Neuauflage von Stéphane Douailler und Patri-
Vermeren, Paris 1983, S. 156. Ebenda, S. 160. Vgl. Miguel Abensour, Le procès des maîtres rêveurs, l'utopie, Arles 2000, S. 65. ce
suivi de Pierre Leroux et
Knut Ebeling
Alexandre
Kojève. Ein Snobismus sans réserve
Eine surrealistische Hegel-Rezeption Eine der schillerndsten Episoden der Geschichte der französischen Hegel-Rezeption des 20. Jahrhunderts ist zweifellos jene, die sich mit dem Namen Alexander Kojevnikov alias Kojève verbindet. Bei dieser Geschichte handelt es sich um eine Philosophen-Geschichte (und um eine Geschichte der Philosophie) wie aus dem Bilderbuch: Der 1902 in Moskau geborene Alexander Kojevnikov flieht 1920 von dort und kommt anschließend nach einem Umweg über Heidelberg, wo er nicht bei Husserl, sondern bei Jaspers (über Vladimir Solov'ev, den ,russischen Hegel' und Freund Dostoevskijs) promovierte als Alexandre Kojève nach Paris.1 Der Unbekannte vertritt von 1933 bis Kriegsausbruch die Stelle Alexandre Koyrés an der Ecole pratique des Hautes Etudes, um wie dieser über „Hegels Religionsphilosophie" zu lesen. Sein Seminar, das er in den sechs Jahren in einem kleinen Saal der Ecole unterrichtet, avanciert ohne erkennbaren Grund binnen kürzester Zeit zu einem Stelldichein der Pariser Intelligentsia. Es setzt etwas in Bewegung, was man aus guten Gründen eine surrealistische Hegel-Rezeption nennen kann und das, obwohl Kojève in seinem Seminar nur einen einzigen Text, ein einziges Buch kommentierte. Der Hegel Kojèves ist der Hegel der Phänomenologie des Geistes von 1807, der phéno, wie sie pennälerhaft von seinen Schülern genannt wurde einem Buch, das Kojève während der Sitzungen übersetzte, die gelegentlich auch einige Zeilen aus der Jenenser Realphilosophie einbezogen.2 Und nachdem sich der Vorhang des Seminars wieder geschlossen hatte, verschwand der Meisterdenker aus Moskau unverzüglich wieder in der philosophischen -
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Biographie Kojèves vgl. Dominique Auffret, Alexandre Kojève. La Philosophie, l 'Etat, la fin de l'Histoire, Paris 1990; sowie das Gespräch mit Gilles Lapouge, Entretien avec Alexandre Kojève, in: La Quinzaine littéraire, Nr. 53 (1.-15.07.1968), 18f. Eine Teilübersetzung dieses Gesprächs inklusive eines Nachsatzes von Lapouge aus dem Jahr 1980 findet sich in: ders., Hegel, das Ende der Geschichte und das Ende des philosophischen Diskurses. Gespräch mit Alexandre Kojève (1968), in: Vermittler. Deutsch-französisches Jahrbuch 1, hg. v. Jürgen Siess, Frankfurt am Main 1981, S. Zur
119-125.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 3. „Quant à Hegel, Bataille n'en a connu quelques textes commentés par Kojève, essentiellement deux ou trois passages de la Phéneménologie [...]." (Denis Hollier, La Prise de la Concorde, Paris 1974, S. 31)
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Versenkung, um sich fortan auf dem Parkett der Hochdiplomatie in der Nähe von André Malraux zu bewegen. Trotz oder gerade wegen der Gerüchte, daß Kojève für den sowjetischen Geheimdienst spioniert haben soll, hört sich die Erfolgsstory über eine der kürzesten und wirkungsvollsten Laufbahnen der Philosophiegeschichte an wie ein Aufmunterungskurs für feedbacklos frustrierte Akademiker, wie ein Stimmungsaufheller für unbezahlte Dozenten und Privatdozenten. Das Auftauchen und Verschwinden des „großen Unbekannten"3 mit der Sonnenbrille in Paris, der eher an einen Mafiosi aus Chicago erinnerte als an einen ernsthaften Philosophen, sein selbstverständlicher Eintritt in die Eliteschule Frankreichs, die anbahnungslose Übernahme des Seminars von Koyré, seine mehr als illustre Schülerschar all das klingt eher nach einem Hollywood-Skript, nach einer Philosophie, wie wir sie aus dem Kino kennen könnten, eher nach dem Sonntag4 als nach dem Alltag der Philosophie, den kein geringerer als Hegel gepriesen hatte. In der Tat handelt es sich bei dem glamourösen setting um ein Phänomen, das einen bei einer französischen Nietzsche-Rezeption kaum überraschen würde5 und das jedoch bei einem Seminar über Hegel schlichtweg in Erstaunen versetzt. Es geht also um eine -
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Geschichte, wenn nicht sogar um die Geschichte eines ebenso grandiosen wie produktiven Mißverständnisses6, das tragischere und tödlichere Mißverständnisse nicht ausschließen sollte die Geschichte einer surrealistischen HegelRezeption. Man sollte sich diese Kombination (die Hegel in einem Atemzug mit Sade und Lautréamont bringt)7 vor jeder Tragik und vor jedem Kamikaze genau vor Augen führen: Eine surrealistische Rezeption desjenigen Philosophen, der für nichts vehementer eingetreten ist als für das Recht des Rechts und des Realismus: eine surrealistische Rezeption des Autoren der Jenenser Realphilosophie quel romani ganz und gar unwahrscheinliche
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Stefan Dornuf, Die Forderung des Tages. Zu Alexandre Kojèves West-Berliner Stippvisite 1967, in: Deutsche Zeitschriftfür Philosophie 50 (2002), S. 313. Zu Kojèves Sonnenbrille paßt die beeindruckte Beschreibung der Physiognomie Kojèves in dem letzten Gespräch mit Lapouge: „Rien ne manque à la panoplie, l'élégance ouatée du vêtement, les lunettes chargées de tamiser les malices de l'œil, ce qu'il faut de vigueur et de souplesse dans le corps, une aisance raffinée, oui, un de ces hommes qui silonnent le monde et qui peuplent les palaces internationaux." (G. Lapouge, Entretien, S. 18) Der Kojève-Schuler Raymond Queneau hatte 1952 den Roman Le Dimanche de la Vie veröffentlicht, vgl. dazu Alexandre Kojève, Les romans de la sagesse, in: Critique 1952, Nr. 56. So schreibt Vincent Descombes: „Nach Kojèves Version weist das Hegeische Denken gewisse Züge auf, die einen Nietzscheaner verführen könnten: es hat etwas Abenteuerliches und Riskantes, es bringt die Person des Denkers, seine Identität selbst in Gefahr, es bewegt sich jenseits des Durchschnittsmaßes von Gut und Böse." Und so schließt Descombes folgende Bemerkung an: „Das erklärt, wieso man unter den treuesten Hörern Kojèves die findet, die dem allgemeinen Anti-Hegelianismus' [...] seine besten Waffen liefern werden, unter anderen Bataille, für den der Einfluß Kojèves
entscheidend war." (V. Descombes, Das Selbe und das Andere. Fünfundvierzig Jahre Philosophie in Frankreich, Frankfurt am Main 1979, S. 22.) Als „produktives Mißverständnis" bezeichnet Dornuf (Die Forderung des Tages, S. 313) die Hegel-
Rezeption Kojèves.
Bereits im März 1921 taucht Hegel in der Zeitschrift Littérature neben gefeierten poète maudits wie Sade und Lautréamont, Jarry und Lenin unter den 18 am meisten geschätzten surrealistischen Dichtern und Denkern auf. Vgl. André Breton, Entretiens, Paris 1969, S. 72.
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Allein die Teilnehmerliste dieses Romans Maurice Merleau-Ponty, Raymond Queneau, Patrick Waldberg, Taro Okamoto, Pater Fessard, Roger Caillois, Brice Parain, Robert Marjolin, André Breton, Jacques Lacan, Jean-Paul Sartre, Jean Hyppolite, Eric Weil, Pierre Klossowski und Georges Bataille liest sich wie der Abspann zu einem starbesetzten Film, wie ein starring des intellektuellen who is who, bei dem sich tout Paris ein Rendezvous gab und en passant die Weichen für das französische Nachkriegsdenken gestellt wurden.8 Es fehlen nur noch jene minderjährigen Studenten namens Foucault, Derrida und Deleuze, die einige Jahre später das inaugurieren sollten, was man einen französischen„Antihegelianismus"9 genannt hat. In diesem illustren Kreis könnte der Weltgeist am Ende selbst zugegen gewesen sein, so sehr scheint die Atmosphäre des Seminars welthistorisch aufgeladen gewesen zu sein von Personifizierungen und Repersonifizierungen. Bei der gemeinsamen Lektüre der „Autobiographie des Weltgeistes" des Autors, der (am 13. Oktober 1806) in Napoleon bekanntlich den Weltgeist zu Pferde gesehen haben wollte, saßen denn auch gleich Hitler und Stalin „der Tod selbst"10 und dessen Verkörperungen mit am Seminartisch. Für weniger machte man es nicht, damals in Alexandre Kojèves Seminar. -
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Hegels ,enfants terribles' Natürlich stellt sich bei so viel Legendärem bald ein gewisser Skeptizismus ein. Der treffsichere plot der Geschichte, der sagenhafte Ton, den alle Berichterstatter übereinstimmend anschlagen, die Eignung dieser Geschichte zur Anekdote all das wirft die Frage auf, ob es sich bei dieser Herabkunft des Weltgeistes in das Paris der dreißiger Jahre überhaupt um eine Geschichte handelt? Ist die Meisterschaft, deren Zeuge man 1933-1939 werden konnte, überhaupt Teil von etwas, das sich angemessen als Geschichte bezeichnen läßt? Oder hat man es nicht vielmehr mit einem Kreis von postsurrealistischen Snobs, um nicht -
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„Die Vorlesungen [...] sind damals ein intellektuelles Ereignis gewesen, von dessen nachhaltiger Wirkung man sich heute nur schwer mehr einen Begriff machen kann." (Peter Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens, Weilerswist 2000, S. 13) Vgl. Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, S. 11. Und Michel Foucault schreibt einige Jahre später in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France: „Unsere gesamte Epoche, sei es in der Logik oder in der Epistemologie, sei es mit Marx oder Nietzsche, trachtet, Hegel zu entkommen." (M. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, München 1974, S. 49f.) Philosophiehistorisch wird der französische Anti-Hegelianismus behandelt von: V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 184-197; Bernhard Taureck, Französische Philosophie im 20. Jahrhundert, Reinbek
1988, 22f; Didier Eribon, Michel Foucault, Frankfurt am Main 1991, S. 39-50. Ebenso wie Hegel in Napoleon den Tod erblickt zu haben glaubte, sah ein Seminarteilnehmer dasselbe in Alexandre Kojève: „Wenn man ihn hört, scheint es so, daß der Tod selbst diese flüssige, eindringliche Sprache gesprochen hat [...]." (Georges Bataille, Hegel, l'homme et l'histoire, in: Monde nouveau Paru, Nr. 97 (1956), S. 5.) Wiederabgedruckt in: ders., Œuvres Complètes, Bd. 11, Paris 1988, S. 349. In diese Tradition der Repersonifizierungen Hegels reihte sich schließlich auch Foucault mit den folgenden Worten über seinen Lehrer Jean Hyppolite ein: „Alle, die sich kurz nach dem Kriege auf die Aufnahmeprüfung vorbereiteten, erinnern sich an Hyppolites Vorlesungen über die Phänomenologie des Geistes. In dieser Stimme [...] erkannten wir nicht nur die Stimme eines Professors; wir hörten auch etwas von der Stimme Hegels [...]." (M. Foucault, Jean Hyppolite. 1907-1968, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. 1 (1954-1969), S. 991.)
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sagen mit einem geheimbündlerischen Männerclub zu tun, der nostalgisch in der Erinnerung an das einzig jemals von ihnen besuchte philosophische Seminar schwelgt? Und lassen nicht gerade die holzschnittartigen Schilderungen jener paraphilosophischen Bohème auch die Deutung zu, daß es sich hier um Philosophie nach dem Ende der Philosophie, um philosophische Seminare nach dem Ende aller philosophischen Seminaum eine Situation, in der die Geste des Philosophen weit mehr zählte als die re handelte Philosophie? Verzeichnete nicht schon zehn Jahre vorher Walter Benjamin den Ruin der Geschichte und ihrer Philosophie, die nur noch von einigen romantischen Renegaten betrieben wurde, die Stoff für ihre Anekdotensammlungen brauchten? Und, um noch weiter zu gehen, deutet nicht die eingängige Vertrautheit der Überlieferung die Tatsache an, daß wir es in jeder Überlieferung einer Geschichte der Philosophie und womöglich in jeder Geschichte überhaupt mit einer Anekdotensammlung zu tun haben, die sich nach dem Ende der Geschichte auch als solche entblößen muß? Und böte sich hier zuletzt nicht eine vortreffliche Möglichkeit, als Geschichte (historie) zu entlarven, was niemals mehr als eine Geschichte (narrado) war? In der Tat: Nicht jedem Philosophiehistoriker schien der radical chic dieser französischen Hegel-Rezeption zu behagen. Und nicht jeder Hegelianer hat den radikalschicken Hegel-Club in die Gemeinschaft der philosophiewürdigen Gestalten aufnehmen wollen (in der Tat taucht der Name Kojève auch nicht in jeder Philosophiegeschichte und noch nicht einmal in jeder Geschichte der Hegel-Rezeption auf). Doch anstatt eine historischphilosophische Verschwörungstheorie großen Maßstabs zu entsichern und die gesamte Geschichte der Philosophie als Anekdotensammlung zu outen (die, um den Schein der Ernsthaftigkeit zu wahren, alles Anekdotenhafte ausschließen muß), läßt sich der Weg Hegels in Frankreich auf zwei Ebenen verfolgen, auf der Mikro- und der Makroebene. Makrologisch tut man sicher gut daran, die Karriere Kojèves in die allgemeine Karriere Hegels in Frankreich einzusortieren. Denn in der Tat stand Kojève mit seinem Hegel keineswegs allein da; im Gegenteil. Hegel ist in den zwanziger Jahren nicht nur bei den Surrealisten angekommen, sondern in den darauffolgenden Jahrzehnten auch bei einer größeren intellektuellen Öffentlichkeit, so daß Roland Caillois 1948 in den Temps Modernes konstatieren kann: „Es fehlt nicht an Denkern, die davon überzeugt sind, daß der Hegelianismus die große Frage ist: die Frage auf Leben und Tod der Philosophie. Es ist die Philosophie selbst, die in Frage steht."11 Versucht man also die Frage zu beantworten, was sich von 1930 bis 1947 getan hat, als im gleichen Jahr Queneaus Mitschrift des Kojeve-Seminars und die thèse von Jean Hyppolite über Genèse et structure de la phénoménologie de l'esprit erschienen, so gelangt man nicht nur zu diversen Ungleichzeitigkeiten zwischen deutschen und französischen Karrieren Hegels; man gelangt auch zu gegenteiligen Bewertungen dieser Ungleichzeitigkeiten: Betrachtet man die französische Hegel-folie aus der Perspektive der Französischen Revolution, die nach Maßgabe ihres Autoren erst in der zu
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Roland Caillois, in: Les Temps Modernes, Nr. 31 (April 1948). Auch von Descombes wird die Ankunft Hegels in Frankreich auf die ersten Nachkriegsjahre beziffert. Während Hegel „im Jahre 1930" noch als „ein romantischer Philosoph" betrachtet wurde, „den der wissenschaftliche Fortschritt seit langem widerlegt hatte (so die Ansicht Brunschvicgs)", gilt Hegel „1945 [...] als Gipfel der klassischen Philosophie und Ursprung von allem, was sich seither getan hat." (V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 19f.)
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Phänomenologie zu vollem Verständnis gekommen sei, so kam sie hundertfünfzig Jahre zu spät.12 Betrachtet man sie jedoch aus der gegenüberliegenden Perspektive der deutschen Hegel-Renaissance der sechziger Jahre (die sich ebenfalls mit dem Namen Kojève verbinden wird, wie man später sehen wird), so waren die Franzosen dreißig Jahre früher am Ball.13 Angebrachter als dieser philosophische Inferioritätskomplex zu beiden Seiten des Rheins ist heute sicher das Nachverfolgen der historischen Situation, in der Hegel jeweils neu aufgelegt wird ist die Frage, welcher Hegel mit welchen Mitteln gelesen wird. Denn selbstredend lasen die Schüler Kojèves nicht nur eine zu Selbstbewußtsein gekommene Französische Revolution, sondern einen Hegel, der an der Seite von Psychoanalyse und Nietzsche, von Phänomenologie und Marxismus rezipiert wurde.14 Betrachtet man die Situation aus einer mikrologischen Perspektive, so lassen sich möglicherweise auch in der internen Seminarstruktur Gründe für die Außenseiterposition jenes illustren paraphilosophischen Zirkels ausmachen. Was an fast allen Beschreibungen des Kreises um Kojève auffällt, so verschieden sie auch ausfallen sollten15, ist zunächst die exzentrische Teilnehmerstruktur. Die Zuhörer Kojèves waren nur in der Ausnahme Philosophen wie Weil oder Hyppolite. In der Regel saß dort ein munterer Haufen Künstlergruppengründer und dissidenter Parteipolitiker, Traumaufzeichner und Jäger des Unbewußten; plötzlich interessierten sich auch Katholiken auf Abwegen und gewöhnliche Poeten, Erotomanen und amour-fou-Fanatiker für den Weltgeist in Person (sowie für dessen stalinistische Aktualisierung). Auch der Rückblick des Lehrers verweist eher auf einen legeren „Feierabend-Philosophen"16, der stolzer auf die Einführung lässigerer Seminarsitten (wie das Rauchen im Kurs) ist als auf philosophische Standards. Und das Bild seiner Erinnerung zeigt eher Eßgelage unter Künstlern und Intellektuellen als intensive Diskussionen; nach den Seminaren ging man im Athènes essen und fühlte sich im Beisein des Meisters -
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„Im Zeitalter der Weltrevolution und des Weltkrieges entdeckt Frankreich im strengen Sinne eine
Philosophie, die eine Zeitgenossin der Französischen Revolution und größtenteils deren Bewußtwerdung ist." (Georges Canguilhem, Hegel en France, in: Revue d'histoire et de philosophie des religions 28/29 (1948/49), S. 282-297) Taureck (Französische Philosophie im 20. Jahrhundert, S. 23) erinnert daran, „daß man sich in Frankreich 30 Jahre früher um Hegel zu kümmern begonnen hatte als in Deutschland (Kojève, Hyppolite)." „In Hegel hat all das seinen Anfang, was sich seit einem Jahrhundert an Großem in der Philosophie ereignet hat, beispielsweise der Marxismus, Nietzsche, die Phänomenologie und der deutsche Existentialismus, die Psychoanalyse; er hat das Unternehmen einer Erkundung des Irrationalen und seiner Integration in eine erweiterte Vernunft eingeleitet [...]." (Maurice Merleau-Ponty, Sinn und Nicht-Sinn, München 2000, S. 83) Und Peter Bürger macht Hegel in seinem gleichnamigen Buch zum .Ursprung des postmodernen Denkens'. Vgl. Bernd Mattheus, Georges Bataille. Eine Thanatographie I, München 1984, S. 232ff; Raymond Aron, Erkenntnis und Verantwortung, München 1985, S. 77; P. Bürger, Das Denken des Herrn, Frankfurt am Main 1992, S. 39; ders., Ursprung des postmodernen Denkens, S. 13; D. Eribon, Michel Foucault, S. 46. Vgl. St. Dornuf, Die Forderung des Tages, S. 315. „Ah oui, c'était très bien, l'Ecole pratiques des Hautes Etudes, j'y introduis l'usage des cigarettes pendant les cours. Et après on allait dîner ensemble, avec Lacan, Queneau, Bataille dans un res-
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Wahrlich also kein Heimspiel für den Philosophen und die Philosophie; im Gegenteil. Angesichts der bunt zusammengewürfelten Verschwörerschar, die sich jede Woche neben dem Heidegger-Seminar von Henry Corbin18 in der Ecole versammelte, erhält man eher den Eindruck, daß es sich bei der Legendengründung um die Sorte philosophischer Seminare gehandelt haben mag, in denen der Dozent, der auf Gegenwehr nicht zu hoffen braucht, die Niederlage eines gegenwehrlosen Sieges erleidet. Kurz, Kojève konnte seinen notorisch begeisterten Zuhörern alles über Hegel erzählen, zumal die erste zuverlässige Übersetzung der Phänomenologie durch das Seminarmitglied Jean Hyppolite leider erst mit dessen Ende in zwei Bänden 1939 und 1941 bei Aubier erschien eine Situation, die einer kritischen Einstellung gegenüber dem Hegeischen Text (die Mitte der dreißiger Jahre eigentlich zum internationalen Standard gehörte) nicht gerade Vorschub geleistet zu haben scheint: Kojèves Lehre war von derselben assoziationsbegabten Begeisterung geprägt wie das Studium seiner Schüler.19 Es gibt in dieser Hegel-Lektüre weder Kant noch die Griechen, weder einen Werkzusammenhang noch dessen Rezeptionsgeschichte. Es gibt nur die äußerste Konzentration oder Meditation auf einen Text, der ebenso enthusiastisch wie naiv gefeiert wurde.20 Kojève und seine Schüler haben Hegel gelesen wie die Kinder unvoreingenommen und einseitig, unbekümmert und uninformiert, überpolitisiert und unterhistorisiert. Needless to say, daß es in dieser Mischung aus luzider Begeisterung, messianischer Verkündigung21 und permanenter Offenbarung um nichts weniger ging als um das, was wir heute unter einem kritischen Studium eines Textes verstehen würden schließlich waren die Zuhörer ja auch keine Studenten, sondern surrealistische Renegaten auf der Suche nach „profaner Erleuchtung", wie ein nicht-anwesender Nicht-Renegat, nämlich Walter Benjamin gesagt hatte. Diesen erleuchteten enfants terribles ging es um nichts anderes -
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qui existe toujours, l'Athènes." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: G. Lapouge, Entretien, 18.) Patrick Waldberg, Taro Okamoto. Le baladin des antiposes, Paris 1976, S. 100. Vgl. folgende Selbst- und Fremdbeschreibungen dieser Lehre: „Ich habe meine Vorlesungen begonnen. Ich bereitete nichts vor, ich las, und ich erläuterte, aber alles, was Hegel sagte, schien mir einleuchtend. Ja, ich empfand dabei ein außerordentliches intellektuelles Vergnügen." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: G. Lapouge, Entretien, S. 121.) Entsprechend bezeichnet einer seiner treuesten Schüler seine Lehre als „eine geniale, dem Buch angemessene Erläuterung", um ebenso begeistert fortzufahren: „Wie oft verließen Queneau und ich sprachlos den kleinen Saal sprachlos und gebannt. [...] Die Vorlesung Kojèves hat mich zehnmal [mehr] mitgenommen, zermalmt, erschlagen." (G. Bataille, Œuvres Complètes, Bd. 6, Paris 1973, S. 416.) Und der eben erwähnte Queneau berichtet: „Bien qu'il ne fût pas un auditeur d'une assiduité exemplaire et que, parfois même, il lui arrivât de somnoler (,1a mouche sur le nez de l'orateur' [...]), il n'est pas douteux qu'il tira grand profit de cet enseignement." (Raymond Queneau, Premières confrontations avec Hegel, in: Critique 19 (1963), Nr. 195/196, S. 694-700, hier S. 699.) Vgl. dazu auch V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 22. „Kojève suchte die Annäherung an Hegel über die Erarbeitung der Übersetzung, die Interpretation des deutschen Textes, die Auseinandersetzung mit seinen unverständlichen Stellen eine zähe, geduldige Arbeit, bei der sich mit der Lektüre zugleich eine Lesart des Hegeischen Textes ergibt." (Jean-Luc Pinard-Legry, Alexandre Kojève. Zur französischen Hegel-Rezeption, in: Vermittler, S. 106). „Das Ende der Geschichte, das war nicht Napoleon, sondern Stalin, und ich sollte kommen und es vertaurant grec
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künden, mit dem Unterschied, daß ich nicht das Glück hatte, Stalin unter meinen Fenstern vorbeireiten zu sehen, aber nun ja [...]." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: G. Lapouge, Entretien, S. 123)
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als die profane Erleuchtung der Gegenwart im Lichte eines heiligen Textes. Insofern mag auch die Entscheidung der deutschen Herausgeber verständlich werden, ihre Übersetzung Kojèves nicht als „Einleitung", als Introduction in die Lektüre Hegels zu publizieren, als die Queneau seine Seminarmitschriften 1947 französisch-forsch herausgebracht hatte22 sondern die Geheimwaffe namens Kojève bei der gefahrloseren Betitelung einer „Vergegenwärtigung seines Denkens", nämlich des Hegelschen, zu belassen.23 -
Im Labor der Hegel-Rezeption Doch was ist daraus geworden, was haben Hegels schreckliche Kinder produziert? Man kann sich vielleicht vorstellen, daß es mir um nichts weniger geht als darum, an dieser Stelle das ernsthafte Textseminar gegen das Philotainment auszuspielen, das Kojève seinen Zuhörern offenbar geboten hat, den heiligen gegen den kritischen Text, die tatsächliche Einführung gegen die Vergegenwärtigung, kurz, die französische gegen die deutsche HegelRezeption. Wie man inzwischen weiß, ist die Kritik nicht weniger heilig und die Seriosität nicht weniger verdächtig. Nichts also liegt ferner als die einfache Distanzierung und die scheinheilige Seriosität. Natürlich wirkt die Lektüre Kojèves gegen den postromantischen Hegel so martialisch und gestählt wie ein Sowjet-Panzer gegen Napoleon auf dem Pferd.24 Immerhin hatte Kojève Hegel als eine „Philosophie des Todes" gelesen, weswegen man ihm vorwarf, ein „existenzialistisches Todesgefühl" auf Hegel projiziert zu haben. Diese und andere Vorwürfe hat man Kojève gemacht. Man hat es nicht versäumt, Kojève und seinem Kreis das Vermögen der Kritik zuteil werden zu lassen: Man hat sich gefragt, ob es sich beim „Hegel-Marxismus" Kojèves um Phänomenologie oder um Existentialismus, um eine christliche oder eine atheistische, um eine rechts- oder eine linkshegelianische Deutung handeln würde25; man hat sich gefragt, ob Kojève die zen22
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A. Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, Leçons sur la Phénoménologie de l'Espritprofessées de 1933 à 1939 à l'École des Hautes Études réunies et publiées par Raymond Queneau, Paris 1947. Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, hg. v. Iring Fetscher, Stuttgart 1958 sowie die erweiterte Fassung unter gleichem Titel bei Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975. Besonders aufschlußreich ist der Vergleich der Vorworte der beiden Editionen.
„Allgemeiner gesehen, kehrte sich seine Interpretation weniger an den vernunftstiftenden und befriedigenden Aspekt des Hegelschen Denkens und beharrte mit Gefallen auf den paradoxen, exzessiven, gewaltsamen und vor allem blutigen Momenten. [...] Sein Kommentar zur Phänomenologie des Geistes stellt diese als eine Erzählung der Universalgeschichte dar, in der die blutigen Kämpfe und nicht ,die Vernunft' die Dinge vorwärtstreiben zum glücklichen Schluß. Bei jeder Gelegenheit erwähnt er den Kanonendonner, unter dem Hegel sein Manuskript in Jena beendete." (V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 21 f.) Und J.-L. Pinard-Legry (Alexandre Kojève, S. 109) schreibt, daß die „Entdeckung dieser Gewalt eine große Rolle spielt bei der Faszination, die er auf
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Bataille und auf eine ganze Generation hat ausüben können. [...] Für Bataille wie für Kojève ist die Gewalt ein grundlegendes Moment, und die Introduction à la lecture de Hegel erinnert daran, daß die Phänomenologie des Geistes im Lärm der Schlacht von Jena geschrieben worden ist." Vgl. zur allgemeinen Deutung Kojèves: Hans Friedrich Fulda/Dieter Henrich, Vorwort, in: Materialien zu Hegels Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1973, S. 26; Jean J.-L. Pinard-Legry, Alexandre Kojève, S. 112-114; D. Auffret, Alexandre Kojève; Iring Fetscher, Weltgeist zwischen Tübingen und Paris. Die Hegel-Korrespondenz mit Alexandre Kojève, in: St. Dornuf/
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Begriffe der Aufhebung sowie des Knechts richtig übersetzt hat und was seine fahrlässigen Übersetzungen für Folgen gehabt haben mögen26; man hat sich gefragt, ob Hegels Privilegierung des Knechts rechtmäßig war und was Faschismus und Stalinismus tralen
mit einer offensichtlichen Inklination für die Seite des Herrn zu tun haben könnten27 also kurz, ob dem Herrn oder dem Knecht die Schuld zuzuschieben ist und mit wem es hätte besser laufen können. All das sind jedoch Fragen für Philosophen in kurzen Hosen, wie Foucault einmal sagte. All das sind Fragen, die der Besonderheit der historischen Situation und einer unhistorischen Lektüre so fern stehen, als würde man Rufe auf die
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andere Seite eines vernebelten Rheins entsenden.28 Aus diesem Grund möchte ich mich nicht von der deutschen oder der französischen, der kritischen oder der kindischen Hegel-Rezeption distanzieren distanzieren sollte man sich eher von dem ganzen Spiel der Distanzierungen, von dem Ton der ideologischen Abrechnung und Aufrechnung, der Angriffe und der Gegenangriffe, die die gesamte Rezeption Kojèves begleiten.29 Gerade bei Kojève, bei dem die Themen der Negativität und des Weisen ständig aufgeworfen und in die Krise geführt werden, scheint mir jede Artikulation hinfällig, die dieselbe geschichtliche und philosophische dieselbe geschichtsphilosophische Haltung gegenüber diesem Phänomen einnimmt. Kurz, was zur Disposition steht, ist nicht nur die Frage nach der philosophiehistorischen Einschätzung der Lektüre Kojèves, sondern die viel generellere Frage nach dieser Einschätzung überhaupt, nach ihrer Philosophie und nach ihrer Geschichte. Wenn es etwas gibt, das bislang klar geworden sein dürfte, dann ist es die Tatsache, daß man es bei diesem Seminar mit keinem Gegenstand zu tun hat, der in der Form einer Geschichte der Philosophie angemessen abgehandelt werden könnte. An dem Punkt, an dem jede Geschichte zur Anekdote verkommt und jede Philosophie zum Meisterdiskurs tendiert, deutet sich die Tatsache an, daß man es hier mit einem Gegenstand zu tun hat, der sich jeder Geschichte entschlägt, mit einer Verschwörung nicht nur gegen die Philosophie, sondern auch und vor allem gegen ihre Geschichte. Was man vor sich hat, ist eher eine historische Situation, eine einmalige historische Situation, bestehend aus diversen bekannten und unbekannten Faktoren die sich jedoch weniger erzählen als aufzählen läßt. Denn -
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Reinhard Pitsch
(Hgg.), Wolfgang Harich zum Gedächtnis. Eine Gedenkschrift in zwei Bänden, Bd.
2, München 2000, S. 232-288.
Von der marxistischen Hegel-Rezeption wurde die
Frage aufgeworfen, ob Hegels Aufhebung durch
„annuler", „supprimer" oder „dépasser" zu übersetzen sei: vgl. Leo Kotier, Die drei menschlichen Tragödien des 20. Jahrhunderts, Dortmund 1960, S. 11 f.; Wilhelm Raimund Beyer, Zwischen Phänomenologie und Logik. Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung, Köln 1974, S. 158f; Louis Althusser, Lenin und die Philosophie. Über die Beziehung von Marx zu Hegel. Lenins Hegel-Lektüre, Reinbek 1974, S. 82f. Zuletzt haben Gwendolyne Jarczyk und Pierre-Jean Labarrière die Frage gestellt, ob Kojève Hegels Knecht zu Recht oder Unrecht mit „esclave" übersetzte. Vgl. für eine Deutung der französischen Hegel-Rezeption aus der Perspektive des Herrn, die insbesondere den surrealistischen Verflechtungen mit dem Nationalsozialismus nachgeht: P. Bürger, Das Denken des Herrn, S. 49-53; sowie ausführlicher ders., Ursprung des postmodernen Denkens. Vgl. die letzten dieser Rufe von Jacques Derrida, Fichus. Frankfurter Rede, Wien 2003, S. 33ff. Vgl. dazu vor allem die Vorworte, sowie die erste Rezension der Übersetzung: Manfred Buhr, Rezension zu: A. Kojève, Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, in: Deutsche Zeitschriftfür Philosophie 9 (1961), H. 11, S. 1406ff.
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nichts erinnert die geschilderte Seminarsituation mit ihren kontingenten Faktoren und sich verkreuzenden Fachgeschichten (von Psychiatrie und Medizin, Literatur und Kunst etc.) so sehr wie an ein Labor, an ein Labor der französischen Hegel-Rezeption. Merleau-Ponty hatte von dem „Versuch" „der Erkundung des Irrationalen" gesprochen.30 Man stelle sich also vor, wir hätten es hier nicht mit einer Geschichte, sondern mit einem Labor der französischen Hegel-Rezeption zu tun. In einem Labor stellt sich nicht die transzendente Frage nach richtig oder falsch, sondern die kontingente nach dem, was hier alles passieren kann. Es kann also, wenn man heute über Kojève oder über Hegel in Frankreich diskutiert, weniger um die kritische Frage gehen, wer wen richtig oder falsch gelesen hat, sondern vielmehr um die epistemologische Logik des: Was konnte aus den vorhandenen Bestandteilen entstehen? Welches Wissen wurde mit diesen Teilen möglich? Was kann aus dem verkannten und von Hegel in eine Ecke der Weltgeschichte verstoßenen Herrn in seiner „existentiellen Sackgasse" noch alles werden? Und muß nicht, wenn die Geschichte schon die des Knechtes war, die Zeit des Endes dieser Weltgeschichte die des Herrn sein, der nach der berühmten Formel Kojèves „entweder in Lust verdummen [kann] oder auf dem Schlachtfeld als Herr sterben"1i[ an
Folgeerscheinungen eines Unfalls In diesen Fragen ähnelt die Laborsituation noch an eine andere Situation, an die Situation des Unfalls. Gewiß kann man die gesamte Seminargeschichte auch als einzigartigen Unfall beschreiben, der zu keinem anderen Zeitpunkt in keiner anderen Zusammensetzung hätte stattfinden können als einen Ablauf, bei dem nicht Transzendenzen, sondern Kontingenzen interessieren: Wer ist an dem Unfall namens surrealistischer Hegel-Rezeption beteiligt, welches sind die Namen der Beteiligten, und was trugen sie bei sich? Welche Versehrungen tragen diese Beteiligten davon? Wer sind die Zeugen, und wie unterscheiden sich ihre Berichte? Und was, so müßte man aus der heutigen Perspektive fragen, was sind die Folgen und die Spätfolgen dieser Verletzungen, was ist aus den unehelichen Kindern geworden, die Hegel in Frankreich gemacht wurden? Zunächst zur Frage nach -
den Folgen.
gibt es einmal den Poeten und Popularphilosophen Raymond Queneau, der nicht dem Pseudonym Kojève dessen Seminaraufzeichnungen publizierte und unter para-Hegelschen Titeln wie Le Dimanche de la vie Romane schrieb, sondern auch ein ganzes sprachartistisches Feuerwerk entfachte, das die akademische wieder an die volkstümliche Sprache andockte. Da war der Chefsurrealist André Breton, von dem alle sagen, er sei nur selten dagewesen vielleicht weil er vorgab, Hegel schon in der Schule gelesen zu haben und der alle anderen Methoden gegen die Dialektik für unbedeutend erklärte und Hegel in den surrealistischen Kanon aufnahm.32 Da gibt es den Psychiater Da
nur unter
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M. Merleau-Ponty, Sinn und Nicht-Sinn, S. 83. A. Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, S. 48. „Wo die Hegeische Dialektik nicht funktioniert, gibt es für mich kein Denken und keine Hoffnung auf Wahrheit." (André Breton, Entretiens, Paris 1969, S. 153f.) Zu Breton und Hegel vgl. P. Bürger, Das Denken des Herrn, S. 15-37; sowie ders., Ursprung des postmodernen Denkens, S. 26-34.
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Jacques („Doktor") Lacan, der Hegels „Gesetz des Herzens"33 als individuellen Wahn-
sinn ausbuchstabierte und kleinkindliche Stadien plötzlich nicht nach dem Muster von naturhaften psychischen Entwicklungen, sondern nach dem einer Begegnung mit dem eigenen Ich las und dieses psychische Anerkennungsdrama im Zeichen des Hegeischen Begehrens „Spiegelstadium" nannte ein Stadium, das Kojèves Formel vom Begehren als dem Begehren nach dem Begehren des anderen quasi buchstäblich nahm.34 Da gibt es den posthegelianischen Essayismus Maurice Blanchots, der bei den Seminaren nicht dabei war, aber das Ganze in einer Art Fernstudium verfolgte, um Hegels Stadien des Geistes in schwebende Texte wie Thomas der Dunkle zu verwandeln oder um aus einem Satz der Phänomenologie eine ganze Literaturästhetik zu machen.35 Da gibt es schließlich jene deutschen Exilanten wie Hans Mayer und Walter Benjamin, die das glamouröse Treiben um den faschismusverdächtigen Kojève (der später in die Résistance gehen sollte) skeptisch aus der Distanz verfolgten und die sich aber weigerten, ihre Distanz zur Bohème aufzugeben und statt dessen ihre von besserem Wissen durchtränkten argwöhnischen Kommentare brieflich nach Kalifornien versandten.36 Und da gibt es den Erotomanen Bataille, der para-Hegelianische Erzählungen als Austragungsort einer Dialektik ausschreibt, die in der Bewegung dieser Schrift zum Drama mutiert und der dieses Drama zwischen Herrschaft und Knechtschaft anschließend ausgerechnet auf eine Ausschweifung zwischen einem Freier und seiner Prostituierten kopiert, um damit nicht nur das -
G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 275ff. Eine auf die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft aufsetzende Lektüre dieser Passage findet sich in: Jacques Lacan, Ecrits, Paris 1966, S. 170ff. Vgl. dazu P. Bürger, Das Denken des Herrn, S. 29ff; ders., Ursprung des postmodernen Denkens, S. 132-141; sowie François Dosse, Geschichte des Strukturalismus, Bd. 1, S. 146. Vermutlich konnte Elisabeth Roudinesco (Histoire de la psychanalyse en France, Paris 1986, S. 155) deshalb sagen: „Der Unterricht Kojèves beeinflußt Lacan im buchstäblichen Sinne des Wortes." Kojèves Formel lautete, daß die Geschichte die eines begehrenden Begehrens sei: „L'histoire humaine est l'histoire des Désirs désirés." (A. Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, S. 13.) Vgl. dazu Blanchots Lektüre von Hegels Satz über „das Leben, das den Tod erträgt und sich in ihm erhält", in: La Part du Feu, Paris 1972, S. 33: Blanchots Übersetzung ändert Hegels Zitat ein wenig ab, wobei ein Wortspiel zwischen „porte" und „supporte", zwischen dem ertragenen und dem getragenen Tod zustande kommt: „La vie qui porte la mort et se maintient en elle." Vgl. dazu P. Bürger, Das Denken des Herrn, S. 81; ders., Ursprung des postmodernen Denkens, S. 87-105. „Er [Kojève] liest an der Sorbonne; sein Seminar über die .Phänomenologie', von der er eine Übersetzung ins Französische vorbereitet, ist der Ort gewesen, an dem sich einige Surrealisten ihre Informationen über Dialektik geholt haben. Seine Vortragsweise ist klar, sprachtechnisch hervorragend. Soweit man Hegelkenner sein kann, ohne die materialistische Dialektik sich zugeeignet zu haben, ist Kojevnikoff das. Demungeachtet scheinen mir seine Konzeptionen der Dialektik selbst im idealistischen Sinne sehr angreifbar. Sie hinderten ihn jedenfalls nicht, in seinem Vortrag im Kreise von Acéphale' ! die These zu entwickeln, daß der Mensch nur seiner natürlichen Seite nach, beziehungsweise in den Manifestationen seiner bisherigen Geschichte, welche als abgelaufene die Fixiertheit seines natürlichen Wesens teile, Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis sein könne. .Gemacht' werde Soziologie heute in Moskau, geschrieben werden könne sie erst wenn man dort entschieden habe." Walter Benjamin am 6.12. 1937 an Max Horkheimer, in: Walter Benjamin, Gesammelte Briefe, Bd. 5 (1935-1937), Frankfurt am Main 1999, S. 621f. Vgl. auch den Brief vom 11.2.1938 an Horkheimer, in: ebd., Bd. 6, Frankfurt am Main 2000, S. 30. ,
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Auge des Geistes hinter dessen eigenes Licht zu führen, sondern auch so etwas wie eine surrealistische Philosophie zu erfinden.37 Diese Folgeerscheinungen des Unfalls namens französischer Hegel-Rezeption lassen sich heute noch rekonstruieren, andere Blessuren sind möglich, Spätfolgen können noch auftreten. Bei der Frage, wie ein verhältnismäßig unverdächtiger Unfall es zu derart unerwartbaren wie genialen Folgeerscheinungen bringen konnte, muß man zwischen zwei Rekonstruktionen des Unfallhergangs unterscheiden, zwischen Lehrer und Schülern: Bei Kojève hat man die Herauslösung einiger Hegelscher Themen bemerkt, seine Obsession
dem Drama zwischen Herr und Knecht, seine Faszination für das Thema das Todes Hegel, seine Fähigkeit (oder Schwäche), diesem Tod überall zu begegnen, in der Person Napoleons oder in der Stalins. Bei den Schülern tut man sicher gut daran, zwischen den einzelnen Fallgeschichten zu unterscheiden, derjenigen Lacans und Bretons, Merleau-Pontys und Sartres, derjenigen Batailles und Blanchots. Für die letzten beiden läßt sich beispielsweise sagen, daß erstens die Themen der Herrschaft und der Knechtschaft, der Gewalt und des Todes von Kojève übernommen werden, was es Bataille wiederum ermöglicht, den Begriff der Souveränität als Differenz zur Hegelschen Herrschaft zu denken.38 Zweitens wird das Thema der Negativität und des Endes der Geschichte39, des Wissens und des Weisens adaptiert, um diese Themen auf eine Praxis der Schrift und des Schreibens zurückzuwenden, deren Operationen in der Folge alle Exekutionen der Tat übernehmen.40 Drittens wird das Bewußtsein bei Bataille und Blanchot zu einer handelnden Wesenheit41, zu einem in zwei zerrissene Hälften zerfallenen „unglücklichen Bewußtsein" also zu jenem „spezifischen Intellektuellenmotiv"42 jener Zeit, das spätestens mit dem Buch von Jean Wahl43 in aller Munde war -, zu einem unglücklichen Bewußtsein, das man (wenn man es schon nicht heilen konnte) so wenigstens nach Kräften dramatisierte.44 Gleich auf den ersten Blick liefert diese Episode der französischen Hegel-Rezeption genug Dramen, daß man einige Zeit mit der Rekonstruktion eines einzigen Unfalls vervon
bei
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Den letzten beiden Fallgeschichten widmet sich: Knut Ebeling, Die Falle. Zwei Lektüren zu Georges Batailles Madame Edwarda, Wien 2000. Vgl. J. Derrida, Die Epoche des Sinns. Herrschaft und Souveränität, in: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1972, S. 385ff. Vgl. dazu V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 187-197; Slobodan Zunjic, Herrschaft und Souveränität. Hegel und Nietzsche in der Lektüre von Georges Bataille, in: Nietzsche und Hegel, Würzburg 1992, S. 146-174. Zur Problematik des Endes der Geschichte vgl. G. Bataille, Hegel, l'homme et l'histoire. Zu diesem Problem im Kontext der französischen Geistesgeschichte vgl. V. Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 37^12. Bataille führt diese Tat im und am Text aus. Vgl zum Begriff der Praxis (oder Praktik) bei Kojève auch ebd., S. 24ff. J.-L. Pinard-Legry (Alexandre Kojève, S. 108) weist daraufhin, daß Kojève in seiner Interpretation aus dem Bewußtsein „selbst ein dialektisches Wesen macht" H. Fr. Fulda/D. Henrich, Vorwort, S. 25 Jean Wahl, Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris 1929. Dabei muß gesagt werden, daß die Methode der Dramatisierung oder dramatisation eigentlich ein Motiv Nietzsches ist. In: Nietzsche und die Philosophie (Hamburg 1976, S. 86) spricht Gilles Deleuze sogar von einer „Dramatisierungsmethode" als eigentliche „Methode Nietzsches". .
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bringen kann.45 So weiß man, daß der Bibliothekar und Publizist, Gelegenheitsschriftsteller und Erotomane Georges Bataille sich nach seinen politischen und surrealistischen Aktivitäten auf die Philosophie stürzte; man weiß, daß er zu den treuesten Hörern Kojèves zählte46 und daß er aus den simultanen Gefühlen der Anziehung und Abstoßung von Hegel eine prä-postmoderne Philosophie entwickelte.47 Man kennt (spätestens seit Derrida) die ganze Tragweite des Hegeischen Erbes, das sein bester französischer Leser in seinen Texten austrug in diesen Texten, in denen sich ebensoviel Kojève findet wie Hegel (und dies vor allem, weil er zunächst gar keinen anderen Hegel kannte48); und man weiß um die Sprengkraft jener „Explosion des Hegeischen Systems"49, das Philippe Sollers auf dem Bataille-Kongreß 1972 in Cérisy-la-Salle im Munde führte. Das einzige, das weniger bekannt ist, ist die Tatsache, daß Bataille einer der wenigen war, mit denen Kojève nach dem kriegsbedingten Ende seines Seminars 1939 noch kommunizierte, daß der Gelegenheitspornograph nach 1945 zum alleinigen philosophischen Gesprächspartner des mittlerweile in diplomatische Dienste (der OECD) aufgestiegenen und endlich zur Tat schreitenden postphilosophischen Schlendrian mit Geschmack an der Macht wurde.50 Nur wenige wissen, daß Bataille und Kojève eine ja man kann sagen philosophische Freundschaft verband, deren Sprache immer eine Hegeische war. Bataille war der einzige, dem Kojève das Recht zugestand, den Ehrentitel eines Weisen nach Hegel zu tragen.51 Worüber unterhielten sich die beiden gealterten Snobs in der Diskretion ihres Briefwechsels?52 Und wofür sind diese Spätwirkungen eines Unfalls aufschlußreich? Natürlich könnte man sich über die Tatsache ereifern, daß es hier eine posthegelianische Kommunikation gegeben hat, in der auf die Einladung zur Publikation eines Hegel-Aufsatzes -
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Siehe K.
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„Von '33 (glaube ich) bis '39 besuchte ich die Vorlesungen, die Alexandre Kojève der Erläuterung der Phänomenologie des Geistes widmete [...]." (G. Bataille, Œuvres Complètes, Bd. 6, Paris 1973, S. 416.) „Admettre la vérité de Hegel: c'est la position la plus contraire mais peut-être, par la même, la plus
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Ebeling, Die Falle.
favorable au mouvement de ma propre pensée". (Ebd., S. 426) „C'est le Hegel de Kojève, le Hegel du savoir absolu et circulaire, le Hegel à propos duquel on ne peut s'empêcher de nommer Heidegger." (R. Queneau, Premières confrontations avec Hegel, S. 700) Vgl. Philippe Sollers, in: Bataille, hg. v. Centre Culturel de Cerisy-La-Salle, Paris 1973, S. 36. Welche Wichtigkeit das Thema der Tat bei Kojève (und bei seinen Schülern) einnahm, davon berichtet die folgende von ihm selbst überlieferte Anekdote: Kojève trifft auf einem Spaziergang durch das Quartier Latin (nach Kriegsausbruch und in Uniform) auf einen früheren Schüler, der ihm die Frage stellt: „Eh bien, Monsieur le professeur, je vois que vous êtes enfin passé à l'action!" Kojève im Gespräch mit Lapouge (G. Lapouge, Entretien, S. 19). „Wenn er [Kojève] auf Hegel zurückkommt auf dem Umweg über eine Lektüre, deren Hauptziel es ist, die spekulativen Äußerungen der Phänomenologie des Geistes zu vermenschlichen' (sie zu verdeutlichen, indem er ihnen einen konkreten Gehalt gibt) -, will Kojève im Gegenteil die Philosophie auf das Gebiet der Aktion, d.h. des Kampfes und der Arbeit, zurückfuhren." Nach J.-L. Pinard-Legry (Alexandre Kojève, S. 116) fand Kojève diese Praxis der Philosophie im Auftrag des Staates. „Die Philosophen interessieren mich nicht, ich suche nur Weise und finden Sie mir einen Weisen." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: G Lapouge, Entretien, S. 122) A. Kojève, Lettres à Georges Bataille, in: Textures (1970), Nr. 6, S. 61-71. -
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in Batailles Zeitschrift Critique postwendend eine Antwort zurückkommt, die mehr über die letzten Besuche in maisons closes berichtet als aus dem maison close des Hegelschen Systems. Und vielleicht sind diese Marginalien von dem eigentlichen Ereignis, dem eigentlichen acte dieser Begegnung auch gar nicht zu trennen, in der es weniger um die Formulierung einer zeitgemäßen postphilosophischen Lebensweise, um eine Philosophie nach dem Ende der Philosophie ging, als um die angemessene Haltung zu diesem Ende und zu diesen Enden also um eine Philosophie ohne oder außerhalb des maison close: Was ist das Schicksal jener négativité sans emploi, jener beschäftigungslosen Negativitäten, mit denen Bataille (ausgerechnet in einem Brief an Kojève)53 sich und jeden anderen Postphilosophen stigmatisiert hatte zu einer Negativität, der nach dem Ende der Geschichte keine andere Aufgabe zukomme, als sich rückhaltlos zu verausgaben? Was ist aus Hegels „kraftloser Schönheit" geworden, über die ein ganzer Surrealismus meditierte und was aus jenem „Tod selbst", der ihr ins Angesicht blickte, aus einem Tod, der in weltgeschichtlichen Seminaren frei umhergelaufen ist? Und was wird aus der originären Philosophie, wenn die philosophische Geste nur noch in einer originären Wiederholung einer anderen Philosophie zu retten ist, wenn die Wiederholung oder Inkarnation das einzig originäre ist, wie Kojève nach Hegel und später Bataille nach Nietzsche es demonstrieren sollten?54 -
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Rendezvous mit dem Snob Zusammenfassend kann man sagen, daß von Bataille und seinen Kollegen nach Hegel und vor allem nach Kojève eine Bewegung des Geistes aufgenommen, isoliert und aus der dialektischen Bewegung herausgesprengt wurde, wenn man (mit Benjamin) so will. Abgesprengt wurde das Abgründige und Agonale, das Surreale und Subversive bei Hegel, das nach den Frühschriften freilich gänzlich verschwand ein Verschwinden, das den -
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G. Bataille, Œuvres Complètes, Bd. 5, Paris 1973, S. 369f. Bataille zeigte sich von der Wiederholung Hegels durch Kojève nicht nur so überzeugt, daß er Hegel fast völlig verschiebungslos nach Kojève kolportiert; unübersehbar adaptiert er dessen Geste der Wiederholung für seinen eigenen Umgang mit Nietzsche. Nicht unmöglich, daß Bataille seine Geste der Wiederholung Nietzsches von Kojève kopiert hat, von dem er an der Spitze seines Hegel-Aufsatzes „Hegel, la mort et le sacrifice" schreibt, es handele sich um einen „extrait d'une étude sur la pensée, fondamentalement hégélienne d'Alexandre Kojève. Cette pensée veut être, dans la mesure où c'est possible, la pensée de Hegel telle qu'un esprit actuel, sachant ce que Hegel n'a pas su [...], pourrait la contenir et la développer. L'originalité et le courage, il faut le dire, d'Alexandre Kojève, est d'avoir aperçu l'impossibilité d'aller plus loin, la nécessité, en conséquence, de renoncer à faire une philosophie originale, et par là, le recommencement interminable qui est l'aveu de la vanité de la pensée." (ebd., Bd. 12, Paris 1988, S. 326.) Vgl. zur Wiederholung Nietzsches durch Bataille K. Ebeling, Incarnating Nietzsche. Die unmögliche aber unvermeidbare Wiederholung Nietzsches durch Bataille, in: Nietzsche, Postmodernity and the thought after, hg. v. Endre Kiss/Uschi Nußbaumer-Benz, Dartford 2000, S. 99-108. Bataille wiederholte jedoch nicht nur Nietzsche, sondern in der Nachfolge Kojèves auch Hegel. „J'aurais dû, sans Hegel, être d'abord Hegel; et les moyens me manquent". G. Bataille, Œuvres Complètes, Bd. 5, Paris 1973, S. 353. Diese Wiederholung nicht Nietzsches, sondern Hegels wurde von Derrida (Die Epoche des Sinns, S. 394), der Kojève fast vollständig ignorierte, als die Leistung Batailles gewürdigt.
Knut Ebeling
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psychoanalysegeschulten Surrealisten natürlich um so mehr auf den Plan rief, interpretieren, „was Hegel ignorierte".55 Diesen kindischen Hörern Kojèves hat es gereicht, daß der Wahnsinn56 und der Tod vom Philosophen par excellence gedacht wurden, um anschließend ungewöhnlich hartnäckig auf diesen primitiven Stadien der Entwicklung des Geistes beharren zu können seine dialektischen Schleifen, seine Systeme, kurz seine Staatsgründungen interessierten sie wenig. Ein wenig salopp könnte man sagen, der Unfall zwischen Hegel und Kojève, Bataille und Blanchot wäre dadurch zustande gekommen, daß die beiden letzteren die Hegeische Maschine benutzt hätten, um sie gegen deren Bewegungsrichtung einzusetzen: daß sie Hegel sabotiert hätten.57 Doch um zu der Geste und zu der insistierenden Frage Kojèves zu kommen, die sich über Jahrzehnte konservierte, um also zu dem zu kommen, was dreißig Jahre später von dieser Sternstunde der französischen Hegel-Rezeption übrigbleiben sollte, um also die Frage stellen zu können, was bei einem der Stars, Sterne des Themas Hegel en France, après tout übrig bleiben sollte, genügen zwei Gespräche zwei jener seltenen Rendezvous mit Kojève (der eine „Freude am Geheimnis, an der Rolle einer grauen Eminenz"58 besessen haben soll), die besser als jede Introduction das zeigen, was vom Hegel Kojèves bleiben sollte: gleichsam den destillierten Hegel nach dem Laborversuch im Paris der dreißiger Jahre. Das eine Gespräch 1968 in Paris, das andere Rendezvous 1967 in Berlin, das sei „wie das Quartier Latin meiner Jugend".59 Über alle Inhalte hinaus, legen beide Dokumente Zeugnis ab weniger von einer fortgesetzten philosophischen Auseinandersetzung als vielmehr von einer fortgetriebenen postphilosophischen Haltung einer HalVerdacht der um zu
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tung, die man als die des Snobs charakterisieren kann.
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Bei dem ersten der besagten Rendezvous, am 26. Juni 1967 an der Freien Universität Berlin, nahm sich der von Jacob Taubes60 als Gesprächspartner Carl Schmitts eingeladene 55
G.
Bataille, Lettres à Roger Caillois, hg.
v.
J. P. Le
Bouler, Paris 1987, S. 76. Vgl. dazu folgende
Äußerung von Maurice Merleau-Ponty (Sinn und Nicht-Sinn, S. 83): „Doch erwiesenermaßen haben
die Nachfolger Hegels nicht so sehr auf dem beharrt, was sie ihm schuldeten, als auf dem, was sie seinem Erbe zurückwiesen." An einer Stelle seiner Introduction weist Kojève auf eine Phase im Leben Hegels hin, in der jener glaubte, „verrückt zu werden". (A. Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, S. 443.) Descombes kommentiert diese Stelle, auf die Bataille (Œuvres Complètes, Bd. 5, Paris 1973, S. 128) ein ganzes Leben meditiert, folgendermaßen: „Dieses Moment von Wahnsinn hat die französischen Schriftsteller tief beeindruckt. [...] Übrigens verbindet eine ganze Tradition der französischen Literatur die Lektüre Hegels mit der Unmöglichkeit des Schreibens." Des weiteren verweist Descombes (Das Selbe und das Andere, S. 57) auf Flaubert und Mallarmé, die diese Erfahrung gemacht hätten. Anders gesagt, für Bataille besteht das Problem wie für Kojève im „Durchgang der Vernunft durch die Narrheit oder Geistesverwirrung, als Voraussetzung dafür, daß sie überhaupt zu einer authentischen Einsicht gelangen kann." (Ebd.) K. Ebeling, Hegel sabotieren, in: Weimarer Beiträge. Zeitschriftfür Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften 45 (1999), H. 2, S. 270-274. Lapouge im Gespräch mit Kojève, in: ders., Entretien, S. 119. Kojève im Gespräch mit Lapouge (ebd., S. 123). „1967 war Alexandre Kojève Gast unseres Instituts und hielt einen Vortrag vor einem Plenum, das den Atem anhielt als es hörte, die Geschichte sei nun an ihr Ende gekommen und könne nur noch in Form eines Als-ob ,repetiert' werden, Gedanken, die auf erheblichen Widerstand und moralische Empörung [...] stießen. Kojève war berüchtigt für das Mittel des épater le bourgeois, berühmt für von
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Kojève die Freiheit, den skandalisierten studentenbewegten Zuhörern den konterrevolutionären Rat „Lernt Griechisch" mit auf ihren Weg in die Maiunruhen zu geben.61 Und als Europa ein Jahr später schon mitten darinnen war „während des schönen Monats Mai, in dem die Sorbonne in toller Stimmung war"62 -, gab Kojève eine weitere Kostprobe seiner intellektuellen Kaltschnäuzigkeit zum Besten. In einigen wenigen Sätzen läßt er das Hegeische Erbe auf die Konzeption der Negativität, diese auf einen allgemeinen Snobismus und diesen wiederum auf ein kollektives Selbstmordattentätertum hinauslaufen63: „Man stirbt aus Snobismus, das sind die Kamikazes", sagt Kojève und meint damit, daß sich ein jeder nach dem Ende der Geschichte seine eigene Negativität und seinen eigeoffenbar egal aus welchem Anlaß. Doch verwechselt er an nen Tod zu basteln habe den kleinen Tod des Prestigekampfes mit dem großen Heldentod der Stelle nicht dieser Und macht Kamikaze? Kojève nicht mit dieser Verwechslung die Transformation seiner „terroristischen Geschichtsauffassung" (Descombes) in den ästhetischen Terrorismus des Surrealismus wieder rückgängig? Eine folgenschwere Verwechslung. Auf dem Balkon der Weltgeschichte, auf dem sich Kojève so gern aufhielt, rekurriert er zur Illustration seiner kleinen Geschichte des Snobismus nicht nur auf sein Lieblingsbeispiel Japan „Japan, das sind 24 Millionen Snobs"64 -, sondern wartet auch mit anderen Evergreens der Weltgeschichte auf.65 Gewiß können die Beispiele einer okzidentalen Suizidalkultur einen Denker entlasten, der sich angesichts seiner Begeisterung für die aufopferungsfreudige Geste des Snobs ein wenig im Beispiel vergriff. Viel verheerender ist die Tatsache, daß Kojève seine Bewunderung für die alten antiamerikanischen Opfer-
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enigmatische Rhetorik, für Sätze, die ex cathedra gesprochen, dennoch nur als Kommentar zu Hegels ,Phänomenologie des Geistes' sich gaben." (Jacob Taubes, Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung, Berlin 1987, S. 24) „Alexandre Kojève war [...] umringt von den studentischen Häuptern der ,Rebellion', also Dutschke & Co, denen er u.a. sagte, das wichtigste, was jetzt für sie, die Studentenführer, zu tun sei, wäre [...] Griechisch zu lernen. Die Häupter des SDS standen verdutzt da. Alles, nur nicht ein solches Ansinnen hatten sie sich erwartet." (Ebd.) Taubes hatte Kojève in einem Brief vom 16. Juni 1967 um folgendes gebeten: „Lieber Herr Kojève, ich nehme an, daß Sie auch aus den Pariser Zeitungen erfahren haben, welcher Wind nun in Berlin weht. Das 4. Kapitel der Phänomenologie ist in einem Maße aktuell geworden wie selten in Deutschland. Die Studenten haben es verdient, daß Sie ihnen den Rücken stärken [...]. Wir haben einen Anschauungsunterricht in den letzten Wochen hier, um den uns jeder Philosoph und Soziologe beneiden kann [...]." (Zitiert nach: St. Dornuf, Die Forderung des Tages, S. 315.) Die entsprechende Abrechnung mit dem Renegaten Kojève findet sich bei
Lutz Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende?, Reinbek 1989. Lapouge 1980 anläßlich des Gesprächs mit Kojève, in: ders., Entretien, S. 119. „Weil der Snobismus die interesselose Negativität ist. In der Welt der Geschichte übernimmt die Geschichte selbst die Aufgabe, die Negativität, die für das Menschliche wesentlich ist, zu produzieren. Wenn die Geschichte nicht mehr spricht, schafft man sich die Negativität selbst. Vergessen Sie nicht, daß das sehr weit geht, der Snobismus. Man stirbt aus Snobismus, das sind die Kamikazes." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: ebd., S. 124). Kojève im Gespräch mit Lapouge (ebd.). „Sie kennen die Geschichte von Friedrich II., der, als er auf dem Schlachtfeld einen jungen Mann brüllen hört, der eine tödliche Unterleibsverletzung hat, sagt: ,Man stirbt, wie es sich gehört', und weitergeht. Oder Cäsar, der von Dolchen durchbohrt ist und den Zipfel seiner Toga über die Wunden an seinen Beinen zieht." Kojève im Gespräch mit Lapouge (ebd.).
Knut Ebeling
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Angriffe der Japaner mit einer ähnlichen Kulturkritik66 begründet wie jene neuen orienta-
lischen Selbstmordattentäter, die nicht oft genug verkünden können: „Ihr liebt das Leben, Hieße das nicht, Hegelisch oder besser Kojèvisch gewendet: seid die Knechte und wir die Herrn"? „Ihr heißt nicht denn nicht der Amerikaner oder der Christ oder der globalies Nein, sierte Konsument, sondern die Sprache und also die Repräsentation ist es, die nach dem (frühen) Wort Kojèves mit einem Tod zu vergleichen sei, „der ein menschliches Leben"67 lebe. Weil das Reich des Todes nach Kojève das Buch und nicht das Leben sei, meint der Tod, den sich jeder selbst zu basteln habe, nichts weniger als das Basteln von Autobomben. Und in der Tat muß man sich davor hüten, wie Walter Benjamin den sympathischen Renegatenclub in einen postsurrealistischen Terrorzirkel zu verwandeln und im vierten Kapitel der Phänomenologie ein Ausbildungslager für Selbstmordattentäter zu sehen.68 Nichts läge dem wirklichen Snob ferner als die Herablassung, die darin besteht, die Geste mit ihrem Inhalt, den Tod mit seiner Repräsentation und die Weisheit mit der Knechtschaft zu verwechseln: Kojève hat in seinem Wort über die Kamikaze schlicht die Tatsache vergessen, daß es dem Herrn im Gegensatz zum Kamikaze um nichts ging, um das lächerliche Nichts eines Togazipfels oder einer Fahne: eine ganz und gar unelegante Verwechslung, um nicht zu sagen: ein tragisches und tödliches Mißverständnis. Das zweite Mißverständnis. Ein zweites Mißverständnis, das jenes erste, untragische, auf unvorteilhafte Weise verdoppelt, das in der Verwechslung des Hegeischen Herrn mit den japanischen Selbstmordattentätern bestanden hatte und ein Mißverständnis noch dazu, mit dem Kojève, wenige Tage vor seinem Tod, seine eigene Philosophie in einen Kamikaze-Akt verwandelte.69
und wir lieben den Tod".
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„Wir bewegen uns auf eine russisch-amerikanische Lebensweise zu, menschenähnlich, aber animalisch, ich will sagen ohne Negativität." Kojève im Gespräch mit Lapouge (ebd., S. 123). A. Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, S. 210. Der Tod lebt sein Leben also im Buch, das Kojève vor Blanchot und vor Bataille als die aktuelle Arbeit der Negation beschreibt: „Le rapport entre le sage et son Livre est donc rigoureusement analogue à celui de l'Homme et de sa mort [...]: Le livre, une fois paru, il se détache de moi. Il cesse d'être moi, tout comme mon corps cesse d'être moi après ma mort. La mort est tout aussi impersonelle et éternelle, c'est à dire inhumaine, qu'est impersonnel, éternel et inhumain l'Esprit pleinemeint réalisé dans et par le Livre." (ebd., S. 388). Benjamin hatte 1938 in einem Brief an Max Horkheimer Roger Caillois' Text L'aridité als protofaschistisches Dokument verurteilt. (Walter Benjamin an Max Horkheimer, 28.5.1938, in: ders., Gesammelte Briefe, Bd. 6, Frankfurt am Main 2000, S. 93f.) Vgl. zum Faschismusverdacht einiger Surrealisten: P. Bürger, Das Denken des Herrn, S. 49ff; K. Ebeling, Die geheime Geschichte der Menschheit. Walter Benjamin und das Erbe des Surrealismus, in: Weimarer Beiträge 47 (2001), H. 4, S. 485-506. Vermutlich wäre Benjamins Bewertung Kojèves anders ausgefallen, wenn er um Kojèves abfällige Meinung über Heidegger gewußt hätte: „Heidegger? Aber Sie wissen wahrscheinlich, daß er als Philosoph ein schlechtes Ende genommen hat." (Kojève im Gespräch mit Lapouge, in: G Lapouge, Entretien, S. 122). Dieser Text wurde vorab veröffentlicht in DIALEKTIK. Zeitschrift für Kulturphilosophie 2006/2, -
S. 252-268.
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Andreas Gelhard
Abstraktion, Attraktion Maurice Blanchot liest Hegel -
Wer denkt, abstrahiert. Er reißt aus dem Zusammenhang, reduziert auf das Wesentliche, betont eine Einzelheit und vernachlässigt die andere. Daher bleibt Denken, bei allem Streben nach Synthesis und Konkretion, immer auch eine kalte, schneidende, scheidende Tätigkeit. Hegels scharfe Polemik gegen .abstraktes' Denken entspringt letztlich dieser Einsicht: daß in der abstrahierenden „Tätigkeit des Scheidens" die eigentliche „Energie des Denkens" liegt.1 Nur weil das Abstrahieren unvermeidlich ist, stellt seine Fixierung zum Abstrakten eine solche Gefahr für das Denken dar. Wer denkt, abstrahiert; er denkt aber nicht notwendig .abstrakt' in dem Sinn, den Hegel in seinem berühmten Aufsatzmanuskript darlegt. Das abstrakte Denken stottert, es unterbricht unausgesetzt die Tätigkeit des Abstrahierens, um deren Zerfallsprodukte als fertige Wahrheiten zu präsentieren. Hegels Antwort auf die Frage „Wer denkt abstrakt?" lautet bekanntlich: Abstrakt denkt, wer eine Sache unter ein einziges Prädikat faßt und sie ausschließlich für das hält, was unter dieses Prädikat fallt; den Bedienten für nichts als einen Bedienten und den Soldaten für ein „prügelbares Subjekt". Abstrakt denkt die Marktfrau, die ihre Kundin allein unter das Verbrechen „subsumiert", „daß sie die Eier faul gefunden hat", und die nun an ihr, an ihrer Kleidung, an ihrem Vater und an ihrer „ganzen Sippschaft" kein gutes Haar mehr entdecken kann; abstrakt denkt das „gemeine Volk", das es ablehnt, dem Mörder noch irgendeine gute Eigenschaft zuzuerkennen, eben weil er ein Mörder ist. „Dies heißt", so Hegel, „abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm zu vertilgen".2 Wer abstrahiert, löst eine Qualität aus dem Zusammenhang mit allen anderen und „vertilgt", was dieser Qualität nicht entspricht. Das schlecht Abstrakte des Denkens, so wie Hegel es versteht, liegt dabei nicht im Akt des Vertilgens, sondern darin, daß das Vertilgte nicht erinnert und zugunsten einer einzelnen Qualität vergessen wird. Das Vertilgen selbst hingegen ist ein notwendiger Zug des Denkens, es ist die „Kraft und Arbeit des 1
2
G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, neu herausgegeben von Hans-Friedrich Wessels und Heinrich Clairmont, Hamburg 1988, S. 25f. Diese Ausgabe wird im Folgenden mit der Sigle PG im Text nachgewiesen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wer denkt abstrakt?, in: ders., Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 1, S. 578-581. Diese Ausgabe wird im folgenden als „Werke" mit Band- und Seitenzahl
nachgewiesen.
Andreas Gelhard
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Verstandes", deren vornehmlich „Tätigkeit" eben die des „Scheidens" ist.
Der Verstand und in seinem mit anderm Wirkliche" nur aus die„gebundne Zusammenhange sem Zusammenhang und verwandelt es in das „Geschiedne, Unwirkliche" (PG, S. 25f.). ,Unwirklich' heißt eine Sache in diesem Zusammenhang also nicht, sofern phantasiert oder erfunden wäre, sondern sofern sie von der Wirklichkeit des Geistes geschieden ist. Die Wirklichkeit des Geistes ist energeia, actus, tätiges Sichunterscheiden; und das Unwirkliche ist im doppelten Sinne ,von' ihr geschieden: es ist von ihr getrennt und doch ganz das ihre, weil die Trennung vom Geist selbst vollzogen wird. Das Unwirkliche ist Moment eines Prozesses der Selbsterzeugung, in dem die Wirklichkeit des Geistes ,¿ich scheidet, und zum Unwirklichen macht" (PG, S. 25; Hervorhebung A. G.).3 Folgt man Maurice Blanchot, so sind die Dichtungen Mailarmes in eben diesem Sinne unwirkliche Gebilde: nicht weil sie Produkte der Einbildungskraft wären, sondern weil sie einem Prozeß radikaler Abstraktion entspringen. Sartre bemerkt das, wenn er von Mailarmes kaltem Schweigen spricht, doch er ist nicht bereit, in diesem Schweigen und letztlich weltanschauliche Unzuetwas anderes zu sehen als eine literarische Blanchot erkennt die länglichkeit. hingegen philosophische Relevanz des Extrems. Er erkennt in Maliarmes Schriften einen Exzeß der Abstraktion, der für Hegels Denken eine besondere Herausforderung darstellt, weil sie die ihm eigene „Energie" zu einer „Furie des Verschwindens" steigert. Die Konfrontation zwischen Mallarmé und Hegel markiert daher das Zentrum einer Lektüre von Hegels Schriften, die, wie Derrida bemerkt, „einen bestimmten, schon selbstverständlich gewordenen Hegel weit hinter sich läßt".4
reißt das
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I. Das wichtigste Zeugnis dieser Lektüre ist Blanchots erster großer programmatischer Essay „La littérature et le droit à la mort", der 1947 und 1948 in zwei Teilen in der Zeitschrift Critique erschien.5 Seinen unmittelbaren Anlaß bilden einige Neuerscheinungen der Jahre 1946 und 1947, unter anderem die Hegelkommentare Jean Hyppolites und Alexandre 3
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Vom „Selbsterzeugen" des Geistes spricht Hegel in PG 19. In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie übersetzt Hegel energeia mit „actus", „Wirklichkeit" und bestimmt sie als die „reine Wirksamkeit aus sich selbst" (XIX, 154). Heidegger sagt dazu in seinem Vortrag über „Hegel und die Griechen": „Hier wird die energeia [...] von der spekulativen Dialektik her als der reinen Tätigkeit des absoluten Subjekts gedacht. Wenn die Thesis durch die Antithesis negiert, diese ihrerseits durch die Synthesis negiert wird, so waltet in solchem Verneinen das, was Hegel ,die sich auf sich beziehende Negativität' nennt. Sie ist nichts Negatives. Die Negation der Negation ist vielmehr diejenige Position, in der sich der Geist durch seine Tätigkeit selbst als das Absolute setzt. Hegel sieht in der energeia des Aristoteles die Vorstufe der absoluten Selbstbewegung des Geistes, d.h. der Wirklichkeit an und für sich" (Martin Heidegger, Wegmarken, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1996, S. 437Í). Jacques Derrida, Parages, Paris 1986, S. 98; dt.: Gestade, übersetzt von Monika Buchgeister, HansWalter Schmidt und Friedrich A. Kittler, Wien 1994, S. 101. Ich zitiere den Text nach der Buchfassung: Maurice Blanchot, La littérature et le droit à la mort, in: La part du feu, Paris 1949, S. 293-331. La part du feu wird im Folgenden mit der Sigle PF im Text
nachgewiesen.
Abstraktion, Attraktion Maurice Blanchot liest Hegel
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Kojèves.6 Der erste Teil des Textes trägt in seiner Zeitschriftenfassung den Titel „Das geistige Tierreich" und bietet einleitend eine Lektüre des gleichnamigen Kapitels der Phänomenologie des Geistes. Thema dieses Kapitels sind die sich in ihren je einzelnen
Werken verwirklichenden Individuen. Kojève charakterisiert den Bewohner des geistigen Tierreiches wie folgt: ,,[S]eine Handlung ist individuell, isoliert: er drückt sich auf rein verbale Weise aus: literarisch. Er schreibt Bücher".7 Diese kurze Charakterisierung nimmt Blanchot zu Beginn seines Essays auf, wenn er schreibt, Hegel habe alle diejenigen „Bewegungen" beschrieben, durch die jeder, der die Existenz des Schriftstellers wählt, „sich dazu verdammt, dem ,geistigen Tierreich' anzugehören" (PF, S. 295). Doch liest Blanchot das Kapitel nicht als Kritik am ,bloß redenden' bürgerlichen Intellektuellen, wie Kojève es tut. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem im ,geistigen Tierreich' aufgeworfenen Problem der Verwirklichung des Selbstbewußtseins, das Hyppolite in seinem Kommentar besonders hervorhebt. Die Dialektik des geistigen Tierreichs ist eine Dialektik des Werkes. Das geistige Tier betrachtet sein Werk als Ausdruck seiner Persönlichkeit, als Produkt seines Talents, als bloße Manifestation dessen, was es je schon ist. Es kann aber, so Hegel, gar „nicht wissen, was es ist, eh es sich durch sein Tun zur Wirklichkeit gebracht hat" (PG, S. 264). Der Schriftsteller lernt in seinem Werk erst kennen, was er in ihm ausdrückt, er lernt sich in ihm erst kennen und wird erst zum Schriftsteller, indem er schreibt. Das Kapitel über das geistige Tierreich ist eine einzige ausgedehnte Analyse dieser Aporie der Selbstverwirklichung. Blanchot resümiert sie wie folgt: „Gehen wir davon aus, das Werk sei geschrieben: mit ihm ist der Autor geboren. Davor gab es niemanden, der es hätte schreiben können" (PF, S. 297). Damit stehen Blanchots Ausführungen von vornherein in einem unausgesprochenen, aber deutlichen Konflikt mit der subjektivistischen Auffassung des schriftstellerischen Tuns, die Sartre kurz zuvor in Qu 'est-ce que la littérature? formuliert hatte. Denn Sartre zufolge ist das Werk des Schriftstellers vollkommen durch dessen Entwurf bestimmt. Der Schriftsteller ist der souveräne Schöpfer seiner Werke und stößt in ihnen „nur auf sein Wissen, seinen Willen, seine Entwürfe, kurz, auf sich selbst".8 Doch geht es Blanchot in „La littérature et le droit à la mort" nicht vorrangig darum, einige Motive der Phänomenologie des Geistes gegen Sartres Qu 'est-ce que la littérature? ins Feld zu führen. Es geht ihm vielmehr darum, das Denken der Verwirklichung zu überschreiten, ohne in Sartres Subjektivismus des Entwurfs zurückzufallen. Dabei folgt er der Logik von Hegels Text zunächst mit großer Konsequenz. Entscheidend für seine Lektüre ist, daß der Ausdruck .geistiges Tier' einen Widerstreit, der die gesamte Phänomenologie beherrscht, in eine kurze Formel zusammendrängt: den Widerstreit zwischen -
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Alexandre Kojève, Introduction à la lecture de Hegel. Leçons sur la Phénoménologie de l'Esprit professées de 1933 à 1939 à l École des Hautes Études réunies et publiées par Raymond Queneau, Paris 1947); deutsche Teilübersetzung: Hegel. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, übersetzt von Iring Fetscher und Gerhard Lehmbruch, 4. Aufl., Frankfurt am Main 1996; Jean Hyppolite, Genèse et structure de la Phénoménologie de Hegel, Paris 1946. Kojève, Introduction, S. 86. Jean Paul Sartre, Qu'est-ce que la littérature?, in: Situations II, Paris 1948, S. 55-330, Zitat: S. 92; dt.: Was ist Literatur?, übersetzt von Traugott König, Reinbek bei Hamburg 1981, Zitat: S. 38.
Andreas Gelhard
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dem nur von sich ausgehenden Selbst des Individuums (Tier) und der Erschütterung und Auflösung dieses Selbst durch ein überindividuelles Geschehen (Geist). Die Rede vom animal rationale fungiert in der Phänomenologie nicht als ,Definition' des Menschen, sondern als Titel einer Bewußtseinsgestalt, die schon geistig, aber eben auch noch tierisch und das heißt: eigensinnig, eigennützig, schlecht individuell ist. Das Tier ist Emblem jener „Eitelkeit", von der es in der Einleitung der Phänomenologie heißt: „sie flieht das Allgemeine und sucht nur das Fürsichsein" (PG, S. 63).9 Es ist also nur konsequent, wenn Blanchot den ersten Teil seines Essays mit einer kurzen Lektüre des Kapitels über die ,absolute Freiheit und den Schrecken' schließt; denn die absolute Freiheit ist die Freiheit der rückhaltlosen Vereinzelung, der Auflösung aller Bindungen, die Freiheit des Punkts. Hegel findet die Verwirklichung dieser abstrakt-absoluten Freiheit in der Schreckenszeit der Französischen Revolution. Er analysiert die Zeit des Terrors, als das Auseinandertreten der Freiheit in die ,,abstrakte[n] Extreme" des Allgemeinen (des Staates) und des Einzelnen (des Revolutionärs). Die Freiheit des Einzelnen ist die „diskrete absolute harte Sprödigkeit und eigensinnige Punktualität des wirklichen Selbstbewußtseins", das in seiner Konfrontation mit der ,,kalte[n] Allgemeinheit" sein Leben aufs Spiel setzt und nur einen Tod ohne „innern Umfang und Erfüllung" erleiden kann, weil es selbst nur der „unerfüllte Punkt des absolutfreien Selbsts" ist (PG, S. 390). Spätestens hier zeigt sich, daß sich Blanchot in den Grundlinien seiner Lektüre trotz gelegentlicher Bezüge auf den seriöseren, akademischeren Kommentar Hyppolites vorwiegend an Kojèves Introduction orientiert. Kojève liest Hegels Ausführungen über die Französische Revolution auf dem Hintergrund der Jenaer Schriften, wo es heißt: „Der einzelne kann sich zu diesem Punkte machen, er kann von allem absolut abstrahieren, alles aufgeben; er kann nicht abhängig gemacht, an nichts gehalten werden, jede Bestimmtheit, an der er gefaßt werden soll, kann er von sich abtrennen und im Tode seine absolute Unabhängigkeit und Freiheit, sich als absolut negatives Bewußtsein realisieren."'0 Die absolute Freiheit ist Freiheit dessen, der „von allem absolut abstrahieren", der sich aus allen Zusammenhängen reißen kann, sie ist Freiheit des Selbstmörders; und schon wer sich im Kampf auf Leben und Tod der Gefahr aussetzt, geht für Hegel letztlich auf den eigenen Tod." Entsprechend zeichnet Blanchot die Protagonisten der Terreur als Revolutionäre, die in jeder ihrer Handlungen den eigenen Tod vorwegnehmen. Das Denken Robespierres und Saint-Justs hat „die Freiheit eines abgeschnittenen Kopfes", sie handeln „nicht wie lebende Menschen unter lebenden Menschen [...], sondern wie Wesen, die ihres Seins beraubt sind [comme des êtres privés d'être], wie allgemeine Gedanken, wie reine Abstraktionen, die urteilen und entscheiden" (PF, S. 310). -
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Im Kapitel über die beobachtende Vernunft schreibt Hegel über das Tier, es halte sich ,fiir sich, und gesondert von dem Allgemeinen"; im Religionskapitel repräsentiert die „Tiergestalt" die „Form des
Fürsichseins überhaupt" (PG, S. 168, 457). G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I. Das System der spekulativen Philosophie, Hamburg 1986, S. 207f. Ich zitiere erneut einen Jenaer Text: „Ihm als Bewußtsein erscheint dies, daß es auf den Tod eines Anderen geht, es geht aber auf seinen eigenen, Selbstmord, indem es sich der Gefahr aussetzt" (G W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, Hamburg 1987, S. 203). -
Abstraktion, Attraktion Maurice Blanchot liest Hegel
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Die Revolutionäre handeln wie „reine Abstraktionen" und ihre Freiheit ist „abstrakt, ideal (literarisch)" (ebd.). Darin liegt ihre Anziehungskraft für den Schriftsteller. Denn der Schriftsteller schreibt, er tut nichts anderes und das heißt: er abstrahiert, verunwirklicht, negiert. Blanchot resümiert in „La littérature et le droit à la mort" eine ganze Reihe seiner literaturkritischen Essays, er spricht von Hölderlin, Kafka, Breton, Valéry, setzt an den Schluß des ersten Teils und an den Beginn des zweiten Teils aber zwei Schriftsteller, denen in seinen Augen eine Sonderstellung zukommt, weil sie das Prinzip der Negation ins Extrem treiben: den Marquis de Sade und Stéphane Mallarmé. Ich zitiere zunächst aus den Schlußpassagen des ersten Teils von „La littérature et le droit à la mort": „Ein Schriftsteller, den nicht der bloße Akt des Schreibens dahin führt zu denken: ich bin die Revolution, nur die Freiheit läßt mich schreiben, schreibt in Wirklichkeit nicht. Im Jahr 1793 gibt es einen Mann, der sich vollständig mit der Revolution und dem Terror identifiziert. Er ist ein Aristokrat, den Zinnen seines mittelalterlichen Schlosses verbunden, ein toleranter Mann, eher schüchtern und von einer unterwürfigen Höflichkeit: aber er schreibt, er tut nichts anderes, und mag ihn auch die Freiheit in die Bastille zurückstoßen, aus der sie ihn zuvor entlassen hat, er versteht sie am besten, indem er begreift, daß sie der Augenblick ist, in dem die abwegigsten Leidenschaften sich in politische Wirklichkeit verwandeln können, ein Recht auf das Licht des Tages haben, Gesetz sind. Er ist auch derjenige, für den der Tod die größte Leidenschaft und die letzte Plattheit bedeutet, der die Köpfe abschneidet wie Kohlköpfe, mit einer solchen Gleichgültigkeit, daß nichts unwirklicher ist als der Tod, den er gibt; und doch hat niemand klarer empfunden als er, daß die Souveränität im Tod liegt. Sade ist der Schriftsteller par excellence." (PF, S. 311) Sade ist der Schriftsteller par excellence, weil er all die Widersprüche vereint und austrägt, die das ,geistige Tierreich' kennzeichnen, vor allem aber weil er „die Negation selbst" ist (ebd.). Schon in dem wenige Wochen zuvor erschienenen Essay „La raison de Sade" schrieb Blanchot: „Was er anstrebte, war die Souveränität durch den ins Extrem getriebenen Geist der Negation."12 Es wäre also konsequenter, den Text nicht „La raison", sondern „L'entendement", nicht „Die Vernunft", sondern „Der Verstand Sades" zu nennen. Denn die Freiheit dessen, der „von allem absolut abstrahier[t]", wird von Hegel auch als „negative Freiheit" oder „Freiheit des Verstandes" bestimmt13; und wenn Blanchot bemerkt, Sade bezeichne die Macht der ins Extrem getriebenen Negation mit dem Vokabular seiner Zeit als „Energie"14, so denkt er sicher an jene Passage der Vorrede zur Phänomenologie, die die „ungeheure Macht des Negativen" oder die Macht des „Verstandes" als die „Energie des Denkens" selbst begreift (PG, S. 26). Die Energie des Denkens ist die Energie des „reinen Ichs" (ebd.); und wer die rückhaltlose Entfesselung dieser Energie, die bloße Negation zur Grundlage seiner Freiheit macht, genießt die Freiheit des von Hegel als ,animalisch' denunzierten ,Eigennutzes'.15 Entsprechend liest Blanchot die Gewaltorgien Sades nicht als Orgien des Begehrens, sondern als sorgsam inszenierte Auftritte des „absoluten Egoismus".16 Blanchot schreibt: „Es 12
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Maurice Blanchot, La raison de Sade, in: Lautréamont et Sade, Paris 1963 (1. Auflage 1949), S. 1549, Zitat: S. 42. G. W. F. Hegel, Grundlinien einer Philosophie des Rechts, in: Werke Bd. 7, S. 51 f.
Ebd., S. 42. Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S. Blanchot, La raison de Sade, S. 23.
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ist in diesem Universum der Erregung und der Leidenschaft sehr auffallend, daß Sade, weit davon entfernt, das Begehren an erste Stelle zu setzen, dieses Begehren vielmehr unterordnet und für verdächtig hält. Denn das Begehren verneint die Einsamkeit und führt zu einer gefährlichen Anerkennung der Welt der Anderen [une dangereuse reconnaissance du monde d'autrui]".17 Ich werde auf die Frage des Begehrens noch zurückkommen. An diesem Punkt am Ende des ersten Teils von Blanchots Essay ist zunächst nur von Bedeutung, daß der ,absolute Egoismus' Sades gelesen werden muß wie eine Bewußtseinsgestalt der Phänomenologie des Geistes; als ein Absolutes, das sich letztlich doch als Kompromißfigur herausstellt und von seinen eigenen Voraussetzungen eingeholt wird. Die absolute Freiheit des Schriftsteller-Terroristen verwirklicht sich im Medium der Sprache, ignoriert aber, daß sie dies tut. Sade befreit sich schreibend von allen Ketten, aber „er schreibt, er tat nichts anderes", und bleibt also, schreibend, an die Sprache gebunden. Die Schlußpassagen des ersten Teils von Blanchots Essay sprechen vom déchaînement, vom Wüten der Revolution und von der Entfesselung des Schriftstellers (PF, S. 309); der zweite Teil beginnt mit den Worten: „Die Literatur ist an Sprache gebunden" (PF, S. 3 ll).18 -
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II. In der zweiten Vorrede zur Wissenschaft der Logik schreibt Hegel, in allem, was dem Menschen „zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt" werde, was er „zu dem Seinigen" mache, habe sich „die Sprache eingedrängt".19 Die Sprache ist das Medium der Abstraktion und also des Denkens; wer denkt, abstrahiert, weil er spricht. In diesem Zusammenhang ist auch die bereits zitierte Passage aus der Vorrede der Phänomenologie zu sehen, in der Hegel die Macht des Verstandes als Vermögen bestimmt, das „gebundne und nur in seinem Zusammenhange mit anderm Wirkliche" aus diesem Zusammenhang zu reißen und es in das „Geschiedne, Unwirkliche" zu verwandeln (PG, S. 25f.). Schon Kojève bemerkt, dieses Wunder, „daß etwas von etwas anderem wirklich Unscheidbares gleichwohl ein geschiedenes Dasein erlangt", sei nur in der Sprache möglich. Der Riß aus dem Zusammenhang mit anderem vollzieht sich im Sprung von der eingebundenen Sache zum arbiträren Namen. Das Unscheidbare erhält ein „eigenes Dasein", es wird zum „Sinn", indem die Sprache es durch Wörter substituiert, die an nichts gebunden, sondern als phonetische oder graphische beliebig sind.20 -
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Ebd., S. 42.
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Leider ist in der Buchfassung des Essays die Grenze zwischen den beiden Teilen der Zeitschriftenfassung verwischt. Wahrscheinlich liegt ein Mißverständnis des Setzers vor. In der Ausgabe von 1949 bildet die letzte Zeile des ersten Teils zufällig die Schlußzeile einer Seite; der Text des zweiten Teils fährt ohne erkennbare Unterbrechung auf der folgenden Seite fort. In der hier zitierten Ausgabe (dépôt légal: février 1997) fällt der Übergang dann mitten in einen Absatz. Der zweite Teil des Textes beginnt auf S. 311 unten mit den Worten „La littérature est liée au langage [...]". G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), neu herausgegeben von HansJürgen Gawoll, Hamburg 1990, S. 10. Kojève, Introduction, S. 545, dt. S. 235.
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Kojève bewegt sich dabei immer schon auf dem Boden der Hegelschen Lehre, daß das der Wirklichkeit des Geistes Geschiedene zwar anderes als Geist zu sein scheint, daß es sich als Aufgehobenes aber als sein anderes, als Moment seiner Selbstverwirklichung erweisen muß. Blanchot bindet diese Hegellektüre wieder an den von Hegel selbst drastisch genug formulierten Akt der Vernichtung zurück, mit dem die Aufhebung einsetzt.
von
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Er schreibt:
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„Ich sage: diese Frau. Hölderlin, Mallarmé und insgesamt alle, deren Dichtung das Wesen der Dichtung zum Thema hat, haben im Akt des Nennens ein beunruhigendes Wunder gesehen. Das Wort gibt mir, was es bezeichnet [signifier], doch was es bezeichnet, wird zunächst beseitigt/aufgehoben [supprimer]. Damit ich sagen kann: diese Frau, muß ich ihr auf die eine oder andere Weise ihre Wirklichkeit aus Fleisch und Blut nehmen, sie in Abwesenheit setzen [rendre absente] und sie vernichten. Das Wort gibt mir das Sein, doch das gegebene Sein ist seines Seins beraubt [privé d'être]. Es ist die Abwesenheit dieses Seins, sein Nichts, das, was von ihm bleibt, wenn es das Sein verloren hat, das heißt das bloße Faktum, daß es nicht ist. So gesehen ist Sprechen ein sonderbares Recht. Hegel, darin Freund und Vertrauter Hölderlins, schrieb in einem vor der Phänomenologie entstandenen Text: ,Der erste Akt, wodurch Adam seine Herrschaft über die Tiere konstituiert hat, ist, daß er ihnen Namen gab, d.h. sie als Seiende vernichtete'." (PF, S. 312)21
gibt mir, was es bezeichnet, „mais d'abord il le supprime". Kojève übersetzt ,aufheben' mit supprimer', greift aber häufig, weil dem Ausdruck das bewahrende Moment fehlt, zu der Verlegenheitsübersetzung supprimer dialectiquemenf. Die Tatsache, daß Blanchot Hegel zitiert, legt es also nahe,,supprimer' als,aufheben' zu lesen. Doch in dem Hegelzitat ist nur von einem Moment der Aufhebung die Rede, von der Vernichtung. Das Wort
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Auch in diesem engeren Sinne kann ,supprimer' gelesen werden. In Kojèves Erläuterung der Wendung supprimer dialectiquemenf fungiert supprimer' selbst als nur ein Moment neben ,conserver' und ,sublimer'.22 Blanchot hebt in seiner Lektüre den engeren Sinn des Ausdrucks hervor. Er bricht sein Zitat nach dem Wort „vernichtete" ab und isoliert so das destruktive Moment des Nennens, das Hegel andernorts als „Ertötung der sinnlichen Welt in ihrem unmittelbaren Dasein" bestimmt.23 Um die sprachphilosophischen und poetologischen Implikationen dieser Operation in der gebotenen Kürze darstellen zu können, muß ich mich hier auf einen Kommentar des Satzes „Ich sage: diese Frau." beschränken. „Je dis: cette femme" ist eine Reformulierung von Maliarmes berühmtem Satz „Je dis: une fleure!" Der Satz zitiert aber darüber hinaus eine Reihe weiterer Texte und ist insgesamt einer der dichtesten Sätze in Blanchots Essay. Ich beginne meinen kurzen, se,
,
Bei dem zitierten Text handelt es sich um eines von Hegels Jenaer Systemfragmenten, das in seiner ersten Fassung den Titel „Potenz der Sprache" trug: Vgl. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, S. 197 (Titel) und S. 201 (Zitat). Vgl. Kojève, Introduction, S. 457, dt. S. 144. In der Nürnberger Enzyklopädie für die Oberklasse heißt es: „Die Sprache ist die höchste Macht unter den Menschen. Adam, heißt es, gab allen Dingen (Tieren) ihren Namen. Die Sprache ist die Ertötung der sinnlichen Welt in ihrem unmittelbaren Dasein, das Aufgehobenwerden derselben zu einem Dasein, welches ein Aufruf ist, der in allen vorstellenden Wesen widerklingt" (Werke 4, S. 52). -
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lektiven Kommentar mit der naheliegendsten Bemerkung: Die Ersetzung des unbestimm„une" durch das Demonstrativum „cette" bindet Maliarmes Satz an Hegels Ausführungen über die ,sinnliche Gewißheit' zurück. Nicht von ,einer Frau' ist die Rede, sondern von „dieser Person hier, die jetzt da ist" (PF, S. 313). In Hegels Analysen der sinnlichen Gewißheit tritt das aufs singuläre Seiende zielende Dieses bekanntlich in der „gedoppelten Gestalt" des Hier und des Jetzt auf (PG, S. 71). Die sinnliche Gewißheit geht auf den Gegenstand als „das Einzelne", sie „weiß reines Dieses"; und um sie in diesem Wissen zu erschüttern genügt es, Hegel zufolge, zu „fragen", was das „Diese" sei, das heißt sie zum Sprechen zu bringen; denn indem wir das Einzelne „Dieses" nennen, „nennen wir ein Allgemeines" (PG, S. 70f.). Die Sprache ist Medium des Allgemeinen und verwandelt in Allgemeines, was sie sagt. Die einzige Möglichkeit, das Sinnliche in seiner Einzelheit zu bewahren, wäre, auf die Frage, was es sei, nicht zu antworten. Sprechen wir erst, so ist das Einzelne immer schon Name und das „Diese" immer schon „das allgemeine Diese". Hegel schreibt:
ten Artikels
„Als ein Allgemeines sprechen wir auch das Sinnliche aus; was wir sagen, ist: Dieses, das heißt das allgemeine Diese; oder: es ist; das heißt das Sein überhaupt. Wir stellen uns dabei freilich
nicht das allgemeine Diese oder das Sein überhaupt vor, aber wir sprechen das Allgemeine aus; oder wir sprechen schlechthin nicht, wie wir es in dieser sinnlichen Gewißheit meinen. Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung, und da das Allgemeine das Wahre der sinnlichen Gewißheit ist, und die Sprache nur dieses Wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, daß wir ein sinnliches Sein, das wir meinen, je sagen können." (PG, S. 71f.)
Eine der wenigen kritischen Fußnoten in Jean
Hyppolites Kommentar zur Phänomenolo-
gie des Geistes gilt Hegels Sprachphilosophie und ihrer Tendenz, die „existants singuliers" verschwinden zu lassen.24 Diese Kritik liegt nahe und es liegt ebenso nahe, die Sprache der
Dichtung als ein Medium zu begreifen, das den Zug zum Allgemeinen kompensiert und den Kontakt zu den Dingen in ihrer Singularität wieder herstellt. Gerade das tat Blanchot aber nicht. Wenn er Hegels Analysen der sinnlichen Gewißheit mit Mailarmes Poetologie engführt, so tat er das, weil Mallarmé die Einsichten Hegels am konsequentesten beherzigte.25 In dem 1946 erschienen Aufsatz „Mallarmé et le langage"26 schreibt er: „Für Mallarmé zeigte sich der Charakter der Sprache am schlagendsten darin, daß sie bezeichnet und abstrahiert. Jedes Wort, selbst ein Eigenname, selbst der Name Mallarmé, bezeich24
25
26
Vgl. Hyppolite, Genèse et structure, S. 87, Anm. Die Frage, ob Mallarmé Hegels Text gekannt hat ist in diesem Zusammenhang nicht weiter von Belang. Blanchot geht davon aus, daß Mallarmé allenfalls einen „Eindruck" von Hegels Denken gewonnen hat (vgl. Maurice Blanchot, L'espace littéraire, coll. folio essais, Paris 1988 [erste Auflage 1955], S. 136). Peter Szondi dagegen spricht von ,,Hegelkenntnisse[n]" und bemerkt, Mallarmé habe sich „vor allem 1866 intensiv mit Hegels Schriften beschäftigt" (Peter Szondi, Das lyrische Drama des Fin de siècle, Frankfurt am Main 1975, S. 112). Die Frage, wie gut die Kenntnisse wirklich waren, ist aber für Szondis Mallarmé-Lektüre so wenig von Bedeutung wie für diejenige Blanchots. Sie ist, wie Paul de Man bemerkt, „a largely academic matter": „In 1866 Mallarmé did not need to read Hegel to encounter certain shared problems and to confront them in an analogous fashion" (Paul de Man, Critical Writings 1953-1978, Minneapolis 1989, S. 28). Die hier zitierte Buchfassung des Textes trägt den Titel „Le mythe de Mallarmé" (PF, S. 35-48).
Abstraktion, Attraktion Maurice Blanchot liest Hegel
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nicht ein individuelles Ereignis, sondern die allgemeine Form dieses Ereignisses: was es auch sei, es bleibt eine Abstraktion. [...] Aber ist es nicht bemerkenswert, daß die Dichter und Schriftsteller seit der Klassik selten mit diesem Gesetz zufrieden waren und eher versuchten, es umzukehren? Sie versuchten, das Wort an die Sache zu binden, es mit dem zu verschmelzen, was ihre Einzigartigkeit ausmacht [...]. Mallarmé kommt daher eine Ausnahmestellung zu. Er, der mehr als jeder andere die Rede verdammte, der Klarheit, Ordnung, Logik und das heißt: alles was den allgemeinen und abstrakten Charakter der Sprache ausmacht fehlt; er schätzte auch diesen Charakter als obersten Wert der Sprache und als Bedingung der dichterischen Form selbst" (PF, S. 37f). net
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Blanchot interpretiert Mailarmes Sprache als eine, die die unvermeidliche Zerstörung des singulären Seienden im Namen nicht kompensiert, sondern forciert. Er schreibt Mallarmé eine Ausnahmestellung unter den Dichtern zu, weil dieser den abs-trahierenden, vom Einzelnen weg-ziehenden Charakter der Sprache zum Grundzug seiner Dichtung macht. Und als Programmtext dieser Dichtung zitiert er die bekannte Passage aus Crise de vers: „Ich sage: eine Blume! und, jenseits der Vergessenheit, der meine Stimme jede Kontur über-
antwortet, als etwas anderes als die gewußten Kelche, erhebt sich musikalisch, Idee selbst und sanft, die aus allen Sträußen abwesende. [Je dis: une fleur! et, hors de l'oubli où ma voix relègue aucun contour, en tant que quelque chose d'autre que les calices sus, musicalement se lève, idée même et suave, l'absente de tous bouquets.]"27
Das Wort des Dichters gibt nicht diese und jene Blume, sondern „die aus allen Sträußen abwesende", eine Abstraktum, die Abwesenheit der Blume selbst. Und weil Mallarmé weiß, daß auch dieses Abstraktum nicht rein ist, daß es als Name einer Sache interpretierbar bleibt, schafft er Metaphern-Fluchten, die durch kein angebbares verbum proprium mehr integriert werden, in denen eine Figur die andere hervortreibt, ohne daß sich angeben ließe, was sie eigentlich' sagt. Blanchot schreibt:
„Deshalb ist die Welt der Bilder, nach der Mallarmé sucht, eine Flucht [une fuite], eine Negation eher als eine Manifestation von Bildern. Die Figuren sind nicht nur verkürzt, gegen den Strich gesetzt, unbestimmt, sondern folgen einander in einem so schnellen Rhythmus, daß keine dieser Figuren der von ihr umrissenen Wirklichkeit Zeit läßt, zu existieren, uns durch ihre Vermittlung gegenwärtig zu werden. Darin liegt der Irrsinn [la gageure]. Wenn ich sage: ,die von allen Sträußen abwesende', so lösche ich zweifellos für einen Augenblick die Blume aus, die ich sonst sehen müßte, aber nur, um meinen Blick und meinen Geist auf eine andere, nicht weniger sperrige, nicht weniger schwerfallige Sache zu lenken; diese muß ihrerseits unter dem Druck eines noch labileren Bildes weichen, und so immer weiter, von Figuren zu Figuren, unruhige Bilder, eher Akte als Gestalten, eher Sinnübergänge als Ausdrücke." (PF, S. 40)
Charakteristisch für Blanchots Lektüre ist, mit welcher Insistenz er den zerstörerischen Zug des „trajectoire infini" hervorkehrt, jene „Vernichtung", die er in La littérature durch das Hegelzitat einführt. Wenn die sprachlich produzierte Abwesenheit sich „halten" kann,
so nur in der „Bewegung selbst der Flucht" (PF, S. 69). Diese zerstört aber die Integrität des einzelnen Ausdrucks so sehr wie die des Referenten; die „ins Unendliche" fortgetrie27
Stéphane Mallarmé, Kritische Schriften. Französisch und Deutsch, übersetzt von Gerhard Goebel von Christine Le Gal, Gerungen 1998, S. 228.
unter Mitarbeit
Andreas Gelhard
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Übertragung macht die einzelnen Wörter als Träger des Übergangs „überflüssig" (PF, S. 40f.). Maliarmes „wesentliche" Sprache soll eine umfassende Vernichtung der alltäglichen („rohen" oder „unmittelbaren") Sprache vollziehen; sie soll uns von der Welt sprachlich verfügbarer Gegenstände „befreien" (PF, S. 46). Folgt man dieser Lektüre, so vollzieht Mallarmé in der sprachlichen Komposition selbst, was Sade durch die Schilderung von Gewaltexzessen versucht: die Abstraktion von Allem. Und wo Sade die einsame Souveränität des Libertin beschwört, strebt Mallarmé nach dem einsamen, absolut selbstgenügsamen Werk, das, nach einem Wort aus Quant au livre, „ganz allein statthat": „il a lieu tout seul: fait, étant".28 Es ist nun Blanchots Ziel zu zeigen, daß diese Einsamkeit unhaltbar ist; daß Sade zwar von der „Welt der Anderen" abstrahieren kann, nicht aber von dem Begehren, das die Einsamkeit auf Anderes öffnet; daß Mallarmé zwar die „Welt der Dinge" reduzieren kann, nicht aber das Geschehen der Sprache, das auch dann nicht erlischt, wenn die Worte keinem angebbaren Gegenstand mehr entsprechen. Der Dichter kann von allem abstrahieren, er kann die Negation ins Extrem treiben er kann sich aber niemals von demjenigen Geschehen befreien, das in der Negation selbst im Spiel ist. Man könnte diese Pointe Blanchots noch als hegelianisch bezeichnen, wenn er das genannte Geschehen als die ,Wirklichkeit des Geistes' begriffe, die jedes individuelle bene
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Tun überschreitet und sich als Werk Aller und Jeder' verwirklicht. Blanchot spricht aber nicht von Geist, sondern von Sein und bestimmt das Geschehen dieses Seins als ein Ent-werken, „le désoeuvrement de l'être". In einem Abschnitt von L'espace littéraire, der Maliarmes Erfahrung der Negation gewidmet ist, heißt es: „In der Unwirklichkeit selbst stößt der Dichter auf eine unbestimmte Präsenz, von der er sich nicht lösen kann [...]; nicht weil [...] die Arbeit der Negation zu früh beendet worden wäre, sondern weil, wenn es nichts gibt, dieses Nichts nicht weiter negiert werden kann, weil es affirmiert und wieder affirmiert, weil es das Nichts als Sein sagt, das Ent-werken des Seins [le désoeuvrement de l'être]".29 Blanchot interpretiert Maliarmes Sprache der Entgegenständlichung mit Hegel als eine Sprache der rückhaltlosen Abstraktion oder abstrakten Negation, begreift die Umkehrung des Negativen „in das Sein" aber nicht als Aufhebung, sondern als beständige Affirmation und Reaffirmation des Seins der Sprache im Geschehen der sprachlichen Negation selbst. Was diese sprachliche Überschreitung des sinnlichen Seienden, des einzelnen Werkes und der individuellen Selbstverwirklichung von Hegels Selbsterzeugung des Geistes trennt, ist die Unmöglichkeit, das Geschehen der Sprache als ein Geschehen der Verwirklichung, oder genauer: der Verwer&lichung zu verstehen. Kojève und Hyppolite heben in ihren Hegel-Kommentaren mit sehr unterschiedlichen Akzenten den schöpferischen Charakter der Negation hervor und charakterisieren das Resultat der „négation créatrice" als „Oeuvre".30 Blanchot begreift das Geschehen der ,
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Mallarmé, Kritische Schriften, S. 240. Blanchot, L'espace littéraire, S. 138. Der letzte Satz von Kojèves Abhandlung über Hegels „dialectique du réel" lautet: „Dire qu'il y a Totalité ou Médiation, ou Suppression-dialectique, c'est dire qu'en plus de VÊtre-donné, il y a encore YAction-créatrice qui aboutit à une Oeuvre" (Kojève, Introduction, S. 528, dt. S. 216). Hyppolite
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Sagens, das nur im Entgleiten des je einzelnen Gesagten zugänglich wird, als Geschehen des désoeuvrement. Indem er das, was das unausgesetzte Abstrahieren, Verunwirklichen und Entwerken der Literatur in Gang hält, als Begehren denkt, kehrt er aber nicht nur denjenigen Zug des Schreibens hervor, den Sade depotenzieren und verdrängen muß, um die einsame Souveränität des Libertin nicht zu gefährden; sondern er unterminiert auch das Privileg der von Hegel so genannten „gehemmten Begierde", das heißt der Werke schaffenden „Arbeit", aus der Kojève zufolge das gesamte „Gebäude" der Weltgeschichte
hervorgeht.31
Ich komme in diesem Zusammenhang ein letztes Mal, abschließend auf den Satz „Je dis: cette femme" zurück. Blanchot ersetzt in ihm nicht nur „une" durch „cette", sondern „une fleur" durch „cette femme", und er zitiert so einen Text, der von der ersten bis zur letzten Seite dem Begehren gewidmet ist: André Bretons L'amour fou?1 Breton erzählt darin von der Begegnung, die den Anstoß zu seinem Roman Nadja gab. Nachdem die Frau, die er Nadja nennt, erstmals den Raum betreten hat, beginnt der folgende Abschnitt des Textes mit den Worten „Cette jeune femme qui venait d'entrer ...". Der Erzähler bemerkt, „[que] cette femme était scandaleusement belle" und kommt dann noch einmal auf „cette jeune femme" zurück; die beiden folgenden Abschnitte des Textes beginnen mit der .".33 nun schon formelhaften Wendung „Cette femme ...", „Cette femme Die monotone und zuweilen hämmernde Insistenz, mit der Breton von dieser Frau zu dieser Zeit an diesem Ort spricht, beschwört und verabschiedet Nadja zugleich. Das Begehren artikuliert sich in einer Kette von diese, diese, diese, diese, diese, die von der Anziehungskraft Nadjas zeugen und zugleich von ihr abstrahieren. Zu den Texten, in denen Blanchot die Aporien dieses Begehrens besonders eingehend analysiert, gehört der Essay „Le regard d'Orphée".34 Orpheus, der häufig als Inbegriff -
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geht sparsamer mit Majuskeln um, aber auch in seinem Kommentar häufen sich, nachdem er die Dialektik des Werkes zum Modell der Dialektik insgesamt erhoben hat, Ausdrücke wie „sujet créateur", „esprit créateur" und „négation créatrice" (vgl. Hyppolite, Genèse et structure, S. 300, 317f., 448 U.Ö.). 31
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135 und Kojève, Introduction, S. 29, dt. S. 41f; zum „Gebäude" der Geschichte: ebd., S. 162, dt. S. 50. André Breton, L'amour fou, coll. folio, Paris 1976. Eine weniger selektive Lektüre von Blanchots Essay hätte von Anfang an seine Bemerkungen über Breton und die Surrealisten berücksichtigen müssen, deren Bedeutung Blanchot nicht zuletzt deshalb hervorhebt, weil Sartre sie in der kurz zuvor erschienenen Kampfschrift Qu 'est-ce que la littérature? so harsch aburteilt. Für Sartre markiert der Surrealismus den „Endpunkt" einer Entwicklung, die im 18. Jahrhundert mit einer „Literatur der Negativität" beginnt, unter der Herrschaft des Bürgertums in den „Zustand absoluter und hypostasierter Negation" übergeht und mit den Surrealisten in einen „vielfarbigefn] und schillernde[n] Vernichtungsprozeß" ausläuft (Sartre, Qu 'est-ce que la littérature?, S. 174, dt. S. 102). Wie aus meiner bisherigen Lektüre hervorgeht, bezweifelt Blanchot diese Diagnose nicht, sondern versucht, sie im Rekurs auf Sade und Mallarmé, die bekanntlich beide zum surrealistischen Kanon gehören besser zu begründen als Sartre selbst es tut. Die eigentliche Kritik an Sartre richtet sich gegen dessen Alternativmodell einer engagierten Literatur, die die Dinge beim Namen nennt, um die Arbeiterschaft zu belehren, und die mit ihrer Doktrin einer absolut transparenten Sprache alles in den Wind schlägt, was Hegel je über Sprache geschrieben hat. Vgl. Breton, L'amourfou, S. 62-65. Blanchot, L'espace littéraire, S. 225-32.
Vgl. zur „gehemmten Begierde": PG, S.
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Andreas Gelhard
des allmächtigen Dichters verstanden wurde, weil sein Gesang die Natur bändigt und ihm Zugang zur Unterwelt verschafft, erscheint darin als doppelt machtlos. Er kann Eurydices Tod nicht ertragen und folgt ihr in die Unterwelt; doch dasselbe Begehren, das fordert, Eurydice zurückzuholen, zwingt ihn auch auf dem Rückweg, sich umzusehen und sein Unternehmen scheitern zu lassen. Auch dieses Scheitern eines Werkes, das nicht ein Ding, sondern die Gemeinschaft mit Eurydice (wieder) herstellen soll, bezeichnet Blanchot als eine Erfahrung des désoeuvrement. Orpheus' „Zurückschaun" bedeutet, wie es in einem Blanchot gut bekannten Gedicht Rilkes heißt, „die Zersetzung dieses ganzen Werkes, das erst vollbracht wird".35 Wenn es für Blanchot so etwas wie eine ,Urszene' des Schreibens gibt, dann ist es dieses Zurückschauen auf dem Weg des Orpheus, der Wendepunkt, in dem Attraktion und Abstraktion zusammenfallen. Dieser Punkt markiert zugleich die Stelle, an der man beginnen müßte, alle zitierten Texte Blanchots noch einmal zu lesen; nicht im Hinblick auf seine Lektüre Hegels, sondern im Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit demjenigen Denker, der versucht hat, das Begehren ganz aus dem Anspruch der Anderen zu denken: mit Emmanuel Levinas.
Rainer Maria Rilke, Orpheus. Eurydike. Hermes, in: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. I: Gedichte. Erster Teil, Frankfurt am Main 1987, S. 542-545, Zitat: S. 543.
IL
Emphatische Lektüren
Bernard Bourgeois
Jean Wahl als Leser von
Hegel
Mit Jean Wahl (1888-1974) setzt sich Hegel wirklich und dauerhaft in der französischen Universität des 20. Jahrhunderts durch, vermittelt durch einen anerkannten Philosophiehistoriker. Nun wird dieser Philosophiehistoriker sich paradoxerweise als Philosoph erweisen, zu dem es wesentlich gehört, daß er nichts von einem Hegelianer an sich hat. Denn in den Werken seiner eigenen Philosophie, die er gegen Ende des Krieges oder danach veröffentlicht, organisiert Jean Wahl als Philosoph ebenso Dichter wie Künstler seine Überlegungen nicht systematisch, weil deren dialektische Lebendigkeit zugleich von der Intuition und dem Gefühl geleitet wird. So wird in Werken wie Existence humain et transcendance (1944), Traité de métaphysique (1953) und L'expérience métaphysique (1964) als Anti-Hegelianismus die kritische Bedeutung entwickelt, die im Titel des Buch-Manifests zum Ausdruck kommt, das ihnen 1932 vorangeht: Vers le concret [Zum Konkreten]. Wenn man sich nämlich immer noch nur auf das Konkrete ausrichten soll, dann, weil derjenige Denker, der daraus den Inhalt der Philosophie zu machen vorgab, nämlich Hegel, dies nicht erreicht hatte. Das Werk von Jean Wahl über Hegel, Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel (1929), gehört zur ersten Periode seines Werks der Jahre 1920 bis 1940, in denen er vor allem als Philosophiehistoriker hervortritt: 1920 erscheinen seine beiden akademischen Abschlußarbeiten Les philosophies pluralistes d'Angleterre et d'Amérique sowie Du rôle de l'instant dans la philosophie de Descartes, einige Jahre später dann seine Etude du Parménide de Platon, und schließlich, als Abschluß dieser Periode, 1938 seine Etudes kierkegaardiennes. Die hier hervortretende raum-zeitliche Bandbreite seiner philosophiehistorischen Interessen relativiert sein eher punktuelles Hegelianisieren, während die theoretische Fixierung auf Hegel, dessen Beitrag umfangreich und zugleich schwierig ist, oft ängstliche Sorgfalt verlangt. Außerdem tendiert die inhaltliche Thematik dieses zerstreuten Feldes keineswegs in Richtung auf eine Repräsentation des vollständigsten deutschen Systems der ewigen Vernunft, weil zu diesem Inhalt auch der -
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Bernard Bourgeois
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angelsächsische Pluralismus gehört, eine Betonung des Wertes des Augenblicks oder der dänische Opponent des hegelianischen Rationalismus. Eine solche Situation des Textes von 1929 läßt bei Wahl nicht unbedingt eine sehr hegelianische Tonart erwarten, sondern eher so etwas wie ein nicht-hegelianisches Denken von Hegel oder ein Hegelsches Denken, das nicht Hegel selbst wäre, wenn er als der große Systematiker des Begriffs verstanden wird. Und es steht tatsächlich wenigstens fest, schon durch die Wahl des Titels, und also des Themas, mit Hilfe dessen Jean Wahl sich die Philosophie von Hegel darzustellen vornimmt, daß dieser ein anderer Hegel sein wird als derjenige, der ein gutes Jahrhundert zuvor den Franzosen auf flüchtige Weise durch Victor Cousin entdeckt wurde. Im ersten Abschnitt des folgenden Textes geht es um die Bereicherung der französischen Entdeckung Hegels durch Jean Wahl. Im zweiten Teil steht das Vorgehen der Lektüre Hegels durch Wahl im Vordergrund. Drittens soll abschließend der Inhalt dieser Lektüre selbst beurteilt werden.
I. 1929 ist es also mehr als ein Jahrhundert her, daß Frankreich Hegel aufzunehmen und zu verstehen sucht, in sowohl theologischen wie politischen Auseinandersetzungen, deren Entwicklung sich kontrastiv erläutern läßt.1 Nach einer ersten kurzen ausschnitthaften und unklaren Anwesenheit im französischen Universalismus, die Hegel der „Freundschaft" von Victor Cousin verdankt, sowie einer ersten Periode der Übersetzungsarbeit (vor allem an der Ästhetik und der Enzyklopädie) wie auch der Interpretation, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts oft durch eine ihm feindlich gesonnene Ideologie bestimmt war, wird Hegel nach dem Krieg von 1870 ganz allgemein als der politische Philosoph des preußischen imperialistischen Autoritarismus verworfen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Jaurès und Lévy-Bruhl zuerst sozial, nach der Reparation von 1918 dann auch politisch rehabilitiert, wird er wieder zum Gegenstand eines intellektuellen und geistigen Interesses, das sich ausweiten wird. Einige bedeutende philosophiehistorische Arbeiten werden ihm gewidmet, wie, um einige der besten zu zitieren, La logique de Hegel von George Noel, 1897 gedruckt, und das Werk von Pierre Roques, Hegel, sa vie et ses oeuvres, publiziert 1912. Im Schulunterricht und sogar auf den Universitäten beginnt man, über Hegel zu arbeiten. So macht ihn Alain zwischen 1920 und 1930 zum Gegenstand von drei Lehrveranstaltungen.2 Gleichwohl bleibt diese wirklich nur beginnende Anwesenheit im französischen philosophischen Leben auf der institutionellen Seite stark eingeschränkt, und das in jeder Hinsicht. Zunächst einmal räumt man Hegel keinen Platz mehr ein. Dafür gibt es ein aussagekräftiges Beispiel, das einen Ort betrifft, an dem Jean Wahl später eine Verantwortung als Präsident besitzt. Die „Société française de philosophie", die sich sonst bei Hun-
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Der Verfasser hat dazu einen Rekonstruktionsversuch vorgelegt, vgl. B. Bourgeois, Hegel en France: le destin français des Principes de la philosophie du droit (1988), wiederaufgenommen in: ders., Etudes hégéliennes: raison et décision, Paris 1992, S. 371^400; vgl. ders., Hegel en France, in: Philosophie politiquear. 5 (1994), S. 173-188. Vgl. vom Verfasser: Alain lecteur de Hegel, in: Alain lecteur des philosophes, de Platon à Marx, Paris 1987, S. 127, Anm. 2.
Jean Wahl
als
Leser von Hegel
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dertjahrfeiern nicht zurückhält (Spinoza, Malebranche, Kant, Maine de Biran, Saint-Simon), gedenkt 1931 nicht des Todes von Hegel und widmet ihm in der ganzen Zeit seit ihrer Gründung 1901 bis 1939 nur eine einzige Sitzung, deren Verlauf am 31. Januar 1907 wiederum sehr symptomatisch ist. Der starke Mann der Gesellschaft und im übrigen auch jedweder philosophischen Institution in Frankreich bis zum Zweiten Weltkrieg, Léon Brunschvicg, der sonst häufig in die Diskussionen eingreift, die sich an die Vorträge anschließen, sagt bei dieser Gelegenheit kein Wort; immer noch hält er denjenigen Philosophen auf Distanz, dessen Dialektik vor jeder Vereinigung die Trennung setzt:
„Als ob man den Leuten", sagt er ironisch am selben Ort im Jahr 1923, „zuerst eine
Scheidungsurkunde aushändigen müßte, bevor man ihnen erlaubt zu heiraten!".3 An der Auseinandersetzung über den Vortrag des hervorragenden René Berthelot der als Figur des französischen Hegelianismus hervorgehoben zu werden verdient und der in seinem Beitrag „Über Notwendigkeit, Zwecksetzung und Freiheit bei Hegel" eine sehr genaue Kenntnis des Hegelschen Denkens bewies beteiligten sich die großen Historiker der auch deutschen Philosophie wie Emile Boutroux und Victor Delbos: Ihre Bemerkungen konnten angesichts der Umstände entscheidendes Gewicht haben. Die angesehenen Philosophiehistoriker der Zeit haben damals aber eben in Frankreich die Hegelstudien nicht befördert. Und selbst bei philosophischen Innovationen, sogar in dem Bereich, wo Hegel in der Moderne den Ton angibt, also in der Dialektik, wird seine Stelle reduziert, wie etwa in den Arbeiten von Maurice Blondel und Octave Hamelin, die allerdings nicht unter die einflußreichen Denker der Zeit zählen. Diese zeigen, noch stärker als ihr Meister Boutroux, eine Zurückhaltung in Bezug auf den systematischen Rationalismus als auch hinsichtlich des offenen und pluralen Rationalismus, wie beispielsweise Brunschvicg, der Philosoph des reflexiven und kritischen Verstandes, im Herzen der Universität, und am Rande der Universität Henri Bergson, der Philosoph der schöpferischen Intuition, die allesamt nichts mit der als absolutistisch verschrieenen Vernunft Hegels anfangen konn-
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ten.
In zweiter Hinsicht nimmt man von Hegel nur einen Teil auf, weil er wesentlich Autor eines Systems ist, d.h. der Enzyklopädie und der Entwicklung ihrer verschiedenen Teile, ganz besonders des ersten, der Wissenschaft der Logik. Die Phänomenologie des Geistes ist die große Abwesende und das selbst im Jahr ihres 100. Geburtstages, wo in den 70 Seiten der Mitschrift der Sitzung vom Januar 1907 in der „Société française de philosophie" darauf nur ein einziges Mal verwiesen wird, und zwar beiläufig durch Victor Delbos. Selbst Alain feiert in seinen Lehrveranstaltungen wie auch später in seinen publizierten Texten (besonders den „Ideen") die systematische Exposition des vollendeten Systems von Hegel, nicht aber die systematische Exposition der phänomenologischen Bildung dieses Systems, und darum noch weniger das historische Exposé einer solchen Bildung in den Arbeiten der Jugend des künftigen spekulativen Enzyklopädisten. So interessiert man sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Frankreich kaum für den Hegel, der den lebendigen Weg von der konkretesten Erfahrung des menschlichen Bewußtseins in Richtung auf die rationale Vollendung der Wahrheit re-aktualisiert. Es ist aber dieser lebendige Hegel vor dem fixierten System und dessen reiner und strikter Begrifflichkeit, Léon Brunschvicg, Konferenz „Histoire et Philosophie" und Debatte, Sitzung vom 31. Mai 1923, in: Bulletin de la Société française de philosophie, Nachdruck, Bad Feinbach 1987, Bd. IV, S. 171.
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den der Universitätslehrer Jean Wahl ab 1929 in die Sorbonne einführt und den französischen Lesern eröffnet. Die Brillanz eines Absolventen der Ecole Normale Superière hatte sich bei Jean Wahl in den beiden Abschlußarbeiten gezeigt, die nicht nur (in der Hauptarbeit) den modernen Pluralismus mit der klassischen Genauigkeit der zweiten Arbeit in Spannung hielt und vereinte, sondern zunächst beide unter die Autorität eines zugleich verwandten und antagonistischen Denkens und das in bezug auf beide Inhalte stellte. Die erste Autorität zeigte sich in der Widmung an Emile Boutroux, der sich zwar für William James interessierte und die pluralistische Vorstellung einer „Kontingenz des Naturgesetzes"4 oder eines neuerlichen Auftauchens derselben auf jedem ontologischen Niveau behauptete, dies jedoch im Rahmen eines tiefgreifend durch die deutsche (Kantische) Modernität genährten Rationalismus tat; die zweite Autorität war Bergson, der als Philosoph der Gegenwart geehrt wurde, einer Gegenwart allerdings anders als noch bei Descartes -, welche die einfache wiederholte Schöpfung der Bewahrung zugunsten einer wahrhaften Erschaffung unvorhersehbarer Neuheit aufgab. Ein vergleichbarer Versuch der Annäherung von Entgegensetzungen, eine ähnliche dialektische Kreisbewegung im lebendigen Zugriff auf eine auf unendliche Weise unterschiedliche Kultur bestätigte sich mit der Wahl des nächsten Gegenstandspaares, dem anschließend die virtuose Überlegung von Jean Wahl galt. Die Untersuchung über den Parmenides von Piaton, veröffentlicht 1926, im wesentlichen jedoch fertiggestellt 1923, bildet den ersten dieser neuen Gegenstände. Für Wahl projiziert der Realismus von Parmenides und Piaton in das identische Sein an sich die Bewegung, durch welche es das Sein als seiend und nichtseiend denkt, so daß die Dialektik als freier Übergang einer Idee zu einer anderen die Identität mit sich selbst belebt, an welche sich die Vernunft hält, jedoch indem sie sich ihr in der Abschwächung des Nicht-Seins zur einfachen Andersheit unterordnet. Eine solche Verbindung der Vernunft und der Bewegung setzt unmittelbar einander gegenüber, nach und bei Jean Wahl, den Piaton des „Parmenides" (und auch des „Sophistes" und des „Philebos"), d.h. den ersten großen Philosophen der Geschichte, mit seinem anderen, dem letzten großen Philosophen dieser Geschichte, dem Wahl, eben im Jahr 1926, einen Artikel in der Revue philosophique unter dem Titel „Anmerkung über die Denkbewegung bei Hegel" widmet.5 Auguste Dies unterstreicht in seiner Rezension des Textes über den „Parmenides", daß der Autor, mit Blick auf die herangezogenen Interpretationen, eine Proklus vergleichbare kompilatorische Praxis der Kommentierung der Philosophie umsetzt Jean Wahl ist tatsächlich in dem ihm eigenen Stil der philosophischen Philosophiegeschichte ein großer Kompilator -, daß er aber zugleich auch eine Praxis nutzt, die ihm aus den Hegeischen Werken vertraut war, nämlich eine „gewisse hegelianische Forderung der Versöhnung"6 oder des Systems. Jean Wahls Untersuchung führt umsichtig in die Verschiedenheit der Dialektiken von Piaton und Hegel ein, wobei Wahl über letzteren sagt, daß dessen Genialität ebensowohl in der engen Vereinigung von Bewegung und Vernunft beruhe. So stellt die Schrift von 1929, die den Aufsatz von 1923 als erstes Kapitel nutzt, selbst eine Inbewegungsetzung der Hegeischen Vernunft dar. -
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So lautete der Titel der von Emile Boutroux 1874 verteidigten Doktorarbeit. Jean Wahl, Note sur la démarche de la pensée de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 51 (1926), S. 281-289. Rez. in: Revue d'histoire de la philosophie, 1928, S. 411.
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Leser
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Hegel also wird Wahl später Piaton und Descartes zugesellen, die er bereits vor 1929 auslegte, aber auch Kant, über den er sich immer nur zurückhaltend äußert (was bereits auf seine Interpretation des größten Postkantianers hinweist), und dieses Quartett der Großen bildet in seinen Augen das Zentrum jeder Philosophiegeschichte.7 Diesseits der im System wirkenden triumphierenden Vernunft exponiert Jean Wahl den lebendigen Aufstieg dazu. Inhaltlich verweist der Text über das unglückliche Bewußtsein einerseits wesentlich auf die sogenannten theologisch-politischen Jugendschriften über das grie-
chisch-römische Heidentum, das Judentum und das Christentum, die von Nohl 1907 veröffentlicht wurden (und unter anderem von Dilthey zwischen 1905 und 1921 kommentiert wurden), welche die Bildung Hegels und seinen langsamen Weg in Richtung auf das System im Anfangsstadium charakterisieren, andererseits jedoch auf den Abschluß dieser Bildung, wie ihn die Phänomenologie des Geistes als bereits systematische Vorstellung ausweist, ohne daß in dessen Universalisierung eine solche Bildung in Richtung auf das System am Ende vollständig erreicht wäre. Weil er nicht nur die Bildung von Hegel darstellen will, die selbst wiederum in ihren historisch-kulturellen Kontext zurückgestellt werden muß, sondern auch, im Sinne einer Darstellung des gesamten Sinns der Philosophie Hegels in erneuerter Lebendigkeit, die Verbindung dieser Bildung mit dem ausgebildeten System, mobilisiert Wahl eine erschöpfende Kenntnis des umfangreichen Textkorpus', von der Enzyklopädie und den sie entwickelnden Vorlesungen und Schriften, über die große Logik, die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, der Kunst, der Religion und bis zu denen über die Geschichte der Philosophie. Seine Gelehrsamkeit schließt auch eine beträchtliche Kenntnis der Sekundärliteratur über Hegel ein und nährt sich beispielsweise von der philosophierenden Geschichte des Lebens von Hegel durch Rosenkranz oder durch Haym, einem Zeitgenossen Hegels, von Interpretationen des Hegelianismus, wie sie von Georg Lasson, Kuno Fischer, Franz Rosenzweig, Hermann Glockner, Richard Kroner und anderen vorgetragen wurden. All das dient jedoch einer Konzentration seiner Energie auf den Kommentar eines sehr begrenzten Ausschnitts aus dem Werk Hegels: die theologischen Jugendschriften und einen Abschnitt eines Kapitels der Phänomenologie des Geistes. Natürlich spricht Wahl in all seinen Büchern über die vielfältigen Orte der Hegelschen Spekulation. Gewiß liest er über die Logik von Hegel8, er bleibt aber auch bei dieser Lektüre der Mann eines einzelnen Buches, das auf das alleinige Thema des unglücklichen Bewußtseins, als Fluchtpunkt aller vier vorgelegten Studien, ausgerichtet ist: „Sur les démarches de la pensée de Hegel", „La Place de l'idée de conscience malheureuse dans la formation des théories de Hegel", „Commentaire d'un passage de la Phénoménologie de l'esprit" (die im Anhang in Übersetzung gegeben wird) und „Sur la formation de la théorie hégélienne de la notion" (ein von George Noel geprägter Ausdruck für die Übersetzung von „Begriff"). So sieht das paradoxe Vorgehen von Jean Wahl aus: Hegel in der völligen Positivität seiner Botschaft zu entdecken, dies allerdings auf der Grundlage von einigen wenigen Seiten seines Werkes, die wiederum auf eine gewisse, eher negative Weise bestimmt sind. Es geht nun um die Analyse der damit verbundenen Implikationen. 7 8
Vg. Jean Wahl, Traité de métaphysique, Paris 1953, S. 6. Vgl. J. Wahl, Commentaire de la Logique de Hegel. Cours de Sorbonne, hg. v. Centre de Documen-
tation universitaire de la Sorbonne, Paris 1959.
Bernard Bourgeois
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II.
„Hegel verstehen" heißt, nicht die in die begriffliche Struktur des Systems hineingelegte Dialektik in ihrem gesamten, allein dem spekulativen Philosophen verständlichen Inhalt zu restitaieren, sondern die Seele oder die Lebendigkeit des Systems dort, wo sie sich als solche gibt, nämlich beim jungen Hegel, zu ergreifen, dann nicht aus dem Grund, weil die Richtung seines Denkens durch die notwendigerweise fortschreitende und nachgeprüfte Rekonstruktion seiner Bewegung erhalten werden kann, sondern durch die empirisch-intuitive, wiederholbare Aktualisierung des konkreten allgemeinen Prinzips desselben. Jean Wahl geht also sowohl in seiner Kommentierung eines bestimmten Textes von Hegel oder eines in seinen Augen in diesen Texten wiederkehrenden Themas bei Hegel eher narrativ als demonstrativ vor und zeigt in freier Folge, oft überraschend und scheinbar willkürlich, immer suggestiv, großzügig und in zugespitzten und gewagten Formulierungen, mit kurzen nervösen Anmerkungen, wo die stimulierenden Analogien die geduldige Begleitung des Begriffs ersetzen, um die Analyse voranzutreiben. Und die Bestimmung des lebendigen Prinzips der Hegeischen Entwicklung über eine konkrete Figur des Seinsbewußtseins der phänomenologischen Figur des unglücklichen Bewußtseins, die schon in den Jugendschriften antizipiert wird verstärkt bereits durch den Gegenstand das bei Wahl gewöhnlich anzutreffende subjektive Vorgehen einer Selbstvergleichung mit Hegels Rede, die also anders als in streng oder wissenschaftlich geordneter Synthese aufgefaßt wird. Denn das unglückliche Bewußtsein ist als letztes negatives Vbrstadium, wenn man phänomenologisch so reden kann, der ersten VersöhWenn
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nung des Bewußtseins als werdende Vernunft die absolute Manifestation des internen Konfliktes, der alle Bewegungen und Aspekte des Geistes betrifft: „Weil es einen Konflikt in allen diesen Hinsichten gibt, kann man sagen, daß wir in jeder einzelnen von ihnen das unglückliche Bewußtsein antreffen, welches sich zweifellos deutlicher in dieser oder jener Epoche zeigt, das sich aber in der einen oder anderen Form in allen Epochen des Lebens der Menschheit erneuert".9 Für Wahl erfüllt das Schicksal des unglücklichen Bewußtseins, welches zutiefst eines und dasselbe ist, die gesamte Geschichte der Welt in ihrer begriffenen phänomenologischen Wahrheit: Abraham, Jesus, die christliche mittelalterliche Kirche, das protestantische und das aufklärerische Bewußtsein, Kant, Jacobi, Fichte, Novalis und Schlegel etc. Mehr noch als nur die Menschheit betrifft das Unglück dieses Bewußtseins, in seiner Qualität als geistiges Prinzip all dessen, was ursprünglich zugleich ideell und natürlich ist, „das Universum, welches in der Menschheit [...] zum Bewußtsein seiner selbst gelangt"10, oder auch, in der religiösen Vollendung des geistigen Universums, Gott selbst, da „das Unglück Gottes und das Unglück des Menschen ein und dasselbe Unglück sind"." Wenn dies aber Hegel im Wesentlichen immer wieder sagt, 9
Wahl, Le malheur de la
conscience dans la philosophie de Hegel [1929], 2. Aufl., Paris 1951, chacun de ces aspects, il y a un conflit, on peut dire qu'en chacun d'eux nous trouverons cette conscience malheureuse qui s'est manifestée sans doute plus nettement à telle ou telle époque, mais qui se renouvelle sous une forme ou sous une autre à toutes les époques de la vie l'humanité". Vgl. ebd., S. VI. Ebd., S. 109.
J.
S. 94: „comme
10 11
en
Jean Wahl
als
Leser von Hegel
83
sagt er dann nicht im Grunde dasselbe wie Augustinus, Pascal, Kant, Novalis, Schleiermacher und später Kierkegaard und Nietzsche, wie Jean Wahl selbst sich nicht zu erinnern scheut? Ist es also noch Hegel? Eine solche Lektüre ist nur möglich, wenn im Hegelianismus das ihn Auszeichnende, nämlich der begriffliche oder rational systematisierte Diskurs, heruntergestuft wird auf eine einfache unwesentliche Verdeckung des gelebten, ursprünglichen religiösen Bewußtseins des Seins oder des Absoluten als in sich Zerrissenes, als durch den Tod herausgefordertes Lebendiges. Das eben ist die hauptsächliche Botschaft des Werkes von 1929. Der systematisierte Monismus der versöhnenden und als solche idealerweise belebenden Vernunft ist in Wirklichkeit das erstarrte und demnach tote Ende eines „tiefen Pluralismus"12, welcher sich in der durch den Sünder empfundenen Abweichung intensiviert, was wiederum für Wahl bei Hegel sehr präsent ist, auch wenn man fälschlich das Gegenteil annahm. In Wahrheit übersetzt die Dialektik in ihrer Bewegung eine solche Pluralität oder ursprünglich ontologische Differenz und ist kein spontaner Prozeß der Zusammensetzung eines absoluten Seins. Sie ist im Grunde „Erfahrung" und wird nur zur „Methode"13, wenn man sie als Erfahrung vergißt. Als solche philosophisch ausdrückbar als Erfahrung der sich differenzierenden Identität oder des sich verendlichenden Unendlichen ist sie zunächst eine religiöse Erfahrung, genauer noch eine christliche, des Gottes, der Mensch wird, und eben diese wird theologisch reflektiert, bevor sie scheinbar in die philosophische Autonomie gehoben wird. Hegel war Theologe, bevor er Philosoph wurde: „Teilweise ist es die Reflexion über das christliche Denken, über die Vorstellung eines menschwerdenden Gottes, die Hegel zur Auffassung des konkreten Allgemeinen geführt hat. Hinter dem Philosophen entdecken wir den Theologen und hinter dem Rationalisten den Romantiker."14 Noch genauer gesagt, ist sein System, „wo die Begriffe zunächst so wunderbar verknüpft und verbunden sind [...], Ausdruck einer lebendigen Erfahrung, als Antwort auf ein Problem, das nicht ein reines Verstandesproblem ist", nämlich desjenigen des „Einklangs des Mißklangs, der Transformation des Unglücks im Glück".15 Die Lehre Hegels will die „klassisch" beruhigende Lösung des gelebten Problems einer „romantischen Strategie"16 in einer Art von mystischer Intuition sein, die „die tiefste Verzweiflung zur unzerstörbarsten Hoffnung machen will".17 Die wahre Bedeutung des Hegelianismus wird sich aber nur dartun, insofern man unterscheidet, daß „der Mensch Hegel sein System zerstört, indem er es zugleich erklärt".18 Weil der Grund für die methodische Systematisierung der Erfahrung bei Hegel nicht, nach Wahl, die begriffliche oder logische Diskursivität ist, sondern die Positionierung durch eine freie Dialektik der Ideen, deren Sinn sich in der Selbstverneinung der unglück-
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12 13 14
Ebd., S. 70. Ebd., S. V. Ebd.: „C'est en partie la réflexion
sur la pensée chrétienne, sur l'idée d'un Dieu fait homme, qui a concret. Derrière le philosophe nous découvrons le théol'universel de à la conception Hegel logien, et derrière le rationaliste le romantique". Ebd., S. VII. Ebd., S. V. Ebd., S. 8. Ebd., S. VII.
mené 15 16 17 18
Bernard Bourgeois
84
lichen Erfahrung des Seins enthüllt, kann das wahre Verständnis dieser Dialektik nur aus der versuchsweisen begrifflichen oder logischen Rekonstruktion der Entwicklung resultieren, die notwendigerweise auf ihrem Niveau willkürlich ist. Im Wesentlichen muß man auf den Inhalt der empirischen Ideen achten, weil sie die negierende Erfahrung des Selbst ausdrücken und auf narrative Weise den Weg dieser Ideen aktualisieren, die in ihrem unmittelbaren Inhalt zu betrachten sind, als phänomenaler Schein und Offenbarung des Seins. Ist also, im Fall der Phänomenologie des Geistes, „die Dialektik selbst, insgesamt und insbesondere phänomenologisch in den Blick genommen, etwas Anderes als die Erzählung des unglücklichen Bewußtseins?"19 Man könnte sagen, daß Jean Wahl auf diese Weise tatsächlich in der hegelianischen phänomenologischen Dialektik das Dialektische und das Phänomenologische einander entgegensetzt, und wenn letzteres ersteres trägt, dann hier eher im Sinn der Phänomenologie Husserls: „Die Phänomenologie ist nicht unmittelbar eine Logik, sondern Feststellung einer Reihe von Erscheinungen".20 Gleiches sagt er viel später, als er in einer Vorlesung an der Sorbonne 1959 die dialektische Logik behandelt und feststellt, für ihn handele es sich darum, „die Logik Hegels als Phänomenologie Husserls zu präsentieren", weil es darin zu entdecken gelte, „was es an Denkelementen der Dinge selbst gibt [...] d.h. der Dinge, wie sie uns erscheinen".21 Eine gewiß harte Aufgabe, denn „das Schema der Logik Hegels ist anti-phänomenologisch"22 in seiner Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten. Eine zugleich notwendige Aufgabe aber, wenn die Erfahrung des Seins dasjenige ist, was dessen Sinn über seine logische Auffassung hinaus darlegt. Indem sich nun der Kommentar von Jean Wahl an der offenen Logizität des Hegeischen Textes festhält und nicht mehr nur auf die Phänomenologie und frühere Schriften eingeht, wird die Opposition zwischen der Dialektik Hegels und der Denkbewegung seines Interpreten deutlich, welche als Hin und Her zwischen entgegengesetzten Bestimmungen selbst wiederum dialektisch genannt werden kann. Die Interpretation enthüllt sich also als Kritik, was wenig später auch als solches eingestanden wird. Jean Wahl verwirft tatsächlich immer deutlicher die Hegeische Dialektik als einen Ausdruck, der nicht nur zweitrangig ist und die reale Existenz, aus der sie sich nährt, vergessen macht, sondern als etwas und vor allem in Bezug darauf Falsches. Die Dialektik, die in den ersten Texten von Hegel lebendig war, hat sich unglückseligerweise im Glauben daran mechanisiert, logisch oder begrifflich beherrschbar zu sein. Zwar hat die Lebendigkeit ihres Ursprungs im Widerstand gegen die logische Gewalt sie über die abstrakten und erstarrten Bestimmungen des Verstandes erhoben bis zur beweglichen Identifikation mit diesen, welche sie Vernunft nennt. Nach Wahl aber ist dieser Rationalismus nur ein Dogmatismus der Darstellung von intuitiven Verbindungen als strenge abstrakte Begriffe des Realen: „Die Genialität von Hegel besteht darin, Vernunft etwas genannt zu haben, was nicht Vernunft ist" und wohl eher „Anschauung des Realen oder Intuition"23 genannt werden sollte. Es ist nicht weniger wahr, daß eine solche rationale Erscheinung den Ausdruck des Lebens oder der realen Existenz einschränkt, weswegen man die rationale Dialektik von Hegel einer 19 20 21 22 23
Ebd., S. 15. Ebd., S. 7. Wahl, Commentaire de la Logique, S. 1. Ebd., S. 58. Ebd., S. 85.
Jean Wahl
als
Leser von Hegel
85
„empirischen"24 oder „existentiellen"25 Dialektik unterziehen muß, die zuerst in dem Werk von 1932, Mers le concret, beschrieben und gerechtfertigt wird. Diese Dialektik von Wahl bewährt sich in der Realität, deren Gegenwart allein, als das Andere des Diskurses, diesen notwendigerweise heteronomen Diskurs dazu anregen kann, sich zu etwas anderem als sich selbst zu machen, sich zu bewegen. Wie es der Traité de métaphysique analysieren
wird, ist diese Realität einerseits am Ursprung der existentiellen Dialektik das unmittelbar
Wahrgenommene, dessen Singularität
ganz im Gegensatz zu den Vorgaben Hegels, der hier den von ihm so oft bemühten Gemeinsinn verrät nicht durch die Sprache, die sie im Sprechen universalisiert, ausgelöscht wird, weil die Sprache zunächst wesentlich zur Bezeichnung dieser Singularität dient und also diese anerkennt26, weswegen diese selbe Realität andererseits das Ende besagter Dialektik darstellt, als ekstatisches Unmittelbares, worin sich auf mystische Weise der Geist realisiert.27 Was die derart rein zwischengeschaltete und nicht mehr vermittelnde Dialektik angeht, so öffnet sie sich in sich selbst und entfernt sich von jeder einseitigen prozessualen Bestimmung zugunsten der freiestmöglichen „Drehung".28 Die wahre Dialektik ist so verstanden eher „eine Oszillation als eine Dialektik"29 und eigentlich eine Dialektik, die sich verneint, die sich selbst dialektisiert. Indem sie aber derart diese „aktive und gespannte Oszillation der Ideen"30 als ein sich fixierender Prozeß ist, der sich durch einen „Gewaltakt von Hegel"31 in einer Synthese ein Sein gibt, läßt sie dann das Absolute „eher als eine Intensität als eine Totalität"32 erscheinen. Man ist hier beim Gegenteil des Hegelianismus angelangt, für den es nur das Ganze gibt. Man kann sich nun fragen, ob die Ablehnung des grundlegenden Vorgehens von Hegel durch den Philosophen Jean Wahl nicht bei diesem selbst als Philosophiehistoriker verbietet und dies aus eben dem Grund der Untrennbarkeit von Form und Inhalt des Denkens -, dasjenige in seiner Wahrheit zu restituieren, was er interpretiert. -
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III. Stellen wir also die eigene Philosophie von Jean Wahl hintan, der ein Philosoph der ExiBegriffs ist. Stellen wir auch seinen schriftstellerischen Stil hintan, der einer des Dichter-Philosophen ist, der in der Dichtung ebenso wie in der Philosophie eine „Vereinigung der Entgegensetzungen"33 sieht, Vereinigung und nicht Synthese, vielmehr ein abwechselnder Übergang im Ursprung treffender verbaler und häufig erleuchtender Begegnungen. Wenn man nur den ausgedrückten Inhalt betrachtet und beurteilt, wird man in der hegelianisierenden Literatur von Wahl zwei Arten von Interpretationen stenz und nicht des
24 25 26 27
28 29
J.Wahl, Etude sur le Parménide de Platon, Paris 1926, S. 71. Wahl, Traité de métaphysique, S. 702. Vgl. ebd., S. 18 und 330; Wahl, Commentaire de la Logique, S. 44. Vgl. ebd., S. 702. J. Wahl, Vers le concret: études d'histoire de la philosophie contemporaine, Paris 1932, S. 26. Ebd., S. 24.
30
Ebd.
31
Wahl, Traité de métaphysique, S. 504. Ebd., S. 703. J. Wahl, Poésie, pensée, perception, Paris 1948, S. 20.
32
33
Bernard Bourgeois
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unterscheiden. Der Kommentar zweiter Stufe über das System und insbesondere über den ersten Teil desselben, sogar über dessen einzigen Anfang, die Seinslogik, erlaubt kaum ein Urteil in Bezug auf seine Triftigkeit, so inhaltlich reduziert wie er sich durch das Prinzip seiner Lektüre gibt. Tatsächlich bedeutet ja die Beiseitesetzung des logisch-dialektischen Aspektes der wesentlich ist, wenn es sich um das genaue Denken des logischen Moments des Absoluten handelt -, um sich nur an den „phänomenologischen" Geist, d.h. an die Erscheinung der Logik als Logik, als einfache Reflexion der totalisierten Begriffe ineinander, und damit an eine minimale Erscheinung zu halten, die Verflüchtigung des Inhaltes selbst, den es zu interpretieren gilt. Der Einsatz einer „phänomenologischen" Behandlung der Logik von Hegel war sehr gefahrlich! Anders verhält es sich mit der Interpretation, die sich gezielter oder eingehender dem Text der Phänomenologie des Geistes oder den Jugendschriften widmet. Buchstabe und Geist der Hegeischen Philosophie, wie sie sich in Richtung auf die begriffliche Vernunft entwickelt, sind wohl respektiert, die Analysen des Geistes des Hellenismus, des Judentums und des Christentums sind ebenso angemessen wie streng und schön. In Bezug auf das Christentum und die kritischen Punkte seiner Bedeutung und seiner Existenz sieht man Jean Wahl beispielsweise sowohl mit Vorsicht die Verbindung zwischen der Vorstellung der Schöpfung und der Inkarnation behaupten34, wie auch nachdrücklich die religiöse und spekulative Selbstübersteigung der Historizität betonen: „Die Philosophie der Geschichte hört im Moment der Erscheinung und des Verschwindens von Christas auf, Philosophie und Geschichte zu sein. Sie wird religiöse Spekulation", so daß „die Tatsache als Tatsache selbst hier Idee wird"35, womit die Phänomenologie sich selbst als Noumenologie begründet. Nun ist es eben der ewige Begriff, der in sich die Historizität als eine seiner Bestimmungen aufnimmt und relativiert und der das erstrangige Element in der Hegeischen Überlegung hinsichtlich seines zu errichtenden Systems wird die Phänomenologie des Geistes war die selbst bereits systematische Einleitung dazu -, wobei Jean Wahl, der gleichwohl mit Sorgfalt sowohl die Geschichte der Themen des jungen Hegels, des Judentums bis zur Romantik, als auch die Geschichte der Themen dieser Geschichte in „der Bildung der Hegeischen Theorie des Begriffs" verfolgt, die Geschichte und den Begriff in seiner Untersuchung des Wesens des unglücklichen Bewußtseins identifiziert. Doppelt untreu gegenüber Hegel historisiert er den gleichwohl allgemeinen Inhalt des unglücklichen Bewußtseins, welches er zugleich in der dialektisch sitaierten Form universalisiert. Einerseits wird die begriffliche Dialektik des unglücklichen Bewußtseins als wesentliches Moment des gesamten menschlichen Bewußtseins interpretiert, d.h. als Bewegung, die, lokalisiert und datiert, vom jüdischen Orient bis zum römisch-christlichen Okzident fortschreitet, dann mittelalterlich und aufgeklärt, schließlich romantisch sein wird. Die Geschichte wird hier nicht nur als eine Exemplifikation behandelt, sondern als Konstitaens einer allgemeinen Figur des Geistes. Nun führt die Dialektik des unglücklichen Bewußtseins dazu, daß dieses, zugleich mit seiner abstrakten Begrenzung in Existenz -
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und Status und mit seiner konkreten Bereicherung in seinem Wesen und seinem Inhalt, andererseits als historische Figur einer Welt auch begriffen wird als bereits bestimmt durch all das, was es in einer solchen konkreten Anwendung impliziert, und nicht nur 34 35
Vgl. Wahl, Commentaire de la Logique, S. 75. Ebd., S. 91.
Jean Wahl als Leser von Hegel
87
durch das, was auf explizite und angemessene Weise in seiner spezifischen Bestimmung durch die bis dahin gelangte Phänomenologie gesetzt ist. In seiner Interpretation des dem unglücklichen Bewußtsein gewidmeten Abschnittes im Kapitel 4 der Phänomenologie des Geistes zögert Wahl nicht, als ob die Unterscheidung zwischen diesen bei Hegel wohl unterschiedenen Momenten nur formal wäre, auf die Entwicklung des „Glaubens" im Kapitel 6 zu verweisen, vor allem auf die im vorletzten Kapitel des Werkes untersuchte „Religion" auf der totalen Stufe des Bewußtseins. Er sagt zwar, „eben dadurch, daß Gott Mensch wird, wird der Mensch Gott"36, neigt jedoch in seinem Interpretieren dazu, die hierarchische Differenz zwischen der Bewegung des unglücklichen Bewußtseins, wo die Beziehung zwischen Mensch und Gott ihren Ort zunächst im Menschen hat, der Bewegung des religiösen Bewußtseins, wo die Beziehung zwischen Gott und Mensch zunächst ihren Ort in Gott hat, anzugleichen, indem er sie reduziert. Eine solche praktische Verwirrung kann nur dazu führen, die systematisch entwickelte Hegeische Philosophie pantheistisch zu nennen. Eine solche Vernebelung der dialektisch unterschiedenen Momente des phänomenologischen Parcours resultiert natürlich aus der Negation des begrifflichen Prozesses einer irrealisierten Vernunft als eines einfachen willkürlichen Formalismus. Diese Negation der Tatsächlichkeit und Wirksamkeit der Hegelschen Vernunft als Vernunft ist, allgemein gesprochen, dasjenige, was Jean Wahl ebenfalls bestimmte zentrale Behauptungen negieren läßt, darunter die strittigsten von Hegel. Wahls Herabsetzung der Vernunft, die die Unvernunft bloß auszugleichen scheint, da „die Vernunft aus dem Triumph über die Unvernunft und die Unvernunft aus dem Triumph über die Vernunft hervorgeht"37; die sie, die Unvernunft, aber in der mit ihr gebildeten Antithese die als Differenz Unvernunft ist umfaßt, erklärt die Auffassung der Hegelschen Vernunft als rein formale Macht (pouvoir) der Identifikation oder bloß abstrakte Verallgemeinerung der vorhandenen Wirklichkeit. Weit davon entfernt, ihr Anderes tatsächlich identifizieren zu können, indem sie sich effektiv mit sich selbst in einem der Selbstbestimmung oder der Entscheidung fähigen Selbst als solchem identifiziert, vermag die Vernunft nur einem ihr äußerlichen Schicksal zu gehorchen. Infolgedessen kann Jean Wahl die Hegeische Vernunft nicht verstehen als eine, die sich in einem solchen der Entscheidung mächtigen Selbst erfüllt, das sich in der logischen Idee vorwegnimmt und sich im absoluten Geist verwirklicht. Eben weil er Hegel Spinoza annähert, sieht er in seiner Theorie der Freiheit als vernünftige Selbstbestimmung ein Ausdruck, der in dieser Formulierung widersprüchlich genannt werden muß die Negation selbst der Freiheit.38 Der Hegeische Rationalismus kennt nach seiner Auffassung die wahrhafte Subjektivität oder die Person eigentlich nicht. Der Begriff verfügt den einzig wirklichen Tod, das Objekt, und verneint das Subjekt als Lebendigkeit seiner eigenen existentiellen Stellung: Bei Hegel „wird die Person auf die zweite Ebene verwiesen", und „es ist das Werk, das für ihn den Wert der Person tatsächlich bildet".39 Die in den Jugendschriften erkennbare Rationalisierung der göttlichen Person enthebt sie im hervorgebrachten System -
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jeglichen eigenständigen Charakters, 36 37 38 39
Ebd., S. 92. Wahl, Traité de métaphysique, S. 713. Vgl. ebd., S. 532. Ebd., S. 371.
womit die
Beziehung
von
Gott und Mensch eine
Bernard Bourgeois
88
unpersönliche, pantheistische wird, was den wirklichen Sinn des irreligiösen Monismus von Hegel ausmacht.40 Die alte Leier aus dem 19. Jahrhundert von Hegels Lesart in Frankreich kehrt dergestalt bei Jean Wahl wieder. Die irrationalistische, existentialistische Verkennung der Hegeischen Vernunft, die sich gerade als die freie Persönlichkeit erfüllt, ließ in dieser Weise eine Lektüre stark veralten, die in Frankreich Hegel um vieles verjüngt hatte! Eine solche Verkennung der tiefgründigen Wahrheit des Hegelianismus führt selbst zur Ungenauigkeit in der Übertragung seines Sinngehalts. Bezeichnend ist schließlich die von Jean Wahl im Allgemeinen durchgeführte Umkehrung des Ausdrucks allseits bekanntes Prinzip Hegels: „Das Vernünftige ist wirklich, und das Wirkliche ist vernünftig" -, der unter der Feder seines Interpreten zu „Das Wirkliche ist vernünftig, und das Vernünftige ist wirklich" wird.41 Der Philosoph, der das Wirkliche (das Existierende) entgegen dem Rationalen (dem Logischen) privilegiert, setzt in systematischer Weise die existentielle Einrahmung des Vernünftigen durch das Wirkliche an die Stelle der begrifflichen Einrahmung des Wirklichen durch das Vernünftige bei Hegel, da für ihn die Vernunft nur ein zwischenzeitliches, zweites und zweitrangiges Moment im Leben des Wirklichen ist. Dadurch ergibt sich für den Philosophiehistoriker, der ein Urteil über Jean Wahl zu fallen hat, der ebenfalls ein solcher sein wollte, eine gewisse Untreue gegenüber dem Buchstaben und dem Geist des ausgebildeten Hegelianismus, der auch Gegenstand Wahls war. -
IV. Zweifellos kann, spekulativ gesprochen, der Beitrag Jean Wahls zur Erforschung des Hegelschen Denkens inhaltlich nicht für einen absolut fundamentalen Beitrag gehalten werden. Er begrenzte sich auf die Untersuchung eines Moments das unglückliche Bewußtsein -, das zugleich Aspekt und Etappe eines unermeßlichen Denkens darstellt, selbst wenn er von diesem Moment aus die Perspektive, sowohl begrifflich als auch historisch, auf das Ganze seiner Entwicklung legte. Wahls Untersuchungen der Denkgeschichte des jungen Hegel in seiner Suche nach dem Glück und der Freiheit im Kontext eines unglücklichen Bewußtseins und die Analysen der phänomenologisch umgestalteten Windungen dieses Bewußtseins sind jedoch seither nicht wirklich überschritten worden und zehren von der Beweglichkeit und der Schärfe, der Verführung und der außergewöhnlichen Tiefe eines ebenso originellen wie auch allgemein gebildeten Philosophiehistorikers. Sein Einfluß in der französischen Hegelforschung seiner Zeit ist verständlich: Das historische Interesse dieses Einflusses wurde entscheidend. Er hatte aufgrund seiner Neuartigkeit sowohl in Inhalt wie Stil eine befreiende Wirkung auf die Universität, selbst wenn letztlich andere hinzukommen mußten, damit Hegel darin wirklich zum Klassiker wurde. Seine Nachwelt würde zeigen, daß sie einen neuen Weg in der französischen Auseinandersetzung mit Hegel eröffnet hatten. Einige Jahre später versuchte Kojève seinerseits, in die Lektüre des Systems einzuführen vermittelt durch den Kommentar der Phänomenologie des Geistes und eines scheinbar bevorzugten Abschnitts des Werks, der, noch -
40 41
Vgl. ebd., S. 511,631. Vgl. ebd., S. 212,632.
Jean Wahl als Leser von Hegel
89
viel einfacher, dem Kampf um Anerkennung gewidmet war. Er war Hegel viel stärker verbunden als Jean Wahl, der Anti-Hegelianer, der sich in höherem Maße für andere Gedanken als jene Hegels interessierte. Kurze Zeit darauf verweilte Jean Hyppolite, ein Philosophiehistoriker strengster Observanz, zunächst auch in der gesamten Phänomenologie und befestigte derart den französischen Eingang noch für einige Jahrzehnte in der Hegelianität. Jean Wahl hatte in seiner großen Freiheit gegenüber Hegel sehr wohl Pionierarbeit bei der Herausbildung eines französischen Hegelianismus geleistet. Aus dem Französischen
von
Christian Driesen und Ulrich Johannes Schneider
Sabina Hoth
Jean Hyppolite:
Logique et Existence
Hyppolite (1907-1968)
I. Jean
Hyppolite ist in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern der Welt, wie ein Blick ins Internet schnell zeigt, weitgehend unbekannt. Wer also war Jean Hyppolite? Jean Hyppolite wurde am 8. Januar 1907 in Jonzac (Charante-Maritime) geboren und starb am 26. Oktober 1968 in Paris. Er war Absolvent der École Normale Supérieure (ENS). In der Philosophie trat Hyppolite vor allem als profunder Kenner der Hegelschen Philosophie ab den 1930er Jahren mit vielen Aufsätzen und drei großen Büchern in Erscheinung. Insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigte er sich zwar von den anthropologisierenden Lesarten der Hegelschen Philosophie Jean Wahls und Alexandre Koyrés beeinflußt, setzte seine Interpretation aber bereits damals durch das Primat eines sprachlich verfaßten universellen Selbstbewußtseins1 von jenen wieder ab und ließ sie 1953 in eine ontologisch-semiologische Ausdruckskonzeption des Absoluten einmünden, welches im Durchgang durch seine völlige Entfremdung in die Zeichen der menschlichen Sprache und vermittels der durch sie möglichen Diskursivität zu einem Verstehen seiner selbst, zu ,Sinn', komme. Damit löste Hyppolite die von Kojève dominierte Leseweise Hegels ab, in dessen Seminaren die Generation von Sartre, LévyStrauss, Bataille und Lacan weilte, und beeinflußte die in den sechziger Jahren berühmt werdenden Philosophen Frankreichs durch seine Lehrtätigkeit. Zwischen 1939 und 1941 erschien seine Übersetzung von Hegels Phänomenologie des Geistes2, die zugleich die erste Übersetzung dieses Werkes in Frankreich war. Nach 1945 wurde Hyppolite Professor an der Universität Strasbourg und veröffentlichte 1947 seinen Kommentar Genèse et structure de la Phénoménologie de l 'Esprit de Hegel. 1949 berief man ihn an die ENS in Paris. Dort zählten Althusser, Derrida, Deleuze und FouJean
Jean
Hyppolite,
Genèse et structure de la
Phénoménologie de l'Esprit de Hegel,
2
Bände, Paris
1947, zit. nach der Ausgabe Paris 1956, S. 574: „Il [l'esprit, S. H.] s'exprime par le language, qui est authentiquement la préfiguration du Logos de la logique. Cet élément d'existence, disons-le explicitement, c'est la conscience de soi universelle étant-là dans ,1'homme divin universelle'. C'est dans
tel élément que la conscience de soi de l'Absolu sera possible." Vgl. Bruce Baugh, French From Surrealism To Postmodernism, New York 2003, S. 28-32. G W. F. Hegel, La Phénoménologie de l'esprit, übers, v. J. Hyppolite, Paris, Bd. I, 1939; Bd. II, 1941. un
Hegel.
Sabina Hoth
92
cault zu seinen Studenten. Jean Hyppolite war vormals der gymnasiale Philosophielehrer sowohl von Michel Foucault, als auch von Gilles Deleuze, dessen Diplome d'Études Supérieures er nun zusammen mit Georges Canguilhem an der ENS betreute. Über den Eindruck, den Hyppolite auf Deleuze in seiner Studienzeit machte, sprach er kurz in seinen Unterhaltungen mit Ciaire Parnet: „Der andere [von den zwei Professoren, die das Denken von Deleuze damals formten, S. H.], Hyppolite, hatte ein mächtiges Gesicht mit unvollkommenen Zügen und skandierte, die Worte kurz und knapp hintereinander setzend, mit der Faust die hegelsche Trias. [...] Tatsächlich stürzten wir uns wie junge Hunde in eine Scholastik, die schlimmer war als die des Mittelalters."3 Dennoch publizierte Hyppolite 1953 eine Arbeit von Deleuze über David Hume unter dem Titel Empirisme et subjectivité, in der von ihm herausgegebenen Reihe Épiméthée. Ebenfalls 1953 veröffentlichte Hyppolite mit dem Essay Logique et existence4 sein drittes „Hegelbuch", in welchem er sich der Hegeischen Logik zuwandte. Ab 1954 leitete er die ENS. Der 1952 an die ENS gekommene Derrida schloß 1954 sein Stadium bei Hyppolite mit einer Arbeit zur Phänomenologie Husserls5 ab, ein 1957 bei Hyppolite begonnenes Dissertationsprojekt zur Idealität des literarischen Objekts brach Derrida ab. 1963 wurde Hyppolite am Collège de France auf den Lehrstuhl „Histoire des systèmes" berufen, den 1970 Michel Foucault nach Hyppolites Tod erbte. Zuweilen saß Hyppolite in den Seminaren von Jacques Lacan, zu denen er u.a. eine Arbeit zur Verneinung bei Sigmund Freud beisteuerte. 1964 verhalf er Derrida zu einer Stelle an der ENS, der 1967 seine Übersetzung von Husserls Ursprung der Geometrie als Dissertation bei Hyppolite einreichte. Am 16. Januar 1968 hielt Derrida in einem Seminar von Hyppolite am Collège de France den 1970 veröffentlichen Vortrag „Lepuits et la pyramide "6, in dem es um die Hegelsche Konzeption des Zeichens geht und der einige Themen von Hyppolites Essay Logique et existence wieder aufnimmt. In der mündlichen Verteidigung sollte es um die Hegelsche Theorie des Zeichens gehen, wozu es aufgrund des plötzlichen Todes von Jean Hyppolite nicht mehr kam.
II.
Logique et Existence
ein
Überblick
-
„La Logique hégélienne est la genèse absolue du sens, un sens qui est à lui-même son propre sens,
qui ne s'oppose pas à l'être dont il est le sens, mais qui est sens et être à la fois. Cette genèse est comme une croissance organique, une perpétuelle reproduction et amplification de soi; aucune finalité externe, mais une finalité immanente dont la vie organique est l'image dans la nature. La contradiction de cette croissance, c'est son intentionnalité immanente [...]." (LeE, S. 209) 3 4
5
6
G. Deleuze, C. Parnet, Dialoge, Frankfurt am Main 1980, S. 19. J. Hyppolite, Logique et existence, essai sur la Logique de Hegel, Paris 1953. Im Text nachfolgend abgekürzt ,LeE'. Von Logique et Existence gibt es keine deutsche Ausgabe, alle Übersetzungen in diesem Aufsatz stammen von der Verfasserin. J. Derrida, Le Problème de la genèse dans la philosophie de Husserl, Paris 1990. J. Derrida, Le puits et la pyramide, in: Hegel et la pensée moderne. Séminaire sur Hegel dirigé par Jean Hyppolite au Collège de France 1967-1968, hg. v. Jacques d'Hondt, Paris 1970; dt. Der Schacht und die Pyramide, in: Randgänge der Philosophie, hg. v. Peter Engelmann, Wien 1988, S. 85-119.
Jean Hyppolite: Logique
et
Existence
93
Hegels Wissenschaft der Logik wird von Hyppolite als Metaphysik verstanden, die in einen neuen Typ von Logik transformiert wurde. Diese Logik sei zugleich ontisch und ontologisch gemeint (LeE, S. 202, 206). Sie ist unter dem Schlagwort „Identitätsphilosophie" als eine Philosophie, die das menschliche Denken und das Sein identifizierend versöhne, in die Kritik sowohl der Kritischen Theorie als auch der französischen Diffe-
In ihr wird das Denken nicht als subjektive Reflexion auf ein äußeres Sein, welches von unserem Denken unberührt bleibt, aufgefaßt, sondern subjektive Reflexion und äußerer Gegenstand werden als „Momente des eigentlichen Begriffes oder reinen Wissens"7 konzipiert, die Hegel am Ende der Phänomenologie „absolutes Wissen" nennt. Die eigene (vorausgesetzte) Logizität des Seins und seine (gedachte) Logizität in der Ontologie fallen ebenso zusammen wie Subjektivität und Objektivität oder Wahrheit und Gewißheit seiner selbst. Die Frage, die im Hintergrund von Logique et Existence gestellt wird, ist die nach dem Übergang vom anthropologischen Standpunkt des Redens über das Sein aus der Differenz des Bewußtseins zu dem Standpunkt des absoluten Wissens, in dem die Differenzen die inneren Differenzen ,des Seins' sind (LeE, S. 31). Das eigentliche Objekt der Philosophie, schreibt Hyppolite, Hegel zitierend, sei die Wirklichkeit, diese Kategorie der Logik, welche die konkrete Einheit von Wesen und Erscheinung bezeichne. (LeE, S. 4) Im letzten Abschnitt der Wesenslogik bestimmt Hegel die Wirklichkeit als konkrete Einheit von Wesen und Existenz und gesteht der (spinozistischen) Substanz zu Beginn der Begriffslogik zu, an sich schon der Begriff oder die logisch gefaßte Subjektivität zu sein. Für Hyppolite drückt sich die Existenz dieser konkreten Einheit als menschliche Rede im universellen System der menschlichen Sprache aus, welche die Reflexion des Seins in sich sei, der Logos, den Hegel auch den Begriff nennen würde, und deutet damit den Hegelschen Begriff des Begriffes als sprachlich verfaßte logische Subjektivität des Seins. Die Reflexion des Seins in der Sprache ist zugleich Entwicklung und Rückkehr des Seins zu sich. Dieses Sein als diskursiver Prozeß setzt Hyppolite mit der absoluten Idee Hegels gleich und benennt sie in ,Sinn' um (LeE, S. 229). So entpuppt sich das wahre Unmittelbare als ein Sein, das Sinn ist und ein Sinn, der Sein ist. Das Absolute als Substanz vollbringt seine Subjektwerdung in einem Diskurs, in dem es sich einerseits vollständig in sein Anderes, das Zeichen, entäußert, und sich vermittels der Negation der Negation in einer reflexiven Diskursbewegung wieder aus der Entfremdung zu sich selbst zurückführt. Im Rahmen der sprachlichen Vermittlung entdeckt und erschafft das Absolute sein zukünftiges integrales Selbst als nachträglichen ,Sinn', der die selbstbezügliche immerwährende Identität des unendlichen universellen Selbstbewußtseins in der Ganzheit seiner Diskursbewegung bedeutet. In der Konzeption des Hegelschen Begriffs als Sinn im Sinne einer zukünftigen Selbstwerdung mit zugleich nachträglicher Identitätssetzung ist der Einfluß von Koyrés Temporalitätsthese unverkennbar.8 Hyppolite vertritt also die ontologische These, daß das Absolute das Sein sei,
renzphilosophien geraten.
8
G W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter (diese Ausgabe wird im folgenden als „Werke" mit Band- und Seitenzahlen angegeben), Bd. 3, S. 576. Alexandre Koyré hat in seinem 1934 zuerst veröffentlichten Aufsatz „Hegel à lena" einen zweifachen Ursprung des Hegelschen Denkens ausgemacht, zum einen die Geschichte und zum anderen die Trinitätslehre der Theologie. Das Modell der Geschichte habe Hegel zu einer temporalisierten
Sabina Hoth
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in Verbindung mit einer semiologisch-semantischen Ausdrucksthese, nach der das Sein sich in der menschlichen Rede als sich selbst verstehend in Bedeutungen generiert und seine Denkbestimmungen im Kampf um den besten Ausdruck seiner selbst entwickelt9, um sich im Laufe seiner Aufhebungsbewegung in einem anwachsenden holistischen Bedeutangsraum als dessen ganzheitlicher Sinn zu setzen (LeE, 210). Dieser Sinn ist also die nachträgliche Konstruktion einer den Diskurs organisierenden Einheit. Damit die menschliche Rede als Ort der Sinnsetzung des Absoluten funktionieren kann, macht Hyppolite also drei Voraussetzungen: erstens eine selbstbezügliche Reflexion, zweitens einen Diskurs, der sich selbst als sich selbst erkennt und damit selbstbezügliches Wissen ist, und drittens einen Diskurs, der ein Diskurs der Dinge selber ist und nicht ein Diskurs über die Dinge im Sinne eines subjektiven Mentalismus oder Konstruktivismus. Unter „Diskurs" versteht Hyppolite also immer einen absoluten und keinen menschlichen Diskurs. Der Ort aber, an dem sich das unendliche Sein in einem „Exzeß von Differenzen" aussagend ausdrückt, ist der endliche Geist oder der Mensch. Wenn das menschliche Ich sich aussagt, kann es dies nur im Element der Universalität von Bestimmungen tan und ist damit immer schon in den absoluten Diskurs des universellen Selbstbewußtseins verwickelt. Der Mensch sei zwar einerseits natürliches Dasein, aber andererseits als universelles Selbstbewußtsein von diesem durch das Hindurchgehen des Absoluten durch ihn als Logos und Sinn entfremdet. Der Begriff, der mit sich selbst in seiner ihm angemessenen Objektivität identisch ist, also in der Terminologie Hegels die „Idee", respektive gemäß Hyppolite der ,Sinn', bildet das Band zwischen dem einzelnen Menschen und dem Universellen. Durch den Logos wird das Natarwesen Mensch in das universelle Selbstbewußtsein aufgehoben und zugleich das absolute Leben in der Diskursivität der Zeichen aufs äußerste entfremdet. Der Mensch als Widerspruch oder als „Kreuzweg" spiegelt den notwendigen Widerspruch „im Herzen" des Absoluten wider, mit dem Hyppolite das Thema des unglücklichen Bewußtseins aus der Phänomenologie des Geistes wiederaufnimmt, das in der französischen Hegel-Rezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert eine dominante Rolle gespielt hat (LeE, S. 74, 79, 216). Unter anderem wird Gilles Deleuze Hegel und seinen dialektisch-philosophierenden Nachfolgern wie Hyppolite später vorwerfen, die ontische Negativität menschlichen Lebens in ontologische Dialektik geformt, in der der historische Augenblick seinen Sinn aus der Zukunft gewinnt, die Trinitätslehre zu einer rein logischen Dialektik der Ewigkeit. Nach Koyré durchzieht diese gedoppelte Dialektik die gesamte Philosophie Hegels als konstanter, unvermittelter Dualismus. Der Begriff der Zeit ist identisch mit dem des Menschen, der sich immer als inkongruent mit seinem Wesen empfindet und sich daher fortwährend negiert, um sich in seiner Aufhebung im Versprechen der Zukunft selbst zu verwirklichen und damit eine Sichselbstgleichheit zu erreichen, die nicht fortwährender Aufschub, sondern nachträgliche Identitätssetzung sei und damit Tilgung der Zeit bzw. der Zukunft in der Ewigkeit. Die Ewigkeit ist nach Koyré das sich selbst verstehende Sein der Idee des Absoluten, das seine endlichen Momente im und durch das Zeitbewußtsein des Menschen erfaßt und als mit sich identisch setzend in seine zeitlose Sichselbstgleichheit zurückholt. Vgl. A. Koyré, Hegel à lena, in: ders., Etudes d^histoire de la pensée philosophique, S. 147-189, insb. S. 160 Anm. 1,S. 162 Anm.
3, S. 175-178.
Hyppolite, Logique et existence, S. 26: „Le progrès de la pensée, son développement, est le progrès même de l'expression."
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et
Existence
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Negativität transponiert zu haben.10 Die grundlegende Struktur in Hyppolites Interpretation der Hegelschen Idee bleibt also der Widerspruch: Alles, was im Hegelschen Sinne wirklich ist, ist nur es selbst, wenn es zugleich das ist, was ihm widerspricht. Die Modernität von Hyppolites Logik-Lektüre liegt darin, daß er die Wissenschaft der Logik als Metalogik der Bedeutungs- oder Sinnerzeugung in der Sprache rekonstruiert, seine Originalität darin, dabei die historische Konstellation, in der die Hegelschen Philosophie entstanden ist, mit einzubeziehen. Hyppolite verweist auf Kants transzendentale Logik und dessen Konzeption eines intuitiven Verstandes (LeE, etwa S. 3, 4, 40, 44, 70, 88, 103, 104, 169, 210), den er mit der absoluten Idee, respektive dem Sinn, gleichsetzt. Wie kann nun die Sprache, die zwar für Hegel im Übergang von der Vorstellung zum Denken im endlichen Geist mit ihrer Gedächnisfünktion eine wichtige Rolle spielt, aber ansonsten in der Hegelschen Philosophie nicht konstitutiv ist, in Hyppolites Hegelauslegung der Wissenschaft der Logik überhaupt zu einer so prominenten Stellung kommen, wie kann sie
zum
„Sinn des Seins" werden?
III. Die reine Immanenz der Welt „C'est l'être qui est sa propre compréhension de soi, son propre sens, et le Logos est l'être se po-
sant lui même comme sens; mais c'est l'être qui se pose comme sens, ce qui signifie que le sens n'est pas étranger à l'être, n'est pas en dehors ou au-delà de lui. C'est pourquoi le sens comprend aussi le non-sens, l'anti-logos, il est en soi autant que pour soi, mais son en-soi est pour soi, et son pour-soi est en soi. La dimension du sens n'est pas seulement sens, elle est la genèse absolue du sens en général, et elle se suffit à elle-même. L'immanence est complète."11
Hinter dem Vorhang gibt es nichts zu sehen, schreibt Hyppolite. Gäbe es eine Wirklichkeit, die der kognitiven Vermittlung unzugänglich wäre, bildete sie die ultimative Grenze des Wissens. Gegen gewisse Auffassungen, die ein diesseitiges Jenseits der Sprache in der reinen Singularität eines unvergleichbar einmaligen empirischen Phänomens annehmen, oder ein jenseitiges Jenseits der Sprache in einem kognitiv unerreichbaren Göttlichen, und damit schweigendes und andächtiges Erleben eines Objekts der sprachlichkognitiven Vermittlung vorziehen, argumentiert Hyppolite mit Hegels Darlegungen aus der Phänomenologie und aus dessen Jenaer Aufsatz „Glauben und Wissen". Tatsächlich könne man in der Sprache nur Allgemeines ausdrücken als Beispiel sei hier das Wort ,Ich' genannt -, aber eben ein Allgemeines, das zugleich ein Einzelnes sei, was uns einen Hinweis auf den besonderen Rationalitätstyp der Hegelschen Identitätsphilosophie gibt. Entgegen immer noch gängigen Vorurteilen geht es beim Hegelschen Allgemeinen in der Begriffsbildung gerade nicht um Abstraktion und Klassifikation nach gemeinsamen Merkmalen, sondern um die dynamische Konstellierung von Denkbestimmungen in der Weise, daß sie ein Einzelnes mitartikulieren. Unter den Prämissen eines ontologischen Monismus und der Hegelschen Auffassung von Negation und Urteil wird die Vielheit zu der selbstbezüglichen Gegensatzfigur „des Anderen seiner selbst" die Hyppolite als „la dualité speculative" oder „le double fondamental" bezeichnet (LeE, S. 148) reduziert -
-
-
10 11
Vgl. dazu Hyppolite, Logique et existence, S. Hyppolite, Logique et existence, S. 230.
136-137.
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zum immanenten Widerspruch im Absoluten radikalisiert. Das Allgemeine ist nur allgemein, wenn es zugleich das Einzelne ist und umgekehrt. Eben jenes Band zwischen Einzelnem und Allgemeinen sei es, was Hegel Begriff nenne, dessen Existenz das Ich und dessen Dasein die Sprache sei (LeE, S. 22). Die Denkformen, „herausgesetzt und hinterlegt in unserer Sprache"12, werden zur „Verbindung und Gemeinschaftlichkeit aller Dinge", die sinnliche Einzelnheit zu „einem Kreuzweg von Bestimmungen" (LeE, S. 14). Der Weg, der zur Erkenntnis des konkreten Allgemeinen führt, ist auch der Weg zur eigenen Selbsterkenntnis, und der verläuft über die diskursive Vermittlung im Dialog mit anderen. Der menschliche Dialog wird als ein Anwendungsfall der spekulativen Dialektik des Absoluten begriffen. Wer die Konfrontation mit anderen scheue, komme nie zu einem Bewußtsein seines Selbst und verfehle damit sein Menschsein. Hyppolite zitiert dazu Hegel zum Beweis: „Indem jener sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakel beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem weiter
und
nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; mit anderen Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen. Denn die Natur dieser ist, auf die Übereinkunft mit anderen zu dringen, und ihre Existenz nur in der zustande gebrachten Gemeinsamkeit der Bewußtseinfe]."13 Dieser Bezug auf Hegels eigenes Sprachverständnis, als natürliches Dasein des Logischen und als menschliche Praxis, kann aber nicht über die Problematik von Hyppolites Interpretationsansatz, die Identität von Denken und Sein in der Sprache anzusetzen, hinwegretten. Ist nicht gerade diese Engführung des Begriffs des Begriffes mit dem sprachlichen Ausdruck destruktiv für Hegels Universalismus? Schlägt dann nicht die Sprache in ihrer Vielfalt auf das Denken als sein Konstituierendes zurück? Hyppolite sieht in der Arbeit am sprachlichen Ausdruck zwar die Entwicklung des Sinns bzw. Denkens im Diskurs, aber er sagt, es fände keine äußerliche Übersetzung von dem einen zum anderen statt: Weder forme das Denken die Sprache noch die Sprache das Denken (LeE, S. 26). Der Sinn bzw. die vollendete Identität von Logos und Sein entstünde erst in dem Diskurs, der ihn zugleich entdeckte und erschüfe (LeE, S. 25). Wie soll man das verstehen? -
12
13
G. W. F.
Hegel, Wissenschaft der Logik, in: Werke, 5, S. 20: „Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt; es kann in unseren Tagen nicht oft genug
daran erinnert werden, daß das, wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist. In alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt wird, was er zu dem Seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äußert, enthält eingehüllter, vermischter oder herausgearbeitet eine Kategorie; so sehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr: dasselbige ist seine eigentümliche Natur selbst." Zitiert in Hyppolite, Logique et existence, S. 5-6. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke, 3, S. 64-65; zitiert in Hyppolite, Logique et existence, S. 7-8.
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IV. Sinn und Sinnlichkeit In seinen Berliner Vorlesungen über die Ästhetik soll Hegel von 1842 folgendes gesagt haben:
gemäß dem Hothoschen Text
„Sinn nämlich ist dieses wunderbare Wort, welches selber in zwei entgegengesetzten Bedeutungen gebraucht wird. Einmal bezeichnet es die Organe der unmittelbaren Auffassung, das andere Mal aber heißen wir Sinn: die Bedeutung, den Gedanken, das Allgemeine der Sache. Und so bezieht sich der Sinn einerseits auf das unmittelbar Äußerliche der Existenz, andererseits auf das innere Wesen derselben. Eine sinnvolle Betrachtung nun scheidet die beiden Seiten nicht etwa, sondern in der einen Richtung enthält sie auch die entgegengesetzte und faßt im sinnlichen unmittelbaren Anschauen zugleich das Wesen und den Begriff auf. Da sie aber eben diese Bestimmungen in noch ungetrennter Einheit in sich trägt, so bringt sie den Begriff nicht als solchen ins Bewußtsein, sondern bleibt bei der Ahnung desselben stehen."14
Scheinbar verwendet Hyppolite also mit ,Sinn' einen der absoluten Idee unangemesTerminus. In den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie schreibt Hegel in seiner Niederschrift von 1817 jedoch über das Verstehen, daß es diesem bei spekulativen Gedanken nicht nur um die Erfassung des grammatischen Sinns der Worte gehe, sondern um „das Verstehen der Sätze". Davon unterscheidet er ,jene gelehrigen Geschichten der Philosophie", denen die Erkenntnis des Stoffes selbst abginge und vergleicht sie „mit Tieren [...], welche alle Töne einer Musik mit durchgehört haben, an deren Sinn aber das Eine, die Harmonie dieser Töne, nicht angekommen ist".15 Gerade um das Verstehen des Einen, der spekulative Identität auch in der Natur als dem Anti-Logos und in allem UnSinn, scheint es Hyppolite bei der Umbenennung der absoluten Idee in ,Sinn' zu gehen. Die Dialektik von Sinn und Sinnlichkeit bestimmt den Status der Sprache in Hegels Philosophie des Geistes. Hyppolite stützt sich bei seiner These, daß die Identität von Sein und Denken in der Sprache stattfindet, auf Hegels psychologische Darstellung des endlichen theoretischen Geistes in der Enzyklopädie (§§ 440-467), in denen Hegel die Sprache in der bildlichen Ordnung der Einbildungskraft als Zeichen dialektisch generiert. Hegel beschreibt in der Lesart Hyppolites den Übergang von Sinnlichem zu Verständigem als Enthüllung der immanenten Allgemeinheit in der Natur. Die Sinnlichkeit ist das äußerliche Moment der Idee. Die dialektische Selbstaufhebung des Sinnlichen in die Sprache ermöglicht es in der Terminologie Hyppolites der Natur, dem „Anti-Logos", aus ihrer stummen Innerlichkeit herauszugehen. Die Sprache negiert das Sinnliche und bewahrt es zugleich auf, es transzendierend wie „ein Echo die abwesende Stimme" (LeE, S. 215). Das Universum des Sinns ist also die Verinnerlichung der Welt, aber zugleich die entfremdende Entäußerung des Ichs bzw. Denkens in sein Dasein, die Sprache. Diese gedoppelte Bewegung von Verinnerlichung und Entäußerung gilt es im folgenden zu verstehen. Hegel hat in der Nachfolge Fichtes in Kants produktiver Einbildungskraft den Keim der wahrhaften Vernunft als Vermittlung, als dialektische Einheit des Ansich und Fürsich gesehen (LeE, S. 32). Die Sprache ist ein Fall des Zeichens. Das Zeichen ist in der Ensenen
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14 15
G. W. F. G W. F.
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Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, in: Werke, 13, S. 173. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke, 18., S.
17.
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zyklopädie ein Erzeugnis der produktiven Einbildungskraft, genauer der Phantasie. Die Phantasie vereinigt das Innerliche des Ichs mit dem äußeren Sein in der Anschauung. Voraussetzung für die Zeichenbildung ist zunächst die Erinnerung, die subjektive Aneignung von sinnlich Gegebenem. In dem „nächtlichen Schacht des Ich" werden dann Partialobjekte des ehemals Gegebenem in bildlicher Form aufbewahrt, die dem bewußten Ich willentlich nicht zugänglich sind. Erinnerung ist für Hegel die Essentifikation des Seins. Sie wird für Hyppolite zur Erscheinung, welche sich in der Weise reflektiert, wie wir sie reflektieren (LeE, S. 141). Wenn die Erinnerung an eine subjektive Anschauung geknüpft werden kann, erhält das Ich eine nur dem Subjekt zugängliche bildliche Existenz, das Ich ist Selbstanschauung. Diese innere Anschauung wird durch die Verknüpfung mit einer von dem Ich selbst produzierten äußerer Anschauung darstellbar. Wenn diese äußere Anschauung etwas anders als sich selbst vorstellt, ist sie ein Zeichen und verweist auf die in ihm eingebildete Bedeutung, das Allgemeine des Ich. Der Name ist die Verknüpfung von der durch das Ich produzierten Anschauung und ihrer Bedeutung, eine feste Markierung, an der sich künftig die Prädikate hängen werden, um Sinn zuzuschreiben (LeE, S. 182). Die Erinnerung der Welt bedarf zu ihrer Existenz des Gedächnisses, welches die Zeichen setzende Aktivität, die Verknüpfung der Bedeutung mit ihrer arbiträren Anschauung trainiert. Dabei wird das Ich in die Zeichen völlig entäußert. Die vom Ich gesetzte neue Leiblichkeit des Geistes ist ein durch die negative Tätigkeit des Ich zeitlich existierendes Zeichen, der Ton, sein System die Sprache. Diese Äußerlichkeit ist Denken an sich, das offene System der Sprache und der Rede, ein Denken, welches sich selbst in einem Ton versachlicht hat. „Cette mémoire du langage avec toute son articulation complexe est l'identité de l'être et de la pensée" (LeE, S. 35). Das Ich ist in der zeichentrainierenden Aktivität des mechanischen Gedächnisses gemäß § 464 der Enzyklopädie „in einem jene äußerliche Objektivität selbst und die Bedeutung. Sie ist so als die Existenz dieser Identität gesetzt [...]" Man hört nur noch die Bedeutung der Zeichen (LeE, S. 37). In dem Maße, in dem das Ich bedeutangsgebend wird, setzt es sich also im Zeichen und dieses negierend schließlich als Sinn. Das Ich ist diese Setzung, und es gibt es außerhalb der Sprache nicht. Deshalb ist die Sprache keine Übersetzung. In ihr ist das Ich objektiv. Das allgemeine Selbst, die Innerlichkeit existieren nur in der Sprache. Und die Sprache bezieht sich nur auf sich, überschreitet sich auch nur in sich selbst. Denn die Sprache ist die höchste Form der Vorstellung, die sich innerhalb der Sprache durch das mechanische Gedächnis in das Denken fortentwickelt. Jene intime Verbindung zwischen Erinnerung und Gedächnis, ihre Unzertrennlichkeit zu verstehen, hieße, so Hyppolite, zu verstehen, was die konkrete Identität von Unmittelbarem und Allgemeinem, also die Idee sei, und warum Hegel die Struktur des Sinnlichen im Universum von Bedeutungen behandeln konnte. Im Denken schließlich existiert die ontologische Vernunft als Tätigkeit des Ich im Ich für das Ich (LeE, S. 35). Das, wovon es spricht, ist ein Denken geworden, und wenn es das Sein denkt, denkt das Denken sich selbst, seine Rede des Seins wird Rede von sich, eine Rede über seine Rede (LeE, S. 41) und damit Metaphysik. Die Sprache ist somit Einheit von Sein und mehrstufiger Reflexion. Jetzt kann Hyppolite einen Gedanken Heideggers integrieren: die Sprache sei das Haus (frz. „la demeure") des Seins als Sinn (LeE, S. 215). In der authentischen Sprache des Seins, der Ontologie des Sinns, spreche sich die Einheit und auch die Differenz von Sein und Ich aus. Das Ich ist der Totalität des Diskur-
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immanent. Die Sprache sei die intellektuelle Anschauung', die in der Entwicklung des Diskurses existiere, in dem eine Bedeutung sich auf andere beziehe, sich ausdrücke oder ausdrückbar werde, eine Verkettung von Bedeutungen, die aber alle Momente der einen Anschauung seien. Eben diese Einheit von diskursivem und intuitivem Verstand strebe die Hegeische Logik an (LeE, S. 40). Wenn Sein und Denken in der Wissensbeziehung identisch geworden sind, entwickeln sich die Kategorien in der Sprache. So manifestiere sich in der Philosophie des Geistes die ursprüngliche Einheit des Verstandes. In der Grammatik der Sprachen sind die Verstandeskategorien noch ungenügend skizziert. Das Logische ist uns das Nächste und Natürlichste, und gerade deshalb das Ungewußte. Sofern die Bedeutung unmittelbar da ist, existiere das Denken wie eine Sache. Hegels Kategorien seien nicht mehr Kategorien im aristotelischen oder kantischem Sinne, also Arten (gerne) des Seienden oder Klassifikationsfunktionen des Denkens, sondern Ausdrucksformen des Absoluten selbst, das nicht auch noch außerhalb seines Ausdrucks ist, und damit seien sie auch Definitionen des Absoluten (LeE, S. 206). Das Absolute als Subjekt meint jetzt also einen Wortbegriff, der nur in seinen Prädikaten ist, die seinen Inhalt nur in die Beziehungen übertragen, die eine Totalität konstituieren, die Sinn ist, die Totalität des Begriffs in seinen logischen Beziehungen (LeE, S. 58). Deshalb ist das Wort schon das konkrete Allgemeine, wenn auch zwar die Sprache überhaupt nicht dialektisch sei, sondern sie erst ankündige in ihren vielfachen Weisen, einen Satz zu verstehen und die Beziehung zwischen Sätzen zu bilden. Das Absolute sei die Einheit des Sinns, der durch den Satz erscheint (LeE, S. 188). Der Satzübergang sei sein Anderswerden (LeE, S. 59). Das sprachliche Zeichen bleibt zwar gleich, aber die Bedeutungen ändern sich je nach Kontext, ermöglichen Äquivokationen und Mehrdeutigkeiten, die dem formalen Denken verhaßt sind, aber eben ihre spekulative Ressource bilden. Die Sprache scheint also das geeignetste Milieu der Dialektik zu sein, um die Genese des Absoluten auszudrücken.16 Und diese Genese ist zugleich Begreifen und Schöpfung von Bedeutungen (LeE, S. 210). Unter Sinn versteht also Hyppolite das Werden des Begriffs in der Rede, und meint damit die Produktion von Bedeutung, die nur in ihrer erzeugenden Bewegung ist. Es gebe keinen Sinn vor der Sprache (LeE, S. 28). Selbst der Begriff des Sinns ist nur möglich durch die absolute Referenz auf das Ganze der Bedeutungen (LeE, S. 28, 30). Der Sinn ist aber nicht nur einfach Bedeutung, sondern auch ein Sich-selbst-Bedeuten, oder absolute Selbstreferenz. So scheint es Hyppolite, daß die Selbstaufhebung der Natur in die Struktureinheit von Bedeutungen eine Befreiung zu sich ist, die Wiedereroberung eines verloren Sinns, ähnlich der Aufhebung von verdrängtem Material aus dem Unbewußten (LeE, S. 228). ses
„Da der Mensch die Sprache hat als das der Vernunft eigentümliche Bezeichnungsmittel, so ist es ein
müßiger Einfall, sich nach einer unvollkommeneren Darstellungsweise umzusehen und damit quälen zu wollen. Der Begriff kann als solcher wesentlich nur mit dem Geiste aufgefaßt werden, dessen Eigentum nicht nur, sondern deren reines Selbst er ist." Hegel, Wissenschaft der Logik, Werke, 6, S. 295; vgl. S. 406-407.
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V.
Logik und Existenz
Das allgemeine Selbstbewußtsein des Seins ist das Wissen, das sich als alleinig objektivitäts- und erfahrungskonstitaierend weiß. Es erscheint in der Geschichte und wird am Ende das, was es ist, das jedem Erfahrungswissen immer schon vorausgesetzte Apriori. Dieses absolute Wissen ist nach der Auslegung Hyppolites die absolute Idee oder, im Hinblick auf ihre Prozessualität gefaßt: der Logos (LeE, S. 243). „Le logos est la pensée de soi-même et de toute la realité effictive." (LeE, S. 239) Die Idee ist jedoch nichts fertig Bestehendes, sondern methodos des Seins, dessen Selbstbewegung als logische Generierung von Bedeutung. Welche Beziehung besteht nun zwischen der absoluten Idee und ihrer zeitlichen Entfaltung in der Geschichte? Der weltgeschichtliche Verlauf schien acht Jahre nach dem zweiten Weltkrieg wieder einmal kein glücklicher zu sein. Hyppolite wirft das Problem des Ursprungs von Negativität auf. Der Sinn der Geschichte sei die absolute Idee (LeE, S. 243). Die Idee, die im inneren Schacht des Geistes ruhe, so Hegel, sei als die eine Seite des Gegensatzes die abstrakte Freiheit der Reflexion in sich, und als die andere die Äußerlichkeit überhaupt.17 Die Individuierung des allgemeinen Ichs in die Existenz des Menschen und die abstrakte Freiheit des Menschen resultieren beide aus der Negativität der Idee. Die vermittelnde Tätigkeit zwischen den beiden Extremen von reiner Subjektivität und ihre Verwicklung in die Sozialität mit anderen sei die absolute Negation. Diese manifestiere sich wertmäßig negativ in der Geschichte. Die Idee sei immer nur in der Spannung ihrer Entgegensetzung. Deshalb, so Hegel, sei die Weltgeschichte nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks seien die leeren Blätter in ihr, denn sie seien die Perioden der
Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes.18 Hyppolite schreibt die Temporalität in den Menschen ein.
Er sei dasjenige Sein, was immer das nicht ist, was es ist und das ist, was es nicht ist, „un creux toujours futur" (LeE, S. 240). Das Unbehagen des Subjekts an objektivierenden Festschreibungen, welches unter dem Terminus Entfremdung gerade in marxistischen Kreisen Furore gemacht hat, wird von Hyppolite, sich von Marx und Feuerbach absetzend, in der dynamischen Struktur des Absoluten als reine Vermittlung grundgelegt. Hegel habe die reine selbstbezügliche Negation, das substratlose Nichts, als Grund reiner Subjektivität entdeckt, das sich in der Natur als Verschwinden und Tod zeige. Der Tod sei die Offenbarung der absoluten Negation. In der Todesangst wird die Abwehrstruktar des Ich durchbrochen. In seinem berühmten Herr-Knecht-Kapitel der Phänomenologie des Geistes schreibt Hegel: „Es [das Bewußtsein, S. H.] ist darin innerlich aufgelöst worden, [...]. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewußtseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiermit an diesem Bewußtsein ist."19 Durch sein Todesbewußtsein, so Hyppolite, erreiche der Mensch die höchste Freiheit. Er wird sich des reinen Selbstbewußtsein inne, des Nichts, das existiert. Die Freiheit dieser schrankenlosen Gleichheit mit sich ist die sich unendlich wiederholende Rückkehr des Ich in sich selbst aus seinen Beziehungen mit anderem. 17
18 19
G. W. F. Ebd.
Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: Werke, 12, S. 42.
Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke, 3, S.
153.
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Dieser Reflexionsmoment ist sozusagen der autistische Kern aller Subjektivität. Damit rückt Hyppolite Hegels Philosophie des Absoluten in enge Nähe zur antiken Skepsis. Sie entgeht aber dem skeptischen Furor der Tilgung aller Bestimmtheit, weil die Negativität nicht nur abstrakte Negation ist. Die Struktur der absoluten Negation enthält die Negation auch als bestimmte und wandelt so zugleich die Negativität in ein organisches Anwachsen an Bedeutung. Das Nichts als Grund der menschlichen Subjektivität öffne so dem Menschen durch die Negation des Seins die Dimension des Sinns und damit die Wahrheit. Im Naturwesen Mensch verbinden sich allgemeines Ich und empirisches Ich zur Freiheit des Geistes. Der Mensch sei bestimmt und bestimme, er sei selbst dieser Übergang zur Einheit von Sein und Sinn, der Begriff als Zeit. Am Ende von Logique et Existence konkretisiert Hyppolite, was er unter „existence" versteht: „L'existence, la relation de l'homme au Logos" (LeE, S. 247). Die Existenz ist also eine Beziehung, die den Menschen mit der absoluten Idee als diskursivem Prozeß verbindet. Die Kategorie der Existenz gehört zu jenen Reflexionsbestimmungen, die Hegel in der Wesenslogik behandelt. Auf der Ebene des Wesens werden noch einmal die Bestimmungen der Seinslogik durchlaufen, die Existenz entspricht wesenslogisch dem Dasein. Wesenslogische Bestimmungen sind Beziehungen. Sie reflektieren sich wechselseitig in ihrem vermittelnden anderen in sich selbst. Die Kategorie der Existenz ist einerseits Wesen, und damit unbedingt, und andererseits ein Dasein, welches aus seinem Grunde hervorgegangen ist. Die wesenslogische Kategorie Grund bedeutet, daß etwas nicht auf etwas von ihm Verschiedenes zurückgeführt wird, sondern es geht in einem anderen auf sich selbst als seinen Grund zurück, Reflexion-in-sich und Reflexion-inAnderes werden in ihrer gegenseitigen Vermittlung gedacht. Beide Beziehungsweisen, Reflexion-in-sich und Reflexion-in-Anderes werden nun in unmittelbarer Einheit unter der Kategorie Existenz aufgehoben, und somit hat das Wesen eine neue Stufe in sich vermittelter Unmittelbarkeit erreicht. Das heißt nun, daß die Existenz einerseits als bedingt im Hinblick auf etwas schon Vermitteltes erscheint, andererseits unbedingt, weil ihre Vermittlung aufgehoben wurde und sich schließlich eine neue Unmittelbarkeit für das Wesen ergeben hat: „Das Wesen ist die Existenz".20 Wer also im Sinne Hegels von Existenz spricht, meint ein in sich vermitteltes Unmittelbares. Die innere Vermittlung des Wesens hat unmittelbar äußere Gestalt angenommen. Im Kontext dieser Arbeit ist diese Gestalt die Sprache, in welcher der Geist seine Existenz hat. In der Welt der Sprache befindet sich in der Auslegung Hyppolites der Mensch in unmittelbarer Einheit mit dem ihn vermittelnden Grund, dem Absoluten. So existiere der Mensch als Spur des allgemeinen Selbstbewußtseins, das in ihm als naturhaftem Dasein geschichtlich erscheine und ohne ihn nicht wäre. Die Geschichte sei zwar die völlige Entfremdung der absoluten Idee, aber in der Zeit entfremde sich auch die Entfremdung, das Negative wird das Negative seines Negativen. Die Geschichte ist auf diese Weise der Ort jenes Übergangs vom menschlichen Bewußtsein zum absoluten Wissen. Der Übergang selbst ist für Hyppolite jedoch keine geschichtliche Tat, was wohl eine Absage an die Revolution meint. G. W. F. Z. 12.
Hegel, Wissenschaft der Logik.
Die Lehre
vom
Wesen, Ausgabe Hamburg 1999, S. 108,
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In welcher Beziehung stehen also die nichtzeitliche Schicht logischen Werdens und die Geschichtlichkeit unserer Welt? Die absolute Idee sei die Vermittlung, durch welche sich Realität und Sinn wechselseitig reflektieren. Die Zeit sei das Bild jener absoluten Genese des Sinns. Sie sei die Entäußerung der Differenz, die sich in der absoluten Idee als innere Bewegung von Denkformen zeige, die sich ewig zeitigen. Die Frage, wie das Logische geschichtlich werden kann, ist vielleicht unbeantwortbar, meint Hyppolite (LeE, S. 44). Die Ewigkeit des Logos sei keine vor der Zeit. Er schlägt die Figur der voraussetzenden Reflexion vor: indem das vermittelnde Denken sich in der Zeit absolut voraussetze, sei es die Ewigkeit in der Zeit (LeE, S. 246). Eine zeitgenössische Rezension fand diesen Vermittlungsvorschlag nicht überzeugend.
VI. Kurze
Rezeptionsgeschichte von Logique et Existence
Logique et Existence ist wohl zuerst 1953 von Jean Wahl in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Critique rezensiert worden. Es folgten ihm Gilles Deleuze in der Revue philosophique de France et de l'étranger (1954) und Mimica Cranaki in der Revue de métaphysique et de morale (1954). Jean Wahl21 gibt eine eingehende Analyse von Logique et Existence im Hinblick auf die historische Konstellation der Hegeischen Philosophie. Seine Kritik wird vom empiristischen Standpunkt aus formuliert und bezieht sich vor allem auf die identitätsphilosophischen Prämissen des sogenannten „Deutschen Idealismus". Wahl war wohl als erstem die Heideggersche Formulierung „L'homme est la demeure du logos" (LeE, S. 92) aufgefallen.22 Er eröffnete damit die im folgenden ablaufende Debatte, ob es sich bei Logique et Existence um eine „heideggerianische" Hegel-Auslegung handelt.
In seiner 1954 veröffentlichten Kritik affirmiert Gilles Deleuze23 nachdrücklich HeDie Philosophie müsse Ontologie sein, schreibt Deleuze, sie könne nichts anderes sein, aber es gebe nur eine Ontologie des Sinns. Dies bedeute, daß die Philosophie von der Anthropologie Abschied nehmen müsse, denn sie sei eine Rede über den Menschen und bleibe in äußerlicher Reflexion von der Sache, über die sie spreche, getrennt. Dabei habe Hegel in seiner Phänomenologie gezeigt, daß menschliches Wissen immer das absolute Wissen voraussetze. Alle Bewußtseinsfiguren werden zu Momenten des Begriffs, äußere Differenzen werden zu inneren Differenzen des Seins, welches nun das mit seiner Vermittlung identische Sein sei. Diese absolute Identität von Sein und Differenz hieße Sinn. Daher verwandle Hegel die Metaphysik in Logik, die eine Logik des Sinns sei. Also sei Logique et Existence ein Buch über die Bedingungen des absoluten Diskurses. Eine Rede sei mithin philosophisch, wenn sie den Sinn aussage, den das philosophierende Ich sagt, wenn sich durch es das Sein sage. Die philosophische Rede überhaupt, wie der Anfang der Philosophie insbesondere, könne
gels identitätsphilosophischen Ansatz.
J. Wahl, Une Interpretation de la Logique de Hegel, in: Critique 79 (1953), S. 1050-1071. Ebd., S. 1052. G. Deleuze: Jean Hyppolite, Logique et existence, in: Revue philosophique de France et de l'étranger CXLIV (1954), S. 457^460; dt. G Deleuze, Jean Hyppolite, Logik und Existenz, in: ders., Die einsame Insel, Frankfurt am Main 2003, S. 18-23.
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daher nur zirkulär sein. Aber es bleibe in Logique et Existence das Verhältnis von Geschichte und logischem Werden des Absoluten ungelöst. Mimica Cranaki24 konzentriert sich in ihrer Rezension auf die ihrer Meinung nach hellenistischen Aspekte in Logique et Existence. Auf die vielen Bedeutungen des Wortes Aoyoç im Griechischen anspielend, schreibt Cranaki der Sprache drei Funktionen zu: erstens vermittle sie zwischen Sprecher und Sache, in dem sie beide aussagt und in intersubjektiver Kommunikation die gegenseitige Anerkennung der Sprecher stifte; zweitens hebe sie den Gegensatz zwischen Bewußtsein und Objekt auf und transformiere so den Verstand in Vernunft; drittens konstituiere die Sprache die Negation, weil sie anstelle sinnlicher Dominanz des Objekts oder von ihm Ähnlichen das arbiträre Zeichen als dessen Abwesenheit setzt. Das ungelöste Problem am Ende des Buches sieht auch Cranaki in der fehlenden Vermittlung von nichtzeitlicher Logik des Absoluten und dessen Geschichtlichkeit, die sich zu widersprechen scheinen. Michel Foucault umreißt in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France 1970 die fünf Verschiebungen der Philosophie, die Hyppolite durch seine Hegelinterpretationen vorgenommen hätte, und zählt zu der letzten das Problem des absoluten Diskurses in Logique et Existence. Diese Verschiebung rückt er in den Kontext der Fichteschen Philosophie.25 Während Hyppolite nach Michael S. Roth seine Beschäftigung mit Hegels Logik als Annäherung an Fichtes Philosophie ansah und Roth auch zugibt, daß man Hyppolites Beschäftigung mit Hegels Logik einfach als Wendung von einem Punkt der Hegelschen Philosophie, der Phänomenologie, zu dem anderen entscheidenden Punkt, der Logik, interpretieren könnte, hat Roth in seiner 1988 erschienenen Studie zur Hegel-Rezeption im Frankreich des 20. Jahrhunderts die These aufgestellt, daß es sich bei Logique et Existence um eine Auslegung Hegels durch die Brille Heideggers handeln würde, was er insbesondere an der herausragenden Rolle der Sprache in Logique et Existence festmacht.26 Den Wechsel liest er aus einem 1952 erschienen Aufsatz Hyppolites heraus, worin dieser aufzeigen möchte, daß die moderne Phänomenologie Husserls notwendig sich in Hegels absolutem Wissen gründen müsse, sonst würde sie zu einer Art von Kulturphilosophie. Eine genauere Textlektüre hält Roth innerhalb seiner Studie für überflüssig, weil Logique et Existence seiner Meinung nach ohne Einfluß auf die folgenden Generationen von Philosophen geblieben sei. Vorsichtiger formuliert hier Michael Kelly in seiner 1992 erschienen Studie Hegel in France, was Roths Heidegger-These anbelangt. Kelly sieht in Hyppolites Kehre zu „logic and structure of the production of meaning in language"27 einen Einfluß auf damals jüngere Philosophen wie Michel Serres, Georges Canguilhem oder Michel Foucault. Die eindeutige Zuordnung von Hyppolites Logik-Lektüre zur Philosophie Heideggers wird neuerdings noch stärker in der 2003 veröffentlichten Dissertation Hegel in 24
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Mimica Cranaki: Jean Hyppolite, Logique et existence, in; Revue de métaphysique et de morale 59 (1954), S. 202-205. Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 1991, S. 47^18. Michael S. Roth, Knowing and History, Ithaca 1988, S. 69: „This reading borrowed heavenly from Heidegger, who provided the language that made a retreat from historicism legitimate if not downright fashionable." Michael Kelly, Hegel in France, Birmingham 1992, S. 41.
Sabina Hoth
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Angelika Pillen vertreten, die Hyppolite erst vermittels „Heideggerscher Kategorien"28 Entdeckung zutraut, daß es sich bei Hegels spekulativ-dialektischer Konkretion von Formverhältnissen in der Logik um eine Bewegung des Absoluten und
Frankreich
von
die
nicht des Menschen handelt. Bruce Baugh versucht dagegen in seinem 2003 erschienen Buch French HegeP9 eine differenziertere Beschreibung der Entwicklung von Hyppolites Hegel-Interpretationen zu geben und schwächt den Heideggerschen Einfluß dahingehend ab, als er schon in Hyppolites frühen Werken die These von einem sprachlich verfaßten universellen Selbstbewußtsein ausmachen will.
Angelika Pillen, Hegel in Frankreich, München 2003, S. 143-144. Bruce Baugh, French Hegel, New York 2003, insb. S. 28-32.
Pierre Aubenque
Eric Weil oder der letzte Hegelianer
I.
Philosoph ist nicht der bekannteste unter den französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, die sich auf Hegel berufen, aber er ist sicherlich der echteste Hegelianer unter ihnen. Eric Weil (1904-1977) war deutscher Herkunft und hat dies nie verleugnet. Seine Kultur, seine Ideenwelt waren deutsch und sind es geblieben, trotz der negativen Erfahrungen, die er mit Deutschland machen mußte und die ihn 1933 zur Auswanderung aus Hamburg, wo er Ernst Cassirers Assistent war, zwangen. Im Unterschied zu den meisten intellektuellen Einwanderern jener Jahre, die, kamen sie aus Rußland oder später aus Deutschland, unter schweren materiellen Bedingungen versucht hatten, sich der Pariser Intelligenz anzuschließen, ist Eric Weil in der Provinz geblieben. Richtiger gesagt, er hat sich in der Provinz, zuerst in Lille, dann in Nizza, angesiedelt, ohne diese Situation als Verbannung zu empfinden. Schon das war ein deutscher Zug. Ich erinnere mich an seine Auftritte in Lille: Souverän, einschüchternd, selbstbewußt, auch während seiner Spaziergänge von Schülern umgeben. Es war einer der letzten Erfolge Hegels, auf französischem Boden die Erscheinung eines ordentlichen Professors der Philosophie altdeutscher Art zu ermöglichen, und zwar eines, der, wie Kierkegaard es von Hegel sagte, „alle Probleme gelöst hat" (Kierkegaard fügte allerdings böswillig hinzu: „alle Probleme außer eines: das Ihrige"). Ob Weil alle Probleme gelöst hat, sei dahingestellt. Er schien es allerdings zu versprechen. Aber genug von der Biographie, auf die Eric Weil nicht viel gab. Dieser
Eric Weil hat sich in den Jahren 1950-51 zwei Verdienste erworben, und zwar durch einen längeren Aufsatz über Aristoteles1 und ein kleines Buch über Hegel.2 Um 1950 war Aristoteles in Frankreich eine Neuigkeit: Fast niemand, außer einigen Thomisten, las ihn. Aristoteles war vom Cartesianismus aus den französischen Universitäten für Jahrhunderte vertrieben worden. Anders war es in Deutschland, unter anderem seitdem Hegel am Anfang einer seiner Vorlesungen feierlich gemahnt hatte: „Würde es Ernst mit der Philosophie, so wäre nichts würdiger, als über Aristoteles Vorlesungen zu halEric Weil, La place de la logique dans la pensée aristotélicienns, in: Revue de Métaphysique et de Morale (1951), S. 283-315. Dt. als: Die Rolle der Logik im aristotelischen Denken, in: Logik und Erkenntnislehre des Aristoteles, Darmstadt 1972, S. 134—174. E. Weil, Hegel et ¡Etat, Paris 1950.
Pierre Aubenque
106
ten".3 Nun hielt Eric Weil Vorlesungen und Seminare über Aristoteles. Was ihn bei Aristoteles anzog, war das, was schon Hegel angezogen hatte. Aristoteles versucht, das zu begreifen, was wirklich ist, d.h. die Wirklichkeit in den Begriff zu erheben: „Aristoteles ist in die ganze Masse und alle Seiten des realen Universums eingedrungen und hat ihren Reichtum und Zerstreuung dem Begriffe unterjocht".4 Dabei verachtet Aristoteles die Erfahrung nicht, sondern „nimmt die Bestimmungen der Gegenstände der Betrachtungen auf und „verknüpft sie". Somit ist er „im höchsten Grade spekulativ, indem er empirisch zu sein scheint [...]"; denn „das Empirische, in seiner Synthesis aufgefaßt, ist der spekulative Begriff'.5 Als „völliger Empiriker" ist Aristoteles ein „denkender" Empiriker. Eric Weil übernimmt diese Interpretation des Aristotelismus, und zwar in bewußter Konfrontation mit dem Piatonismus: Die platonischen Ideen sind „Konstrukte", die nur eine imaginäre Beziehung zur Wirklichkeit haben. Für Weil wie für Aristoteles geht es darum, die Welt zu analysieren, anstatt Hinterwelten zu konstruieren und unsere Welt anhand eines kreationistischen Schemas daraus abzuleiten. Das, was Weil als Philosophie definiert, ist ein immanentes Verständnis der Natur und auch der Geschichte, befreit von Konstruktionen und Ideologien, aber der vorurteilslosen Arbeit des Begriffs ständig unterworfen. In diesem Sinn, sagt er einmal, ist es dasselbe, Antiaristoteliker, Antihegelianer und Antiphilosoph zu sein. Man könnte es heute so formulieren: Gegen Hegel oder Aristoteles zu philosophieren, ist ein performativer Widerspruch. Hauptverdienst Weils in Sachen Aristoteles ist es, den Platz und die Funktion der Dialektik bei Aristoteles, zuerst in seiner Logik, zu würdigen. Dabei konnte er sich auf den Stand der aristotelischen Forschung stützen. Aristotelische Forschung war damals deutsche Forschung, wenn man die Arbeiten der nach Amerika emigrierten deutschen Philosophen und Altertumswissenschaftler u.a. Werner Jaeger, Julius Stenzel, Friedrich Solmsen, Kurt von Fritz dazuzählt. Außer denen von Werner Jaeger waren diese Arbeiten in Frankreich, wo man der deutschen Altertumswissenschaft mißtrauisch gegenüberstand, auch wenn ihre Vertreter nach Amerika übergesiedelt waren, völlig unbekannt. Ich war wahrscheinlich der Einzige, der übrigens auf Anregung Weils schon als Student anfing, diese Autoren zu lesen. In seinem epochemachenden Aufsatz über „La place de la logique dans la pensée d'Aristote", rehabilitiert Weil die aristotelische Dialektik, die bis dahin als „armer Verwandter" der Logik, als Logik des Scheins oder höchstens der Wahrscheinlichkeit galt. Weil zeigt, daß die aristotelische Dialektik ihre theoretische Schwäche durch ihren universalen Anspruch kompensiert. Sie überschreitet die formallogischen Regeln der positiven Wissenschaften, d.h. der endlichen Wissenschaften. Jede positive Wissenschaft ist in einer bestimmten Gattung eingeengt, sie ist also unfähig, ihre eigenen Prinzipien zu erfassen, die nur im Hinblick auf eine höhere Totalität Sinn haben, deren Erschließung notwendig ist, um die nebeneinander stehenden Teilwissenschaften zu legitimieren. Diese Forderung der Vermittlung und der Totalisierung, der die syllogistisch verfahrenden Wissenschaften nicht genügen können, obliegt der Dialektik: „Für -
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3
4 5
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G W. F. Hegel, Vorlesungen über Geschichte der Philosophie, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 19, S. 148. (Diese Ausgabe wird im folgenden als „Werke" mit Band- und Seitenzahlen angegeben.) Ebd., S. 132. Ebd., S. 172.
Eric Weil
oder der letzte
Hegelianer
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Aristoteles muß jede Wissenschaft sich hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Menschen rechtfertigen Sie sucht ihre Rechtfertigung mit Hilfe der Dialektik; dabei unterwirft sie sich der Kritik durch einen Menschen nicht durch einen Spezialisten vor der Instanz der Einheit stiftenden Rede, d.h. sie erweist sich so als ein besonderer Aspekt des einen Seins Sie führt daher mindestens für jeden Griechen zu der Frage nach den letzten Prinzipien dessen, was ist, insofern es ist".6 Der Mangel der aristotelischen Dialektik aber ist es, so Weil, daß sie subjektiv bleibt. Sie ist logosimmanent und der Logos, der ihr innewohnt, entfaltet sich nicht in einer Logik des Seins, sondern in einem ständigen Hin und Her der Meinungen über das Sein, d.h. in einer Aporematik, die, für Weil wie für Hegel, nie in eine Schau (Wesensschau, absolutes Wissen) münden kann. Der aristotelischen Dialektik, die ins Unendliche geht, fehlt jeder Abschluß, jede Bestimmtheit. Insofern bleibt die aristotelische Dialektik „subjektiv", dem Sein „äußerlich" (Hegel), sie tendiert zwar zu einer Ontologie, ist aber selbst keine, da diese für Aristoteles immer problematisch und aporetisch bleibt. Die aristotelische Dialektik ist eine Dialektik der Sätze, auch der Gegensätze. Ihr ermangelt es, eine Dialektik der Begriffe zu sein, die aus den objektiven, wirklichen Gegensätzen hervorgehen würde und dadurch die denkende Widerspiegelung der Realität wäre. Die aristotelische Dialektik bleibt ein Teil jener Logik, die wie Hegel bedauert eine Logik des Verstandes, eine Logik des Endlichen ist.7 „Der Mangel der aristotelischen Philosophie", sagt Hegel, „liegt [...] darin, daß, nachdem durch sie die Vielfalt der Erscheinungen in den Begriff erhoben war, dieser aber in eine Reihe bestimmter Begriffe auseinander fiel, der absolut sie vereinende Begriff nicht geltend gemacht worden [...]. Es fehlt die Einheit des Begriffs". Die Konsequenz ist, daß „das Bewußtsein [sich] von dem gegenständlichen Wesen trennt und daher mit einer Differenz zunächst behaftet ist, die es nicht überwindet".8 Dieser letzte Satz Hegels über Aristoteles, der übrigens auch gegen Kant gelten könnte, ist der eigentliche Punkt der Kritik Weils an der vorhegelschen Philosophie. Die Differenz zwischen Bewußtsein und Wirklichkeit ist in der traditionellen Philosophie nicht überwunden, nicht aufgehoben. Das geschieht erst mit Hegel und seiner Idee des Systems. Die Hervorhebung des spekulativen Mangels oder sogar des spekulativen Unvermögens der aristotelischen Tradition wird zum Leitmotiv der Auseinandersetzung Weils mit den Apologeten der Differenz, die, sich fälschlicherweise auf Hegel stützend, in den folgenden Jahren die Pariser philosophische Szene beherrschen sollten. Ich werde darauf zurückkommen. ...
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II. Aber zuerst der Paukenschlag Eric Weils aus dem Jahre 1950: Sein kleines Buch Hegel und der Staat. Diese kleine Schrift, zuerst im Collège philosophique von Jean Wahl vorgetragen, sollte in wenigen Jahren fünf Auflagen haben und wurde sicherlich Weils meistgelesenes Buch, obgleich oder vielleicht weil es eine gezielte Provokation war. 6
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Weil, Die Rolle der Logik, S. 166-167, Anm. 57.
Hegel, Vorlesungen über Geschichte der Philosophie, in: Werke, 19, S. 240. Ebd., S. 244.
Pierre Aubenque
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Es galt im Frankreich der Nachkriegszeit als Selbstverständlichkeit, daß, selbst wenn viele Aspekte der Hegelschen Philosophie es verdienten, gerettet und wieder aufgenommen zu werden (zu dieser Ansicht hatte Alexandre Kojève kräftig beigetragen), ein Teil seines Werkes von dieser Rettungsaktion ausgenommen werden sollte, nämlich seine politische Philosophie, insbesondere seine Philosophie des Staates. Daß der Staat das „IrdischGöttliche" sei, die Subordinierung der Zivilgesellschaft unter den Staat, die Behauptung der moralischen Bestimmung des Staates als solchem, die Kritik am Parlamentarismus, die Verteidigung der Monarchie, usw. das alles galt als eine Sammlung monumentaler Irrtümer, die unter dem Motto subsumiert werden konnten: Hegel als philosophischer Verteidiger und sogar Vergöttlicher des preußischen Staates. Die einzige pertinente Frage schien zu sein: Ist dieses Abgleiten Hegels ein Akzidenz, das keine notwendige Beziehung zu seiner Philosophie hat, oder wirft dieser politische Irrtum einen Schatten auf das Ganze dieser Philosophie? Die erste, wohlwollende Position scheint am stärksten in Frankreich vertreten worden zu sein. In zwei erstaunlichen Texten aus den Jahren 1944 und 1945 (in der Zeitschrift Les Temps Modernes veröffentlicht) hat Sartre eine Parallele zwischen dem, was man schon damals „den Fall Heidegger" nannte, und einem ähnlichen Fall Hegel gezogen: „Es ist notwendig, das zu suchen, was im Existenzialismus Heideggers dessen Annahme des Nazismus motivieren konnte, so wie man im Hegelianismus das hat suchen können, was Hegels Anschluß an die preußische Monarchie und den späten reaktionären Hegel möglich gemacht hat. Im Fall Hegels wäscht solche Analyse das Wesentliche des Hegelianismus, nämlich das dialektische Denken, von jedem Verdacht rein. Wenn man dasselbe für Heidegger unternehmen wird, wird eine solche Analyse auch das Wesentliche seiner Philosophie, das existentielle Denken [...] von jedem Verdacht reinigen".9 Und in dem anderen erwähnten Text: „Marx hat seine Dialektik von Hegel übernommen. Sagen Sie deshalb, Das Kapital sei ein preußisches Werk?".10 Eric Weil hat diese rhetorische Frage beinahe positiv beantwortet, aber ohne auszuschließen, daß ein preußisches Werk ein großes und sogar emanzipatorisches Werk sein könnte. In einem Anhang seines Buches Hegel und der Staat über „Marx et la philosophie du Droit", zeigt Weil all das, was Marx Hegel verdankt. Zuerst die Idee der Versöhnung des Menschen mit sich selbst und in gegenseitiger Anerkennung, die schon in der Phänomenologie des Geistes zum Zweck erhoben sind, aber auch die Theorie ihrer progressiven Verwirklichung in der Philosophie des Rechts. „Man kann insofern sagen, daß alle Bestandteile des Handlungs-Denkens von Marx schon bei Hegel vorhanden sind: Sie werden wissenschaftliche Begriffe und revolutionäre Faktoren vom Moment an, wo Marx den Begriff der Negativität, wie er in der Phänomenologie entwickelt worden ist, auf die in der Philosophie des Rechts erarbeiteten strukturellen Gegebenheiten anwendet".11 Ich glaube, in diesem Satz befindet sich der Keim der strukturalistischen Interpretation des Marxismus, die einige Jahre später von Louis Althusser vertreten wurde. -
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Vgl. Les Temps Modernes (1946), Nr. 4, S. 713. Im selben Heft befindet sich eine gemäßigte, ausgewogene Stellungnahme Weils zum „Fall Heidegger". E. Weil, Apropos de l'existentialisme: Mise au point, in:Z,es Temps Modernes (1944); dt. in: SartreLesebuch. Den Menschen erfinden, hg. v. Traugott König, Reinbek 1986, S. 56-57. E. Weil, Hegel et l'Etat, S. 109 [Übersetzung P. A.].
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oder der letzte
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Aber zurück zur Philosophie des Staates. Weil begrüßt die damals in Frankreich dominierende Interpretation Kojèves, wonach die Begriffe der Befriedigung und der Anerkennung den Kern der Hegeischen Philosophie ausmachen. Er gibt aber zu bedenken, daß die subjektive Analyse der Phänomenologie des Geistes anhand der Dialektik von Herr und Knecht nur eine abstrakte und provisorische Präfiguration dieses Themas ist. Die Phänomenologie ist nur eine „Leiter", die dem gemeinen Bewußtsein verhelfen soll, sich auf das Niveau des reinen Denkens zu erheben. Erst in der Philosophie des Rechts werden diese Ansichten konkret. Dort wird im Einzelnen gezeigt, daß und wie der Staat die Freiheit der Menschen verwirklicht. Dies wird von Weil nicht als Feststellung interpretiert, sondern als Forderung: Nur unter der Bedingung, daß der Staat sich als Gemeinschaft freier Bürger realisiert, ist der Staat ein Staat. Der Staat solle alle zu ihm gehörenden Individuen befriedigen. Wenn es innerhalb des Staates eine Gruppe gäbe, die wesentlich unbefriedigt wäre, wie z.B. das Proletariat, wäre das wiederum kein Staat. Gegen einen solchen Staat der Gerechtigkeit und des allgemeinen Glücks wäre nichts einzuwenden. Aber ist ein solcher Staat möglich? Die Antwort Weils lautet: Er ist möglich, weil er wirklich ist. Das heißt: Er wirkt allmählich in der Geschichte der Nationen, die ein ständiges Fortschreiten ist, so daß dieses Wesen und Telos des Staates am besten in der Organisation des zuletzt entstandenen Staats verwirklicht ist. Diese letzte Form war zur Zeit Hegels der preußische Staat in seiner postnapoleonischen freiheitlichen Prägung (unter Friedrich-Wilhelm III.). Daß der preußische Staat sich etwas später zu einem autoritären Staat entwickelt hat, eine Tatsache, worauf sich die Gegner Hegels stützen, um die Hegelsche Staatsphilosophie zu verdammen, ist erst nach Hegels Tod geschehen. Was hätte aber Hegel dazu gesagt? Und was sagt Weil dazu? Hegel, meint er, spricht nicht von einem besonderen Staat, sondern von dem Staat an sich. Dieser Staat an sich ist mehr oder weniger gut realisiert; aber auch in seinen unvollkommenen Formen wirkt in ihm, wie der Maulwurf der Geschichte, die unterirdische Kraft, die das Rettende vorbereitet. Die Rückschritte können nur vorübergehend sein, weil allein das Vernünftige wirklich ist. Nur der Staat, auch der unvollkommene, kann sich verbessern, erneuern. Nur der rationale Staat, die Verwaltung, die Regierung, können eine Revolution herbeiführen. Lenin wird daraus einiges lernen. Aus diesen ultrahegelianischen Thesen klingt ein erstaunlicher Optimismus. Wie konnte man 1950 so denken, und zwar nach den Katastrophen der ersten Hälfte des Jahrhunderts, die anscheinend zum großen Teil einer real existierenden pervertierten Staatlichkeit zuzuschreiben waren? Weil hätte wahrscheinlich gesagt: Es sind eben keine Staaten, die das Übel verrichtet haben, sondern degenerierte Staatserscheinungen, wo die Leidenschaft, die Willkür der Subjektivität vorübergehend die Oberhand gewonnen haben. Es gibt keine Zäsur in der Weltgeschichte, denn die Geschichte im Ganzen ist „sinnvoll" („sensée").12 Man kann sich fragen, ob Weil dabei nicht die Bewegung des Begriffs mit der realen Geschichte verwechselt. Er schreibt: Daß die empirische Realität noch nicht vernünftig ist, ändere nichts daran, daß im Hinblick auf das Recht des Denkens („en droit de pensée") der moderne Staat der vernünftigen Freiheit schon existiert, insofern die Menschen, die Völker, die Klassen, die historische Ankunft dieses Staates erwarten, fordern, vorbereiten, in letzter Analyse, weil ausgehend von dem Begriff des -
12
E.
-
Weil, Histoire et réalité, in: ders., Essais et conférences, Paris 1970, S. 42
[Übersetzung P. A.].
Pierre Aubenque
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vernünftigen Staates und erst aus ihm die konkrete und vernünftige Freiheit gedacht, gesucht, gefordert und fortschreitend verwirklicht werden kann.13 Das heißt: Ohne den Begriff der Freiheit kann die Freiheit nicht verwirklicht werden. Aber genügt der Begriff, um die Wirklichkeit nach dem Begriff zu gestalten? Jedenfalls bleiben falsche Begriffe oder sogar Begriffslosigkeit, auch wenn sie für die Menschen fatale Folgen haben, letzten Endes unbedeutend und deshalb selbst auf kürzere Frist unwirksam. Ich gebe nur ein Beispiel für diesen erstaunlichen Optimismus, man könnte sogar sagen, von dieser Blauäugigkeit Weils: seine Haltung zum Nationalsozialismus. Seine Ablehnung drückte sich nicht durch Polemiken und Invektiven, moralische Empörung und feierliche Warnungen, sondern meistens durch Schweigen, seltener durch den Ausdruck der Verachtung und souveräner Herablassung aus. Als er von den Nazis sprechen mußte, nannte er sie nie „Nationalsozialisten", wahrscheinlich weil es dieser Clique zu viel Ehre erweisen würde, sie mit Begriffen zu betiteln. Er sagte: „Die Hitlerianer", um daran zu erinnern, daß diese sogenannte „Bewegung" auf die Subjektivität -
eines Individuums, höchstens mehrerer Individuen, reduzierbar war. Nationalsozialismus
gehörte für ihn nicht zur Begriffsgeschichte, sondern zu den Akzidenzien und Abfallen der Weltgeschichte. Kurz gefaßt also sah Weil in der Geschichte keine Spaltung, keinen Konflikt, keine Gewalt, kein Übel, was durch die Kraft und Anstrengung der Vernunft nicht hätte überwunden werden können oder in der Zukunft überwunden sein würde.
III. Mit dieser Einstellung war er zu jener Zeit allein. Ich glaube nicht, daß zu diesem Zeitein solcher Hegelianismus in Deutschland hätte vertreten werden können. Darum habe ich meine Ausführungen auch betitelt: Eric Weil oder der letzte Hegelianer. In Frankreich hat er als solcher eine wichtige Funktion ausgeübt. Im Unterschied zu Deutschland war die französische Philosophie sofort nach einem doch „gewonnenen" Krieg, in Wahrheit aber unter dem Schock der Ereignisse, in eine tiefe Depression gefallen, eine Depression, die lebendig und geschwätzig hat sein mögen, die aber im Grunde auf einem deprimierten und deprimierenden Zweifel an der Vernunft beruhte. Man kennt die Manifestationen dieses Syndroms: den Existentialismus, den Protest des Individuums gegen das System und die verschiedenen Vorformen des Postmodernismus und des Dekonstruktivismus. Man sprach damals in Frankreich nicht von Fortschritt und Positivität, sondern eher von Krisen: Krise der Gesellschaft, Krise der Moral, Krise der Wissenschaften und, alles zusammenfassend, Krise der Rationalität. Der enorme Einfluß Heideggers in Frankreich zu einer Zeit, wo er in Deutschland fast auf Null reduziert war, mag dazu verholfen haben, wie auch die offenbar in dieselbe Richtung tendierende Kritik Adornos oder Marcuses an einigen späteren Auswirkungen der Aufklärung wie die „verwaltete Welt" oder die total „rationalisierte" und globalisierte Industriegesellschaft. Man könnte einwenden, daß ein anderer deutscher Philosoph, diesmal ein Rationalist, Edmund Husserl, zu den Pflichtlektüren der jungen Franzosen
punkt
13
Vgl.
E.
Weil, Logique de la Philosophie, 2. Aufl., Paris 1967, S. 21.
Eric Weil
oder der letzte
Hegelianer
III
gehörte. Aber ich erinnere mich daran, daß unter den Studenten die meistgelesene Schrift Husserls nicht die Logischen Untersuchungen waren, sondern die Krisis der europäischen Wissenschaften, wo die neuzeitliche Rationalität für den Verlust unserer „Lebenswelt" verantwortlich gemacht wurde. Der Logos schien an allem schuld zu sein: Einer der „neuen Philosophen" denunzierte etwas später die „Tyrannei des Logos", und unter dem Titel Die Meisterdenker (Fichte, Hegel, Marx) führte ein begabter Essayist, André Glucksmann, denselben Kampf, diesmal namentlich gegen den deutschen Idealismus, einschließlich des Hegelschülers Marx. Die einfache Präsenz Weils hätte einige Jahre früher dieser immer wieder entflammten Debatte ein höheres Niveau zu geben vermocht. Es sei hier an die Diskussion zwischen Eric Weil und Emmanuel Levinas erinnert, als den beiden Protagonisten zweier Richtungen, die damals die französische Philosophie in zwei Lager gespalten hat. Es geht um das Verhältnis zwischen Logos (Vernunft, „discours") und Gewalt. Beide Denker stimmen darin überein, daß die Gewalt, die die Menschen gegeneinander ausüben, gewissermaßen zum Naturzustand der Menschheit gehört. Gelingt es aber dem Logos, der dem Menschen auch gehört der Mensch, sagt Weil, ist Gewalt und Vernunft die Gewalt aufzuheben oder zu überwinden? Levinas glaubt es nicht. Denn der Logos zielt auf die Kohärenz, d.h. auf die Einheit, auf die Totalisierung. „Der Philosoph", schreibt in der Tat Weil, „ist derjenige, der kohärenterweise um der Einheit willen spricht" („Le philosphe est celui qui parle de façon cohérente en vue de l'unité").14 Aber diese Kohärenz, die uns zwingt, jede Meinungsverschiedenheit, jede Differenz, zugunsten der Einheit und der Einheitlichkeit -
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laut Levinas auch Gewalt, vielleicht die höchste Form der Gewalt. Für Weil wird die Aufhebung der Gegensätze erst durch eine Einigung über einen unpersönlichen, suprasubjektiven Gegenstand, kurz gesagt, über das Sein stattfinden. Nur wenn die Menschen vom Sein und nicht von sich selbst reden, können sie miteinander übereinstimmen: Sie versöhnen sich in der Ontologie, d.h. in einem gemeinsamen Diskurs über ein über- und intersubjektives Sein. Für Levinas hingegen birgt die Ontologie die Gefahr der Bevormundung und Vereinnahmung der Mannigfaltigkeit des Seienden durch die gesichtslose Macht der Idee, der Essenz oder einer transzendenten Präsenz. Levinas will, wie der späte Heidegger, die onto-theologische Metaphysik der Präsenz, die für Hegel durch das absolute Wissen verkörpert war, überwinden.15 Derrida wird mit seinem Verfahren der Dekonstruktion das Programm von Levinas erfüllen. Bei Levinas und in erklärter Auseinandersetzung mit Weil wird die Überwindung eher durch das Aufgeben des Universalisierungs- und Identifizierungsprozesses der Metaphysik stattfinden, sowie positiver ausgedrückt durch die Begegnung mit dem „Anderen" (sowohl männlich-weiblich als auch neutral verstanden), was seine Anerkennung und Respektierung impliziert. Die Emanzipation, die Befreiung des Menschen von jeder konstruierten Transzendenz ereignet sich eher in der Zerstreuung („dissémination"), in der „Diaspora des Absoluten" (Derrida), in der Respektierung der Differenzen oder sogar des Prozesses
aufzulösen, ist
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Vgl. E. Levinas, Autrement qu 'être ou delà de l'essence, Den Haag 1972; dt. als: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, München 1998. Über die Debatte zwischen Levinas und Weil sowie die Position Derridas (der auf der Seite von Levinas steht) vgl. Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1976, S. 177f. (Anm. 47).
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Pierre Aubenque
der Differenzierung, als in der Legalisierung und Globalisierung, die die Modernität kennzeichnen. Es bleibt, daß Eric Weil das große Verdienst zukommt, der beredte, ja manchmal vehemente Anwalt der Vernunft in einer Zeit der Unvernunft gewesen zu sein wer könnte es ihm vorwerfen? -, aber das auch in einer philosophischen Welt, die vielleicht mit guten Gründen an der Fähigkeit der Vernunft zweifelte, die Probleme zu lösen, die ihr einseitiger Gebrauch heraufbeschworen hatte. -
III. Abarbeiten an Hegel
Franck Fischbach
Der französische Neo- und Anti-Hegelianismus als
Quietismus
I. Ich möchte mich hier mit etwas befassen, das lange Zeit für die französische Philosophie eine Selbstverständlichkeit zu sein schien und in den Worten von Gérard Granel so benannt wurde: „Man kann gegen eine Epoche des Seins nichts unternehmen".1 Das war ganz offensichtlich die durchweg geteilte Überzeugung französischer Philosophen. Man kann nichts unternehmen, man kann nur abwarten, daß eine als Nihilismus oder Reich der Technik begriffene Epoche in den Abgrund fällt, wobei diese Epoche in jedem Fall als die letzte, wenn nicht als das Ende aller Epochen verstanden wird. In der französischen Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg scheint die These sehr tief verwurzelt, daß jegliches Handeln nur mehr illusorisch sei, daß alle tätigen Instanzen gewissermaßen erschöpft seien entweder, weil das Handeln mit einer verdorbenen „humanistischen" Moral belastet angesehen wird, oder weil alles Handeln ein für alle Mal als in einem Hervorbringen aufgegangen verstanden wird, in seiner nunmehr endgültigen und absolut dominierenden Gestalt kurz, es sei im wörtlichen Sinne „nichts mehr zu tun". Dieser radikale Skeptizismus der französischen Philosophie im Hinblick auf das Handeln und die möglichen Ressourcen der Handlung hat sich im Zusammenhang mit der einigermaßen besonderen Rezeption eines deutschen Philosophen herausgebildet, nämlich der Rezeption Hegels durch Alexandre Kojève, wobei er sich danach zusätzlich durch den Kontakt mit Heidegger und mit Nietzsche verstärkte. Das Ganze fand im Kontext eines anhaltenden Dialoges statt, der nach 1945 die französische Philosophie mit der deutschen Philosophie des 19. und des 20. Jahrhunderts verband. Zunächst sehr prominent war für die Generation von Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty die Rezeption -
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Vgl. G. Granel, Etudes, Paris 1995, S. 98: „Il n'y a strictement rien à faire, ni du dedans nie du dehors, contre un âge de l'être".
Franck Fischbach
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der Phänomenologie Edmund Husserls und von Martin Heidegger in Sein und Zeit, wobei auch die Marx-Lektüre und -Interpretation in Sartres Kritik der dialektischen Vernunft und in Merleau-Ponfys Abenteuer der Dialektik eine wichtige Rolle spielten. Der für das französische Denken entscheidende Charakter der Quellen sowohl aus dem phänomenologischen Denken in Husserl-Heideggerscher Gestalt als auch dem dialektischen Denken in seiner Hegel-Marx'sehen Gestalt ist vergleichbar nur mit der Bedeutung der Quelle Nietzsche und der daraus entnommenen Ressource einer radikalen Modernitätskritik: In der Kombination mit der Heideggerschen Interpretation der Metaphysikgeschichte hat es die in Nietzsches Denken gefundene Inspiration der französischen Philosophie ermöglicht, ein Denken nach dem Ende der Metaphysik auszuarbeiten, was die Deutschen ,post-metaphysisch' nennen würden und was man diesseits des Rheins gerne auch „postmodern" nennt. Und noch immer kann man keines der wichtigen und bedeutenden Werke der französischen Nachkriegsphilosophie von der Beziehung zur deutschen Philosophie trennen: Das gilt für die Beziehung Althussers zu Marx, Lacans zu Freud und Hegel, Foucaults zu Nietzsche und Heidegger, von Lyotard und Deleuze zu Kant und Nietzsche, von Derrida zu den „drei H" (Hegel, Husserl und Heidegger), aber auch von Levinas zu Husserl und Heidegger, und sogar noch von Ricœur zu Husserl, Heidegger und Gadamer.2 Die derart nach 1945 gewonnene Bedeutung der omnipräsenten Bezugnahme auf das deutsche Denken im Herzen der französischen Philosophie ist umso frappierender, wenn man sie mit der Situation vergleicht, die in Frankreich vor dem letzten Krieg herrschte. Für den damaligen Zeitraum kann man zumindest feststellen, daß die französische Philosophie sich in einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber dem deutschen Denken entfaltete: Insbesondere Bergson, um nur ein Beispiel zu nehmen, unterhielt keinerlei besondere Beziehung zur deutschen Philosophie, mit Ausnahme Kants. Kant aber war ein Sonderfall in Frankreich, insofern er dort sehr früh ins Pantheon der Denker der Dritten Republik aufgenommen wurde, die in ihm eine bemerkenswerte Ausnahme vom Irrationalismus und Bellizismus sah, die für die Franzosen im allgemeinen deutsche Denker auszeichneten, allen voran Hegel und Nietzsche. Die großen deutschen Denker, insbesondere die Repräsentanten des Deutschen Idealismus, wurden damals in Frankreich noch bevor sie zu Gesprächspartnern und Freunden Victor Cousins wurden als übersteigerte und besonders dunkle Metaphysiker angesehen, denen gegenüber nicht allein der Positivismus, sondern auch der französische Spiritualismus wohl auf Distanz zu gehen beabsichtigten. Natürlich hat der historische Kontext des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 und des Ersten Weltkrieges in großem Maße diese Unkenntnis vertieft, wenn es sich nicht ganz einfach um eine bloße Zurückweisung der deutschen Philosophie handelte.3 In dieser Hinsicht ist es traurig zu sehen, daß selbst unter den -
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Vgl.
Vincent Descombes, Das Selbe und das Andere. Fünfundvierzig Jahre Philosophie in Frankreich (1933-1978), Frankfurt am Main 1979, v.a. die Einleitung („Die Philosophie in Frankreich"), S. 9-16. Dies zeigt Domenico Losurdo in seinem Werk Hegel et la catastrophe allemande (Paris 1994 [ital. 1987]) auf, v.a. in den Kapiteln „Hegel ,belliciste' et Kant ,pacifiste'?" (S. 53-60) und „Image de l'Allemagne et image de Hegel" (S. 106-118); vgl. dt. D. Losurdo, Hegel und das deutsche Erbe, Köln 1989, S. 441-523.
Der französische Neo-
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Anti-Hegelianismus
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großen Philosophen sich leidenschaftliche Propagandisten der „Ideen von 1914" (nach dem Ausdruck von Domenico Losurdo) fanden, die die Kriegsideologie unterstützten. Das gilt insbesondere für Bergson, der in einer Rede während einer öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques ohne Zögern und ohne Differenzierung bezüglich Deutschlands davon sprach, daß „dessen Philosophie ganz einfach die intellektuelle Übertragung seiner Brutalität, seiner Begehrlichkeiten und Laster" sei, so daß, wie er hinzusetzt, „Deutschland eine sich auf Hegel berufende Beutemachernation geworden sei".4 Gewiß gibt es einige Ausnahmegestalten, wie beispielsweise Lucien Herr, Emile Meyerson oder Xavier Léon, die alle drei Kenner des Deutschen Idealismus waren, sodann Jean Wahl, als Leser von Kierkegaard und Hegel und als einer der ersten Interpreten Heideggers in Frankreich. II. Erst am Ende der dreißiger Jahre richtete sich der Blick einer jüngeren Generation französischer Philosophen, damals noch „in Ausbildung", endlich über den Rhein hinweg: Damals schrieb der junge Raymond Aron unter Leitung Léon Brunschvicgs seine Arbeit über die Geschichtsphilosophie und machte in Frankreich das Denken von Simmel, Dilthey, Weber und Rickert bekannt5, wie auch der junge Sartre die Werke Husserls und Heideggers bei seinem Berliner Aufenthalt entdeckte. Die ersten Arbeiten dieser beiden Philosophen bezeugen einen Wandel in der Haltung zum deutschen Denken, wofür man die Quelle im Umfeld eines Ereignisses suchen muß, das in jeder Hinsicht einen Bruch in der Beziehung zwischen der französischen Philosophie und dem deutschen Denken konstituierte, nämlich die Vorlesungen Alexandre Kojèves. Seine Einführung in die Philosophie Hegels fand im Rahmen seines berühmten Seminars statt, das Kojève an der Ecole pratique des Hautes études zwischen 1933 und 1939 durchführte. Dieses Seminar stellte bekanntlich die Fortsetzung eines anderen Seminars dar, welches Alexandre Koyré 1932 der Phänomenologie des Geistes unter dem Titel „Einführung in die Religionsphilosophie Hegels" gewidmet hatte. Man hat die Bedeutung von Kojèves Seminars oft genug herausgestellt auch weil daran die wichtigsten französischen Denker der Nachkriegszeit teilnahmen (Bataille, Lacan, Merleau-Ponty, Weil, Desanti, allerdings nicht Sartre) -, so daß wir uns hier nicht weiter über die historischen Umstände verbreiten wollen, unter denen es stattfand.6 Entscheidende Wirkung besaß Kojèves Seminar nicht nur, weil es dauerhaft die Haltung der französischen Philosophen zum deutschen Denken veränderte und das end-
4 5
Zitiert nach Losurdo, Hegel et la catastrophe allemande, S. 111. Vgl. von Raymond Aron dessen thèse complémentaire (zuerst veröffentlicht unter dem Titel „Essai sur la théorie de l'histoire dans l'Allemagne contemporaine", Paris 1938, neu hg. v. Sylvie Mesure unter dem Titel „La philosophie critique de l'histoire. Essai sur une théorie allemande de l'histoire", Paris 1987, ND 1991) und seine thèse principale (Introduction à la philosophie de l'histoire. Essai sur les limites de l'objectivité historique, Paris 1938, Überarb. Neuauflage hg. v. S. Mesure, Paris
1986). 6
Vgl.
dazu
Dominique Auffret, Alexandre Kojève. La Philosophie, l'Etat, la fin de l'Histoire, zu Kojève den Beitrag von Knut Ebeling in diesem Band.
1990, S. 309-365; vgl.
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Ende einer langen Periode brachte, die im besten Falle durch Gleichgültigkeit, im schlimmsten durch Ablehnung charakterisiert war. Im Anschluß an Kojève hat die französische Philosophie nicht mehr aufgehört zu versuchen, in Deutschland ihre erste Quelle der Anregung zu finden und mit dem deutschen Denken einen außergewöhnlich fruchtbaren Dialog zustande zu bringen. Und es war eben Kojèves Kommentar über Hegel, welcher es erlaubte, die Fäden des Denkens über die Ufer des Rheins hinweg erneut zu knüpfen Kojève spielte hier die Rolle des Vermittlers, die ein Jahrhundert zuvor von Heimich Heine verkörpert worden war. Wenn das französische Denken im Anschluß als Quellen auch die Philosophien von Marx, Nietzsche und Heidegger, Husserls Phänomenologie, Diltheys und Gadamers Hermeneutik oder sogar Freuds Psychoanalyse benutzte, so bleibt es doch wahr, daß ein gewisser Hegel Kojèves Hegel zuerst in entscheidender Weise das französische Denken markierte. Und wenn die anderen erwähnten Autoren und Traditionen eine ebenso wichtige Rolle spielten, dann oft aus dem Grund, daß die französische Philosophie sich daraus zu stärken suchte, um dem zu entkommen, was sie Hegel nannte und was in den meisten Fällen nur der Hegel Kojèves war. Kojèves Hegel besitzt eine bestimmte Anzahl bemerkenswerter Charakteristika, wie seinen Atheismus, seinen Humanismus und seinen ontologischen Dualismus zwischen demjenigen Seinsmodus, welcher der „Natur" zukommt und demjenigen, der auf den „Menschen" hört Charakteristika, die sich im übrigen ebenfalls in der Philosophie Sartres wiederfinden werden. Allerdings ist die These Kojèves, die am dauerhaftesten die Geister prägte, unzweifelhaft seine berühmte Verkündung eines „Endes der Geschichte". Kojève gelang der Gewaltakt, diese These, die nur ihm selbst eigen war, als eine eigentlich hegelianische These herauszustellen. Unser Vorhaben ist hier nicht, den Widerspruch dieser These zu Hegel selbst herauszustellen7, sondern den Einfluß deutlich zu machen, den sie dauerhaft auf die französische Philosophie ausgeübt hat und dabei dieser eine Wendung und einen Stil verlieh, der häufig genug Erstaunen und Fragen bei deutschen Philosophen auslöst. Mit anderen Worten, wir wollen die Rolle dieser These vom „Ende der Geschichte" aufzeigen und vielleicht darüber hinaus die Schlußfolgerungen, die daraus unmittelbar gezogen wurden, welche in dem Aufkommen einer gewissen Unverständlichkeit und in der Bildung einiger Mißverständnisse zwischen französischen und deutschen Philosophen eine Rolle spielten.
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III. Die erste Schlußfolgerung, die sehr schnell aus der Ankündigung Kojèves vom „Ende der Geschichte" gezogen wurde, ist, um es gleich zu sagen, diese, daß es nichts zu unternehmen gebe und daß die menschliche Handlung von nun an ohne Gegenstand sei. Wenn alles abgeschlossen, alles gesagt ist, warum dann noch handeln? Handeln hat keinen Sinn mehr, weil unsere Handlung nichts bewirken könnte, was nicht bereits existierte, was Auf bemerkenswerte Weise hat dies Christophe Bouton vollbracht in seinem Artikel Hegel penseur de la ,fin de l'histoire'?, in: Jocelyn Benoist/Fabio Merlini (Hg.), Après la fin de l'histoire. Temps, monde, historicité, Paris 1998. Vgl. zu dieser Frage auch F. Fischbach, L'être et l'acte. Enquête sur les fondements de l'ontologie moderne de l'agir, Paris 2002.
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nicht bereits bewirkt worden wäre. In dem Maße allerdings, in dem die Handlung von nun an ohne Gegenstand ist, befindet sich auch eben das Subjekt der Handlung in irreversiblem Niedergang und droht zu verlöschen: Hat das wirklich noch einen Ort des Seins, was nichts mehr zu tun hat? Von Kojèves „Ende der Geschichte" bis zum Ende des Subjekts und dem Tod des Menschen bei Foucault gibt es eine direkte Verbindung: Es ist der langsame Tod, eine Art des Sterbens aus Langeweile desjenigen, dessen Handlung auf nichts anderes mehr verweist als auf seine wesentliche Endlichkeit, desjenigen, dessen Aktivität fortschreitend in der absolut demobilisierenden Alternative der Arbeitslosigkeit oder der Muße erlischt. Der Mensch des „Endes der Geschichte", der nichts mehr zu tun hat, ist tatsächlich entweder der reine, einfache Arbeitslose, dessen Existenz nur noch aus einer Freizeit besteht, deren abgrundtiefe Leere bis zur Erschöpfung durch vorgebliche Aktivitäten oder scheinbare Hyperaktivitäten ausgefüllt wird, welche eben durch die Freizeitindustrie bereitgestellt werden. Der Mensch des „Endes der Geschichte" lebt und erträgt einen endlosen Sonntag, diesen „Sonntag des Lebens", von dem Hegel sagte, daß er „alles gleich macht", diesen Dimanche de la vie, den Raymond Queneau, Herausgeber der Vorlesungen von Kojève an der Ecole pratique des Hautes études, zum Titel einer seiner Romane gemacht hat. Es mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, Kojèves Hegel-Lektüre eine solche Bedeutung beizumessen und mit dieser Hegelinterpretation die Wiederaufnahme des Dialogs der französischen Philosophie mit dem deutschen Denken zu datieren, insofern die französische Philosophie nach 1945 durch eine völlige Zurückweisung Hegels charakterisiert werden kann, mindestens aber durch den Versuch, ihm zu entgehen. Von der Generation eines Sartre oder Merleau-Ponty bis zu derjenigen eines Foucault oder Deleuze kann man diesen Willen, sich dem Einfluß Hegels zu entziehen, wachsen sehen. Während Merleau-Ponty noch sagen konnte, daß „in Hegel [...] all das seinen Anfang" hat, „was sich seit einem Jahrhundert an Großem in der Philosophie ereignet hat"8, deklariert Foucault hingegen in seiner Inauguralvorlesung am Collège de France in der Nachfolge Jean Hyppolites auf einem Lehrstuhl mit dem hegelianischen Titel der „Geschichte der Systeme des Denkens" -, daß „unsere gesamte Epoche, sei es in der Logik oder in der Epistemologie, sei es mit Marx oder mit Nietzsche, Hegel zu entkommen trachtet".9 Zwischen diesen beiden Positionen liegen nur zwanzig Jahre, und doch sagt dies viel über die Haltung der französischen Philosophie zu Hegel aus. Diese Haltung kann man in den Worten Maurice Blanchots resümieren: „Man kann Hegel nicht ,lesen', es sei denn, man liest ihn nicht".10 Wenn Blanchot dadurch sagen will, daß man Hegel nicht wirklich liest, wenn man ihn im Text und genau auf die Weise eines Philosophiehistorikers liest, sondern daß man ihn vielmehr nicht liest, jedenfalls nicht auf die historische Weise, ja sogar daß man ihn nicht mehr liest oder ihn zu lesen verweigert, dann hat in diesem Sinne die französische Philosophie der Nachkriegszeit wirklich Hegel gelesen und zwar wie Kojève, d.h. eben nicht als Philosophiehistoriker. Man muß eigentlich nicht daran erinnern, daß Kojève niemals den Titel eines Philosophiehistorikers im allgemeinen und eines Hegelspeziali-
8 9
10
Maurice Merleau-Ponty, Sinn und Nicht-Sinn, München 2000, S. 83. Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France zember 1970), Frankfurt am MainAVien 1977 [zuerst München 1974], S. 49f. Maurice Blanchot, Die Schrift des Desasters, München 2005, S. 63.
(2.
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besonderen reklamierte. Sehr deutlich in dieser Beziehung stellt er in einem Brief an Tran-Duc-Thao fest: „Mein Werk hat nicht den Charakter einer historischen Studie, es kam mir kaum darauf an zu wissen, was Hegel in seinem Buch selber sagen wollte", d.h. in der Phänomenologie des Geistes.." Es scheint kaum übertrieben zu sagen, daß Generationen französischer Philosophen nach dem Kriege mit Ausnahme natürlich der akademischen Spezialisten für Hegel und für den Deutschen Idealismus Hegel ganz auf die Weise von Kojève lasen, d.h. nicht als Historiker, was im übrigen darauf hinaus lief, das Hegelsche Denken nicht als ein vergangenes Denken anzusehen, sondern es im Gegenteil, wenn nicht als ein immer noch der Gegenwart angehöriges, zumindest als ein sehr weitgehend und von vornherein für die Gegenwart entscheidendes Denken. Was Hegel besonders gegenwärtig und aktuell machte, war eben die These Kojèves vom „Ende der Geschichte". Man könnte glauben, daß in bezug auf eine so radikale These eine Spaltung eingetreten wäre zwischen einem Teil der Hegelianer oder der Neuhegelianer, die diese These akzeptierten und die Diagnose von Kojève teilten, und einem anderen Teil von Nicht-Hegelianern oder Anti-Hegelianern, die aus verschiedenen Gründen eine solche Diagnose der Gegenwart zurückgewiesen hätten. Das aber fand nicht statt, vielmehr muß man erstaunt konstatieren, daß die Diagnose vom Ende der Geschichte sehr bald zum gemeinsamen Erbe der französischen Philosophie geworden war: Die Abweichungen erschienen nur hinsichtlich des Sinnes, den man diesem Ende der Geschichte gab, und genauer noch in bezug auf die Frage danach, ob man dem Ereignis diese Endes einen positiven oder negativen Sinn zumessen sollte. Die Diagnose vom Ende der Geschichte wurde in gewisser Weise einstimmig angenommen, und die Fragezeichen knüpften sich allein daran zu wissen, ob man die Tatsache, in einer Epoche des Endes der Geschichte zu leben, als eine Chance oder als einen Fluch betrachten solle mit anderen Worten, ob dieses Ende zufriedenstellend sei, weil es die Befriedung aller Spannungen und Kämpfe bedeutete, oder ob es vollkommen inakzeptabel sei und man dagegen revoltieren müsse, selbst mit dem Risiko, daß besagte Revolte in einer Epoche, in der es nichts mehr zu tan gibt, von vornherein zum Schweigen verurteilt wäre und dazu, in diesem Schweigen der Abwesenheit des Werkes, d.h. im Wahnsinn zu verharren. Einmal eingeräumt, daß es nichts mehr zu tan gibt, bleibt als einzige Alternative nur, entweder die glückseligen Zeugen des Abschlusses aller Dinge und die bemühten Vorsinger des großen Buches zu werden, oder die Chronisten der wachsenden Wüste und kommenden sten im
von
1948
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Ungemachs.
Auf den ersten Blick ist es ein gewisses Paradox, das wir hier bei der Interpretation Hegels anzeigen, wenn dieser durch Kojève als Quelle für den Pessimismus der französischen Philosophie im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten genommen wird, als Ursprung eines französischen Skeptizismus statt der Hochschätzung der Aktivität und des Praktischen, wie sie die moderne Philosophie von Leibniz bis Marx über Kant und den Deutschen Idealismus charakterisiert. Das geht bis zu dem Punkt, wo die Kritik dieser Hochschätzung der Aktivität ein hauptsächlicher Aspekt des Bruches der französischen Philosophie im Hinblick auf die Philosophie der Modernen werden konnte und ein entscheidendes Element ihrer Kritik der Modernität ausmachte. Dieses Paradox besteht Dieser Brief wird zitiert in: Gwendoline Jarczyk/Pierre-Jean Labarrière, De Kojève à Hegel. dépensée hégélienne en France, Paris 1996, S. 64.
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darin, daß man bei Kojève eine Betonung menschlicher Handlung findet, auf die sich Prädikate beziehen, die zuvor nur und traditionellerweise der göttlichen Handlung vorbe-
halten waren, angefangen vom schöpferischen Charakter dieser Handlung, d.h. seiner Fähigkeit, ex nihilo etwas Neues zu schaffen. Paradox ist es schon, wenn diese rückhaltlose Betonung der menschlichen Handlung zur selben Zeit in einen radikalen Pessimismus münden konnte, was die Möglichkeiten menschlicher Tätigkeit anbelangt. Tatsächlich liegt die Ambivalenz bereits in Kojèves Text selbst. Denn dieser schreibt einerseits: ,„Das wahre Sein des Menschen ist seine Handlung', sagt Hegel. Das heißt, durch die Handlung der Negation des Gegebenen erschafft sich der Mensch und, nach jeder Schaffensstufe, gewinnt er Bewußtsein von dem, was er erschaffen hat, d.h. was er nach dem Sein geworden ist."12 Das heißt aber auch, daß andererseits die Philosophie, die sich als definitives und absolutes Wissen des Menschen ausgibt, dieses nur unter der Voraussetzung machen kann, daß die Handlung abgeschlossen und erschöpft sei. „Ein Wissen über den Menschen", schreibt Kojève, „kann absolut nur in dem Augenblick sein, wo die negierende Handlung definitiv endet, d.h. in dem Moment, wo der Mensch vollkommen mit dem Gegebenen ,versöhnt' und ,befriedigt' in ihm und durch es ist".13 Kojève macht also aus der Handlung das Wesen des Menschen nur, um sogleich darauf festzustellen, daß es ein mögliches Wissen von diesem Wesen nur unter der Voraussetzung gibt, daß der Mensch nichts mehr durch seine Handlung zu tun hat und daß also diese Handlung in einem Ergebnis endet, d.h. in einer historischen Konfiguration, in welcher er Befriedigung erhält in dem Maße, wie er sich in ihr selbst erkennt. Bemerkenswert ist, daß die Charakterisierung der Epoche als eine der Befriedigung und der Versöhnung durch Kojève bei denjenigen, die sie ablehnten, nicht dazu führte, diese Epoche als Ende und Vollendung zu bestreiten. Besonders bedeutsam in dieser Hinsicht ist ein Brief Batailles an Kojève vom 6. Dezember 1937.14 Wie viele nach ihm beginnt Bataille mit der Einräumung der Diagnose von Kojève: „Ich nehme an (als wahrscheinliche Unterstellung), daß von jetzt an die Geschichte vollendet ist, wenngleich ich mir die Dinge anders vorstelle."15 Und in der Folge präzisiert er, worin die Differenz besteht: „Wenn die Handlung (das ,Tun') wie bei Hegel Negativität ist, stellt sich also die Frage zu wissen, ob diese Negativität desjenigen, der ,nichts mehr zu tun' hat, verschwindet oder in einem Zustand der ,Negativität ohne Beschäftigung' verbleibt; persönlich kann ich mich nur in einer Richtung entscheiden, weil ich selbst eben jene ,Negativität ohne Beschäftigung' bin (ich könnte mich nicht genauer definieren)."16 Man sieht: Der Neo-Hegelianismus vom Typ Kojève und der Anti-Hegelianismus stimmen gleich anfangs der Diagnose vom „Ende der Geschichte" zu; sie sind uneins nur in der Frage, was der Negativität des Tuns und des Handelns zukommt, sobald 12
13
14
15 16
Alexandre
Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, Paris 1947, S. 309. [Die Passage fehlt in der gekürzten deutschen Übersetzung: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2005 [zuerst 1975], A.d.Ü.]
Ebd. Da dieser Brief 1944 nur teilweise veröffentlicht worden war, rekonstruierte Denis Hollier die vollständige Version anhand der Notizen in George Batailles Œuvres complètes (Bd. 5, Paris 1973, S. 369ÍT.), abgedruckt in: D. Hollier, Le Collège de Sociologie (1937-1939), Paris 1995 [zuerst 1979], S. 75-82. Ebd., S. 75. Zitiert nach ebd., S. 76.
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nichts mehr zu tan gibt. Es ist die Konversion der Negativität des Tuns in die Befriedigung und Genügsamkeit, welche problematisch ist, und nicht die Idee, daß diese Negativität nichts mehr hat, auf das sie sich erstrecken könnte. So findet Kojèves Diagnose sich ebenso bei Blanchot akzeptiert: „Wir setzen voraus, daß der Mensch in seinem Wesen befriedigt ist, er hat als universaler Mensch nichts mehr zu tun, ist ohne Bedürfnis". Er ist ohne Bedürfnis wie Kojève richtig herausstellt -, aber deswegen ist er noch nicht ohne Begehren. Darin bestünde das, was Blanchot die „Grenz-Erfahrung" [V expériencelimite] des universalen Menschen nennt, d.h. des Menschen vom Ende der Geschichte: Er ist ohne Bedürfnis, und er begehrt gleichwohl immer noch, er ist befriedigt, und er ist es zugleich nicht; so fremd wie das erscheinen mag, genügt die Befriedigung nicht oder das Genügend befriedigt nicht, seine „Grenz-Erfahrung" [V expérience-limite] besteht darin, die „Unbefriedigung dessen, was insgesamt' befriedigt ist", zu spüren und auszuhalten. es
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IV.
Kojève hat ohne Zweifel nichts anderes gemacht, als unter einer einigermaßen besonderen Form dasjenige nach Frankreich zu importieren, was Habermas später das Paradigma der Philosophie der Praxis nennen wird, als konkurrierendes Paradigma zur Philosophie der Reflexion. Man kann in Betracht ziehen, daß das philosophische Modell der Reflexion in Frankreich sehr lang und sehr weitreichend dominant war, nämlich bis in die dreißiger Jahre hinein besonders Bergsons Denken gibt ihm seine letzte Illustration. Kojève erlaubt dann das Zusammentreffen des Modells der Philosophie der Praxis, welches bis dahin we-
sentlich in Deutschland unter der Form eines durch Denker wie Lukacs, Korsch oder Horkheimer repräsentierten weberianischen Marxismus ausgearbeitet war, mit den Strömungen, die sich in Frankreich vom dominanten Modell der Philosophie der Reflexion zu befreien suchten, indem sie sich beim Positivismus Comtes, bei der Schule Emile Durkheims, insbesondere bei Marcel Mauss bedienten was die Kameraderie der Gründer des Collège de Sociologie, Bataille und Caillois, mit Kojève am Ende der dreißiger Jahre erklärt. Es bleibt aber eine sehr besondere und letzten Endes sehr merkwürdige Form, in welcher Kojève das moderne philosophische Modell der Praxis nach Frankreich einführt, mit all seinen Korollarien zu den Themen der Produktion, der Entfremdung und der Emanzipation. Während ein solches philosophisches Paradigma untrennbar von einer Verschiebung des Akzentes vom erkennenden Subjekt auf das handelnde Subjekt ist, importiert es Kojève in Frankreich in der unmittelbaren Assoziation mit einer Diagnose, nach der es in der Epoche des Endes der Geschichte nichts mehr zu tan gebe und die Handlung nun ohne Gegenstand und die Tätigkeit erschöpft oder wenigstens auf dem Wege der Auslöschung sei. Kojèves Name steht definitiv für ein Paradoxon, das darin besteht, in Frankreich die Philosophie der Praxis und die sie begleitende Philosophie der Geschichte eingeführt zu haben und damit zur gleichen Zeit die Diagnose, nach welcher die Geschichte beendet, die Praxis erschöpft und die Epoche eine der vollkommenen Werklosigkeit ist. Es läßt sich erkennen, bis zu welchem Punkt und wie tief diese merkwürdige theoretische Konfiguration das französische Denken nachhaltig prägen konnte, wenn man das Vorwort liest, welches Foucault der Erstausgabe von 1961 seines Buches Wahnsinn und Gesellschaft voranstellt, als sein Unternehmen noch als „Wahnsinn und Unvernunft" -
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betitelt war. In diesem Vorwort hat Foucault die berühmte Formulierung verwendet, wonach er „nicht die Geschichte [einer] Sprache [...], sondern eher die Archäologie [eines] Schweigens" geben wollte.17 Das bedeutet, es gibt im eigentlichen Sinne keine mögliche Geschichte des Wahnsinns, eben weil es nur eine mögliche Geschichte von Diskursen und Taten gibt, und also weil es im eigentlichen Sinne eine Geschichte der Vernunft nur als Vernunft am Werk oder als bewirkende Vernunft geben kann hier muß man Hegel unbestreitbar Recht geben. Wo aber Hegel Umecht hat, ist der Glaube, daß die Vernunft das Ganze sein könnte und also alles sich in einer Geschichte der Vernunft einschreiben ließe: Was Hegel nicht sah, war, daß die Vernunft sich nur um den Preis einer Teilung und eines Ausschlusses instituiert nämlich der Teilung zwischen sich selbst und ihrem Anderen, und dem Ausschluß dieses anderen. Nun ist dieses andere eben das, was weder Diskurs noch Tat besitzt, was also Schweigen und Werklosigkeit ist worin eben der Wahnsinn besteht. In diesem Sinne kann Foucault erklären, daß es im eigentlichen und strengen Sinn des Ausdrucks keine mögliche Geschichte des Wahnsinns gibt und kann dies nur tun, weil er von vornherein die Bestimmung von Hegel-Kojève annimmt, Geschichte sei Geschichte einer ins Werk setzenden Vernunft, allerdings um die Bedingung der Möglichkeit dieser Bestimmung und dessen, wovon sie Negation ist, zu finden. Als Ensemble und Abfolge bedeutender Taten, verständiger Werke und bedeutsamer Reden setzt die Geschichte als Ursprung, dem sie sich entrissen hat, um sich als Geschichte zu konstituieren, eine „obskure Region" voraus, einen „unfruchtbaren Strand der Worte", wo keine Syntax die Sprache artikuliert, eine „verfallene Zeit", ein „Werden, das irreparabel weniger ist als die Geschichte", eine unbestimmte Zone, die wie ein „unfruchtbarer Strand" ist, wo jede Gestalt sich, kaum gezeichnet, verwischt, weil „man ein Sprechen an den Pranger stellt, als sei es keine Sprache, eine Geste, als sei sie kein Werk".18 Indem er sich so, wie er weiter sagt, „in den Grenzen der Geschichte" bewegt und das voranbringt, was er „eine Geschichte der Grenzen" nennt19, versteht Foucault zugleich, die Grenzen der Geschichte zu ziehen. Er tut dies, indem er zeigt, daß dasjenige, was sich ihr entreißt, um sich als Geschichte der Werke zu konstituieren, d.h. als Geschichte bedeutsamer Gesten und bedeutender Taten, und das, was am Ende ihre unvermeidbare Wiederkehr ausmacht, sie immerzu begleitet und in ihrer ganzen Entfaltung ihr auflauert: „Das große Werk der Geschichte der Welt wird unauslöschlich begleitet von einer Abwesenheit des Werkes, die sich jeden Augenblick erneuert, die jedoch in ihrer unvermeidlichen Leere entlang der ganzen Geschichte unverändert abläuft: und bereits vor der Geschichte, denn sie ist bereits da in der anfänglichen Entscheidung, und auch noch nach ihr, denn triumphieren wird sie im letzten, von der Geschichte gesprochenen Wort".20 Und dies ist eben das letzte Wort, das Hölderlin, Nietzsche, Roussel oder Artaud zuerst ausgesprochen haben, im „hartnäckigen Gemurmel einer Sprache, die ganz allein sprechen würde"21, da-
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M. Foucault, Vorwort zu: Folie et Déraison. Histoire de la folie à l'âge classique, Paris 1961, in: ders., Dits et écrits. Schriften, hg. v. Daniel Defert u. François Ewald, Bd. 1 (1954-1969), Frankfurt am Main 2001, S. 225. Ebd., S. 228f. Ebd., S. 226. Ebd., S. 228. Ebd., S. 229.
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hinsiechend, verlöschend und im endlichen Schweigen sich unterbrechend; ihre Diskurse kündigen den Einbruch des großen Werkes selbst an, das Ende der großen historischen
Erzählung, die Erschöpfung und Auslöschung der Stimme der Vernunft im Schweigen der großen Enfwerkung. In diesem Zeitalter der Enfwerkung, das die Überhand gewinnt, gibt es nichts zu tan, genauer: Es gibt nichts mehr, was man machen und was nicht bereits als Vollendung des großen Planes, als die Vollendung des Werks der Vernunft oder der Vernunft des Werkes präsentiert werden könnte. Gewiß aber wäre es falsch und, auf Foucault bezogen, ungerecht, aus dieser im weitesten Sinne von Kojève und Bataille ererbten Diagnose der Gegenwart zu folgern, sie hätte ihn von der Beschäftigung mit dem Feld des Praktischen abgelenkt: Auch ohne Rücksicht auf seine tatsächlichen Engagements der siebziger Jahre läßt sich einschätzen, daß der Gedanke, daß es weder ein Werk im emphatischen Sinne mehr gibt noch eine Praxis im Singular, Foucault nicht dahin führte, alle Praxis als erschöpft zu denken, sondern vielmehr dahin, daß alle Praktiken von nun an irreduzibel im Plural, lokal, singular und diskontinuierlich gedacht werden müssen. Er stellte sich in jedem Falle die diskursiven Universen, deren Archäologie er unternahm, immer noch im wesentlichen als diskursive Praktiken vor, anders gesagt,
er
erklärte selbst, daß die
Diskurse, „Wissenschaft, Literatur, religiöse Äußerungen oder politische Diskurse eine
Praxis formen, die sich mit anderen Praktiken verbindet".22 Bei Foucault hat man es weniger mit einer Erschöpfung des Praktischen zu tan als vielmehr mit dessen Explosion und dessen Verstreuung in einer Vielzahl von immer lokalen und irreduzibel singulären Praktiken. Ein noch größerer Irrtum könnte dazu verleiten, daß man auch bei Deleuze eine Abwendung vom Feld der Praxis und eine Erschöpfung des Paradigmas der Aktivität diagnostiziert. Das wäre tatsächlich schon auf den ersten Blick schwierig, weil Deleuze sich in seinem Nietzsche und die Philosophie (1962) zum Theoretiker der „aktiven Kräfte" im Gegensatz zu den „reaktiven Kräften" macht und den Übergang des „letzten Menschen" zum „souveränen Individuum", d.h. zum „Übermenschen", ankündigt. In Deleuzes Text kommt es zu einem merkwürdigen Zusammentreffen des „letzten Menschen" Nietzsches mit dem Menschen vom Ende der neo-hegelianischen Geschichte Kojèves: Der letzte Mensch oder der Mensch vom Ende der Geschichte ist ein kranker Mann mit morbidem Willen, es ist der Mensch des „passiven Nihilismus", der sich durch „einen Willen der Nichtang" auszeichnet, der ebenso „eine Nichtung des Willens" ist, ein Mensch, dessen ganze Aktivität sich ihrerseits gegen ihn selbst wendet und reaktiv wird.23 Es handelt sich also für Deleuze darum, diesen Menschen des passiven Nihilismus zu negieren und zum souveränen Individuum überzugehen, nach einer doppelten Negation, die keinerlei Beja22
23
M. Foucault, Antwort auf eine Frage [Réponse à une question, in: Esprit 371 (1968), S. 850-874], in: ders., Dits et écrits. Schriften, Bd. 1, S. 884. Es lohnt, an den Wortlaut der Frage von Jean-Marie Domenach, Herausgeber der Zeitschrift Esprit, za erinnern, auf die Foucault in diesem Text antwortet: „Beseitigt ein Denken, das den Systemzwang und die Diskontinuität in die Geistesgeschichte einfuhrt, nicht jede Grundlage einer progressiven politischen Intervention? Mündet es nicht in folgendes Dilemma: entweder das System zu akzeptieren; oder an das wilde Ereignis, an den Einbruch einer von außen kommenden Gewalt zu appellieren, die allein imstande wäre, das System zu erschüttern?" (Ebd., S. 859, Anm.l) Vgl. Gilles Deleuze, Nietzsche und die Philosophie, Hamburg 1991, S. 183f.
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hung hervorbringt, die vielmehr in sich selbst, als Negation, das Ergebnis einer Bejahung
ist24: Es handelt sich um die Transmutation, welche der Mensch des „aktiven Nihilismus" produziert, der sich im Gegensatz zum letzten Menschen und seiner Nichtung des Willens (welcher kein Wille von nichts mehr ist) durch eine Willensaktivität der Nichtung auszeichnet, d.h. durch seine „aktive Zerstörung"25, durch „die Freude an der Vernichtung". Nach dem Anti-Ödipus wird der Mensch des passiven Nihilismus bei Deleuze als Paranoiker bezeichnet, während der Mensch des aktiven Nihilismus zum Schizophrenen wird. Allerdings findet man auf Seiten des letzteren eine extreme Wertschätzung der von nun als Wunschaktivität und als Produktivität des Begehrens interpretierten Aktivität. Diese aktive Schizophrenie scheint dennoch nirgends auf dezidierte und noch weniger auf definitive Weise durchzubrechen, selbst nicht beim „großen Künstler": Deleuze nimmt tatsächlich an, daß sich nicht jeder vollständig von seiner Reaktivität befreien kann, die nun als ein paranoides Begehren, d.h. als ein Begehren nach Unterdrückung interpretiert wird. Wenn Friedrich Nietzsche, Vincent van Gogh, Antonin Artaud oder Raymond Roussel das ins Werk gesetzt haben, was Deleuze eine „phantastische Durchbohrung" nennt; wenn sie „die Mauer des Signifikanten durchbrochen haben" und „mit einer Stimme zu uns sprechen, welche die Stimme unserer Zukunft ist", was eben die erste Dimension des Schizophrenen ist, so muß man, nach Deleuze, ebenfalls anerkennen, daß „das zweite Element immer noch im Prozeß präsent bleibt, und darin liegt die Gefahr des Zusammenbruchs".26 Deleuze wird auf diese Weise dazu geführt, die „Fragmente der schizophrenen revolutionären Aufladung" als koexistent zu denken mit „den Blöcken reaktionärer paranoider Aufladung", ja „gerade das Oszillieren zwischen beiden Polen" ist „konstitutiv für den Wahn".27 Für Deleuze also ist das souveräne Individuum des aktiven Nihilismus, d.h. des Schizophrenen, nicht mehr dazu bestimmt, dem reaktiven Menschen des passiven Nihilismus, d.h. dem Paranoiden, zu unterliegen, vielmehr ist die Menschheit von nun an dazu verdammt, ständig zwischen dem einen und dem anderen zu schwanken was uns die Figur nicht des Schizoiden, sondern eben die des Schizophrenen verleiht, welcher immerzu zwischen der stärksten Agitation, dem überschäumendsten Aktivismus und der vollständigen Niederschlagung, der totalen Katatonie wechselt. Das macht laut Deleuze aus der Schizophrenie „unsere Krankheit, die des modernen Menschen. Keinen anderen Sinn hat die Rede vom Ende der Geschichte".28 So merkt auch Vincent Descombes zu Recht an: „In der anti-hegelschen Schreibweise Deleuzes begegnet uns wieder dieselbe Diagnose wie in den kojèveschen Schreibweisen Batailles und Blanchots."29: Diese Diagnose ist -
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28 M
Ebd., S. 195: „Eine Bejahung muß und wird genügen, zwei Verneinungen hervorzubringen. [...] Der famosen Positivität des Negativen hält Nietzsche seinen Befund entgegen: die Negativität des Positiven." Ebd., S. 189: „Hüten wir uns vor allem, das, was Nietzsche Selbstzerstörung, ,zerstören machen' heißt, mit dem passiven Dahinsterben des letzten Menschen in eins zu setzen". Ders., Kapitalismus und Schizophrenie (zus. mit Félix Guattari), in: ders., Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, hg. v. David Lapoujade, Frankfurt am Main 2003, S. 349. Ders./F. Guattari, Der Anti-Ödipus [Kapitalismus und Schizophrenie I], 5. Aufl., Frankfurt am Main
1988, S. 488. Ebd., S. 169. Vincent Descombes, Das Selbe und das Andere, S. 207.
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Ende der Geschichte, neuformuliert nach Batailles Negativität ohne Beschäftiund Foucaults Enfwerkung als steriles schizophrenes Hin- und Herwechseln zwigung schen hyperaktiven und depressiven Phasen, von revolutionären Zugängen, sofort und bei denselben gefolgt von einem Verlangen nach Repression. die
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V. Wenn man hier den Versuch einer Erklärung wagen möchte, könnte man zweifellos sagen, daß diese französische Haltung des Rückzugs in bezug auf die Praxis30, oder des Skeptizismus in bezug auf die für oder durch die menschliche Aktivität noch offenen Möglichkeiten sich verstärkt findet durch die Rezeption des Denkens Heideggers, so daß es schließlich erscheint, als ob Heidegger in Frankreich allein deshalb eine bekanntlich außergewöhnliche Rezeption erfahrt, weil er das französische Denken in seiner bereits tief verwurzelten Überzeugung bestätigt, daß es nichts von der Handlung zu erwarten hat und daß das Paradigma der Aktivität als dominantes Paradigma der modernen Philosophie von Leibniz bis Marx und Nietzsche erschöpft sei. Heidegger ist in der Tat derjenige, der in Was heißt denken? anführt, daß „der bisherige Mensch [...] zu viel gehandelt und zu wenig gedacht" habe.31 Der Sinn unserer Zeit, erklärt Heidegger, als Epoche und Welt der Technik, bleibt dem Denken verschlossen, weil das Denken selbst der Technik unterlegen ist: Weder Hegel noch Marx bilden für Heidegger eine Ausnahme, auch wenn man geneigt ist, das Gegenteil anzunehmen, weil weder der eine noch der andere im Stande sind, uns zu erklären, worin die Welt der Technik besteht. Indem er auf diese Weise die beiden Denker benennt, auf die man sich evidenterweise bezieht, wenn man wie sie es selbst explizit versucht haben die Gegenwart begreifen möchte und beispielsweise mit Hegel nach dem Sinn des Staates in einer Epoche der Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft fragt, oder mit Marx nach dem Sinn der Arbeit, als Arbeit Fabrikarbeit wurde, erklärt Heidegger, daß beide Denker hier keine Hilfe sind, insofern für ihn „ihr Denken sich noch im Schatten des Wesens der Technik bewegen mußte, weshalb sie auch niemals ins Freie gelangten, um dieses Wesen zureichend zu bedenken".32 Der Zugang zum Denken des Wesens der Technik muß denen verschlossen bleiben, deren Denken von vornherein dem Reich der Technik verfiel, insofern sie selbst in das Denken das Modell der Produktion importierten, ob es sich bei Hegel um die Selbstproduktion des Geistes oder bei Marx um die Reproduktion der materiellen Bedingungen des Lebens handelte. Sobald es darum geht, die „Art und Weise, wie alles, was im Herrschaftsbereich des Wesens der Technik steht, überhaupt ist", zu denken, erwartet Heidegger keine Rettung von denen, welche das Denken dem Reich der Technik ausgeliefert und es dem Imperativ der Handlung unterworfen haben: „Daß solches jedoch bisher unbedacht blieb, liegt in der Tat zunächst daran, daß der Wille zum -
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30
Die Ausnahmen von dieser allgemeinen Haltung müßte man zweifelsohne auf Seiten derjenigen die sich im übrigen in allem unterscheiden suchen, welche sich eine starke Verankerung bewahrt haben, sei es im marxistischen Denken, wie Althusser, in Husserls Phänomenologie, wie Desanti, oder in der hermeneutischen Tradition, wie Ricoeur. Martin Heidegger, Was heißt denken?, 4. durchges. Aufl., Tübingen 1984, S. 55. Ebd., S. 54f.
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Der französische Neo-
und
Anti-Hegelianismus
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Quietismus
125
Handeln, d.h. hier zum Machen und Wirken das Denken überrollte".33 Diese Erklärung ist besonders aussagekräftig im Hinblick darauf, daß Heidegger hier unmittelbar den „Willen zum Handeln" dem „Tun" und dem „Verwirklichen" assimiliert, nach einem bei ihm seit Sein und Zeit konstanten Vorgehen, welches das Handeln auf das Hervorbringen, die Praxis auf die poiésis reduziert und dabei das Handeln nach dem einfachen Tun modelliert. Das eben erlaubt Heidegger vorzugeben, daß allein das Denken tatsächlich handelt, d.h. in einem authentischen Sinn des Ausdrucks, während alle anderen Formen der Aktivität sich definitiv dem Hervorbringen zuordnen, d.h. der zur Verfügungstellung des Vorhandenen [l'étant-subsistant] im Blick der Alltäglichkeit. Diese Thesen hat Heidegger auch in einem Text formuliert, der als Hauptbotschaft für die französische Rezeption seines Denkens gelten muß, nämlich in seinem Brief an Jean Beaufret, der unter dem Titel Brief über den Humanismus publiziert wurde. Darin lädt Heidegger seine Leser ein, sich von dem freizumachen, was er „die technische Interpretation des Denkens" nennt und die darin besteht, das Denken als „das Verfahren des Überlegens im Dienste des Tuns oder Machens" zu interpretieren.34 Heidegger warnt vor der Gefahr einer zu bequemen Trennung von Theorie und Praxis, worin er einen ,,reaktive[n] Versuch" sieht, „auch das Denken noch in eine Eigenständigkeit gegenüber dem Handeln und Tun zu retten".35 Gegen einen solchen rein reaktiven Versuch muß man im Gegenteil deutlich affirmieren, daß „das Denken, wenn es für sich genommen wird, nicht praktisch' ist", wenigstens wenn man unter Praxis „Handeln und Tun" versteht, wie Heidegger so häufig sagt, d.h. letztlich das Hervorbringen. Wenn das Denken praktisch ist, dann in einem ursprünglichen Sinne des Ausdrucks, wo das Denken allein wahrhafte Handlung ist, also in einem authentischen Sinn von Handlung wobei das Problem besteht, daß ein solcher Sinn sehr weitgehend unbestimmt bleibt und Heidegger bei den Versuchen seiner Präzisierung nur dahin gelangt zu sagen, daß das Denken handelt, indem es sich dem Hören auf den Sinn von Sein hingibt, in einem „Gehenlassen", einer Hingabe und Aufgabe im Sein. Anders gesagt, ist das Denken nicht Handeln und also das Handeln nicht authentisch, wenn es nicht durch die Passivität und das Aushalten von Geduld eines schweigenden Zuhörens hindurchgeht. Dieses Verständnis vom authentischen Handeln als Hören hat in Frankreich ein besonderes Echo gefunden, das zuletzt der französischen Phänomenologie die Wendung einer Phänomenologie der Passivität gegeben hat und systematisch die Haltungen der Empfänglichkeit gegenüber demjenigen privilegierte, was sich rein und einfach gibt, Figuren der Rezeption, des Zuhörens, der Aufmerksamkeit, sogar des sich Sammeins und des Gebetes. Es ist in dieser Hinsicht nicht ohne Bedeutung, daß die französische Rezeption des nachgelassenen Werkes von Husserl ausnahmslos die Texte betrifft, in denen Husserl an einem Verständnis der „passiven Synthesen" oder einer Phänomenologie des Fleisches arbeitet, während die ziemlich zahlreichen Texte, worin sich der späte Husserl ein Konzept der Praxis oder des Praktischen konstruiert, bis heute in Frankreich nicht gelesen sind. -
33
Ebd., S. 55.
34
Heidegger, Über den Humanismus, 8. Aufl., Frankfurt am Main 1981, S. 6.
35
Ebd.
Franck Fischbach
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VI. mit Gérard Raulet ist Foucault 1983 noch einmal auf Kants Text „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" zurückgekommen und wollte darin, wie man weiß, das Auftauchen einer neuen philosophischen Haltung sehen, die im eigentlichen Sinne modern sei und für den Philosophen darin bestehe, den gegenwärtigen und aktuellen Augenblick zu befragen, sein „Heute" in dessen radikaler Singularität. Foucault wiederholt in diesem Gespräch, daß für ihn seit der Kantischen Fragestellung über die Aufklärung es „die Aufgabe der Philosophie" sei, „zu sagen, was heute ist, und zu sagen, was ,wir heute' ist".36 Foucault allerdings setzt hinzu, daß man dies tat, „indem man sich nicht auf die ein wenig dramatische und theatralische Leichtfertigkeit einlässt und behauptet, dieser Moment, in welchem wir sind, wäre in der Tiefe der Nacht der Moment der größten Verdammnis."37 „Nein", fügt Foucault hinzu, „es ist ein Tag wie alle anderen", d.h. es ist ebenso ein Tag wie die anderen; auch wenn er nicht genauso wie die anderen ist eben diesen kleinen singularisierenden Unterschied gilt es aufzutan. Indem er dies sagt, ist sich Foucault sehr bewußt, mit einem für die französische Philosophie seit Kojève typischen Pathos zu brechen. Er sagt selbst, daß man „eine der schädlichsten Gewohnheiten des zeitgenössischen Denkens" unterbrechen solle, und er präzisiert: „in jedem Fall des nachhegelianischen Denkens" wir würden es vorziehen, vom Denken nach Kojève zu sprechen; aber das post-hegelianische Denken hat sich in Frankreich so stark mit dem Neohegelianismus vom Typ Kojève identifiziert, daß es schwierig ist, selbst für Foucault oder gerade für Foucault den Unterschied zu sehen. Gleichwohl bleibt es richtig, daß Foucault mit der Auszeichnung dieser schädlichen Gewohnheit sehr klar eine typische Geste von Kojève bezeichnet, die das französische Denken, einschließlich Foucaults, im Griff hat: Diese schädliche Gewohnheit besteht nach Foucault in der, „Analyse des gegenwärtigen Moments als Moment, eben in der Geschichte, des Bruchs oder als Moment des Gipfelpunkts, oder als Moment der Vollendung, oder als Moment der wiederkehrenden Morgenröte". Durch Kojève importiert, wurde diese Gewohnheit anschließend durch die Heidegger-Lektüre verstärkt: Sie besteht wesentlich darin, den gegenwärtigen Augenblick als denjenigen des Endes oder der Abschließung zu diagnostizieren, als Moment, an dem es nichts mehr zu tan gibt, wenn nicht darauf zu warten, daß die Dinge von sich aus enden und untergehen, wenn nicht warten und sammeln, was sich aus Ruinen zeigt und anbietet. Dagegen appelliert Foucault an mehr Bescheidenheit: „Ich glaube, dass man die Bescheidenheit haben muß, sich zu sagen, dass einerseits der Moment, in dem man lebt, nicht dieser einmalige, grundlegende oder hereinbrechende Moment der Geschichte ist, von dem aus alles sich vollendet und alles neu beginnt; man muss die Bescheidenheit haben, sich zugleich zu sagen, dass selbst ohne diese Feierlichkeit der Moment, in dem man lebt, sehr interessant ist und verlangt, analysiert zu werden, verlangt, zerlegt zu werden, und dass wir uns in der Tat durchaus die Frage zu stellen haben: Was ist heute?"38 In einem
Gespräch
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M. Foucault, Strukturalismus und Poststrukturalismus et écrits. Schriften, Bd. 4 (1980-1988), S. 544.
Ebd.
Ebd., S. 543f.
(Gespräch mit Gérard Raulet), in: ders., Dits
Der französische Neo-
und
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Quietismus
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Es scheint uns besonders aufschlußreich, daß Foucault in eben diesem Text auch den Sinn und die Tugenden desjenigen findet, was er selbst „den Sockel der menschlichen Praxis" nennt. In der Tat muß man sich des neohegelianischen Paradigmas (von Kojève) der Vollendung und des Zweckes enthalten, um die schöpferischen Potentialitäten der Aktivität, die Potentialitäten der Erfindung wiederzufinden, wie sie die Praxis oder eher noch die Praktiken bieten. Von hier aus gewinnt Foucaults Arbeit über die Geschichte der Formen der Rationalität einen neuen Sinn, den er selbst in folgenden Begriffen erläutert: „Für das, was die Vernunft als ihre Notwendigkeit erfahrt, oder für das, was vielmehr die verschiedenen Rationalitätsformen als für sie notwendig ausgeben, kann man voll und ganz die Geschichte schreiben und die Netze von Kontingenzen wieder finden, aus denen dies entstanden ist [...]." Von daher scheint es, als ob die Formen der Rationalität „auf einem Sockel menschlicher Praxis und menschlicher Geschichte beruhen", denn weil „diese Dinge geschaffen worden sind, können sie unter der Bedingung, dass man weiß, wie sie geschaffen wurden, auch aufgelöst werden".39 Mit dieser Aussage40 nähert sich Foucault einer anderen deutschen philosophischen Tradition an, die annimmt, daß die modernen Formen der Rationalität eingeschlossen die ganz offensichtlich undurchsichtigen und solche, die durch ihren notwendigen Charakter einer Epoche den Aspekt dessen geben, was Weber einen „Eisenkäfig" nannte begriffen werden können in der Bezugnahme auf die soziale Aktivität und auf Praktiken, die sich darin ausdrücken und unter einer objektiven Form ablagern, die sie bis dahin stabilisiert, ihnen die Form einer natürlichen Gegebenheit zu verleihen. Foucault bezeichnet selbst diese Tradition folgendermaßen: „Nun glaube ich allerdings, daß in Deutschland diese Frage, was die Geschichte der Vernunft oder die Geschichte der Rationalitätsformen in Europa gewesen ist, sich nicht so sehr in der Geschichte der Wissenschaften, sondern vielmehr in der Denkströmung gezeigt hat, die im Großen und Ganzen von Max Weber bis zur Kritischen Theorie geht", „von Max Weber bis Jürgen Habermas", präzisiert Foucault weiter.41 Und Foucault nähert sich eben diesem Denken an, wenn er behauptet, daß man die Formen der Rationalität von den Taten und Praktiken nicht separieren kann, die sie instituiert und gemacht haben und die sie auch wieder zerstören und auflösen können, um daraus andere zu instituieren. Und wenn man gewiß nicht mehr denken kann wie Kant, Fichte, Hegel und vielleicht noch Marx, „dass es eine Art Gründungsakt gibt, durch den die Vernunft in ihrem Wesen [...] gestiftet worden wäre", so hält Foucault doch daran fest, daß man dasjenige denken kann, was er „verschiedene Stiftungen, verschiedene Schöpfungen, verschiedene Modifikationen" nennt, „wodurch die Rationalitäten einander erzeugen, einander entgegensetzen, einander jagen [...]".42 Wenn es also auch nicht einen Gründungsakt der absoluten Selbstsetzung am Ursprung der modernen Rationalität gibt, so ist diese dennoch kontinuierlich gestützt -
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39 40
Ebd., S. 545. In
Begriffen, die sehr wahrscheinlich jemand wie Max Horkheimer hätte benutzen können, bei dem
nachlesen kann: „Das Zusammenwirken der Menschen in der Gesellschaft ist die Existenzweise ihrer Vernunft [...] Zugleich jedoch ist dieser Prozeß mitsamt seinen Resultaten ihnen selbst entfremdet, erscheint ihnen [...] als unveränderliche Naturgewalt, als übermenschliches Schicksal" (M. Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie [1937], in: ders., Kritische Theorie, 2 Bde., Frankfurt am Main 1968, Bd. 2, S. 153). M. Foucault, Strukturalismus und Post-Strukturalismus, S. 531. Ebd., S. 534f. man
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Franck Fischbach
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durch eine Vielfalt verschiedener Taten oder durch eine vielformige Aktivität, deren Fähigkeit zur Wiedererneuerung unendlich und vor allen Dingen unvorhersehbar ist. Man kann nur darüber erstaunen, daß diese Tradition des kritischen Denkens in Frankreich zugunsten der anderen wichtigen Strömungen der deutschen Philosophie fast vollständig ignoriert wurde. Foucault sagt, dies werfe „ein kleines historisches Problem auf, das mich gepackt hat und das ich einfach nicht zu lösen vermocht habe"43: Ohne daß wir hier eine Lösung vorschlagen wollen, kann man doch annehmen, daß auf der Seite der sehr speziellen und ganz eigenen Hegel-Rezeption in Frankreich eine Vernunft zu suchen wäre, die weil das Handeln erschöpft sei und die Praxis erloschen oder zum Sein geworden und die Handlung nutzlos sei oder es unweigerlich würde den Hegelianismus von seiner kritischen Abstammung abschnitt, die darin besteht, die Rationalität zur immer multiformen und ewig erfindungsreichen Aktivität zurückzuführen, die sie stützt und dahin treibt, die institaierten Formen ihrer selbst zu transformieren und zu erschüttern. -
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Aus dem Französischen von Ulrich Johannes Schneider
43
Ebd., S. 531.
Stéphane Douailler
Die Eroberung des Inhalts: Orte und Knoten Louis Althussers
Im Werk von Louis Althusser gab es einen sichtbaren Teil und einen Teil, der sich der Sichtbarkeit entzog. Das weiß man seit der Veröffentlichung seiner Briefe an Franca.1 Man wußte es auch vorher, wie man es wahrscheinlich von jedem Autor, jedem Denker, von jedermann weiß. Man wußte es nur anders. Die eine von diesen Teilungen zwischen dem Sichtbaren und dem Entzogenen teilte sich gemäß Hegel und Spinoza. Wohingegen die Veröffentlichung seiner Texte uns im Universum der marxistischen Studien und der kommunistischen Theoretiker einen erneuten Bezug von Marx zu Hegel bekannt machte, ein weitergegebenes Gerücht, daß unter der Bestimmung von Spinoza eine tiefere Wissenschaft begründet werde.
Von den Meistern
abgesehen
Ein Brief von Louis Althusser an Franca vom 23. Juli 1962: „Das Paradox (eines der wichtigen Dinge, die du kennen mußt) ist, daß ich in gewisser Weise, trotz meiner Studien', sozusagen nichts von irgendeinem Meister gelernt habe. Das, was die Meister mir beigebracht haben, ist niemals mehr gewesen als die äußerliche und oberflächliche Form der Dinge. Aber alles, was sich auf den Grund [fond] der Dinge bezog, auf ihren Inhalt, ihren Sinn, habe ich nicht von ihnen gelernt [...] Alles, was ich gelernt habe und welche Mühe hat es mich gekostet -, mußte ich ganz allein verstehen, ganz allein lernen, ganz allein erobern".2 Die zwei Inhalte, die zu dieser allgemeinen und mit Wichtigkeit vorgestellten Erklärung veranlassen, sind die Malerei und die Philosophie, letztere in der Figur derjenigen Autoren, die im Verlauf der Geschichte daran gearbeitet haben, ihre Gedanken und Schriften zu formulieren. Beispielhaft unter den Autoren und um hier mit der ersten Referenz zu beginnen: Spinoza. Dieser Brief ist nicht der einzige, in dem die Malerei und Spinoza nahezu gleichzeitig in Erinnerung gerufen werden, als ob einer den anderen herbeiriefe. Am 13. Juli, also zehn Tage zuvor, hatte er angekündigt: „Nach der modernen Kunst wird es Spinoza sein, das ist entschieden, ich werde versuchen, ihn sehr ernsthaft zu bearbeiten, um daraus ein Buch zu machen, bei dem die Proteste aller klassischen fran-
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Louis Althusser, Lettres à Franca (1961-1973), Paris 1998. Ebd., S. 192.
Stéphane Douailler
130
zösischen Interpreten (im allgemeinen schrecklich idealistisch) nicht ausbleiben werden. Worüber man sich amüsieren kann [...] Du siehst, daß ich ein Eisen im Feuer habe."3 Was die moderne Kunst (Malerei) und Spinoza in diesen Erklärungen zusammenbringt, die auch, vermittelt durch die Korrespondenz, Absichtserklärungen und Versicherungen in der Sache an Franca und ihn selbst darstellen, ist zuallererst die Bestätigung, daß eine Arbeit im Gange ist, Vorbereitung, Schwangerschaft. Inmitten der Aktivitäten und Aufgaben, die das Engagement von Louis Althusser fordern, möchte er eine Sache vor sich hinstellen, die vielleicht nicht so sichtbar wäre wie doch zugleich vorbedacht und vorgeahnt: „ein Eisen im Feuer". Vor ihm scheint sich wohl ein konsistenter Inhalt zu befinden, und dieser ließe sich auch einesteils und in philosophischer Manier der besagten und inszenierten Verkoppelung in ganz gewöhnlicher Weise gut aufzeigen, indem er als ernsthafte Untersuchung eines Autors beschrieben und angekündigt würde, zu deren Wiederaufgreifen, Veröffentlichung und Verteidigung inmitten maßgeblicher Rezeption ein Buch anschließend hätte bestimmt sein müssen. Zugleich müßte dieser Inhalt auf tieferer Ebene ausgesagt und seiner selbst versichert werden. Er müßte sich selbst durch den Umweg der Aussage, die den philosophischen Gegenstand und den Inhalt der modernen Malerei verbindet, bestätigen, sich denken und präsentieren als ein und derselbe Prozeß, der von beiden ausgehend am Werk ist. Die angekündigte Arbeit stellt sich, in Büchern und jenseits davon, als bestimmte Assoziation von Gegenstand und Formen dar: eine Assoziation der Philosophie Spinozas mit der Schreibweise more geométrico der Ethik; eine Assoziation der modernen Malerei mit einem inneren Vermögen, auf einem gelenkten Weg die Zukunft zuallererst durch große stumme Symbole zu formen.4 Die Frage nach dem Inhalt einer Arbeit, und insbesondere jene, die aufsichzunehmen oder aufsichnehmen zu wollen Louis Althusser bezeugt, zeigt, behauptet und differenziert sich ganz nahe an den Formen, in denen sie beherrscht wird. Deshalb kann der anti-idealistische Inhalt des über Spinoza geplanten Buches sich auch als Amüsement darstellen. Es ist ein bereits bekanntes Spiel mit der Assoziation von Materie und Form, das den Erwartangshorizont konstituiert, der für einen solchen Beitrag gilt. Er antizipiert in einem Protestkonzert das Vermögen, auf einen Schlag eine ganze Landschaft auf den Kopf zu stellen. Das „Amüsement" verweist auf einen anderen Form- und Inhaltskomplex, ohne diesen noch zu explizieren. In seiner Andersheit weiß sich dieser Komplex vor allem außerhalb der Künste und der Kunstgriffe, die gemeinhin durch die Meister weitergegeben werden. Nicht zufällig wird Spinoza erwähnt, wenn Louis Althusser in der bereits zitierten Erklärung an Franca schreibt, daß er den Inhalt für sich selbst erobern mußte: „Zum Beispiel wenn ich ein Seminar über einen Autor der Philosophie abhalten will (sagen wir Spinoza), dann verfüge ich strenggenommen über nichts: kein Professor (im übrigen habe ich, genaugenommen, keinen gehabt) hat mir etwas über Spinoza gesagt oder beigebracht. Die Bücher, die ich gelesen habe (beispielsweise Brunschvicg), brachten mir überhaupt nichts bei [...] Ich muß alles von Null an beginnen, und ganz allein."5 Diese Art, den Meistern und besonders den Professoren seine Kenntnis von Spinoza entgegen-
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3 4
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Ebd., S. 187. Siehe L. Althusser, Devant le surréalisme: Alvarez-Rios [1962], in: ders., Écrits philosophiques et politiques, Paris 1994, Bd. 2, S. 569-572. Althusser, Lettres à Franca, S. 193.
Die Eroberung des Inhalts: Orte und Knoten Louis Althussers
131
gleich und drückt sich beispielsweise am 3. März 1964 aus, wenn er letzteren „seinen einzigen Meister" nennt.6 Als einziger Meister ist Benedikt Spinoza derjenige, der sich an die Stelle aller anderen Meister setzen, der sich als Signifikant der Abwesenheit dieser Meister und ineins der Nichtigkeit der Professoren7 geben zusetzen, bleibt über die Jahre
und ganz besonderen Anlaß zu dieser Ersetzung bieten konnte, insofern er nicht mit der Hilfe irgendeines anderen, sondern nur aus und mit sich selbst hat verstanden werden können. Der Materie- und Formkomplex der Ethik erlaubt gewiß, eine solche Konfiguration zu gründen, gewinnt aber zugleich einen konkreteren und dringlicheren Sinn in der Beziehung, die Louis Althusser zwischen 1967 und 1969 zu regeln hatte als Meister und Professor, der er selbst war mit seinen „Jungen", mit den „Althusserianern", verstanden als das halbgeheime Kollektiv, das sich in dieser Epoche an der École Normale Supérieure gerade unter dem Namen der „Gruppe Spinoza" zusammenfand. Diese Gruppe war in der Tat auf eine Weise verbunden, die man von dem, was in diesen Zeiten unter der modischen Bezeichnung der „Althusserianer" in einem banalen Sinne verstanden wurde, unterscheiden kann. Im ersten Aufkeimen dessen, was zu dieser Gruppe werden würde, nahm sich Louis Althusser dieser Sache besonders an. In einem Brief an Franca vom 21. Juni 1965 zeigt er sich irritiert darüber, was Sartre dazu gesagt hatte, und schreibt: „Sartre spricht seit einiger Zeit zu einer Menge Leute unaufhörlich über mich, ich empfange dauernd und ohne Ende den Widerhall über das Thema ,Diese Jungen sie sind alle Althusserianer', ,das ist gar nicht mal schlecht', ,aber warum schreiben sie so schlecht' (diese Jungen), ,Althusser selbst schreibt gut' und andere Komplimente der gleichen Sorte."8 Sartre hatte sich in Wirklichkeit einige Fragen über einen wohl zu erwartenden Effekt gestellt. Wenn Althusser weder Meister noch Professor gehabt hatte, und wenn er selber Meister und Professor war, so liefen seine Schüler natürlich Gefahr, „Althusserianer" zu werden. Und von daher kam es wenn nicht als Beschwörung, so zumindest als Berichtigung, als Überführung in einen anderen Status zu der spinozistischen Umbenennung der Gruppe, ausgehend von der Bedeutung, die Louis Althusser ihr verleiht: eine Abwesenheit von Meister und Professor aussagen zu können. Was ihn in den Plaudereien von Sartre zur Verzweiflung bringen konnte, war die Charakterisierung seiner Position als Meister in bezug auf seine jungen Schüler der École Normale Supérieure, als die einer guten zu einer schlechten Schreibart. Auf diese Weise wurde die Beziehung des Meisters und des Professors zu seinen Schülern im Inneren einer Welt von Urteilen aufrechterhalten, die über die Schreibart der einen als auch der anderen sowie mit einem im vorhinein ausgemachten Vorrang der ersten gegenüber der zweiten gefällt wurden. Als ob der erste in gewisser Weise zu dieser Superiorität verurteilt wäre. Als ob er, als Meister und Professor, notwendigerweise Meister und Professoren gehabt hätte, die ihm diese Superiorität eingebläut hätten, irgendwie. Man weiß, daß es keine Hochachtung für die Meister und Professoren war, die Sartre verspürte, man kann sich das ziemlich genau vorstellen. Auch für ihn gab es hier eher das Gewöhnliche der Schwäche und der Nichtigkeit, die lächerliche Methodologie des Unterrichts und der Aufsätze. In all dieser Leere aber hätte er verlangt, das „gute Schreiben" zu beherrschen, zur großen Schreibart zu gelangen, die -
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Ebd., S. 528.
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Siehe u.a. L. Althusser, L'avenir dure longtemps, Paris 1992, S. 173f. Althusser, Lettres à Franca, S. 618.
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Stéphane Douailler
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kulturelle Autorität des Schriftstellers gegen die mittelmäßige sität zu pflegen.
An allen Fronten verstärkt und gleichzeitig
Reproduktion der Univer-
angreifen
Für Louis Althusser besaß die banale Verbindung der Nichtigkeit der Meister mit ihren Anwendungen bei der Vermittlung einiger oberflächlicher Formen ihre Lösung nicht in einer Verschiebung der konventionellen Asymmetrie des Professors und seiner Schüler in Richtung auf eine hohe literarische Schreibart. Was die „Gruppe Spinoza" der École Normale Supérieure zusammenhalten würde, ließ sich wohl auch anders beschreiben: eine Gruppe von „Wunderknaben [...], wettbewerbsfähig' im internationalen Maßstab", wo man an gewissen Nachmittagen „ein sensationelles Referat eines Schülers über Lacan" vernehmen konnte, „ein Kerl von 21 Jahren ein Junge, 21 Jahre alt, ist besser als fast alles, was es an Philosophen in Frankreich gibt".9 Eine jüngst erschienene Mitteilung von François Matheron an ein Kolloquium von Cerisy über „Spinoza heute" hat in einigen Zügen daran erinnert.10 Diese Gruppe hatte keine geringere Aufgabe als für ihre eigene Zeit zu schreiben, was die Ethik für die ihre war, weit davon entfernt, am Literatarkanon gemessen werden zu können und dem Vergleich mit der „guten Schreibart" ihres Meisters Louis Althusser oder implizit mit der philosophisch-literarisch geübten Richterschaft Sartres Vorschub zu leisten. In einem vielzitierten Brief an Franca schreibt Louis Althusser am 12. Juli 1967: „Je weiter ich gehe, desto mehr bin ich davon überzeugt, zu meinem größten Bedauern übrigens, daß ich kein Philosoph bin. [...] Andere, die jünger und besser mit Erkenntnissen aller Art bewaffnet sind, werden der Philosoph sein, der ich nicht sein kann. Philosoph zu sein heißt: fähig zu sein, die Ethik zu schreiben, die wir brauchen. Das wird bald möglich sein (und es ist unerläßlich), aber ich werde es nicht sein, der sie schreiben wird."11 Was konnte es in den Augen dieser Gruppe und in einem Kontext, -
Spinoza eine Aktivität zu benennen dient, halbgeheim gegenüber der herrschenden ideologisch-politischen Situation, bedeuten: bewaffnet zu sein mit Erkenntnissen aller Art und die Ethik zu schreiben, wonach es die Epoche verlangte? Nach den Worten eines von ihnen, Michel Tort, konnte man die Frage wie folgt übersetzen: „Kann man nicht, mit langer Vorbereitung, ein philosophisch ganz und gar neues Projekt konzipieren: an allen heute ideologisch wichtigen Fronten verstärkt angreifen?"12 Die dem Meister und seinen Schülern gemeinsame Perspektive sich mit Erkenntnissen bewaffnen für einen Angriff, mit wissenschaftlichem Bezug auf Spinoza eine Offensive konzipieren besaß als Wegweiser, worauf François Matheron in seiner Analyse insistierte, einen zweiten Orientierungspunkt, philosophisch wie politisch: Machiavelli. Das Werk Machiavellis, wie es von Louis Althusser interpretiert und dieser Funktion zugeordnet wurde13, erlaubte wo
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Ebd., S. 505.
François Matheron, Louis Althusser et le groupe Spinoza, Centre culturel international de Cerisy-lasalle, Juli 2002 [ungedruckter Text, vgl. http://www.ccic-cerisy.asso.fr/spinoza02.html]. Althusser, Lettres à Franca, S. 750. Zitiert von F. Matheron in den Sitzungsberichten. Siehe unter anderem: L. Althusser, Machiavel et nous, in: ders., Écrits philosophique et politiques, Bd. 2, S. 43-173.
Die Eroberung
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Inhalts: Orte und Knoten Louis Althussers
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ideologisch-politische Konjunktur den Sinn einer Erkenntnisarbeit insbesondere drei Möglichkeiten zu öffnen: (1) die Bestimmung einer situieren und ihr zu und wissenschaftlichen philosophischen Konfiguration noch abwesend sein politischen, zu lassen; (2) im Inneren der historisch gesättigten Räume und anläßlich eines theoretischen Schwankens die praktische Institution eines leeren Platzes zu denken; (3) diesen Platz für die Produktion eines dauerhaften Begreifens einrichten. Diese drei Öffnungen konnten sich verbinden, zutiefst oder imaginär, in der Bezeichnung eines derartig zu besetzenden Ortes: als denjenigen eines anderen Anfangs. Einen anderen Anfang zu denken, fügt den gewöhnlichen Schwierigkeiten von Anfangen nichts hinzu. Der Anfang bewahrt nicht bloß die ihm eigene Paradoxie, nur den allerletzten Bewegungen des Denkens zugänglich zu sein. Sondern er setzt zudem voraus, etwas in dieser Situation handeln zu lassen, das, als anderes, auf keine Weise schon da sein kann. Das war eine der Realisierungsmodalitäten eines solchen Projektes, das sich zwar nicht aussagen läßt, dem man sich aber wenigstens in den von Michel Tort vorgebrachten Bildern annähern kann, besonders in der Dualität, welche sie zwischen einer Vorbereitung und einem Angriff einrichteten. Diese Formulierung ist dem halbgeheimen Status der Gruppe angemessen und richtete im Innern des Überganges einer Zeit in eine andere die Möglichkeit ein, die entscheidende Aktion in letzter Instanz einer zweiten zuzuweisen. Alle Züge zusammengenommen, konvergierten diese in einem Übergewicht dieses letzten und zweifellos besonders in dem der Totalität. Weil das Unternehmen „langanhaltend" und „verstärkt" war, mußte es „alle ideologisch wichtigen Fronten" betreffen. Aber dadurch konnte es auch gewinnen. Etwas anderes sich ereignen lassen. Was da war, was absolut da war (die Ideologie), konnte ganz und gar besiegt, d.h., wie man weiß, zu den „epistemologischen Schnitten" geführt werden, die die wuchernde Natur der imaginären Repräsentationen und zugleich das Ensemble der aus ihnen in unaufhörlicher Aktivität hervorgehenden Konstruktionen durch die wahren Ideen, die sich selbst und das Falsche erweisen, ersetzten. In diesem Punkt knotete sich zweifellos das, was in einer Weise den Althusserianismus erschöpfte: das bis ins Unmögliche, bis zur Vollendung eines totalen Projekts getriebene Entwerfen und Vorbereiten neuer epistemologischer Schnitte und neuer theoretischer Wissenschaften. Der Grund dieser Maßlosigkeit jedoch war tatsächlich eine strategische, machiavellistisch gedachte Orientierung und ihre Vollendung in einer spinozistisch inspirierten theoretischen Praxis. Die Gruppe Spinoza wollte es zu ihrer Aufgabe machen, ihre Arbeit nicht im Schöße einer schützenden Festung in Deckung zu bringen es, im Blick auf eine
„der schwächste Punkt jedes militärischen Dispositivs" (Machiavelli) -, sondern „in das Land des Feindes einzudringen".14 Mit Erkenntnissen aller Art bewaffnet, hat sie sich das Erbe George Canguilhems15 beanspruchend der Kraft des Begriffes anvertrauen wollen, indem sie dessen Angriffswinkel im Verständnis (für die verstärkten Einfalle) und in der Ausdehnung (für einen Kampf an allen ideologisch wichtigen Fronten) variiert. In mancher Hinsicht würde sie versuchen wollen, inmitten der französischen Philosophie und in ähnlichem Abstand zu sich selbst wie zum Ort der rein universitären Institution, an das Abenteuer einer neuen und vielleicht endgültigen Wissenschaft anzuknüpfen, wie sie anderthalb Jahrhunderte zuvor von Auguste Comte versucht wurde. Einer (letzten)
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Althusser, L'avenir dure longtemps, S. 173.
Vergleiche die Cahiers pour l'analyse.
Stéphane Douailler
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Epoche der Vernunft zeitgenössisch, begründet auf dem auftauchenden Sockel eines allgemeinen Wissens, das als dasjenige des Signifikanten gedacht wurde, und im Anschluß an die seit den Mathematikern gebräuchliche platonische Sequenz des „Rechtfertigens" (rendre raison) sowie an die empiristischen und idealistischen Sequenzen der rationalen Regeln und Prinzipien, wie sie in den galileischen Entdeckungen inbegriffen sind, würde sie ihrerseits die Möglichkeiten der sozialen Rekonfiguration und der topischen Reorganisation des mit dieser Position verbundenen begrifflichen Gebäudes erkunden wollen.16 Die Wahrheit von Spinoza als Index ihrer selbst und des Falschen und ihre Ausführung more geométrico in der Ethik meißeln sie ins philosophische Massiv gewissermaßen vor und zeigen sie als ein „großes stummes Symbol"17, als die Differenz an, die es im Zeitalters des „Signifikanten" zu erobern gilt. Im offenen Buch
Ideologie wurde so dazu aufgerufen, vor einem anderen Vollen zurückzudem eines allgemeinen Wissens des Signifikanten. Die Redaktion einer neuen weichen, Ethik machte sich für die Ausführung des Projektes stark. Die Leere der Meister verblaßte, nicht für neue literarische Schreibarten, sondern zugunsten realer Auseinandersetzungen. Die philosophische Aktivität bekam einen Sinn. Und es kann im Grunde verwirrend erscheinen, daß Louis Althusser genau aus diesem Kontext das Bewußtsein zog, nicht der Philosoph der Situation zu sein. Die mit Blick auf die Aufgabe vielleicht verständliche Bescheidenheit ist zweifellos für sich selbst noch nicht erklärt, indem gewisse andere von Erkenntnissen jeglicher Art, gegenwärtig oder zukünftig, honoriert werden. Der Unterschied der Erkenntnisse, durch den sich Louis Althusser selbst von der Redaktion dieser Ethik ausschließt, vorgeschlagen als Alternative zur Leere der Meister und dessen literarischer Übersteigerung, reflektiert in Wirklichkeit einen Unterschied zwischen den Erkenntnismodi. Das sich ihm aufdrängende Bewußtsein, nicht einfach er selbst, nicht der für die theoretische und reale Auseinandersetzung der Epoche zwischen dem Ganzen der Ideologie und der konstruierten Totalität einer neuen Ethik nötige Philosoph zu sein, ist ein Bewußtsein, sich in dieser Hinsicht weniger defizitär als sonst zu sitaieren. In seinem bereits zitierten Brief mit der Angabe, allein und ohne Meister zur modernen Malerei und zu Spinoza gelangt zu sein, präzisiert er: „Du weißt sehr wohl, daß ich keine organische Neigung für die Kultur habe, und wenn ich aktuell ein sehr lebendiges Interesse für sie hege, so hat das nichts mit der Kultur selbst zu tan [...] Ich glaube, daß das bei mir wirklich schicksalhaft ist und einer sehr tiefen historisch-organischen Notwendigkeit entspricht."18 Der Kontext des Briefes gibt den Sinn dieser letzten Anspielung nicht deutlich wieder, selbst wenn die Äußerung fast nahtlos zu dem übergeht, was ihn tief bewegt, ihm Herz und Körper aufwühlt, mysteriös und substantiell die Leidenschaft Francas mit seiner vereint. Die BeDas Volle der
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verdient jedenfalls, inmitten einer mit dem Wort des
Siehe u.a. L. Althusser, Notes sur la philosophie (1967-1968), politiques, Bd. 2, S. 313-361. Althusser, Devant le surréalisme, S. 572. Althusser, Lettres à Franca, S. 192f.
„Organischen"
in: ders.,
heraufbe-
Écrits philosophiques
et
Die Eroberung
schworenen
des
Inhalts: Orte
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Knoten Louis Althussers
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Problematik, die aufmerksame Betrachtung einer Position oder spezifischen
Subjektivierung, die anders als eine (politisch-intellektuelle oder politisch-literarische) Synthese oder als eine (politisch-theoretische) Abspaltung und ein Kampf innerhalb der
Kultur errichtet wird. Diese Position wird unter anderem beschrieben in drei Briefen an Franca, verfaßt am 2., 15. und 21. Februar 1964. In seinem Brief vom 15. Februar erinnert Louis Althusser seinen Zustand extremer Müdigkeit: „müde, sehr müde [...] In Mailand am Gleis, das ist sehr beeindruckend gewesen: ich konnte nicht mehr gehen, glücklicherweise gibt es dort so gut wie überall Steinbänke (Marmor?). Ich schaffte zehn Meter und setzte mich. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um die 500 Meter zwischen dem Wagon, den ich verließ, und dem, in den ich einsteigen mußte, zurückzulegen. Das geht seitdem so weiter. Mit einigen, sogar sehr schwierigen Momenten, durch flüchtige Blitze ohne jeden Grund, aber das ganze Gewicht von allem muß mir auf die Schultern fallen und muß biegen beugen [...]."" Die weiteren Äußerungen erklären diese Müdigkeit, indem sie sie der Neigung zuschreiben, sich viele Geschichten und Dinge aufzuladen, aufgrund einer für ihn spezifischen Haltung bezüglich der Verbindung, die Franca ihm an Weihnachten nahegelegt und worin er sich ganz und gar wiedererkannt habe: unverbunden zu sein, seine Verbindung entknotet haben zu können und für andere diese Möglichkeit der NichtBeziehung darzustellen. Diese Situation würde ihn auf auszehrende Weise in der Position desjenigen verorten, der außerhalb der Beziehungen, die das Leben und die Kultur organisch verknoten, die Exteriorität leben muß, sei es im durch sie provozierten Haß, sei es in der von ihr verlangten Übernahme von Verantwortung. Beides ist erschöpfend, weil sie ihm ohne Ende die Last des Lebens der Anderen aufladen: Schwester und Familie, Schüler und Mütter der Schüler, Freunde und Frauen der Freunde, Leute. Die Identifizierung seiner subjektiven Position als Nicht-Beziehung wird in zwei anderen Briefen mit zwei Entwicklungen assoziiert, die sich im Motiv einer Sinnöffnung vereinigen. Die erste beschäftigt den Brief vom 2. Februar und wird durch eine gewalttätige und in einigen Hinsichten haßerfüllte Bewegung der Abgrenzung vom Ort Sartres eingeführt. In Anspielung auf eine schließlich unpubliziert gebliebene Passage seines Textes „Freud und Lacan" mit einer Erwähnung Sartres, schreibt Althusser: „Man muß ihn aus seiner glücklichen Psychose herausführen, und dafür bleibt nur die Peitsche: ihn ins Gesicht schlagen mit seinen eigenen Waffen: die Wörter (er hat gerade ein Buch unter diesem Titel publiziert, worin er über seine Kindheit spricht und sagt: ich hatte keinen Ödipuskomplex oder beinahe keinen, ich habe kein Über-Ich [...] wenn man bedenkt, daß derartiger theoretischer Blödsinn [...] das Denken ersetzt oder es überflüssig macht für ich weiß nicht wie viele Menschen: die Menschen, die sich sagen, daß jemand für sie denkt, für sie lebt, frei und kühn für sie ist etc. Kühnheit und Freiheit per Vollmacht, wenn es nur wahre Kühnheit und Freiheit wäre! aber was für Wahnvorstellungen! ! ich sehe da nur die Peitsche im Gesicht, um diese Hochstapelei zum Schweigen zu bringen und sie entweder in Schweigen oder in Literatur zu verwandeln oder in Heilung.)."20 Sartre als Typ der Verknotung zwischen dem Denken und der freien Existenz, die ihn erfolgreich machte; seine Unkenntnis des Territoriums des Signifikanten, seine literarische und moralische Richterschaft repräsentieren in gewisser Weise in der Falschheit (glückliche Psychose) die Wahrheit (organische Müdigkeit) der -
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Ebd., S. 520. Ebd., S. 518.
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althusserschen Nicht-Beziehung und ihrer Wirkungen. Sie versprechen auf Basis der Wörter eine Weitsicht, die Louis Althusser umgekehrt auf Basis des Unbewußten beansprucht, von dem ausgehend er sich als begabt entdeckt, „wie im offenen Buch auch in den geschlossenen Büchern zu lesen, wie im offenen Buch bis zur Abwesenheit des Buches zu lesen"21, aus Diskursen und aus der Welt eine Landschaft zu machen, deren sichtbaren und untergründigen Spuren in den Maschen eines einzigen ununterbrochenen Fadens er folgen würde und könnte. Dieses Bewußtsein der Weitsicht, verbunden mit der Müdigkeit, die er weiterhin verspürt, erscheint erneut im Brief vom 21. Februar: Alles geschieht auch so: abgesehen von all dem, was ich dir in meinen letzten Briefen über die ,Lasten' und ihre Auflösungen erzählt habe, als hätte es auch diese Art direkter, außergewöhnlicher Erfahrung gegeben, eine Art lebendigen Kontakts mit normalerweise unerträglichen Wirklichkeiten, ich meine unerträglich im alltäglichen Kontakt, den die Leute mit dem Leben pflegen [...] Ich habe wirklich mehrere Monate mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit zu lebendigem Kontakt mit tiefen Wirklichkeiten gelebt, sie in den Seinsweisen (êtres) und in der Wirklichkeit wie im offenen Buch fühlend, sehend, lesend. Oft an diese außergewöhnliche Sache zurückgedacht im Gedenken an die Lage jener Seltenen, deren Namen ich verehre, Spinoza, Marx, Nietzsche, Freud, die diesen Kontakt notwendigerweise gehabt haben müssen, um das, was sie hinterlassen haben, schreiben zu können: anders verstehe ich nicht, wie sie diese enorme Schicht hochstemmen konnten, diesen Grabstein, der das Wirkliche zudeckt [...] um mit ihm diesen direkten Kontakt zu haben, der ewig in ihnen brennt."22 „Organisch", und wohl auch „Schicksal [...] und historisch-organische Notwendigkeit"23 bedeuten im Fall von Louis Althusser, im Gegensatz zu den in der Kultur und mit Worten gewobenen Beziehungen, eine Situation ihrer Nicht-Beziehung wegen dieses direkten und brennenden Kontakts mit dem Wirklichen. Und es ist an dieser Stelle einer Stelle wie vor einem offenen Buch, das, wie man weiß, auf anderen Wegen angerufen wurde, die Geister anzustacheln -, an der er sich gewiß nicht als der Philosoph erkennen kann, den die Schreibart more geométrico der Ethik fordert, ohne allerdings deshalb seine Arbeit herabzuwürdigen oder von der von ihm beanspruchten Nähe zu Spinoza abzurücken. ,
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Reden am Tag und in der Nacht Alle Elemente, mit denen es Louis Althusser in einem gewissen Maß gelingt, seine spezifische Position „organisch" darzustellen und zu verorten, finden sich etwas mehr als ein Jahr später (im Juni 1965) in seiner berühmten Einleitung zu Das Kapital lesen wieder, deren Anordnung darin jedoch bekanntermaßen gänzlich anders organisiert ist, indem das Thema einer Lektüre „wie im offenen Buch" in gegenläufigem Sinne zu den Briefen vom Februar 1964 verwendet wird. Hier dient sie Sinnbild eines religiösen Mythos, Rest der stillschweigenden Übereinkommen, durch die die Menschen mit den Dingen und mit der Geschichte magische Allianzen zu knüpfen begannen dazu, die Illusion eines jungen Marx zu charakterisieren, der in seinen ökonomisch-philosophischen Manuskripten -
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1844 die Vorstellung hatte, daß „das Wesen der Dinge und das Wesen der historisch menschlichen Welt zu kennen [...] gleichsam hieß, einfach unumwunden die Anwesenheit des ,abstrakten' Wesens in der Durchsichtigkeit seiner ,konkreten' Existenz zu lesen und herauszulesen [...], unmittelbar das menschliche Wesen in der Durchsichtigkeit seiner Entfremdung wie im offenen Buch zu lesen".24 Diese Darstellung begnügt sich nicht mit einer Umkehrung der Aussagen von 1964 bis 1965, wenn nicht sachlich, so doch in der Rede. Ohne zu zögern qualifiziert sie vielmehr immer noch diese von ihr empfohlene Hingabe an eine Lektüre wie im offenen Buch als „stärksten und aufwendigsten Beweis", der inmitten der „Geschichte der menschlichen Kultur" unserer Zeit vorbehalten ist; als Erlernung der Entzifferung ,„einfachster' Gesten der Existenz", durch die sich die Menschen mit ihren Werken oder den Abwesenheiten von Werken in Beziehung setzen25 und demnach als ein Programm, das, wie Jacques Rancière in Chairs des mots bezeugt, für eine Weile „die Aufgabe einer Generation" festschrieb.26 Jedenfalls darf diese Verurteilung einer Lektüre der Dinge und der Geschichte wie im offenen Buch, so explizit und erstaunlich sie auch gewesen ist, nicht die Beständigkeit ihres Themas verschleiern, und wäre dies einzig durch die bereits erwähnte Differenz zwischen Louis Althusser und dem „althusserschen" Kollektiv gerechtfertigt. Eben Jacques Rancière hat in den bereits zitierten Werken gezeigt, wie der dem offenen Buch zugeschriebene „ununterbrochene Faden" sich gleichwohl in den Schriften von Althusser selbst als ambivalente Frage erhalten hat27 und wie das Motiv der Schnitte, der neuen theoretischen Wissenschaften und der notwendigen Nicht-Beziehung keineswegs dazu führte, einen anderen Gegensatz zu verdecken, der eher zwei Modalitäten des ununterbrochenen Fadens, zwei durch seine Textur hervorgebrachte Gemeinschaften: die des literarischen und moralischen Briefes sowie die des Marxismus und der Arbeiterbewegung, gegeneinander ausspielt auf dem Hintergrund eines seines Zieles Ungewissen Werkes, dessen er sich erschrocken und vorsichtig gewahr wurde. Unter diesem Blickwinkel scheinen die Briefe an Franca treues und unfehlbares nächtliches Rendezvous mit ihrem während der Niederschrift feststehenden Empfänger weniger ein Gegenteil als ein anderes Gesicht desselben Geschäfts zu sein. Unter ihren besonderen Bedingungen können sie sich sensibilisieren für die Abwesenheit jeglichen Gegensatzes und, an ihrer äußersten Spitze, für eine Koinzidenz zwischen der Nicht-Beziehung und der Ungetrenntheit mit dem, was ist, sein will, gemacht wird.28 Und dann können sie, allerdings in der nächtlichen Situation und im wahren Zirkel einer unendlichen Zirkulation der Dinge, der Zeit, des Erkennens, des Cogito, den ununterbrochenen Faden wieder aufnehmen und abspulen, indem sie ihn inmitten dieser Zirkulation wie im offenen Buch verfolgen. „Man kann beginnen, wo man will das endet nicht. ,Der Tag endet nicht.'"29
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L. Althusser, Lire le capital, Paris 1972, Bd. 1, S. 8; dt.: Das Kapital lesen, Bd. 1, Reinbek 1972, S. 16f. [Übers, mod.]. Ebd., S. 12. Jacques Rancière, Althusser, Don Quichote et la scène du texte, in : ders., La chair des mots (politiques de l'écriture), Paris 1998, S. 157. Vgl. auch J. Rancière: La leçon d'Althusser, Paris 1975. Rancière, Althusser, S. 157. Siehe u.a. Althusser, Lettres à Franca, S. 502-505 (Brief vom 18. Januar 1964). Ebd., S. 505.
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Der Ort der Knoten „Der Tag findet kein Ende." Wahrscheinlich entfernt sich die Öffnung derartiger Momente
hin auf die Klarheit des eigentlichen Gewebes der Dinge und der Ereignisse von der Einteilung in Licht und Schatten, die sie sichtbar macht, vom geteilten Raum der Fragen und Antworten, der daraus Gegenstände des Denkens werden lässt, vom Unterschied zwischen Verfasser und Empfänger, die ihnen eine Wahrheit verleiht. Die Briefe wurden dadurch am Rand des Denkbaren und des Kommunizierbaren entlanggeführt, so daß die Anrufung des „alten Denkens der ,dritten Art'" [Spinozas scientia intuitiva, A. d. Ü.] im Moment der Verwirklichung einer transparenten Koinzidenz der Wahrheit, der Zeit, des Existierens, des Sprechens, des Liebens, des Denkens, des Seins in einer einzigen und selben Sache30 nicht ausreichte, von der Wiedereinrichtung der Gesprächsbedingungen zu befreien. Trotz der Spiegelspiele und unendlichen Ersetzungen der Themen, der Gedanken, der Diskurse, der Seienden, die auf klassische Weise durch den Austausch von Liebe autorisiert und durch das Wissen des Unbewußten zu neuen Möglichkeiten geführt werden, schrieb sich die Öffnung auf die Wirklichkeiten selbst und auf ihre Vision in einem, der in den nächtlichen Briefen an Franca auftauchte, indem sie sich eines Empfängers versicherte („du"), indem sie die Bewegungen des Geistes in Szene setzte („und so überkam mich dieser alte Gedanke"), indem sie ein Sagbares an ein Unbemerktes anglich („du wirst dich darin wiedererkennen", „was du unbedingt wissen mußt"). „Der Tag findet kein Ende" also auch in diesem Sinn. Die Teilung von Tag und Nacht befestigt genauso wenig eine feststehende Landschaft wie die anderen Einteilungen in universitären Unterricht und halbgeheime Gruppe, in den Philosophen, der er nicht sein kann, und die Verfasser der Ethik, in die neue Praxis der Lektüre, die im Giebel von Das Kapital lesen platziert ist, und seine weitblickenden Erfahrungen. Wie austauschbare Positionen wechseln sie und fließen wieder unaufhörlich zusammen. Möglich ist es, Franca in der großen Attacke zu mobilisieren, welche die Gruppe Spinoza rechtfertigte („Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen kann: Zuerst einmal ist das, was ich dir anvertraue ,top secret', sag es niemandem, es ist meine Reserve für einen Tag [...] ich bitte dich, es für dich zu behalten"1,1). Möglich ist auch, die „Jungs" an einem Ort anzutreffen, wo sie unter denselben Umständen die Differenz der Gesprächspartner stören, die die Korrespondenz mit Franca unablässig zu kultivieren pflegt („morgen werden sie bei Lacan intervenieren, nach seiner Konferenz, und wenn er fragt: ,Hat jemand Fragen?'; haben sie mir erklärt, was sie machen werden: einer von ihnen wird sich erheben und sagen: ,wir haben ihnen keine Fragen zu stellen, wir werden antworten aufFragen, die Sie stellen, ohne es zu wissen, aufFragen, die Sie sich selbst stellen, ohne es zu wissen, d.h. auf Fragen, die Sie nicht stellen, weil Sie sie sich noch nicht stellen. Wir stellen diese Fragen, wir stellen sie uns selbst, weil wir die Antworten haben, und was wir sagen werden, das sind diese Fragen und die Antworten darauf zugleich. Hören Sie, und wenn sie anschließend Fragen an uns haben, hören wir Ihnen zu'.")12 Den Orten und den Diskursen scheint es nicht zu gelingen, ihre Unterscheidung aufrechtzuerhalten. Sie schei-
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Ebd., S. 104. Ebd., S. 789. Ebd., S. 506. Zur Störung der Gesprächspartner mit Franca und insbesondere der Fragen und Antworten vgl. u.a. S. 502.
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unweigerlich im einen oder anderen Moment fallen zu müssen und anläßlich einer unvorhergesehenen Drehung in einer Schlinge des ununterbrochenen Fadens wiederaufzutauchen. Und von daher war die Denkanstrengung Louis Althussers auf dem Hintergrund der euphorischen Erfahrung einer Kontaktaufhahme mit den Wirklichkeiten selbst in dem Moment, als er die durch die Kultur gewebten gebräuchlichen Beziehungen sich in einen ununterbrochenen Faden auflösen sieht gleichsam ein Versuch, diese Wirklichkeiten, dieses Spiel zu befestigen, es am Rand seines Taumels und am Rand seiner Leere als Spiel nen
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festzuhalten. Er führt es, wie er insbesondere im Brief an Franca vom 16. Februar 1971 erläutert, bis zur Möglichkeit der Unterscheidung von zwei Praktiken des ununterbrochenen Fadens: die eine, die nur die Kraft der Bildung eines Netzes festhielte, eines „universellen Gewebes (das Derrida und seine Freunde ein Leben lang entflechten und neu flechten werden, die Textur zerlegend und wieder zusammenzufügend)", das das einfache Spiel „Weben und Verweben" spielen und demnach aus dem ununterbrochenen Faden (zu unrecht) den Stoff eines „in seiner ewigen Differenz ununterscheidbaren Gewebes" machen würde; die andere, welche dagegen die Knoten zu finden und, von ihnen ausgehend sowie unter ihrem Gesetz, einen topologischen Raum der unverwechselbaren Orte zu dechiffrieren wüßte.33 Diese relativ späte Erklärung (1971) der Suche nach den Orten in den „Knoten" die, wie man weiß, auch Jacques Lacan beschäftigten erwähnt keinerlei spätere oder letzte Konfiguration. Angelegt bereits wohl in dem in Das Kapital lesen benannten Projekt einer Rekonstitution des Fehlernetzwerks der politischen Ökonomie und von Marx, um den Bezug des Kapitals zu seinem Gegenstand offenzulegen, läßt sie sich schon aus dem Brief vom 19. Januar 1962 indirekt herauslesen, der den Beginn dessen erwähnt, was sein Seminar über Machiavelli werden würde. Dieses Vorhaben wurde in einigen kurzen Stichpunkten aufgegriffen und in fünf Aspekten beschrieben: (1) eine außergewöhnliche Ankündigung („Ich habe mich in eine derartige Lobrede auf Machiavelli hineingeworfen, daß ich mich frage, wie ich da wieder herauskomme"); (2) ein Vorgehen, das auf Weg und Methode besteht und in gewisser Weise darauf zu bestehen gezwungen ist („weiter machen [...] das ist typisch: die Flucht nach vorn"); (3) eine Beziehung zum Objekt selbst, die sich am Rande eines Nicht-Bezugs hält („das Blaue vom Himmel versprechen über den Autor um meine unglaublichen Kontaktschwierigkeiten mit meinem Thema zu kompensieren. Mir gelingt es nicht, gedanklich einen Gegenstand festzuhalten, ihn anzunehmen und zu bewahren"); (4) eine Intuition, seinen leitenden Faden nicht nur als Netz, sondern als Knoten festzustellen („Das zerfliegt in alle Richtungen, und wenn ich mit aller Kraft vorwärts kommen will, dann stolpere ich oder rutsche weg (wie bei den alten Straßenbahnen meiner Kindheit, hast du diese Straßenbahnen erlebt?"); (5) ein Gefühl, daß solches Verstehen und Beschreiben seiner Arbeit Züge des Aufgezwungenseins besitzen („alles ist gezwungen, Gang, Gedanken, Ideen erzwungene Arbeit").34 Was seiner Arbeit diesen Anschein einer Gezwungenheit verleiht und dann vielleicht sein Schicksal, phantastische Ankündigungen, halbgeheime Aktivitäten, nächtliche Weitblicke erzwungen hat, ist, in gewisser Hinsicht gezwungen gewesen zu sein, durch die Netze hindurch zu den Knoten zu gelangen. Die Büchse der „Flucht nach vorn", vor das Netz, geöffnet zu haben, um sie dem Gesetz der noch nicht wahrgenommenen oder abwesenden Knoten zu unterstellen. Aber was Louis -
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Ebd., S. 788f. Ebd., S. 156.
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Althusser unter dem bekanntlich oft gebrauchten Namen der Topik beansprucht, ist letzten Endes nicht das Netz, das Spiel „Weben und Verweben", Effekte des Weitblicks, sondern der Knoten, der aus dem Ort „einen Ort, seinen Ort" macht.35 Es ist tatsächlich wohl dieser letzte Knoten, der sich in den Momenten abzeichnet, wo er ein Ergebnis seiner Arbeit zu erlangen scheint. Am 26. April 1963 schreibt er: „Franca. Hier ein Text, Ergebnis einmonatiger unermüdlicher Arbeit. Niemals habe ich in meinem Leben soviel gearbeitet, wenigstens nicht auf diese Art. Resultat von weitherkommenden Gedanken [...] Ich hatte dergleichen mehrere Stück für Stück erlangt, jeden mit großer Mühe und jeden in der Einsamkeit. Sie zeigen alle an, ohne es auszusprechen zu wagen, jeder auf seine Weise, jeder in seinem abgeschlossenen Gebiet, daß irgendwo, eines Tages, ein ,Ort' existieren muß, wo sie sich begegnen, die Wörter des Wiedererkennens austauschen konnten, ein Ort, wo alle zusammen bei sich wären, a casa loro, bei sich [i. O. dt., A. d. Ü.]; [...] Zuletzt haben sie ihr Land erreicht, ihre Heimaterde, von der alle sprechen, die keiner kannte, dieses Land, das keiner bei seinem Namen nennen konnte, weil keiner es jemals gesehen hatte, denn alle sind aus sich geboren [...] Ich wohne, ohne etwas zu sagen, diesem Wiedererkennen bei, den Vorgängen, vermittels derer ich sie Besitz ergreifen sehe, von dem, was ihnen seit ewigen Zeiten gehört. [...] Ich befinde mich mutatis mutandis vor jener nahezu halluzinatorischen Situation wieder, die ich in Bezug auf Machiavelli über ,Wie anfangen?' erlebt hatte, über ,Was ist anfangen, wenn das, was anfangt, nicht existiert?'"36
Einheit und Nichtigkeit Bekannt ist schon durch die berühmte Geste aus Das Kapital lesen, die Hegelsche Modalität des absoluten Wissens anzuklagen, die Religiosität und das Geheimnis einer Lektüre im offenen Buch der Dinge und der Geschichte abgeschafft und so den jungen Marx in den Fallen seiner Illusion festgehalten zu haben -, daß Hegel eine Gegenfigur zu Althussers Unternehmen darstellt. So wurden im übrigen schon weitgehend die Althussersche Interpretation von Marx und vom Kapital aufgenommen: als Licht eines neuen Tages über dem Knoten des Hegelianismus in Marx. Aber vielleicht ist die Lage eine andere. Vielleicht ist Hegel für Louis Althusser der Name und die Beunruhigung dessen, was nicht verknotet werden, dessen Flucht nach vorn nicht unter das Gesetz einer Verknotang fallen kann. Hegel taucht nur in wenigen der nächtlichen Briefen an Franca auf. Wenn er in ihnen gelegentlich genannt wird, so fast immer als vorübergehender Gegenstand eines seiner Seminare oder als eigener Bezugspunkt der Forschung, die er zur Kenntnis nimmt, und dann betrachtet er ihn weniger im einzelnen als in neutralisierender Assoziation mit anderen: Kant, Fichte, Goethe, Machiavelli, Lenin und natürlich Marx.37 Nur vier Passagen machen eine Ausnahme von dieser Art der Zitierung.38 Zuerst ist es eine Bezugnahme auf Hegel oder, um genau zu sein, auf ein „Innehalten Lenins vor einem Ausdruck Hegels -
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Ebd., S. 789. Ebd., S. 41 lf. Ebd.
Vgl. auch die im Register angegebenen Stellen S. 48, 148, 156, 200, 216, 388, 454, 458, 466,
766, 767, 788. Ebd., S. 303, 466, 788, 800.
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(wie ein richtiger Jagdhund beim Erschnuppern des Wildes)"39, die den Anlaß für die entscheidende Ausführung „top secret" des Briefes vom 16. Februar 1971 bietet, der das Netz und den Kern (die Knoten) gegenüberstellt. „Hier ist alles da", fügte der Brief sofort hinzu, und man kann wohl unterstellen, daß der Abstand von Hegel zu Lenin implizit so gedacht wurde wie der, welcher die unendliche Wiederverflechtung des Netzes durch Jacques Derrida und seine Freunde von einer Althusserschen Eroberung der Knoten und Orte trennte und trennen konnte, die der Wiederverflechtung widerstand und dieser ihr topologisches Gesetz auferlegte. Eine letzte Konfiguration („Hier ist alles da"), die gleichwohl dazu führt, die durch die Hegeische Philosophie durchgeführte Arbeit eher im Netz als in seinen Knoten zu situieren. Einige Monate später nimmt eine andere Geste diese Orientierung wieder auf. In einem Brief vom 14. Juni 1971 erzählt Louis Althusser Franca von einem Taschenspielertrick, den er in seinem Vorbereitungskurs zur Agrégation angewandt hatte, indem er die aus Hegels Philosophie des Rechts abgeleitete Formel von der notwendigen Einheit der (erblichen) Monarchie umdrehte: „Der König ist eins" (le roi est un) in sein Gegenteil: „Der König ist nackt" (le roi est nu). Die Wendung (un/nu) mißfallt ihm nicht, läßt er durchblicken. Wahrscheinlicher noch begeistert sie ihn auf die Gefahr hin, seine Agregationsklasse ohne klar identifizierbare Reaktion zurückgelassen zu haben. Eigentlich bezieht der Effekt wohl noch stärker den Sinn einer topologischen Eroberung, die ihn beschäftigt, aus dem Gesetz, das ihn hier Hegel einfügen läßt. Die Hegeische Arbeit und die von ihr hervorgebrachte Einheit nicht nur die in der Philosophie des Rechts zugunsten der Macht des Monarchen abgeleiteten, sondern auch und allgemeiner die eines immerzu gewebten ununterbrochenen Fadens einer Lektüre wie im offenen Buch der Geschichte und der Dinge werden als Nacktheit aufgezeigt, als Einheit, die nichts anderes verknüpft als die Aufmachung einer Leere. Und sie erfahren diese Beleuchtung nicht allein dadurch, sich von ihrer vollen, beanspruchten und allerorts anerkannten Einheit zu ihrer leeren tatsächlichen Nacktheit zu verkehren, sondern zudem durch ihre Faltung innerhalb dieser Verkehrung nach einem anderen Umkehrgesetz als dem ihren, nach einer noch geometrischeren Anordnungsweise, von der Louis Althusser nach eigenem Eingeständnis besessen ist, von der er einen gewissen Widerhall in Die Ordnung der Dinge von Michel Foucault vernimmt, die sich ohne Negation verwirklichen („Beunruhige dich nicht, wenn ich gewisse Negationen streiche") und sie mit einem viel nachhaltiger verknoteten bzw. begriffenen Wirklichen konfrontieren würde.40 Die beiden anderen Bezugnahmen auf Hegel in den Briefen an Franca stellen unter dem Namen seines Mitschülers Jacques Martin41 und seines ehemaligen, lange begleiteten Professors und Direktors der École Normale Supérieure, Jean Hyppolite42, Beiträge zur Kenntnis der Hegelschen Philosophie heraus. Althusser schätzt sie, erkennt darin eine Arbeit mit wirklicher Qualität und die Möglichkeit einer Bearbeitung des Hegelschen Textes, als ob er Knoten verknote. Beide Inszenierungen äußerst unterschiedlich, ja in gewisser Weise entgegengesetzt, insofern der Brief vom 18. Dezember 1962 in einer Haltung nahezu unverschämter Überlegenheit von einem Telefongespräch mit Jean Hyppolite erzählt und der vom 7. Oktober 1963 das ehrende -
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Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S.
788. 800. 466. 303.
Stéphane Douailler
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Andenken an Jacques Martin anläßlich der Erwähnung seines alten mémoire von 1947 pflegt begegnen sich in ihrem Unvermögen, Louis Althusser selbst von dessen bei eigenen ersten Einlassungen auf die Knoten Hegels verfestigten Überzeugung abzurücken und ihn an gänzlich anderer Stelle zu verorten. Diese Einlassung war bekanntlich Thema seines „Diplome d'Etudes Supérieure", verfaßt unter der (formellen) Leitung von Gaston Bachelard.43 Darin findet man tatsächlich Fragen, die in späteren Entwicklungen nachklingen, zu denen sie herangezogen wurden, darunter vor allem zwei. Zuerst schildert der mémoire Hegels leeres Leben eines intellektuellen Tiers im Gewand eines preußischen Funktionärs. Dieser Leere entgeht er nicht, weder als schöne Seele, noch als jemand, der den Weltgeist zu Pferde unter seinem Fenster vorbeiziehen sieht, noch als professoraler Einwohner einer durch die Aufklärung ihrer (Hölderlinschen, Schellingschen) Wahrheit entleerten Welt. Er hält sich in Hinsicht auf Leben und Kultur in einer absoluten organischen Äußerlichkeit. In der falschen Fülle des Spiegels, den sein Werk der Welt vorhält, kreiert er in letzter Instanz nur ein „würdiges Portrait, um leidend seinen Professorenkopf anzuschauen".44 Ausgehend von dieser Leere, ebenso wie ausgehend von dem Schrekken, den die Hegelsche Philosophie auslöst, kann man sie dann so verstehen, als hätte -
sie sich einen Inhalt einverleiben wollen. Sie versucht, die Geschichte und die Welt an sich zu reißen, um sich davon zu ernähren. Hegel schlägt den Weg des Journalistischen Metaphysikers" ein, der aufmerksam auf die Ereignisse ist und die Gegenwart bewohnt. Er möchte überall, auch bei anderen, bei sich sein, ohne jedoch jemals andere Dinge als sich selbst und seine Leere kauen zu können. Durch diese zwei Charakteristika, die Leere (die organische Nicht-Beziehung) und die Bewohnung des Ganzen der Welt, verknüpft durch einen Faden, der Orte als auch irgendeinen Ort schafft (was den Knoten fehlt), hat also der mémoire von 1947 doch erreicht, ausgehend von der Figur Hegels ein Problem in das Denken von Louis Althusser einzuführen. Aber scheinbar muß man in seinem Werk die Hegelsche Frage wohl dergestalt in Betracht ziehen: nicht so sehr in den mehr oder weniger geglückten und mehr oder weniger überzeugenden Versuchen, den Ort Hegels festzustellen („Le retour à Hegel. Dernier mot du révisionnisme universitaire"45, „Sur Feuerbach"46, „Lénine et la philosophie suivi de Marx et Lénine devant Hegel"47 etc.), als vielmehr gerade inmitten der Philosophie die Frage nach dem Ort zu stellen, wie auch (weil sie fehlte) eine Praxis und ein Projekt der Philosophie als Zugang zu dieser Frage nach dem Ort einzusetzen. Aus dem Französischen
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von
André Reichert und Ulrich Johannes Schneider
L. Althusser, Du contenu dans la pensée de G. W. F. Hegel, in: ders., Écrits philosophiques et politiques, Bd. 1,S. 61-246. Ebd., S. 71. Ebd., S. 251-268. Ebd., Bd. 2, S. 179-261. L. Althusser, Lénine & la philosophie suivi de Marx & Lénine devant Hegel, Paris 1972; dt: Lenin und die Philosophie, Reinbek 1974.
Denis Kambouchner
Hegel unter Dekonstruktion
langen Reihe von Annäherungen an Hegel, die dieser Band sich zu untersuchen vornimmt, schicke ich mich an, von einer der letzten oder vielleicht der letzten zu sprechen, wenn man unter den Titel „Dekonstruktion" nicht nur die Texte Jacques Derridas, sondern auch jene Jean-Luc Nancys einordnet. Trotz allem ist das Thema schon gewissermaßen klassisch geworden, wovon bestimmte kritische Studien aus den 80er Jahren1 und vor allem die Veröffentlichung eines wichtigen Sammelbandes mit dem Titel: Hegel after Derrida2 zeugen. Anstatt eine Akte anzulegen, die es in bestimmter Weise schon ist, werde ich bestrebt sein, einige hervorstechende Punkte zu markieren, indem ich erneut diese Akte überfliege. Der erste hervorzuhebende Punkt ist natürlich die sehr starke philosophische Präsenz Hegels im Blickfeld des Programms einer Dekonstruktion der Metaphysik, so wie es sich durch Jacques Derrida in seinen ersten Büchern, veröffentlicht in zwei Wellen 1967 bzw. 1972-73, entfaltet findet.3 In den Texten ist die Bezugnahme auf Hegel unterschiedlich. Dissemination wie Randgänge der Philosophie enthalten große monographische Partien: ersteres mit einem „Buch-Außerhalb", das die Frage des Vorworts und, weitergehend, der Darstellung [im Original dt.] behandelt; letzteres vor allem mit der Studie über die Hegelsche Theorie des Zeichens, „Der Schacht und die Pyramide".4 In den vorhergehenden Büchern trat der Bezug zu Hegel indirekter hervor und nimmt z.B. in Die Stimme und das Phänomen, das sich mit der Husserlschen Thematisierung der Bedeutungsintentionen auseinandersetzt, nur einige Zeilen ein. In dieser ersten Periode Derridaschen Schaffens wächst schließlich der für die Lektüre Hegels eingeräumte Platz an, um 1974 mit dem monumentalen Glas5 spektakulär zu werden. In der
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Vgl. Manfred Frank, Was ist Neostrukturalismus?, Frankfurt am Main 1983. Stuart Barnett (Hg.), Hegel after Derrida, London/New York 1998. Jacques Derrida, Grammatologie [De la grammatologie, Paris 1967], Frankfurt am Main 1983; ders., Die Schrift und die Differenz [L'écriture et la différence, Paris 1967], Frankfurt am Main 1976; ders., Die Stimme und das Phänomen [La voix et le phénomène, Paris 1967], Frankfurt am Main 1979, 2. Aufl. 2002; ders., Dissemination [La dissémination, Paris 1972], Wien 1995; ders., Randgänge der Philosophie [Marges de la philosophie, Paris 1972], Wien. 2. Aufl. 1999. Der Bezug zu Hegel nimmt jedoch im Vortrag über „Die différance", ebenso wie in „Ousia und Gramme: Notiz über eine Fußnote in Sein und Zeit", als auch in „Fines hominis" gleichsam einen beträchtlichen Platz ein, sprich insgesamt in gut einem Drittel des Buches. Jacques Derrida, Glas, München 2006.
Denis Kambouchner
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Man sollte allerdings auch unterstreichen, daß gerade dort, wo Hegel am wenigsten sichtbar wird in Die Stimme und das Phänomen -, sein Ort dennoch genau ausmachbar ist. Der Name Hegels taucht nämlich auf den abschließenden Seiten mit einem strategischen Wert auf, den zu entziffern meine vornehmliche Aufgabe sein wird: -
„[Husserl hat] niemals an die Vollendung eines ,absoluten Wissens' als gegenwärtiges Bei-sichsein eines unendlichen Begriffs im Logos geglaubt [...] Und dennoch ist der gesamte phänomenologische Diskurs [...] im Schema einer Metaphysik der Gegenwärtigkeit gefangen, die sich unermüdlich bis zur Atemlosigkeit abmüht, die Differenz auszutreiben. Innerhalb dieses Schemas scheint der Hegelianismus radikaler zu sein: vornehmlich da, wo er deutlich macht, daß das positive Unendliche gedacht werden muß (was nur möglich ist, wenn es sich selbst denkt), damit die Endlosigkeit der différance als solche erscheint. Hegels Kritik an Kant dürfte zweifellos auch für Husserl
gelten."6
Dieses Thema der virtuellen Hegeischen Kritik des Husserlschen Gebrauchs des Unendlichen erschien schon fünf Jahre vorher in einer Fußnote des ersten Buchs über Husserl, im 2. Abschnitt der Einleitung zu Der Ursprung der Geometrie:1 Hegel war sicher nicht der erste Gegenstand im Schreiben Derridas, dessen anfängliche Arbeiten vielmehr ein weitläufiges Nachdenken über das phänomenologische Projekt Husserls bilden. Er scheint auch darüber hinaus nicht der konstanteste Gesprächspartner zu sein, eine Rolle, die wohl eher Heidegger zugeschrieben werden muß, dessen Lektüre Derrida mit einer bemerkenswerten Konstanz bis weit über die 70er Jahre hinaus verfolgt hat. Aber Hegel ist sicherlich für Derrida ein Philosoph allerersten Ranges, dessen Platz sich in der Trinität der Denker der Schließung der Metaphysik neben Husserl und Heidegger befindet. Warum jene drei eher als andere behandeln z.B. eher als Nietzsche, grundlegender Autor, der aber ungeachtet mehrerer bedeutender Texte bei Derrida niemals den ersten Rang einnimmt? Warum also jene drei und nicht andere? Obwohl diese Triade durch eine starke Festlegung des kritischen Interesses jener Zeit auf gewisse Weise vorgeschrieben war, bleibt die Beantwortung der Frage mit Rücksicht darauf, daß Derrida auf jede Art von Philosophiegeschichte entschieden verzichtet haben wird, ziemlich delikat. Dieser Verzicht, der hier im Sinne einer einleitenden Bemerkung noch zu unterstreichen wäre, bedeutet keineswegs, daß er es ablehnt, verfügbares Material der Philosophiegeschichte eine umso absurdere Annahme, als Derrida es sich gelegentlich nicht zu verwenden ein nehmen läßt, ganzes Archiv erneut zu überfliegen oder sogar wiederherzustellen. Aber dieser Verzicht ist vermutlich die Aussetzung der Frage nach der Philosophiegeschichte -
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Derrida, Die Stimme und das Phänomen, S. 120f. Jacques Derrida, Husserls Weg in die Geschichte
am Leitfaden der Geometrie [Edmund Husserl, la géométrie. Traduction et introduction par Jacques Derrida, Paris 1962], München 1987. Dieser äußerst schwierige Text weist auf den engen Zusammenhang zwischen der Urstiftung [im Original dt.] der konstituierten Wahrheiten und einem unendlichen Telos bei Husserl hin, das er in seinen letzten Schriften Gott nennen wird. Derrida fügt hinzu, S. 60, Anm. 29: „Indessen ist dieses Unendliche, das in den Ursprüngen schon immer am Werke ist, kein positiv und aktual Unendliches. Es ähnelt einer Idee im Kantischen Sinne, einem regulativ ,Unbestimmten', dessen Negativität der Geschichte ihr Recht läßt. Jene ,Verfälschung' des aktual Unendlichen zu einem Unbestimmten (indéfini) oder einem ad infinitum, deren Hegel Kant und Fichte bezichtigte, wäre also nicht nur von der Moralität, sondern auch von der Historizität der Wahrheit her gerechtfertigt."
l'origine de
Hegel
unter
Dekonstruktion
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als solcher; anders gesagt, er problematisiert mit einem gewissen Nachdruck die Möglichkeit einer Erzählung oder eines Tableaus der Entwicklung, Mutationen und Konflikte philosophischer Gedanken und Traditionen. Und im selben Moment stellt er die Verteilung von begrifflichen Merkmalen und Begriffspersonen infrage, d.h. die Möglichkeit, in bestimmten Formulierungen die mit anderen vergleichbare Gestalt oder Tatsache eines Autors oder eines Denkens festzuhalten wobei diese Formulierungen notwendigerweise selektiv und unzulässigerweise begrenzend waren. Jedoch hat die von jeglicher Definition philosophischer Autorschaft vorausgesetzte Unverschämtheit mit Hegel eine Art Ausnahme gekannt, mit einer ganzen Reihe erstaunlicher Formulierungen in den Texten Derridas zwischen 1963 und 1973. Diese Ausnahme wird aber durch einen ungewohnt klaren Umstand verständlich. Man kann nämlich sagen: Mit Hegel gelangt die Philosophie im allgemeinen, seit ihrer platonischen Eröffnung, an ihr Ziel oder fast. In Übereinstimmung mit dem, was zweifellos sein eigener Wunsch war, hat Hegel sich selbst in höchstem Maße in die Verwirklichung des philosophischen Projekts eingeschrieben. In Hegel ist die Philosophie in gewisser Weise gänzlich versammelt; und dies nicht einfach, weil Hegel das Wesentliche dessen, was sich vor ihm gedacht haben wird, neu denkt, sondern auch weil seine Unternehmung die konstitutive Teleologie der Philosophie zu ihrem höchsten Stand führt. Ein mit Glas zeitgleicher Text, „L'age de Hegel"8, hebt deutlich zwei Aspekte hervor: Hegel ist „der Philosoph, der sich als der erste erwachsene Philosoph zeigt, der erste, der den Beginn und das Ende der Philosophie denkt, der beides wirklich in seinem Begriff denkt. Er ist der Philosoph einer Philosophie, die sich der Kindheit entwachsen denkt, die beansprucht, mitsamt ihrer Geschichte alle Zeitalter der Philosophie, die gesamte Zeit und die gesamte Teleologie ihres Heranreifens zu denken."9 Ein zweiter charakteristischer Zug der Derridaschen Annäherung ist nun, daß dieser Anspruch Hegels, insofern er stets mit einiger Distanz und Ironie betrachtet werden kann und muß, nicht auf einen reinen Anspruch ohne eigene Wahrheit reduziert werden kann. Man lese erneut unter anderem die erste Studie Derridas über Levinas, „Gewalt und Metaphysik", erschienen 1964: Hier handelt es sich stets um das Unendliche und die Tatsache, daß bei Levinas „das Andere" sich mit dem „wahren Unendlichen" identifiziert, wohingegen „das Selbe", mit Hegel gesprochen, das „falsche Unendliche" repräsentieren würde. Dies nun wäre, schreibt Derrida, ,,[f]ür Hegel (und für jede Metaphysik, die sich in ihm entfaltet und sich in ihm neu denkt) [ ] absolut sinnlos gewesen". ,,[I]n dieser Sprache, die die einzige Sprache der okzidentalen Philosophie ist", kann es ganz einfach nicht geschehen, daß die „endliche Totalität" auf der Seite des Selben steht, die man dadurch gerade als ein Anderes betrachten müßte. Derart scheint es unmöglich, „den Hegelianismus [nicht] zu wiederholen, der nur diese Sprache selbst ist, sofern sie absoluten Besitz von sich ergriffen hat"; und so, „wo er [Levinas] gegen Hegel spricht, diesen nur bestätigen kann und ihn bereits bestätigt hat."10 -
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8
9 10
Erschienen im Sammelband der Groupe de Recherches sur l'Enseignement Philosophique [GREPH], Qui a peur de la philosophie?, Paris 1977 und wieder aufgenommen in: Jacques Derrida, Du droit à la philosophie, Paris 1990. Ebd., S. 202. Derrida, Gewalt und Metaphysik, in: ders., Die Schrift und die Differenz, S. 181 f.
Denis Kambouchner
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Das Erstaunliche in diesen Formulierungen, für die man zahlreiche Äquivalente in den Texten jener Zeit finden könnte, ist also zunächst die Anerkennung Hegels als Herr [maître] der philosophischen Sprache und als Kritiker oder vielmehr jemand, der alle möglichen Anti-Hegelianismen unerbittlich absetzt. Das Bestehen auf der Wirksamkeit dieser Herrschaft [maîtrise] und der Kraft [puissance] dieser Kritik wird in den Texten Derridas wiederholt auftreten. Wenn Heidegger in einer langen Fußnote des letzten Kapitels von Sein und Zeit die Hegelsche Analyse der Zeit als eine in bloßen Ausdrücken der Naturphilosophie gehaltene Paraphrase Aristoteles' darstellt, so verleiht eine Fußnote Derridas dieser Analyse ihre Vielschichtigkeit: „Die Behauptung (von Heidegger), ein Begriff bei Hegel gehörte zur Naturphilosophie (oder habe überhaupt seinen bestimmten wie besonderen Ort im Hegeischen Text) wird a priori in ihrer Tätigkeit durch die aufhebende Struktur der Beziehungen zwischen der Natur und der Nicht-Natur in der spekulativen Dialektik eingeschränkt."" Zum Ursprung dieser Form des Zugeständnisses an Hegel könnte man historische Überlegungen anstellen und natürlich hier zumindest zwei Arten von Autoritäten zitieren: jene von Jean Hyppolite, dem die Studie über die Hegelsche Theorie des Zeichens, „Der Schacht und die Pyramide", mitteilt, daß sie auf ihn „implizit permanent Bezug"12 nehmen wird; und jene von Georges Bataille, die vielleicht von jener Blanchots begleitet wird und direkt aus der Lehre Kojèves hervorging. Mehr als ein anderer Text Derridas ist es die Studie über Bataille und Hegel13, die die Identifizierung des Hegelianismus, mit „seinen gewaltigen Mitteln der Bestrickung"14, zur Philosophie schlechthin besiegelt. Philosophie Bestrickung, der man auf eine bestimmte Weise entkommen muß, der zu entkommen aber sehr schwierig ist, denn sie ist eins mit dem Diskurs im allgemeinen. Sobald man versucht, von einer Sprache in eine andere zu wechseln, „läuft [man] Gefahr, Sinn zu zeugen; der Vernunft, der Philosophie und Hegel Recht zu geben, der immer Recht behält, sobald man den Mund auftat, um den Sinn zu artikulieren".15 Was ist diese Hegelsche Herrschaft? Das, was sie konstituiert, ist in der Ordnung der philosophischen Operation nichts anderes, als was die Herrschaft [im Original dt.] im Sinne der Phänomenologie des Geistes konstituiert, die auch weiterhin mit bestimmten Seiten ihrer Vorrede, die von den Vorgängern Derridas als Hauptgedanke des Hegeischen Denkens bezeichnet wurden, als absoluter Bezugspunkt dient. Es handelt sich vor allem um die berühmten Formulierungen über den Tod als die furchtbarste Sache, darüber, das Tote festzuhalten als das, was die größte Kraft erfordert, über das Leben des Geistes, das den Tod erträgt und sich im Tode selbst erhält usw. ,,[F]ür Hegel war es wesentlich, sich der Negativität als solcher bewußt zu werden", schreibt Bataille.16 Derrida fährt fort: -
zu vergessen, daß die ungeheuren Revolutionen von Kant und Hegel den Wert eines Bruchs besitzen, könnte man zeigen, daß sie in dieser Hinsicht nur die unerschütterlichste philo-
„Ohne 11
12 13
14 15
16
Derrida, Ousia und Gramme, in: ders., Randgänge der Philosophie, S. 362f. Ebd., S. 94. Derrida, Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Für einen rückhaltlosen Hegelianismus, in: ders., Die Schrift und die Differenz, S. 380-421. Ebd., S. 380. Ebd., S. 398. Zit. in: ebd., S. 391.
Hegel
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Dekonstruktion
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sophische Bestimmung der Negativität erweckt oder aufgedeckt haben (mitsamt allen Begriffen, die sich bei Hegel systematisch an sie ketten: Idealität, Wahrheit, Sein, Zeit, Geschichte usw.). Die ungeheure Revolution bestand ganz einfach, wäre man fast versucht zu sagen darin, das Negative ernst zu nehmen und seiner Arbeit Sinn zuzumessen."17 -
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Damit ist Hegel, insofern er dem Negativen die Stirn bietet und ihm ins Gesicht blickt, insofern es kein Anderes des Denkens gibt, das nicht seinen Platz und seine Funktion im Hegelschen System hätte, tatsächlich der Herr, mit dessen Werk kein anderes verglichen werden kann. Wenn man den Gegenstand und alle dazugehörigen Kategorien berücksichtigt, die hier aufgerufen werden können, wird man nicht von einer Ökonomie sprechen dürfen, sondern von einer verschwenderischen Fülle, einer monumentalen Orgie, womit der von derselben Vorrede angekündigte bacchantische Taumel [im Original dt.] seine tatsächliche Verwirklichung findet. Offenkundiger, weil entschiedener als jeder andere Denker, ist Hegel überall bei sich [chez soi]. Im Unterschied zu vielen begnügt er sich nicht damit anzukündigen: erführt aus. Dort, wo andere zurückgeschreckt sind, schreckt er nicht zurück; und wenn man erwartet, bei ihm einige beschwörende Gesten wiederzufinden, wird die Beschwörung stets vielmehr reflektiert und sekundär als primär und konstituierend sein, vielmehr eine Beschwörung durch Einschließung, Einverleibung, Verinnerlichung als durch Ausschließung und Vergessen. Aber zugleich kann bei Derrida keine Rede davon sein, daß diese Hegel zuerkannte Herrschaft eine absolute Wirklichkeit besitzt, noch daß diese Anerkennung selbst die einzige in seiner Hinsicht zu vollendende Geste bildet. Wenn man es mit einem Wort ausdrücken will, das nicht zwangsläufig in der Bedeutung einer Erfahrung, die Bataille ihm zugemessen hat, verstanden werden darf: In Hegel wird keine Herrschaft der Welt Souveränität sein. Was nämlich möchte besagen, daß diese Herrschaft etwas Absolutes sei? Dies möchte besagen, daß mit Hegel das uralte telos der Philosophie tatsächlich erlangt und verwirklicht worden wäre reine Selbstpräsenz des Denkens, verallgemeinerte Transparenz der Intention und des Ausdrucks, vollständige Synthese oder Sammlung einer Sinntotalität in einer das einfache Jetzt übersteigenden Präsenz, vollständige Bestimmung des Gegebenseins usw. Hegel besitzt die Kühnheit, von diesem telos, dessen Verwirklichung Husserl und zahlreiche andere, jeder auf seine Weise, ins Unendliche verlegen, als absolutes Wissen im Präsens Indikativ zu sprechen wie von einer tatsächlich erlangten Sache, und dies, ohne daß der Diskurs, den er unterhält, in irgendeinem Sinne mystisch genannt werden könnte, denn dieses Wissen ist gänzlich Resultat einer bestimmten Prozessualität. Andererseits, selbst wenn dieses uralte telos, das Hegel als erreicht darstellt, erreicht wäre, ist es dennoch eine absolute Unmöglichkeit. Es geht hier nicht darum, eine simple Skepsis anzuzeigen: Es gibt eine positive Offenkundigkeit dieser Unmöglichkeit, die man mit dem, was bei Derrida die allgemeinste Bedingung jeder Teleologie bildet, in Verbindung bringen kann. Und zwar: mit derselben Bewegung, durch die das Denken oder etwas derartiges das setzt, wovon es sich loslösen muß, bestätigt es, daß es sich davon nicht loslösen kann. Weil es ursprünglich etwas anderes gibt als reines Denken, sowohl übrigens ursprünglich etwas anderes als das, was das reine Denken als sein anderes bezeichnet, als eben auch, sozusagen, ursprünglich et-
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17
Ebd., S. 392.
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anderes als Ursprung, ist eine absolute Versammlung des Denkens in sich selbst eine absolute Unmöglichkeit. Es ist nicht erforderlich, darauf hinzuweisen, wie von Derrida die Notwendigkeit des Zeichens oder der Spur als Index dieser Unmöglichkeit bezeichnet worden ist. Daß, wie Hegel es behauptet, das absolute Wissen, das Glas in deutlich durchtriebener Weise als „das absolute Phantasma" bezeichnet, statt habe, ist also keine einfache Unmöglichkeit: es ist eine unmögliche Sache unmöglicher als jede Unmöglichkeit. Das Problem kann übrigens enger gefaßt werden, indem man es um einen Ausdruck oder einen Begriff herum anordnet, der als allgemeinster und unentbehrlichster Operator wie zugleich als Kennzeichen der spekulativen Philosophie Hegels betrachtet werden kann: aufheben [im Original dt.] die Aufhebung [im Original dt], mit der die endlichen Bestimmungen in ihr Gegenteil übergehen und in ihrer Wahrheit hervortreten. Für diesen Ausdruck, dessen Doppelsinn der spekulativen Dialektik ihren Wert verleiht, hat Derrida eine allgemeine Entsprechung mit dem Wort: relever/relève18 vorgeschlagen. Die Entsprechung wird in den Aufsätzen von 1968, wiederaufgenommen in Randgänge der Philosophie, und vor allem in dem Vortrag über „Fines hominis" eingeführt. Hierbei geht es um die Hegeischen Beziehungen zwischen Anthropologie, Phänomenologie und Logik, über die Derrida in seiner charakteristischen Weise ausführt:
was
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„Nachdem erst einmal die Verwirrung aus einer einfach anthropologistischen Lektüre der Phänomenologie des Geistes vermieden wurde, muß erkannt werden, daß nach Hegel die Bezüge zwischen Anthropologie und Phänomenologie nicht von einfacher Exteriorität sind. Mit allem, was sie einfuhren, verbieten die Hegeischen Begriffe der Wahrheit, der Negativität und der Aufhebung [im Original dt.], daß es so sei." Daher erscheint in der Enzyklopädie, wo die Phänomenologie des Geistes auf die Anthropologie folgt und der Psychologie vorangeht, ,,[d]as Bewußtsein, das phänomenologische, [als] die Wahrheit der Seele", als Gegenstand der Anthropologie. „Das Bewußtsein ist die Wahrheit des Menschen, die Phänomenologie ist die Wahrheit der Anthropologie." Und Derrida fährt fort: „Das Bewußtsein ist die Wahrheit des Menschen, insofern der Mensch darin in seinem Vergangensein seinem Gewesensein erscheint, in seiner dahingegangenen und bewahrten, festgehaltenen und erinnerten, aufgehobenen Vergangenheit. Aufheben (relever) in jedem Sinne, in dem es verschieben, erheben, ersetzen und voranbringen in ein und derselben Bewegung meint. Das Bewußtsein ist die Aufhebung [im Original dt.] der Seele oder des Menschen, die Phänomenologie ist die Aufhebung der Anthropologie. Sie ist nicht noch, sondern sie ist wieder eine
Wissenschaft vom Menschen. In diesem Sinne sind alle von der Phänomenologie des Geistes beschriebenen Strukturen wie alles, was sie über die Logik artikuliert Strukturen dessen, was die Aufhebung (relève) des Menschen übernommen hat. Der Mensch bleibt darin im Relief bestehen. Sein Wesen ruht in der Phänomenologie. Dieser äquivoke Relevanz-Bezug markiert gewiß das Ende des Menschen, den vergangenen Menschen, aber zugleich die Erfüllung des Menschen, die Aneignung seines Wesens."19 -
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Relever: 1. „aufdecken"; „feststellen"; „eingehen auf; 2. „aufheben" im Sinne der Hegeischen Aufhebung, relève: 1. „die (Hegelsche) Aufhebung"; 2. „Wachablöse"; prenne la relève: „nachfolgen", „die Nachfolge antreten". [A.d.Ü] Derrida, Fines hominis, in: ders., Randgänge der Philosophie, S. 143f.
Hegel
unter
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Dieser Abschnitt macht den Akzent deutlich, den Derrida in der Hegelschen Aufhebung [im Original dt.] auf den Aspekt der Bewahrung stets legen und stets gelegt haben wird: Nicht nur ist das, was aufgehoben [im Original dt.] wird, einfach verneint oder abgeschafft, sondern wird bewahrt aber es wird bewahrt über das angenommene Maß hinaus. Das als Übersetzung von Aufhebung vorgeschlagene Wort „relève" trifft genau die in der Negation bewirkte Bewahrung; es trifft vor allem die Unmöglichkeitjeder einfachen Überschreitung. Die paradoxe Situation wäre nämlich folgende: Einerseits gelangt das, was aufgehoben wird, in dieser Aufhebung zu seiner Wahrheit und wird also dergestalt bewahrt. Andererseits aber gibt es in diesem negativen Übergang solch einer Bestimmung oder Gestalt zu ihrer Wahrheit etwas unreduzierbar Fiktives: In anderer Hinsicht ist der Gegenstand der Aufhebung, wobei in Derridas Hinsicht bei dieser Operation nicht jegliche performative Dimension ausgeschlossen werden kann, nicht gänzlich aufgehoben. Er bleibt gewissermaßen unaufgehoben. In einer bestimmten irreduziblen Weise hat das, was sich als aufgehoben zeigt, nicht statt. Gegen die Aufhebung spielt die différance, die von der Grammatologie und anderen Texten dieser Zeit als quasi fündamentalontologische Gegebenheit dargestellt wird: als die ursprüngliche Zerstreuung und Entfernung, die ^produktive' und konfliktuelle Bewegung, der keine ursprüngliche Identität, keine ursprüngliche Einheit, keine ursprüngliche Einfachheit vorausgehen könnte". Daher diese Aussage in einem Gespräch von 1971, betitelt Positionen : „Könnte man die différance definieren, so müßte man sagen, daß sie sich der Hegelschen Aufhebung überall, wo sie wirkt, als Grenze, Unterbrechung und Zerstörung entgegenstellt."20 Und dann im „BuchAußerhalb" in Dissemination: -
„Die Bewegung, in der Hegel den Unterschied [différence] zum Widerspruch bestimmt (,Der Unterschied überhaupt ist schon der Widerspruch an sich'21), ist genau dazu ausersehen, die letzte (onto-theo-teleo-logische) Aufhebung des Unterschieds möglich zu machen. Die diffédie also nicht der dialektische Widerspruch in jenem Hegelschen Sinne ist markiert rance die kritische Grenze der Idealisierungsvermögen der Aufhebung überall da, wo sie direkt oder indirekt operieren können."22 -
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Können jenseits des in „Fines hominis" betrachteten Falles Beispiele dieser „Unterbrechung" gegeben werden? Vor Glas sind diese Beispiele fast ausschließlich im Rahmen der Funktionsweise des Zeichens zu finden. Und dieses Beispiel, um es noch mal zu sagen, ist durchaus nicht irgend eines: In der „Metaphysik der Präsenz" wird die Aufhebung kraft des Zeichens vorausgesehen, verlangt, behauptet und inszeniert; zugleich hat die Aufhebung kraft der Materialität des Zeichens nicht statt. Neben anderen Texten in Randgänge der Philosophie ist der Beginn der Studie über das Zeichen bei Hegel, „Der Schacht und die Pyramide", vollkommen deutlich:
„Indem die Metaphysik das Sein als Präsenz bestimmte [...] konnte sie das Zeichen nur als einen Übergang behandeln. Eine solche Behandlung wurde sogar ein untrennbarer Teil ihrer selbst [...] Als ein Ort des Übergangs, als Brücke zwischen zwei Momenten der vollen Präsenz funkJ. Derrida, Positionen [Positions, Paris 1972], Wien 1986, S. 86. G W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. II, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 6, S. 65 [A.d.Ü.]. Derrida, Dissemination, S. 15, Anm. 5.
Denis Kambouchner
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tioniert das Zeichen demnach nur als der provisorische Verweis einer Präsenz auf eine andere. Die Brücke kann gehoben aufgehoben werden."23 -
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Dieselbe Studie bemüht sich darum zu zeigen, wie die Notwendigkeit dieser Aufhebung die Hegelsche Privilegierung der alphabetischen Schrift und eine ziemlich verworrene Behandlung der chinesischen Ideographie wie auch der mathematischen Symbolik bestimmt zwei Fälle dessen, was man die Bleibendheit [restance] des Zeichens als sinnliche Markierung nennen muß. Die Aufhebung unterbrechen bedeutet hier nicht zu zeigen, was sich von selbst versteht, und zwar daß das Denken im Spiel der Zeichen gefangen bleibt, über das sich zu erheben es beansprucht: sondern genau zu zeigen, daß selbst da, wo sich eine höhere Form der Beziehung des Geistes zu sich bezeichnet findet, das Denken, das die vorhergehende Form zu begründen sucht, sich unvermeidlich verstrickt und dem nicht entkommt. Aber macht es, wird man fragen können, dann noch einen Sinn und welchen, vom -
Hegeischen „System" zu sprechen?
Derrida scheint bis zu der Zeit von Glas den Ausdruck und mit ihm die ausdrückliche Frage über die Sache vermieden zu haben. In gewissem Maße wird man sich die Zurückhaltung der Frage über das System durch den Verzicht, von dem wir vorhin sprachen, erklären können den Verzicht auf die Philosophiegeschichte als solcher. Was ist das Hegelsche System? Diese Frage ist vielleicht nicht gänzlich, aber unbezweifelbar historisch. Vielleicht ist es die Frage, die den sich für Hegel interessierenden Philosophiehistoriker als solchen konstituieren wird. Indessen kann man die ersten Zeilen von Glas lesen: „was [bleibt] überdies/vom Rest (du reste), heute, für uns, hier, jetzt, von einem Hegel?"24 Dennoch, ist nicht andererseits der Gegenstand der Dekonstruktion (des Derridaschen Vorgehens im allgemeinen) das System selbst, insofern es sich verwirklicht oder beansprucht, sich zu verwirklichen? Und wenn dem so ist, könnte man sich dann einer Anstrengung, das Dasein dieses Systems in seinen verschiedenen Gestalten genauer zu bestimmen, -
entledigen?
Wenn es erlaubt ist, sich auf diese Fragen eine Derridasche Antwort auszumalen (noch nicht in der Art Sätze, die man diesbezüglich in Glas findet), so wird diese Antwort mit einer Infragestellung der Einheit des sogenannten Daseins beginnen. Das System ist mindestens zugleich a) der allgemeine Begriff oder die Idee des dialektischen Prozesses der Rückkehr des Geistes an und für sich, b) eine Maschinerie, ein Ganzes begrifflicher und logischer Operatoren und Schemata, die in der Form dieses Prozesses jegliche Art Gegenstand zu behandeln erlauben, und c) die Behandlung selbst dieser Gegenstände oder die Totalität verschiedener Momente dieses Prozesses, insofern sie vorausgesetzt werden, das Objekt einer gewaltigen und verallgemeinerten Erinnerung [im Original dt.] zu bilden. Aber das System wird in der Beugung [diffraction] dieser Aspekte gerade weniger als eine Sache, die sich vollständig herstellt (ausgehend von sich oder seinem Begriff), denn eine Sache, die sich beglaubigt in dem, was eine Operation der Schrift bleibt, aufzufassen sein. Es gibt einen „Vollzug als Schrift" (wie der Vortrag über Die différance25 es nennt), wodurch das System Gestalt annimmt. Die Zeit, sagt Hegel, ist der daseiende 23 24
25
Derrida, Randgänge der Philosophie, S. 94. Derrida, Glas, S. 5 (linke Spalte). In:
Randgänge der Philosophie, S. 49.
Hegel unter Dekonstruktion
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Begriff selbst: Von der Schrift, die sich verzeitlicht oder die vielleicht die Verzeitlichung selbst ist, wird man sagen, daß sie ebenso gut das einzige Dasein des Systems ist. Bloß muß man darunter verstehen, daß das System in seinem Grunde Schrift, daß es, wenn man das sagen kann, gänzlich différance ist.26 Anders gesagt, man muß verstehen, daß es statt
schönen, im Element des reinen Denkens konstituierten Idealität tatsächlich nur „Hegels Text" gibt. Jean-Luc Nancys Buch, La remarque speculative (1973), beschäftigt einer
Glas mit dieser Problematik der Beglaubigung des Systems, indem es Texte Hegels über die Sprache und den spekulativen Ausdruck (in erster Linie bezüglich des Begriffs aufheben [im Original dt.]) untersucht. Daß derselbe „Vollzug als Schrift", der für die Darstellung des Systems notwendig ist, als différance der Systematizität erfahren werden kann und muß, wird jedenfalls die Derridasche Wahrheit sein. Und in dieser Hinsicht wird die Dekonstruktion etwas ganz anderes sein als eine Kritik, die eine Wahrheit gegen einen Irrtum wiederherzustellen, eine Vorstellung anstelle einer anderen aufzurichten oder sogar eine Denkweise zugunsten einer anderen abzusetzen beanspruchte, indem sie jedes Mal eine gewisse minimale Komplizenschaft mit ihrem Gegenstand bewahrt. Die Dekonstruktion wird vielmehr wesentlich Lektüre und wesentlich Verräumlichung oder Nachträglichkeit der Lektüre sein, die im Text des Systems Unebenheiten, Unstimmigkeiten oder unmerkliche Resonanzen, auf die hin keiner das Ohr spitzt, wahrnehmbar macht, indem sie sich jedes Mal über die Art und Weise befragt, in der diese Momente im Text verstanden werden sollten. Worauf also bestanden werden muß: Hegel kann keine bestimmte Wahrheit oder kein bestimmter Wert, diesseits deren bzw. dessen er geblieben wäre, entgegengesetzt werden. Jedenfalls gibt es keine anti-hegelianischen Werte zu fordern. Wenn Bataille die Hegeische Herrschaft als „knechtisch" bestimmt, insofern sie ein Festhalten an der Bewahrung des Sinns ist, wenn er der Knechtschaft dieser Herrschaft die Souveränität einer absoluten Verausgabung entgegensetzt, dann gibt es einige große Mißverständnisse, die mit Bedacht vermieden werden müssen. Kurz, man wird äußerstenfalls über die Halsstarrigkeit Hegels, allem Sinn beizulegen, lachen können eine Geste, die die „beschränkte Ökonomie" definiert und die absolute Verausgabung als Verausgabung des Sinns ausschließt. Aber wenn es darum geht zu sprechen und zu schreiben, kann man dem Diskurs der Herrschaft keinen anderen Diskurs, der jener der Souveränität wäre, entgegensetzen. „Es gibt nur einen Diskurs, und dieser vermittelt Bedeutungen; hier läßt sich Hegel nicht umgehen."27 Und wenn also „die Nicht-Logik [...] sich in die Verkettung oder in den Funktionszusammenhang einer Schrift einschreiben lassen [muß]", wird man sich derselben Begriffe bedienen müssen, die, scheinbar in sich unverändert, „eine Sinnmutation [erfahren], oder [...] vielmehr, wenn sie auch scheinbar unangefochten bleiben, durch den Sinnverlust bewegt [werden], auf den sie maßlos hingleiten und in den sie maßlos hinabstürzen".28 Man kann sich fragen, in welchem Maße solche auf die Hegelschen Meditationen von Bataille bezogenen Formulierungen von 1967 nicht ziemlich genau, gleichsam vor-
sich schon
vor
-
26
27
28
Dieser Vortrag interessiert sich insbesondere für die différente Beziehung [im Original dt.] in der Jenenser Logik, die Alexandre Koyré in Frankreich einführte. Hierzu vgl. ebd., S. 42f. Derrida, Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie, in: ders., Die Schrift und die Differenz, S. 395. Ebd., S. 405.
Denis Kambouchner
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wegnehmend, auf die große Unternehmung von Glas (1974) treffen, das auf dreihundert großen Seiten Texte Hegels über die Religion und die Familie, von Der Geist des Christentums an bis zu den letzten Abschnitten der Phänomenologie des Geistes, derselben
verräumlichten und verräumlichenden Lektüre unterzieht. Aber zunächst kann man sich fragen, was diese große Relektüre bestimmt hat, wenn man eingestehen muß, daß die Dekonstruktion als Aufgehobenes der Aufhebung, oder genauer als Verzeichnis der Aufhebung und der Nichtaufhebung, vielmehr dazu bestimmt war, die Texte Hegels von allen Seiten zum Überborden zu bringen, als sich dabei auf unbestimmte Zeit aufzuhalten. Die Antwort auf letztere Frage scheint folgende zu sein: Wenn Derrida sich für Texte Hegels über die Religion und die Familie interessiert hat, dann wesentlich, um in noch nicht dagewesener Weise die Macht [puissance] der Verbindung zwischen der spekulativen Dialektik, also der Aufhebung im allgemeinen, und einer bestimmten Familienszene zu markieren. Diese Szene hat zunächst mit Hegel selbst begonnen, indem er einerseits die griechische Tragödie und andererseits das Evangelium gelesen und thematisiert hat. Die leitende Idee dieser Lektüre wird ohne Zweifel durch das gestützt, was Derrida hinsichtlich des Kampfes um Anerkennung, wie er in der ersten Phänomenologie des Geistes von Jena dargestellt wird, schreibt: „Man kann das Wesen des Bewußtseins nicht begreifen, ohne durch die familiale .Potenz' [im Original dt.] hindurchzugehen. Man kann nicht eine Phänomenologie des Geistes, d.h., gemäß dem Untertitel, eine ,Erfahrung des Bewusstseins' beschreiben, ohne darin die onto-ökonomische Arbeit der Familie zu erkennen. Es gibt kein reines Bewußtsein, kein transzendentales ego, in welchem man den familialen Kern reduzieren könnte. Hier hat das Prinzip einer transzendentalen Kritik des Bewußtseins als formales Ich denke (Denken wird stets von einem Glied der Familien gesagt), aber auch des konkreten transzendentalen Bewußtseins im Stil der Husserlschen Phänomenologie seinen Ort. Nicht nur gibt es kein monadisches Bewußtsein, keine Eigenheitssphäre des ego, sondern es ist auch unmöglich, die familiale Struktur als eine gewöhnliche (vulgaire) empirisch-anthropologische Beigabe zur transzendentalen Intersubjektivität zu reduzieren'. Diese wäre abstrakt und formell konstituiert und abgeleitet -, wenn man darin nicht die familiale Struktur als eine ihrer Wesensstrukturen erkennen würde, mit all den Potenzen, die Hegel darin impliziert, das Gedächtnis, die Sprache, die Begierde, die Arbeit, die Ehe, das Eigentum der Güter, die Erziehung usw."29 -
Hinsichtlich der absoluten Religion in der Phänomenologie des Geistes und des Textes über den Geist, der mit einer tatsächlichen Mutter, aber einem an sich seienden Vater ins Dasein in der Gestalt des Selbstbewußtseins tritt, kann man ebenso gut weiter oben lesen: „In der Konstitution einer absoluten Onto-Logik könnte der familiale Diskurs nicht in die untergeordneten Gebiete einer Rhetorik, einer Anthropologie oder einer Psychologie abgeschoben werden können."30 Es ist mir hier nicht möglich, in die Details der Derridaschen Lektüre einzudringen, noch zunächst in jene der zitierten Texte Hegels. Nichtsdestotrotz läßt sich sagen, daß die stets lebendige und historisch sehr komplexe Frage der Hegeischen Beziehung zwischen Religion und Philosophie sich in Glas durch bestimmte Formulierungen an einen Kulminationspunkt gebracht findet, in einem Buch, das zugleich durch seinen Stil wie durch 29 30
Derrida, Glas, S. 152. Ebd., S. 107.
Hegel
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Dekonstruktion
seine Materialanordnung die Synthese oder den Gesamtblick verbietet oder wenigstens davon abschreckt. Um zu schließen, werde ich mir, indem ich einen anscheinend diametralen Gegensatz zwischen dieser Lektüre und dem zwei Jahre zuvor von Deleuze und Guattari entwickelten Anti-Familialismus festhalte, folgende Frage stellen: Daß die Hegehche Aufhebung [im Original dt.] ein gewisses Verhältnis mit der Struktur der Heiligen Familie bewahrt habe und das Hegeische System, so wie von Glas vor Augen geführt, sich äußerstenfalls als ein gewaltiger familialer Syllogismus lesen ließe, hatte Derrida zweifelsohne nicht als erster in Erwägung gezogen. Übrigens werden hier Feuerbach und Marx an gegebener Stelle ausführlich erwähnt. Aber was hat die différance selbst mit der Familie zu tun? Eine vielschichtige Frage: Auf jeden Fall muß ausgeschlossen werden, daß die familiale Problematik sich hier bloß nachträglich, in Bezug zu einer Erleuchtung, die bei Derrida zunächst der rein transzendentalen Ordnung zugehört hätte, aufdrängt. Nicht mehr nur wird es niemals reine Identität gegeben haben, es wird keine reine Differenz gegeben haben. Die Bestimmung des Logos nach dem Johannesprolog als das, „was auf den Vater zurückgeht", findet sich schon in den Texten der 60er Jahre, zur gleichen Zeit wie natürlich das Vokabular der Dissemination, der Zerstreuung des Samens. Mit den Bezügen zu Antigone und zur unbefleckten Empfängnis entfaltet Glas viel stärker den Anteil der Schwester oder der Mutter in der Einschreibung in die Szene. Diese Szene ist indessen ohne Einheit; aber es ist die Szene, in der man apriori sagen kann, daß jede Bewegung Gestalt annimmt. Und die différance, die der Bewegung der Aufhebung widersteht, ist in bestimmter Hinsicht selbst auch eine Bewegung. Diesbezüglich kann man nicht umhin zu denken, daß sich in der Unternehmung der Dekonstruktion, als gewissermaßen positivste Bestimmung, stets eine Form des Pragmatischen sozusagen eine atranszendentale Pragmatik im Bau befunden hat. Es bliebe, im kritischen Dialog mit der Psychoanalyse wie auch mit den Gesprächstheorien, davon die wesentlichen Eigenschaften anzugeben. Aber wenn im Derridaschen Schaffen der Jahre 1970-80 eine Art pragmatische Wende existiert, thematisch in verschiedenen Weisen ausfindig zu machen, ist es alles andere als gleichgültig, daß sich diese Wende abermals im Nachdenken über Hegel andeutet.31 "
„
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Aus dem Französischen von Christian Driesen
Eine französische Fassung dieses Textes ist erschienen als „Hegel La déconstruction, hg. v. Ch. Ramond, Paris 2005, S. 143-161.
en
déconstruction", in: Derrida:
Catherine Malabou
Dialektik und Dekonstruktion: ein neues „Moment"
neue „Moment" im Verhältnis von Dialektik und Dekonstruktion zu charakterisieren, habe ich mich entschieden, über die Lektüre zu sprechen. Hegel und Derrida haben dies gemeinsam, daß sie beide die Lektüre als Akt betrachten, als eine Produktion,
Um das
d.h. schon als eine Geste des Schreibens. In seiner Präsentation der Wissenschaft der Logik der Enzyklopädie betont Bernard Bourgeois die hermeneutische Synonymie von Lesen und Schreiben. Die Lektüre, sagt er, kann sich nicht damit zufrieden geben, eine Wiederholung zu sein: „Wenn das Selbst des Lesers sich den Inhalt der Enzyklopädie erschließen muß, dann muß reziprok dazu das Sein dieses Inhalts dasjenige des Selbst des Lesers sein, was heißt, daß die Wiederausführung der Enzyklopädie bedeutet, sie für und an sich wieder zu produzieren, daß die Enzyklopädie lesen bedeutet, sie erneut zu schrei-
Äußerungen nicht nah an denen von Derrida, der in der Grammatolodie der gie „Aufgabe Lektüre" als Produktion einer „Bedeutangsstruktar" bestimmt? Ich zitiere: „Die signifikante Struktur zu produzieren, kann aber gewiß nicht heißen [...] sie mit Hilfe der verstellenden Verdoppelung des Kommentars [...] hervorzubringen. Diese unabdingbare Abwehr (der historische Kommentar also) konnte eine Lektüre zwar immer abschirmen, sie konnte sie jedoch nicht eröffnen".2 Eine Lektüre eröffnen. Es stellt sich also die Frage danach, was die rein dialektische Bedeutung dieser Eröffnung von ihrer dekonstruktivistischen Bedeutung unterscheidet. Muß man sich fragen, ob die dekonstruktivistische Lektüre gegenüber der dialektischen in gewisser Weise Recht gehabt, ob sie darüber das letzte Wort gesagt hat, oder kann man umgekehrt ihr Verhältnis reaktivieren, es tatsächlich auf ein neues Moment verben."1 Sind diese
pflichten?
Ich habe, die Thesen von Bernard Bourgeois weiterführend, in meinem Buch L'Avenir Hegel, Plasticité, Temporalité, Dialectique versucht, dem Akt der dialektischen Interpretation einen Namen zu geben: „plastische Lektüre oder Interpretation".3 Ich habe die Plastizität [im Original dt, A.d.Ü.]eine Hauptrolle im Denken Hegels spielen lassen, eine sowohl ontologische wie hermeneutische Rolle. Habe ich nun mit diesem Motiv der de
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Encyclopédie des sciences philosophiques. 1: Science de la logieingel. von B. Bourgeois, Paris 1970 (Neuauflagen 1979 und 1986), S. 62. Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt am Main 1974, S. 273. Catherine Malabou, L'Avenir de Hegel. Plasticité, Temporalité, Dialectique, Paris 1996.
que, übers, und 2
3
Catherine Malabou
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Plastizität eine dekonstruktivistische Lektüre von Hegel vorgenommen? Das ist es, was ich mich fragen möchte. In der Grammatologie erklärt Derrida: „Die Lektüre [...] muß ein bestimmtes, vom Schriftsteller selbst unbemerktes Verhältnis zwischen dem, was er an verwendeten Sprachschemata beherrscht, und dem, was er nicht beherrscht, im Auge behalten".4 Aus der Plastizität eine fundamentale Instanz des dialektischen Denkens zu machen, läuft in einem gewissen Sinne darauf hinaus, auf diesen grammatologischen Imperativ zu antworten. Ist die Plastizität nicht in allen Bedeutungen des Ausdrucks Supplement der Hegelschen Philosophie? Dennoch habe ich just in dem Moment, als ich dem Protokoll der „Lektüreaufgabe" zu gehorchen glaubte, im Anliegen der Plastizität selbst eine Widerständigkeit des Hegelschen Textes gegen seine eigene Dekonstruktion entdeckt. Wie kann man diese Widerständigkeit charakterisieren? Das ist meine Leitfrage. Derrida weigert sich, die Dekonstruktion als eine einmal aufgestellte „Theorie" zu betrachten, deren Axiomatik man enthüllen und deren Methode man formalisieren könnte. Gleichwohl präzisiert er den Prozeß der Lektüreaufgabe. Die genaueste Beschreibung dieses Prozesses findet sich in Mémoires. Für Paul de Man. Die dekonstruktivistische Lektürestrategie wird dort in architektonischen Ausdrücken vorgestellt. Es handelt sich darum, „zuerst in einer Architektonik", schreibt Derrida, „in der Kunst des Systems die außer Acht gelassenen Ecken und den brüchigen Eckstein anzusiedeln, der von Anfang an den Zusammenhang und die innere Ordnung des Bauwerks bedroht."5 Beginnen wir mit den „außer Acht gelassenen Ecken". Dabei handelt es sich um gewisse Orte des Textes, die weder explizit von einem Kommentar in den Blick genommen werden, noch auch die Aufmerksamkeit des Autors des Textes selbst erfordert haben. Die dekonstruktivistische „Lektüreaufgabe" deckt nun auf, daß diese „außer Acht gelassenen Ecken" tatsächlich ein Zentrum, ein paradoxes Zentrum, ein gleichsam „exzentrisches Zentrum" (centre excentré) konstituieren. Eine Lektüre zu eröffnen würde also daraufhinauslaufen zu zeigen, wie ein Text dazu neigt, sein eigenes Zentrum zu verfehlen und notwendigerweise vielleicht immer verfehlt und das Wesentliche immer von der Seite her sagt. Ich komme zurück zu Hegel. Ist nicht die Entscheidung, sich mit der Rolle der Plastizität aufzuhalten, gerade eben die Lokalisierung einer „außer Acht gelassenen Ecke" des Systems und damit das Vorhaben, einer offenbar marginalen Instanz die Rolle eines Zentrums zuzuweisen? In der Tat hat das Wort „Plastizität" im Werk von Hegel nicht den Wert eines Hauptphilosophems, es genießt nicht dieselbe Sichtbarkeit wie die Begriffe des Absoluten, der Vermittlung, der Negativität, des Systems selbst, um nur diese anzuführen. Habe ich es nicht zum Supplement, zum exzentrischen Zentrum gemacht, wenn ich ihm trotz alledem den Status eines Leitfadens und einer intelligiblen Struktur verleihe? Bevor wir fortfahren, muß die Bedeutung des Wortes „Plastizität" präzisiert werden. Das Grimmsche Wörterbuch sagt uns, daß das deutsche Substantiv „Plastizität" zur Zeit Goethes in die Sprache eintritt. Es folgt auf zwei ihm vorgängige Wörter, die aus dem-
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selben Wortstamm gebildet sind, das Substantiv „Plastik" (die Kunst der Skulptur) und das Adjektiv „plastisch". Alle drei Wörter leiten sich ab von griechisch plassein, was „formen" bedeutet. Einerseits bedeutet „plastisch", das Adjektiv also, „fähig zur Form-
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Derrida, Grammatologie, S. 273. Jaques Derrida, Mémoires, Für Paul de Man, Wien 1988, S. 101.
Dialektik und Dekonstruktion:
ein neues
„Moment"
157
Veränderung", „formbar" Ton oder Lehm sind „plastisch". Es bedeutet andererseits „körperlich bildend, gestaltend", wie etwa die plastische Kunst oder die plastische Chirurgie. Die Plastizität bezeichnet also den Charakter dessen, was plastisch ist, d.h. was zugleich Form annehmen und geben kann.6 Im erweiterten Sinne bezeichnet die Plastizität die Fähigkeit zur Formung im Allgemeinen, das Vermögen, sich zu verändern und sich anzupassen. Sie bezeichnet auch den Prozeß der Vernarbung, d.h. das Vermögen der Stoffe, sich wiederherzustellen, nachdem sie beschädigt worden sind. Die Bedeutungen von Plastizität haben sich seit dem 19. Jahrhundert unaufhörlich verändert, man denke an die plastische Materie, schließlich an Sprengstoff. Die dem Ausdruck Plastizität eigene Plastizität führt ihn zum Äußersten: Formaufnahme (Skulptur) und Zerstörung jeglicher Form (Verpuffüng). Hegel verschiebt alsbald den Begriff der Plastizität aus seinem Geburtsland, der Kunst, um ihm einen Sinnbereich zuzuweisen, der ihm niemals angehörte: die Subjektivität. Die Plastizität ist in der Tat eine wesentliche Eigenschaft des Subjekts; Hegel stellt „plastisch" gegen „mannigfaltig" und gegen „fest" [alle im Original dt.] Es geht darum, Subjektivität zwischen Weichheit als Vermögen, jegliche Form anzunehmen und ex-
anzusiedeln. Einer der bedeutendsten Auftritte des Begriffs der Plastizität findet in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes statt, wo Hegel behauptet: „[Diejenige philosophische Exposition würde es erreichen, plastisch zu sein, welche streng die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Teile eines Satzes ausschlösse".7 Die Teile eines Satzes (Subjekt-Kopula-Prädikat) unterhalten eine „gewöhnliche Beziehung", wenn das Subjekt, wie dies im Denken des Verstandes der Fall ist, als eine „fixe und passive" Instanz begriffen wird, die ihre Akzidenzien erleidet, ohne sie zu produzieren, d.h. ohne sie selbst zu formen. Diese Bestimmung „streng" auszuschließen bedeutet, sie durch ein plastisches Denken zu ersetzen, demgemäß das Verhältnis Subjekt-Prädikat als Prozeß der Selbstbestimmung betrachtet wird, als Prozeß, durch den sich die Substanz zugleich Form gibt und Form erhält. Der Übergang von der einen zur anderen Konzeption des Verhältnisses vom Subjekt zu seinen Akzidenzien wird von Hegel als Übergang vom prädikativen zum spekulativen Satz vorgestellt. Nun ist dieses ontologische Prinzip, wonach das Sein des Sinns in seiner Selbstformung besteht, auch, wie ich anfangs angekündigt habe, ein hermeneutisches Prinzip. Hegel erklärt tatsächlich in der Vorrede zur Wissenschaft der Logik von 1831: „Ein plastischer Vortrag erfordert dann auch einen plastischen Sinn des Aufnehmens und Verstehens".8 Die Plastizität charakterisiert also erstens die Seinsweise des philosophischen Inhalts, zweitens die Seinsweise der Darstellung dieses Inhalts und drittens letztlich die Seinsweise des Lesers, der seine Anfangsform aufgeben muß, um die der Sache zu erhalten und im Gegenzug der Sache selbst neue Form zu geben. Ich komme auf die Strategie der dekonstruktivistischen Lektüre zurück. Ist die Plastizität nicht eine „außer Acht gelassene Ecke" des Systems par excellence! Mit nicht tremer Starre
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Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, Leipzig 1889, Sp. 1900. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 3, S. 60. G. W. F. Hegel, 1971, S. 31.
Wissenschaft der Logik I,
in: ders., Werke in 20 Bände, Bd. 5, Frankfurt
am
Main
Catherine Malabou
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sehr zahlreichen Auftritten spielt dieses Wort in der Tat eine nebensächliche und zugleich eine zentrale Rolle im System, weil man gewahr wird, daß es Wesentliches, d.h. Subjektivität und Selbstbestimmung betrifft. Die Plastizität, eben weil sie das Vermögen zur Transformation bezeichnet, ist vielleicht bereits die Instanz, die das System von innen her dekonstruiert, indem sie seine Transformation, seine Verschiebung und seine neue Form vorbereitet, die möglicherweise nicht mehr dialektisch wäre und den Hegelianismus selbst überschritte. Hegel von der Plastizität her zu lesen, heißt das nicht, diese Bedeutungsstruktur zu produzieren, die den Text dekonstituiert, seine Architektur auflöst, seine Systematizität bedroht? Die Plastizität könnte aus diesem Grund auch gut der „brüchige Eckstein" des Systems sein, ein Stein, der, wie man in Mémoires lesen kann, „von Anfang an den Zusammenhang und die innere Ordnung des Bauwerks bedroht. [...] er wird für die Architektur benötigt, die er indessen von vornherein von innen her dekonstruiert. Er sichert den Zusammenhalt, indem er in zugleich sichtbarer und unsichtbarer Weise: in einer Ecke von Anfang an den für eine zukünftige Dekonstruktion geeigneten Ort festlegt; den besten, den effizientesten Ort, um einen dekonstruktiven Hebel anzusetzen [.. .]".9 Bei der Lektüre dieser Stelle versteht man, daß die dekonstruktivistische Lektüre ihre Möglichkeit einer Kraft der Auflösung oder des konstitutiven Auseinanderlegens schuldet, die mit der Philosophie selbst gegeben ist, denn der Fehler oder die Schwachstelle sind mit ihr gleichursprünglich. Das architektonische Wesen der Metaphysik geht auf widersprüchliche Art und Weise mit einem Zerstörungstrieb jeglicher ontologischen Architektur einher. Dies führt Derrida zu der Feststellung, daß ein philosophisches Werk immer etwas anderes sagt, als es sagt. Liest man in der Grammatologie, dann sagt das Subjekt „immer mehr, weniger oder etwas anderes [...], als es aussagen möchte".w Die dekonstruktivistische Lektüre fordert nicht, den Text zu übersteigen, um jenseits von ihm auf so etwas wie seinen Fehler oder seinen verborgenen Mangel zu zielen. Das Auseinanderlegen findet beim Schreiben statt, und die Lektüreaufgabe hat eben das Ziel, dieses Ja und dieses Nein, die inmitten des Logos gemeinsam tätig sind, gegeneinander auszuspielen. Dieses Ja und dieses Nein bedrohen die Logik und ermöglichen sie zugleich. Der „brüchige Eckstein" eines Systems ist zur gleichen Zeit immer der stabilste, wie es Derrida ebenfalls in Mémoires sagt: „das Defizienteste" ist „das Effizienteste"." Der Fehler rührt am Wesentlichen. Keine Philosophie ohne diese wesentliche Schwachstelle. Kann man nun nicht davon ausgehen, daß die Plastizität im Hegelschen System diese Rolle des wesentlichen und defekten, defizienten und effizienten Steins spielt? Handelt es sich unter dem Titel der Plastizität nicht eigentlich darum, das Verhältnis von Substanz und deren Prädikaten zu denken, also gerade den Bezug des Wesentlichen zum Akzidenteilen, d.h. gemäß dem in seinem logischen und ereignishaften Charakter doppelten Sinn des Wortes Akzidenz [frz. accident Akzidenz, Unfall, A.d.Ü.] das Verhältnis von Wesentlichem und Fehler, dem, was geschehen kann: Schwachstelle oder Katastrophe? Ein philosophisch-plastischer Vortrag muß für Hegel, erinnern wir uns, Selbstbestimmung aufweisen, er muß die Bewegung aufweisen, durch die die Substanz zugleich als -
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Derrida, Mémoires, S. 101. Derrida, Grammatologie, S. 273. Derrida, Mémoires, S. 104.
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Subjekt und als Prädikat von sich selbst erkennbar wird. Heißt das nicht, daß die Plastizi-
tät die Koinzidenz von Wesentlichem und Akzidentellem im System markiert und versie-
gelt, sowie zu entdecken erlaubt, daß der Fehler oder das Akzidenz ursprünglich möglich sind, daß sie das der Subjektivität eigene Mögliche und nicht eine einfache Bedrohung von außen sind? Aber was bleibt dann noch von Hegel, wenn diese Koinzidenz einmal aufgewiesen ist? Kann der Hegelianismus seine eigene Plastizität aushalten?
Vor einer Antwort kehren wir zurück zur dekonstruktivistischen Lektüre. Die Verortang der „außer Acht gelassenen Ecken" oder „brüchigen Ecksteine" des Systems muß nach Derrida den Ansatz eines „dekonstruktivistischen Hebels" vorbereiten, d.h., wie man in der Grammatologie liest, die „Subversion" des gelesenen Textes12, um schließlich ,jenen Punkt [zu] erreichen, der gegenüber der Totalität der logozentrischen Epoche in gewissem Sinne äußerlich ist".13 Dieses Außen ist nichts anderes als das Außen der Präsenz, deren
Privileg den Logozentrismus regiert. Die dekonstruktivistische Lektüre ver-
sucht, jede dem Text eigene Präsenz zu suspendieren, was ihn im selben Zug zur Alterität
der Metaphysik führt. Wenn es die Naht zwischen Wesen und Akzidenz angibt, erlaubt dann nicht das Motiv der Plastizität, die Präsenz des Absoluten zu unterlaufen, die Parusie zu beunruhigen und anzugreifen, indem es im Grunde alle Gegenwart als von der Zukunft abhängig erweist? Man muß allerdings sehen, daß die „exorbitante" Operation der Lektüreaufgabe besonders schwere Folgen zeitigt, wenn sie den Hegeischen Text in Angriff nimmt. Die Auseinanderlegung oder Dissoziierung des Hegeischen Textes ist nämlich anderer Natur und hat andere Konsequenzen als beispielsweise die Auseinanderlegung des Cartesischen oder die Dissoziation des Rousseauschen Textes. In der Tat bearbeitet die Lektüre hier einen dialektischen Stoff und eine Form der Negativität, die sich gerade dem Auseinanderlegen und der Dissoziierung verweigert. Bekanntlich sind weder Auseinanderlegung noch Auflösung dialektisierbar, sie unterliegen nicht der Rechtsprechung der Aufhebung [im Original dt.]. Die Auseinanderlegung und die „schizê" können niemals dem System assimiliert werden, aus dem sie eigentlich hervorgehen sollen. Die Auseinanderlegung oder die Entzweiung ohne Auflösung bleiben der „Rest" des Hegeischen Denkens, wie Derrida in Glas gezeigt hat. Hegel im Namen dessen, was bleibt, im Namen des vernachlässigten Restes zu dekonstruieren, läuft also immer darauf hinaus, die dialektische Negativität zu leugnen und zu zeigen, daß sie immer nur die Maske einer Aporie dessen ist, was Freud eine Verneinung [im Original dt.] nennen würde. Und Hegel in der Tat komplett unterläuft, wie diese Aussage aus Mémoire. Für Paul de Man bezeugt: „Hegels vom defizientesten und effizientesten Eckstein aufs Neue gelesene Philosophie würde wider ihre Intention, in ihrem sich widersetzenden Körper (à son corps défendant) eine Allegorie der Auseinanderlegung sein. Sie würde es wider ihre Intention, in ihrem sich widersetzenden Körper sein in einer Art wesentlicher Verneinung, dazu fähig, der gesamten Dialektik [...] eine bauchrednerische Stimme zu leihen".14 2 3 4
Derrida, Grammatologie, S. 45. Ebd., S. 279. Derrida, Mémoires, S. 106 [Disjonction wird hier mit „Auseinanderlegung" übersetzt, nicht mit „Disjunktion", wie dies in der Übersetzung der Mémoires gehandhabt wird; A.d.Ü.].
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Die dekonstruktivistische Lektüre Hegels hätte demnach immer und notwendigerweise zum Ziel, die Dialektik zu ruinieren, um ihren ursprünglichen Fehler zur Schau zu stellen: ein im Grunde nicht dialektisches Verständnis des Negativen, ein Negatives, das nicht Nein sagt, das sich seiner schizophrenen Wahrheit verweigert und sie in einer definitiv prekären Ecke des Mauerwerks begräbt. Noch einmal: Ist diese Ecke nicht die Plastizität selbst, welche die Form explodieren oder zusammenbrechen lassen und die systematische Form in ihr Gegenteil verkehren kann? Wenn ja, dann hätte ich beim Schreiben von Hegels Zukunft also nichts anderes getan, als der dekonstruktivistischen Lektüreaufgabe zu folgen. Als ich das Motiv der Plastizität bearbeitete, mußte ich jedoch im Gegenteil feststellen, daß es mich in Wirklichkeit von der dekonstruktivistischen Geste entfernte, die zugleich aus ihm selbst hervorging. Auf der Plastizität zu bestehen hat mir entgegen jeder Erwartung nicht erlaubt, eine Fehlfunktion oder eine Auseinanderlegung der Dialektik zu entdecken, was ich schon einmal eine Schizologie genannt habe. Eher noch wurde am Ende meines Lektüredurchgangs die Macht der Dialektik paradoxerweise bestätigt, als ob die Plastizität den Selbstschutz oder die Autoimmunität des Hegelschen Textes konstituierte. Auf doppelte Weise subversiv, versetzt die Plastizität zwar den Text in Unruhe, aber sie explodiert in dem Moment zwischen den Fingern, sobald man es für möglich hält, sie zu betrauern oder ihr die Totenglocke zu läuten. Erinnern wir uns, daß die philosophische Plastizität für Hegel den Seinsmodus des Textes und den seines Lesers zugleich bezeichnet. „[Diejenige philosophische Exposition würde es erreichen, plastisch zu sein, welche streng die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Teile eines Satzes ausschlösse".15 Nun geschieht es aber aus der Perspektive des Lesers, daß Hegel seine Analyse des Übergangs vom prädikativen Satz zum spekulativen Satz entwickelt. Er sagt damit schon auf seine Weise, daß jede philosophische Lektüre eine „Lektüreaufgabe" ist, und tatsächlich macht die lineare Form des Satzes vom Typ Subjekt-Verb-Prädikat keinen Sinn, solange sie nicht subvertiert wird. Der Leser schwankt, sagt Hegel, beim Glauben daran, vom Subjekt zum Prädikat zu gelangen. Der spekulative Inhalt widersteht dieser Linearität oder dieser Juxtaposition. Der Leser wird unaufhörlich vom Subjekt ins Prädikat zurückgeworfen und umgekehrt. Er kommt nicht voran.
Begriff stößt also direkt mit seiner eigenen Form zusammen, und das ist es nach Hegel, philosophische Texte so schwer lesbar macht. Der spekulative Inhalt ist auf Anhieb im Widerspruch mit der Form seiner eigenen Äußerung: dem Satz [proposition]. Diese Form, der Satz also, ist in gewisser Weise für Hegel der brüchige Eckstein der gesamten Philosophie; brüchig, weil die prädikative Juxtaposition ungeeignet ist, die Selbstbestimmung auszudrücken; Eckstein, weil diese Form unumgänglich ist. Die philosophische Aussage [énoncé] ist notwendig satzförmig [propositionnel]. Der Leser muß also in einem Sinne diese Aussage dekonstruieren, sie von innen her unterlaufen, um dahin zu gelangen, sie „anders zu fassen". Schwankend zwischen Subjekt und Prädikat verliert der Leser seine eigene Form, verliert den Boden unter den Füßen und erleidet einen Gegenstoß. Dieser Stoß korrespondiert mit einem Verlust an Präsenz Der
was
an
einem
Punkt, wo der Text an der Grenze zum Nicht-Sinn seine Identität verliert, sich
Hegel, Phänomenologie des Geistes,
S. 60.
Dialektik und Dekonstruktion:
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wirklich dissoziiert. Nun wird genau von diesem Stoß, von diesem Rückstoß ausgehend die Veränderung vorbereitet und der Leser nach vorn gedrängt, was erforderlich ist, um die Bedeutangsstruktar zu produzieren, die sich ihm entzieht oder ihm fehlt. Aber diese Veränderung, und darin liegt der ganze Unterschied zur dekonstruktivistischen Geste, findet „an der Form" statt, wie Hegel in der Wissenschaft der Logik der Enzyklopädie im § 189 sagt. Die Form des Textes spaltet sich auf, nur um sich besser zu transformieren, d.h. sich zu reformieren. Die Interpretation ist eine Vernarbung. Sie hilft dem formellen Ungenügen der philosophischen Aussage ab. Sie vertritt sie, setzt sich an ihre Stelle, aber diese Ersetzung erscheint notwendigerweise wie eine Heilung. Und hier erhält die Plastizität ihren vollen Sinn des Wiederzusammenwachsens. Für Hegel reicht es nicht, einen Text zu dekonstruieren, es ist notwendig, die Art und Weise aufzuzeigen, in der der dekonstruierte Text sich repariert, in der er seine Akzidenzien zulassen kann. Nun wird dieses Moment der Reparatur, so scheint mir, von der Dekonstruktion niemals thematisiert. Die vorliegende Rekonstruktion darf natürlich nicht als eine Rückkehr zur Anfangsform oder als Rückgewinnung der Präsenz verstanden werden. Der dialektisch dekonstruierte Text kehrt niemals zu einer reinen und einfachen Gleichheit mit sich zurück. Dialektik und Dekonstruktion sind sich in einem fundamentalen Punkt einig: nämlich daß jede Grenze die Möglichkeit ihrer eigenen Überschreitung mit sich bringt. Aus der Perspektive der Dekonstruktion bedeutet dies, daß ein Text über sich selbst, über die Schließung seiner Totalität hinaus getragen werden kann und muß. Aus der dialektischen Perspektive bedeutet das, ein so deplazierter Text kann und muß über seine Dekonstruktion, d.h. über seine Auseinanderlegung hinaus getragen werden also nicht, um darauf zurückzukommen, was er war, sondern um an der Konfiguration seiner hermeneutischen Katastrophen teilzunehmen. Hegel von den außer Acht gelassenen Ecken und den brüchigen Ecksteinen seines Systems her zu lesen, wie ich ihn gelesen habe, ließ mich selbst die Erfahrung einer Operation der Formgebung machen, die keine Darstellung, sondern im Gegenteil eine Gestalt der Unmöglichkeit jeder Darstellung ist. Sobald die Präsenz des Systems für sich destruiert ist, produziert die plastische Lektüre die Form des Systems. Die Form, das ist das System abzüglich der Präsenz, die Dialektik abzüglich ihres metaphysischen Verständnisses. Die dekonstruktivistische Geste hinterläßt ihre Prägung auf dem Dekonstruierten, was zu jedem Medium gehört, wie Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes erinnert. Es ist diese Prägung, welche die Interpretation zeigen muß. Sie ist es, die wiedererkannt werden will. Man wird mir vielleicht sagen, daß dieses Vertrauen in die Plastizität auf einem zu großen Vertrauen in die logozentrischen Werte der Einheit, der Vereinheitlichung oder ganz einfach der Form aufbaut. Ich werde antworten, daß die Ablehnung, die im Ausdruck einer dekonstruktivistischen Lektüre eigentlich wie die paradoxe Wahrheit eines Werkes erscheinen will, selbst nicht jenseits jeglichen metaphysischen Verdachts liegt, daß sie vielleicht selbst nur eine Form der Selbstpräsenz ist. Ohne mich in diese Debatte hineinzubegeben, und um mit einem Wort zu enden, würde ich vorschlagen, den Prozeß des Wiederzusammenwachsens eines bearbeiteten Textes nach seiner Dekonstruktion „Metamorphose" zu nennen. Eine Geste der plastischen Chirurgie, wenn man so will, die dem Form gibt, was wiedererkannt zu werden verlangt. -
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Catherine Malabou
Die Plastizität charakterisiert in der Tat gut die Bewegung der Interpretation als eine Metamorphose, die strukturelle und akzidentelle Veränderung zugleich ist. Die Metamorphose des Textes, die aus einem Fehler geboren wird, ist weder eine Auferstehung noch eine Wiederherstellung, sondern letzten Endes einfach die einem Schriftzug gegebene Form. Die Dekonstruktion in Form bringen: vielleicht läge hier die neue Lektüreaufgabe, ihr neues Moment. Aus dem Französischen von André Reichert
IV.
Hegel als Abstoßungspunkt
Brigitte Rauschenbach
Hegel und der französische Feminismus In philosophischen Publikationen machen sich in der Regel Frauen eher rar, in feministischen Sammelbänden die Männer. Daraus könnte man schließen, daß zwischen Philosophie und Frauen, Männern und Feminismus sowie Philosophie und Feminismus ein distanziertes Verhältnis besteht. Mein Beitrag ist demgegenüber als Versuch einer Annäherung zu verstehen. Anders als bisweilen behauptet wird, hat die Philosophie die Geschlechterfrage nämlich durchaus thematisiert, so wie der Feminismus die Rezeption philosophischer Texte notwendig einschließt. Konkret gilt das auch für die Texte von Hegel, die aus einer feministischen Perspektive wiederholt diskutiert worden sind. Das trifft insbesondere für den französischen Feminismus zu. Ich werde deshalb im folgenden auf drei Etappen bzw. Zentralfiguren des Feminismus eingehen, die sich im Verhältnis zu Hegel ausgehend von Frankreich positionieren. Ich beziehe mich dabei erstens auf Simone de Beauvoir, deren Hegellektüre für die egalitäre Phase des Feminismus bestimmend wurde. Dazu gehört zweitens Luce Irigaray, die als Vertreterin des Differenzfeminismus sich in die Rezeptionsgeschichte von Hegel in Frankreich seit 1968 eingefädelt hat, bis ausgerechnet die Untersuchung des Französischen Hegelianismus durch die Amerikanerin Judith Butler für die Erfindung des Postfeminismus wegweisend wird.1
I. Von der Todesverachtung zum Feminismus: Simone de Beauvoirs andere Lesart von Herr und Knecht Im
Kriegstagebuch Simone de Beauvoirs stehen unter der Adresse „Durchgangsgefangenenlager Nr. 1,9. Kompanie Baccarat" folgende Sätze: „Insofern es Tun des Andern ist, geht also jeder auf den Tod des Andern. [...] Das Verhältnis beider Selbstbewußtseine ist also so bestimmt, -
1
Judith Butler, Subjects 1987, ND 1999.
of Desire. Hegelian Reflections
in
Twentieth-Century France,
New York
164
Brigitte Rauschenbach
daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren. Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, für sich zu sein, zur Wahrheit an dem Andern und an ihnen selbst erheben". Und weiter: „Ebenso muß jedes auf den Tod des andern gehen, wie es sein Leben daransetzt; denn das Andre gilt ihm nicht mehr als es selbst".2 Die angegebene Adresse über dem zitierten Satz ist die von Sartre, der am 2. September 1939 als Soldat eingezogen wurde und sich seit Juni 1940 in deutscher Gefangenschaft befindet. Das Zitat entstammt der Phänomenologie des Geistes, deren erster Teil im Mai 1939 erstmals in französischer Sprache erschien. Wie aus den Tagebüchern ersichtlich, beschäftigt sich Simone de Beauvoir seit einiger Zeit gedanklich mit Hegel.3 Im Juli 1940 beschließt sie, in der Bibliothèque Nationale täglich drei Standen in der Phänomenologie zu lesen. Es gibt nun offensichtlich ein dringliches Anliegen, sich mit Hegels Philosophie auseinanderzusetzen. Für dieses Anliegen gibt es neben dem Wunsch nach Anschluß an den intellektuellen Pariser Diskurs dieser Jahre zwei weitere Gründe. Erstens hat die abstrakte Faszination des Herr-Knecht-Kapitels mit Beginn des Krieges eine neue existentielle Bedeutung gewonnen. Zweitens arbeitet Simone de Beauvoir immer gezielter an einem literarischen Erstling, „ihrem Roman". Eben dieser Roman, der 1943 unter dem Titel L'Invitée („Sie kam und blieb") im besetzten Paris erscheint, trägt als Motto jenen Satz aus der Phänomenologie, den Beauvoir für Sartre notierte.4 Sie habe, schreibt Beauvoir am 7. Juli 1940, Hegel gelesen und dabei eine Stelle gefunden und abgeschrieben, „die wunderbar als Motto zu meinem Roman paßt".5 Bei einer parallelen Lektüre von Tagebüchern und Roman wird erkennbar, wie Beauvoir eine Lesart des Herr-Knecht-Kapitels entwickelt, die das allgemeine Geschehen des Krieges mit der konkreten Gefahr für Sartre, getötet zu werden und sich im „Kampf auf Leben und Tod bewähren" zu müssen, indem man selbst „auf den Tod des andern" geht, sich mit weiblichen Beziehungskämpfen verschlingt. Im Tagebuch verzeichnet Beauvoir im November 1939 ihre Verärgerung über den Anspruch der gemeinsamen Freundin und Rivalin, Sartre auf seinem Frontarlaub sechs Tage für sich haben zu wollen.6 Hegellektüre, intensiver Briefkontakt mit Sartre, die alltäglichen Tändeleien und erotischen Gefechte mit den kleinen philosophischen Busenfreundinnen verschmelzen und überlagern sich im Roman. Am Schluß des Buches entscheidet sich die Protagonistin, dem Kampf mit der Freundin ein Ende zu setzen. Sie dreht nach einem neuerlichen Streit im Zimmer der Freundin den Gashahn auf, sicher, daß diese die Tür von innen verriegeln wird. So wird der Mord als Unfall oder als Selbstmord erscheinen. Der Roman schließt mit dem Fazit der in ihrer Tat nun ganz auf sich selbst verwiesenen weiblichen „Heldin": „Sie hatte allein gehandelt. Allein wie der Tod [...] Niemand konnte sie verurteilen oder ihr vergeben. Ihre Tat gehörte nur ihr. ,Ich will es'. [...] Sie hatte endlich gewählt. Sie hatte sich gewählt".7
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Simone de Beauvoir, Kriegstagebuch. September 1939-Januar 1941, Reinbek 1994, Ebd., S. 185. Ebd., S. 427. Ebd., S. 429. Ebd., S. 179f. Dies., Sie kam und blieb [franz. 1943], Reinbek 1993, S. 378.
S. 373.
Hegel
und der
französische Feminismus
165
Beauvoir wählt eine existentialistische Lesart der Herr-Knecht-Beziehung und gibt dem Bewußtsein der Freiheit Vorrang vor der „Forderung nach der wechselseitigen Anerkennung der Bewußtseine".8 Dabei sieht Beauvoir selbst, daß sie sich „von der Hegelschen Sicht weit entfernt" hat. Sie glaubt, nun endlich begriffen zu haben, daß es „nur einen zureichenden Grund" gibt, den Tod anzunehmen, der im freien Bewußtsein besteht, das die menschliche Realität überschreitet.9 Man dürfe das Menschliche nicht mit „seinem animalischen, biologischen Aspekt", also dem Leben, verwechseln [Hervorhebungen B. R.]. Mit der philosophischen Haltung ihres noch längst nicht fertigen und erst zwei Jahre später erscheinenden Romans ist Beauvoir dennoch bald nicht mehr zufrieden. „Das Bewußtsein des Anderen vernichten [so also, wie in L'Invitée, B. R.], das ist etwas kindisch", gesteht die junge Autorin ein.10 Wenig später entwirft sie die Grundzüge eines neuen Romans, bei dem die Heldin umwillen der Freiheit den eigenen Tod, nicht den Tod der anderen visiert. Jetzt soll doch Hegels „tiefer Gedanke" von der wechselseitigen Anerkennung der Bewußtseine in seiner Beziehung zum Sozialen im Mittelpunkt stehen." Beauvoir kann sich der Faszination Hegels in all diesen Jahren nicht entziehen. ,JLe sang des autres" („Das Blut der anderen"), Beauvoirs zweiter Roman, der in Grundzügen im Kriegswinter 1941 entsteht und im befreiten Paris 1945 erscheint, folgt einem strikten Schematismus philosophisch inspirierter Handlungsstränge und Dialoge. L'Invitée mündete in einem Bekenntnis der Protagonistin zur Freiheit, die auf den Tod des Bewußtseins der anderen geht. Le sang des autres endet mit dem Tod der Heldin, die mit dem Wagnis ihres Lebens die Anerkennung des Geliebten erreichen will und dafür stirbt: Er hatte ungesagt, „daß man die Gefahr des Todes in Kauf nehmen kann, damit das Leben einen Sinn behält".12 Als die junge Frau nach der Trennung von ihrem Geliebten zu einer lebensgefährlichen Mission aufbricht, geschieht es mit den Worten: „Ich wäre froh, wenn du mich nicht mehr verachtetest".13 Die letzte Begegnung zwischen der schwerverletzten Liebenden, schon gezeichnet vom Tod, und dem schuldbewußten Geliebten, der den tödlichen Einsatz nicht abgewehrt hat, kehrt die Perspektive auf den Tod in pathetischer Naheinstellung in eine soziale Dimension von Freiheit um: „Trotz des Schweißes an ihren Schläfen und ihrer keuchenden Stimme war sie kein armseliges Stück Fleisch; ihr Blick bedeutete Freiheit; die letzten Augenblicke ihres Lebens gehörten ihr".14 Sterbend nimmt sie als moralisches Subjekt der Freiheit die Verantwortung auf sich, sich selbst für das Wagnis entschieden zu haben. In den Jahren 1944 bis 1947 bekräftigt Simone de Beauvoir die in den Handlungen und Dialogen der Romane entwickelten ethischen Grundsätze in mehreren philosophischen Abhandlungen. Der politische Mensch, heißt es in dem 1945 veröffentlichten Essay „Moralischer Idealismus und politischer Realismus", kann der Entscheidung nicht 8 9 10 11 12 13 14
Dies., Kriegstagebuch, S. 452. Ebd., S. 453. Ebd., S. 456. Ebd., S. 457. Dies., Das Blut der anderen [franz. 1945], Reinbek 1994, S. 215. Ebd., S. 216. Ebd., S. 218.
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Brigitte Rauschenbach
ausweichen; die authentische Moral liegt in der bewußten Wahl.15 Noch spricht Beauvoir vom Menschen unterschiedslos und abstrakt. Aber in ihrem Aufsatz „Für eine Moral der Doppelsinnigkeit" aus dem Jahr 1947 verweist sie auf Menschen, deren ganzes Leben in einer kindlichen Welt abläuft, weil sie zeitlebens ihre Freiheit nicht kennen und an-
wenden lernen. An dieser Stelle erwähnt Simone de Beauvoir ausdrücklich Frauen, die dazu tendieren, sich der Last und dem Wagnis der Freiheit und der Schuld zu entziehen, indem sie sich hinter der Entscheidung von Männern verstecken.16 Auch in anderen Texten dieser Jahre bezieht sich Beauvoir auf typisch weibliche Verhaltensmuster. So etwa setzt sich der 1944 geschriebene Essay „Pyrrhus und Cineas" mit der irrigen Vorstellung von der Hingabe auseinander, die behauptet, daß man für andere eintrete, während alles, was man tat, nur im Namen der eigenen Freiheit geschieht.17 Die moralische Position von Das andere Geschlecht, das 1949 erscheint, ist in dieser Analyse vorgezeichnet. Denn die Auffassung von der selbstlosen Hingabe ist Teil des Entwurfs, den sich Männer von Frauen machen und den diese dann kampflos für sich übernehmen. Als Projekt der menschlichen Freiheit kann der französische Existentialismus mit Kategorien, die an die Hegellektüre der Vorkriegszeit anschließen, gleichsam bruchlos in die Haltung der Résistance, aber auch in den Feminismus der Nachkriegszeit übergehen. Die Philosophie des französischen Existentialismus faßt die politische Situation in Gedanken, die Männer genauso wie Frauen betreffen. Beide im Krieg verfaßten Romane Beauvoirs münden in einer existentiellen Entscheidung der weiblichen Schlüsselfiguren, die auch für Frauen das Wagnis des Lebens einschließt. Erst nach dem Krieg wird im Alltag erkennbar, in welchen Zwiespalt Frauen geraten, wenn sie versuchen, Subjekt ihrer Entscheidung statt Objekt eines anderen zu sein. Nach den Erfahrungen der Okkupation und des Widerstandes erfahren Frauen anders als Männer die Rückkehr der Geschlechterordnung in der Restitution des privaten Lebens auch als Privation der errungenen Freiheit. Simone de Beauvoir zeigt mit ihrem Buch Das andere Geschlecht, daß sich die Situation der Frau, auch der neuen Frau, die das Wahlrecht hatte und berufstätig war, von der des Mannes noch immer von Grund auf unterschied. Wenn der Existentialismus philosophisch unterschiedslos Frauen und Männern den Weg der Entscheidung und Freiheit wies, stand dies im Widerspruch zur faktischen Ungleichheit der Geschlechter. Aber vom anderen Geschlecht, das Frauen umfaßt, unterscheidet sich das eine Geschlecht nicht so sehr biologisch, sondern weil es in Philosophie und Wissenschaft, Geschichte und Politik sich als maßstäblich setzte und setzt. Simone de Beauvoir konstatiert das Beziehungsdilemma: Für das Selbstbewußtsein der Frau bleibt der Blick des Mannes auf die Frau als Objekt bestimmend, nicht aber umgekehrt. Es gibt zwischen dem einen und anderen Geschlecht keine Reziprozität der Anerkennung. Ausgehend von diesem Mangel entschlüsselt Beauvoir auch die Beziehungsdramatik von Herr und Knecht neu.
„Gewisse Abschnitte der Dialektik Hegels, in denen er das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft definiert, passen noch viel besser auf die Beziehung zwischen Mann und Frau. 15
16
17
Dies., Moralischer Idealismus und politischer Realismus, in: dies., Auge um Auge. Artikel zu Politik, Moral und Literatur, Reinbek 1992, S. 29. Dies., Für eine Moral der Doppelsinnigkeit, in: dies., Soll man de Sade verbrennen? Drei Essays zur Moral des Existentialismus [franz. 1955], Reinbek 1991, S. 101 ff. Dies., Pyrrhus und Cineas, in: ebd., S. 231-244.
Hegel
und der
französische Feminismus
167
Das Privileg des Herren kommt nach Hegel daher, daß er durch die Daransetzung des Lebens den Geist gegen das Leben bejaht: tatsächlich aber hat der besiegte Sklave auch sein Leben darangesetzt, während die Frau von jeher ein Wesen ist, welches das Leben gibt, doch nicht sein Leben wagt; zwischen dem Manne und ihr hat niemals ein Kampfstattgefunden [...]; tatsächlich haben die Frauen den männlichen Werten niemals weibliche entgegengesetzt: Männer waren es, die, von dem Wunsche erfüllt, die männlichen Vorrechte zu erhalten, die Trennung erfunden haben; eine spezifisch weibliche Domäne Herrschaft des Lebens, der Immanenz haben sie sich nur zu schaffen bemüht, um die Frau darin einzuschließen".18 -
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Deutlich sind in dieser Textstelle Schlüsselbegriffe aus den Romanen wieder zu finden. Für Beauvoir läuft der Anspruch von Frauen darauf hinaus, mit gleichem Recht wie Männer nicht der animalischen Natur unterworfen zu sein. Es geht um „mehr als das Leben", mehr als das „armselige Stück Fleisch", um ein Überschreiten der Natur, an die Frauen gefesselt scheinen. Anders als es zunächst aussehen mag, enthält Das andere Geschlecht neben der Analyse der geschlechtlichen Asymmetrie eine harsche Kritik am Verhalten der Frau.19 Beauvoir wirft den Frauen vor, sich nicht als Subjekt zu setzen, in ihren „natürlichen Funktionen", in der „Wiederholung und Immanenz" zu verharren. Aus den Tätigkeiten der Frauen gehe nichts Neues hervor, während der Mann als Krieger und Homo faber sein Leben erfindet und, indem er es wagt, sich über das Tier und die Frau erhebt. Simone de Beauvoir glaubt, „den Schlüssel des ganzen Geheimnisses" für die Ungleichheit der Geschlechter gefunden zu haben. „Der schlimmste Fluch, der auf der Frau lastet, ist, daß sie von den kriegerischen Unternehmungen ausgeschlossen ist; nicht indem er sein Leben hergibt, sondern indem er es wagt, erhebt der Mensch sich über das Tier; deshalb genießt innerhalb der Menschheit das höchste Ansehen nicht das Geschlecht, das gebiert, sondern das tötende Geschlecht".20 Eine Gleichstellung der Geschlechter ist für Beauvoir nur denkbar, wenn sich Frauen aus einem Leben im Trott von Wiederholung und Immanenz (der Haus- und Reproduktionsarbeit) befreien. Nur als Freie werden sie anerkannt, nur Freie können sich wechselseitig anerkennen. Natürlich ist sich Beauvoir darüber im klaren, daß Frauen den Spagat zwischen zwei Welten der privaten und öffentlichen Welt leisten müssen. Aber Beauvoir ist 1949 zuversichtlich, daß der Sozialismus die praktischen Voraussetzungen für die Freiheit und Gleichheit bewerkstelligen werde. -
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II. Von der Gleichheit zur Differenz: Luce
Antigone
Irigarays Lesarten von
Simone de Beauvoirs egalitärer, auf den Sozialismus setzender Feminismus gewinnt in der alten BRD am Ende der sechziger Jahre, als Hegel und Marx ihre studentische Leserschaft finden, ein frauenbewegtes Publikum. In Frankreich hingegen wird mit dem Sturz Hegels und dem Aufstieg des Denkens der Differenz auch der Nachkriegsfeminismus suspekt, der Geschlechteregalität propagierte. Wenn die tonangebenden männlichen Ver18 19 20
Dies., Das andere Geschlecht. Ebd., S. 13. Ebd., S. 72.
Sitte und Sexus der Frau
[franz. 1949], Reinbek 1991, S. 69-73.
Brigitte Rauschenbach
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Differenzdiskurses gegen den Phallokratismus der Philosophie für das Denken der differenten Geschlechtlichkeit Stellung beziehen, zielen sie eben nicht auf Gleichheit. Vielmehr wendet das Denken der Differenz sich gegen das Eine und Selbe und gewinnt einen Zugang zum Feminismus, der im Feminismus zugleich eine Wende vollzieht. Luce Irigarays Buch Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts steht 1974 am Anfang dieser feministischen Neuorientierung. Auch diese nimmt freilich auf Hegel Bezug, nur gewinnt eine andere Hegelfigur und Hegellektüre jetzt Oberhand. Für die Hegelrezeption in Frankreich seit den 30er Jahren war die Fallgeschichte von Herr und Knecht das großartige Exempel einer vielfältig variierbaren historischen Dialektik. Luce Irigaray greift auf ein anderes Zweigespann Hegeischen Denkens zurück. Im Abschnitt über „Die ewige Ironie des Gemeinwesens" kommt Irigaray auf die sonderbare Dialektik von Mann und Weib am Beispiel von Antigone und ihrem Bruder zu sprechen. Hegel betrachtet in der Phänomenologie des Geistes eben nicht nur den Kampf um Anerkennung im Verhältnis von Herr und Knecht, sondern als Wechselbeziehung der Anerkennung auch die Liebe von Mann und Frau.21 Nun unterscheidet Hegel in der Phänomenologie aber drei Verhältnisse von Mann und Frau: Nur das eine Verhältnis beruht im Liebesverhältnis auf unmittelbar erkannter, also gefühlter Gleichheit. Zweitens nennt Hegel das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern, das im Fortgang der Geschlechter seinen Bestand im Volk hat, das sich im Staat vernünftig verbunden weiß. Schließlich spricht Hegel vom Verhältnis zwischen Bruder und Schwester.22 Die Erwähnung dieses Verhältnisses ist ungewöhnlich. Befremdlich ist aber auch der Titel des Abschnitts der Phänomenologie, in dem die drei Verhältnisse dargestellt werden: „Die sittliche Welt, das menschliche und das göttliche Gesetz, der Mann und das Weib". Erst in der Geschwisterbindung klärt sich die Bedeutung des Titels auf. Die Frau finde, behauptet Hegel, die „höchste Ahnung des sittlichen Wesens" in der natürlichen Beziehung, die sie als Schwester zum Bruder, ungetrübt von sexueller Begierde, einnimmt. Vorbild dieser Schwesterfrau ist Antigone. Die Passage irritiert. Zum einen zeigt das Geschwisterbeispiel von einem Gleichgewicht wenig, da nur Antigone Ruhm und Ehre genießt, während der gefallene Bruder bedeutungslos bleibt. Zum anderen ist Antigone zwar ebenbürtige Schwester, die im Namen der Blutsbande handelt, exponiert sich aber als Gegenspielerin des Repräsentanten des Staates. Antigone verkörpert das göttliche Gesetz, indem sie auf der Bestattung ihres rebellischen Bruders und damit auf der Erfüllung der ungeschriebenen, ewigen Gesetze der Pietät und Menschlichkeit beharrt. Damit widersteht sie der Staatsraison, dem von Menschen gemachten und vom Mann verkörperten positiven und gewußten Gesetz. Es ist ein auswegloser, tragischer Widerstreit. Keiner kann in ihm siegen. Es gibt keine vernünftige Lösung im Kampf zweier ebenbürtiger Grundprinzipien. Oder doch? Für Hegel resultiert aus dieser Grunderkenntnis nämlich die moderne Variante einer
treter des
vernünftigen Lösung im Modell einer bürgerlichen Versöhnung durch Sphärentrennung. Der Bruder ist als Mann in die Sphäre des menschlichen Gesetzes eingebunden. Die Frau, 21
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes [1807], hg. v. Hamburg 1952, S. 325.
22
Ebd., S. 325.
Johannes Hoffmeister,
Hegel
und der
französische Feminismus
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so wie Hegel sie will und entwirft, pflegt in sich ruhend im Inneren des Hauses die Pietät und bestattet, wenn Kriege das Land erschüttern, die Brüder, den Gatten, die Söhne. Hegel ist in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen. Von Zeit zu Zeit müssen Kriege sein: Sie sind das historische Exerzierfeld der Dialektik, in denen die in Friedenszeiten dahinschwindende Einsatzbereitschaft für das Ganze gegen den kollektiven Feind wieder hochgepuscht wird.23 Bei Frauen ist da wenig zu holen. Sie intrigieren gar gegen den Staat, wenn dieser die Familienglückseligkeit stört. Als „ewige Ironie des Gemeinwesens" bezeichnet Hegel diese Frauenintrige.24 Was auf die Männlichkeit, die dem Staat vorsteht, an Frauenprotest noch zukommen könnte, schien Hegel also zu ahnen, als er ihn dialektisch hinwegeskamotierte. Die ebenbürtige Antigone wird aus der Felsengruft befreit und als würdige Vorsteherin in das Haus ausgebürgert. Luce Irigaray setzt mit ihrem Kapitel über „Die ewige Ironie des Gemeinwesens" an dieser Stelle an. Hegel schaffe einen „Waffenstillstand mit ungleichen Waffen" und verwische die bei Sophokles noch erkennbare Unentscheidbarkeit im Übergang von Matriarchat zu Patriarchat.25 Antigone unterwirft sich zwar auch bei Hegel nicht. Aber indem sie dem ungeschriebenen ewigen göttlichen Gesetz folgt, wird sie aus der Geschichte, der Politik und den Diskursen der Wahrheit verbannt. Ausgerechnet mit der widerständigen Antigone verknüpft Hegel sein modernes weibliches Hausfrauenbild. Antigone überlebt, wenn sie in den für sie abgesteckten Aufgabenkreis übergeht. Dann nimmt die ganze Geschichte für die Frau den „positiven" und versöhnenden Ausgang, den das Modell der bürgerlichen Familie ihr zugedacht hat mit der ehrenvollen Konsequenz, „Vorstand des Hauses" zu sein. Die Antigonedarstellung in Speculum läßt erkennen, daß Irigaray Hegels Dramaturgie nicht akzeptiert. Von Antigone ist Irigaray dennoch dauerhaft fasziniert. In der 1982 in Rotterdam und Nimwegen gehaltenen Vorlesungsreihe zum Thema „Ethik der sexuellen 23
24
Ebd., S. 341; ders., Grundlinien der Philosophie des Rechts [1821], in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 7, S. 493. Ders., Phänomenologie des Geistes, S. 340f: „Das menschliche Gesetz also in seinem allgemeinen Dasein, das Gemeinwesen, in seiner Betätigung überhaupt die Männlichkeit, in seiner wirklichen Betätigung die Regierung, ist, bewegt und erhält sich dadurch, daß es die Absonderung der Penaten oder die selbstständige Vereinzelung in Familien, welchen die Weiblichkeit vorsteht, in sich aufzehrt, und sie in der Kontinuität seiner Flüssigkeit aufgelöst erhält. Die Familie ist aber zugleich überhaupt sein Element, das einzelne Bewußtsein allgemeiner betätigender Grund. Indem das Gemeinwesen sich nur durch die Störung der Familienglückseligkeit und die Auflösung des Selbstbewußtseins in das allgemeine sein Bestehen gibt, erzeugt es sich an dem, was es unterdrückt und was ihm zugleich wesentlich ist, an der Weiblichkeit überhaupt seinen innern Feind. Diese die ewige
Ironie des Gemeinwesens verändert durch die Intrige den allgemeinen Zweck der Regierung in einen Privatzweck, verwandelt ihre allgemeine Tätigkeit in ein Werk dieses bestimmten Individuums, und verkehrt das allgemeine Eigentum des Staats zu einem Besitz und Putz der Familie. Sie macht hiedurch die ernsthafte Weisheit des reifen Alters, das, der Einzelnheit der Lust und dem Genüsse, sowie der wirklichen Tätigkeit abgestorben, nur das Allgemeine denkt und besorgt, zum Spotte für den Mutwillen der unreifen Jugend, und zur Verachtung für ihren Enthusiasmus; erhebt überhaupt die Kraft der Jugend zum Geltenden des Sohnes, an dem die Mutter ihren Herrn geboren, des Bruders, an dem die Schwester den Mann als ihresgleichen hat, des Jünglings, durch den die Tochter ihrer UnSelbstständigkeit entnommen, den Genuß und die Würde der Frauenschaft erlangt." Luce Irigaray, Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt am Main 1980, S. 269f. -
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Differenz" und weiteren in den folgenden Jahren gehaltenen Vorträgen kommt Irigaray mehrfach auf Hegels Analyse der sittlichen Welt, das Bruder/Schwester-Paar und Antigone zurück.26 Noch macht Irigaray die Einschränkung, daß sie sich mit Antigone nicht identifiziert27, da diese „ein Produkt der allein von Männern geschriebenen Kultur" sei. Aber eben diese „Anti-Frau" will irigaray aus der Negation, der Nacht und der Ummauerung erlösen. Irigarays Relektüre von Antigone bringt die Ordnung der nach ihren Worten durch den Diskurs des Patriarchats hindurchgegangenen Dialektik durcheinander.28 Denn Antigone widersetzt sich den „virilen Werten", die anzuerkennen Kreon als Herrscher und Hegel als Philosoph verlangt. Kreon hat als Vorstand der Männlichkeit dem Weiblichen „das Recht auf Liebe, auf den Dienst an seinen Göttern, auf Bewußtsein, auf das Wort" untersagt.29 Von nun an ist es ins Gefängnis des Schweigens gesperrt. Irigaray macht sich mit dieser Lesart an den Vorsatz, das Schweigen zu brechen. Sie erschließt Antigones anhaltende Tragik: „Es sind immer die Männer gewesen, die gesprochen und vor allem geschrieben haben: in Wissenschaft, Philosophie, Religion, Politik" und damit dem Universum ein Modell aufgezwungen haben, das sich alternativlos als das Eine darstellt.30 Das Weibliche ist darin verloren, es muß neu gefunden, repräsentiert und benannt, es muß affirmativ werden. Leitfaden dieser Entdeckung des Differenten an den „Ursprüngen des Niedergangs unserer Kultur" bleibt Antigone.31 Gleichzeitig gräbt sich Irigaray bei ihrer Suche immer weiter in Hegels Philosophie ein. In einem Vortrag auf dem 16. Internationalen Hegelkongreß in Zürich beschäftigt sich Irigaray 1986 mit der „Frage der Sittlichkeit" und deren Ausbuchstabierung in der modernen Welt. Hegel ist für sie dabei der wichtigste Gewährsmann. Schließlich habe er sich an das „gigantische spekulative Projekt gewagt", eine Konzeption der Sittlichkeit anzudenken, die Natarrecht, Zivilrecht und göttliches Recht unter Einbeziehung der Geschlechterfrage miteinander verknüpft.32 Das Projekt ist für Irigaray politisch hochgradig aktuell, weil unser Rechtssystem „das Problem der Erhaltung der Natur, des Lebens, der Gattung als lebendiger Natur" zugunsten einer vorrangigen Befassung mit Fragen des Geld- und Warenverkehrs, des Erbrechts und von Vermögensfragen weitgehend ins Private oder in die Zuständigkeit für religiöse Fragen abgedrängt habe.33 Den Grund für diese Verdrängung findet Irigaray in der Hierarchie der Geschlechter und der Abtrennung der Frau aus der Öffentlichkeit. Keine Kultur habe es bislang vermocht, das „Paar" und die Unaufhebbarkeit sexueller Differenz gleichgewichtig zu denken und in dieser Gewichtigkeit in das Recht einzusenken. Auch Hegel ließ eine männlich eindimensional konzipierte Sittlichkeit der Familie und des Volkes an die Stelle einer „Ethik des Paares" treten.34 Für die eine Hälfte des Volkes ist der sittliche Geist daher ein entfremdeter Geist. 26
27 28 29 30 31 32 33 34
Dies., Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt am Main 1991, S. 138ff.; dies., Genealogie der Geschlechter, Freiburg 1989, darin: Das weibliche Geschlecht, S. 169-198; Das Allgemeine der Vermittlung, S. 199-237. Dies., Ethik der sexuellen Differenz, S. 140. Ebd., S. 141. Ebd., S. 142. Ebd., S. 143. Dies., Genealogie der Geschlechter, S. 196 Ebd., S. 203. Ebd., S. 201. Ebd., S. 210.
Hegel
und der
französische Feminismus
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Irigaray benennt, welche Schritte zur Aneignung nötig sind. Erstens fordert sie eigene Rechte für Frauen, zweitens müssen Frauen politische Verantwortung übernehmen, drittens bedarf es einer Umwertung der geschlechtlich zugeschriebenen und entsprechend auf- und abgewerteten Sphären. Ein weiteres Mal, diesmal in Florenz, kommt Irigaray auf Antigone zu sprechen. Anders als in den früheren Beiträgen wird sie nun als Figur eingeführt, die als „Identifikationsfigur vieler heute lebender junger Mädchen oder Frauen" taugt.35 Eine solche Identifikationsfigur werde um so wichtiger, als der Modernisierungsschub Frauen in eine unzivile, achtungslos werdende Welt hineindrängt. Irigaray betrachtet die neuere Entwicklung mit Besorgnis: „Die von den Frauen in den letzten Jahren errungenen Rechte sind zum größten Teil solche, die es ihnen erlauben, in die Haut von Männern zu schlüpfen, die sogenannte männliche Identität zu übernehmen. Sie regeln nicht die Probleme der Rechte und Pflichten, die sie als Frauen gegenüber sich selbst, ihren Kindern, den anderen Frauen, den Männern, der Gesellschaft haben".36 Gegen Beauvoir beharrt Irigaray auf einer Kultivierung von Differenz. Frauen sollen sich nicht nur nicht Männern angleichen, sie müssen auch jenen Werten zum Recht verhelfen, die in der Kasernierung der Weiblichkeit zur Privatsache wurden. Darum bedarf es der Politisierung des Privaten. Nur wenn Frauen sich weder ins Haus zurückziehen, noch sich außerhäuslich den Männern anpassen, können sie für die Rechte (und Pflichten) von Frauen eintreten, an der Setzung gesellschaftlicher Normen teilhaben und im Staat eine regulative Funktion ausüben.37 Ziel ist darum die Formierung einer zivilrechtlich definierten und verbürgten Identität der Frau als Bürgerin und d.h. eines paritätischen Zugangs der Geschlechter zur Macht potentiell auf der ganzen Welt.38 III. Von der Differenz zur Dekonstruktion und darüber hinaus
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querdenken mit Hegel
Für die Notwendigkeit und Dringlichkeit geschlechtsdifferenzierter Rechte plädiert Irigaray auch im Oktober 1989 in Frankfurt am Main auf einem großen Kongreß anläßlich der Zweihundertjahrfeier des Marschs der Pariser Frauen nach Versailles. Auf diesem Treffen brodelt es allerdings in den nicht mehr geschlossenen Reihen der Frauenbewegung. Irigaray beginnt ihren Frankfurter Vortrag noch damit, daß sie Egalitarismus als „potentiell totalitär" bezeichnet, weil er das Modell des erwachsenen, eher weißen, leistungsfähigen Mannes zum Maßstab für alle anderen macht.39 Die Frage entsteht, ob Irigaray nicht ganz 35 36 37
Ebd., S. 96. Ebd., S. 107.
Irigaray zählt dazu das Recht auf selbst bestimmte Sexualität, auf frei bestimmte Mutterschaft und über den eigenen Körper (Recht auf Abtreibung), sowie das Vorrecht in der Vormundschaft und das Sorgerecht für die Kinder, wobei Mutterschaft von einer bloß privaten zur zivilgesellschaftlichen Aufgabe würde. (Ebd., S. 104.)
Verfügung 38 39
Ebd., S. 108ff. Luce Irigaray, Über die Notwendigkeit geschlechtsdifferenzierter Rechte, in: Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht, hg. v. Ute Gerhard u.a., Frankfurt am Main 1990, S. 338.
Brigitte Rauschenbach
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analog verfährt? Ist der Diskurs der sexuellen Differenz gar ein bloßer „Umkehr-Diskurs", der die kolonisierende Strategie des Unterdrückers gegengewichtig nachahmt?40
Einwände werden laut: Frauen sind nicht identisch. Gerade die Idee der sexuellen Differenz und Identität erscheint nun als Ausgeburt einer hegemonialen Kodierung heterosexueller Nonnen in der Geschichte der Menschheit. Die Frau, die mit dieser Kritik Ende 1989 an die Öffentlichkeit tritt, ist die Amerikanerin Judith Butler. Wer aufder Kohärenz und Einheit der Kategorie „Frau(en)" insistiert, blendet nach Butler die Vielfalt der kulturellen und gesellschaftlichen Überschneidungen aus, in denen „Frauen" auf mannigfaltige Weise und niemals identisch konstruiert werden.41 Butlers Buch mit dem Titel Gender trouble bricht mit Auffassungen von einer sexuell differenzierten Natur, aus der die Geschlechtsidentität folgt. Butler kontert gegen Irigaray: auch die sexuelle Differenz entstamme, so wie die Theoreme vom Selben oder dem Widerspruch einer Ordnung des Wissens, die Natur in binären Codes konstruiert.42 Gender trouble („Das Unbehagen der Geschlechter") löst in der deutschen Frauenbewegung Begeisterung, Verwirrung und Lähmung in einer Phase aus, in der die Welt ohnehin aus den Fugen ist. Anders verhält es sich in Frankreich, wo eine unsichtbare Mauer die Rezeption von Gender trouble bis 2005 nur im englischen Original möglich machte. Paradoxerweise hat für die Herausbildung von Butlers Theorie die Hegelrezeption in Frankreich indes einen zentralen Stellenwert. Schon am Literaturverzeichnis von Gender trouble läßt sich entnehmen, daß sich Butler mit französischer Literatur auseinandersetzt. Michel Foucault, Jacques Lacan, Jean-Paul Sartre, Jacques Derrida, Simone de Beauvoir, Luce Irigaray, Monique Wittig, Julia Kristeva, Hélène Cixous gehören zu den häufig zitierten Referenzen des Buches. Noch bedeutsamer ist, daß Butlers 1984 geschriebene Dissertation Subjects ofDesire die französische Hegelrezeption des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand hat.43 Hegel in Frankreich ist der Ausgangspunkt Butlers, der französische Feminismus ein Durchgangspunkt und Hegel und der französische Feminismus schon eine Art Mittelpunkt, wenn bedacht wird, daß Butlers wichtigste Kategorien und Untersuchungsfelder beide immer wieder zusammenfügen. Ihre zentrale Kritik an „einer Herrschaftsstrategie, die das ,Ich' dem Anderen' gegenüberstellt", zielt auf die von Hegel in Gang gesetzten Diskurstraditionen ab, die den französischen Feminismus in der einen oder andern Weise prägten.44 Beauvoirs Analyse des männlichen Subjekts und des weiblichen Anderen sei eindeutig im Rahmen der Hegeischen Dialektik sitaiert45, heißt es im Unbehagen der Geschlechter, und obwohl Irigaray begriffen habe, daß diese Dialektik Frauen immer nur tiefer in das eine System der männlichen Bedeutangswelt führte, habe sie sich diesem Diskurs eben im Umkehrschluß assimiliert.46 Und dann geht es Butler irgendwie ähnlich wie Beauvoir und Irigaray: Sie kommt von Hegel und seinen Figuren nicht los. Nur ihr Blickwinkel ändert sich und mit ihm ,
40 41
42 43 44 45 46
Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991, S. 33. Ebd., S. 34. Ebd., S. 32-37. Dies., Subjects of Desire, Taschenbuchausgabe mit einem neuen Vorwort, New York 1999. Dies., Das Unbehagen der Geschlechter, S. 211f. Ebd., S. 221. Ebd., S. 28ff J.
Hegel und
der
französische Feminismus
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Phänomenologie von Hegels Gestalten. In der Hegelrezeption von 1984 ist Butlers Perspektive vom Feminismus noch nicht affiziert. Die Dissertation behandelt Kojève, Hyppolite und insbesondere Sartre. Das vierte Kapitel zu Lacan, Deleuze und Foucault wird erst nach Abschluß der Dissertation in der Veröffentlichung von 1987 hinzugefügt.47 Dennoch ist die Arbeit an Hegel und zur französischen Hegelrezeption die Grundlage des schrittweise ausgearbeiteten neuen feministischen Blicks, der sich von Beauvoirs Feminismus der Gleichheit und Irigarays Feminismus der Differenz abstößt, der Anziehungskraft Hegels aber immer wieder verfallt. Acht Jahre nach Gender trouble erscheint das Buch Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, in dem Butler vom Herr-Knecht-Verhältnis ausgehend die Freiheit die
untersucht, die noch „innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt".48 Das ist wieder ein Hegelzitat und zugleich eine Verbeugung vor Hegels dramaturgischem Genie, alle Gestalten in stetigem Wandel hervorzubringen. Es ist die Uneindeutigkeit im Prozeß, die Butler
Hegel interessiert und ihr die Möglichkeit zur Anknüpfung gibt. Hegel habe beim Übergang von der Knechtschaft zum unglücklichen Bewußtsein auf die Form der Selbstunterwerfung unter dem Zeichen des Ethischen hingewiesen, die für Butler schon in die Richtung von Nietzsche, Freud und Foucault weist. Für das unglückliche Bewußtsein taucht der Herr „als das eigene Gewissen des Knechtes wieder auf'.49 Der Herr hat sich in eine psychische Wirklichkeit verwandelt. Für Butler wird hier die Entstehungsgeschichte des Subjekts nacherzählt, dessen Handlungsfähigkeit und Autonomie die Wirkung seiner Subjektivation unter die vorgängig vorhandene Macht sei.50 Butler kann mit dieser Interpretation nicht nur an Foucault, sondern auch an ihre postfeministischen Analysen anschließen, wonach sexuelle Differenzierung, geschlechtliche Identität und der Status des Subjekts keine Effekte von Natur, sondern der Unterwerfung unter eine „Macht" sind. Butlers Befreiungsversuch von dieser sogenannten Macht, „die einem aufgezwungen wird" und der man sein eigenes Erscheinen verdankt, gleicht einem Beschwörungsritual, das unablässig benennt, was gebannt werden soll. Wenn Psyche der Macht in den beiden Schlußkapiteln mit Bezug auf Freud eine Bedeutungsverschiebung vom „unglücklichen Bewußtsein" zum „melancholischen Geschlecht" vornimmt, dem die Macht in Form des Über-Ichs die Eindeutigkeit des Geschlechts abverlangt hat, das im Begehren der ersten Liebesobjekte unentschieden war, dann wird im Rückblick auf die Phänomenologie des Geistes und ihre Gestalten deren performatives Potential erkennbar. Hegel ist geradezu ein Magier des Performativen. Es überrascht daher nicht, daß in der 2001 erschienenen Vorlesungsreihe „Antigones Verlangen: Verwandtschaft zwischen Leben und Tod" Butler unter Bezugnahme auf Hegel und Irigaray an Antigone anknüpft und aus ihr eine Protagonistin der Uneindeutigkeit von Geschlechtsidentität und von „sozial kontingenten" Verwandtschaftsbeziehungen macht.51 Antigone steht nun für die Krise der „Herrschaftssysteme der Repräsentation" nun an
47 48
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Dies., Subjects ofDesire (1999), S. VIII. Dies., Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt am Main 2001, S. 35. Ebd., S. 8f. Ebd., S. 16. J. Butler, Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, Frankfurt am Main 2001, S. 26.
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brüchigen Charakter der Normen der Verwandtschaft und Geschlechtszugehörigkeit.52 Antigone repräsentiert insofern zwar etwas, aber das, was sie verkörpert, ist ohne Eindeutigkeit. Vielmehr mutiert Antigone zur Allegorie für die „Krise der Verwandtschaft" in der heutigen Zeit und zum frühen Referenzpunkt der Queer Theory. Butler steigt aus dem spekulativen Diskurs plötzlich aus, um darzulegen, wie heute Kinder aus den verschiedensten Gründen „von einer Familie zur anderen wandern [...] an der Grenze der Familie oder in vielschichtigen Familiensitaationen leben, in denen sehr sowie für den
wohl mehr als nur eine Frau die Mutterrolle und mehr als nur ein Mann die Vaterrolle übernehmen kann."53 Ohne diese zeitgeschichtliche Konkretisierung könnte der Gedanke entstehen, die Botschaft der Egalität, das Beharren auf Differenz und das Spiel mit der Uneindeutigkeit seien die Elemente des berühmten Dreischritts, mit dem uns der schwerverständliche Hegel im Proseminar nahe gebracht ward. Für Versöhnung stünde diesmal der geschlechtlich unbestimmte, changierende, querdenkende, parodierende postfeministische Geist. Ich halte diesen Schluß für einen Fehlschluß. Denn von einem versöhnten Ende der Geschlechter und der Geschlechterfrage kann aktuell nicht die Rede sein. Mir scheint es statt dessen plausibel, daß auch Feminismen ihre Zeit in Gedanken fassen. Es war unschwer zu sehen, daß Das andere Geschlecht mit den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und Nachkriegs verbunden ist, daß der Differenzfeminismus auf den Schwingen der neuen Frauenbewegung gegen die Kontinuität einer geschlechterunsensiblen männlichen Hegemonialstruktar aufbegehrt und daß der dekonstruktiv operierende Postfeminismus der Queer Theory nicht nur für die Dissoziation von Familie und Geschlecht, sondern auch für das postsozialistische Verständnis zivilgesellschaftlicher Oppositionsgruppen gegen die Positionen eines sogenannten Staatsfeminismus steht. Nun fragt sich, wie lange die zeitgeschichtlich bestimmte Fassung der Gedanken ihre Bedeutung behält. Posthegelianisch betrachtet könnte die Koexistenz der drei Feminismen zu Beginn des 21. Jahrhunderts dafür sprechen, daß die Geschichte jedenfalls nicht ans berühmte Hegelsche Ende kam. Für die Philosophie, die Politik und den Feminismus in Frankreich, Deutschland und anderswo bliebe noch etwas zu tun.54
Ebd., S. 46ff Ebd., S. 46. Dieser Text wurde vorab veröffentlicht in DIALEKTIK. S. 269-282.
Zeitschrift für Kulturphilosophie 2006/2,
Angelika Pillen
Michel Foucault oder der Versuch,
Hegel zu entkommen
Einleitung am Collège de France bestimmt Foucault seine eigene durch das Bemühen, Hegel zu entkommen. Gleichzeitig deutet er einen Zweifel Epoche dies denn auch tatsächlich ob an, gelungen sei: „um Hegel wirklich zu entrinnen", heißt es dort, „muß man ermessen, was es kostet, sich von ihm loszusagen, muß man wissen, wie weit er uns insgeheim nachgeschlichen ist; und was an unserem Denken gegen Hegel vielleicht noch von Hegel stammt; man muß ermessen, inwieweit auch unser Anrennen gegen ihn seine List ist, hinter der er uns auflauert: unbeweglich und anderswo."1 Dieser Zweifel ist zumindest, was Foucaults Frühwerk betrifft, begründet. In späteren Interviews gibt er auf Fragen nach der Genese seines Denkens an, Historizist und Hegelianer gewesen zu sein, bis er zu Beginn der fünfziger Jahre auf Nietzsche gestoßen sei.2 Die Abwendung vom Hegelianismus, der neben der Phänomenologie die universitäre Philosophie während seiner Ausbildungszeit geprägt hat, erfolgte demnach bereits vor den ersten Publikationen. In diesen Schriften begegnet man jedoch einer Reihe von Denkstrukturen und Motiven, die für die französische Hegel-Rezeption von zentraler Bedeutung gewesen sind. Daher bin ich der Überzeugung, daß Foucaults Frühwerk noch ein Teil der Wirkungsgeschichte Hegels in Frankreich ist.
In seiner berühmten Antrittsrede
Das
unglückliche Bewußtsein
Bekanntlich hat Merleau-Ponty all jene philosophischen Forschungstraditionen, die sich der Erforschung des Irrationalen und seiner Eingliederung in eine erweiterte Vernunft widmen, in die Nachfolge Hegels gestellt3 ob zu recht oder zu umecht, mag hier dahingestellt sein. Hegel wird von Vertretern der affirmativen Hegel-Rezeption in Frankreich -
Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, München 1974, S. 50. Vgl. das Interview mit R Caruso von 1967: Wer sind Sie, Professor Foucault?, in: Michel Foucault, Dits et écrits, Schriften, Bd. 1, Frankfurt am Main 2001, Nr. 50, S. 784. Vgl. Maurice Merleau-Ponty, Der Existentialismus bei Hegel, in: ders., Sinn und Nicht-Sinn, München 2000, S. 83-94.
Angelika Pillen
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auf jeden Fall genau deswegen eine besondere Aktualität zuerkannt, weil sie in seinen Texten eine Analyse von Problemen entdecken, die zunächst als posthegelianische Errungenschaften betrachtet worden sind. In diesem Zusammenhang kommt der Auseinandersetzung mit dem unglücklichen Bewußtsein eine zentrale Bedeutung zu. Sowohl Jean Wahl als auch Jean Hyppolite zentrieren ihre Auslegung auf die Gestalt des unglücklichen Bewußtseins und begründen die besondere Aktualität Hegels damit, daß er mit dieser Gestalt die Erfahrung der Existenz im modernen Sinne beschrieben habe. Dabei zentriert Jean Wahl seine Auslegung im Ausgang von Kierkegaard auf die Erfahrungen der Zerrissenheit der christlichen und der modernen Seele, bei Hyppolite dagegen bestimmt das unglückliche Bewußtsein die Tiefenstruktur des modernen Selbstbewußtseins. In diesem Kontext überträgt Hyppolite das Spannungsverhältnis zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, das bei Hegel ursprünglich in einem religionsphilosophischen Kontext angesiedelt ist, auf die sozialphilosophische Problemkonstellation der Existenz unter den Bedingungen der Moderne. Den inneren Widerspruch der Existenz bzw. des unglücklichen Bewußtseins in der Moderne bestimmt er als das Spannungsverhältnis zwischen der Historizität der Einzelexistenz und der Historie als dem kollektiven Werk der Menschheit. Hegel hat seiner Überzeugung nach bereits erkannt, daß der Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft im Empirisch-Praktischen letztendlich nicht aufgehoben werden kann, obwohl dieser Widerspruch immer wieder aufs neue eine Arbeitsanforderung darstellt und damit für Dynamik sorgt. Anders als in der wirkungsmächtigen Interpretation Kojèves wird in Hyppolites Auslegungen der Texte Hegels der Dimension der Differenz ein deutlicher Vorrang vor der Kategorie der Versöhnung gegeben. Differenz entsteht für Hyppolite immer wieder neu und ist immer wieder aufs neue zu überwinden. Dabei wird die Dialektik zu einem Prozeß ohne Ende und, wenn man so will, an ihre romantischen Wurzeln zurückgebunden. Doch hier soll ein anderer Aspekt der Auslegung zur Sprache kommen, der sichtbar werden läßt, daß die Wirkungsgeschichte Hegels in Frankreich weiter geht als oft angenommen wird. Hyppolites Perspektive auf den Widerspruch zwischen der Historizität des Einzelnen und der Historie als dem kollektiven Projekt der Menschen wird durch die Kategorie des Sinns bestimmt. Die Ausdrucksformen, in denen die Existenz sich eine Gestalt gibt, erhalten, wie er betont, erst dadurch einen Sinn, daß das Kollektiv ihnen eine Bedeutung zuerkennt: „l'oeuvre n'a de sens que comme oeuvre collective".4 Die Existenz ist hier also nicht aufgrund einer moralischen Forderung oder aufgrund der Erfordernisse des Klassenkampfes wie bei Kojève dazu gezwungen, sich aus ihrer Vereinzelung herauszubewegen, sondern deswegen, weil ihr nur durch die Objektivierung in einem anerkannten Ausdruck überhaupt eine Bedeutung und damit Identität zuteil werden kann. Hier finden wir den Problemhorizont skizziert, in dem Foucault sich in seinen ersten Texten bewegt. Seine Bemühung, den Traum und die Geisteskrankheit in den Bereich der sinnhaften Phänomene zu integrieren, erfolgt mit der Intention, das Unglück der geisteskranken und der träumenden Existenz, die beide als fremd erscheinen und nicht verstanden werden können, in das Glück zu verwandeln, das daraus bezogen wird, von den anderen verstanden zu werden. „Das Unglück der Existenz", so heißt es in dem Binswan4
Jean Hyppolite, Situation de l'homme dans la Phénoménologie hégélienne, pensée philosophique, Paris 1971, Bd. 1, S. 170.
in: ders.,
Figures de la
Michel Foucault
oder der
Versuch, Hegel zu entkommen
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ger-Text, „schreibt sich immer in die Entfremdung ein, und das Glück kann empirisch gesehen nur Glück des Ausdrucks sein." Glückliches Bewußtsein kann die Existenz demnach nur dann sein, wenn es ihr gelingt, ihre partikulare Äußerung zu einem Ausdruck zu gestalten, der als Teil des Allgemeinen anerkannt wird.5 Foucault knüpft hier explizit an das angeführte Theorem seines Lehrers an und bewegt sich damit in der Logik einer Dialektik der Anerkennung. Ungeachtet dessen erkennt er bereits hier die Gefahren, die Integrationsprojekten innewohnen. In den Schriften der fünfziger Jahre klingen Elemente der später vorgetragenen -
-
Kritik an der Dialektik in Ansätzen bereits an, doch hier sind sie noch anders adressiert, nämlich an die Psychoanalyse. Foucault beurteilt deren Bemühungen, den Traum und die Geisteskrankheit als Sinnphänomene auszuweisen, als Maßnahmen einer enteignenden Entfremdung. Dabei stellt er jedoch, wie gesagt, das Projekt selber nicht in Frage, bloß die Form der Durchführung erregt seine Kritik.
Die Kritik an der Dialektik in Wahnsinn und Gesellschaft
explizite Kritik an der Dialektik finden wir erst in Wahnsinn und Gesellschaft. Vergegenwärtigt man sich die vorhergehenden Analysen, so handelt es sich dabei um eine Eine
Abkehr von Positionen, die ihn vorher auf eine affirmative Weise mit dem dialektischen Projekt verbunden haben. Die Umorientierung im Vergleich zu Foucaults Schriften den 50er Jahre artikuliert sich vor allem in einer Neubestimmung der normativen Voraussetzungen. Der Orientierungspunkt in Maladie mentale et personnalité ist „der wahre Mensch". Foucault bestimmt diesen wahren Menschen im marxistischen Sinne als den, der es schafft, die entfremdenden Verhältnisse aufzuheben. Der Orientierungspunkt im Binswanger-Text ist analog dazu die freie, authentische, eigentliche, nicht entfremdete Existenz. Diese Existenz ist die, die es schafft, sich in ihrer imaginierenden Tätigkeit mit ihrer schicksalhaften Begrenztheit zu versöhnen oder die, die es schafft, ihre Imaginationen zu einem geschichtlich-objektiven Ausdruck umzuwandeln. Dem steht die uneigentliche, entfremdete Existenz gegenüber, die sich im imaginären Unbegrenzten verliert oder sich an eine pathologisch-subjektive Bildwelt bindet. In beiden Fällen wird die Möglichkeit der authentischen Existenzweise auf Hegeische Weise an gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse gebunden, d.h. an die Möglichkeit der Vermittlung des Subjektiven mit dem Objektiven. In Wahnsinn und Gesellschaft stellt Foucault die zunächst uneingeschränkt affirmierte Orientierung am Vermittlungsgedanken ins Zentrum seiner Kritik. Dort dient nicht mehr das normative Modell eines Ausdrucksgeschehens, das in die dialogische Situation entläßt, als Orientierungsrahmen, sondern es geht hier um die Frage der Herkunft dieser Art von Normativität. Foucault stellt die Frage, was dazu geführt hat, daß bestimmte Manifestationen der menschlichen Existenz als Ausdrücke anerkannt werden und daß dies anderen vorenthalten bleibt. Dabei wird die alte normative Orientierung durch eine andere ersetzt. Foucault hält weiterhin unausgesprochen an der Vorstellung des authentischen Menschen fest, bestimmt diesen jedoch nun mit nietzscheanischen Kategorien. Michel
Foucault, Einleitung, in: Ludwig Binswanger,
Traum und Existenz, Bern und Berlin 1992, S. 93.
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gelingt, sich im Werk der Geschichte zu verobjektivieren, sondern der, der sich die tragische Verfaßtheit seiner Existenz vergegenwärtigt. Die Verabsolutierung des Verobjektivierungsgeschehens im Werk der Geschichte" wird jetzt für den Verlust der Erfahrung des Tragischen verantwortlich geDer authentische Mensch ist nicht mehr der, dem
es
„
macht. Die in diesem Zusammenhang vorgetragene Kritik an der Dialektik und an den Geschichtskonstruktionen hegelianischer Provenienz ist hinlänglich bekannt. Sie sei zur Vergegenwärtigung hier nur noch einmal in groben Zügen skizziert. In kritischer Bezugnahme auf den geschichtsdialektischen Begriff des „Werkes der Geschichte"6 bestimmt Foucault den Wahnsinn als „l'absence d'oeuvre". Die dialektische Geschichtsschreibung bezieht, so verstehen wir den in dieser Formulierung enthaltenen Vorwurf, diese Abwesenheit nicht in ihren Bericht mit ein. Foucault zeigt mit dem Hinweis auf die Existenz eines nicht in die Geschichtsdialektik integrierten Phänomenbereichs, daß deren Totalitätsanspruch zu umecht besteht. Die dialektische Analyse glaubt von sich selber, die Totalität der Welt in ihren Diskurs aufgenommen zu haben bzw. aufnehmen zu können. Dabei blendet sie aus, daß sie sich auf eine kulturelle Ordnung bezieht, die unweigerlich selektiv und ausschließend ist. Als auf die Immanenz beschränkte Analyse ist sie unvollständig. Die Philosophie der Erinnerung, die von sich selber glaubt, jedes Element der Vergangenheit in ihren Bericht integrieren zu können, beruht auf einem Vergessen. Foucault begreift diese Verwicklung als eine tragische. Denn in ihrer Vorstellung von vollständiger Transparenz ist die dialektische Vernunft blind für ihre eigene Verfaßtheit. Ihre Tragik besteht darin, daß sie sich selber notwendigerweise verkennen muß. Denn das Vergessen bzw. die Abspaltung ihres Grundes ist die Bedingung ihrer Möglichkeit. Dadurch, daß sie sich selbst verkennt, verkehrt sie sich fatalerweise in ihr Gegenteil: Die Vernunft wird zu einer „anderen Art des Wahnsinns".7 In ihrem Versuch, dem Tragischen zu entkommen, perpetaiert sie es, denn das, was sie abspalten will, kehrt in ihrer eigenen Struktur zurück. Die Dialektik der Geschichte ist, in diesem Lichte betrachtet, eine Tragik der Geschichte.8 Soweit die hinlänglich bekannte Argumentation Foucaults gegen die Dialektik.
Der verdeckte
Hegelianismus in Wahnsinn und Gesellschaft
zu dem Foucault-Verständnis, das sich später durchgesetzt hat, beurteilt die erste Stimme, die sich zu dem Projekt geäußert hat, es keineswegs als Manifest der Abkehr von Hegel, wie es dann später üblich werden wird.9 In dem Gutachten des Be-
Im Unterschied
6 7 8
9
Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1969, 3. Aufl. 1978, S. 12. Ebd., S. 7. Nirgendwo wird die Nähe zur Frankfurter Schule so deutlich wie hier. Foucaults Argumentation ist an dieser Stelle derjenigen der Dialektik der Aufklärung vollkommen analog, wenn dort behauptet wird, daß Aufklärung in Mythologie zurückschlägt. Vgl. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1969, S. 5. Michel Serres etwa behauptet, daß Foucault sich in Wahnsinn und Gesellschaft jeder Dialektik enthalten würde, obwohl sein Thema es, wie Serres einräumt, sehr nahegelegt hätte, sich der dialektischen Methode zu bedienen. Wir suchen allerdings bei Serres vergeblich nach einer Begründung
Michel Foucault oder
der
Versuch, Hegel zu entkommen
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seiner Thèse, Georges Canguilhem, können wir folgende Beurteilung lesen: „Bei der Erarbeitung seiner bemerkenswerten Dokumentation hat sich das Denken von M. Foucault von Anfang bis Ende eine dialektische Schärfe bewahrt, die zum Teil aus seiner Sympathie für die Hegeische Sicht der Geschichte und aus seiner Vertrautheit mit der Phänomenologie des Geistes herrührt."10 In der Tat bleibt Foucault in seiner Kritik an der dialektischen Vernunft in vielen seiner Konstruktionen und in den großen Linien der treuers
Argumentation der Tradition des Hegelianismus verhaftet.
Auf der formalen Ebene finden wir sowohl in der Großkonstruktion als auch in zahlreichen Detailuntersuchungen die dialektischen Figuren der Umkehrung und der Entgegensetzung. Die Vernunft kehrt sich, indem sie aufhört, sich in ein dialogisches Verhältnis zu ihrem Anderen zu setzen, in ihr Gegenteil um. Umgekehrt bestimmt Foucault, wie wir noch sehen werden, die Unvernunft als die heimliche Vernunft in der Geschichte. Auf der inhaltlichen Ebene läßt Wahnsinn und Gesellschaft sich als Kommentar zur Phänomenologie des Geistes lesen." Foucault bezieht sich auf die in der Phänomenologie erzählte Geschichte der Konstitution der Vernunft, indem er Denkfiguren Hegels aufnimmt und sie in Elemente einer Gegengeschichte transformiert. Das wird besonders deutlich an der von beiden in Anspruch genommenen Gestalt des Neffen von Rameau. Daraufkommen wir gleich zurück. In seiner Gegengeschichte hält Foucault sich an die Gesetze der Narration, d.h. er konstruiert eine romanhafte Erzählung mit mehreren Erzählsträngen, die in einem hohen Maße Kontinuitäten und nachvollziehbare Transformationen aufzeigen. Bei den beschriebenen Entwicklungen verwendet er regelmäßig die dialektische Gedankenfigur der Umkehrung. So taucht der Wahnsinn zu Beginn der Renaissance als Torsion innerhalb einer Erfahrung auf, die sich vorher mit dem Thema des Todes auseinandergesetzt hat.12 Einer der wichtigen Erzählstränge handelt von der Geschichte der neuzeitlichen Vernunft. Foucault rekonstruiert diese Geschichte von ihren ersten Anfangen in der Gestalt des skeptischen Denkens der Renaissance bis hin zu ihrer letzten Gestaltung in der Philosophie Hegels als eine Entwicklung, die dem dialektischen Schema folgt. Im skeptischen Denken sind die beiden Momente der dialektischen Bewegung die Herausbildung von Differenz und die Aufhebung dieser Differenz bereits keimhaft angelegt. Diese beiden in einer Simultanbewegung komprimierten Momente faltet Foucault dann in der Form einer Aufeinanderfolge aus: Die Herausarbeitung der Differenz wird dem klassischen -
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-
-
für seine These. (1991), S. 255f.
10
11
12
Vgl. Michel Serres, Von Erehwon in die Höhle des Zyklopen, in: Kommunikation
1
zitiert nach Didier Eribon, Michel Foucault, Frankfurt am Main 1991, S. 168f. Auf die Verwandtschaft des Textes mit der Phänomenologie des Geistes macht bereits Jacques Derrida in seiner kritischen Analyse des Werkes aufmerksam. Vgl. Jacques Derrida, Cogito und die Geschichte des Wahnsinns, in: ders., Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1972, S. 61. Sie wurde aber auch von anderen Autoren bemerkt. So bezeichnet Gary Gutting Foucaults Studie als eine „Phänomenologie des kranken Geistes". Vgl. Gary Gutting, Foucault and the history of madness, in: ders. (Hg.), The Cambridge Companion to Foucault, Cambridge 1994, S. 66. Was bislang jedoch noch nicht geleistet wurde, ist eine detaillierte Analyse der Bezüge zwischen den beiden Texten. Vgl. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 34.
Georges Canguilhem,
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Denken zugeordnet, die Aufhebung der Differenz dem modernen Denken. Beide Denkformen sind Abkömmlinge des kritischen Bewußtseins, d.h. es handelt sich immer um ein und dieselbe Vernunft, auch wenn sie in verschiedenen Erscheinungsformen gegenwärtig wird. Die Kategorie der Diskontinuität, die er später explizit als Element seiner archäolo-
gischen Analysen gegen die dialektische Vorstellung von Entwicklungen aufbringt, verwendet er erst nach Wahnsinn und Gesellschaft. Foucault kehrt die Bewertung der Geschichte der Vernunft allerdings um. Es handelt sich seiner Überzeugung nach um eine Verfallsgeschichte, und zwar deshalb, weil in ihrem Verlauf die wahre Existenz des Menschen in zunehmendem Maße verdunkelt wird. Explizit nimmt Foucault sich vor, „die zeitliche Kontinuität" der „dialektischen Analyse"13 mit „den unbeweglichen Strukturen des Tragischen"14 zu konfrontieren, d.h. er will im Rekurs auf Nietzsche eine Struktur kenntlich machen, die den Bedingungen der Geschichtlichkeit enthoben ist.15 In den konkreten Ausführungen seiner Studie taucht das Tragische in dieser Form dann allerdings nicht mehr auf. Da es sich bei Wahnsinn und Gesellschaft um eine Phänomenologie handelt, haben wir es ausschließlich mit dem in Erscheinung übergegangenen und damit geschichtlich gewordenen Tragischen zu tan. Konkret wohnen wir dem Kampf zweier unversöhnbarer Kontrahenten um die Macht bei. Seit dem mythischen Ereignis der Teilung zwischen Vernunft und Unvernunft stehen zwei Gegner auf der Bühne der abendländischen Geschichte, die darum kämpfen, das Subjekt der Geschichte zu sein. Die Vernunft tritt zunächst immer deutlicher in den Vordergrund und drängt die Unvernunft zurück.16 Der Kampf zwischen den beiden Kontrahenten ist in Analogie zu Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft konzipiert. Wie bei Hegel geht die erste Runde des Kampfes an den Herrn, in unserem Falle ist das die Vernunft. Foucault erzählt indessen nur dem ersten Eindruck nach eine Erfolgsgeschichte der Vernunft. Die entscheidenden Episoden seiner Erzählung sind die, in denen es der Unvernunft gelingt, sich gegen die Vernunft durchzusetzen. Bei Hegel ist der Knecht das eigentliche Subjekt der Geschichte, bei Foucault nimmt die Unvernunft diese Position ein. Der Knecht kann, wie wir wissen, aufgrund seiner Produktivität den Kampf für sich entscheiden, der Unvernunft gelingt es mittels subversiver Tätigkeit, als das heimliche, im Verborgenen arbeitende Subjekt, die Geschichte in ihrem Sinne zu prägen.17 Um den direkten Bezug von Foucaults Erzählung zu Hegels Konstruktion des Werdens der Vernunft zu verdeutlichen, ist es erforderlich, Foucaults Kandidaten für die Position des Subjekts der Geschichte etwas näher zu betrachten. Seine Unvernunft ist nämlich nur unzulänglich erfaßt, wenn man allein von ihrer formalstruktarellen Bedeutung, das Andere der Vernunft zu sein, ausgeht. -
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Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 9. Ebd., S.U. nur den Gegenstand, sondern auch die Analyse selbst. Vgl. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 49. Foucault bemerkt in der Archäologie des Wissens rückblickend selbstkritisch, daß er in Wahnsinn und Gesellschaft noch dazu bereit gewesen sei, „ein anonymes und allgemeines Subjekt der Geschichte zuzugestehen". Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973 und öfter, S. 29. In der Regel wird übersehen, daß dieses Subjekt der Wahnsinn ist.
Das Wesensmerkmal des Ahistorischen kennzeichnet nicht
Michel Foucault oder der Versuch, Hegel
zu entkommen
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Foucault bestimmt die Unvernunft zum einen als ein historisches Phänomen, zum anderen weist er ihr einen quasi ontologischen Status zu. Im ersten Fall stellt er die Unvernunft als ein Phänomen dar, mit dessen Erscheinen eine vormals authentische Erfahrung des Tragischen reduziert wird. Hier wird die Unvernunft also als Indiz einer Verfallsgeschichte bewertet. Im zweiten Fall verwendet Foucault den Begriff als positive Referenz in einem ontologisch relevanten Zusammenhang: Hier ist es gerade die Unvernunft, in der Rudimente der ansonsten beinahe nicht mehr zugänglichen Erfahrung des Tragischen aufbewahrt sind. Zuerst zeichnet Foucault die Geschichte der Unvernunft in drei Schritten nach. Sie entsteht mit dem Untergang der dichotomischen Erfahrungsstruktur des Sakralen und des Profanen als Moralisierung des sakralen Teils (1). Sie prägt die Erfahrungsstruktur des klassischen Zeitalters als Gegenstand moralischer Zurückweisung. Mittels der hierbei erfolgenden ethischen Abgrenzung konstituiert sich die Vernunft (2). Im dritten Schritt wird durch eine Naturalisierung der Vernunft unsichtbar gemacht, daß hier eine Wahl getroffen wurde. Diese Veränderung geht einher mit dem Verschwinden der Unvernunft aus der Wahrnehmung des kollektiven Bewußtseins (3). Dieser historischen Bedeutung nach ist die Unvernunft ein wesentliches Element innerhalb der Logik eines fortschreitenden Entfremdungsprozesses. Gemessen an der Erfahrungsform der 1. Stufe, die der tragischen Grundstruktur des Menschen am nächsten kam, stellt die Strukturierung der Erfahrung gemäß der Kategorie der Unvernunft eine Entfremdung dar. Im Vergleich mit der Erfahrungsform der 3. Stufe dagegen ist die von ihr beherrschte Erfahrung authentischer, weil hier immerhin noch vergegenwärtigt wird, daß die Ordnung des Menschen nicht die Ordnung des Seins ist. Mit dem Verschwinden der Kategorie der Unvernunft wird die Entfremdung auf die Spitze getrieben, weil mit ihr die Möglichkeit abhanden kommt, sich Zugang zu den wahren Bedingungen der condition humaine zu verschaffen. Zweitens finden wir neben dieser historischen Bestimmung jedoch im Text noch eine Unvernunft, die ihren großen Auftritt nicht im klassischen Zeitalter hat, sondern die im Gegenteil durch die Internierung zum Verschwinden gebracht wird. Diese Unvernunft bestimmt Foucault in ihrer ursprünglichen Form als „natürliche Dimension im Abenteuer der menschlichen Vernunft"18, sie ist der stets mögliche „dialektische Punkt der Umkehrung der Vernunft"19, „eine unvermeidbare Gefahr, die den Dingen und der Sprache des Menschen, seiner Vernunft und Erde innewohnt".20 Hier ist die Unvernunft keine kontingente historische Gestalt, sondern eine strukturelle Kategorie der Differenz, wobei, nebenbei bemerkt, gleichzeitig auch die Vernunft aufhört, eine kontingente historische Gestalt zu sein. Diese quasi ontologisierte Unvernunft entspricht in ihren Wesensmerkmalen der Hegelschen Negativität. Explizit schreibt Foucault ihr die Zuständigkeit für die dialektische Umkehrung der Vernunft zu. Solange man sie sein läßt, was sie ist, „belebt sie das geheime Leben des Geistes".21 Sie wird als das Prinzip vorgestellt, das für Bewegung und Pro18
19 20 21
Michel Foucault, Histoire de la folie, Paris 1961, S. 117 (dieses und die folgenden Zitate nicht in der deutschen Fassung). Ebd., S. 119. Ebd., S. 117. Ebd., S. 118.
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zessualität sorgt. Foucault beschreibt sie als schwarze Zwillingsschwester der Vernunft, die klandestin durch die Vernunft hindurch ihre Wirkungen entfaltet. Dabei begegnen wir den Verhältnissen, die wir von Hegels Bestimmungen der Beziehung zwischen Verstand und Vernunft kennen. Der Unvernunft ist das gleiche Schicksal beschieden wie dem Hegeischen Geist, d.h. sie geht den Weg in die Entfremdung, und es ist ihr vergönnt, aus der Entfremdung zurückzukehren. Im Zusammenhang dieser Entwicklung wird die Liaison zwischen der Unvernunft und dem Wahnsinn wichtig. Gemeinhin orientiert man sich bei der Frage nach der Beziehung zwischen Unvernunft und Wahnsinn an Foucaults Bemerkung, der Wahnsinn stelle die „empirische Form der Unvernunft" dar.22 Das ist er zwar auch, allerdings ist damit die Komplexität der Verbindung zwischen den beiden nicht hinreichend bestimmt. Dabei wird nämlich außer acht gelassen, daß die Unvernunft in der Identifizierung mit dem Wahnsinn entfremdet wird. Die Objektivierung in der konkreten Gestalt des Irren stellt deswegen eine Entfremdung der Unvernunft dar, weil sie mit dieser Operation stillgestellt und damit ihres Wesens beraubt wird, das wir nach Foucaults Erläuterungen als Negativität bestimmen können. Die Rückkehr aus der Entfremdung wird für die Unvernunft in dem Moment möglich, in dem sie sich aus der Objektivierung in den bzw. aus der Identifizierung mit dem Wahnsinn befreien kann, d.h. in dem Moment, in dem es ihr gelingt, sichtbar werden zu lassen, daß es zwischen ihr und dem Wahnsinn eine Differenz gibt. In diesem Zusammenhang weist Foucault Diderots Gestalt des Neffen von Rameau eine Schlüsselfünktion zu, wobei er sich im übrigen auf eine Figur bezieht, die auch in der Phänomenologie eine besondere Rolle spielt. Hegel bestimmt sie dort bekanntlich als die Rede „dieser sich selbst klaren Verwirrung".23 Foucault knüpft an diese Bestimmung an. Der Neffe führt uns eine wieder erstarkte Unvernunft vor, die nicht nur dazu in der Lage ist, die Vernunft für ihre Zwecke einzusetzen, sondern die sich zudem in genuinen Aufgabengebieten der Vernunft als erfolgreicher erweist als ihre Konkurrentin. So verfügt die Unvernunft über das Vermögen, eine tiefere Wahrheit in Erscheinung treten zu lassen als die, die von der dialektischen Vernunft erreicht werden kann. Sie löst den Anspruch ein, den diese stellt, ohne ihm entsprechen zu können, nämlich den, bei „vollem Bewußtsein" eine „totale Erfahrung der Welt"24 zu machen. Während die dialektische Vernunft so wie Hegels verständiges Denken einen nur beschränkten Ausschnitt der Totalität vergegenwärtigen kann, ist die Unvernunft offensichtlich dazu in der Lage, dem Menschen eine integrale, vollständige Erfahrung der Bedingungen seiner Existenz zu vermitteln. Auch wenn Foucault sich bei der Konzeption dieser integralen Erfahrung nicht an der Vorstellung von einer versöhnten Totalität orientiert, so bleibt gleichwohl auch seine Perspektive von der Kategorie der Totalität bestimmt. Zum einen ist auch bei ihm die Totalität der Erfahrung das Kriterium dafür, daß Wahrheit in ihr gegenwärtig wird, zum anderen entdeckt auch er in der Vielfalt der Erscheinungswelt ein alles durchherrschendes Prinzip. In der Wirklichkeit ist es, wenn wir ihm Glauben schenken wollen, 22 23
24
Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 152. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952, S. 373. Ebd., S. 354.
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der
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nicht vernünftig zugegangen, sondern durchgängig tragisch. Dabei wird die Wirklichkeit ausgehend von einer totalisierenden Perspektive betrachtet.
Nietzsche Was seine eigene Intention betrifft, orientiert sich Foucault bei der Herausarbeitung der zuerst mit dem Neffen von Rameau illustrierten Facette seines Begriffs der Unvernunft an der ästhetischen Erfahrung, so wie Nietzsche sie als Gegenmodell gegen eine rationa-
le Annäherung an die Wirklichkeit durch den wissenschaftlichen Geist konzipiert hat.25 Foucaults Unvernunft tritt zuerst in der Gestalt des Neffen und dann in der ästhetischen Erfahrung bestimmter künstlerischer Existenzen wie Goya, de Sade, Hölderlin, Artaud und natürlich auch Nietzsche selbst in Erscheinung und entfaltet hier ihre wirklichkeitserschließende Kraft. Wenn wir Foucaults Durchführung dieses wichtigen Bestandteiles seines Projektes näher examinieren, finden wir jedoch auch in diesem Bereich eine größere Nähe zu Hegel als zu dem selbstgewählten Bezugspunkt. Denn bei der konkreten Beschreibung der Erfahrung der Unvernunft orientiert er sich ungeachtet des Rekurses auf Nietzsches Kult des Unmittelbaren an Modalitäten des Ästhetischen, die eine Vermittlungsleistung enthalten, nämlich an der Malerei und an der Literatur. Die ästhetische Erfahrung ist somit bei Foucault anders bestimmt als bei Nietzsche. Wie wir wissen, behält Nietzsche einer einzigen Kunstform den adäquaten Ausdruck des Dionysischen vor, nämlich der Musik. Explizit weist er die Möglichkeit zurück, daß die Sprache eine andere als eine nur äußerliche Beziehung zur Musik und mit der Musik zum Ur-Einen haben könnte. Bei Foucault dagegen kommt die Musik überhaupt nicht vor. Die ästhetischen Erfahrungen, in denen bei ihm der tragische Grund menschlicher Existenz gegenwärtig wird, sind Formen künstlerischer Produktivität, die bei Nietzsche dem Apollinischen zugeordnet wären. Vor allem mit seiner Bezugnahme auf die Literatur, d.h. einer sprachlichen Erfahrung, entfernt Foucault sich von Nietzsche. Zudem gibt er im Unterschied zu Nietzsche die Orientierung an der Kategorie der Wahrheit nicht auf. Das Delirium der Unvernunft hält, wenngleich es auf die Mühen der Arbeit des Begriffs verzichten zu können meint, an dem Anspruch fest, ein Ausdrucksakt zu sein, in dem die Totalität der Welt wiederhergestellt wird.26 Als produktive Leistung der Existenz ist der von Foucault beschriebene Ausdrucksakt nicht als frei gedichtete oder frei erfundene Neuschöpfung im Sinne Nietzsches, sondern als eine Rückkehr des ursprünglichen Seins der Welt im Element des Subjektiven dargestellt. Der gemeinsame Nenner zwischen Nietzsches Tragischem und Foucaults Erfahrung der Unvernunft besteht darin, daß in beiden Fällen eine destruktive Kraft beschrieben wird, deren Wirkungen als lustvoll erlebt werden. Das nietzscheanische Tragische orientiert sich dabei an der Schopenhauerischen Metaphysik des Lebenswillens: In der Vernichtung der apollinischen Gebilde zeigt sich, daß der ewige Wille zum Leben von der -
-
Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn, in: ders., Sämtliche Werke, Berlin und New York 1967-1977 Bd. 1, S. 579ff. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 357.
Vgl.
,
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Vernichtung der Erscheinung unberührt bleibt. Mit dem ewigen Willen zum Leben bleibt Nietzsche indessen einer Substratvorstellung verhaftet, die bei Foucault in dieser Weise
nicht vorkommt. Weder das Sakrale als die archaische Form der Unvernunft, auf das er sich im Gefolge von Bataille bezieht, noch die ästhetische Erfahrung der Malerei oder der Literatur lassen sich als unmittelbare Abkömmlinge eines metaphysischen Lebenswillens verstehen. Nietzsches Tragisches bleibt immer eine archaische Natarmacht, Foucaults Manifestationen der Unvernunft enthalten demgegenüber stets das Element der kulturellen Vermittlung. Dieser Befund wird ergänzt durch jene Bestimmung der Unvernunft, die in ihrem Namen zum Ausdruck kommt. Als Un-vernunft ist sie als Differenz bestimmt. Sie ist das, was nicht Vernunft ist, das heißt aber auch, daß sie stets auf die Vernunft bezogen ist. Die Existenz der Vernunft kann ihr schon allein deswegen nicht so gleichgültig sein, wie dem ewigen Willen zum Leben die Erscheinung gleichgültig ist, weil sie auf die Vernunft angewiesen ist, um in Erscheinung treten oder wirksam werden zu können. Die Orientierung an der Kategorie der Vermittlung wird auch an der Rolle deutlich, die Foucault der Sprache in der Gesamtentwicklung der Erfahrung der Unvernunft zuweist. Foucault beschreibt die entscheidenden Etappen des Schicksals der Unvernunft stets mit Begriffen, die die Sprache betreffen. So bestimmt er die Entfremdung der Unvernunft im klassischen Zeitalter dadurch, daß sie dort zum Schweigen verurteilt gewesen ist. Die im Neffen von Rameau sich ankündigende Rückkehr aus dieser Form der Entfremdung stellt er als „das Wiedererscheinen des Wahnsinns im Gebiet der Sprache" dar, „einer Sprache, in der es gestattet war, in der ersten Person zu reden [...]".27 Die Unvernunft reklamiert in dem Moment den Subjektstatas für sich, in dem sie sich versprachlichen kann, in dem Moment also, in dem sie sich in einem Ausdruck zur Darstellung bringt. Dabei entsteht für Foucault die Schwierigkeit, die Ausdrucksformen, in denen die Unvernunft sich vermittelt, von denen zu unterscheiden, in denen die Vernunft sich zum Ausdruck bringt. Denn ihm ist klar, daß die Vermittlung in einem Ausdrucksgeschehen unweigerlich von der Vernunft affiziert wird, da Vermittlung und Ausdruck ihre genuinen Handlungsfelder sind.28 In den Werken der Vertreter der Unvernunft selbst erfahren wir daher nichts von ihrem verborgenen Grund. Wenn wir gleichwohl im Kontext bestimmter Werke etwas von ihr erfahren, so geschieht dies laut Foucault dadurch, daß die Existenzen, die die betreffenden Werke hervorgebracht haben, nach dem Abschluß ihrer Arbeit dem Wahnsinn verfallen sind.29 Die Vermittlung, in der die Unvernunft für die moderne Erfahrung gegenwärtig wird, erfolgt dadurch, daß diese Werke durch den Wahnsinn ihrer Verfasser eine neue Dimension erhalten. Ohne den Wahnsinn, so Foucault, würde das Werk in der von der Ordnung der Vernunft bestimmten Welt verschwinden und nicht mehr darstellen als einen Teil dieser Ordnung. Durch den Wahnsinn seines Autors jedoch wird sichtbar, daß das Werk in der Tiefe etwas in sich birgt, das über diese notwendigerweise profane Bedeutung hinausgeht.30 Das authentische Wesen der Unvernunft kommt in der tragischen Einheit von Werk und Wahnsinn 27 28
29 30
zum
Ausdruck. Wenn Foucault vorher die These
Ebd., S. 544. Foucault, Histoire de la folie, S. 556. Ebd. Ebd.
vorgebracht hat, daß die
Michel Foucault
oder der
Versuch, Hegel zu entkommen
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Unvernunft in der Identifizierung mit dem Wahnsinn entfremdet wurde, so wollte er uns damit offenbar nicht vermitteln, daß beide einander äußerlich sind. Um eine Entfremdung handelt es sich nur dann, wenn die Unvernunft auf den Wahnsinn reduziert wird.31 Ungeachtet dessen stellt der Wahnsinn für Foucault ein Moment der Unvernunft dar, allerdings eines, das nur im Zusammenhang mit dem anderen Moment das Ganze der Erfahrung der Unvernunft ausmacht. Foucault beschreibt die Unvernunft als eine absolute Macht, der mythische Kräfte zur Verfügung stehen. Eine absolute Macht ist sie nicht nur deswegen, weil sie immer schon das geheime Leben des Geistes belebt hat und als dieu malin tatsächlich die vermeintlich von der Vernunft gesteuerten Geschicke der Welt bestimmt, und nicht nur deswegen, weil sie den Irrtum als Wahrheit und die Wahrheit als Irrtum erscheinen lassen kann, oder weil sie Zugang zur Wahrheit des Unmittelbaren verschafft, sondern auch deswegen, weil sie gegen jeglichen Versuch, ihrer habhaft zu werden, erfolgreich durchsetzen kann, unbestimmbar zu bleiben. Ohnmächtig ist sie jedoch auch, und zwar insofern, als sie ihre eigenen Vollzüge nicht verändern kann. Wenn sie diejenigen, die ihr Ausdruck verleihen können, mit dem Verlust der Ausdrucksfähigkeit straft, läßt sie zwar auch ihre Macht wirken, denn sie verhindert so erfolgreich, bestimmbar zu werden. Dieses Tun schlägt jedoch auf sie zurück, denn sie verurteilt sich auf diese Weise selbst dazu, in der Regel nicht anders als in entfremdeter Form in Erscheinung treten zu können. Entweder erscheint sie reduziert auf die Sprachlosigkeit des Wahnsinns, oder sie erscheint in einer Sprache, die nicht ihre eigene ist. Wenn gleichwohl eine Rückkehr der Unvernunft aus dieser Entfremdung erfolgt, dann geschieht dies durch die Arbeit jenes Philosophen, der ihre getrennten Momente wieder zusammenfügt und sie so in ihrer Totalität, d.h. so, wie sie wirklich und authentisch ihrem Wesen nach ist, bzw. wie sie an und für sich ist, zugänglich macht. Diese Arbeit setzt dort an, wo der Wahnsinn ein Werk unterbrochen hat. „Der Wahnsinn, in dem das Werk verlorengeht, ist der Raum unserer Arbeit, es ist der unendliche Weg, um ans Ziel zu kommen, wir sind zugleich als Apostel und als Exegeten berufen."32 Foucault bestimmt seine eigene Position als die des Apostels und Exegeten der Unvernunft. Mit seinem eigenen Diskurs ist es offenbar endlich gelungen, der Unvernunft einen Ausdruck zu verschaffen, der nicht augenblicklich wieder verschwindet. Der leitende Gesichtspunkt unserer Interpretation ist die Frage, wie Foucault die Unvernunft bestimmt. Wenn wir den Zusammenhang aus der Perspektive der Frage nach Foucaults Bestimmung des Wahnsinns betrachten, so ergibt sich eine etwas andere Beziehung. Stellt man die Frage nach dem Wahnsinn, so ist die Unvernunft „die konkrete Bedingung der Möglichkeit des Wahnsinns". Vgl. Foucault, Histoire de la folie, S. 371 (fehlt in der deutschen Übersetzung). Der Wahnsinn wird im klassischen Zeitalter ausgehend von einer für die Wahrnehmung des kollektiven Bewußtsein dieser Zeit real existierenden Kategorie der Unvernunft wahrgenommen. Sie ist der Grund, in dem der Wahnsinn verankert ist. In der modernen Zeit dagegen, für die die Kategorie der Unvernunft weitgehend verschwunden ist, wird der Wahnsinn vom Grund der Vernunft aus wahrgenommen. Die Vernunft ist hier zu einer totalisierenden Kategorie geworden, zu der es auch im Wahnsinn kein Außen geben kann. Denn auch hier entdeckt die Vernunft nichts anderes als sich selbst und versichert sich so, daß sie von keinerlei äußeren Gefahr bedroht werden kann. Foucault, Histoire de la folie, S. 557. Fehlt in der deutschen Übersetzung. -
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Für den unbefangenen Betrachter haben Werk und Wahnsinn nichts miteinander zu tan. Erst der Philosoph Foucault begreift, daß beide eine untrennbare Einheit bilden. Die definitive Rückkehr der Unvernunft aus der Entfremdung wird also erst mit der Arbeit des Philosophen erreicht. Denn er ist es, der die getrennten Momente, in die sie sich zerlegt hat, zu einer Einheit zusammenfügt und so dafür sorgt, daß zum erstenmal das Ganze der Unvernunft in unverstellter Form zugänglich wird. Für uns allerdings stellt sich diese Position, die Foucault sich selber zuweist, in Anlehnung an ihr ungewolltes Vorbild als die Position des Philosophen dar, der die Dinge dadurch zu sich selber bringt, daß er sie begreift. Wenn wir uns alle Implikationen der Unvernunft vergegenwärtigen, dann sehen wir, daß Foucault noch ein gutes Stück Arbeit vor sich hat, wenn er dem Universum des dialektischen Denkens entkommen will. Die nähere Betrachtung seiner Gestalt der Unvernunft hat gezeigt, daß Hegel ihm zumindest bei seinem ersten Versuch der Befreiung auf Schritt und Tritt gefolgt ist. Mit Wahnsinn und Gesellschaft hat Foucault jedoch, wie sich in der Folge seiner Denkentwicklung zeigen wird, für sich selbst die Arbeitsanweisungen formuliert, die seine späteren Versuche, dem Universum der Dialektik zu entkommen, leiten werden. Er wird in den nächsten Jahren die Kategorien, die ihn jetzt noch an die Dialektik binden die des Subjekts, die der Wahrheit und die der Totalität verabschieden. Dabei gewinnt sein eigenes Unternehmen stets durch eine negative Bewegung seine Kontur. Jeder seiner Versuche, die eigene Identität bzw. die Identität der eigenen Gegenwart zu bestimmen, erfolgt durch eine Bewegung der Abgrenzung gegen die Dialektik. So bleibt er zumindest in einer Hinsicht auch weiterhin dem dialektischen Denken verbunden. Denn wenn er die eigene Identität nur durch die Abgrenzung von der Dialektik bzw. durch Entgegensetzung gewinnen kann, bleibt er auf die Dialektik angewiesen und bestätigt in der Abkehrbewegung noch einmal die Gültigkeit der Beziehungslogik, als die das dialektische Denken sich entfaltet. -
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Jean-Pierre Cotten
Hegel als „Abstoßungspunkt" in der Denkgeschichte von Gilles Deleuze?
I. Anscheinend ist es erforderlich, bei vielen französischen Denkern derselben Generation sehr deutlich zwischen vor und nach 1968 zu unterscheiden. Dies gilt ebenso, wenn auch in völlig anderer Hinsicht, für Althusser und Foucault. Die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der intellektuellen Aktivität verändern sich spürbar. Nicht nur transformieren sich die „Gegenstände", sondern gleichermaßen der Stil der Stellungnahme wie das Umfeld des intellektuellen Austauschs (man denke an die Bedeutung der Begegnung mit Félix Guattari 19691). Dieser Punkt ist meines Erachtens schon von Pierre Bourdieu in seinem Buch Ein soziologischer Selbstversuch2 angemerkt worden. Dennoch ist deswegen nicht schon ausgemacht, daß sich auch die intellektuellen „Tiefenstrukturen" einschneidend verändern. In The Deleuze Connections3 wird diesbezüglich von John Rajchman eine interessante dreiteilige Periodisierung vorgeschlagen, wobei Rajchman eine Erschöpfung „des Militantismus vom Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre"4 in der zweiten Periode ausmacht. Der Anti-Ödipus wird 1972 und Tausend Plateaus 1980 veröffentlicht. Aber er schlägt vor, eine dritte Periode genauer anzugeben (die uns hier kaum beschäftigen wird), die durch „den Versuch, eine andere Welt nach dem Mißlingen des zweiten Abschnitts vorzustellen"5, gekennzeichnet ist. Er läßt diese Periode 1983 mit dem Erscheinen des ersten Kinobuchs Das BewegungsBild beginnen. -
Vgl. Gilles Deleuze, Die einsame Insel [L'île déserte et autres textes, textes et entretien 1953-1974, Paris 2002], Frankfurt am Main 2003, S. 282. Pierre Bourdieu, Ein soziologischer Selbstversuch [Esquisse pour une auto-analyse, Paris 2004], Frankfurt am Main 2003. John Rajchman, The Deleuze Connections, Cambridge 2002, S. 24f. Rezension von Charles Wolfe, in: Multitudes 1 (2001). John Rajchman selbst schreibt: „Die Ereignisse von 1968 markieren einen zweiten intensiven Zeitpunkt der Stellungnahme", in: Rajchman, The Deleuze Connections, S. 24f. Ebd. Was die Tausend Plateaus betrifft, merkt John Rajchman an, daß „Deleuze über deren Rezeption enttäuscht war", in: Rajchman, The Deleuze Connections, S. 25. -
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Trotz allem könnten für mein absichtlich begrenztes Thema zwei Bezugspunkte gewählt werden: Differenz und Wiederholung* sowie die Präsentation eines Vortrags vor der Französischen Gesellschaft für Philosophie, „Die Methode der Dramatisierung"7, am 28. Januar 1968, im Laufe dessen Deleuze vor seinesgleichen die klassische Form seines Denkens verteidigt. Aber ich werde ein wenig weiter zurückgehen, bis zu Nietzsche und die Philosophie*, obwohl die Bezüge zu Hegel, wie in dem berühmten Abschnitt „Gegen die Dialektik" als auch im 5. Kapitel „Der Übermensch gegen die Dialektik", ungenauer und „dramatisierter" sind. Warum diese Bezugnahmen? Es scheint wichtig, die Art und Weise der Rezeption von Hegel und des Hegelianismus in Frankreich auszumachen, die deren Anwendungsform bedingt. Dies läßt sich seit einer der ersten Hegelrezeptionen9 durch Victor Cousin, worauf Patrice Vermeren zurückgekommen ist10, bestätigen: In Nietzsche und die Philosophie schlägt Gilles Deleuze keine neue Übersetzung vor, er stützt sich auf die klassische Übersetzung von Henri Albert (sowie auf die von Bianquis und zusätzlich auf die von Betz für den Zarathustra). Gilles Deleuze war selbstverständlich ein guter Anglist, ebenso ein ausgezeichneter Latinist (zur mündlichen Prüfung für die Licence in Philosophiegeschichte 1964 höre ich ihn noch einige Bemerkungen über meine für die schriftliche Prüfung angefertigte Übersetzung einer Passage aus Ciceros Definibus machen, bevor ich ihm eine Passage aus dem Treatise von Hume über die fancy übersetzte). Aber wir haben keinen entscheidenden Nachweis, daß seine Kenntnis der deutschen Sprache ausreichend war, um die großen philosophischen Texte zu lesen und zu übersetzen oder aus erster Hand Zugang zu deutschsprachigen Kommentaren zu haben. Die einzige Rezension eines deutschsprachigen Buchs beinhaltet nur wenige Zeilen, genau einundzwanzig, und erlaubt keine Bestätigung, daß Deleuze es tatsächlich gelesen hat." Diese Rezension ist nicht in die Sammlung Die einsame Insel mitaufgenommen worden. Das soll mitnichten heißen, daß Deleuze keinen Zugang zu einem gediegenen Hegel hatte: Gewiß war das Qualitätsniveau der Übersetzungen von Bernard Bourgeois, Pierre-Jean Labarrière, Maurice de Gondillac oder Jean-Pierre Lefebvre zu Beginn der 60er Jahre noch in keiner Weise erreicht. Aber neben bescheidenen (die Philosophie der Geschichte von Gibelin) oder sehr bescheidenen Leistungen (die Übersetzung der Wissen6
Gilles Deleuze,
Differenz und Wiederholung [Différence et répétition, Paris 1968], München 1992. die Veröffentlichung der 1969 verteidigten thèse principale. Wieder aufgenommen, in: Deleuze, Die einsame Insel, S. 139-170. Gilles Deleuze, Nietzsche und die Philosophie [Nietzsche et la philosophie, Paris 1962], Hamburg Es handelt sich
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um
1976. Wenn nicht die erste, wie Jacques D'Hondt (Hegel et les Français, Hildesheim 1998) gezeigt hat; vgl. auch den Beitrag von D'Hondt zu diesem Band. Patrice Vermeren, Victor Cousin. Le jeu de la philosophie et de l'Etat, Paris 1995; vgl. auch den Beitrag von Vermeren zu diesem Band. Vgl. Rezension zu K. E. Lögstrup, Kierkegaards und Heideggers Existenzanalyse und ihr Verhältnis zur Verkündigung, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 78 (1953), S. 108-109. Andererseits denke man an die Verweise auf § 428 des Buchs von Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 3. Aufl., Berlin 1918, und an das Buch von Jules Vuillemin, L'héritage kantienne et la révolution copernicienne, Paris 1954, in: Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 293, Anm. 11.
Hegel
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Denkgeschichte
von
Gilles Deleuze
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schaft der Logik von Jankélévitch, die Deleuze in Differenz und Wiederholung12 zitiert) gab es auch ehrenvollere wie jene von Jean Hyppolite. Deleuze lernt während seines Studiums einen Hegel kennen, der durch die Überset-
zung der Phänomenologie des Geistes, den Kommentar derselben, aber auch durch das Buch Logique et existence13 von Jean Hyppolite vermittelt wird. Er war dessen Schüler in der Vorbereitungsklasse zur Ecole Normale Supérieure [Khâgne], und zweifelsohne hat er solide und kundige Kurse über Hegel besucht. Hyppolite betreute zusammen mit Georges Canguilhem sein Diplome d'études supérieure (veröffentlicht unter dem Titel:
Empirisme et subjectivité1*). Deleuze hat uns (darin Bergson folgend) untersagt, auf seine Manuskript gebliebenen oder vor 1953 veröffentlichten Texte Bezug zu nehmen, die man im übrigen der in dem Buch Deleuze. A Critical Reader aufgeführten Bibliographie entnehmen kann.15 Trotz allem reicht die Kenntnis der Rezension von Logique et existence, veröffentlicht 1954, aus: Dieser dichte Text wird unseren terminus a quo bilden.16 Der Hegel von Deleuze ist demnach kein „existentieller" Hegel (wie jener von Jean Wahls Le malheur de la conscience), er ist auch kein „anthropologisierter" Hegel nach der Version, die durch die Veröffentlichung der Vorlesungen Alexandre Kojèves verbreitet wird. Ich denke nicht, obwohl man darüber streiten könnte, daß der Hegelianismus eines Eric Weil eine entscheidende Rolle gespielt hat, weder der Weil von Hegel et l'Etat, noch derjenige der Logique de la philosophie. In einem 1985 in der Zeitung Libération erschienenen Text zur Würdigung von François Châtelet findet man dazu eine sehr polemische Bemerkung, aber es ist eben auch der Deleuze nach 1968.17 Der Hegel von Deleuze also ist, um es kurz zu machen, der Hegel eines Hyppolite, der die Existenz und die Logik berücksichtigt. Meines Erachtens haben wir hier unseren terminus a quo.
II. Welche Positionen übernimmt Deleuze in Bezug auf Hyppolite? Ich stimme mit Christian Kerslake18 überein: In einer bestimmten Weise eignet sich Deleuze die Hyppolite zugehörige Auffassung einer Logik des Sinns an.19 Der Sinn ist hier das entscheidende Wort, der entscheidende Begriff, der Sinn in seinen Bindungen an den und seinen Unterschieden 12 13 14
15
16 17
18
19
Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 68, Anm. 12; S. 69, Anm. 13. Jean Hyppolite, Logique et existence, Paris 2002 (zuerst 1953). Gilles Deleuze, David Hume [Empirisme et subjectivité, Paris 1953], Frankfurt am Main und New York 1997. Paul Patton (Hg.), Deleuze: A Critical Reader, Oxford 1996, S. 270-300; vgl. besonders S. 270 die von Deleuze verworfenen Texte (alle Schriften vor 1953). Wieder aufgenommen in: Deleuze, Die einsame Insel, S. 18-23. In: Gilles Deleuze, Schizophrenie und Gesellschaft [Deux régimes de fous, Paris 2003], Frankfurt am Main 2005, S. 254. Christian Kerslake, The vertigo of philosophy: Deleuze and the problem of immanence, in: Radical Philosophy 113 (2002), S. 10-23. Das ist übrigens der Titel eines seiner Bücher: Gilles Deleuze, Logik des Sinns [Logique du sens, Paris 1969], Franfurt am Main 1993.
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Hegelschen Begriff [im Original dt.]. „Daß die Philosophie, wenn sie denn eine Bedeutung hat, nur eine Ontologie, und zwar eine Ontologie des Sinns sein kann, das wird man nach der Lektüre von Hyppolite einsehen".20 Deleuze scheint Hyppolite, der in seiner Hegellektüre offenbar Begriff und Sinn gleichsetzt, nicht zu verraten.21 Und auf dieser Grundlage, genau am Ende des Artikels, kann man lesen, was manche als das philosophische Arbeitsprogramm von Gilles Deleuze betrachten: „Wenn der zweite und dritte Teil des Buchs von Jean Hyppolite eine Theorie des Widerspruchs im Sein begründen, in der der Widerspruch selbst das Absolute der Differenz ist, begründet er dagegen im ersten Teil (Theorie der Sprache) sowie im gesamten Buch (Anspielungen vom
Vergessen, die Reminiszenz, den verlorenen Sinn) nicht eine Theorie des Ausdrucks, in der die Differenz der Ausdruck selbst ist und der Widerspruch lediglich ihr phänomenaler Aspekt?"22 Und kurz zuvor: „Nach dem so gehaltvollen Buch von Jean Hyppolite könnte man sich folgende Frage stellen: Kann man nicht eine Ontologie der Differenz entwickeln, die nicht bis zum Widerspruch zu gehen brauchte, weil der Widerspruch weniger wäre als die Differenz und nicht mehr? Ist der Widerspruch nicht nur der phänomenale und anthropologische Aspekt der Differenz?"23 Eine gründliche Untersuchung der Texte Hyppolites, wie Logique et existence und Schriften dieser Periode zu Beginn der 50er Jahre, ist unnötig. In diesem Sammelband ist ein Aufsatz speziell dieser Veröffentlichung gewidmet.24 Ich führe also nur die Eckpunkte an, die mir wichtig sind. In Logique et existence stellt Hyppolite fest, daß Hegel „die Entwicklung des Formalismus und der zeitgenössischen mathematischen Logik nicht vorhersehen konnte".25 Andererseits deutet die wichtige, Cavaillès gewidmete Fußnote an, daß, wenn es eine Philosophie des Begriffs gibt, diese Philosophie „an den unendlichen Verstand Gottes von Spinoza und den Übergang von der wahren Idee zur wahren Idee"26 und nicht an Hegel denken läßt. Hingegen ist der Kommentar im weiteren Verlauf mit fragenden Bemerkungen übersät: Kann man dem, was Hegel sagt, gänzlich beipflichten? Aber man begegnet keinem wirklich zusammenhängenden Kommentar von Teilen der Wissenschaft der Logik, wovon das 3. Kapitel des 3. Abschnitts, „Der Aufbau der Logik: Sein, Wesen, Begriff', zeugt. Dieses Kapitel ist ziemlich kurz und hat gerade einmal 20 Seiten.27 auf das
20
Deleuze, Die einsame Insel, S. 22.
21
Vgl. Jean Hyppolite, Logique et existence, S. 22: „dieser Zusammenhang des Besonderen und des Allgemeinen, der für Hegel der Begriff oder der Sinn ist", oder auch S. 28: „der Sinn als Werden des Begriffs in der Rede"; siehe weiterhin S. 114f, Anm. 2: „Für Hegel ist der Begriff der Sinn, der zugleich sein eigener Sinn ist", und S. 228: „das, was Hegel Begriff nennt, könnten wir mit Sinn
22 23 24 25 26
27
übersetzen". Deleuze, Die einsame Insel, S. 23. Ebd. Vgl. den Beitrag von Sabina Hoth. Hyppolite, Logique et existence, S. 55. Ebd., S. 65. Ebd., S. 209-230.
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Wenn man, was den Status der Negation, der Negativität und des Widerspruchs anbelangt, auf das 4. Kapitel des zweiten Abschnitts, Empirische Negation und spekulative Negation, zurückgeht, so ist die Anmerkung aufschlußreich, daß Hyppolite sich auf die Untersuchungen von Bergson über die falschen Probleme des Nichts und der Negation bezieht.28 Aber er übernimmt sie nicht, um, gestützt auf kanonische Texte der Phänomenologie, der Logik und der Enzyklopädie, schlußendlich festzustellen, „daß sich die ganze Anstrengung Hegels auf die Reduktion der indifferenten Verschiedenheit auf den Gegensatz und den Widerspruch richtet".29 Ebenso sieht Hyppolite durch die Bezugnahme auf Leibniz im 4. Kapitel keine Veranlassung, diesen an Hegel heranzurücken. Man könnte sich hier mit der Auffassung der intrinsischen Differenz befassen, die an das „Unterscheidbare bei Leibniz"30 denken läßt, aber Hyppolite führt die Auffassung, nach der „diese intrinsische Differenz selbst Widerspruch der Sache, ihr innerer Widerspruch wird"31, keineswegs auf Leibniz zurück. Die Gleichsetzung von Begriff und Sinn durch Hyppolite zeigt vielleicht insgesamt die Unmöglichkeit einer uneingeschränkten Wiederaufnahme der Hegeischen Begrifflichkeit das Indiz einer Verschiebung. Um genauer zu sein, sollte hinzugefügt werden, daß an Deleuze nicht nur den Bezug zum Sinn, sondern auch, durch Hyppolite angestoßen, zum Ausdruck beibehält. Man wird sich fragen können, ob der Kommentar dieser Verschiebung von Deleuze, indem er eine Rückwärtsbewegung des Wahren in Anspruch nimmt, die Bergson verbietet, nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit Merkmale dessen trägt, was man ein anderes „Bild des Denkens" nennt. Letzteres aber prägt sich erst später aus. Es empfiehlt sich also, uns kurzerhand genau an das Ende unserer Periode zu versetzen: zu Differenz und Wiederholung, wenn nicht gar bis zu Logik des Sinns oder Spinoza und das Problem des Ausdrucks1"2, alles Texte, die vor 1969 redigiert, wenn nicht veröffentlicht wurden. -
III. Man sollte, ein wenig aus Bequemlichkeit, die Stellung des Problems in all seiner Breite (im Wesentlichen in Differenz und Wiederholung) von den Anwendungen der Methode oder den Werkzeugen, die Deleuze gebraucht, unterscheiden: In gewisser Weise gehört, was die Anwendungen betrifft, der Nietzsche dazu, der eine „Dramatisierung" der Deleuzeschen Auffassung der Differenz bildet; was Bergson angeht, so stellt er Werkzeuge bereit (und man kann hier zwei Zeitpunkte unterscheiden: den 1954 redigierten und 1956 veröffentlichten Artikel und das kleine Buch von 1966).33 28 29
Vgl. ebd., S.
142.
Ebd., S. 147.
30
Ebd., S.
31
Ebd.
32
Gilles Deleuze, Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie [Spinoza et le problème de l'expression, Paris 1968], München 1993. Vgl. Deleuze, Die einsame Insel, S. 54f, 59ff, im Unterschied zum Bergson seines Buches: Gilles Deleuze, Henri Bergson zur Einfährung [Le Bergsonisme, Paris 1966], 3. Aufl., Hamburg 2001. Vgl.
33
150.
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Wie ein Leser von Deleuze weiß, dreht sich anscheinend alles um ein Wort, einen Begriff, eine Idee: die Differenz.34 Aber man müßte eine komplexe Konstruktion ans Licht bringen, die, hinsichtlich der Methode, die reichhaltigsten Mittel benutzt, nicht nur von Bergson, sondern auch von Leibniz35, vom Piaton der letzten Dialoge (Politikos, Sophistes und Philebos36) und natürlich von Spinoza und Kant. Diese Konstruktion ist nur verständlich, wenn man das Geflecht zu entwirren versucht, das der Deleuzeschen Auffassung der Idee und/oder des Begriffs, der Beziehung zwischen Idee und/oder Begriff auf der einen Seite, der Mannigfaltigkeit (genauer den Mannigfaltigkeiten) auf der anderen Seite Sinn verleiht. Aber auch, was scharfsinniger wäre, das Geflecht, das der Differenz zwischen Idee und Begriff Sinn verleiht. Denn die Art und Weise, in der Deleuze von Beziehungen zwischen Differenz und Widerspruch handelt (und die Kritik, die er darin an Hegel richtet) genauer: von den Beziehungen und Differenzen, die er zwischen Differenz, Gegensatz und Widerspruch herstellt, was beinhaltet, daß man genauer auf den Status der Negativität und der Negation eingeht -, scheint mir nur Sinn zu machen, wenn man seine Methode der Differentiation/Differenzierung [différent/dation] (mit einer doppelten Schreibung, die Deleuze nachvollziehbar rechtfertigt37) klarstellt: kurz und gut, seinen Begriff des Begriffs, seine Idee der Idee. Also letztlich die Differenz zwischen Begriff und Idee (Deleuze „zwischen" Kant und Hegel vielleicht? Das ist gewissermaßen das Fazit des schönen Artikels von Christian Kerslake.)38 In bestimmter Hinsicht kann man Spinoza ein wenig „außen vor" lassen (selbst wenn Spinoza „der Prinz der Philosophen" ist), dennoch bleibt anzumerken, daß Differenz und Wiederholung mit drei Seiten ausdrücklicher Bezüge zu Spinoza endet.39 Das Problem liegt also gewissermaßen „zwischen" Kant und Hegel, obschon man die „Begriffspersonen"40 Salomon Maimón und Johann Gottlieb Fichte hinzufügen könnte: Nach einer subtilen Bemerkung von Alexis Philonenko im Anschluß an Deleuzes Vortrag über die Dramatisierung41, findet man für ersteren die Begründung in Passagen von Differenz und Wiederholung*2, bei letzterem denke man etwa an den kurzen Text vom September 1995.43 Ich bin bei weitem nicht der erste, der dieses Geflecht hervorhebt, und ich erhebe keineswegs den Anspruch, es vollständig zu entwirren, wenn das für Texte wie jene von Deleuze überhaupt sinnvoll ist. -
hierzu z.B. Giovanna Borradori, The presence of Bergson in Deleuze's Philosophy, in: http://faculty.
vassar.edu/giborrad/new_page_8.html. Hierfür ein guter Ausgangspunkt: Le Vocabulaire de Gilles Deleuze, in: Les Cahiers de la Noèsis 3 (2003), S.
114-123.
Vgl. z.B. Deleuze, Die einsame Insel, S. 140, 141, 150, 157, 159, 161, 168. Vgl. ebd., S. 170 und mehrfache Verweise in: Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 87ff. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 238f, 243 und vor allem S. 262, 265f. Kerslake, The vertigo of philosophy, S. 21. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 375ff. Der Ausdruck ist bekanntlich Deleuze selbst entlehnt. Er ist Gegenstand eines einzelnen Kapitels in einem Buch, das nicht unserer Periode und unserem corpus zugehört: Gilles Deleuze/Félix Guattari, Was ist Philosophie? [Qu 'est-ce que la philosophie?, Paris 1991], Frankfurt am Main 1996. Vgl. Deleuze, Die einsame Insel, S. 168ff Vgl. die Bibliographie in Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 389: „différentielle Idee und Transzendentalphilosophie der Differenz", aber ebenso dort beispielsweise S. 223ff Vgl. Deleuze, Schizophrenie und Gesellschaft, S. 367.
Hegel
in der
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IV. Formulieren wir also nun eine Problematik. Ganz vorläufig gesagt, handelt es sich darum, eine Ontologie zu entwerfen. Die Perspektive ist keinesfalls die einer kritischen Philosophie, einer Befragung der Zugangsmethoden zum Realen. Dennoch wird diese Ontologie gleichsam ein transzendentaler Empirismus sein.44 Daher vermutlich die komplexe Beziehung zwischen dem Bezug zu Kant und dem zu Spinoza zugleich; und, konsequenterweise, die Komplexität der Beziehung zu Hegel: Hegel ist, wenn man das so sagen kann, mit Spinoza „in der Nähe der Immanenz". Nach einer Formulierung von Kerslake „muß sich Deleuze, da die Art und Weise, nach der er die absolute Differenz auffaßt, keine immanente Entfaltung bestimmter Kategorien zuläßt (gemäß dem der Hegeischen Theorie eigenen Stil), stattdessen auf einen ,krummeren (crooked)' [Englisch im Original, A.d.Ü.] Weg einlassen, der ihn Richtung Immanenz führt, die eine zumindest komplexe Mischung einer (Kantischen) transzendentalen Argumentation und einer (spinozistischen) ontologischen Argumentation enthält".45 Daher eine sehr eigene Deutung des Kantischen Begriffs der Idee (als „idealen Fokus" und „höheren Horizont", nach Formulierungen aus Differenz und Wiederholung*6). Diese Deutung spielt eine entscheidende Rolle, insofern präzisiert wird, daß ,,[d]ie problematischen Ideen [...] keine einfachen Wesenheiten [sind], sondern [...] Mannigfaltigkeiten von Bezügen und entsprechenden Singularitäten"47, und insofern dem Adjektiv „problematisch", das Kant zur Bestimmung der Vernunftideen gebraucht, eine begriffliche Rolle verschafft wird48, die für Kant nicht existiert. In gewissem Sinne ist der Kant von Deleuze wie der Kant von Heidegger: ein Bestandteil der eigenen Philosophie. Fassen wir diesen Punkt genauer. Die Reduktion der Differenz als solcher (unter Vorherrschaft der Einheit des Begriffs, der Repräsentationsordnung, allgemeiner noch eines Einheitsprinzips) beruht gerade auf einer Verkennung der Differenz zwischen Begriff und Idee. Das von Kant in der Form einer ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption ans Licht gebrachte Einheitsprinzip wird nun von Hegel zu Beginn der Lehre vom Begriff übernommen.49 Zunächst erklärt Hegel ausdrücklich, der Begriff „ist das Freie, weil die an und für sich seiende Identität, welche die Notwendigkeit der Substanz ausmacht, zugleich als aufgehoben oder als Gesetztsein ist und dies Gesetztsein, als sich auf
Vgl. die interessante Untersuchung in einem Beitrag von Levi R. Bryant, The Transcendental Empiricism of Gilles Deleuze, vorgestellt an der Pennsylvania State University fur das „2000 Meeting of The Societyfor Phenomenology and Existential Philosophy"; soll als Buchpublikation erscheinen. Kerslake, The vertigo of philosophy, S. 21. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 218. Ebd., S. 210, Übersetzung leicht modifiziert. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, z.B. B 384: ,,[d]as absolute Ganze aller Erscheinungen ist nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen können, so bleibt es ein Problem ohne alle Auflösung", B 397: „daß wir vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert, keine Kenntnis, obzwar einen problematischen Begriff, haben können", oder noch B 675: „zum Grunde gelegte Ideen, als problematischer Begriffe". Vgl. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. II, in: Werke, Frankfurt am Main 1970 und öfter, Bd. 6, S. 254ff
Jean-Pierre Cotten
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sich selbst
beziehend, eben jene Identität ist".50 Und einige Seiten weiter fügt er hinzu:
„Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, daß die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, als Einheit des Jch denke' oder des Selbstbewußtseins
erkannt wird."51 Wie also von einem Einheitsprinzip in der Art der Kantischen Idee aus dem Kapitel „Von den transzendentalen Ideen" oder dem „Anhang zur transzendentalen Dialektik" (zwei von Deleuze in Differenz und Wiederholung zitierte Abschnitte52) Gebrauch machen, ohne den Hegeischen Nicht-Dualismus infragezustellen, ein Einheitsprinzip, das, auch wenn es gedacht werden kann, selbst nicht erkennbar ist?53 Ist die Unterordnung der Differenz unter den Widerspruch darauf zurückzuführen, das, was lediglich phänomenale Darstellung der Differenz ist, für die Differenz selbst zu halten, denkbar, aber nicht vorstellbar? Kurz und gut, wie einen streng transzendenten Gebrauch der Vernunftideen gegenüber einer nur scheinbaren Hegeischen Immanenz auszeichnen, um eine wahrhaftige Philosophie der Immanenz spinozistischer Herkunft und in nietzscheanisch-bergsonianischer Nachkommenschaft zu errichten? Das werde ich zu zeigen versuchen, ohne daß diese Untersuchung sich schon jedes Details versichert hätte. Festzustellen, welcher Art die Deleuzesche, hauptsächlich in Differenz und Wiederholung vertretene Auffassung der Idee ist, bedeutet somit festzustellen, daß Hegel für Deleuze (nur) ein Philosoph des Begriffs ist (in der Deleuzeschen Bedeutung des Ausdrucks zur Zeit von Differenz und Wiederholung; hierbei beziehe ich mich nicht auf Was ist Philosophie?). Gemäß einer meines Erachtens entscheidenden Formulierung heißt dies zu zeigen, daß „Hegels Wissenschaft' [...] in engster Berührung mit der wahren Bewegung des Denkens [steht], aber sie auch in höchstem Maße verrät und verfälscht".54 Es bleibt anzumerken, daß Deleuze in derselben Passage gleichfalls auf Leibniz anspielt, der an anderen Stellen auf sehr präzise Weise im gleichen Augenblick Hegel angenähert und von ihm unterschieden wird.55 ,
50 51 52
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54 55
Ebd., S. 251. Ebd., S. 254. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 219. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 363: „Vernunfteinheit ist also nicht Einheit einer möglichen Erfahrung [...]", B 365: „Die aus diesem obersten Prinzip der reinen Vernunft entspringenden Grundsätze werden aber in Ansehung aller Erscheinungen transzendent sein, d.i. es wird kein ihm adäquater empirischer Gebrauch von demselben jemals gemacht werden können." Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 250. In diesem Sinne: Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 341: „Diese Operation [der Anspruch der Repräsentation auf die Eroberung des Unendlichen] wird von einer Methode vollzogen, die eine Monozentrierung aller möglichen endlichen Repräsentationszentren [Hegel in den Augen von Deleuze, der weiter unten, S. 342, schreibt: ,bei Hegel verteilen sich [...] alle Gegenwarten in dem einzigen, stetig sich drehenden Kreis eines Prinzips, das begründet'], eine Konvergenz aller endlichen Perspektiven der Repräsentation garantiert [Leibniz in den Augen von Deleuze, der weiter unten, S. 342, schreibt: ,bei Leibniz ist die Kompossibilität selbst ein Konvergenzkreis, auf dem sich alle Gesichtspunkte [...] verteilen']." Schon in weniger entwickelter Form vgl. S. 75. -
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V. Greifen wir also erneut die Formulierung der Rezension von Hyppolites Buch auf: „Kann man nicht eine Ontologie der Differenz entwickeln, die nicht bis zum Widerspruch zu gehen brauchte, weil der Widerspruch weniger wäre als die Differenz und nicht mehr?"56 Ich werde versuchen zu zeigen, inwiefern ein solcher Satz in Differenz und Wiederholung präzise begründet und untermauert wird. Wenn die Idee, genauer gesagt: jede Idee, denn ein System der Ideen gibt es nicht, sich über die Form einer Problemstellung, als „Bedingung der Möglichkeit" jeglicher Auflösung überhaupt (wenn man will, der Einheit eines Problematischen57), auf ein bestimmtes Vereinheitlichungsmodell bezieht, dann verweist dieses Einheitsmodell nicht auf die Ordnung der Möglichen, was bedeutete, daß der göttliche Verstand die Probleme hervorbringt: Indem er die beste aller Welten auswählt, gibt es eine soll man sagen „göttliche"58? Schöpfung von Problemen. Das setzt voraus, daß man zwischen Virtualität und Aktualisierung der Idee (jeder Idee) eine Beziehung denken muß, die im Verhältnis zur Beziehung zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen völlig heterogen ist.59 Was wiederum beinhaltet, daß die Virtualität der Idee (die in gewisser Hinsicht der Ordnung des Noumenalen zugehört, aber ohne daß deswegen der Gegensatz zwischen sensibel und intelligibel zutreffend wäre) mit der Mannigfaltigkeit selbst der Idee Hand in Hand geht. Wenn wir bei Deleuze diese Beziehung zwischen „Status" oder, genauer gesagt, Funktion der Idee, Virtualität der Idee und Mannigfaltigkeit (der Idee als Differenz der Differenzen) herstellen, werden wir verstehen, in welchem Sinne er, wenigstens nach seiner Vorstellung vom Hegelianismus, kein Hegelianer ist. Nicht nur gibt es keinen Ursprung (das wäre außerdem hegelianisch, man denke gerade an den Anfang der Wissenschaft der Logik*0), sondern keine Einheit, die, auf der Ebene der Idee (so wie Deleuze sie versteht), den Gegensatz, die Negation oder die „ungeheure Macht des Negativen" ermöglicht. -
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Deleuze, Die einsame Insel, S. 23. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 218: „Denn jede Auflösung setzt ein Problem voraus, d.h. die Konstitution eines einheitlichen systematischen Feldes, das die Forschungen oder Befragungen ausrichtet und subsumiert, und zwar derart, daß die Antworten ihrerseits eben Lösungsfalle
bilden." In dieser Hinsicht vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 251: „Darum sind die Probleme nicht von einer Entscheidungsgewalt zu lösen, von einem Tzar, das uns zu halbgöttlichen Wesen macht, wenn es uns durchfahrt. Zählt sich der Mathematiker nicht bereits zum Geschlecht der Götter?" Alain Badiou hebt deutlich die Schwierigkeiten hervor, die die Deleuzesche Auffassung des Virtuellen beinhaltet (Alain Badiou, Deleuze, Zürich und Berlin 2003, S. 70ff), obwohl er anmerkt, daß „das Virtuelle der Ort der Probleme ist, für die das Akutelle Lösungen anbietet." (S. 73) Die Beziehung zwischen virtuell und aktuell zu erhellen, geht also Hand in Hand mit einer aufmerksamen Prüfung der Deleuzeschen Auffassung des Problems, der Problem-Idee. Dagegen scheint die Verwirrung zwischen Univozität des Seins und Einheit des Seins bei Deleuze (ab Seite 26), Leitmotiv des Buchs, durch eine einfache Lektüre der Texte nicht bestätigt werden zu können. Hegel, Werke Bd. 5, S. 65ff (Wissenschaft der Logik, Erstes Buch, Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?). -
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Ich zitiere eine berühmte Formulierung vom Beginn der Wissenschaft der Logik, die Deleuze so befremdet: „Die Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seins und des Nichtseins oder, in selbstreflektierter Form, der Einheit des Unterschieden- und des Nichtanterschiedenseins oder der Identität der Identität und Nichtidentität. Dieser Begriff könnte als die erste, reinste, d.i. abstrakteste Definition des Absoluten angesehen werden."61 Wie kann man die Auffassung einer vollständigen Bestimmung bewahren, sobald man jeglichen Bezug zu welcher einheitlichen Form auch immer zurückweist? (Gegensatz und Widerspruch können nach Deleuze nur unter der Voraussetzung eines Vereinheitlichungsprinzips, wobei die Differenz bezüglich einer Identität Differenz ist, zur Wirkung gelangen.) Wie könnte schon im Voraus eine ursprüngliche Differenz zurückgewiesen werden, und sei sie auch eine „différence", die selbst unter der Form des Heideggerschen Ereignisses62 nur die Abwandlung des Einheitsanspruchs wäre? Um es kurz zu machen, Deleuze ist nicht Derrida63 (selbst wenn die Deleuzesche Auffassung vom „Sein des Sinnlichen"64 eine besondere Erläuterung verdiente). -
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VI. All das aber sollte genauer herausgestellt werden. Noch das einfachste, glaube ich, ist es, das Beispiel der sprachlichen Problem-Idee zu nehmen, mit der zusätzlichen Bemerkung, daß in Differenz und Wiederholung die Bezugnahmen in diesem Bereich vermutlich nicht identisch sind mit jenen, denen man in Tausend Plateaus begegnet.65 Dasselbe gilt nicht so sehr für die mathematischen66, wie für die biologischen67 Bezugnahmen. Was das betrifft, sind die mathematischen Bezugnahmen, insbesondere die Deleuzesche Deutung des Infinitesimalkalküls, schon von dem Mathematikhistoriker Jean-Michel Salanskis auf sehr scharfsinnige Weise aufgegriffen worden.68 In einer Antwort auf den polemischen
Ebd., S. 74. Man beziehe sich auf die „Anmerkung zu Heideggers Philosophie der Differenz", in: Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 93f, die mit einigen Fragen schließt, darunter jene: „Und genügt es darüber hinaus, das Selbe dem Identischen gegenüberzustellen, um die ursprüngliche Differenz zu denken und sie den Vermittlungen zu entreißen?"; vgl. ebenso S. 188, Anm. 13. Es gibt jedoch einen positiven Verweis in Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 164, Anm. 35, aber Deleuze nähert hier nur seine Auffassung des Freudschen Phantasmas jener von Derrida vorgeschlagenen an: Im Grunde sind beide Positionen weder ausdrücklich noch systematisch gegenüber-
gestellt.
Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 334. Vgl. schon S. 84. Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Tausend Plateaus [Milleplateaux, Paris 1980], Berlin 1992: 20. November 1923 Postulate der Linguistik, 587 v. Chr. 70 n. Chr. Über einige Zeichenregime. Hierzu seien die Bedeutung der Untersuchung des Infinitesimalkalküls und seine Deutungen durch Deleuze angemerkt. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 220ff Nur ein Beispiel: die Verweise in Tausend Plateaus auf François Jacob, Die Logik des Lebenden, Frankfurt am Main 2002 (ab S. 21, und genauer von S. 63 an). Vgl. Jean-Michel Salanskis, Idea and destination, in: Deleuze. A Critical Reader, S. 57-80. Wenn -
der
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Philosoph verzaubert ist und hinsichtlich des 4. Kapitels von Differenz und Wiederholung von
Hegel
in der
Denkgeschichte
von
Gilles Deleuze
197
Essay von Sokal und Bricmont69 teilt er darüber seine Bewunderung und seine Vorbehalte mit. Aber die sprachliche Idee70 wird bei ihm nur erwähnt, weshalb ich auf sie an dieser Stelle besonders eingehen möchte. Bevor er „das heute so oft beanspruchte Beispiel der sprachlichen Idee"71 wählt, gibt uns Deleuze einen sehr allgemeinen Satz zu lesen: ,,[D]ie Idee besteht aus reziproken Verhältnissen zwischen differentiellen Elementen, die in diesen Verhältnissen durchgängig bestimmt sind, sie besteht aus Verhältnissen, die nie irgendeinen negativen Term oder eine Relation von Negativität enthält."72 In welchem Sinne muß man die zu hegelianischen, ahnungslosen Linguisten kritisieren, wenn sie „in negativen Begriffen sprechen und dabei die Differentialverhältnisse zwischen Phonemen mit Oppositionsrelationen gleichsetzen"?73 Zu hegelianisch? Ist es nicht Deleuze, der auf derselben Seite schreiben wird: „In Troubetzkoys Klassifikation etwa ist die Opposition derart in koexistierende Verhältnisvarietäten zergliedert und aufder „stärksten Äußerung eines souveränen Geistes" (S. 57) spricht, so ist der Mathematikhistoriker viel reservierter gegenüber einer Unternehmung, die daraufhinausläuft, die mathematische Begrifflichkeit „außerhalb der Quantität" (S. 76) zu denken: „Das Infinitesimal ist eine paradoxe und interne Modulation des Quantitätsbegriffs, und dies nicht zu berücksichtigen, heißt, seine wertvollsten Merkmale zu zerstören." (Ebd.) Dennoch ist es richtig, daß für Deleuze „Differentiale der Alternative endlich/unendlich entgehen" (S. 64), was auf seine Auffassung des Problems und des Problematischen verweist. Alles in allem bedarf es einer erneuten gründlichen Prüfung der bestehenden Beziehung zwischen der Deleuze eigenen Auffassung des Infinitesimalkalküls und jener von Hegel (für J.-M. Salanskis wären sie weniger entfernt, als es scheint, vgl. S. 71). Hier muß ich die Grenzen meiner Arbeit im gegenwärtigen Zustand eingestehen. Die Schlußfolgerung J.-M. Salanskis' ist letzten Endes vorsichtig (S. 77). Vgl. Jean-Michel Salanskis, Pour une épistémolog'ie de la lecture, in: ders., Impostures scientifiques. Les malentendus de l'affaire Sokal, Paris 1998, S. 170, Anm. -Man wird nicht sagen können, daß die Diskussion bis zum Äußersten getrieben wurde: Die Antworten von Sokal/Bricmont, in der 2. Auflage der Impostures intellectuelles, Paris 1997, berücksichtigen nur die Beobachtungen Salanskis', die den Satz von Deleuze „die Grenze [ist] die Macht des Stetigen" (Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 72) betreffen (in diesem Sinne vgl. Sokal/Bricmont, Impostures, S. 220, Anm. 211). Salanskis für seinen Teil aber schlägt in seiner Antwort von 1998 bloß „rasche Richtigstellungen, darauf gerichtet, einige Widersinnigkeiten zu beseitigen" (Impostures scientifiques, S. 180), vor. Andererseits scheint er die Bezüge zum naturwissenschaftlichen Wissen in Differenz und Wiederholung und in späteren Büchern wie Was ist Philosophie? nicht auf dieselbe Stufe zu stellen (vgl. Impostures scientifiques, S. 180, 194). Trotzdem kann man nur in die Richtung von Sokal/ Bricmont gehen, wenn sie die schon von Jean-Toussaint Desanti (La philosophie silencieuse, Paris 1975, S. 43f.) formulierte Kritik, die Hegels Deutung der Differenz zwischen dem Bruch „a/b" und dem Bruch „y2/x" in der Wissenschaft der Logik (Bd. I, in: Werke Bd. 5, S. 294ff.) betrifft, wieder aufnehmen. Mit einem leichten Vorbehalt: der klarste Abschnitt hierzu findet sich in Was ist Philosophie? (S. 140f), aber eine Passage in Differenz und Wiederholung besagt dasselbe, wenn auch in -
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gedrängterer Weise (S. 224f.). Vgl. Salanskis, Idea and destination, in: Impostures scientifiques, Bezug zu den Arbeiten von Gustave Guillaume an. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 258. Ebd., S. 257. Ebd., S. 258. holung, S. 77.
Im -
S. 64. Gleichwohl merkt
er
den
gleichen Sinne erster Verweis auf Troubetzkoy: Deleuze, Differenz und Wieder-
Jean-Pierre Cotten
198
geteilt, daß sie nicht mehr als Gegensatz, sondern viel eher als komplexer oder perplexer differentieller Mechanismus existiert. Ein Hegelianer würde hierin sein Lieblingskind, d.h. die Einheitlichkeit des großen Widerspruchs nicht wiederfinden."74 Hier ist alles da. Mir scheint, eine aufmerksame Prüfung dieser wenigen Seiten von Differenz und Wiederholung wird uns genügend Elemente für eine Antwort auf unsere Fragen verschaffen. Gemäß einem binären Modell, das „die wahre Bewegung des Denkens blockierte" (nach einem von Deleuze gebräuchlichen Ausdruck), kann man nicht zwischen Differenz und Gegensatz wählen. Vielmehr ist der gewissermaßen „substantiierte" oder eher „spatialisierte"75 Gegensatz wie der Schattenwurf eines Prozesses, eines Vorgangs, über den man sich klar werden sollte, gerade indem man den Gegensatz als „bloß von außen gesehenes Schattenloch"76 berücksichtigt. Genauer gesagt vielleicht, indem man die Gegensätze als „schwerfällige approximative Maßstäbe"77 ins Auge faßt. Nehmen wir nun die Deutung, die Deleuze von der Auffassung der Phoneme einiger Linguisten vorschlägt: „Die formale Wechselbestimmung der Phoneme verweist auf diese progressive Bestimmung, die die Einwirkung des virtuellen Systems auf den phonischen
Stoff ausdrückt; und nur wenn man die Phoneme abstrakt betrachtet, d.h. wenn man das Virtuelle auf ein bloßes Mögliches reduziert hat, haben ihre Relationen die negative Form eines leeren Gegensatzes und besetzen nicht mehr die differentiellen Positionen um eine Schwelle. Die Ersetzung des Prinzips distinktiver Opposition durch ein Prinzip differentieller Position ist der grundlegende Beitrag von Guillaumes Werk."78 Deleuze benutzt hier ganz klar die Untersuchungen von Edmond Ortigues aus seinem Buch Le discours et le symbole, und man kann ihm, bei der Lektüre dieses Buchs, nicht vorwerfen, dessen Erläuterungen nicht streng genug wiederaufzugreifen. Nicht nur muß man, wie es seiner Ansicht nach Trubetzkoy macht, den Gegensatz pluralisieren (das wäre unzureichend für Deleuze), denn diese Pluralisierung verteilte Gegensatz und Widerspruch „auf verschiedene Figuren, die noch und trotz allem die Form des Negativen bewahren".79 Man muß hinter „einer Pluralität von koexistierenden Oppositionen" die „noch tiefgreifendere Entdeckung [...], die Entdeckung der Differenz, die das Negative und den Gegensatz selbst als Schein im Verhältnis zum problematischen Feld einer positiven Mannigfaltigkeit entlarvt"80, zum Vorschein bringen, dieses „problematische Feld", das genau die Idee im Sinne von Deleuze ist. Derart „blockierte" der Hegelianismus das Denken.
74 75 76 77
78 79
80
Ebd., S. 258. Vgl. ebd., S. 333f. Ebd., S. 259. Ebd., S. 257f. Ebd., S. 260. Ebd., S. 259. Ebd.
Hegel in der Denkgeschichte von Gilles Deleuze
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VII. Betrachten wir also nochmals die sprachliche Idee als virtuelle Struktur, als ein Problem, worauf sich die tatsächlich existierenden Sprachen wie „Lösungsfalle" (was Erfindung voraussetzt) beziehen. Man darf nicht die Differentiation in der Ordnung des Virtuellen (differentiation) mit der Differenzierung in der Ordnung des Aktuellen (différenciation) verwechseln. Diese virtuelle Struktur ist genau dadurch gekennzeichnet, daß ihre Elemente nicht im Raum, im Raum der Repräsentation verteilt sind. Wenn man die „differentiellen Elemente" (die Phoneme), die „Differentialverhältnisse" (die distinktiven Merkmale) oder noch den „Wert von singulären Punkten, der in dieser Bestimmung von den Phonemen angenommen wird (relevante Besonderheiten)"81, berücksichtigt, findet man nach Deleuze weder Gegensatz noch Widerspruch. Dagegen ist es völlig legitim, eine Genese, gar eine Genealogie des Gegensatzes, des Widerspruchs, der Negation und, gewissermaßen, der Negativität ans Licht zu bringen. Denn die „Opposition, alles andere als autonom, als ein Maximum an Differenz, ist eine minimale Wiederholung im Verhältnis zur Differenz selbst".82 In bestimmter Weise setzte man an die Stelle der Differenz „als Realität eines virtuellen multiplen Feldes", also von „Mikroprozessen in jedem Gebiet" das, was nur „summarische Resultate" oder „vereinfachte [...] Prozesse"83 sind. Eine Vereinfachung, die sich, quasi-notwendig, auf den Standpunkt des repräsentativen Bewußtseins bezieht, was Deleuze herauszustellen versucht, indem er zwei Standpunkte über die Sprache unterscheidet. Ungefähr so, wie er in Nietzsche und die Philosophie einen aktiven und einen reaktiven Standpunkt unterscheidet: Einzig der aktive, schöpfende Standpunkt bejaht die Differenz in gänzlich positiver Weise.84 Deleuze unterscheidet hier zum einen die Seite desjenigen, „der spricht und den Sinn festlegt", zum anderen die „kleine Seite der Sprache", desjenigen, „der zuhört, der nicht einmal richtig verstanden hat". Der Standpunkt desjenigen, der falsch verstanden hat, also der Standpunkt „des aktuellen Bewußtseins und der aktuellen Repräsentation", führt in „die transzendentale Erforschung der Idee des sprachlichen Unbewußten" die völlig negative Deutung der Differenzen wieder ein. Derjenige, der „nicht einmal richtig verstanden hat, der zwischen mehreren möglichen aktuellen Versionen zögert, [versucht], sich darin wiederzuerkennen' [...], indem er Gegensätze aufstellt".85 Der gewissermaßen aktive Standpunkt, der Standpunkt desjenigen, der den Sinn festlegt (wie der Nomothet), beraubt die Differenz nicht „ihrer eigenen Dichte", als ob die Differenz als Gegensatz gelesen werden könnte. Das wird vielleicht deutlicher verständlich durch die Prüfung der Unterscheidung zwischen zwei Nicht-Sein auf sprachlicher Ebene selbst: auf der einen Seite das „diskor81 82
Ebd., S. 258. Ebd., S. 259, Anm. 21, mit einem Verweis auf Gabriel Tarde.
Dieser Punkt wird schon vorher in einer wichtigen Anmerkung (S. 107f.) verdeutlicht. Ebd. Vgl. das gesamte zweite Kapitel, Aktiv und reaktiv, in: Deleuze, Nietzsche und die Philosophie, S. 5-80. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 259. -
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Jean-Pierre Cotten
200
dantielle" Nicht-Sein, wie das expletive ,ne' in einem Satz der Art „il est plus grand que ta ne penses" (er ist größer, als du denkst), wobei Deleuze vom „mè on" spricht; und, genau genommen, auf der anderen Seite die Negation („ne pas"), wobei er vom „ouk on" Edmond Ausdruck einen wird von besten es Am Ortigues, der dieselben sein, spricht.86 wieder aufzunehmen: Guillaume wie Gustave „Das diskordantielle verwendet, Begriffe NE ist eine immanente Negation, die einzig einen Prozeß bewirkt, wohingegen das Präklusiv eingreift als transzendente und resultierende Negation, die die Vollendung dieses negativen Prozesses markiert."87 Um diesen entscheidenden Punkt gut zu verstehen, empfiehlt es sich jedoch, auf die Auffassung der Problem-Idee, der „virtuellen Struktur" zurückzukommen und Problem und Hypothese nicht zu verwechseln. Wenn Deleuze den Satz „x ist nicht"88 untersucht, dann bringt er auf Satzebene eine Negation ans Licht. Im Gegensatz dazu befinden wir uns auf der dialektischen Ebene (in der ganz eigenen Bedeutung von Deleuze) keineswegs auf einer Satzebene: „Es ist der Sachverhalt des ,Gestellt'-Seins [être ,posé'] (und damit des Bezogenseins auf seine Bedingungen, des völligen Bestimmtseins), der die Positivität des Problems konstituiert. Freilich erzeugt das Problem unter diesem Gesichtspunkt die Sätze, die es als Antworten oder Lösungsfälle verwirklichen. Diese Sätze repräsentieren ihrerseits Bejahungen, deren Gegenstände Differenzen sind, die den Verhältnissen und Singularitäten des differentiellen Feldes entsprechen."89 Gerade aber die „Positivität der Idee als différentielle Position und [die] Affirmationen, [die] Bejahungen, die sie erzeugt, durch die sie verkörpert und gelöst wird", darf man nicht verwechseln. In diesem Sinne „wird die Affirmation [als Bejahung von Differenz] durch die Positivität des Problems als différentielle Position hervorgebracht".90 Alles hängt offenbar an der Deleuzeschen Auffassung des Problems, der Problem-Idee, der Idee als Problematisches. Und vermutlich wird auch diese Auffassung selbst wiederum problematisch sein.91 Dennoch wäre das Negative und der verneinende Satz „Dies ist nicht der Fall" -, von einem Standpunkt aus, den man als „repräsentativ" bezeichnen könnte (der die Natur selbst der Bejahung verkeimt), „der Schatten des Problems auf den erzeugten Affirmationen; neben der Affirmation hält sich die Negation wie ein ohnmächtiger Doppelgänger, ...
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Ebd., S. 334.
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et le symbole, Paris 1962, S. 107. Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 257: „Als Satz des Bewußtseins wird jede dieser Hypothesen von einem negativen Doppelgänger flankiert: Wenn das Eine ist, wenn das Eine nicht ist... wenn schönes Wetter ist, wenn kein schönes Wetter ist... Das Negative ist eine Illusion, weil die Form der Negation zusammen mit den Sätzen auftaucht, die das Problem, von dem sie abhängen, nur insofern ausdrücken, als sie es verfälschen, seine tatsächliche Struktur verbergen. Sobald das Problem in eine Hypothese übersetzt ist, wird jede hypothetische Bejahung von einer Negation verdoppelt, die nun den Status des durch seinen Schatten entstellten Problems repräsentiert."
Ebd., S. 334f. Ebd., S. 335. Eine Prüfung, die die Fähigkeiten eines Mathematikhistorikers erforderte, der in gründlicher Weise die Stichhaltigkeit des Bezugs zur Auffassung des Problems bei Albert Lautmann (auf den Deleuze ausdrücklich verweist, vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 228, Anm. 8) untersucht, wäre hier sehr willkommen. Der erste, schon zitierte Artikel von J.-M. Salanskis, veröffentlicht 1996, legt einige Bemerkungen über diesen Punkt vor.
Hegel
in der
Denkgeschichte von Gilles Deleuze
201
legt aber für eine andere Macht Zeugnis ab, für die Macht des wirkkräftigen und fortbestehenden Problems".92 Vom Standpunkt des repräsentativen „menschlich, allzumenschlichen" Bewußtseins aus wird, nach der Terminologie von Deleuze, das mè on zum ouk on.
Es könnte dazu eine bergsonianische und eine nietzscheanische Analyse angestellt werden. Wie Deleuze von 1954 an schreibt, ist der Widerspruch für ihn und allein „der phänomenale und anthropologische Aspekt der Differenz". Und das, wenn ich sagen darf vom Standpunkt des Nietzscheschen Übermenschen (dies das Bekannteste, ich halte mich also dabei nicht auf) oder von diesem „,halbgöttlichen' Zustand aus, wo der Mensch den Taumel und die Angst nicht kennt", um einen Artikel von Merleau-Ponty, „Bergson se faisant"93, zu zitieren. Die Annäherung scheint mir nicht übertrieben: In der Textsammlung Mémoire et vie versammelt Deleuze in der letzten Abteilung Aufsätze von Bergson, die sich auf „Die conditio humana und ihre Überwindung" beziehen.94 Demzufolge ist die Stellung des Problems gewissermaßen mehr als menschlich, der Raum der Repräsentation ist „menschlich, allzumenschlich". In diesem Sinne und mit gutem Recht kann Juliette Simont das Hegeische Modell des Gewitters95 dem Deleuzeschen Modell des Blitzes gegenüberstellen.96 Und daher wird letztlich das Denken Hegels (Denken der Negation, des Negativen, des Widerspruchs) dem sicherlich nicht-, gar a-kantischen Gerichtshof einer „transzendentalen Dialektik" unterworfen sein, die im Anschluß an eine sehr eigenwillige „Analytik" einen Bereich ans Licht bringt, der dem, was Deleuze selbst eine „transzendentale Illusion"97 nennt, zugehört. -
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VIII. Um diesen Punkt abzuschließen: ich habe
Darlegungen, die sich im 4. Kapitel von Diffeund Wiederholung begegnen, gewählt, die mir im Ganzen mehr zu erläutern, wenn nicht mehr auszudrücken scheinen. Auch räume ich ein, daß man sich an die Untersuchungen, die sich im ersten Kapitel finden, hauptsächlich S. 66-76, hätte halten können, wo der Name und die Lehre Hegels gegenwärtiger sind und Deleuze ausdrücklich eine renz
Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 335. Wieder aufgenommen in: Maurice Merleau-Ponty, Signes, Paris 1960, S. 237. Vgl. Henri Bergson, Mémoire et vie, hg. von Gilles Deleuze, Paris 1963, S. 127-139. Vgl. z.B. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Bd. II, in: Werke Bd. 9,
§287. Vgl. Juliette Simont, Hegel et Deleuze: la [sic] statut de la différence en dialectique, in: HegelJahrbuch, Zweiter Teil, Berlin: Akademie, 1998. Eine bezeichnende Formulierung drückt es so aus: „Die Andersheit an sich selbst zur Geltung bringen [...] läuft, philosophisch, im Grunde darauf hinaus zu versuchen, in eine Welt vor dem Menschen einzutauchen." (S. 301) Für eine breitere Darlegung vgl. dies., Essai sur la quantité, la qualité et la relation chez Kant, Hegel, Deleuze, Paris 1997, Kap. V: Orages (Hegel/Deleuze). Vgl. Deleuze, Differenz und Wiederholung, S. 333: „Die Repräsentation ist der Ort der transzendentalen Illusion [...] Denn das Denken zieht sich hinter ein ,Bild' zurück, bestehend aus Postulaten, die dessen Gebrauch und Genese verfalschen. Diese Postulate gipfeln in der Setzung eines identischen denkenden Subjekts als Identitätsprinzip für den Begriff allgemein." Vgl. ebenso S. 334f. -
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202
Jean-Pierre Cotten
Passage aus „C. Der Widerspruch" des zweiten Kapitels des zweiten Buchs der Wissenschaft der Logik zitiert, die mit diesem Satz beginnt: „Der Unterschied überhaupt ist
schon der Widerspruch an sich.'m Meines Erachtens versteht man, in einer Art Rückblick, den theoretischen Reichtum besser, wenn einmal das 4. Kapitel erreicht ist. Ich gestehe sogar James Williams zu, wie er es in seinem kritischen, gänzlich Differenz und Wiederholung gewidmeten Überblick zeigt, daß die Untersuchungen dieses Kapitels unvollständig bleiben, wenn man es vom folgenden, die „asymmetrische Synthese des Sinnlichen"99 betreffenden Kapitel isoliert. Aber auf dessen Details einzugehen ist für unsere Absicht nicht unbedingt erforderlich. Ich werde mich also an die vor 1968 veröffentlichten Schriften halten, um eine bestimmte Antwort auf die Frage, die der Titel meines Beitrags stellt, anzubieten. Die Bedingungen selbst der theoretischen Arbeit veränderten sich nach 1968 tiefgreifend, und eine ganz andere Untersuchung wäre erforderlich, die ich hier nicht einmal in der Form eines Entwurfs vorzuschlagen vermag. So scheinen die Bemerkungen von Deleuze ab den 70er Jahren stets polemischer Natur: In gewisser Hinsicht ist Hegel für Deleuze eine geregelte Sache. Sehr deutliche Formulierungen machen Hegel zu dem, was man zu diesem Zeitpunkt einen Abstoßungspunkt nennen kann: „Irgendjemand muß schließlich die Rolle des Verräters spielen", 1969 oder „Wer von uns hat nicht in sich selbst Hegel und Marx und die infame Dialektik sterben lassen?", 1974.100 Das tat der Stichhaltigkeit der schönen Untersuchung von Catherine Malabou keinen Abbruch, die, weit davon entfernt, Differenz und Wiederholung nicht zu kennen ganz im Gegenteil -, ihre Aufmerksamkeit genauer auf einen Text richtet, der über meinen corpus hinausgeht: Tausend Plateaus.m Eine Untersuchung der Auffassung des Begriffs selbst und der Begriffsschöpfüng in Was ist Philosophie? könnte uns ebenso zu einer Untersuchung eines anderen Stils führen. Man müßte an dieser Stelle z.B. eine Passage aus „Die Bedingung der Frage: Was ist Philosophie?", erschienen am 8. Mai 1990 in der Zeitschrift Chimères™2 und gleichsam den Verweis im Text vom September 1995, „Die Immanenz, ein Leben", auf einen späten a- und/oder nicht-hegelianischen Fichte, wenn nicht gar auf einen Maine de Biran der letzten Periode eingehend behandeln.103 Aber das ist eine andere Geschichte. -
Ebd., S. 69; G. W F. Hegel, Wissenschaft der Logik, in: Werke Bd. 6, S. 65. Vgl. James Williams, Gilles Deleuze 's Difference and repetition, a critical introduction and guide, Edinburgh 2003, Kap. 6: What is an idea?, S. 140. Deleuze, Die einsame Insel, S. 208, 416. Vgl. Catherine Malabou, Who's afraid of ,Hegelian Wolves'?, in: Deleuze. A Critical Reader, S. 114-138. Mit Veränderungen wieder aufgenommen in: Deleuze/Guattari, Was ist Philosophie?, S. 17: „Hegel hat dem Begriff durch die Gestalten seiner Erschaffung und die Momente seiner Selbstsetzung eine starke Definition verliehen [...] Hegel zeigte damit, daß der Begriff nichts mit einer allgemeinen oder abstrakten Idee zu tun hat [...] Dies geschah aber um den Preis einer unbestimmten Ausdehnung der Philosophie, die die unablässige Bewegung der Wissenschaften und Künste kaum bestehen ließ, weil sie Universalien mit ihren eigenen Momenten wiederherstellte und die Personen ihrer eigenen Schöpfung nur mehr als gespensterhafte Statisten behandelte." Vgl. Deleuze, Schizophrenie und Gesellschaft, S. 367. Hierzu vgl. eine interessante Analyse von Christian Kerslake (The Vertigo of Philosophy: Deleuze and the Problem of Immanence, in: Radical
Hegel
in der
Denkgeschichte von Gilles Deleuze
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Auswirkung der „wirklichen GePhilosophiegeschichte als eine Art „Zwangsjacke" ausgibt, der er unterworfen war; daß er sich von den Bezügen zu und der Ehrfurcht vor den „großen Vorfahren" befreit, ist allseits bekannt. Die Kritik des „Theorizismus" bei Louis Althusser nach 1968 ist, wenn nicht identisch, so doch wenigstens vergleichbar, wenn auch in völlig anderer Hinsicht. Aber es wäre notwendig, die Wirksamkeit dieser neuen Umstände, die aus Hegel, den man mit einer gewissen Verachtung ablehnt, eine Art Hintergrundgestalt machen, besser zu umreißen. Ohne daß damit schon die schwierige Frage nach der Stellung des Theoretischen, d.h. nicht mehr nach der Idee, sondern nach dem Begriff geklärt wäre, also die Frage nach einer Arbeit des nicht-hegelschen Begriffs, die aber gleichwohl eine Arbeit des Begriffs, von der Deleuze definitiv und entschiedenermaßen niemals abgesehen hätte, darstellt. Trotz der polemischen, ein wenig selbstgefälligen Formulierungen, ist die kritische Distanz, auf die ich in Differenz und Wiederholung versucht habe hinzudeuten, vielleicht nicht vollständig verschwunden. Und außerdem noch? Dies wäre Gegenstand einer anderen Arbeit, welcher eine einem absichtlich begrenzten Textkorpus, einigen schwierigen und sehr reichhaltigen Abschnitten aus Differenz und Wiederholung entgegengebrachte Aufmerksamkeit hier nur als bescheidene Einführung gedient haben wird. Was man herausstellen müßte, ist die massive schichte": Daß Deleuze nach 1968 seine Praxis der
Aus dem Französischen
von
Christian Driesen
Philosophy 113 (2002), S. 10-23), von wo aus weitergegangen werden könnte: Die Immanenz von Differenz und Wiederholung ist nicht die „Immanenzebene" des letzten veröffentlichten Textes. Warum?
Warren Breckman
Die Rückkehr des
Königs
Radikaldemokratische Adaptionen eines Hegelschen Motivs bei Jean-Luc Nancy and Slavoj Zizek Das Werk von Slavoj Zizek, des slowenischen Philosophen, Psychoanalytikers und Kulturkritikers, hat von Anfang an die Konvergenz von Hegel und Jacques Lacan herausgestellt. Lacan und Hegel: Dies sind die zwei intellektuellen Polarsterne, die Zizek den Weg durch das Dickicht seiner außergewöhnlich weitreichenden und vielfältigen Themen gewiesen haben, Themen, die von den esoterischsten philosophischen Fragen bis zu den niedrigsten Dimensionen populärer Kultur reichen. Zählt man die vielen Bücher dieses
produktiven Intellektuellen, glaubt man kaum, daß es nur zwanzig Jahre her ist, seit Zizek sein erstes Buch veröffentlicht hat, Le Plus Sublime des Hystériques. Hegel Passe. Der Titel dieses Buchs erlaubt mir, schon im Vorfeld dem Einwand entgegenzutreten, Zizek sei ja nun gar kein Franzose und gehöre daher kaum in einen Band zum „französischen Hegel". Trotz seiner slowenischen Herkunft ist der „Riese von Ljubljana" jedoch so grundlegend von französischer Theorie geprägt worden, daß ich mich befugt fühle, ihn
durchaus als Teilnehmer am französischen Diskurs zu behandeln. In diesem Artikel möchte ich nun eine der am wenigsten behandelten Dimensionen von Zizeks obsessiver Paarung von Hegel and Lacan diskutieren. Ich denke dabei an Zizeks wiederholten Gebrauch von Hegels Theorie des Königs in jener Gruppe von Büchern, die sein Debüt als Figur von internationaler Statur markiert haben. In den zwischen 1988 und den frühen 1990er Jahren erschienenen Büchern tritt der Hegeische Monarch immer wieder auf. Innerhalb von Zizeks Denken ist der Hegeische Monarch ein überraschender Protagonist. Denn Hegels Theorie des Monarchen gilt als das am wenigsten überzeugende Element in dessen politischer Philosophie und kaum relevant für die zeitgenössische Appropriation von Hegels Denken. Warum darf Hegels Monarch, so möchte ich daher fragen, in Zizeks Werk seinen Thron wieder besteigen? Um darauf eine Antwort zu finden, möchte ich drei Stadien durchlaufen: Als erstes diskutiere ich Aspekte der historischen Rezeption von Hegels Theorie, um damit einen Rahmen für meine Annäherung an Zizek zu schaffen. An diese historische Erläuterung anschließend werde ich mich zweitens en detail der Behandlung des Hegelschen Monarchen durch Jean-Luc Nancy widmen, einem Philosophen, dessen Denken grundlegend
Warren Breckman
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Martin Heidegger und Jacques Derrida beeinflußt ist. Nancys umfangreicher Artikel „La juridiction du monarch hégélien" von 1982 eröffnet uns einen aufschlussreichen Zugang zu Zizeks Gedankengebäude. Zum Abschluss meiner Diskussion werde ich dann im dritten Abschnitt Zizeks wiederholten Gebrauch des Hegeischen Monarchen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren untersuchen. Ich werde dabei die systematische Funktion beleuchten, die dem Monarchen in Zizeks Bemühen zukommt, seine Polarsterne Hegel und Lacan zu vereinen. Ich werde zugleich nachzuweisen suchen, daß die Figur des Monarchen eine zeitgenössische politische Bedeutung erhält, ein Faktum, das unmittelbar aus zeitpolitischen Umständen erwuchs. Denn schließlich präsentierte Zizek dasjenige Buch, in dem dieses Thema am prominentesten vorkommt nämlich For They Know Not What They Do ursprünglich Vorlesungen im Wintersemester 1989/1990 in Ljubljana, also in jener turbulenten Periode zwischen der Generalversammlung der Jugoslawischen Republik im Januar 1990 und dem Referendum im Dezember 1990, das überwältigend die slowenische Unabhängigkeit unterstützte. Dies war für Zizek und viele andere Slowenen ein Moment voller utopischer Hoffnungen, aber auch voller Gefahren.
von
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I. Seit der Veröffentlichung der Grundlinien einer Philosophie des Rechts im Jahr 1819 hat Hegels Theorie des Monarchen so gut wie niemanden zufriedengestellt. Hegels Rechtfertigung der Monarchie scheint einer jener seltenen Fälle zu sein, in denen Hegels unermüdliche Suche nach Vermittlung einem bloß politischen Kompromiß zum Verwechseln ähnlich sieht. Zum einem macht sich Hegel ausdrücklich die Annahme zu eigen, daß die modernen Werte subjektiver Freiheit und Selbstbestimmung ihre objektive Form in den Institutionen des als ein Ganzes konzipierten Staates finden. Von diesem Standpunkt aus scheint Hegel den ureigensten Impuls der Französischen Revolution gutzuheißen, nämlich die Zertrümmerung der Logik personaler Macht, jener Logik politischer Verkörperung, die dem Sonnenkönig die Erklärung erlaubte: „L'état c'est moi." Dieses revolutionäre Projekt einer Trennung von Politik und Person scheint Hegels Verständnis des Staates als einer rationalen Totalität unpersönlicher Gesetze und Institutionen weiter zu vertiefen. Auf der anderen Seite begegnen wir jedoch in Hegel einem Insistieren auf der Erbmonarchie, die an der Spitze einer konstitutionellen Ordnung steht und den Staat als solchen verkörpert. Es erscheint uns geradezu absurd und für einen Philosophen der absoluten Vernunft undenkbar, das Gebäude des Staates auf dem biologischen Zufall der Geburt aufzurichten. Die Zweideutigkeiten von Hegels Versuch, zwei offensichtlich unterschiedliche politische Logiken zu verbinden, riefen beinahe unverzüglich scharfe Opposition hervor, man denke an die Auseinandersetzungen im Preußen der 1830er und 1840er Jahre. Für überzeugte Monarchisten war Hegels Monarch höchstens ein Schatten wahren König-
gesehen hat Hegel in seiner Rechtsphilosophie dem König nur eine formale Rolzugeschrieben. Hegels Logik zufolge benötigte die Souveränität des Staates, wenn sie von der abstrakten Idee zur konkreten Aktualität fortschreiten sollte, eine Subjektivität', die ihrer selbst sicher ist, sowie einen Willen, der ,grundlos' ist, das heißt, wirklich fähig zur Selbstbestimmung durch einen Akt freier Entscheidung. Subjektivität' erreicht ihre Wahrheit allein als ein Subjekt; daher verlangt Souveränität ein Subjekt, eine Person, um tums. So
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die Kräfte der Selbstbestimmung und Entscheidung auszuüben. Wenn der Staat jedoch eine rationale Totalität ist, dann liegt der Ort des Überlegens und der Entscheidung in den Institutionen und Vertretern des Staates. Der König ist somit ein reiner „Ja-Sager." Aus diesem Grund beschuldigte der konservative Denker Friedrich Julius Stahl Hegels politische Philosophie als eine Art,Ultra-Gouvernementalismus'. Als sich um 1840 herum die Bewegung der Linkshegelianer formierte, verschärfte Stahl seinen Angriff, indem er vor Hegels Monarchen als einem Trojanischen Pferd warnte, in dem sich das republikanische Argument verberge, demzufolge die Souveränität im Volk wohnhaft sei. ' Unter den Progressiven wiederum ging die Kritik gerade in die entgegengesetzte Richtung. 1840 zählte Arnold Ruge Hegel unter all die vielen Konservativen, die den Monarchen als „die Staatsperson" anbeteten, welche die Totalität des Staates in der unmittelbaren Einheit seiner Person verkörpert.2 In der Tat betrachtet Ruge Hegel als den Schlimmsten von allen, da die Reaktionären schlichtweg an das rohe Faktum der Macht appellierten, während Hegel durch Vernunft ein unhaltbares System zu verteidigen suchte. Wiederum wurde Hegels Monarch zum Trojanischen Pferd, dieses Mal jedoch für die Konterrevolution. Der junge Karl Marx legte mit einer umfassenden Kritik von Hegels Rechtsphilosophie nach. Marx attackierte Hegel für eine doppelte Mystifikation: erstens verschleiere die Auffassung des Staates als Bestimmung des Begriffs das wahre demokratische Fundament des Staates; und zweitens werde der Monarch zum politischen „Gott-Menschen", als mystische Personifikation der Staatsidee buchstäblich zum politischen Jesus Christus, und daher ein Hindernis für die Entwicklung der menschlichen Gemeinschaft zur „wahren Allgemeinheit".3 Die französische Diskussion von Hegels politischer Philosophie erreichte erst nach mehreren Jahrzehnten ein Niveau an Detailkenntnis, das nuanciert genug war, um die Zweideutigkeit wahrhaft zu registrieren, die in Deutschland bereits um 1840 vorhanden war. Und in der Tat erhielt die Rechtsphilosophie, Bernard Bourgeois zufolge, vor 1870 in Frankreich nur wenig Aufmerksamkeit.4 Obwohl einige differenzierte Interpretationen von Hegels politischer Philosophie existieren, überwog doch bis weit in zwanzigste Jahrhundert hinein die Tendenz, Hegel wegen seines „politischen Pantheismus" oder Panlogismus anzuprangern, demzufolge das Individuum in die Totalität des organischen Staates absorbiert und dabei im absoluten Staat die individuelle Freiheit zermalmt würde. Die erste Übersetzung der Rechtsphilosophie erschien erst 1940, ein Jahrzehnt später gefolgt von der zu diesem Zeitpunkt detailliertesten Studie, Eric Weils Hegel et l'Etat. 1
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Friedrich Julius Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. 2: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage Christlicher Weltanschauung, Teil I: Die Allgemeinen Lehren und das Privatrecht, Nachdruck Hildesheim 1963, S. 80. Arnold Ruge, Zur Kritik des gegenwärtigen Staats- und Völkerrechts (1840), in: Die Hegeische Linke, hg. v. Ingrid and Heinz Pepperle, Leipzig 1985, S. 163. Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx-Engels Gesamtausgabe, 1. Abteilung, Band 2 (Berlin 1982), insbesondere S. 25^13. Vgl. W. Breckman, Marx, the Young Hegelians, and the Origins ofRadical Social Theory. Dethroning the Self Cambridge 1999, S. 287. Dazu ferner Breckman, Die Entthronung des Selbst. Marx, die Junghegelianer und der Streit um den Begriff der Persönlichkeit, in: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie (2002/1), S. 5-30. Bernard Bourgeois, Etudes hégéliennes. Raison et décision, Paris 1992, S. 373.
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Die ernsthafte Auseinandersetzung mit Hegels Theorie des Monarchen brachte aber zugleich auch wieder deren Zweideutigkeit an die Oberfläche. Daher versuchte Eric Weil durch die Betonung der bestimmenden Rolle der Staatsbürokratie den Vorwurf zu entkräften, Hegel sei zum politischen Absolutismus des ancien régime zurückgekehrt. Doch diese Verteidigung geschah auf Kosten einer Vernachlässigung der zentralen Rolle des Monarchen in Hegels Denken, die Bernard Bourgeois in seiner zuerst 1976 erschienenen Studie zum ,prince hégélien' nachzuweisen versucht hat. Das hier wichtige Argument von Bourgeois ist der Aufweis, daß die Entscheidungsbefugnis des Monarchen keine reine Formalität darstellt. Das heißt, der Akt der Entscheidung kann nicht auf die Gründe reduziert werden, die den Inhalt dieses Akts organisieren, was in Hegels konstitutioneller Staatsordnung bedeutet, daß kein noch so substantieller Rat seitens der Ratgeber diese souveräne Entscheidung produzieren kann.5 Statt die linkhegelianische Beschuldigung dieser persönlichen Dimension zu akzeptieren, endet Bourgeois bezeichnenderweise mit einer Betonung des Bands zwischen der Personalisierung von Macht und der Partizipation von Personen in Angelegenheiten des Gemeinwesens. „Hegelsche Rationalität", schreibt er, „ist nicht das einer abstrakten Struktur, sondern das eines konkreten Subjekts".6 Die alles durchdringende Präsenz der Subjektivität in Hegels Modell, schlußfolgert er, beugt sich nicht den hastigen und parteiischen Versuchen, Hegel als totalitären Denker zu stilisieren. 1976 muß sich Bourgeois selbst in der Minderheitsposition gefühlt haben, denn Frankreich war zu diesem Zeitpunkt bewegt von dem, was als ,anti-totalitärer Moment' bekannt geworden ist. Dieser Moment war tatsächlich der Zusammenbruch des Marxismus als vorherrschender Glaube französischer Intellektueller. Desillusionierung der Erfahrung von 1968, Zersplitterung der Linken, Enthüllungen über das sowjetische System der Gulags: all dies beförderte den weitreichenden Rückzug des Marxismus. ,Totalitarismus' wurde zum Schlagwort der politischen Erfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts, sowie der Anziehungskraft totalisierender Bedeutungssysteme auf französische Intellektuelle. Die spektakulärste Manifestation des neuen Zeitgeistes waren die Nouveaux Philosophes, deren wenig subtile öffentliche Erklärungen die alten Beschuldigungen gegen Hegel wiederbelebten. So verknüpfte beispielsweise André Glucksmann in Die Meisterdenker (Les Maîtres Penseurs) Hegel direkt mit den stalinistischen Lagern. Glücklicherweise gab es auch andere, subtilere und reflektiertere Stimmen in diesem anti-totalitären Moment. Ich denke dabei vor allem an Claude Lefort, der seit seinen Studententagen in den späten 1940ern im Namen einer radikalen Demokratie gegen den Kommunismus sowjetischer Prägung Opposition bezogen hatte. Fern von den schrillen Tönen der Nouveaux Philosophes lieferte Lefort einen grundlegenden Beitrag zur Neubelebung des demokratischen Denkens in Frankreich. Leforts Behauptung, daß der Platz der Macht mit dem Kollaps des Monarchen zum lieu vide, zum leeren Platz, werde, die keine Person wirklich besetzen oder personifizieren kann, ist heute zu so etwas wie einem Gemeinplatz demokratischer Theorie geworden. Leforts Darstellung von Demokratie als beispiellosem Abenteuer, als einer politischen Ordnung, die ihren gründenden Anker verloren hat und einen kontingenten, offenen Prozeß von Selbsterfindung in Gang setzt, fand vor zwanzig Jahren die 5
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Ebd., S. 231. Ebd., S. 238.
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Zustimmung vieler Intellektueller. Das Gleiche kann gesagt werden von Leforts Analyse einer in der Demokratie verankerten Versuchung, einen Schlußpunkt für dieses Abenteuer zu finden, bei dem der leere Platz der demokratischen Macht durch eine Partei, einen Führer oder Le Peuple (Das-Volk-als-Einheit) wiederbesetzt würde. Dies bringt uns zurück zu Slavoj Zizek, Jean-Luc Nancy und beider Beschäftigung mit der Problematik von Hegels Monarchen. Ich glaube, daß dieses Interesse am Monarchen in der Frage des Totalitarismus begründet ist, wie sie sich im Frankreich der 1970er
und frühen 1980er Jahre artikulierte. Natürlich war dieser Einfluß auf Zizek nur aus größerer Ferne wirksam, nicht nur weil er jünger ist als Nancy, sondern auch, weil bei Zizek das französische Nachdenken über den Totalitarismus mit seiner eigenen Erfahrung des jugoslawischen Kommunismus sowie des Zusammenbruchs des Sowjetblocks verschmolz. Beide, Zizek wie Nancy, wurden von diesem Kollaps und der Hinwendung zur Frage der Demokratie geprägt; zugleich machte die Totalitarismuskritik die Frage der politischen Inkarnation beziehungsweise Verkörperung für beide aktuell. Schließlich wird der Konflikt zwischen Demokratie und Totalitarismus, in der einflußreichen Perspektive von Claude Lefort, letztlich dadurch entschieden, ob wir uns der politischen Körpermetapher widersetzen oder dieser erliegen.7 Für beide, Nancy wie Zizek, wirft der Monarch die generelle Frage auf, wie Macht und soziale Union einen Körper erhalten, wie deren Inkarnation in irgendeiner Form ihre Gestalt findet. Für viele vom anti-totalitären Moment geprägte Intellektuelle führte diese Frage zu einer Verteidigung des liberalen Individualismus; für Nancy und Zizek war sie weit eher Teil des Versuchs, im Anschluß an den kollabierten Marxismus eine radikaldemokratische Politik zu imaginieren. Zizek und Nancy stehen daher auf einer gemeinsamen Basis, auch wenn sie defacto den Topos des Monarchen in durchaus unterschiedlicher Weise entwickelten.
II. Unter den bedeutenden dekonstruktivistischen Denkern der 1980er Jahre war Jean-Luc Nancy vermutlich der politischste. Unter dem Einfluß von Heidegger und Derrida war Nancy einer der schärfsten Kritiker einer Philosophie des Subjekts, und sein Werk wurde in den 1980ern von dem Bemühen beherrscht, eine neue Vision der Politik jenseits ihrer angeblichen Einschränkungen und Gefährlichkeit für die Subjektivität zu formulieren. Eine der frühesten und wichtigsten dieser Arbeiten ist der 1982 erschienene Artikel „La juridiction du monarch hégélien". Der Artikel offenbart auf der allerersten Seite die Wichtigkeit anti-totalitärer Sensibilität, wenn Nancy allgemein die Behauptung billigt,
Nancy wird normalerweise nicht mit Claude Lefort assoziiert, und in der Tat gehörten beide in den frühen 1980er Jahren ziemlich unterschiedlichen Kreisen an. Doch ergab sich ein konkreter Kontaktpunkt zwischen Nancy und Lefort im Kontext des „Centre de recherches philosophiques sur le politique", das Nancy und sein Kollege Philippe Lacoue-Labarthe an der Ecole Normale Supérieure im November 1980 gründeten. Das Centre bestand nur für zwei Jahre, aber produzierte zahlreiche interessante Beiträge von Nancy und Lacoue-Labarthe wie auch von deren Gästen wie Claude Lefort, Etienne Balibar, oder Jacques Rancière. Viele dieser Artikel wurden publiziert in den zwei Bänden Rejouer le politique (1981) und Le retrait du politique (1983). Es war innerhalb dieses Kontexts, daß Lefort mit „La Question de la démocratie" eine wichtige Exposition seiner Anschauungen präsentierte.
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Hegels Rechtsphilosophie sei der „Gedanke des totalitären Staats selbst, insofern als es der Gedanke der sozialen Totalität als Organismus oder als der organische Lebenscharakter des Subjekts sei, der der Geist des Volks sei, der wiederum, gemäß der Geschichte, die Erfüllung des Selbstbewußtseins des Weltgeistes' ist".8 Nancy will hier jedoch nicht nur ein Klischee wiederholen. Vielmehr bewegt sich seine Interpretation in zwei Richtungen und führt auf der einen Seite zu dem Beweis, daß Fragen der ,Union' oder ,Beziehung' Grenzfragen jeder Philosophie sind, wenn sie im Subjekt gründet; auf der anderen Seite führt sie zu einem neuen Denken über Beziehung und Gemeinschaft, welches die Dekonstruktion von Hegels Monarchen eröffnet. Nancys Analyse konzentriert sich auf die sich aus Hegels Versuch ergebende Unmöglichkeit, den Monarchen als die Erfüllung des wahren Gehalts und Ziels des Staates als „Vereinigung als solcher" zu konstruieren.9 Der Monarch erfüllt die Union nicht als ein Element innerhalb des Ganzen, sondern vielmehr durch seine einzigartige Fähigkeit, das Ganze in seiner Person zu präsentieren. Er ist buchstäblich der Staat, aber als etwas Zusätzliches, nicht als Individuum unter anderen, sondern als jenes Individuum, dessen persönliche Einheit die Union veranlaßt, als Einheit zu existieren. Nancy schreibt: „Der Monarch ist die Erfüllung der Beziehung als eine Beziehung zu sich selbst."10 Weit entfernt von der Lösung des Beziehungsproblems macht die Vorstellung, daß die Beziehung aller sich in der einzigartigen Selbst-Beziehung des Monarchen erfüllt, die Problematik umso dringlicher und das „Rätsel der Inkarnation der Beziehung" umso sichtbarer." Statt sich dem Problem der Beziehung zu öffnen, setzt Hegel die Gestalt des Monarchen, die vollkommene Verkörperung von Subjektivität, als die Wahrheit der Union. Diese Logik kann „vor allem als die Totalisierung des Subjekts der Subjekte und deren Union" verstanden werden. Von dieser Feststellung ausgehend stellt Nancy die universellere Behauptung auf, daß die Politik der Subjektivität immer versuchen wird, der Gemeinschaft eine Gestalt, einen Körper zuzuweisen, ihr somit eine Identität zuzuweisen, die Heterogenität eindämmt. „Demnach", argumentiert Nancy, „sind der Monarch, die Partei oder der Anführer (dieses Wort findet sich in § 280) gleichbedeutend: das Wesen des totalitären Staates liegt in der Subjektivität und in der Organizität begründet, die seine Struktur und seinen Prozeß ausmachen. Der Monarch ist das Organ oder Superorgan der Organizität selbst, des sich selbst bestimmenden Grundes des § 278, welcher endlich (dialektisch) der Grund der Grundlosigkeit selbst ist."12 Nancy dehnt seine Kritik sogar -
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auf die liberale Demokratie aus, und damit auf Claude Lefort, da dieser den „weichen" Totalitarismus westlicher Demokratien unterschätze.13 Damit verkehrt Nancy auf frappierende Weise den schon länger bestehenden Vorwurf, Hegels Staat sei eine unpersönliche Totalität, die das Individuum überwältige, in sein Gegenteil. Erinnern wir uns daran, daß Bernard Bourgeois 1976 gerade auf diese Anklage zu antworten versucht hatte, indem er 8 9 10 11 12 13
Jean-Luc Nancy, La juridiction du monarque hégélien, in: Rejouer le politique, Paris 1981, S. 53. Ebd., S. 54. Ebd., S. 59. Ebd., S. 71. Ebd., S. 87. Siehe dazu Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe, Le ,retrait' du politique, in: Le retrait du politique, Paris 1983, S. 183-198.
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die Bedeutung der subjektiven Dimension von Hegels Königskonzeption hervorhob. Nun ist es bei Nancy eben dieser Versuch, die Union als solche in der Gestalt des Subjekts zu aktualisieren, die ihn den totalitären Impuls bei Hegel erkennen läßt. Nancy geht jedoch nicht so weit, mit dem Klischee von Hegel als totalitärem Denker zu enden. Stattdessen schließt er mit dem Argument, Hegel eröffne die Möglichkeit einer ,JJis-organisation totalitärer Politik". Denn zwischen der Totalität der Subjektivität und der monarchischen Individualität ist „genauso viel dialektische Verbindung wie absoluter Bruch". Der Monarch in seiner Einzigartigkeit ist etwas Zusätzliches, denn in der organischen Totalität des Hegelschen Staats fehlt der Monarch; als Individuum ist er von der Totalität ausgenommen, übertrifft diese oder bleibt überständig. Wenn die Individualität des Monarchen die Union vollendet, so geschieht dies allein durch Separation. Die Stillstellung von Individualität verursacht somit die Unvollständigkeit der Beziehung. Wie jedoch Nancy klarstellt, ist Unvollständigkeit der Beziehung die Beziehung selbst, da diese als abgeschlossene nicht länger Beziehung wäre, sondern einfache Identität. Unerwartet erhebt sich hinter der Gestalt des Königs als des Schlußsteins der sozialen Union die Figur der Trennung, welche die Unvollständigkeit der Beziehung verkörpert, das heißt, der eigentlichen Beziehungsmöglichkeit. Kurz gesagt, erblickt Nancy im vollzogenen Ausdruck einer durch das Subjekt totalisierten Politik eine Unmöglichkeit und darin einen Verweis auf eine andere Denkweise über Beziehung und Gemeinschaft jenseits imaginierter Verschmelzung und Identität, d.h. jenseits der Unterwerfung unter das Subjekt. Der Artikel endet mit einem utopischen, ja prophetischen Aufruf nach einem solchen Denken, und eröffnet damit den Raum jener Themen, die Nancys am meisten gelesenes Buch, La communauté désoeuvrée von 1986, beherrschen.
III.
Slavoj Zizeks Orientierung weicht stark von derjenigen Nancys ab. Nancys Lesart der Monarchie weist wesentliche Züge des Dekonstruktivismus auf: Nancy nimmt die Existenz konstituierter Identitätsparameter nur auf, um sie im nächsten Schritt zu unterminieren. Wie Zizek über Jacques Derrida schreibt: „Derrida bleibt ein Gefangener der [...] Vorstellung, die auf eine Befreiung der Heterogenität von den Zwängen der Identität abzielt."14 So läßt sich ein Unterschied zwischen Zizek und Dekonstruktivisten wie Derrida oder Nancy genauer bestimmen: Wo sich die Dekonstruktivisten um die Zersetzung der inneren Festigkeit von Identität bemühen, kehrt Zizek dieses Verfahren um und zeigt, auf welche Weise die Flüssigkeit des Seins in einen Punkt regloser, fixierter Identitätmit-sich-selbst übergeht. Anders gesagt: Der Dekonstruktivist geht von der Annahme eines Universalen aus, dessen Unmöglichkeit durch den Nachweis zu belegen ist, daß es defacto nur ein Begriff innerhalb einer Kette von Begriffen ist. Kein Element kann dominieren, weil die Bedeutung jedes einzelnen durch alle anderen in einer Bewegung endloser Verschiebungen immer wieder neu kodiert wird. Im Gegensatz dazu sieht Zizek das Universale stets als ein besonderes Element innerhalb einer Reihe, dessen besonderer Slavoj Zizek, For They Know Not S. 88.
What
They Do. Enjoyment as a Political Factor, London 1991,
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besteht, den leeren Platz der Reihe selbst einzunehmen. Auch dieser Platz ist sollte man hinzufügen, da das ,Universale' als solches, als die wahre Totalität aller leer, Elemente der Serie nicht existiert. Lacan folgend weist Zizek die pluralistische, relativistische Position der Postmoderne zurück, und pflichtet Lacans Überzeugung bei, daß „in jeder konkreten Konstellation Wahrheit gebunden ist, in irgendeinem zufälligen Detail zutage treten wird".15 In Hegelschen Begriffen gesprochen, macht sich Zizek Hegels Idee des „konkreten Universalen" eigen, das heißt, eines Universalen, das nicht verschieden von oder bloß äußerlich verwandt mit dem Besonderem ist, sondern vielmehr ein Universales, das seine Verkörperung im Besonderen findet. Natürlich würde eine strenge Auslegung Hegels wahrscheinlich nahelegen, wie es der Philosoph Charles Taylor getan hat, das konkrete Universale als eine „Manifestation der in der spezifischen Idee eingeschriebenen Notwendigkeit" anzusehen, und zudem als eine „notwendige Manifestation, das heißt, [sie] kann als [von der Idee] postuliert betrachtet werden".16 Wie anfangs ausgeführt, erhob Karl Marx genau hiergegen Einwände, als er Hegels Monarch angriff, ja in der Tat Hegels gesamte Staatskonzeption als eine mystische Ableitung aus der Idee denunzierte. Zizeks Rückgriff auf Hegel entfernt sich vom Buchstaben der Philosophie Hegels: Einerseits lehnt Zizek die Vorstellung ab, daß ein ,abstrakt Universales' als solches existieren könne; andererseits besteht er darauf, daß alle konkreten Universale als solche allein Produkte eines zufälligen und willkürlichen Prozesses seien. In Zizeks Werk der späten 1980er und frühen 1990er Jahre fungiert Hegels König als privilegiertes Beispiel jedweden Prozesses, durch den ein partikulares Element innerhalb einer Reihe das Universale erschafft. Kritiker haben Hegel immer schon die Positionierung eines nicht-rationalen, biologisch bedingten Menschen an der Spitze eines rationalen Staates vorgeworfen. Der entscheidende Punkt hier ist aber, nach Zizek, gerade der Abgrund, der den Staat als organische rationale Totalität von dem „irrationalen' factum brutum der Person, welche die höchste Macht verkörpert", trennt. 17Als politischer Akteur, der nur „Ja" zu sagen und den Punkt aufs „I" zu setzen hat, hat der Monarch häufig nicht mehr zu tun „als mit seinem Namen zu unterschreiben". Wie Hegel jedoch betont, ist „dieser Name [...] wichtig: es ist die Spitze, über die nicht hinausgegangen werden kann".18 Die gesamte Autorität und Realität des Monarchen besteht somit in diesem Namen, also in einem Signifikanten. Zizek hält fest: Daher „verkörpert der Monarch [...] die Funktion des Master-Signifier in ihrer reinsten Form; es ist die eine Ausnahme des irrationalen' Vbrstehens des sozialen Gebäudes, das die amorphe Masse des ,Volks' in eine konkrete Totalität der Sitten verwandelt".19 Zizek behandelt dieses als spezifisches Beispiel eines allgemeineren Prozesses, der seine klarste Formulierung in The Sublime Object of Ideology findet: „Es ist das Universale selbst, das konstituiert wird durch die Subtrahierung eines Partikularen von einer Reihe von Partikularen, welche das Universale als solches verkörpern sollen: das Universale erhebt sich [...] in dem Akt einer radikalen Spaltung Wert darin
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Ebd., S. 196.
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Charles Taylor, Hegel, Cambridge 1975, S. 113. Zizek, For They Know Not What They Do, S. 82. Ebd., S. 82. Ebd., S. 83.
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Königs
des
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zwischen dem Reichtum partikularer Vielfalt und dem Element, das in der Mitte davon, dem Universalen einen Körper' gibt."20 Die Weise, in der der Monarch diesen Prozeß erfüllt, wird anschaulicher, wenn wir bedenken, daß der Monarch defacto die einzige natürliche Person in der Gemeinschaft ist. Er ist der Ort und Zizek zitiert hier Hegel wo „die Natur Zuflucht sucht; er ist der letzte Rest, als ein positiver Rest eine Familie von Fürsten ist die einzige positive Familie alle anderen Familien müssen zurückgelassen werden andere Individuen haben Wert allein insofern, als sie enterbt sind, insofern als sie sich selbst gemacht haben".21 Der Monarch ist daher eine einzigartige Koinzidenz von reiner Kultur und einem Rückstand der Natur. Durch diese einzigartige Konsubstantialität von Kultur und Natur in seiner Person treibt der Monarch in jedem anderen einen Keil zwischen Kultur und Natur. Die Gestalt des Monarchen projiziert somit alle anderen aus organischen, natürlichen Bindungen von Familie und Tradition hinaus in eine Gemeinschaft sich selbst erschaffender Subjekte. Daher fungiert der Monarch als ein Master-Signifier, der ein soziales Feld organisiert, in welchem der ,Geist' und nicht die Natur bestimmend ist. Wenn wir uns Nancys Interesse am Monarchen als Umsetzung der Union als solcher in Erinnerung rufen, so sehen wir, wie sehr sich Zizeks Herangehensweise unterscheidet. Für Zizek ist es gerade der Umstand, daß Hegels Monarch die Dialektik überschreitet, oder noch genauer, die dialektische Vermittlung zwischen ,Natur' und ,Geist' oder ,Individuum' und ,Totalität' kurzschließt, was das Funktionieren der Dialektik ermöglicht. Von dem Argument ausgehend, daß „der Staat als eine rationale Totalität allein insofern existiert, als er in der reglosen Präsenz des königlichen Körpers verkörpert ist", bietet Zizek eine allgemeinere Aussage über Hegels Dialektik an: „das größte spekulative Mysterium der dialektischen Bewegung ist nicht, wie Reichtum und Vielfalt der Realität auf eine dialektische begriffliche Vermittlung reduziert werden kann, sondern der Umstand, daß dieses dialektische Strukturieren sich selbst, um stattzufinden, in einem gänzlich zufalligen Element verkörpern muß."22 Diese Betonung des Zufälligen nimmt unmittelbare politische Bedeutung an. Es sollte jetzt klar sein, daß Zizeks Hegelaneignung bei aller Brillanz nur teilweise mit Hegel zu tun hat. Ich will damit sagen, daß Zizek nicht nur das Bild Hegels als „Monisten" emphatisch ablehnt. Er zeigt auch nicht an, daß es so etwas wie eine Spannung in Hegels Denken zwischen der Überwindung von Widersprüchen und der ruhelosen Negativität, Zufälligkeit und Notwendigkeit gibt.23 Für Zizek liegt der Wert des dialektischen Verfahrens in dessen Kraft, Entstehungsmomente zu enthüllen, wobei „die geschichtliche Notwendigkeit einer ,Positivisierung' oder ,Gerinnung' einer radikal zufälligen Entscheidung"24 aufkommt. Angesichts dieser Sichtweise erstaunt Zizeks Behauptung wohl kaum, daß die „wahren politisch-philosophischen Erben Hegels solche Autoren sind, die die politische ,
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Zizek, The Sublime Object ofIdeology, London, 1989, S. 44. Zizek, For They Know Not What They Do, S. 83. Zizek, The Sublime Object ofIdeology, S. 183. Siehe Ernesto Laclau in: Judith Butler, E. Laclau, S. Zizek, Contingency, Hegemony, Universality, London 2000, S. 75. Zizek, For They Know Not What They Do, S. 189.
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für jede etablierte Ordnung konstitutiven Exzesses annehmen".25 Führend unter diesen sei Carl Schmitt, wie Zizek sagt. Schmitts Einfluß kommt selbst in Zizeks ffühesten Arbeiten zum Vorschein. Seine Beschreibung der zufälligen Verwandlung des Partikularen in das Universale ruht ganz auf dem Schmittschen Konzept eines gewalttätigen Gründungsakts. So steht ein radikal zufälliger, skandalöser Akt der Gewalt am Anfang des neuen Master-Signifier. Und dieser Akt hat in dem Moment ,Erfolg', in dem er seine eigene Vergangenheit, seine eigenen Bedingungen, seinen schändlichen Charakter verhüllt.26 Der neue Master-Signifier wird daher naturalisiert, notwendig, Teil der Ordnung der Dinge. Indem die anfängliche Gewalt in Vergessenheit gerät, beginnen sich die Menschen mit dem Master-Signifier zu identifizieren. Er wird zu einem Fantasieobjekt, das ein Versprechen auf Abschluß oder sogar den Schlüssel dazu zu besitzen scheint. Im Sprachgebrauch Lacans ist dieses Versprechen das objet petit a, ein elusives Objekt der Begierde: das Ding. Dies schafft die Bedingungen für eine seltsame Transsubstantiation des Monarchen, wobei der König zum Ding, zum erhabenen Körper wird bzw. wobei die Subjekte handeln, als ob er das verkörperte Ding sei. Die zeitgenössische Relevanz dieses Denkens wird deutlich, wenn Zizek bemerkt, daß wir „innerhalb der postrevolutionären totalitären' Ordnung Zeugen eines Wiederauftauchens des erhabenen politischen Körpers in Form von Führer und/oder Partei geworden sind". Im „postdemokratischen" Totalitarismus werden die Revolutionäre vollständig zu Instrumenten der objektiven historischen Ordnung oder von deren Gesetzen; und dadurch verdoppelt sich der Körper des Revolutionären selbst und nimmt eine erhabene Qualität an. Deshalb Stalins Schwur vor den Bolschewiken: „Wir, die Kommunisten, sind Menschen von einer besonderen Form. Wir sind aus besonderem Stoff gemacht." Daher die unheimliche Verbindung von Kommunismus und Mausoleum, der obsessive Zwang, den Körper des toten Führers intakt zu konservieren. „Wie", fragt Zizek, „können wir diese zwanghafte Pflege erklären, wenn nicht durch einen Hinweis auf den Umstand, daß in ihrem symbolischen Universum der Körper des Führers nicht nur ein gewöhnlicher vergänglicher Körper ist, sondern in sich selbst verdoppelter Körper, die Umhüllung eines
Logik eines
Erhabenen?"27
Wie kann man einen solchen Körper umbringen? Königsmord ist eines der wiederkehrenden Motive in For They Know Not What They Do. Dieses ist bezeichnenderweise ein Buch, das aus Vorlesungen vor einem Publikum hervorging, das sich anschickte, symbolisch eine objektive Ordnung, symbolisch einen Master-Signifier zu beseitigen. Ende 1989 hatten Sloweniens Nachbarn in Rumänien ihren Führer exekutiert, nachdem ihn ein hastig einberufenes revolutionäres Tribunal der Verbrechen gegen das Volk für schuldig befunden hatte. Zizek bleibt jedoch skeptisch, ob der Königsmord wirklich sein eigentliches Ziel erreichen kann. Um dies zu illustrieren, zitiert er Lacans Interpretation von Hamlet. Warum tötet Hamlet Claudius nicht? Will er nicht Claudius auf solche Weise treffen, daß er durch den Angriff auf dessen materiellen Körper dem ,Ding' in diesem, dem erhabenen Königskörper einen Schlag versetzt? „Was hält Hamlets Arm zurück?" -
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Zizek, The Ticklish Subject. The Absent Centre of Political Ontology, London 1999, S. 113. Zizek, For They Know Not What They Do, S. 189. Ebd., S. 260.
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es ist, weil er hat nichts als Verachtung für den Typ Die Jakobiner erkannten muß als da anderes treffen was daß ist."28 etwas er das, weiß, diese seltsame Verbindung und weigerten sich zu Recht, zwischen der empirischen Person und dem symbolischen Mandat des Königs zu unterscheiden. Zizek beurteilt diesen historischen Königsmord negativ, denn er erscheint ihm als ein „impotentes acting out, das zugleich exzessiv und leer ist". Die Enthauptung des Königs war fundamental überflüssig und ein erschreckendes Sakrileg, das das Charisma des Königs gerade durch das Mittel seiner physischen Zerstörung bestätigt. Zizek behauptet, der gleiche Effekt wirke in allen ähnlich gelagerten Fällen, einschließlich der Exekution von Nicolae Ceausescu: „Konfrontiert mit den Bildern seines blutbefleckten Körpers zukken selbst die größten Widersacher seines Regimes zurück, als ob sie Zeugen exzessiver Grausamkeit wären, doch zugleich durchzuckte sie eine seltsame Angst, vermischt mit Ungläubigkeit: Ist es wirklich er?"29 Ich kann nicht umhin zu denken, daß etwas Ähnliches in der amerikanischen Öffentlichkeit am Werk war, als Gerüchte über Saddam Husseins zahlreiche Doppelgänger zirkulierten. Mit größter Ernsthaftigkeit untersuchten Kommentatoren Bilder und Stimmenaufzeichnungen daraufhin, ob es sich wirklich um Saddam handle, ohne daß die Unzahl positiver Indizien das Fernsehbild mit dem evasiven Körper des Führers zusammenzukitten vermochte. Wie kann man nun einen solchen Körper umbringen? Nach Karl Marx müssen wir das symbolische System zerstören, in welchem einige Männer Könige sind; aber Zizek ist zu sehr Psychoanalytiker, um nicht zu glauben, daß ein Kaiser ohne Kleider nicht weiterhin ein Fantasieobjekt sein könne. Letztlich entspringt Zizeks Antwort der Psychoanalyse Lacanscher Prägung, noch genauer: dem Prozeß ,going through the fantasy', d.h. die Fantasie zu durchleben. Der späte Jacques Lacan definiert Fantasie nicht als Flucht, sondern als Art und Weise, auf die wir unsere Realität konstruieren, indem wir den Mangel an Sein, die Unmöglichkeit unseres Verlangens, durch ein Fantasieobjekt ergänzen. Für Zizek wird der „letzte Moment [des psychoanalytischen Prozesses] durch ein durchleben der Fantasie' definiert: nicht ihre symbolische Interpretation, sondern die Erfahrung des Faktums, daß das Fantasieobjekt, durch seine faszinierende Gegenwart, nur einen Mangel ausfüllt, eine Leere im Anderen. Es gibt nichts ,hinter' der Fantasie; die Fantasie ist eine Konstruktion, deren Funktion es ist, die Leere zu verbergen, dieses ,Nichts' das ist, den Mangel im Anderen."30 Kurzum, das Andere hält keinen Schlüssel zur Bedeutung bereit. Die politische Bedeutung dieses Ansatzes erscheint klar. Das Durchleben der Fantasie würde uns ermöglichen, uns von der Tyrannei des politischen Meisters zu befreien und uns für unsere eigene politische Erfindung zu öffnen. Tatsächlich aber ist Zizeks demokratisches Engagement zweideutiger. Ganz zu Beginn seiner Karriere stellte sich Zizek enthusiastisch hinter das Projekt einer radikalen Demokratie', wie sie aufs engste mit den sich selbst als „postmarxistische Philosophen" bezeichnenden Chantal Mouffe
fragt Lacan. „Es ist nicht Furcht
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und Ernesto Laclau assoziiert wird. In ihrem bedeutenden Buch Hegemonie und radikale Demokratie von 1985 (dt. 2000) schöpfen Laclau und Mouffe explizit aus Claude Le28
Ebd., S. 256.
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Ebd.
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Zizek, The Sublime Object ofIdeology, S. 133.
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forts Beschreibung demokratischer Erfahrung. Claude Lefort hatte argumentiert, daß die Demokratie die symbolische Dimension der Politik durch die Zerstörung der Verkörperungs- bzw. Inkarnationslogik verwandelt. Ihr Zentrum bildet nun ein lieu vide, ein leerer Platz. Für Radikaldemokraten wie Ernesto Laclau oder Chantal Mouffe läßt sich dieser Verlust des Fundaments in die Möglichkeit eines kontingenten, offenen Ringens um die Ausdehnung der Bedeutung und der Reichweite von Demokratie übertragen. Zizek assoziierte sich damals selbst mit dieser Politik. Faktisch schlug Zizek aber schon in seinen frühen Büchern einen anderen Pfad ein. Man denke nur an seine Diskussion der Jakobiner im letzten Kapitel von For They Know Not What They Do. Zizek beschreibt darin die ,tragische Größe' der Jakobiner in ihrer Weigerung, den leeren Platz der Macht einzunehmen. An Leforts Beschreibung des jakobinischen Terrors anschließend vermerkt Zizek, daß sich die Jakobiner selbst als die Hüter jenes leeren Platzes aufstellten. Sie hinderten damit jeden an einer Usurpation des lieu vide, den sie gegen falsche Prätendenten verteidigten. Reserviert jedoch der Hüter, fragt Zizek, nicht für sich selbst einen privilegierten Platz, „funktioniert er nicht als eine Art König-im-Rückwärtsgang [...]?" Das heißt, ist nicht die Position, von der aus er handelt und spricht, die Position absoluter Macht? „Ist das Beschützen des leeren Orts der Macht nicht die schlauste und gleichzeitig brutalste, bedingungsloseste Weise, diesen zu besetzen?"31 An diesem Punkt kehrt Hegels Monarch auf andere Weise wieder, dieses Mal als spekulative Lösung des jakobinischen Dilemmas. Anders gesagt: Den leeren Ort der Macht beschützen sowohl Hegels Monarch wie der jakobinische Terrorist. Jedoch tut der Monarch dies nur als leeres, formales Mittel, das zugleich den gegenwärtig Ausführenden der Macht daran hindern muß, sich selbst unmittelbar mit dem Ort dieser Macht zu identifizieren. So schreibt Zizek: „Der ,Monarch' ist nichts weiter als eine positive Setzung, eine Materialisierung der Distanz, die den Ort der Macht von denen, die sie ausüben, trennt."32 Der Monarch unterbricht somit den Teufelskreislauf von „Demokraten, die sich ad infinitum die Köpfe abschneiden." Wer mit Hegels Diskussion des Monarchen vertraut ist, mag hier durchaus Protest anmelden wollen, weil bei Hegel der Monarch seiner Macht nicht annähernd so entkleidet ist wie Zizek behauptet. Mein Interesse richtet sich jedoch weniger auf die Genauigkeit von Zizeks Lesart als vielmehr auf die systematische Funktion des Monarchen in Zizeks Denken. Jede Politik zielt darauf ab, ihre Ansprüche zu totalisieren, ringt darum, dem kontingenten Partikularen universalen Status zu geben. Jede Politik zielt darauf ab, das soziale Feld um einen Master-Signifier herum zu organisieren. Zizek ist weit entfernt von den postmodernen Verfechtern einer endlos pluralistischen, heterogenen, relativistischen Demokratie, wie wir sie in Jean-François Lyotards Kritik einer Politik des Konsensus sehen, auch in Jean-Luc Nancys „communauté désoeuvrée", oder in Derridas „démocratie à venir". Zizeks Politik verlangt nach einem Etwas im Zentrum, nach einem Etwas am Ort der Macht. Natürlich befürwortet er explizit, daß der Meister so weit wie möglich von der tatsächlichen' Regierungsgewalt getrennt sei. In diesem Sinne könnte gelten: je dümmer, desto besser, obwohl es fraglich bleibt, ob Zizeks Beispiel von Ronald Reagan als 31 32
Zizek, For They Know Not What They Do, S. 268f. Ebd., S. 269.
Die Rückkehr des Königs
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dummem Meister den Glauben des slowenischen Philosophen an die Trennung von symbolischem Kopf und Ort der eigentlichen Herrschaft eher unterstützt oder torpediert. Wir treffen somit in Zizeks Konstruktion auf ein Rätsel: in dem gleichen Moment, in dem Zizek auf dem Ausfüllen des lieu vide besteht, zielt seine analytische Methode darauf ab, uns unserer fantasmatischen Investition in das Andere zu entkleiden. So wie das durchleben der Fantasie' den psychoanalytischen Patienten ,mittellos' läßt, das heißt, ohne die fantasmatischen Stützen seiner Subjektivität, so scheint der Prozeß des Durchlebens der politischen Fantasie gleichfalls einen Zweifel an allen Master-Signifier zu kreieren. Wie reagiert Zizek auf dieses Rätsel? In einem 1991 publizierten Aufsatz „Formal Democracy and its Discontents" schreibt er: „Wir müssen eine Art,aktiver Vergeßlichkeit' annehmen, indem wir die symbolische Fiktion akzeptieren, auch wenn wir wissen, daß ,die Dinge in Wirklichkeit nicht so sind'. Die demokratische Haltung basiert stets auf einer gewissen fetischistischen Spaltung: Ich weiß sehr wohl (daß die demokratische Form nur eine von pathologischer' Unausgeglichenheit befleckte Form ist), but just the same doch ganz gleich (Ich handle, als ob Demokratie möglich wäre)."33 Man ersetze ,Penis' oder ,Brust' für ,Demokratie' in Zizeks Formel ,Jch weiß sehr wohl [...] doch ganz gleich", und man sieht, warum dies eine Formel für Fetischismus ist. Indem er auf einer Verbindung von Demokratie mit der Logik des Master-Signifier besteht, schließt Zizek von vornherein andere Arten, Demokratie zu denken, aus, bzw. noch genauer: er schließt das Bedürfnis aus, andere Formen und Typen von Demokratie zu kombinieren. Wenn es unmöglich ist, die Elemente demokratischer Gesellschaft in den empirischen Institutionen öffentlichen Lebens zu verkörpern, dann ist es wichtig, sich einzugestehen, daß alle Typen demokratischer Institutionen Formen der Ausgrenzung beinhalten, Grenzen der Diskussion, Quellen der Asymmetrie unter den Beteiligten. Die Gestalten, die das Nicht-Demokratische innerhalb der verschiedenen Typen der Demokratie annimmt, unterscheiden sich erheblich. Es scheint mir daher prinzipiell höchst wünschenswert, innerhalb eines gegebenen konstitutionellen Rahmens verschiedene Typen demokratischer Institutionen und Prozesse zu kombinieren (wie direkte und repräsentative, zentralistische und föderale, zivile und politische).34 Zu Beginn der 1990er Jahre schien Zizek kaum an einer derart pluralistischen Konzeption von Praktiken und Institutionen interessiert zu sein, und optierte stattdessen für ein fetischistisches Engagement in einem einzigen Master-Signifier. Diese Tatsache mag erklären, warum Zizeks politisches Denken solch eine verstörende Wende genommen hat. Denn durch die ganzen neunziger Jahre hindurch, als seine Opposition gegen einen globalen Kapitalismus sich verschärfte und er wieder zum Marxismus gravitierte, begann Zizek mehr und mehr darauf zu bestehen, der Master-Signifier des heutigen „globalen kapitalistischen Universums" sei „Demokratie".35 Statt die hegemoniale Identifikation von Demokratie mit kapitalistischer Globalisierung infragezustellen, hat sich Zizek selbst zum -
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Zizek, Formal Democracy and its Discontents, in: Looking Awry. An Introduction to Jacques Lacan through Popular Culture, Cambridge 1991, S. 168. Andrew Arato, Dilemmas Arising from the Power to Create Constitutions in Eastern Europe, in: Constitutionalism, Identity, Difference, and Legitimacy. Theoretical Perspectives, hg. v. Michel Rosenfeld, Durham 1994, S. 171f. Zizek, The Rhetorics of Power, in: diacritics (2001) S. 96.
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Gegner der Demokratie erklärt. Einer der eher perversen Aspekte dieser antidemokratischen Haltung ist sein neuester Aufruf, zu Lenin zurückzukehren, dem wir doch gerade Good-Bye gesagt haben. Es sieht so aus, als ob die fetischistische Anhänglichkeit an formale Demokratie für Zizek nicht länger eine überzeugende Option darstellt. Gleichzeitig scheint die Fetischstruktur in Zizeks Denken fortzubestehen. In diesem Zusammenhang fällt uns eine andere Fetischformel ein, der alte Schrei der Royalisten: „The king is dead, long live the king." Aus dem
Englischen von Cordula Grewe
V.
Hommage
Joachim Wilke
Freund Jacques D'Hondt Unseren Austausch über den französischen Hegel verdanken wir im Grunde einem alten Freund, Jacques D'Hondt, Jahrgang 1920, Emeritus der Universität Poitiers, angesehener Nestor der französischen Hegel-Forschung und spiritus rector noch der gegenwärtigen Debatten um Hegel in Frankreich. Von 1982 bis 1995 war D'Hondt Präsident der Französischen Gesellschaft für Philosophie, von 1988 bis 1996 zugleich auch der internationalen Assoziation der Gesellschaften für Philosophie in französischer Sprache (ASPLF). Die ASPLF hatte unter der so tatkräftigen wie konzilianten Präsidentschaft D'Hondts rapide expandiert. Seit den 1990er Jahren war sie außer in Antarktika und Australien auf allen Kontinenten und in fast allen Ländern präsent, Ostasien einbegriffen, mancherorts mit mehreren Gliedgesellschaften, die einen regional, andere nach ihren philosophischen Interessen und Leitsternen differenziert, manche auf Kant, weitere auf Hegel und Marx oder z.B. auf Gabriel Marcel orientiert, doch alle vereint im Streben nach Vernunft in deren vielfältigen Konnotationen, nach Frieden in der Welt, nach Freundschaft und gegenseitiger Achtung unter den Denkern, wie das seit 1900 zu den Fundamentalien der ASPLF und ihrer Vorläufer gehört. Selber hatte ich nach dem Mauerfall das Glück, seit 1990 an diesem Austausch partizipieren zu können. Angeregt von Jacques D'Hondt, investierten meine Frau und ich, beide „abgewickelte" DDR-Philosophen, unsere je 100 D-Mark „Begrüßungsgeld" und noch etwas dazu in die für uns erste West-Kongreßreise. Sie führte zum historisch genannten ASPLF-Kongreß in Hammamet (Tunesien), dem ersten auf dem Boden der Dritten Welt. Die Sympathien, die uns entgegenschlugen, waren bewegend, und das nicht im landläufigen, sondern im eigentlichen Wortsinn: Sie bewegten und bewegen uns weiterhin zu transkontinentalen Kooperationen. Afrika und die Afrikaner spielen für uns persönlich dabei Hauptrollen. Schwierig wurde es für mich 1992, auf dem ASPLF-Kongreß in Poitiers. Freund D'Hondt verwies mich dort auf die seltsame Lücke im transkontinentalen Gewebe der
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ASPLF, die im Herzen Europas bestand. Ausgerechnet in Deutschland, Partner im viel-
beschworenen deutsch-französischen Europa-Motor, gab es keine Gliedgesellschaft der ASPLF, keine Vereinigung, die unabhängig von staatlichen Vorgaben, in freier Gesel-
ligkeit, Institutionen, Professionen, Disziplinen übergreifend Philosophie in französischer Sprache pflegen würde. Was aber sollte ich daran ändern? In Deutschland war ich faktisch abgemeldet. Um ein angearbeitetes Projekt zur Vernunft im Frankreich des Vorjahrhunderts fortführen zu können, hatte ich dort 1991 Zuflucht unter einem wissenschaftlichen Dach gefunden in Paris, bei Georges Labica, am CNRS. Die Lichtstadt blieb mein geistiger Hafen. Im Herkunftsland mußte ich D'Hondts dringliche Anregung weitergeben, an noch beschäftigte Kollegen meines alten Instituts. Einer war bereit. Doch an seiner ersten neuen Stelle wurde er zurückgewiesen („das dient nur dem französischen Nationalismus"), an der zweiten mitsamt dem Forschungsinstitut abgewickelt. Betrübten dortigen Kollegen sagte er: „Beim erstenmal, da tut's noch weh ..." Zum ersten Sammelband meiner CNRS-Projektgruppe steuerte er noch einen soliden Aufsatz bei, dann ging er ins Ausland, in die Wirtschaft. C'est la vie des philosophes. Und ich suchte weiter. Auf dem nächsten ASPLF-Kongreß konnte ich, abends vor der Kathedrale von Lausanne, meinen früheren Institutskollegen Hartmut Hecht für die Anregung interessieren. Hartmut hatte noch Arbeit, auch Beziehungen in der BRD. Gemeinsam mit Michel Simondon, Sohn des mit D'Hondt befreundeten Technikphilosophen Gilbert Simondon und damals an der Französischen Botschaft tätig, kam Hartmut nach Mühen endlich zum Erfolg, bei Günter Abel an der TU Berlin. Ich bin beiden sehr dankbar. 1996, auf dem großen Descartes-Kongreß der ASPLF in Paris, durfte ich für die in Gründung begriffene DGFP deren Aufnahme in die internationale Assoziation beantragen. Einstimmige An-
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nahme! Im Januar darauf konstituierten wir uns. Unser Initiator hatte die Führung der ASPLF auf dem Pariser Kongreß an Jean Ferrari übergeben, den Kantianer. Ich erinnere mich weiter an D'Hondts brillante Abschiedsrede im Gebäude der UNESCO, namentlich an seinen Dank an Bernard Bourgeois, den Übersetzer der Hegelschen Enzyklopädie, der ihn bereits von der Führung der Französischen Gesellschaft für Philosophie entlastet und nun in deren Namen für all den Glanz, aber auch für die Kosten des 1996er Kongresses einzustehen hatte. Ob Bourgeois nun nicht im Schuldenturm enden werde, fragte Freund D'Hondt zum Schein besorgt. Ich fand derweil, daß unsere französischen Kollegen nimmt man noch den Leibniz-Kenner André Robinet hinzu, den Generalsekretär der ASPLF gegenüber dem klassischen deutschen Denken etwas weniger in der Schuld stehen als so manche Stellen hierzulande. Jacques D'Hondts Einsatz für dieses Denken ist jedenfalls verbunden mit dem Ambiente seiner jungen Jahre. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, bezog er 1931 das Gymnasium in Tours. Tonangebend waren dort rechtslastigefils à papa. Im stürmischen Jahr 1934, nicht lange nach dem Sieg des Nazismus in Deutschland, sympathisierten sie teils offen mit den faschistoiden Putschisten, die im Monat Februar die Deputiertenkammer in Paris zu stürmen versucht hatten. Das Aufbegehren gegen die braune Gefahr war in Frankreich landesweit der Keim zur Volksfront; am Gymnasium in Tours wurde der Schulhof zum Forum heißer Debatten. Mit Gleichgesinnten engagierte sich der junge Gymnasiast in der Kommunistischen Jugend, zwei Jahre danach in der kommunistischen Partei Frankreichs, die er 1968 verlassen sollte. Wenn schon gegen den Rechtsextremismus, dann von der entschiedenen Gegenposition aus! So erklärte er später, 1999, seinen -
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frühen Entschluß, den er mit allem Eifer umsetzte. Die Schulaufgaben interessierten zuerst weniger als die politische Bildung. Er verschlang auch, was an Marx zu haben war, ohne alles recht zu verdauen. Im übrigen hatte er als Fremdsprache Deutsch gewählt. Ein Hinweis aus dem Nachwort zum Kapital führte ihn auf die Spur Hegels. Damit packte ihn die Philosophie. Mit durchschlagender Wirkung! Der zuvor nachlässige Gymnasiast wurde Musterschüler, Klassenprimus. Im Studium an der Universität Poitiers, das ihm ein ausgeklügeltes Sparprogramm abverlangte, gewann sein Lerneifer das Wohlwollen des eher konservativ orientierten Professors Jean-Raoul Carré und damit einen Förderer auf dem weiteren Ausbildungs- und Berufsweg. Freund D'Hondt resümiert insgesamt, er sei von der Politik zur Philosophie gekommen, und das ist nicht ohne Belang für das Verständnis seines Schaffens. Doch was seine frühen Ausgangspositionen angeht, zieht er jetzt bitter Bilanz. Illusionen seien es gewesen, die darein gesetzten Hoffnungen verflogen, er selbst verfallen in Ratlosigkeit. Fände er heute noch Leitgestalten wie seinen jungen Deutschlehrer von 1937? Der Germanist Daniel Decourdemanche brachte seinerzeit nicht nur frischen Wind in die Methodik des Gymnasialbetriebs. Er hatte die Heraufkunft des Nazismus bei einem Praktikum in Magdeburg miterlebt und in seinem Buch Philisterbourg satirisch entlarvt. Um so energischer wollte er faschistoiden Tendenzen in seinem Land eine Art von kulturellem Vblkswiderstand entgegensetzen. In Tours rief er neben seiner Lehrarbeit das Kulturhaus und den Filmclub Ciné Liberté ins Leben; im nächsten Jahr nach Paris versetzt, wirkte er wieder neben der Arbeit mit an niveauvollen linken Editionen, zusammen mit Freunden wie dem Philosophen Georges Politzer und dem Physiker Jacques Solomon. Unter der deutschen Okkupation wurden sie Mitbegründer der illegalen Presse, La Pensée libre, Les Lettres françaises, ja der Grundlagen der Editions de Minuit. Deren Erfolg erlebten sie nicht mehr. Von der Polizei der Kollaboration verhaftet, wurden sie der Gestapo übergeben und wie so viele andere im Pariser Fort Mont Valerien als Geiseln erschossen. Sie fielen für Frankreich und ein besseres Deutschland. Gewürdigt wurde der junge Germanist später unter seinem Pseudonym Jacques Decour. Als Gymnasiast hatte D'Hondt jedenfalls gegen den Hauptstrom anzuschwimmen. Als er beim mündlichen Baccalauréat, dem Gegenstück des Abiturs, die Ausarbeitungen zu seinem Wahltema vorlegte, warf der prüfende Professor sie erbost durch den Klassenraum zurück. Allein das Thema war für den Juror eine Provokation. Es lautete: „Hegel und Marx". Unter der Okkupation hielt D'Hondt an seinen Ansichten fest. Während er sein Studium betrieb und von der Pike auf Philosophie zu unterrichten begann, sah er seine Familie Repressalien ausgesetzt, Freunde deportiert, andere erschossen. Ihn selbst, den jungen Lehramtsanwärter, deckte der Prinzipal des Progymnasiums von Chinon, dessen Tochter eine Schülerin D'Hondts war, gegenüber Nachstellungen der Vichyisten. Zwei Jahre „Pflichtarbeitsdienst" im braunen Reich diese Art von Zwangsarbeit änderten nichts an seiner Liebe zur klassischen deutschen Philosophie. Nach dem Krieg ermutigte ihn sein Ex-Professor Jean-Raoul Carré, die Agrégation die Lehrberechtigung für Gymnasien zu erwerben. Seine „Lehrproben" erweckten das Interesse zweier Jury-Mitglieder, Mikel Dufrenne und Georges Canguilhem. Letzterem verdankte er, daß lange Mühen und Einschränkungen schließlich in die Anstellung als agregierter Gymnasialprofessor mündeten, zuerst in Toulouse, dann in Poitiers. Carré blieb -
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jedoch hartnäckig, der „Konservative" ermunterte den politisch aktiven Linken D'Hondt, den französischen Doktorgrad zu erwerben, nach deutscher Rechnung also, sich zu habilitieren. Das gelang ihm 1966, im Alter von immerhin 46 Jahren, mit Arbeiten, die Hegels
Denken auf neue Art in die Geschichte stellten und in Beziehung zu unmittelbaren „Vordenkern", zu Zeitgenossen und zu einem kritischen Nachfolger setzten, zu Marx. D'Hondt konnte erfahren, wie sich die Zeiten in seinem Land gewandelt hatten. Anders als vom Prüfer am Gymnasium, wurden ihm seine Projekte nicht an den Kopf geworfen, sondern von Paul Ricoeur und Jean Hyppolite als seinen „Doktorvätern" (Directeurs de Thèse) unterstützt: Das Thema „Hegel und Marx" war, wie er später sagte, im Begriff, zum Renner zu werden. In die geisteswissenschaftliche Fakultät von Poitiers aufgenommen und inzwischen mit Jean Hyppolite befreundet, besuchte er regelmäßig dessen Pariser Vorlesungen zur klassischen deutschen Philosophie. Im Austausch mit ihm entstand, bei einer der gemeinsamen Mahlzeiten in einem Bistrot des Quartier Latin, die Idee zu einem Hegel-Seminar in Poitiers, das neue Forschungsergebnisse in die Lehre einbringen sollte, und danach zu einem Forschungs- und Dokumentationszentrum über Hegel und Marx, dem „Centre de Recherches sur Hegel et Marx" (CRDHM), das D'Hondt 1969-70 in Poitiers ins Leben rief. Er beklagt noch heute, daß Jean Hyppolite das Ereignis nicht miterlebte; dieser Freund war kurz zuvor plötzlich verstorben. Verblieben waren scharfe Gegner, der allseits unversöhnliche und auch persönlich schroffe Louis Althusser, der einen Trennschnitt zwischen Hegelschen Einflüssen und dem „reifen Marx" gezogen sehen wollte, samt Anhängern im In- und Ausland. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum in Poitiers wurde jedenfalls vom CNRS anerkannt, d.h. auch mit Mitteln ausgestattet. Bis 1975 unter Leitung von Jacques D'Hondt, dann unter seiner Mitwirkung begann es im damals neuartigen Stil der Interdisziplinarität und, sozusagen, der Interprofessionalität zu arbeiten. Beteiligt waren nämlich nicht nur wohlbestallte Universitäre, sondern nicht wenige Gymnasiallehrer und nicht zuletzt Studenten. Vierzehntägig veranstaltete Forschungsseminare boten Anlaß zu freimütigem Austausch; gemeinsame Textstudien und Übersetzungsübungen vertieften Kenntnisse und schulten in Präzision. Eine eigene Schriftenreihe, weitgehend ehrenamtlich realisiert, verbreitete die Resultate, zog Hospitanten auch aus dem Ausland an. Parallel wuchs eine Sammlung einschlägiger Schriften zu einer stattlichen Bibiliothek heran. Über die Jahre hinweg zog sich das Angehen gegen Versuche, Denkansätze aus ihren historischen und soziologischen, ja selbst werkgeschichtlichen Zusammenhängen zu reißen. Selber bin ich seit den frühen 1970er Jahren einigermaßen verstrickt in D'Hondts Auseinandersetzung mit jenem, wie er sagte, Diskontinuismus oder auch rupturalisme, der Überbetonung von Unstetigkeiten, Brüchen, Unvereinbarkeiten in der Geistesentwicklung. Zu meinen ersten Aufträgen, damals als freiberuflichem Übersetzer in der DDR, gehörten Auszüge aus D'Hondts Thèse d'État über Hegel als Philosoph der lebendigen Geschichte, dann die komplette Nebendissertation über den Hegel secret, der nahezu kriminalistische Aufweis verborgener, zu Hegels Lebzeiten subversiver Quellen in dessen Denken, schließlich das nicht nur Rudolf Haym entgegentretende Lebensbild des Hegel en son temps. Für mich eine Heidenarbeit, aber einträglich, wenngleich nicht pekuniär. Nach Ansicht des Autors gelungen, sollte sie eine bleibende Freundschaft begründen. Unvergeßlich, sein damaliger Besuch bei uns und die gemeinsame Rundfahrt im stolzen 500er „Trabi"! Zwar blieb der Gegenbesuch in der Rue Lacépède noch für etliche Jahre
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fällig. Der Austausch lief dennoch. Mehrere Arbeiten unserer Familie profitierten davon. Freund D'Hondt ist nicht unschuldig daran, daß sie inzwischen fünf Doktoren der Philosophie aufweist, darunter eine Dozentin. Jacques D'Hondts Anregung liegt ja prinzipiell in der ausgewogenen, nicht mechanischen Einbettung eines Philosophierens in die Universalgeschichte. In dieser Sicht gibt es
kein Einschreiben in eine Tabula rasa. Die aktuellen Konstellationen mögen stark wechseln; selber habe ich nachzuweisen versucht, daß sich etwa die „Denkfelder" der Behandlung der Kategorie Vernunft im Frankreich des Vorjahrhunderts annähernd im ZehnjahrRhythmus umstrukturierten. Dennoch ziehen sich Kontinuitäten des menschheitlichen Strebens nach Überwindung überlebter Übel und Einengungen nicht nur durch die Geistesgeschichte. Die Frage bleibt, wie ein Denken diesen Herausforderungen gerecht wird. D'Hondt hat gezeigt, daß Hegel für die Bedingungen des deutschen „Vormärz" bis an sein Lebensende ein Denk-Optimum herausgearbeitet hat. Dessen vernichtende Kritik an der englischen Reformbill von 1830 sah er auch als eine Art Schwanengesang des rein Hegeischen Denkens. Auf dem nächsten Feld mußte es anders weitergehen. Das ,Wie?' bleibt jeweils die offene Frage an jede Denker- und Akteursgeneration, auch an die unsere, die vor gravierenden Entscheidungen steht. Damals versuchte es ein Marx unter derb kritischer Nutzung Hegeischen Gedankenguts. Marx sah sich selbst als Materialist. Unter dem Hegel-Einfluß, den Althusser eliminieren wollte, ging Marx aber laut D'Hondt neue Wege. Das Wesentliche, Materielle war nicht in einer Substanz, nicht in irgendeiner Entität für sich, zu sehen, sondern im Verhältnis zwischen den Entitäten. Dieses Denken bei Marx bezeichnete D'Hondt in den 1990er Jahren als relationalen Materialismus. In der Tat geht es m.E., wie ich ihm schrieb, um mehr: um ein VerhältnisDenken. Aber dafür finde man nun einen französischen Term! Die Implikationen sind jedenfalls beträchtlich. Verhältnisse, rapports, zwischen sozialen Entitäten sind bei Marx explizit als materiell definiert. Sollten nun die rapports zwischen informationellen, ja auch geistigen Entitäten ähnlich unter das Materielle fallen? Der Schluß liegt nicht fern, zumal nach dem Diktum, die Theorie werde zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreife was leider auch für die größte annehmbare Unvernunft gilt. Erledigen würde sich mithin die Debatte über die „Immaterialien", in Frage stehen die im traditionellen Marxismus so bedeutsame „Grundfrage der Philosophie" was mich heute weniger aufregt als vor fünfzehn Jahren. Grenzgänge einer materialistisch intendierten Grundauffassung unternahm dann 1997 der Resultatband unserer CNRS-Projektgruppe Les chemins de la raison, zu dem Freund D'Hondt eine Studie über die schwierige Hegel-Rezeption in Frankreich beisteuerte. Weitere Beiträge leisteten u.a. ein französischer Jesuit, ein griechischer Spiritualist, ein unorthodoxer ägyptisch-französischer Marxist als Sprecher der Dritten Welt. Für diese Juxtaposition zeichnete ich verantwortlich. Jacques D'Hondts Anregungen wirken weiter, wenn unsere Chemins sich jetzt weiten zur Suche nach einer Raison mondialisée, einer für das 21. Jahrhundert tauglichen, aus vielen Quellen schöpfenden globalisierten Vernunftauffassung, der eine Schriftenreihe im Pariser Harmattan-Verlag gilt. Wieder habe ich „den Hut auf, unterstützt von dem vorerwähnten Franko-Ägypter, dem Weltsystem-Ökonomen und Philosophen Samir Amin, und dem Historiographen der ASPLF und emeritierten Fakultätsdekan von Toulouse-Le Mirail, Jean-Marc Gabaude, im Comité de lecture. Unsere ersten Publikationen verdanken wir zwei von einem Regime der -
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„Gorillas" heimatvertriebenen Argentiniern, Enrique Dussel Peters, jetzt Mexiko-Stadt, für seine Ethique de la libération und Oward Ferrari, jetzt Colmar, für Philosophie ou barbarie, eine ausführliche Studie über den Kontrast zwischen Hegels Denken und der heutigen Praxis des europäischen Establishments. Unsere zentrale Forschungsfrage bleibt: Wie kann unter heutigen Bedingungen ein entwickeltes Verhältnisdenken das Miteinander unterschiedlich fundierter Emanzipationsstrebungen fordern? Wie kann es dazu beitragen, die dabei auftretenden „Schnittstellen
nannte einst Gilbert Simondon die Berühunterschiedlichen und doch in Kontakt geratenden Aktivitäten oder zwischen rungszonen hindurch wechselseitige Übergänge stattfinden. Strömungen, wo wie durch eine Membran Yves Schwartz, der vielseitige Philosoph und Industriehistoriker der Universität Aix-Marseille, übernahm in den 1980er Jahren diesen Begriff und stellte das gute Verwalten jener Übergangszonen in den Kern seines Begriffs von der heute fälligen komplexen theoretischen wie praktischen Arbeit. Dem möchte ich folgen. Ich sehe in dieser bonne gestion des interfaces zwischen unterschiedlichen Teilströmen eines potentiell mächtigen Strebens nach Vernunft in der Welt genau jene Arbeit, die heute und nächstens gefordert ist, damit durch Vernunft ein Menschheitswerk fortgesetzt wird. Dieses Werk besteht für mich in der Aufhebung jener Einschränkungen, Nöte und Übel in der conditio humana, die nach dem gegebenen Entwicklungsstand der Menschheit überwindbar sind. Sich damit zu befassen, wurde m.E. aus der langen Dauer heraus zur menschheitlichen Berufung, zur vocatio humana. Andere mögen das anders sagen, aber ungezählt viele befassen sich aktuell damit. Die Raison mondialisée, globalisierte Vernunft, will ihnen dienen. Es gibt hier eine Differenz zu Freund Jacques D'Hondt. Er sieht sich vor Trümmern seines Lebenswerks. Hat man nicht das Hegel-Marx-Forschungszentrum in Poitiers 1995 umfunktioniert in ein Zentrum nur für den „deutschen Idealismus"? Degeneriert nicht die Universitas tendenziell zur Bereitstellungsanstalt von eher schmalspurig ausgebildeten Bachelors und Masters für kurzzeitige Vernutzung in einer kurzsichtigen Wirtschaft? Fachwissen in Happen serviert erscheint ihm als der letzte Schrei des Zeitgeists. Er deklariert explizit seinen Pessimismus. Und mokiert sich über meinen vermeintlichen Optimismus. Recht oder Umecht? Wir werden es sehen. Die Weltgeschichte soll laut Hegel das Weltgericht sein. Mächtige Kräfte ringen heute miteinander. Ich wage nicht zu behaupten, daß meine Favoriten obsiegen werden, die nicht schwachen emanzipativen Widerstände in aller Welt. Was wird geschehen? So wenig wie unser Freund bin ich Hellseher. Trotz alledem Jacques D'Hondt arbeitet weiter, jetzt zum Thema Wechselwirkung. Und er hat uns eine Art Geheimwaffe hinterlassen, sein großes Spätwerk Hegel. Biographie, Paris 1998. Ausführlicher, nuancierter, kritischer als in den 1970er Jahren würdigt er darin das Ringen des Denkers mit den philosophischen, politischen und sozialen „Schnittstellen" seiner Zeit. Die Kritik hat das Werk einhellig begrüßt vom Figaro bis zur Humanité. Ich hätte es gern ins Deutsche übertragen, suche aber seit Jahren vergebens einen hiesigen Verleger. Eine amerikanisch-englische Übersetzung liegt vor, der betreffende Verlag hat den Übersetzer ausbezahlt, will nun aber das Werk nicht drucken. Ob sich das ändert? Ob sich die Aussichten in der BRD dann bessern? Die japanische Übersetzung ist inzwischen zwar heraus, die spanische auch, aber man muß nicht Japanisch lernen, um sich den Genuß dieses Meisterwerks zu verschaffen. Französisch-Kenntnis genügt, allerdings entwickelte, wenn man den brillanten Stil goutieren will.
gut zu verwalten"? Schnittstellen, interfaces,
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Jan Neersö
Chronologische Bibliographie französischen Hegel 1918-1970
zum
Die folgende Bibliographie beruht auf eigener Recherche und auf zwei gedruckten Quellen: der Hegel-Bibliographie von Kurt Steinhauer (München 1980, 2. Teil 1998) sowie der Bibliographie aus Hegel in France von Michael Kelly (Birmingham 1992). Aus diesen wurden französische Hegel-Übersetzungen und Sekundärtexte nach folgenden Kriterien aufgenommen: 1) Erstveröffentlichung zwischen 1918 und 1970 (keine Neuauflagen von Werken vor
1918), 2) Publikation auf Französisch im europäischen französischen Sprachraum; 3) in Teil II (Sekundärliteratur) nur Werke mit eindeutigem Hegel-Bezug: erkenntlich durch Hegel-Nennung im Titel oder durch den Kontext der Veröffentlichung (z.B. Hegel-Sonderheft), bei Monographien ggf. durch Angabe von Passagen mit HegelBezug. Zu Titeln nach 1970 vgl. neben den oben angegebenen Quellen auch Bibliographie zu Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse" (hg. v. Karen Gloy und Rainer Lambrecht, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995); Hegels Wissenschaft der Logik", eine internationale Bibliographie ihrer Rezeption im XX. Jahrhundert (hg. v. Erwin Hasselberg und Frank Radtke, Wien 1993); sowie die laufende Bibliographie in den Hegel-Studien. Mit den Recherches hégéliennes gab es von 1970 bis 1984 auch eine französische Zeitschrift zur Hegel-Forschung, in der Literaturberichte etc. erschienen. Buchveröffentlichungen sind mit einem Asteriskus (*) ausgezeichnet. Nachdrucke, Neuauflagen, Rezensionen usw. sind beim jeweiligen Ursprungstitel vermerkt. „
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Teil I: Französische Übersetzungen von Werken Hegels 1920-1929 *La vie de Jesus, übers, v. D. D. Rosca, Paris: Gamber 1928 La conscience malheureuse [übers, v. J. Wahl und Maurice Boucher], in: Wahl, Jean: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929, S. 251-258 [Nachdruck 1951] 1930-1939 *Leçons sur la philosophie de l'histoire, übers, v. J. Gibelin, 2 Bde., Paris: Vrin 1937 [Nachdruck in einem Band 1945, mehrere Neuauflagen] *Morceaux choisis, übers, und eingel. v. H. Lefèbvre/N. Guterman, Paris: Gallimard 1939 [6 Auflagen in 1939; Neuaufl. in zwei Bänden Paris: Gallimard 1969] *La phénoménologie de l'esprit, übers, v. Jean Hyppolite, 2 Bde., Paris: Aubier-Montaigne 1939-1941
[mehrere Nachdrucke] Autonomie et dépendance de la conscience de soi; maîtrise et servitude, übers, v. A. Kojève, in: Mesures 5 (1939), S. 107-139 [auch in: Kojève, Alexandre: Introduction à la lecture de Hegel, Paris: Gallimard 1947] 1940-1949 *Principe de la philosophie du droit, übers, v. A. Kaan, Vorwort von J. Hyppolite, Paris: Gallimard 1940 [viele Neuauflagen und Nachdrucke] Esthétique, übers, v. J. Gibelin und S. Jankelevitch, 4 Bde., Paris: Aubier 1944 *Les preuves de l'existence de Dieu, übers., eingel. und kommentiert v. H. Niel, Paris: Aubier 1947 Science de la logique, vollst, übers, v. S. Jankelevitch, 2 Bde., Paris: Aubier 1947-1949 [Nachdruck in 4 Bänden 1969, 2. Aufl. 1971] *L'esprit du christianisme et son destin, übers, v. J. Martin, eingel. v. J. Hyppolite, Paris: Vrin 1948 [3 Auflagen bis 1971] Extraits, übers, v. P. Klossowski, in: Klossowski, Pierre: „Les méditations bibliques" de Hamann. Avec une étude de Hegel, Paris: Edition de Minuit 1948 *Hegel, sa vie, son œuvre. Extraits de Hegel, übers, v. R. Serreau, hg. v. André Cresson und René Serreau, Paris: PUF 1949 [mehrere Nachdrucke] 1950-1959 Précis de l'encyclopédie des sciences philosophiques, übers, v. J. Gibelin, Paris: Vrin 1952 [5 Auflagen bis 1987] Esthétique, Textauswahl v. Claude Khodoss, Paris: PUF 1954 [12 Auflagen bis 1988] Leçons sur la philosophie de la religion, übers, v. J. Gibelin, 5 Bde., Paris: Vrin 1954—1959 [Nachdruck 1970-1972, 2. Aufl. 1975] Leçons sur l'histoire de la philosophie, übers, v. J. Gibelin, Paris: Gallimard 1954 [Mehrere Neuauflagen, Nachdruck in 2 Bd. 1970] Premières publications. Différence des systèmes philosophiques de Fichte et de Schelling. Foi et savoir, übers, v. Marcel Méry, Paris: Vrin 1952 [Nachdruck Gap: Editions Ophyrys 1964 und 1970] 1960-1970 Hegel. Présentation, choix de textes, bibliographie, hg. v. Kostas Papaioannou, Paris: Seghers 1962
[Nachdruck 1966] Correspondance, übers, v. mard 1962-1967
Jean Carrère nach dem Text
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Johannes Hoffmeister, 3 Bde., Paris: Galli-
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
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*Propédeutique philosophique, übers, u. hg. v. Maurice de Gandillac, Paris: Editions de Minuit 1963 [mehrere Nachdrucke] Qui pense abstrait? Übers, v. Eric de Dampierre, in: Mercure de France 349 (1963) [Nr. 12 (1202)], S. 746-751 de la peinture figurative, hg. v. Bernard Teyssèdre, Paris: Hermann 1964 [Texte aus der Übers, von S. Jankelevitch] *Esthétique, übers, v. S. Jankelevitch, 8 Bde., Paris: Aubier-Montaigne 1964-1965 [Nachdruck 1979] *La raison dans l'histoire. Introduction à la philosophie de l'histoire, neu übers., eingel. u. kommentiert v. Kostas Papaioannou, Paris: Union Générale d'Editions 1965 [mehrere Nachdrucke] Préface de la „Phénoménologie de l'esprit", übers., eingel. u. kommentiert v. Jean Hyppolite, Paris: Aubier-Montaigne 1966 [zweisprachige Ausgabe, 2. Aufl. 1978] Extraits, in: D'Hondt, Jacques: Hegel, sa vie, son œuvre, avec un exposé de sa philosophie, Paris: PUF 1967 *La première philosophie de l'esprit (Iéna 1803-1804), übers, u. hg. v. Guy Planty-Bonjour, Paris: PUF 1969 Sur le Bill de Réforme anglais, übers, v. Bernard Lemaigre, in: L'Arc 38 (1969), S. 6-20 ""Encyclopédie des sciences philosophiques en abrégé, übers, v. M. de Gandillac nach dem Text v. F. Nicolin und Otto Pöggeler, Paris: Gallimard 1970 [Nachdruck 1990] Encyclopédie des sciences philosophiques, 1 : Science de la logique, übers, v. B. Bourgeois, Paris: Vrin 1970 [2. Aufl. 1979, Nachdruck 1986] *La théorie de la mesure, übers, u. kommentiert v. A. Doz, Paris: PUF 1970 Lettres à Hinrichs, in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 881-883 Préface à la philosophie de la religion de D. Hinrichs, übers, v. Francis Guibal und Guy Petitdemange, in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 885-916
*Esthétique
Teil II: Französische Hegelforschung 1918
Duguit, Léon: Jean-Jacques Rousseau, Kant et Hegel, in: Revue du droit public et de la science politique en France et à l'étranger 24 (1918) [Bd. 35], S. 173-211, 325-377 [auch separat erschienen, Paris: Giard&Brière 1918] 1919
Delbos, Victor: Les facteurs kantiens dans la philosophie allemande à la fin du 18e siècle et au commencement du 19e, mit einer Anm. v. M. Blondel, in: Revue de métaphysique et de morale 26 (1919), S. 569-593; 27 (1920), S. 1-25; 28 (1921), S. 27^17; 29 (1922), S.157-176; 32 (1925), S. 271-281; 35 (1928), S. 529-551 („La méthode de démonstration chez Hegel") [auch in Buchform: De Kant aux postkantiens, Paris: Montaigne 1940] 1920
Wahl, Jean: Les philosophes pluralistes d'Angleterre et d'Amérique, Paris: Alean 1920 1922
*Papini, Giovanni: Le crépuscule des philosophes. Kant, Hegel, Comte, Spencer, Nietzsche, précédé d'une étude de William James sur le pragmatisme de Papini, übers, v. J. Bertrand, Paris: Chiron 1922
Anhang
228 1923
Meyerson, Emile: Hegel, Hamilton, Hamelin et le concept de cause, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 48 (1923) [Bd. 96], S. 23-55 Valensin, Auguste: Histoire de la philosophie d'après Hegel, in: Archives de philosophie 1 (1923/24), S. 81-91 [auch in ders.: A travers la métaphysique, Paris: Beauchesne 1925] 1924
Groethuysen, Bernard: La conception de l'état chez Hegel et la philosophie politique en Allemagne, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 49 (1924) [Bd. 97], S. 180-207 1926
Boutroux, Emile: Etudes d'histoire de la philosophie allemande, Paris: Vrin 1926 [zu Hegel: „Sur la nécessité, la finalité et la liberté chez Hegel"] Wahl, Jean: Note sur la démarche de la pensée de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de
l'étranger 51 (1926) [Bd. 101], S. 281-289 [auch in ders.: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929] 1927
Archambault, Paul: Hegel: Choix de
textes et étude du
système philosophique, Paris:
Rasmussen
1927
Basch, Victor: Les doctrines politiques des philosophes classiques de l'Allemagne. Leibniz, Kant, Fichte, Hegel, Paris: Alean 1927 [zu Hegel: S. 110-323] Brunschvicg, Léon: Le progrès de la conscience dans la philosophie occidentale, 2 Bde., Paris: Alean 1927
[zu Hegel: S. 382^101]
Metz, A.: Philosophie de la nature de Hegel, in: Mercure de France, NF 198 (1927), S. 61-69 Sée, Henri: Remarques sur la philosophie de l'histoire de Hegel, in: Revue d'histoire de la philosophie 1
(1927), S. 321-334
Wahl, Jean: Commentaire d'un passage de la „Phénoménologie de l'esprit" de Hegel, in: Revue de mé-
taphysique et de morale 34 (1927), S. 441-471 [auch in ders.: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929] Wahl, Jean: La place de l'idée du malheur de la conscience dans la formation des théories de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 52 (1927) [Bd. 104], S. 103-147 [auch in ders.: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929] Wahl, Jean: Sur la formation de la théorie hégélienne du Begriff in: Revue d'histoire de la philosophie 1 (1927), S. 437^156 [auch in ders.: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929] 1928 Baak, J. C: Hegel et le droit des gens, in: Revue de droit international 10 (1928) [Heft 2], S. 275-282 Rosca, D. D.: L'influence de Hegel sur Taine, théoricien de la connaissance et de l'art, Paris: Gamber 1928 1929 Tschizewskij, D.: Hegel et Nietzsche, in: Revue d'histoire de la philosophie 3 (1929), S. 321-347 Wahl, Jean: Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel, Paris: Rieder 1929 [Nachdruck 1951, Rezensionen: Gabriel Marcel, Europe 8 (1930) [Nr. 81], S. 149-152; Claude Estève, Nouvelle Revue française 35 (1930), S. 745-748; Alexandre Kojève, Revue philosophique de la France et de l'étranger 55 (1930) [Bd. 110], S. 136-143] 1930 Tronchon, Henri: Hegel en France, Paris 1930
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
229
1931
Koyré, Alexandre: Rapport sur l'état des études hégéliennes en France, in: Revue d'histoire de la philosophie 5 (1931), S. 147-171 [auch in: Verhandlungen des 1. Hegelkongresses vom 22. bis 25. April in Den Haag, Tübingen/Haarlem 1931, S. 106-126; und in: ders., Etudes d'histoire de la pensée philosophique, Paris: Colin 1961] Kuiper, Vincenz M.: Le „réalisme" de Hegel, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 20 (1931), S. 233-258 Lenoir, Raymond: Le centenaire de Hegel, in: Revue d'histoire de la philosophie 5 (1931), S. 352-363 Revue de métaphysique et de morale 38 (1931), Heft 3 (Sonderheft zum 100. Todestag Hegels, in Buchform veröffentlicht als „Etudes sur Hegel"), darin: Andler, Charles: Le fondement du Savoir dans la Phénoménologie de l'esprit de Hegel, S. 317-340; Basch, Victor: Des origines et des fondements de l'esthétique de Hegel, S. 341-366 [auch in ders.: Essais d'esthétique, de philosophie et de littérature, Paris: Alean 1934, S. 89-130]; Berthelot, René: Goethe et Hegel, S. 367^12; Croce, Benedetto: Un cercle vicieux dans la critique de la philosophie hégélienne, S. 277-284; Guéroult, Martial: Le jugement de Hegel sur l'antithétique de la raison pure, S. 413^139; Hartmann, Nicolai: Hegel et le problème de la dialectique du réel, S. 285-316; Vermeil, Edmond: La pensée politique de Hegel, S. 441-510 Revue philosophique de la France et de l'étranger 56 (1931) [Bd. 112], Nr. 11/12 (Sonderheft zum 100. Todestag Hegels), darin: Basch, Victor: De la philosophie politique de Hegel, à propos d'un ouvrage récent, S. 381^108; Koyré, Alexandre: Note sur la langue et la terminologie hégélienne, S. 409-439 [auch in ders.: Etudes d'histoire de la pensée philosophique, Paris: Colin 1961]; Wahl, Jean: Hegel et Kierkegaard, S. 321-380 [auch in: Verhandlungen des 3. Hegelkongresses vom 19. bis 23. April 1933 in Rom, Tübingen: Mohr 1934, S. 250-268; ders.: Etudes kierkegaardiennes, Paris: Aubier 1938] *Sfard, David: Du rôle de l'idée de contradiction chez Hegel, Nancy: Poncelet 1931 1932 * Alain [Emile Auguste Chartier]: Idées. Introduction à la philosophie: Platon, Descartes, Hegel, Paris: Hartmann 1932 [zu Hegel: S. 203-288, viele Nachdrucke und Neuauflagen] *Berthelot, René: Science et philosophie chez Goethe, 2: Goethe et Hegel, Paris: Alean 1932 *Bréhier, Emile: Histoire de la philosophie, Bd. 2: La philosophie moderne, Paris: Alean 1932 [zu Hegel: S. 734-800; Nachdruck 1948] *Chevrillon, A.: Taine. Formation de sa pensée, Paris: Pion 1932 [zu Hegel: S. 172-214] Forest, Aimé: L'hégélianisme en France, in: Rivista di filosofía neoscolastica 23 (1932), S. 118-130 Herr, Lucien: Hegel, in: ders.: Choix d'écrits, Bd. 2, Paris: Rieder 1932, S. 107-140 Wahl, Jean: Commémoration du centenaire de la mort de Hegel dans les revues philosophiques allemandes et françaises, in: Revue d'Allemagne 6 (1932), S. 268 Werner, Charles: Hegel et la philosophie de l'esprit, in: Etudes philosophiques 6 (1932), S. 26-31 1933 Crevel, René: Résumé d'une conférence, in: Le surréalisme au service de la révolution 3 (1933) Thirion, André: En lisant Hegel, in: Le surréalisme au service de la révolution 3 (1933) 1934 Croce, Benedetto: La „mort de l'art" dans le système hégélien, in: Revue de métaphysique et de morale 41 (1934), S. 1-11 Koyré, Alexandre: Hegel à Jena. A propos de publications récentes, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 59 (1934) [Bd. 118], S. 274-283 [auch in ders.: Etudes d'histoire de la pensée philosophique, Paris: Colin 1961; Revue d'histoire et de philosophie religieuses 15 (1935), S. 420-458]
230
Anhang
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Flechtheim, Ossip Kurt: La fonction de la peine dans la théorie du droit de Hegel, in: Revue internationale de la théorie du droit 10 (1935/36), S. 189-197 Hyppolite, Jean: Les travaux de jeunesse de Hegel d'après des ouvrages récents, in: Revue de métaphysique et de morale 42 (1935), S. 399^126, 549-578 Löwith, Karl: La conciliation hégélienne, in: Recherches philosophiques 5 (1935/36), S. 393-404 Maublanc, René: Hegel et Marx, in: A la lumière du marxisme. Essais, Paris: Editions Sociales Internationales 1935, S. 189-232 Salomon-Delatour, G.: Comte ou Hegel?, in: Revue positiviste internationale (1935) [Nr. 5/6], S. 220227; (1936) [Nr. 3], S. 110-118 1936 Koyré, Alexandre: Hegel en Russie, in: Monde slave NF 13 (1936) [Heft 2], S. 215-248,321-364 [auch in ders.: Etudes sur l'histoire de la pensée philosophique en Russie, Paris: Vrin 1950] Rondet, Henri: Hegel et le christianisme, reflexions théologiques, in: Recherches de science religieuse 26 (1936), S. 257-296,419-453 1938 Hyppolite, Jean: Vie et prise de conscience de la vie dans la philosophie hégélienne d'Iéna, in: Revue de métaphysique et de morale 45 (1938), S. 45-61 Wahl, Jean: La lutte contre le hégélianisme, in: ders.: Etudes kierkegaardiennes, Paris: Aubier 1938, S. 86-171 1939 Croce, Benedetto: La place de Hegel dans l'histoire de la philosophie, in: Revue de métaphysique et de morale 46 (1939), S. 211-224 Hyppolite, Jean: La signification de la Révolution française dans la phénoménologie de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 64 (1939) [Bd. 128], S. 321-352 [auch in: La Révolution de 1789 et la pensée moderne, Paris: Alean 1940] Marc, Alexandre: Marx et Hegel, in: Archives de philosophie 15 (1939), S. 145-173 Stern, Alfred: Hegel et les idées de 1789, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 64 (1939) [Bd. 128], S. 353-363 1940 Bertrand, Pierre: Les sens du tragique et du destin dans la dialectique hégélienne, in: Revue de métaphysique et de morale 47 (1940), S. 165-186 1941 Mueller, Fernand-Lucien: La pensée contemporaine en Italie et l'influence de Hegel, Genf: Kundig 1941 1942 Badelle, J.-R.: Foi religieuse et connaissance philosophique. A propos de Hegel „Glauben und Wissen", in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 67 (1942/43) [Bd. 133], S. 68-83 1944 Niel, Henri: Conférences sur les preuves de l'existence de Dieu de G. W. F. Hegel, Paris 1944 1945 Niel, Henri: De la médiation dans la philosophie de Hegel, Paris: Aubier 1945 [Rezension: Jean Hyppolite, Dieu vivant 6 (1946)]
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
Grégoire, Franz: Hegel et le primauté respective de la raison et du rationnel, in: de philosophie 43 (1940/45), S. 252-264
231 Revue
néoscolastique
1946
Grégoire, Franz: Hegel et l'universelle contradiction, in: Revue philosophique de Louvain 44 (1946), S. 36-73 Hyppolite, Jean: L'existence dans la Phénoménologie de Hegel, in: Etudes germaniques 1 (1946), S. 31-141 *Hyppolite, Jean: Genèse et structure de la
Phénoménologie de l'Esprit de Hegel, Paris: Aubier
1946
[mehrere Nachdrucke] Kojève, Alexandre: Christianisme et communisme, in: Critique 1 (1946/47) [Nr. 3/4], S. 308-312 Kojève, Alexandre: Hegel, Marx et le christianisme, in: Critique 1 (1946/47) [Nr. 3/4], S. 339-366 Merleau-Ponty, Maurice: L'existentialisme chez Hegel, in: Les temps modernes 1 (1946), S. 1311-1319 [auch in ders.: Sens et non-sens, Paris: Nagel 1948, S. 125-141] Mougin, Henri: Hegel et le Neveu de Rameau, in: Europe 24 (1946) [Nr. 8], S. 1-11 1947
Hegel était-il marxiste?, in: Revue internationale 12 (1947) Alain [Emile Auguste Chartier]: Les difficultés de la phénoménologie de Hegel, in: Mercure de France 301 (1947), S. 35-46,423^134 Althusser, Louis: Introduction à la lecture de Hegel, in: Cahiers du sud 34 (1947) [Nr. 286], S. 10571059 [evtl. Rezension] Blanchot, Maurice: Le règne animal de l'esprit, in: Critique 2 (1947) [Nr. 18], S. 387^105 [erster Teil des Essays „La littérature et le droit à la mort", auch in ders.: La part du feu, Paris: Gallimard 1949, S. 293-331] Derins, F.: Etudes hégéliennes, in: La NEF 4 (1947), S. 137-139 [evtl. Rezension] Dufrenne, Mikel: La thèse de Jean Hyppolite, in: Fontaine 11 (1947), S. 461^170 Fessard, Gaston: Deux interprètes de la phénoménologie de Hegel: Jean Hyppolite et Alexandre Kojève, in: Etudes 80 (1947) [Bd. 255], S. 368-373 Forest, Aimé: Etudes sur Hegel, in: Revue thomiste 55 (1947) [Bd. 47], S. 372-376 *Grégoire, Franz: Aux sources de la pensée de Marx: Hegel, Feuerbach, Paris: Vrin 1947 [auch Louvain: Editions de l'Institut Supérieur de Philosophie 1947, zu Hegel: S. 21-131] Grégoire, Franz: Hegel et la divinité de l'état, in: Actes du Ille congrès des sociétés de philosophie de langue française, Bruxelles/Louvain, 2-6 septembre 1947. Thème principal: les Valeurs, Louvain: Nauwelaerts und Paris: Vrin 1948, S. 247-253 Grégoire, Franz: L'état et la vie spirituelle de l'homme selon Hegel, in: Tijdschrift voor filosofie 9 (1947), S. 637-660 Hyppolite, Jean: L'aliénation hégélienne et la critique, in: Atti del congresso internazionale di filosofía, Roma 1946, Bd. 1, Mailand: Castelli 1947, S. 53-55 Hyppolite, Jean: La conception hégélienne de l'état et sa critique par Karl Marx, in: Cahiers internationaux de sociologie 2 (1947), S. 142-161 Hyppolite, Jean: Situation de l'homme dans la phénoménologie hégélienne, in: Les temps modernes 2 (1947), S. 1276-1289 *Kojève, Alexandre: Introduction à la lecture de Hegel, Paris: Gallimard 1947 [Untertitel: Leçons sur la „Phénoménologie de l'esprit" professées de 1933 à 1939, à l'Ecole des hautes études, hg. v. Raymond Queneau. Mehrere Nachdrucke. Rezensionen: Aimé Patri, Paru 4 (1947) [Nr. 34], S. 98-99; Pierre Picon, Fontaine 10 (1947) [Nr. 62]; Jules Vuillemin, Revue philosophique de la France et de l'étranger 75 (1950) [Bd. 140], S. 198-200] A. A.:
Anhang
232
Lacroix, Jean: Hegel et Marx, in: Le monde, 23. [oder 27.] Okt. 1947 Niel, Henri: L'interprétation de Hegel, in: Critique 2 (1947) [Nr. 18], S. 426-437 Niel, Henri: Introduction, in: G. W. F. Hegel: Les preuves de l'existence de Dieu, Paris: Montaigne 1947, S. 11-27
Vuillemin, Jules: La
mort dans la philosophie l'étranger 72 (1947) [Bd. 137], S. 194-202
de
Hegel,
in: Revue
philosophique
de la France et de
1948
Belaval, Yvon: Approches de Hegel, in: Etudes germaniques 3 (1948), S. 80-88 Caillois, Robert: Le monde vécu et l'histoire, II: Philosophie de la totalité et philosophie de l'histoire (Hegel), in: L'homme, le monde, l'histoire, Grenoble: Arthaud 1948, S. 27-48 Canguilhem, Georges: Hegel en France, in: Revue d'histoire et de philosophie religieuse 28/29 (1948/49)
[Heft 4], S. 282-297 Cornu, Auguste: L'idée d'aliénation chez Hegel, Feuerbach et Karl Marx, in: La pensée NF 17 (1948), S. 63-75
Dufrenne, Mikel: Actualité de Hegel, in: Esprit 16 (1947/48) [Heft 9], S. 396-408 [auch in ders.: Jalons, Den Haag/Nijhoff 1966, S. 70-83] Gandillac, Maurice de: Ambiguité hégélienne, in: Dieu vivant 11 (1948), S. 125-144 Hyppolite, Jean: De la structure philosophique du Capital et de quelques présupposés de l'œuvre de Marx, in: Bulletin de la société française de philosophie 42 (1948), S. 171-190 Hyppolite, Jean: Introduction à la philosophie de l'histoire de Hegel, Paris: Rivière 1948 [Nachdrucke 1968 und 1983, Rezensionen: Emile Brehier, Revue philosophique de la France et de l'étranger 75 (1950) [Bd. 140]; Alphonse de Waelhens, Revue philosophique de Louvain 47 (1949), S. 147-150] Kanapa, Jean: Chronique philosophique: Un débat sur la logique en URSS, la Logique d'Henri Lefebvre, les interprètes de Hegel, in: La pensée NF 17 (1948), S. 111-121 Klossowski, Pierre: Hegel et le mage du nord, Johann Georg Hamann, in: Les temps modernes 3 (1948), S. 234-238
Pensa, Mario: Le logos hégélien, Lausanne: Rougé 1948 Thao, Trân Duc: La „Phénoménologie de l'Esprit" et son contenu réel, in: Les temps modernes 3 ( 1948), S.492-519 1949
Beizer, George: La tradition philosophique dans la doctrine hégélienne, in: Proceedings of the Tenth International Congress of Philosophy, Heft 2, Amsterdam: North Holland 1949, S. 1183-1185 Bonnel, Pierre: Hegel et Marx à la lumière de quelques travaux contemporains, in: Critique 4 (1949) [Bd. 5,Nr. 34], S. 221-232 Darbon, Michel: Hégélianisme, marxisme, existentialisme, in: Etudes philosophiques NF 4 (1949), S. 346-370
Dhanis, Ed.: En marge d'un cours sur Hegel et Feuerbach, in: Gregorianum 30 (1949), S. 574-596 Gandillac, Maurice de: Ambiguité de l'humanisme hégélien, in: Proceedings of the Tenth International Congress of Philosophy, Heft 2, Amsterdam: North Holland 1949, S. 1177-1179 Grégoire, Franz: La raison de la valeur de l'état selon Hegel, in: Proceedings of the Tenth International Congress of Philosophy, Heft 2, Amsterdam: North Holland 1949, S. 1180-1182 Lukács, Georg: Les nouveaux problèmes de la recherche hégélienne, in: Bulletin de la société française de philosophie 43 (1949) [Heft 2], S. 53-72 1950
Asveld, Paul: G. W. F. Hegel. Ecrits théologiques de jeunesse, Louvain 1950
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
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Bottigelli, E.: A propos du retour à Hegel, in: La nouvelle critique (Dez. 1950), S. 73-81 Commission de critique du cercle des philosophes communistes: Le retour à Hegel: dernier mot du révisionnisme universitaire, in: La nouvelle critique (Nov. 1950), S. 43-54 *Weil, Eric: Hegel et l'état, Paris: Vrin 1950 [Mehrere Neuauflagen. Rezensionen: Emile Brehier, Revue philosophique de la France et de l'étranger 79 (1954) [Bd. 144]; Jean Hyppolite, Revue de métaphysique et de morale 56 (1951), S. 446; Alphonse de Waelhens, Revue philosophique de Louvain 49(1951), S. 471-473] Weil, Eric: Hegel et son interprétation communiste, in: Critique 5 (1950) [Bd. 6, Nr. 41], S. 91-93 *Weil, Eric: Logique de la philosophie, Paris: Vrin 1950 [2. Aufl. 1967] 1951
Hyppolite, Jean: Aliénation et objectivation: à propos du livre de Lukács sur la jeunesse de Hegel, in: Etudes germaniques 6 (1951), S. 117-124; 7 (1952), S. 37^3 Hyppolite, Jean: Humanisme et hégélianisme, in: Umanesimo e scienza política. Atti del Congresso Internazionale di Studi Umanistici, Roma/Firenze 1949, hg. v. Enrico Castelli, Mailand: Marzorati 1951, S. 217-228 Lefebvre, Henri: Lettre sur Hegel, in: La nouvelle critique 3 (1951/52) [Nr. 22], S. 99-104 Löwith, Karl: L'histoire universelle et l'événement du salut. I. La théologie augustienne de l'événement du salut. II. Philosophie hégélienne de l'histoire du monde, in: Dieu vivant 18 (1951), S. 57-77 Minder, Robert: „Herrlichkeit" chez Hegel ou le monde des pères souabes, in: Etudes germaniques 6
(1951), S. 275-290 *Tomlin, Frédric: Les grands philosophes de l'Occident, übers, v. E. Jung, Paris: Payot 1951 [zu Hegel: S.
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*Thao, Trân Duc: Phénoménologie et matérialisme dialectique, Paris: Editions Minh Tan 1951 1952
Aebli, M.: Critique de la construction marxiste et hégélienne de l'histoire. L'homme et l'histoire, in: Actes du Vie congrès des sociétés de philosophie de langue française, Paris: PUF 1952, S. 281-290 *Asveld, Paul: Hegel, réformateur religieux, 1793-1796, Louvain: Publications universitaires 1952 Croce, Benedetto: Hegel et l'origine de la dialectique, in: Revue internationale de philosophie 6 (1952)
[Heft 19], S.
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Anhang
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Jean:
Logique
et existence. Essai sur la
Bd. 1, Rom: Fratelli Bocea 1953, S. 87-91 Niel, Henri: De Hegel à Marx, in: La vie intellectuelle 21 (1953) [Heft 3], S. 69-74
Ouy, Achille: Connaissance de Hegel, in: Mercure de France 1078 (1953), S. 355-368 Wahl, Jean: Une interprétation de la logique de Hegel. Apropos de l'ouvrage de J. Hyppolite: Logique et existence, in: Critique 8 (1953) [Bd. 9, Nr. 79], S. 1050-1071 1954
Bottigelli, Emile: Comment Lénine lit Hegel, in: La pensée NF 57 (1954), S. 110-114 Calvez, Jean-Yves: L'âge d'or. Essai sur le destin de la „belle âme" chez Novalis et Hegel, in: Etudes germaniques 9 (1954), S. 112-127 Cornu, Auguste: Une étude sur Hegel, in: La pensée (März/April 1954), S. 116-118 Desanti, Jean: Hegel, est-il le père de l'existentialisme?, in: La nouvelle critique 6 (1954) [Nr. 56], S. 91-109; [Nr. 57] S. 163-187 Fessard, Gaston: Hegel. Premières publications: différences des systèmes philosophiques de Fichte et de Schelling. Foi et savoir, in: Etudes 87 (1954) [Bd. 281], S. 267 Hyppolite, Jean: La logique de Hegel selon ~, in: Intériorité et vie spirituelle, Paris: Fayard 1954, S. 171-195
Lacroix, Jean: La signification de la pensée de Hegel, in: Le monde, 3.6.1954 Patri, Aimé: En relisant l'esthétique de Hegel, in: Paru 10 (1954) [Nr. 80/81], S. 132-136 Waelhens, Alphonse de: Phénoménologie husserlienne et phénoménologie hégélienne, in: Revue philo-
sophique de Louvain 52 (1954), S. 234-249 [auch in ders.: Existence et signification, Paris/Louvain: Nauwelaerts 1958, S. 7-29] 1955 Barth, Karl: Hegel, übers, v. J. Carrère, Paris/Neuchâtel: Delachaux & Niestlé 1955 Cottier, Georges: Chronique hégélienne, in: Revue thomiste 63 (1955) [Bd. 55], S. 670-688 Deucalion 5 (1955), Nr. 40 (Sonderheft „Etudes hégéliennes"), darin: Bataille, Georges: Hegel, la mort et le sacrifice, S. 21^44; Bataille, Georges und Raymond Queneau: La critique des fondements de la dialectique hégélienne, S. 45-60; Queneau, Raymond: Dialectique hégélienne et séries de Fourier, S. 61-76; Wahl, Jean: A propos de l'introduction à la Phénoménologie de Hegel par A. Kojève, S. 77-100; Weil, Eric: La morale de Hegel, S. 101-116 Gaide, Dom Gilles: Hegel ou les insuffisances de l'histoire pure, in: Témoignages 49 (1955), S. 199— 214
Grégoire, Franz: Une semi-légende: la „divinité" de l'état chez Hegel, in: Bulletin de l'Académie royale de Belgique. Classe des lettres et des sciences morales et politiques, Reihe 5, 41 (1955) [Heft 6], S. 315-329 [auch in ders.: Etudes hégéliennes: les points capitaux du système, Louvain: Publications universitaires und Paris: Nauwelaerts 1958] Guitton, Jean: Actualité de Saint-Augustin, Paris: Grasset 1955 [zu Hegel: S. 98-107]
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
235
Hyppolite, Jean: Dialectique et dialogue dans la Phénoménologie de l'Esprit de Hegel, in: Entretiens Philosophiques d'Athènes 2-6 Avril 1955, Athen: Institut International de Philosophie 1955, S. 184-188
*Hyppolite, Jean: Etudes sur Marx et Hegel, Paris: Rivière 1955 [2. Aufl. 1965] Kojève, Alexandre: Le concept et le temps, in: Deucalion 5 (1955) [Nr. 40], S. 11-20 Niel, Henri: Hégélianisme et christianisme, in: ders.: Philosophies chrétiennes, Paris: Fayard 1955, S. 82-90 Niel, Henri: La philosophie du travail chez Hegel et chez Marx, choix de textes, in: Lumière et vie 4 (1955) [Nr. 20], S. 23^18 Ramier, Claude: Hegel et l'histoire de la philosophie, in: La pensée NF 64 (1955), S. 92-97 Ricceur, Paul: Philosophie et ontologie. 1. Retour à Hegel, in: Esprit 23 (1955) [Heft 8], S. 1378-1391 *Sapientia Aquinatis. Communicationes IV. congressus Thomistici internationalis. Romae, 13-17 Septembris 1955, Bd. 1, Rom: Officium Libri Catholici 1955, darin: Chaix-Ruy, J.: Hegel et Saint Thomas: Dialectique et logique, S. 212-221; Garrigou-Lagrange, R.: Dialectique hégélienne et métaphysique thomiste, S. 271-282; Grégoire, Franz: Thèmes hégéliens et dépassements thomistes, S. 282-292 Tara, Vasile: L'état hégélien et sa critique par Karl Marx, Paris 1955 *Verneaux, Roger: L'histoire de la philosophie et de la métaphysique, Paris: Desclée de Brouwer 1955 [Kap. „L'essence du scepticisme chez Hegel", S. 109-151] 1956 Amar, André: Les deux sources de la philosophie hégélienne, in: Evidences 54 (1956), S. 1-4 Bataille, Georges: Hegel, l'homme et l'histoire, in: Le Monde nouveau Paru 11 (1956) [Nr. 96], S. 2123; [Nr. 97] S. 1-14 *Calvez, Jean-Yves: La pensée de Karl Marx, Paris: Editions du Seuil 1956 [Kap. „La dialectique", S. 355^42] *Jacobson, Arthur-Léonard: De la phénoménologie à la logique de la pratique. Une étude sur la „Phénoménologie de l'esprit" de Hegel et la „Logique, la théorie de la recherche" de Dewey, Paris 1956 Lapierre, J.-W.: Hegel, Barth, et l'homme moderne, in: Semeur 8 (1956), S. 185-187 Niel, Henri: Dialectique hégélienne et dialectique marxiste, in: Aspects de la dialectique, Paris: Desclée de Brouwer 1956, S. 225-235 Niel, Henri: Hégélianisme et histoire, in: Recherches et débats 17 (1956), S. 20^16 [auch in Rémond, René u. a.: Philosophies de l'histoire, Paris: Fayard 1956] Weil, Eric: Hegel, in: Les philosophes célèbres, hg. v. Maurice Merleau-Ponty, Paris: Mazenod 1956, S. 258-265 1957 Bonnel, P.: Hegel et Marx, in: La revue socialiste 110 (1957), S. 314-325; 111 (1957), S. 428^140 Grégoire, Franz: La dialectique hégélienne de l'être, du néant et du devenir, in: Revue de métaphysique et de morale 62 (1957), S. 88-95 *Kremer-Marietti, Angèle: La pensée de Hegel. Suivi d'une étude de Jean Wahl, Paris: Bordas 1957 Maritain, Jacques: La dialectique de Hegel, in: Nouvelle revue française 5 (1957) [Bd. 9, Nr. 49], S. 19-30; [Nr. 50] S. 228-241 Wahl, Jean: Hegel et Heidegger, in: Kremer-Marietti, Angèle: La pensée de Hegel. Suivi d'une étude de Jean Wahl, Paris: Bordas 1957, S. 185-195 1958 Birault, Henri: L'onto-théologique hégélienne et la dialectique, in: Tijdschrift voor filosofie 20 (1958), S.646-723 -
Anhang
236
Grégoire, Franz: Etudes hégéliennes: les points capitaux du système, Louvain: Publications universitaires und Paris: Nauwelaerts 1958 Heidegger, Martin: Hegel et les Grecs, in: Cahiers du sud 45 (1958) [Nr. 349], S. 355-368 [auch in ders.: Questions, Bd. 2, Paris: Gallimard 1968] Taminiaux, Jacques: La pensée esthétique du jeune Hegel, in: Revue philosophique de Louvain 56 (1958), S. 222-250 Teyssèdre, Bernard: L'esthétique de Hegel, Paris: PUF 1958 [viele Nachdrucke] Teyssèdre, Bernard: Les soirées parisiennes de Hegel. D'après une documentation traduite avec l'aide de Arnim Raith, in: Revue d'esthétique 11 (1958), S. 40-74 1959 Asveld, Paul: L'idéalisme allemand. Fichte Schelling Hegel, in: Philosophy in the Mid-Century. A Survey. La philosophie au milieu du vingtième siècle. Chroniques, hg. v. Raymond Klibansky, Bd. 4, Florenz: Nuova Italia 1959, S. 162-174 [2. Aufl. 1962] Cottier, Georges: L'athéisme du jeune Marx: ses origines hégéliennes, Paris: Vrin 1959 [zu Hegel: 5. 19-104] Fetscher, Iring: Hegel et le marxisme, in: Archives de philosophie 22 (1959), S. 323-368; 23 (1960), S. 522-572 Hayen, André: Hegel et Blondel. A propos d'un livre récent, in: Revue philosophique de Louvain 57 (1959), S. 342-350 Langlois, Jean: Note sur Hegel et le principe de contradiction, in: Sciences ecclésiastiques 11 (1959), S. 99-110 Régnier, Marcel: La philosophie hégélienne et l'évolution de l'humanité, in: Archives de philosophie 22(1959), S. 115-119 Waelhens, Alphonse de: Réflexions sur une problématique husserlienne de l'inconscient. Husserl et Hegel, in: Edmund Husserl 1859-1959, Den Haag: Nijhoff 1959, S. 221-237 Wahl, Jean: Commentaire de la logique de Hegel, Paris: Centre de Documentation Universitaire 1959 Wahl, Jean: La logique de Hegel comme phénoménologie, Paris: SEDES 1959 [viele Nachdrucke] 1960 Alain [Emile Auguste Chattier]: Les passions et la sagesse, Paris: Gallimard 1960 [zu Hegel: S. 999-
-
1070] Brunet, Christian: L'ontologie dans l'„Encyclopédie" de Hegel, in: Revue de métaphysique et de morale
65(1960), S. 449^162 Dubarle, Dominique: Esquisse du problème contemporain de la raison: Hegel, in: La crise de la raison dans la pensée contemporaine, Paris: Desclée de Brouwers 1960, S. 97-101 Guinle, Jean Philippe: Le rapport de l'état et de la religion dans la philosophie du droit de Hegel, Paris 1960
Maritain, Jacques:
philosophie morale, Bd. 1 : Examen historique et critique des grands systèmes, [Abschnitt „L'idéalisme hégélien", S. 159-262; Nachdruck 1966] Molnar, Erik: L'influence de la philosophie d'histoire de Hegel sur l'historiographie marxiste, in: Etudes historiques 1 (1960), S. 149-162 Peperzak, Adrien T. B.: Le jeune Hegel et la vision morale du monde, Vorwort v. P. Ricœur, Den Haag: Nijhoff 1960 [2. verb. u. erw. Aufl. 1969] Recherches internationales à la lumière du marxisme 19 (1960), Nr. 5-6 (Sonderheft „Sur le jeune Marx"), darin: Gropp, Rugard Otto: Système philosophique et histoire de la philosophie chez Hegel et chez Marx, S. 207-218; Hoeppner, Joachim: A propos de quelques conceptions erronées du pasLa
Paris: Gallimard 1960
Chronologische Bibliographie zum französischen Hegel 1918-1970
237
sage de Hegel à Marx, S. 175-190; Lapine, Nikolai: La première critique approfondie de la philosophie de Hegel par Marx, S. 53-71; Togliatti, Palmiro: De Hegel au marxisme, S. 36-52 Rohrmoser, Günther: Schiller et Hegel. La réconciliation esthétique, in: Archives de philosophie 23 (1960), S. 186-206 Teyssèdre, Bernard: Hegel à Stuttgart. Essai sur la formation esthétique de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 85 (1960) [Bd. 150], S. 197-227 Touilleux, Paul: Introduction aux systèmes de Marx et Hegel, Paris: Desclée de Brouwer o.J.
[1959/60] Waelhens, Alphonse de: Identité et différence: Heidegger et Hegel, in: Revue internationale de philosophie 14 (1960) [Nr. 52], S. 221-237 1961
*Bayer, R.: Histoire de l'esthétique, Paris: Armand Colin 1961 [Abschnitt „Hegel et l'art", S. 260266] Cottier, Georges: Hegel, la théologie et l'histoire. A propos de l'actualité historique du R. P. Gaston Fessard, in: Revue thomiste 69 (1961) [Bd. 61], S. 88-108 Fessard, Gaston: Attitude ambivalente de Hegel en face de l'histoire, in: Archives de philosophie 24 (1961), S. 207-241 [auch in: Hegel-Jahrbuch 1961, S. 25-60] Findlay, John Niemeyer: L'actualité de Hegel, in: Archives de philosophie 24 (1961), S. 480-496 Gauvin, Joseph: Hegeliana. Réflexions sur le congrès de Vienne, in: Archives de philosophie 24 (1961), S.337-340 *Koyré, Alexandre: Etudes d'histoire de la pensée philosophique, Paris: Armand Colin 1961
[Nachdruck
1971] Mouloud, Noël: Logique de l'essence et logique de l'entendement chez Hegel, in: Revue de métaphysique et de morale 66 (1961), S. 159-183 Niel, Henri: La suppression de la philosophie à propos de Hegel et de Marx, in: Critique 17 (1961) [Nr. 174], S. 973-990 Patri, Aimé: Dialectique du maître et de l'esclave, in: Le contrat social 5 (1961), S. 231-235 1962
Althusser, Louis: Contradiction et sur-détermination. Notes pour une recherche, in: La pensée NF 106
(1962), S. 3-22 Blanchard, Yvon: Notes sur la philosophie du travail chez Hegel, in: Sciences ecclésiastiques 14 (1962), S.311-318
Cottier, Georges: Chronique hégélienne, in: Revue thomiste 70 (1962) [Bd. 62], S. 630-654 Croissant, J.: Aspects fondamentaux de la pensée de Hegel, in: Morale et enseignement 11 (1962) [Nr. 41], S. 1-30 *Deleuze, Gilles: Nietzsche et la philosophie, Paris: PUF 1962 *Garaudy, Roger: Dieu est mort. Etude sur Hegel, Paris: PUF 1962 [2. Aufl. 1970] Grégoire, Franz: L'état hégélien est-il totalitaire? Critique de l'interprétation de J. Maritain, in: Revue philosophique de Louvain 60 (1962), S. 244-253 Kremer-Marietti, Angèle: Hegel et Nietzsche, in: Revue des lettres modernes 76/77 (1962/63), S. 1724
Leclère,
H.: Hegel, in: Catholicisme. Hier aujourd'hui demain, Bd. 5, Paris: Letourzey 1962, 561-568 Sp. *Papaioannou, Kostas: Hegel. Présentation, choix de textes (traduits de Hegel), bibliographie, Paris: Seghers 1962 [Nachdruck 1969] -
-
Anhang
238
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Régnier,
[Maschinenschr.] Journet, Charles: Un affrontement de Hegel
et de la sagesse
chrétienne, in:
Nova et vetera 38
(1963),
S.102-128 Korsch, K.: L'ancienne dialectique hégélienne et la nouvelle science matérialiste, in: Cahiers de l'Institut de Science Economique Appliquée 140 (1963) [Suppl.], S. 181-188 Lacharrière, René de: Etudes sur la théorie démocratique. Spinoza, Rousseau, Hegel, Marx, Paris: Payot 1963 [Kap. „Hegel contre la démocratie", S. 113-145] Mouloud, Noël: Forme, sens et dialectique dans l'esthétique de Hegel, in: Revue d'esthétique 16 (1963), S. 33-63 Queneau, Raymond: Premières confrontations avec Hegel, in: Critique 19 (1963) [Nr. 195/196], S. 694-700 Ritter, Joachim: Hegel et la révolution française, in: Archives de philosophie 26 (1963), S. 323-356, 516-542 1964 Badi, Amir Mehdi: Hegel et les origines de la pensée contemporaine, Lausanne: Payot 1964 Bellescize, Romée de: La „Propédeutique philosophique" de Hegel. Comme introduction à la science
politique Bruaire, Claude: Logique et religion chrétienne dans la philosophie de Hegel, Paris: Editions du Seuil 1964 [Nachdruck 1967] Chapelle, Albert: Hegel et la religion, 3 Bde., Paris: Editions Universitaires 1964—1971 Flam, L.: Le devenir de la vérité de Hegel à Heidegger, in: Actes du Xlle congrès des sociétés de philosophie de language française organisé à Bruxelles et à Louvain du 22 au 24 août 1964 par la Société belge de Philosophie et la Société philosophique de Louvain. Thème principal: La Vérité, Bd. 1 : Communications, Louvain/Paris: Nauwelaerts 1964, S. 286-292 Fleischmann, Eugène: La philosophie politique de Hegel, sous forme d'un commentaire des „Fondements de la philosophie du droit", Paris: Pion 1964 [Rezension: Michel Villey, Archives de philosophie du droit NF 11 (1966), S. 356-358] Garaudy, Roger: Contradiction et totalité dans la logique de Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 89 (1964) [Bd. 154], S. 67-79 Goldschmidt, Victor: L'abolition de l'esclavage selon Hegel, in: Memorias de XIII. congresso internacionale de filosofía, Bd. 6, Mexico 1964, S. 282-290 Goldschmidt, Victor: Etat de nature et pacte de soumission chez Hegel, in: Revue philosophique de la France et de l'étranger 89 (1964) [Bd. 154], S. 45-66
Chronologische Bibliographie
zum
französischen Hegel 1918-1970
239
Hegel- Jahrbuch 1964, Meisenheim: Hain 1965, darin: Bruaire, Claude: Idéalisme et philosophie de langue, S. 16-26; D'Hondt, Jacques: Problèmes de la religion esthétique, S. 34-48; Hyppolite, Jean: Le tragique et le rationnel dans la philosophie de Hegel, S. 9-15 Prévost, René: L'évolution économique vue par Hegel, in: Revue d'histoire économique et sociale 42 (1964), S. 74-88 Riet, Georges van: Y a-t-il un chemin vers la vérité? A propos de l'introduction à la phénoménologie de l'esprit de Hegel, in: Revue philosophique de Louvain 62 (1964), S. 466-476 *
1965
Baron, R.: Dialectique et humanisme chez Platon et Hegel, in: Giornale di metafísica 20 (1965), S. 142— 149
Chamley, Paul: Les origines de la pensée économique de Hegel, in: Hegel-Studien, Bonn: Bouvier 1965, S. 225-261
Fischer, Ernst: L'avenir de l'art. Conférence au Ve congrès international sur Hegel à Salzbourg, in: La pensée NF 121 (1965), S. 101-108 Gauvin, Joseph: Le sens et son phénomène. Projet d'un lexique de la phénoménologie de l'esprit, in: Hegel-Studien, Bonn: Bouvier 1965, S. 263-275 Girndt, Helmut: La critique de Fichte par Hegel dans la „Differenzschrift" de 1801, in: Archives de philosophie 28 (1965), S. 37-62 Hoog, M.: Hegel. Esthétique de la peinture figurative, in: Etudes 98 (1965) [Bd. 322], S. 143 Hook, Sidney: Hegel penseur liberal?, in: Le contrat social 9 (1965), S. 35-41
Lemaigre, Bernard-M.: Hegel et le problème de l'infini d'après la logique d'Iéna (1801-1802), in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 49 (1965), S. 3-37 Papaioannou, Kostas: Hegel et la philosophie de l'histoire, in: Hegel, G. W. F.: La raison dans l'histoire, Paris 1965, S. 5^t0 Riet, Georges van: Le problème de Dieu chez Hegel, in: Doctor communis 18 (1965), S. 205-214 Riet, Georges van: Le problème de Dieu chez Hegel. Athéisme et christianisme, in: Revue philosophi-
que de Louvain 63 (1965), S. 353^118 *Rondet, Henri: Hégélianisme et christianisme. Introduction théologique à l'étude du système hégélien, Paris: Lethielleux 1965 Thao, Trân Duc: Le „noyau rationnel" dans la dialectique hégélienne, in: La pensée NF 119 (1965), S. 3-23 Thulstrup, Niels: Sören Kierkegaard, historien de la philosophie de Hegel, in: Tijdschrift voor filosofie 27(1965), S. 521-572 *Vancourt, Raymond: La pensée religieuse de Hegel, Paris: PUF 1965 [Nachdruck 1971] Wahl, Jean: Le rôle de A. Koyré dans le développement des études hégéliennes, in: Archives de philosophie 28 (1965), S. 323-336 1966 Brelet, Gisèle: Hegel et la musique moderne. Hegel und die moderne Musik, in: Hegel-Jahrbuch 1965, Meisenheim: Hain 1966, S. 10-26 *Chevalier, Jacques: Histoire de la pensée, Bd. 4: La pensée moderne de Hegel à Bergson, Paris: Flammarion 1966 Cottier, Georges: Quelques thèmes de la philosophie hégélienne de la religion, in: Nova et vetera 41 (1966), S. 258-272 *Denis, Henri: Histoire de la pensée économique, Paris: PUF 1966 [Abschnitt „La philosophie politique de Hegel" S. 372-386]
Anhang
240
D'Hondt, Jacques: Hegel et Marivaux, in: Europe 44 (1966) [Nr. 451/452], S. 323-337 D'Hondt, Jacques: Hegel, philosophie de l'histoire vivante, Paris: PUF 1966 [2. Aufl. 1987] Droz, Jacques: Le romantisme allemand et l'état. Résistance et collaboration dans l'Allemagne napoléonienne, Paris: Payot 1966 [zu Hegel: S. 127-132] Flam, L.: Les symboles de Hegel à Heidegger, in: Revue de l'Université de Bruxelles 19 (1966/67), S. 225-236
Hegel-Tage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes, hg. v. HansGeorg Gadamer, Bonn: Bouvier 1966, darin: Gauvin, Joseph: Plaisir et nécessité, S. 155-180; Hyppolite, Jean: Discours d'introduction, S. 11-13; Hyppolite, Jean: L'état du droit (la condition juridique). Introduction à une commentaire, S. 181-185; Kaan, André: Le mal et son pardon, S. 187-194; Régnier, Marcel: Les journées de Royaumont, 19-21 octobre 1964, S. 7-8; Wahl, Jean: Le rôle de A. Koyré dans le développement des études hégéliennes en France, S. 15-21 Garaudy, Roger: La pensée de Hegel, Paris: Bordas 1966 [2. Aufl. 1977] Lemaigre, Bernard-M.: Hegel et la dialectique des idées transcendentales dans la métaphysique d'Iéna (1801-1802), in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 50 (1966), S. 3-50 Metz, André: Les jeux de mots dans la dialectique hégélienne, in: Le langage. Actes du XlIIe congrès des sociétés de philosophie de langue française, Bd. 1, Neuchâtel: La Baconnière 1966, S. 160-163 Pöggeler, Otto: Qu'est-ce que la phénoménologie de l'esprit?, in: Archives de philosophie 29 (1966), S. 189-236
Poulantzas, Nicos: La dialectique hégélienne-marxiste
et la logique juridique moderne, in: Archives de du droit NF 11 S. 149-157 (1966), philosophie Régnier, Marcel: Ambiguité de la théologie hégélienne, in: Archives de philosophie 29 (1966), S. 175-
188 De quel usage peut être en logique juridique la „dialectique" au sens moderne hégélien et marxiste du mot, in: Archives de philosophie du droit NF 11 (1966), S. 159-169 Tilliette, Xavier: Schelling contre Hegel, in: Archives de philosophie 29 (1966), S. 89-108 1967 Brüggen, Michael: La critique de Jacobi par Hegel dans „foi et savoir", in: Archives de philosophie 30 (1967), S. 187-198 Chamley, Paul: Notes de lecture relatives à Smith, Steuart et Hegel, in: Revue d'économie politique 77 (1967), S. 857-878 Cottier, Georges: La philosophie de la religion chez Hegel, in: Revue thomiste 75 (1967) [Bd. 67], S. 589-609 Derrida, Jacques: L'écriture et la différence, Paris: Editions du Seuil 1967 [Kap. 9, „De l'économie restrainte à l'économie générale: un hégélianisme sans réserve"] D'Hondt, Jacques: Hegel clandestin, in: La pensée NF 133 (1967), S. 97-102 D'Hondt, Jacques: Hegel, sa vie, son œuvre avec un exposé de sa philosophie, Paris: PUF 1967 [2. Aufl. 1975] Doz, André: Sur le passage du concept à l'être chez Descartes et Hegel, in: Revue de métaphysique et de morale 72 (1967), S. 216-230 George, Waldemar [George Jarocinski]: Présence de l'esthétique de Hegel, Paris: Arted 1967 Golfín, Christophe: La philosophie politique de Hegel, in: Revue thomiste 75 (1967) [Bd. 67], S. 249-
Stoyanovitch, K.:
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Maspétiol, Roland: Droit, société civile et état dans la pensée de Hegel, in: Archives de philosophie du droit NF 12(1967), S. 91-130
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Maurer, Reinhart Klemens: Hegel et la fin de l'histoire, in: Archives de philosophie 30 (1967), S. 483518
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*Labarrière, Pierre-Jean: Structures et mouvement dialectique dans la „Phénoménologie de l'esprit" de Hegel, Paris: Aubier-Montaigne 1968 [Nachdruck 1984] Laffoucrière, Odette: Le destin de la pensée et „la mort de Dieu" selon Heidegger, Den Haag: Nijhoff
1968 [zu Hegel: S. 191-220] Lemaigre, Bernard-M.: Bulletin d'histoire de la philosophie: Hegel, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 52 (1968), S. 442-478 Luebbe, H.: Hegel, critique de la société politisée, in: Archives de philosophie 31 (1968), S. 17-35 Magalhaes-Vilhena, R.: Hegel, Aristote et Anaxagores. Une source méconnue de la pensée hégélienne, in: La pensée NF 139 (1968), S. 89-113 *Marcuse, Herbert: Raison et révolution. Hegel et la naissance de la théorie sociale, übers, v. Robert Castel und Pierre-Henri Gonthier, Paris: Editions de Minuit 1968 et sujet chez Hegel et Schelling, in: Revue de
Marquet, J. F.: Système (1968), S. 167-183
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73
Anhang
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Oijzerman, Theodor L: Marx, Hegel et la conscience bourgeoise aujourd'hui, in: La pensée NF 140-141 (1968), S. 117-130 Palmier, Jean-Michel: Hegel. Essai sur la formation du système hégélien, Paris: Editions universitaires 1968 Quelquejeu, Bernard: La volonté dans la philosophie de G. W. F. Hegel. Une anthropologie philosophique, Nanterre 1968 Ritter, Joachim: Personne et propriété selon Hegel (Principes de la philosophie du droit, § 34—81), in: Archives de philosophie 31 (1968), S. 179-201 Rivaud, Albert: Histoire de la philosophie, Bd. 5: De Hegel à Schopenhauer, Paris: PUF 1968 Tilliette, Xavier: Hegel et Schelling à Iéna, in: Revue de métaphysique et de morale 73 (1968), S. 148— 166
Trotignon, Pierre: Introduction à Hegel, in: Revue de l'enseignement philosophique 18 (1968), S. Verneaux, Roger: De la dialectique du sensible selon Hegel, in: Sapienza 21 (1968), S. 421^138
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(1969), Hegel-Sonderheft, darin: Audouard, X.: Pourquoi pas Hegel non plus, S. 48-55; Backers, C: La pensée à blanc L'athéisme et le langage, S. 1-5; Cassiau, M. F.: Hegel, ou la logique de la ruse, S. 56-64; Delhomme, J.: Le troisième langage, S. 65-72; D'Hondt, Jacques: Le Dieu-miroir, S. 29-34; Escaraffel, F.: Des mouvements parallèles dans la phénoménologie de l'esprit, S. 93-105; Hollier, D.: Le dispositif Hegel / Nietzsche dans la bibliothèque de Bataille, S. 35-47; Janicaud, P.: L'ombre de Hegel, S. 21-28; Trotignon, Pierre: Lire Hegel, S. 81-92; Wetzel, H.: Nature morte à la baleine, S. 73-80 Bourgeois, Bernard: La pensée politique de Hegel, Paris: PUF 1969 Conche, Marcel: Essai d'explication des §§ 135-141 de l'encyclopédie des sciences philosophiques de Hegel, in: Revue de l'enseignement philosophique 19 (1969), S. 1-17 [auch in: Revue de métaphysique et de morale 75 (1970), S. 50-78] Cottier, Georges: Signification de la dialectique chez Hegel, in: Revue thomiste 77 (1969) [Bd. 69], -
S. 378^141
Hegel-Tage Urbino 1965. Vorträge, hg. v. Hans-Georg Gadamer, Bonn: Bouvier 1969, darin: Bruaire, Claude: Logique et non-sens de l'histoire chez Hegel, S. 161-168; Chamley, Paul: La doctrine économique de Hegel et la conception hégélienne du travail, S. 147-159; Gauvin, Joseph: L'aphorisme 50 du temps de Jena, S. 65-74; Hyppolite, Jean: Note sur la préface de la phénoménologie de l'esprit et le thème: L'absolu est sujet, S. 75-80; Kirscher, Gilbert: Hegel et la philosophie de F. H. Jacobi, S. 181-191; Lemaigre, Bernard-M.: Infinité et existence dans la métaphysique d'Iéna, S. 57-64; Régnier, Marcel: Les aphories de la théologie hégélienne, S. 169-179; Tilliette, Xavier: Schelling critique de Hegel, S. 193-203; Weil, Eric: Hegel et nous, S. 7-15 Gandillac, Maurice de: Sur la nouvelle édition des œuvres complètes de Hegel, in: Revue de métaphysique et de morale 74 (1969), S. 381-391 Gauthier, Yvon: L'arc et le cercle. L'essence du langage chez Hegel et Hölderlin, Paris: Desclée de Brouwer 1969
Hulin, Michel: Hegel et l'orient, Paris 1969 Kangrga, Milan: Révolution politique et révolution sociale. Rapport de la société et de l'état chez Hegel et chez Marx, in: Praxis 5 (1969), S. 353-370 Klein, Isaac: Hegel et le problème du scepticisme, Paris 1969 Kouka, Joseph: La tragique ou la liberté du vide chez Hegel, Bordeaux 1969 Ladrière, Jean: Le rôle de la notion de finalité dans une cosmologie philosophique, in: Revue philosophique de Louvain 67 (1969), S. 143-181
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Lemaigre, Bernard-M.: De l'objectivité de Dieu dans la pensée hégélienne, in: Procès de l'objectivité de Dieu, Paris: Editions du Cerf 1969, S. 37-63 Lemaigre, Bernard-M.: Le savoir absolu comme réalisation du soi dans la philosophie de Hegel, in: Etudes freudiennes 1-2 (1969), S. 249-283 *Löwith, Karl: De Hegel à Nietzsche. Essai philosophique, übers, v. Rémi Laureillard, Paris: Gallimard 1969 [deutsches Original von 1941] *Nguyen Duc Nhuân: La théorie des rapports entre l'église et l'état dans la philosophie de Hegel, ParisNanterre 1969 Niel, Henri: La philosophie politique de Hegel, in: Science et esprit 21 (1969) [Heft 1], S. 9-17 *Noiray, André u.a.: La philosophie. De Hegel à Foucault, du marxisme à la phénoménologie, Paris: Denoël 1969 *Ozaki, Makoto: Hegel et Mallarmé. Problèmes théoriques de l'influence, Paris-Nanterre 1969 Philonenko, A.: Ethique et guerre dans la pensée de Hegel, in: Guerres et paix 4 (1969) [Heft 1], S. 718 Philonenko, A.: Hegel critique de Kant, in: Bulletin de la société française de philosophie 63 (1969), S.
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Robinet, André: Le congrès parisien de la „Hegel-Gesellschaft", in: Etudes philosophiques (1969), S. 288-289
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Séminaire du Thor: Séminaire tenu par le professeur Martin Heidegger sur la "Differenzschrift" de Hegel, Paris: Munier 1969 *La dialectique. Actes du 14e congrès des sociétés de philosophie de langue française, hg. v. Sociétés de philosophie de langue française, Paris: PUF 1969, darin: Almaleh, G.: De Hegel à Marx; Charpy, M.: André Breton et la dialectique; D'Hondt, J.: La dialectique de Marx et de Hegel; Fleischmann, E.: Dialectique positive et négative chez Hegel; Kirschner, G.: Raison critique et raison dialectique; Marietti, A.: Ipséité et altérité chez Hegel; Robinet, A.: Dialectique et histoire de la philosophie; Araud, R.: Critique de Hegel par Marx. Abstraction et analyse; Dubarle, D.: Mouvement dialectique et formalisation logicienne; Lutterbacher, O.: La dialectique du maître et de l'esclave; Fessard, G.: La dialectique et son sens; Leonard, A.: Dialectique hégélienne et discours sur la religion chrétienne; Riet, G. van: La synthèse religieuse Taminiaux, Jacques: Le langage selon les écrits d'Iéna, in: Tijdschrift voor filosofie 31 (1969), S. 363*
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Vancourt, Raymond: Etat de nature et péché originel selon Hegel, in: Mélanges de science religieuse 26 (1969) [Heft 3], S. 113-144 *Vergez, André Michel: Faute et liberté, Paris: Les Belles Lettres 1969 [Kap. XIII, „Faute et liberté selon 1970
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Almaleh, Gerard: Philosophie et histoire de la philosophie dans la „Logique de la philosophie", in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 439^170 Archives de philosophie 33 (1970), Heft 4 (Sonderheft), darin: D'Hondt, Jacques: Hegel, un texte malmené, S. 855-879; Gadamer, Hans-Georg: Signification de la logique de Hegel, S. 675-700; Gauvin, Joseph: Le „fur uns" dans la phénoménologie de l'esprit, S. 829-854; Kimmerle, Heinz: Histoire et philosophie selon Hegel. Remarques historiques et philosophiques nécessaires, S. 787-799; Kirscher, Gilbert: Hegel et Jacobi critiques de Kant, S. 801-828; Labarrière, Pierre-Jean: Histoire et liberté. Les structures intemporelles du procès de l'essence, S. 701-718; Labarrière, Pierre-Jean: Bulletin de littérature hégélienne, S. 921-944; Pannenberg, Wolfhart: La signification du christianis-
Anhang
244
dans la philosophie de Hegel, S. 755-786; Pöggeler, Otto: „L'esprit du christianisme" de Hegel, S. 719-754; Régnier, Marcel: J. Hoffmeister et l'édition F. Meiner de Hegel, S. 917-920 Association internationale pour l'étude de la philosophie de Hegel: Hegel, l'esprit objectif, l'unité de l'histoire. Actes du 3e congrès international pour l'étude de la philosophie de Hegel, Lille, 8-10 avril 1968, Lille: Girard 1970 Aubenque, Pierre: Evolution et constantes de la pensée dialectique, in: Etudes philosophiques NF 25 (1970), S. 289-301 Belaval, Yvon: La doctrine de l'essence chez Hegel et chez Leibniz, in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 547-578 Boey, Conrad: L'aliénation dans la „Phénoménologie de l'Esprit" de G. W. F. Hegel, Paris: Desclée de Brouwer 1970 Bourgeois, Bernard: Hegel à Francfort ou judaïsme, christianisme, hégélianisme, Paris: Vrin 1970 Brouillet, Raymond: De la dialectique. Confrontation de deux interprétations de la „Phénoménologie de l'Esprit" de Hegel: A. Kojève et Tran-Duc-Thao, Louvain 1970 Calvez, Jean-Yves: De quelques problèmes de l'histoire à propos des manuscrits économico-philosophiques de Marx, in: Hegel-Jahrbuch 1968/69, Meisenheim: Hain 1970, S. 17-25 Charrier, J. P.: Rupture et continuité dans la philosophie religieuse de Hegel, in: Revue de l'enseignement philosophique 20 (1970), S. 1-21 Cottier, Georges: De Luther à Hegel. Aux origines de la dialectique, in: Nova et vetera 45 (1970), S. 114-131 Hegel et la pensée moderne. Séminaire sur Hegel [Jean Hyppolite, Collège de France, Paris 1967/68], hg. v. Jacques D'Hondt; Paris: PUF 1970, darin: D'Hondt, Jacques: Téléologie et praxis dans la Logique de Hegel; Derrida, Jacques: Le puits et la pyramide. Introduction à la sémiologie de Hegel; Althusser, Louis: Sur le rapport de Marx et Hegel; Dubarle, Dominique: Logique formalisante et logique hégélienne; Janicaud, Dominique: Dialectique et substantialité: Sur le refus hégélien du spinozisme; Régnier, Marcel: Logique et théologique hégélienne Escoubas, Eliane: La question de la pratique et la philosophie du Droit de Hegel, in: Annales de la faculté des lettres et sciences humaines de Toulouse 7 (1970) [Heft 4], S. 29-49 Glucksmann, Christine: Hegel et le marxisme, in: La nouvelle critique 33 (1970), S. 25-35 Gouliane, Constantin I.: Hegel ou la philosophie de la crise, übers, v. Jean Herdan, Paris: Payot 1970 Hegel-Jahrbuch 1968/69, Meisenheim: Hain 1970, darin: Althusser, Louis: Lénine devant Hegel, S. 4558; Besse, Guy: L'utilité concept fondamentale des „lumières", S. 355-371; Beyer, Wilhelm Raimund: Hommage à Jean Hyppolite et introduction au Vile congrès international Hegel, S. 1-7; Brelet, Gisèle: Temps historique et temps musical chez Hegel, S. 444-451 ; D'Hondt, Jacques: L'histoire chez Marx et chez Hegel, S. 38^14; Doz, André: La nécessité interne de l'histoire de la philosophie chez Hegel, S. 202-207; Dubarle, Dominique: Sur la réflexion dans la science de la logique (Ile pt. sect. I, chapitre 1), S. 346-354; Mercier-Josa, Solange: Hegel et la notation d'„état de nature", S. 332-345 [auch in: La pensée NF 150 (1970), S. 51-61]; Merlotti, Eric: La critique de la philosophie de l'histoire de Hegel dans l'historicisme italien, S. 396-403; Petrovic, Gajo: Philosophie et révolution, S. me
-
296-303; Piontkowski, A. A.: La connaissance
et le processus historique, S. 466-473; Porchnev, B. périodisation du progrès historique universel chez Hegel et chez Marx, S. 173-180; Robinet, André: Les fantaisies de l'histoire de la philosophie de Hegel: Malebranche, S. 372-395 Hoffman, Piotr: Phénoménologie et système chez Hegel, Paris 1970 Höhn, Gerhard: F. H. Jacobi et G. W. Hegel ou la naissance du nihilisme et la renaissance du logos, in: Revue de métaphysique et de morale 75 (1970), S. 129-150
E: La
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Kirscher, Gilbert: Absolu et sens dans la „logique de la philosophie", in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 373^101 Labarrière, Pierre-Jean: Le concept hégélien, identité de la mort et de la vie, in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 579-604 *Léonard, André: La foi chez Hegel, Paris: Desclée de Brouwer 1970 Morini, Marc: Le rapport Hegel Marx vu par Friedrich Engels, Nice 1970 Müller, Philippe: Connaissance concrète de l'homme chez Hegel, in: Studia philosophica 30-31 (1970/71), S. 207-224 *Palma, Norman: Moment et processus, essai de compréhension de la dimension psycho-socio-historico-existentielle de la Logique de l'Encyclopédie de Hegel, Paris: Ediciones hispanico-americanas -
1970
Quillien, Jean: Discours et langage ou la „Logique de la philosophie", in: Archives de philosophie 33 (1970), S. 401^438 Revue de théologie et de philosophie 3e sér. 20 (1970), Sonderheft, darin: D'Hondt, Jacques: Hegel et son pardon, S. 301-309; Kemp, Peter: Le non de Sartre à la logique de Hegel. L'interprétation et la critique de la science de la logique dans l'être et le néant de Jean-Paul Sartre, S. 289-300; Secretan, Philibert: Le thème de la propriété à travers Rousseau, Hegel et Marx, S. 209-229 Revue internationale de philosophie 24 (1970), Heft 91/1 (Sonderheft „Présence de Hegel"), darin: Bruaire, Claude: Hegel et l'athéisme contemporain, S. 72-80; D'Hondt, Jacques: Présence de Hegel, S. 3-13; Gouliane, Constantin L: Crise vécue et philosophie chez Hegel, S. 14-30; Lombardi, Franco:
Hegel et nous. A propos du problème de l'histoire de la philosophie, S. 31-52 et la révolution française, suivi de personne et propriété selon Hegel, Paris:
*Ritter, Joachim: Hegel Beauchesne 1970
*Rohrmoser, Günther: Théologie et aliénation dans la pensée du jeune Hegel, Paris: Beauchesne 1970 Stiehler, Gottfried: La philosophie de Hegel, source théorétique de la conception du monde révolutionnaire, in: La pensée NF 150 (1970), S. 32^16 *Tovar, Cecilia: Commentaire de la Préface de la Phénoménologie de l'Esprit de Hegel, Louvain 1970 *Vassour, Martine: Le système hégélien demeure-t-il étranger à la vie? Tours 1970 * Weil, Eric: Essais et conférences, Bd. 1,Paris: Pion 1970 [„Hegel", S. 125-141; „La morale de Hegel", S. 142-158]
Personenverzeichnis Nachgewiesen sind Erwähnungen im Text und,
soweit sie nicht reine Literaturnachweise darstellen, in den Fußnoten.
Abel, Günter 220 Abraham 82 Adorno, Theodor W. 110 Alain 78f. Albert, Henri 188 Althusser, Louis 7, 13, 91,
108, 114, 124, 129-142, 187,203,222f. Amin, Samir 223 Antigone 153, 168-171, 173f.
Aragon, Louis 25 Argenson, Marc-René de Voyer de Paulmy
d' 23 Aristoteles 45, 99,
105f, 146
Aron, Raymond 115 Artaud, Antonin 121,123,183
Aubenque, Pierre 11 f. Augustinus 83 Aza'is, Pierre-Hyacinthe
35
Bachelard, Gaston 142 Bakunin, Michail A. 29f. Balibar, Etienne 209 Banquo [Figur aus Shakespeares „Macbeth"] 47
Barbey D'Aurevilly, Jules 34 Bardili, Christoph Gottfried 23
Barres, Maurice 8, 10, 26-30 Bataille, Georges 51, 55, 58-62, 91,115, 119f, 122-124, 146f., 151, 184 Baudelaire, Charles 24 Baugh, Bruce 104 Bautain, Louis 40 Beaufret, Jean 125 Beauvoir, Simone de 15, 163-167, 171-173 Beckers, Hubert Karl Philipp 35
Bénard, Charles 27,47 Benjamin, Walter 52,54,58,61,64 Bergson, Henri 79f., 114f., 120, 189, 191f, 194, 201 Berthelot, René 79 Betz, Maurice 188
Bianquis, Geneviève Binswanger, Ludwig
188 176f. Birnbaum, Antonia 18 Blanchot, Maurice 7, 9, 13, 117, 120, 123, 146 Blondel, Maurice 79 Bourdieu, Pierre 187 Bourgeois, Bernard 10, 12, 207f, 210, 220 Boutroux, Emile 79f. Breckman, Warren 16f. Breitling, Andris 18
58f, 62, 65-76,
17, 155, 188,
Breton, André 25f, 51, 57, 59, 69, 75
Bricmont, Jean 197 Broussais, François 35 Brownson, Orestes 35 Brunschvicg, Léon 79,115,130 Burdeau, Auguste 26f, 30 Butler, Judith 15, 163, 172-174 Caillois, Roger 51 f., 120 Canguilhem, Georges 16, 92, 103, 133, 179, 189,221 Carové, Friedrich Wilhelm 37 Carré, Jean-Raoul 221 Cassirer, Ernst 105
Cavaillès, Jean 190 Ceausescu, Nicolae 215 Charrier, Emile-Auguste s. Alain
Personenverzeichnis
248
Châtelet, François 189 Cicero 188 Cixous, Hélène 172 Claudius [Figur aus Shakespeares „Hamlet"] 214
Comte, Auguste 35,120,133 Condillac, Etienne Bonnot de 37 Corbin, Henry 54 Cornelius, Alfred 40 Cotten, Jean-Pierre 16, 33 Cousin, Victor 7f., 10, 22-24, 33-48, 78, 114,188 Cranaki, Mimica 102f. Cresson, André 25 Croce, Benedetto 25 Dammaschke, Mischka 18 Dante Alighieri 44
Decour, Jacques s. Decourdemanche, Daniel Decourdemanche, Daniel 221 Delbos, Victor 79 Deleuze, Gilles 9, 12f„ 16, 51, 91f., 94,102, 114, 122f, 153, 173, 187-203 Derrida, Jacques 13Í, 47, 51, 60f, 66, 91f, 111, 114, 139, 141, 143-153, 155f., 158f., 172, 179, 196, 206, 209, 211,216 Desanti, Jean-Toussaint 115,124 Descartes, René 43, 80f, 159, 220 Descombes, Vincent 50, 52, 62f„ 123 D'Hondt, Jacques 8f, 12, 18, 33, 219-224 Diderot, Denis 182
Dies, Auguste 80
Dilthey, Wilhelm 81,
115f.
Domenach, Jean-Marie 122
Dostoevskij, Fedor M. Douailler, Stéphane 13
49
Driesen, Christian 18 Dufrenne, Mikel 221 Durkheim, Emile 120 Dussel Peters, Enrique 224
Ebeling, Knut 8f. Echeverría, Esteban
34
Engels, Friedrich 25, 27, 30 Eurydike 76
153
Fichte, Johann Gottlieb 12, 22f., 27, 38, 40, 47, 82, 97, 111, 127, 140,144, 192, 202 Fischbach, Franck 12f, 18 Fischer, Kuno 81 Flaubert, Gustave 24, 62 Forster, Georg 20 Foucault, Michel 7, 9, 12f., 15f., 51, 56, 91f., 103, 114, 117, 120-122, 124, 126-128, 141, 172f, 175-187 Franca s. Madonia, Franca Freud, Sigmund 12, 92, 114, 116, 135f, 173 Friedrich-Wilhelm HI. 109 Fritz, Kurt von 106
[König von Preußen]
Gabaude, Jean-Marc 223 Gadamer, Hans-Georg 114, 116
Galluppi, Pasquale
35
Garniron, Pierre 19
Gasparin, Valérie de
25
Gelhard, Andreas 8f. Gibelin, Jean 19,188 Glockner, Hermann 81 Glucksmann, André 111, 208 Goethe, Johann Wolfgang von 20, 140
Gogh, Vincent van
123
Gondillac, Maurice de 188 Gonzales del Valle, José Zacarías 35, 37 Gonzales del Valle, Manuel 37 Goya, Francisco de 183 Grand, Gérard 113 Grewe, Cordula 18 Grün, Karl 29 Guattari, Félix 153,187 Gueroult, Martial 47 Guillaume, Gustave 200 Guizot, François 33, 36
Gutting, Gary
Eluard, Paul 25
Ferrari, Giuseppe 47
Ferrari, Jean 220 Ferrari, Oward 224 Fessard, Gaston 51 Feuerbach, Ludwig 18, 100, 142,
179
Habermas, Jürgen 120,127 Hamelin, Octave 79 Hamilton, William 35,42
[Figur bei Shakespeare] Haym, Rudolf 81,222 Hecht, Hartmut 220 Hamlet
214
Personenverzeichnis
249
Heidegger, Martin 12f„ 54, 63, 98, 102-104, 108, 11 Of., 113-116, 124-126, 144, 146,193,196,206,209 Heine, Heinrich 25,116 Henry, Caleb Sprague 35
Herberg-Rothe, Andreas
18
Herr, Lucien 115 Hitler, Adolf 51, 110 Hölderlin, Friedrich 69, 71, 121, 142, 183 Horkheimer, Max 120, 127 Hoth, Sabina 11 Hotho, Heinrich Gustav 40, 97 Hume, David 92, 188 Hussein, Saddam 215 Husserl, Edmund 12, 14, 49, 84, 92, 103, 110, 114-116, 124f, 144, 147, 152 Hyppolite, Jean 7, 9-12, 17, 51-54, 66, 68, 72,74,89,91-104, 117, 141, 146, 173, 176, 189-191,195,222
Irigaray, Luce 15, 163,
167-173
93f., 115, 151
Labarrière, Pierre-Jean 17,188 Labica, Georges 220 Lacan, Jacques 51, 58f, 91f, 114f., 132, 135, 138f., 172f, 205, 212, 214f. Laclau, Ernesto 215f. Lacoue-Labarthe, Philippe 209 Lamennais, Félicité de 24 Lasson, Georg 81 Lautmann, Albert 200
Lautréamont, Comte de 50 Lefebvre, Jean-Pierre 17,188 Lefort, Claude 208-210, 215f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 21, 23, 43, 118, 124, 191f, 194,220 Lenin, Vladimir I. 12, 50, 109, 140-142, 218
Léon, Xavier 115 Lerminier, Eugène 23f, 34f., 39f. Leroux, Pierre 33f. Levinas, Emmanuel 14, 76, 111, 114, 145
Jacobi, Friedrich Heinrich 23, 82 Jacques, Amédée 45f. Jaeger, Werner 106 James, William 80
Lévy-Bruhl, Lucien 78 Lévy-Strauss, Claude 91 Losurdo, Domenico 22, 115 Lukacs, Georg 120
Jankelevitch, Vladimir 189 Jarczyk, Gwendolyne 17 Jarry, Alfred 50 Jaspers, Karl 49 Jaurès, Jean 30, 78
Caballero, Juan de la 35-37 Lyotard, Jean-François 18, 114, 216
Luz y
Jean Paul 24 Jesus Christus 82, 207 Johannes [Apostel] 153
Macherey, Pierre
Kafka, Franz 69 Kambouchner, Denis 13f. Kant, Immanuel 16, 23, 27, 38, 40, 54, 79f, 82f, 95, 97, 99, 107, 114, 118, 126f, 140, 144, 146, 192-194, 201, 219
Kelly, Michael 103 Kerslake, Christian 189, 192f. Kierkegaard, Soren 83, 105, 115,
Koyré, Alexandre 49f, 91, Kreon 170 Kristeva, Julia 172 Kroner, Richard 81
176
Klossowski, Pierre 51 Kojève, Alexandre 7, 9-11, 13, 49-64, 67f, 70f, 74f, 88, 91, 108f, 113, 115-123, 126f, 146, 173, 176, 189
38
Machiavelli, Niccolö 132f, 139f. Madonia, Franca 13, 129, 13 If, 134f„ 137-141
Maimón, Salomon 192 Maine de Biran, Pierre 79, 202 Malabou, Catherine 14, 202 Malebranche, Nicolas 79 Mallarmé, Stéphane 9, 62, 66, 69, 71-74 Malraux, André 50 Mancino, Salvatore 35 Marcel, Gabriel 219 Marcuse, Herbert 110 Maret, Henri Louis Charles 40
Kopernikus
Marivaux, Pierre Carlet de Chamblain de Marjolin, Robert 51
Korsch,
Marrast, Armand 3 8 f
36 Karl 120
20
250
Personenverzeichnis
Martin, Jacques 141 f. Marx, Karl 8, 12f, 16, 29f, 100, 108, 111, 114, 116-118,120,124,127, 136f, 139f., 142, 153, 202, 207, 212, 215, 219, 221-223
Matheron, François 132 Mauss, Marcel 120 Mayer, Hans 58
Ptolemäus 36
Queneau, Raymond 25, 50-52, 54f, 57, 117
Quiroga, Juan Facundo
34
Raj chman, John 187 Rancière, Jacques 137,209
Nancy, Jean-Luc 16, 143, 151, 205f,
Raulet, Gérard 126 Rauschenbach, Brigitte 15f. Ravaisson, Félix 45 Reagan, Ronald 216 Reichert, André 18 Reinhold, Karl Leonard 23 Rickert, Heinrich 115 Ricceur,Paul 114,124,222 Rilke, Rainer Maria 76
Napoleon [Kaiser von Frankreich] 44, 51,
Ripley, George 35 Robespierre, Maximilien de
Merleau-Ponty, Maurice 12,51,57,59, 113-115,117, 175,201 Meyerson, Emile 115 Michelet, Karl Ludwig 40, 44-46 Mouffe, Chantal 215f. 209-211,213,216
55,59 Navet, George 46 Neersö, Jan 18 Neilhaus, Dagobert 40 Nietzsche, Friedrich 12, 50, 53, 59, 61, 83, 113f., 116f, 121-124, 136, 144, 173, 175, 180, 183f, 188, 194,201 Noel, George 78,81 Nohl, Herman 81 Noient, Eugène 26 Novalis 82f.
Ody, Hermann Josef
Okamoto, Taro Oldrini, Guido
40
51 33
Ortigues, Edmond 198,200 Pailleron, Edouard 24
Papaioannous, Kostas
19
Parain, Brice 51 Parmenides 41,80 Parnet, Ciaire 92 Pascal, Blaise 83
Philonenko, Alexis 192 Pillen, Angelika 15f, 104 Piaton 21, 38,41, 80f., 106, 134, 145, 192 Poli, Baldassarre 35 Politzer, Georges 221 Pollmeier, Heiko 18 Proklos 41,80 Proudhon, Pierre-Joseph 29f. Proust, Marcel 25
68
Robinet, André 220
Roques, Pierre 78 Rosas, Juan Manuel de 34 Rosenkranz, Karl 81
Rosenzweig, Franz
81
Rosmini, Antonio 35 Roth, Michael S. 103 Rousseau, Jean-Jacques 29,159 Roussel, Raymond 121,123
Ruge, Arnold
207
Sade, Donatien Alphonse François de 9, 50, 69f, 74, 183 Saint-Just, Louis Antoine de 68 Saint-Simon, Henri de 79 Salanskis, Jean-Michel 196 Sarmiento, Domingo 33 Sartre, Jean-Paul 12, 51, 59, 66f, 91, 108, 113-116,131f., 135,164,172f.
Savigny, Friedrich Carl von 35 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 12, 22f., 30, 35f., 38,40-42,45^t7, 142 Schlegel, August Wilhelm von 82
Schleiermacher, Friedrich 12, 35, 47, 83 Schmitt, Carl 62,214 Schopenhauer, Arthur 27,30,183 Schwartz, Yves 224 Schweighäuser, Jean-Geoffroy 23f. Scott, Walter 35 Serres, Michel 103,178 Simmel, Georg 115 Simon, Jules 43
Personenverzeichnis
Simondon, Gilbert 220, 224 Simondon, Michel 220 Simont, Juliette 201 Sokal, Alan 197 Sollers, Philippe 60 Solmsen, Friedrich 106 Solomon, Jacques 221 Solov'ev, Vladimir 49 Spinoza, Benedictus de 8, 23, 79, 87, 129-134, 136, 138, 189, 192-194 Stael-Holstein, Anne Louise Germaine de
Trubeckoj, Nikolaj
S. 197f.
Tzara, Tristan 25 Vacherot, Etienne 22
Valéry, Paul 69 Vera, Augusto 25,27,44,47 Vermeren, Patrice 8f, 188
Villavicencio, Susana 33 Volney, Constantin-François 35 Voltaire 20
40
Stahl, Friedrich Julius 207 Stalin, IosifV. 51,54,59,214 Stendhal 35 Stenzel, Julius 106
Taine, Hippolyte 22, 44 Taubes, Jacob 62
Taylor, Charles
Tzara, Tristan 25
212
Tennemann, Wilhelm Gottlieb 47 Tort, Michel 132f. Tran-Duc-Thao 118 Trubeckoj, Nikolaj S. 197f.
Wahl, Jean 7, 10, 59, 77-89, 91, 102, 107, 115, 176, 189
Waldberg, Patrick
51
Wittig, Monique
172
Weber, Max 115,127 Weil, Eric 7, 10-12,51,53, 105-112, 115, 189,207f. Wendt, Amadeus 35 Williams, James 202 Zizek, Slavoj 16f, 205f., 209, 211-218