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German Pages 344 [343] Year 1989
HE G E L - S T UDIE N In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
Band 24
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1989, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1488-1 ISBN eBook: 978-3-7873-3069-0 ISSN 0073-1578
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INHALT
TEXTE UND DOKUMENTE Ein unbekannter Brief Hegels an Friedrich Ludwig Göritz MitgeteUt und erläutert von BERND KORTLäNDER, Düsseldorf Hegel im Landexamen Eine Ergänzung von
VOLKER SCHäFER,
Tübingen
„Kukupeter und die Pfaffen seiner Zeit" Ein Quellenhinweis zu Hegels frühen Manuskripten von FRIEDHELM NICOLIN, Düsseldorf
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15
21
ABHANDLUNGEN Paris Zu Hegels erstem Begriff des Geistes (1803/04); Herdersche Einflüsse oder aristotelisches Erbe?
27
Ottawa The end of the history of religions „grasped in thought"
55
Cambridge The concept of revelafion and Hegel's historical realism
79
Tours L'idee de religion revelee chez Hegel et Schelling
97
MYRIAM BIENENSTOCK,
THEODORE GERAETS,
JOHN WALKER,
JEAN-LOUIS VIEILLARD-BARON,
Heidelberg Die doppelte Haushaltung. Religionsphilosophie im Anschluß an Hegel
107
Berlin Kunst und Schein. Ideengeschichtliche Überlegungen im Ausgang von Hegel
125
München Jacobi und Hegel. Zum Darstellungs- und Mitteilungsproblem einer Philosophie des Absoluten
159
GüNTER FIGAL,
EMIL ANGEHRN,
VOLKER RüHLE,
Inhaltsverzeichnis
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KLEINE BEITRÄGE North Syracuse An early interpretation of Hegel's Phenomenology of Spirit
183
Kassel Newtonianismus am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland am Beispiel Benjamin Martin
195
Bochum Georg Lukäcs und die Heidelberger Hegelrenaissance
204
ERIC V. D. LUFT,
WOLFGANG NEUSER,
ELISABETH WEISSER,
LITERATURBERICHTE UND KRITIK N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of ,Civil Society' (H. S. HARRIS, Toronto)
215
J. Sallis: Spacings — of Reason and Imagination
218
(ÖNAY SöZER,
E. Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein Bochum)
Istanbul) . .
(SILKE FIEGEN,
221
Neue Berliner Monatschrift für Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst (NORBERT WASZEK, Erlangen)
223
Die Hegelsche Linke. Hrsg. v. H. und I. Pepperle Bochum)
226
(HANS-MARTIN SASS,
Jenseits des Idealismus. Hrsg. v. C. Jamme u. O. Pöggeler (IRIS BUCHHEIM, München)
227
Philosophie und Poesie. Hrsg. v. A. Gethmann-Siefert Chicago)
239
(RICHARD TAFT,
H.-J. Görtz: Tod und Erfahrung; Sf. Moses: Sysfem und Offenbarung (KURT RAINER MEIST, Bochum)
241
K. Mannheim: Konservatismus
263
(ENDRE KISS,
Budapest)
Hegel: Fenomenologia de l'esperit. Trad. de J. Leita Barcelona)
(GONCAL MAYOS,
266
Inhaltsverzeichnis
Zur Hegelforschung in China
(SHEN ZHANG,
Peking)
Kurzreferate und Selbstanzeigen über J. Werner, D. F. Scheltens, G. Mayos I Solsona, Hegel (ed. G. Irrlitz), P. Kalli, O. Pöggeler, J. C. Janowski, M. N. Jakubowski, W. Waetzoldt, D. Voss, F. Hölderlin (ed. Sattler), W. Nolting, C. Kaläsz, M. Winkler, U. Rautenberg/S. Grosse, W. Künzel, M. Riedel, Th. Bodammer
7 268
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BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1987. Mit Nachträgen aus früheren Berichtszeiträumen (Zusammenstellung; ELISABETH WEISSER, Bochum)
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EIN UNBEKANNTER BRIEF HEGELS AN FRIEDRICH LUDWIG GÖRITZ Mitgeteilt und erläutert von Bernd Kortländer (Düsseldorf)
Hegel-Handschriften gehören zu den großen Seltenheiten auf dem Autographenmarkt und damit natürlich zugleich zu den Glanzstücken jeder HandschriftenSammlung. Und das nicht erst seit den letzten Jahrzehnten. Der amerikanische Bibliothekar MELLEN CHAMBERLAIN (1821 — 1900) trug in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine imponierende Sammlung von Handschriften berühmter Persönlichkeiten aus Europa und Nordamerika zusammen. CHAMBERLAIN war 1878—1890 Direktor der Boston Public Library. Diese 1852 gegründete Bibliothek ist eine der ältesten öffentlichen Büchersammlungen der USA. Sie verfügt über eine sehr reichhaltige Abteilung „Rare books and manuscripts", die sich zum ganz überwiegenden Teil Stiftungen von Bostoner Sammlern und Freunden der Bibliothek verdankt. Auch MELLEN CHAMBERLAIN folgte dieser guten u. s.-amerikanischen Tradition und übergab im Jahre 1895 seine Sammlung der Public Library. Zu dieser sehr gepflegten Sammlung, die der jeweiligen Handschrift stets ein Porträt des betreffenden Autors hinzufügte, gehörte auch ein vierseitiger Brief Georg Friedrich Wilhelm Hegels an seinen Vetter, den Pastor FRIEDRICH LUDWIG GöRITZ in Aalen, vom 31. März 1820. Dieser Brief war der Hegel-Forschung bisher nicht bekannt, er wird hier zum erstenmal abgedruckt. ^ Wesentliche neue Erkenntnisse zu Hegels Biographie liefert dieser Brief nicht. Er intensiviert das, was wir aus den umliegenden Briefen an GöRITZ kennen, die vom 19. März und vom 13. Mai 1820 datieren. Alle diese Briefe beschäftigen sich, genau wie das hier erstmals publizierte Schreiben, nur mit einem einzigen Problem: mit der Erkrankung von Hegels Schwester CHRISTIANE. Im Frühjahr 1814 traten bei ihr zuerst psychische Störungen auf, die sie u. a. dazu zwangen, ihre Stelle als Gouvernante beim Grafen VON BERLICHINGEN aufzugeben. Wie wir aus Hegels Brief vom 19. 3. 1820 an seinen Vetter erfahren, hatte sie sich zwischenzeitlich recht gut von diesem ersten Krankheitsschub erholt, bevor sie im Frühjahr 1820 dann von einem erneuten Anfall betroffen wird. Offenbar hat CHRISTIA-
1 Ich danke der Boston Public Library für die Erlaubnis zur Publikation. Die vier Seiten des Briefes sind voll beschrieben. Ein Umschlag oder eine Adresse liegen nicht bei. — Der Text folgt hier einer Abschrift vom Original, die ich an Ort und Stelle anfertigen konnte. Der Leiter der Abteilung „Rare books and manuscripts", die gerade jetzt unter einschneidenden Stellenkürzungen infolge von ,Rationalisierungsmaßnahmen' zu leiden hat, sah sich z. Zt. außerstande, der Bitte um ein Foto von der Handschrift nachzukommen.
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BERND KORTLäNDER
NE HEGEL in ihrem verwirrten Zustand dann ihren alten Arbeitgeber und Gönner, den Grafen VON BERLICHINGEN besucht, der sich am selben Tag an Hegel wendet, als dieser seinen Brief an GöRITZ schreibt. Das Detail von CHRISTIANES Ausflug nach Jaxthausen war bislang noch nicht bekannt und erläutert zugleich den Beginn des Hegelschen Briefes vom 20. Mai 1820. Möglicherweise bezieht sich auf diese Episode auch jene Anhäufung von Vorwürfen und Beschimpfungen, mit denen GöRITZ CHRISTIANE in einem undatierten und fragmentarischen Briefkonzept bombardiert.- Ansonsten ist der gesamte Komplex um CHRISTIANES Krankheit und um die Rolle, die Hegel dabei spielt, in jüngster Zeit von HANS-CHRISTIAN LUGAS so umfassend und gründlich ausgeleuchtet worden, daß eine erneute Darstellung sich an dieser Stelle erübrigt.^ Auch im einzelnen erfordert der Brief keine Erläuterungen. Was bei der Lektüre merkwürdig berührt, ist jenes Ineinander von emotionaler Beteiligung einerseits und verbalen Gesten der Distanzierung andererseits: wortreiche Beschwichtigungen der eigenen Sorge um „das letzte von meinen Geschwistern", für das verräterischerweise „Entfernung" als Heilmittel vorgeschlagen wird. LUCAS hat bereits darauf hingewiesen, daß solch ein Vorschlag eher die Angst des ,Gesunden' als den Wunsch der ,Kranken' und zugleich eine Haltung spiegelt, die bis heute typisch ist für den allgemeinen Umgang mit psychisch Gestörten.
Berlin d 31 März 1820 Lieber Vetter! In einem Schreiben vom 19 d. das ich vorgestern erhalten, und gestern beantwortet, benachrichtigt mich Herr Staatsrath [später mit EinweisungsZeichen am Rand hinzugefügt: wie ich in diesem Augenblick erst sehe — Graf] VON BERLICHINGEN, daß meine unglückliche Schwester mit einer Putzmacherin, vor 8 Tagen bey ihm angekommen, ob er gleich ihren Besuch auf ihr vor dir gegen den Hr Pfarrer geäußertes Verlangen, zwar angenommen, aber erst auf den Sommer sie aufnehmen zu können erklärt habe. Bey der Geistesverwirrung, in der sie angekommen, fordert er mich zur Äußerung auf, was ferner mit ihr geschehen soll. Ich habe ihm unter dem gestrigen geantwortet, (an dich zu schreiben mußte ich auf heute versparen, die Post geht aber erst morgen) und wieder hohle 2 Vgl. Hans-Christian Lucas: „An Mademoiselle Christiane Hegel“. Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonzept des Dekans Göritz. In: Hegel-Studien. 22 (1987), 9—16. 3 Vgl. über den in Anm. 2 genannten Aufsatz hinaus: H.-Chr. Lucas: Die Schwester im Schatten. Bemerkungen zu Hegels Schwester Christiane. In: „O Fürstin der Heimathl Glükliches Stutgard". Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800. Hrsg, von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Stuttgart 1988. 284—300, sowie ders.: Zwischen Antigone und Christiane. Die Rolle der Schwester in Hegels Biographie und Philosophie und in Derridas „Glas". In: Hegel-Jahrbuch 1984/86. Bochum 1988. 409-442.
Ein unbekannter Brief Hegels
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das Wesentliche hiemit auch dir, denn zu dir muß ich in dieser Angelegenheit fortdauernd meine Zuflucht und Vertrauen nehmen. Daß ich ihre Reise zu ihm allein dem unbändigen Willen ihres kranken Gemüthes zuschreiben müsse, dem du nicht habest widerstehen können, und das einzige, was dann noch übrig geblieben wäre, Zwang entgegenzusetzen, dich noch nicht berechtigt geglaubt haben werdest. Daß aber nun solche Handlungen, wie diese Reise, und etwa weiter zu befürchtende Abirrungen, zu verhüten, ich unmittelbar keine Sorge tragen könne, und allein eine förmliche vormundschaftliche Einrichtung hinreichend sein könne, so wie nun ihr Vermögen zu verwalten und die fernem nothwendigen Veranstaltungen zu treffen; daß ich mich für verpflichtet halte, insofern das Einkommen aus ihrem Vermögen mit der Pension von 100 f nicht hinreicht, ein ihrem körperlichen und geistigen Zustande gemäßes Unterkommen für sie auszumachen, ich bereit sey, einen jährlichen Zuschuß zu machen, den ich theils nach meinen Umständen, theils nach der für sie nöthigen Versorgung so wie dem Stande und der Disposition ihres Vermögens bemessen müsse. Während der Zeit, bis du diesen Bericht erhältst, wird Hr Staatsrath ohne Zweifel gesorgt haben, sie entweder wieder nach Aalen zurückzubringen, oder sie sonst privatim unterbringen, oder wie er am Schlüsse seines Briefes sagt, zu anderweitiger Versorgung die nöthigen Einleitungen durch die Obrigkeit treffen zu lassen. — Meine dringende Bitte an dich ist, in dieser Lage meine Stelle zu vertreten, und deine Freundschaft gegen meine Schwester und mich fortgesetzt eintreten zu lassen. Was bestimmt zu thun ist, muß ich deinem erleuchteten Ermessen, der du an Ort und Stelle bist überlassen. Ist ihr Zustand so, daß Rath und Geduld hinreicht, ihr bewegtes Gemüth in Ruhe zu bringen und zu erhalten, so weiß ich daß diese ihr bey dir nicht ermangeln. Ist aber eine weitere Autorität, als bloß des Freundes, in den sie bey geordnetem Bewußtsein soviel Zutraun hat, nöthig, um sie in Ordnung zu halten und ihren Körper und Seele zu heilen, so weiß ich Niemand, den ich mehr bitten möchte, sich mit förmlicher vormundschaftlicher Vollmacht bekleiden zu lassen, als dich, mit welcher Vollmacht du dann, in Berathung mit dem Arzte, die weitern nöthigen Veranstaltungen zu bestimmen und zu treffen die Güte hättest; ist ein Privat-unterkommen für sie zu finden, wo gehörig für sie gesorgt werden kann, desto besser, machte ihr Zustand es nöthig, sie in eine allgemeine öffentliche Anstalt zu bringen, so müßte ich es freylich im höchsten Grade beklagen, aber mich mit dem Willen Gottes und damit beruhigen, daß in solchen Anstalten, nach
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BERND KORTI.äNDER
allen Seiten, die zweckmäßigen Mittel für die Herstellung des körperlichen und geistigen Zustandes getroffen und vorgenommen werden können, wenn sie anders gut eingerichtet sind, wie ich es von Würtemberg doch hoffe. Eine anständige Besorgung und Behandlung ihr zu verschaffen, dazu sollte theils ihr Einkommen nebst der Pension hinreichen, indem ich mich zugleich anheischig machte, einen Zuschuß von 100 bis 150 f jährl. zu machen. Als Vormund würdest du Sorge tragen, daß ihr Vermögen ihr aufbewahrt und nach zu hoffender Wiederherstellung, deren Wahrscheinlichkeit auch Hr Staatsrath Gr. BERLICH. annimmt, ihr zurückgegeben würde. — ln seinen Gedanken, sie in ein Privathaus gegen Zusicherung ihres Vermögens nach ihrem Ableben u. den Bezug ihrer Pension unterzubringen habe ich, bey der Collision von Interessen, die in einem solchen Verhältniß liegt, nicht mich beruhigen können, auch darum nicht, weil bey dem Unstäten ihrer Gedanken, eine solche, in ihrem jetzigen Zustande ohnehin unzuverlässige Zusicherung sie bald reuen, und ihr ein solches Verhältnis leicht ganz unerträglich werden könnte, indem ihre Unabhängigkeit immer ein Hauptpunkt war, der sie beschäftigte. Ehe ich aus meiner weiten Entfernung etwas definitives Zusagen kann, muß ich dich bitten, mir theils zu berichten, wie ihr Zustand beschaffen und ob sie sich noch selbst überlassen werden kann oder nicht, oder ob und welche Vorkehrungen für sie zu treffen sind; ferner was ihr Vermögen, das so viel ich weiß, meist in Hr Gr v. BERLICHiNGENs Händen ist, nebst der von ihm bezogenen Pension für sie zu thun erlaubt. — Vor der Hand, sollte ich meynen, möchte eine Einrichtung auf ein halb Jahr für den künftigen Sommer, vielleicht auf dem Lande, und von allen ihren bisherigen Verbindungen entfernt, denn für Gemüthskranke ist solche Entfernung oft am ersprießlichsten — das beste Mittel seyn, theils, wenn dringend etwas zu beschließen ist, theUs für ihre Genesung, und dann auch dafür, um in dieser Zeit etwas definitives entscheiden zu können. Ihr ohnehin längst geschwächter Körper muß von diesen Stürmen aufs Neue heruntergebracht seyn und vor Allem aus der Pflege und Stärkung bedürfen. Dein Brief, worin du mich von ihrer Krankheit benachrichtigt hattest, hatte mir die Beruhigung gegeben, daß sie gut versorgt sey und daß es ihr an nichts abgehe; ich hoffe wenigstens, daß sie wieder nach Aalen indeß zurückgekommen sey, und von deiner Liebe in Obhut genommen sey — Es ist das letzte von meinen Geschwistern, und du bist es, den ich um die näherliche brüderliche Sorge für sie bitten muß. Meine obigen Äußerungen enthalten ebenfalls nichts als Bitten an dich, um Zustimmung zu Dispositionen, deren Entscheidung ich dir aus Ansicht der Sa-
Ein unbekannter Brief Hegels
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che, und der ärztlichen Gutachten überlassen muß. — Daß dir nichts als erfreuliches begegnen möge wünscht von Herzen dein treuer Vetter Hegel Wenn es der Zustand meiner Schwester verträgt, so werde ich an sie schreiben, wenn ich vorher von dir Nachricht erhalten, wessen sie empfänglich und bedürftig ist.
HEGEL IM LANDEXAMEN Eine Ergänzung von Volker Schäfer (Tübingen)
Die Institution des Landexamens, jenes württembergischen bildungshistorischen Spezifikums, hat auch und gerade von seiten der Hegel-Forschung gebührende Aufmerksamkeit erfahren.^ So kann sich der vorliegende Beitrag darauf beschränken, daran zu erinnern, daß das Herzogtum Württemberg für seinen Pfarrernachwuchs schon kurz nach der Reformation im 16. Jahrhundert die kostenlose Ausbildung einführte und sie mit einem leistungsorientierten Auslesesystem verknüpfte, in dem eine alljährlich in Stuttgart unter der Regie des Konsistoriums abgehaltene zentrale Konkursprüfung, eben das Landexamen, eine Schlüsselrolle spielte. 2 Zu dieser Prüfung, deren mehrmalige Wiederholung zu Hegels Zeit längst üblich geworden war und die damals an drei Tagen im Spätsommer stattzufinden pflegte, zitierte die Kirchenbehörde die geeigneten Aspiranten im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren aus allen Lateinschulen des Landes. Dabei qualifizierten sich jeweils rund zwei Dutzend der älteren Prüflinge für die sogenannten „Klosterschulen", seinerzeit Denkendorf und Blaubeuren als die niederen sowie Maulbronn und Bebenhausen als die höheren Seminarien. Von dort avancierten die Alumni nach zweimal zwei Jahren zum Theologiestudium an der schwäbischen Landesuniversität Tübingen, wo sie für die Dauer ihres Studentendaseins im berühmten Herzoglichen Stipendium, dem heutigen Evangelischen Stift, beherbergt und verköstigt, aber auch streng beaufsichtigt wurden. Für Stuttgarts Schüler jedoch bestand daneben die Möglichkeit, nach Absolvierung des „Gymnasium illustre", dessen sieben Klassen in der Regel in zwölf Jahren durchlaufen wurden, unmittelbar an das Tübinger Stift überzuwechseln. Daß dies allerdings „unter Umgehung des Landexamens" geschehen sein solP, bedarf noch der systemafischen Verifizierung; immerhin haben sich von den vier Sfuttgarfer Gymnasiasten, die zum Herbst 1788 zusammen mit einer Maulbronner
^ Vgl. zuletzt Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. Johannes Hoffmeister. Bd 4, Teil 1: Dokumente und Materialien zur Biographie. Hrsg. v. Friedhekn Nicolin. Hamburg 1977. 254—257. 2 Vgl. das Kapitel „Das württembergische Landexamen" bei Reinhold Stahlecker: Allgemeine Geschichte des Lateinschulmesens und Geschichte der Lateinschulen oh der Steig. In: Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württemberg. Bd 3, Teill. Stuttgart 1927. 146—167. ^ Vgl. Stahlecker, 161 f, zitiert in: Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. 256.
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VOLKER SCHäFER
Promotion ins Stift einrückten, drei in ihren entsprechenden Jahrgangsstufen dieser Eignungsprüfung unterzogen. Einer der drei war Hegel. Von ihm weiß man neuerdings, daß ihn das württembergische Konsistorium zwischen 1780 und 1784 insgesamt fünfmal zum Landexamen einbestellt hat“*, ohne daß eine so häufige Aufforderung damals aus dem Rahmen gefallen wäre^. Die Hegel betreffenden, an den Stuttgarter Dekan adressierten Zitationsbefehle selbst haben die Zeiten nicht überdauert^, doch ergeben sich aus anderen Quellen die Termine, an denen der Heranwachsende im Landexamen anzutreten hatte: Es müssen, da die Stuttgarter stets am ersten der drei Prüfungstage an der Reihe waren, der 12. September 1780, der 11. September 1781, der 10. September 1782 und der 7. September 1784 gewesen sein. 1783 konnte Hegel, an „Gallenfieber" auf den Tod erkrankt, im Landexamen nicht erscheinen.^ Bei den Zitationen zu diesem „Examen solenne" stützte sich das Konsistorium auf die jährlichen Visitationsberichte der beiden württembergischen Pädagogarchen, von denen jeder die Lateinschulen in einem der beiden Landesteile ob der Steig beziehungsweise unter der Steig zu inspizieren und dabei insbesondere die das Landexamen anstrebenden Schüler zu beurteilen hatte, was in der Regel mit einer kleinen Prüfung verbunden war. Aus dem hier interessierenden Zeitraum sind die Berichte für 1780 und 1783 noch vorhanden. Der erste, die „Unterthänigste Relation von der Visitation der Lateinischen Schulen unter der Staig auf das Jahr 1780", am 8. August vom zuständigen Pädagogarchen und gleichzeitigen Rektor des Stuttgarter Gymnasiums JOHANN CHRISTIAN VoLZ erstattet, enthält im Abschnitt „De Gymnasio Stutgardiano inferiori" folgenden Eintrag:
„Potentes [. . .] Ex Cl(asse) Ilda. /[...] Georg(ius) Wilhelm(us) Frid(ericus) Hegel, n(atus) d(ie) 27. Aug(usti) 1770. / Pat(er) in Cons(ilio) Camerae Duc(alis) a Secretis. / Et hunc studia cupide laboriosissimeque exercere, versatilique ad omnia ingenio, moribusque quietum esse praeceptor profitetur."^
^ Friedhelm Nicolin: „meine liebe Vaterstadt Stuttgart ..." Hegel und die schwäbische Metropole. In: „O Fürstin der Heimathl Glükliches Stutgard". Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südweslen um 1800. Hrsg. v. Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Stuttgart 1988. (Deutscher Idealismus. 15.) 261—283; hier 267. — Die bisher nicht mitgeteilten Fundstellen im einzelnen: 1780: Landeskirchliches Archiv Stuttgart, A 3 Nr 50, S. 1002; 1781: ebd. Nr 51, S. 453; 1782: ebd. S. 1110; 1783: ebd. Nr 52, S. 410; 1784: ebd. Nr 53, S. 334. 5 Stahlecker (wie Anm. 2), 153 ff. ® Freundliche Auskunft der Evangelischen Gesamtkirchenpflege Stuttgart. ^ Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. 257. ® Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 52, S. [4]. Hegel erscheint als fünfter unter zehn „Petentes", wie die erstmals am Landexamen Teilnehmenden bezeichnet wurden. Bei einer Wiederholung waren sie „Exspectantes".
Hegel im Landexamen
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Das Ungewöhnliche an dieser Passage ist die Tatsache, daß sich der Pädagogarch bei der Charakterisierung des Schülers ausdrücklich auf die Angaben des Klassenlehrers stützte. Dies kam sonst bei keinem anderen der von VOLZ begutachteten 107 Landexamensaspiranten dieses Jahrgangs vor. Damit liegt aber der Schluß nahe, Hegel, der als Kind bemerkenswert häufig krank war^, habe während der Visitation des Untergymnasiums im Sommer 1780^° nicht am Unterricht und somit auch nicht am Visitationsexamen teilgenommen. Bei dem angeführten Präzeptor der Secunda, die damals 48 Schüler zählte, handelt es sich um den aus Hegels Biographie vertrauten JOHANN JAKOB LöFFLER (1750—1785). Ihm bescheinigt der Visitationsbericht; „Operam dat omni conatu, ut discipulorum commodis bene serviat."^^ Drei Jahre später, am 31. Juli 1783, vermerkt der neue Pädagogarch JOHANN ANDREAS TAFINGER über Hegel nach den Angaben zur Person lakonisch, aber doch wohl aus eigener Erkenntnis:
„Ingenii bonitate, morumque sinceritate commendatur."!^ Hegel rangiert hier als dritter unter sieben „Exspectantes III. v(ice) ex Cl(asse) V", d. h. den zum dritten Mal das Landexamen Wiederholenden aus der Quinta, die inzwischen nur noch 40 Schüler umfaßte und über deren Präzeptor JOHANNES NAST der Visitator urteilte: „Doctor omnino laudabilis, collega admodum tractabilis."i3
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Pädagogarchalberichte zahlreiche derartige historisch-biographische Partikel darbieten. An bekannteren Namen begegnen vor allem FRIEDRICH HöLDERLINI^ und dessen nachmalige Herzensfreunde NEUFFER und MAGENAU, dann aber auch IMMANUEL CARL DIEZ und FRIEDRICH PHILIPP IMMANUEL NIETHAMMER, ferner viele spätere Studiengenossen Hegels, darunter
^ Der junge Hegel in Stuttgart. Aufsätze und Tagebuchaufzeichnungen 1785—1788. Hrsg. v. Friedhelm Nicolin. Stuttgart 1970. (Marbacher Schriften. 3.) 6. 10 In diesem Jahr erstreckten sich die Visitationstermine des Pädagogarchen Volz für die 24 Lateinschulen außerhalb Stuttgarts mit ihren insgesamt 962 Schülern vom 17. Mai bis 28. Juli; für das Stuttgarter Untergymnasium mit seinen 380 Schülern in sieben Klassen (die Prima war dreigestuft) hat Volz die einzelnen Visitationstage nicht angegeben. 11 Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 52, S. [1]. — Zu Löffler vgl. vor allem Hegels Tagebuch in: Der junge Hegel (wie Anm. 9), 35 f. Nach Hegels Eintrag war er nur bis Herbst 1779 in Löfflers Unterricht. Dies hat F. Nicolin (ebd. 114) aufgrund einer Schlußfolgerung aus anderen Daten dahingehend korrigiert, daß Löffler bis zum Herbst 1780 Hegels Klassenlehrer war. Diese Korrektur wird durch die Akten zum Landexamen 1780 bestätigt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 53, S. [11]. Auch 1783 sind die in den Sommer fallenden Visitationstermine für das Stuttgarter Gymnasium nicht festgehalten. 13 Ebd. S. [9]. 11 Vgl. neuerdings Volker Schäfer: Vom „Fakelnschimmer . . . auf des Themen Sarg" bis zu „Seiner Heiligkeit Herrn Teuffel". Überlieferungssplitter zu Friedrich Hölderlin. In; Hölderlin-Jahrbuch. 26 (1988/1989), 401-432; hier 412.
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VOLKER SCHäFER
nicht zuletzt der als „democrata" in die Stiftsgeschichte eingegangene
CHRISTIAN
LUDWIG WEZELI^.
Die hier ausgewerteten Quellen von 1780 und 1783 aus den Konsistorialakten über das Landexamen gehören zu den beiden einzigen der fünf Hegelschen Examensjahrgänge, von denen eine weitgehend intakte Dokumentation erhalten geblieben ist. ln diesem vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrten Aktenfonds hat die Forschung bislang nur Hegels sowie HöLDERLINS Prüfungsergebnisse wahrgenommen, die bei Hegel übrigens durchgehend aus der Note A bestanden, der zweitbesten von sieben möglichen Prädikaten.Bei genauerem Zusehen geben die Unterlagen aber noch andere einschlägige Informationen preis. Neben Hegels eher peripherer Erwähnung in den Verzeichnissen „Nomina Citandorum Scholarium ad Examen Solenne" von 1780 und 17831^ findet sich in den Akten für üm auch ein Taufschein, wie ihn damals jeder Petent beizubringen hatte, in seinem Fall von dem Stiftsdiakon JOHANN JAKOB PLATT am 12. Mai 1780 „aus dem Tauff-Buch der Stifts-Kirche getreulich" extrahiert. Bemerkenswert ist dabei das Incipit mit seiner Gleichsetzung von Geburts- und Tauftag: „Anno 1770, den 28 August, ist allhier zu Stuttgardt gebohren, und als ein ehelich erzeugtes Söhnlein getauft worden, mit Namen: Georg Wilhelm Friderich". Die Taufpatenliste stimmt personell mit dem gedruckten Stuttgarter Kirchenregister übereini®, weicht jedoch in der Reihenfolge geringfügig ab: ,,H(err) M. Johann Friderich Breyer, Prof. Philosophia [sic] in Erlange [sic], Sponsus, cum Sponsa Johanna Wilhelmina Frostin, Reg(ierungs)Raths hinterl(assener) Tochter."!^ Im selben Archivbestand haben sich für die beiden Jahre 1780 und 1783 auch summarische Protokolle erhalten, die den äußeren Rahmen des Landexamens widerspiegeln. Die erste Prüfung, in der Hegel auftrat, nahm demnach folgenden Verlauf:
„Examen Solenne habitum d(en) 12. Sept(embris) 1780. Praes(enti)bus: H(err) Geb(eimer) Ratb und Director Frommann, H(err) [Geb(eimer) Ratb] u(nd) Vice-Director Faber, H(err) R(egierungs)Ratb Ruoff, Fl(err) Consistorial-Ratb '5 Diez, 1780: „Bonas ingenii dotes in hospitio Bebenhusano, quo ex aliquo tempore fruitur, feliciter excolit, et luculentos profectus ostendit. Mores etiam laudantur." (Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 46, S. 40.) — Niethammer, 1780: „Sic profecit, ut bene ipsum collocasse tempus adpareat." (Ebd. Bü 52, S. 6.) — Wezel, 1783: „Probis gaudet animi dotibus." (Ebd. Bü 53, S. [25].) Zu Hegel: Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. 13, Nr 8. — Zu Hölderlin: 1) Hölderlin: Sämtliche Werke. (Große Stuttgarter Ausgabe.) Bd 7: Dokumente. Teil 1. Hrsg. v. Adolf Beck. Stuttgart 1968. LD 17, 301—305. 2) Friedhelm Nicolin: Zu Hölderlins Bildungsgang. Dokumente, Hinweise, Berichtigungen. In: Hölderlin-Jahrbuch. 16 (1969/1970), 228—253; hier 228—231. Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 63, S. [4] (1780); ebd. Bü 65, S. [3] (1783). Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 4, Teil 1. 9 f, Nr 5. *9 Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 62, Unterfaszikel Taufscheine der Petenten unter der Staig.
Hegel im Landexamen
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Schmidlin, [H(err) Consistorial-Rath] LeBret. Als Examinatores waren zugegen: H(err) Praelat und Rector M. Volz als Paedagogarcha unter der Steig, H(err) Professor Boeck zu Tübingen als Paedagogarcha ob der Steig, H(err) Professor Gymnasü M. Tafinger, [H(err) Professor Gymnasü] M. Haug. Dienstags, d(en) 12. Sept(embris) 1780, wurde morgens um 7 Uhr mit Vornahme des dießjährigen LandExaminis folgendergestalten gemacht, daß die auf den Ersten Tag citirte Scholaren durch den Consistorial-Secretarium, nach dem dießfals gefertigten Catalogo, abgelesen, und sodann nach dem von dem Discipulo Gymnasü Stuttgardtiani Kauffmann abgelegten Gebett, in Abwesenheit des erkranckten Herrn StifftsPredigers Spittlers, von dem Herrn ConsistorialRath Schmidün denen in dem Auditorio versammleten [sic] Scholaren das Exercitium andictiret, und ihnen zugleich aus der Collectione Argumentorum gewiße Pensa in das Deutsche zu übersezen aufgegeben worden, mit welcher Arbeit sie diesen Vormittag zugebracht haben. Actum eodem horis pomeridianis. Praes(enti)bus iisdem. Nachmittags um 2 Uhr wurden die Scholaren des Ersten Tags wiederum p{er) Secretarium abgelesen, und darauf nach dem von dem Discipulo der Lateinischen Schule zu Ludwigsburg Bunz verrichtetem [sic] Gebett in Latino von H{errn) Prof. Haug, in Graeco durch H(errn) Prof. Tafinger, in Logica durch H(errn) Praelaten Volz, in Rhetorica durch H(errn) Prof. Boecken, und end(lich) diejenige, welche sich zur Reception Hofnung machten, in Hebraeo durch H(errn) Prof. Tafinger exploriret, sodann eben dieser Actus wiederum mit Gebett, welches der Discipulus der Lateinischen Schule zu Schorndorff Breitschwerdt ablegte, Abends um fünff Uhr beschießen, Den Protokollbeilagen schließlich lassen sich sogar noch die Aufgaben entnehmen, die Hegel 1780 im Landexamen zu lösen hatte. In die lateinische Sprache mußte er als Petent folgenden Text übersetzen: „Daß die Schulen eine unschäzbare Wohlthat der gnädigen Vorsehung Gottes seien, ist außer allem Zweiffel. Ob aber die öffentliche Schulen beßer seien, als die Privat-Unterrichte, darüber ist von manchen gestritten worden, Sein Pensum für die Übersefzung aus dem ^ Ebd. Bü 63. — Kauffmann, Bunz und Breitschwerdt waren die jeweils rangältesten Exspektanten der drei größten Lateinschulen des nördlichen Landesteils. Stuttgart stellte 1780 (von 380 Schülern) 32, Ludwigsburg (von 132) 12 und Schorndorf (von 169!) 10 Prüflinge. 21 Ebd.
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VOLKER SCHäFER
Lateinischen ins Deutsche bestand, laut Notat des Konsistorialsekretärs, „ex Collect. argum. die 4. Fab. pag. 167"'^. Gemeint war damit Aesops 4. Fabel in dem mehrfach aufgelegten, zuletzt 1777 in Stuttgart erschienenen Schulbuch „Collectio argumentorum selectiorum pro comparanda linguae Latinae facultate, in usum publicum scholarum trivialium Würtembergiae", auf Seite 167: „Lepus & vulpes. Anteponebat se vulpi lepus, quippe cui pedum pernicitate praestaret. At vulpes dicere, se ingenio vincere, cujus esset multo & frequentior & praeclarior USUS, quam pedum. Fabula incredibilem esse ait bonitatem prudentiae, neque corporis maximas dotes cum minimis animi dotibus comparari recte posse." Hegel hat indessen seinen Bildungslauf nicht über die württembergischen Klosterschulen fortgesetzt. Weshalb ihn der Vater diesen ursprünglich doch wohl ins Auge gefaßten Weg^3 nicht beschreiten ließ, ist ungeklärt. Vielleicht sind die Gründe in der familiären Situation nach dem frühen Tod der Mutter zu suchen, vielleicht liegen sie in Hegels damals auffallend ungefestigter Gesundheit. Vielleicht stand dahinter aber auch ein Interesse der Stuttgarter Lehranstalt, ihre Schüler möglichst lange an sich zu binden, was 1795, freilich erst nach Aufhebung der Hohen Karlsschule, die Universität Tübingen dazu veranlaßte, dem Herzog gegenüber ihre Sorgen wegen der Konkurrenz des Stuttgarter Gymnasiums für ihre Philosophische Fakultät auszudrücken^“*. Wie dem auch sei, der Verzicht auf die kostenlose voruniversitäre Ausbildung jedenfalls muß dem Stuttgarter Konsistorium bekannt gewesen sein, als es am 14. September 1784 über die Zusammensetzung der neuen Promotion von Denkendorf befand^s, denn bei Hegels schulischen Leistungen ist es schwer vorstellbar, er sei aus anderer Ursache für eine Aufnahme nach Denkendorf nicht in Frage gekommen.
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Ebd. Vgl. dazu: Der junge Hegel (wie Anm. 9), 15 und 84. Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 280 Bü 8 d, 22. 1. 1795. Landeskirchliches Archiv Stuttgart A 3 Nr 53, S. 411—413.
KUKUPETER UND DIE PFAFFEN SEINER ZEIT Ein Quellenhinweis zu Hegels frühen Manuskripten von Friedhelm Nicolin (Düsseldorf)
Eine Hauptaufgabe heutiger Hegel-Philologie, neben der kritischen Sicherung der Texte, besteht darin, die von Hegel benutzten und mehr oder weniger versteckt eingearbeiteten Quellen zu erschließen, um damit die Texte selbst transparenter zu machen. Wer an dieser Arbeit beteiligt ist, weiß, daß sie sich nicht vollends systematisieren läßt und daß so mancher Einzelnachweis nur einem Zufallsfund zu verdanken ist. Zuweilen kommt eine solche Entdeckung wie ein kleines Geschenk von auswärts ins Haus . . . Die italienische Zeitschrift Rivista di Storia della Storiografia Moderne hat in ihrem letzten Jahrgang eine kurze Notiz über „VOLTAIRE, Hegel und KUKUPETER“ veröffentlicht, die wir hier aufgreifen dürfen. Sie ist unterzeichnet; G. G. C. L.^ Der Verfasser hat, wie er berichtet, den Essai sur les mceurs wiedergelesen und war vom alten VOLTAIRE fasziniert „come la prima volta". Bei dieser Lektüre fand er sich schließlich auch konfrontiert mit jenem Pilger aus Amiens, der (so nun wörtlich aus dem Essai)
„suscita les croisades. II n'avait d'autre nom que Coucoupetre, ou Cucupietre, comme le dit la fille de TEmpereur Comnene, qui le vit ä Constantinople. Nous le connaissons sous le nom de Pierre l'Ermite . . ."2 Noch über die Zuverlässigkeit des Rückbezugs auf die griechische Autorin nachdenkend^, wurde der VoLTAiRE-Leser von einer Assoziation beansprucht; Der Name — „dieser komische Name CUCUPIETRO, der gewiß VOLTAIRES esprit buffon [sic!] anregte" — erinnerte ihn an etwas.
1 Nota SU Coucoupetre, Voltaire, Hegel e Kukupeter. In: Rivista di Storia della Storiografia Moderna. 9 (1988), 195. Autor ist, wie ich erfahre, Gioacchino Gargallo da Castel Lentini. — Ich zitiere im folgenden aus dieser Notiz in deutscher Übersetzung, — ausgenommen die dort französisch wiedergegebene Passage aus Voltaire. 2 Das Zitat ist entnommen aus Voltaire: Essai sur les mceurs et l'esprit des nations et sur les principaux faits de l'histoire depuis Charlemagne jusqu'ä Louis XIU. (Ed. par Rene Pomeau.) Paris 1963. T. 1. 558. 3 Der Verfasser merkt an, daß er die griechische Quelle nicht zur Hand habe.
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FRIEDHELM NICOLIN
Es ist „der KUKUPETER Hegels", der hier aus dem Schacht der Erinnerung auftaucht. Mit ihm verbindet der Autor sogleich den Hinweis, daß er „den Exegeten zu schaffen gemacht" habe. Dies ist ganz zutreffend. Die Wendung „KUKUPETER und die Pfaffen seiner Zeit" findet sich in einem der ersten Entwürfe, die Hegel während seiner Hauslehrerzeit in Bern bzw. Tschugg niedergeschrieben hat. HERMAN NOHL, der diese Blätter 1907 aus dem Nachlaß herausgab, setzte in seinem Text hinter den Namen ein eingeklammertes Fragezeichen.^ Die damit angezeigte Unsicherheit kann sich nicht auf die Entzifferung des Originals beziehen, denn der Name weist in Hegels Manuskript keinerlei Verbesserung auf und ist zweifelsfrei lesbar. So deutet das Fragezeichen wohl darauf hin, daß NOHL der Name „KUKUPETER" unbekannt war und er mit der Möglichkeit rechnete, daß der junge Hegel seinerseits einen historischen Namen falsch aufgefaßt oder wiedergegeben hatte. Die Frankfurter Theorie-Werk-Ausgabe des Jubiläumsjahres 1970, die sich zwar nur auf vorhandene Editionen stützt, aber an manchen Stellen doch einschlägige Forschungsliteratur berücksichtigt, beläßt jenes Fragezeichen unaufgelöst an seinem Platz.5 Wenn schließlich unser italienischer Gewährsmann bescheiden einräumt, der von ihm mitgeteilte Sachverhalt sei vielleicht inzwischen längst von jemand anders verifiziert worden, so konnte er nicht wissen, daß auch die Herausgeber der Berner Schriften im Rahmen der kritischen Hegel-Gesamtausgabe^ die Lücke trotz eingehender Recherchen und mehrseitiger kollegialer Unterstützung nicht zu schließen vermochten: es fehlte der Anhaltspunkt zur historischen Einordnung der gesuchten Person, und unsere modernen Enzyklopädien bewahren in ihrer alphabetischen Nomenklatur den Namen KUKUPETER nicht auf... Kehren wir zu der nun aufgefundenen Quelle zurück. VOLTAIRE selbst gibt zu seinem oben zitierten Hinweis auf die Tochter des Kaisers KOMNENOS keinen literarischen Beleg. Die kritische Ausgabe des Essai durch RENE POMEAU vermerkt zu der Stelle: „ANNE COMNENE, Alexias, livre X, ch. 5"7 Die in griechischer Sprache verfaßte Alexias, in deren 15 Büchern die Prinzessin ANNA KOMNENA (geb. 1083, gest. nach 1148) die Lebens- und Regierungsgeschichte ihres Vaters, des byzantinischen Kaisers ALEXIOS I. KOMNENOS (1048—1118) beschrieb, erschien in frühen Editionen in Augsburg 1610 (wie es scheint, nicht vollständig), Paris 1649 und
^ Vgl. Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg, von Herman Nohl. Tübingen 1907. 40. 5 G. W. F. Hegel: Werke. Band 1: Frühe Schriften. Frankfurt a. M. 1971. Vgl. dort 59. * G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke, ln Verbindung mit der Dt. Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Band 1: Frühe Schriften I. Hrsg, von Friedhelm Nicolin und Gisela Schüler. Hamburg 1989. — Der Band erschien im November 1989; zu der fraglichen Stelle (Seite 127, Zeile 20/21) konnte eine Anmerkung nicht mehr eingebracht werden. ^ Voltaire: Essai (wie Anm. 2). 558, Fußnotel. Der Verfasser der Nota su Coucoupetre scheint diese Angabe des Herausgebers für einen von Voltaire selbst mitgeteilten Stellennachweis zu halten.
•Kukupeter und die Pfaffen seiner Zeit'
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Venedig 1729.® Der uns interessierende Kreuzzugsprediger PETER DER EREMIT wird in Buch 10, Kapitel 5, § 5 mit folgenden Worten eingeführt:
KeXxög xig IlexQog xo'üvopa, xf)v e;n:a)vupiav Kouxoxuiexgog, eig jT0oaxi3vT)aLV xoü ayiov xdqiou djte)tff(bv . . ß „Ein Keife namens Peter, mit Beinamen Kukupeter, war aufgebrochen, das heilige Grab zu verehren ..." Im weiteren wird erzählt^o, wie PETER nach den leidvollen Erfahrungen seiner ersten Reise im ganzen Land der Lateiner dazu aufrief, das hl. Grab zu besuchen und Jerusalem aus türkischer Hand zu befreien, wie dann von vielen Seiten her die Kreuzfahrer zusammenströmten und wie schließlich der Eremit selber an der Spitze eines Heerhaufens von 80 000 Mann zu Fuß und 100 000 Reitern über Konstantinopel ins Hl. Land zog. ANNA KOMNENA bedient sich bei ihrer Schilderung auch weiterhin öfters des Namens KUKUPETER, während VOLTAIRE, wie er ausdrücklich betont, den Namen PIERRE L’ERMITE bevorzugt. Im Hinblick auf die geradezu militärische Führungsrolle des Eremiten spricht er zugespitzt von „le general PIERRE". Zur Bedeutung des Namens KUKUPETER, auf die weder die Autorin der Alexias noch VOLTAIRE eingeht, gab es offenbar in der älteren Literatur zwei Erklärungsversuche. Die Encyklopädie von ERSCH und GRUBER resümiert sie 1844 in dem Artikel Peter der Einsiedler folgendermaßen: „Nach der einen Erklärung heißt er KUKUPETER, von Cuccula, einem Kleidungsstücke der Mönche; denn daß PETER ein Mönch gewesen, bezeugen mehrere Schriftsteller . . . Nach der andern scheint CUCUPIETTRE aus dem picardischen Kiokio (klein) und Petrus zusammengesetzt zu sein, und bedeutet also soviel als der kleine Peter . . . Auch diese Erklärung paßt, da PETER klein von Statur war . . ."i^ Zu fragen ist, ob der junge Hauslehrer Hegel den Originaltext der Alexias und/ oder den Essai sur les maeurs aus eigener Lektüre kannte. Hierfür gibt es keine beweiskräftigen Indizien. Der nach Hegels Tod zusammengestellte Katalog seiner persönlichen Bibliotheki®, der oft wenigstens gewisse Rückschlüsse zuläßt, verzeichnet die beiden Werke nicht. Der schon von H. STRAHM ausgewertete Auk-
® Wir benutzen das Werk in folgender, griechisch-französischer Ausgabe: Anne Comnene: Alexiade. Texte etabli et traduit par Bernard Leib. Deuxieme tirage. Paris 1967. Zum Vorstehenden vgl. dort die „Introduction": T. 1. IX und CLXXVII ff. « Vgl. Alexiade. T. 2. 207. w Vgl. Kapitel 5 und 6, ebd. 207 ff. '' Vgl. Voltaire: Essai. 560, 561. Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Hrsg, von J. S. Ersch und J. G. Gruber. Section 3, Teil 19. Leipzig 1844. 37—45; Zitat: 37, Fußnote 2. '3 Verzeichniß der von dem Professor Herrn Dr. Hegel und dem Dr. Herrn Seebeck hinterlassenen Bücher-Sammlungen . . . Berlin 1832.
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FRIEDHELM NICOLIN
tionskatalog der SiEiGERschen Bibliothek in Tschugg^^ weist das Buch der ANNA nicht aus. VOLTAIRE dagegen ist mit zahlreichen Titeln vertreten, sein Essai Stil' Ics mceurs jedoch nicht in der letzten vollständigen Gestalt, sondern in einer Vorfassung unter dem Titel Abrege de l'histoire universelle depuis Charlemagne jusques ä Charlequint (La Haye 1753). Die schon zuvor veröffentlichte Geschichte der Kreuzzüge — und damit auch die Figur und der Name KUKUPETER — war gewiß in diesem Abriß (den wir ad hoc nicht beschaffen und einsehen konnten) enthalten. 15 Die ab 1756 in dichter Folge erscheinenden Ausgaben des VoLTAiREschen Essai hier aufzuführen erübrigt sich. Was aber die Alexias betrifft, so ist noch eine weitere Publikation zu nennen, die sehr wohl in den Gesichtskreis Hegels hat treten können: die Allgemeine Sammlung Historischer Memoires, die FRIEDRICH SCHILLER seit 1790 herausgab.15 Den Anfang der dort veröffentlichten Memoires (worunter SCHILLER Berichte versteht, die „aus der Erinnerung erlebter Begebenheiten niedergeschrieben werden"i7) macht eine paraphrasierende Übersetzung der Denkwürdigkeiten aus dem Leben des griechischen Kaisers Alexius Komnenes, beschrieben durch seine Tochter Anna Komnena^^. Hier lesen wir in Buch 10 über den Aufbruch der Kreuzfahrer ins Hl. Land: „Alles eilte aus seinen Wohnungen nach Asien hinüber: ein gewisser Gelte, PETER mit Namen, den man auch KUKUPETER nennt, war der Anstifter."i^ In den Anmerkungen, die dem Werk nachgestellt sind, wird der Name KUKUPETER von der „Cuccula . . . der Mönche" her erklärt; ebendiese Erläuterung hat, wie oben zitiert, der Artikel über PETER in der Encyklopädie von ERSCH/GRUBER wörtlich übernommen.20 Erwähnt sei noch, daß „KUKUPETER" auch in dem differenzierten Inhaltsverzeichnis, das den Denkwürdigkeiten vorangeht, namentlich vorkommt.21 Tun wir noch einen Blick in zwei historische Werke, die Hegel in seinen Schweizer Jahren nachweislich benutzt hat und die eine Darstellung der Kreuzzüge enthalten. Verweisen sie auf KUKUPETER? In MOSHEIMS lafeinischer KirchenKOMNENA
i'i Catalogue de la pre'cieuse bibliotheque de . . . Christophe de Steiger de Tschugg. Bern 1880. Vgl. dazu Hans Strähnt: Aus Hegels Berner Zeit. In: Archiv für Geschichte der Philosophie. 41 (1932), 514—533. Zum Status der Bibliothek in der Zeit von Hegels Berner Aufenthalt vgl. neuerdings Martin Bondeli: Hegel ln Bern. (Im Druck.) Teil 1, Abschnitt Dl: „Die Bibliothek". '5 Dies wird bestätigt durch die Lesarten, die R. Pomeau in seiner Edition des Essai (oben Anm. 2) mitteilt; vgl. T.l. 858 ff. 15 Allgemeine Sammlung Historischer Memoires vom zwölften Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten durch mehrere Verfasser übersetzt, mit den nöthigen Anmerkungen versehen, und jedesmal mit einer universalhistorischen Uebersicht begleitet — herausgegeben von Friedrich Schiller. Abt. 1, Bd 1—3. Jena 1790. 12 Zitat aus dem „Vorbericht" in Band 1. 18 Vgl. Bd 1. 1-286; Bd 2. 1-112. Dazu Anmerkungen in Bd 3. 207-252. 19 Bd 1. 230. 20 Vgl. Bd 3. 230. 21 Siehe Bd 1. LIX: „Kukupeter geht mit beynah zweymal hundert tausend Mann durch Konstantinopel nach Asien über ..."
„Kukupeter und die Pfaffen seiner Zeit"
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geschichte wird der Volksprediger eingeführt als „PETRUS quidem, Ambianensis Gallus, cognomine EREMITA"; der andere Beiname bleibt ungenannt.p/jg Story of the decline and fall of the Roman empire von EDWARD GIBBON beginnt die Behandlung der Kreuzzüge mit einer Charakteristik PETERS, der auch hier als ein aus Amiens in der französischen Provinz Picardie gebürtiger Einsiedler bezeichnet wird, ohne daß der Name KUKUPETER fällt.^3 — Ebensowenig bringt übrigens ScHRöCKHS Weltgeschichte, von Hegel schon gelesen und gelobt, als er noch das Gymnasium besuchte, den Sondernamen des Eremiten zur Sprache.^4 Für eine bestimmte Quelle, die Hegel benutzt hätte, läßt sich nach alldem nicht votieren. Um so mehr sollte man darauf achten, wie selbstverständlich und unmittelbar Hegel den KUKUPETER in seinen Gedankengang einbezieht. Diese Direktheit erweckt nicht so sehr den Eindruck einer bewußten literarischen Bezugnahme wie den eines illustrativen Verweisens auf etwas Bekanntes und Präsentes. Ob solche Präsenz einer früheren persönlichen Leseerfahrung entstammte, ob sie durch Vorlesungen vermittelt war oder sich aus dem kirchenkritischen Gespräch der Tübinger Theologiestudenten ergeben hatte, entzieht sich unserem Nachweis. Vorerst bleibt als Ertrag der dankenswerten Mitteilung in der Rivista di Storia della Storiografia Moderna, von der unsere Überlegungen ihren Ausgang nahmen, die Identifizierung des Hegelschen „KUKUPETER". ln welchem Konfexf steht dieser kuriose, vielleicht auch karikierende Nebenname des ersten Kreuzzugspredigers bei Hegel?35 Wir befinden uns innerhalb der Betrachtung: „Wie wenig die objektive Religion für sich ohne korrespondirende Ansfalfen des Sfaafs . . . ausgerichtet hat." (In der Erstedition von NOHL bildet die mit diesen Worten beginnende Niederschrift einen Abschnitt der unter dem Titel „Volksreligion und Christentum" zusammengefaßten Textgruppe. In der nicht mehr kompositorisch, sondern analytisch orientierten neuen Gesamtausgabe erscheint das Stück als selbständiges Fragment: als Text 20.) Hegel exponiert die Schwäche der christlichen Religion, welche „die Verdorbenheit aller Stände, . . . die Barbarei der Zeiten" und „die groben Vorurtheile der Völker" nicht habe überwinden können. Er bekundet Verständnis dafür, daß Gegner des Christentums, die mit wundem Herzen „die Geschichte der Kreuzzüge — der Entdekkung [und grausamen Eroberung] von Amerika — des izigen Sklavenhandels" lesen, von Bitterkeit und Haß gegen diese Religion erfüllt werden. Unter den entlastend gemeinten Argumenten der Verteidiger des Christentums hebt Hegel — mit dem Sarkasmus, den die32 fo. Laur. Moshemii Institutionum historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris libri IV. Helmstädt 1755. 381. 33 Ich stütze mich bei der Abfassung dieser Miszelle ersatzweise auf die deutsche Ausgabe: Geschichte der Abnahme und des Falls des Römischen Reichs. Aus dem Englischen des Eduard Gibbon übersezt von C. W. v. R. Bd 1 — 14. Wien 1790—1792. Siehe dort Bd 12. 1 ff (= Anfang von Kapitel 58). 34 Vgl. Johann Matthias Schröckh: Allgemeine Weltgeschichte ßr Kinder. Teil 4, Abschnitt 1. Leipzig 1782. 137: „Ein französischer Einsiedler, Peter, . . ." 33 Zum folgenden vgl. Hegel: Frühe Schriften I. (Gesammelte Werke. Bd 1.) 127 f.
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ses mehrfach wiederkehrende Motiv seiner frühen Schriften stets bei ihm auslöst — die sich überschlagende Bemerkung hervor, „daß alles diß nicht geschehen wäre, wenn zum Glükke der Menschheit doch nur ihre Kompendien schon wären herausgewesen". Der falschen Überzeugung von der endlich fortgeschrittenen Moral, von der heilsamen Wirkung solcher Lehrbücher und ihrer theologisch durchgeklärten, handhabbaren Einsichten und Handlungsdirektiven begegnet Hegel mit einem Zwischenruf, der auf Lukas 16,29 anspielt: „Aber hatten die Päpste und ihre Kardinäle, hatte KUKUPETER und die Pfaffen seiner Zeit, hatten sie nicht Mosen und die Propheten, konnten sie nicht dieselbe[n] hören"?^^ Hatten sie nicht genau wie wir „die lautere Quelle der Moral", und bedurfte diese überhaupt unserer Interpretationen und gelehrten Begriffe? — Die Kreuzzüge, deren Idee und Verwirklichung KUKUPETER hier repräsentieren soll, sind eins der Beispiele für das Verfehlen der Ursprungsintentionen christlicher Moral durch die Entfaltung institutioneller Machtstrukturen, wie sie mit dem Hineinwirken der Kirche in die Welt einherging . . .
26 Vgl. Lukas Kap. 16, Vers 29: „Sie haben Mosen und die Propheten, laß sie dieselbigen hören."
MYRIAM BIENENSTOCK (PARIS)
ZU HEGELS ERSTEM BEGRIFF DES GEISTES (1803/04): HERDERSCHE EINFLÜSSE ODER ARISTOTELISCHES ERBE?*
In seinen Vorlesungen von 1803/04 über die Philosophie des Geistes entwickelt Hegel ein Argument, das den Zweck hat zu zeigen, daß die traditionelle Kontroverse zwischen Idealisten und Realisten sinnlos, sogar „lächerlich" seid Um zu verstehen, wie die Empfindung — aber auch die Erkenntnis im allgemeinen — möglich ist, so schreibt er, muß man den „Standpunkt des Gegensatzes" verlassen, „wo sich der sog. Realismus und der sog. Idealismus bilden". Dieser Standpunkt, den Hegel auch den „Standpunkt des gemeinen Bewußtseyns" nennt, setzt einen Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, zwischen „der Seite der Thätigkeit" und der „Seite der Passivität des Bewußtseins" voraus. Ein solcher Standpunkt beruht aber auf einem fehlerhaften Verständnis des Bewußtseins. Denn — so schreibt Hegel 1803/04 — das Bewußtsein ist eher „der Begriff des Geistes" (GW6.266). Das Bewußtsein ist „Wesen", d. h. „Mitte"; und, als „Mitte", „die Bewegung selbst", welche die Empfindung veranläßt (GW 6.291; vgl. 272 —276). Um zu klären, wie die Empfindung, aber auch die Bildung der Begriffe möglich ist, ist es also notwendig, den Begriff des Bewußtseins neu zu verarbeiten; es gilt zu verstehen, daß das Bewußtsein nichts anderes als „Geist" oder, genauer gesagt, „Begriff des Geistes" ist. Schon früher — während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Jena — hatte Hegel den Gegensatz Idealismus/Realismus abgelehnt. In der Differenz-Schrift sowie in Glauben und Wissen hatte er bereits das
* Diesen Artikel konnte ich während eines Forschungsaufenthaltes am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum vorbereiten. Den Mitarbeitern des Hegel-Archivs und seinem Leiter, Herrn Professor Dr. Otto Pöggeler, danke ich für vielfältige Unterstützung. — Herrn Dr. Norbert Waszek bin ich für die aufmerksame Prüfung der deutschen Fassung meines Manuskriptes besonders dankbar. An dieser Stelle möchte ich mich ebenfalls bei der Heinrich-Hertz-Stiffung (Düsseldorf) bedanken, die meinen Aufenthalt durch ein Stipendium gefördert hat. ' Hegel: Gesammelte Werke. Bd 6. Hrsg, von K. Düsing und H. Kimmerle. Hamburg 1975. 290—294. Dieser Band wird im folgenden zitiert: GW 6.
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Identitätsprinzip vertreten^, aber noch nicht erklärt, warum oder in welcher Weise dieses Prinzip die Empfindung ermöglicht. In diesem Sinne sind die beiden genannten Abhandlungen kritische Aufsätze: in ihnen stellt Hegel das Problem klar, zu dem er eine Lösung sucht. Diese Lösung hat er aber noch nicht gefunden. Eine solche gibf er erst 1803/04 an, in seinen ersten Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Erst dort eignet er sich den Begriff „Geisf“ an, der zum Hauptbegriff seines späteren Sysfems werden sollte. Allerdings gibt er von diesem Begriff verschiedene Definitionen, die sich schwer vereinbaren lassen. Die Terminologie, die er in diesen Jahren benutzt, ist noch unbestimmt. Die Vorlesungen von 1803/04 sind in der Tat nicht mehr als erste Entwürfe einer Philosophie des Geistes, die uns übrigens nur fragmentarisch überliefert wurden, ohne daß man immer entscheiden kann, ob Hegel selbst sie unterbrochen hat, oder ob ihre Fortsetzung verloren gegangen ist.^ Trotz dieser Mängel kann man aber wohl doch behaupten, daß sie bereits den ersten Ansatzpunkt von Hegels Philosophie des Geistes enthalten: in diesen Vorlesungen gründet Hegel, zum ersten Mal, seine Philosophie des Geistes auf eine originelle Konzeption des Bewußtseins. Das Dilemma Idealismus/Realismus sowie das Erkenntnisproblem im allgemeinen glaubt er mittels dieser Auffassung lösen zu können — als hätte er gedacht, daß eine geeignete Antwort auf das Erkenntnisproblem erst dann möglich sein würde, wenn die geläufige Auffassung des Erkenntnissubjekts, d. h. des „Bewußtseins", einmal in Frage gestellt würde. Der Zweck dieses Aufsatzes ist, Ursprünge und Bedeutung von Hegels Begriff des Bewußtseins in den Entwürfen von 1803/04 zu untersuchen. Mit Recht hat die neuere Hegel-Forschung betont, daß Hegels Einführung dieses Begriffs in seine Philosophie einen Wendepunkt in seiner Entwicklung bezeichnet. Die zentrale Rolle, die Hegel ab 1803/04 dem Bewußtsein einräumt, wurde auch als Zeichen einer ersten Distanzierung von ScHELLiNG Und einer Annäherung an FICHTE interpretiert.^ Es gibt aber keinen Zweifel, daß Hegel nicht einfach zu FICHTE zurückkehrt: auch wenn er, wie FICHTE, über das Bewußtsein Rechenschaft geben will, hält er es für nöfig, eine solche Aufgabe im Rahmen des ScHELLiNGSchen
^ Vgl. z. B. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg, von H. Büchner und O. Pöggeler. Hamburg 1968. 40 f, 333 f, 388-396. (Zitiert: GW 4.) ^ Vgl. hier „Editorischer Bericht". In: GW 6. 340. * Vgl. H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Bonn 1970. 2. erw. Aufl. 1982. 256—262. Vgl. auch R. P. Horstmann: Hegels vorphänomenologische Entwürfe zu einer Philosophie der Subjektivität in Beziehung auf die Kritik an den Prinzipien der Reflexionsphilosophie. Diss. Heidelberg 1968. 47 ff, 103.
Zu Hegels erstem Begriff des Geistes
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Programms einer „Geschichte des Selbstbewußtseyns"^, einer „Naturlehre unseres Geistes"^ auszuführen. Die Diskussion über Realismus und Idealismus selbst, die er durch seinen Begriff des Bewußtseins, bzw. des Geistes, abschließen will, zeigt, daß er FICHTES eigene Konzeption 1803/04 genau so ablehnt wie 1801/02: FICHTES „Bewußtseinsphilosophie" ist offensichtlich der Gegenstand seiner Kritik, wenn er den Idealismus, „der das Subject, das thätige des Gegensatzes, als ein Glied des Gegensatzes nimmt, und dasselbe als Bestimmtheit seyend, doch von der Bestimmtheit, von einer Äusserlichkeit für dasselbe befreyen will", als „vollkommen lächerlich" verurteilt (GW6.293). Die damalige Diskussion des Dilemmas Idealismus/Realismus ist es aber, die uns den Kontext zeigt, in welchem die Bedeutung von Flegels neuem, originellen Begriff des Bewußtseins geklärt werden kann. Das merkwürdigste und sicherlich bedeutsame Kennzeichen dieser Diskussion ist, daß Flegel sie 1803/04 im Zusammenhang mit einer Erörterung der Sprache entwickelt. Die Vermutung liegt nahe, daß seine damaligen Überlegungen zum Problem der Sprache eine wichtige Rolle in der Entwicklung seiner Philosophie des Geistes, bzw. des Bewußtseins, gespielt haben. Obwohl diese Flypothese schwer überprüfbar ist, zeigen doch die Fragmente von 1803/04, daß Flegel in seinem neu erarbeiteten „Begriff" des Geistes, bzw. des Bewußtseins, eine Lösung des damals häufig erörterten Problems der Sprache sah; eine Feststellung, die uns erlauben wird, die Bedeutung jenes Begriffes klarer zu machen. In dieser Flinsicht ist es zunächst bemerkenswert, daß Flegel in seinen ersten Fragmenten zur Philosophie des Geistes die Sprache zweimal erörtert: einmal im Anschluß an das Bewußtsein, das „Wesen" des Geistes, ein zweites Mal als Sprache eines Volkes. Der zweite Kontext ist besonders lehrreich — sowohl in Flinsicht auf Hegels Quellen als auch für die Bedeutung seines Denkens: es ist höchstwahrscheinlich, daß Hegel hier an HERDER denkt, der in vielen einflußreichen Schriften betont hatte, daß Verstand und Vernunft — wie die Sprache selbst — nur in einem Volk Wirklichkeit haben. Darf man aber nicht auch vermuten, daß HERDERS Versuche, den „Ursprung" der Sprache zu klären, seine Annahme einer „wirkenden Kraft", Energie oder energeia, die die Sprachfähigkeit des Menschen klä5 Vgl. F. W. /. Schdling: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (1796/97). In: Sämmtliche Werke. Stuttgart 1856—1861. Abt. 1, Bd 1. 382. Vgl. auch F. W. J. Schelling: System des transcendentalen Idealismus (1800). In: Sämmtliche Werke. Abt. 1, Bd3. 331. Vgl. F. W. ]. Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur. Als Einleitung. In: Sämmtliche Werke. Abt. 1, Bd 2. 39.
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ren könnte, im selben Diskussionszusammenhang stehen wie Hegels eigene Reflexion über das Verhältnis der Sprache zum „Geist" des Menschen, zu seinem „Bewußtsein"? Inwiefern ist Hegel auch in seiner Konzeption des Bewußtseins als „Begriff" des Geistes, und des Geistes selbst, HERDER verpflichtet? Der ARiSTOTElische Begriff energeia wurde in jener Zeit viel gebraucht, um das Wesen der Sprache zu klären: ein Gebrauch, der allerdings von HERDER verbreitet worden war. Das setzt natürlich nicht voraus, daß diejenigen, die den Begriff benutzten, sich unmittelbar auf ARISTOTELES berufen haben. Im allgemeinen war das sicherlich nicht der Fall.^ Mit Hegel aber ist die Situation ganz anders: es ist schon lange bekannt, daß er es seit seinen Studienjahren am Tübinger Stift für äußerst wichtig hielt, ARISTOTELES selbst und zwar im ursprünglichen Text, ohne Übersetzung zu lesen.® KARL-HEINZ ILTING hat sogar überzeugend gezeigt, daß die ARISTOTEÜsche Politik für Hegels Naturrechts-Auisatz sowie für sein System der Sittlichkeit (1802/03), d. h. für Schriften, die unmittelbar vor den Fragmenten von 1803/04 verfaßt wurden, von sehr großer Bedeutung waren.^ Es leuchtet ein, daß diejenigen Sätze aus den ersten Jenaer Systementwürfen, in welchen Hegel behauptet, daß „Barbaren nicht zu sagen wissen, was sie meynen" und daß „nur in einem Volke" die Sprache vorhanden ist (GW4.318), den Einfluß HERDERS, aber ebensosehr oder vielleicht an erster Stelle der ARisTOTELischen Politik verraten: desjenigen Passus nämlichio, in welchem ARISTOTELES sagt, der Mensch sei ein politisches Wesen — nur in einer polis menschlich — da er gerade den logos besitzt. Die Hauptfrage aber, die man in diesem Zusammenhang stellen muß, ist, ob Hegel nicht auch bereits in dieser Zeit (1803/04) De Anima gelesen und benutzt hat: läßt er sich damals von der Erklärung des Wahmehmungsprozesses in De Anima, und auch von dem Unterschied, den ARISTOTELES in diesem Buch zwischen Wissen als actu und Wissen als potentia macht, beeinflussen? Ein solcher Einfluß würde offensichtlich seine damalige ^ Vgl. hier L. Weisgerber: Zum Energeia-Begriff in Humboldts Sprachbetrachtung. In; Wirkendes Wort. 4 (1953—54), 374—376. Vgl. auch E. Heintel: Sprachphilosophie. In: Deutsche Philologie im Aufriss. Bd 1. Berlin, Bielefeld 1952. 454-498. ® Hegel „pflegte zu sagen, daß andern das Studium des Aristoteles leichter gemacht worden sei als ihm; er habe es sich sauer werden lassen, habe aus der unleserlichen Baseler Ausgabe, ohne lateinische Übersetzung, sich den tiefen Sinn des Aristoteles herauslesen müssen" (Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von G. Nicolin. Hamburg 1970. Anm. zu Nr 9, 566). 9 K. H. Ilting: Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik. In; Philosophisches Jahrbuch. 71 (1963/64), 38-58. Aristoteles: Politik. I. 2. 1253 a 10 f.
Zu Hegels erstem Begriff des Geistes
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Konzeption des Bewußtseins, bzw. des Geistes, in ein ganz neues Licht rücken. Freilich gibt es aus jener Zeit keine direkten Belege für Hegels Lektüre von De Anima^^, aber es läßt sich zeigen, daß manche Formulierungen der Geistesphilosophie von 1803/04, insbesondere diejenigen, die den Wahrnehmungsprozeß erklären, deutlich an ARISTOTELES' eigene Sätze in De Anima erinnern.p)as bedeutet selbstverständlich nicht, daß die Begriffe des Geistes und des Bewußtseins als „Wesen", die Hegel 1803/04 entwickelt, ARISTOTELES' eigener Konzeption des Nous entsprechen: jene Begriffe sind in der Tat genauso nah — oder eher genauso weit entfernt — von ARISTOTELES' Konzeption, wie die Auffassung, die Hegel in seinen späteren Werken ARISTOTELES beimessen wird.^3 Dieser letzte Punkt macht aber eine genauere Untersuchung der Hypothese eines Einflusses von De Anima auf Hegels damalige Konzeption des Bewußtseins unentbehrlich. Ließe es sich tatsächlich beweisen, daß Hegel in den Fragmenten über die Philosophie des Geistes von 1803/04 dieselben Ideen entwickelt, die er De Anima viel später — in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie — zuschreiben wird, dann gilt es, sich für eine der zwei folgenden Thesen zu entscheiden: entweder hat er schon 1803/04 De Anima gelesen und die philosophische Tragweite dieses Textes entdeckt, oder er hat seine reife Konzeption des subjektiven Geistes aus anderen Quellen entwickelt, in völliger Unabhängigkeit von ARISTOTELES. Er hätte dann entdeckt — oder vielmehr zu entdecken geglaubt — Hegels Übersefzung aus De Anima (vgl. hier Eine Übersetzung Hegels zu De Anima UI, 4—5. Mitgeteilt und erläutert von W, Kern, ln: Hegel-Studien. 1 [1961], 49—88), läßt sich nicht sicher datieren; sie könnte auch aus einer späteren Zeit stammen. Gablers Bericht (1832), Hegel habe „schon vor 26 Jahren [also um 1806] das Tiefste und Beste an der Quelle selbst [d. h. an Aristoteles selbst] geschöpft" (vgl. H. Kimmerle: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801/1807). ln: Hegel-Studien. 4 [1967], 65 ff), genügf auch nichf, um zu bestimmen, in welchen Jahren Hegel De Anima gelesen hat. 12 Die Hypothese eines Einflusses von De Anima auf Hegels Schriften von 1803/04 hatte schon Theodor Haering aufgestellt in seinem Buch: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Leipzig, Berlin 1929—1938. Bd 2. 446. Für Haering wäre dieser Einfluß höchstwahrscheinlich nur indirekt gewesen. 13 Über das Verhältnis von Hegels späterer, reifer Philosophie des subjektiven Geistes zu De Anima vgl. auch, zusätzlich zur oben zitierten Abhandlung von W. Kern, dessen Aufsatz Die Aristotelesdeutung Hegels. Die Aufhebung des aristotelischen „Nous" in Hegels „Geist", ln: Philosophisches Jahrbuch. 78 (1971), 237—259. Vgl. auch F. G. Weiss: Hegel's Critique of Aristotle's Philosophy of Mind. Den Haag 1969; und neuerdings K. Düsing: Hegel und die Geschichte der Philosophie. Darmstadt 1983. 129—132; H. Seidl: Bemerkungen zu G. W. F. Hegels Interpretation von Aristoteles',De Anima' III 4—5 und ,Metaphysica‘ XII 7 u. 9. ln: Perspektiven der Philosophie. 12 (1986), 209—236; R. Wiehl: Hegels Transformation der aristotelischen Wahrnehmungslehre. ln: Hegel-Studien. 23 (1988), 95—138; G. Picht: Aristoteles' „De Anima". Stuttgart 1987.
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daß ARISTOTELES seine eigenen spekulativen Ideen schon entwickelt hatte. Seine spätere Berufung auf ARISTOTELES müßfe dann als rein rhetorisch gelten; man könnte in ihr keinen substantiellen Einfluß von ARISTOTELES auf die Entwicklung seiner eigenen Philosophie erkennen. Das Problem Idealismus/Realismus, das JACOBI kritisch gegen KANTS transzendentalen Idealismus gewandt hatte, wurde in Hegels Zeit häufig behandelt: sowohl REINHOLD als auch FICHTE und SCHELLING haben ihre philosophischen Positionen am Leitfaden dieses Problems erörtert. Um Hegels eigene Behandlung des Problems zu erhellen, muß man aber seine Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Pantheismusstreit", im Rahmen dessen JACOBI seinen Angriff auf KANT entwickelte, berücksichtigen. Da diese Auseinandersetzung schon gut dokumentiert und vielfach untersucht worden ist, werde ich mich im ersten Teil dieses Aufsatzes darauf beschränken, diejenigen Punkte zu erwähnen, die zum Verständnis von Hegels Diskussion der Jahre 1803/04 notwendig sind; insbesondere die Position, die er HERDER gegenüber einnimmt. Das wird verständlich machen, warum er gerade zu jener Zeit die Diskussion des Gegensatzes Idealismus/Realismus im Rahmen einer Erörterung der Sprache entwickelt; eine Frage, der ich mich im zweiten Teil dieses Aufsatzes zuwenden werde. Schließlich ist zu prüfen, ob und inwiefern die Fragmente von 1803/04 einen Einfluß von De Anima verraten: durch diese Prüfung soll die Originalität seiner damaligen Konzeption des Bewußtseins hervorgehoben werden.
I. Wir wissen, daß Hegel JACOBIS Briefe über die Lehre des Spinozas (1785. Zweite Auflage 1789) schon im Tübinger Stift gelesen hat.^'^ Ebenso ist es bekannt, daß er HERDER, insbesondere HERDERS Gott (1787. Zweite Auflage, 1800) studierte und rezensierte.Der „Pantheismusstreit", der sich aus diesen Schriften entwickelte, war ihm daher aus den unmittelbaren Quellen bekannt. Man darf aber wohl vermufen, daß Hegels Gespräche mit HöLDERLIN^ö u^id dem Freundeskreis um HöLDERLIN^^ ihn in Frankfurt u Vgl. Karl Rosenkranz: Hegels Lehen. Berlin 1844. Nachdr. Darmstadt 1977. 40. '■'> Diese Rezension ist heute verschollen: vgl. GW 4. 517. Vgl. D. Henrich: Hegel und Hölderlin, ln: Ders.: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1967. 9-40. Vgl. H. Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der idealistischen Philosophie. Frankfurt a. M. 1971; Homburg vor der
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(1797—1800) dazu führten, seine eigene Position in jenem Streit neu zu klären. Um seine Behandlung des Dilemmas Idealismus/Realismus in den Jahren 1803/04 zu verstehen, müssen wir zuerst die Position rekonstruieren, die er in seinen Jenaer kritischen Schriften, insbesondere in Glauben und Wissen (1802), einnimmt. Aus dem problematischen Status des „Dings an sich" im KANXischen System hatte JACOBI gefolgert, daß KANTS transzendentaler Idealismus zwischen einem „dogmatischen Idealismus" und einem „dogmatischen Realismus" schwankt, ohne imstande zu sein, die Objektivität unserer Vorstellungen zu begründen.In Glauben und Wissen übernimmt Hegel diesen in seiner Zeit häufig wiederholfen Angriff auf KANT. Er folgf aber JACOBIS Schlußfolgerungen nichf: er tadelf den seiner Ansicht nach überschwenglichen Subjektivismus dieses Autors und behauptet, daß ein vernünftiges Wissen erreichbar ist — sowohl von Erscheinungen als auch von Gott, vom Absoluten. Eben weil KANT, wie JACOBI, die Möglichkeit eines Erkennens von Gott, vom Absoluten, geleugnet hat, so schreibt Hegel in Glauben und Wissen, hat er die Objektivität unseres phänomenalen Wissens nicht begründen können. Nach unserem Autor gehören also KANT und JACOBI, trotz ihrer scheinbaren Entgegensetzung, zu derselben philosophischen Bildung — zu einer Bildung, deren Anfänge bei den „Ur- und Grundempirikern" HUME und LOCKE ZU suchen isf (GW4.375 f): schon LOCKE, schreibf Hegel, hatte „die Philosophie in empirische Psychologie verwandelt, und zum ersten und höchsten Standpunct den Standpunct eines Subjects und die schlechthin seyende Endlichkeit erhoben" (GW4.322). KANT ist ihm gefolgt, indem er die „endliche Erkenntniß für die einzig mögliche erklärt" und sich als Zweck „nicht das Erkennen des Absoluten, sondern das Erkennen dieser Subjectivität oder eine Krihk der Erkenntnißvermögen" gesetzt hat (GW4.326). JACOBI aber verfährt nicht anders: für ihn, wie für KANT, isf der höchste Standpunkt der empirische Standpunkt eines endlichen, menschlichen Subjekts. Das ist aber der Grund, der ihn zur Spekulation, d. h. zur Philosophie im eigentlichen Sinn des Wortes, unfähig machf: „es isf schon efwas", schreibf Hegel, „wovor alle Speculafion erschrick!. Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hölderlin. Hrsg, von C. Jamme und O. Pöggeler. Stuttgart 1981; C. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch". Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797—1800. Bonn 1983. f. H. jacobi: lieber den transzendentalen Idealismus. „Beylage" zu David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus (1787). In: Werke. Hrsg, von F. Roth und F. Koppen. Leipzig 1812-25. Bd 2. 289-310.
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nemlich das Absolutseyn eines menschlichen Bewußtseyns und eines empfindenden Dings, und eines empfundenen Dings und ihrer Gemeinschaft, geradezu aus dem gemeinsten Empirismus heraus, vorausgesetzt: . . . schon mit der unanalysirten absoluten Annahme eines empfindenden Dings, und eines Dings, das empfunden wird, ist alle Philosophie aus dem Feld geschlagen" (GW4.349 f). Das Ziel dieser Kritik ist offensichtlich: an erster Stelle handelt es sich dabei um REINHOLDS Tatsachenphilosophie — diejenige Systematisierung der Philosophie KANTS, die KARL LEONHARD REINHOLD in seinen ersten Schriften, und insbesondere in seinem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, als Antwort auf das Dilemma Idealismus/Realismus entwickelt hatte. REINHOLD hatte behauptet, daß das KANTische „Ding an sich" nicht „erkennbar", weil es nicht „vorstellbar" ist — während alle unsere intellektuelle Aktivität doch auf einem zentralen Vermögen beruht: dem Vorstellungsvermögen.i^ Der Ausgangspunkt und die Grundlage alles Philosophierens, hatte REINHOLD geschrieben, ist eine unmittelbar evidente aber unbeweisbare Tatsache, die „Tatsache des Bewußtseins": „daß die Vorstellung im Bewußtsein durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beide bezogen werde".Statt das Bewußtsein traditionell als eine „Substanz", die das ganze Leben der Seele enthalten würde, zu bestimmen, hatte er es also einfach durch zwei Handlungen — unterscheiden und beziehen — gekennzeichnet. Es ist klar, daß REINHOLD sich hier von KANT beeinflussen ließ. Inwiefern und in welchem Sinn seine Auffassung KANTS transzendentalem Idealismus treu blieb, wie er es behauptete^!, ist aber zweifelhaft. Obwohl eine Antwort auf diese bis heute umstrittene Frage^^ für die Intention dieses Aufsatzes nicht erforderlich ist, ist es doch besonders bemerkenswert, daß REINHOLD in der Beschreibung der Methode, durch welche er zur „Tatsache des Bewußtseins" gelangen wollte — nämlich der „Reflexion" — sehr nah an LOCKE heranrückte: es ist sicherlich kein Zufall, daß er für jedes Buch seiner Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens ein Motto aus LOCKE gewählt hat. Die Vermutung liegt nahe. Vgl. K. L. Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag, Jena 1789. 254 f. 20 Vgl. K. L. Reinhold: Über das Fundament des philosophischen Wissens. Jena 1791. 78. 21 Vgl. Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Vorrede. 58—68. 22 Über diese Frage siehe aber E. Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. 2. Aufl. Berlin 1923. Bd 3. 33—58. M. Selling: Studien zur Geschichte der Transzendentalphilosophie. Bd 1: Karl Leonhard Reinholds Elementarphilosophie in ihrem philosophiegeschichtlichen Zusammenhang. Lund 1938; und Philosophie aus einem Prinzip. K. L. Reinhold. Hrsg, von R. Lauth. Bonn 1974.
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daß seine Rekonstruktion von KANTS transzendentalem Idealismus Hegels eigene KANT-Rezeption sehr beeinflußt hat: REINHOLDS Einfluß erlaubt zu klären, warum Hegel in Glauben und Wissen KANT einfach auf LOCKE zurückführt und ihm ein rein deskriptives, psychologisches Verfahren zuschreibt, das zum Hauptzweck hat, den Inhalt unseres Bewußtseins zu beschreiben.23 Das Hauptziel der Angriffe in Hegels kritischen Schriften ist zweifellos REINHOLDS Tatsachen- oder Reflexionsphilosophie: was Hegel in diesen Schriften KANT und JACOBI vorwirft, ist, daß sie letzten Endes nichts anderes als Tatsachenphilosophien sind, die REINHOLDS „Tatsache des Bewußtseins" als unmittelbare Voraussetzung ihres Denkens annehmen. Wegen derselben Voraussetzung tadelt Hegel auch FICHTE. Wie bekannt, hatte FICHTE geleugnet, daß REINHOLDS Systematisierung des Kantianismus den problematischen Status des „Dings an sich" klären könne, und tatsächlich einen Ausweg aus dem Dilemma Idealismus/Realismus biete. FICHTE hatte REINHOLDS Forderung, die Philosophie auf ein einziges, höchstes Prinzip zu gründen, nicht in Frage gestellt. Er hatte aber behauptet, daß dieses Prinzip die REiNHOLDsche „Tatsache des Bewußtseins" nicht sein könne. In der ersten Fassung seiner Wissenschaflslehre (1794) hatte er versucht, es eher als „Tathandlung" zu charakterisieren. Für Hegel, wie in seinen kritischen Schriften deutlich, ist aber dieser Versuch gescheitert. In seiner Differenz-Schritt versichert Hegel zwar, daß es unrichtig sei, den Primat der praktischen Vernunft bei FICHTE einfach als Zeichen seiner Hinwendung zum Subjektivismus zu interpretieren; gegen diese Interpretation, die von REINHOLD vertreten wurde, betont er, daß FICHTE das Objektive nicht leugnet, sondern „das Subjektive und Objektive auf gleichen Rang der Realität und Gewißheit setzt" (GW4.41 f) — oder, in anderen Worten, daß FICHTE das echte Prinzip der Spekulation erkannt hat: das Ich=Ich, d. h. das reine Denken seiner selbst, die Identität des Subjekts und des Objekts. Für Hegel ist aber FICHTE diesem Prinzip letzten Endes untreu geworden; und dies, eben weil er REINHOLD noch gefolgt ist: FICHTE, schreibt Hegel, hat REINHOLDS „Wahn" übernommen, ein System in einem einzigen Grundsatz auszudrücken.24 Daß er diesen Satz als Handlung und nicht als Tatsache beGW 4. 331 f. Es ist bemerkenswert, daß Hegel in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830) die Kantische Philosophie ausdrücklich auf Reinholds „Theorie des Bewußtseins, unter dem Namen Vorstellungsvermögen", zurückführt (§ 415, Zusatz. In; Werke. Theorie Werkausgabe. Bd 10. 202). 24 GW 4. 24. Das Studium der radikalen Kritik, die Hegel in der Differenz-Schritt an Reinhold übt, genügt schon, um zu zeigen, wie falsch es wäre, mit H. Girndt zu postulieren (Die
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zeichnet, ändert nichts an der Sache; er glaubt, daß er aus dem ersten Grundsatz — wie „aus einem immanenten Princip, als eine thätige Emanation, oder Selbstproduktion des Princips“ — zwei andere Sätze deduzieren, und daß er damit das empirische Bewußtsein aus dem transzendentalen konstruieren können wird (GW4.35). Das ist aber unmöglich und widersprüchlich: wie vermag man, fragt Hegel, „aus der Einheit die Mannichfaltigkeit, aus reiner Identität die Zweyheit abzuleiten" (GW4.36)? Um die Mannigfaltigkeit der realen, objektiven Welt zu erklären, muß EICHTE doch einen „Anstoß" postulieren, der die Intelligenz bedingen würde; ein Postulat, das zeigt, daß er zur REiNHOLDschen „Tatsache des Bewußtseins" und, mit ihr, sowohl zur „reflexiven" Entgegensetzung Subjekt/Objekt als auch zur These einer äußeren, kausalen Bedingung der Intelligenz durch die Natur zurückgekehrt ist (vgl. GW 4.42 f). Das Problem der Rolle, die man dem „Ding an sich" im Erkenntnisprozeß geben sollte, hat FICHTE also nicht gelöst. Er schwankt vielmehr, wie REINHOLD, und wie KANT selbst, zwischen einem „dogmatischen Idealismus" und einem „dogmatischen Realismus". Sein Idealismus, betont Hegel noch in Glauben und Wissen, ist ein Formalismus, für welchen „die reine leere Thätigkeit, das reinfreye Handeln, das Erste und einzig Gewisse" ist (GW4.390), und der deswegen die empirische Realität der objektiven Welt nicht erklären kann. Diese Realität der Welt, nicht nur ihre Idealität, hätte FICHTE aber erklären müssen, um über den Erkenntnisprozeß — und in ihm insbesondere die Empfindung — Rechenschaft zu geben (GW4.388 f). HöLDERLIN hatte schon 1795 behauptet, daß FICHTES „absolutes Ich" als höchstes Prinzip der Philosophie ungeeignet sei: ein solches Prinzip würde es nicht erlauben, die Natur des Bewußtseins selbst zu verstehen. Das FiCHTEsche „Ich bin Ich" hatte auch HöLDERLIN als Beispiel eines Begriffs der „Ur-Theilung" interpretiert, in dem er eine ursprüngliche Teilung, oder Trennung, von einem „Seyn" in Subjekt und Objekt erkannte. ^5 Die Konzeption des Urteils, die Hegel in Glauben und Wissen KANT beimißt, ist offensichtlich dieser Interpretation HöLDERLINS verpflichtet: KANTS synthetische Urteile a priori, schreibt Hegel, „sind möglich durch
Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems in der Differenzschrift. Bonn 1965), daß er sowohl in seiner Kritik Fichtes als auch in der Ausarbeitung seines eigenen philosophischen Systems von Reinhold abhängig war. Vgl. hier H. Braun: Differenzen. Bemerkungen zu einem Buch von Helmut Girndt. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 288 —299. ^5 Vgl. den Brief an Hegel vom 26. 1. 1795. In: Briefe von und an Hegel. Bd 1. Hamburg 1961. 19 f. Vgl. auch f. Hölderlin: Urtheil und Seyn. In: Sämtliche Werke. Hrsg, von F. Beißner. Bd 4. Stuttgart 1961. 216 f. Vgl. auch die oben zitierte Literatur (Anm. 16 u. 17).
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die ursprüngliche absolute Identität von ungleichartigem, aus welcher als dem Unbedingten sie selbst als in die Form eines Urtheils getrennt erscheinendes Subject und Prädicat, Besonderes und Allgemeines erst sich sondert. Das Vernünftige oder, wie KANT sich ausdrückt, das Apriorische dieses Urtheils, die absolute Identität, als Mittelbegriff, sfellf sich aber im Urfheil nichf, sondern im Schluß dar; im Urfheil isf sie nur die Copula: ist, ein Bewußtloses; und das Urtheil selbst ist nur die überwiegende Erscheinung der Differenz." (GW4.328 f) Was Hegel hier in KANTS Behandlung der synthetischen Urteile a priori wiederzufinden glaubt, ist also das Problem der „Ur-theilung" des Seins, das schon HöLDERLIN formuliert hatte; ein Problem, das man nach seiner Auffassung nicht lösen kann, solange man sich auf das Urfeil begrenzt, d. h. auf eine Form, die im Bewußfsein erscheinf. Es wird kaum nötig sein zu erwähnen, daß Hegel hier das Problem des Idealismus und Realismus ganz anders darsfellt, als es sich für KANT gestellf hatte: was für ihn mif diesem Problem in Frage sfehf, isf nichts anderes als das pantheistische Problem des Verhältnisses vom Eins zum Mannigfaltigen, vom Unendlichen zum Endlichen. 26 Für die Behandlung dieses Problems beruft sich Hegel aber nicht auf HöLDERLIN. Er bevorzugt es stattdessen, PLATOS Timaios zu zitieren; und dies in dem Teil der Differenz-Schriii, der SCHELLINGS philosophische Konzeption dar stellt (GW 4.65 Anm.). Diese Konzeption will er sich aneignen. Schon jenes PLATö-Zitat — das nicht von SCHELLING kommt, das ScHELLiNG in späteren Schriften eher von Hegel aufnahm — beweist aber, daß Hegel nicht nur unter SCHELLINGS Einfluß stehf. Die enge Zusammenarbeif der zwei Freunde in jenen Jahren machf es zwar besonders schwer zu klären, welche Ideen jeder Aufor im Kritischen Journal der Philosophie zur Veröffenflichung brachte.27 Es kann aber keinen Zweifel darüber geben, daß Hegel SCHELLINGS philosophisches Programm einer „Geschichte des Selbstbewußtseins" teilte — oder teilen wollte. Für beide Philosophen sollte eine solche Lehre das Ergebnis sowohl der Transzendental- als auch der Naturphilosophie sein. Sie sollte zeigen, daß die reflexive Methode der Transzendentalphilosophie auf demselben Prinzip beruht, das auch die Methode der Naturphilosophie begründet: das Prinzip der Identität zwischen Subjekt und Objekt. Erst die korrekte über Hegels Umdeutung von Kants Konzeption der synthetischen a priori Urteile, vgl. I. Görland: Die Kantkritik des jungen Hegels. Frankfurt 1966; und vor allem K. Düsmg: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn 1976, 2. Aufl. 1984. 109—120, 27 Vgl. K. Düsing: Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena, ln: Hegel-Studien. 5 (1969), 95—128, insb. 107 (über das Timaios-Zitat).
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Identifizierung dieses Prinzips würde es erlauben, das Problem Idealismus/Realismus zu lösen und die Natur der Empfindung, sowie des Erkenntnisprozesses, zu bestimmen. Schon in der Einleitung zur ersten Fassung seiner Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) hatte aber SCHELLING die Schwierigkeiten eines solchen Programms klar dargestellt: zwar kann die Naturlehre über die mechanischen Bewegungen der Körper außer uns, die den sogenannten „Naturlauf" ausmachen, Rechenschaft geben. Sie scheint aber nicht imstande zu sein zu klären, wie dieser Naturlauf „ßir uns wirklich geworden [ist], wie jenes System und jener Zusammenhang der Erscheinungen den Weg zu unserem Geiste gefunden, und wie sie in unserer Vorstellung die Nothwendigkeit erlangt haben, mit welcher sie zu denken wir schlechthin genöthigt sind".^^ Auf der anderen Seite ist es uns wohl möglich, „durch unmittelbare Erfahrung" zu verstehen, wie eine Vorstellung von unserem eigenen Sein und Leben in uns komme: durch eine Reflexion über unsere eigene Tätigkeit — eine Tätigkeit, die wir einer von unserem Körper völlig unterschiedenen „Seele" beimessen. Eine solche Reflexion kann aber den Schluß nicht rechtfertigen, daß etwas außer uns, d. h. außer unserer Seele, sei oder lebe. Zu diesem Zweck müßte man das Verhältnis zwischen Seele und Körper, Geist und Materie verstehen: erklären, wie Geist auf Materie, Materie auf Geist wirken kann. SCHELLING ist sich des problematischen Charakters einer solchen Erklärung völlig bewußt. Er betont, daß die Naturwissenschaft, die sich in dieser Erklärung des Begriffes „Kraft" oder „Lebenskraft" bedient, genauso unbefriedigend ist wie die transzendentale Philosophie, die zum Begriff „Geist" greift: die Naturwissenschaften, die den Streit entgegengesetzter Kräfte in der Natur erklären wollen, müssen notwendig „ein Drittes" voraussetzen, das den Naturlauf im allgemeinen erhalten würde. Dieses Dritte muß aber höher als eine Kraft sein. Da der Begriff Kraft „das Letzte" ist, „worauf . . . alle unsere physikalischen Erklärungen zurückkommen müssen", muß aber jenes Dritte auch außerhalb der Grenzen der empirischen Naturforschung liegen. Nun „wissen wir aber nichts Höheres, für das Kräfte überhaupt da seyn könnten, als den Geist; denn nur der Geist vermag Kräfte und Gleichgewicht oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Allein wollten wir nun die Lebenskraft als geistiges Prinzip begreifen, so heben wir damit jenen Begriff völlig auf. Denn Kraft heißt, was wir wenigstens als Princip an die Spitze der Naturwissenschaft stellen können 28 F. W. ]. Schelling: Sämmtlichc Werke. Abt. 1, Bd 2, 29 f; zum folgenden vgl. ebd. 51 f, 49 f.
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und was, obgleich nicht selbst darstellbar, doch seiner Wirkungsart nach durch physikalische Gesetze bestimmbar ist. Allein wie ein Geist physisch wirken könne, davon haben wir auch nicht den geringsten Begriff; also kann ein geistiges Princip nicht Lebenskraft heißen, ein Ausdruck, wodurch man immer noch wenigstens die Hoffnung andeufet, jenes Princip nach physikalischen Gesetzen wirken zu lassen." Den problematischen Charakter der Begriffe Krafl und Lebenskraft hebt auch Hegel hervor, als er in Glauben und Wissen HERDERS Erwiderung auf JACOBIS Briefe über die Lehre des Spinozas kritisiert. Er zitiert einen Passus aus HERDERS Gott, in dem HERDER in seiner Auffassung den „Mittelpunkt" des SPiNOzistischen Systems darstellen würde: „Ich wüßte nicht", hatte HERDER geschrieben, „unter welches Hauptwort die wirklichen und wirksamen Tätigkeiten, der Gedanke der Geisterwelt und die Bewegung der Körperwelt, beide sich so ungezwungen fassen ließen als unter den Begriff von Kraft, Macht, Organ. Mit dem Wort: organische Kräfte bezeichnet man das Innen und Außen, das Geistige und Körperhafte zugleich. Es ist indessen auch nur Ausdruck; denn wir verstehen nicht, was Kraft ist, wollen auch das Wort Körper damit nicht erklärt haben. In diesem Passus, den HERDER der zweiten Auflage seines Gott hinzugefügf hatte, findet Hegel den Beweis, daß HERDERS Philosophieren sich am Ende vom jACOBischen nicht unterscheidet. HERDER selbst — dies sollte man im Gedächtnis bewahren — wollte zeigen, daß JACOBI Unrecht hatte, als er die Unvereinbarkeit des Erkennens und des Glaubens behauptete. Er hatte in SPINOZA einen „Begeisterten fürs Daseyn Gottes"^ sehen wollen, der verstanden hätte, daß „alles voneinander und zuletzt alles von Gott abhängt, der auf diese Weise die höchste, einzige Substanz ist." Daraus könnte man nach HERDER folgern, daß eine Demonsfration Gottes möglich sei — eine Demonstration, die in jedem Urteil, jedem Satz unserer Sprache enthalten sei: „Zwischen jedem Subjekt und Prädikat stehet ein Ist oder Ist nicht [und] dies Ist, diese Formel der Gleichung und Uebereinstimmung verschiedner Begriffe, das bloße Zeichen = ist meine Demonstration von Gott." Es ist zweifellos, daß Hegel mit der Intention HERDERS grundsätzlich einverstanden war. Eben wegen dieser Übereinstimmung ist aber die Kritik, die er gegen HERDER richtet, besonders scharf: für ihn hat HERDER es versäumt, die Möglichkeit eines Wissens von Gott, vom Unendlichen, zu beweisen. Gesteht nicht HERDER selbst, ^ ]. G. Herder: Gott. In; Sämmtliche Werke. Hrsg, von B. Suphan. Bd 16. 452. Zitiert von Hegel in GW 4. 362 f. 30 Gott. Zweite Auflage. In; Sämmtliche Werke. Bd 16. 439; zum folgenden vgl. ebd. 440, 516 f.
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daß der Begriff einer Urkraft, durch welchen er SPINOZAS Hauptbegriff ausdrücken will, uns unverständlich und eigentlich kein Begriff ist? Nach Hegel ist dieser Begriff nichts mehr als ein „Reflexionsbegriff" (GW4.362), der also die Endlichkeiten der Reflexions- oder Bewußtseinsphilosophie nicht überschreiten kann. Es ist aber fraglich, ob Hegel in jenen Jahren selbst den Begriff erarbeitet hat, der ihm zufolge ein Erkennen des Unendlichen und damit die Lösung des Erkenntnisproblems ermöglichen würde. Eindeutig ist, daß er in SPINOZA, dessen Schriften er schon sehr früh und ohne HERDERS Vermittlung las^i, keine solche Lösung findet: nach der Differenz-Schriit ist SPINOZAS Begriff der Substanz kein Begriff im eigentlichen Sinn des Wortes, eher eine „Antinomie", in welcher „die Entgegengesetzten in einen Widerspruch vereinigt sind" (GW4.24). Kann aber die Antinomie zu mehr führen, als zur „wahren, durch Reflexion möglichen Offenbahrung des Unbegreiflichen in Begriffen" (GW 4.86)? Höchstens könnte sie zu einem Skeptizismus führen, dessen echte Gestalt Hegel im PLAXONischen Parmenides wiederzufinden glaubt (GW4.208f). Eher als SPINOZA scheint PLATO der Autor zu sein, zu welchem Hegel sich wendet, um eine Lösung des Erkenntnisproblems zu finden: PLATOS dunkler Satz, im Timaios, über „das wahrhaft schöne Band", das „sich selbst und die verbundnen Eins macht", scheint ihm den Weg zu zeigen, auf welchen sich ScHELLiNG selbst begeben sollte, um seine Suche nach einem Begriff, der den Streit entgegengesetzter Kräfte in der Natur erklären würde, zu befriedigen. Hegels Hinweis auf PLATO in der Differenz-Schhft genügt aber nicht, um zu behaupten, daß er in den Jahren 1801/02 einen solchen Begriff und, mit ihm, eine Lösung des Erkenntnisproblems und des Dilemmas Idealismus/Realismus schon gefunden hat. Eine solche Lösung stellt er erst 1803/04 ausdrücklich dar, in seinen Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Diese Lösung soll im Folgenden geprüft werden.
II. Zu diesem Zweck ist es nötig, noch einmal zu HERDERS Schriften zurückzukehren: die Bedeutung, die Hegel in seiner Beschreibung des Erkenntnisprozesses von 1803/04 der Sprache beimißt, ruft in erster Linie den 31 Vgl. H. C. Lucas: Hegel et l'edition de Spinoza par Paulus. In: Cahiers Spinoza. 4 (1983), 127-138.
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Namen HERDERS ins Gedächtnis; und es gibt keinen Zweifel darüber, daß Hegel die berühmten Überlegungen dieses Autors über die Beziehungen zwischen Sprache und Vernunft rezipiert hatte, auch wenn er diesen Autor damals nicht zitiert. Um seine eigene Behandlung des Problems der Sprache zu bewerten, ist es also erforderlich, zuerst HERDERS Formulierung dieses Problems zu erwähnen. Schon in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) hatte sich HERDER nicht damit begnügt, den engen Zusammenhang zwischen Sprache und Vernunft zu betonen. Er hatte auch den „Zirkel" klar herausgestellt, in welchen wir uns bis heute verwickeln, wenn wir den „Ursprung" der Sprache klären wollen: obwohl es unleugbar ist, daß die Sprache dem Menschen nicht angeboren ist, eher vom Menschen erworben oder erlernt wird, scheint es doch, daß man sie immer voraussetzen muß, um zu erklären, wie sie entstehen kann. Die Art, in der Kinder die Sprache erwerben, ist in dieser Hinsicht besonders lehrreich: auch wenn Eltern ihren Kindern den Gegenstand oder den Sachverhalt, dem ein bestimmtes Wort in ihrer Sprache entspricht, ausdrücklich mit dem Finger zeigen, scheinen die Kinder die Fähigkeit immer schon zu haben, dieses Wort schöpferisch zu benufzen, jedes Mal in einem anderen grammatischen Kontext. Sollte man nicht aus dieser merkwürdigen Feststellung folgern, daß Kinder die Sprachfähigkeif immer schon besifzen, wenn auch nur in potentia? Es ist auf jeden Fall bemerkenswert, daß HERDER in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache genau zu jener Feststellung greift, um die These eines göttlichen Ursprungs der Sprache zu widerlegen.32 Er behauptet, daß es ebenso falsch wäre, die Sprachfähigkeit der Menschen auf Goft zu beziehen, als sie auf nafürliche, schlichf animalische Tendenzen reduzieren zu wollen. Nach ihm sollte man die Sprache auf eine spezifisch menschliche Fähigkeit — die „Besonnenheit" — beziehen. Die Bedeutung, die HERDER diesem Terminus gibt, ist aber sehr problematisch. Die Tatsache, daß er die Besonnenheit eher auf den Menschen als auf Gott bezog, hat manche seiner Interpreten dazu geführt, sein sprachphilosophisches Denken als eine Erweiterung und Anwendung der kritischen Methode KANTS auf die Sprache zu betrachten.33 Diese Interpretation, die HERDER selbst seinen Lesern nahelegen wollte, ist aber sicherlich verfehlt: in der Metakritik zur Kritik der reiVgl. /. G. Herder: Spruch-philosophische Schriften. Hrsg, von E. Heintel. Hamburg 1960. 28 f. Über Herders Behandlung des „Zirkels", in welchen jeder Versuch, den Ursprung der Sprache zu klären, uns verwickelt, vgl. auch Heintels Einleitung: „Herder und die Sprache", insbes. XXXI f. 33 Vgl. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Bd 1. Berlin 1923. 94 f.
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nen Vernunft (1799) — in demjenigen Buch also, in welchem HERDER sich zum Ziel setzt, sein Verhältnis zu KANT ZU klären — behauptet er, daß das „Seyn der Grund aller Erkenntniß ist": „Seyn“, schreibt er, „ist also auch der Grundbegriff der Vernunft und ihres Abdrucks, der menschlichen Sprache. . . . Das Seyn knüpft jedes Urtheil des Verstandes; keine Regel der Vernunft kann ohne ein Seyn gedacht werden. "^4 Ferner behauptet HERDER, daß „dies Seyn sich durch Kraft offenbart": durch eine „lebendige", „organische" oder „energische Kraft", die dafür verantwortlich ist, daß die Seele „erfaßet, verstehet in Vielem ein Eins". Es ist klar, daß diese metaphysische Auffassung einer Sprache, mittels derer sich das „Sein" offenbaren oder aussprechen würde, mit KANTS kritischer Fragestellung unvereinbar ist.^s Sie steht der Konzeption einer „Natursprache" näher, die JAKOB BöHME schon zwei Jahrhunderte früher entwickelt hatte, die aber in jener Zeit der Frühromantik immer populärer wurde: BöHME hatte behauptet, daß alles in der Welt sich „auszusprechen" sucht; und daß dasjenige, das sich im Verhalten, in den Handlungen des Menschen ausspricht — und zwar, in einer ausgezeichneten Weise, in seiner Sprache — nichts anderes ist als das „Sein" der Welt, zu welcher der Mensch gehört. Auch wenn es nicht klar ist, ob und inwiefern HERDER BöHME tatsächlich gelesen und studiert hat, fällt es auf, daß sich seine Konzeption der Sprache in BöHMES Metaphysik des „Aussprechens" nahtlos einordnen läßt.36 Wie für BöHME ist auch für HERDER das Bedürfnis, sich in Tönen und Lauten zu artikulieren, der Ursprung der Sprache. Als Hegel selbst, im System der Sittlichkeit (1802), die Sprache als eine „tönende Rede" beschreibt, mittels welcher „das Innere", d. h. hier die „absolute Subjektivität", unmittelbar heraustreten würde^^, steht er zweifellos unter dem direkten Einfluß HERDERS. Was sich durch die Sprache manifestieren soll, ist aber nach Hegel nichts anderes als die „Identität" des Begriffs und der Anschauung, der Seele und des Leibs, der Subjektivität und der Objektivität. Im System der Sittlichkeit ist das Problem der Sprache offenbar nur ein Einzelfall der Behandlung des allgemeineren, grundsätzlicheren Problems, das Hegel in jener Zeit mit SCHELLING stellt: das Problem der 34 ]. G. Herder: Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Erster Theil. 1799. In: Sämmtliche Werke. Bd 21. 62 f; das folgende ebd. sowie 66 f. 35 Vgl. hier A. Reckermann: Sprache und Metaphysik. Zur Kritik der sprachlichen Vernunft bei Herder und Humboldt. München 1979. 35 Vgl. hier z. B. A. Koyre: La philosophie de Jacob Böhme. 3. Aufl. Paris 1979, insbes. 275, Anm. 8. 37 Vgl. G. W. F. Hegel: Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Leipzig 1913. 430 ff.
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Konstitution einer philosophischen Wissenschaft, die die kausale, physikalische Methode der Naturwissenschaften mit der Reflexion der Transzendentalphilosophie vereinbaren, und dabei eine Erkenntnis des Absoluten ermöglichen würde. SCHELLING ist über diesen Zusammenhang, in welchem es gilt, das Problem der Sprache zu stellen, äußerst klar: in den Vorlesungen, die er in Jena während jener Jahre (1802/03) über die Philosophie der Kunst gibt, betont er — und dies in einer viel eindeutigeren Weise, als HERDER es je getan hatte — daß das Problem der Sprache kein empirisches oder psychologisches, sondern eher ein philosophisches Problem sei. Was der Philosoph klären sollte, schreibt er, ist nicht der historische Ursprung der Sprache, eher „der Ursprung der Sprache in der Idee . . . und in diesem Sinn entspringt die Sprache noch immer ebenso wie das Universum auf unbedingte Weise durch die ewige Wirkung des absoluten Erkenntnißakts, der aber in der vernünftigen Natur die Möglichkeit findet, sich selbst auszusprechen. "3® Die Sprache, behauptet er noch im selben Passus, ist „das entsprechendste Symbol der absoluten oder unendlichen Affirmation Gottes“, und „aus diesem Grunde hat nicht nur in den meisten Sprachen Sprache und Vernunft (welche eben das absolute Erkennen, das Erkennende der Ideen ist) ein und denselben Ausdruck, sondern auch in den meisten philosophischen und religiösen Systemen, vorzüglich des Orients, ist der ewige und absolute Akt der Selbstaffirmation in Gott — der Akt seines ewigen Schaffens — als das sprechende Wort Gottes, der Logos, der zugleich Gott selbst ist, bezeichnet worden." SCHELLING stellt also das Problem der Sprache im Zusammenhang einer Logos-Theologie dar. Wenn er die Sprache als Logos kennzeichnet, will er behaupten, daß sie das „Aussprechen" Gottes ist und zwar in einem doppelten Sinn des Wortes „Aussprechen": sie ist Wort, d. h. verbaler oder symbolischer Ausdruck. Sie ist aber auch schaffende Macht — die Macht selbst, durch welche die Welt geschaffen wird. Durch seine Auffassung dieser schaffenden Macht Gottes will SCHELLING das „All-Eins" Problem, das Grundproblem des Pantheismusstreites, aber auch das Problem der Sprache lösen: verstehen, wie das Eine sich besondert, das Unendliche endlich wird, wird uns auch erlauben, zu klären, wie ein Wort einen Sachverhalt bezeichnen kann, ohne mit ihm identisch zu sein — oder, anders gesagt, was Symbolismus ist.
38 F. W. /, Schelling: Sämmtliche Werke. Abt. 1, Bd 5. 485 f; zum folgenden vgl. 483.
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Hegels Jenaer Ausführungen über die Sprache gehören zu derselben Problematik^^: seine Charakterisierung der „tönenden Rede", im System
der Sittlichkeit, als Logos^^ kann man nicht verstehen, ohne die Bedeutung des Identitätsprinzips, das er zusammen mit SCHELLING annimmt, zu erhellen. Sein Argument von 1803/04 über die Sprache sollte man in denselben Zusammenhang stellen. Dieser Schluß ist wesentlich. Ein Punkt wird hier genügen, um seine Bedeutung klar zu machen: in seinem Argument von 1803/04 erwähnt Hegel den biblischen Text der Genesis über Adams Benennung der Tiere. Nichts ist einfacher, als in dieser Erwähnung ein Beispiel zu sehen, das Hegel mehr oder weniger zufällig gewählt hätte, um ein seiner Struktur und seinem Zweck nach ganz modernes Argument über die Bildung allgemeiner Begriffe aus unserer sinnlichen Wahrnehmung zu erläutern. Eine solche Lektüre würde aber den Sinn und die Tragweite dieses Arguments völlig verfehlen. Hinter Hegels Erwähnung steckt JAKOB BöHMES damals häufig diskutierte These einer „adamitischen" Sprache oder „Natursprache": ob Adam den Tieren einen Namen gibt, der einem von Gott selbst gewährten Wesen entspricht, oder ob er eher willkürliche Bezeichnungen erfindet, die seine freie Schöpfungsfähigkeit erweisen; ob eine Sprache also eine „Natursprache", welche der Natur entspricht, oder ein willkürliches Zeichensystem ist. Zwar ist es nicht klar, ob Hegel BöHMES eigene Schriften in Jena schon gelesen hatte. Eine indirekte Kenntnis der Ideen dieses Autors besaß er aber sicherlich.Als er den Satz der Genesis erwähnt, demzufolge Adam den Tieren einen Namen gibt, und dadurch seine Herrschaft über sie erweist, will er sicherlich behaupten, daß die Sprache vom Menschen frei erfunden und in dieser Hinsicht weit entfernt ist, der Natur einfach zu entsprechen: in den Fragmenten von 1803/04 behauptet er 3^ Schon in Frankfurt, in seinem Manuskript über den „Geist des Christentums und sein Schicksal", hatte Hegel den Anfang des Johannes-Ettangdiums benutzt, um die Bedeutung der „Reflexionssprache" zu klären, in welcher unsere Urteile formuliert sind (vgl. Werke: Theorie Werkausgabe. Bd 1. 373 ff). Wie das Zeugnis von Rosenkranz zeigt, führt er in seiner Jenaer Periode dieselbe Meditation fort: nach Rosenkranz liebte es Hegel in jener Zeit, „das Erschaffen des Universums als Aussprechen des absoluten Wortes und das Zurückgehen des Universums in sich als Vernehmen desselben darzustellen, so daß Natur und Geschichte zu dem als Anderssein selbst verschwindenden Medium zwischen dem Sprechen und Vernehmen wurden."(K. Rosenkranz: Hegels Lehen. Nachdr. Darmstadt 1977. 193.) Schriften zur Politik. 431. Rosenkranz bringt Exzerpte derselben Jahre, in welchen Hegel eine Auseinandersetzung mit Böhme führt {Hegels Leben, 545—548). Über Hegels Kenntnis von Böhme in Jena vgl. auch H. Kimmerle: Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena. In: Hegel-Tage Urbino 1965. Hrsg. v. H.-G. Gadamer. Bonn 1969. (Hegel-Studien. Beiheft 4.) 33-47, hier 42 f; und H. Schneider: Anfänge der Syslemenlwicklung Hegels in Jena. In: Hegel-Studien. 10 (1975), 133-171, hier 159-164.
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ausdrücklich, daß die Sprache dem Menschen — oder, genauer gesagt, dem Bewußtsein — eine ideale Herrschaft über die Natur gibt.'^^ selben Text betont er aber auch, daß Adam Namen gibt, und daß diese keine einfachen Zeichen sind. Die Bedeutung der Namen, schreibt er, ist nicht nur subjektiv, in der Meinung jedes Individuums, sondern auch „an sich, bleibend" (GW 6.288). Eine Sprache ist aus Namen gemacht, die ihr eine ideale, von der subjektiven Meinung jedes Individuums unabhängige Existenz gewähren. Die Alternative ,Natursprache oder Zeichensystem?' lehnt Hegel also ab, um die Sprache als erste, theoretische „Form der Existenz des Geistes" zu bestimmen (GW 6.280). Es wäre ungenügend und grundsätzlich falsch, diese Sätze so zu interpretieren, als wollte Hegel in ihnen einfach sagen, daß die Zeichen, aus denen eine Sprache gemacht ist, keine individuelle Erfindung, eher eine kollektive, soziale Schöpfung sind, und deswegen eine vom Individuum unabhängige Existenz haben. Zwar betont Hegel in den Fragmenten von 1803/04, daß „die Sprache nur als Sprache eines Volks ist" (GW 6.318). Er fügt aber sofort hinzu, daß Verstand und Vernunft denselben Status haben: schon dieser Zusatz zeigt, daß er etwas ganz anderes behaupten will, als den sozialen, kollektiven Charakter der sprachlichen Zeichen. Für ihn ist offenbar eine Sprache viel mehr als ein Instrument, das in einer gewissen Gesellschaft einen eindeutigen Gebrauch der verbalen Zeichen, der Wörter, und damit den sozialen Verkehr erlaubt: sie ist vom „Volk", vom Leben des Volkes in demselben Sinne geprägt, in welchem Verstand und Vernunft von ihm geprägt sind. Hegel schreibt, daß die Sprache „die ideale Existenz des Geistes" ist, „in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen [nach] und in seinem Seyn ist" (ebd.): für ihn ist also die Sprache eher das „Aussprechen" eines Inneren als ein konventionelles Zeichensystem. Welche ist aber die Natur der Macht, der Kraft oder der „Energie", die es dem Geist ermöglicht, sich auszusprechen? Mit HERDERS Antwort auf diese Frage ist Hegel, wie wir schon gesehen haben, nicht zufrieden. Eher wendet er sich direkt an ARISTOTELES: schon für diesen war die Sprache, als Logos, viel mehr als ein Instrument, das die Menschen entbehren könnten. Am Anfang der Politik hatte ARISTOTELES behauptet, daß der Logos den Menschen genauso wesentlich ist, als die Vernunft selbst; und dies, weil er dasjenige ist, das ihnen erlaubt, sich über den Endzweck Vgl. GW 6. 280. In den Vorlesungsmanuskripten über die Philosophie des Geistes von 1805/06 ist diese These noch viel klarer ausgedrückt (vgl. GW 8. 188 f). Sie ist aber schon in den Texten der Jahre 1803/04 formuliert.
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ihres Lebens, ihr telos, zu verständigen. Als Hegel in seinen Vorlesungsfragmenten von 1803/04 die Sprache auf das Leben eines Volkes bezieht, will er offenbar diese Auffassung aufgreifen: was sich in der Sprache eines Volkes „ausspreche", sei nichts anderes als dieses telos. In welchem Sinn kann aber die Konzeption, die Hegel sich in den Fragmenten von 1803/04 von der „Thätigkeit" des Volkes macht, das Problem der Sprache lösen? Es ist bemerkenswert, daß Hegel in seinen Vorlesungen von 1803/04 diese Tätigkeit auf das „Bewußtsein" bezieht: als er sich zum Zweck stellt, das Verhältnis des Individuums zur Sprache zu klären, behauptet er, daß die Vorstellung dieses Verhältnisses als eines instrumentalen auf einer fehlerhaften Konzeption des Bewußtseins beruht: derjenigen der Reflexionsphilosophie. Es wäre falsch, schreibt er, zu glauben, daß die Sprache einfach unter der Herrschaft des Individuums, zu seiner Verfügung steht: „das Individuum steht als Einzelnes Vielmehr unter ihrer Herrschaft, als sie unter der seinigen. Aber es ist hier überhaupt kein Verhältniß der Herrschaft des Individuums, oder gegen das Individuum, sondern das Individuum ist nur eine formale Seite des Gegensatzes, das Wesen aber ist die Einheit von beyden Seiten, und diese Einheit ist das Bewußtseyn" (GW6.278f). Im Gegensatz zu aller „Reflexionsphilosophie", welche die Sprache als ein Objekt bestimmt, das ein Subjekt — ein Individuum, oder genauer gesagt ein individuelles Bewußtsein — beliebig benutzen könnte, um seine Gedanken anderen mitzuteilen, behauptet also Hegel, daß das individuelle Bewußtsein immer schon in der Sprache ist, daß es in seinem „Wesen" selbst von der Sprache geprägt ist. 43 Diese Behauptung gründet er auf eine originelle Konzeption des Bewußtseins — des Bewußtseins als „Wesen". Um seine Lösung des Problems der Sprache zu verstehen, ist also die Bedeutung dieser Konzeption zu untersuchen — was im dritten und letzten Teil dieses Aufsatzes versucht wird.
Die Unterscheidung, die W. Benjamin in seinem Aufsatz Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen (In: Gesammelte Schriften. Bd2,l. Hrsg, von R. Tiedemann und H. Schnapphausen. Frankfurt 1977. 140—157) zwischen „Mitteilung durch die Sprache" und „Mitteilung in der Sprache" macht, drückt Hegels Gedanken vorzüglich aus.
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III. Im Zusammenhang einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Dilemma Idealismus/Realismus erklärt Hegel, in welchem Sinne seine Konzeption des Bewußtseins als „Wesen" das Problem der Sprache lösen kann: mit dieser Bestimmung gilt es, schreibt er, das Bewußtsein als „Einheit" und „Mitte" des „Subjektiven" und „Objektiven" zu verstehen. Das Bewußtsein ist aber eine solche Einheit, weil es „die Bewegung selbst" ist: „es ist in ihm selbst die Bewegung eines thätigen gegen ein passives; aber als die Bewegung selbst ist es das Eins in welchem der Gegensatz nur ideell an sich ein aufgehobener ist" (GW6.290 f). Hegel will also das Dilemma Idealismus/Realismus mittels einer Konzeption der Bewegung lösen: den Empfindungsprozeß erklärt er durch die Bewegung, welche die Tätigkeit des Bewußtseins bestimmt. Mit dieser Erklärung will er, wie schon am Anfang dieses Aufsatzes bemerkt wurde, von FICHTES Auffassung des Bewußtseins Abstand nehmen. Obwohl das Programm einer „Geschichte des Selbstbewußtseins", das SCHELLING schon in den Jahren 1796/97 entworfen hatte, Hegel zweifellos den Rahmen gibt, in welchem er seine eigene Konzeption des Bewußtseins entwickelt, ist es aber auch deutlich, daß er sich mit ihr von SCHELLING distanziert. Die zumindest äußere Ähnlichkeit des Satzes, den wir soeben zitiert haben, zu ARISTOTELES' Behauptung in De Anima (II, 5; 417 a 18), in der Empfindung solle man „Passivität" und „Aktivität" als „eines und desselben"^ betrachten, da die Bewegung „eine unvollkommene Tätigkeit"45 sei, ist aber auffallend; und macht die Prüfung seines derzeitigen Verhältnisses zu ARISTOTELES notwendig. Im Folgenden wird diese Prüfung als Leitfaden eines Versuches dienen, die Bedeutung von Hegels damaligem Begriff des Bewußtseins zu klären. Das Studium der Art, in welcher Hegel seine Konzeption der Bewegung entwickelte, würde weit über die Grenzen dieses Aufsatzes führen und kann hier nicht unternommen werden. Doch ist es wichtig zu bemerken, daß Hegel schon in seiner Dissertation von 1801 — und vielleicht noch früher — das physikalische Problem der Bewegung mit großer Aufmerksamkeit untersuchte.46 In dieser Untersuchung spielte die AuseinSo übersetzt Hegel diesen Satz in der Darstellung, die er von Aristoteles' Bestimmung der Empfindung in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie gibt {Werke. Theorie Werkausgabe. Bd 19. 205). '*5 Hegels Übersetzung: ebd. 182. Dissertatio philosophica De Orbitis Planetarum. Jena 1801. ln: Erste Druckschriften. Hrsg, von G. Lasson. Leipzig 1928. 347—401. Über Hegels Auseinandersetzung mit Newton, ins-
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andersetzung mit NEWTONS „mechanischer" Konzeption sicherlich eine entscheidende Rolle: gegen NEWTONS Konzeption der Bewegung, welche die Materie als bewegungslosen Stoff bestimmt, an den entgegengesetzte Triebkräfte herangebracht sein würden, behauptete Hegel schon in seiner Dissertation von 1801, daß die Materie selbst eine Einheit entgegengesetzter Kräfte — d. h., in einem gewissen Sinne, in Bewegung — sei.47 Welchen Einfluß ältere Quellen — insbesondere PLATOS Timaios — auf die Gestaltung dieser originellen Auffassung des Verhältnisses zwischen Bewegung und Materie hatten, ist problematischer. 48 Es wäre aber besonders wichtig zu klären, ob Hegel sich in dieser Hinsicht von GIORDANO BRUNO — oder, genauer gesagt, von denjenigen Auszügen aus BRUNOS Schrift Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, die JACOBI in einer „Beylage" zur zweiten Auflage seiner Briefe über die Lehre des Spinoza zitiert hatte4^ — beeinflussen ließ. Denn es ist diese Auffassung, auf die ScHELLiNG sich in seiner damals veröffentlichten Schrift Bruno (1802)5*^ ausdrücklich berief, um das Verhältnis Körper/Seele zu klären und damit das Problem Idealismus/Realismus zu lösen; und die Zusammenarbeit zwischen den zwei Ereunden war in jenen Jahren sehr eng: die Tatsache, daß ScHELLiNG in einer Anmerkung zu seinem Bruno Hegels Dissertation zustimmend erwähnt, ist hier besonders aufschlußreich. Mittels einer Gestalt seines Gesprächs, die er „Alexander" nennt, behauptete ScHELLiNG, daß BRUNO eine „Lehre von den Alten" wieder zur Geltung gebracht hat, derzufolge „die wahre Idee der Materie . . . die Einheit des göttlichen und natürlichen Princips selbst, schlechthin einfach also, unwandelbar, ewig" ist. Schon PLATO, schrieb er, habe sich geirrt, indem er „unter Materie das bloße Subjekt der natürlichen und veränderlichen Dinge" verstand. Spätere Autoren haben einen noch schlimmeren Fehler begangen, indem sie „Materie" und „Körper" einfach verwechselten. Damit haben sie eine Position eingenommen, die das Verständnis des Verhältnisses zwischen Seele und Körper unmöglich macht: die Idee der Materie, betont „Alexander", „liegt nicht da, wo sich Organisches und Unorganisches schon getrennt haben, sondern in besondere während jener Jahre, vgl. H. Kimmcrle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels „System der Philosophie" in den Jahren 1800—1804. 2. erw. Aufl. Bonn 1982. 137—146; H. S. Harris: Hegel's Development. Night Thoughts (Jena 1801/1806). Oxford 1983. 74—101, 238—298; N. Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society". Dordrecht, Boston, London 1988. 38—54. Vgl. z. B. H. S. Harris (wie Anm. 46), 85. Vgl. hier H. S. Harris, 92 f. Vgl. F. H. jacobi: Werke. Bd 4,2. 5—46. 50 F. W. J. Schelling: Sämmtliche Werke. Bd 3. 110—228; zum folgenden vgl. 226, 206 f.
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dem, worin sie beisammen und eines sind. Welcher Punct aber eben deßwegen nicht mit sinnlichen Augen, sondern nur mit Augen der Vernunft zu erblicken ist". Aus diesen Sätzen kann man folgern, daß die Stellung, die SCHELLING über das Problem des Verhältnisses Seele/Körper annimmt, von PLATOS eigener Position zu unterscheiden ist — auch wenn SCHELLING sich in seinem Bruno ausdrücklich auf eine PLATonische Inspiration beruft.In einer Anmerkung zu seiner Schrift betont übrigens SCHELLING, daß seine Position sich auch von BRUNOS Position unterscheidet; wo BRUNO „die Seele und die Form eines Dings für identisch erklärt, wodurch es ihm unmöglich wird, den höchsten Punkt der Indifferenz zwischen Materie und Form mit durchgängiger Klarheit zu gewinnen", sollte man eher die Position annehmen, die „Alexander" entwickelt, als er „die Seele selbst als den Einen Gegensatz in der Form behauptet, sonach der Form unterordnet". Denn die Seele — so schreibt SCHELLING im Haupttext des Bruno, — „da sie nur durch den relativen Gegensatz mit dem Leibe, also überhaupt nicht an sich ist, erscheint nur durch diesen Gegensatz". Sie ist zwar „von der Natur des an und für sich Unendlichen", und als solche „ein Theil der unendlichen Möglichkeit, die in Gott ohne Zeit wirklich ist". Sie ist aber mit dem Leibe, d. h., mit einem endlichen, einzelnen existirenden Ding unmittelbar verknüpft: sie ist „der Begriff" dieses Dinges und, als solche, endlich und der Dauer unterworfen. Durch diese „gedoppelte Ansicht der Seele", will SCHELLING „den Ursprung des Bewußtseyns aus der Idee des Ewigen selbst und seiner innern Einheit abgeleitet haben, ohne einigen Uebergang vom Unendlichen zum Endlichen zuzugeben oder anzunehmen". Die Frage, ob diese Auffassung — die deutlich gegen FICHTES Konzeption des Bewußtseins gerichtet ist — letzten Endes SPINOZAS Auffassung des menschlichen Geistes im zweiten Teil der Ethik näher steht als PLATOS Konzeption der Seele, braucht uns in diesem Aufsatz nicht weiter zu beschäftigen. Zu unserem Zweck genügt es zu bemerken, daß sie sich von Hegels eigener Auffassung in seinen Vorlesungen von 1803/04 grundsätzlich unterscheidet — auch wenn Hegel SCHELLINGS Opposition zu FICHTES Konzeption völlig teilt: REINHOLDS, KANTS, aber auch FICHTES „psychologischer Idealismus" ist das Ziel von Hegels Kritik, wenn er schreibt, daß das Bewußtsein „nicht als das bloß innere der Individuen oder wie die Momente des Gegensatzes in den Individuen als solchen erscheinen, als verschiedene Vermögen Neigungen und Leidenschaften 5' Vgl. das Motto des Bruno und auch z. B. Schelling: Sämmtliche Werke. Bd 3. 121, 129; zum folgenden ebd. 226 f, 177—181, 178.
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u. s. w. die sich auf besondre Gegenstände als auf bestimmte Begriffe beziehen", erkannt sein muß, sondern als „Wesen beyder" Seiten: der Seite der individuellen Leidenschaften und Neigungen, und der Seite, dem die Individuen sich entgegensetzen (GW 6.271 f). Nach Hegel ist aber „das Wesen des Bewußtseyns, daß unmittelbar in einer ätherischen Identität absolute Einheit des Gegensatzes sey" (GW 6.273): eine Formulierung, die seine mit SCHELLING gemeinsame Annahme des Identitätsprinzips klar ausdrückt. Schon in seiner Bestimmung der „absoluten Materie" als „Äther"52 könnte man eine Distanzierung von SCHELLINGS Konzeption der Materie finden.53 Hegels Originalität kommt aber in der Art, in welcher er seine Konzeption der Bewegung benutzt, klar hervor: es ist bemerkenswert, daß er sich auf nichts anderes als auf diese Konzeption der Bewegung beruft, um den Prozeß der Empfindung zu klären. Nach ihm ist die Empfindung „die Bewegung überhaupt", die im Tier „sich selbst ideell" wird: „Im organischen überhaupt", schreibt er, „in der Pflanze existirt das ineinander gefallenseyn der beyden Bewegungen der [die] sich auf sich selbst und die sich auf andres bezieht; und in ihrer Indifferentiirung, indem sie eins [werden], die Bewegung überhaupt; im Thiere fängt diese Bewegung an, sich selbst ideell zu werden und in die Momente ihres Begriffes sich zu zerlegen; sie existirt im Thiere als Zeit" (GW 6.242). Das Tier, fügt Hegel am Rande dieses aufschlußreichen Passus hinzu, „wird nicht Herr der Zeit". Erst der Mensch erwirbt diese Herrschaft: in ihm wird die Zeit Raum. Die Struktur der Bewegung ist aber bei beiden dieselbe — genau dieselbe eigentlich wie diejenige, die im „absoluten Bewußtseyn" stattfindet: eine „ewige Bewegung des zu sich selbst werden eines, in einem andern, und des sich anders werden in sich selbst" (GW6.314). Kein Wunder also, daß die Empfindung das Mittel oder die „Mitte" par excellence ist, die das animalische Leben zum Bewußtsein erhebt: sie fängt im Animalischen an, in welchem sie den 52 GW 6. 220, 183. Vgl. auch zwei Stellen (277 und 315), wo Hegel „das absolute Element des Äthers" als Element des „Bewußtseyns", d. h. für ihn des „Geistes", bestimmt. 55 Vgl. hier H. S. Harris (wie Anm. 46), 240 f und 240 Anmerkung 1. Vgl. auch Harris' in gewissem Maße überspannte Vermutung, Hegels Behauptung von 1803, „der reine durchsichtige Äther ... in sich das Erkennen, das sich unendlich in sich gestaltet" sei (206; Harris zitiert aus GW 5. 369), wäre eine Assimilierung des Äthers zum Aristotelischen Geist, der nach De Anima III, 5 der Materie ähnlich ist, indem er zu allem wird. Über Hegels damalige Konzeption der Materie, s. auch /. L. Vieiüard-Baron: La notion de mutiere et le materialisme vrai selon Hegel et Schelling ä l'epoque d’lena. In: Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. Hrsg, von D. Henrich und K. Düsing Bonn 1980. (HegelStudien. Beiheft 20.) 197—206.
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Prozeß der Ernährung — den Hegel merkwürdigerweise auch als „Prozeß der Individualität" bezeichnet. Sie bestimmt aber auch den Prozeß der Gattung (GVV6.241 ff) und bildet sich dann als System der Sinne (GW6.243 f) — als dasjenige System also, welches das organische Leben im allgemeinen, aber auch, letzten Endes, das theoretische Leben der Menschen und das Erkennen ermöglichen wird. Hegels Beschreibung des Weges, auf welchem das Bewußtsein sich aus der Empfindung und, mit ihr, aus der tierischen Organisation erhebt, hat zu jenem Zeitpunkt keine Parallele, weder bei FICHTE noch bei ScHELLiNG. Eher nähert sie sich der Beschreibung, die ARISTOTELES in seiner Schrift De Anima (11, 1—3) vom organischen Leben gibt, um seine eigene Definition der Seele zu begründen^^; schon für ARISTOTELES war das Tier ein lebendes Wesen dank seinem Empfindungs- oder Wahrnehmungsvermögen^S; einem Vermögen, das ARISTOTELES — wie oben erwähnt — durch seine Konzeption der Bewegung erklären wollte. Aus diesem Vergleich kann man selbstverständlich nicht folgern, daß Hegels Konzeption der Bewegung und demzufolge der Empfindung der ARISTOTELischen Auffassung treu geblieben ist: auch wenn Hegel mit dem Gedanken einer Materie, die nicht nur mit der Form unauflöslich verbunden wäre, sondern auch immer in Bewegung und, vielleicht, die Bewegung selbst wäre, ARISTOTELES sehr nahesteht^^, gilt es anzuerkennen, daß seine Konzeption der Bewegung sich von der ARiSTOTELischen grundsätzlich unterscheidet. Dieser Unterschied ist durch eine genauere Prüfung des oben zitierten Passus aus De Anima (417 a 18) klar herauszustellen: bei ARISTOTELES handelt es sich in diesem Passus darum, eine gewisse Analogie zwischen der kinesis oder „Bewegung", die in der Empfindung stattfindet, und der göttlichen energeia oder „Wirklichkeit", hervorzuheben. Diese Analogie ist aber nichts weiter als eine Metapher, und sollte uns nicht hindern anzuerkennen, daß die göttliche energeia eigentlich keine Bewegung enthält, sondern jenseits aller Bewegung ist.^^ Schreibt Hegel aber in den Fragmenten von 1803/04, das Bewußtsein als Bewegung sei „das Eins in welchem der Gegensatz nur ideell an sich ein aufgehobener ist", so will er nichts anderes als das Identitätsprinzip be54 In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie {Werke. Bd 19. 202 ff) wird Hegel bekanntlich diese Seiten aus De Anima lobend erwähnen. 55 De Anima II, 2: 413b 2—3. 55 Über das Verhältnis Materie/Bewegung bei Aristoteles und Hegel vgl. hier vor allem G. Picht: Aristoteles' „De Anima". Stuttgart 1987. 296—300. 57 Vgl. hier insbesondere P. Aubenque: Hegel et Aristote. In: Hegel et la pensee grecque. Hrsg, von J. D'Hondt. Paris 1974. 103-108; 114 f.
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haupten: gegen die Reflexionsphilosophie, welche den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, Denken und Sein festhält, behauptet Hegel, daß die Empfindung eher die „Identität" beider bekundet. Wie schon oben erwähnt, ist für ihn die Struktur der Bewegung, die in der Empfindung stattfindet, mit derjenigen der „Thätigkeit" oder „Wirklichkeit" des Geistes identisch. Es ist auffallend, wie nahe Hegels Explikation der Empfindung in den Fragmenten von 1803/04 der Darstellung kommt, die er viel später, in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, der ARiSTOTELischen Konzeption geben wird: in diesen Vorlesungen wird Hegel den ARISTOTELischen, „ganz richtigen Standpunkt der Empfindung" dem „schlechten Idealismus, der meint, die Passivität und Spontaneität des Geistes liege darin, ob die gegebene Bestimmtheit innere oder äußere sei", gegenübersetzen.Schon in den Jahren 1803/04 hatte er den „Standpunkt des Gegensatzes wo sich der sog. Realismus und der sog. Idealismus bilden und sich darüber [entzweyen] entweder ob nemlich dieß, daß etwas Farbe ist, im Object oder im Subject in der Seite der Thätigkeit oder der Seite der Passivität des Bewußtseyns gegründet. . . seyen", einem Standpunkte entgegengesetzt, für welchen das Bewußtsein „Wesen" wäre, d. h. „Geist" (GW 6.291 ff). Aus dieser letzten Bezeichnung allein kann man selbstverständlich nicht folgern, daß Hegel schon in Jena ARISTOTELES' Auffassung hervorheben wollte. Die ARiSTOTEtische Definition der Seele als „Substanz, aber Substanz nur nach dem Begriff"^^, kommt aber Hegels damaliger Behauptung erstaunlich nah, das Bewußtsein sei „der Begriff des Geistes" (GW 6.266) — eine Nähe, die den Leser dazu führen sollte, sich zu fragen, ob Hegel nicht schon in jenen Jahren „den Sinn jener ARiSTOTELischen Bücher" über die Seele aufschließen wollte, um „den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen"60: wie in den zwei ersten Teilen dieses Aufsatzes gezeigt wurde, hatte sich Hegel schon während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Jena diese Aufgabe gestellt. Er hatte die Worte „Kraft" oder „Urkraft", durch welche Zeitgenossen wie HERDER die „Energie" des Geistes ausdrücken wollten, zur Lösung des Grundproblems der Geistesphilosophie für ungenügend erklärt. Diese Lösung glaubt er jetzt in ARISTOTELES' „Begriff" oder Logos zu finden; und
58 Werte. Theorie Werkausgabe. Bd 19. 206. Hegels Übersetzung in den Vorlesungen: siehe Werke. Bd 19. 201. Vgl. De Anima II, 1: 412b 10. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. § 378.
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es wäre ganz verständlich, daß er dann einen unmittelbaren Zugang zu ARISTOTELES' Schriften suchen würde. Ein Vergleich zwischen der ARiSTOTELischen Meditation über die Fähigkeit des Logos, das „Sein" auszusprechen^i, und Hegels eigener Reflexion über die Grenzen der menschlichen Sprache kann in diesem Aufsatz nicht unternommen werden. Es ist aber wichtig anzumerken, daß Hegel zweifellos an ARISTOTELES denkt, wenn er in seinen Manuskripten von 1803/04 behauptet, daß die Sprache nur in einem Volke, als „Werk eines Volks", zur „bedeutenden Sprache" wird, d. h. „zu dem was sie an sich, ihrem Begriff nach ist" (GW 6.318 f). Die Vermutung liegt nahe, daß er sich in seiner Erörterung der menschlichen Sprachfähigkeit des Unterschieds bedienen will, den ARISTOTELES in seinem Werk De Anima zwischen einem „potentialen" Wissen (als Dynamis) und dem „wirklichen" Wissen (als Energeia) entwickelt. In diesem Kontext ist es besonders bemerkenswert, daß Hegel in den Jahren 1803/04 auch schreibt, der Begriff des Bewußtseins müsse „sich realisiren" (GW6.270). Nach ihm muß das Bewußtsein „absolutes Bewußtseyn" oder „absoluter Geist eines Volkes" werden, d. h. „das absolut allgemeine Element, der Äther . . . die absolute einfache lebendige, einzige Substanz", die „ebenso die thätige Substanz seyn muß" (GW 6.315): in diesem Passus kann man schon den Ansatzpunkt seiner späteren, „spekulativen" Interpretation von De Anima III, 4—5 sehen, derzufolge der „passive" Nus mit der „Natur", d. h. mit dem „An-sich" des Geistes, der „aktive" Nus aber mit der „Wirklichkeit" Gottes, der sich selbst denkt, identifiziert wird.^^ Da sich in der neueren Hegel-Forschung zu dieser Interpretation schon gediegene und systematische Analysen finden^^, wird es hier nicht nötig sein, im einzelnen zu zeigen, auf welchen Umdeutungen der ARiSTOTELischen Begriffe — u. a. „Materie" und „Form", „Möglichkeit" und „Wirklichkeit", „Bewegung" und „Tätigkeit" — diese Interpretation beruht. Zum Schluß soll jedoch betont sein, daß es sicherlich ungenügend wäre, in dieser Interpretation ein Beispiel der modernen „Subjektivitätsphilosophie" zu sehen. Vielmehr kann unsere Hypothese, derzufolge Hegels Rezeption von De Anima das Ergebnis seiner Jenaer Diskussion mit der „Reflexionsphilosophie" war, ihren eigentlichen Sinn eröffnen: einer der Siehe hier insbesondere P. Aubenque: Le probleme de l'etre chez Aristote. 94 —250. Vgl. z. B. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. In; Werke. Theorie Werkausgabe. Bd 19. 212-219. Vgl. hier insbesondere K. Düsing: Hegel und die Geschichte der Philosophie; und H. Seidl: Bemerkungen zu G. W. F. Hegels Interpretation von Aristoteles' „De Anima" UI 4,5 und „Metaphysica" XII 7 u. 9 (s. Anm. 13).
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MYRIAM BIENENSTOCK
Hauptzwecke Hegels in jener Diskussion war, den „Subjektivismus" und „Psychologismus" der Reflexionsphilosophie zu denunzieren. Seiner Meinung nach war dieser Subjektivismus eine unvermeidbare Folge der Konzeption des Bewußtseins, die alle Vertreter der Reflexionsphilosophie teilten. Die heute geläufige Behauptung, man könne aus seiner ARisTOTELES-lnterpretation schließen, daß seine eigene Philosophie letzten Endes nichts anderes als eine Philosophie der „absoluten Subjektivität"^, somit eine „Bewußtseinsphilosophie" sei, müßte man also noch einmal prüfen: es könnte wohl der Fall sein, daß eine solche Interpretation auf einem viel zu weiten und undifferenzierten Begriff der „Subjektivität" beruht, der es nicht erlaubt, den eigentlichen Sinn des Hegelschen philosophischen Unternehmens zu erhellen.
^ Vgl. hier M. Heidegger: Hegel und die Griechen. In: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für H. G. Gadamer zum 60. Geburtstag. Tübingen 1960. 43—57.
THEODORE GERAETS (OTTAWA)
THE END OF THE HISTORY OF RELIGIONS "GRASPED IN THOUGHT“
In an article on The Believable, Preliminaries to an Anthropology of Beliefs, MICHEL DE CERTEAU shows how a philosophy, in this case that of ARISTOTLE, "takes as its basis a social fact, the accepted''.^ It is the generally admitted opinions (endoxa) that constitute "the field of plausibility" from which the articulations of philosophical thought are going to unfold themselves: "an historical positivity makes possible a work of thought. "2 Thus MICHEL DE CERTEAU attributes to ARISTOTLE "the lucid admission that recognizes at the origin of a philosophy the impossibility of its autonomy and which therefore posits an exile from discourse (i. e. a history) as the very condition of discourse (a form of reason)".3 Certainly, philosophy cannot be content to remain there: it goes ahead to focus on and put to the test these enunciations constituting the network of what is accepted, only without being able to separate itself from the historical and social tissue that it reaches out of and attempts to rearticulate. "The tattoo of historicity upon the logos"^ is not only the initial condition, but a mark that philosophy can try to dissimulate but can never extirpate. Though this is a striking metaphor, it is defective, since before being so marked philosophy does not exist. Hence I prefer to speak of a context of experience that gives birth to a philosophy. This will raise the question of the relation between conditioning by that context and the autonomy that philosophy Claims for itself.
1 Michel de Certeau: Le Croyable. Präiminaires ä une anthropologie des croyances. In: Exigences et perspectives de la semiotique. Recueil d'hommages pour A. J. Greimas. 2 vols. Ed. Parret-Ruprecht. Amsterdam 1985; 2nd vol. 696. Unless otherse indicated translations of quotes are my own responsibility. Help of Steve Rocker in translating the main text is gratefully acknowledged. 2 Ibid, 3 Ibid. 697-698. “ Ibid. 698.
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Hegel recognized the dependent Situation of the philosopher and philosophy: "every individual is a child of his time; so philosophy too is its own time apprehended in thoughts".^ ln an aphorism from his Jena period he said: "you will not be better than your age, though you will be your age as well as possible."^ This is precisely what Hegel tried to realize in the Phenomenology of Spirit: to express the experience of his age as the recollection of fhe historical moments judged mosf significanf from the viewpoint of cultural, political, and philosophical actuality. It is precisely for fhis reason thaf, fwenty-five years later and a short while before his death, when he was preparing a new edition of this book, he renounced the possibility of reworking it {umarbeiten): it is, he writes, "a typical earlier (früher) work . . . related to the period when it was written"7 This does not mean that everything in it was conceived from the point of view of fhe pure actuality of fhe present moment — the context of an age's experience must be considered as a thick and complex tissue with many layers of hisforical sedimenf: political, social, religious, literary. In the introduction to the Encyclopaedia of the Philosophical Sciences, Hegel categorically affirms a certain dependence of philosophy in relation to its context of experience: philosophy is born of a need, thaf of surpassing fhe confradictions within which fhe spirif entangles ifself and becomes lost. Thus, despairing of being able to find itself again by its own means (aus sich), thought turns back to the Solutions and appeasements in which the spirit has participated in its other, non-philosophical, modes and forms.^ The possibility of recollecting a sometimes quite distant past is thus part of the context of experience. Certainly, thought would go amiss if it allowed this return to non-philosophical forms of the past to degenerate into self-destructive "misology“, but this danger is not sufficient to discredit the return itself. The opposite danger is as serious, if not worse: to rely purely and simply on the so-called "rationality" of the Aufklärung, which is nothing but the limited thinking of fhe "undersfanding", for which the return to the thinking of the past is just obscurantism. Neither the first attitude (that
G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts in Hegel: Werke. Bd 7. Frankfurt a. M. 1969. 26 (to be cited Werke. 7.26). Cf. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II. {Werke. 19.) 111. * Cited in G. Jarczyk, P.-j. Labarriere: Hegeliana. Paris 1986.9. —Cf. Jenaer Schriften. (Werke. 2.) 256. ^ G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Ed. J. Hoffmeister. Hamburg 1966. 578. ® G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. (1830) § 11, Remark.
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of "immediate knowledge"), nor the second (the obstinacy of a dichotomous, dualistic, antinomous thoughf) has the right to take itself as "the exclusive form of the consciousness of fruth".*^ For Hegel, the awareness of trufh is not, at least in the form of experience, an acquisifion of modern times. It is therefore necessary to recognize the full complexity of the context of experience, and to revive certain of its historical dimensions. To be sure, Hegel hailed the Aufklärung, along with the French Revolution, as a magnificent sunrise, and he wanted, according to the requirements of the Aufklärung itself, philosophy to have autonomy, to bring forth its normativity from itself. How are we to reconcile this autonomy of philosophy wifh fhe dependency of which we have spoken? Does fhis necessary autonomy signify for Hegel fhe tofal abandonment of fhe exemplary character of past forms of experience and fhinking and accordingly, a radical rupfure wifh the tradition? In a recent work on the conception of modernify, J. HABERMAS insists on the difference between the young and the mature Hegel: the one found his orientation in looking towards an ethical totality, an idea and an image borrowed from the idealized past of the Greek city state and of the first Christian community^^; the other, having abandoned these models of a reconciling reason, aftempted to develop reason from the modern principle of "subjecfivify" as the unique source of normafivityii. Hegel maintains the necessity of going beyond fhe undersfanding, but in aftempting to do so within the philosophy of the subject, he is led by the dialectic of fhe Aufklärung, HABERMAS teils us, to a reason that, as absolute knowledge, assumes such a crushing form that it takes the place of fate — it is the knowledge that everything that has an essential significance has already been decided.i^ Although it wants to be autonomous, without model (vorbildlos)^^, open towards the future, critical, eager for innovation, such a modernity would crumble under the ironical laugh of a reason fhaf would no longer be reconciling, but clearly dominatingi'*. This, according to HABERMAS, is the failure of the mature Hegel who failed to follow up the first stirrings of a communicafive reason, an 9 Ibid. 10 /, Habermas: Der Philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt 1985. 41—42. Ibid. 55. 12 Ibid. 55-56. 13 Ibid. 55; cf. 26. n Ibid.
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intersubjectivity of communication that aims at mutual understanding, free of constraint, — a new reason that had already started to take form in the writings of his youthd^ Having recognized the impossibility of applying the Greek and Christian models to the modern world, and, moreover, seeing the French Revolution collapse into the Reign of Terror, Hegel would have renounced every model of the past, recent or distant, in favour of developing a conception of the Absolute as the mediating process of the production of self-relatedness by itselfd^ In thus confining himself to a philosophy of the subject, Hegel would have abandoned the way that, by means of a theory of communication, could have led to the completion of the project of the Aufklärung — a completion that HABERMAS attempts today. The question arises here whether the philosophy of subjectivity developed by Hegel can be identified, at the deepest level of its content, with that of a reflexivity understood as self-relation in contradistinction to a philosophy of intersubjectivity and communicative reason. I will attempt to show elsewhere that the Hegelian conception of subjectivity can be understood only in its relation to the dialogical essence of spirit. For the moment, I will limit myself to indicating the necessity, according to Hegel, of going beyond that abstract and empty subjectivity which he calls "the abstract principle of the modern world''^^. Hegel not only sees in "the subjectivity which Claims to be the Absolute" the extreme form of eviF^, but "the pure, formal subjectivity" within which all objective content has evaporated no longer permits, as in the older religiös!ty, the Cognition of the nature of God^^. Hegel prefers the Catholic theology of the Middle Ages to that of the modern age^o, which abiding by the principle of the understanding produces an empty identity without distinctions, "the false construction of the understanding and of modern theology"^!. It is the "sickness of our times" to consider our cognition as only subjective: the truth can only be 15 Ibid. 43, 54. i Ibid. 46. ii" Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie 1. {Werke. 18.) 176. 1® Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 40; cf. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. T. III; Die vollendete Religion. Ed. W. Jaeschke. Hamburg 1987. 171, 174 (to be cited Rel. Phil. III. 127, 171, 174). For an English translation see the Lectures on the Philosophy of Religion. Ed. P. C. Hodgson. Vol I—III, California 1984-5. Page numbers of the German edition are found on the outer margins. I have used this translation, but with frequent modifications. w Rel. Phil. I. 203-204. 20 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. II. (Werke. 19.) 56; cf. Rel. Phil. III. 210. 21 Rel. Phil. III. 210.
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concrete and in this sense it is "that which is objective {das ObjektiveY' The true and authentic finality of our time is "to grasp the Absolute as spirit", and this grasping is made possible in and by the Christian religion.23 For this reason in the history of philosophy there are, strictly speaking, only two epochs: the Greek epoch and the "Germanic" epoch24, the latter being that of Christianity whose "objective" content, even if only a potential to which we can and should return, continues to form part of the modern world. The idealized historical models of ethical totality, the Greek polis and the Christian community in its origins, had certainly lost much of their relevance for Hegel, but they had never been for him the only or the ultimate basis upon which to ground a reason of reconciliation. From beginning to end, the thought of Hegel was always oriented by the essential core of the Christian religion, expressed and concentrated in the notion of spirif, "the most sublime concept which belongs to the new era and to its religion"25. Before studying more closely the sense of this notion of spirit, I would like to show the link between absolute religion as the end of the history of religions and the grasping of the very concept of religion. I do not speak here of the end of religions history, i. e., of the end of religions experience, individual and social, and of the forms of expression of this experience in the cultus and its relations with society, in the evolution of churches, etc. We are concerned with comprehending what the Christian religion is for Hegel, viz. consummate religion {vollendete Religion), because if is in the Christian religion, and in it alone, that the concept of religion has adequately manifested itself. ln other words, the content of this domain of experience, which had shown ifself in the different historical forms of religion only in an inadequate way, was at last perfectly realized in the Christian religion — the consummate and revealed religion, the religion of truth and freedom.^ß This religion is the religion of truth precisely because the explicit grasp of the very concept of religion is only possible in the context of the consummate religion, comprehended as the end of a process of progressive revelation of this concept. The presupposed spirit (which is to be seen as identical with itself, as the eternal Intuition of itself, or as spirit for spirit) is at the same 22 22 24 25 26
Enz. § 22, Addition. {Werke. 8.79.) Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, I. {Werke. 18.) 123.
Ibid. Phänomenologie des Geistes. 24. Rel. Phil. III. 99-108.
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time only grasped as a result, as the culmination, of the entire history of religions.27 The systematic account of the philosophy of religion can only begin wifh the presentation of the concept of religion in generaps, because this concepf has been grasped wifhin the context of fhe consummafe religion2‘^. The deferminate religions develop for fhemselves, in time, but they are also "moments of the concept, moments of religion in general, or of the consummate religion^^o. just as philosophy grasps its proper concept only at the conclusion (Schluss) of its systematic course^i, so with religion32, and in both cases this conceptual necessity is founded also in historical necessity23. Still, there is a fundamental difference between philosophy and religion, and we shall see further on that it is only with regard to religion that one can speak, in the strong sense of fhis phrase, of fhe end of its history. In the introduction to the Lectures on the Philosophy of Religion (1824), Hegel says this: “Religion in its concept is not yet the genuine religion. The concept is, of course, genuine wifhin ifself, to be sure; but it also belongs to its truth that it should realize itself, as it belongs to the soul that it should have embodied itself. To begin wifh, fhis realization is a determinafion of fhe concept; but the absolute realization is when this determination is adequate to the concept. This adequate concept-determination is the absolute Idea, the true concept. This Progression is the development of the concept, and only (erst) this development is the experience, cognition, and knowledge of what religion is."34 It is only in the genuine religion that the truth of religion has revealed itself and thaf fhe concepf of religion is "posited" and is "for itself", "revealed fo itself" and to us.35 The knowledge of the content of fhe frue and consummate religion opens to us, for fhe first time, the possibility of a philosophical knowledge of the very concept of religion: in virtue of this grasp of fhe concepf, fhe hisfory of religions becomes for us
27 28 29 30 31 32 33 3-1 35
Rel. Phil. III. 106. Rel. Phil. I. 83-84. Rel. Phil. I. 106. Rel. Phil. I. 91. Enz. § 573, cf. 243. Rel. Phil. III. 177, 215. Rel. Phil. III. 80. Rel. Phil. I. 84. Rel. Phil. I. 28.
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"comprehended history" — a history comprehended from its end.^^ It is only from this viewpoint that we can contemplate the sequence of the determinate religions as they unfold "under the guidance (Leitung) of the concept, mied and determined by the concept, . . . [that is to say] by the very nature of spirit"^^. It is striking that Hegel speaks, in the context of the philosophy of religion, of the concept as such, and not solely of the concept of religion. What Hegel calls "the concept of religion" (der Begriff der Religion), seems not merely the simple "concept of religion" but, perhaps even more so, the concept such as it reveals itself in religion. In this manifestation and realization, the two notions of concept and spirit are inseparable. The supreme definition of the Absolute is spirit, and the entire history of the world is to be comprehended as the quest for this definition and for the comprehension of its sense and its content. Although this was always what religion and philosophy had aimed at, it was only the Christian religion that at last gave us the knowledge of God as spirit: precisely that is its content. However, philosophy must grasp this content in the element that is proper to the content, and that element is the concept. This problem of philosophy will be resolved, in true and immanent fashion, when the concept and freedom are its object and its soul.^s For an answer to the queshon whether the resolution of this problem means the end of philosophy, I refer to a previously published study. ^9 In the Christian religion the object of faith is the Idea of philosophy which alone is genuine.p^g Christian religion is not true because it is historical, but because it has "the True" as content: "this content is spirit; it is the concept, which is absolute reality, being-there (Dasein) shining-forth (Erscheinung), outward (Heraus) .. . The concept [is] the entire content of reality. Spirit is itself the process of giving itself this shine (Schein) . . . of positing it as sublated; both together are revelation: that this shine (Schein) is the shining (Scheinen) of God, an infinite shining yet not outside of the shining. In the Paragraph of the Encyclopaedia which treats of the concept of spirit, Hegel underscores the fact that spirit is "the Idea having attained Rd. Phil. III. 80, cf. Phänomenologie des Geistes. 564; Wissenschaft der Logik. II. Ed. Lassen. Hamburg 1966. 226. 37 Rel. Phil. I. 59. 3* Enz. § 384, Remark. 3^ Les trois lectures philosophiques de VEncyclopedie ou la realisation du concept de la philosophie. In: Hegel-Studien. 10 (1975), 231-254. « Rel. Phil. III. 1. « Rel. Phil. III. 4.
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its being for-itself", the Idea "whose object as well as its subject is the concept"A^ We find this same structure in the concept of absolute religion: this concept "implies that religion is objective to itself"'^^ Certainly, as pure knowledge of itself, this subjectivity is only infinite form, void of content, religion grasped only in its implicit potential {an sich) and not as self-determining, self-regulating, giving itself a content that is no longer a beyond.44 The absolute religion, by contrast, determines itself by the equivalence of subjectivity, or of infinite form, with substance; here the form is "the infinite elasticity of the substance", dividing itself and making itself into its own object. Here the content is "organic, because it is this infinite, substantial subjectivity that makes itself into the object and content". The unity of form and content, of subjectivity and substance, is that of life, which is to itself ifs own purpose; this is exactly what "the concept" means: "[the] pure, universal, infinite purpose is the concept itself . . . for this reason "purpose" [is] placed in such a high position."^^ The determination — or even the vocation (Bestimmung) — of "God" is to be the Idea (unity of concept and reality), which we can call "absolute" because it is "spirit".^^ "Spirit, therefore, is the living process by which the implicit (an sich) unity of divine and human nature becomes explicit (für sich), or is brought forth. What is in-itself (an sich) must likewise be brought forth [as] purpose".“*® In more theological terms the purpose, or the concept, is the unity of divine and human nature; and the life, or the very reality of the concept, is the process that consists in eternally positing this unity.“*9 This processional reality of the concept is what we call "spirit"50, a term which, always preserving an implicit reference to absolute religion, never completely loses its representational character: it is in this very term that concept and narrative cross over and mutually support one another.®* It would be still more correct to say that concept and narrative differentiate themselves, without ever separating definitively, from and « « ^ « 47 48 49 80 81
Enz. §381. Rd. Phil. III. 103. Ibid. Rd. Phil. III. 105. Rd. Phil. III. 5, 193. Rd. Phil. III. 5. Rd. Phil. III. 6. Rd. Phil. III. 4. Rd. Phil. III. 195. Th. F. Geraets: La Verite entre concept et recit. In: Archivio di Filosofia. (1985), 409—419.
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within spirit. This is exactly the reason why conceptuality animates narrative, just as the development of the concept structures itself according to a certain narrativity. The abstract determination of spirit as a living process is the unity of concept and being that has inspired what metaphysics calls the ontological argument.^^ tßg representation of this unity, its image in religious language, is the incarnation; the revelation, the religious "definition", of spirit, which is "the simple content of absolute religion".53 The entire history of religions is thus the self-determination of this concept, that is in-itself already spirit, but which becomes spirit in truth only after having traversed the sequence of these forms: only then is spirit for spirit and hence true spirit.^4 "Religion", says Hegel, "is spirit as consciousness of its essence."®® Without consciousness, hence without distinction, there is no spirit; there is "the spirit of distinction" on one side, "the spirit as essence, as genuine, non-finite spirit" on the other. The former knows the latter as its essence, but the latter, in as much as it is only determined as infinite, is expressed only as undetermined, and is only one side. This is why distinguishing, consciousness, the finite "must be posited in God himself".56 God is not in a beyond, but is present and acting in human spirit; this is the aspect of truth that Hegel recognized in the principle of "immediate knowledge" which precisely expresses that "inseparable unity of consciousness with God".37 It is not only a truth that concerns man; "God is spirit only insofar as he is in his community"^^. In this sense it is also true that the object of the philosophy of religion is religion, rather than God in himself — not because God would be unknowable, but because it is of his essence to be spirit, manifestation, and hence religion.^9 That God is spirit means "that he is not only the essence that maintains itself in thought, but also what appears {das Erscheinende), what gives itself revelation and objectivity".^^ ^11 of this is summed up in the lapidary affirmation "spirit that does not appear is 52 55 54 55 55 57 55 5« 50
Reh Phil. III. 7; I. 325 ss. Phänomenologie des Geistes. 528. Rel. Phil. III. 193-194. Rel. Phil. III. 189. Rel. Phil. III. 189-190. Rel. Phil. I. 74.
Ibid. Rel. Phil. I. 33, 279. Rel. Phil. I. 35.
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not".^i God defines himself as spirit by bis presence in the world and in humanity; this is the God we can know and there is no other. Religious faith and faith in reason must go together: "So we must have faith that it is precisely reason that bas come forth in the world, and that what reason produces is a production by the spirit and a product of divine spirit itself."^2 There are not two kinds of reason and two kinds of spirit, one divine and the other human: "Human reason, human spiritual consciousness or consciousness of one's own essence, is reason generally, is fhe divine within humanity . . The course of the concept of religion is the course of the concept in general, and this course is at once linear and circular. It is a sequence of levels of realization that succeed one another, but these levels come together, or rather, com-prehend one another {zusammenfassen), in one infinite, absolute form, and this infinite form is the circular movement (Kreislauf) of the determination of the concept (of religion). The determination, at once linear and circular, is spirit.jj-, effect, it is not possible to grasp spirit immediately: it is only in and by this self-production that spirit posits itself and comprehends itself. It is true that this self-positing has, at first, still a character of immediacy: "the concept for which spirit so determines itself. . . is still only ourselves", a "concept" or a grasping which in some manner is still external to spirit.Finally, however, that for which spirit is is "the absolute, infinite subjectivity, the infinite form"^^ — the circular movement of its self-determination. This self-production is "eternal"67, it is the eternal becoming of essential comprehension. "What results is the concept that posits itself, and has ifself as its content. This, then, is the absolute Idea . . . Truth consists in objectivity being adequate to the concept, but what is adequate to the concept is only the concept itself insofar as it has itself as its counterpart or object. The content as Idea is the truth. "68 What is true is the Idea insofar as it is the principle of self-articulation or self-determination and comprehends itself: this Hegel calls "absolute 61 62 63 6‘i 66 66 62 68
Rd. Phil. Rd. Phil. Ibid. Rd. Phil. Rd. Phil. Ibid. Ibid. Rd. Phil.
I. 37. I. 46. III. 193-194. III. 194.
III. 195.
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spirit". "This is the true definition of spirit. The concept that determines itself, that has made itself into its own object, has thereby posited finitude in it, but filled its finitude with itself and in so doing has sublated its finitude — that is spirit. Our comprehension of spirit thereby comprehends itself as parhcipafion in the self-comprehension that is spirit itself. The externalify of our initial grasp is sublated in a comprehension which is complete without being exhaustive. It is in effect a movement at once circular and linear, "eternal" and temporal. Its linearity is not a simple succession and the circularity, which is its unifying soul, is essentialy circular and irreducibly open. The "seif" which comprehends itself is nof an entity, buf a structure in developmenf, a living and open totalify; hence ifs comprehension, precisely in the measure that it is adequate, "makes impossible any closure and exhaustive grasp". In religious language, this adequation, completeness or circularity, is expressed first as intra-trinitarian life, then as the life of Christ, and finally as that of the Community (Gemeinde): three expressions of spirit at different levels of concretion, or involving different senses of "concrete". In the first case, that of articulation within the element of pure thoughf; in the second, that of the narrative presenting events as having taken place in space and time; and in the third, that of personal and social development in the real world. The distinction among these three elements is present in all the editions of the Encyclopaedia, as well as in the Lectures on the Philosoph]/ of Religion. Without entering here into detail, 1 would like to emphasize that in calling the development of spirit in these three elements "divine history" Hegel himself affirms its "narrative" character. ln its common sense, however, this term applies most closely to the second sphere, that of "infinite shining", divine history as the story of the incarnation and the death of Christ. Moreover, it is in the divine history of this second sphere that the "history" of fhe first sphere reveals itself; if is this second sphere which also constitutes the permanent source and the key of comprehension for the third sphere. It is true that in religion this entire triple development of spirit is presented in representation, and that it is only philosophy which grasps 69 Ibid. Th. F. Geraets: La Verite. 415. Th. F. Geraets: Socialite universelle et "histoire divine“ sehn Flegel. In: Archivio di Filosofia.
(1986), 639-640. 72 Rel. Phil. III. 151-153.
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this content in the element of the concept. But precisely because the concept is the element that is proper to the very content of absolute religion, it only reveals itself to us in and through this content. In other words, the meaning itself of absolute religion is (to reveal to us) the concept. In no way do we have to apply to the content of religion a philosophical concept derived or developed elsewhere. On the contrary, phüosophy owes the concept to absolute religion. "The concept only knows itself as what is true when it is also posited"^^^ and this positing of the concept realizes itself for the first time in the Christian religion. It is there that phüosophy learns the true sense of its own aufonomy, by comprehending it through its religious expression in "the witness of the spirit". Hegel clearly affirms the profound identity between the divine spirit at work in the history of religions and the formation of reason itself: "The more that human beings in rational thinking let the matter (Sache) itself reign (walten) within themselves . . . the more they comport themselves as universal consciousness and their reason seeks not its own [concern] in the sense of something particular, the less will reason fall into that antithesis [between divine spirit and reason]; for reason is itself the thing-in-question (Sache), the spirit, the divine spirit. Most paradoxically, for Hegel the adversaries of aufhentic phüosophy, which include many Contemporary theologians, are in reality the adversaries of religion, overcome by a phüosophy thaf they oppose, but that preserves better than they do the very content of religion. insofar as fhey nonetheless possess in their reflexions the principle of phüosophical knowledge, even these adversaries present "the historical element out of which consummate phüosophical thinking has itself taken shape"^^. In effect, the insistence of some of these theologians, and in general of the adherents of "immediate knowledge", on "the inseparable unity of consciousness with God"^^ is not without foundation. On the contrary, this unity is "the simple principle of philosophical cognition ifself"^^. This principle can be called "faith," but in a non-ecclesiastical sense, distancing itself from all external authority 73 7^ 75 76 77 78
Rel. Rel. Rel. Rel. Rel. Rel.
Phil. Phil. Phil. Phil. Phil. Phil.
III. 280. I. 46—47. Cf. Enz. § 36, Addition. (Werke. 8.) 105. III. 188. I. 47. I. 74. I. 71.
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and alien justification^^: spirit manifests itself in that spirit which is my own^o _ is spirit that bears witness to the spirit®^. The subject should not merely be treated according to its finitude, according to its contingent life; it should be considered to have the absolute, infinite content as its object.^2 One must remember, that the error of "critical" philosophy is precisely the refusal of this proximity with the Absolute; its fear of error is in effect fear of the truth.®3 By contrast, the error of "immediate knowledge" is the refusal to unfold the content discursively and argumentatively, to transform authentic faith into genuine comprehension. What is here rejected is the amplification (Ausbreitung) of the content into one all-encompassing intellectual realm, an amplification necessitated by the subject-matter, the very content itself. Already in the interpretation of the Bible the true foundation is not the letter but the spirit: it is necessary that the spirit which is at work in the explication of the sacred text "proceeds within itself according to necessity, not according to presuppositions"®5_ "This spirit must legitimate itself on its own account, and its proper legitimation is the matter (Sache) itself, the content, that which the concept substantiates (dartut). . . . The absolute footing (der absolute Halt) is just the concept. Unfortunately, Contemporary exegesis, which does not let itself be guided by the concept, has put aside or de-emphasized fundamental doctrines; (authentic) philosophy has thus been able to preserve much more of this content than theology itself, which has been impressed by the false demand for a preliminary critique of knowledge. Hegel repeats here that such a demand negates itself, since the critique of reason is only possible in and by rational and conceptual exploration. There can be no zero point for knowledge; only scientific Cognition itself can play the role of this critical examination that has been demanded.®^ What can rightly be asked, however, is that we think according to reason, by going beyond the categories and dichotomies of the 79 80 81 82 83 »■i 85 88 87
Rel. Phil. I. 70, 71. Rel. Phil. I. 70. Rel. Phil. I. 71, 72. Rel. Phil. I. 74. Phänomenologie des Geistes. 64— 65. Rel. Phil. I. 76. Rel. Phil. I. 78.
Ibid. Rel. Phil. I. 78-79.
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understanding. This is the requirement of passage into "the region of absolute truth". Religion, as "the highest and ultimate sphere of human consciousness", fulfills this requirement precisely.®^ In referring to this sphere, Hegel writes in the Encyclopaedia: "It is not possible to say how believing (Glauben) and seeing (Anschauen), transported into his higher region, are still distinct from thinking (Denken) It is striking to see how Hegel insists in this context on the proximity of immediate knowledge to philosophy: "The difference between the assertions of immediate knowledge and philosophy reduces itself to the exclusive attitude which immediate knowledge adopts, or to the fact that it sets itself up against philosophizing. This Opposition comes from the conviction that all mediation yields only a finite knowledge. It is this rejection of mediation that makes immediate knowledge one-sided and that causes it to fall back to the level of the understanding, i. e. to thought characterized by "either-or".^i It is important to realize that this whole consideration of immediafe knowledge occurs in the form of an external reflexion on a given facf^^^ ^ psychological phenomenon, a facf of consciousness^^ However, the criterion of truth is not this fact, but the nature of the content^^^ a^id by rejecting the movement of mediation that is essential to the nature of its content immediate knowledge destroys itself. This mediation that is immanent in the content only reveals itself if we go beyond external reflexion by considering "fhe nature of the matter, i. e. of the concept"^^: "the mediation of the concept, of reason, is its mediation with itself. This comes about when we are filled with "the spiritual fullness of the Christian faith", with the Holy Spirit that bears witness to it.^^ It is then that we recognize that "God can only be called spirit insofar as he is known as mediating himself in himself with himself. Only then is he concrete, living and spirit; the knowledge of God as spirit thus necessarily implies mediation within itself. The mistake of immediafe knowledge 88 Rel. Phil. I. 79. 8^ Enz. § 63, Remark. Enz. § 64, Remark. Enz. § 65. 92 Ibid, 93 Enz. § 66. 9'i Enz. §71. 95 Enz. § 65. 98 Rel. Phil. I. 304. 92 Enz. § 63, Remark. 98 Enz. § 74.
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is therefore not the rejection of the mediation that is provided by a proof which would take its origin in isolated finite being, but the failure to recognize that other mediation or inner articulation, which is proper to the content itself and is expressed in the notion of spirif. The knowledge of God, of fhe Absolufe, of the truth, is thus at once mediate and immediate, but the mediation at issue is internal to the content — this, in truth, cannot be the conclusion of a reasoning fhaf fakes ifs sfarting point elsewhere. This is fhe true meaning of fhe aufonomy of religions faith, in as much as if is founded on "fhe wifness of fhe spirif" rafher than on exfernal authority. If is fhe autonomy also of fhe Logic ifself and of fhe whole of philosophy.^^ At this focal point, religion and philosophy are nearly indiscernible. What distinguishes them is that religion has concentrated itself in thaf fundamental intelligibility, whereas philosophy pushes toward the unfolding of thaf intelligibility, which it calls the "concept". "What LUTHER initiated as faith in feeling and in the witness of the spirit is precisely what spirit, having matured, since strives to apprehend in the concept in Order to free itself and fhereby find ifself in fhe presenf."!*’*’ Hence fhe Zugrundegehen of religion is fhe permanent ground of philosophy, the very soll of ifs own developmenf. This soil is the active, living presence to itself of spirif, "a soil of quite a different worth" than that of the traditional proofs of God's exisfenced*’! It is nonetheless true that religious faith begins in a relation of authorify, where I place my frusf in the testimony of ofhers. "Faifh resfs upon testimony, and so it has a ground. But the absolute, proper ground of faifh, fhe absolufe festimony fo the content of a religion, is the witness of the spirit, and not miracles or external attestation. The genuine content of a religion has for its attestation the witness of one's own spirif, thaf fhis contenf conforms to the nature of my spirit and satisfies the needs of my spirif. My spirif knows ifself, ifs essence — that, too, is an immediate knowledge, it is the absolute attestation of fhe efernally frue, fhe simple and genuine deferminafion of fhis certainty that is called faith. "102 This faith is already apprehension of the Idea. "Faith resfs on the witness of the spirit, not concerning miracles, but concerning the absolute truth, the eternal Idea and the content. . ."i03; . . genuine faith is spiritual » Enz. § 75. ™ Grundlinen der Philosophie des Rechts. (Werke. 7.) 27. 10' Rel. Phil. III. 159-160. 102 Rel. Phil. I. 285. 103 Rel. Phil. III. 83.
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and is mithin the spirit. It has the truth of the Idea as its ground. The meaning of what the Bible calls "the fullness of time" is precisely the complete maturity of the Idea in its depths^^s^ ^ maturity that was achieved when spirit had entered so deeply into itself as to know its own infinitudeio^.
In Order for this truth to reveal itself in "divine history", it was necessary that the sensible presence of Christ should end and that, with his ascension, his life on earth should be "consummated" into "spiritual totality", i. e. into the completed narrative. In religious terms; the outpouring of the Holy Spirit is only possible after the death of Christ. This outpouring, expressed in the mode of representation, seals and makes possible genuine faith. To believe in the testimony of the spirit does not mean to felapse into the heteronomy of an ecclesiastical faith, based upon an external authority, for the Holy Spirit is not at all external to us: it is our own spirit, in which we believe.But if, therefore, the Content of faith is no longer something simply given, ready-made, the spirit that gives witness is not a particular interiority either, it is not "mine" in the sense of my isolated, exclusive individuality. Faith and authentic philosophy demand of each of us the true humility which consists in immersing one's spirit in the truthi09^ and this humility is idenhcal with genuine autonomy. It is true that, in the end, only philosophy will be capable of justifying the Idea and its truth against the understanding, which in turning against the content of religioni^*’ denies itself access to speculative thought. Philosophy is to provide what is lacking to faith, i. e. the necessity of its discursive unfolding. However, the self-surpassing of faith as something simply given, based upon external authority and historical considerations, so as to rely only upon the witness of the spirit, already means that access is gained to the core of the necessity and truth contained in the essential doctrines of the Christian faith. m We must be careful, therefore, not to set up in absolute Opposition, as is commonly done, faith on one side, and the philosophical grasp of the necessity of the content on the other. This Opposition results only in the 105 10« 107 108 i Phil. ofRel. 3. Werke. XV. 298-299. This is the significance, for Hegel, of the fact that the disciples are said to be filled with the Spirit only after the Death of Christ, at the time of Pentecost, and of Christ's words to them: See Sibree, 324—325; Werke. IX. 394—395. "When I am no longer with you, the Spirit will guide you into all truth" (cf. St. John. 14, 25—26). See Sibree, 328; Werke. IX. 398-399.
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Revelation contains. Hegel is trying to persuade us that philosophy, like the whole of historical experience, is under the dominion of Revelation. The Revelation Hegel is talking about is not just Revelation in the abstract, but the Christian Revelation: the Christian Incarnation which he believes is revealed in the reality of historical experience. If this is what Hegel is trying to do in the Philosophy ofHistory, then the criteria we should use in assessing that work are quite other than those applicable to his speculative System, and yet quite other than those applicable to ordinary historical writing. We should be looking for evidence that Hegel has written about history in a way which makes his Claim to have written a Christian philosophy of hisfory really believable. We should be trying to decide whether or not Hegel's Philosophy of History has the ability to make us see historical experience, and our own involvement in that experience, in the way which the Christian Incarnation describes. The criteria for such a decision can never, of course, be wholly explicit. But the reasons why we give our assent not only to Hegel's, but to any philosophy, have normally to do with much more than philosophy alone. Our ability to choose between different phüosophical articulations of experience stems largely from that part or aspect of our experience which has not been wholly defined by any such articulation. If we read Hegel's Philosophy of History as a philosophy of Christian Revelation — a reading which is indicated, as I have tried to show, by Hegel's work on his own text — then we will at least be prevented from judging it by criteria which are inappropriate to the kind of appeal which it makes to our own experience, one which I believe is crucial to the persuasive power of Hegel's thought as a whole. If we are trying to decide whether or not to believe Hegel's claim to have discovered meaning and significance in human history, we should not expect to be persuaded that the scope of what we can know about in our historical experience is larger or more significant than the scope of our inarticulate involvement in that experience. Rather we should be looking for a demonstration that the reverse is the case: that the means by which, in custom, practice, piety and thought, men think at any moment in Hme they have mastered their historical experience, are themselves always part of that experience — changeable, never fully articulate, and always a possible source of self-deception. We should be looking also for a convincing explanation of how human self-awareness, throughout history, has been rooted in the whole experience of particular historical worlds; of how the mental
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consciousness of an age is interwined, in a manner never fully transparent to discursive thought, with the actual conditions of life in that age; and of how the most abstract mode of that consciousness which is philosophy is inextricably bound up wifh the more concrete modes which are social practice, human loyalty, and the practice of religion. We should be looking above all for evidence fhat Hegel knows how fhought, and above all his own, is vulnerable to experience, and hence to the changes in experience which never come about by thought alone. For, if the historical bearing of what Hegel calls absolute knowledge is that disclosed by the Christian Revelation, then the only thing which is “absolute" about Hegel's philosophy is that it knows that the truth is given to us in experience, and that the fact that truth is so given is the most important metaphysical attribute of the truth. If Hegel's account of history is successful, it will convince us that it is this truth about our experience which is being revealed in the experience of his own age, and hence that it is the experience of thaf age which makes his philosophy of history possible. A reading of Hegel's Philosophy of History in this light shows certain of the characteristic modern objections to that work to be wrongheaded. The objection, for example, fhaf the arguments of fhe Philosophy of History are intrinsically irrational because they cannot be falsified by being tested against the experience they describe,43 misses Hegel's point in the Philosophy of History. Hegel's thesis is that, if it is human history that we are trying to understand, then we understand rightly not when our understanding tries to test itself against experience, but when it is tested by the experience of which it is a part. Of course we don't have to be convinced by Hegel's arguments to this effect, nor by the particular kind of evidence which Hegel adduces in Support of those arguments. But we cannot judge Hegel properly if we apply to his work a concept of the relationship between argument and evidence which is radically different from Hegel's own. If the empiricist or critical rationalist is to read Hegel with an open mind, then it is not just the arguments or the evidence, but the paradigm'^^ of Hegel's fhought that he has to consider; and he has at least heuristically to acknowledge that Hegel's paradigm might turn out to be more fruitful than his own.
See, for example, Karl Popper: Conjectures and Rcfutations. New York 1963. 69. ** I take this term from T. S. Kuhn: The Structurc of Scientific Revolutions. Chicago 1970. See especially Chapter Two: ,The Route to Normal Science'.
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If we read Hegel's Philosoph}/ of History as a philosophy of Christian Revelation, then we will not see the specific Claim Hegel makes to understand the whole of history, or the related claim he makes about the special significance of his own age, as requiring an attempt to understand history from an ahistorical or metaphysical standpoint, still less as implying a claim to prophesy the futured^ We will, firstly, understand how those two Claims are intrinsically related; and, secondly, understand them as the affirmation that philosophy, above all in Hegel's day, is radically rooted in the contingency of historical experience, and wholly open to the future course of that experienced^ We will see Hegel as acutely aware of the difference between historical explanation and the actual dynamics of historical change, as well as of the potential divorce between global explanations of historical phenomena and the perception of such phenomena in the minds of individual peopled^ This is a reading which has consequences for our assessment of Hegel's thought as a whole. Because of the particular relationship between Hegel's philosophy of history and the claim of his philosophy to articulate "absolute knowledge", Hegel's Philosophy of History has a particular significance for the defence of his philosophy as a whole in modern philosophical debate. The central problem in that defence is precisely the need to defend Hegel's contention that philosophy is connected to experience, indeed to the whole of experience, in such a way that there is no source of experience which we can conceive of as absolutely "outside" or independent of philosophical articulation, and so no instance radically external to Hegel's System against which the truth of his theses can be measured.^^ That is why Hegel has to describe his 45 Cf. Arthur Danto's objection in Analytical Philosophy of History. Cambridge 1965. 13-14. 4^ See Gillian Rose: Hegel Contra Sociology. 119—120: "This is how the philosophy of history should be conceived, not as a teleology of reconciliafion, not as replacing the exhausted attempt to create a Christian civilisation, but as perpetual repetition, as the perpetual completing of fhe historic Good Friday by the speculative Good Friday. There is no end of religion and no end of history, but a perpetual 'speculative justification' to complete the faith which 'justifies nothing'." 4^ See Hegel's own penetrating analogy, in the Introduction to the 1830 Manuscript of the Philosophy of History, of the consequences of an arsonisf's acts: Forbes, 75; Hoffmeister, 88-89. 45 For Hegel's characterisation of his own fhoughf in these terms see Hegel: Philosophy of Mind. Translated by Wallace and Miller. Oxford 1971. 5 (§379); Werke. VII/2.9. Cf. also Hegel's Science of Logic, 2 volumes translated by Johnston and Struthers. London 1929. Vol. 1. 79—80. ('With What Must The Science Begin?'); Werke. III. 59—60; also Lectures on the Philosophy of Religion, Vol. 1. 89; Werke. XI. 87.
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thought as one which has no real beginning, as a "circle" entire of itself. Thal is why Hegel teils us that there is no "way in" to the truth which is not already part of the truthd^ It is difficult to imagine a standpoint more alien to the ideal of philosophical rigour, or indeed to the conception of academic debate, which are current in the critical rationalist tradition.^^ How can someone who subscribes to the Hegelian standpoint even begin to defend it against an Opponent who cannot accept the Hegelian mode of philosophical argument? The Opponent can point to the evidence in experience which confirms his own position, or falsifies the Hegelian one. All the Hegelian can do is to employ the resources of Hegelian argument in Order to show that such evidence can be accommodated within the Hegelian framework as well; but of course only if one accepts the Hegelian terms of reference. What the Hegelian cannot do, unless his Opponent is prepared to Start speaking' the Hegelian language, is to persuade his Opponent that the Hegelian terms are better than his own. For, even if the Hegelian can show that his own framework is more comprehensive — because it can explain every objection to itself — than that of his adversary, the adversary will reply that it is just such pseudo-comprehensiveness which disqualifies the Hegelian position from serious debate.Explaining everything comes perilously dose to explaining nothing. The explanation of one's point of view, for the empiricist, consists in demonstrating the connection of an idea or System to a source of evidence which is something other than the product of such an idea or System. A philosophy which Claims that all the relevant Connections are within its own System must necessarily appear to be connected to nothing: to thin air. The defence of the Hegelian position cannot depend upon the demonstration that Hegel's terms of reference are better than those of his empiricist opponents. That defence, if it is to be effective, must depend upon showing the meaning and the relevance of the fact that the Hegelian standpoint can only be defended on its own terms. Hegel cannot legitimate his conception of philosophical thought by appealing to experience. He has, on the contrary, to make us believe that his See Hegel: Phenomenology of Mind. 2 volumes translated by J. B. Baillie. London 1910. Vol. 1. 23-24; Werke. II. 20-21; cf. GW 9. 22 f. 50 For a representative formulation of this position see Karl Popper: Conjectures and Refutations. Chapter Ten: "Truth, Rationality, and the Growth of Knowledge". 51 For a lucid account of this dispute see Ernest Gellner: Relativism and the Social Sciences. Cambridge 1985. esp. 30—34.
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philosophy has the right to teil us originally and independently what "thought" and "experience" are. The real question is not: Why is HegeTs way better than other ways of talking about experience? It is: What is it in our experience which makes the Hegelian way an appropriate, even a necessary, way of speaking from fhe standpoinf of the experience we are inside, and why does the Hegelian framework continue to be relevant even though our experience is not the same as HegeTs?^^ Because of HegeTs speculafive doctrines of objective and of absolute Spirit, and the connection between them, the legitimation of the whole of HegeTs philosophy is bound up with his concept of history. Hisfory, on HegeTs terms, is the Revelation of the absolute truth in people's actual experience, and so the equivalent in reality of the speculative justification for his System which he offers in his purely speculative Works. But HegeTs philosophical account of history, if it were just a speculative one like every other part of his philosophy, would not be a legitimation for his concepfion of philosophical knowledge, buf the very demonstration of that conception's absurdify. The few paragraphs on Weltgeschichte in the Berlin Encyclopoedia,^^ with their massive systematic significance and almost absurd brevity and lack of rigorous argumenf, are enough to show us that. If Hegel had offered us only a speculative philosophy of Weltgeschichte, somewhere between Sittlichkeit and absoluter Geist, then he would have applied his all-embracing conception of philosophical argumenf to just that part of our experience which shows US fhat our experience cannot be exhausted by speculation: that our experience is something which happens to us, and that our thoughts have no substance in abstraction from what so happens. Only in a work which talks about real history is the adequacy of HegeTs speculative discourse to experience put to the test. Hegel needs a phüosophy of real history if he is to have a chance of persuading his readers that his philosophy is not just speculatively right (even if it is that), but sufficiently relevant to the reality of their experience that they have more reason to assent to that doctrine than to the alternative concepts of philosophical argumenf which are available to them. HegeTs Philosophy of History has a chance of having thaf kind of apologetic force only because, in thaf work, Hegel cannot determine the bounds of his subject matter, or the way in which he should approach it, by Gellner presents a powerful case that the Hegelian framework is so relevant; see ibid. 63-67. 53 The relevant paragraphs are 548—552. — See Hegel: Philosophy of Mind. 277—291; Werke. VlI/2. 420-439.
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speculative means alone. Here it is not just the dialectic, but reality which answers Hegel back. What Hegel is talking about in the Philosophy of History is not a philosophical category, but what it is in our experience which can never be exhausted by any philosophy, and hence what it is which is the ground of our choice between philosophies. It is the apologetic interest which lies behind Hegel's Philosophy of History which causes that philosophy, as Hegel puts it, to be not "abstractly general", but "concrete and absolutely present"^^. ^o influence not primarily our understanding of others in the past, but our understanding of ourselves in the present. Hegel's thought is designed to convince us not just that philosophy is necessary to life, but that philosophy is redundant if it does not belong to life — or, as Hegel puts it in the Philosophy of Nature, that "we need speculation to understand life, because it is in life that speculation exists"55. The first part of Hegel's proposition has received excessive critical attention; the second not enough. A reassessment of the Philosophy of History is one step towards redressing the balance.
5^ Forbes, 24; Hoffmeister, 22. ~ This is from Hegel's 1822 draft on the modes of historical writing, and refers to the character of philosophical world-hisfory (die philosophische Weltgeschichte). See Hegel: Philosophy of Nature. §331 (Zusatz): Werke. VII/1.425. "Das Leben kann also nur speculativ gefaßt werden; denn im Leben existirt eben das Spekulative."
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L'IDEE DE RELIGION REVELEE CHEZ HEGEL ET SCHELLING ä Claude Bruaire, in memoriam Une analyse superficielle pourrait laisser penser que la posterite de la Philosophie hegelienne de la religion et de la philosophie scHELLiNCienne de la revelation a ete faible. L'histoire des religions a conquis progressivement un droit de eite, que tous lui reconnaissent aujourd'hui, alors que la philosophie de la religion ne s'est pas vraiment imposee comme discipline autonome. En fait je crois qu'il faut prendre le Probleme autrement que par le biais des institutions universitaires et des specialisations trop etroites, dont l'esprit meme est anti-philosophique et repose sur un positisme pratique discutable. Un fait s'impose, dans l'horizon intellectuel d'aujourd'hui, c'est que les mythes sont ä la mode, soit qu'on y cherche l'expression de structures sociales (DUMEZIL), OU les cadres de l'experience religieuse (MIRCEA ELIADE), OU encore les structures de 1'Imagination symbolique (GILBERT DURAND). Si distendu que soit le rapport des mythes ä l'absolu, dans ces theories, surtout si on les compare aux analyses de SCHELLING, il n'en reste pas moins que l'on ne peut connaitre les mythes sans les Interpreter, et que la quete d'un sacre perdu par notre societe s'exprime dans ces recherches d'un haut niveau historique et speculatif. La voie de la philosophie de la revelation a, semble-t-il, eu moins d'echo. On en retrouverait la trace sans doute dans la theologie hermeneutique de notre temps. Du point de vue philosophique, Theritage begehen a ete recueilli par CLAUDE BRUAIRE pour autant que le savoir speculatif de la philosophie est l'elaboration conceptuelle achevee du contenu de la religion revelee. Par ailleurs, parti de l'existentialisme HEiDEGcERien, et de la reflexion sur l'hermeneutique LUTHfiRienne de HAMANN, HENRY CORBIN s'est propose, au travers d'une longue et patiente enquete philologique et historique sur la philosophie mystique de TIslam shi'ite, de determiner comment Texistence du croyant est etre, non pour la mort, mais pour la vie eternelle, comment l'äme est constituee par son rapport ä Dieu comme ange, intellect agent et espece ä soi tout seul. L'Opposition entre idealisme et existentialisme a fausse le debat et semble devoir etre depassee. Car c'est dans Texistence
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humaine et dans l'historicite humaine que se donne, se revele l'Absolu. Ainsi nous devons combiner la reflexion sur les formes historiques du sacre dans leur diversite et sur la revelation teile qu'elle se produit dans l'äme du croyant. Sacralisation et revelation sont des actes, plutot que des faits, et le geste sacralisateur de l'homme peut etre etudie historiquement, mais ü n'a de sens que par la revelation de Dieu en lui, qui releve, non de l'histoire, mais de la hiero-histoire.
Que nous apprennent, dans ces conditions, les analyses que Hegel et ScHELLiNG ont donnees de la religion revelee et de la revelation? L'un et l'autre se caracterisent negativement par la meme Opposition au rationalisme issu de LESSING, pour lequel la revelation doit faire place ä la raison, l'humanite ayant eu besoin de croire sans comprendre dans son enfance, alors qu'en droit, toutes les verites revelees sont destinees ä devenir des verites de raison. „La religion revelee ne presuppose pas du tout une religion rationnelle: mais eile se conclut en elle."^ Mais Hegel et ScHELLiNG ne se rattachent pas ä l'ecole de HERDER, et ä l'elaboration des rapports entre mythe, revelation et philosophie dans cette mouvance.^ Ils sont les heritiers beaucoup plus directs du theologien souabe OETINGER, et de sa conception de Dieu comme Ens manifestativum sui. Herrlichkeit et Manifestatio sui caracterisent Dieu, comme cela a ete bien repere par FERDINAND CHRISTIAN BAUR, et bien etudie par la suite. II n'est pas etonnant que le concept de revelation joue un role important chez Hegel et chez SCHELLING, meme s'il n'est pas analyse avec autant de details qu'on pourrait s'y attendre. La seconde remarque tres generale est que, pour nos deux penseurs, la religion revelee est le christianisme et n'est que lui. II convient d'examiner chacune pour elle-meme ces deux theories de la religion revelee, pour degager ensuite la legon qui en resulte eu egard ä la Philosophie de la religion. Chronologiquement, les deux demarches sont pratiquement contemporaines: SCHELLING a enseigne la philosophie de la revelation ä Berlin ä partir de 1841, mais en prenant bien soin de dire que cette philosophie etait elaboree de longue date et avait ete enseignee ä Munich auparavant. Hegel n'a pas enseigne la philosophie de la religion avant ses cours de Berlin et je m'appuierai sur les quatre 1 Lessing: Werke. Ed. G. Göpfert. T. 7. 464. 2 Cf. Valerie Verra: Mito, rivelazione e filosofia in ]. G. Herder e nel suo tempo. Milano 1966 (en particulier C. G. Heyne).
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volumes de l'edition JAESCHKE, et en particulier le tome Der Begriff der Religion, paru en 1983, qui comporte le manuscrit de Hegel, le cours de 1824, le cours de 1827 et quelques Hements du cours de 1831. Pour la premiere fois, nous pouvons etre sür d'un texte admirablement etabli.^ Le cadre conceptuel general de la reflexion hegelienne est d'une part la theorie de l'esprit absolu: religion et philosophie ont meme contenu, l'une dans la forme de la representation, l'autre dans la forme du concept. Ceci implique que raison et revelation ne sauraient etre identiques, mais que la philosophie a pour destination d'elever le contenu de la religion ä la forme du concept. Plus particulierement le concept de revelation, que Hegel nomme Offenbarung ou Manifestation, est determine par la these centrale de la Logique, ä savoir que l'essence doit se manifester. A la fin du texte sur „le rapport essentiel", Hegel ecrit: „La manifestation de quelque chose n'est pas seulement la reflexion dans son autre, mais en soi, et son exteriorite n'est donc rien d'autre que l'exteriorisation de ce qu'elle est en soi, . . . la chose n'est rien en et pour soi que ce fait de s'exterioriser. Nous avons lä l'acte de reveler son essence (das Offenbaren seines Wesens) de sorte que cette essence ne consiste en rien d'autre qu'en ce fait d'etre ce qui se revele." (Wiss. der Logik, ed. LASSON. t.2.155) L'essence doit se manifester; la revelation est l'unite de l'essence et de son phenomene (Erscheinung). Dans la religion revelee,nous avons affaire ä Dieu, c'est-ä-dire ä l'essence absolue. Cette essence absolue se manifeste: c'est le Christ, ou le concept absolu, unite existante de la nature humaine et de la nature divine. Rappeions que, des la Phenomenologie de VEsprit, Hegel a assimile le christianisme ä la religion revelee (geoffenbarte Religion), ä la religion manifeste (offenbare Religion) et ä la religion absolue (absolute Religion). Hegel a repete dans ses cours que „L'Esprit est ce qui se manifeste, ce qui apparait mais dans une manifestation qui n'a pas de fin" (III. 37, ligne 183); avec la consequence, ou plutot la formulation negative du meme principe: „L'Esprit qui ne se manifeste pas, ne se revele pas, est un Esprit mort. Se manifester signifie devenir pour un autre." (III. 85, ligne 572). Une tres interessante critique des mauvais usages du terme de revelation est faite dans le cours de 1827 ä propos de la connaissance de Dieu. II y a une conception exterieure de la revelation qu'U convient de 3 G. W. F. Hegel: Vorlesungen, ausgewählte Nachschriften und Manuscripte. T. 3, 4a, 4h, 5. Hamburg 1983—1985. On peut aussi se reporter ä l'edition Ilting du cours de 1821: Religionsphilosophie. Bd 1. Rom 1978.
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refuser. Parier de religion positive sans plus, c'est supposer que la revelation est exterieure ä l'individu. D'oü le raisonnement falladeux selon lequel revelation, education religieuse seraient des circonstances exterieures qui mediatiseraient l'implantation de la religion dans l'individu. Et, de meme que l'instruction religieuse appartient pour moi au passe, de meme la revelation. C'est lä considerer la revelation comme un fait historique appartenant au passe. Hegel s'y oppose en mettant en evidence que cette conception contredit l'essence de la religion; „La religion n'est que dans la conscience de soi, hors de quoi eile n'existe plus du tout." (III. 306, ligne 162 sq). A l'oppose de cette these objectivante, on trouve la these purement interioriste: „Nous avons un savoir immediat de Dieu; c'est une revelation en nous." Et ici Hegel s'explique: „II y a un grand principe que nous devons etablir essentiellement: ni la revelation positive ni l'education ne peuvent produire la religion ni en faire un produit exterieur, mecaniquement cree et place en l'homme." La dimension subjective de la connaissance de Dieu interdit d'attribuer ä ce savoir une necessite mecanique (le mot revient souvent). La connaissance religieuse est comparee par Hegel ä la reminiscence platonicienne. Elle est Erregung, excitation, au sens oü la reminiscence est le rappel de ce qui etait present dans l'esprit, mais en quelque sorte en sommeil. Le savoir religieux est donc toujours affecte d'une immediation qui n'exclut nullement la mediation, mais implique la nature spirituelle de la religion: dans le savoir religieux, „l'Esprit rend temoignage (Zeugnis) ä l'Esprit"; ce temoignage est la nature propre et Interieure de l'Esprit. 11 faut maintenant eclaircir la difference entre religion revelee et religion manifeste, que Hegel utilise depuis la Phenomenologie. Une note de 1831 est le texte le plus clair ä ce sujet: „La religion revelee est la religion manifeste parce qu'en eile Dieu est devenu tout ä fait manifeste. Tout est ici mesure ä Laune du concept; il n'y a plus rien de secret en Dieu." (III. 92, note 751) II y a donc plus dans „religion manifeste" que dans „religion revelee", car cette derniere peut designer la religion oü la revelation a eu lieu sans pour autant etre totale. La revelation n'est pas une autorite exterieure ä l'individu; eile n'est pas non plus un devoUement partiel. Elle est manifestation pleine et entiere. De sorte que la religion revelee devient religion par excellence, revelation du concept de religion. La revelation ne s'oppose nullement ä la raison; eile s'oppose au secret. Toute l'opposition que fait LUTHER entre le Dieu revele et le Dieu cache apparait ä la fois sacrilege et anthropocentrique ä Hegel. Pour LUTHER, c'est la majeste de Dieu qui nous est cachee en ce
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qu'elle nous depasse; bien plus, dans Tinfirmite de la passion du Christ, l'oeuvre de la majeste divine se cache „comme la divinite sous rhumanite"d Hegel critique, chaque fois qu'il le peut, cette idee du secret. II n'y a de secret que pour les sens et pour 1'entendement, dit-il ä propos de la Trinite. Le mot grec de mystere ne designe nullement le secret, mais le rationnel veritable, le speculatif par excellence, l'acme de la raison qui se moque des raisons et raisonnements de l'intellect.s Assez sarcastique, Hegel raille ceux qui parlent de mystere ou de sens cache pour masquer leur propre paresse qui les a empeches de s'elever ä la raison en faisant l'effort de comprendre. La notion de la revelation implique pour Hegel une notion de l'incarnation bien differente de celle de LUTHER et un depassement de l'histoire qu'il faut analyser rapidement. Dans la Phenomenologie l'incarnation est presentee sous trois aspects complementaires. Elle est d'abord un evenement: „Dieu devient immediat comme Soi". C'est le fait que le Christ est Dieu „comme etre humain singulier et reel, donne ä l'intuition sensible" {Phen. ed. HOFFMEISTER. 527—528). En second lieu, le sens de l'incarnation est la revelation de l'essence divine: nature humaine et nature divine ne font qu'un. Autrement dit la personne du Christ est en soi revelation de l'essence divine (Phen. 528—529). Enfin ce que sait la religion manifeste, le savoir qu'elle nous livre, c'est Dieu comme pure essence, c'est-ä-dire comme etre, c'est-ä-dire encore comme Dasein, comme existence. L'identite absolue de l'etre et de la pensee nous est ici donnee, comme savoir speculatif pur. Or le troisieme aspect de cette incarnation divine est de nous englober dans la joie de nous trouver nous-memes dans l'essence absolue, de nous voir nous-memes dans l'essence absolue. C'est cette idee de la croix de lumiere qui permet de comprendre que la montee au Golgotha puisse etre immediatement telescopee avec le tröne de gloire, dans les dernieres lignes du texte de la Phenomenologie. Le depassement de l'histoire est le propre du savoir speculatif et la source de la joie. Le manuscrit de Hegel nous dit que la religion chretienne est religion de la revHation, religion de la verite et religion de la reconciliation. Ce triple sens est absolu et non historique. La religion chretienne n'est pas historique, ä la difference des autres religions. Hegel ecrit; „En eile est manifeste ce que Dieu est, qu'il est connu comme il est, non pas historiquement ou d'une quelque autre fagon Werke. III. 548. Cf. Jean-Louis Chretien: Lueur du secret. Paris 1985. 193—203. 5 Philosophie der Religion. Ed. Lassen. T. 4: Die absolute Religion. 77.
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comme dans les autres religions." (V. 2, ligne 41) Et le cours de 1824 revient sur la question du sens de la revelation: „Dieu ne cree pas le monde une fois pour toutes, il est Teternel createur, il est cet acte de se reveler eternellement. Il est ceci, cet Actus." (V. 105) Comprenons bien qu'il ne s'agit nuUement de nier l'existence historique du Christ. Le cours de 1827 dit; „Ce n'est que lorsque le temps fut venu que l'Esprit est devenu manifeste. Car le mouvement de l'Esprit tombe dans l'existence, donc dans le temps." (III. 59, ligne 764). Mais ä partir de lä, la revelation n'est pas achevee en un temps donne, le Christ etant present ä tous les instants du temps.
La conception scHELLiNcienne de la religion revelee et du Christ est sensiblement differente de celle de Hegel. Cependant, eile s'oppose de la meme fagon ä la notion de religion elaboree par le FICHTE KANxien rationaliste de la Versuch einer Kritik aller Offenbarung de 1792 et chez KANT dans la Religion dans les limites de la simple raison de 1793. En effet, nous dit ScHELLiNG dans sa 3e legon^, pour KANT Dieu ne peut etre maitre et Seigneur de l'existence, comme le pose toute religion. SCHELLING souligne la contradiction entre une theologie naturelle, c'est-ä-dire fondee sur la seule raison, et la religion revelee oü Dieu se revele, c'est-ä-dire agit, existe. DESCARTES avait le merite de chercher ä prouver l'existence de Dieu, ä partir de laquelle on pouvait passer ä l'idee d'un Dieu qui se revele. Mais si Dieu n'est plus que la plus haute idee de la Raison, alors aucune revelation ne peut plus etre pensee. La reflexion de SCHELLING sur la revelation se trouve surtout consignee dans la legon 9 et dans la legon 24 des cours de Philosophie de la Revelation. Cette reflexion pose la religion revelee comme personnelle; la revelation n'est jamais immediate, car eile presuppose le processus mythologique; eile n'est jamais necessaire car eile reste un acte libre que la philosophie doit reflechir a posteriori. Elle se produit dans l'histoire et dans l'existence. La theorie scHELLiNGienne de la revelation est tributaire d'une conceptualisation prealable du processus mythologique et d'une dramaturgie trinitaire interpretee en termes de puissance. La revelation ne saurait etre immediate car eile met en evidence le sujet reel qui courait ^ Philosophie der Offenbarung. Ausgabe 1858 (K. F. A. Schelling). Tomes 3 et 4. Cf. t. 3. 46. Voir aussi la traduction italienne de Adriano Bausola: Filosofia della rivelazione. 2 volumes. Bologna.
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dans les formes mythologiques, en quelque Sorte masque par les grandes figures mythiques comme par autant de predicats qu'il lui faut maintenant recapituler. SCHELLING definit ainsi la revelation: eile „est le processus par lequel Thumanite se libere de la religion aveugle, non libre, par lequel du meme coup la religion libre, spirituelle, — la religion de la connaissance et de rintelligence libre — est mediatisee et rendue possible. Une doctrine philosophique de la religion qui voudrait exclure ou ne reconnaitrait pas ce lien originaire et la liberation de ce lien, serait totalement privee de consistance et anhistorique." (III. 194) Avec la revelation nous entrons dans le domaine de la liberte et de la creation ä la fois. Ou c'est le monde du surnaturel par Opposition au monde naturel. La mythologie peut etre dite religion naturelle; la revelation correspond ä la religion surnaturelle. On aurait donc completement tort d'identifier totalement raison et revelation. La 9e legon dit que le principe general de la religion n'est pas la raison, mais est un principe reel, qui dans la mythologie pour un rapport naturel ä Dieu, alors que dans la revelation il pose un rapport personnel ä Dieu. 11 ne peut y avoir de revelation immediate, car eile presuppose le rapport naturel, pour l'elever au niveau personnel. Ceci sera redouble du fait que le contenu de la revelation n'est rien d'autre en fait que la personne du Christ ev gOQcpfj 0EOÜ, dans la forme de Dieu. La liberte de la revelation est si fortement soulignee par SCHELLING qu'on peut penser qu'il a voulu par lä s'opposer ä Hegel. Suivons le texte de la 24e legon qui fait introduction ä la philosophie speciale de la revelation, autrement dit la philosophie du christianisme. Si dans la mythologie il y a une evolution exterieure necessaire, en revanche, avec la revelation nous avons affaire ä une histoire interieure libre. Chaque mot merite ici d'etre pese: il s'agit de l'histoire de l'äme en tant qu'histoire de la liberte. Le destin de l'äme est en effet de se poser et de se posseder comme esprit. Il y a histoire interieure libre pour autant qu'il y a, de plus, evenement de la revelation qui nous renvoie ä la decision libre de creer en Dieu. Le presuppose majeur de la revelation est un createur libre, et une creature capable de douter de l'oeuvre du createur (IV. 8, 9). La liberte incluse dans la revelation implique l'histoire. A cet egard, il faut distinguer le but de la revelation — qui peut bien etre une regeneration totale, une apocatastase, un second processus de creation — et „la revelation elle-meme qui n'est pas un processus necessaire, mais un objet de la volonte la plus droite et la plus libre" (IV. 11). La revelation est source d'emerveillement pour l'homme, et par
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lä-meme objet de la philosophie, dans la mesure oü, comme PLATON le notait dejä, le philosophe est celui qui s'emerveille (SCHELLING eite le Theetete. 155 D). Le reproche d'irrationalite adresse ä la revelation va donc tomber, de meme que le fideisme pur et simple doit etre ecarte. „Tout ce que Thomme a ä faire, ecrit SCHELLING, est d'elargir la petitesse et l'etroitesse de ses pensees ä la grandeur de celles de Dieu." (IV. 12) Et il se refere ä HAMANN, dont l'influence est manifeste dans les pages sur la revelation: Dieu ne se soucie pas d'etre rationnel ou irrationnel au sens des hommes. Ce qu'on considere comme la folie de Dieu est la plus haute cime du savoir, ä savoir la faiblesse de Dieu, rö doGeveg roü 6eoü. Cette faiblesse est faiblesse pour les hommes. C'est le risque d'une Inversion totale, „le moment oü Dieu repose dans la production de l'homme". L'oeuvre de Dieu a pour destin, ä ce moment, d'etre placee dans la liberte d'une creature. Cette faiblesse (IV. 26) consiste en fait pour Dieu, apres avoir montre la puissance de son esprit dans la creatifen, ä montrer la grandeur de son coeur dans la redemption. Et ced va se manifester plus fortement encore quand SCHELLING reflechit sur l'idee fondatrice du christianisme: le Christ, dit-il, est Seigneur de l'Etre. Or „cette gloire seigneuriale [Herrlichkeit], qu'il pouvait avoir independamment du pere, le fils l'a dedaignee, et c'est en ced qu'il est Christ." Le Christ mediateur s'expulse lui-meme de la gloire du Seigneur et de la majeste divine. La est le sens de 1' ev popepfj 0£oü: etre Dieu ä l'ecart du Pere, dans la condition creaturelle. La divinite ici n'est Seigneur que selon la forme, eile peut etre Dieu actu, en acte; nous avons ä la penser comme personnalite mediatrice, avant qu'elle apparaisse comme Christ. Ce processus libre est pense ä la fois comme genese de Dieu et de l'homme. „Dieu n'est devenu vraiment personnel pour l'homme que dans la revelation", ecrit SCHELLING (IV. 26) et ced peut etre compris aussi bien a parte Dei qu'a parte hominis. Cet element de revelation est dejä chez Moise lorsqu'il dit que Dieu lui a parle non par des visions ni par des songes, mais face ä face. Ce que SCHELLING nomme historique renvoie ä ce face ä face qu'est l'ecoute d'une parole, comme HAMANN l'avait fortement souligne. Le sens de l'historique s'eclaire beaucoup lorsque SCHELLING, dans la 25e lepon, ecrit du Christ: „Celui qui ne sait rien d'une histoire supra-historique (über-geschichtliche Geschichte) n'a pas d'espace pour pouvoir y placer une personnalite comme celle du Christ." Et toute sa Philosophie de la revelation sera une meditation christologique tres riche, car „Le contenu propre du christianisme est tout entier seulement la personne du Christ." (IV. 35)
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Une Philosophie de la religion repond ä la question: Comment la Philosophie peut-elle se laisser interpeler par la Revelation? Elle ne le peut que si eile renonce ä tont principe d'autorite et ä la tradition comme principe de base. Tradition signifie ä la fois objectivation (conservation d'un depot comme ä la banque) et absence de critique. La est la difference fondamentale entre cette philosophie de la revelation, ä partir de la Philosophie de la religion, et tonte theologie. On remarquera que ni Hegel ni SCHELLING ne croient vraiment necessaire de connaitre la tradition patristique, mais traitent directement du contenu du christianisme. La Tradition est rejetee en tant que ce qui donne sens, car le sens est supra-historique, immemorial chez SCHELLING, absolu chez Hegel; mais eile est tout ä fait acceptee en tant que realite historique travaillee par l'Absolu. La revelation est manifestation de Dieu, dans la creation et la redemption chez SCHELLING, dans la religion pour Hegel, „oü l'Esprit donne temoignage ä TEsprit". On pourrait penser que SCHELLING nous donne une philosophie existentielle de la revelation alors que Hegel nous en donne une theorie speculative. Cette Schematisation generale n'est pas acceptable. Hegel est tres attache ä la dimension Interieure de la religion: le rite n'a son sens que par l'interiorite. Quant ä SCHELLING, il developpe tres librement une Christologie gnostique, oü le savoir philosophique est ce qui donne le salut; c'est donc une philosophie de la religion qui se substitue en quelque sorte ä la religion. La difficulte de ces reflexions hegeliennes et scHELLiNCiennes tient ä ce que Teffectuation n'est pas ä la hauteur du projet. En particulier, il appartient aux chercheurs actuels, d'enrichir la reflexion philosophique sur la religion dans deux directions que ni Hegel ni SCHELLING n'ont assez creusees: celle du texte sacre et celle de l'interiorite religieuse. Cette interiorite est la notion-cle d'une theorie actuelle de l'äme, dont depend une bonne comprehension de l'experience religieuse et de la revelation. Ame et revelation sont liees dans la mesure oü il faut une äme pour qu'une revelation puisse se produire. Et ceci designe en meme temps les deux pans, les deux mouvements d'une philosophie de la religion: d'abord l'etude experimentale des figures de l'äme jusqu'au point oü celle-ci peut etre touchee par la foi dans l'instant fondateur (qui ne depend de nulle raison) ä partir duquel l'äme devient Tange de moi-meme dans la lumiere de la resurrection ä venir. Tel pourrait etre le Programme d'une philosophie de la religion qui ne renonce pas ä se situer au regard de feu de l'Absolu.
GÜNTER FIGAL (HEIDELBERG)
DIE DOPPELTE HAUSHALTUNG Religionsphilosophie im Anschluß an HegeR
Für Hans-Georg Gadamer Die Religion ist nicht gerade eines der bevorzugten Themen gegenwärtiger Philosophie. Wer sich darauf einläßt, über Probleme der Religionsphilosophie nachzudenken, ist deshalb vielleicht auch mit der Erwartung konfrontiert, er werde einen Beitrag zur systematischen Rekonstruktion oder zur historischen Einordnung einer vergangenen philosophischen Theorie leisten. Die alt und müde gewordene Eule der Minerva begänne dann ihren Flug nicht bereits, wenn die bunten und frischen Farben des Lebens zum Grau in Grau der Philosophie werden, sondern erst, nachdem auch das Grau in Grau der Philosophie schon eine zeitbedingte, erheblich blässere Tönung angenommen hat. Das Interesse an vergangenen philosophischen Theorien kann jedoch auch darum wach werden, weil es ein Interesse an Fragen und Problemen ist, bei deren Ausarbeitung man mit den neueren Lösungsversuchen allein nicht weiterkommt. Zeigen sich neuere Konzeptionen als ungeeignet oder nur bedingt geeignet, die aus der Tradition überkommenen Probleme zu lösen oder zu überwinden, so sieht man sich erneut auf traditionelle Theorien verwiesen. Was die Religionsphilosophie angeht, so kann man sogar sagen, daß der Versuch, die überkommenen Probleme nun endlich zu lösen oder loszuwerden, diese Probleme noch schärfer hat heraustreten lassen. Religionsphilosophie steht nämlich zwar nicht erst in neuerer Zeit, aber in neuerer Zeit doch besonders gut sichtbar in einer doppelten Gefahr: Entweder hat sie die Tendenz, ihren Gegenstand dadurch zum Verschwinden zu bringen, daß sie ihn bei der Bestimmung auf ein anderes und nicht religiöses Phänomen zurückführt; oder aber der Respekt vor ihrem Gegenstand wird in der Religionsphilosophie so weit getrieben, daß man am Ende zugestehen muß, über diesen Gegenstand ließe sich ei1 Der vorliegende Text ist die erweiterte und überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 1988 gehaltenen Heidelberger Antrittsvorlesung. Hans Friedrich Fulda hat die frühere Fassung mit mir ausführlich diskutiert und mir durch etliche Anmerkungen und Hinweise geholfen. Dafür sei ihm herzlich gedankt.
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gentlich nur reden, wenn man aus der eigenen Lebensführung mit ihm bereits vertraut ist, das heißt genauer: derart mit ihm vertraut ist, daß man sich selbst als religiös versteht. Beide Alternativen sind in der analytischen Philosophie besonders deutlich hervorgetreten. Sie sind hier mit der Frage nach der Bedeutung religiöser Sätze exponiert worden und unterscheiden sich darin, wie sie diese Frage beantworten: Während die, sagen wir: „reduktionistische" Version der Religionsphilosophie etwa zu dem Ergebnis kommen kann, religiöse Sätze seien, obwohl sie manchmal wie Aussagen aussehen, in Wahrheit nur Ausdruck eines Gefühls, beispielsweise des Gefühls von Hilfsbedürftigkeit, beschränkt sich die, sagen wir: „vorsichtige" Version darauf, die lebenspraktische Bedeutung solcher Sätze zu betonen und erhebt letztlich nicht den Anspruch, klären zu können, was sie bedeuten.2 Bei einer noch genaueren Betrachtung erscheint die doppelte Gefahr der Religionsphilosophie allerdings als ein Dilemma der Religion selbst. Die Sätze, in denen der religiöse Glaube sich artikuliert, stehen im Kontext anderer, nichtreligiöser Sätze, und im religiösen Sprechen kommt eine Reihe von Sätzen vor, die nicht spezifisch religiös sind. Allein deshalb ist die Frage nach dem Verhältnis beider Satztypen nur schwer abweisbar, und insofern verhalten sich die beiden skizzierten Varianten sprachanalytischer Religionsphilosophie zu ihrem Gegenstand nicht von vorn herein unangemessen. Stellt man nun die Frage nach dem Verhältnis religiöser und nichtreligiöser Sätze, so hat man freilich bereits akzeptiert, daß religiöse Sätze sich nicht genau so verstehen lassen wie Sätze, die vom Standpunkt der Religion aus „profan" genannt werden können. Akzeptiert wird dies nicht nur von der vorsichtigen, sondern auch von der reduktionistischen Variante der neueren Religionsphilosophie. Sagt man etwa, Sätze, in denen vom Vertrauen auf Gott die Rede ist, seien in Wahrheit Ausdruck von Hilfsbedürftigkeit, so muß man in einer genaueren Analyse hinzufügen, daß jemand, der religiöse Sätze verwendet und ernst meint, ihre wahre Bedeutung nicht durchschaut. Einer philosophischen Aufklärung — und die reduktionistische Religionsphilosophie ist im Grunde der Versuch einer solchen Aufklärung — käme es dann zu, ^ Die reduktionistische Variante der sprachanalytischen Religionsphilosophie ist wohl am entschiedensten von Ayer vertreten worden. Vgl. A. J. Ayer: Language, Truth and Logic. London 1936. Die vorsichtige Variante wurde von L. Wittgenstein initiiert und ist in den angelsächsischen Ländern als „Wittgensteinian Fideism" bekannt. Vgl. L. Wittgenstein: Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psyehologie und Religion. Göttingen 1971. Außerdem: I. U. Dalferth: Sprachlogik des Glaubens. München 1974. (Beiträge zur evangelischen Theologie. Theologische Abhandlungen. Begründet von E. Wolf, hrsg. v. E. Jüngel u. R. Smend. Bd66.) 48— 52, sowie die dort gegebenen bibliographischen Hinweise.
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diese wahre Bedeutung aufzudecken und Personen, die religiöse Sätze verwenden, nahezulegen, sie sollten sich doch etwas weniger mißverständlich artikulieren. Erst recht wird die grundsätzliche Unterscheidung zwischen religiösen und nichtreligiösen Sätzen von der vorsichtigen Variante der Religionsphilosophie akzeptiert. Von ihr wird allerdings kein Aufklärungsanspruch erhoben; sie läßt die religiöse Sprache, wie sie ist, und verwickelt niemanden in einen Disput, der es für richtig hält, sich in dieser Sprache zu artikulieren. Die reduktionistische Variante der Religionsphilosophie ist also vor allem eine Antwort auf die Gebundenheit religiöser Sätze an profane Kontexte; die vorsichtige Variante reagiert darauf, daß die religiöse Rede sich trotz dieser Gebundenheit von profaner Rede unferscheidet. Die durch die religiöse Rede selbst nahegelegte Vorentscheidung beider Varianten von Religionsphilosophie ist jedoch nicht unproblematisch. Zwar gibt es unbestreitbar Sätze, die sich auf den ersten Blick als religiös zu erkennen geben. Aber zumindest einige dieser Sätze können in vollkommen profanen Kontexfen verwendef werden, dann etwa, wenn jemand „Gott sei Dank" sagt, ohne damit Gott wirklich danken zu wollen. Andererseits wird die zunächst so plausibel erscheinende Unterscheidung zwischen religiösen und nichtreligiösen Sätzen auch problematisch, wenn man Sätze betrachtet, die in religiösen Kontexten Vorkommen, ohne daß sie spezifisch religiöse Ausdrücke wie eben „Gott" oder „Sünde" oder dergleichen enthalten. Soll man wirklich sagen, solche Sätze seien nicht religiös? Ob Sätze religiös sind oder nicht, kann man demnach wohl kaum entscheiden, indem man sich ausschließlich an ihrem Vokabular orienhert. Um dies zu entscheiden, muß man wohl vielmehr fragen, wie Sätze jeweils gemeint sind; nur wenn Sätze einen religiösen Sinn haben, lassen sie sich dann selbst auch „religiös" nennen. An der Frage nach dem Sinn religiöser Sätze scheiden sich denn auch endgültig die Geister der reduktionistischen und der vorsichtigen Religionsphilosophen. Während ein Reduktionist bestreiten würde, daß es einen religiösen Sinn von Sätzen überhaupt gibt, würde ein Vertreter der vorsichügen Religionsphilosophie darauf hinweisen, der Sinn religiöser Sätze sei ihre Verwendung in einer religiösen „Lebensform"^, die man letztlich nur kennt, wenn man an ihr teilnimmt. Dann aber stellt sich für jemanden, der nicht an einer religiösen Lebensform teilnimmt, die irritierende Frage; Wie ist es eigentlich, ein religiöser Mensch zu sein? Be3 L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. 19. In: Schriften. Bd 1. Frankfurt/M. 1969. 296.
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antwortbar ist diese Frage anscheinend so wenig wie die Frage nach den von den unseren radikal unterschiedenen Wahrnehmungsweisen einer Fledermaus.'* Sucht man nun angesichts dieser Schwierigkeiten eine Lösung, scheint man gezwungen zu sein, sich weniger aufklärerisch zu gebärden als die Reduktionisten und weniger vorsichtig als ihre religionsphilosophischen Gegner. Allein mit dem Plädoyer für einen Mittelweg zwischen den beiden Posihonen ist freilich wenig getan; denn zunächst ist noch völlig unausgemacht, ob es einen solchen Mittelweg überhaupt gibt, und wenn ja, wie er aussehen soll. Fraglich ist anders gesagt, ob eine Lösung der genannten Schwierigkeiten möglich ist, wenn man sich weiterhin an den Positionen der reduktionistischen und der vorsichhgen Religionsphilosophen orientiert, indem man sich von ihnen den Rahmen für eine philosophische Erörterung der Religion vorgeben läßt. Beide Positionen sind ja schließlich in eigentümlicher Weise auch insofern durch eine Vorentscheidung charakterisiert, als beide voraussetzen, wie sich der Sinn von Sätzen begreifen läßt. Während die Reduktionisten nur solche Sätze für sinnvoll halten wollen, die, was das auch immer im einzelnen heißt, Beschreibungen der Welt sind, halten die Vorsichtigen alle Sätze für sinnvoll, die in einem akzeptierten und irgendwie kohärenten Zusammenhang, einem „Sprachspiel", verwendet werden. Bei der Debatte über die philosophischen Grundlagen beider Positionen gibt es inzwischen sicherlich eine Reihe von guten Argumenten gegen die Reduktionisten. ^ Andererseits bleibt doch auch die Position der Vorsichtigen unter den Sprachanalytikern eigentümlich unbefriedigend. Schließlich möchte man genauer wissen, was es heißt, Sätze in einem kohärenten Zusammenhang zu verwenden, und für eine Antwort auf diese Frage ist es nicht ausreichend, sich allein an den Sätzen zu orientieren. Sätze steVgl. T. Nagel: What is it like to he a bat? In; Mortal Questions. Cambridge 1979. 165—180. Deutsch in: Analytische Philosophie des Geistes. Hrsg, von P. Bieri. Königstein/Ts. 1981. (Philosophie. Analyse und Grundlegung. Bd6.) 261—275. ^ Hat man nämlich gute Gründe zu bestreiten, daß die Analyse sprachlicher Bedeutungen zu Ergebnissen hinsichtlich unseres Wissens von der Welt führt, wie sie wirklich ist, so läßt sich auch die reduktionistische Unterscheidung von sinnlosen, weil nicht beschreibenden, und sinnvollen, weil beschreibenden Sätzen nicht mehr halten. Weil die reduktionistische Religionsphilosophie auf den Fundamenfen des Empirismus errichtet ist, kann man sie nur überzeugend vertreten, solange diese Fundamente stabil sind. Vgl. dazu: D. Davidson: On the very Idea of a Conceptual Scheme. In: Inquiries into Truth and Interpretation. Oxford 1984. 183—198. Deutsch in: Analytische Philosophie der Erkenntnis. Hrsg, von P. Bieri. Frankfurt/M. 1987. (Philosophie. Analyse und Grundlegung. Bd 13.) 390—405. Außerdem: R. Rorty: Philosophy and the Mirror of Nature. Princeton New Jersey 1979. Vor allem 257 ff. Deufsch: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt/M. 1981. Vor allem 283 ff.
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hen ja nicht nur im Kontext anderer Sätze, sodaß sie in ihrem Verhältnis zueinander mit grammatischen Regeln oder, sofern sie sprachliche Handlungen sind, mit Handlungsregeln hinreichend beschrieben werden könnten. Zum Kontext von Sätzen gehört es auch, daß Personen in verschiedener Weise auf sie reagieren, und diese Reaktionen wiederum lassen manchmal deutlich werden, wie sehr Personen in ihrem Selbstverständnis durch die Äußerung von bestimmten Sätzen betroffen sind. Das ist unter anderem dann so, wenn Personen solche Sätze für die Artikulation ihres Selbstverständnisses in Anspruch nehmen. Versteht man mit WITTGENSTEIN das Sprachspiel, in dem Sätze ihren Stellenwert haben, als eine Lebensform, so hat man zu berücksichtigen, daß Personen, die ein Sprachspiel vollziehen, diesem gegenüber — zumindest manchmal — nicht gleichgültig sind, sondern die Form ihres Lebens und damit ihr Leben selbst für richtig halten. Will man dem bei der philosophischen Beschäftigung mit ihren Äußerungen Rechnung tragen, so wird man sich also nicht mehr auf eine bloße Beschreibung ihres Sprachgebrauchs beschränken dürfen; vielmehr ist man auf die Frage nach der Form eines Bewußtseins verwiesen, das sich in Sätzen artikuliert, ohne doch mit seinen Artikulationen einfach identisch zu sein. Mit der Frage nach einer solchen Form des Bewußtseins wird die Beschreibung des jeweiligen Sprachgebrauchs nicht obsolet; die Beschreibung des jeweiligen Sprachgebrauchs wird lediglich in einer Weise ergänzt, die für das Verständnis von Sätzen fruchtbar ist und es zugleich erst möglich macht, ein bestimmtes Sprachspiel als Lebensform ernst zu nehmen. Was das im einzelnen und speziell im Hinblick auf die Religion heißt, kann man sich an einem einfachen Beispiel klarmachen: Wenn die unbedachte Äußerung eines Satzes wie „Gott sei Dank" von einem religiösen Menschen als anstößig oder gar als gotteslästerlich empfunden wird, so ist dies nicht bloß eine für den Sinn des Satzes unbeträchtliche Stellungnahme; im Gegenteil, durch diese Stellungnahme zeigt sich, daß der Satz einen religiösen Sinn hat und mehr ist als das Relikt einer einstmals lebendigen Tradition. Nur wenn man sich an der Form eines religiösen Bewußtseins orientiert, hat man demnach auch die Möglichkeit zu sagen, wann Sätze einen religiösen Sinn haben und wann nicht: sie haben einen religiösen Sinn immer dann, wenn sie Artikulationen eines religiösen Bewußtseins sind oder — wie im Fall der Gotteslästerung — als solche eigens reklamiert werden, sobald sie nicht als Artikulationen eines religiösen Bewußtseins gemeint sind. Hat es nun aber auch eine Religionsphilosophie, die mit der Analyse religiöser Sätze ansetzt, mit dem religiösen Bewußtsein zu tun, so darf sich die Religionsphilosophie einem Dialog
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mit dem religiösen Bewußtsein nicht entziehen: würde sie das religiöse Bewußtsein sich selbst überlassen, so trüge sie nicht nur nichts dazu bei, das religiöse Bewußtsein dem profanen Denken verständlicher zu machen; sie gäbe sich als Religionsphilosophie im Grunde auf, weil sie jeden philosophischen Anspruch gegenüber der Religion zurücknähme.^ Möglich ist der Dialog zwischen der Philosophie und dem religiösen Bewußtsein freilich nicht bereits dann, wenn die Religionsphilosophie sich auf das religiöse Bewußtsein einläßt; außerdem muß das religiöse Bewußtsein auch seinerseits die Fähigkeit zum Dialog haben. Darauf nun, daß es diese Fähigkeit hat, deutet allein schon der Umstand hin, daß sich das religiöse Bewußtsein in Sätzen artikulieren kann, die nicht ausschließlich religiös verwendet werden, und seine Artikulationen immer im Kontext von nichtreligiösen Artikulahonen stehen. Da dies so ist, kann man annehmen, das religiöse Bewußtsein habe darin seine Fähigkeit zum Dialog mit der Philosophie, daß es in sich nicht ausschließlich religiös beshmmt ist. Diesen Doppelcharakter des religiösen Bewußtseins hat Hegel in der Phänomenologie des Geistes anschaulich beschrieben. „Das glaubende Bewußtseyn", so heißt es hier, „führt doppeltes Maaß und Gewicht, es hat zweierlei Augen, zweierlei Ohren, zweierlei Zunge und Sprache, es hat alle Vorstellungen verdoppelt, ohne diese Doppelsinnigkeit zu vergleichen. Oder der Glauben lebt in zweierlei Wahrnehmungen, der einen, der Wahrnehmung des schlafenden, rein in begrifflosen Gedanken, der andern des wachen, rein in der sinnlichen Wirklichkeit lebenden Bewußtseyns, und in jeder führt er seine eigne Haushaltung" {Werke, Bd 2.432).^ Diese doppelte Haushaltung konstatiert also Hegels Religionsphilosophie. Sie stellt sich jedoch vor allem die Aufgabe, die Ökonomie der doppelten Haushaltung zu verstehen, um sich so auf das religiöse Bewußtsein einlassen zu können.
6 Dies ist die Konsequenz der „vorsichtigen" Position Wittgensteins. Wittgenstein würde zwar wohl nicht leugnen, daß es so etwas wie ein religiöses Bewußtsein gibt; aber er würde, und zwar letztlich aus religiösen Gründen, darauf verzichten wollen, das religiöse Bewußtsein zum philosophischen Thema zu machen, weil er davon überzeugt ist, daß die Philosophie dem Inhalt dieses Bewußtseins unangemessen bleibt. In diesem Sinne heißt es bei ihm: „Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie darüber falsch." (Vermischte Bemerkungen. Frankfurt/M. 1977. 159.) Demgegenüber muß die reduktionistische Variante der Religionsphilosophie die Möglichkeit eines religiösen Bewußtseins bestreiten, weil sie, wie gesagt, einen religiösen Sinn von Sätzen nicht akzeptieren will. ^ Hegel wird im folgenden unter Angabe der Band- und Seitenzahl im fortlaufenden Text zitiert nach der Ausgabe: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832—1845.
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Wer nun von Hegel als dem Hermeneuten der doppelten Haushaltung zugleich auch eine Antwort auf die Frage erhofft, wie mit ihr umzugehen sei, ohne daß die Eigentümlichkeit des glaubenden Bewußtseins verloren geht, kann dafür sicherlich gute Gründe geltend machen; ebenso aber hat er, wie eine Beschäftigung mit der Rezeption von Hegels Religionsphilosophie lehrt, Anlaß, vorsichtig zu sein. Einen guten Grund für die genannte Hoffnung führt man zweifellos an, wenn man darauf hinweist, Hegel habe die Religion rechtfertigen und die einseitigen Bestimmungen des Verhältnisses von religiösem und nichtreligiösem Bewußtsein analysieren und überwinden wollen. Hegel hat entschieden der Überzeugung widersprochen, „daß das Bewußtsein Gottes nur aus dem Gefühl quillt" {Werke, Bd 11.51), und sich darum auch dagegen gewandt, „das Erkennen, die Wissenschaft auf die weltliche Seite" {Werke, Bd 11.11) einzuschränken. Anlaß zur Vorsicht ist hingegen der Umstand, daß gerade die Rechtfertigung der Religion bei Hegel immer wieder als problematisch empfunden worden ist. Hegels Rechtfertigung der Religion ist, einem oft zitierten und diskutierten Diktum K. LöWITHS® zufolge, „zweideutig", weil sie die Religion zwar nicht auf andere Phänomene reduziert, aber dafür in der Philosophie zum Verschwinden bringt und so auch in der vorhin an erster Stelle genannten Gefahr der Religionsphilosophie untergeht. Wie diese Zweideutigkeit zu verstehen ist, kann man sich klarer machen, wenn man sich an der zentralen These der Hegelschen Religionsphilosophie orientiert. Religion und Philosophie, so lautet diese These, haben denselben Inhalt, aber ihre Form ist verschieden; indem man die Selbigkeit des Inhalts aufweist, macht man zugleich auch die Beschränktheit des religiösen Bewußtseins in seiner Form deutlich, und damit wiederum hat man die Ghance, die Sache der Religion zu vertreten, ohne sich in die Aporien des religiösen Bewußtseins zu verwickeln. Ob es sich bei der so vertretenen Sache noch um die Sache der Religion handelt, ist allerdings gerade strittig, und wenn dieser Streit einen Anhaltspunkt in der Religionsphilosophie Hegels hat, so ist auch die Behauptung ihrer Zweideutigkeit gerechtfertigt. Um Hegels Anspruch einer Rechtfertigung der Religion eindeutig und überzeugend vertreten zu können, mag man sich genötigt sehen, seine These über die Selbigkeit des Inhalts und die Verschiedenheit der Form * K. Löwith: Hegels Aufhebung der christlichen Religion. In: Sämtliche Schriften. Bd 5. Stuttgart 1988. 116—166. (Erstveröffentlichung in: Einsichten. Gerhard Krüger zum 60. Geburtstag. Hrsg. V. K. Oehler und R. Schaeffler. Frankfurt/M 1962, 156—203.) Auch in: K. Löwith: Vorträge und Abhandlungen. Zur Kritik der christlichen Überlieferung. Stuttgart 1966. 54—96.
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von Religion und Philosophie zu modifizieren. Verzichtet man auf die Behauptung der Selbigkeit des Inhalts, so ist freilich nicht mehr zu begreifen, wie Religion und Philosophie überhaupt aufeinander bezogen sein sollen. Besteht man deshalb auf der Selbigkeit des Inhalts, scheint man jedoch die These von der Verschiedenheit der Form zumindest nivellieren zu müssen; nur dadurch ist, wie man vermuten könnte, das Verhältnis von Religion und Philosophie eindeutig zu bestimmen. In diesem Sinne kann man zu bedenken geben, die Rechtfertigung der Religion durch die Philosophie sei nur für ein Bewußtsein nachvollziehbar, das sich von der für die Religion charakteristischen Form befreit und zum Denken erhebt; andernfalls fielen wie die Formen des Bewußtseins auch der religiöse und der philosophische Inhalt auseinander. Von einem selbigen Inhalt kann dann aber nur für eine Bewußtseinsform, nämlich die der Philosophie, die Rede sein. Diese von F. WAGNER^ vorgeschlagene Interpretation führt zu dem Ergebnis, daß die Religion letztlich nur durch ihre Aufhebung in die Philosophie gerechtfertigt sein kann und man darum das in der philosophischen Aufhebung „erreichte ,Ende' der auf sich gestellten Religion als den Anfang ihrer allgemeingültigen Verwirklichung [zu] begrüßen"io hat. Oder aber man sagt, um die Beziehung der Formen von Religion und Philosophie verständlich zu machen, die Begriffsform der Philosophie sei vom religiösen Bewußtsein von vorn herein nicht wirklich verschieden, sondern nur eine konkretere Ausprägung derselben. Religion und Philosophie haben gemäß dieser von M. THEUNISSEN^I vorgeschlagenen Interpretation darum denselben Inhalt, weil die Philosophie wesentlich religiös ist. Beide Interpretationen sind jedoch gleich unbefriedigend: Während an die erste die Frage zu stellen ist, wieso das durch die Philosophie allgemeingültig Verwirklichte noch „Religion" genannt werden kann, fordert die zweite dazu heraus, das Spezifikum der Philosophie einzuklagen. Denn hätte Hegel sagen wollen, die Begriffsform der Philosophie sei nichts anderes als eine konkrete Ausbildung der Form des religiösen Bewußtseins, hätte er die Entwicklung der Philosophie und die Entwicklung der Religion nicht, wie er es getan hat, systematisch auseinanderhalten müssen. Dem ^ f. Wagner: Religion zwischen Rechtfertigung und Aufhebung. Zum systematischen Ort von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion. In: Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes. Hrsg. v. D. Henrich und R.P. Horstmann. Stuttgart 1984. (Veröffentlichungen der Internationalen Hegel-Vereinigung. Bd 13.) 127-150. 10 Ebd. 149. 11 M. Theunissen: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin 1970. Bes. 301 ff.
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Ansatz von Hegels Religionsphilosophie läßt sich nur gerecht werden und dieser Ansatz läßt sich nur fruchtbar machen, wenn man beide Thesen, die These von der Selbigkeit des Inhalts ebenso wie die These von der Verschiedenheit der Form, ernst nimmt. Nur so ist nämlich eine, wie Hegel sagen würde, „abstrakte" Betrachtung von Form und Inhalt zu vermeiden. Streicht man die These von der Selbigkeit des Inhalts, hat man es in der Tat nur noch mit den verschiedenen, nicht aufeinander beziehbaren Formen zu tun; nivelliert man jedoch, um dies zu verhindern, die Verschiedenheit der Formen, so ergibt sich ein ausschließlich religiöser oder philosophischer oder ununterscheidbar religiös-philosophischer Inhalt. In diesen Fällen ist das Programm einer Rechtfertigung der Religion nicht mehr durchführbar. Wie wenig man Form und Inhalt abgelöst voneinander betrachten kann, wenn man Hegel folgen wUl, zeigt sich bereits an seiner Bestimmung des Inhalts von Religion. Diese Bestimmung setzt nämlich eine These über die Form der Religion voraus, und zwar die These, Religion, verstanden als religiöses Bewußtsein, sei ein Wissen. Hegels These schließt dabei keineswegs die Behauptung ein, Religiosität sei in jedem ihrer Aspekte als Wissen zu verstehen. Aber nur, wenn die Religiosität zumindest auch ein Wissen — und nicht allein ein Gefühl — ist, kann sich die Philosophie sinnvoll auf sie beziehen: Die Beziehung der Philosophie auf ein religiöses Bewußtsein ist die notwendige Bedingung der philosophischen Thematisierung des religiösen Inhalts. Wie diese Beziehung wiederum genauer zu denken ist, ergibt sich aus einer Erläuterung der These von der Selbigkeit des Inhalts. Man würde Hegel mißverstehen, wenn man versuchen wollte, diesen Inhalt zu charakterisieren, indem man von Religion und Philosophie als verschiedenen Formen absieht. Der Inhalt ist außerhalb seiner Formen nicht zu haben, und seine Selbigkeit besteht ebensowenig darin, daß die verschiedenen Formen vollständig aufeinander abbildbar sind. So sagt Hegel, „daß es nicht zweierlei Vernunft und zweierlei Geist geben kann, nicht eine göttliche Vernunft und eine menschliche, nicht einen göttlichen Geist und einen menschlichen, die schlechthin verschieden wären" (Werke, Bd 11.34). Worauf es hier ankommt, ist der Ausdruck „schlechthin". Man kann diesen Ausdruck als Hinweis auf eine partielle AbbUdbarkeit der Formen von Religion und Philosophie aufeinander lesen und nun versuchen, sich klarzumachen, wie eine solche partielle AbbUdbarkeit genauer zu verstehen ist. Dafür bietet sich zunächst das Modell der Interpretation von Texten an. Orientiert man sich an diesem Modell, so ist die Religionsphilosophie als, wie Hegel sagt, „denkende Betrachtung der Religion" {Wer-
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ke, Bd 11.25) Interpretation des religiösen Bewußtseins. Sie ist damit aber Reformulierung der Artikulationen des religiösen Bewußtseins in der Sprache der Philosophie. Wer einen Text interpretiert, wird zumindest unterstellen müssen, daß er vom Selben spricht wie der interpretierte Text; er wird jedoch ebenso, wenn er dem Anspruch einer Interpretation genügen will, nicht einfach dasselbe sagen dürfen, was der Texf ohnehin schon sagt. Die Sprache der Interpretation darf so gesehen nicht dieselbe sein wie die Sprache des interpretierten Textes. Im Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Religion hat man es natürlich nicht nur mit Texten und ihrer Interpretation zu tun. Vielmehr muß man, wie bereits angedeutet, dieses Verhältnis als einen Dialog zwischen dem religiösen Bewußtsein und dem philosophischen Denken verstehen. Zu einem solchen Dialog nun kann es nur kommen, wenn das religiöse Bewußtsein zumindest weitgehend imstande ist, seiner Interpretation durch das philosophische Denken zu folgen und zuzustimmen. Insofern ist es sicher nicht abwegig, den Gedankengang der Religionsphilosophie, wie Hegel ihn entfaltet, auch als „Bildung" des religiösen Bewußtseins zu interpretieren.Soll der Dialog jedoch ein Dialog bleiben und als Interpretation aufgefaßt werden können, darf es keine Einigung von der Art geben, daß das religiöse Bewußtsein sich gleichsam auf die Stufe des philosophischen Denkens erhebt. Es hätte dann dem philosophischen Denken nichts mehr zu sagen, was dieses nicht ohnehin schon weiß. Würde das philosophische Denken sich umgekehrt vollständig vom religiösen Bewußtsein einnehmen lassen, wäre die Philosophie zur Theologie geworden, wenn man unter „Theologie" nicht die Interpretation des religiösen Bewußtseins, sondern seine Artikulation in Begriffen versteht, bei der das religiöse Bewußtsein wesentlich bleibt, was es ist. Religionsphilosophie, die sich von Theologie in diesem Sinne unterscheidet, ist also nur solange praktizierbar, wie das philosophische Denken und das religiöse Bewußtsein miteinander im Gespräch sind, ohne sich restlos zu einigen. Die Voraussetzungen des Dialogs zwischen dem religiösen Bewußtsein und dem philosophischen Denken lassen sich noch genauer beschreiben, indem man das Verhältnis religiöser und philosophischer Sprache zueinander charakterisiert. So müssen in der Sprache der Philosophie Ausdrücke Vorkommen, die für das religiöse Bewußtsein nicht nur nicht unverständlich sind, sondern auch in die Sprache des religiösen Bewußtseins übernommen werden können. Und ebenso konstitutiv In diesem Punkt folge ich der Interpretation F. Wagners.
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für einen Dialog ist es, daß das philosophische Denken sich zu seiner Artikulation solcher Ausdrücke bedienen kann, die aus der Sprache des religiösen Bewußtseins stammen. Die wechselseitige Übernahme von Ausdrücken und Redeweisen schließt jedoch nicht ein, daß auch der Kontext dieser Ausdrücke und Redeweisen zur Deckung kommt; die Sprachen des religiösen Bewußtseins und des philosophischen Denkens bleiben als ganze verschieden, und zwar unter anderem deshalb, weil jeweils verschiedene Ausdrücke in diesen Sprachen einen zentralen Stellenwert haben. Es sind verschiedene Ausdrücke, die die beiden Sprachen jeweils organisieren, und daran zeigt sich, daß man es in der Tat mit verschiedenen Bewußtseinsformen zu tun hat: es sind verschiedene Ausdrücke, in denen sich die Philosophie und das religiöse Bewußtsein jeweils wesentlich artikulieren. Wie wenig man sich mit solchen Überlegungen von Hegel entfernt hat, wird deutlich, wenn man die Sprache der Philosophie im Sinne Hegels auf ihre zentralen Ausdrücke hin untersucht. Diese Ausdrücke sind insofern selbstreferenziell als sie die Tätigkeit bezeichnen, die sich zugleich in ihnen artikuliert, nämlich das Denken und Begreifen. Philosophieren ist so gesehen in erster Linie Denken des Denkens, wie Hegel besonders deutlich am Ende der Enzyklopädie mit dem unkommentierten Zitat aus dem zwölften Buch der AmsTOTELischen Metaphysik zu verstehen gibt. Allein schon aus Hegels ARiSTOTELES-Interpretation in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie läßt sich freilich entnehmen, daß Hegel den ARiSTOTELischen Gedankengang nicht einfach übernimmt, Während nämlich für ARISTOTELES das Denken die Präsenz seiner selbst am Gedachten hat, das in sich nicht als Vollzug charakterisiert ist, wird dem Denken für Hegel gerade sein eigener Vollzugscharakter präsent, jedoch so, daß dieser nicht als das von einem Subjekt Hervorgebrachte erscheint. Vielmehr findet sich das Denken immer schon als den Vollzug vor, der es ist. So zumindest kann man Hegels Formulierung interpretieren, derzufolge das Denken „absolute Form" ist, „die sich zum Inhalte bestimmt, identisch mit ihm bleibt" {Werke, Bd 12.453). Aufgrund dieser Identität kommt das Denken nicht dazu, sich gegen das Gedachte als Selbständiges zu behaupten. In seiner Identität ist es des13 Vgl. dazu: H.-G. Gadanier: Hegel und die antike Dialektik. In: Gesammelte Werke. Bd 3. Tübingen 1987. 3—28. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Studien zum Prinzip des Idealismus und der Dialektik. Bonn 1976. (Hegel-Studien. Beiheft 15.) 305 ff. K. Düsing: Hegel und die Geschichte der Philosophie. Ontologie und Dialektik in Antike und Neuzeit. Darmstadt 1983. (Erträge der Forschung. Bd 206.) 124 ff.
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halb für Hegel Selbstbewußtsein, das ohne den Kampf um die Anerkennung eines Anderen, in dem sich das Eine dann findet, vollzogen wird. Freilich ist das Denken allein schon darum auch nicht als Selbstbewußtsein einer Person zu verstehen, sondern eben als Gewißheit des denkerischen Vollzugs in diesem. Weil das philosophische Denken diese Struktur hat, vermag in ihm auch alles in anderen Formen Gewußte, weil es letztlich ein Gedachtes ist, anerkannt zu werden, ja, sofern es überhaupt als ein Gedachtes präsent wird, ist es bereits anerkannt. Die eigentümliche Form des Denkens läßt sich demnach auf jeden in anderen Formen präsenten Inhalt transponieren, und dadurch werden diese Formen gleichfalls anerkannt. Im Hinblick auf die Religion heißt dies nun, daß in der eigentümlichen Form des philosophischen Denkens der Inhalt der Religion präsent sein kann, und wo dies so ist, hat man es mit dem von Hegel so genannten spekulativen Begriff der Religion zu tun. Es ist jedoch zu beachten, daß man dem Ansatz Hegels nicht gerecht wird, wenn man die Anerkennung des in anderer Form präsenten Inhalts und dieser Form selbst als Vollzug der Selbstreferenz des philosophischen Denkens versteht. Der Inhalt der Religion ist für die Philosophie ja in der Form des religiösen Bewußtseins gegeben, und dieses ist vom philosophischen Denken verschieden. Während man die Hegelsche Ausarbeitung des philosophischen Denkens in seinen einzelnen Bestimmungen, wie sie in der Wissenschaft der Logik vollzogen wird, als Entwicklung dieses Denkens fassen kann, sollte man deshalb immer dann, wenn das Denken einen Inhalt in von ihm verschiedener Form präsent hat, von Darstellung sprechen. In diesem Sinne ist der spekulative Begriff der Religion Darstellung des religiösen Inhalts in der Form philosophischen Denkens. Er gibt damit auch an, wie sich die absolute Form des Denkens als Religion darstellt. Als dieses Darstellungsverhältnis läßt sich verstehen, was mit der gängigen Formel von der Aufhebung der Religion in die Philosophie gesagt ist. Berücksichtigt man nun, daß das Rechtfertigungsprogramm der Religionsphilosophie nur eingelöst werden kann, wenn es auch eine Rechtfertigung der Form des religiösen Bewußtseins einschließt, so ist klar, daß der Zusammenhang von Religion und Philosophie bisher noch nicht vollständig beschrieben wurde. Eine vollständige Beschreibung läßt sich jedoch im Anschluß an die beiden genannten Aspekte, an Inhalt und Form also, gewinnen. Wird der Inhalt des religiösen Bewußtseins in der Form des philosophischen Denkens dargestellt, so ist damit zunächst nur die Verständlichkeit dieses Inhalts für die Philosophie erwiesen. Weil die Darstellung jedoch auch die Darstellung der philosophischen
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Form am Inhalt des religiösen Bewußtseins ist, wird mit ihr auch die Struktur des Bewußtseins deutlich, in dem dieser Inhalt sonst erscheint: indem der religiöse Inhalt in der Form des philosophischen Denkens dargestellt wird, zeigt sich das religiöse Bewußtsein als Selbstbewußtsein und ist in dieser Form anerkannt. Als Selbstbewußtsein muß sich das religiöse Bewußtsein nicht erst zum Denken erheben, um seinem Inhalt genügen zu können. Im Vergleich mit dem philosophischen Denken ist es zwar eine beschränkte Form von Selbstbewußtsein, was sich daran zeigt, daß die Ausdrücke, in denen es sich wesentlich artikuliert, nicht selbstreferenziell sind. Aber daraus folgt nicht, daß es seinem Inhalt unangemessen ist. In seiner Unbeschränktheit kann das philosophische Denken schließlich keinen spezifischen Inhalt für sich reklamieren. Es ist in seiner Struktur zwar ohne Rekurs auf die Sprache der Religion und anderer nichtphilosophischer Sprachen zu entwickeln. Aber seine Funktion besteht darin, die beschränkten Formen des Selbstbewußtseins zu rechtfertigen. Gerade weil das philosophische Denken keinen spezifischen Inhalt hat, bekommt das religiöse Bewußtsein also sein Recht. Hegels Programm, „die Vernunft mit der Religion zu versöhnen" {Werke, Bd 12.355), dürfte sich freilich nicht darin erschöpfen, dem religiösen Bewußtsein dieses Recht einzuräumen. Das Versöhnungsangebot der Philosophie ist erst wirklich überzeugend, wenn sich nicht nur die Philosophie mit der Religion, sondern auch das religiöse Bewußtsein mit der Philosophie versöhnen kann. Will man sich eine Antwort aus der Perspektive des religiösen Bewußtseins auf das Versöhnungsangebot der Philosophie ausdenken, so kann man wohl vermuten, daß aus dieser Perspektive die Aufdeckung des religiösen Bewußtseins als einer Form des Selbstbewußtseins akzeptabel wäre. Demgegenüber kann das religiöse Bewußtsein die Form des philosophischen Denkens nicht übernehmen, ohne sich selbst aufzugeben. Aber das ist schließlich von ihm auch nicht gefordert, wenn es mit der Darstellung seines Inhalts in der Form der Philosophie konfrontiert wird. Ins religiöse Bewußtsein integrierbar ist diese Darstellung nämlich gerade dann, wenn sie nicht mehr als eine Darstellung der Philosophie verstanden, sondern theologisch gedeutet wird. Das ist immer dann der Fall, wenn das religiöse Bewußtsein sich der philosophischen Interpretationen zu seiner Artikulation bedient, ohne daß es doch wesentlich auf diese Form der Artikulahon angewiesen ist: Die aus der Philosophie übernommene Redeweise bleibt von den für das religiöse Bewußtsein eigentümlichen Artikulationen verschieden; aber das religiöse Bewußtsein ist — zumindest unter anderem — auf die
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philosophische Sprache angewiesen, um sich in einer nicht ausschließlich oder sogar nicht wesentlich religiösen Welt verständlich machen zu können. Weil dies so ist, läßt sich einem Satz nicht ohne weiteres ansehen, ob er philosophisch oder theologisch ist. Die Frage ist vielmehr erst zu entscheiden, wenn man berücksichtigt, in welchem Bewußtsein der Satz gesagt wird, und es kann natürlich sein, daß ein Satz, in dem etwa die Identität Gottes und des Absoluten behauptet wird, sowohl theologisch als auch philosophisch, und zwar religionsphilosophisch ist. Wollte man hier eine Unterscheidung kenntlich machen, so könnte man vielleicht den Satz „Das Absolute ist Gott" religionsphilosophisch, den Satz „Gott ist das Absolute" theologisch nennen, insofern dieser auch den für das religiöse Bewußtsein eigentümlichen Glauben an Gott zu verstehen gibt. Die vorgeschlagene Differenzierung zwischen Religionsphilosophie und Theologie läßf sich noch deutlicher machen, wenn man die Form des religiösen Bewußtseins selbst genauer charakterisiert. Sie wird von Hegel unter den beiden Aspekten der „Vorstellung" und der „Andacht" bestimmt. Vorstellung und Andacht machen insofern zusammen das religiöse Bewußtsein aus, als in ihm ein Unbestimmtes im wörtlichen Sinne „angedacht" und unter dem Aspekt der Vorstellung in ein allgemeines Bild gefaßt wird, das aus dem Bereich des sinnlich bestimmten Erkennens vertraut ist. Charakterisiert man diese beiden Aspekte des religiösen Bewußtseins im Hinblick auf seine Sprache, so kann man sagen: das religiöse Bewußtsein artikuliert sich metaphorisch, und zwar so, daß die Metaphern das Unbestimmte in einer nicht weiter zurückführbaren Weise sagbar werden lassen. Man kann die Metaphern des religiösen Bewußtseins deshalb auch „absolut" nennen.Erinnert man sich nun, daß die Religionsphilosophie mit Hegel als Rechtfertigung auch der religiösen Eorm verstanden werden muß, so kann es in ihr nicht darum gehen, die absoluten Metaphern der religiösen Rede auflösen zu wollen, sondern nur darum, sie zu interpretieren. Mit dem Versuch einer Auflösung der Mefaphern würde die Philosophie dem religiösen Bewußtsein unverständlich, weil es als religiöses Bewußtsein konstitutiv an seine Metaphern gebunden ist. Diese Gebundenheit wird in der Interpretation gerade berücksichtigt, und deshalb sind philosophische Interpretationen als theologische Sätze für das religiöse Bewußtsein auch übernehmbar, 1'' Vgl. dazu H. Weinrich: Metapher. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd 5, Hrsg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Darmstadt 1980. 1184. Außerdem: H. Braun, G. Figal u. U. Kortner: Meinen religiöse Sätze, was sie sagen? In: Wort und Dienst. Jahrbuch der Kirchlichen Hochschule Bethel. Neue Folge. 19 (1987), 221-235.
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ohne daß die Philosophie selbst dadurch deckungsgleich mit der Theologie würde. Wenn diese Überlegungen zu treffen, so wird die eigenfümliche Doppelung des religiösen Bewußtseins, von der Hegel in der Phänomenologie des Geistes gesprochen hatte, durch die Religionsphilosophie nicht aufgelöst. Das religiöse Bewußtsein hat auch als ein gerechtfertigtes eine doppelte Haushaltung, nun freilich die seiner sich metaphorisch artikulierenden Form und der Interpretation seiner Metaphern, wobei das religiöse Bewußtsein die Interpretation zu seiner Artikulation in einer nicht ausschließlich religiösen Welt nutzen kann, ohne daß sie dadurch ihre Abhängigkeit vom Kontext einer nichtreligiösen Sprache verlieren würde. Diese doppelte Haushaltung führt nicht zu einem Kampf des religiösen Bewußtseins mit der Aufklärung, also mit dem Anspruch auf eine redukfionistische Theorie der Religion. Die Religionsphilosophie isf von solchen reduktionisfischen Momenten frei, ohne deshalb bereits Theologie zu sein. Versucht man nun, den im Anschluß an Hegels Religionsphilosophie gewonnenen Grundgedanken noch einmal zusammenzufassen, so kann man sagen, daß Religion und Philosophie in einem wechselseitigen Darstellungsverhältnis zueinander stehen. Das philosophische Denken kann sich an den Artikulationen des religiösen Bewußtseins ebenso darstellen, wie das religiöse Bewußtsein an den Artikulationen der Philosophie. Dabei sind beide Darstellungen einerseits dadurch charakterisiert, daß der Inhalt der jeweils eigenen Form als selbig mit dem Inhalt der jeweils anderen eingesehen wird; andererseits aber ist es für beide Darstellungen charakteristisch, daß dabei die von der jeweils eigenen verschiedene Form nicht aufgelöst wird, sodaß die Entdeckung der Selbigkeit des Inhalts eine Darstellung an der von der eigenen verschiedenen Form ist: der selbstreferenzielle Vollzug des philosophischen Denkens erscheint an den Formen des religiösen Bewußtseins, und er kann an diesen erscheinen, weil das religiöse Bewußtsein selbst den Vollzugscharakter des Denkens hat, ohne andererseits doch seine Selbstreferenz zu teilen. So bleibt die Form des religiösen Bewußtseins für das philosophische Denken vom gemeinsamen Inhalf beider verschieden. Auf der anderen Seite erscheint das religiöse Bewußtsein am begreifenden Vollzug des philosophischen Denkens, und es kann an diesem erscheinen, weil es selbst ein Wissen ist, ohne doch den selbstreferenziellen Charakfer des philosophischen Denkens zu haben. Auch so bleibf die Form des religiösen Bewußtseins vom gemeinsamen Inhalt beider verschieden. Hegels Rede vom gemeinsamen Inhalt steht für die Abbildbarkeif von
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Religion und Philosophie aufeinander; seine Rede von der verschiedenen Form für die Partialität dieser Abbildbarkeit. Auffällig an dieser Beschreibung des wechselseitigen Darstellungsverhältnisses von Religion und Philosophie ist nun, daß die für dieses wie überhaupt für jedes Darstellungsverhältnis konstitutive Verschiedenheit in beiden Fällen in der Orientierung am religiösen Bewußtsein ausgedrückt ist. Mit dieser Ausdrucksweise trifft man jedoch, wenn ich recht sehe, die Intention der Hegelschen Religionsphilosophie. Und wenn man ihre Intention derart trifft, dann behält LöWITHS Vermutung, diese Religionsphilosophie sei zweideutig, trotz allem eine gewisse Berechtigung. Ihre Zweideutigkeit besteht dann zwar nicht darin, daß in ihr die Religion in der Philosophie verschwindet, obwohl die Philosophie doch ihrem Anspruch nach eine Rechtfertigung der Religion sein wollte; sehr wohl aber besteht sie darin, daß das religiöse Bewußtsein an einem Maß gemessen wird, das ihm letztlich nicht entspricht: nämlich am Maß eines ohne jede Verschiedenheit charakterisierbaren und in seiner Entwicklung jede Verschiedenheit überwindenden Denkens, das deshalb reines, oder mit Hegels Wort gesagt, „absolutes" Selbstbewußtsein ist. Sofern das philosophische Denken dieses Maß an das religiöse Bewußtsein anlegt, kann es sich, wie Hegel denkt, zugleich an diesem darstellen und ebenso in Anspruch nehmen, die angemessene nichttheologische Bestimmung des religiösen Bewußtseins zu sein. Wenn Hegel seine Religionsphilosophie als „Theologie" bezeichnet, so meint er darum auch nicht, sie sei als ganze ins religiöse Bewußtsein aufzunehmen. „Theologie" ist diese Philosophie vielmehr in dem Sinne, daß sie durch eine Struktur des Denkens charakterisiert ist, die ARISTOTELES dem als unbewegter Beweger gedachten Gott zugesprochen hatte. Dieser Gott ist jedoch nicht der Gott des religiösen Bewußtseins^^, und darum wird von Hegel die Möglichkeit einer religiös verstandenen Theologie auch nicht philosophisch bestritten. Es ist freilich die entscheidende Frage, ob die Philosophie sich selbst gerecht wird, wenn sie das religiöse Bewußtsein am Maßstab ihres eigenen Denkvollzuges mißt. Sofern sie als Vollzug eines reinen selbstreferenziellen Denkens eigentlich keinen Inhalt hat, bedarf sie ja der Darstellung an Formen, die vom Vollzug des Denkens selbst unterschieden sind, und dann ist die Frage, ob der Vollzug des philosophischen Denkens wirklich rein selbstreferenziell sein kann. Vielleicht besteht die Zweideutigkeit von Hegels Philosophie überhaupt darVgl. dazu W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Stuttgart-Bad Canstatt 1986. 317 f.
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in, daß er den Gedanken einer solchen vollständigen Selbstreferenz festgehalten und zugleich doch in Darstellungsverhältnissen entfaltet hat. So nämlich macht er vom Gedanken des Verschiedenen Gebrauch, ohne diesen Gedanken andererseits als einen unreduzierbaren zulassen zu können: Die Entwicklung des philosophischen Denkens arbeitet durchweg auf eine Reduktion des Verschiedenen hin, während das philosophische Denken, um die Darstellung sein zu können, die es als begreifendes Denken zu sein hat, auf die Verschiedenheit angewiesen ist. Es spricht einiges dafür, daß Hegel versucht hat, diese beiden Aspekte seines Philosophierens mit dem Gedanken des „Begriffs" zu vereinigen, ohne daß eine solche Vereinigung doch letztlich gelingen könnte, Im Hinblick auf die Hegelschen „Realphilosophien", und das heißt hier vor allem: im Hinblick auf seine Religionsphilosophie wird man sich dann zu fragen haben, ob man sich bei den beiden Aspekten von Selbstreferenz und Darstellung lieber an den Aspekt der Selbstreferenz, des absoluten Selbstbewußtseins, oder lieber an den Aspekt der Darstellung hält. Entscheidet man sich nicht für den Aspekt des absoluten Selbstbewußtseins, so muß man allerdings auch als den Gipfelpunkt des philosophischen Denkens die Einsicht in seinen eigenen unaufhebbaren Darstellungscharakter verstehen; die Entwicklung des philosophischen Denkens in seinen einzelnen Bestimmungen wäre dann vor allem Entwicklung der es selbst charakterisierenden Verschiedenheit. Sofern dies den Versuch einer Reduktion der Verschiedenheit ausschließt, hätte das philosophische Denken mit ihr eine Freiheit gegenüber seinen Darstellungsmöglichkeiten gewonnen, die es in vergleichbarer Weise auch dem religiösen Bewußtsein zugestehen könnte. Wenn das religiöse Bewußtsein ebenso durch eine solche Freiheit geprägt ist, kann es freilich mit seiner doppelten Haushaltung von metaphorischer Arhkulation und begrifflicher Interpretation besser umgehen als es der Religionsphilosophie oft erscheinen mag.
M. Theunissen hat den Versuch gemacht, die Bewegung der Hegelschen Logik unter Verzicht auf die abschließende Einheit des Begriffs verständlich zu machen. Wenngleich dies nicht zu Unrecht unter dem Gesichtspunkt der Treue gegenüber Hegels Text kritisiert worden ist, kann man Theunissens Versuch doch andererseits als Reaktion auf die skizzierte Zweideutigkeit verstehen. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt/M. 1980. Zur Kritik an Theunissen vgl. H. F. Fulda, R.-P. Horstmann, M. Theunissen: Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels „Logik". Frankfurt/M. 1980.
EMIL ANGEHRN (BERLIN)
KUNST UND SCHEIN Ideengeschichtliche Überlegungen im Ausgang von Hegel
Hintergrund und Ausgangspunkt heutiger Diskussionen über Ästhetik ist Hegels Satz vom Ende der Kunst. Er ist in einer schon unüberschaubaren Literatur in vielfältigster Weise kommentiert, interpretiert und kritisiert worden; als seine schlagendste Widerlegung gilt vielen das Faktum des auch nach Hegel fortdauernden Kunstbetriebs. In gewissem Sinn ist er dem gegenwärtigen Bewußtsein unglaubwürdiger denn je. Wenn wir im Theoriebetrieb der letzten Jahre eine verstärkte Aufarbeitung philosophischer Ästhetik feststellen, so läßt sich darin das Symptom einer allgemeineren Aufwertung des Ästhetischen sehen, wie sie den Zeitgeist überhaupt kennzeichnet. Zu dessen dominanter Strömung gehört unter anderem, daß die Grenzen zwischen praktischen und theoretischen Orientierungen einerseits, künstlerischen Wahrnehmungsund Ausdrucksformen andererseits unscharf werden. Wirklichkeit selber erscheint als Konstrukt, als Inszenierung, Spiel oder Schein; nicht zuletzt jenes Gegenwartsverständnis, das sich als postmodernes deklariert, verkündet die Omnipräsenz des Ästhetischen. Dennoch braucht dies nicht zu heißen, daß damit jenes Verdikt widerlegt sei; ebensogut könnte man darin seine Bestätigung sehen. Hegels These soll hier zum Ausgangspunkt einer historischen und systematischen Reflexion über das Ästhetische — über einen Aspekt des Ästhetischen: sein Oszillieren zwischen Wahrheitsanspruch und Schein — genommen werden.i Die ideengeschichtliche Konfrontation
1 Indem Hegels These über die Vergangenheit der Kunst gleichsam doxographisch als Anknüpfungspunkt genommen wird, stehen weder das Gesamtkonzept seiner Ästhetik noch die volle Tragweite seiner These zur Diskussion, sondern nur ein Argument innerhalb dieser, welches auf den subjektiven Setzungscharakter der Kunst abhebt. — Zur genaueren Auseinandersetzung um Hegel und die Perspektiven nachhegelscher Ästhetik vgl.: G. Wblandt: Zur Aktualität der Hegelschen Ästhetik. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 219— 234; A. Gethmann-Siefert: Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel. In: Hegel-Studien. 13 (1978), 237—289; dies.: Eine Diskussion ohne Ende: zu Hegels These vom Ende der Kunst. In: Hegel-Studien. 16 (1981), 230—243; dies.: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Untersuchungen zu Hegels
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mit anderen Ansätzen soll bestimmte Prämissen der Hegelschen These, der darin enthaltenen Kunst- wie Zeitdiagnose, beleuchten und zugleich einen zentralen Aspekt des Ästhetischen heraussteilen. — Nach einer Problemexposition im Ausgang von Hegels Deutung der Gegenwartskunst (1.) wird die Fragestellung zunächst durch einen historischen Rückblick zu erweitern sein (2.-4.); danach sollen je zwei exemplarische Positionen des 19. (5., 6.) und 20. Jahrhunderts (7., 8.) zur Sprache kommen; abschließend ist ein kurzes Fazit zu ziehen (9.).
1. „Vergangen" ist Kunst für Hegel insofern, als sie „nicht mehr . . . die höchste Weise [ist], in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft" (I. 141).2 Als Statthalterin der Wahrheit ist sie durch die Religion (und Philosophie) abgelöst worden; sie befriedigt nicht mehr „das höchste Bedürfnis des Geistes" (I. 142), mit ihr ist uns „kein wahrer Ernst" mehr (II. 233). Grund dieser Zurückstufung ist der mit dem Ende der klassischantiken Kunst eingetretene Bruch zwischen Inhalt und Form: Das Medium ästhetischer Darstellung vermag nicht mehr zu fassen, was sich seit dem Christentum und dann in der Neuzeit als Bestimmung des Wahren herausgestellt hat: Geistigkeit, Innerlichkeit, Subjektivität (II. 127 ff). Die Übereinstimmung von Ausdrucksmittel und Inhalt aber gehörte zum Kriterium der Schönheit: insofern bleibt die klassische Kunst — paradigmatisch die griechische Skulptur — die unüberbietbare „Vollendung des Reichs der Schönheit. Schöneres kann nicht sein und werden" (II. 127 f). Die romantische — nachantik-christliche — Kunst fällt hinsichtlich des Maßstabs der Schönheit hinter die klassische zurück, auch wenn sie diese hinsichtlich der Wahrheit ihres Gegenstandes — den sie aber in ihrem Medium nicht mehr adäquat darzustellen vermag — transzendiert. Mit dieser Inadäquanz von Form und Inhalt verbindet sich nun ein anderer Aspekt, der für die folgenden Betrachtungen ins Zentrum gerückt werden soll. Es gehört zum Kennzeichen romantisch-christlicher Kunst, daß sie ihren Gegenstand nicht selber hervorzubringen vermag. Zumindest ist dies so mit Bezug auf ihren „absoluten Gegenstand", das „an und für sich Wahre": Es ist dies ein Inhalt, den die Kunst „nicht aus sich selbst schafft und offenbart" (II. 169), sondern als „wesentliche Voraussetzung" (139) von der Religion übernimmt. Auch hierin fällt sie Ästhetik. Bonn 1984. (Hegel-Studien. Beiheft 25.); Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von A. Gethmann-Siefert u. O. Pöggeler. Bonn 1986. (Hegel-Studien. Beiheft 27.) ^ Zit. nach: G. W. F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Frankfurt a. M. 1970. Bd 13—15 (Vorlesungen über Ästhetik I, II, III).
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gleichsam hinter die klassische Kunst zurück, in welcher, wie es in der Enzyklopädie (§ 560) heißt, „der Künstler der Meister des Gottes" war.3 In den Blick kommt damit ein Aspekt des Ästhetischen, der mit dem Begriff der Kunst zuinnerst verbunden ist. Kunst ist subjektives Hervorbringen, Erstellen eines Werks, menschliche Setzung. Sofern sie — und dies ist Prämisse der Hegelschen Kunstbetrachtung — auf ihren Wahrheitsgehalt hin thematisch wird, d. h. sofern Ästhetik hier nicht als Künstlerästhetik, als Produktions- oder Rezeptionsästhetik, sondern als Gehalts- und Darstellungsästhetik in Frage steht, gerät Kunst damit in ein Spannungsfeld. Als Setzung steht sie in einem Spannungsverhältnis zum Objektivitätsanspruch des Wahren, auf das sie — wie jede Bewußtseinsform — ursprünglich verpflichtet ist. Daraus resultiert solange kein Wahrheitsdefizit, als der Inhalt selber erst in einer Bestimmung gewußt wird, die der Form seiner ästhetischen Schöpfung, der plastischen Individualität angemessen ist. Sobald hingegen geistige Subjektivität die Bestimmung des Wahren ausmacht, wird Kunst als solche defizient, in einem grundsätzlichen Sinne unwahr. Ihr einzig legitimes Selbstverständnis besteht dann im Bekenntnis zu ihrer Beschränktheit und Scheinhaftigkeit; ihr Wert ist der des schönen Scheins, der sich nicht mehr als Präsentation des Absoluten ausgibt oder mißversteht. So mag Kunst, in dieser Selbstbeschränkung, eigene Kriterien ästhetischer Geltung ausbilden und Formen künstlerischer Vollendung schaffen, in denen der menschliche Geist sich in seiner freien Subjektivitäf erkennt und verwirklicht. Dies ist, wenn man so wül, der eine Faden der Entwicklung, in welcher Kunst nach ihrem „Ende" überlebt, ja in welcher sie sich nach Hegels Meinung unbegrenzt weiterentwickeln und vervollkommnen kann (I. 142). Bedeutsam ist nun, daß Hegel daneben einen anderen Weg aufzeigt, auf welchem sich das Ästhetische ins Bewußtsein der Gegenwart einzeichnet. Es ist auch dies ein Weg, der gleichsam die basale Unzulänglichkeit der Kunst offenbart. Gemeint ist jene Ausgestaltung, die nicht einfach mit einem reduzierteren Wahrheitsanspruch die Ästhetik qua Fundamentaldisziplin ablöst, sondern gewissermaßen deren Platz usurpiert. Eine solche Bewußtseinsfigur meint Hegel in exemplarischer Ausprägung in der romantischen Ironie vor sich zu haben (I. 93—99; II. 231—242). Sie ist das zu Ende geführte Ästhetische, das sich nicht zum Moment einer umfassenderen Wahrheif herabsetzt; als vollendeter Ästhetizismus ist sie vollendeter Subjektivismus und verkörpert darin das. ä Vgl. 1.141: „Darum sind die Dichter und Künstler den Griechen die Schöpfer ihrer Götter geworden."
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was in späterer Begrifflichkeit Nihilismus heißt. Hier wird die Falschheit und Scheinhaftigkeit, die dem Ästhetischen als solchem immanent ist, totalisiert. Es geht das innere Spannungsverhältnis verloren, durch das sich der Schein in einen Gegensatz zu einem für sich feststehenden Wahren, Substantiellen setzt; der Schein bekennt sich zu sich, aber nun nicht mehr indem er sich als defizient weiß, sondern indem er sich als das Ganze (damit als das Wahre selber) behauptet. Zwei Bestimmungen charakterisieren die neue Qualität dieses Selbst- und Gegenstandsbezugs. Auf seiten der subjektiven Einstellung ist nicht mehr der Ernst wahrer Kunst, sondern das bloße Spiel Medium des Ästhetischen, das Spielen mit Möglichkeiten und freie Sichergehen der Willkür; Kunst wird zum Medium der Selbstbetätigung der abstrakten Subjektivität, nicht mehr ihrer Selbstvergewisserung im Wahren. Auf seiten des Gegenstandes entspricht dem die Entleerung jedes sachlichen Gehalts und objektiven Wahrheitsanspruchs: Es verschwindet die Sache vor der reinen Setzung. Nichts ist der ästhetischen Ironie „an und für sich und in sich selbst wertvoll. . ., sondern nur als durch die Subjektivität des Ich hervorgebracht" (I. 94). Die innere Notwendigkeit der Sache, für zahlreiche Ästhetiken Kriterium künstlerischen Werts, löst sich auf vor der uneingeschränkten Willkür subjektiver Setzung; im Gegenteil wird gerade das „Änundfürsichseiende" zum bloßen „Schein" degradiert (I. 94). Womit wir hier zu tun haben, ist die vollständige Umkehrung des Verhältnisses von Änsichsein und Gesetztsein, von Substanz und Subjekt. Während „in allem wahrhaftigen Dichten . . . die echte Freiheit das Substantielle als eine Macht in sich walten" läßt, und zwar als „die eigenste Macht des subjektiven Denkens und Wollens selber" (I. 385), finden wir hier die Verflüchtigung allen substantiellen Gehalts, alles in sich Gültigen („Herrlichen, Großen, Vortrefflichen") durch die zum Absoluten erhobene Macht subjektiver Setzung, die in dieser Selbstbezüglichkeit letztlich zur „Ironie über sich selbst" wird (I. 97). Wichtig ist diese Doppelung der Gestalten, in denen Hegel die Kunst seiner Zeit wahrnimmt und die beide, in verschiedener Weise, die Wahrheit über das Ästhetische aussprechen. Während sich dieses in der einen zu seiner Partialität bekennt und darin als Bewußtseinsform gerechtfertigt wird, verabsolutiert es sich in der anderen zum Ganzen, indem es subjektive Willkür zum Maß aller Dinge erhebt und in die Destruktion allen Gehalts mündet. Auch sie ist eine Wahrheit über die Kunst, sofern sie dessen konstitutiven Setzungs- und Scheincharakter für sich zum Tragen bringt. Sie ist eine Gestalt des Nihilismus, den Hegel strukturanalog in der Setzungsmacht des Subjekts bei FICHTE, in der subjekhvisti-
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sehen Auflösung alles Sittlich-Rechtlichen, generell in der vereinseitigten subjektiven Vernunft der Aufklärung diagnostiziert. Doch scheint es kein Zufall, daß Hegel diese Kritik des Zeitgeistes am radikalsten im Feld der Ästhetik durchführt. Kunst kommt von Können, und Kunst produziert ein Werk; Durch beides ist sie prädisponiert, zum Paradigma subjektiver Setzung zu werden. Und es mag auch kein Zufall sein, daß diejenigen gegenwärtigen Geistesströmungen, die zur Suspendierung starker Wahrheitsansprüche und einheitlicher Wertsysteme tendieren, zugleich Affinitäten zum Ästhetischen erkennen lassen. Wo Kunst sich auf sich fixiert, sei es als künstlerische Produktion oder als ästhetische Selbstverwirklichung, scheint sie sich auf den Aspekt subjektiver Formgebung gleichsam zu versteifen. So mag sie zur exemplarischen Instanz des Falschen werden; daß sie Schein ist, ist die Wahrheit über Kunst. Nun reiht sich Hegel mit dieser Diagnose in eine viel ältere Debatte ein, in welcher der Scheinbegriff durchgehend, wenn auch mit ganz verschiedenen Akzenten und Wertungen, mit Kunst assoziiert war. Die Beziehung von Kunst und Schein soll hier die Leitfrage abgeben, anhand derer im ideengeschichtlichen Exkurs der Frage nach dem Ästhetischen nachzugehen ist, wobei sie sogleich auf die spezifischere Frage eingeschränkt werden soll, wieweit das Ästhetische für sich genommen — wie Hegel in seiner Kritik der Gegenwartskunst unterstellt — ein bloß Gesetztes, und als Setzung unwahr und Schein ist. Es scheint dies eine partielle Frage, die indes Kunst im ganzen und in ihrem Kern betrifft. Äusgeblendet bleiben in diesem Zugang zunächst Fragen nach dem ästhetischen Urteil, der ästhetischen „Rationalität" oder der Ontologie des Werks; daß zwischen ihnen und der hier gestellten Frage dennoch enge Beziehungen bestehen, ist offenkundig.
2. Es liegt nahe, bei der Verhandlung der Unwahrheit der Kunst an PLAanzuknüpfen. Aus verschiedenen Gründen verweist PLATON die Dichter aus seinem Staat, wegen der falschen Darstellung der Götter ebenso wie wegen der Wirkungen der Dichtung auf die Leidenschaften {PoUteia II; III); Hauptgrund jedoch ist die grundsätzliche Unwahrheit der Kunst (X. 595a—608b). Unwahr ist sie, weil sie nicht Seiendes schafft, sondern es nur nachbildet, und dies sogar so, daß sie gar nicht das wahrhaft Seiende, die Idee, sondern nur dessen Abbilder, die empirische Erscheinung, reproduziert; durch einen zweifachen Abstand ist sie so von der Wahrheit entfernt (598b). Der Gott schafft das Eidos, der Handwerker das Ding, der Maler dessen Abbild. Wohl erscheint er als TON
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gar „außerordentlicher und wunderbarer" Meister, da er schlechthin alles zu schaffen versteht (596c) — doch dies, wie PLATON sagt, nur so, daß „er nicht wahrhaft macht, was er macht" (596e). Sein Schaffen bleibt bloße Setzung, leerer Schein. Er ist nicht Schaffender, sondern Nachbildner (mimetes), und zwar von bloßen Schattenbildern (600e); sein Produzieren ist „Spiel und kein Ernst" (602b). Im Gegensatz zur Techne, die immer ein Wissen um die Sache einschließt, ist künstlerische Hervorbringung Fiktion und ohne Verankerung in wahrer Erkenntnis; so konfrontiert sie auch menschliches Leben nicht mit seiner Wahrheit und Norm. Dieses PLATONische Verdikt ist geradezu ein ideengeschichtliches Paradigma der Verurteilung der Kunst. Indessen erschöpft sich in ihm nicht die PLATONische Stellungnahme zum Ästhetischen — zu dem, was in unserem Sprachgebrauch das Ästhetische heißt. Gleichsam im Gegenzug zur Ausweisung der Kunst aus dem Bereich des Wahren entwirft PLATON seine Theorie des Schönen. Schönheit ist gerade Durchbrechen des Scheins, Hinführung zum wahren Sein. Ihre klassische Darstellung findet sie in der Rede der Diotima im Symposion (210a—212a). PLATON skizziert darin eine Stufenfolge in der Schau und Liebe des Schönen, die zugleich ein Fortschreiten auf den Stufen des Seins meint: ein Fortschreiten vom Realen zum Idealen, vom Mannigfaltig-Besonderen zum Ällgemeinen und Einen, schließlich zur Idee des Schönen, zum Schönen selbst. Dessen Schau ist Berühren nicht eines Schattenbildes, sondern des Wahren (212a): der Eros, der allen Bezug zur Schönheit begründet und leitet, wird darin zur wahren Erkenntnis (211c). ln Konfrontation zu späteren Vorstellungen liegt das Bedeutsame dieser Konzeption nicht zuletzt darin, daß hier die für uns mehr oder weniger selbstverständlich gewordene Verbindung dreier verschiedener Äspekte im Begriff der Ästhetik noch in keiner Weise gegeben ist. Seit Ä. G. BAUMGARTEN“* gilt Ästhetik als Theorie der schönen Kunst. Daß dies keine notwendige Begriffsverbindung ist, bezeugt PLATONS Konzeption in exemplarischer Weise. Hier ist das Schöne selbst weder ästhetisch noch von der Kunst her gedacht: Es ist weder Gegenstand der aisthesis, der sinnlichen Wahrnehmung, noch Produkt menschlichen Könnens und Hervorbringens. PLATON formuliert eine nicht-ästhetische, wesentlich ontologische Theorie des Schönen. Klar kommt dies in den Kennzeichnungen zum Äusdruck, mit denen er „das Schöne selbst" charakterisiert. Es ist dasjenige, das „immer ist und weder entsteht noch vergeht", das nicht nur in bestimmter Hinsicht, zu einem bestimmten Zeit4 Aesthetica. 2 Bde. Halle 1750-1758.
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punkt, im Vergleich mit anderem oder für bestimmte Betrachter schön ist (210e—211a), das nicht unter einer bestimmten Gestalt erscheint oder „irgendwie an einem anderen seiend . . sondern an und für und in sich selbst ewig überall dasselbe seiend, während alles andere Schöne an ihm Anteil hat" (211a—b). Das Schöne hat die gleichen Merkmale wie das wahrhafte Sein, nach dem alles strebt und an dem alles Anteil hat; daß es nicht nur unter bestimmter Hinsicht und für bestimmte Betrachter schön sei, heißt auch, daß seine Schönheit absolut, losgelöst von jeder Relativität auf Subjekte feststeht. Weder die künstlerische Produktion noch die ästhetische Rezeption erfassen es in seinem letzten Grund: Es ist das aus sich selbst heraus in seiner Vollkommenheit sich Manifestierende, das schlechthin nicht von anderem her oder für anderes, sondern „an und für und in sich Seiende" (211b). Mit diesen ontologischen Auszeichnungen ist der unüberbietbare Gegensatz zur subjektiven Setzung auf den Begriff gebracht. Schönheit ist der Glanz des Wirklichen, der diesem im Maße seiner eigenen Vollkommenheit zukommt — der splendor veri. Das Streben nach ihm, wie es sich ursprünglich im Eros verwirklicht, ist dann ein Streben nach Wirklichkeit, nach Selbsttranszendierung auf das nicht vom Subjekt Gemachte hin, nach der Teilhabe am wahrhaften Sein, nach Unsterblichkeit (207a). Die schönen Gestalten und desgleichen die Kunst sind legitimiert, sofern sie Mittel auf dem Wege zu jenem Schönen selbst sind; als Medien des Schönen aber sind sie von einem her gedacht, das sich der ästhetischen Rezeption und künstlerischen Produktion gleichermaßen entzieht.
3. Ohne Zweifel gehört es zu den zentralen, wenn auch nicht ausdrücklich benannten Anliegen der ARiSTOXELischen Kunstphilosophie, eine Revision der PLATONischen Verurteilung der Kunst anzustrengen. Auf verschiedenen Ebenen möchte ARISTOTELES die Gründe entkräften, die PLATONS Urteil zugrundeliegen. Sie betreffen sowohl die Inhalte wie die Wirkungen der Dichtung. Die Kritik der Inhalte — etwa der Darstellung des Unglücks des Gerechten oder des Neids der Götter — relativiert ARISTOTELES schon dadurch, daß er das künstlerisch Dargestellte, die Götter und Heroen der Poesie, nicht mehr in gleich wörtlicher Weise verstanden wissen will; die Kritik der Wirkung unterläuft er dadurch, daß er der Poetik eine andere Affektenlehre zugrundelegt, welche nicht mehr die Leidenschaftslosigkeit, sondern den richtigen Umgang mit den Emotionen und ihre Reinigung zum Maßstab nimmt. Vor allem aber revidiert ARISTOTELES PLATONS Verdikt über den grundsätzlichen Scheincharakter
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der Kunst — und dies, obwohl er jenen Leitbegriff beibehält, der für PLAschon als solcher Indiz von Unwahrheit ist: den Begriff der Kunst als Mimesis. Wenn ARISTOTELES alle Künste — Dichtung wie Musik, Tanz und bildende Kunst — als Formen der Mimesis definiert, die sich untereinander durch ihre Mittel, Gegenstände und Modi unterscheiden (Poetik, 1447a 14—28), so ist die Frage, wie sich unter dieser Prämisse die PLATONische Kritik unterlaufen läßt. Verschiedene Aspekte sind hierbei festzuhalten. Zunächst erscheint die Mimesis schon durch die Veränderung der ontologischen Grundprinzipien in einem neuen Licht. Wenn die Wesensbestimmung nicht mehr als getrennte Entität für sich besteht, sondern den wahrnehmbaren Dingen selber innewohnt, so ist auch die Kunst nicht mehr eine Nachahmung zweiter Stufe, Mimesis eines bloß Erscheinenden, sondern des Wirklichen. Das Analogieverhältnis und ontologische Gefälle zwischen künsflerischer und handwerklicher Poiesis entfällt. Dennoch ist mit dieser Korrektur nicht schon das erkenntnismäßige Defizit der Mimesis als solcher behoben. Wichtiger sind die inhaltlichen Modifikationen, die ARISTOTELES an der Bedeutung des Nachahmungsbegriffs anbringt; durch sie überwindet er bereits teilweise das von ihm mitgeprägte Modell der Kunst als Nachahmung der Natur, wie es die Geschichte der Ästhetik in verschiedenen Varianten durchzieht. Gegen den Abbildcharakter wendet sich die Poetik in der Definition sowohl des Gegenstandes der Mimesis wie seines ontologischen Status. Ihr Gegenstand sind nicht abzubildende Dinge und Gestalten, sondern menschliche Handlungen und Charaktere (1447a28, 1448al); durchgehend wird Kunst als mimesis pmxeos bezeichnet (1449b37 passim). Leitendes Paradigma ist nicht mehr wie bei PLATON die Malerei, sondern das sprachliche Kunstwerk wie Epos und Drama; ineins damit verschiebt sich der Bedeutungsschwerpunkt des Begriffs von der Abbildung oder Nachbildung zur Darstellung. In diesem Sinn kann dann ausdrücklich auch von Tanz und Musik behauptet werden, daß sie „Charaktere, Leiden und Handlungen darstellen (mimountai)" (1447a28). Nicht das fertig Gestaltete wird im Abbild gleichsam verdoppelt, sondern das menschlich-sittliche Sein findet durch die künstlerische Poiesis seine Gestaltung und seinen Ausdruck. Damit verbindet ARISTOTELES eine zweite Modifikation. „Es ist nicht Aufgabe des Dichters, mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche": Eben darin unterscheiden sich Dichter und Geschichtsschreiber, und darin liegt der Grund, „wieso TON
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Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung ist; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit" (1451a37—b7). Keine Reproduktion der Fakten wird angestrebt, sondern eine Verständigung über die Möglichkeiten der Existenz, wobei diese Möglichkeiten immer schon in einem ethischen Rahmen thematisch sind — denn Handlungen und Charaktere sind „notwendig entweder gut oder schlecht" (1448a2). Dieses Abrücken vom Faktischen zugunsten des Möglichen könnte zunächst als Bestätigung der PLATONischen Sichtweise erscheinen; doch ist unverkennbar, daß ARISTOTELES damit einen Wahrheitsanspruch sui generis verbindet. Dieser geht nicht nur auf die innerästhetische Wahrscheinlichkeit etwa einer Erzählung, sondern gleichsam auf die immanente Wahrheit der Sache, die in der Dichtung verhandelt wird. Wenn zwar gegenüber PLATON unzweideutig eine Rehabilitierung der Fiktion stattfindet und die Verständigung über das Menschliche nicht im unmittelbaren Bezug auf ein letztes Ansich, sondern in der Reflexion auf Möglichkeiten des Existierens geschehen soll, so ist doch klar, daß diese durch einen Abgrund von jenem ästhetisierenden Experimentieren mit bloßen Möglichkeiten getrennt ist, das nach dem Urteil Hegels wie PLATONS Spiel und nicht Ernst ist. Nun gibt es in der ARiSTOTELischen Philosophie einen anderen Kontext, in welchem der Topos von der Kunst als Nachahmung der Natur wiederkehrt und vertieft wird. Im zweiten Buch der Physik steht der markante Satz „Die Kunst ahmt die Natur nach" — wobei allerdings diesmal „Kunst" nicht mehr als Übersetzung von poiesis, sondern von techne steht (194a21). Dem ersten Anschein nach haben wir es hier mit einer ganz anderen Sachfrage zu tun. Thema ist nicht mehr das UrbildAbbUd-Verhältnis zwischen einem Ansichseienden und seiner Darstellung. Der Problemzusammenhang ist der der Ursachen- und Prinzipienforschung, wobei sich Techne und Physis als die beiden wichtigsten Ursachentypen gegenüberstehen, deren Hauptunterschied darin besteht, daß künstlich Hergestelltes seinen Entstehungsgrund außerhalb seiner hat, während natürlich Seiendes über ein Bewegungsprinzip in sich selber verfügt {Physik II. 1); ein Zielpunkt dieser Erörterung ist die im 8. Kapitel präsentierte Lehre von der natürlichen Teleologie. Interessant ist nun, daß abgesehen von jenem Fundamentalunterschied die natürliche und die künstliche Erzeugung in strikter Entsprechung gedeutet werden; ja, die Strukturanalogie zwischen Herstellen und natürlicher Entstehung wird als eines der Argumente für die These der Finalität angeführt: wie das Herstellen, so ist auch der Naturprozeß final bestimmf
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(199a8—20). Es kann hier nicht die Triftigkeit dieser These zur Diskussion stehen; hervorzuheben ist ein aufschlußreicher Zug der ARISTOTEüschen Argumentation. Normalerweise läuft die Kritik der Teleologie — von BACONS Kritik der Naturteleologie bis zur liberalen Kritik der Hegelschen oder MARXschen Geschichtsteleologie — auf den Einwand einer Projektion hinaus: die Struktur zweckgerichteten Handelns, so der Einwand, wird einem Bereich übertragen, der nicht der des Handelns ist; Natur oder Geschichte werden zu Handlungsprozessen hypostasiert. ARISTOTELES' Argument nimmt den umgekehrten Weg: „Die Kunst", so seine Ausgangsthese, „ahmt die Natur nach". Worauf die These abhebt, ist vor allem dies, daß zwischen der Art der natürlichen und künstlichen Herstellung Parallelität besteht. „Wäre beispielshalber ein Haus ein Naturprodukt, es käme dann genau auf demselben Wege zustande, wie es faktisch durch die menschliche Arbeit hergestellt wird. Würden umgekehrt die Naturgebilde auch durch Menschenarbeit Zustandekommen können, sie würden in derselben Weise dabei Zustandekommen, wie sie in der Natur sich bilden" (199al2—15). In beiden Eällen, so ARISTOTELES' Meinung, findet dasselbe Verhältnis zwischen den Prozeßetappen, dem jeweils Früheren und Späteren (19) statt, nämlich als ein Verhältnis von Mittel und Zweck (15). Natur und Kunst gehen auf gleiche Weise vor. Damit gewinnt der Mimesisbegriff einen grundsätzlich neuen Sinn: nicht Abbildung des Naturgebildes, sondern Nachahmung seiner Genesis: nachgeahmt wird nicht die natura naturata, sondern die natura naturans. Wenn wir diesen Gedanken ernstnehmen, so hat er für das Verständnis der Techne weitreichende Konsequenzen. Denn die Finalität der Natur meint nicht irgendwelche Zweckgerichtetheit. Zum Spezifischen natürlicher Prozesse gehört es, daß in ihnen außer dem Materialgrund die anderen drei Ursachen zusammenfallen: Die Wesensgestalt, das eidos, ist zugleich Zweck und Ziel der Entstehung und, als solches, Bewegungsursache (198a24—26, vgl. 198bl—3, 199a31—32). Weil dem so ist, gilt nicht ein beliebiges Ziel oder Resultat als Finalursache, sondern, wie ARISTOTELES ausdrücklich betont, nur dasjenige, welches zugleich die substantielle Vollkommenheit von etwas ausmacht, für es in diesem Sinn das Beste ist (194a32—33) — das Beste nicht in irgendeiner Hinsicht, sondern im Hinblick auf sein jeweiliges Wesen (198b9). Die innere Finalität ist eine, die das wahre Sein von etwas zur Entfaltung bringt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, inwiefern das hier ins Spiel gebrachte Verhältnis von Techne und Physis unmittelbar unsere Fragestellung tangiert. Sofern zwischen beiden ein Nachahmungsverhältnis herrscht und
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als Vergleichspunkt die Finalität fungiert, kommt auch menschliches Hervorbringen als etwas anderes denn als bloß subjektive Setzung in den Blick. Sofern Kunst die natura naturans nachahmt, bringt auch sie etwas vom Wesen der Sache zum Ausdruck. Die Dominanz des EidosAspekts in der Finalität ist das eigentliche Gegengewicht zur bloßen Setzung. Nun wäre es ohne Zweifel unstatthaft, diesen Gedanken ohne Abstriche auf die künstlerische Poiesis als solche zu übertragen. Deutlich hatte ARISTOTELES, gegen PLATON, den Künsten eine größere Freiheit gegenüber dem absoluten Wahrheitsanspruch der Idee zugestanden. Dennoch wird durch das genannte Mimesis-Verhältnis ein unverkennbarer Gegenakzent gesetzt, durch den auch die Poiesis in einen inneren Bezug zur Wahrheit gesetzt wird — ähnlich wie im Ethischen die Praxis letztlich als Vollzug einer Wesensbestimmung, der Wesensbestimmung des Menschen definiert ist. Um der ARiSTOTELischen Position gerecht zu werden, wären die verschiedenen Weisen zu unterscheiden, wie im menschlichen Tätigsein ein Nichtsubjektives, Substantielles sich durchsetzt. Wenn Techne und sittliche Praxis von künstlerischer Poiesis offenkundig differieren, so zeigt doch auch die letztere eine eigene Verpflichtung auf Wahrheit und Objektivität. Der Gegensatz von Wirklichkeit und Möglichkeit, der die Dichtung von der Historiographie abhebt, muß gleichsam gegen den Wortlaut gelesen werden: Dichtung transzendiert die zufällige Faktizität des Gewesenen auf die wesentliche Allgemeinheit dessen hin, was (nach den Regeln von Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit) sein kann: Diese Möglichkeit repräsentiert eine höhere Objektivität als die der bloßen Faktizität. Ohne hier die Differenzen der Tätigkeitsformen ausloten und die Bezüge zwischen handlungstheoretischer und naturphilosophisch-metaphysischer Teleologie hersteilen zu können, bleibt festzuhalten, daß dem ARiSTOTELischen Konzept menschlicher Tätigkeit ein Bezug zur Objektivität immanent ist, der sie von einer bloß subjektiven Setzung abhebt. So operiert die ARiSTOTELische Rehabilitierung der Kunst von beiden Seiten zugleich: Sie entbindet die Kunst von ihrer Verpflichtung auf eine PLATONisch gedachte absolute Wahrheit und gibt ihr im Reich von Fiktion und Schein ein neues Recht; und sie gibt umgekehrt menschlichem Herstellen ein neues Gewicht und überwindet den bloßen Abbildcharakter des mimetischen Tuns. Erschien Mimesis bei PLATON zuerst als bloß schattenhafte Nachbildung, so wird sie hier zunächst zur Darstellung und dann zur Nachahmung jener Selbstgestaltung, in der sich Seiendes seiner Wesenbestimmung nach zum Ausdruck bringt. So ist Nachahmung nicht Abfall von der Wahrheit, sondern Offenbarung.
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4. Eine direkte Fortführung und Vertiefung dieser Problemsfellung sfellf KANTS Kritik der Urteilskraft dar. Sie enthält in der Aufteilung in ihre beiden Hauptteile, die ästhetische und die teleologische Urteilskraft, die ausdrückliche Verbindung der beiden bei ARISTOTELES in Poetik und Physik aufgegriffenen Problemsfränge. Nichf zulefzf der Kunstbegriff sfellf das Junkfim her, das eine Mal als „Technik" (der Nafur), das andere Mal als „schöne Kunst" verstanden. In der Ästhetik wie in der Teleologie findet sich die Verweisung, wenn man so will: das Mimesisverhältnis von Natur und Kunst, und zwar mit je anderen Vorzeichen: Beruht die Vorstellung einer Finalität der Natur generell auf der Idee der „Natur als Kunst" (181 f, passim)5 so die ästhetische Kunstschönheit auf der „Kunsf... als Natur", auf der Kunsf, die „als Nafur anzusehen" ist (§45). Naturteleologie und Kunstschönheit beruhen geradezu auf dieser spiegelbildlichen Verweisung. Dabei ist in beiden Fällen der hypothetische Charakter des „als" offenbar: Es handelf sich um ein „Als-ob" (vgl. 178), das bewußt, aber für die jeweilige Auffassungsweise konstifufiv isf. Die Vorsfellung einer allgemeinen Zweckmäßigkeif oder „Technik der Nafur" wird explizit als „heuristisches Prinzip" (182) behandelt, welches die Urteilskraft im Blick auf die mögliche Einheit der Naturerkenntnis zur Anwendung bringt, ohne damit eine bestimmte Erkenntnis solcher Zweckmäßigkeit zu implizieren. Dennoch handelt es sich um eine in der Natur unserer Vernunft begründete, nicht-zufällige Präsupposifion. Eine gewissermaßen gegenläufige Beziehung findef im Äsfhefischen statf. Zwar ist dessen Ansatzpunkt ausdrücklich subjektiv: Im Gegensatz zur Annahme einer Finalität im Objekt geht es hier allein um eine subjektive Zweckmäßigkeit „bloß für die Urteilskraft", im Blick auf das Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand, und um das damit verbundene Gefühl der Lusf (198, 228 f; § 1). Dennoch führ! die Explikation des ästhetischen Verhältnisses in bezeichnender Weise zu einer Übersteigung des Subjektiven. Dies gilt zunächst schon für die vier Definitionsmerkmale des Schönen, die, wenn auch grundsätzlich durch den Subjektbezug definiert, allesamt Indizien transsubjektiver Geltung enthalten: Die Interesselosigkeit des Wohlgefallens meint dessen kontemplativen Zug, seine Freiheit von subjektivem Begehren und Neigung (§ 5); die begrifflose Allgemeinheif impliziert die Freiheit von der Auffas5 Zit. nach: Werke in sechs Bänden. Hrsg. v. W. Weischedel. Bd 5. 2. Aufl. Darmstadt 1966. Bloße Seitenangaben verweisen auf die Erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft.
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sungsweise des besonderen Individuums (so daß es dem einzelnen scheint, „als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstands . . . wäre"; § 6); die Zweckmäßigkeit ohne Zweck ist die „bloße Form" der Zweckmäßigkeit ohne Unterstellung eines objektiven Zwecks — insofern zwar eine bloß „subjektive" Zweckmäßigkeit für die ästhetische Rezeption, doch unabhängig von jedem bestimmten subjektiven Zweck (§ 11); die Notwendigkeit des Wohlgefallens schließlich verweist auf die Norm eines Gemeinsinns, die in der „Anmaßung" unserer Geschmacksurteile unterstellt wird und die „gleich einem objektiven" ein Postulat der Allgemeinheit formuliert (§ 22). Generell eignet dem ästhetischen Urteil ein Wahrheitsanspruch sui generis, der die Unabhängigkeit des ästhetischen Geschmacks von subjektiver Affiziertheit (§ 13) ausspricht. Noch aufschlußreicher aber ist in unserem Kontext die gleichsam auf der Gegenstandsseite operierende Begriffsbestimmung des Schönen, und darin insbesondere das Verhältnis von Naturschönheit und Kunstschönheit. Hielt Hegel an der Überlegenheit des Kunstschönen fest, weU nur dieses, als Geistiges, Wahrheit zum Ausdruck bringt, so geht KANT vom Primat des Naturschönen aus: nach ihm ist die „Beurteilung der Kunstschönheit" als „bloße Folgerung" aus den Prinzipien des Naturschönen anzusehen (232). Die These vom Primat besagt, daß der Mensch allein an der Schönheit der Natur ein unmittelbares Interesse nimmt, nicht ein sinnliches Interesse an bestimmten ästhetischen Qualitäten, sondern ein „intellektuelles" Interesse daran, daß Schönes sei; es ist ein Interesse, das nach KANT in innerer „Verwandtschaft" mit dem moralischen Gefühl steht und dessen Kultivierung voraussetzt (§ 42). Wenn die Erfahrung des Schönen die Erfahrung der Übereinstimmung, des Zusammenspiels zwischen dem Gegebenen und unserer subjektiven Rezeption meint, oder, wie es in einer posthumen Reflexion heißt, wenn „die schönen Dinge [anzeigen], daß der Mensch in die Welt passe"^ so hat solche Erfahrung der Schönheit nur dann ihr Gewicht, wenn sie von einem subjekt-unabhängigen Schönen ausgeht; nicht kann die Übereinstimmung mit dem von uns selber Geschaffenen gleiches Wohlgefallen erzeugen. Daß dem so ist, belegt das Experiment der vorgetäuschten Natur, das Experiment der künstlichen Blumen, die in die Erde gesetzt werden, oder des von Menschen nachgemachten Gesangs der Nachtigall: Sobald die Täuschung durchschaut wird, wird „das unmittelbare Interesse", das der „Liebhaber des Schönen . . . vorher daran nahm, alsbald verschwinden": „Es muß Natur sein, oder von uns dafür gehalten s Refl. 1820a. In: Akad.-Ausg. Bd 16. 127.
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werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können; noch mehr aber, wenn wir gar andern zumuten dürfen, daß sie es daran nehmen sollen" (§ 42). Nicht allein die sogenannten ästhetischen Qualitäten des Gegenstandes, sondern ebenso sein ontologischer Status sind für die Erfahrung des Schönen konstitutiv. Für die Kunstschönheit besagt dies dann, daß sie gleichsam nur indirekt an der Schönheit teilhat: „Schöne Kunst", so der Titel des § 45, „ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint". Dies heißt, daß die innere Zweckmäßigkeit im schönen Gegenstand, „ob sie zwar absichtlich ist [und als solche gewußt wird], doch nicht absichtlich scheinen" darf (§ 45). Dieses Eigengewicht der Natur in der Kunst reflektiert sich im Begriff des Genies, welches der schönen Kunst ihre Regel gibt, doch diese Regel nicht bewußt und planmäßig, sondern „als Natur" (§ 46) hervorbringt. Sowohl das Schöne wie der Kanon des Schönen erscheinen als ein dem Subjekt Entzogenes, ein Nichtgesetztes. Im Horizont ästhetischer Grundlagendiskussion ist diese Charakterisierung des Schönen von zentraler Bedeutung. Das Als-Ob der schönen Kunst — der Kunst als Natur — verkörpert eine ganz eigentümliche Struktur. Es ist in einem strengeren und zugleich paradoxeren Sinn zu verstehen als das umgekehrte Als-Ob der Teleologie — der Natur als Kunst —, welches sich als bewußt heuristische Hypothese, gegebenenfalls als regulative Idee definieren kann. Das Als-Ob der schönen Kunst läßt sich nicht in gleicher Weise ins Hypothetische verflüchtigen. Daß Kunst „Natur zu sein scheint" (§ 45), bezeichnet keinen bloßen Schein. Es gehört gleichsam zum Gehalt ästhetischer Erfahrung als einer Erfahrung des Schönen, daß sie Erfahrung eines Nichtverfügbaren ist. Sie erschöpft sich nicht in der internen Stimmigkeit der Qualitäten und Formen. Sie ist Erfahrung eines Zusammenstimmens von Gegenstand und subjektivem Vermögen, welches Zusammenstimmen als ganzes in einem irreduziblen Sinn ein Gegebenes, nicht ein selber Hergestelltes ist. In der ästhetischen Erfahrung macht sich ein Primat des Objektiven geltend, der geradezu als Bedingung unseres Interesses am Schönen wie als Moment unseres Urteils über das Schöne fungiert. Zwar verbleibt ein Hiatus zwischen dem KANTischen Ansatz und der ARiSTOTELischen Vorstellung eines Hervorbringens, das als Mimesis der Natur eine genuine Wahrheit ihres Gegenstandes erschließt; doch ist Tatsache, daß KANTS Konzeption in diesem Punkt wie über einen Abgrund hinweg an den Objektivitätsanspruch des PLAXONischen Schönen erinnert. Zum Gehalt des Schönen gehört die Konnotation des Ansich-
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seins gegenüber dem bloßen Für-uns- oder Durch-uns-Sein. So wird der ästhetische Weltbezug zur exemplarischen Verkörperung einer Umkehrung, in der das subjektive Ausgreifen auf Welt zum Ort des Sichdarstellens des Nichtgesetzten wird. Diese Umkehrungsfigur hat darin ihre Spitze, daß das ästhetische Verhältnis sich zunächst — gegenüber Erkenntnis oder Moral — geradezu als Prototyp des subjektiven Weltbezugs präsentiert, als Setzung qua Kunst und als Rezeption einer „nur subjektiven" Zweckmäßigkeit; eben darin aber soll sich Natur als konstitutives Als-ob geltend machen. Sofern diese Umkehrungsfigur zum Ästhetischen gehört, erscheint der in Hegels Romantikkritik anvisierte Ästhetizismus, das in sich kreisende Spiel mit den Potenzen subjektiver Setzung auch innerästhetisch als mangelhaft: nicht (nur) als Verabsolutierung des Ästhetischen, sondern als dessen eigener Verfall. — Damit zeigt sich die im Ausgang von Hegel skizzierte Problemstellung in einem neuen Licht. Der Subjektivismus der Moderne, den Hegel darin angreift, ist nicht mehr gleichbedeutend mit der Ästhetisierung, sondern eine umfassendere und zugleich spezifischere Tendenz. Dennoch liegt auf der Hand, daß zwischen dem von Hegel diagnostizierten Verlust der Wahrheitsfrage und der Tendenz zum Ästhetizismus eine innere Affinität besteht. Dieser Konnex wird von prominenten nachhegelschen Denkern des 19. Jahrhunderts mit je verschiedener Wertung bestätigt: sieht KIERKEGAARD darin den Grund der Verwerfung des Ästhetischen, so NIETZSCHE das Motiv der Bejahung. Das Interessante indes ist, daß diese Diagnose weiterhin nicht unangetastet stehenbleibt. Im 20. Jahrhundert machen HEIDEGGER und ADORNO erneut die Überwindung des Subjektiven zu einem zentralen Fokus in der Bestimmung der Kunst.
5. Die Kritik des Ästhetischen in KIERKEGAARDS Erstlingsschrift Entweder/
Oder'^ trifft genau den Typus der romantischen Existenz, den auch Hegel vor Äugen hat. In wesentlichen Zügen liest sich KIERKEGAARDS Abhandlung geradezu wie eine Eortführung der Hegelschen Kritik (wobei er Hegels Philosophie allerdings selber mit dem von ihr verabscheuten Ästhetizismus konvergieren läßt; 719 f). Die eigentlich neue Wendung, die KIERKEGAARD dem Problem gibt, besteht darin, nicht den Gegenstandsbezug, sondern das Selbstverhältnis ins Zentrum der Betrachtung zu stellen; infrage stehen weder Kunst und Naturschönheit noch einfach die ^ Zit. nach: Entweder/Oder. München 1975.
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ästhetische Rezeption, sondern die ästhetische Existenz. Doch wird mit der Ausblendung des Gegenstandsbezugs nicht auch die Frage von Objektivität und subjektiver Setzung, von Wahrheit und Schein hinfällig; es sind letztlich dieselben Kriterien, die der Frage des Ästhetischen auch hier zugrundeliegen. Der von KIERKEGAARD gezeichnete Ästhetiker versteht sich als Künstler in der Schöpfung seiner persönlichen Existenz und nimmt darin das Ideal der deutschen Frühromantik auf, das „Leben zum Kunstwerk" (FR.SCHLEGEL: Lucinde) auszubilden. Äuch dieser Existenz ist nachzuweisen, daß sie scheinhaft und gleichsam gehaltlos ist, wie es PLATON von der künstlerischen Produktion behauptet; und auch sie bleibt sogar innerästhetisch defizient, verfehlt in ihrer Selbstbezüglichkeit die wahre Schönheit, wie es nach KANT eine nicht mehr im ÄlsOb der Natur figurierende Kunst tut. Ästhetisch ist die Existenz, die sich in der Unmittelbarkeit vollzieht und zur Erfüllung kommen will, in der Unmittelbarkeit des hedonistischen Selbstgenusses wie der uneingeschränkten Willkür. Die Unmittelbarkeit verschließt sich dem Unterschied von wesentlich und zufällig, von Fiktion und Wirklichkeit, Spiel und Ernst (826 f). Sie ist jene Intention aufs Ganze, die auf kein Bestimmtes geht und vor der sich jedes Konkrete verflüchtigt. Sie ist subjektive Setzung, doch nicht wirkliche Entscheidung, sondern vielmehr das Ausweichen vor dieser (715-719); die Alternative von Ethik und Ästhetik ist gerade die Option zwischen Wahl und Nichtentscheidung, nicht unmittelbar zwischen Gut und Böse, sondern zwischen der Entscheidung zwischen Gut und Böse und deren Indifferenz. Beginnt das Ethische damit, daß man „das Wollen wählt" (718), so endet das Ästhetische in der Woliensunfähigkeit, schließlich in der Schwermut, der „Sünde instar omnium", die darin besteht, „nicht tief und innerlich zu wollen" — jener romantischen Krankheit, „unter der das ganze junge Deutschland und Frankreich seufzt" (742). So ist die Selbstbestätigung im Ästhetischen eine, die sich selber ins Irreale zurücknimmt; ästhetische Selbstverwirklichung ist Nichtverwirklichung, Verbleiben im Reich der bloßen Möglichkeit. Präsentiert sich das Ästhetische zunächst als Medium des gesteigerten Selbstseins, der höheren Freiheit und Individualität, so erweist es sich in seiner Durchführung als Selbstverlust, als Fremdbestimmung und Abhängigkeit von äußeren Bedingungen (731, 817), als Flucht vor dem konkreten Subjekt und Entindividualisierung (812 ff). Es isf wichtig sich klarzumachen, daß die Kritik des Ästhetischen nicht einfach extern ansetzt. Die Notwendigkeit des Übergangs zum Ethischen soll aus der Aporie des Ästhetischen selber aufgewiesen wer-
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den. Dies gilt zunächst für die innerästhetischen Kriterien und Intentionen: Genuß und Schönheit. Was im Zeichen des Hedonismus ansetzt, endet in Langeweile, Schwermut, Ekel und Verzweiflung. Schönheit andererseits, vom Ästhetiker als Bestimmung dessen erstrebt, „was seine Teleologie in sich hat" (842), erschließt sich in Wahrheit nur einer ethischen Einstellung (843 ff); im Ästhetischen bleibt die innere Teleologie formeller Selbstbezug, die „Bewegung zu sich selbst hin", in der das Individuum nach seinem Selbstsein strebt (844), leer und abstrakt. Schönheit und Vollendung finden nur im Konkreten statt (845, 880); die Zielsetzung des Ästhetischen scheitert an dessen Grundeinstellung. Zugleich steht dieses Selbstverfehlen in einem außeräsfhetischen Kontexf. Wie für Hegel steht der Ästhetizismus für KIERKEGAARD im Zeichen des Nihilismus, der Indifferentsetzung von Wahrheit und Schein. Zwar geht seine Überschreitung hier im kategorialen Rahmen des Selbstverhältnisses vor sich und ist sein Zielpunkt nicht die Darstellung des Äbsoluten, sondern die ethische Existenz, von der die spätere Stadienlehre zudem zeigen wird, daß sie ihrerseits in sich defizient ist. Doch wird dieses Überschreiten bezeichnenderweise in ontologischen Kategorien gefaßt, die es in unmittelbare Nähe zu den bisher genannten Kritikansätzen stellen. Das Ethische hat nicht nur einen höheren moralischen, sondern Wirklichkeitsgehalt. Die ästhetische Welt- und Selbstflucht ist die „Leidenschaft der Vernichtung" (708), die „der Wirklichkeit keine Bedeutung" zuerkennt (902) und vor ihr in die Kontingenz des Möglichen zurückweicht: Ästhetisches Leben möchte sich auf das gründen, „was sowohl sein als auch nicht sein kann" (785), sein Bestreben ist nicht, „etwas auszurichten", sondern die bloße „Befriedigung des Talenfs" (868). Die Indifferenz von Sein und Fiktion und die Selbstbezüglichkeit subjektiver Setzung und Befriedigung sind die beiden Angelpunkte, welche das Wesen, d. h. aber auch: die Unwahrheit der ästhetischen Intention ausmachen und ihren Änspruch auf höchsfe Selbstverwirklichung dementieren. Einen Wahrheitsanspruch artikuliert auch die an KANT erinnernde Definition des Schönen über die immanente Teleologie; dabei geht die damit verbundene Idee der Vollendung (845) noch über das hinaus, was KANT in dem nur formal gefaßten Als-Ob der Natur in der Kunstschönheit zur Geltung brachte. Erst recht scheitert dieser höhere Wahrheitsanspruch an der Unmittelbarkeit des ästhetischen Seins. Auch die von KANT hypothehsch als Statthalter von Objektivität angeführte Natur bleibt der inneren Teleologie — der wahren Schönheit, der wahren Bewegung zum Selbst — gegenüber defizient: Diese überschreitet „die
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Sphären der Natur und der Kunst" zugleich (844) und realisiert sich erst in der Sphäre von Geschichte und Freiheit. Eine durchaus hegelische Kritik der Unmittelbarkeit liegt diesem Gedanken zugrunde; ihr unterzieht KIERKEGAARD sowohl das Ästhetisch-Sinnliche der Kunst wie die Natur. Erst der Geist vermag die bestimmte Gestalt zu schaffen und Dauer zu stiften, nur das Ethische besitzt Kontinuität und „Gedächtnis" (791); das Ästhetische, das wohl den erfüllten Äugenblick verspricht, bleibt der Flüchtigkeit des Jetzt verhaftet (730). Daß die Ethik Kunst und Natur zugleich überschreitet, weist auf deren gemeinsames Fundament im Unmittelbaren hin; es steht gleichsam für die Regression der subjektiven Setzung zur Unmittelbarkeit des Naturhaften. Der Subjektivismus und das Naturale unterliegen dem, was Hegel als schlechte Unendlichkeit beschreibt: Beide kommen zu keiner bestimmten Gestalt, zu keiner subjektiven Befriedigung und objektiven Vollendung. Den vernichtend-nihilistischen Zug des Ästhetischen sieht KIERKEGAARD im Selbstverhältnis wie im Weltbezug; Kennzeichen beider Verhältnisse, als ästhetischer, ist der Wirklichkeitsverlust (752 f, 812 ff). So ist umgekehrt die Rückgewinnung des Selbst durch die ethische Wahl zugleich Rückgewinnung eines wahrhaften Weltbezugs. Wenn EntwederOder sowohl als Hedonismuskritik wie als Kritik des Nihilismus gelesen werden kann, so besteht zwischen beidem eine Ärt Folgeverhältnis: Der hedonistische Rückzug auf ein ästhetisches Selbstverhältnis ist selber eine Reaktion auf die Erfahrung des Nihilismus — eine Reaktion allerdings, die die ihr angesonnene Kompensation nicht zu erbringen vermag, sondern jene Verlusterfahrung durch die ästhetische Selbstflucht nur ergänzt und vertieft. So zeigt sich KIERKEGAARDS Diagnose als eine variierende Fortführung der Hegelschen Romantikkritik, die zugleich an PLATON erinnert, sofern auch sie die Kritik der Kunst mit der Postulierung eines nicht-ästhetischen Schönheitsbegriffs verbindet, der die Falschheit der Kunst positiv überwindet. Interessant ist die bei aller Distanzierung mit Hegel übereinstimmende zeitgeschichtliche Situierung; man mag darin einen Beleg für die Sachhaltigkeit der Diagnose wie der Kritik sehen. Dies betrifft sowohl die allgemeine Erfahrung des Nihilismus wie die spezifische Äffinität des Subjektivismus zum Ästhetischen. Daß allerdings weder Diagnose noch Kritik die abschließende Wahrheit über Kunst bedeuten, wird unmittelbar durch die Tatsache ganz anders orientierter Deutungen belegt. Während NIETZSCHE die hegelisch-kierkegaardsche Interpretation des Ästhetischen als Suspendierung aller Wahrheitsansprüche ,objektiver' Vernunft teilt, doch mit einer entgegengesetzten Wertung versieht.
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sehen HEIDEGGER und ADORNO in der Kunst im Gegenteil eine bevorzugte Gegeninstanz zum universalisierten Subjektivismus. In all diesen Varianten aber behält das Ästhetische seinen nach Hegel unverlierbaren historischen Index.
Erstlingsschrift steht gegenüber der KIERKEGAARDS in beinahe jeder Hinsicht unter umgekehrten Vorzeichen. Zwar geht es auch der Geburt der Tragödie um eine Überwindung des Nihilismus, jener destruktiven Weltflucht und Lebensverneinung, die „im Grund ein Verlangen in's Nichts" ist.^ Doch wird eine solche Überwindung in keiner Weise mehr als Übergang vom Ästhetischen zum Ethischen gedacht: Im Gegenteil ist es das — mit dem Christlichen ineinsgesetzte — Moralische selber, das hier den „Willen zum Untergang" repräsentiert und als „Zeichen tiefster Erkrankung" erscheint (ebd.). Maßstab ist seine Lebensfeindlichkeit: Gegen sie stellt die Geburt der Tragödie ihre sowohl „widermoralische" wie „antichristliche" „Gegenwertung des Lebens" auf, eine „rein artistische" Wertung, welche das Leben nur in der Kunst gewahrt und gerechtfertigt sieht (18 f). Und wenn auch hierin eine Romantikkritik durchscheint, so nicht eine am romantischen Ästhetizismus, sondern vielmehr an dessen Inkonsequenz: daran, daß gerade Wortführer der Romantik (wie NOVALIS, LR.SCHLEGEL und SCHELLING) schließlich den Vorrang des Ästhetischen widerrufen und statf der „Kunsf des diesseitigen Trostes" nach dem metaphysischen Trost der Religion verlangt haben (22). So gesehen, soll sich das Ästhetische durchaus als höhere Wahrheit behaupten, das Lesthalten an ihm nicht als Rückgang hinter die Moderne, sondern als ihre positive Überwindung erweisen. Dionysos, Sinnbild dieser Ärtistenmetaphysik, ist nicht nur ürgrund, sondern nach dem Mythos zugleich der kommende Gott; im „allmählichen Erwachen des dionysischen Geistes" wird das progressive Potential der Gegenwart angezeigt, das sich dann in der „Wiedergeburt der Tragödie" verkörpert (127 ff). Die äsfhetische Erlösung in den Zielpunkf zu rücken, markiert den diametralen Gegensatz sowohl zur Hegelschen Periodisierung von Kunst, Religion und Wissenschaft wie zu KIERKEGAARDS Stadienlehre. Dabei soll die Kunst eben jene Funkhon erfüllen, die ihr nach Hegel versagf bleibt, nämlich die höchste Vergegenwärhgung des Absoluten zu leisten 6. NIETZSCHES
® So Nietzsche im 1886 hinzugefügten „Versuch einer Selbstkritik", 18. Zit. nach: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. München, Berlin 1980. Bd 1.
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und in deren Licht Welt und menschliches Leben über sich zu verständigen: Kunst wird zur „eigentlich metaphysischen Tätigkeit" erhoben (24), und mehrfach kehrt der Leitsatz wieder, daß die Welt nur „als ästhetisches Phänomen . . . gerechtfertigt" sei (17, 47, 152). Wenn Kunst gleichsam an die Stelle von Metaphysik und Theodizee (36) tritt, so vermag sie deren Aufgabe nur dadurch zu übernehmen, daß sie ihre Grundbegriffe und Anliegen radikal transformiert. Der Primat des Ästhetischen bedeutet die Ausschaltung der klassischen Wahrheitsfrage: Es geht darum, so NIETZSCHES zusammenfassende Charakterisierung, „die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehen, die Kunst aber unter der des Lebens ..." (14). Gerechtfertigt wird die Welt nicht dadurch, daß eine höchste Erkenntnis sie als gut erkennt, sondern dadurch, daß sie im Medium der Kunst erträglich, lebensförderlich wird. Zu korrigieren ist jene fatale Zentrierung auf Wahrheit und moralische Richtigkeit, die mit SOKRATES zur Herrschaft gekommen ist. Wie Hegel, sieht auch NIETZSCHE in SOKRATES den eigentlichen Begründer der Moderne, doch dies in verschiedenem Sinn: nicht als Begründer der subjektivautonomen Vernunft, die in ihrem Wahrheitspotential zu bewahren, in ihrer Einseitigkeit zu korrigieren ist, sondern als Begründer der theoretischen Wahrheitsfrage schlechthin, der den „Glauben an die Ergründlichkeit der Natur der Dinge" hochhält, das Wissen als „Universalmedizin" und den „Irrtum [als] das Übel an sich begreift" (100). Mit ihm werden zwei Optionen getroffen, die für die gesamte Denkgeschichte verhängnisvoll geworden sind; die durch ihn initiierte Bewegung ist nicht intern zu revidieren, sondern insgesamt zu verabschieden — die Wiederkunft des Tragischen hat gleichsam hinter die soKRATische Wegscheide zurückzugehen. Die eine Option ist die, durch welche die theoretische Wahrheitsfrage als solche ins Zentrum rückt und auch für Moral und Leben zum entscheidenden Kriterium wird; die andere, noch basalere, ist die, welche den Glauben an die Unterscheidbarkeit von Wahrheit und Schein überhaupt begründet und zwischen ihnen eine wertmäßige Hierarchie etabliert. Diese Trennung — und Wertung — ist es, gegen welche die Kunst angeht: Ihr Schein, der schöne Schein, ist einer, der sich der Frage der Wahrheit entzieht (wie ihn schon SCHILLER definiert hatte: als „Schein, der weder Realität vertreten will, noch von derselben vertreten zu werden braucht"^). Schein wird zur autarken, nicht mehr auf anderes bezogenen Größe. Sah Hegel den Kern der idealen Schönheit im Scheinen 26. Brief über die ästhetische Erziehung.
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der Idee, so substituiert dem NIETZSCHE das Scheinen des Scheins (39). Motiv für diese Verselbständigung, dieses „Depotenzieren des Scheins zum Schein" (ebd.) ist das Bedürfnis, in ihm eine fragfähige Gegeninstanz zu gewinnen: Wenn das „Wahrhaft-Seiende" nicht wie in der klassischen Metaphysik als das ursprünglich Gute und Affirmative, sondern „als das ewig Leidende und Widerspruchsvolle" definiert ist, so entspringt aus ihm selber die „Sehnsucht zum Schein, zum Erlöstwerden durch den Schein" (38). Erlösung verspricht der schöne Schein nach beiden seiner Ausrichtungen: durch seine Irrealität, als Vernichtung, und durch seine Sublimierung, als Verklärung (38, 150). So wird der Wille zum Leben notwendig zum Willen zum Schein. Die Griechen „verstanden sich darauf, zu leben: Dazu tut not, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehen zu bleiben, den Schein anzubeten . . . Diese Griechen waren oberflächlich — aus Tiefe!"^*’ Um diese ästhetische Konzeption in sich transparent zu machen, wäre sie auf ihre — durch SCHOPENHAUER geprägten — metaphysischen Fundamente hin zu durchleuchten. Kerngedanke ist die Polarität zwischen der ursprünglichen „Einheit alles Vorhandenen" und der Individuation als dem „Urgrund des Übels" — „die Kunst als die freudige Hoffnung, daß der Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wiederhergestellten Einheit" (73). Die Lust am ästhetischen Schein — exemplarisch im tragischen Mythos — gründet zugleich in der Verklärung des Individuierten durch die Schönheit der Gestalt wie in deren Verneinung und Zurücknahme in das Ungeteilt-Eine: in der „Lust am Schein und am Schauen" wie in der noch höheren Lust „an der Vernichtung der sichtbaren Scheinwelt" (150, vgl. 141). Die Zurücknahme in die Einheit wird im Untergang des tragischen Helden ebenso zelebriert wie in den Dionysosmysterien, wo dem Gedenken an den von den Titanen zerstückelten Gott, der „die Leiden der Individuation an sich" austrägt, die Hoffnung auf seine „Wiedergeburt" gegenübersteht, in der sich „das Ende der Individuation" ankündigt (72). Die ursprüngliche Macht selber, die, als in sich Widersprüchliches und Dissonantes, die Individuation aus sich hervorbringt, verlangt nach dem („apollinischen") Komplementärprinzip des verklärenden Scheins, dem „Schönheitsschleier" und der „herrlichen Illusion", die „das Dasein überhaupt lebenswert" macht (155). So verdankt die Kunst ihren Fundamentalstatus nicht nur der Suspendierung der Differenz von Sein und Schein, sondern ebenso ihrer Einbindung in ein umfassenderes Geschehen, gleichsam in den metaphysi10 Die fröhliche Wissenschaft. Vorrede. S. W. Bd 3. 352.
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sehen Prozeß selber. Sie ist nicht Setzung eines Subjekts, sondern Moment des „allgewaltigen Kunsttriebs" der Natur selber, der zugleich mit der individuierenden Hervorbringung der Dinge den erlösenden Schein erzeugt (38, 155). „Nachahmung der Natur" ist Kunst nicht als Abbildung ihrer Produkte, sondern als Partizipation an jenem eigenen „Kunsttrieb der Natur" (31). Darin verschwindet das künstlerische Subjekt als „Schöpfer" und „Ursprung der Kunst", um vielmehr zu deren Werk und, „von seinem individuellen Willen erlöst", zum „Medium" zu werden, „durch das hindurch das eine wahrhaft seiende Subjekt seine Erlösung im Scheine feiert" (47). Nicht nur verliert Kunst, als Darstellung, ihre Zweitrangigkeit gegenüber theoretischer Erkenntnis; indem sie, als Gestaltung des Seienden, am Urprozeß selber teilhat, wird Kunst zum Ort der hefsten Offenbarung, Kunstphilosophie zur eigentlichen Eundamentalphüosophie, die artistische Existenz zur höchsten Daseinsform. In gewisser Weise scheint NIETZSCHE damit den bei ARISTOTELES und KANT aufgegriffenen Gedanken weiterzuführen, wonach Kunst, in ihrer Affinität zur natura naturans, die Trennung von Ansichsein und Gesetztsein überwindet und das Sein, wie es sich von sich selbst her auslegt, zur Darstellung bringt. So gesehen, verkörperte sie die extremste Gegenposition zur hegelisch-PLATONischen Verurteilung: Was Hegel als subjektive Setzung erscheint, wird in sein Gegenteil gekehrt, und der von PLATON als nichtig verurteilte Schein findet seine höchste Rehabilitierung. Indessen würde durch eine solche Lesart nur eine abstrakte Seite der NiETZscHEschen Kunsttheorie erfaßt, ihre entscheidende Stoßrichtung verfehlt. Zur Statthalterin der „höchsten Wahrheit" wird Kunst, indem sie den Wahrheitsbegriff selber aushöhlt, letztlich preisgibt. Das Postulat einer Wahrheit „im außermoralischen Sinn"ii und deren Funktionalisierung durch das Leben sind gleichbedeutend mit der Ausschaltung der Wahrheitsfrage. Die Apotheose der Oberfläche kann sich selber nur auf der Oberfläche als progressives Überschreiten geben: Noch ganz unabhängig von der Fragwürdigkeit der ihr zugrundeliegenden Metaphysik einer Überwindung der Individuation bedeutet auf begrifflicher Ebene die Rückgängigmachung wesentlicher Differenzen einen Verzicht, der zugleich Rückfall ist. Wenn NIETZSCHE in seiner pragmatistisch-naturalistischen Erkenntnis- und Moralphilosophie die Vernunftfrage bewußt ausschaltet, so soll diese Elimination im Primat des Ästhetischen gleichsam überhöht werden. Kunst soll gegenüber Moral und Wissen nicht in dem Sinne das Höhere sein. 11 S. W. Bd 1. 873 ff.
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daß ihr ein höherer Ernst zukäme: ihr Medium ist das Spiel (152) — und schließlich, wie NIETZSCHE in der späteren Einleitung hinzufügt: das Lachen (22). Die Verabschiedung der Wahrheitsfrage bedeutet den Verzicht auf den Einspruch gegen das Bestehende, auf das kritische Potential des Neinsagenkönnens, welches mit der Selbstbehauptung subjektiver Vernunft gesichert werden sollte. Zwar soll auch dies im Zeichen des Lachens durchaus positiv gewertet werden, soll die fröhliche Bejahung — der „glückliche Positivismus" bei EOUCAULTI^ — zur sublimeren Weisheit stilisiert werden. Wieweit dieser Eröhlichkeit das Zeichen der Angestrengtheit auf der Stirn steht und sie in geheime Verwandtschaft zu KIERKEGAARDS „Verzweiflung" sefzt, ist eine andere Präge.
7. Trotz ihrer divergierenden Stoßrichtung erscheinen so die Theorien und NIETZSCHES auf der gemeinsamen Linie einer radikalisierenden Portführung der Hegelschen Kritik der Kunst. Kritisch zur Kunst steht Hegels Ästhetik zum einen in der grundsätzlichen Nachordnung der Kunst gegenüber Religion und Philosophie, zum andern in der Verurteilung der sich gleichwohl zum Absoluten aufwerfenden ästhetischen Einstellung. KIERKEGAARD und NIETZSCHE machen diese Porm der sich absolut setzenden Kunst zum alleinigen Gegenstand der Analyse und bestätigen ihre Wahrheitsferne — bis schließlich das Spannungsverhältnis von Schein und Wahrheit selbst entfällt. Für Hegel wie für KIERKEGAARD erwies sich als Grund der Unwahrheit der reflexiv gewordene Subjektivismus der ästhetischen Einstellung; bei NIETZSCHE wird zwar ein metaphysisches Geschehen als Urgrund der Kunst beschworen, das aber zumindest in der Absolutsetzung des Lebens seinerseits dem Subjektbezug als Maßstab unterliegt. So konvergieren diese Theorien des 19. Jahrhunderts in einer bestimmten Zeitdiagnose, die von Hegel dahingehend auf den Punkf gebracht wird, daß im Ästhetizismus die Vereinseitigung moderner Ratio zum Subjektivismus zum Ausdruck kommt. Daß gerade das Ästhetische diese Tendenz exemplarisch verkörpert, mag in der zweifachen wesensmäßigen Subjektbezogenheit gründen, die es — als Hervorbringen eines Werks und als Rezeption und Affiziertsein — auszeichnet. Gleichwohl ist nicht zu verleugnen, daß diese Deutung den einen Aspekt ausblendet, der in anderen Konzeptionen wesentlich zur Theorie des Schönen gehörte und gerade auf dessen irreduzible Eigenständigkeit abhebt. Es ist nun interessant zu sehen, daß in prominenten KIERKEGAARDS
n Vordre du discours. Paris 1971. 48.
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Positionen des 20. Jahrhunderts eben dieser Zug erneut hervorgekehrt, ja, zum Kernpunkt in der Bestimmung des Ästhetischen gemacht wird. Dabei ist diese Bestimmung sowohl für HEIDEGGER wie für ADORNO im Horizont einer Zeitdiagnose anzusiedeln, die ihrerseits die Hegelsche Kritik der subjektiven Vernunft in einer weit über Hegel hinausgehenden Weise generalisiert und zuspitzt. HEIDEGGERS Interpretation der Kunst setzt beim nächstliegenden Anhaltspunkt der subjektiven Deutung an, beim Hergestelltsein des Werks. Dessen einseitige Auslegung durch die bisherige Ästhetik (28)^^ situiert er im allgemeineren Rahmen der abendländischen Metaphysik, welche das Seiende als ein dem Subjekt Gegenwärtiges, in der Neuzeit explizit als beherrschbaren Gegenstand versteht (63). Das Spezifische des (Kunst-)Werks zeigt sich in der Differenz zum Gebrauchsgegenstand (dem „Zeug"): mit ihm teUt es das Produziertsein, von ihm hebt es sich ab durch die Nicht-Verwendbarkeit; doch ist auch sein Hergestelltsein von eigentümlicher Natur. Zur Auszeichnung des Werks gehört nach HEIDEGGER gleichsam die Ablösung von seinem Produziertsein, sein „reines Insichselbststehen", in welches es vom Künstler entlassen wird, der ihm gegenüber zu „etwas Gleichgültigem" wird („fast wie ein im Schaffen sich selbst vernichtender Durchgang für den Hervorgang des Werks") (29). Dem Werk eignet eine Art Selbstgenügsamkeit (18), die seinen Abstand vom Gebrauch wie von der Erzeugung markiert. Mit der Ablösung vom Setzungsakt entfällt die in diesem gründende Scheinhaftigkeit; im Gegenteil wird Kunst nun zum eigentlichen Ort der Offenbarung des „Wesens der Dinge" (26), der „Wahrheit des Seienden" (25) erklärt. Die Wahrheitsfähigkeit des Werks gründet nach HEIDEGGER letztlich darin, daß künstlerisches Schaffen — ähnlich wie schon bei NIETZSCHE — kein autarker Prozeß, sondern in ein übergreifenderes Geschehen eingeordnet ist. Ursprung des Werks ist nicht der Künstler, sondern die Kunst (7). Das Urgeschehen wird von HEIDEGGER als Selbstauslegung des Seins gefaßt, die sich „in wenigen wesentlichen Weisen" vollzieht, deren eine die Kunst ist (44): Kunst ist das „Sich-ins-Werk-Setzen" der Wahrheit (25, 45, 59). Sie ist, als menschliche Hervorbringung, eine Setzung, die sich gleichsam als Setzung zurücknimmt und zum Medium der Selbstgestaltung und Selbstoffenbarung des Seins wird, ein „Geschehenlassen" der Wahrheit (59). Dieses Grundgeschehen ist nach HEIDEGGER durch eine innere Polarität gekennzeichnet, die für die Explikation des 13 Der Ursprung des Kunstwerks. In: Holzwege. Frankfurt a. M. 1950.
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Werks von zentraler Bedeutung ist. Es ist eine in sich gegenläufige Bewegung von Sichoffenbaren und Sichzurücknehmen in seinen Grund (37 f), „Lichtung und Verbergung" (43). Mit Bezug auf das Werk arfikulierf HEIDEGGER diese Polaritäf als Dualifäf von „Welt" und „Erde". „Welt" meint den in exemplarischen Werken je neu geprägten Verständigungshorizont einer Kultur oder eines Volks, die „wesentlichen Entscheidungen" (37, 33), den nicht selber als Gegenstand gegebenen geistigen Raum, innerhalb dessen unser Leben sich abspielt und einzelnes uns begegnet. Dem Eröffnen dieses Raums, dem „Aufstellen einer Welt" (36), steht die „Erde" als „das wesenhaft sich Verschließende" gegenüber (36). Sie ist der Grund, aus dem der Entwurf herkommt und in den er sich zurückstellt, ein Sichzurückstellen, das gleichzeitig ein Bergen und Verschließen ist (35). Kein Werk vermag, was es zur Darstellung bringt, vollständig zu explizieren; keines vermag den Grund, in dem es wurzelt und aus dem es schöpft, mit zu offenbaren. So zeichnef sich in ihm der Widerstreit der beiden ungetrennten Bewegungen ab; Als Manifestation einer Welt möchte es seinen Grund „überhöhen" und „kein Verschlossenes" dulden; als Herkommen und Sichgründen tendiert es dazu, die entworfene Welt in ihren Grund zurückzunehmen und „einzubehalten" (37). Schon in der Binnenstruktur des Werks finden wir so ein Indiz der Überwindung des subjekfiven Produziertseins. Die Einbindung der Kunst in den geschichtlichen Geist, in dem sie wurzelt, den sie zum Ausdruck bringt und in ihren Schöpfungen forfwährend transformiert, diese Einbindung gehört gewissermaßen mit zum intentionalen Gehalt des Werks, welches das von ihm Offenbarte als eines zeigt, das in einem Nichtoffenbaren, Nichtverfügbaren gründet. Damit ist eine erste Schicht ästhehscher Wahrheit, man könnte sagen: die geschichtliche Wahrheit des Werks, benannt; echte Kunst ist nur die, die diesen Grund nicht verschweigt. In einem zweiten, grundsätzlicheren Sinn hat Kunst nach HEIDEGGERS Deutung insofern an der Wahrheit teil, als sie in dieser Grundstruktur die innere Prozessualität des Seins selber zum Ausdruck bringt; sie inszeniert im einzelnen Werk jenen „Urstreit" zwischen Offenbarung und Verbergung, in welchem das „Wesen der Wahrheit", d. h. das ursprüngliche Geschehen der Selbstauslegung des Seins besteht (43). Dabei ist wichtig, daß für HEIDEGGER diese zweite Schicht von jener ersten nicht losgelöst sein soll: Die Seinsgeschichte will keine von der Weltgeschichte abgelöste sein. Der Prozeß der Auslegung des Seins, der „Wandel der Unverborgenheit des Seienden" (59) vollzieht sich in der Geschichte — in Kunst wie in Sprache und Politik, in Technik, Wissenschaft
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und Philosophie. Man mag in dieser Engführung eine unzulässige Fundamentalisierung des Geschichtlichen sehen; ebenso wichtig ist die umgekehrte Richtung einer Historisierung des fundamentalen Wahrheitsgeschehens. Wenn Kunst eine hervorgehobene Weise der Manifestation der Wahrheit ist, so ist umgekehrt das Wahrheitsgeschehen kein in sich verlaufender Prozeß, sondern liegt „im Wesen der Wahrheit" ein „Zug zum Werk" (50). So bekräftigt HEIDEGGER das Wort ALBRECHT DüRERS: „denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, und wer sie heraus kann reißen, der hat sie", indem er es gleichzeitig ergänzt: „Aber ebenso gewiß ist, daß diese Kunst in der Natur erst durch das Werk offenbar wird" (58). Wenn wir, ohne die seinsgeschichtliche Konzeption selber zur Diskussion zu stellen, den damit verknüpften Kunstbegriff auf unsere Fragestellung zurückbeziehen, so sind beide Aspekte festzuhalten: auf der einen Seite die starke Betonung des schöpferischen Charakters, wenn man so will: des Setzungsakts der Kunst. Kunst ist die exemplarische Instanz der geschichtlichen Neuerung, ja, sie ist „in ihrem Wesen ein Ursprung und nichts anderes" (65). Über sie geschieht Geschichte im wesentlichen Sinn, als Stiftung des aus keinem „Vorhandenen und Verfügbaren" (62) herzuleitenden Neuen. Allerdings ist gegen den „modernen Subjektivismus", der das Schöpferische als „Leistung des selbstherrlichen Subjekts" (63) mißdeutet, die geschichtliche Verwurzelung des Entwurfs zu unterstreichen: Er ist als Entwurf die Offenbarung dessen, was das Dasein, „sich selbst noch verborgen, schon ist" (62). Auch der unmittelbare Anfang kommt nicht „aus dem Nichts" (63). Sofern aber das geschichtliche Schaffen mit der Selbstauslegung des Seins in eine selbe Geschichte zusammenfällt, wird schließlich der Setzungsakt nicht nur an Geschichte zurückgebunden, sondern in gewisser Weise in sein Gegenteil verkehrt: „Ins-Werk-Setzen der Wahrheit" ist Kunst in dem Sinne, daß dabei „die Wahrheit zugleich das Subjekt und das Objekt des Setzens ist" (64). Kunst ist gleichsam ein Durchgangspunkt der Wahrheit zu ihrer Entfaltung, „eine ausgezeichnete Weise wie Wahrheit seiend und d. h. geschichtlich wird" (65). Bei aller Betonung des schöpferischen Akts wird in unüberbietbarer Stringenz dessen subjektiver, damit auch ästhetischscheinhafter Aspekt ausgeschaltet. Daß Kunst nicht lügt, sondern die Wahrheit auslegt, ist nur die Gegenseite dessen, daß auch Subjekt dieser Auslegung die Wahrheit selber sein soll. Es scheint unbestreitbar, daß HEIDEGGERS Kunstkonzept auch unabhängig von seiner seinsgeschichtlichen Durchführung wesentliche Züge des Geschichtlichen wie des Ästhetischen formuliert. Einseitig bleibt es in
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seiner ausschließlichen Orientierung an der Perspektive des Werks und der Wahrheit, worin das Thema der Schönheit nur beiläufig, gleichsam als Korrolarium der Wahrheit Erwähnung findet. Wohl behauptet HEIDEGGER im Prinzip die Konvergenz beider, teilt er die PLATONische These von der Schönheit als Erscheinungsform des Wahren (44, 67). Doch bildet die „für sich genommene Schönheit" (68) insofern einen unzulänglichen Zugang zur Kunst, als sie in der abendländischen Ästhetik eine subjektive Wendung erfahren hat und in inneren Zusammenhang zum „Erlebnis" gestellt worden ist; Dieses aber ist „vielleicht. . . das Element, in dem die Kunst stirbt" (66). — Im Gegensatz dazu rückt Schönheit bei ADORNO wieder mit ins Zentrum der Betrachtung, und dies geradezu als Instanz von Objektivität.
8. Der komplexe Bezugsrahmen der ADORNOSchen Ästhetik enthält in seinem Zentrum die Eigur, welche die vorausgehenden Betrachtungen als Kern des Ästhetischen herausstellten: die Verkehrung von Setzung und Ansichsein. „Die Metaphysik der Kunst heute ordnet sich um die Frage, wie ein Geistiges, das gemacht, nach der Sprache der Philosophie, ,bloß gesetzt' ist, wahr sein könne" (198).Denn eben darin liegt das Telos der Kunst; „zu sagen, was nicht das Gemachte selbst wäre" — das sie aber „einzig durch Machen" zu treffen vermag (198 f, vgl. 116, 164). In mannigfachen Variationen umkreist die Ästhetische Theorie den Gedanken, daß in der Kunst der subjektive Ausgriff zum Ort der Darstellung eines Nichtgesetzten wird: „Das Kunstwerk, durch und durch thesei, vertritt, was physei, . . . Ding an sich wäre" (99). Seine konzeptuelle Ausführung findet dieser Kerngedanke teils in Kategorien, die ADORNO mit den besprochenen Positionen teilt, teils im genuinen Deutungshorizont seiner eigenen Philosophie. Zu den mit der Tradition geteilten Fragestellungen gehören namentlich das Verhältnis von Wahrheit und Schein und das von Kunst und Natur; in beiden vollzieht die Ästhetische Theorie eine aufschlußreiche Wendung gegen die Vorlage der Hegelschen Konzeption. Wenn „alle ästhetischen Fragen ... in solchen des Wahrheitsgehalts der Kunstwerke" terminieren (498), so stehen sie als solche gleichwohl nicht mehr in schlichtem Kontrast zum Schein; in anderer Weise als bei Hegel ist der Schein, nach SCHILLER und nach NIETZSCHE, zum irreduziblen Medium ästhetischer Darstellung geworden. Doch bedeutet die „RetH Ästhetische Theorie. In: Gesammelte Schriften. Bd 7. Frankfurt a. M. 1970.
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tung des Scheins", von welcher nach ADORNO „das emphatische Recht von Kunst" abhängt (164), weder seine Rehabilitierung im Sinne NIETZSCHES noch die Nivellierung seines Abstandes zum Wahren, am allerwenigsten seine Reduktion aufs Subjektive. Exemplarisch kommt dies in der Stellungnahme zum Naturschönen zum Ausdruck; gegen Hegel (dem er eine „Parteinahme für subjektiven Geist" [117] vorhält), nimmt ADORNO das KANxische Motiv wieder auf, das er allerdings ausweitet und in grundsätzlicher Weise ausdeutet. Während bei Hegel erst im Werk des Geistes das wahre Ansich zur Darstellung kommt, trägt das Artefakt bei ADORNO das Stigma der entstellenden „Gewalt" (98), der „Zurüstung" (119) und „Herrschaft" (120). Wenn auch Natur als solche in ADORNOS totalisierender Geschichtsdiagnose der subjektiven Herrschaft verfällt und gleichsam zur Gänze nur noch fürs-Subjekt wird, so ist doch Naturschönheit der Ort, wo Natur diesem Zugriff entwunden scheint: als Anzeichen dessen, was „es selber" und „nicht nur Für Anderes ist" (116, 128). Im Naturschönen meldet sich die Eigenständigkeit dessen, dem seine Bestimmung nicht nur verliehen ist, sondern das sie von sich aus besitzt; nicht zufällig hatte KANT die Essenz des Naturschönen in Anlehnung an die Eigenteleologie des Natürlichen exponiert (191). Und wie bei KANT das Kunstschöne im Als-ob der Natur auf tritt, so realisiert sich für ADORNO Kunstschönheit gleichsam durch Methexis am Schönen der Natur, als „Nachahmung des Naturschönen" (111, vgl. 113). Was diese Gedankenfigur konkret bedeutet, ist anhand der Interpretamente der AooRNOSchen Geschichtsphilosophie zu explizieren; ihre ersten Begriffe sind die der Identität und der Herrschaft. Wenn der Identitätsbegriff zuweilen auch einen positiven Gehalt indiziert — etwa im Verweis auf gelingende Ichidentität oder im formaleren Sinne der „Identität mit sich" (14), des es-selber- und nicht für-anderes-Seins —, so ist seine dominierende Stoßrichtung die negativ-kritische: „Identität" hebt dann nicht auf Selbstgleichheit, sondern auf das Identifizieren-mit-demSubjekt ab, darauf, daß dieses den Gegenstand unter seine Herrschaft, das Konkrete unter formale Schemen bringt, die durch die Logik der Fungibilität, der Ersetzbarkeit und Verwendbarkeit fürs Subjekt geprägt sind. Nun soll eben das Schöne die „Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universaler Identität" (114) aufzeigen, soll Kunst das Medium sein, wo der Bann der universalen Herrschaft, des bloßen fürs-Subjekt-Seins zu sprengen ist. Im Gegenzug zu Hegels Konzeption, die solche Wahrheit erst dem Begriff zutraute, vollbringt nach ADORNO die Kunst, was begriffliche Erkenntnis „von der unbildlichen Subjekt-Ob-
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jekt-Relation vergebens erwartet: daß durch subjektive Leistung ein Objektives sich enthüllt" (173). Befähigt zu solcher Leistung ist Kunst durch zweierlei: zum einen als „Zuflucht des mimetischen Verhaltens" (86), worin Erkenntnis einen gleichsam noch vorbegrifflichen, nicht-idenfifizierenden Kommunikafionsbezug zum Gegenstand herstellt; zum andern durch ihre genuine Formgebung, die ästhetische Synthesis. Nicht als Abbild, sondern als „Transformation" (384) des Objekts, das sie ihren eigenen Gesetzen der „Stimmigkeit" (211) unterwirft, enthüllt Kunst dessen Wahrheit. Die Formmomente der „gewaltlosen Synthesis" (216), der inneren Notwendigkeit (120 f) und Dauer (48), der Schlüssigkeit und Unvermitteltheit sind Momente einer solchen „Transfiguration" (216), durch welche das Seiende jenseits seiner Vermitteltheit als es selber erscheint. Schönheit ist Transzendierung des „bloßen Daseins" (82), Erscheinungsform des wahren Selbstseins. Ihr Maßstab ist nicht Gefälligkeit fürs Subjekt, ihre Lust jenseits des „genießenden Geschmacks" (26). Wird Schönheit wie bei den Symbolisten als Glücksversprechen definiert, so meint dies nicht (nur) das Glück des Betrachters, sondern die Versöhntheit des Seienden selber: Kunstwerke erinnern daran, wie das Gegebene „im Stande der Erlösung" (16) wäre. Leidenserfahrung und Glücksversprechen, welche in der Negativen Dialektik als die beiden Instanzen fungieren, die allein einen Ausgriff auf das Ganze und darin auf die Wahrheit jedes Besonderen erlauben, bilden auch im Ästhetischen die umfassendsten Perspektiven der Deutung. Wenn jede Negativitätserfahrung vom wie immer demenfierfen Bezug aufs Unversehrfe lebf, so kommf dieser im schönen Schein in prägnanfer Weise zu eigener — seiner einzig legifimen — Gesfalf. Allerdings offenbart sich gerade im Ästhetischen die Gebrochenheit jeder affirmativen Totalitätsbehauptung; jeder Ausgriff aufs Ganze sfeht unter dem nicht-relativierbaren Vorbehalt des Scheins. Wohl will Kunst „einlösen, was Natur verspricht", doch ist sie dazu nur fähig, „indem sie jenes Versprechen bricht, in der Zurücknahme auf sich selbsf" (103): „Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird" (205). Gleichwohl ist diese Zurücknahme kein Dementi ihrer Wahrheit. Kunst ist das Medium, in dem Wahrheit über die Welt erschlossen wird, eine Wahrheit, die eine essentiell geschichtliche und negative ist: Die Wahrheit über das Seiende ist nicht — wie bei Hegel — sein an-sich-Versöhntsein, sondern seine Zerrissenheit. Nicht an sich versöhnt ist das Wirkliche, weil sein Ansichsein noch gar nicht ist. Die Chiffren der Versöhnung weisen über Geschichte hinaus, als „Anamnesis" (116) oder „Vorwegnahme" (121): „Das Bild des Ältesten an der Natur ist umschla-
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gend die Chiffre des noch nicht Seienden" (115). A. WELLMER hat vorgeschlagen, den Vorschein auf Versöhnung, der nach ADORNO zum Telos künstlerischer Darstellung gehört, weniger an deren kognitiv-propositionaler Wirklichkeitserschließung als an der Stimmigkeit der ästhetischen Synthese festzumachen (das Kunstwerk nicht „substantiell, sondern funktional", nicht über sein „Sein", sondern seine „Wirkung" auf Versöhnung zu beziehen)i5. Indessen ist klar, daß eine solche Akzentuierung die Stoßrichtung des AooRNOschen Konzepts modifiziert: Für dieses bilden Leidenserfahrung und Glücksversprechen, Herrschaft und Versöhnung Erfahrungsgehalte, die unabdingbar zum Erschließungscharakter der Kunst gehören, die das, was Kunst über die Wirklichkeit aussagt, wesentlich mitdefinieren. Wenn wir ADORNOS Ästhetik in den vorausgehenden ideengeschichtlichen Abriß zurückstellen, so zeigt sie sich sowohl als Weiterführung wie als Radikalisierung der darin herausgearbeiteten Denkfigur. Als Weiferführung versammelt sie das Gesamt der früher genannten Motive, die sie in neuer Weise miteinander verschränkt. Die übernommenen Motivkonstellationen sind die von Wahrheit und Schein, Ansichsein und Setzung, Kunst und Natur. Eine zusätzliche Problemdimension gewinnen sie durch ihre grundsätzliche Historisierung. In bestimmterer Weise als Hegel und HEIDGGER fügt ADORNO nicht nur das Geschehen der Kunst, sondern das Ansichsein und das „Wahre" selbst in Geschichte ein; ebenso bleibt Naturschönheit nicht mehr invariante Grundlage und Gegenfigur, sondern wird sie selber von Geschichte affiziert: wie sich ihre Erfahrung „diesseits der Naturbeherrschung" hält (104), so verweist sie auf deren Jenseits. Eine Radikalisierung der aus der Ideengeschichte übernommenen Gedankenfigur ist sodann darin zu sehen, daß nicht nur dem ästhetischen Schein eine spezifische Wahrheitsfähigkeit zugebilligt, sondern gerade die Kunst in privilegierter Weise zum Organon der Erkenntnis wird. Wo Hegel die Verabsolutierung subjektiver Setzung sieht, sieht ADORNO deren einzig mögliche Durchbrechung. Allerdings ist diese Umkehrung nicht einfach Substitution: Die refundamentalisierte Kunst holt nicht ein, worin der Begriff nach Hegel über sie hinausgeht — positive Totalitätserkenntnis —, sondern bleibt in ihrem Wahrheitsanspruch gleichsam doppelt gebrochen: durch das Medium des ästheti-
Wahrheit, Schein, Versöhnung. Adornos ästhetische Rettung der Modernität. In: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno. Frankfurt a. M. 1985. 16, 30, 32 ff.
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sehen Scheins wie durch die der historischen Reflexion unabweisbare Negativität des Ganzen.
9. Kunst als Wahrheit und Schein — in eigentümlichen Wendungen zeigt die Geschichte der Ästhetik das Pendeln zwischen den Polen. Schon der Anfang markiert die Ambivalenz: Wenn für PLATON die Dichter lügen, so ist ihm doch das Schöne das Wahre schlechthin. Am anderen Endpunkt steht die eigenartige Tatsache, daß Hegels Urteil über die Vergangenheit der Kunst als Wahrheitsform von der Gegenwart infragegestellt scheint. Wenn schon für HEIDEGGER die „Entscheidung über Hegels Satz . . . noch nicht gefallen" ist (a. a. O. 67), so scheint ADORNO ihn geradezu zu widerrufen. Darin gerät er seinerseits in paradoxe Allianz mit einer bestimmten Postmoderne, der sich sein Pathos des Wahren sonst strikt widersetzt. Um über das Ästhetische in der Gegenwart Aufschluß zu gewinnen, ist es nötig, die gegenläufigen Richtungen gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Die Konjunktur des Scheincharakters ordnet das Ästhetische in einen weiteren, spezifisch modernen Kontext ein, in welchem das Phänomen subjektiver Konstitution unter verschiedensten Aspekten zur Geltung gebracht worden ist. Für die allgemeine Symboltheoriei* bilden Kunst und Nicht-Kunst nur unterschiedliche Varianten eines Tuns, durch welches wir Tatsachen, Wirklichkeiten, Welten konstituieren; sein anthropologischer Grund ist ein den Menschen vor andern Lebewesen auszeichnendes, ursprüngliches „Bedürfnis des Symbolisierens''.^^ Nach verschiedensten Formprinzipien vollziehen sich die „Weisen der Welterzeugung", deren Produkt nach GOODMAN nicht einfach eine Vielzahl „möglicher", sondern „wirklicher Welten" ist, deren umfassende Einheit ihrerseits „auf viele Weisen erbaut" werden kann.i® Damit ist jede Spur eines Ansich getilgt. Setzung wird zum irreduzibel autarken Akt. Zwischen Finden und Erfinden von Strukturen, Entdecken und Verordnen von Gesetzen, zwischen Korrespondenz und Kohärenz als Wahrheitsnorm verschwindet der Hiatus.Man kann die Durchgängigkeit dieses E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Darmstadt 1980; Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. Darmstadt 1956; S. Langer: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken,
im Ritus und in der Kunst. Frankfurt a. M. 1984. S. Langer, 48 f. 18 Weisen der Welterzeugung. Frankfurt a. M. 1984. 14—18. Goodman, 32. Vgl. B. Waldenfels: Fiktion und Realität. In: Ästhetischer Schein. Hrsg, von W. Oelmüller. Paderborn 1982. 94—102.
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konstruktivistischen Charakters der Welt bzw. das Bewußtsein davon auf Verschiedenes zurückführen. Ideengeschichtlich wird auf die mit KANT vollzogene kopernikanische Wende verwiesen — ihr Endpunkt ist eine Ontologie, welche Gegenständen des Alltags, der Wissenschaft oder der Mythologie ein und denselben Status als Setzungen^o zuschreibt; sozial- und kulturgeschichtlich wird auf die Auflösung substantialer Anschauungen und die steigende Komplexität, Künstlichkeit und symbolische Vermitteltheit sozialer Gefüge rekurriert. Beide Prozesse scheinen parallel zu verlaufen; die Einsicht in die Konstruiertheit des Wirklichen und dessen reale Transformation in ein Gemachtes bis hin zur Kongruenz von factum und fictum. Wenn solche gängigen Deutungen einen realen Zug der Geschichte treffen und die darin ausgemachten Tendenzen des Zeitgeistes mit einer generellen Ausweitung des Ästhetischen einhergehen, so mag es erstaunen, daß gerade herausragende Ansätze neuerer Ästhetik dieser Tendenz zuwiderzulaufen scheinen. Bekräftigen NIETZSCHE und KIERKEGAARD noch die ästhetische Tendenz zur Virtualisierung, so artikulieren äDORNO und HEIDEGGER ein gegenläufiges Motiv; ähnliche Gegenbewegungen mag man z. T. in der Gegenwartskunst selber wahrnehmen.^i Zum neuzeitlichen Standardrepertoire der Interpretationen von Kunst gehört, daß sie Möglichkeitshorizonte eröffne: neue Sehweisen, Erfahrungsräume, Weltentwürfe und Existenzmöglichkeiten. Doch was sich als explorierendes Eindringen in das Sein von Mensch und Welt vollzieht, zeigt sich von anderer Seite — und im Maße der Verselbständigung der Kunst zunehmend — als Verharren im Möglichen; die Erage liegt nahe, ob Gegentendenzen nicht geradezu als Reaktion auf solche Entwirklichung zu verstehen sind. Wenn es scheint, daß jede Äusrichtung auf Objektivität der Tendenz des Zeitgeistes zur Ästhetisierung zuwiderläuft und eigentlich durch sie widerlegt wird, so ist doch darauf zu insistieren, daß Kunst nicht einfach in das allgemeine Raster von Symbolisierung und Setzung sich fügt. Durch dieses wird jene nicht in ihrer Bestimmtheit gefaßt. Nach S. LANGER verfehlt eine Deutung, die (wie die pREUDsche, aber auch die allgemeine Symboltheorie) „keine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Kunst" macht und zu machen erlaubU^, das Wesen der Kunst. Der spezifische Wahrheitsanspruch, den Kunst nach ADORNO erhebt, wird von Kitsch und Massenkultur dementiert. Weist 20 Vgl. Quine: Word and Object. Cambridge 1960. 22 £. 2' Vgl. E. Grassi: Die Theorie des Schönen in der Antike. Köln 1980. 25 ff, 42 ff, 95 ff, 222 ff. 22 S. Langer, 207.
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jede Kunst über das empirische Festgelegtsein der Dinge hinaus, so geht doch, was darüber hinaus ist, nicht im Raum des Subjektiven und den subjektbezogenen „modernen Ersatzfunktionen des Ästhetischen"23 auf. Distinktives Merkmal des Kunstwerks ist weder die Symbolisierung noch die Treue des Abbilds, der Wert des Dargestellten oder das Wohlgefallen; Kriterium bleibt, obwohl die Theorie dazu großenteils schweigt, womit PLATON Wahrheit verband: Schönheit. Zu fragen ist, welche Wahrheit im Werk eröffnet wird. Generell ist es zunächst ein Moment von Nicht-Beliebigkeit, welches Kunst zur Geltung bringt — so daß sie in der Welt des universalisierten Scheins gerade zum Medium der Wirklichkeitserfahrung und „Antifiktion"24 werden kann. Scheint sich HEIDEGGERS seinsgeschichtliche Deutung noch der PLATONischen Ontologisierung des Wahren anzunähern, so ist für ADORNO Geschichte als solche letzter Horizont. Allerdings geht es dabei nicht einfach wie beim jungen Hegel um die Selbstexplikation des geschichtlichen Geistes eines Volks; gerade die KANTische Reminiszenz der Natur in der Kunst verleiht der Ästhetik auch einen Stand gegen Geschichte. Wie immer aber die Objektivität, auf die das Schöne verweist, näher bestimmt werde — in jedem Fall wird darin eine Gegenposition zu jener Hegelschen Deutung der Gegenwartskunst markiert, die Kunst zur puren Setzung verkommen sieht. In der allgemeinen Bewegung der Moderne wird durch die Kunst, der Hegel solches am wenigsten zutraut, eine Gegenbewegung angedeutet, in welcher subjektives Hervorbringen zum Sehenlassen eines von sich aus sich Manifestierenden wird. Selbst wenn die postmoderne Stilisierung gegenwärtiger Ratio in ihrer Beschreibung recht hätte, bliebe doch der von ihr vollzogenen Transponierung der Vernunft ins Ästhetische entgegenzuhalten, daß über das Ästhehsche selber damit nur die halbe Wahrheit gesagt ist.
23 R. Bubner, in: Merkur, Nr. 444, Febr. 1986, 91-107. 24 O. Marquard: Kunst als Antifiktion — Versuch über den Weg der Wirklichkeit ins Fiktive. In: Funktionen des Fiktiven. Hrsg, von D. Henrich und W. Iser. München 1983. 135—154.
VOLKER RUHLE (MÜNCHEN)
JACOBI UND HEGEL Zum Darstellungs- und Mitteilungsproblem einer Philosophie des Absoluten
I. Im Licht geläufiger Topoi der philosophiehistorischen Forschung hat es den Anschein, als könnte in der Periode der klassischen deutschen Philosophie zwei Denker kaum weniger miteinander verbinden als Hegel und JACOBI: Hegel, den „Idealisten", den Denker des Systems und der logisch darstellbaren Gegenwart des Absoluten in aller Wirklichkeit und JACOBI, den „Realisten", wie er sich selbst nennt, dem es vor allem darum geht, seiner ureigensten Selbsterfahrung Ausdruck zu verleihen — um die „Friedrich-Heinrich-Jacobiheit", wie F. SCHLEGEL ironisch anmerkt^ — und der bis zur Verzweiflung von der Vorstellung verfolgt wird, es könne für das Denken einen Übergang zwischen göttlichem und menschlichem Leben geben, der beide miteinander vermittelte und jenes lediglich als unendliche Perpetuierung von diesem denk- und erfahrbar machte. Andererseits ist es nicht gerade eine Neuigkeit, daß von JACOBIS Existenzphilosophie seit den Diskussionen des Tübinger Freundeskreises um Hegel, HöLDERLIN und SCHELLING wichtige Impulse für die Entstehung der spekulativen Philosophie ausgegangen sind. Das wissen wir nicht nur von ROSENKRANZ^, auch HöLDERLINS Tübinger Exzerpt aus JACO1 F. Schlegel: Jacobis „Woldemar". In: Kritische Schriften. Darmstadt o. J. 192. 2 G. W. F. Hegels Leben. Nachdr. Darmstadt 1963. 40: „Mit Hölderlin, Fink, Renz und anderen Freunden las und durchsprach Hegel sicheren Nachrichten zufolge Platon . . . Kant, Jacobis Woldemar und Allwill, die Briefe über Spinoza und Hippel's Lebensläufe in aufsteigender Linie." Vgl. auch Th. Steinbüchel: Das Grundproblem der Hegelschen Philosophie. Bd 1: Die Entdeckung des Geistes. Bonn 1933; O. Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik. Bonn 1956; V. Verra: F. H. Jacobi. Dall'illuminismo all'idealismo. Torino 1963; ders.: Jacobis Kritik am deutschen Idealismus. In: Hegel-Studien. 5 (1969); G. Höhn: Die Geburt des Nihilismus und die Wiedergeburt des Logos. In: F. H. Jacobi. Hrsg, von K. Hammacher. Frankfurt a. M. 1971; M. Brüggen: Jacobi, Schelling und Hegel. In: ebd.; K. Hammacher: Jacobi und das Problem der Dialektik. In: ebd.; £. Hirsch: Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. In: Materialien zu Hegels Phänomenologie. Hrsg, von F. Fulda und D. Henrich. Frankfurt a. M. 1973; R. Legros: Le jeune Hegel et la naissance de la pensee romantique. Bruxelles, Paris, Carpentras 1980; G. Falke: Hegel
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Spinoza-Briefen, Hegels und vor allem die in den Texten des jungen
ScHELLiNG immer wiederkehrende direkte Bezugnahme auf JACOBI legen
Zeugnis von der Bedeutung ab, die sie ihm beimaßen. Diese Bedeutung ist aber aus dem historischen Blickwinkel philologischer Akribie allein nicht angemessen zu begreifen. Einmal, weil Hegel selbsf sie mit seiner ersten abgrenzenden Kritik und Einordnung JACOBIS als Glaubens- bzw. Reflexionsphilosophen eher verdunkelt, zum anderen und vor allem aber, weil es hier um ein Denken in einem Bereich geht, der sich der Ansicht JACOBIS und der spekulativen Denker des Absoluten zufolge der Sprache, zumindest in einem herkömmlichen Sprachverständnis, entzieht. Wo es um die Mitteilung oder Darstellung einer Erfahrung des Absoluten geht, kann — noch unabhängig davon, was damit gemeint ist und wie man in eine solche Erfahrung ggf. hineinkommt — doch schon soviel gesagt werden, daß ein Verständnis dieser Darstellung als Aussage eines Denkers „über" ein ihm vorliegendes Absolutes ins Leere greifen muß. Denn damit wäre mit einem instrumenteilen Sprachverständnis von vornherein ein Verhältnis von Denkendem und Gedachtem angesetzt, das dieses als Gegenstand von jenem bestimmt. Ein Begriff des Absoluten, der seinen Gehalt derart auf das Objekt eines Denkens reduziert, ist aber bereits im Ansatz verfehlt. „Das" Absolute kann als solches, wenn überhaupt, dann keinesfalls als Gegenstand zur Sprache kommen und nicht zu einer Sprache, deren Begriffe als bloße Form zu ihren Inhalten hinzutreten. „Das Würkliche," schreibt JACOBI etwa im AllwilP, „kann ausser der unmittelbaren Wahrnehmung desselben eben so wenig dargestellt werden, als das Bewußtseyn ausser dem Bewußtseyn, das Leben ausser dem Leben . . . die Vorstellungen können das Würkliche als solches nie darstellen." {Allwill, 140) Nun teilt Hegel diese Ansicht über die generelle Ohnmacht von Sprache und Darstellung einer Mitteilung des Absoluten sicher nicht. Aber, so möchte ich zeigen, sein Sprach- und Darstellungsverständnis knüpft an JACOBIS Problembewußtsein insofern an, als auch er vom Scheitern eines formallogisch und instrumenteil verstandenen Sprach- und Vernunftverständnisses und der Notwendigkeit seiner Überschreitung ausgeht: zunächst, indem er im Frankfurter „Systemfragment" erklärt, daß das Wahre „ein Sein außer der Reflexion ist", und dann, insofern er seit und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. 22 (1987). 3 Eduard Allwüls Briefesammlung. Königsberg 1792. — Im Folgenden zitiert: Allwill.
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der Differenz-Schriit die „Vernichtung der Reflexion" als konstitutives Moment der Darstellung eines spekulativen Systems begreift. Ein erweitertes, die Reflexion überschreitendes Sprachverständnis müßte, wie Hegel meint, nun aber auch für die Interpretation und ihr Verhältnis zum spekulativen Text bzw. dem in ihm Dargestellten Konsequenzen zeitigen: „Nirgend mehr als in Mitteilung des Göttlichen ist es für den Empfangenden notwendig, mit eigenem tiefen Geiste zu fassen . . . weil unmittelbar jedes über Gott in Form der Reflexion Ausgedrückte widersinnig ist. . ., diese immer objektive Sprache findet daher allein im Geiste des Lesers Sinn und Gewicht, und einen so verschiedenen, als verschieden die Beziehungen des Lebens und die Entgegensetzung des Lebendigen und des Toten zu Bewußtsein gekommen ist."4 Das hier anklingende Sprachproblem stellt sich als Überwindung eines „objektiven" Sprachbegriffes, mit dem zugleich eine nur formal überbrückbare Trennung von Begriff und Gegenstand vorausgesetzt ist. Wenn denn, wie Hegel schreibt, der „Sinn" einer Mitteilung des Göttlichen auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen kann, diesen also übersteigt, dann dürfen wir nicht hoffen, ihn unmittelbar dem Ausdruck entnehmen zu können, den Hegel ihm in seinen Texten gegeben hat. Es war, so meine These, gerade der von KANT heftig kritisierte „vornehme Ton" in der Philosophie JACOBIS, der bei den Denkern des spekulativen Idealismus die Sensibilität für die Grenzen eines bloß formal verstandenen Sprach- und Vernunftbegriffes weckte, dem seine Gegenstände im konkreten Erkenntnisakt nachträglich subsummiert werden. Darüber hinaus eröffnet sich hier, wie ich glaube, ein Verständnis für die Durchdringung von Lebensphilosophie und systematisch diskursiver Darstellungsform bei Hegel, auf die schon verschiedentlich aufmerksam gemacht wurde.^ Dieser Aufmerksamkeit ist aber die Tatsache entgangen, daß die Durchdringung beider Motive nicht nur „im" Hegelschen System vorhanden ist, sondern den Begriff eines spekulativen Systems selbst berührt und in Frage stellt.^ * G. W. F. Hegel: Werke. Frankfurt a. M. 1971 u. ö. Bd 1: Frühe Schriften. 373. — Im Folgenden zitiert mit bloßer Bandzahl; I. 5 Am eingehendsten wohl bei D. Henrich: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1975. 9 — 73. Vgl. auch E. Hirsch (wie Anm. 2); Th. Steinbüchel (wie Anm. 2), 9 ff, 30—43. Th. Steinbüchel bemerkt in seiner einfühlsamen Arbeit, daß „eine Stellungnahme zu Hegels Philosophie . . . den Systemgedanken als solchen sich zum Problem werden lassen" muß (IX); doch bleibt auch bei ihm unklar, worin denn, außer in der Tatsache einer Aufnahme subjektphilosophischer und lebensphilosophischer Strömungen das fundamental Neue — nicht nur an Hegels System, sondern auch an Hegels Systembegriff besteht. Auch Steinbüchel wird so im Grunde nicht dem Anspruch der spekulativen Systemidee gerecht.
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II. Anziehungskraft auf die spekulativen Denker scheint vor allem in seinem komplizierten Verhältnis zu SPINOZAS All-Einheitsdenken zu liegen: in seiner Darstellung, seiner Ablehnung und der inneren Affinität, die ihn mit SPINOZA verbindet. Die von ihm ausgelöste SPINOZARenaissance^ spielt im Selbstverständnis der spekulativen Philosophie nach KANT eine nicht zu unterschätzende Rolle.® JACOBIS Argumente gegen die Verabsolutierung der Vernunft, die er bei SPINOZA zu entdecken meinte und die, wie er weiter schloß, in den Fatalismus und Nihilismus einer allgegenwärhgen logischen Determination münden müsse, da sie die Wirklichkeit den Vermittlungen der Vernunft unterwerfe, diese Argumente kehren im Gewand einer Kritik an Hegels vermeintlicher Subsumtion der Wirklichkeit unter die Macht des Begriffs auch heute noch immer wieder. Man darf dabei aber nicht übersehen, daß JACOBIS SpiONZAkritik ein erweitertes Vernunftsverständnis vorbereitet, das sich gerade nicht mehr nur als Gegenüber einer ihm vorausgesetzten Wirklichkeit begreifen läßt und demzufolge auch deren Begriff berührt. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß JACOBIS Kritik an SPINOZAS unmittelbarer Identifikation von Vernunft und Wirklichkeit bei der Geburt des spekulativen Systemverständnisses Hebammendienste geleistet hat. Bekanntlich hat SPINOZAS, mit mathematischer Präzision durchgeführter Gottesbeweis die alte Vorstellung des transzendenten Schöpfergottes in Frage gestellt. Für JACOBI ist der „Geist des Spinozismus" deshalb, wie JACOBIS
in der Vergegenwärtigung des Absoluten mehr zu sein als das eben auch nur Subjekt- oder reflexionsphilosophisch verstandene Begriffsgebäude eines bestimmten Denkers. Hegel selbst schreibt dazu in einem Brief an Hinrichs im Sommer 1819: „Was das andere betrifft, daß die Vorstellung hervor gehe, das Absolute habe sich in meiner Philosophie erst begriffen, so wäre viel darüber zu sagen; das Kurze aber ist, daß, wenn von Philosophie als solcher die Rede ist, nicht von meiner Philosophie die Rede sein kann, daß aber überhaupt jede Philosophie das Begreifen des Absoluten ist — ebendamit nicht eines Fremden, und das Begreifen des Absoluten somit allerdings ein Sich-Selbst-Begreifen desselben ist," Briefe. Bd 2. Hamburg 1953. 215 f. Demnach liegt die von Hegel entdeckte systematische Bezogenheit, die als Ab-solutes allem Endlichen innewohnt, nicht nur in den Worten, die Hegel dafür gefunden hat, sondern in einer Tiefendimension, die auch diese Worte als bestimmte noch umgreift, ^ H. Timm: Gott und die Freiheit. Bd 1: Die Spinoza-Renaissance. Frankfurt a. M. 1974 und; Die Bedeutung der Spinozabriefe jacobis für die Entwicklung der idealistischen Religionsphilosophie. In; F. H. jacobi. Hrsg, von K. Hammacher. Frankfurt a, M. 1971. ® Das gilt auch für Fichte, der über Schellings Schrift Vom Ich . . . am 2. 7. 1795 an Reinhold schreibt: „Besonders lieb ist mir sein Hinsehen auf Spinoza: aus deßen System das meinige am füglichsten erläutert werden kann."
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er schreibt, „wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches Spinoza, nach abgezogenem Begriffen als die philosophischen Cabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenem Begriffen fand er, daß durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen suche; durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen . . . und setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine inwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Eolgen zusammengenommen — Eines und dasselbe wäre."^ „Ich glaube nicht, daß der Geist des Spinozismus besser gefesselt werden konnte", urteilt SCHELLING über diese Stelle (S. W. Abs. 1, Bd 1. 313). JACOBI weigert sich aber, den aus diesem Argument SPINOZAS folgenden Schluß — für ihn das Merkmal dessen, was er „Spinozismus" nennt — mitzuvollziehen: den Schluß, es gebe keine von der Welt unterschiedene Ursache der Dinge (SpBr. 63). Denn in ihm erkennt er sein mystisches Urerlebnis wieder, das ihn Zeit seines Lebens begleiten und in Schrekken versetzen wird: Die Vorstellung endloser Eortdauer des Endlichen, die jede Hoffnung auf ein besseres Leben der gleichermaßen fatalistischen wie nihilistischen Konsequenz einer nur intramundanen, zwar göttlichen aber persönlichkeits- und leblosen Substanz ausliefert {SpBr. 328 f). Und doch richtet sich JACOBIS Einwand nicht einfach gegen den Gedanken der Immanenz Gottes. Denn nach seinem „salto mortale", mit dem er der logischen Konsequenz des Spinozismus entgehen und den Glauben an einen persönlichen Gott offenhalten will, landet er mit dem Bekenntnis: „Es muß, da überhaupt Vernunft vorhanden ist, auch eine reine Vernunft, eine Vollkommenheit des Lebens vorhanden sein. Alle andre Vernunft ist von dieser nur Erscheinung und Widerschein. Und diese Vernunft ist gewiß im strengsten Sinne Einzig und allein . . . Ev xai Ilav" {Allwill, 294). Er fügt aber sogleich hinzu: „Leider, für die menschliche Anschauung auch: „ofiöev xai flavTa!" Es gibt, so schreibt er in der Beilage IX der Spinoza-Briefe, noch einen anderen als den „Geist des Syllogismus", den Geist diskursiver Vernunft, um sich die Immanenz Gottes zu vergegenwärtigen: „Ich halte diesen anderen Geist für den Othem Gottes in dem Gebilde von Erde." {SpBr. XLIII) Es ist nicht die Immanenz Gottes, die ihn schreckt, sondern die fatalistische Konse^ Über die Lehre des Spinoza 24 f. — Im Folgenden zitiert:
in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. 2. SpBr.
Aull. Breslau 1789.
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quenz, die sich ergibt, wenn man wie SPINOZA das All-Eine mit dem gegenständlichen Dasein der Dinge identifiziert und die Substanz als natura naturans in den Bereich des der theoretischen Vernunft zugänglichen „Natürlichen" verlegtd*’ JACOBIS Sprung über die Barriere diskursiver Logik, den er als unmittelbaren Schluß aus den Konsequenzen des Fatalismus gegen diesen versteht (ßpBr. 28), erschließt ein neues Verständnis der Substanz, ohne damit den spinozistischen Immanenzgedanken aufzugeben. Die Substanz ist für ihn „Geist", ein geistig gegenwärtiger Gott, der einem Begriff freier und schöpferischer Tätigkeit wieder Raum gibt. Dieser Raum bleibt verschlossen, wenn man, wie SPINOZA, die All-Einheit Gottes nach dem Muster gegenständlicher Erkenntnis denkt. Der Gedanke der Immanenz eines geistigen Gottes läßt nun aber das Verhältnis von Begriff und Gegenstand wie auch den Begriff beider nicht unberührt, deren Identität als unterschiedlicher Ausdruck der Substanz SPINOZA noch unvermittelt vorausgesetzt hatte. Das heißt, daß JACOBI mit seinem „Realismus" nicht einfach hinter die Wende KANTS zurückfällt. Gerade weil er diese Wende grundsätzlich mitvollzieht, kann er die von KANT abgesteckten Grenzen in seine eigene Version eines „Realismus", in die Unmittelbarkeit eines erweiterten Vernunftbegriffes zu den Dingen, überschreiten. Der logische Begriff ist für JACOBI nicht einfach der von einer ihm zugrundeliegenden Wirklichkeit abgezogene Ausdruck sondern wesentlich „Construction": eine Vermittlung und Verknüpfung, die wir aus eigener Spontaneität vornehmen, indem wir unmittelbaren „Empfindungen", die dieser Vermittlung vorausliegen, Sprache verleihen: „Wir eignen uns das Universum an, indem wir es zerreißen, und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder-ldeenund Wort-Welt erschaffen. Was wir auf diese Weise erschaffen, verstehen wir, in so weit es unsere Schöpfung ist, vollkommen; was sich auf diese Weise nicht erschaffen läßt, verstehen wir nicht; unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes Hervorbringen nicht hinaus." {SpBr. 403) Der Geist als „Othem Gottes in dem Gebilde von Erde" geht für JACOBI nicht in dem auf, was der theoretischen Vernunft von diesem Gebilde erscheint, denn deren Begreifen ist in die Grenzen des Konstruierbaren und Vermittelbaren, des Gegenstandsbezuges eingeschlossen. 10 Ähnlich argumentiert Schelling später in seiner Freiheits-Schrift gegen Spinoza: „Der Fehler seines Systems liegt keineswegs darin, daß er die Dinge in Gott setzt, sondern darin, daß es Dinge sind — in dem abstrakten Begriff der Weltwesen, ja, der unendlichen Substanz selber, die ihm eben auch ein Ding ist." Werke. Frankfurt a. M. 1975. 44. Vgl. V. Verra (wie Anm. 2).
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Die Vernunft, wenn sie sich in theoretischer Absicht aufs Absolute richtet, muß dieses mit ihrem Begriff ebenso zerreißen, wie das Universum, von dem sie im Rahmen ihres Begriffsvermögens nur die abstrakte Wortwelt zurückbehält. Theoretische Vernunft, argumentiert JACOBI, kann immer nur mit gegenständlich Gegebenem umgehen, Schöpfung aber fügt sich nicht den kompositorischen Prinzipien logischer Konstruktion (SpBr. 414 ff): Der Begriff des Lebens oder eine Theorie über es sind etwas anderes als das Leben selbst^^, sie sind aber nur möglich als dessen bestimmte Äußerung. Deshalb ist lebendige, schöpferische Tätigkeit, ist der Übergang vom Schöpfer zur Schöpfung für JACOBI der Sprache verschlossen, insofern Sprache nur als Resultat dieser Tätigkeit möglich ist: „wenn man etwas darüber sagen wollte, so müßte man aus Offenbarung reden“ {SpBr. 45). Oder in den Worten jener bekannten, von HöLDERLIN exzerpierten und von SCHELLING wiederholt aufgegriffenen Formulierung: „Nach meinem Urtheil ist das größte Verdienst des Forschers, Daseyn zu enthüllen und zu offenbaren . . . Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster — niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache.“ {SpBr. 42)13 Aber auch wenn sich das lebendige „Daseyn“ für JACOBI der Sprache der diskursiven Vernunft verschließt, so ist es doch darum nicht sprachund vernunftlos. Um das zu verstehen und JACOBIS Begriff der Offenbarung näherzukommen, bedarf es allerdings eines verwandelten Vernunftverständnisses, das er mit seiner nicht weniger bekannten Frage einführt, mit der er sich vom Denken cartesischer Tradition absetzt: „Hat der Mensch Vernunft, oder hat Vernunft den Menschen?“ {SpBr. 422) Vernunft, so fährt er fort, läßt sich zunächst instrumenteil verstehen. Sie ist dann „eine Beschaffenheit des Menschen, die er nach und nach erlangt, ein Werkzeug, dessen er sich bedient, sie gehört ihm zu" {SpBr. 423). Mit der Grenze dieses Vernunftverständnisses ist aber zugleich ihr '2 In diesem Sinn ist, wie ich meine, die vielzitierte Stelle in Hegels Brief an Schelling vom November 1800 zu verstehen: „In meiner wissenschaftlichen Bildung . . . mußte ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln; ich frage mich jetzt. . . welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist." {Briefe. Bd 1. 59 f). Gerade diese Rückkehr von der „Reflexionsform" des Systems ins „Leben" wird von den Interpreten durchweg außer acht gelassen; insofern sie später als Überschreitung der Reflexion von Hegel selbst wieder systematisch artikuliert wird, muß aber gerade sie den Systemgedanken in entscheidender Weise über die reflexionslogisch verstandene bestimmte Darstellung eines Denkers hinausheben. D Vgl. Schelling: Vom Ich . . . In: SämmÜiche Werke. Abt. 1, Bd 1. 156 und 186.
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Jenseits und die Möglichkeit ihrer Überschreitung gesetzt: „Versteht man aber unter Vernunft das Prinzip der Erkenntnis überhaupt! so ist sie der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat." {SpBr. 423) Im Grunde fußt JACOBIS Darstellung hier auf einem Argument, das er in der Beilage IX zu Beginn der Spinoza-Briefe einführt: Vermittlung ist als solche gar nicht möglich, ohne einen ursprünglichen und unmittelbaren Selbstbezug des Vermittelten. Vermittlung setzt mithin ein unmittelbares Dasein voraus, das vermittelt werden und deshalb nur als Grund, nicht aber als Resultat der Vermittlung begriffen werden kann: „Wenn nun ein durchaus vermitteltes Daseyn oder, Wesen nicht gedenkbar, sondern ein Unding ist, so muß eine blos vermittelte, das ist ganz mechanische Handlung ebenfalls ein Unding sein: folglich ist Mechanismus an sich nur etwas zufälliges, und es muß eine reine Selbsthätigkeit ihm nothwendig überall zu Grunde liegen." {SpBr. XXXV f) Diese aller Beziehung auf Anderes zugrundeliegende Selbsttätigkeit, von der wir, wie er schreibt, in der freien Willensäußerung als „Analogon des Übernatürlichen" in uns {SpBr. 428) unmittelbare Gewißheit besitzen, ,erschließt' JACOBI — das „folglich" deutet es an — aus der Vermitteltheit diskursiver Vernunft. Dieses Erschließen geschieht aber nicht im heftig kritisierten „Geist des Syllogismus" formaler Vernunft. Wir können, so argumentiert JACOBI, absolute Selbsttätigkeit nicht beweisen oder begründen, denn das würde bedeuten, sie auf vermitteltes Dasein zu reduzieren. Aber da sie aller Vermittlung als Bedingung von deren Möglichkeit zugrundeliegen muß, können wir ihre „Wirklichkeit" erkennen, insofern sie sich „unmittelbar im Bewußtsein darstellt und durch die That beweist" {SpBr. XXXVI f). Dieses Erschließen bedarf keines diskursiv vermittelnden medius terminus, insofern das alle Vermittlungen tragende „Leben" diesen Vermittlungen nicht nur voraus- und gegenübergesetzt ist, sondern sich im Horizont des erweiterten Vernunftbegriffes in ihnen verkörpert. Ein solches Erschließen, das JACOBI aufgrund seiner Voraussetzungen nicht begrifflich entwickeln kann, wird, wie sich noch zeigt, für den Glaubensbegriff des jungen Hegel bedeutsam. Es ist möglich, insofern JACOBI Sprache nicht ausschließlich formal, als „Zerreißen" der Wirklichkeit erfaßt sondern darüberhinaus eben auch als Äußerung von „Leben". Damit überschreitet er den Dualismus von Begriff und Wirklichkeit, von dem KANT noch fraglos ausgeht, auf eine in ihm notwendig mitgesetzte und ihn ermöglichende Einheit hin. Der Begriff und seine Trennung von der Wirklichkeit entspringen für JACOBI der Notwen-
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digkeit des „Lebens", sich zu besondern, in bestimmte Lebensformen zu unterscheiden und sich in ihnen zu erhalten (SpBr. 402). Vernunft und damit auch ein sie „offenbarendes" Sprechen gewinnt damit über die Konstitution formaler Verhältnisse hinaus einen inneren Bezug zur Wirklichkeit: „Verstand und Vernunft für sich allein, nach dem bloßen Vermögen, Verhältnisse wahrzunehmen, betrachtet, sind Gedankenwesen, und ihr Geschäfte wie ihr Inhalt, nichts. In der Würklichkeit sind sie die vollkommnere Empfindung selbst, das edlere Leben, das höchste Daseyn das wir kennen. Die sich bei JACOBI abzeichnende Überschreitung der vermittelten Rede in eine für dieses Reden selbst grundlegende Dimension, die er „Sinnlichkeit" nennt und als „Thätigkeit" beschreibt {DH 184 ff), öffnet den Blick über die instrumenteile Funktion der Sprache hinaus auf die andere Seite der „abstrakten Bilder-und-Wortwelt" unserer Vermittlungen: auf das unmittelbare „lebendige Daseyn", das ihr zugrunde liegt und über das, wenn überhaupt, nur aus Offenbarung zu reden wäre: „Vielheit, Verhältnis, sind lebendige Begriffe, die ein lebendiges Wesen, welches in seine Einheit das Mannichfaltige thätig aufnehmen kann, voraussetzen." (DH 176) „Sinnlichkeit" ist JACOBIS Ausdruck für diese ursprüngliche Tätigkeit, in der Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes noch ununterscheidbar verwoben sind, ihre Unterscheidung wäre für ihn bereits vermitteltes Dasein, durch sie erst „entsteht Begriff, Wort, Person" (DH 176, vgl. 64). 15 Mit dieser Verquickung von Vermittlung und Unmittelbarkeit, Sprache und Selbsttätigkeit, vermeidet JACOBI sowohl SPINOZAS unmittelbare Identifikation von Begriff und Gegenstand als auch die bei KANT ebenso unvermittelt vorausgesetzte Trennung beider. Daß der die cartesische Denktradition beherrschende Dualismus von sprachlicher und außersprachlicher Wirklichkeit bei JACOBI selbst noch einmal in einem ihn ermöglichenden Sich-unterscheiden gründet, das er „Leben" nennt, dies betrifft nicht nur die Verhältniskonstellation von Begriff und Wirklichkeit, sondern vor allem auch den Begriff beider. Denn JACOBI begreift Wirklichkeit nicht nur als die Gesamtheit vorhandener Gegenstände, sondern als deren transzendentales Voraus. Demzufolge ist Sprache im Grunde weit mehr als nur eine zu den Dingen hinzutretende David Hunte — Über den Glauben. Breslau 1787. 201 f. — Im Folgenden zitiert; DH. 15 G. Höhn sieht im Anschluß an K. Hammacher: Die Philosophie F. H. Jacobis (München 1969) ein „dialogisches Prinzip" von Jacobis Denken; vgl. Höhn (Anm. 2), 289 f. Der Dialog setzt indessen Du und Ich bereits in bestimmter Bedeutung voraus. Jacobi geht es aber gerade um das „Leben" als notwendiges S;c/i-unterscheiden und nicht um den Unterschied bestimmter Lebendiger.
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Form, denn ihrerseits ein Ausdruck dieser Wirklichkeit, gibt sie Zeugnis von einem der Welt als Gesamtheit der Gegenstände zugrundeliegenden „Geist": „Der Grad unseres Vermögens, uns von den Dingen ausser uns intensiv und extensiv zu unterscheiden, ist der Grad unserer Personalität.. . Mit dieser köstlichsten Eigenschaft der Vernunft erhielten wir Gottesahndung; Ahndung dessen, DER DA IST: eines Wesens, das sein Leben in ihm selbst hat." (DH 202) Die von KANT herablassend als „affektierte Genieschwärmerei"!^ abgetane Denk- und Darstellungsform JACOBIS wäre von daher als Ausdruck des Bewußtseins einer tiefer liegenden Problemafik zu verstehen, die sich aber einem formalen, am Gebrauch von Zeichen orientierten Sprachverständnis entziehen muß. Es geht dabei um die Problematik, diesem sprach- und weltkonstitutiven „Geist", der doch nicht wie ein Objekt bezeichenbar und gegenwärtig ist, dennoch zur Sprache zu verhelfen, bzw. um das Problem seiner Darstellung.
III. Der Begriff der Sprache beinhaltet eine eigentümliche Differenz: Es gibt nicht „die" Sprache schlechthin, sie existiert nur in bestimmten Ausdrucksformen, im konkreten Sprachgebrauch. Und doch ist für jeden Sprachgebrauch „die" Sprache konsfitufiv: Etwas, das erlernt, verfeinert und auch für andere verständlich gebraucht wird, aber in diesem Gebrauch offenbar nichf aufgeht, sondern ihm unerschöpfliche Möglichkeifen über seine je bestimmt verwirklichte Gestalt hinaus bietet. Das Verhältnis „der" Sprache zu ihrer bestimmten Konkretisierung im Gebrauch, als die sie nur wirklich sein kann, darf demnach nichf als Relation bestimmt vorausgesetzter Relata aufgefaßt werden, denn die Untrennbarkeit beider Dimensionen des Sprachbegriffes ist selbst wieder untrennbar mit ihrer Differenz verwoben, insofern eine bestimmte Sprachgestalt zwar „die" Sprache intendieren, aber niemals unmittelbar und schlechthin mit ihr identisch sein kann. Man könnte von einer Durchdringung sprechen, in der sich das Selbe und Allgemeine, „die" Sprache in unterschiedlichen Gestalten so verkörpert, daß es als Grundlage, wie auch als Resultat dieser Vielheit aufgefaßt werden kann. Demzufolge gilt, daß „die" Sprache als das in allem bestimmten Sprechen Intendierte und ihm Zugrundeliegende nicht, wie dieses bestimmte Kant an Marcus Herz am 7. 4. 1786. In: Werke. Akad.-Ausg. Bd 1. 442.
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Sprechen, Gegenstände oder Inhalte haben kann, da sie einen bestimmten und bestimmenden Gegenstandsbezug wie auch eine Beziehung zu anders gearteten Formen von Gegenstandsbezug überhaupt erst ermöglicht und umfaßt. Sie kann darüberhinaus und entgegen dem Anschein, den der bestimmte Artikel erweckt, in der Verschränkung von Uni- und Multiversalität, der ihr eignet, auch selbst nicht einfach zum Gegenstand einer Sprachreflexion gemacht werden — es sei denn, diese würde sich im Akt des Begreifens als Reflexion selbsf aufheben und sich nun nicht mehr als Subjekt gegenüber einem Objekt verstehen, sondern ihrerseits als Manifestation und zugleich schöpferisches Hervorbringen des zu Begreifenden: „der" Sprache. Anders ist die Beziehung von Einzelnem und Allgemeinem im Verhältnis des Theoretikers zur Allgemeinheit einer Theorie beschaffen. Diese verdankf sich einem Enfwurf, einer Konsfrukfion des fheoretisierenden Subjekts. Ihr Begriff isf von vornherein so konzipierf, daß er sich von einem Gegensfand unferscheidet und lediglich von außen, als Form zu ihm, der ihr etwas Vorgegebenes ist, hinzutritt. Der Begriff der Theorie sefzf in seinem konkrefen Gebrauch bereifs ein Vorversfändnis davon voraus, was mit „Subjekt" und „Gegenstand" bzw. ihrem Verhältnis zueinander jeweils gemeint ist. Die Allgemeinheit einer Theorie konstituiert sich im Rahmen dieses Vorverständnisses durch Abstraktion von der Vielheit ihrer konkreten Gegenstände. Sie ist etwas anderes als ihr Objekt, sie ist eine Theorie „über" es: eine Theorie der Liebe etwa ist noch längst nicht deren angemessener Ausdruck. Demnach ist eine „Theorie des Absoluten" unmöglich.Denn der Gegenstand ihrer Ansprache wäre in und kraft dieser Ansprache nicht mehr W. Benjamin gesteht in seinen frühen Sprachreflexionen diese schöpferische Unmittelbarkeit von Begriff und Gegenstand nur einer „göttlichen", nicht jedoch der menschlichen Sprache zu, die sich zu ihren Gegenständen „erkennend" verhalte — erkennend freilich nicht nur in einem rezeptiven, sondern ebensowohl gegenstandskonstitutiven Sinn (vgl. Über die Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen, ln: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften. Bd 2. Frankfurt a. M. 1988), Diese Differenz zwischen göttlich-schaffender und menschlich-erkennender Sprache ist es im Grunde, die Hegels Systemidee einholen möchte: die selbst schöpferische und nicht nur bestimmt geschaffene Dimension der Sprache — die Sprache Gottes vor der Schöpfung, wie es die bekannte Selbstbeschreibung der Wissenschaft der Logik sagt und von der natürlich die Vorstellung eines die Sprache gebrauchenden Wesens fernzuhalten ist. t* Dieser Sprachgebrauch ist in der Hegelforschung durchaus üblich, vgl. D. Henrich: Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982. Henrichs Voraussetzung, die Darstellung des Absoluten bei Hegel als Entwurf eines Theoretikers im Gegenzug zur „natürlichen" Weitsicht zu verstehen (196 ff), bringt die Dimension des Absoluten eben auch nur als theoretisch abstraktes Allgemeines in den Blick: als Inbegriff formaler Verhältnisse, die der Erschließung „der" Wirklichkeit dienen (vgl. 189). Henrich sieht wohl die Notwendigkeit, diese Dimension nicht nur aus
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das Ab-solute, sondern eben nur ein Gegenstand und als solcher vom Vorverständnis des ihm gegenüberstehenden Subjektbegriffes mitbestimmt. Eine Darstellung des Absoluten hätte deshalb über seine Theorieform hinaus mehreren Problemdimensionen gleichzeitig Rechnung zu tragen. Denn ebensowenig wie das Absolute als Bestimmtes gedacht und zum Gegenstand werden kann, ist es als das Allgemeine zureichend erfaßt, das durch einen wie immer gearteten Zusammenhang der Einzelnen vermittelt ist. Weder schlechthin Unbestimmtes noch schlechthin Bestimmtes kann es nur als Prozeß des Übergehens in seine Bestimmtheit dargestellt werden, wie sich in der Negation, im Tod von deren konkreter Gestalt zugleich seine Unerschöpflichkeit realisiert und offenhält. Eine Darstellung dieser unauflöslichen und doch auch wesentlich durch die Differenz mitbestimmten Einheit von Bestimmtheit und Bestimmungslosigkeit steht aber zudem noch vor dem Problem, wie sich ihre besondere Darstellungsform zur „Absolutheif" des von ihr Dargestellten und damit auch zu anderen und anders bestimmten Darstellungsweisen des Absoluten verhält. In ihrem Anspruch, die Gegenwart des Absoluten darstellend zu verkörpern und diese nicht nur theoretisch vorzustellen, hätte eine spekulative Systemkonzeption auch diesen Problemen in systematischer Weise Rechnung zu tragen, was ihren Begriff über ein gängiges Darstellungs- als Vorstellungsverständnis hinaushebt. Unter dem Druck dieser Probleme, die für einen konsequent dargestellten Begriff des Absoluten konstitutiv sind, ist Hegels Darstellungsweise — sein vielgerühmtes und vielgeschmähtes „System" — zustandegekommen. Es ist, wie ich hier nur andeuten kann^^, als Entwurf eines dem Textbestand, sondern auch unter den Bedingungen gegenwärtigen Philosophierens wiederzugewinnen. Aber jene implizite Voraussetzung — die ein ganz bestimmtes Verständnis von Philosophiegeschichte und des Zugangs zu ihr mitsetzt — jene Voraussetzung philosophischer Darstellung als Theorie verstellt ihm den Begriff eines Absoluten, das nicht nur abstrakt-allgemeiner Gegen-stand von Theorie ist, sondern sich auch noch im Selbst-Weltverhältnis jeglicher Form von Theorie verkörpert. Erst ein solches Verständnis vom Denken des Absoluten wäre, wie hier angedeutet werden soll, über dessen Begriff als Grund operationaler Gedankenschritte hinaus auch in der Lage, einen Einheitsbegriff zu entfalten, der sich nicht nur im „Gegenzug" zu einer schier hoffnungslos unüberschaubaren Vielheit von Denk-Erfahrungs- und Lebensformen, wie sie den gegenwärtigen Zustand der Moderne kennzeichnet, etablieren müßte, sondern der sich auch noch in dieser Vielheit, ihren Gegensätzen und Beziehungslosigkeiten wiedererkennen könnte. Vgl. dazu die über seine Hegelinterpretation hinausgehenden Reflexionen Henrichs, in: All-Einheit (Stuttgart 1985. 33—53) und: Der Gang des Andenkens (Stuttgart 1987), auf denen aber auch noch der Schatten einer unvermittelten Differenz von Theorie und „Andenken" Hegt. Vgl. vom Verf.: Verwandlung der Metaphysik. Zur systematischen Darstellung des Absoluten bei Hegel. München 1989.
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Theoretikers unzureichend bestimmt, ja seiner Tiefendimension beraubt. Nach dem bisher Gesagten besteht die Wahrheit seiner Darstellung nicht in einer Angemessenheit zum Absoluten, sondern darin, daß dieses in der Sprache der Darstellung überhaupt erst „Leben" und sein abstrakter, dem Endlichen voraus- und entgegengesetzter Begriff konkrete Gestalt gewinnt. Diese Wahrheit ist deshalb so aufzufassen, daß sie jederzeit in neuer Sprache eine andere Gestalt annehmen und ein neues Leben gewinnen können muß, um nicht in der Fixierung auf eine bestimmte Begriffsform zu erstarren. Und umgekehrt darf keine Begriffsform so begriffen werden, daß sie diese Wahrheit ausschließt. „Monismus" wäre demzufolge eine zu kurz greifende Bezeichnung für ein Denken des Absoluten, da sie nur das Moment seiner Identität festhält, ohne die für diese Einheit konshtutive und nicht nur von ihr abgeleitete Differenzierung seiner möglichen und ermöglichenden Gestaltungsformen noch ausdrücken zu können. Ein solcher Ausdruck bedarf aber, wie gesagt, eines transformierten Sprach- und Darstellungsverständnisses. Um die von Hegel dargestellte Verwirklichung des Absoluten angemessen, d. h. nicht nur als Vorstellung des Vorgangs dieser Verwirklichung zu begreifen, genügt es nicht mehr, von einer im formalen Sprachverständnis vorausgesetzten Unterscheidung von Darstellung und Dargestelltem, Form und Gehalt auszugehen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Hegels Darstellung „des" Absoluten als Repräsentation eines dieser Darstellung zugrundeliegenden Vorgangs begriffen und dabei unterstellt wird, daß dieser Vorgang dem ihn repräsentierenden Text durch die Interpretation gewissermaßen entnehmbar ist.20
20 Vgl. etwa M. Baum: Anmerkungen zum Verhältnis von Systematik und Dialektik bei Hegel. In: Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg, von D. Henrich. Stuttgart 1986. 66: „Weil die Wirklichkeit, also das Absolute selbst im Prozeß seines Erscheinens und seiner Rückkehr zu sich als Geist, System ist, darum hat auch die Philosophie als Konstruktion des Absoluten im Bewußtsein Systemform zu haben." Über eine solche unreflektierte Sprachverwendung will D. Henrichs Konzept einer „philosophischen Entwicklungsgeschichte" hinausgehen: Um ein Denken „nicht nur wie ein fertig vorliegendes System von Aussagen zu sehen, das der Analyse bedarf", will sie Grundbegriffe und -posifionen eines Autors nichf als gegeben hinnehmen, „sondern mit ihm selbst als Entdeckungen nachvollziehen." {Hegel im Kontext. 41 f). Aber auch dabei bleibt ein historisch distanziertes Vorverständnis leitend, das Hegels System nur aus „dem konstruktiven Willen eines Theoretikers" in den Blick bekommt, vgl. Formen der Negation in Hegels Logik. In: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg, von R. P. Horstmann. Frankfurt a. M. 1978. 226. Damit ist implizit das Absolute als Gegenstand des nachvollziehenden Forschers vorbestimmt. Es ist dieser Blickwinkel, nicht der Text Hegels, aus dem dessen „Theorie" als „System von Formen und Formverhältnissen" erscheint, „die allesamt dazu gebraucht werden können. Wirkliches in seinem Grundbestand und in einem Gesamtzusammenhang in Begriffen aufzufassen" {Selbstverhältnisse. 189). Auch hier
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Mit einem solchen Selbstverständnis der Interpretation des spekulativen Textes sind bereits implizite Vorentscheidungen gefallen, die, und sei es auch gegen die explizite Intention des Interpreten, „das" Absolute und den Prozeß seiner Verwirklichung bzw. dessen Darstellung vergegenständlichen. Mit der Vorstellung einer Repräsentation des Dargestellten im Text wird von vornherein die für einen konsequenfen Begriff des Absoluten konstitutive Durchdringung der Einheit und Differenz von Darstellung und Dargestelltem zugunsten einer eindimensionalen Abbildung verstellt, die eine Bestimmung beider als Gegenüberstehender voraussetzt. Diese Durchdringung ist es aber gerade, in der sich ein bestimmter Begriff beider überhaupt erst bilden kann. Denn ebensowenig wie eine mögliche Darstellung des Absoluten dieses nur unmittelbar repräsentieren kann, ohne es als Absolutes aus dem Blick zu verlieren, kann „das" Absolute jenseits seiner konkreten Darstellung etwas anderes sein als ein körperloses Abstraktum.
IV. Während seiner Hauslehrertätigkeit in Bern hat Hegel, wie seine Briefe bezeugen, offenbar Mühe, den spekulativen Konsequenzen der Tübinger Reich-Gottes-Idee bis in die Abgründe hinab zu folgen, die HöLDERLIN und ScHELLiNG Unter dem Einfluß FICHTES inzwischen erreicht haben. „Mit neuern Bemühungen, in tiefere Tiefen einzudringen, bin ich eben so wenig noch bekannt, als mit den reinholdischen", schreibt er Ende Januar 1795 an SCHELLING. Aber trotz oder gerade wegen seines spekulativen Defizits tritt in dieser Phase seines Denkens das an JACOBI erinnernde Motiv einer „lebendigen", die „Buchstabenphilosophie" überschreitenden Vernunft unverstellt hervor. „Drum lebtest du auf ihrem Munde ist offenbar ein formales und instrumentales Darstellungs- und Sprachverständnis vorausgesetzt. G. Falke: Hegel und Jacobi (s. Anm. 2), 129 f, berührt dieses Problem, wenn er die „interpretatorische Lücke" zwischen der „Grundstruktur" der Phänomenologie des Geistes und den einzelnen dargestellten historischen Positionen schließen möchte, indem er eine „dritte Ebene" einführt, auf der diese historischen Positionen identifiziert und jenen Grundstrukturen zugeordnet werden können. Aber auch diese Problemstellung beinhaltet bereits ein Vorverständnis, das die Gefahr birgt, mit der Ebene „zwischen" Grundstrukturen und konkreten Inhalten einen nur formal vermittelbaren Dualismus von Grundstrukturen und Inhalten anzusetzen. Bereits die räumliche Vorstellung einer Vermittlungs- bzw. Zwischenebene verstellt im Grunde die systematisch grundlegende Durchdringung der Einheit und Differenz von Strukturen und Inhalten, in der sich ein gängiges Verständnis des Verhältnisses von begrifflicher Form und historischem Inhalt aufhebt und neu gestaltet.
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nicht. / Ihr Leben ehrte Dich. In ihren Taten lebst du noch“, so versucht Hegel in seinem Gedicht Eleusis die „heil'ge Gottheit" anzusprechen: „Wer gar davon zu andern sprechen wollte, / Spräch er mit Engelszungen, fühlt' der Worte Armut." Bekanntlich geht es Hegel in seinen Berner Manuskripten um die Artikulahon einer „sinnlichen Religion" (I. 12), die KANTS Moralbegriff und den aus ihm abgeleiteten bloß postulierten Gottesbegriff neu fundieren soll. Ganz im Geist JACOBIS versucht Hegel, der sich des systematischen Problems einer möglichen Darstellung des Absoluten noch nicht bewußt ist, diesen Religionsbegriff durch eine Abgrenzung der Begriffe „System" und „Leben" zu charakterisieren: „Die objektive Religion läßt sich im Kopfe ordnen, sie läßt sich in ein System bringen, in einem Buche darstellen und anderen durch die Rede vortragen; die subjektive Religion äußert sich nur in Empfindungen und Handlungen." (I. 13 f). „Volksreligion" kann, wie es an anderer Stelle heißt, „wenn ihre Lehren in Leben und Tat wirksam sein sollen, unmöglich auf bloße Vernunft gebaut sein" (I. 24). Letztere bestimme ihren Zugang zur Wahrheit durch ein Räsonnement „methodo mathematica", indem sie von Begriffen ausgehe und über eine Reihe von Schlüssen fortschreite. Anders und im Gegensatz dazu die Weisheit. Sie spreche aus der „Fülle des Herzens" (I. 25) und werde nur durch „das Leben selbst" zugänglich und verstehbar (I. 27). Es ließen sich diese Beispiele, deren Nähe zu JACOBI bis in die Formulierungen hinein augenfällig ist, beliebig vermehren. Ihnen liegt jenes Vernunftkonzept zugrunde, das JACOBI mit seiner Frage, „hat der Mensch Vernunft oder hat Vernunft den Menschen?" aus seiner SPINOZAkritik entwickelt hat. Im Einklang mit JACOBIS Unterscheidung der instrumenteilen Vernunft von einer Vernunft, die „Geist" ist, ergänzt Hegel in seinen Manuskripten über Volksreligion und Christentum eine als Gegenbegriff zur Sinnlichkeit bestimmte „kalte Vernunft", um ein erweitertes Vernunftverständnis, in dem die Vernunft „den Gegenständen ihre Gestalt gibt" und ihre Ideen „das ganze Gewebe seiner Empfindungen beleben" (I. 11). Ist der Mensch nicht nur Besitzer und Benützer einer instrumentell verstandenen, sondern darüber hinaus Inkarnation einer als Manifestahon des Absoluten verstandenen Vernunft, so erhöht und erniedrigt diese erweiterte Vernunfterfahrung ihn zugleich: er ist nicht nur Verkörperung einer Vernunft, die alles Endliche durchdringt, sondern eben auch nichts weiter als eine endliche Verkörperung der Vernunft, die sich seinem Sprechen und Denken entzieht. Diese von JACOBI literarisch dar-
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gestellte Erfahrung der Melancholie des Endlichen, dessen Schmerz gerade in der Gewißheit des Unendlichen seine Schärfe gewinnt, findet in den Systemen des spekulativen Idealismus ihren Ausdruck im Moment der Negativität des Absoluten. Doch während Hegel, SCHELLING und HöLDERLIN die Zerrissenheit des Endlichen in ihren Begriff des Absoluten aufzunehmen suchen und sie zum konstitutiven Moment seiner Darstellung in der Tragödie machen, leidet JACOBI zeit seines Lebens unter einer „überschwänglichen Unwissenheit", die ihn bis zur Schwermut demütigt {Allwill, 307). „Ein finsteres Geheimnis", schreibt er, „liegt eben schwer auf uns allen: das Geheimnis des Nichtseyns, des Daseyns durch Vergänglichkeit, des Vermögens mit und durch lauter Unvermögen — das Geheimnis des Endlichen." {Allwill, 309) Hegel sieht in der unversöhnten Tragik dieser Grunderfahrung, die er sehr gut kennU2, die „Aufgabe der Philosophie", Endliches und Unendliches in ihrer inneren Einheit so darzustellen, daß deren Begriff auch noch ihre Differenz umfaßt bzw. in vollendeter Weise erst aus einem Prozeß der „Vernichtung der Reflexion" hervorgeht.23 Bereits in seiner Schrift über den „Geist des Christentums" und deutlicher noch im Naturrechts-Auisatz gestaltet sich bei ihm das „Bedürfnis der Philosophie" zu einer systematischen Konzeption von Tragik, deren Aporien die Bedingung eines konsequent entwickelten Begriffes des Absoluten sind, der nicht in Abgrenzung gegen das Endliche, sondern nur unter Einschluß, d. h. als Aufhebung des Gegensatzes aus dessen Dynamik selber erst schlüssig gedacht werden kann. Dieses „Bedürfnis der Philosophie" ist ein vor allem in der Frühphase der Entwicklung des spekulativen Idealismus häufig wiederkehrender Topos. Bei KANT ein lediglich subjektives Orientierungsbedürfnis der Vernunft, „etwas vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objektive Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf"24, begründet dieses Bedürfnis bei JACOBI eine Sicht der Aporien endlicher Vernunft, die gerade in ihrer Zerrissenheit ein Zeichen einer ihr notwendig zugrundeliegenden ab-soluten Einheit zu erblicken vermag: „Ist es nicht unser Geist selbst, der über seine Entfernung vom Wahren und Wesentlichen klagt; durch diese Klage seinen hohen Ursprung verräth?" {Allwill, 305; vgl.
Vgl. etwa Hegels Brief an Windischmann vom Mai 1810. Briefe. Bd 1. 313. G. F. W. Hegel: Werke. Frankfurt a. M. 1971. Bd 2: Jenaer Schriften. 25. — Im Folgenden zitiert mit bloßer Bandzahl: II. Was heißt, sich im Denken orientieren? In: Werke. Akad.-Ausg. Bd 8. 137.
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298)25 So ^ie Hegel wenige Jahre später in der Entzweiung den „Quell des Bedürfnisses der Philosophie" erblickt (II. 20), will auch JACOBI in der Erfahrung der eigenen Bedürftigkeit und Endlichkeit zu einem erweiterten „Wissen" gelangen. Vor allem in seinen späteren Schriften hat er sich mit dem „Nihilismus" im Denken KANTS und FICHTES auseinandergesetzt, in deren vernunfttranszendentem Gott, von dem es keine objektive Gewißheit gibt, er nichts weiter sah, als ein bloßes „Nicht = Nichts"25. JACOBI erfaßt und artikuliert diese Gewißheit aber nur individuell, ohne sie selbst noch einmal im Hinblick auf das Problem ihrer Mitteilbarkeit und Begründbarkeit zu reflektieren. Sie bleibt daher bei ihm, auch wenn er sich ständig um einen philosophischen Ausdruck bemüht, im Grunde sprachlos und vom Schatten des „finsteren Geheimnisses der Endlichkeit" begleitet. An der starren Gleichung Sprache = Vermittlung = Zerreißen der Wirklichkeit hat JACOBI gegen seine eigenen Bemühungen zeit seines Lebens festgehalten. Die Bemühungen des spekulativen Idealismus sind nun darüberhinaus auf eine sprachliche Darstellung „absoluter", d. h. die Aporien endlichen Daseins nicht ausschließender Einheit gerichtet. Bei Hegel hat das „Bedürfnis der Philosophie", wie er in der Differenz-Schrift schreibt, gerade „nicht den Sinn, als ob sie [die Vernunft] sich gegen die Entgegensetzung und Beschränkung überhaupt setze; denn die notwendige Entzweiung ist ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet und die Totalität ist in der höchsten Lebendigkeit nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich" (II. 21). Vernunft und Unvernunft bzw. Sinnlichkeit sind hier — dies ist die systematische Implikation im Gebrauch des Topos vom Bedürfnis der Philosophie — nicht unmittelbar einander entgegengesetzt und aus einem Gegensatz zum Anderen ihrer verstanden, sondern dieser Gegensatz ist seinerseits als „Leben" eines nun erweiterten Vernunft- und Wirklichkeitsverständnisses aufgefaßt. Was unter Vernunft und Sinnlichkeit jeweils zu verstehen ist, wird dabei nicht vorab fixiert und ein für allemal entschieden, sondern kann nun in einer Vielfalt von Verständnis- und Zuordnungsmöglichkeiten systematisch, d. h. als differente Ausdrucksmöglichkeiten ein und derselben ab-soluten Produktivität dargestellt werden. Auch JACOBIS 25 Vgl. Hölderlin: Werke. StA, Bd 3. 192: „Ich weiß, daß nur Bedürfnis uns dringt, der Natur eine Verwandtschaft mit dem Unsterblichen in uns zu geben und in der Materie einen Geist zu glauben, aber ich weiß, daß dieses Bedürfnis uns dazu berechtigt." 25 So schon im Allwill, z. B. 150 f. Vgl. für den späteren Jacobi: W. Müller-Lauter: Nihilismus als Konsequenz des Idealismus. In: Festschrift für W. Weischedel zum 70. Geb. Hrsg, von A. Schwan. Darmstadt 1975. 113—163.
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Begriff Gottes als „Geist" weist in diese Richtung, kommt aber nicht über eine esoterische Darstellungsform hinaus, die sich an eine Gemeinde Gleichgesinnter wendet und sich von der formalen Reflexion nur noch abgrenzen kann. Hegel wird dieses Denken in der Differenz-Schiift als Äußerung des Bedürfnisses der Philosophie kritisieren, die nicht zu einer Darstellung und Mitteilung ihrer selbst in systematischer Begründung gelangt (II. 45 ff). „Zu JACOBIS Ausdruck, daß die Systeme ein organisiertes Nichtwissen seien," schreibt er, „muß nur hinzugefügt werden, daß das Nichtwissen — das Erkennen Einzelner — dadurch, daß es organisiert wird, ein Wissen wird" (II. 107) — wobei „organisiert" nicht meint, einem abstrakt-theoretischen Begriffszusammenhang subsummiert, sondern: in seiner immanenten Bezogenheit auf Anderes dargestellt. Es ist eine komplizierte Beziehung auf Anderes als das Andere seiner, in der Hegel hier den Übergang des Nichtwissens zum Wissen darstellt. Ich werde im Rahmen meiner Eragestellung noch kurz darauf eingehen. In seinen Berner Schriften kommt Hegels Terminologie, die von KANTS Transzendentalphilosophie ebenso profitiert, wie von JACOBIS Lebensphilosophie, zunächst nicht über einen Dualismus hinaus, der das Ideal absoluter Einheit in den Entzweiungen der Wirklichkeit nicht wiederzufinden vermag. Muß sich hier der Ausdruck des Ideals noch von wissenschaftlicher Begriffsform und „kalter Vernunft" abgrenzen, um aus der „Fülle des Herzens" sprechen zu können, so beginnt unter HöLDERLINS Einfluß27 in Frankfurt der Ausdruck dieses Ideals in eine spekulative Begriffsform zu münden, die beide Motive zu einer neuen Darstellungsweise des Absoluten zu verschmelzen sucht. Hegel wird sich der spekulativen Durchdringung der Momente im Begriff des Absoluten bewußt, die bei JACOBI in unversöhnter Tragik nebeneinanderstehen: Gott als „immanentes Ensoph", in dem wir nach dem paulinischen Ausdruck „leben und weben", und der unendliche Gott als das Andere des Endlichen, als Schöpfer. Beides in Hegels Begriff des Absoluten aufgehoben, führt zu einer Gottesidee, in der Gott nicht nur Schöpfer und Jenseits der Geschöpfe, sondern in gewisser Weise selbst Geschöpf ist. „Das Ideal", schreibt Hegel im Fragment „Liebe und Religion" von 1797, „können wir nicht außer uns setzen, sonst wäre es ein Objekt, — nicht in uns allein, sonst wäre es kein Ideal" (I. 244). Eine Darstellung dieses Ideals müßte die Diskursivität wissenschaftlicher Begriffsform mit der Expressivität von JACOBIS Glaubensbegriff verweben und in einer neuen DarstellungsVgl. D. Henrich: Hegel und Hölderlin. In: Hegel im Kontext.
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form aufheben können, die sowohl die vordergründige Trennung von Sprache und Gegenstand als auch die Unmittelbarkeit von JACOBIS Mitteilungsform überwindet. Denn zum einen ist die dem Ideal angemessene Erkenntnishaltung ja nicht die des Theoretikers zu einem Gegenstand, sondern die des Aufgehens in ihm, und zum anderen ist die Mitteilungsform des Ideals eben nur eine bestimmte und muß sich als solche zu anderen Erkenntnis- und Erfahrungsformen so in eine begründbare Beziehung setzen können, daß sie das Ideal nicht nur gegen diese negativ geltend macht, sondern in ihnen, wenn auch zuweilen verstellt, wiedererkennen kann. Einer solchen Darstellungsform — das wäre schon von JACOBI ZU lernen — kann eine formale Fragestellung nicht mehr gerecht werden, welche sie von vornherein auf eine Kombination von „Systemteilen" reduziert.
V. In Frankfurt gelangt Hegel nun sehr schnell zu einer Begriffsform, in der das Ideal sich gerade in und durch Entgegensetzung verwirklicht, wie er im Fragment „Glauben und Sein" argumentiert. „Wenn nun gezeigt wird", schreibt er zunächst, „daß die entgegengesetzten Beschränkten als solche nicht bestehen könnten, daß sie sich aufheben müßten, daß sie also, um möglich zu sein, eine Vereinigung voraussetzen (schon um zeigen zu können, daß sie Entgegengesetzte seien, wird die Vereinigung vorausgesetzt), so wird damit bewiesen, daß sie vereinigt werden müssen, daß die Vereinigung sein soll." (I. 251) Von Vereinigung ist hier in zweifachem Sinn die Rede. Einmal so, daß sie sich als „Tätigkeit" in bestimmten Gegensätzen realisiert (I. 251), und zum anderen in der Weise, daß sie jeder Entgegensetzung als deren Möglichkeits- und Seinsgrund vorausgesetzt ist. Vereinigung, die Hegel auch „Sein", oder das „Unabhängige" nennt, ist einmal Tat und zum anderen bzw. als solche die Ent-deckung einer absoluten Einheit, die in allen möglichen Widersprüchen hinter deren Erscheinungsform gegenwärtig ist. Insofern Vereinigung, die in jedem Gegensatz mit- und vorausgesetzt ist, als eine sich realisierende Einheit an bestimmten Widersprüchen dargestellt wird, ist sie als konkretisiertes Absolutes anzusprechen, das, wie Hegel schreibt, einmal ein Unmittelbares, Unbeweisbares ist, aber „in anderer Rücksicht ein Abhängiges, Entgegengesetztes sein kann". Das heißt, ein zur Sprache gebrachtes Absolutes, dessen „Sein" im Bewußtsein des Gegensatzes unmittelbar gegenwärtig und gewiß ist.
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dessen Darstellungsform es aber in bestimmter Weise ausspricht und mitteilt bzw. vermittelt. Im unmittelbaren Bezeugen der Gewißheit absoluten Seins bricht somit ein Widerspruch auf, der den sich bestimmt artikulierenden Glauben nicht nur vom Geglaubten scheidet, sondern auch zu anderen Wissens- und Gewißheitsformen in Gegensatz bringt. Zieht JACOBI aus dieser Aporie der Darstellung den Schluß von der Ohnmacht sprachlicher Mitteilung überhaupt, so geht Hegel einen wesentlichen Schritt weiter, indem er auch diese Aporie noch als Manifestation absoluter Einheit begreift. Angesichts dieser Entgegensetzung, so fährt er fort, „muß wieder zur neuen Vereinigung fortgeschritten werden, die jetzt wieder das Geglaubte ist" (I. 251). Damit tritt die Einheit gewissermaßen aus der unmittelbaren Darstellung heraus und umfaßt sowohl die Differenz von Ab-solutem und bestimmter Artikulation als auch den Gegensatz zu anderen Wissensformen. Das ändert nun aber auch den Begriff dieser Einheit, deren Darstellung jetzt wesentlich an diese Differenzen gebunden und durch sie vermittelt ist. Der Zugang zu ihr, der „Glaube", kann nun nicht mehr bloß als Glauben „an" ein Geglaubtes, sondern muß als eine Weise unmittelbarer Gewißheit aufgefaßt werden, die zugleich als Vermittlung — als Verkörperung des Geglaubten anzusprechen ist. Glaube wird zu einer ent-deckenden Produktivität, die, wie Hegel schreibt, „Bestimmen und Bestimmtwerden" zugleich ist (I. 253). Der im Glauben an ein Geglaubtes implizit mitgesetzte Gegensatz beider, so der Grundgedanke seiner Argumentation, ist, dem derart Glaubenden nicht bewußt, als Gegensetzung im Grunde eine Relation, in der sich beide Relata kraft ihres Bezuges auf das jeweils Andere als Bestimmte überhaupt erst konstituieren. Und diese Tätigkeit des Sichunterscheidens und -beziehens ist es, in der sich die bloße Gegenseitigkeit eines „Verhältnisses" ursprünglich Entgegengesetzter aufhebt. Sie ist die Entdeckung einer Einheit, welche jedem Gegensatz innewohnt und insofern von seiner Bestimmtheit unabhängig — absolutus — ist, und sie ist in gleicher Weise die Verwirklichung dieser ansonsten nur abstrakt geltend gemachten Einheitsidee. Hinter dem Rücken der Meinung, „über" die Einheit zu reden, oder „an" sie zu glauben und damit schon zu ihrer Gewißheit gekommen zu sein, realisiert und vollendet sich diese als „unabhängige", nicht selbst wieder entgegengesetzte, erst eigentlich im hier wiederum aufbrechenden Gegensatz, in dem sich Glaubender und Geglaubtes nicht vorfinden, sondern in ihrer Bestimmtheit konstituieren. Nicht die ausgesagte Einheit darf demnach als deren vollendeter Begriff aufgefaßt werden, sondern nur die Darstellung derjenigen Identität, die sich im bestimmten Sagen und der in ihm implizierten Differenz zum
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ausgesagten Gegen-stand selbst noch einmal verkörpert. Die „Logik hinter dem Bewußtsein" wird Hegel diese Dimension seiner Darstellung in einer Notiz zur Vorbereitung einer Neuauflage der Phänomenologie des Geistes nennen (ed. Hoffmeister, 579) und damit jene Einheits- und Begriffsbewegung bezeichnen, die auch der im Reflexionsurteil mitgesetzten Unterscheidung ermöglichend zugrundeliegt. Ihre Darstellung müßte auch die im Urteilssatz vorausgesetzte Differenz noch als Schöpfung begreifen können — als Kreation wie als Kreativität — und mit dem Begriff der Schöpfung als eines bloßen Vorganges auch den der Darstellung des Schöpferischen fundamental verwandeln. Dieser Begriff bezeichnet nun keinen Vorstellungsinhalt mehr, sondern das in der Darstellung zu konkretisierende gegenseitige Konstitutionsverhältnis, das Jedem möglichen Gegensatz als konstitutive Produktivität der Entgegengesetzten innewohnt. Denn alles Bestimmte ist, was es ist, nur, indem es sich auf Anderes, dieses negierend bezieht. Hegel spricht deshalb von einer „Tätigkeit", die dem Glaubenden wie dem Geglaubten in gleicher Weise eignet (I. 253). Über die Bestimmtheit einer konkreten Entzweiung hinaus liegt sie als „Sein" jedem Gegensatz zugrunde. „Das, was ist", schreibt Hegel, „muß nicht geglaubt werden, aber was geglaubt wird, muß sein." (I. 252) Denn der für sich genommen subjektive und relative Glaube „an" ein bestimmtes Geglaubtes ist mehr als er weiß: ein seine Subjektivität übersteigendes Selbstverhältnis wie auch Erzeugen dieses Geglaubten als eines „Seins", das immer nur als bestimmtes, im Glauben wirklich sein kann.^s Die Grundfigur dieser Argumentation, daß der Unterschied nur als Sichunterscheiden und damit im Grunde als Resultat eines zugrundeliegenden „Seins" oder „Geistes" konsequent aufgefaßt ist, findet sich mit denselben Grundbegriffen, die auch Hegel zunächst gebraucht, bei JACOBI vorgebildet. Auch er nennt die Gewißheitserfahrung dieses Seins „Glauben" (SpBr. 217) und er meint damit nicht den Bezug „zu" einem welttranszendenten Gegenüber, sondern „aus" einer Unmittelbarkeit, die jeder Gegenüberstellung, jedem Bezug „auf" etwas ermöglichend zugrundeliegt. Zwar ist sich JACOBI dessen gewiß, daß jeder Vermittlung ein Unmittel-
28 Vgl. Jacobi: Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers. In; Die Horen. 1 (1795), 8. Stück, 19: „Die bloläe leere Form des Lebens hätte keinen Werth, aus Mangel der Empfindung [das heißt bei Jacobi: Unterscheidung], Man könnte sagen, sie wäre das Leben selbst und hätte doch kein Leben. Damit Genuß des Lebens entstehe, muß [sic] es einen Inhalt bekommen. Durch Anwendung, Inhalt und Gebrauch, wird das Leben erst lebendig."
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bares zugrundeliegen muß, da sich sonst die Rede von Vermittlung selbst aufhebt; sobald er aber zu reden oder zu denken anfängt, entzieht sich ihm dieses Unmittelbare. Von vornherein in scharfer, selbst nicht mehr vermittelbarer Abgrenzung zum Begriff der Vermittlung bestimmt, verweigert es sich der Mitteilung und Darstellung. Demgegenüber sieht Hegel, daß eine unmittelbare Gewißheit des Göttlichen, die alles vermittelte Wissen für Nichts erklärt und „vernichtet", sich nur als Gewißheit gegenüber anderen Wissensformen darstellen kann und sich damit letztlich doch in den Aporien des Gegensatzes und der Sprachlosigkeit verfängt. JACOBI selbst hat diese Aporien als solche empfunden und in seinen Romanen Woldemar und Allwill literarisch gestaltet. Hegel begreift nun, wie gesagt, auch noch diese Aporien als Ausdruck und Verwirklichung einer, wenn auch sprachlos bleibenden Einheit. Es müsse daraus, schreibt er in der Differenz-Sch.riii, „das Bedürfnis entstehen", die Mannigfaltigkeit unterschiedlicher Wissensformen selbst noch einmal in ihrer inneren Bezogenheit darzustellen, die ihnen aus ihrer „Beziehung aufs Absolute" zukommt: „Es muß das Bedürfnis entstehen, eine Totalität des Wissens, ein System der Wissenschaft zu produzieren . . . Das Philosophieren, das sich nicht zum System konstruiert, ist eine beständige Flucht vor den Beschränkungen." (II. 46). Damit ist nun das Mitteilungs- und Vermittlungsproblem des Absoluten systematisch gestellt. Einem „System" des spekulativen Wissens, das sich, wie er schreibt, noch „in den verschiedensten sich gegenseitig als Dogmatismen und Geistesverirrungen verschreienden Philosophien finden" kann (II. 47), liegt hier der Begriff der „realen Entgegensetzung" zugrunde, der implizit schon seine Frankfurter Überlegungen bestimmt. Selbst und Anderes, argumentiert Hegel, können nicht, wie in der formalen Reflexion, konsequent in einer ursprünglichen Entgegensetzung festgehalten werden, denn einer solchen wohnt eine Eigendynamik inne, die sie über sich hinaustreibt. Die Identität und Bestimmtheit der Entgegengesetzten ist nämlich selbst wieder bestimmt und nur möglich durch einen negativen Bezug auf ihr jeweiliges Anderes, das somit untrennbar und doch nicht differenzlos in den Begriff ihrer Selbstbestimmtheit übergeht. Beide Entgegengesetzte sind insofern nicht nur als „Teil" des Gegensatzes zu begreifen, denn sie verkörpern an sich selbst die Totalität dieser Beziehung, die in ihnen und durch sie wirklich und wirksam ist, auch wenn oder gerade weil sie sie nur auf bestimmte Weise zum Ausdruck bringen. Beide Entgegengesetzte sind für Hegel, jedes auf seine Weise, „Subjekt-Objekt", d. h. in ihrer jeweiligen Bestimmtheit
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die Verkörperung einer tieferliegenden Einheit, die sich in ihnen verwirklicht und das Andere ihrer mit einbezieht. Dieser Begriff der reellen Entgegensetzung ist als vorgestellte Einheit Unterschiedener, wie Hegel am Idealismus KANTS und FICHTES kritisiert, noch nicht hinreichend erfaßt, da er auch noch die hierbei mitgesetzte Differenz von Vorgestelltem und bestimmt artikulierter Vorstellung umgreift. Die in reflexionslogischen Begriffen nur als Vorstellung erfaßte „Beziehung aufs Absolute", die jedem Endlichen qua Bestimmtheit innewohnt, erhält damit einen fundamentalen Bezug zu ihrer — zu jeder möglichen bestimmten Darstellung ihrer: sie kann sich, wie er argumentiert, nur als System in konkreten Sprach- und Darstellungsformen realisieren. Daß ein solches System in „reeller Entgegensetzung" mit dem von ihm Dargestellten verwoben ist, beinhaltet zweierlei: es ist einmal Mitteilung und Vermittlung einer unmittelbar sich in ihm darstellenden Einheit — diese ist nicht sein Gegenstand, nicht nur das Vermittelte — und es steht als solches in einem fundamentalen Bezug auf andere mögliche Darsfellungsformen, in denen es sich wiedererkennen kann. Hegel sieht es zu dieser Zeit ja bekanntlich als Aufgabe einer Logik an, die Differenz zu diesen Darstellungsformen der Reflexion aufzuheben. Als darstellende Verwirklichung „des" Absoluten ist das spekulative System demnach nicht nur dessen Begriffs-, sondern seine Lebensform. In ihm durchdringen sich Vermittlung bzw. Mitteilung seines Seins und die Unmittelbarkeit seiner Allgegenwart als „reelle Entgegensetzung" und Bezogenheit auch noch der extremsten Gegensätze untrennbar, aber nicht differenzlos. Dieser Darstellungsbegriff, der, mehr als ein Ganzes von Teilen, das Sprachvermögen von „Theorie" übersteigt, ist die Konsequenz eines Bedürfnisses, dem sich JACOBI ausgesetzt hat, das unter seinen Voraussetzungen aber ein unstillbares Bedürfnis bleiben mußte: des Bedürfnisses, der Dimension des Absoluten ungeteilt Sprache und damit Wirklichkeit zu verleihen. Ein solches Verständnis spekulativen Denkens, das in der Verwebung von jACOBischer Unmittelbarkeits- und Lebensphilosophie und kantischer Systematik und Diskursivität einen erweiterten Begriff von Denken erschließt, ist in der Hegelforschung noch weitgehend ein Desiderat. Damit ist, wie ich glaube, nicht nur ein angemessener Begriff der Tiefendimension des spekulativen Systems Desiderat, sondern auch ein Verständnis, das über Hegels, seine Zeit in Gedanken erfassendes Denken hinauszublicken vermöchte zu einem Bewußtsein der Möglichkeiten, die spekulative Systematik als fundamentale Bezogenheit und Aus-
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tragbarkeit auch der extremsten Gegensätze bietet. „Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt", heißt es in der Differenz-Schiift, „verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist geboren zu werden" (II. 16). Von hier aus könnte sich etwa erweisen, daß das gegenwärtig auf verschiedenen Ebenen debattierte Problem einer Alternative zwischen Moderne und Postmoderne — Fortführung „der" neuzeitlichen Rationalität oder Abdankung zugunsten ihres Anderen — nicht nur nicht neu, sondern als Alternative auch kurzschlüssig gestellt ist.
KLEINE BEITRÄGE
AN EARLY INTERPRETATION OF HEGEL'S PHENOMENOLOGY OF SPIRIT
The letter which HegeTs friend and former Student, HERMANN FRIEDRICH WILHELM HINRICHS (1794—861), wrote from Heidelberg to Hegel in Berlin on October 14, 1820 marks the beginning of their serious discussion of religion. At that time HINRICHS was working on his first book, a philosophy of religion to which Hegel would later add an important prefaceT Partially in Order to seek guidance and encouragement for this book, HINRICHS included in his letter what he claimed to be a Sketch of the contents of Hegel's Phenomenology of Spirit, and asked Hegel to approve the sketch in some future letter. This sketch is now quoted in fulP; "Without bifurcation (Entzweiung) there is no reconciHation (Versöhnung). The divine Essence is bifurcated (entzweit) within itself in the natural religions and in the religion of art, and is reconciled with itself in the revealed religion. God in Himself is the unity of substance and subject, or the unity of Himself and selfconsciousness, and in this unity He is the Absolute, but He is only the Absolute in mediation, as the Essence which is bifurcated within itself and which returns from this self-bifurcation into unity (das mit sich selbst entzweite und aus dieser Selbstentzweiung in die Einheit zurückkehrende INesen). Revealed religion, as reconciliation, belongs to the self-consummation (Selbstvollbringung) of the absolute Essence, because in this religion, for the first time, substance is subject or God the spirit. This religion is the reconciliation of God (substance) with the human race (subject), and conversely, of humanity with God; or, as the
' Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs: Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft. Nebst Darstellung und Beurteilung der von Jacobi, Kant, Fichte, und Schelling gemachten Versuche, dieselbe wissenschaftlich zu erfassen, und nach ihrem Hauptinhalte zu entwickeln, mit einem Vorworte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Heidelberg 1822; reprint, Brussels 1970. Hereafter cited as RVW. Complete English translation on pp. 239—486 of: Hegel, Hinrichs, and Schleiermacher on Feeling and Reason in Religion: The Texts of their 1821—22 Debate. Edited, translated, and with introductions by Eric von der Luft, also including a new critical edition of the German text of Hegel's "Hinrichs Foreword". Lewiston, New York 1987. Hereafter cited as HHS. 2 My translation from Briefe von und an Hegel. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1952—60. II. 240—241. Hereafter cited as Briefe.
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reconciliation is the return (Rückkehr) of the absolute Essence from its bifurcation and thus is its unity with itself, so is this reconciliation at the same time the movement which preserves, cancels, and raises to a higher level (aufhebt) the bifurcation of self-consciousness within itself, and which is fhe return of self-consciousness into its unity with itself. Self-consciousness, as the for-itself (where religion is the in-itself and absolute knowledge is the in-and-for-itself), when it is bifurcated (Entzweitsein) within itself, is what is set over against fhe divine Essence. As natural and human self-consciousness it is indeed at one with itself, though it is that which is bifurcated from what pertains to God. The concept of this bifurcation is not the concept of self-consciousness in its individuality, nor the concept of the individual person, but it is the concept of self-consciousness in its universality, the universality in which it is identical only with the divine Essence; and therefore the absolutely universal self-consciousness actually is bifurcated from its absolute essence and, just on this account, strives, in the struggle and toil of the spirit of the world, to preserve, cancel, and raise this bifurcation to a higher level (diese Entzweiung aufzuheben), and thus to reconcile itself with the divine Essence. The movement of God, or of God as substance, toward self-consciousness, and the whole development of this movement mediated through self-bifurcation, and therefore reconciled unity, namely, the unity of God as substance and of God as self-consciousness, all belong to revealed religion, because in this religion substance is subject or God as the spirit which is conscious of itself. Because revealed religion, having emerged through the mediation of other religions, is the religion in which the divine Essence is reconciled with itself, and at the same time coincides with the absolutely spiritual self-consciousness which has arisen through the mediation of natural and spiritual self-consciousness, and therefore is the Godhead reconciled with the world and the world reconciled with the Godhead; this reconciliation is the present, eternal, and absolute truth." We do not know whether Hegel ever gave this sketch the approval which HINRICHS requested of him. Nevertheless, with or without HegeTs comments, HINRICHS' brief summary and critique of the Phenomenology Stands as a document of not only historical interest, but also — and more importantly — systematic and exegetical interest. When WOLFGANG BONSIEPEN examined the earliest reviews of the Phenomenology, he concluded that among HegeTs students it was HINRIGHS who understood the Phenomenology best, and recommended that HINRICHS' interpretation of the Phenomenology be discussed in a separate article.3 BONSIEPEN had surveyed his territory very well. He expounded in detail the various perspectives (Fichtean, Schellingian, etc.) from which HegeTs first reviewers had written. But among these there was no overtly Neo-Platonic perspective. HINRICHS' 1820 reading of the Phenomenology is in fact the earliest known Neo-Platonic interpretation of ^ Wolfgang Bonsiepen: Erste Zeitgenössische Rezensionen der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. 14 (1979), 9-38. Here pp. 37-38 and note 27.
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Hegel. BONSIEPEN apparently believed that for him to have added an adequate discussion of HINRICHS' provocative Interpretation would have made his article too long. Yet BONSIEPEN recognized the importance of HINRICHS' perspective. For these two reasons a second article has been necessary. Our purpose here is to bring forth that article, following BONSIEPEN'S recommendation. Other attempts have been made to reduce the Phenomenology to a single, basic, pervasive dialectic or to the recurring interplay of two basic, diametrically opposed ideas. A good example of this sort of interpretation is KOJEVE'S endeavor to show and to emphasize the influence of the master/slave dialectic through all stages of the phenomenological movement.Such attempts have the advantage of being able to provide a unified, coherent, simple — but, we hope, not overly simple — Statement about a difficult, convoluted text. On the other hand, they have the disadvantage of having to elevate one of Hegel's sections above the rest, i. e., the disadvantage of having to Claim that all of the sections, except the one from which the basic elements of the pervasive dialectic are taken, contain only subordinate themes. In such views, the one elevated section becomes the glass through which all the other sections are regarded. If the Interpreter is not careful, it may also become a Procrustean bed for the other sections. HINRICHS' elevation of the bifurcation/reconciliation dialectic would seem to present a better yrima fade exegetical case than does KOJ6VE'S elevation of the master/slave dialectic, just because it does not violate Hegel's own view of the relative importance of the sections. For Hegel, of course, the most important section must be the one which describes the most concrete, most thoroughly mediated, most highly aufgehoben, dialectical phase; namely, the final section of the Phenomenology, "Absolute Knowledge". Indeed, it is this very section, especially Paragraphs 793—796 (MILLER's numbering)^, and, to a lesser extent, the penultimate section of the Phenomenology, "Revealed Religion", especially Paragraphs 780, 782—785, and 787 {PhG, pp. 540—548), which HINRICHS affirms as the locus of the principle of Hegel's whole dialectic. KOJEVE, on the contrary, takes his fundamental dialectical principle from a section which describes a much more abstract, more immediate, more one-sided phase, that of the self-certain self-consciousness and its other {PhS, Pars. 178—196; PhG, pp. 141 — 150). Thus, unlike HINRICHS, KOJEVE distorts Hegel's project by seeing this early section Outside of the proportion, or the preparatory role, which Hegel had intended for it. In this way he differentiates his own thought from Hegel's, so that his interpretation of Hegel is not really an interpretation at all, but a counterthesis, and
^ Cf. Alexandre Kojeve: Introduction ä la Lecture de Hegel. Le?ons sur la "Phenomenologie de l'Esprit". Paris 1947. Partially translated by James H. Nichols as: Introduction to the Reading of Hegel. New York 1969. An excellent critique of these matters is Dennis J. Goldford's Kojeve's Reading of Hegel. In: International Philosophical Quarterly. 22 (1982), Nr.4, 275—293. 5 G. IV. F. Hegel: Phenomenology of Spirit. Trans, by A. V. Miller. Oxford 1977. Hereafter cited as PhS. Cf. G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg, von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1952. pp. 552—555. Hereafter cited as PhG.
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so that the question now becomes, not whether KOJEVE'S interpretation of Hegel is correct, but whether either KOJLVE'S or Hegel's particular viezo of the dialectic of spirit is correct. KOJ6VE'S un-Hegelian emphasis on the master/slave dialectic reveals his own ideological bias — to try to see most clearly the political or social dimension of the workings of the Phenomenology. To this extent, his analysis is one-sided, and Hegel would have recognized it as such. But HINRICHS, too, no less than KOJLVE, displays a one-sided ideological bias, a bias in favor of rational religion and philosophical theology. Hegel would likewise have recognized HINRICHS' analysis as one-sided. But what Hegel may not have recognized — or admitted to himself — is that no one is immune to ideological bias, and that even his own analysis of phenomena, in spite of its ending at the Stage of absolute knowledge, is also, unavoidably, one-sided. Hence, although HegeTs text, written from a finite human standpoint, is one-sided and biased, and although both KOJEVE and HINRICHS are biased definitively in their respective approaches to HegeTs text, still, it just so happens that HINRICHS' bias seems to coincide exactly with HegeTs own, which probably Stands HINRICHS in much better stead than KOJEVE as an exegete, but not necessarily as an independent thinker. Bifurcation {die Entzweiung), which MILLER translates as 'dichotomy' (Par. 793), and the act of bifurcating {das Entzweien) which MILLER translates as 'self-sundering' (Par. 796), although only made explicit by Hegel in the section on absolute knowledge, are really implicit throughout the Phenomenology. In Paragraph 796 Hegel identifies the act of bifurcating with the negativity of the concept, and in Paragraph 793 he specifies that an internal division or bifurcation is necessary for spirit if spirit is to be empowered to emerge from this strife to reconcile itself with its own consciousness. The process of bifurcation is therefore an indispensable logical constituent in the structure of dialectic in general, not only on this highly mediated level. For, indeed, HegeTs whole triadic dialectic is nothing eise than, first, the setting forth of any given Situation; second, division or argumentation within this Situation; and third, the reunification of the once divided components of this Situation, now on a higher plane — or, to say the same thing in theological language: first, Creation, and God's revelation to the created world; second, bifurcation within the created world, and dissension concerning the meaning of the revelation which has been presented to it; and third, reconciliation among the once opposed parties of the created world in accordance with the revelation. This process — an essentially religious process — is epitomized in HegeTs dialectic of forgiveness {PhS Par. 670; PhG p. 471). Just as we could not forgive if we perceived nothing to forgive, just as we could not apologize unless we feit our own guilt in having done something wrong, and just as Roland and Oliver could not have become blood brothers until they had tried each other in mortal combat, so also, reconciliation would be impossible without there first having been disagreement or bifurcation, or a problem in need of resolution. The impetus of all dialectical movement is negativity. In other words, without some Opposition to whatever is posited as a given, or without some
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differentiation from this given, no movement, no progress, no life, would be able to occur at all. Everything must allow itself to disintegrate if it is to save itself from Stagnation and death; everything which has disintegrated must be reintegrated if it is not to lose itself in a pure chaos where if would have no self-identify; and whatever is reintegrated must be able to see itself as having been once disintegrated; and so on ad infinitum. All spirit must constantly change in Order to live, and furthermore, in Order to live self-consciously, must recognize that it changes. This eternal, restorative process of the disinfegrafion and reintegration of posited or creafed givens not only is the most fundamental characteristic of Hegelian logic, but also is a spiritual movement, a religious activity, an effort to proceed from dissension from God to reconciliation with God, from Separation from God to reunification with God, or, in more traditional Christian terminology, from sin to Salvation. The first aspect of any dialectical triad is jusf any given state of affairs. The second aspect is negation, disintegration, bifurcation, Separation, sin, or evü, all of which mean approximately the same in this context. The third aspect is Aufhebung, reintegration, reconciliation, reunification, salvation, or forgiveness, all of which, again, in this context, mean approximately the same. Hence, logic is reflected in religion, as religion is reflected in logic; and both, taken together, constitute philosophy. But what religion is it in which Hegelian logical progress, especially at its higher levels, is equivalent to the religious progress of the human spirit? HINRICHS' sketch suggests the answer to this question more clearly than any Statement which can be found in Hegel's own words. For HINRICHS, according to both the present summary of fhe Phenomenology and his 1822 treatise on the philosophy of religion, the ideology which DAVID FRIEDRICH STRAUSS would later call Right Hegelianism — and this includes Hegel himself — insofar as its most fundamental thesis involves the universal movement outward, as it were, from an abstract, unmediated God, through fhe phenomena of this world, and back, returning inward, again as it were, to a now concrete, fully mediated God, is firmly within the Standard tradition of Neo-Platonism, e. g., PLOTINUS and PROCLUS, Christian Neo-Platonism, e. g., PSEUDO-DIONYSIUS and JOHN SCOTUS ERIGENA, and certain medieval mystics, e. g.. ECKHART. The basic Neo-Platonic ideas of procession (proödos) and return (epistrophe) are directly parallel, respectively, to the basic Hegelian ideas, underscored here by HINRICHS, of bifurcation (Entzweiung) and reconciliation (Versöhnung). One of the significant differences between Hegel's and HINRICHS' published philosophies of religion is that HINRICHS, who is a bit more Neo-Platonic than Hegel, writes so that the dependence of the Hegelian dialectical System upon the Neo-Platonic Weltanschauung is made much more apparent (cf. HHS, pp. 26 ff). If HINRICHS' text is read wifh a view toward finding similarities to Neo-Platonic Christianity, to its ideas of the fall, development, and salvation of the human soul through its Separation from and eventual reunification with the One God, then such similarities will quickly become obvious.
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Like Hegel, HINRICHS writes from the phenomenological standpoint. The phenomena which HINRICHS has in mind to observe and to describe are those which pertain to, and proceed from, divine Spirit. In other words, HINRICHS' fundamental aim, like that of ERIGENA in Periphyseon = On the Division of Nature^, is to comprehend the dialectic or the cyclic activity by which God creates the World and saves its creatures. Both ERIGENA and HINRICHS agree that God is only available to creatures in theophanies, the self-manifestations of God, which HINRICHS offen calls the self-bifurcation (Selbstentzweiung) of God, the bifurcation of God from God within God (i. e., the internal self-differentiation of God within the Godhead), or the proceeding (Entäußerung) of God toward God's human Creation for the sake of this creation, and thus, ultimately, for the sake of God's own fully mediated glory. Since these manifestations comprise the whole of creation, therefore anything at all, a rock, a tree, an emotion, or a thought, can be recognized to be a theophany, a manifestation of absolute spirit for human consciousness, if regarded in the right light. By this continuous process of manifestation, not only creation itself, but also the utter disjunction and fragmentation of creation, are given to the human spirit as the raw material with which this spirit must work out, with God's help, its epistrophe. Like the philosophical religion of PLOTINUS, the religion of HINRICHS — as well as the dialectic of Hegel — each involve a progressive learning how to notice and derive the essential unity and harmony implicit in this phenomenal world of disjunction and fragmentation (or, in classical terminology, learning to derive Pan from Proteus).^ In the short introduction to his 1822 book (RVW, pp. 1—8; HHS, pp. 269—274), HINRICHS describes his basic project. He leads us to see first of all that manifestation is bifurcation — but this is only reasonable, since God's manifestation must necessarily be the movement from the one to the many, i. e., from perfect divine simplicity to the multiplicity which is chiefly apparent as an endless series of juxtapositions, dichotomies, sunderings — twos (Zweien). Nevertheless, because the Manifester is not jealous, this bifurcation entails reconciliation. Manifestation is also a process of proceeding, or of "resignahon" (Entäußerung). God "resigns" (or "relinquishes") the Essence (Wesen) of God to a nature radically distinct from the truly divine nature, because God realizes that only by such an act can the greatest divine perfection be actualized. God freely accepts the necessity of having to "give up" the primal divine oneness to multiplicity in Order to gain final oneness out of multiplicity. God's Entäußerung, then, is a "resignation" in two senses: (1) God "accepts" destiny and acts accordingly, by
^ A very accessible edition of a work which is much too often neglected as a source and friend of Hegelian thought is Myra Uhlfelder’s translation of Erigena's Periphyseon (Indianapolis 1976). ^ See pp. 264—268 of my Sources of Nietzsche's 'God is Dead!' and its Meaning for Heidegger. In: Journal of the History of Ideas. 45 (1984), Nr. 2, 263—276.
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proceeding out of the Godhead into the world, and (2) God, in the act of proceeding, "gives up" the uncreated nature to created nature and the divine nature to human nature. God Steps, as it were, out of God, out of God's Essence per se, and into the finite manifestations of this infinite Essence. Hence, God's immediate proceeding toward human nature is God's voluntary self-revealing to the human spirit. But because there are now two distinct natures, the divine and the human, i. e., the one and the many, where there once was only one nature, the divine, i. e., the one, there is now also bifurcation. Because manifestation, or proceeding, entails finitude and multiplicity, it therefore entails contrasts and dichotomies, conflict and dissent. Entzweiung is God's deliberate stepping outside of God and becoming "untrue" to the one truly divine nature, for the sake of created individuals, so that, through theophanies, they may apprehend revelation and be reconcUed with God. Entzweiung is not merely "division", since division is just the bare fact of difference or Separation. Rather, as a most deliberate two-ness, Entzweiung is a genuine "sundering", not only primally, of God from creation and of Creation from God, but also consequentially, of the various individuals in creation from each other. HINRICHS' identification of Entäußerung with Entzweiung, which we may infer because he expressly identifies Manifestation with each of them, is problematic. Even given our Neo-Platonic interpretation of Entäußerung as "proceeding", which allows us to subsume the fact of universal Entzweiung under the process of the universal Entäußerung, and to see this fact as an inevitable consequence of this process, still it is difficult to go one Step further and admit that the fact and the process are actually identical. If HINRICHS had mentioned Hegel's idea of Entfremdung in connection with his own discussion of these terms, some clarification might thereby have been achieved — but he faUed to do so. Yet it is clear that the idea of "alienation" or "estrangement" provides a vital link between the idea of proceeding and the idea of bifurcation. This link is so strong that at least one commentator has seen fit, from time to time, to translate all three German terms as 'alienation'.* This commentator, GREGOIRE, although he attributes certain pantheistic tendencies to Hegel, is in general sympathy with HINRICHS' point of view: "A cette histoire des civilisations humaines, note Hegel, les chretiens les plus portes ä admirer Dieu dans ses Oeuvres renoncent en fait ä decouvrir un sens. Devant la nature teile qu'il la trouve en dehors de lui et aussi en lui-meme (sous les especes de ses tendances instinctives), devant la conduite des autres et devant Thistoire, Tesprit de Thomme eprouve la realite comme separee de lui-meme ou, ce qui revient au meme, il s'eprouve lui-meme comme separe d'avec la realite. Le caractere etrange, etranger (fremd) et hostüe (feindselig) des choses suscite chez lui ä leur egard un sentiment de desunion (Entzweiung, Trennung), d'eloignement
® In his analytical index to Etudes hegeliennes: Les points capitaux du Systeme. Louvain, Paris 1958. p. 395, Franz Gregoire cross-refers all three terms to alienation.
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(Entfremdung), d'alienation, de depossession de soi-meme (Entäußerung), en un mot, de divorce."® For Hegel, cultural alienation (Entfremdung), spiritual alienation (Entäußerung), and perceived alienation (Entzweiung), are all equally real, equally painful, and equally subject to remedy by means of reconciliation, e. g., die Entfremdung wird sich selbst entfremden, und das Ganze durch sie in seinen Begriff sich zurücknehmen (PhG, p. 353; cf. PhS, Par. 491). Alienation alienating itself is a formula for renewal, and as such is like the Christian theological saying, with regard to the Resurrection, that death dies, i. e., that death returns from the realm of death (the created temporal world) to the realm of life (the uncreated eternal world) and thus destroys itself forever. Hegel's Identification of the Aufhebung of Entfremdung with a process of returning (sich zurücknehmen) effectively connects Entfremdung with Entäußerung, since there can be no return, no renewal, unless there has first been a proceeding, a going forth. Indeed, Hegel occasionally uses Entfremdung and Entäußerung interchangeably in the "Self-Alienated Spirit" section of the Phenomenology (PhS, Pars. 484—595, esp. Par. 489; PhG, pp. 347—422, esp. p. 351). Moreover, Hegel's frequent affiliation of Entfremdung with that which is sich entfremdet, i. e., with that which suffers a strictly internal disorder, effectively connects Entfremdung with Entzweiung, which is always internal, as a tree which is bifurcated is still only one tree. Thus, for such Neo-Platonic interpretations of Hegel as that of HINRICHS, these three German terms would each denote or emphasize, with much overlapping, a certain aspect of the same Situation, namely, the Situation wherein that which is an essential unity comes to recognize itself as a manifest disunity, and on that account immediately begins to yearn for its return to its true nature as an essential unity. Out of the created bifurcation between God and creature, i. e., out of the natural state of the world, or out of all of the Hegelian dialectical stages prior to religion, the demanded reconciliation becomes manifest as the various dialectical stages of religion. Religion appears — or religions appear — as bifurcation, precisely because this multiplicity is moving toward reconciliation. The true or final religion is a rational Christian theism which involves the entire world. Such a religion, however, is not a religion of pure thought; the religion of pure thought is not adequate, because it lacks spirit — in more than just the Hegelian technical sense. The Christian religion is the true religion, the phüosophical religion, the religion of the ultimate reconciliation of all spirit, because, in it, after all eise has been revealed, the Essence of God is revealed to us, i. e., to spirit, as spirit. The final Content of the true religion is thus the unity of the divine Spirit and the human spirit, and represents the return to oneness out of the multiplicity which had once emerged from oneness. The only important thing for Hegel and 9 Etudes hegeliennes. p. 5. On the same page, Gregoire, very much in the spirit of Hinrichs' view of Hegel, discusses Versöhnung, Vereinigung, and Aneignung as they pertain to alienation.
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is the "big picture", but, unlike for SCHELLING, the big picture includes the full particulars of each and every "liftle picture" within it. Therefore, it is our duty to know God to whatever extent we are able, since to know God is to know ourselves, and thus to come to know, admit, and welcome the possibility of our reconciliation with God. This duty does not signify for HINRICHS a realization which was later made by FEUERBACH, namely, that God is reducible to the human essence and that theology is on that account reducible to anthropology — (cf. Grundsätze der Philosophie der Zukunft, §§ 1, 7) — because, even though the human spirit and the divine Spirit have the same essence, i. e., absolute spirit, the human spirit and the divine Spirit are stül in no way the same thing. The differences between the human spirit and the divine Spirit become clearer as HINRICHS delineates them in — paradoxically — his description, throughout his book, of the growth or development of the identity of these fwo types of spirit. ln HINRICHS' ascensio mentis in Deum, i. e., along his path from the most naive religions to the absolute religion, nothing at all can be known except through God; accordingly, nothing at all except spirit can be known. The human spirit in the act of apprehending the divine Spirit, i. e., the person in the act of knowing God, is self-conscious spirit in the act of recognizing that the most intimate core of the human being is divine and that our "outer" human spirit is fully identical with this "inner" divine Spirit. This allusion to ECKHART, which asserts that it is by the fact of spirit that the human person is divine, or that the divine Spirit exists as a Fünklein within the human spirit, is a clear anticipation of FEUERBACH, and provides HINRICHS fhe means to answer such atheistic humanism curtly: The opinion that the human spirit is merely human is "far inferior" even to church doctrine about the nature of spirif, and is, in fact, a bastard knowledge (eine Wissenschaft außer der Wissenschaß). It may, however, prove impossible to dissociate, in such an offhand way, HINRICHS' thought from that of FEUERBACH — for indeed, on each side there occurs the severe reduction of key concepfs to one another. Yet the reductions assume opposite forms. While FEUERBACH reduces divine to human, infinite to finite, spiritual to material, and intelligible to sensibleio, HINRICHS, following PLOTINUS more closely than he follows Hegel, reduces human to divine, finite to infinite, material to spiritual, and sensible to intelligible. Whereas FEUERBACH says that the human being is the measure of reason (Grundsätze, § 50), HINRICHS might say that reason is the measure of the human being. Each is guilty of denying one aspect of a dialectical pair which must be preserved as a dialectical pair in Order to portray accurately the fundamentally communicative relationship between the human agent and God, the type of relationship which is recognized by, for example, SCHLEIERMACHER, KIERKEGAARD, and OTTO, i. e., by those who emphasize fhe HINRICHS
10 Feuerbach may not be nearly such a materialist as is commonly supposed. For example, in the light of § 53 of Grundsätze, it is difficult to believe that he seriously meant his famous pun — Der Mensch ist was er ißt — in his 1850 review of Moleschott's Lehre der Nahrungsmittel. Cf. William ]. Brazill. The Young Hegelians. New Haven 1970. p. 154.
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human perception of the "complete otherness" of God. The question of whether it is philosophically preferable to assign more importance to either the differences or the similarities between the human and the divine is bracketed here; nevertheless, when we are speaking philosophically of these similarities, we do not do justice to either the human or the divine if we do not strongly affirm the irreducible integrity of each. Like Hegel, both FEUERBACH and HINRICHS stress the similarities, but, unlike Hegel, they each do so in a way which is unfair to one of the two poles of the Opposition. It is just as incomplete to say, with FEUERBACH, that God is only a projection of the human being as it is to say, with HINRICHS, that the human being is only a proceeding from God. Both reductions are un-Hegelian in the sense that they preclude the possibility of any genuine mediation befween the human and the divine on mutually acceptable terms. ln HINRICHS' EcKHARiian position, the divine Spirit which is das innerste Wesen des menschlichen Geistes cannot become known immediately; rather, many stages, e. g., feeling, mental imagery, etc., must be experienced and assimilated before a person is able to arrive at the consciousness of this one axial facl — that the human spirit is divine (RVW, p. 5; HHS, p. 272). These stages and this process constitute the work of God on earth. The human spirit first achieves its true religion when all of these phases fall together, fully mediated, into one at the level of fhe systematic knowledge (Wissenschaft) of absolute truth, the level at which all knowledge and all human experience is interrelated and spiritually conceived in thought, the level at which religion, i. e., the true religion, the religion of spirit, and the content of this religion are immediately contained in and identical with systematic knowledge, i. e., the systematic knowledge which finally serves as the divinely sanctioned form of the content of religion. (Cf. Encyclopedia, §§ 1, 3.). The dialectical progress of self-consciousness toward reconciliation with its absolute essence occurs, as HINRICHS says in his sketch, as a striving "in the struggle and toil of fhe Weltgeist" (Briefe, II. 240), or, as Hegel says in Paragraph 29 of the Phenomenology, by the Weltgeist having the patience to endure all sorts of changes over long periods of time, thus accepting the responsibility of the enormous task of world history (PhG, pp. 27—28). Moreover, in Paragraph 802 (PhG, p. 559), Hegel adds that spirit cannot achieve the systematic knowledge of ifself as self-conscious spirit until it has developed itself as the WeltgeisP^, i. e., until it has developed itself in history. HegeTs and HINRICHS' joint insistence that the phenomenological dialectic of spirit is a historical dialectic indicates how it is possible for them that the religious attitude is common to all dialectical levels in a Weltgeist, if translated as 'world-spirit', suggests something like 'world-soul', or a single Söul embodied in a single world, as if the world were itself an individual being. Rather, Weltgeist means a morale, mentality, or elan which motivates and characterizes a certain world, just as Zeitgeist means a morale, mentality, or dan which motivates and characterizes a certain time. Weltgeist is therefore better rendered as 'spirit of the world', in the same way that Zeitgeist, which cannot be translated as 'time-spirit', is better rendered as 'spirit of the time'.
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way that the political attitude simply cannot be. Indeed, it is in the dimension of history that religion pervades the dialectic and is implicit even in the lowest forms of consciousness front "Sense Certainty" (PhS, Pars. 90—110; PhG, pp. 79—89) onward. For example, fhe attitude with which primal consciousness regards "This, Here, Now" is a basic religious attitude of trust, simplicity, and wonder, and is also fhe affitude which marks the beginning of spirit's personal hisfory, the biography of spirit in its self-initiated quest for Union with a more and more mediated absolute. ln concrete terms, this historical development is the progressive growth of the Community of Christian believers, or the development of Christianity as a world religion. This movement is briefly described by HINRICHS in §§ I.2.A.—1.2.B.a. of RVW, where he discusses the Christian successively recognizing, articulating, communicating, and sharing a common actuality (gemeine Wirklichkeit), the Incarnation, the central Vorstellung which is the basis of fhe belief of the individual (RVW, pp. 30—36; HHS, pp. 294—299). This belief, since it is the negation of what is merely subjective, immediately becomes the basis of objective spirif, of social and polifical life, or of the belief of the community. This transition occurs in three phases; (1) the individual who believes (§1.2.A.a.) gathers with other individuals who, insofar as they are like-minded, form an aggregate, and subsequently, insofar as they talk among themselves and thus solidify their common belief, form a coherent community whose belief is: (2) the particular belief of fheir nafion (§ 1.2.A.b.), the Volks-Glaube which cancels individual opinion, precludes personal Superstition, legislates orthodoxy, defines heresy, and, insofar as the various individual nations talk among themselves and thus generate a common belief, achieves its confirmation as: (3) the belief shared by the whole world (§ I.2.A.C.), the belief which, at least from the believer's point of view, is absolute true belief. This movement from the particularity of the individual to the particularity of the nation to the universality of the world is a movement which can be successful only to the extent that the individual who believes a certain mentally imagined content is able to convince other individuals of fhe fruth of this content, i. e., only to the extent that the individual believing consciousness can become identical with the believing consciousness of the nation and eventually with the believing consciousness of the world. The true revealed religion must be a world religion — again, since God is not jealous, does not withhold the full truth from some individuals or from some nations, but makes the revelation of the divine available to the whole world, Jew or Greek, male or female, black or white, ln the worldwide religion of belief (§ I.2.B.), therefore, trufh itself is a common actuality, a general revelation shared by all believers. HINRICHS' troublesome and always implicit corollary to his explicit assertion that God is not jealous is that, for the human believer on the road toward becoming the human knower, nothing, in principle, is ineffable. Accordingly, for HINRICHS, historical progress in religion is not only the movement from many individual religions fo one world religion, nor only the transition from particular religious belief to universal religious (or philosophical)
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knowledge, nor even only the Aufhebung of the Vorstellung as the Begriff, but also — precisely — the transformation of the human believer into the human knower. The internal relation established between religious progress and historical drama effectively distinguishes Hegel and HINRICHS from most of the pagan Neo-Platonists, especially PLOTINUS, who ignores history as a possible arena for spiritual development, and instead, recognizes such development only in a private, mystical, or "converted" view of intelligible objects — (cf. Enneads. 1.2, , 4). However, at the same time, HINRICHS' Interpretation of Hegel aligns Hegel very closely with many prominent Christian thinkers who have been inspired by pagan Neo-Platonism, even by PLOTINUS' idea of mystical "waking" or "conversion"i2, and who have incorporated this thought into philosophies and theologies of history. ln particular, Hegel is thereby aligned with the author of the first genuine philosophy of history. ST. AUGUSTINE, whose City of God synthesizes the personal history of any human individual with the universal history represented in the dialectical interaction between the two cities, Babylon and Jerusalem, to depict a Christian history of Salvation (Heilsgeschichte), ln City of God, AUGUSTINE gives the reader much material which at first seems to have little to do with his central plan to defend and to preach the Christian view of history, but which is eventually seen to be indispensable propaedeutic for his final presentation of salvation and heavenly bliss, the end of the human via dolorosa (Book XXll, Chapters 22—30). Similarly, Hegel gives the reader of the Phenomenology much material, especially in the earliest stages of the dialectic, which at first seems to have little to do with his central plan to articulate the spiritual history which culminates in the human recognition of rational religion as the absolute content of absolute knowledge. Yet, if we read Hegel as HINRICHS read Hegel, then we may also see that every apparently secular phase of the dialectic is indispensable propaedeutic for the final presentation of a philosophy which does not supplant or eclipse religion, but accepts and absorbs religion in its full integrity, and which, in the last analysis, is identical with religion. Eric v. d. Luft (North Syracuse)
For a Sketch of Plotinus' "waking," from which Augustine derived his idea of conversio, see The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy. Ed. by A. H. Armstrong. Cambridge 1970. pp. 226—227. The first Version of this paper was presented at the Conference of the Eastern Pennsylvania Philosophical Association held at Villanova University on April 30, 1983. Some of it has been incorporated into HHS, but most of it is now best considered as a modification or expansion of some of the themes of that book. 1 am grateful for the improvements suggested by George L. Kline, Clark Butler, Lawrence S. Stepelevich, Annemarie Gethmann-Siefert, and the late Isabel Stearns.
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NEWTONIANISMUS AM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS IN DEUTSCHLAND AM BEISPIEL BENJAMIN MARTIN
Am Ende des 18. Jalirhunderts findet man unter der naturwissenschaftlichen Literatur im deutschen Sprachraum sowohl Darstellungen zur CARTESianischeni als auch zur NEWXONschen Physik. Unter den zahlreichen NEWTONSchen Büchern im deutschen Sprachraum zu unterschiedlichen Bereichen der Naturerkenntnis fällt insbesondere die Übersetzung von BENIAMIN MARTINS Philosophia Britannica: oder Lehrbegriffe der newtonianischen Weltweisheit, Sternkunde etc. (englischer Originaltitel; Philosophia Britannica: Or, A New and Comprehensive System of Newtonion Philosoph]/, Astronomy and Geographys in a Course of Twelve Lectures etc.) auf. BENIAMIN MARTIN (1704—1782) macht den gesamten Bereich des damals verfügbaren physikalischen Wissens thematisch und stellt so den Lehrkanon dar. Er appliziert ein NEWTONsches Wissenschaftskonzept mit seinen universell geltenden Regeln. Da BENIAMIN MARTIN SO stark bestrebt ist, NEWTONS Physik allgemeine Geltung zu verschaffen, ist er gleichzeitig ein schönes Beispiel für die Probleme, die der NEWTONianismus mit einzelnen Fragen der Physik hatte. So mischt MARTIN in aller Deutlichkeit Begriffe aus NEWTONS dynamischem Planetenmodell mit denen aus D'ALEMBERTS statischem. Gleichzeitig aber wird auch an MARTINS Buch die breite Tendenz der Zeit deutlich. Wissen für pragmatischen, alltäglichen Umgang mit Gegenständen zur Verfügung zu stellen. Übersetzt wurde das Buch von dem Geometer und Sekretär der ökonomischen Gesellschaft in Leipzig, CHRISTIAN HEINRICH WiLKE (1722—1776). Ein in vieler Hinsicht bemerkenswertes Vorwort schrieb der Jurist, Literat und Mathematiker ABRAHAM GOTTHELF KäSTNER (1719—1800) zur 2. Auflage, die 1778, nach dem Tod WILKES erschien. Ein berühmter Leser dieser Übersetzung, der einen guten Teil seiner naturwissenschaftlichen Kenntnis aus diesem Werk bezog und auf begriffliche Probleme im NEWTONianismus aufmerksam machte, war Hegel (1770—1831).
1. B. MARTIN war Mechaniker und Optiker in London, als er 1747 zum ersten Mal die Philosophia Britannica herausgab. Die Philosophia Britannica war sowohl im englischen, als auch im deutschen Sprachraum weit verbreitet, wie die zahlreichen Auflagen zeigen.2 Der ersten Veröffentlichung in London gingen mehrere Bücher über Globenbau, Geometrie, Elektrizitätslehre, Kometentheorie, Geographie und Optik voraus. Eine weitere deutsche Übersetzung eines Buches von MARTIN (Einleitung in die Newtonische Naturlehre. IJbersetzt von J. J. EBERT. Berlin 1778) ist mit 215 Seiten erheblich kürzer gehalten als die Philosophia Britannica. Die zahlreichen 1 Cf. z. B. B. von Fontenelle: Dialogen über die Mehrheit der Welten. Nachdruck; Weinheim 1983 — Dieses Buch wurde von J. E. Bode übersetzt und in den Jahren 1780, 1789, 1798 herausgegeben. Der erste (französische) Druck stammt aus dem Jahre 1686 — ein Jahr vor Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. 2 Es folgten noch drei weitere englische Ausgaben, alle in London, 1759, 1771 und 1788.
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Tafeln sind zum Teil die gleichen, wie in der Philosophia Britannica. Es ist eine populäre Darstellung der NEWTONSchen Physik, die völlig auf Mathematik verzichtet. Ganz anders als die Philosophia Britannica, die mit Hilfe eines mathematischen Apparates die gesamte Physik darlegen wollte. Das Neue an der Philosophia Britannica sah MARTIN im Vergleich zu den bereits verfügbaren Büchern anderer Autoren darin, „daß ihre [der anderen Autoren] Absichten von der meinigen merklich verschieden sind, vermöge welcher ich der Welt ein Werk zu liefern suche, welches den ganzen Umfang der Naturkunde begreift, und eoxi physisch=mathematischen Gründen der newtonschen Weltiveisheit beruhet: wozu es mir denn an einem reichlichen Vorrat von Stoffe nicht gefehlt hat, den ich aus den Schriften derjenigen Verfasser zusammengetragen habe, welche jegliche besonders in ihrer Art vortreflich und von mir ... in einem Verzeichnis angeführt sind." (Bd 1. Vorrede. IV) Tatsächlich geht MARTIN SO vor, daß er zahlreiche Einzeluntersuchungen gegeneinander abwägt und im Stile NEWTONScher Physik, und das heißt mittels Kräften, mathematisch und korpuskular erklärt. Allerdings hat er diese Einzeluntersuchungen nicht in der angegebenen Liste zusammengestellP, sondern in Fußnoten. Das dreibändige Werk MARTINS"* erläutert in einem relativ kurzen fortlaufenden Text das naturwissenschaftliche Weltbild und die Mathematik in sehr umfangreichen, meist mathematischen Fußnoten. 5 In zwölf Vorlesungen eröffnet uns MARTIN einen Einblick in die gesamte Naturwissenschaft seiner Zeit, und zwar gleichermaßen theoretisch als Erklärungskonzept wie praktisch mit konkreten Hinweisen für das Handwerk: In der ersten Vorlesung zum Beispiel folgen nach allgemeinen Betrachtungen über die Methode NEWTONS (regidae philosophandi), die Natur der Materie und das Handwerkszeug des Experimentators wie auch Elektrizität und magnetische Kraft. Dabei interessiert sich MARTIN ebenso für theoretische Erklärungen, wie die praktischen Verfahrenstechniken etwa bei der Herstellung von Magneten. MARTINS Lehrbuch vereinigt also ein theoretisches Lehrbuch mit einem praktischen Buch über Mechanik. Wenigstens seit der Renaissance kennen wir Mechanikbücher, deren Ziel es war, praktische konstruktive Techniken zu vermitteln.^ BENJAMIN MARTIN hat in der Philosophia Britannica in etwa einem Drittel seines Buches diese Tradition fortgeführt und im übrigen mit NEWTONscher Physik den theoretischen Apparat nachgeliefert, mit dessen Hilfe diese Technik verstanden 3 Die Liste enthält die Werke von Newton, Pemberton, s'Gravesande, van Musschenbroek, Desaguliers, Jakob Hermann, Smith, lurin, M. Belidor, Cotes, Cläre, Long, Keill, W. Whiston, Saunderson, Steward, Rohault, Rowning, I. Müller, MacLaurin, L'Hospital, Simson, Worster, Robinson, Domckio, De Maupertuis, Galilei, Haies, Gregory, Ditton, Halley, Boerhaave und Shaw, also vor allem Gesamtdarstellungen. Band 1 hat 400 Seiten, Band 2 551 und Band 3 434 Seiten und ein umfangreiches Sachwortregister. Zahlreiche zum Teil sehr schöne Kupferstiche illustrieren das Gesagte. 5 Zum Teil bestehen die Seiten aus 1/5 Text und 4/5 Fußnote. Es gibt wohl kaum eine Seite ohne Fußnote. ^ Genannt seien hier nur /. Leupold: Theatrum machinarum 1724—1739. Repr. 1986; und S. de Caus: Von gewaltsamen Bewegungen. Beschreibung etlicher, so wol nützlichen alß lustigen Maschinen. Aus dem Französischen. Francfort 1615.
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werden sollte. Aber offensichtlich liegt das Schwergewicht nicht mehr auf der Technik, sondern auf der theoretischen Seite, denn es werden von MARTIN keineswegs alle bekannten technischen Bereiche angesprochen. Kriterium für die Aufnahme ins Buch ist offenbar die Erklärbarkeit bzw. Verbesserung mittels NEWTONscher Physik. B. MARTIN gibt im Vorwort genau an, nach welchen Kriterien — es sind neun — er sein Buch geschrieben hat. Interessant sind für uns davon drei Kriterien: 1. behauptet MARTIN, er habe zunächst sämtlichen Stoff zusammengetragen, der nötig sei, um den Vollständigen Lehrbegriff der Weltweisheit zu verstehen. 2. habe er sich um eigene Forschungen bemüht, sofern seine Vorgänger keine ausreichende Erklärungsgrundlage gegeben hätten — wie etwa in den Kapiteln über das Fuhrwerk, Hydraulik oder auch Optik. Verbesserungen fänden sich in den Artikeln über die „Windbüchse" und das „Schießgewehre mit Pulver". 3. habe er, falls der Raum zu einer ausführlicheren Belehrung in seinem Buch gefehlt habe, auf andere Autoren verwiesen und durchgängig NEWTONS Infinitesimalrechnung herangezogen, um zu einer angemessenen Erklärung zu gelangen. Neben der Mathematisierung ist aber — implizit — auch die atomistische Erklärung für MARTIN NEWTONisch. So ist sein Versuch interessant, alle Phänomene korpuskular zu erklären. Gleichzeitig erörtert er im Vorwort die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Erklärung Zusammenhängen. NEWTON habe keine Hypothesen gebildet, und wer immer ihm vorwerfe, dies getan zu haben, sei albern. Insbesondere habe NEWTON nicht vom Zug der Teilchen gegeneinander gesprochen. Ja, es sei sogar so, daß NEWTON „einmal so gefällig gewesen" sei, „daß sich diese Bewegung der Körper, auch vermittelst des Stoßes eines sehr zarten und federartigen Aethergeistes erklären lasse" (Bd 1. XVI). Natürlich müsse man dann Kräfte für diese Ätherteilchen finden, und so weiter. Man habe also gar nichts gewonnen. Aber man sei seit NEWTON doch viel weiter gekommen, da man inzwischen bei der Elektrizität einen Geist oder Äthergeist vorfände. Natürlich müßte hier das Ziel sein, „eine ursprüngliche Ursache" zu finden. „Wir sind beinahe im Stande, das Dasein dieses Äthers aus den Eigenschaften der Electricität zu erklären; und hierdurch finden wir gar leicht, daß das electrische Wesen nichts anderes als ein würklicher verdünneter und einen Schein von sich gebender Äther sey." (Bd 1. XVIII) Auf diese Weise kann MARTIN sowohl die Elektrizität, als auch das Licht erklären. II. Der deutsche Übersetzer CHRISTIAN HEINRICH WILKE hat die Philosophia Britannien gegen Ende seines Lebens übersetzt, nachdem er zuvor eine Reihe von eigenen Schriften zur Geometrie und mehrere Übersetzungen aus dem Englischen veröffentlicht hatte. Die Bände 1 und 2 hat er 1771 übersetzt, den Band 3 1772. Nach einer ersten Publikation 1772 wurde die Übersetzung erneut 1778 von KäSTNER herausgegeben, nach dem Tod WILKES. WILKE hat zwei Vorworte, zum ersten und dritten Band geschrieben, in denen er seine Übersetzungsprinzipien mitteilt und darauf hinweist, daß er zwei Abschnitte eingefügt habe, zur „Theorie der Luft"
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(Bd 2. 255—284) und zur „Erwärmung und Erkältung der Körper" (Bd 2. 285—312), weil MARTINS Erklärungen hier unzulänglich wären. Außerdem habe er gelegentlich eine Fußnote hinzugefügt, wenn MARTIN etwas falsch dargestellt habe. Statt der NEWTONschen Schreibweise der Infinitesimalrechnung benutzt WIEKE die LEiBNizsche, weil die NEWTONsche „zuweilen so unverständlich ist, . . . daß man Mühe hat, zu verstehen, was darunter vorgestellt werden soll" (Bd 1. XLIII). Im Vorwort zu Band 3 bemerkt er, daß nach der langen Zeit seit der Herausgabe durch MARTIN neue Arbeiten von „EULER, DOLLAND, MEYER, CLAIRAUT und anderen" erschienen seien, die eigentlich wenigstens als Fußnote erscheinen sollten. Da der Anfänger aber damit überfordert sei, wolle er in nachfolgenden Studien solche Ergänzungen separat veröffentlichen. Zu Realisierung dieses Plans scheint es nicht mehr gekommen zu sein, da WIEKE 1776 starb. Bei der Übersetzung versucht WIEKE das stilsichere Englisch in ein shlsicheres Deutsch zu übertragen. Es handelt sich um eine gute Eins-zu-Eins-Übersetzung der 2. englischen Ausgabe von 1759.^ WIEKE hat dabei gelegentlich des Guten zuviel getan, wenn er etwa Titel englisch-sprachiger Ausgaben übersetzt, auch wenn es keine deutsche Übersetzung gibt.® Die Tafeln werden perfekt kopiert und gelegentlich zum besseren Verständnis um Bezeichnungen ergänzt. Fußnoten, die WIEKE ergänzt, werden durchgehend abgesetzt und mit Sternchen (*) gekennzeichnet. MARTIN übergeht gelegentlich eine Zahl bei der Durchnummerierung der Fußnoten. WIEKE korrigiert das, so daß die gleichen Fußnoten bei WIEKE und MARTIN unterschiedliche Nummern tragen. WILKES Motiv für die Übersetzung ist zweifach: ein ökonomisches, damit für den Kauf des Originals kein Geld aus dem Land geht (Bd I. XLI), und ein wissenschaftliches, damit NEWTONS Theorie allen Fakultäten zugänglich würde. Die Infinitesimalrechnung hält WIEKE für unumgänglich für die Erkenntnis der Natur und bedauert, daß das Studium der Sprachen so viel Zeit an deutschen Universitäten einnehme, so daß eine vernünftige Grundlage in der Mathematik nicht gelegt werden könnte. Ja mehr noch: in keiner Wissenschaft gebe es Erfolge ohne Mathematik: „Hieraus folgt ganz natürlich: daß, wenn wir nicht nur die Naturlehre, sondern alle Wissenschaften überhaupt, von welchen das, was wir eben gesagt haben, ohne Unterschied gild, gründlicher treiben wollen, wir vor allen Dingen darauf denken müssen, die gelehrten Sprachen in einer merklich kürzeren Zeit zu lernen; um hierdurch so viel Zeit zu gewinnen, die Anfangsgründe der Rechenkunst, Geometrie, und Algebra, mithin eine praktische Vernunftlehre zu gleich, auf Schulen zu lernen; und diese auf der Universität zu erweitern, ehe man sich zu der Naturkunde und den höheren Wissenschaften wendet.— Der Gottesgelehrte würde alsdann von den göttlichen Absichten und Verfahren, wenn er sie durch die Werke des Schöpfers erläuterte, richtiger, angemessener und erbaulicher reden; der Rechtsgelehrte eine genauere Ordnung in seinem Ver^ Leider waren mir die übrigen englischen Ausgaben nicht zugänglich. ® Siehe Martin, englische Ausgabe, London 1759, Seite IX; das entspricht Wilke, Seite XIII.
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fahren beobachten, sich nicht so geschwind übereilen, und keine widernatürliche Gesetze zum Vorschein bringen; der Arzt sich so wenig in der Erklärung der Bewegung des menschlichen Körpers und dessen Theile, verstoßen, als in bösartigen Zufällen widrige Mittel gebrauchen; alle Oekonomen, Künstler und Handwerksverwandten aber nicht durch vergebliche Bemühungen, Zeit und Kosten verschwenden, sondern ein ieder seinen Zweck viel gewisser und kürzer erreichen, als durch irrige und vergebliche Versuche." (Bd 1. XLVI) WILKES Forderungen, NEWXONschen Wissenschaftskriterien einen breiten Raum in der Wissenschaft zu gewähren, wurden im 19. Jahrhundert in Deutschland umgesetzt, und man versuchte, in allen Wissenschaftsbereichen NEWxoNscher Methodik zu folgen; freilich hieß das nicht immer nur Mathematisierung, sondern vor allem Umsetzung der Vorstellung von der Gravitation als Anziehung Gleicher. III. ABRAHAM GOXXHELF KäSXNER hat nach WILKES Tod den Druck der Übersetzung des Bandes 1778 erneut besorgt und ein Vorwort hinzugefügt, in dem er sich mit WILKES Zusätzen beschäftigt, wobei er die wichtigsten ablehnt. KäSXNER hat dabei keinerlei Veränderung an WILKES Übersetzung vorgenommen, sondern es scheinen gar die gleichen Druckstöcke benutzt worden zu sein, weil der Satz völlig textidentisch scheint. Allerdings hat KäSXNER auf der ersten Seite den lateinischen Vers HALLEYS aus NEWXONS Principia weggelassen^, den WILKE und MARXIN abgedruckt hatten. Selbst für Druckfehlerlisten, die am Ende des Vorwortes von WILKE in Band 3 für Band 2 notiert werden, werden in der neuen Auflage keine Korrekturen ausgeführt. KäSXNER schreibt über WILKE: „Ich wünschte, daß der Uebersetzer sein Verdienst darauf eingeschränkt hätte, den Deutschen ein nützliches Buch zu liefern. Mit seinen Zusätzen und angeblichen Verbesserungen bin ich weniger zufrieden. Dieses mein Urfeil von allen, von denen ich es fälle, zu rechtfertigen, habe ich weder Zeit noch Lust, von einigen füge ich in der Folge die Beweise bei, eigentlich in der Absicht, daß der Leser, wo er nicht selbst richten kann, ob der üebersetzer dem Verfasser mit Grund widerspreche, wenigstens die Streitfrage, bis er mehr Einsichten erlangt, unentschieden läßt." (Bd 1. V) Später heißt es; „In einem seiner letzten größeren Werke hat er [WILKE] unter anderen gewagten Urteilen auch das Verfahren, das die französischen Astronomen, bei Abmessung eines Grades unter dem Polarkreis beobachtet haben, der Unsicherheit beschuldiget, wiederum nur aus Unkunde der eigentlichen Beschaffenheit dieses Verfahrens, und der dabey gebrauchten Werkzeuge." (Bd 1. VII) Nun, als allzu schwierig schätzt KäSXNER die Übersetzung eines solchen Werkes nicht ein, wenn der Übersetzer wenigstens Elementarkenntnisse besitzt: „Ist ein solcher Übersetzer nur der Sprache mächtig, hat er von den Gegenständen seiner Grundschrift, wenigstens Elementarkenntnisse, die er durch ünterricht seines Buches vergrößert, und so andern mittheilet, so wird seine Arbeit allemal gut gerathen. ^ Quae toties Animos veterum torsere Sophorum, Quaeque Scholas frustra rauco certamine vexant, Obuia conspicimus, Nubem pellente Mathesi.
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nur allenfalls seinen Kritiken wird man es manchmal ansehen, daß er, wie HALLER sagt: „Die Schranken eng geschätzt, darinn er denken sollen. Und draussen fallen eh, als drinnen stehen wollen!" (Bd 1. VII f) KäSTNER kritisiert dabei kein einziges Mal MARTIN, sondern ausschließlich WILKES Hinzufügungen. Er gibt zu, das englische Original nicht gesehen zu haben. KäSTNERS Kritik bezieht sich dabei auf eine Reihe von Noten WILKES: Zum Teil einfache Berechnungen und Rechenfehler (WILKES) (Bd 1. VIII). Für sie hat KäSTNER die Entschuldigung: „Vielleicht hat er [WILKE] die Anfangsgründe der Mathematik nach WOLFS deutschen Schriften gelernt, wo von Zusammensetzung und Vervielfältigung der Verhältnisse nicht viel vorkömmt; in dem Lateinischen sind diese Begriffe erklärt." (Bd 1. X) Eine weitere Korrektur durch KäSTNER erfährt WILKES Ergänzung zu MARTINS Beschreibung der Gravitation der Erde in 1 Meile Entfernung von der Erde. WILKE überlegt, wie denn die Gravitation aussähe, wenn man auf einem Berg wäre, der 1 Meile über den Meeresspiegel hinausragt. WILKE bestätigt MARTINS Überlegung, da ja der Berg zur Erde gehöre. KäSTNER reagiert mit weitläufigen Anekdoten, die von WILKE nicht angesprochen wurden. In diesem Zusammenhang erläutert KäSTNER weitläufig NEWTONS Chronologie, die nach NEWTONS Tod 1728 in London erschienen war. MäRTIN erwähnt sie sehr ausführlich im Rahmen seiner astronomischen Betrachtungen. KäSTNER ist wohl nicht ganz zufrieden mit dieser eher mystisch als wissenschaftlich zu nennenden Schrift. Nach dem Satz „Dieses, um WILKEN zu entschuldigen, wenn er gefehlt hat, wo Fehltritte so schwer zu vermeiden sind," (Bd 1. XVI) fügt KäSTNER seinen Versuch hinzu, an NEWTONS Chronologie zu retten, was zu retten ist. Von den umfangreichen Ergänzungen WILKES zur „Theorie der Luft", hofft KäSTNER, daß diese „angeblich neue Theorie" keinen „Leser irre machen wird" (Bd 1. XIII). WILKE hat der Luft sowohl eine abstoßende Kraft als auch eine anziehende Kraft zugeschrieben. KäSTNER wundert sich vor allem über die anziehende Kraft, wenngleich sie ja schon „CHRISTIAN THOMAS in seinem Versuch vom Wesen des Geistes (Halle 1709)" der Luft zugeschrieben habe. WILKES „Theorie der Erwärmung" beurteilt KäSTNER zurückhaltender so: „In der Theorie ist der Gedanke nicht ganz unrichtig, daß man das arithmetische Mittel zwischen den Wärmen zweener Körper zu nehmen habe, die aus beiden Wärmen zu entstehende zu finden. Nur hat WILKE nicht bedacht, daß es hiebey auch auf die Menge der warmen Materien ankömmt. . . und so wird man auf die Regel kommen, die RICHMANN gegeben hat: Man multipliciert jede Masse mit der Wärme, und dividirt die Summe der Producte durch die Summe der Massen, das giebt die aus beyden Wärmen entstehende Wärme." (Bdl. XIII) Auch hier deutet KäSTNER — wie schon zuvor — Plagiat an, sofern WILKE überhaupt mathematisch korrekt war. Sicher ist es ungewöhnlich, wenn ein Herausgeber einem Werk ein solches Vorwort mitgibt. Eine, wenn auch keine vollständige Erklärung liegt sicher in einem Disput zwischen WILKE und KäSTNER: WILKE hat 1758 in seinem Buch Neue Grundsätze der praktischen Geometrie (Halle 1758) KäSTNER angegriffen, was KäSTNER in dem MARTiNschen Buch erwähnt.
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Sein Buch Neue Grundsätze der praktischen Geometrie ergänzte WILKE durch eine umfangreiche Verteidigung (179—215). Er schreibt von einer „aufgenöthigten Verteidigung des Verfassers wider seine drei Göttingischen Gegener, welche besonders in dem 141sten Stücke ihrer gelehrten Zeitungen vom Jahre 1757 ungemein Unwillen über die Abhandlung von der Entscheidung deren Grenz-Streitigkeiten" geäußert hätten. Die Entscheidung deren Grenz-Streitigkeiten^^ jgt gj^e frühere Schrift WILKES, die ein Verfahren angibt, nach dem Felder durch meßtechnische Aufteilung in Rechtecke ausgemessen werden können. WILKE verweist dabei auf seinen Lehrer, den Göttinger Mathematiker MAYER. Meines Erachtens ist das Meßverfahren kein sehr originelles Verfahren, aber dennoch Gegenstand des gelehrten Streites geworden. WILKE zitiert zwei Rezensenten der Zeitungen, einen unbekannten und KäSTNER. Die Rezensionen werden ebenfalls abgedruckt. Die Rezensenten kritisieren darin WILKE, nicht aber MAYER, der auch Lehrer der Rezensenten war. WILKE wirft ihnen dies vor. MAYER folgt dann in den Göttinger Gelehrten Zeitungen mit einer Erklärung und einem Plagiats-Vorwurf gegen WILKE. WILKE druckt auch diese Erklärung und wirft seinerseits MAYER Plagiat vor und verweist auf Ludolph von Ceulen: De circulo et ad scriptis, hrsg. von WILLEBRORDUS SNELLIUS 1619), der bereits das MAYER/ WiLKEsche Verfahren benutzte. WILKE schließt diese überempfindliche Verteidigungsschrift mit der Aufforderung, die „ungesitteten Zeitungscreaturen" mögen für sein Buch § für § zeigen, wo er MAYER abgeschrieben habe, damit entweder „zum Nachteil" WILKES offenkundig wird, ob WILKE Plagiat geübt habe, oder zu „seiner eigenen Schande" (des Rezensenten) deutlich werde, daß er in den Göttingischen Anzeigen „öffentlich gelogen" habe. Mir ist eine solche Darstellung nicht bekannt geworden. Sicher kann man sagen, daß weder MAYER, noch WILKE das Verfahren erfunden haben. Allerdings besagt dies nichts über die WiLKEsche Übersetzung des MARTiNschen Buches. WILKE hat eine sehr gute Übersetzung geliefert, die authentisch das englische Original wiedergibt. IV. Hegel hat sich insbesondere in seiner Habilitationsschrift Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum ISOD'^ auf die WiLKEsche Übersetzung von MARTINS Philosophia Britannica berufeni^ und den NEWTONianismus anhand dieses Buches untersucht und kritisiert.
'0 Der Titel lautet: Neue und erleuchtete Methode den Inhalt geradlinichter Flächen zu finden und dieselben ohne Rechnung einzuteilen besonders vorteilhaft auf die Entscheidung der Grenzstreitigkeiten angewendet. Halle 1757. 11 G. W. F. Hegel: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum — Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen, Übersetzt, eingeleitet und komrrtentiert von W. Neuser. Weinheim 1986. 12 Hegel besaß in seiner Bibliothek 4 Bände aus den Jahren 1772 und 1778. Das Vorwort Kästners wird ausdrücklich erwähnt. Wir dürfen also annehmen, daß Hegel Kästners Vorwort kannte. Siehe dazu W. Neuser: Die naturphilosophische und naturwissenschaftliche Literatur aus Hegels privater Bibliothek. In: Hegel und die Naturwissenschaften. Hrsg, von M. J. Petry. Stuttgart—Bad Cannstatt 1987.
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Zwei Punkte sind dabei besonders wichtig; Die Hegelsche Einschätzung KEPLERS und der britischen Physik ist bei WILKE und KäSTNER vorformuliert; und in MARTINS Buch findet sich eine (falsche) Vorstellung von der Zentrifugalkraft, die Hegel sein Leben lang kritisiert, an der jedoch WILKE oder KäSTNER offenbar keinen Ansfoß nahmen. Von WILKE übernimmt Hegel andererseits das Urteil über die britische Selbsteinschätzungi3 und die Einschätzung von KEPLER, i“* Dazu findet sich bei WILKE folgende Textstelle, die Hegel nahezu wörtlich in seiner Habilitationsschrift übernimmt: „Denn als schon vorher ein Deutscher KEPPLER ... in der Naturkunde ausnehmende Entdeckungen gemacht hatte, so führten die Engländer und übrigen europäischen Gelehrten, auf diesen dauerhaften Grunde, ein vortreffliches Gebäude auf, welches die erstem heut zu Tage Philosophiam Britannicam nennen." (Bd 1. XXXIV) In seiner Habilitationsschrift kritisiert Hegel im Rahmen der Diskussion NEWTONscher Physik vor allem die Beziehung zwischen Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft. Hegel hat damit zwar nicht unbedingt einen kritischen Punkt der NEWTONschen Darstellung getroffen, wohl aber einen wunden Punkt der Darstellung der Physik im NEWTONianismus. NEWTON selbst hat sich gehütet, die Zentrifugalkraft in seinem dynamischen Modell der Planetenbewegung konstitutiv explizit in Anschlag zu bringen. NEWTON hat auf Anregung HOOKES zwei Kräffe angenommen, eine Tangentialkraft, die im Sinne der GALiLEischen Tangentialkraft den Körper geradlinig vorantreibt, wenn keine weitere Kraft ansetzt. (NEWTON nennt sie GALiLEische Trägheit, aber tatsächlich entspricht sie eher der CARTEsischen.) Die zweite Kraft, die NEWTON annahm, war die Zentripetalkraft, die senkrecht an der Tangentialkraft ansetzt, auf ein Zentrum hinweist und den Körper auf Kreisbahn zieht. Die Nachfolger NEWTONS erinnerten sich nun der Versuche von etwa DESCARTES und HUYGHENS, nach denen ein Körper, der eine Kreisbahn beschreibt, auch eine Kraft erfährt, die senkrecht nach außen zieht, die Zentrifugalkraft. D'ALEMBERTS Lösung bestand darin, die Bewegung aus der Perspektive des Planeten zu beschreiben: Danach halten sich Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft die Waage. Die Zentrifugalkraft wurde in diesem statischen Modell häufig als die Radialkomponente einer Trägheitskraft interpretiert. Noch heute nennt man die Zentrifugalkraft gelegentlich D'ALEMBERTsche Trägheitskraft. Im 18. und 19. Jahrhundert werden nun die GALiLEische und die D'ALEMBERTsche Trägheitskraft immer wieder verwechselt, so auch bei BENJAMIN MARTIN: „Zuletzt muß ich noch von der Natur der cirkdförmigen Bewegung, oder den Centralkräften handeln. Wenn ein Körper C, an dem Ende des Fadens AG hänget, welcher mit dem andern in einem Punkte oder Nagel A als einem Mittelpunkte, so befestigt ist, daß er sich um denselben drehen kann, und der Körper in diese Richtung einen Stoß oder Schlag, nach der horizontalen Strecke bekommt; so wird er dadurch gezwungen, einen Circel um den Mittelpunkt A zu beschreiben. Wehrend dieser circelförmigen Bewegung ist der Körper beständig bemühet, von dem G. W. F. Hegel: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum — Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen. 95. G. W. F. Hegel: Werke. Bd 9. Frankfurt 1970. 87.
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Mittelpunkte hinweg zu fliegen; welche Kraft daher die den Mittelpunkt fliehende oder die weichende Centralkraft genennet wird, und von dem Stoße herrührt, welchen der Körper nach der horizontalen Richtung bekam. Mit gedachter Kraft würkt also der Körper an den in dem Mittelpunkte befestigten Nagel, und dieser würkt durch seine Gegenwürkung vermittelst des Strickes, auf den Körper wieder rückwärts, und zieht ihn gegen den Mittelpunkt der Bewegung, weswegen denn diese die Schwehre gegen den Mittelpunkt genennet wird; ist aber die Rede von beiden oder einer derselben ohne Unterschied, so nennet man sie Mittelpunkt- oder Centralkräfte.“^^ Diesem Text ist eine Figur beigegeben (Tab. V, Fig. 3), die außer der „Schwere gegen den Mittelpunkt" noch eine Linie enthält, die als Vektor der „den Mittelpunkt fliehenden Kraft" interpretiert werden kann und die senkrecht auf der anderen Kraft steht, MARTIN verwechselt hier die Zentrifugalkraft („den Mittelpunkt fliehende Kraft") mit der Tangentialkraft („Stoß in horizontale Richtung"). Fleute weiß man, daß die Zentrifugalkraft sich nur als Scheinkraft im System des mitbewegten Beobachters ergibt. Sie ist das Ergebnis einer speziellen Wahl des Bezugssystems. Flegel hat nun zumindest dieses Problem gesehen und ist während seines ganzen Lebens niemals zu einer für ihn befriedigenden Lösung gekommen. Hegel hat immer wieder auf diese Inkonsistenz der Darstellungen im NEWTONianismus hingewiesen. WILKES durchaus gute Übersetzung von BENJAMIN MARTINS Philosophia Britannica hat nicht zuletzt, weil dieses Buch eine breite Darstellung des NEWTOwianismus enthielt, große Wirkung gehabt. Freilich nicht nur im Sinne WILKES, sondern auch als unbemerkte Vorlage für Hegels naturphilosophische Aufarbeitung der Mechanik: Generationen von Hegel-Nachfolgern^® und -Kritikern^® hatten keine Ahnung, wovon Hegel sprach. Wolfgang Neuser (Kassel)
Bd 1. 154—159. Interessanterweise verliert übrigens Kästner in seinem umfangreichen Vorwort darüber kein Wort. Wilkes Übersetzung aus dem Englischen ist korrekt. Die Verwechslung von Tangente und Zentrifugalkraft findet sich auch bei Voltaire und ist im 18, Jahrhundert immer wieder Gegenstand der Diskussion. Siehe dazu D. ]. S. T. Gehler: Physikalisches Wörterbuch. Leipzig 1787. Bd. 1. 487 f, 494, 505; Bd. 5. 194. Siehe dazu meine Einleitung in G. W. F. Hegel: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum — Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen. Genannt seien hier nur K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 152 und O. Closs: Das Problem der Gravitation in Schellings und Hegels Jenaer Zeit. Heidelberg 1908. 25 —27, die zwar beide Hegels Leistungen im Zusammenhang mit Hegels Newton-Kritik loben, aber selbst an der „Zentrifugalkraft" und der Trägheit scheitern. Beachtlicherweise trifft das auch zu auf W. Whewell: On Hegel's Criticism of Newton's Principia. In: Transactions of the Cambridge Philosophical Society. 3. (1849), 698 ff, der ausdrücklich sagt, daß ihm die von Hegel kritisierte Darstellung Newtonscher Begriffe so in der Literatur nicht bekannt sei.
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Bereits mehrfach wurde die Frage diskutiert, welche Umstände den Rückgriff unterschiedlichster philosophischer Strömungen auf Hegels Denken unmittelbar vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges begünstigtend Die programmatische Wirkung von WINDELBANDS Heidelberger Akademie-Festrede Die Erneuerung des Hegelianismus für die Südwestdeutsche Schule des Neukantianismus ist nur unter Berücksichtigung der geistig politischen Konstellation um 1910 zu verstehen. Wenn sich aus erkenntnissoziologischer Perspektive^ die Zuwendung zu Hegel durch das Verlangen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen nach „neuen Bindungen" motiviert zeigt, so eröffnet sich problemgeschichtlich für die der KANTischen Tradition verpflichtete Schule die Möglichkeit des Anschlusses an Hegel durch die Forderung WINDELBANDS, die kritische Philosophie müsse „aus dem historischen Kosmos, wie ihn die Erfahrung der Kulturwissenschaft" darbiete, „die Prinzipien der Vernunft"^ herausarbeiten. Aufgrund der „hegelianisierenden" Schrift Die Theorie des Romans, der in Heidelberg entstandenen Habilitationsarbeit Die Philosophie der Kunst, der Kontakte zu WEBER und LASK, insbesondere aber aufgrund seines 1922 erschienenen Buches Geschichte und Klassenbewußtsein wurde GEORG LUKäCS dem weiteren Umfeld dieser Strömung zugerechnet.4 LUKäCS selbst betonte nachträglich (1962), die Theorie des Romans leiste erstmals eine konkrete Anwendung „der Ergebnisse der Hegelschen Philosophie auf ästhetische Probleme".-^ Diese Selbsteinschätzung mag man allerdings mit Skepsis betrachten. Es sind nach fast fünfzig Jahren, die zwischen der Niederschrift des als Einleitung zu einem Buch über DOSTOJEWSKI konzipierten Kapitels und dem anläßlich der Neuedition verfaßten Vorwort liegen, sicherlich nicht nur ideologische Gesichtspunkte, die die Vergangenheit in einem anderen Licht erscheinen lassen.^ Die Unklarheiten, ja Widersprüche dieses Vorworts machen deutlich, daß die Beantwortung der Frage nach der philosophiegeschichtlichen Einordnung dieses Werks und seiner Hegel-Rezeption keineswegs so eindeutig ausfallen kann, wie es das von LUKäCS nachträglich für seine Vergangenheit entwickelte Schema „von KANT über Hegel zu MARX" glaubhaft machen will.
’ So z. B. von R. Honigsheim in seiner Studie Zur Hegelrenaissance im Vorkriegs-Heidelberg. In: Hegel-Studien. 2 (1963), 291—301; und von H. Levy: Die Hegel-Renaissance in der deutschen Philosophie. Charlottenburg 1927. 2 So R. Honigsheim in Zur Hegelrenaissance. 3 Präludien I. Tübingen 1915. 283. 4 So z. B. von H. Levy: Die Hegel-Renaissance, 13, Anm. 1. ^ Theorie des Romans. Darmstadt, Neuwied 1971. 4. ^ Z. e. wird z. B. behauptet, der Verfasser sei Hegelianer geworden, die Kennzeichnung der Gegenwart als Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit soll allerdings kein Rückschritt zu Fichte, sondern dem „Kierkegaardisieren der Hegelschen Geschichtsdialektik" zugerechnet werden.
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Über die Theorie des Romans hinausgehende Gesichtspunkte zu der Frage nach Hegel-Rezeption im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts finden sich in Dokumenten, die erst in jüngster Zeit ediert wurden. Da sind zum einen die vom Budapester LUKäCS-Archiv veröffentlichten Notizen und Entwürfe zu dem genannten Buch über DOSTOJEWSKI.^ Sie erweitern die Deutungsmöglichkeiten des seit langem veröffentlichten „Vorworts" wesentlich. Dokumente aus dem Umkreis des Budapester Sonntagskreises® machen darüber hinaus mit weiteren Gesichtspunkten der in diesen Jahren wesentlichen Fragen, die das Handeln und die Ethik betreffen, vertrauf. Nichf zulefzt isf die Heidelberger Ästhetik'^ noch immer beredtes — von der Forschung weitgehend ignoriertes — Zeugnis für LUKäCS' intensive Auseinandersetzung mit dem Hegelschen System. Der in diesen Dokumenten umspannte Kreis literaturhistorischer, ethisch-politischer und philosophisch-systematischer Fragen ist nicht nur Ausdruck für die Mannigfaltigkeit der Problemstellungen, sondern verweist in seiner Gesamtheit auf die zenfrale Frage dieser Jahre — die Frage nach dem System.Ob und inwieweit Geschichte und Klassenbewußtsein die Lösung der hier aufgeworfenen Fragen — mit LASK das „Gesamtbewältigungsgefüge" — bereitstellf, soll hier nicht diskutiert werden, wohl aber die Art und Weise der Hegel-Rezeption in den genannten Schriften. Vor allem in ihrem ersten, allgemeinen Teil will das „Vorwort" von 1962 die Theorie des Romans von Hegel bestimmt wissen, das „Historisieren der ästhetischen Kategorien" wird ihm zum „wichtigsten Hegelschen Erbe" (ThR9). Der Herausgeber der Notizen, J. NYIRI, deutet die geschichtsphilosophische Dimension der Theorie des Romans als Ausweg aus der in den Notizen festgeschriebenen metaphysischen Position und kommt zu dem Schluß, „daß die 1916 veröffentlichte Schrift, streng genommen, weder einen ersten Teil, noch eine Einleitung desselben darstellt" {Notizen, 20). Inwieweit die Analyse beider Konzeptionen einen solchen Schluß zuläßt, muß geprüft werden, Hinweise auf einen derartigen Bruch in der Gesamtkonzeption finden sich in den Briefen jedoch nicht. ^ Der Plan, ein Buch über DOSTOJEWSKI zu schreiben, taucht erstmals 1915 auf, allerdings stehl für LUKäCS ZU diesem Zeitpunkt auch schon fest, daß das Buch „viel mehr als DOSTOJEWSKI enthalten" wird; es soll „große Teile der metaphysischen Ethik und Geschichtsphilosophie" (Briefwechsel, 345) umfassen. Die Arbeif LUKäCS'
7 Dostojewski. Notizen und Entwürfe. Hrsg, von J. C. Nyiri. Budapest 1985. Im folgenden als Notizen zitiert. ® Georg Lukäcs, Karl Mannheim und der Sonntagskreis. Hrsg, von E. Karädi und E. Vezer. Frankfurt 1985. Im folgenden zitiert als Dokumente. t Werke. Bd. 17. Aus dem Nachlaß hrsg. von F. Benseler und G. Markus. Darmstadt, Neuwied 1974. Im folgenden mit Ästh abgekürzt. 10 Für Istvan Feher kann Lukäcs' Entwicklung von den Essays der zwanziger Jahre bis zu Geschichte und Klassenbewußtsein „be aptly characterized by his quest for the System", ln: Emil Lask and the Defense of Subjectivity. Hrsg, von Deborah Chaffin. Athens 1988/1989. " Vgl. etwa den Brief an Paul Ernst vom 2. 8. 1915, dort wird lediglich die Größe des Projekts als Grund für den Abbruch genannt. Georg Lukäcs Briefwechsel 1902 — 1917. Hrsg, von E. Karädi und E. Fekete. Stuttgart 1982. Im folgenden mit Briefwechsel abgekürzt.
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an der 1912 begonnenen Ästhetik muß vorläufig ruhen, denn die drängenden Fragen der Zeit verlangen nach einer Stellungnahme, wie LUKäCS sie bereits in seinem Essay zum Kriegsverständnis der deutschen Intellektuelleni^ zu geben sucht. Das in diesem Zusammenhang erarbeitete Material, die hier entstandenen zeitgeschichtlichen und historischen Analysen sind mit großer Wahrscheinlichkeit in den folgenden Jahren in LUKACS' Beiträge zu ethischen Fragen, wie sie im Budapester Sonntagskreis diskutiert wurden, eingegangen. Angesichts der bedrängenden Gegenwart des Krieges sucht LUKäCS nach einer Konzeption, die sowohl den objektiven Geist und seine Gebilde als auch die Wirklichkeit der Seele zu erfassen vermag. Das Ghristsein in seiner reinen, nicht objektivierten Form wird zum (übergeschichtlichen) Maßstab der neu entwickelten Geschichtsphilosophie. Wenn sich die für das zweite Kapitel geplante Geschichte des objektiven Geistes der Hegelschen Terminologie bedient, so bleibt es fraglich, ob über diese formalen auch inhaltliche Gemeinsamkeiten nachweisbar sindi“*, vernachlässigen die historischen Analysen doch zum einen jene für Hegel entscheidenden Momente, wie z. B. die Ereignisse des Jahres 1789. Zum anderen identifiziert diese Geschichtsphilosophie die Momente Kirche und Staat; den Sieg der streitenden und triumphierenden Kirche deutet LUKäCS in Übereinstimmung mit KIERKEGAARD als „List des Satans''^^. Darüberhinaus kommt der dem historischen Prozeß zugrundeliegende Dualismus zwischen Seele und objektivem Geist auf keiner der vorgestellten geschichtlichen Etappen zum Ausgleich. Der Konflikt zwischen dem Individuum und den Realisaten des objektiven Geistes wird in den Notizen stattdessen immer wieder zu einer „russischen Idee" hingeführt, jenem Zustand, in dem die „eigene Seele — in der von Gott gewollten und erschaffenen Gemeinschaft der anderen Seelen" (Notizen, 143) ihre Heimat findet. Von dieser Warte aus sind Geschichte und Gegenwart ein einziges Dokument für den Siegeszug des „Jehovaischen", sie erscheinen als Durchgangsstadium zu jenem Jenseits von Geschichte, in dem weder der Staat als höchstes Prinzip vorhanden ist, noch das Recht der ersten Ethik über die zweite Ethik, die Imperative der Seele, herrscht. Im Kampf um ein authentisches Leben ringen objektiver und absoluter Geist miteinander; die deutsche Philosophie nimmt in einer fortgeschrittenen Phase dieses Kampfes in säkularisierter Form den Platz der Kirche ein. FICHTE, Hegel und auch NIETZSCHE stehen mit ihrem Denken, wie LUKäCS Die deutschen Intellektuellen und der Krieg. In: Text und Kritik. Heft 39/40: Georg Lukäcs. München 1973. 65-69. 12 Vgl. dazu die Dokumente aus dem Umkreis des Budapester Sonntagskreises, z. B. das Tagebuch von Bela Baläcs: Dokumente, 114 ff. i'i Für Ferenc Feher beginnt „Lukäcs' windungsreicher Weg zu Hegel" mit dem Dostojewski-Aufriß. Seine Studie berücksichtigt erstmals diese Materialien und trägt entscheidende Einsichten zu diesem Werk vor. Außer der schwer zugänglichen Dissertation von Ann Arbor stützt sich keine der neueren Publikationen auf diese Materialien. Ferenc Feher: Am Scheideweg des romantischen Antikapitalismus. In: Die Seele und das Leben. Hrsg. v. A. Heller u. a. Frankfurt 1977. 290. 12 Notizen, 93; Vgl. Kierkegaard: Einübung ins Christentum. Jena 1912. 208. Gesammelte Werke. Bd 9.
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nachzuweisen bestrebt ist, ganz im Banne der Hypostasierung des objektiven Geistes zum Absoluten. Einen Ausweg aus dieser der Seele und ihren Imperativen entfremdeten Gesellschaft weist die Kunst DOSTOJEWSKIS. DOSTOJEWSKI schreibt keine „Romane" mehr und weist damit bereits formal über das Bestehende hinaus. Von dem Abenteuerroman seiner Zeitgenossen unterscheidet sich der Kriminal-„Roman" DOSTOJEWSKIS dadurch, daß das hier beschriebene Handeln den Atheismus voraussetzt. Der „Aufriß" des Dostojewski-Buches sieht vor, daß dem Kapitel über die zweite Ethik eine Auseinandersetzung mit dem Atheismus vorausgehen soll. Denn nur auf der Grundlage eines konsequenten Atheismus; „alles muß zerschlagen werden — wegen der Möglichkeit des Luciferisch-Jehovaischen" {Notizen, 39), eröffnet sich die Möglichkeit, gemäß den Imperativen der Seele zu handeln. Der europäische Atheismus, der nur als persönliches, egoistisches Problem auftritt, wie etwa in PAUL ERNSTS Frage „wie kann man ohne Gott sterben?" oder in JACOBSENS Nils Lyhne, erfüllt die an ihn gestellten Forderungen nicht. Für LUKäCS gibt es keinen europäischen, sondern nur einen russischen Atheismus, denn nur für diesen wird die Frage „wie kann man so leben?" {Notizen, 78) zum zentralen Problem. Diese Konzeption des Atheismus, der hier als radikaler Bruch mit der Welt des objektiven Geistes aufgefaßt wird, zeigt das Eschatologische dieser Geschichtskonzeption. In der Negation der „Realität" des objektiven Geistes findet jene Rückbesinnung auf die Imperative der Seele statt, die allererst das Handeln der Gestalten DOSTOJEWSKIS ermöglicht. Ein „Verbrechen" ist das Handeln dieser Gestalten nur in den Kategorien der ersten Ethik, die der Welt des objektiven Geistes, dem Recht, verpflichtet sind. Berücksichtigt man die genannten Punkte, so zeigt die in den Notizen entwikkelte Geschichtsauffassung entscheidende Differenzen zu derjenigen Hegels. Besonders markant werden diese Differenzen in der Einschätzung der Bedeutung der Aufklärung, des Griechentums sowie in der Deutung der dem historischen Prozeß zugrundeliegenden teleologischen Struktur. Wenn WINDELBAND als Motive der neuhegelschen Bewegung „Weltanschauungshunger" und religiöses Bedürfnis am Werke sieht und eine Begrenzung dieses Bestrebens fordert, so will er mit Hegel und gegen FRIES die Geschichte zum „Organon" der Philosophie machen, da der Mensch als Vernunftwesen nicht psychologisch gegeben, sondern historisch aufgegeben ist. WINDELBAND stellt Elemente der Hegelschen Philosophie damit in den Dienst der eigenen kulturphilosophischen Absichten. Die Hegel-Aufnahme und -Kritik des Dostojewski-Buches bringt entsprechende Intentionen zum Ausdruck. Ohne die Voraussetzungen des Hegelschen Systems zu teilen, übernimmt LUKäCS Hegelsche Kategorien zur Beschreibung des historischen Geschehens. Das der Aufklärung verpflichtete Insistieren auf dem Menschen als Vernunftwesen ist für LUKäCS allerdings Ausdruck der Allmacht des jehovaischen Prinzips — dessen Bestreben sich, wie das der Freimaurer, einzig darauf richtet, das, „was man gemeiniglich gute Tat zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen" {Notizen, 41). Durch alle Depravationen der Geschichte haben die Imperative der Seele ihre Gültigkeit bewahrt — sie ist ihnen von ewig geltenden Formen garantiert. Die
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Gesetze der „ersten" Ethik sind, wie die sich an sie anschließenden ethischen Theorien, aus der Depravation dieser Formen zu verstehen. Die depravierte Form verstellt den Zugang zu ihrem wahren Wesen. Wenn den Notizen in der grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Orientierung ein Kantianismus zugeschrieben werden kann, so darf dieser Kantianismus, was den ethischen Bereich anbelangt, mit der Konzeption von „erster" und „zweiter" Ethik als „bereits überwunden" gelten, wie F. FEHöR konstatiert. Allerdings entsteht in der Folge aus der Konfrontation mit dem wenig später verfaßten Diskussionsbeitrag über konservativen und progressiven Idealismus^^, der einen dezidiert KANiischen Standpunkt bezieht, jenes scheinbar nur psychologisch erklärbare „LuKÄcs-Rätsel" (F. FEHER)1^. Weitere, dem Umfeld der Heidelberger Ästhetik und dem ästhetischen Formproblem entnommene Gesichtspunkte lassen dieses spezifische Rätsel — i. e. der auf den Hegelianismus der Notizen folgende Rückzug auf KANTische Positionen in dem Diskussionsbeitrag — gar nicht so unlöslich scheinen. Die Heidelberger Manuskripte der Jahre 1916—18 dokumentieren zum einen den Versuch, die ästhetische Sphäre autonom zu setzen, sie zeigen zum anderen aber auch, daß diese Setzung nicht ohne ständigen Rekurs auf den systematischen Kontext zu leisten ist. Dieser Problematik entsprechend vollzieht sich die Auseinandersetzung mit Hegel auf zwei Ebenen. Die Analytik — diesen Begriff verwendet LUKäCS allerdings nicht — untersucht, inwieweit die Setzung der ästhetischen Sphäre sich die Methode Hegels fruchtbar zu machen vermag. Der Abschnitt über die „Dialektik der transcendentalen Schönheitsidee" will durch Analyse dieser historisch in variabler Form auftretenden Systemtypen deren Ansprüche zurückweisen. Nach ihrer logisch-metaphysischen Fassung bei PLATON erhielt die Schönheitsidee bei Hegel die zweite, entscheidende systematische Gestaltung. Nicht nur bezüglich der Gegenständlichkeit (autonom — nicht autonom, primär oder sekundär) muß zwischen zwei Sphärentypen unterschieden werden. Auch die Frage der Systematisation differenziert zwischen zwei Typen, die gemäß ihrer Methodik als systematische, d. h. die Setzung selbst wird voraussetzungslos gedacht, oder phänomenologische, d. h. die Setzung nimmt ihren Ausgang bei der „natürlichen" Wirklichkeit, bezeichnet werden. LUKäCS weist die Notwendigkeit der phänomenologischen Methode für die Setzung der ästhetischen Sphäre nach, die hier den ihr angemessenen Objektsbereich findet und mit ihrer Abgeschlossenheit die „metaphysische Phänomenologie" Hegels noch überbietet. Denn „statt auf das Centrum der philosophischen Systematisation" ist die ästhetische Phänomenologie „auf die Urgegebenheit der ästhetischen Sphäre, auf das Kunstwerk orientiert". (Ästh 73) Die Hegelsche Phänomenologie ist für LuKACS eine Methode der Systematisation, die er unter Beibehaltung eines dem KANxischen Programm „nahe verwandten" Zieles, der Begründung einer autonomen Wertsphäre, für seine Zwecke nutzbar machen will. „Unsere Position besagt, daß Dokumente, 246—253. Vgl. die oben Anm. 14 genannte Studie.
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die wirkliche Begründung einer autonomen Wertsphäre nur auf dem KANTischen Weg möglich ist, daß der Primat des Systems vor der Sphäre ihre Autonomie und damit die Absolutheit ihrer Wertsetzung notwendig aufheben muß." (Ästh 71) Gerade dieses Programm kann sich aber den Blick auf das „Sysfem" nichf gänzlich versagen. Es sind zum einen jene wenigen Passagen, die das mikrokosmisch Vollendete aus der Perspektive des ganzen Kosmos betrachten, und zum anderen der bereits erwähnte umfangreiche zweite Teil, die „transcendentale Dialektik der Schönheitsidee", die diese Fragen diskutieren. Gerade die „Dialektik" will aber zeigen, daß das Problem der Einordnung in das Ganze für die werttheoretische Fragestellung gar nicht aufzuwerfen ist (Vgl. Ästh 132). Harmonisierung der Werte, Verschleierung und „Vermilderung" des „herausstrebenden Wesens der Ästhetik" {Ästh 131/132) sind die Kennzeichen einer systematischen Sichtweise auf das Kunstwerk, wie sie auch den Theorien der „Schönheit" eigen ist. In der vorliegenden unvollendeten Form ist dieser zweite Teil der Heidelberger Ästhetik eine Auseinandersetzung mit den entscheidenden in der Geschichte aufgetretenen Typen von Schönheits-Theorien, zunächst mit der logisch-metaphysischen Auffassung des Schönen (PLATON, PLOTIN und SCHELLING), dann mit dessen spekulativ-entwicklungsphilosophischer Auffassung (Hegel).LUKäCS beabsichtigt anhand dieser Systemtypen die Voraussetzungen des Schönheitsbegriffs sowie seine strukturellen Konsequenzen klarzulegen. Erst das Verstehen der „systematischen Denkmotive", die zum „Gebrauch dieses Begriffes als des der Ästhetik zentralen geführt haben", ermöglicht „eine wirkliche Kritik des Schönheitsbegriffs" {Ästh 136). Das Hinausgehen über den ästhetischen Platonismus erfordert eine Schönheitsidee, die die abstrakte Transzendenz des PLATONischen Formbegriffs zu überwinden vermag. Drei wesentliche Momente kennzeichnen diese Abstraktheit in der PLATONischen Lehre: erstens, „die Beziehung der Form zu dem von ihr umfaßten Inhalt überhaupt, zweitens das Verhältnis ihrer reinen und substantiell gewordenen Wesenheit zu dem unmittelbar Gegebenen, zur raum-zeitlichen , Wirklichkeit'", und drittens „die Rolle, die dem Subjekt, dem normativ gewordenen Menschen ... in der Formhierarchie . . . zukommt" {Ästh 171).H Bei Hegel verwandeln sich diese Momente zu „natürlichen Momenten", zu „Aspekten eines und desselben struktiven Tatbestandes" {Ästh 171). Ursache für diesen Wandel und für die damit einhergehende Aufhebung der Transzendenz ist eine gänzlich veränderte Auffassung des Systems — das System ist hier eine konkrete und erfüllte Totalität, nicht aber ein „Inbegriff abstrakter, der Erfüllung bedürftiger Formen als Bedingung der Möglichkeit von Erfüllung überhaupt" {Ästh 172). Die Auseinandersetzung mit einem dritten bedeutsamen Systemtypus, der substantiellethischen Auffassung des Schönen bleibt bloßes Projekt, vgl. Ästh 136. Die hier von Lukäcs genannten Punkte bestimmen entscheidend den Aufbau seiner eigenen allerdings am Kunstwerk orientierten Begründung der Ästhetik; das Platonverständnis ist wesentlich durch die von Lotze angeregte logische Interpretation der platonischen Ideen geprägt.
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Möglich wurde diese veränderte Auffassung durch die Annäherung des Formbegriffs an das Äsfhetische — denn, um die hier vom Sysfem geforderte Konkretheit zu erlangen, muß die Form Form eines bestimmten Inhalts werden. In der Folge kommt es bei Hegel zum Primat des Inhalts vor der Form, die erfüllte Form wird der abstrakten vorgezogen, die einzelnen Elemente des Systems erhalten etwas „Kunstwerkhaftes" {Ästh 173). Diese Tendenz zur Ästhetisierung des ganzen Systems verstärkt sich bei Hegel noch in der Lehre vom konkreten Begriff, Von der coincidentia oppositorum früherer Philosophen unterscheidet sich die Hegelsche „Aufhebung" durch ihre die Konkretheit sichernde Funktion, denn das Stehenbleiben des Verstandes bei einander aus schließenden Bestimmungen ist für Hegel lediglich ein Noch-nicht der konkreten, vernünftigen Wirklichkeit. Für LUKäCS selbst ist die Auseinandersetzung mit diesem Problem entscheidend, denn die Frage, wie die „Paradoxie" aufgefaßt und gelöst wird („Sprung" oder „Aufhebung") markiert m. E. eine der Differenzen zwischen dem früheren Heidelberger Entwurf, der Heidelberger Philosophie der Kunst (1912—1914), und der in den Jahren 1916—18 entstandenen Konzeption. „Immanenz" und „Transzendenz" sowie die Notwendigkeit, ihre Gegensätzlichkeit zu relativieren, verweist auf ein Zentralproblem jedes konkret-spekulativen Systems, das Problem des Organischen. Das Bestreben, über die abstrakte Transzendenz hinauszugehen, ist für LUKäCS Konsequenz des Willens, das Organische begreifen zu wollen. In der Folge bestimmt die Stellung des Organischen sowohl den Aufbau und die Wesensart des Objekts als auch die Beschaffenheit und das Niveau des Subjekts. Nicht mehr wie für den Platonismus ist das mathematisch Wohlproportionierte, das Kristallinische, der Träger der Schönheitsidee, sondern das rätselhaft in sich Vollendete, das Lebendige, übernimmt diese Funktion. Die Aporien dieses Ansatzes zeigen sich allerdings in der Schwierigkeit Hegels, das Naturschöne eindeutig zu bestimmen. Sieht die prinzipielle Grundlegung eine Philosophie der Kunst, also den Ausschluß des Naturschönen vor, so können die Vorlesungen über die Ästhetik auf das Naturschöne nicht verzichten. Denn die Verwandtschaft des Hegelschen Schönheitsbegriffs mit dem Begriff des Organischen verhindert diese von der Systematik geforderte Ausscheidung des Naturschönen. Der „Dialektik der transcendentalen Schönheitsidee" geht es in erster Linie um die Klärung der Frage, ob die Auffassung des Schönen bzw. der Kunst als „Verwirklichungen des Geistes" {Ästh 214) eine eindeutige Fassung des Ästhetischen 20 Vgl. Ästh 173. 2' Daß diese Veränderungen ein neues Phänomenologie-Kapitel verlangen, läßt sich nicht nur inhaltlich mit der Anforderung, die die neue Konzeption an die Phänomenologie stellt — nachweisen. Ein in Heidelberg gefundener Brief belegt, daß Lukäcs dieser Notwendigkeit gehorchend, Anfang 1918 damit beschäftigt ist, das Phänomenologie-Kapitel zu überarbeiten. Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann hier nicht geleistet werden. Meine Dissertation wird auf diese Probleme eingehen und den erwähnten Brief auswerten.
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überhaupt zuläßt. LUKACS weist darauf hin, daß innerhalb des Hegelschen Systems im dialektisch bewegten Prozeß zwischen drei verschiedenen Entstehungsweisen der Kunst unterschieden werden muß: ln der Ästhetik entsteht die Kunst aus dem Naturschönen; als erste Stufe des absoluten Geistes geht sie in der Enzyklopädie aus der letzten Stufe des objektiven Geistes hervor, in der Phänomenologie und den Vorlesungen zur Religionsphilosophie steigt die Kunst aus der Religion empor, um auch in ihr wieder unterzutauchen. Bei aller Opposition gegen die Hegelsche Konzeption gilt LUKäCS' Sympathie dem letztgenannten Standpunkt, der die Kunst als ein Stadium zwischen den großen Typen der Religion — der noch transcendenten und der bereits ins Subjekt eingesenkten — auffaßt, „wo das Absolute bereits Subjekt geworden ist jedoch gewissermaßen nur Subjekt an sich, nur herausgestellte und in dieser isolierenden Herausstellung abstrakt und zufällig gewordenen Subjekfivifät, Menschlichkeil ohne wahre wissende Innerlichkeif" (Ästh 218/219). Kunst und Philosophie als etwas Einheitliches zu denken, ist aber, so resümiert LUKäCS, mit der dialektischen Methode nicht möglich. Indem Hegel Formgebilde, „die nur in ,kritischer' Fassung einen eindeutigen Sinn enthalten können" (Jisth 223) in sein System einfügt, beraubt er sie ihrer Einheitlichkeit — auf diesem Weg ist es der Ästhetik verwehrt einen philosophisch einheitlichen und genauen Begriff der Kunst zu entwickeln. Das Wesen der dialektischen Methode schließt die notwendige transzendentale Ableitung apriorischer und für ihr Gebiet konstitutiver Formen aus. Denn es ist unmöglich, „die transcendental gesetzte Gegenständlichkeit der Kunst durch eine andere, dialektische zu überwinden, da der Akt der transcendentalen Setzung ein Setzen als Absolutes und Unaufhebbares bedeutet" (Ästh 222/223). Für LUKäCS ist Hegel seinen programmatischen Weg, die Transzendentalphilosophie zu überwinden, nicht konsequent „zu Ende gegangen" (Ästh 222), denn das Programm hätte einen Verzicht auf jene Formen, „die nur in ,kritischer' Fassung einen eindeutigen Sinn enthalten können" (Ästh 223), gefordert. Die Frage, ob es dem dialektischen Stufenbau gelingt, das wahre Wesen der von ihm in Anspruch genommenen Formen zu erfassen, muß verneint werden. Die „Dialektik" zeigt, wie der Hegelsche Schönheitsbegriff wesentlich durch das Bestreben, das Organische in das System aufzunehmen, geprägt ist. Die Konsequenzen dieses Willens machen allerdings ebenfalls deutlich, daß das Wesen der Kunst so nicht zu begreifen ist. LUKäCS beschließt diese Auseinandersetzung mit dem Hegelschen System mit den Worten: „man kann die Achtung vor der großartigen spekulativen Tiefe und Konsequenz der so erfaßfen Schönheifsidee nichf besser aussprechen, als indem man sie an ihrem wahren systematischen Ort zu begreifen versucht und ihre zufällige und darum Verwirrungen stiffende Beziehung auf die Kunst als Kunst, als transcendental eigenartige und unabhängige
22 Nähe und Ferne dieser Bestimmung zu Lukäcs eigener Bestimmung des Kunstwerks als Mikrokosmos werden deutlich — können hier jedoch nicht diskutiert werden.
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Gegenständlichkeit von ihr ablöst und sie von diesem unnützen Ballast befreit" {Ästh 224). Vor dem Hintergrund der Hegel-Rezeption in diesen bisher unbekannten bzw. unberücksichtigt gebliebenen Dokumenten soll abschließend die Frage nach dem „Hegelianismus" dieser Schriften erörtert werden. Dazu bedarf es zunächst einer Orientierung darüber, was unter „Hegelianismen" bzw. Neuhegelianismen zu verstehen ist. Als Typische, den Neuhegelianismus prägende Elemente nennt H. LEVY, neben der Wesenserforschung im Sinne der Phänomenologie und Philosophie des Geistes, das Interesse für eine historische Weltanschauung sowie die Suche nach einer Metaphysik des Geistes.23 Legt man die genannten Motive der Frage nach dem Hegehanismus im Denken des jungen LUKäCS zugrunde, so ist folgendes zu konstatieren; Die Leitfrage der Heidelberger Ästhetik „es gibt Kunstwerke — wie sind sie möglich?" will LUKäCS im Sinne einer Wesenserforschung dieses Faktums verstanden wissen, nicht aber im Sinne der Erforschung einer empirischen Tatsache. Wenn sich diese Wesensanalyse der phänomenologischen Methode Hegels bedient, dann begründet sie dieses Vorgehen mit der systematischen Struktur der ästhetischen Sphäre: Der Gegenstand der Ästhetik kommt nicht, wie es der naive Realismus glaubt, „aus der Pistole" geschossen, sondern die Ergründung des wahren Wesens bedarf jener Methode, die das Auffinden des metaphysischen Sinnes in unmittelbar und unzweifelhaft gegebenen subjektiven Akten und ihren Objektivationen ermöglicht. Indem LUKäCS diese Methode für die Setzung des ästhetischen Gegenstandes nutzt (und umdeutet), ist er sich der Partialität seiner Anwendung im Unterschied zur metaphysischen Hegels deutlich bewußt. Die Wesensfrage wird von LUKäCS bewußt auf die Frage nach dem Wesen einer spezifischen Gegenständlichkeit begrenzt, ihre Vermischung mit der Erforschung des Wesens des Absoluten wird in der „Dialektik" entschieden zurückgewiesen. Einer ähnlichen Begrenzung unterliegt auch das zweite von LEVY genannte Element des Neuhegelianismus, die „historische Weltanschauung". Für die Notizen und Entwürfe ist die Geschichte jener „Siegeszug des Jehovaischen", dessen Depravationen auch die Kunstwerke nicht unberührt läßt, wie die Theorie des Romans und ihre Analysen des Epischen in der Moderne deutlich machen. Das Epos hatte seinen Platz in einer Welt, in der Sollen und Sein, Wesen und Leben noch identisch waren. Unter den veränderten Bedingungen einer neuzeitlichen Welt kann sich das Epos nicht mehr verwirklichen, es wird vom Roman abgelöst. Ermöglichte einstmals die „Totalität als formendes Prinzip jeder Einzelerscheinung" {ThR 26) die Vollendung des Epos, so bringt der Untergang dieser vom Mythos gestifteten Einheit die problematische Form, den Roman, hervor. Die Geschichte dieser Form ist in die des objektiven Geistes eingebettet; jene Vollendung allerdings, wie sie einst in einer geschichtslosen, geschlossenen Kultur dem Epos möglich war, ist dem Roman verweigert. Als Kunstform ist der Roman jedoch nicht vollständig dem historischen Wandel unterworfen, sondern auch 23 H. Levy: Die Hegel-Renaissance in der deutschen Philosophie. 21.
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über ihn erhaben. Roman und Epos unterscheiden sich nicht durch das „gattungsschaffende Prinzip", denn dieses ist bei beiden identisch. Vielmehr bestimmt „das Nichteingehen-Wollen der Sinnesimmanenz in das empirische Leben" die Formproblematik des Romans und trennt ihn von der epischen Vollendung. Das Gattungsprinzip des Epischen bringt, indem es in der modernen Welt keine Vollendung findet, das Material selbst zum Sprechen; der Roman ist im Verhältnis zum Leben „ein Trotzdem". Das Formschaffen isf die tiefsfe Bestätigung des Daseins der Dissonanz. Geht diese „Bejahung" bei allen Eormen der Formung selbst voraus, so ist sie für den Roman die Form selbst. „Darum ist hier das Verhältnis von Ethik und Ästhetik im formenden Prozeß ein anderes, als in den übrigen Dichtungsarten. Dort ist die Ethik eine rein formelle Voraussefzung . . . Hier ist die Ethik, die Gesinnung im Gestalten jeder Einzelheit sichtbar, ist. . . ein wirksames Aufbauelement der Dichtung selbst." (ThR 62) Vor dem Hintergrund der Notizen stellt sich allerdings die Frage, welche Ethik hier im Roman gestaltend wirkt?^'* Daß dem europäischen Autor nur die Werte der „ersten" Ethik zur Verfügung sfehen, macht der „Aufriß" zum Dostojewski-Buch deuflich. Wenn LUKäCS in der Theorie des Romans fragf, ob nicht DOSTOJEWSKI „bereits der HOMER oder der DANTE" (ThR 137) einer neuen Welt sei, so geben die Notizen und der „Aufriß" Auskunft darüber, in welchem Sinne DOSTOJEWSKI für LUKäCS die Geschichte und damit die Problematik der Romanform hinfer sich gelassen hat. Die „reine innere Selbstvollendung", mithin das Werk als Mikrokosmos, setzt den (russischen) Atheismus, die Negation der Welt des objektiven Geistes, ihrer Gesetze und ihrer Ethik voraus. Eür die Werke DOSTOJEWSKIS stellt sich — und dies zu zeigen war die Absicht des Dostojewski-Buches — das Problem des „Nichteingehen-Wollens der Sinnesimmanenz in das empirische Leben" (ThR 61) aufgrund der vorangegangenen Negafion dieser Welt im Atheismus gar nicht. So wie für KANT die zweife Efhik gar nicht sichtbar ist (Vgl. Notizen, 114), so sehen auch die Gestalten DOSTOJEWSKIS die erste Ethik nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie LUKäCS „das Hineinspielen der Geschichte in den zeitlosen Prozeß der Begriffsentwicklung" bei Hegel deutet. Geschichte, so LUKäCS, muß von Hegel weniger wegen der inhaltlichen Erfüllung der konkreten Momente in diesen Prozeß eingebracht werden, als vielmehr aus der „methodischen Notwendigheit, daß der historische Prozeß als Ort des unerfüllten Sollens auftreten" muß, um durch „seine Aufhebung ... in das kunstwerkhafte An-und-für-sich eines sich konstituierenden Momentes . . . errettet zu werden" (Ästh 180). Das Ziel des historischen Prozesses liegt sowohl in der P. Bürger weist in Prosa der Moderne (Frankfurt 1988) auf die ethische Fundierung der Form in Die Seele und die Formen hin und zeigt, wie dort eine „Art schwebender Dezisionismus" (414) vorherrscht, eine Konzeption der Bürger erstaunliche Parallelen zu Carl Schmitts Rückführung der Rechtsform auf die rechtssetzende Tathandlung nachweist. Inwieweit allerdings die ThR diesen Dezisionismus überwindet, indem sie die „formkonstitutive Kraft der Ethik gattungsspezifisch aufzuweisen" (419) sucht, muß diskutiert werden. Vgl. zur ThR auch die aufschlußreiche Studie von Peter Furth: Die Theorie des Romans (Rez.). In: Das Argument. Berliner Hefte für Politik und Kultur. 26 (1963), 51.
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Theorie des Romans als auch in den Notizen in einem Jenseits der Geschichte. Keineswegs herrscht zu diesem Zeitpunkt der von NYIRI konstatierte unvereinbare Gegensatz zwischen der metaphysischen (Standpunkt der Notizen) und der geschichtsphilosophischen (Standpunkt der Theorie des Romans) Konzeption. Vielmehr war es LUKäCS' erklärte Absicht, in der Ästhetik die Verbindung dieser Positionen herzustellen. 25 Die Brisanz der Systemfrage für LUKäCS wurde bereits betont — daß LUKäCS das System nicht als Metaphysik des Geistes sondern im Sinne einer neukantischen Sphärenkonzeption als „spezifische Art der Systematisation" (Ästh 10) auffaßt, macht die Heidelberger Ästhetik deutlich. Nicht grundsätzlich wird dort das Hegelsche System verworfen, es wird lediglich seine Untauglichkeit für die Analyse einer spezifischen Gegenständlichkeit nachgewiesen. Die Konzeption der Notizen legt die Vermutung nahe, daß LUKäCS zu diesem Zeitpunkt eine Einbindung der mit dem KANxischen Ansatz gewonnenen autonomen Sphären in eine über diese Sphären hinausführende systematische Konzeption anstrebt. Wo innerhalb eines solchen Systems die „Depravationen" der Geschichte ihren Ort finden könnten, muß diskutiert werden. Der Frage, ob die Heidelberger Ästhetik oder eine in ihrem Umkreis entstandene Schriften auf diese Frage eine Antwort bereithält, kann hier nicht nachgegangen werden. Die Beantwortung der Frage nach dem Hegelianismus dieser in den Jahren zwischen 1916 und 1918 entstandenen Werke bedarf einer differenzierten Betrachtung. Sowohl der dezidiert KANxische Standpunkt, den LUKäCS' Versuch, die Autonomie der ästhetischen Sphäre zu sichern, einnimmt, und auch das eschatologische, triadische Verständnis der Geschichte nehmen Hegelsche (und MARXsche) Elemente auf. Diese werden allerdings von LUKäCS SO (um-)interpretiert, daß sie in keinen Widerspruch zu dem gewählten Ausgangspunkt geraten. Elisabeth Weisser (Bochum)
25 Vgl. das Vorwort zur deutschen Erstveröffentlichung des zweiten Kapitels der Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas, Zur Soziologie des modernen Dramas. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 38 (1914), 303—345 und 662— 706. Wiederabgedruckt in: Die Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas. Hrsg, von F. Benseler. Darmstadt 1981. Werke. Bd 15, 570, Anm. 26.
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Norbert Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of,Civil Society'. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 1988. XVII 286 pp. (International archives of the History of Ideas, vol 120.) For the most part those of us who study the cultural background of Hegel, are better acquainted with Hegel than we are with the authors in the background. In this respect WASZEK is exceptional. He knows the Scottish Enlightenment well, and he has studied it under the best teachers. He also knows his Hegel texts well. Most remarkable of all, he is well aware of he many other cultural influences on Hegel's mind, so that he does not Claim for the Scots ideas and influences that could equally well have come from French or German sources, or from Hegel's classical education. His is a European book. It does credit to the balance of his critical judgement, the breadth of his sympathies and the ränge of his reading. But it also reflects well upon the collaborative and relatively non-partisan spirit of our research at the present time Hegel's cultural background on all sides. The title of the book suggests a rather narrow focus. So the first thing to be emphasized, is how far beyond the title WASZEK'S research has ranged. He gives US, for instance, a bibliography of all readUy traceable German translations (before 1831) from fourteen major writers of the Scottish Enlightenment; and a list of the reviews of their works published in German periodicals in the same period. (But for REID, OSWALD and BEATTIE, MANFRED KUEHN has already given us a more copious list of reviews, with a few more translations in the Journals — see Journal of the History of Philosophy. 21 [1983], 488—491. This gives some idea of what to expect when WASZEK'S research is extended.) And his general approach to the problem of Hegel's contact with the Scottish writers begins with a twenty page inquiry into Hegel's Knowledge of English which will interest many who do not care all that much about the theme of „Civil Society". WASZEK himself says (54) that his book is a „pyramid", broadly based and moving towards a small platform at the apex. But he likes concrete detail more than general surveys; so the broad base of his pyramid is only partially filled in. The book itself shows why this is preferable to a more solid seeming facade; for
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as WASZEK shows clearly in his discussions of JAMES STEUART and ADAM SMITH, what looks like a solid foundation provided by the familiär generalizations is actually very sandy indeed. He concentrates quite severely upon what we can fairly conclusively show about Hegel's Scottish reading. This begins with what is, to my mind, convincing evidence of a reading of HUME'S Natural History of Religion at Tübingen. WASZEK does not notice that HUME S Essay on Miracles is a very probable source for one of the „miracle fragments" in ROSENKRANZ {Hegel's Leben. 510—512; compare my Night Thoughts, 7 n); but he gives a very insightful (as well as judicious) reading of the (Berne or Frankfurt) fragment about HUME as a historian. He then traces Hegel's use of the pin-factory example (in the first chapter of the Wealth of Nations) from 1804 to 1825 very precisely — this is valuable partly because it shows US that from first to last, Hegel himself was anything but precise. And finally he examines the account of Scoffish Philosophy in the History of Philosophy lectures. This last was based almost entirely on second hand sources. The real impact of Scottish „Common Sense" on Hegel — which was far greater than the Lectures allow us to see — was produced almost entirely by their German followers, with whom WASZEK is not concerned. (Attention should again be directed at this point to the work of Manfred Kuhn: Scottish Common Sense in Germany, 1768—1800 [Kingston/Monfreal 1987], which, not being directly about Hegel, might pass unnoticed by some who will find it very valuable and illuminating.) In Hegel's lecture comments on the „Scottish School" there are two signs of his direcf study and interests. When he speaks of the „translations by GARVE" we should think of the study of ADAM FERGUSON that began in his school days; and his reference to ADAM SMITH as the „most famous" of the Scots reflects his direct study of the Wealth of Nations which came later. But the most powerful influence on Hegel is that of SIR JAMES STEUART, who had no Status as a „philosopher" at all. It is these three, with whose influence WASZEK is mainly occupied. He examines Hegel's „political economy" systematically, beginning with the general conception of fhe „System of needs", and finding his first parallel (appropriately enough) in FERGUSON'S Institutes of Moral Philosophy (the GARVE translation with which Hegel's serious study of the Scots began). The parallels with FERGUSON and STEUART seem to me always to be closer and more impressive than those with SMITH. But I am not myself very well or widely acquainted with the Scottish writers (and I have put more effort into reading STEUART than the others). So no doubt my impressions are rather biassed. It is one of the great virtues of WASZEK S approach that his copious quotations do much to reduce the effect of these inevitable biasses. (Even PAUL CHAMLEY, who is far better acquainted than I with the whole field, tends to concentrate too much on the influence of STEUART.) STEUART showed more interest in the historical evolution of society than SMITH; and this was one reason why he was more attractive to Hegel. WASZEK confirms what I always feit myself about his preponderant influence upon Hegel's theory
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of the social „estates" (I wish myself, that WASZEK had not adopted the alienated modern terminology of „classes"). But he shows that the conventional image of SMITH as a rigorous proponent of a laissez-faire is a mistake. So there is much less of a contrast between STEUART and SMITH than is offen believed. Whether Hegel (whose conceptual interest certainly leads to Stereotyping) was as sensitive to this, as WASZEK is, may be doubted. But it is ironic to reflect on the other side, that Hegel fully appreciated the constitutional modernity of STEUARTS theory of government, whereas his English contemporaries suspected, quite unjustly, that his economic theory was corrupted by his Jacobite sympathies. The relation of all three of fhem fo fhe economic liberalism of a slightly later day is beautifully clarified here. Regarding the „division of labour" WASZEK shows that HegeTs comprehension of fhe dialectic of advantages and disadvantages is present in all three of the Scots (FERGUSON, STEUART and SMITH). Hegel is only following faithfully in their footsteps. This corrects the overemphasis on the dehumanizing aspects of modern industry which has led many of us (myself included) to see Hegel as a kind of proto-MARX in the Jena manuscripts. WASZEK thinks that „general questions such as whether SMITH or STEUART exerted a greater influence on Hegel oversimplify an issue that can only be settled on the level of particular aspects" (230). STEUART influenced HegeTs „class-theory" while FERGUSON and SMITH were more relevant for the division of labour. The warning about the folly of the general question „who was more influential" is certainly wise. Nevertheless I shall end by sinning against it. It seems to me that WASZEK allows himself to be influenced foo much by the contacts that are clearly demonstrable. Thus, for instance, he probably concludes too readily thaf Hegel only began to study English at Tübingen, because it is fairly clear that he did study it with the Sprachmeister there. HegeTs own younger brother went to the Karlsschule, where there was an English teacher willing enough, no doubt, to take private pupils. I would prefer to trust the curriculum vitae of 1804 here. (I say this because WASZEK cites the precedent I provided in another connection, for not taking what it says literally). This is a small point, and one of no real significance. But when WASZEK refuses to believe that Hegel read SMITH at least as soon as he read STEUART, because he makes no reference of SMITH until later, I think this is more seriously mistaken. It is clear that ROSENKRANZ regarded the Commentary on STEUART as having only marginal importance. So even if he noticed references to SMITH in it, he would not necessarily refer to them in his very brief notice; and his silence is all the evidence that WASZEK has to set against the likelihood that an impecunious tutor studied his books as soon as he bought them. I will not say simply that SMITH was „less influential", but rather that he was „more negatively influential". We ought, I think, to recognize the „Newtonian" scientist of the economic System (whose identity in the Realphilosophie of 1805/6 is not in doubt) in that „Mechanismus der Arbeit wie des Verkehrs" of which ROSENKRANZ speaks in the STEUART commentary. WASZEK Claims (and I believe him) that SMITH was as much a friend
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of „das Gemüth des Menschen" as STEUART. But I do not think that the twenty eight year old Hegel agreed with us. H. S. Harris (Toronto)
John Sallis: Spacings — of Reason and Imagination. In Texts of Kant, Fichte, Hegel. Chicago and London: The University of Chicago Press 1987. XVI, 177 S. Was geschieht, wenn sich ein so zentraler Begriff des deutschen Idealismus wie Vernunft heute für uns dezentralisieren läßt, wenn er aus seinem Mittelpunkt der philosophischen Architektonik aufgrund der Einbildungskraft verlegt wird und wenn man seine Autorität auf Bilder übertragen kann? Was, wenn die alte Sicherheit der Vernunft nicht mehr existiert? Müssen wir nicht dann anerkennen, daß uns nur diese Unsicherheit bleibt? Der Grund solcher oder ähnlicher Fragen, die SALLIS im Zusammenhang der Texte von KANT, FICHTE und Hegel wiederholt stellt, liegt darin, daß die Einbildungskraft ein „Mehr" hat, das bisher weder von der „Vernunft" erschöpft werden konnte, noch heute mit „Unvernunft" gleichgesetzt werden darf. Dieses „Mehr" muß jetzt nach SALLIS über alle Sicherheiten und Unsicherheiten hinaus ins Spiel gebracht werden. Schon den großen philosophischen Texten zur Einbildungskraft war dieses „Mehr" inhärent, aber es kann erst jetzt zureichend erörtert werden, gleich unter welchem Namen es auftritt: „Wahnsinn" oder „Ekstase" oder „Wunder". Die Erörterung der Einbildungskraft steht nach SALLIS im Zusammenhang mit einer gleichzeitigen Verräumlichung der Vernunft oder dem „spacing". SALLIS definiert „spacing" in folgender Weise: „It is a ,movement' that is such as to open the very space in which it occurs" (XIV). Eine Selbstbeziehung der Räumlichkeit ist bereits vorhanden, die aber nicht dialektisch verstanden werden darf. Vielmehr geht es hier um die Öffnung einer bestimmten Struktur zu sich selbst. Daher gilt: „Spacing is rather a self-relation that is eccentric" (ebd.). Diese Struktur in Bewegung ist die Einbildung. Oder besser, die Vernunft, die nicht mehr als der Grund der Figuration der Einbildung gedacht wird, und die Einbildungskraft selbst sind in dieser sich bewegenden Struktur enthalten. D. h. die Beziehung der Einbildungskraft auf die Vernunft ist Einbildung, sie erreicht uns selber über die Bilder. Einerseits ergänzt SALLIS seinen früheren Begriff „Okklusion" (wie bei der „Okklusion der Unterscheidung zwischen dem IntelUgiblen und dem Sensiblen"; Die Krise der Vernunft. Übers, von G. Shaw. Hamburg 1983. 5) durch das Hinzufügen des Moments der Bewegung, andererseits von Begriffen wie „deplacement", „pli", „differance", die heute geläufig sind. Die Verräumlichung ist ein plastischer Begriff: Im Hinblick auf KANT wird sie von SALLIS erst „tunneling" genannt. Das Kapitel über die Kritik der reinen Ver-
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mmft schlägt uns vor, die „Maulwurfgänge" der Metaphysik zu wiederholen, um das zu thematisieren, was KANT übersehen hat, nämlich daß diese Wege selbst als Ergebnis der notwendigen Beziehung der Philosophiegeschichte auf das System zum Bau des Systems gehören. Dies wird schon an der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft gezeigf, die in einer bestimmfen Einheit mit dem Anfang des Haupttextes steht, wo die „opening move . . . silently incorporates a tunneling down to a ground constituted by self-presence" (15 f). Es ist dieser Zustand des Bodens der Philosophie „as ground threatened by deformity, as tunneled out and thus made infirm" (16), der die KANTische Krifik notwendig macht. An diesem Punkt, wo man einen geradlinigen Gedankenprozeß erwartet, sieht SALLIS einen Riß, insoweit sich die Vernunft, um sich ihren Grund zu restaurieren, auf den selben Grund versetzen muß, und dadurch nur „verdreht" werden kann. Diese Bewegung der Verdrehung stammt aber ihrerseits aus dem Grund: „The bedrock is thus itself set in motion — that is, there is no bedrock. Critical reason cannot isolate itself more than femporarily from fhe fhreaf of history, cannot once and for all suppress its history" (ebd.). An der Wissenschaftslehre FICHTES wird gezeigt, daß die Philosophie die Bewegung des „Vermögens der Einbildungskraft" als „Schwebe" zwischen dem Endlichen und Unendlichen, dem Nicht-lch und dem Ich anerkennt, aber zugleich den Begriffen „Freiheit", „Pflicht" unterordnet. Die Emanzipation der Einbildungskraft von dieser Unterordnung stellt die nächste Aufgabe dar, eine Emanzipation, die nichts anderes als die Bewegung der Einbildungskraft ist. Den Übergang vom Spiel der Vernunft mit der Geschichte (KANT) zum Zusammenhang der Einbildung mit der Vernunft ergänzt SALUS weiter in einem Kapitel unter dem Titel „Enroutings", das die Ekzentrizität der Vernunft bei KANT behandelt, die sich als die Verschiebung der Suche nach einer Wurzel der Erkenntnis von einer transzendentalen Ebene zu der anderen bestimmen läßt. Der gemeinsame Prozeß, der die Einbildung in diesen verschiedenen Zusammenhängen in Kraft setzt, ist für SALLIS lefzten Endes ein Entzug, ja, der Selbstentzug der Einbildung von der Totalisierung und der Radikalisierung, sowie von einem bestimmten Zu-Grunde-Gehen oder ZumEnde-Gehen der Metaphysik. Der Knotenpunkt bei dieser verräumlichend erörternden Darstellung kommt mit Hegel. Schon am Anfang seines Kapitels „Ending(s) — Imagination, Presentation, Spirit" bemerkt SALLIS im Hinblick auf die sichere Stelle, die die Vernunft bei Hegel gewinnt: „There is no more rigorous reduction in the history of mefaphysics; it is even fhe very concept of rigor thoughf through fo the end" (133). Wie kann man dann die Vernunft von ihrer Stelle versetzen, verräumlichen, dem Ort der Erörterung öffnen? Nach einem Vergleich des Begriffs Einbildungskraft bei Hegel mit demjenigen von ARISTOTELES betont SALLIS, daß es ARISTOTELES gewesen ist, der die Lücke, oder den freien Raum zwischen Empfindung oder Vorstellung und Einbildung hervorgehoben hat und daß Hegel mit einer doppelten Strategie sie behielt und gleichzeitig dialektisch abschloß (vgl. 138). Die Vorstellung aber im Hegelschen Sinne steht schon im
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Dienste der Vernunft, und SALLIS sieht darum seine Aufgabe darin, daß die Einbildung von dem Joch der Vorstellung befreit werden muß. Eine genaue, text-kritisch vergleichende Lektüre der Enzyklopädien 1817, 1827 und 1830 ermöglicht es dem Autor, den Sinn der Hegelschen Unterscheidung zwischen produktiver, reproduktiver Einbildungskraft und der Phantasie (als „Zeichen machender Phantasie") festzustellen, und zwar auf dem dialektischen Weg, der von der Erinnerung zum Gedächtnis führt. Das „Ende" wird für SALLIS vertreten durch die Hegelsche These, die (im § 457, Anm.) besagt; „Phantasie ist Vernunft". Gegen die Hegelsche Strategie „of systematic displacement and consequent repression" (153) stellt SALLIS die Frage; „Does phantasy exceed reason? Or, more generally, is imagination in excess of spirit?" (152). Diese Fragestellung „is a matter of attempting to think excess nondialectically, or rather . . . to think it in excess of dialectic" (ebd.). Entzieht sich die Einbildungskraft in den „nächtlichen Schacht", wo eine Unendlichkeit der Bilder aufbewahrt ist? Hat nicht Hegel selber dieses undialektische Übermaß gesehen, wenn er schreibt; „Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt — in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen"? (GW. Bd 8, 187) Allerdings kommt dieses „Mehr als die Dialektik" im Sinne von SALLIS vielleicht nicht mit dem schwierigen, prekären Begriff des „Übergangs" aus, der als Selbst-Verteidigung des Hegelschen System gegen die Verräumlichung gelten könnte. So ist z. B. die Zeichen machende Phantasie, die sich mit der Vernunft identifizieren läßt (und bei der, wie wir gesehen haben, SALLIS ansetzt) zwar die letzte Entwicklungsstufe der Einbildungskraft, gehört jedoch nicht mehr zum „nächtlichen Schacht". Das Aufbewahren der Zeichen geschieht nicht in der Erinnerung (wie für Erinnerungsbilder), sondern in der nächsten dialektischen Stufe, im Gedächtnis. D. h. die Zeichen machende Phantasie als das produktive Gedächtnis, als Mnemosyne, ist schon im Übergehen zum Gedächtnis begriffen. Man könnte deswegen auf die Frage von SALLIS; „does the nocturnal pit perhaps cast its shadow over the entire course of imagination?" (155) ungern mit einem „Nein" antworten. Aufgrund dieser Hauptschwierigkeiten scheint mir, daß die provokative Lektüre von SALLIS mehr Erfolg bei KANT als bei Hegel hat, besonders im Hinblick auf den Begriff des „Erhabenen". Ich kann hier nicht auf die Einzelheiten des betreffenden Kapitels mit dem Titel „Tremorings — Withdrawals of the Sublime" eingehen, da es vornehmlich um die schwierigen kognitiven Aspekte der Ästhetik geht. Aber weil sich die KANiische Reflexion selbst als die Einbildungskraft erweisen läßt, weil „the recoil of imagination . . . from exceeding nature" (123) möglich wird, wird auch eine „Bewegung an der Grenze" („the movement at the limit"; 125) tatsächlich als das „Mehr" der Reflexion freigesetzt, ein „Mehr", das weiter Bestimmung braucht. Dieses „Mehr" der Reflexion'wird fruchtbar gegenüber der Hegelschen „Operation within limits" (132) in dem Maße, daß sich hier diese Grenze nicht als Übergang, sondern als Schranke (der Vernunft als Vernunft, der Struktur als Bewegung) zeigt.
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Der Text von SALLIS bewahrt uns vor dem philosophisch-teleologischen Zwang des Zu-Ende-Gehens. Überall gibt es Endungen, die gegen das „Ende" sprechen, Endungen, mit denen man anfangen kann. Önay Sözer (Istanbul)
Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behaviouristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln: Dinter 1986. IX, 399 S. EDITH DüSING macht das „Problem", in welchem Verhältnis die Bildung von individuellem Selbst-, Freiheits- und Weltbewußtsein zu Genesis und Aufbau der sozialen Welf (Gesellschaff) steht (1), zum Thema ihrer Habilitationsschrift. Die Notwendigkeit dieser theoretischen Fragestellung sieht sie in der „praktischen Relevanz" (1) für den Bereich der Erziehung und Bildung des Menschen, wo die neuesten bildungstheoretischen Konzepte dem „Paradigmenwechsel" (3) von der individuellen, für sich auszubildenden und zu vervollkommnenden Subjektivitäf hin zur gesellschafflichen Infersubjektivifät als dem absolut gesetzten Inbegriff von Welt unterliegen. Diesen neuartigen gruppendynamisch-pädagogischen Lehren und Praxisformen fehlt ihrer Meinung nach die prinzipielle Untersuchung des Verhältnisses der Konstitution von individuellem Selbstverständnis und Fremdverstehen, welches für sie aber ein zentrales Problem für die Wesensbestimmung des Menschen darstellt. So verfolgt DüSINGS Untersuchung die Absicht, durch eine „Rekonstruktion zentraler Positionen der Interpersonalität" (6), die das „prinzipielle Fundierungsverhältnis" (6) zwischen Genese des Selbstbewußtseins und der Vergemeinschaftung der Menschen (Intersubjektivität) betreffen, den Problem- und Begründungshorizont wiederzugewinnen, innerhalb dessen man argumentativ die unterschiedlichen Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung von Individuum und Gesellschaft erörtern kann. Als Alternative zu gruppendynamisch-pädagogischen Bildungskonzepten dient DüSING die Auswahl der vier untersuchten paradigmatischen neuzeitlichen Theorien der Intersubjektivität. Dabei strebt sie keine historische Vollständigkeit an, sondern eine „ideale Typik" (1). GEORGE HERBERT MEAD, als originärer Begründer eines sozialen Behaviorismus, bietet sich für DüSING als vorzüglicher Ausgangspunkt an, anhand dessen Theorie sich das „eine Extrem" (6) ihrer intendierten typologischen Skala entwickeln läßt: der Primat einer sich selbst formierenden Gesellschaft vor der Bildung selbstbewußter Individuen (25—96). Die transzendental-phänomenologische Konzeption von ALFRED SCHüTZ stellt dagegen das andere „Extrem" (8) der Typik dar, nämlich den Primat der Subjektivität vor der Gesellschaft (97—178). Der Idealist FICHTE setzt nach DüSINGS Meinung weder die Gesellschaft als fertige Entität
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voraus noch die selbstbewußte individuell ausgeprägte Person und leitet nicht das eine vom anderen ab. Er begründet vielmehr eine „korrelative und gleichursprüngliche" (9) Bildung des individuellen Selbstbewußtseins und des personalen Gegenüber, die „wechselseitig Ermöglichungsgrund ihrer jeweiligen Selbstwerdung" (9) sind (179—290). In Anknüpfung an FICHTES Theorie der „Anerkennung" legt DüSING Hegels unterschiedliche Weisen von Anerkennung dar, deren zentrale Bestimmung bei ihm nicht wie für FICHTE die „Wechselseitigkeit des Einander-Achtens und -Freilassens" (10), sondern eine „dialektische Beziehung des Sich-Findens im anderen und der Selbstaufhebung und umgekehrt" ist (291-372). Hegels Theorie der Anerkennung, eigentlich seine Dialektik der Anerkennung, erscheint auf dem Hintergrund der Analyse FICHTES als „inhaltliche" (289) Erweiterung der FiCHTEschen Interpersonallehre. E. DüSING hebt zunächst die andere metaphysische Basis Hegels, nämlich die Entwicklung der spinozistisch gedachten „Einen Substanz" (331) zur absoluten, als Freiheit und Persönlichkeit zu verstehenden Subjektivität hervor. Über eine Darlegung der Subjektivitäts- und Anerkennungslehre Hegels hinaus, will sie auch Wandlungen in der Lehre von der Bildung des einzelnen Selbstbewußtseins und von der Anerkennung mit beachten, um Probleme in der Hegelschen Lösung aufzuweisen (293), — zum Beispiel in den von Hegel aufgezeigten mißlingenden Anerkennungsversuchen im „Kampf auf Leben und Tod" und im „Herr-Knecht-Verhältnis", in denen DüSING eine systematische Entwicklung des Begriffs der Anerkennung vermißt (327). Die von Hegel entworfene Struktur der Anerkennung enthält so zwar die FiCHTEsche Wechselseitigkeit des Sich-aufeinander-Beziehens in sich, erscheint aber zugleich als ein dialektisches Verhältnis des Sich-Findens im anderen als Selbstaufgebung und des Sich-Unterscheidens von ihm zur Wahrung der eigenen Selbständigkeit. Hegel fundiert die intersubjektive Relation des Anerkennungsprozesses, der als solcher von den Individuen initiert wird und der doch zugleich erst das erfüllte Sich-Wissen des einzelnen Selbstbewußtseins konstituiert, jeweils in einer übergeordneten höheren Einheit, im „absoluten Geist" (326). DüSING bemängelt an Hegels Anerkennungslehre ferner, daß auch seine „Rechtsphilosophie" nicht systematisch ausgebildet ist, da er rechtliche und sittliche Anerkennung nicht durch unterschiedliche Prinzipien voneinander trennt, so daß die eigentliche Sittlichkeit des Menschen für Hegel wesentlich in der zustimmenden Ausführung von staatlich vorgezeichneten Aufgaben, Gesetzen und Verordnungen liegt. Sie wirft Hegel vor, antiindividualistisch zu sein, im Gegensatz zu FICHTES Konzeption individueller, genuiner Freiheit. In der Bestimmung der Religion jedoch übertrifft Hegel FICHTE. Dort zeigt sich — so die Verfasserin —, daß die Anerkennung nicht auf die rechtliche und sittliche Sphäre beschränkt bleibt, sondern erst in der religiös-sittlichen ihre höchste Möglichkeit erreicht; ebenso daß die übergeordnete Einheit, in der diese Bedeutung von Anerkennung fundiert wird, als göttlicher Geist, letztlich als der „christliche trinitarische Gott" (361) in spekulativer Deutung verstanden werden muß. Vollendetes Anerkennen und Anerkanntsein von Individuen un-
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tereinander beruht für Hegel somit auf der „christlich-religiösen Versöhnung des Menschen mit Gott" (368) in einem „Reich der Liebe" (ebd.), die sich als höchste Vollendungsgestalt wahrer Anerkennung erweist. Durch den weitgesteckten Rahmen ihrer Untersuchung kann DüSING einsichtig machen, daß die „idealistischen" Theorien von FICHTE und Hegel teilweise auf metaphysischen Prämissen beruhen, die einer eigenen Prüfung bedürfen (vgl. 377). Doch scheint ihr Methode und Durchführung hinlänglich geeignet, als exemplarische Möglichkeit einer „korrelativen" Konstitution von individuellem Selbstbewußtsein und Intersubjektivität analysiert zu werden (vgl. 377). Sowohl dem sachkundigen Leser wie dem Interessenten bietet die Arbeit Anregung. Es gelingt DüSING, einen informierten und systematisch gut strukturierten Einstieg in grundlegende Positionen der Theorie der Subjektivität und Intersubjektivität mit einem konzisen Konzept zu verknüpfen. Man könnte zwar anstelle von ALFRED SCHüTZ als Vertreter der transzendental-phänomenologischen Begründung der Intersubjektivität HüSSERL erhoffen, doch dies tut dem prinzipiellen Vorteil der Arbeit keinen Abbruch. Präzision statt Breite sorgt dafür, daß DüSINGS Arbeit sowohl in der Analyse der Philosophie des deutschen Idealismus als auch der besseren Fundierung pädagogischer Konzeptionen einen interessanten Beitrag leistet. Silke Fiegen (Bochum)
Neue Berliner Monatschrift für Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst. Berlin 1821. Faksimile-Nachdruck in zwei Bänden. Mit einem Nachwort von Helmut Schneider. (Stuttgart-Bad Cannstatt 1987—1988.) 568, 621 und XXXVII S. (Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus. Abteilung 1: Texte. Band 1 und 2.) Dieser verdienstvolle Nachdruck macht die schwer greifbare Neue Berliner Monatschrift (NBM) wieder allgemein zugänglich. Die NBM erschien 1821 in zwölf Monatsheften und umfaßte insgesamt ca. 80 Beiträge. Trotz durchweg positiver Rezensionen (vgl. SCHNEIDERS Nachwort, XV—XVII) stellte sie danach das Erscheinen ein. Die Gründe dafür sind nicht bekannt; aufgrund von Äußerungen, die sich in HEINRICH HEINES Korrespondenz finden, kann man jedoch vermuten, daß der Verleger finanzielle Schwierigkeiten hatte. Die NBM ist ein wichtiges Dokument aus der ersten Periode der Hegelschen Schule. Indirekt erhellt diese von seinem noch jungen Berliner Schülerkreis getragene Zeitschrift auch Hegels frühe Berliner Lehrtätigkeit sowie deren Wirkung und Rezeption. Schließlich bietet die NBM einen Querschnitt des kulturellen Lebens der preußischen Hauptstadt zu jener Zeit und ist insofern eine wichtige Quelle der Berliner Regional- und der deutschen Geistesgeschichte.
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Die Zeitschrift erschien zwar anonym — der Verleger E. H. G. CHRISTIANI, der in den ersten neun Heften als Redakteur genannt wird, diente wohl nur als souffredouleur de la maison doch ahnten schon die Zeitgenossen, und HELMUT SCHNEIDER trägt in seinem informativen Nachwort sichere Belege dafür zusammen, daß sich die beiden Hegelschüler FRIEDRICH FöRSTER (1791 — 1868) und LEOPOLD VON HENNING (1791—1866) die Herausgeberschaft teilten. Der Titel der Zeitschrift greift bewußt auf die von BIESTER und NICOLAI herausgegebene Berlinische, später Neue berlinische Monatsschrift zurück. Für diese Anknüpfung gab es einen naheliegenden äußerlichen Grund: FöRSTERS Schwiegervater FRIEDRICH GEDICKE (1754—1803) war BIESTERS Partner gewesen. Inhaltlich gab es freilich Unterschiede zwischen der NBM und der älteren Zeitschrift. Zu Recht verweist SCHNEIDER Z. B. auf die „neue Würdigung und Ehrung GOETHES" (IV). Gab es aber trotz dieser Unterschiede nicht auch Parallelen in der Intention der beiden Organe? Verstanden sich Hegel und seine Schüler, bei aller Kritik an der deutschen Aufklärung, nicht auch als Vollender (im Sinne der Hegelschen „Aufhebung") der Aufklärung, zu deren Berliner Vertretern BIESTER und NICOLAI gehört hatten? — Fragen, denen es sich lohnen würde, einmal näher nachzugehen. Wichtiger für die vorliegende Edition ist dann jedoch die von SCHNEIDER geleistete Identifikation derjenigen Beiträge, welche die Herausgeber selbst beisteuerten (VIII für VON HENNING; XVIII für FöRSTER). Auch arbeitet SCHNEIDER überzeugend diejenigen Parallelen in der Herkunft der Herausgeber heraus, die den Charakter der NBM prägen sollten. FöRSTER und VON HENNING gehörten ursprünglich zum progressiven Flügel der burschenschaftlichen Bewegung, beteiligten sich ab 1813 am Krieg gegen NAPOLEON (FöRSTER in LüTZOWS Freicorps; VON HENNING im sächsischen Heer), fanden sich, wie Orts- bzw. Stellenwechsel belegen, als heimkehrende Kriegsteilnehmer im bürgerlichen Leben nicht mühelos zurecht und gerieten im Umfeld der sog. „Demagogenverfolgung" mit den preußischen Behörden in Konflikt (FöRSTER verlor 1819 die „venia legendi"; VON HENNING verbüßte im Sommer 1819 eine siebenwöchige Haftstrafe). Erst der Einfluß Hegels, dem sie sich seit dessen Ankunft in Berlin (1818) anschlossen, eröffnete ihnen langsam neue Perspektiven; erst in seiner politischen Philosophie fanden sie wieder eine geistige Heimat: bei aller Opposition eine Versöhnung mit der Wirklichkeit. Wie aber wirkte sich Hegels Lehre in der von FöRSTER und v. HENNING initiierten Zeitschrift aus? Welche Rolle spielte Hegel selbst dabei? Wenngleich es für eine direkte Beteiligung Hegels, um mit der Beantwortung der zweiten Frage zu beginnen, keinerlei Beweise gibt, dürfte die Zeitschrift kaum gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen entstanden bzw. gestaltet worden sein. Schon die engen Kontakte, die Hegel zu FöRSTER und VON HENNING unterhielt, lassen derartige Vermutungen kaum zu. In einem Brief an seinen Heidelberger Schüler H. F. W. HINRiCHS bestreitet Hegel zwar die aktive Teilnahme an der NBM, verteidigt das Projekt jedoch deutlich genug: „Der Gedanke ist übrigens gut an sich selbst." Seiner weiteren Ausführung — „Es muß immer wieder auf verschiedene Weise die Sache an das Publikum gebracht werden" (Briefe. Bd 2. 256 f) — läßt sich die kulturpolitische Intention, deren Verwirklichung sich Hegel von der Zeitschrift erhofft.
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schon entnehmen. SCHNEIDER zeigt darüber hinaus, daß sich die NBM nahtlos in Hegels lange gehegte Zeitschriftenpläne einordnen läßt (V): „Schon in Jena wollte Hegel eine Zeitschrift gründen und entwarf dafür ,Maximen'. In Heidelberg war er als Redakteur der Heidelberger Jahrbücher tätig . . . Später fand der Wunsch nach breiter Wirkung eine Realisierung in den ,Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik', die unter wesentlicher Mitwirkung des Hegelschülers EDUARD GANS zustandekamen." Für Hegel und die Hegelsche Schule erfüllten die Zeitschriften eine doppelte Funktion: als breitenwirksame Sprachrohre wirkten sie nach außen; gleichzeitig förderten sie die innere Geschlossenheit der Schule. Der Einfluß der Hegelschen Lehre auf die Artikel der NBM ist zu mannigfaltig, um hier nur annähernd angemessen erörtert werden zu können. Auch der Herausgeber des Nachdrucks ist in dieser Hinsicht behutsam exemplarisch vorgegangen. SCHNEIDERS Nachwort dokumentiert, daß FöRSTERS Beiträge zur NBM die ästhetischen Gegenstände, die sie behandeln, „weitgehend mit den Ideen und der Begrifflichkeit Hegels" deuten (XVIII ff). Das Beispiel, an dem SCHNEIDER die Wirkung Hegels auf die Autoren der NBM belegt, ist jedoch besonders wichtig, weil es eine Art Rückkoppelung enthält. Die Wiedergabe der Hegelschen Ästhetikvorlesung von 1820/21, die FöRSTERS Aufsätze enthalten, kann, nach SCHNEIDER, für diese Vorlesung als indirekte Quelle herangezogen werden: so „bereichert der Text über die Entstehung der griechischen Götter die Textgrundlage dieses Kapitels . . . um eine neue, vierte Variante" (XXIX). Die Rede von „Varianten" ist nicht unproblematisch, da sie gleichwertige Authentizität suggeriert, ein Fehlschluß, den SCHNEIDER selbst jedoch sorgfältig vermeidet, wie seine abschließenden Überlegungen deutlich machen. „Wenn man die Texte der NBM mit Hegeleinfluß in eine Texfsorfenlehre eingliedern will, wird man eine eigene Textsorte aufstellen müssen, nämlich die wenigstens in Teilen verwertete und reproduzierte Vorlesungsnachschrift. Sie ist formal betrachtet in ihrer Authentizität schwächer als die sich selbst ausweisende Vorlesungsnachschrift, kann aber inhaltlich durchaus den gleichen Wert haben" (XXXVI f). Wie weit der NBM auch in anderen Fällen indirekter Quellenwert für Hegels Vorlesungen zukommf, was, bei allem Nachdruck auf die unterschiedlichen Authentizitätsstufen, ein wichtiges Ergebnis wäre, muß in zukünftigen Einzeluntersuchungen überprüft werden. Die vorliegende Ausgabe macht die Texte der NBM wieder zugänglich und ermöglicht damit solche Forschungen, was Herausgeber und Verlag zu danken ist. Wäre es nicht an der Zeit, auch die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik in ähnlicher Weise wieder aufzulegen? Norbert Waszek (Erlangen)
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Die Hegelsche Linke. Dokumente zur Philosophie und Politik im deutschen Vormärz. Hrsg, von Heinz und Ingrid Pepperle. Leipzig: Philipp Reclam jun. 1985, 959 S. (Reclam Universal Bibliothek. 1104.) Die fast 1 000 Seiten umfassende Anthologie von philosophischen, philosophiepolitischen und politischen Schriften und Briefen der Junghegelianer füllt eine Lücke in der Verfügbarkeit von Literatur für das Studium des frühen Marxismus und Anarchismus, aber auch für das der Hegelschen politischen und theologischen Theorie. Die dialektischen Verschlungenheiten der Hegelschen Vermittlungen gerade auf dem Gebiet der Religions- und Staatsphilosophie werden in der ersten Generation seiner Schüler wieder aufgelöst und in kontradiktische Konfrontationspositionen verwandelt. Eine dieser Positionen ist die von MARX, eine andere die von STIRNER. Aber STIRNER und MARX, Anarchismus und Marxismus, sind nicht die einzigen „Weiterentwicklungen" der Anwendung des dialektischen Prinzips; die Plausibilität anderer dialektischer Optionen ist nicht geringer als die derjenigen, die es historisch zu intellektueller Prominenz und politischem Einfluß gebracht haben. Nach STI^AUSS' Unterscheidung teilte sich die Schule HegeTs in die „rechte", die „mittlere" und die „linke" Option; diese zunächst religionsphilosophisch gemeinte Einteilung wurde dann schnell auch zur politischen Charakterisierung benutzt. Texte der Hegelschen Rechten liegen seit 1962 im FROMMANN Verlag von H. LüBBE herausgegeben vor; sie enthalten auf 330 Seiten Texte von CAROVE, J. E. ERDMANN, K. FISCHER, GANS, HINRICHS, MICHELET, OPPENHEIMER, ROSENKRANZ und RössLER. Im gleichen Verlag und Jahr erschien, von LöWITH herausgegeben, auf 288 Seiten eine Sammlung von Texten der Hegelschen Linken, mehr als die Hälfte des Umfangs allerdings war dem Abdruck von BRUNO BAUER'S Posaune des Jüngsten Gerichtes über Hegel, den Atheisten und Antichristen gewidmet, und die Chance einer einigermaßen ausgewogenen Anthologie war vertan. Nebenbei bemerkt, in englischer Sprache liegt, von L. S. STEPELEVICH (bei Cambridge University Press 1983) herausgegeben, eine gut balancierte Ausgabe The Young Hegelians vor. Verdienstvoll an der Ausgabe von PEPPERLE ist die Einbeziehung ausgewählter Briefe zwischen den Junghegelianern; „Linkshegelianer" ist der von PEPPERLE durchgängig benutzte Terminus. Etwa 180 Seiten Briefe geben nicht nur ein die theoretischen und politischen Schriften persönlicher machendes Bild der intellektuellen und persönlichen Lage; sie machen auch den Hintergrund der Schriften und die zunehmende Radikalisierung des dialektischen Prozesses plastischer, — nach HEINES Bemerkung von 1834 der in Büchern und philosophischen Fehden stattfindende Ersatz für politische Emanzipation. Von den rund 650 Seiten theoretischer Texte entfallen etwa je 25 Prozent auf BRUNO und EDGAR BAUER und ARNOLD RüGE. Von BRUNO BAUER wird der größte Teil der Posaune abgedruckt, von EDGAR BAUER die wichtige Schrift Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat (1843), die dem Verfasser eine mehrjährige Kerkerhaft eintrug und die als Alternative zur MARXschen Revolutionstheorie gelesen werden kann.
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von RüGE schließlich einige der rvichtigsten Beiträge aus seinen Halleschen und Deutschen Jahrbüchern, darunter Die Hegelsche Rechtsphilosophie und unsere Zeit (1842) und Eine Selbstkritik des Liberalismus (1843). Weitere Beiträge sind von ECHTERMEYER, KOEPPEN, NAUWERCK, STRAUSS und STIRNER. Es überrascht, daß sich in einer in der DDR herausgegebenen Anthologie von Texten der Linkshegelianer keine Texte von MARX, EEUERBACH und ENGELS aus der Zeit finden. Die Aufnahme von Texten dieser drei Autoren ist wirklich unerläßlich für eine ausgewogene Anthologie. Ersatzweise hätten die zwei großen Schriften (Bücher) von BRUNO und EDGAR BAUER entfallen oder separat veröffentlicht werden können, das hätte auch den Umfang des Bandes entlastet. Die Texte erscheinen in ihrer jeweils ersten Fassung; sie wurden in der Orthographie modernisiert. Eine Einleitung (5—44) gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung des junghegelianischen Denkens, Auswahlbibliographie und Namenregister (933 —954) erleichtern die Benutzung. Im Zusammenhang mit einer möglichen Öffnung des „neuen Denkens" auch in der Interpretation der Texte der Klassiker innerhalb des Marxismus-Leninismus kann das Studium des intellektuellen Umfeldes von MARX und ENGELS zu deren besserem Verständnis beitragen. Eine Renaissance der Junghegelianismusforschung innerhalb der staatskapitalistischen Länder wäre ein Indiz für einen freieren Umgang mit den theoretischen Grundlagen ihrer Staatsideologie. Hans-Martin Sass (Bochum)
Jenseits des Idealismus. Hölderlins letzte Homburger Jahre (1804—1806). Herausgegeben von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Bonn: Bouvier 1988. 345 S. Wenn man unter „unserer kinderähnlichen Kultur" auch die Rezeptionskultur, in der HöLDERLIN bislang bewahrt und gepflegt oder auch verstellt wurde, verstehen darf, dann läßt sich PöGGELERS „Einleitung" dieses Bandes, der die Referate des im März 1985 gehaltenen Kolloquiums über HöLDERLINS letzte Homburger Jahre versammelt, als ein stetes Kreisen um das Thema, das mit HöLDERLINS Worten von den „engen Schranken unserer noch kinderähnlichen Kultur" betitelt ist, fassen. Ein Kreisen, das von der Hoffnung getragen ist, in der auch dieses Kolloquium veranstaltet wurde, nämlich daß eine „neue Sicht seiner letzten Homburger Jahre auch zu einem Bild von HöLDERLIN führen" kann, „das uns auf die Aufgaben unserer Zeit verweist" (35). Den Anstößen zu einer neuen Sicht der letzten Homburger Jahre, die PöGGELER vornehmlich im dritten Teil der Einleitung gibt, geht sowohl ein Abriß der politischen und geistigen Situation Württembergs nach der Jahrhundertwende voraus als auch eine Skizze der bisherigen Sicht, der Rezeptionsgeschichte HöLDERLINS von Hegel über HEIDEGGER bis zu CELAN.
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PöGGELER betont zurecht, daß die Frage nach HöLDERLINS letzten Homburger Jahren wieder neu zu eröffnen ist. Hierfür ist es notwendig, einige durch BEISSNERS Edition und Interpretation gegebene falsche Weichenstellungen, auf die PöGGELER hinweist, wieder rückgängig zu machen, was nicht zuletzt mithilfe der inzwischen erschienenen Faksimile-Ausgabe des Homburger Foliohefts möglich wird. Zu fragen ist auch, ob „man schließlich die letzten Schritte, die HöLDERLIN in seinem Werk tat, im Licht seiner Briefe an BöHLENDORFF sehen" kann (37), oder ob man dabei nicht in Gefahr läuft, mit BEISSNER und HEIDEGGER die „geschichtliche Offenheit", von der die letzten Hymnenentwürfe und die Sophokles-Anmerkungen zeugen, „auf den unvermittelten Bezug des Deutschen auf das Griechische" (37) zu reduzieren. In den Blick zu bringen ist schließlich, so legt PöGGELER den Titel dieses Bandes erläuternd dar, wie sich der in die Richtung von HöLDERLINS letztem Weg weisende „Hymnenentwurf Griechenland . . . der Welterfahrung" entzieht, „die von HöLDERLINS Jugendfreunden Hegel und SCHELLING philosophisch ausgearbeitet wurde". „Die Weise, wie Griechenland uns das Antlitz des schrecklichen Gottes zeigt oder gerade nicht zeigt, führt über diesen", sich einst in der Bundeslosung ev xai Jtäv verdichtenden „Idealismus hinaus" (50). Der Ort, von dem her die späten Entwürfe HöLDERLINS sprechen, liegt jenseits des Idealismus, jedoch nicht im Sinne PLATONS, als Ort, in dem der Idealismus seine letzte unverfügbare Begründung erhält, sondern eher als Ort, an dem der einst mit seinen Stiftsfreunden geteilte Idealismus verwunden wird in der Einsicht, daß „der idealistische Ausgriff auf ein Ganzes nicht mehr möglich ist. Diese Wendung auf HöLDERLINS Weg war aber nicht nur Aufnahme alter Gedanken vom nicht nur verborgenen, sondern immer neu sich verbergenden Gott, sondern wurde erlitten als ein Widerfahrnis in jenem schrecklichen Absturz aus den einstigen Hoffnungen, wie die Geschehnisse der Zeit und die Krankheit ihn für HöLDERLIN brachten"(50). Die Frage nach der Ortsbestimmung der späten Dichtung HöLDERLINS „Jenseits des Idealismus" wurde leider nur noch von einem Teilnehmer des Kolloquiums explizit aufgegriffen, und dies auch nicht im Blick auf den Entwurfskomplex Griechenland, sondern im Blick auf die Sophokles-Anmerkungen. Insofern stimmt die Lektüre dieses Buches manche Erwartungen, die der Titel weckt, herab. Aber vielleicht ist das Fehlen eines Leitfadens bei einem Kolloquium über dieses Thema nicht zufällig, sondern gegründet darin, daß diese Schaffensperiode HöLDERLINS noch weitgehend im Dunkeln liegt. Denn schon allein darüber, was als Gegenstand einer solchen Tagung gelten darf, läßt sich streiten: ist doch kein Schriftstück — außer der Quittung für sein „Bibliothekars"-Gehalt — mit Sicherheit in den Zeitraum von 21. Juni 1804 bis zum 15. September 1806 datierbar, weder Briefe von noch an HöLDERLIN sind erhalten oder waren mit einer Ausnahme gar nie vorhanden. In dieser Lage ist es sinnvoll, sich den Umkreis dieser Schaffensperiode durch die Aufgabe zu erschließen, vor die sich HöLDERLIN gestellt sah, und die PöGGELER mithilfe der beiden, ein halbes Jahr vor dem Aufbruch nach Homburg geschriebenen Briefe an WILMANS bestimmt: Er wollte mit den „unmittelbar das Vaterland oder die Zeit" angehenden Gesängen „einen er-
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sten Schritt über den ,kinderähnlichen' Zustand der Kultur seiner Zeit hinaus tun" (10). Berücksichtigt man, daß zu dieser Zeit HöLDERLIN bereits von vielen Zeitgenossen für geisteskrank gehalten wurde, dann ist hiermit der Fragenkomplex, den die letzten Homburger Jahre aufwerfen, in etwa Umrissen, der sich in den verschiedenen Zugängen und Perspektiven der in diesem Band gesammelten Referate spiegelt. Da HöLDERLIN am Anfang des Homburger Aufenthalts vermutlich noch am Plan zu einer Einleitung seiner bereits zur Ostermesse 1804 erschienenen Sophokles-Übersetzungen arbeitete, und vor allem, weil er das, was er als „vaterländische Gesänge" bezeichnet, in der Auseinandersetzung mit SOPHOKLES und PINDAR gewann, ist es einleuchtend, daß die Sophokles-Übersetzungen und -Anmerkungen, obgleich sie nicht in die Homburger Zeit fallen, in den Umkreis des letzten Homburger Aufenthalts gehören. So bilden sie den ersten Schwerpunkt dieser Tagung, dem vier Referate von K. DüSING, G. KURZ, L. RYAN und B. BöSCHENSTEIN gewidmet sind. Den zweiten Schwerpunkt bilden zwei der neun — aller Wahrscheinlichkeit in Homburg entstandenen — P/ndar-Pragmente Untreue der Weisheit und Die Asyle, denen die kontroversen Referate von M. FRANZ, C. MENZE und A. SEIFERT gelten. Zu einem dritten gruppieren sich drei Referate, in denen die hesperische oder vaterländische Dichtart an einzelnen späten Hymnen oder Entwurfskomplexen behandelt wird: RENATE BöSCHENSTEIN untersucht die Madonnenhymne, R. ZBIKOWSKI den von BEISSNER überschriebenen Entwurf Einst hab ich die Muse gefragt und C. HAMLIN macht sich zur Aufgabe, das undurchdringliche Dikkicht des Hymnenentwurfs Griechenland in seiner Unleserlichkeit vor Augen zu führen. Der vierte Teil des Sammelbandes, zu dem die Referate von C. JAMME, H. FLASHAR, U. HöLSCHER gehören, soll hier zuerst näher charakterisiert werden, da er einen allgemeinen Einstieg in die Problemlage dieses Bandes bietet. Denn für die Einschätzung der in Homburg entstandenen Entwürfe isf die Frage nach HöLDERLINS Geisfesverfassung, die C. JAMME in seinem Vorfrag Ein kranker oder gesunder Geist aufrollt, wesentlich. JAMME stellt die wichtigsten Dokumente der Krankheitsgeschichte zwischen 1804 und 1806 so zusammen, daß deutlich wird, daß keine „lineare Kontinuität vom Gesunden zum Kranken" festzustellen ist; „vielmehr wiederholt sich hier ein Prozeß, den der Dichter schon sehr früh als charakterisfisch für sein Leben erkannf hatte, daß es nämlich verlaufe als ,ewig Ebb' und ,Fluth' (B 35; STA 6.1. 56)" (280). Vor allem im Blick auf die bevorstehende Frankfurter Edition der Gesänge (FHA Bd 7 und 8) und den zur Zeit des Kolloquiums noch nicht erschienenen Pindar-Band (FHA Bd 15) sind die Ausführungen JAMMES interessanf. Denn er macht es, gestützt vor allem auf die Zeugnisse von GERNINGS und SINCLAIRS, wahrscheinlich, daß man von zwei Phasen der Beruhigung während des letzten Homburger Aufenthalts ausgehen kann. Die erste Phase hält an vom Juni 1804 bis zum Winter desselben Jahres, die zweite etwa vom Frühsommer 1805 bis Mitte September 1805; also auch noch nach der „Raserey" HöLDERLINS anläßlich der Verhaftung SINCLAIRS am 26. Februar 1805 und der ihn aufbringenden Verwicklung in
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den Hochverratsprozeß scheint eine vorübergehende Besserung eingetreten zu sein. Dann wäre SATTLERS zunächst frappierend späte Datierung der Hymnen Germanien, Andenken und Der Ister auf den Herbst 1804 und die der Pindar-¥ragmente in den Frühsommer 1805 zumindest im Blick auf HöLDERLINS Geistesverfassung nicht unmöglich. — JAMME versteht die Tatsache, daß HöLDERLIN bei der von MOLITOR, SCHLEGEL, SCHELLENBERG und SINCLAIR im August 1806 unternommenen Wanderung auf den Feldberg nicht anwesend war, als ein Zeichen dafür, daß sein Zustand sich vom Herbst 1805 an irreversibel und rapide verschlechtert hat, so daß HöLDERLIN hieran nicht mehr teilnehmen konnte. H. FLASHAR gibt in seinem Vortrag Hölderlins Sophoklesübersetzung auf der Bühne einen kenntnisreichen Einblick in die verschiedenen Aufführungen der Antigone in HöLDERLINS Übersetzung von KELLER über ORFF und BRECHT bis hin zu den erstaunlich zahlreichen Aufführungen seit den 70er Jahren und resümiert am Ende: eine „Synthese, die sowohl den heiligen Ernst wie die politische Dimension der Tragödie des SOPHOKLES auch im Sinne HöLDERLINS sichtbar machte, ist bisher auf der Bühne noch nicht realisiert worden." Dies mag letztlich daran liegen, daß uns im Grunde Hölderlins Umgang mit den Griechen fremd ist. Auf dieser Vermutung beruht der so betitelte öffentliche Vortrag von Uvo HöLSCHER, in dem er es unternimmt, das uns eigentlich „Befremdende" HöLDERLINS, gemeint ist „die unbändige Sehnsucht nach dem alten Griechenland" (321), herauszustreichen. HöLSCHER zeigt, wie sich vom Hyperion bis zu den Böhlendorffbriefen und den späten Gedichten Lebensalter und Zufriedenheit das Verständnis von HöLDERLINS eigenem dichterischen Dasein stets in der und durch die Auseinandersetzung mit der sich in dieser Auseinandersetzung verändernden Sicht des Griechischen wandelt. Das Griechische steht hier für das, was HöLDERLIN „von Griechenland her aufgegangen war" (337), das „himmlische Feuer", für den „Ursprung", an den auch wir nach den Böhlendorffbriefen zu gehen haben, wollen wir uns zur „Originalität und Selbständigkeit befreien" (334). Griechenland ist zuletzt noch im Abschied präsent, da, wo HöLDERLIN sich in die Krankheit zurückziehend Schutz sucht vor dem „himmlischen Feuer": „Der Rückzug HöLDERLINS vor dem unmittelbaren Strahl des himmlischen Feuers ist fast wie ein Abschied von Griechenland: Rückwendung zur Erde, zum Heimatlichen: allem, was menschliches Leben und Dauern möglich macht" (336). Daß bislang keine Klarheit über HöLDERLINS Umgang mit den Griechen, im Besonderen über sein Verständnis der griechischen Tragödie, wie sie sich in der Sophokles-Übersetzung und den Anmerkungen darstellt, besteht, dokumentieren die auf diese Schriften bezogenen Referate. Weist OTTO PöGGELER in seiner Einleitung darauf hin, daß HöLDERLINS Weg letztlich in Erfahrungsbereiche vorstößf, die jenseits des Idealismus liegen, so versucht K. DüSING in seinem Referat Die Theorie der Tragödie bei Hölderlin und Hegel, HöLDERLINS Anmerkungen innerhalb des Idealismus zu verankern. Er begreift Hegels Theorie der Tragödie und HöLDERLINS Anmerkungen als unterschiedliche Antworten auf dieselbe idealistische Grundfrage, die darauf geht zu bestimmen, „in welchem Verhältnis das Selbstbewußtsein zum Absoluten oder Göttlichen steht" (69). Zweifellos läßt sich den Anmerkungen
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entnehmen, daß nach HöLDERLIN die Gegenwart des Göttlichen im menschlichen Bewußtsein die Vernichtung desselben als Entrückung oder Tod bedeutet, und daß, wie DüSING weiter darlegt, dieser tragische Untergang, die Trennung der Einswerdung, „ein unterscheidendes Wechselverhältnis von Göttern und Menschen ermöglicht" (69), gewährt dieser Untergang ja nach HöLDERLIN, daß „das Gedächtniß der Himmlischen nicht ausgehet" (StA 5. 202). Die Struktur des tragischen Geschehens läßt sich mit DüSING als „negativ-dialektisch" (59) beschreiben, sofern HöLDERLIN hier eine „Präsenz des Göttlichen" „in der Aufstellung von Gegensätzen" entwirft (59), von Gegensätzen, die nicht positiv in einer höheren Einheit wie beim späten Hegel aufgehoben werden, sondern eben negativ in einer wechselseitigen Unterscheidung resultieren. Aber wenn man hierin auch eine Antwort auf das „idealistische Grundproblem" sehen kann, dann ist doch fraglich, ob HöLDERLIN die Sophokles-Anmerkungen zum Anlaß nahm, die idealistische Grundfrage zu entfalten, was DüSING annimmt, wenn er sagt: „Sie folgen der leitenden Frage, wie ein menschliches Bewußtsein von sich und vom Göttlichen möglich ist und Bestand haben kann angesichts der Gegenwart des Göttlichen in ihm" (69). Oder stellt HöLDERLIN hier als Dichter, ausgehend von seiner durch die SoPHOKLEsauseinandersetzung gewonnenen Erkenntnis, wie sich in der griechischen Tragödie das Göttliche offenbart (ohne diese griechische Offenbarung noch einmal auf ihre Möglichkeit hin zu hinterfragen), die geschichtliche Frage nach der hesperischen Kunst. Begreift man HöLDERLINS Theorie der Tragödie als Antwort auf die idealistische Grundfrage, dann muß nicht nur geklärt werden, ob das idealistische „Absolute" vereinbar ist mit HöLDERLINS Rede von dem Gott, der „nichts als Zeit ist" (SM 5. 202), sondern auch, warum HöLDERLIN innerhalb der Bestimmung des Tragischen sogleich die Differenz von hesperischem Gott und Gottesbewußtsein und dem griechischen zur Sprache bringt (vgl. SM 5. 269). Was DüSING deutlich macht, sind die Unterschiede zu Hegels Theorie der Tragödie; z. B. tragisch wird das Individuum bei Hegel nicht, wie bei HöLDERLIN, durch die notwendige Scheidung der unmittelbaren Gottesbegegnung, sondern durch „die jeweilige Einseitigkeit der göttlich sittlichen Macht" (74), mit der sich die handelnden Personen identifizieren. Aber unklar bleibt bei dem idealistischen Ansatz DUSINGS letztlich die geschichtliche Dimension, die HöLDERLIN in den Anmerkungen entfaltet, z. B. auch die Frage, wie HöLDERLIN die Tragik Einzelner anders als Hegel geschichtlich begründet. Wenn es bei DüSING treffend heißt, „die vaterländische Umkehr . . . die Zeitenwende in einem Volk stellt den Grund für die tragische Konfrontation und den tragischen Untergang Einzelner dar" (63), so wird nicht deutlich, wie DüSING dieses Begründungsverhältnis denkt. Ist die Zeitenwende Grund im Sinne von Telos des tragischen Geschehens, oder führt umgekehrt die Zeitenwende „zur Tragik Einzelner" (62)? Auch nach DüSINGS Beitrag bleibt unentschieden, ob HöLDERLINS späte Produktionen geschichtliches Denken oder philosophische Theorie sein wollen. In GERHARD KüRZ' Referat Poetische Logik wird jeweils der erste Teil der Sophokles-Anmerkungen zum Schwerpunkt der Betrachtung gemacht. In bewährter Me-
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thode entschlüsselt KURZ einige schwierige Passagen dieser Anmerkungen, indem er zum einen HöLDERLINS Begrifflichkeit in dessen ideengeschichtlichen Kontext — insbesondere zu SCHILLERS ästhetischen Briefen — einbettet, um von da aus HöLDERLINS Rede vom „poetischen Kalkül", von der „poetischen Logik" und dem „Rhythmus der Vorstellungen" zu erklären, und indem er zum anderen durch den Aufweis einiger Übereinstimmungen zwischen der in den Anmerkungen entwickelten „poetischen Logik" mit der Verfahrungsiveise sowohl die Denkstruktur als auch zentrale Begriffe der von HöLDERLIN hier entworfenen „Konstruktionslogik" aufhellt. Ausgehend von der Interpretation der Anweisung HöLDERLINS aus den Anmerkungen zum Ödipus „Dann hat man . . . wird" (StA 5. 195) weist KURZ die der Verfahrungsweise zugrundeliegende „Reflexionsfigur der Verbindung von Einheit und Differenz" auf und zeigt die Entsprechung folgender Begriffe; der „Inhalt" hier entspricht dem, was in der Verfahrensiveise „Stoff" genannt wird, dem dort nach „Gehalt" und „Eorm" unterschiedenen „Geist" entspricht hier der „lebendige Sinn" und der „Gang" (93). Als „Gang" versteht KURZ die „Form", in der sich der „vestzusetzende lebendige Sinn", der nach HöLDERLIN nicht berechnet werden kann, durch den „allgemeinen Kalkül" konturiert (vgl. 92). Die sonst sehr erhellende Darlegung der Parallelen zur Verfahrungsweise wird allerdings bei diesem Aufweis, daß „Gang" hier die „Form des lebendigen Sinns bezeichnet" (89) verworren. Denn KURZ scheint den „Gang" qua „Form" weiterhin als „Form des Dramas" zu verstehen und diese wiederum mit HöLDERLINS Rede von der „Vernunftform" am Ende der Antigone-Anmerkungen zu identifizieren (90). Doch „Vernunftform" bezeichnet dort nicht ein kalkuliertes formales Prinzip, sondern vielmehr die bestimmte Wirkung einer tragischen Darstellung, im Falle der Antigone die dort tragisch sich bildende „politisch(e) und zwar republikanisch(e) Vernunftform" (StA 5. 272). Vermutlich ist „Gang" in der oben erwähnten Passage nicht mit KURZ auf „lebendiger Sinn" zu beziehen, sondern auf jenen „besonderen Innhalt"; „Gang" bezeichnete dann den „Gang des Schiksaals" (StA 5. 197), die „Succession",in der der besondere Inhalt sich entfaltet, d. h. „schiksaalsweise, von Anfang bis zu Ende gehet" (StA 5. 270). Doch auch wenn hier „Gang" nicht mit „Form" identifiziert werden kann, ist KURZ zuzustimmen, wenn er HöLDERLINS für die Spätphase charakteristische „Insistenz auf der Sicherheit der Form" (93) hervorhebt: „Für HöLDERLIN ist die formale Konzeption und Explikation ästhetischer Verhältnisse bis zu mathematischen und geometrischen Modellen charakteristisch" (93). So behandeln HöLDERLINS Ausführungen zur rhythmischen Gestalt der beiden Dramen, in denen sich ihre „poetische Logik" zeigt, die „Struktur des Trauerspiels" als „rhythmische Gleichung" (99). Inwiefern die von HöLDERLIN hier entworfenen rhythmischen Figuren des Gleichgewichts und der Aufeinanderfolge eine konsequente Ausdeutung des Stoff- und Formtriebs SCHILLERS sind, was KURZ am Ende andeutet, bedarf noch der näheren Erläuterung. L. RYAN versucht in seinem Vortrag Hölderlins Antigone zu zeigen, daß HöLDERLIN in der Antigone-Tragödie die tragische Differenz gedichtet sieht, in der die hesperische Vorstellungsweise insgesamt und somit auch die poetische Sprache
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gründet. Die Antigone-Tragödie ist nach RYAN für HöLDERLIN nicht nur ein griechischer Vorläufer des Hesperischen, sondern sie gilf ihm als „Umbruch in der Geschichfe der Tragödie und somif der Liferatur überhaupt: als Umschlagspunkt in der Entwicklung vom Griechischen zum Hesperischen" (103). Spezifisch griechisch ist für RYAN die „Einfalf", die Einheif von Mensch und Nafur, von Mensch und Gott (vgl. 107), das Aufgehen des Geistes im plastischen Zeichen, kurz gesagt, griechisch ist ihm das Nichttragische oder besser: das Prätragische (vgl. 117, wo RYAN von der „vor-tragischen" Antigone des Aufsatzes Über Religion spricht). Hesperisch ist demgegenüber nach RYAN das Eingedenksein der Differenz von Goff und Mensch, von Ganzem und Zeichen, von Grundton und Kunstcharakter, das Auseinandergebrochensein des einst „als Einheit Angesehenen" (110), worin die größere „Freiheit des Subjekts" (108) gründet, hesperisch ist ferner das Bewußfsein von der Relafivifäf und Wandelbarkeit des Gottesverständnisses (vgl. 108) und damit das Wissen um den „unaufhebbaren Gegensafz . . . von göttlichem Sein und menschlicher Namengebung" (117), m. a. W. hesperisch ist das Tragische, wie dies nach RYAN für HöLDERLIN zum erstenmal im lyrischen Stil der Antigone zur Darstellung kommt. Da der ganze Aufsatz von diesem offenkundig unzureichenden Versfändnis des Griechischen und Hesperischen gefragen ist, denn strenggenommen gäbe es, wenn RYAN Recht hätte, nicht nur keine griechische Tragödie, womit also HöLDERLINS Differenzierung von griechischer und hesperischer Tragödie im Grunde gegensfandslos wäre, sondern überhaupf keine griechische Dichtung, denn nach HöLDERLIN gründet jede Dichtung in der vonRYAN als hesperisch angesehenen Differenz von Grundfon und Kunstcharakfer, erübrigt sich hier ein weiteres Eingehen auf RYANS These, die er versuchf mifhilfe eines aus dem Konfexf völlig herausgerissenen Zitafs aus den Antigone-Anmerkungen zu belegen. RYANS Referaf mach! noch deutlicher als die anderen hiesigen Beiträge zu den Sophokles-Anmerkungen, daß es sich lohnen würde, ein Symposium zu veranstalten, in dem dieser Text genau analysiert wird. B. BöSCHENSTEINS Untersuchung Gott und Mensch in den Chorliedern der Hölderlinschen Antigone konzentriert sich auf HöLDERLINS umdeutende Übersetzung der Chorlieder, um von dort aus in einigen Aspekten HöLDERLINS Anmerkungen zu erhellen. BöSCHENSTEIN zeigt, daß die Chorlieder — was durch HöLDERLINS auslegende Übersetzung noch herausgestrichen wird — widerspiegeln, wie „die Zeit des ,Kunstwerks', der ,Taglauf' [StA 5. 266] . . . vom Tag zur Nachf" (125) sich wendet, vom Tagesgott Zeus, dessen Macht im Eingangslied verherrlicht wird, zum Gott der Nacht, zu Dionysos, dessen Offenbarung als Freudengoff im lefzfen Sfasimon geschiehf, „von Kreon zu Antigone, vom Griechischen zum Hesperischen" (125). Efwas verkürzl gesagf läuff die These BöSCHENSTEINS darauf hinaus, daß der „eigentlichere Zeus", unter dem „wir" nach HöLDERLIN (StA 5. 269) und, als Vorläufer, die Antigone stehen, im Grunde Dionysos ist. Wenn sich dies zwar im Blick z. B. auf die zweife Fassung der Hymne Der Einzige (Vers 52 f) sfützen ließe, so isf doch fraglich, ob die von BöSCHENSTEIN vollzogene Zuordnung Zeus-Kreon-griechisch und Dionysos-Anfigone-hesperisch für
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ein Verständnis der Antigone-Anmerkungen sinnvoll ist. Denn die im Anhalt an die Chorlieder von BöSCHENSTEIN entwickelten Züge des Dionysos als Gott des „Wahnsinns", des „Gesetzlosen", der „unendlichen", „exzentrischen Begeisterung", als Gott des „Revolutionären" (129), der nach ihm mit HöLDERLINS Rede von dem Gott, der „schonungslos als Geist der ewig lebenden ungeschriebenen Wildnis und der Totenwelt" in Zusammenhang zu bringen ist (128), erhellen gerade nicht die von HöLDERLIN in den Anmerkungen herausgestrichenen hesperischen Züge der Antigone. Denn das „vesteste Bleiben vor der wandelnden Zeit" {StA 5. 268) und, daß Antigone „auf dem höchsten Bewußtseyn dem Bewußtseyn ausweicht" (SM 5.267), diese hesperische Haltung der Antigone setzt ja gerade eine Schonung von Seiten des Gottes voraus. So nennt HöLDERLIN, worauf BöSCHENSTEIN nicht eingeht, den Zeus, der Antigones Haltung ermöglicht, „Vater der Zeit oder: Vater der Erde, weil sein Charakter ist, der ewigen Tendenz entgegen, das Streben aus dieser Welt in die andere zu kehren zu einem Streben aus einer andern Welt in diese" (SM 5. 268). Dieser Satz ist schwer vereinbar mit der Meinung, daß der Gott Antigones der Gott des fortreißenden Wahnsinns ist, wie Dionysos in den Chorliedern auftritt. BöSCHENSTEIN ist sich allerdings bewußt, daß er mit der Zuordnung Zeus — „kreontischer" Zeus der festen Satzungen — griechisch und andererseits „mein Zeus" —Dionysos — heiliger Wahnsinn — hesperisch nur „eine Seite, die ,unendliche', ,exzentrische' Seite der von ihm so bezeichneten ,vaterländischen Umkehr'" erklärt (136). Doch fraglich ist: gelangt man mithilfe dieser bewußt einseitigen Interpretationen noch jemals zur anderen Seite, oder weicht man damit gerade der eigentlichen Schwierigkeit der Anmerkungen aus, nämlich der, warum HöLDERLIN für den Gott, unter dem „wir stehen", den griechischen Namen in der Bezeichnung „eigentlicherer Zeus" beibehält, und warum HöLDERLIN umgekehrt auch da, wo er nach BöSCHENSTEIN den „kreontischen Zeus der raumzeitlichen Unverrückbarkeit" (128) meint, den Namen Zeus mit der hesperischen Wendung „Vater der Erde" übersetzt (SM 5. 226). Die verschiedenen Beiträge zu den Antigone-Anmerkungen, vor allem die von G. KURZ und K. DüSING, gehen dadurch, daß sie einzelne Passagen einer detaillierten Erläuterung unterziehen, über die grundlegenden Untersuchungen von K. REINHARDT, W. SCHADEWALDT und W. BINDER hinaus. Leider ist dem Band kein Diskussionsbericht beigefügt, denn dem Leser drängt sich sogleich die Frage auf, ob man sich bei diesen kontroversen Ausgangspositionen einigen konnte auf einen Begriff des Griechischen und Hesperischen, ob man sich einigen konnte, ob die „vaterländische Umkehr" eine Umkehr (des Bildungstriebs) zum Vaterländischen ist, wobei B. ALLEMANN in seinem ebenfalls auf dem Kolloquium gehaltenen, aber im Hölderlin-Jahrbuch 1984—85 gedruckten Vortrag bheb, und dem sich HöLSCHER anzuschließen scheint (333), oder ob er eine Umkehr im Vaterländischen meint, wovon z. B. RYAN (104) und DüSING (62) ausgehen. Fraglich ist schließlich auch, ob man Klarheit über das Verhältnis des Ödipus zur Antigone gewann; sind beide Dramen mit KURZ als „Tragödien von der Geburt der individualisierten, christlichen Welt der Neuzeit, die sich durch notwendige tragische
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Exzesse von Individualität vollzieht" (89) zu verstehen, oder ist im Ödipus vor allem das „Antik-Tragische" gestaltet, während in der Antigone „die ,Einfalt' des Griechentums gleichsam von innen her" (Ryan, 108) aufgesprengt wird? Auf die drei Referate zu den Pindar-Fragmenten Untreue der Weisheit und Die Asyle soll hier nicht näher eingegangen werden, weil dies noch mehr als bisher eine Erörterung philologischer Detailfragen erforderte. So sei hier nur ein Gesamteindruck der kontroversen Referate von M. FRANZ Die Schule und die Welt, C. MENZE Weisheit und Bildung und des hier nur angezeigten Referates von A. SEIFERT Die Asyle gegeben. Sie spiegeln die Unsicherheit diesen schwierigen Textgebilden gegenüber wider, die M. FRANZ ZU Beginn im Rekurs auf eine Wendung HEIDEGGERS zur Sprache bringt: „Was sie sind, ,wissen wir . . . zur Stunde nicht'. Es reden in diesen Texten verschiedene Stimmen in verschiedenen Sprachen. Deshalb gleiten hier die Sachverhalte durch die sprachlichen Perspektiven und syntaktischen Zusammenhänge hindurch, ohne dingfest gemacht werden zu können. Das macht den Reichtum dieser Gebilde aus, dem die Armut des Verständnisses korrespondiert, das ein Ausleger von ihnen haben kann" (139 f). Die Referate über das Fragment Untreue der Weisheit machen den „Reichtum" dieses Textes augenfällig, insofern er zu zwei Deutungen geführt hat, die in gar keinem Punkt zur Übereinstimmung zu bringen sind. Kontrovers bleibt zwischen MENZE und FRANZ nicht nur, was der rätselhafte Titel „Untreue der Weisheit" bedeutet, sondern auch, was mit dem „pontischen Wild" gemeint ist, welche Bedeutung Chiron hat, was „einsame Schule" heißt, und von welcher Art das in dieser Schule vermittelte „reine Wissen" ist, was „Klugheit" und was „Weisheit" heißt, und wie sich schließlich die Jason-Geschichte zum Kommentar verhält. Der dunkle „Reichtum" dieses Fragments scheint an einigen Stellen die beiden Ausleger dazu zu verleiten, die Texte als Raum für alle beliebigen Assoziationen zu betrachten; das gilt für MENZES Ausführungen über Bildung im „neuzeitlichen Sinn" (168), das gilt aber vor allem für die Methode von FRANZ, der stets Wendungen aus dem Text herausreißt, um sie als „Stichpunkte" für seine mehr oder weniger abgelegenen Assoziationen zu benutzen, die dann doch „dingfest" gemacht werden und hinterher als Argumente für seine zugestandenerweise vorgefaßte Meinung zum Text dienen. Für ein Verständnis des Fragments ist damit nicht viel gewonnen. Insofern fällt vor allem der Beitrag von FRANZ hinter die Leistung FINKS zurück. Freilich kann man, was A. SEIFERT zurecht betont, nicht bei FINKS immanenter Interpretation bleiben, es güt, aufbauend auf den Einzehnterpretationen der Fragmente, deren Zusammenhang zu heben und sie werkgeschichtlich zu verankern. Die von SEIFERT hier nur angedeutete „idealtypische Ortsbestimmung ,Jenseits der Tragödie'" (177) ist vielversprechend, denn zweifellos sprechen die Fragmente „aus und immer wieder von jenem Zustand der Beruhigung und reinlichen Trennung der Sphären, der, nach dem Brief an Schütz und nach den Anmerkungen, das Ergebnis des tragischen Prozesses ist" (177). Wenn SEIFERT auch nur einen Teil des hier Versprochenen ausgeführt hat, ist es sehr bedauerlich, daß gerade dieser Beitrag aus Raumgründen nicht in den Band aufgenommen werden konnte.
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In dem Vortrag Hölderlins allegorische Ausdrucksform, untersucht an der Hymne „An die Madonna" versucht RENATE BöSCHENSTEIN ZU zeigen, wie zentral HöLDERLINS allegorische Ausdrucksformen, insbesondere die Typologie, die Personifikation und die Begriffsallegorie für seine Hymnische Dichtung sind. Als allegorisch versteht sie „das Sprechen in zwei analogen Zeichenordnungen, von denen die eine Bildcharakter hat, wobei sowohl die Differenz der Ordnungen im Text deutlich markiert ist, als auch eine Arbeit des Bewußtseins bei der Aufdeckung der Bezüge explizit oder implizit gefordert wird" (182 f). Anders als die barocke Form der Allegorie, in der der Begriff in seinem veranschaulichenden Bilde aufgeht und das Bild nicht über den Begriff hinausweist, läßt die allegorische Ausdrucksform, die sie bei HöLDERLIN findet, dem „Ungesagten" Raum, ja die allegorische Ausdrucksform scheint die Weise zu sein, in der HöLDERLIN das Unsagbare im allegorischen Sprechen und durch die Thematisierung dieses Sprechens ungesagt sein läßt. Die Bild- und die Begriffsebene dürfen nicht, was sie an der Ode Saturn und Juppiter oder Natur und Kunst zeigt, „als Zeichen- und Bedeutungsebene bestimmt werden. Sie bilden vielmehr zwei parallele Zeichenebenen, die sich intentional richten auf eine dritte Ebene, auf der sich undeutlich das von beiden Zeichenkategorien gemeinte Phänomen abzeichnet — umso undeutlicher, je komplexer es ist" (185). Mit diesem erweiterten Begriff des allegorischen Sprechens, der die im Prozeß des Dichtens geschehende Annäherung an ein wesentlich unsagbares gemeintes Phänomen umfaßt, gelangt R. BöSCHENSTEIN zwar nicht zu sicheren Interpretationen zentraler Wendungen wie „Nichts ists, das Böse. Das soll/ Wie der Adler den Raub/Mir Eines begreifen" {StA 2. 213, 84), aber es gelingt ihr, Aufbau und Gang dieser Hymne durchsichtig zu machen und die Verflechtung von Verstummen und Deuten, die das Gedicht selbst zur Sprache bringt, zu entschlüsseln. Am Ende gründet das auf die Differenz von Subjekt und Phänomen angelegte allegorische Sprechen in dem zu Dichtenden selbst: „Die Räthsel. . . die glänzenden", diese Gabe der Madonna „brauchen im Gegensatz zur Gestalt", der Seinsweise der griechischen Gottheiten, wie sie HöLDERLIN nicht zuletzt durch Diotima fast verstummend erfuhr, „die Arbeit des Auslegers, so daß die dichterische Rede zur göttlichen Pflicht wird, namentlich in dem Augenblick, wo die Zeichen des Göttlichen nicht mehr von jedermann erkannt werden" (208). REINHARD ZBIKOWSKI nähert sich in seinem Vortrag Und der Fürst einem späten Thema HöLDERLINS, dessen Bedeutung in der Widmung der Sophokles-Übersetzungen, wo es heißt „Sonst will ich . . . die Eltern unserer Fürsten und ihre Size und die Engel des heiligen Vaterlands singen" {StA 5. 119), offenkundig wird. Angesichts dieser zentralen Stellung, die „den Fürsten" innerhalb dessen, was sich als „vaterländische Dichtung" bezeichnen läßt, zukommt, sind die bisherigen Ausführungen zu dem Thema „Fürst" nicht sehr aufschlußreich: man kann sich nicht mit der Erklärung begnügen, nach der der Fürst „der Vorderste, der Beginnende" {StA 2. 763, 33) ist, und die unmittelbare Identifikation des Fürsten, insbesondere in dem Hymnenentwurf Dem Fürsten, mit dem württembergischen Kurfürsten FRIEDRICH II., wie sie z. B. KIRCHNER vornimmt, stößt ebenfalls auf berechtigte
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Zweifel. In dieser Lage ist es sehr zu begrüßen, daß und wie sich ZBIKOWSKI diesem Thema mithilfe des von BEISSNER „Einst hab ich die Muse gefragt" überschriebenen Entwurfs annähert. Hierfür muß ZBIKOWSKI hinter die strophische Gliederung BEISSNERS, in der die zentrale Stellung des „Fürsten" kaum mehr sichtbar ist, zurückgehen und auf das Homburger Folioheft (F 45 / 46) zurückgreifen, in dem 4 Entwurfssegmente zu erkennen sind. ZBIKOWSKIS Methode, durch „Analyse der einzelnen Entwurfssegmente . . . und ihres lexikalischen sowie semantischen Bezugssystems" (212) zunächst den Kontext zu erschließen, in dem die kryptische, von BEISSNER wohl fälschlich auf Herkules bezogene Wendung „Und der Fürst" auftaucht, erweist sich als fruchtbar, um einen Einblick in die Komplexität des „Fürstlichen" zu gewinnen. ZBIKOWSKI zeigt, daß HöLDERLIN auf „der Grundlage myfhischer, biblisch-heilsgeschichtlicher und visionär-eschatologischer Elemente" (Segm. IV); {StA2. 220, 8—17) eine eigene ontologisch-teleologische Weitsicht" skizziert, „die im Zusammenwirken mit der Deutung zeitgeschichtlicher" (Segm. I); (StA 2. 220, 1—8) „und poetologischer" (Segm. III); (StA 2. 221, 26—35) „Prozesse ein Kraftfeld erzeugt, aus dem der das Segment II" (StA 2. 220, 19—25) „beherrschende ,Fürst' hervorgeht" (225 f). Nicht nur der „Fürst" dieses Entwurfkomplexes, sondern auch der, dem die pindarisch angelegte Hymne Dem Fürsten gilt, und der dort „Mein Churfürst!" angerufen wird, gehört, wie ZBIKOWSKY mithilfe anderer Zitate aus dem Umkreis des Themas und eingehender Berücksichtigung der realpolitischen Bezüge des Entwurfs deutlich macht, „in den Kreis jener noch Rühmloser, von denen es in der zweiten, vermutlich gegen Ende des Jahres 1803 geschriebenen Fassung zu Der Einzige heißt, daß sie ,an den Tag/Jezt erst recht kommen', deren ,Geschik' aber ,auch' den Gott in gegenwärtiger Zeit ,hält'; HöLDERLIN nennt sie daher ,väterliche Fürsten'" (231). Das „an den Tag"-Bringen solcher „väterlichen Fürsten" ist, so entwickelt ZBIKOWSKI mit einer einleuchtenden Interpretation einer späten Variante von Brod und Wein, die spezifische Aufgabe des vaterländischen Dichters, der dann ein „Verständiger . . . ein Fürstlicherer" zu nennen wäre (236). Die Wendung „Mein Churfürst" ist mithin nicht als Bekenntnis zu FRIEDRICH II. zu verstehen, sondern im Gegenteil: hier spricht nach ZBIKOWSKI der Dichter, und der Kurfürst des Dichters ist — in Analogie zu dem ins Hesperische übergehenden Zeus der Antigone („Mein Zeus") — die „Übergangsfigur . . ., die die ,poetische Ansicht der Geschichte'", die darauf geht, die „Feindseeligkeitsrechte" der Zeit in der Gestalt eines neuzeitlichen Fürsten zu versöhnen, „erst noch hervorbringen muß" (251). Bei aller Fragwürdigkeit einiger zeitgeschichtlicher Bezüge, die ZBIKOWSKI aufdeckt, z. B. daß er das „Jaunerloch gebildeter Herren" (F 70; 241), die „undichtrischen Reden" und das „Nachtmahl" (F 57) auf die konspirativen Gespräche im Römischen Kaiser bezieht, ist es ein großes Verdienst, bei voller Berücksichtigung des realpolitischen Kontexts den antizipatorischen Charakter dieser Dichtungen herauszustreichen und nicht, etwa wie KIRCHNER, die Entwürfe als Reaktionen auf zeitgeschichtliche Geschehnisse festzuschreiben und, wo dies nicht funktioniert, die Krankheit zu bemühen.
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Wie der Untertitel des Vortrags von CYRUS HAMLIN, „Stimmen des Geschiks": The Hermeneutics of Unreadibility, schon anzeigt, versucht HAMLIN keine Auslegung des nach ihm vermutlich in die zweite Homburger Zeit fallenden Hymnenentwurfs Griechenland vorzulegen, sondern er stellt hier die Auslegbarkeit der späten hymnischen Entwürfe insgesamt am Beispiel von Griechenland in Frage und kommt zu dem Ergebnis „that we simply do not know what to make of such crypto-writing. Any Claims to the contrary strike me as misguided or premature" (253). Daß die bisherigen philologischen, psychologischen und hermeneutischen Versuche, einen Zugang zu dieser Hymne zu gewinnen, verfehlt waren, will HAMLIN durch seine Kritik an SATTLERS „Rekonstruktion des Gesanges" (254 ff), an KUZDUS' Interpretation der dritten Fassung (257 f) und HEIDEGGERS Auslegung sowie deren Kritik in ADORNOS „Parataxis" demonstrieren (259 ff). Sie genügen alle nicht den „needs of a critical understanding" (263) und täuschen vor allem über den wesentlich fragmentarischen Charakter der späten Dichtung HöLDERLINS hinweg. Anschließend an RENATE BöSCHENSTEIN und ADöRNOS Theorie der Zeichensprache HöLDERLINS gibt HAMLIN anhand eines bewußt vereinfachenden Extrakts der ersten 12 Zeilen des Entwurfs Griechenland einen Wink, wie die Sprache des späten HöLDERLIN ZU verstehen ist: „the poem becomes an imitatio or repetitio as a construct of signs for the signs of the world to which it bears witness. More crucially . . . the poem becomes the place in language where the various signs in nature are made manifest and are articulated together as signs" (267). Diese Zeichensprache sprengt nach HAMLIN die Grundbegriffe der traditionellen ästhetischen Theorie, sowohl den der Repräsentation wie auch den der Mitteilung; die hermeneutische Funktion der Sprache insgesamt wird hier ersetzt durch „a form of repetitive or serial semiosis. The signs of the text are content to name the signs of nature as event, leaving all questions of Interpretation and meaning wide open" (273). Insofern bleibt für HAMLIN nicht nur im engen Sinne das Manuskript des Griechenlandentwurfs, sondern dieses Gedicht überhaupt als Gebilde autonomer, unbestimmbarer Zeichen „unreadable"; jeder Versuch, einen Sinn des Ganzen in einer verbindlichen Auslegung zu konstruieren, muß an dem notwendig fragmentarischen Charakter dieses Textes zerbrechen. HAMLINS Vortrag macht deutlich, daß der Umgang mit dem späten HöLDERLIN auch zu einer Rückbesinnung auf die Zugangs weise zu den einschlägigen Texten führen muß. Die von ihm entwickelte Auffassung der Zeichensprache HöLDERLINS wirft zwar ein Licht auf einen Aspekt von HöLDERLINS Sprache, aber sie kann nicht eine solche Erschließungskraft und Gültigkeit beanspruchen, daß durch sie jeder hermeneutische Zugang von vorneherein ausgeschlossen wird. Es wäre auch angesichts der von ihm etwas zu sehr beschworenen „Orakelhaftigkeit" der Sprache HöLDERLINS (275) m. E. sinnvoller, mehrere Zugangsweisen als legitime, aber notwendig beschränkte Auslegungen der wesentlich vieldeutigen Texte gelten zu lassen, kann doch jede Auslegung eine Nuance ins Licht setzen. Daß man sich angesichts der im Umkreis des zweiten Homburger Aufenthalts entstandenen Texte HöLDERLINS zunächst mit so einer Vielfalt von Interpretationsversuchen, die alle einen Aspekt in diesem Werk sichtbar machen, begnügen
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muß, dokumentiert der vorliegende Band. Er wirft von den verschiedensten Standpunkten aus ein Licht auf diese dunkle Schaffensperiode und gibt dadurch mehrere Anstöße zu der noch ausstehenden Aufgabe „HöLDERLINS Weg in seinen letzten Jahren sichtbar zu machen" (50). Iris Buchheim (München)
Philosophie und Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag. Hrsg, von Annemarie Gethmann-Siefert. 2 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt: FrommannHolzboog 1988. Bd 1: XIII, 452 S.; Bd 2: 374 S. (Spekulation und Erfahrung, Abt. 2, Bd 7 u. 8.) December 12, 1988 marked the sixtieth birthday of Professor OTTO PöGGELER, and to commemorate fhe occasion a massive 2-volume Festschrift appeared under the title Philosophie und Poesie, edited by ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT. PöGGELER is certainly one of the most prolific and important scholars working in Germany today, and the 36 essays contained in these two volumes are a worthy testament to the impact his career has had on scholars from many different countries. As the editor of Philosophie und Poesie so aptly puts it, this collection of essays should be seen as a reflection of PöGGELER'S work to date, „both in the questions they pose and in how they are carried out" (vü). It is the diversity of approaches and questions reflected in these essays, itself a reflection of the breadth and depth of the many philosophical issues PöGGELER has addressed in his career, that makes these volumes so stimulating to read. The 36 essays are organized into four sections, with Sections I and II appearing in Volume I while Section III and IV fill Volume II. Section I, entitled „Funktion und Gestalt der Philosophie", contains seven papers including a lead-off essay by HANS-GEöRG GADAMER on Deconstruction and Hermeneutics. To again quote the editor, „As in many of PöGGELER'S essays, the papers in Part I . . . are concerned with the possibility of philosophizing about the uncovering of historical bonds of human knowing through hermeneutical philosophy" (vü). Section II is entitled „Ästhetik und Politik im Deutschen Idealismus", and contains 14 essays on many different facets of and approaches to German Idealism. Given the context for this review, I will concentrate most of my comments on this section. Section III, entitled „Zur Einheit von Denken und Dichten bei MARTIN HEIDEGGER", contains 15 essays devoted to various aspects of HEIDEGGER'S thought or to issues which that thought has stimulated. Finally Section IV „PhUospohische Dimension der Poesie" contains six essays concerned with a philosophical approach to poetry and art.
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In her Preface, the Editor has undertaken to show that the underlying rationale for this Collection of essays arranged in this way is derived from a significant thread underlying PöGGELERS work; a concern with „the question of historical truth, of reason in history, or rather of the historicality of Dasein as the historicality of Reason" (vii). In the case of Section II, this problematic is guided by the proximity of German Idealism in general and Hegel's thought in particular to art and politics. At the same time, however, the sheer diversity of subjects and approaches shows how rieh this connection is. Several of these essays are concerned with how the proximity of art to philosophy in various figures of German Idealism allows aspects of this problematic to emerge. Specifically, C. MENZE discusses art and Bildung in VON HUMBOLDT, K. DüSING discusses SCHELLING'S aesthetics of genius, X. TILLIETTE treats HöLDERLIN S notion of intellectual intuition, and V. VERRA explores the notions of tragic and artistic irony. The remaining ten essays in this section concentrate more on various aspects of or approaches to HegeTs thought. Some of them do this by elaborating on various Hegelian themes or controversies; M. PETRY presents an interesting treatment of the problem of master and servitude as a transitional theme, while H. SCHNEIDER does the same sort of thing with the death of Achilles. J. D'HONDT and J. GAREWICZ, on the other hand, base their discussions on several fundamental ontological questions while L. SIEP explicitly treats the political dimension and W. BONSIEPEN explores HegeTs Philosophy of Nature as a link between ancient and modern Physics. The remaining essays present somewhat more approach-oriented rather than issue-oriented discussions of HegeTs thought. F. NICOLIN, for example, addresses the question of the beginnings of the unity of the religious and the political in HegeTs thought by examining his final Tübingen sermon. For his part, N. TERTULIAN approaches the problem of the unity of HegeTs philosophy and a possible revival of its aesthetic foundations from the standpoint of a Marxist-oriented critique, one which is based on LUKäCS' aesthetic writings. The last two essays in this section are remarkable because of the somewhat unorthodox approaches to HegeTs thought that they discuss. The first of these, by H. KIMMERLE, treats DERRIDA'S remarkable deconstructionist Auseinandersetzung with Hegel as a basis for coming to terms with the unity of systematic philosophy proposed by Hegel. As KIMMERLE points out, this reading of Hegel probably demands more attention from DERRIDA than his reading of any other philosophical figure, and KIMMERLES essay points out some of the more provocative aspects of that reading. The final essay, by O. SöZER, takes up PAUL DE MAN'S reading of Hegel, especially as it was formulated by DE MAN in his 1982 essay Sign and Symbol in Hegel’s Aesthetics. SöZER'S claim is that DE MAN'S reading ultimately fails because of its inability to preserve a connection between „Construction" and „Deconstruction" on the one hand and thinking on the other. As I mentioned at the outset, the two volumes of Philosophie und Poesie are remarkable for the scope and diversity of the essays they contain. Hopefully the
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brief synopsis of Section II given above is an indication of that diversity, which is equally present in the other three sections. Taken as a whole, Philosophie und Poesie is an exceptional collection of essays, and as such it is a fitting testimonial to the distinguished career of OTTO PöGGELER. Richard Taft (Chicago)
Heinz-Jürgen Görtz: Tod und Erfahrung. Rosenzweigs „erfahrende Philosophie" und Hegels „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins". (Themen und Thesen der Theologie). Düsseldorf 1984. 578 S. Stephane Moses: System und Offenbarung. Die Philosophie Franz Rosenzweigs. Mit einem Vorwort von Emmanuel Levinas aus dem Französischen von Rainer Rochlitz. München 1985. 242 S. (Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt. Bd 11. Hrsg. v. R. Grathoff und B. Waldenfels.) Im folgenden sind zwei Werke über FRANZ ROSENZWEIG anzuzeigen. Sie handeln von dem Grenzgang eines deutschen Juden auf der Schneide zwischen der von ihm wesentlich erst wiedergewonnenen religiösen Tradition aus dem Jahrtausende alten Glauben seiner Väter einerseits und andererseits den Konzeptionen deutscher Philosophie und Geistesgeschichte (mit Schwerpunkten bei Hegel und GOETHE). Heute übt ROSENZWEIG vor dem Forum einer internationalen Auseinandersetzung mit seinem Werk wie kaum ein zweiter Denker dieses Jahrhunderts als die unbestrittene Inspirationsquelle einer unter den christlichen Völkern verstreuten Judenheit schwerlich geringeren Einfluß aus als jene politischen und kulturellen Entwürfe THEODOR HERZLS, dessen zionistische Vision ROSENZWEIG allerdings zutiefst widerständig und — wie vor allem MOSES nicht vergißt (vgl. dort 162 f) — in letzter Instanz stets ein Ärgernis innerhalb seines eigenen Weges bleiben sollte. Wer diese erstaunliche Wirkung ROSENZWEIGS und vor allem deren gegenwärtig im Steigen begriffene Resonanz mehr als vierzig Jahre nach Ende des letzten Krieges aus den Gründen und Motiven einer heutigen Interessenlage einzusehen wünscht, findet ausgezeichneten Aufschluß in dem Sammelband eines vor weniger Zeit erst absolvierten Symposiums über ROSENZWEIGS Philosophie, in dem er vor allem Diskussionen über die zentrale Problematik vorfindet, deren Aufklärung zu der jeweiligen Zielsetzung der im folgenden vorzustellenden Werke gehört. (Vgl. The Philosophy of Franz Rosenzweig. Edited by Paul Mendes-Flohr, Hanover and London, 1988. 260 S.; ferner: Der Philosoph Franz Rosenzweig. Internationaler Kongress — Kassel 1986. 2 Bde. Hrsg, von Wolfdietrich SchmiedKowarzik. München 1988.)
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Es ist in der Tat die entscheidende Frage, von der ROSENZWEIGS Denken auch nach Abfassung des Stern der Erlösung mitnichten ohne letzte Zweifel an der Unanfechtbarkeit seiner größten geistigen Lebenswendung losgekommen sein dürfte und die er als eine solche objektiv offene Frage seinen Anhängern und Exegeten bei seinem verhältnismäßig frühen Tode fast wie einen unüberwindlichen Stachel hinterließ. Es handelt sich um ROSENZWEIGS programmatische Abkehr bzw. seine überaus komplexe Auseinandersetzung mit einem von den Denkern des Deutschen Idealismus konzipierten Entwurf der modernen Existenz des Menschen, wie dieser von Hegel aus dem Geist der epistemischen Tradition Griechenlands vorgezeichnet worden war. In dieser erkannte ROSENZWEIG beispielsweise das Denken eines Hegel programmatisch eingebunden. Gerade die um 1800 im vielfältigen Um- und Aufbruch gewonnenen Perspektiven eines Grundrisses der inneren Wesensgestalt der modernen Welt erschienen ROSENZWEIG gleichsam wie unabwendbar und endgültig einer Hegel oder GOETHE erteilten Vollmacht zur Wesensprägung unterstellt. Dieser dergestalt anerkannten geistigen Vormacht überließ ROSENZWEIG erklärtermaßen, aber nicht resignierend die — ihm als solche unanfechtbar dünkende — Vorherrschaft in der Moderne als jüngster Epoche einer von Hegel definierten und in Kraft gesetzten Verständigung über den wirklichen Gang der Weltgeschichte. Sein eigener Weg hin zu dem Herz oder wieder lebendig gewordenen Ursprungsquell des Glaubens seiner Väter, auf den er sich durch ein religiöses Erweckungserlebnis verwiesen wußte, bestimmte ihn zum Führer der nun erst wieder zu stiftenden geistigen Einheit des Volkes Israel (jedoch in schwärendem Streit mit der zeitgenössischen Idee zionistischer Landnahme in Palästina), dessen künftige geschichtliche Existenz ROSENZWEIG nicht länger in jener Weltgeschichte aus Hegels Konzeption eingefriedet vorzustellen vermochte. Konsequent hoffte er dieselbe in einem bisher unerschlossenen und von der modernen Judenheit vorerst noch unerwogenen bzw. gar verfehlten anderen geschichtlichen Dimension zu finden. Dieses angedeutete extrem komplizierte und unter hohem geistigen Einsatz verteidigte Verhältnis ROSENZWEIGS gegen die europäische Überlieferung insbesondere in seiner harten Kritik Hegels gewinnt freilich eine besondere Relevanz auch jenseits einer spezialistischen RosENZWEiG-Forschung. Denn ROSENZWEIG ariviert selber bekanntlich durch verschiedene Publikationen zu einem der bedeutendsten Interpreten des Hegelschen Denkens in diesem Jahrhundert. Just seine einschlägigen Forschungsanstrengungen, deren bekannteste der — wie es scheint aus der eigentlichen Intention des Urhebers heraus nicht in evidentem und endlich einmal allseits hinreichendem Konsens entscheidungsfähige — Streit um das sog. „älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus" sein dürfte, haben ganz wesentlich zu einer vertieften Würdigung etwa der Entwürfe FICHTES, SCHELLiNGS und Hegels als heute noch relevante Entwicklungsschritte beigetragen, welche für die geistige Orientierung der Gegenwart von aktuellem Belang seien. Aber im Unterschied zu JASPERS oder HEIDEGGER, neben die er heute in gleichem Range gestellt wird, hatte ROSENZWEIG nach glänzender Promotion über Hegel bei
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in Berlin nicht zuletzt darum auf die Aussicht einer akademischen Karriere und damit breiterer Publizität verzichtet, weil er nach dem Kriegsschluß 1918 durch ein eher zurückgezogenes geistiges und geistliches Wirken den Aufbau einer spezifischen Gesinnungsgemeinschaft jüdischer Menschen aus ganz neu inspirierter religiöser Motivationslage zu fördern beschlossen haffe. Mif dieser durchaus privafen Entscheidung war nach ROSENZWEIG allerdings ein tiefgehender Entschluß verbunden. Seine Verweigerung einer ferneren Teilnahme an der zivilisatorischen Welfgeschichte, deren Wesensbild für ROSENZWEIG einzig Hegel angemessen formuliert habe und deren heillose Konsequenzen ihm die schreckensvollen Erlebnisse des Weltkrieges enthüllt hatten, war hiermit hinausgekommen über eine bloße Absage an die von den deutschen Juden seit MOSES MENDELSSOHN erstrebte Emanzipation durch Assimilation der spezifischen Existenzform aus jüdischer Glaubenshalfung in die Bildung und sitfliche Lebensform der christlichen Völker, unter die das Volk Israel seit Zerstörung des Tempels versprengt worden war. In dieser Verweigerung erblickte ROSENZWEIG eine inskünftig in Geltung gelangende und anzueignende (gleichsam religiös vorbestimmte und prophetisch vorweggenommene) Auftrennung und Unterscheidung des jeweiligen geschichtlichen Existenzbewußtseins. Während die christlichen Völker in eine (vermeintliche) eschatologisierende Einalität ihrer heilsgeschichtlichen gedeuteten Welt- und Menschheitsentwicklung eingepaßt bleiben und ihnen auch die Herrschaft über die Epoche zufallen mag, sei dem Volke Israel eine grundlegend davon abgelöste zeitliche Wanderschaft jenseits, d. h. neben dieser „Weltgeschichte" Vorbehalten. Dieser Ansatz, den ROSENZWEIG mit der ihm zu Gebote stehenden werbenden BCraft seinen Glaubensgenossen einleuchtend zu machen suchte, indem er den eigentlich entscheidenden Schritt zu den verschütteten religiösen und geistlichen Quellen des Judentums hinauf bis in die älfesfen Tage jenes so stark von der Geschichtszeit getragenen Volkes zu vollziehen aufgibt, führte nach seiner Überzeugung zur endlichen Loslösung und Freisetzung des jüdischen Geistes. Indem dieser die wie eine Schutthalde über ihn geworfene entfremdende Bildungsgeschichte desjenigen Volkes jeweils durchstößt, in dessen Schicksalsgemeinschaft Israel verstoßen ward, geschehe schließlich auch die Befreiung aus der Vormacht der Logos-Philosophie, deren neuzeitlicher Kulminationspunkt in Hegel erreicht sei, dessen Denken die äußersten Konsequenzen der griechischen Metaphysik zur Geltung bringe. Die in eleatischen Gedanken eines zeitentrückten Seins wurzelnde griechische Episteme liege nicht nur der neuzeitlichen Idee der Wissenschaft zu Grunde, deren planetarische Herrschaft für ROSENZWEIG zum eigenfümlichen Pathos der Moderne gehört. Vor allem habe die griechische Metaphysik ein Bewußtsein der (geschichtlichen) Zeitgestalt als einziges Maß von unanzweifelbarer epistemischer Gültigkeit etabliert, das der von ROSENZWEIG ausgezeichneten spezifisch jüdischen Gotteserfahrung ganz und gar wesensfremd sei und das anfänglich aus dem messianischen Geisfe des Judentums herstammende Christentum in die Idee einer linearen geschichtlichen Zeitform des Weltprozesses gedrängt habe. Indem der FRIEDRICH MEINECKE
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Rückgang in den Grund der von ROSENZWEIG gewiesenen Erfahrung der Geschichtszeit aus dem unentfremdeten Geiste des Judentums entschlossen angebahnt werde, könne das moderne Bewußtsein einer jüdischen Religiosität die bislang niedergehaltene Gotteserfahrung in sich freisetzen und so in exemplarische Weise die bindende Gewalt der überwundenen geschichtlichen Selbstdeutung, wie sie Hegel auf dem Boden der Logos-Philosophie gleichsam wie ein Verhängnis der Moderne formuliert habe, zur immerhin partiellen Freigabe der geschichtlichen Existenz, wie sie von ROSENZWEIG verstanden wird, zwingen. ROSENZWEIGS Denken entwirft mithin eine religiöse Entscheidung, die in der Umkehrung eines geschichtlichen Existierens mit der Erwartung des noch unenthüllten Gottes gipfelt, welcher im Gegensatz zur christlichen Heilsgeschichte nicht am Ende aller Tage ein jüngstes Gericht über den Menschen verhängt, sondern der so sehr selber die Zeit ist, daß er jeweils unvorhergesehen sich als der Grund einer zeitlichen Existenz zu enthüllen vermag, welche im Kairos der Gottesbegegnung Anfang und Ende einer fälschlich (in der griechischen Metaphysik) verewigten Zeitenfolge wie mit einem Schlage erfährt. 1. Die Bücher von MOSES und GöRTZ repräsentieren exemplarisch das soeben umrissene Spannungsverhältnis von ROSENZWEIG zum Erbe des spekulativen Idealismus. Denn neben dem — heute auch im Anschluß an HEIDEGGER von DERRIDA oder LEVINAS immer wieder ins Spiel gebrachten ^ Bemühen um eine Abkehr aus dem metaphysischen Ansatz einer Logos-Philosophie, deren gültige Überwindung etwa LEVINAS in ROSENZWEIGS Kritik insbesondere Hegels schon geleistet glaubt, birgt ROSENZWEIGS Denken tatsächlich noch eine andere Spur authentischer religiöser Erfahrung. Die von GöRTZ hier in weiträumiger Perspektive seines konkreten Vorgehens verfolgte Intention kommt aus dem spürbaren Interesse christlicher Theologie, daß ROSENZWEIGS Rede von Gott als ein Weg möglicher authentischer Gotteserfahrung in unserer Zeit erwogen zu werden von sich her verlange, dessen immerhin gedenkbare Legitimität einer Stellungnahme bedürfe. Denn bei ROSENZWEIG geschehe jene Abkehr von einem durch die aristofelische Mefaphysik geprägten Gottesbegriff anhand aufhenfischer Überlieferung des Gotteswortes aus dem „Alten Bunde", den nach christlicher Deutung der „Neue Bund", dessen geistige, dem religiösen Bewußtsein schlechthin inwendige Mitte Kreuzestod und Auferstehung des Gottessohnes bilden, mitnichten in trivialem Tausch gegen die Offenbarung dahingeben könne, insofern in ihm die prophetische Rede Jesu ihren Grund und Ursprung des Sinnes der Verkündigung selber anzeigte. Auch das Alte Testament, aus dem die Religion JESU freizukommen suche, stifte durch den substantiellen Bezug zur Gotteslehre der Thora einen von der christlichen Exegese beobachteten Zusammenhang eines Verstehens, den bloß antiquierte kontroverstheologische Konfrontationen früherer Zeiten und überholter theologischer Fragestellungen vergangener Epochen voreilig ausschlossen. Auf der anderen Seife — das ist GöRTZ' Zielsetzung — gilt es vor allem theologisch einzusehen, daß jenes in den Mittelpunkt gerückte Begriffsverständnis ei-
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ner religiösen „Erfahrung" bei ROSENZWEIG, das die Verbindlichkeit eines im Logos gebundenen beweisenden Denkens übertreffe, tatsächlich einer inständig reflektierten Auseinandersetzung mit Hegels Begriff einer geschichtlichen Selbsterfahrung des Geistes und dem durch ihn vollbrachten Weltprozeß schrittweise abgerungen worden sei. Im Ansatz der Hegelschen Philosophie, den die philosophische Diskussion — wiewohl streitend — als eine Quintessenz rationaler Vernunfterkenntnis erörtert, sei ein äußerstes Kriterium von deren Reflektiertheit gewonnen, aus dem auch die Theologie Rat schöpfen dürfe. Denn die hier gesuchte Begriffsform der Moderne ist nicht einer flachen Aufklärung erlegen, sondern hat bei Hegel gegen diese als einer kahlen Verneinung substantieller geschichtlicher Gegründetheit, wider eine bloße Verneinung des Gewordenseins in einer vorsätzlichen Bodenlosigkeit, einen bislang konzeptuell schwerlich übertroffenen Gegenhalt zu entdecken. ln der Tat: Hegels hermeneutische Vertiefung in das geschichtliche Bildungsgeschehen des Geistes intentioniert den durchaus behaupteten und beförderten Vernunftfortschritt nicht ohne kritische Reflexion auf dessen Zweck und letztes Absehen, worin der Mensch nicht über sich hinaus, sondern in sein sittliches Dasein und geistiges Wesen finden solle. Wiewohl hier die „Aufhebung" der Religion vertreten wird, findet das theologische Interesse darin nicht seine bare Verneinung und Athetierung durch einen Atheismus, der sich nicht auf die anfhropologische Subsfanz einläßt, die mit der Religion zu tilgen er sich befugt glaubt. ROSENZWEIGS Auseinandersetzung mit diesem Denken, das also selbst als Kritik der authentischen Rede von Gott einen Maßstab der Prüfung und Entscheidung entgegenhält und sie nicht in verblendetem Vorurteil verwirft, sondern den Gottesglauben nicht weniger als eine Erneuerung aus dem Grunde des modernen Denkens offenhält, muß erst recht vordringlich eine Aufmerksamkeit christlicher Theologie auf sich ziehen. Denn in solchem Streit von Vernunft und Glauben bietet eine unüberwunden scheinende Rede von Gott einen sonst bei sich selbst vermißten Ansatz eigener Vertiefung und Selbstdeutung. So zieht ROSENZWEIGS durch die Philosophie scheinbar hindurchgekommene Rede von Gott verständlicherweise ein theologisches Bemühen an, das in Verfolgung eines von HEIDEGGER zeifweilig offen gelassenen Einverständnisses mit BULTMANN zuletzt vergeblich in verschiedenen Versuchen einer Erschließung von HEIDEGGERS späten Entwürfen das offenkundige Scheitern seiner Hoffnung hinnehmen mußte. Gescheitert war der Versuch, aus HEIDEGGERS Destruktion der Metaphysik eine neue Auslegung der Rede von Gott zu entwickeln, deren Bevorwortung HEIDEGGER von seinem denkerischen Tun letztlich als etwas Ungemäßes und nicht Gebührendes abweisen mußte. Schließlich hat aber gerade ROSENZWEIG im Zuge seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Selbstaufhebung des spekulativen Idealismus in SCHELLINGS spätem Denken bei seinem Unternehmen einer revidierten Bestimmung der Wesensbeziehung des menschlichen und göttlichen Geistes noch an eine besondere Weise elementarer Gotteserfahrung und -erscheinung konkref erinnert, durch die
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einst die von der Metaphysik überschattete Theologie der griechischen Patristik positiv relativiert werden könnte. ROSENZWEIGS Entwurf scheint die in der griechischen Metaphysik als fraglos zugrunde liegende Orienfierung am Eidos, d. h. der Ausrichtung aller Erkenntnis der Wahrheit am Sehen als der innegehaltenen Distanz zum gesichteten Objekt eines Erkennens wie aus einem Banne zu erlösen. Kaum weniger intensiv als DERRIDA im Ausgang von HEIDEGGERS Destruktion der metaphysischen Begriffsbildung das innerlich vernommene „Wort" und die „Schrift" gegen die „Theoria" des „Nous" zu verteidigen sich bemüht, scheint ROSENZWEIG manchen weiter vorangekommen zu sein. Mochte HEIDEGGER die Vollmacht des „andersanfänglichen" Denkens zur Gründung der Gegenwarf Gotfes im „Wort" abwehren, so verwies ROSENZWEIG aus einer den Sinn der Gotteserfahrung verdeutenden Sprache von Anfang an nicht in einen vorerst ungeschehenen „anderen Anfang", den es zu „erschweigen" gelte. Vielmehr führte ROSENZWEIG — den christlichen Theologen ungleich vertrauter — in den Bannkreis der ältesten (der christlichen Theologie aber gültig gebliebenen) monotheistischen Gottesverkündigung, die er gegen das von Gott frei entlassene autonome Denken der Moderne aufzubieten trachtete. Endlich aber hat ROSENZWEIG — was hier gegen eine voreilige Vertauschung des philosophischen gegen das theologische Kreditiv ROSENZWEIGS ZU bemerken ist — in der Erörterung einer Selbstüberwindung der idealistischen Spekulation beim späten ScHELLiNG mit jener Kritik des Sehens und der Theoria einen Vorwurf an die Hand gegeben, dessen Ausführung immerhin den Erfrag der mehr philosophiehistorischen Debatte von deren endgültiger systematischer Entscheidung relativ unabhängig machte. Die von ROSENZWEIG gegen Hegel eingewendete Rede von Gott will den Schein einer von keinem Zweifel je erreichbaren, notwendigen Wesenseigentümlichkeit des metaphysischen Erkenntnisbegriffs brechen, wenn dieser gemäß der seit PLATON eingeschärften theoretischen Distanznahme des erkennenden Subjekts gegen den im Erkennen erfaßten Gegenstand mit innerer Unvermeidbarkeit eine Differenz hineinlegen muß, die Subjekt und Objekt auseinanderhält, wo im Falle des gegenwärtigen, nahen und im Anruf vernommenen Gottes zuletzt auch ein so „objektivierter" Seinsgrund sich ebensowohl als der wesentlich vernommene ursprüngliche Sinngrund des menschlichen Erkennens zu denken gebe. Die dergestalt hinterfragte spekulative Wesensbeziehung des endlichen und des absoluten Geistes verweigere sich hierin einer aus anderer Überlieferung herrührenden Goffeserfahrung, an die ROSENZWEIG ungleich eindringlicher erinnert, als KIERKEGAARD dies vor ihm — trotz Übereinstimmung in destruierenden Widerstand gegen Hegels „absolute Reflexion" — je evidenf zu machen vermochte. Nicht wie HOMERS Götter dem Leben, Leiden und Sterben der Menschen wie in einer immerwährenden „Theoria" Zusehen, um zuweilen Rat und HUfe zuzuwenden oder zu verweigern, wird der Gott Israels nach ROSENZWEIG erfahren. Dessen Erfahrung vollziehe sich vielmehr und geschehe im Hören, darin das leidende Individuum wie Hiob Gottes Anrede in der Einsamkeit seiner Trostlosigkeit vernimmt, wenn dieser es bei seinem ureigenen Namen beruft und mit
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jenem — dergestalt vernommenen und verstandenen — „Wort" im Inneren des Menschen erscheint und anwesend ist. Mit möglicherweise größerem Recht, als DERRIDA für seine verwandte Intention einen sachlichen Anknüpfungspunkt in HEIDEGGERS Destruktion der metaphysischen Begriffsbildung aufzutreiben hofft, geht es in der von ROSENZWEIG herausgearbeiteten Erfahrung einer göttlichen Gegenwart im Kairos nicht minder um das innerlich vernommene „Wort" und das Hören eines Anrufes. Doch im Unterschied zur Deutung der dialogischen Intersubjektivität seines Freundes MARTIN BUBER fällt diese Auszeichnung nicht einzig zugunsten der in keinem Medium objektiv fixierten, mit der Situation selber verschwebenden Rede des Gesprächs. Auch die Schrift, welche die von Menschen in unvordenklichen Augenblicken vernommene Anrufung eines Gottes aus zuerst mündlicher Überlieferung im Schriftzeichen der Erinnerung anheim stellt und in dieser Gestalt den Anfang einer sich ihrerseits unabsehbar vertiefenden hermeneutischen Entzifferung durch die theologische Exegese begründet, bewahrt in gewissem Sinne eine Wesensverwandtschaft mit jenem „Wort", weil sie unentfremdet durch den sinnfälligen Schmuck kunstfertiger Bilder (welche im sinnhaften Gleichnis zeigen, was niemand erblicken kann) das gewissermaßen bild-lose Innewerden eines „Sinnes" der Worte, wie er von Gott ausgehen mochte, zu bewahren vermag. Damit hat ROSENZWEIG vergessene oder zu marginaler Relevanz herabgedrückte Aspekte einer Überlieferung ebensowohl der christlichen Theologie für diese auf seinem Wege rehabilitiert. Die am Wort haftende Exegese und Kommentierung des geschriebenen überlieferten Gotteswortes läßt dieses nicht als formulierte systematische Doktrin eines vom lebendigen Wort gleichsam unabhängigen, seltsam von seinem Urheber und Autor wie subjektlos und anonym erblickten Sinnzusammenhanges vor dem Blick der Erkenntnis in ewiger Unabänderlichkeit aus dem unvordenklichen eleatischen Eon aufscheinen. Denn der lebendige und belebende Sinn wird nur im aktuellen, zeitlichen Hören des Wortes selber vernommen, da es nach einer — kryptisch verdrängten — Tradition mystischer Ekstasis den Augenblick des Kairos (nicht notwendig in der „Verzückung" des von sich weggenommenen Bewußtseins als exklusivem Erlebnis) deutlich und unmißverständlich aus dem jähen unvorhergesehenen Anruf der individuellen Existenz entspringt. Wer, so meint ROSENZWEIG als evident erachtete Konsequenz, diesen Anruf aus sich vernimmt, muß nicht bloß keine Distanz des Blickes durchlaufen, sondern in der unmittelbaren Gewißheit des Vernehmens weiß er sich von dem Gotte angesprochen, vor dem der Mensch nicht notwendig in „Furcht und Zittern" aus jener von LUTHER mit mittelalterlicher Sündenqual ertragenen Angst des göttlichen Gerichts sich erheben müsse. Jedenfalls bleibt darauf hinzuweisen, daß vor allem GöRTZ' Untersuchung der philosophiehistorischen Vernetzungen zwischen ROSENZWEIGS Denken und dem komplexen Prozeß einer Entwicklung der Fragestellungen von FICHTE über SCHELLING zu Hegel bzw. zum späten SCHELLING von dem (legitimen) Erkenntnisinteresse des Theologen übertroffen wird, so daß zwischen beiden Autoren ein Unter-
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schied in der Beurteilung von ROSENZWEIGS Verhältnis zum Idealismus spürbar wird. Beide Autoren, sowohl GöRTZ als auch MOSES, aber dürfen ihre kritische Abwägung des Verhältnisses entweder gegenüber SCHELLING oder gegenüber Hegel dort begrenzen, wo der nächste logisch gebotene Schritt der Interpretation eine skeptische Prüfung der gegenwärtig von der hermeneutischen Routine eingeschliffenen „Bilder" wäre, die über einzelne Denker kursieren. II. MOSES' Gesamtschau des RosENZWEiGschen Ansatzes ist knapper konzipiert als die Arbeit von GORTZ. Der Haupttitel drückt die innere Ambivalenz in ROSENZWEIGS Denken prägnant aus. Doch der Antagonismus zwischen Philosophie und Religion versickert nicht in einer Resignation des Denkens unter dem bergenden Schirm eines etablierten religiösen Bekenntnisses. Der Untertitel beschreibt hingegen, was den wirklichen Ertrag des Buches bildet. MOSES' Ziel ist die Entfaltung einer „Philosophie" ROSENZWEIGS, die er mit Rücksicht auf dessen programmatische Absage an den idealistischen Systembegriff als eine gegliederte, aber nicht nach leeren schematischen Prinzipien formalistisch hierarchisierte, kohärente und planvoll erdachte Gedankenbewegung sukzessiv aufzubauen trachtet. Wem die Fallstricke dieser Darstellungsmethode einigermaßen geläufig sind, den muß überzeugen, wie MOSES vor allem in der einleitenden Exposition Lebens- und Werkgeschichte, die Stationen eines der Gottsuche inständig untergeordneten Lebensganges eines bedeutenden Religiösen einerseits, die denkerische Entwicklung andererseits in der als begleitende Quellenressource fungierenden objektiven Abfolge von ROSENZWEIGS Publikationen, Gesprächen, privaten Aufzeichnungen, Briefen etc. derart zu verknüpfen weiß, daß beide heterogenen Linien der authentischen Beurkundung eines Denkweges ungezwungen zusammenzulaufen scheinen. Im ersten Kapitel („Die Entstehung des ,Stern der Erlösung' "„ 25—48) entwikkelt MOSES, ganz ähnlich wie ROSENZWEIG dies seinerzeit — im Geiste der methodischen Maximen DILTHEYS — an Hegels Entwicklung geübt hatte, diese soeben bezeichnete hermeneutische Kunst. Wenn er (25 ff, bes. 35 f) ROSENZWEIGS geistigen Werdegang im biographischen Spannungsfeld von MEINECKE und Hegels politischer Philosophie aufzeigt, so beweist der Verfasser hier seine souveräne Objektivität in der Distanz zu seinem Heros. Er verschweigt nicht (vgl. 27 f), wie stark die Präokkupation durch das aus zeitgenössischer Aversion zusammengeflossene Vorurteil gegen Hegel, der als treibender Faktor der neuesten deutschen Nationalgeschichte und Bildungskultur des zweiten (kleindeutschen) Kaiserreichs mißdeutet wird, in ROSENZWEIG wirkte und in jenem Hegel-Werk zur Geltung kam. Er habe, so bekannte ROSENZWEIG brieflich im Jahre 1923, das Hegelsche Denken „schon für schädlich gehalten, als [er] den Hegel anfing zu schreiben . . ." (Moses, 27). In der Tat: die bestürzte, wenn nicht entrüstete Kritik ERIC WEILS nach der Lektüre des Hegel-Werkes muß angesichts der Pauschalität der Verwerfungsgründe ROSENZWEIGS sowie der peinlichen Geringschätzigkeit, mit der im Vorwort zu dieser Dissertation dem Thema sein geschichtlicher Belang wegwerfend abgespro-
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eben wird, ein Mißtrauen gegen den hier prätendierten historischen Wahrheitserweis über Hegel wachrufen. Wenn etwa ROSENZWEIG die von DILTHEY herausgehobene (damals in jeder Hinsicht als Entdeckung einer Bemerkung würdige) knappe Phase wechselseitiger geistiger Förderung zwischen Hegel und HöLDERLIN in Frankfurt gönnerhaft als „biographische Merkwürdigkeit" abtut, um mit auffallend dürftig schabionisierten Wendungen dem „starren Riesengebilde des historischen Hegel" sodann zu attestieren, daß in dessen offenkundiger „Seelenlosigkeit" wohl doch „ein Strom geheimen Leidens und geheimer Leidenschaft rauschte", so bedeutete solche Kulturbetrachtung ohne Zweifel einen Sturz aus beträchtlicher Fallhöhe. Daß hier kein versehentlich zugestoßenes Unglück begütigend übergangen werden darf, schärft der von ROSENZWEIG daran geknüpfte Mißgriff seines Tadels gegen DILTHEYS einschlägige Verteidigung Hegels etwa wider die Verhöhnungen und Verzeichnungen eines RUDOLF HAYM ein. ROSENZWEIG, der selber auf seiner Vollmacht zur Verneinung des von BISMARCK gegründeten Kaiserreichs dringt, rügt in DILTHEYS vorgeblich sich selbst betrügendem Wohlmeinen gegenüber Hegel eine „innere Abkehr der deutschen Bildung vom Staat", wenn DILTHEY jene singuläre und ephemere Konstellation des Dichters und des Philosophen für eine Vertiefung der objektiven Würdigung Hegels heranziehen zu dürfen glaubt. Aus solcher kulturideologischer Verwirrung verwirft ROSENZWEIG eine DILTHEY angelastete Rettung eines „anderen" Hegel, der durch die Zuordnung zu HöLDERLIN gleichsam widerrechtlich exkulpiert werde. Aufgrund der selben Einschätzung aber bekennt ROSENZWEIG sich provokativ als Parteigänger von HAYMS Kritik, in dessen konzessionsloser Attacke gegen Hegel er die noch fehlenden letzten Argumente einzubringen habe. Aus der heillosen Befangenheit einer solchen Verneinung hat ROSENZWEIG „im Mai 1920" die wesentliche Intention seiner Auseinandersetzung mit Hegel auf dem Hintergrund des in ganz andere Richtungen aufgebrochenen Stern der Erlösung nochmals vergegenwärtig!. Ihm erschien die einstige Wahl seines Dissertationsthemas explizit als eine geschichtliche Handlung im Dienste des zeitgenössischen Deutschland, dem er sich damals noch unter der Bedingung einer bestimmten geschichtlichen Konstellation von Geist und Macht selber zuordnete. Doch der Ausgang des ersten Weltkrieges habe jene vormalige geschichtliche Situation und damit auch den Legitimationsgrund jener einst konzipierten Handlung um ihre Wahrheit gebracht. Auf die emphatische Absage an Hegel fällt fortan nur deshalb der Schatten sublimer Irrelevanz, weil mit dem Reich der Hohenzollern auch Hegels geschichtliche Präsenz wie weggebrochen scheint. Diese Dissertation, schreibt ROSENZWEIG, habe ihr Autor nur noch abschließen, nicht neuerlich in Angriff nehmen können: „Ich weiß nicht, wo man heute noch den Mut hernehmen soll, deutsche Geschichte zu schreiben." Diese rhetorische Frage birgt jene Antwort, mit der eine vorerst schweigende Masse des deutschen Bürgertums der Republik den Rücken kehrte, die nach der Katastrophe des Wilhelminischen Kaiserreichs einen neuen politischen Weg einschlagen sollte. Diesen möglichen Anfang hat ROSENZWEIG in Wahrheit gleich vielen Deutschen
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aus nationalkonservativen Gruppierungen zum Schaden der weiteren Entwicklung von sich abgewiesen. Ihm ging mit dem verlorenen Krieg in paradoxer, wenn nicht unbegreiflicher Verkehrung seiner einstigen Kritik die Geschichte Deutschlands zu Ende; als einen Beitrag zu der nunmehr bodenlos gewordenen Geschichtsschreibung jener preisgegebenen Geschichte, hingegen nicht als genuin philosophische Auseinandersetzung hat ROSENZWEIG seinen umfangreichsten und bedeutendsten Beitrag zur Hegel-Forschung dieses Jahrhunderts selber qualifiziert. ROSENZWEIGS Verzicht auf eine Fortsefzung deutscher Geschichtsschreibung liegt, so gefaßt, allerdings jenseits der wirklichen Geschichte und kann von deren faktischem Fortgang nicht mehr widerlegt werden. Wenn er vermeintlich Hegels Staatsgedanken mit dem wilhelminischen Reich verschwinden sieht, dementiert er einen historischen Zusammenhang, dessen Einbuße seiner Kritik zuvorkommt. Doch inwiefern ist Hegels philosophische Konzeption des modernen Staates dadurch widerlegt, in welchem Sinne überholt? Die Geschichte, falls sie mif jener RosENZwEiGschen Kategorisierung efwas zu tun hatte, scheint lediglich eine unerwartete Entscheidung vollzogen zu haben, die Hegels These über den Staat in einem anderen, von niemandem vorhergesehenen Sinne entschieden hat. Für ROSENZWEIG hingegen wird jene Absage an die Geschichtsschreibung der christlichen Völker Europas zu einem Exodus aus der Weltgeschichte schlechthin, die der Nationalgeschichte Israels keine Unterkunft zu bieten schien, weil dem Volke Israel — nach ROSENZWEIGS Deutung — nicht nur (seit Zerstörung des Tempels) eine Verortung in der Weltgeschichte vorenthalten blieb, sondern weil Israel eine andere geschichtliche Existenz zufalle, die einer in der Weltgeschichte nicht gedenkbaren Zeitgestalt gehorche. Genau diese Weise der Verleugnung geschichtlicher Zeitgebundenheit aber hatte Hegels geschichtsphilosophische Konzeption auszuschließen gesucht. In ihr ist von einer Vernunft die Rede, welche es der Gegenwart anheimstellt, aus Gründen und nach Maßgabe der Vernunft — jeder an seiner Stelle inmitten der Zeit und unbeirrt von der stets unentschiedenen Zukunft oder einem offenen Forfgang der Geschichte — in der Frist der endlichen Zeit auszudauern. Es bezeugt die ungekränkte Objektivität seiner Darstellung, daß MOSES die innere Ambivalenz, welche gerade in den Grundfragen der Geschichtsphilosophie ROSENZWEIG von Hegel trennt und ihn zu dessen Gegner macht, nicht unbesehen zum parteilichen Ansatz seines eigenen Urteils erhebt. Dieselbe Vorsicht gegenüber der subjektiven Entscheidung ROSENZWEIGS leitet A. ALTMANN und P. MENDES-FLORES in ihren einschlägigen Beiträgen zu dem oben genannten Sammelband. Denn abgesehen von der Frage, ob ROSENZWEIGS Einsicht in Hegels wirkliche geschichtsphilosophische Intentionen mit pauschalen Schlagworten über eine „List der Vernunft" oder den in der Geschichte sich evolvierenden Gott (vielmehr ein Gedanke, den SCHELLING ZU einer zentralen Frage der Philosophie erhob) bereits hinlänglich abgemacht werden könne, ist noch die andere Problematik offen, welchen Preis ROSENZWEIG für seine Abwendung in dieser Sache zu zahlen
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hatte. Was nichts als eine geschichtliche Entscheidung aus dem Grunde der eigenen Zeit sein will und doch seinen Gegenstand mit derselben beinahe kampflos zugrunde gehen läßt, könnte in einer anderen Betrachtung und in einem nicht minder wesentlichen Sinne nicht objektiv maßgeblich bleiben. Neben Hegel, so zeigt Mosfis (vgl. 34 ff), bildet GOETHE den zweiten, mindestens gleich bedeutungsvollen Punkt einer Entgegensetzung gegen jene abendländische „Vollendung des Immanenzgedankens", die für ROSENZWEIG mit der „Vollendung des Heidentums" im Gipfel der Moderne zusammenfällt. Beide, Hegel und GOETHE, verhalten sich zueinander wie Theorie und Praxis. ROSENZWEIGS Bild von GOETHE kommt in seiner leitenden Intention mit ROSENZWEIGS Resumtion einer Analyse und Reflexion der geschichtlichen Erfordernisse der Moderne in Beziehung auf die individuelle Subjektivität überein. ROSENZWEIG markiert diese Grundzüge mit einer zuvor von NIETZSCHE und anderen entworfenen Strategie durch die beschreibende Analyse der individuellen Existenz GOETHES, die hier als Inbegriff moderner Humanität und Menschlichkeit in ihrer Vollendung vorgestellt wird. Doch das so entwickelte Hochbild bietet für ROSENZWEIG wieder nur den Grund und Ansatz einer notwendigen Verneinung und Absage, insofern nach ROSENZWEIG das wirklich existierende Individuum der Moderne an der Unvollziehbarkeit jenes einzigartigen Lebensenfwurfs bei GOETHE unvermeidlich scheitern müsse. Die nähere Prüfung dieses GoETHE-Bildes freilich enthüllt neuerlich eine Eigenart dieser Verneinung eines geschichtlichen Zusammenhanges: Nicht die jemals wirklich gewesene Existenzgestalt, sondern ein künstlich fingiertes Kultbild der modernen Individualität zerfällt in der von ROSENZWEIG geübten Kritik. Es ist ein Hochbild moderner Individualität, wie es nicht zuletzt durch das um die Assimilation kämpfende Schwergewicht einer jüdischen Geistigkeit um 1800, hier exemplarisch vertreten durch RAHEL VARNHAGEN, ZU einem dauerhaften Besitz der deutschen Geistesgeschichte stilisiert worden ist. Nicht anders als im Falle Hegels will ROSENZWEIG auch im Hinblick auf GOETHE lediglich dem Bezüge zur christlichen Weltgeschichte entgehen, um für die von ihm gedeutete Weise einer spezifisch jüdischen Gestalt geschichtlichen Daseins den nötigen Spielraum zu gewinnen. Dies vermochte seine prophetische Rede — wie es bei MOSES unverkennbar hervortritt — mit Berufung auf die Existenzform in jenen Nischen der Weltgeschichte, die das osteuropäische Judentum gleichsam im Gegenwurf etwa zum Aufbruch des petrinischen Rußland unter dem zeitlos verharrenden Gesetz der Religion als Lebensform gebildet hatte. Aus solchen Nischen aber war das Judentum ausgezogen, für das die Namen von MOSES MENDELSSOHN, DAVID FRIEDLäNDER bis hin zu COHEN und RATHENAU in Deutschland einstanden. ROSENZWEIGS Abkehr von der komplexen Gedankenformation des Deutschen Idealismus vollzieht sich immer wieder nach demselben Schema kontradiktorischer Widerrede, die letztlich verhehlt, daß diese Verweigerung immer zugleich eine sublime Verwerfung ist. Mos6s deutet deren Struktur bereits durch die Überschrift des betreffenden einleitenden Kapitels an (vgl. 34 ff), indem er die historische Zahl „1800" sowie „Hegel" und „GOETHE" mit der „Vollendung des Sy-
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stems" in einen Bezug setzt. Die sodann folgenden Abschnitte („Die Subjektivität außerhalb des Systems", 35 f; „Die Offenbarung und das Absolute: Schelling und die Philosophie der Weltalter", 36—40; „Die Theorie der Weltalter und die allgemeine Struktur des Sterns der Erlösung", 40—43) entwickeln diesen Gedanken als einfache Konsequenz der Disposition des RosENZWEiGschen Denkens. Habe Hegel der modernen Welt die Form des Systems verliehen, so stehe doch die Subjektivität im Sinne Hegels jenseits desselben. Hier so wenig wie auch bei der Analyse der Philosophie der Weltalter kommen begründete Zweifel an der Existenz einer so vergegenwärtigten Philosophie SCHELLINGS oder Hegels dem Entschluß zur endgültigen Verneinung zuvor. Einerseits entdeckt ROSENZWEIG, SO zeigt MosEs, beim späten SCHELLING die Vorzeichnung einer Zeit- und Geschichtsdeutung, auf welcher der Stern der Erlösung aufgebaut ist. Auf der anderen Seite ist es derselbe SCHELLING, dem ROSENZWEIG bekanntlich die Autorschaft des sog. „ältestens Systemprogramms des Deutschen Idealismus" zuschreibt und der als der Urheber jener wesentlichen Bewegung des spekulativen Denkens in seinen spätesten Reflexionen für ROSENZWEIG insgeheim jenes Werk des modernen Geistes zu revozieren hat, das einst aus seinem „Programm" hervorgegangen sei. Im nächsten Kapitel über die „Welt der Ursprünge" (49 ff) entwickelt MOSES nunmehr den Ertrag jenes von ROSENZWEIG programmatisch ausgerufenen Exodus aus der Weltgeschichte des christlichen Europa. Das „Zerbrechen des Seins" (49—53) behandelt jene ontologische Umkehr, welche ROSENZWEIG aus dem existentiellen Erleben des Todes als Frontsoldat des Weltkrieges in der Weise einer denkerischen Einsicht in die unvordenkliche Faktizität der endlichen Existenz gegenüber dem Ewigkeits-Anspruch der Logos-Philosophie und gegen den eleatischen Seinsbegriff der abendländischen Metaphysik reklamiert hatte. Dabei verfolgt MOSES in einzelnen Schritten, wie ROSENZWEIG trotz seiner Absage an jenes systematische Denken der Tradition die kategorialen Auslegungen des ontologischen Begriffsgefüges aus jener Selbsterfahrung des Daseins z. B. bezüglich des Nichts (54—56), Affirmation und Negation (57—58), Korrelation (59—61), dem Widerstreit von Logik und Geschichte (61—63) im einzelnen entwickelt. Als die „Gestalten des Elementaren" (63 ff) führt MOSES gleichsam unter den von ROSENZWEIG erfundenen „Namen" die konstitutiv bildenden Dimensionen dieser neu rekonstruierten menschlichen Daseinsform vor. Sie folgen als konstituierende konkrete Geschehenszusammenhänge nicht lediglich aus der logischen Form, sondern bei ROSENZWEIG stets zugleich bzw. primär als geschichtlich wirklich erfahrene aufeinander, indem das Geschehnis menschheitlicher Existenz vom „mythischen Gott" über die „plastische Welt" zur Freilegung des „tragischen Menschen" im Großen fortgeht und darin ein Selbst-Wissen wirklich werden läßt, durch welches der Mensch sein historisches Pathos erkenne (vgl. im einzelnen 63 ff). Jene Bildungsgeschichte, deren eigentümliche Genealogie aus Hegels Phänomenologie des Geistes und SCHELLINGS später geschichtsphilosophischer Deutung des mythologischen Prozesses und der Geschichte der Offenbarung hier nicht ausführlich zu besprechen ist, läßt MOSES — ohne freilich die von GöRTZ thematisierte kryptische Orientierung ROSENZWEIGS an Hegels Phänomenolo-
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gie zu erkennen — in die Konstitutionsgeschichte der von ROSENZWEIG neu rekonstruierten Subjektivität einmünden. Auch diese hat ihre historische Erscheinung und durchläuft die Stufen der Entdeckung des Ich als autonome Individualität. Die Individualität wird ein „Selbst" (vgl. 68 ff) durch das von diesem gewußte Schicksal, um dergestalt in sich gegründet — und in NIETZSCHES begriffliche Waffen gerüstet — als dieses Selbst die Herrschaft der Moral (als dem Selbst äußerlich oktroyierte Bestimmungen) in einer eigenen Entscheidungsmacht „jenseits von Gut und Böse" (vgl. 69) zu verwinden. Dergestalt erscheine der Mensch der Moderne, um aber bei ROSENZWEIG vornehmlich als der „tragische Held" zu bestehen (69). Doch damit hat ROSENZWEIG allererst einige elementare Dimensionen definiert. Es gilt nach ROSENZWEIG nunmehr in einem nächsten Schritt, die aus einer solchen „Phänomenologie des Geistes" heraufgeführte Selbstermächtigung des modernen Menschen durch eine Besinnung auf dessen vorgängiges Gewordensein zur Einsichf des „Systems der Umkehrungen" (vgl. 71 ff) in der Existenz hinzuleiten, wie dies nach ROSENZWEIG einzig die von ihm bezeugte Gotteserfahrung als ein höchstes Werk des Menschen vollbringe. In den bei MOSES in knappen Unterkapiteln erörterten Etappen ordnen sich nach Stichworten „Schöpfung", „Offenbarung", „Erlösung" als die Phasen eines der menschlichen Geschichte gleichsam gegenläufigen göttlichen Geschehnisses. In diesem öffnet der Mensch sich dem Handeln Gottes aus der Verranntheit seines „Selbst", um zuletzt gleichsam vom tragischen Kothurn herab Gott in die Hand zu fallen, der als der unvordenkliche Herr der Existenz allen „Begriff" der Verstandeslogik an der (dem Logos wesentlich unzugänglichen) Andersheit seines Wesens scheitern lasse. Gott erhält den Menschen im Berufen des gebrochenen und in der Todesverfallenheit endlichen Ich bei dessen Eigennamen wie in einem Sprung, darin der Gott durch den Kairos seiner unwiederholbar einzigen Offenbarung hier und jetzt den Menschen jeweils über den Abgrund eines Momentes der geschichtlichen Epochenwende, eines Überganges aus dieser Zeitgestalt in jene ,andere' trägt. Nur schwer läßt sich verkennen, daß ROSENZWEIG hierin solche Analysen KIERKEGAARDS als Orientierung wählt, die jener in seinem Protest gegen Hegels absolute Reflexion an der biblischen Erzählung von Abrahams Opferung des Isaak demonstrieren wollte. Es ist der Moment einer Inhibierung des sittlichen Tuns einer Weltepoche, worin der Mensch — exemplarisch entwickelt am Übergang vom Menschen- zum Tieropfer — in der identischen Kultgestalt des Blutopfers dennoch dessen sittlichen Sinngrund radikal ausgetauscht erfährt. Doch in solcher Erfahrung, dem Moment des Erlöschens der sittlichen Legitimation eines alten Aion „vollbringt" der Mensch die Stiftung einer anderen sittlichen Wahrheit nur dadurch, daß ihm diese Stiftung von Gott her widerfährt, der ihm hier von sich aus als der unvordenkliche „Andere" in der Übermacht über alles menschliche Tun, Wollen, Vorsehen und (sittliches) Beharren, d. h. insgesamt seiner Freiheit und Selbstverantwortung, entgegentritt und den geschichtlichen Übergang von ihm erzwingt. Nach ROSENZWEIG geschieht solcher Wandel indessen nicht aus
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der autonomen Geschichte der Sittlichkeit eines zu radikaler Freiheit bestimmten Menschengeistes wie bei Hegel; der Übergang wird nicht als ein aus der Geschichte des fortschreitenden Bewußtseins der Freiheit zu begreifender, noch darin gleichsam vorgezeichneter Prozeß erkannt. Dies bedeutet im Sinne von ROSENZWEIGS Konzept, daß das Geheimnis des unvordenklich existierenden Gottes nicht in dessen Schöpfung manifestiert und ausgegossen ist, wie denn auch ein an seine Schöpfung sich gebunden wissender Schöpfergott darum für ROSENZWEIG widersinnig erscheint, weil dessen Bewußtsein aus jener Bindung an die einzigartige Tat entspringen müßte, insofern diese ihm von Ewigkeit her notwendig eingeschrieben wäre, so daß das Geschehen der Schöpfung den gleichsam unfrei daran geketteten Schöpfer als den unaufhörlich tätigen Urheber mit sich reißen müßte. Kein Zweifel, daß dergestalt aus dem zuvor angedeuteten Gedanken KIERKEGAARDS ein Schritt in SCHELLINGS Ansatz hinein geschehen ist, den der letzte in Auseinandersetzung mit jenem Gott SPINOZAS entworfen hat, welchem Hegel spätestens seit den in Frankfurt konzipierten theologischen Jugendschriften unabänderlich gefolgt ist. MOSES bemerkenswerte darstellende Kraft bewährt sich in dieser schwierigen Materie, insofern seine Darlegung einerseits der im Stern der Erlösung vorgezeichneten Linie folgt und zugleich den keineswegs methodisch einsinnigen Aneignungsprozeß des ScHELLiNGschen Denkens trotz der für ROSENZWEIG charakteristischen Brüche und Sprünge immer wieder harmonisiert und integriert. Erst in einer letzten Metabole der Zeitgestaltungen entwickelt sich für ROSENZWEIG eine mögliche Differenz zwischen Weltgeschichte und jener „anderen" Existenz im „liturgischen" Zeitmaß. Indem ROSENZWEIG fortan (seit dem Stern) Judentum und Christentum in der bekannten Weise gegeneinander differenziert und die divergenten Existenzformen aneinander vergleicht, vermochte er nach der systematischen Umkehrung des Verhältnisses von Zeit und Ewigkeit seine spezifische Lehre von der menschlichen Existenz im „Material" des einen und des anderen Existenzvollzuges gleichsam bildend herauszuinterpretieren. Seine Explikation der „sakralen Zeit" jenseits der Weltgeschichte Hegels und deren von ROSENZWEIG gehaßter „Politik", die Auffassung des Wortes als ein sakramentales Medium der Schöpfung, Offenbarung, Erlösung sowie endlich die Verneinung einer Überleitung des Menschen von der einen in die andere Religionsgestalt bilden nach der hier einsetzenden Darstellung des eigentlichen systematischen Werkes von ROSENZWEIG gleichsam die verschiedenen Seiten eines einzigen inneren Wesenszusammenhanges. Diesem Entwurf eines großen Religiösen mußte Hegels genuin philosophischer „Entschluß, rein denken zu wollen" wie ein schreckensvoller Absturz aus der Gottsuche erscheinen, wie solche für ROSENZWEIG den Zweck des Denkens ausmacht. MOSES handelt davon in seinen letzten beiden Kapiteln als von einem „Schauen des Antlitzes", zu dem das „Schauen des Lebens" hinzutrete. Zwischen beiden Wesensformen der nach ROSENZWEIGS Überzeugung hierdurch gleichsam neu gestifteten Religiosität der mosaischen Gotteslehre blickt das Bewußtsein von der einen Gestalt auf die andere.
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Denn darin drücke sich nach ROSENZWEIG die eigentliche Entdeckung der Intersubjektivität aus, wonach der Andere zugleich als der Nächste erfahren wird; in dessen Nähe, die aus der Andersheit entspringt, werde auch die Nähe und paradox darin verhüllte Andersheit des Gottes bedacht werden müssen, den die eigentümliche Nähe des Mitmenschen gleichsam von seinem transzendenten Ort „ent-fernt". Weder bei GöRTZ, noch bei MOSES wird allerdings der Anspruch formuliert, daß die von beiden Autoren (durch die Divergenz der Themenstellung selbstverständlich in unterschiedlicher Ausführlichkeit) unvermeidlich in die ROSENZWEIGInterpretation einfließende Deutung der spekulativen Positionen eines SCHELLING oder Hegel als ein spezifischer Beitrag zur jeweiligen speziellen philosophiegeschichtlichen Forschung reklamiert werde. Angesichts der beachtlichen Auseinandersetzung mit dem spekulativen Idealismus, den beide Autoren in den Fundamenten ihrer Untersuchung von ROSENZWEIG investieren, mag diese Zurückhaltung auf eine gemeinsame Charakteristik beider Bücher deuten. Denn beide Autoren wahren aus je verschiedenem Ansatz eine durchaus bedeutungsvolle Distanz gegenüber ihrem Gegenstand; und diese Vorsicht gilt auch gegenüber ROSENZWEIGS Urteil über die Philosophie des Idealismus, deren kritische Verteidigung gegen das vordergründig pauschale Verdikt ROSENZWEIGS geradezu eine offene Zielsetzung etwa bei GöRTZ bildet. Bei MOSES läßt der Autor seine Leser nicht im Unklaren über den legitimierenden Rechtsgrund einer Distanznahme, die hier als eine solche vorgestellt wird, welche recht eigentlich dem Juden und Bürger des Staates Israel beinahe wie ein Privileg zufallen muß. MOSES formuliert den Kern seiner Auseinandersetzung in dem großen Kapitel „Kritik der Politik" (159—174), indem er die tiefgehende Ambivalenz in ROSENZWEIGS Abgrenzung und zeitweilig scharfer Zurückweisung jener beiden großen politischen Tendenzen des modernen Judentums im einzelnen auseinanderlegt. Denn ROSENZWEIG verwarf nicht nur das mit MENDELSSOHNS Namen verbundene Konzept einer Assimilation der europäischen Juden in den von Geburt ihnen zugehörigen christlichen Völkern. Seine Theorie von der „sakralen" bzw. „liturgischen" Existenzform eines künftigen, neu aus dem Geiste der Religion zusammengeführten Volkes Israel trat in nicht minder scharfen Gegensatz zu den politischen Anstrengungen des zeitgenössischen Zionismus. Dieser betrieb die (erst nach Ende des zweiten Weltkriegs ratifizierte) Umwandlung des englischen Mandatsgebietes Palästina in einen Staat des Volkes Israel schon damals mit großer Energie und hatte auch mit der entsprechenden konkreten Siedlungspolitik längst zu ROSENZWEIGS Lebzeiten begonnen. Mosfis verzeichnet folgerichtig nicht ohne Melancholie die eigentümliche Verweigerung der verheißenden Heimkehr in das gelobte Land, deren konkreten Vollzug ROSENZWEIG als schwere Einbuße einer von ihm geforderten Besinnung und Stiftung eines geschichtlichen Bewußtseins einschätzte, welches keinen Ort haben dürfe in dem Kampf der modernen Staaten, inmitten gleichsam des Gedränges der — von ROSENZWEIG — längst preisgegebenen und verlassenen Weltgeschichte, wie sie von Hegel beispielsweise skizziert worden war. Für MOSES ent-
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springt so die dilemmatische Zwiegesichtigkeit in einer zentralen Frage des RoSENZWEiGschen Denkens, das illusionär in eine Verweigerung wirklicher Zeitgenossenschaft mit einem Großteil der verstreuten Judenheit paradox flieht und die älteste, für diese Religion durchaus konstitutive Verheißung einer Heimkehr just in dem Moment preisgibt, da die realgeschichtliche Durchsetzung derselben in greifbare Nähe rückt. So entsteht ein untergründiger Dialog zwischen dem Text von MOSES und gewissen Abschnitten in dem Vorwort von LEVINAS. Hier sucht der ältere den jüngeren Autor in der Entschiedenheit seines Abrückens von ROSENZWEIGS Konzept zu mildern und zu beschwichtigen, indem er den Rang der für ROSENZWEIGS Denken wie ein bleibender Aufenthalt zuletzt perpetuierten Auseinandersetzung mit der abendländisch-christlichen Welt hervorhebt. Doch auch diese Vermittlung vermag das Gravamen bei MOSES nicht zu schwächen, bei dem die Entscheidung für das Volk Israel auch als Reflexion in kulfurgeschichtlichen Dimensionen sich längst aus dem Zwang der Alternative zwischen der abendländischen Kultur Europas und einer zeitentbundenen Existenz jenseits der konkreten Realgeschichte gelöst hat. Aber auch die Beurteilung jener Assimilationsbestrebungen, die ROSENZWEIG als ein ihm aus der Geschichte seines Volkes zugefallenes Erbteil insbesondere der deutschen Juden leidenschaftlich abgewiesen hatte, findet bei MOSES wohl eine gerechtere Abwägung. Spätestens hier freilich wird erneut fühlbar, daß die so dringlich postulierte Überwindung der Hegelschen Geschichtsphilosophie, der ROSENZWEIG nicht einen anderen methodischen Zugang zu einem an sich nicht bestrittenen gemeinsamen Existenzort entgegenstellte, sondern gegen die er den Auszug in eine andere Zeitgestalt aufbot, auch im Lichte von MOSES' kritischer Distanznahme trotz der Berufung auf den späten SCHELLING eine unabgegoltene Ambivalenz stehen läßt, die einen erheblichen Zweifel am Gelingen jener Verwindung offenhält. ROSENZWEIGS Verweigerung, fernerhin an der Weltgeschichte der modernen Welt durch wirkliche Teilnahme schuldig zu werden, enthüllt sich — was Hegel im fraglichen Sachzusammenhang als das reflektierende Tun einer „schönen Seele" oder der „Tugend" im Gegensatz zum „Weltlauf" betonte — als zugleich sittliche Entscheidung, welche eine bloße Billigung der einen oder anderen politischen Option im realgeschichtlichen Kontext der Jahre nach dem ersten Weltkrieg bei weitem und prinzipiell übergreift. Es scheint, als könne MOSES eine Entscheidung gegen die politische Wirklichkeit des Volkes Israel als moderner Territorialstaat aus der Erwägung letzter sittlicher Entscheidung für oder wider eine „weltgeschichtliche" Existenz nicht im Sinne von ROSENZWEIG treffen. III. Daß mithin eine besonnene Erwägung und Untersuchung von ROSENZWEIGS Verhältnis zu Hegel wider jede einschlägige Versicherung ROSENZWEIGS geboten bleibt, dies ist die Voraussetzung, aus der GöRTZ das Konzept und Thema seiner umfangreichen Arbeit entwickelt. Er widmet folgerichtig auch der Frage breiteren Raum, wie jene Entscheidung gegen Hegel zugunsten SCHELLINGS in ihrer sachlichen Struktur beschaffen sei, welche ROSENZWEIG eher aus dem Schwung einer Intuition einführt und entfaltet.
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GöRTZ' umfangreiche Untersuchung ist eine Habilitationsschrift aus der Freiburger Fakultät für Katholische Theologie. Es liegt auf der Hand und bedeutet auch nicht eine geringste Einschränkung, daß er sein spezifisches Interesse an dieser überwiegend philosophiehistorisch pointierten Fragestellung nicht auf die Grenzen dieses einen Faches beschränken kann, das letztlich nicht das seine ist und dessen er sich hilfsweise bedient. Um so mehr verdient Beachtung und Anerkennung, wie GöRTZ seiner Aufgabe ohne Einbuße gerecht wird. Er vermeidet den Fehler, von dem vorweg ins Recht gesetzten Standpunkt ROSENZWEIGS über Hegel zu urteilen, sondern leiht diesem fortlaufend in seiner Arbeit eine andere Stimme. Noch immer darf als nicht gemeines Verdienst erwähnt werden, daß er sich zu diesem Zweck auf weitläufige und exakte Studien in der neueren HegelForschung stützt, deren Ergebnisse ihm zu Gebote stehen. In seiner Einleitung zeigt GöRTZ schon durch die ersten Sätze, daß seine Wahrnehmung eben jene auratische Gestimmtheit eines Homo religiosus nüchtern zu prüfen weiß und im Falle von ROSENZWEIGS Person unbetrogen registriert, die MOSES SO sehr fraglose Voraussetzung ist, daß seine Darstellung von dem ausgeht, was GöRTZ' insgeheim leitende Frage ist; Es wäre durchaus zuvor zu prüfen, ob ROSENZWEIG als ein Stifter eines Gottesbezuges anzunehmen oder von einer zweifelnden Scheu ohne solchen äußersten Anspruch zu belassen wäre, da sich im Lebensgang ein Wanken der geistigen, sittlichen Person (wenn auch natürlich jenseits banaler Fehlgriffe, Irrtümer) spürbar macht. GöRTZ zählt jene hohen und höchsten Vergleiche mit anderen Einzelnen dieser und vergangener Zeiten aus dem Munde der von ROSENZWEIG für sich Gewonnenen auf, um endlich dem existentiellen Entschließen in ROSENZWEIG auch ein durchaus menschliches Scheitern zu belassen. Als christlicher Theologe bleibt er dergestalt unirritiert von einer gelegentlichen Frage NIETZSCHES, der sich wundert, daß nach bald 2 000 Jahren immer noch kein neuer Gott aufgekommen sei, insofern das mythenbildende Potential wohl doch in der Moderne erloschen ist. Dann mag es dieselbe Unbetrüglichkeit des Theologen sein, die GORTZ gewiß ohne Polemik oder falsch placierte Erregung mit wohltuender Distanz von jenen seither in Umlauf gebrachten gleichsam imperativischen Stichworten der ROSENZWEIG-Debatte handeln läßt, die mit gebieterischem Überschwang den eigenartig synthetischen, nicht ganz und ungemischt aus dem tiefsten Quellpunkt einer wahrhaft authentischen Gotteserfahrung empordringenden Anspruch eines religiösen Sehertums verteidigen. In Wahrheit wird nämlich ROSENZWEIGS Rede sehr wohl in den Themen, Schlüsselgedanken und -fragen nicht ohne die Konditionierung geschichtlicher Zeitgenossenschaft aus sich selbst vernehmbar. Innerhalb der RosENZWEiG-Forschung ist GöRTZ' Ansatz, ROSENZWEIGS philosophische „Erfahrung" Hegels Rede von der Erfahrung in der Phänomenologie des Geistes nicht nur zu konfrontieren, sondern auf ihre eigenartige Bewegung zurückzuführen, durchaus keine leicht verteidigte Wahrheit. Denn kein geringerer als ROSENZWEIG selber hatte durch seine wahrhaft ingeniöse und beredte Option für ScHELLiNG und durch seine geradezu pathetische Absage an Hegel genau die-
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se Beziehung für sich wie den Makel eines in Irrtum zu Fall kommenden Denkens abgewiesen. GöRTZ erörtert in seinem ersten großen Kapitel zuerst die „erfahrende Philosophie" von ROSENZWEIG, um sodann in dem zweiten Kapitel Hegels Phänomenologie, d. i. die „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins", als eine immanente und kryptische Beunruhigung in ROSENZWEIGS Konzeption aufzuzeigen. Vor allem das erste und einleitende Kapitel bespricht ROSENZWEIGS Entwurf im Kontext der gegebenen Literatur. Dabei wird immer wieder bemerklich, daß wie aufgrund eines unausgesprochenen Zwanges von ROSENZWEIG der Bezug zu Hegel hinter dem zu ScHELLiNG zurückgestellt wird. ROSENZWEIG hat in SCHELLING bekanntlich die Vollendung und den Untergang des gesamten Deutschen Idealismus erblicken wollen. Wenn GöRTZ aus begreiflichem Interesse und zu Recht den verschwiegenen Hegel in Erinnerung bringt, mag freilich auffallen, daß diese Option GöRTZ unnötig in eine schiefe Beurteilung von SCHELLING ZU drängen scheint, den diejenige von ihm hinterfragte Gruppe von Interpreten ROSENZWEIGS favorisiert, zu der auch MOSES ZU zählen wäre. So handelt GöRTZ immer wieder von der Legitimität, gewisse Aspekte bei ROSENZWEIG in seinem Buche nicht (wie andere Autoren) mit SCHELLINGS Denken in Verbindung gebracht zu haben. Daß er in dieser Kontroverse nicht einseitig urteilt, beweist die Tatsache, daß GöRTZ ein eigenes Unterkapitel der Forderung eines Desiderates widmet: einer angemessenen Bestimmung des Verhältnisses von ROSENZWEIG zu SCHELLING. Leider hat GöRTZ sich darauf beschränkt, lediglich die von MOSES verteidigte ScHELLiNG-Beeinflussung im fraglichen Zusammenhang vorzustellen. So kann er ohne eigenständigen Rückgriff auf SCHELLINGS Texte auch jene merkwürdige Charakteristik der von ihm selber beschriebenen und teilweise ihn selber einschließenden Situation der RosENZWEiG-Diskussion nicht erkennen, die gerade über ROSENZWEIGS Beziehung zum Deutschen Idealismus einen Schatten gegründeten Mißtrauens wirft. Mit großem Recht und als einer der wichtigsten seiner allgemeinen Ratschläge an die weitergehende Debatte mag in diesem Zusammenhang GöRTZ' eindringliche Verweisung auf HANS EHRENBERG (zunächst Privatdozent der Philosophie in Heidelberg, dann evangelischer Pfarrer in Bochum) ausdrücklich hervorgehoben werden. Wer EHRENBERGS Disputationen, eines der höchstrangigen Werke der Erbauungsliteratur dieses Jahrhunderts, nicht über das Hegel-Bändchen hinaus studiert hat, besitzt — was GöRTZ SO gut wie MosLs weiß und beide ausbeuten — kein relevantes Wissen von dem Umfang und der Intensität einer existentiellen Vergegenwärtigung des gesamten Deutschen Idealismus als einer geschlossenen Denkbewegung, die vielleicht in einem Maße, wie es seitdem nicht mehr aufzubringen war, alle Bereiche des modernen Lebens von den tiefsten, persönlichen Wurzeln der religiösen Existenz bis zu den objektiven Strukturen der ökonomischen Weltkonstitution in einem unerhörten Spannungsbogen zu reflektieren vermochte. Hegels Rückgriff auf die aristotelische Metaphysik wird hier nicht kurzschlüssig als Absonderlichkeit einer antiquierten humanistischen Gebildetheit mit den Zügen einer historistisch summierenden Pseudobil-
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düng aufgefaßt, welche eben „von Jonien bis Jena" ihren Sammeleifer erstrecke. Hegels Denken ermaß vielmehr bei solchem Rückgang, daß wohl ARISTOTELES der Kraft seiner (Hegels) Intention gleichsam den nötigen Gegenhalt einer Grenze darbot, welche er ansonsten bei anderen Denkern zwischen ihm und ARISTOTELES ungleich leichter zu überschreiten vermochte. EHRENBERG zeigt, daß die Trias des spekulativen Gedankens die wirklichen Fragen der eigenen Zeit in eine Schwebe brachten, aus der seitdem nur Bruchstücke des Gedachten wie Geröll weitergewälzt wurden. Doch hier muß es verwundern, daß GöRTZ ebenso wie MOSES nicht zur Kenntnis nimmt, daß die von ROSENZWEIG verteidigte überragende Funktion ScHELLiNGS, Welcher nach ROSENZWEIG darum auch der Verfasser des sog. „ältesten Systemprogramms" gewesen sein ,müsse', auch unabhängig von ROSENZWEIG erkannt und interpretiert wurde. Damit sei nicht einmal auf den — von der ScHELLiNG-Forschung bislang eher scheu umgangenen als durchdiskutierten — Vorstoß HEIDEGGERS verwiesen. Man wird mit Verblüffung notieren, daß jener hier einschlägige, durchaus bedeutende und groß gedachte Ansatz von WALTER SCHULZ bei GöRTZ in diesem Zusammenhang nicht einmal eine knappe Erwägung und Würdigung findet, wie auch die in gewissem Sinne darauf aufgebaute theologische Interpretation von KASPER keine Berücksichtigung erfährt. An diesen inzwischen immerhin doch nach ROSENZWEIG erreichten Reflexionsstand, dessen offene Perspektiven der gegenwärtigen Diskussion billigerweise einzuräumen sind, vermag das große Werk von XAVIER TILLiETTE über ScHELLiNGS Entwicklung gewiß in vielfach aufschlußreicher Weise auch die von ROSENZWEIG herkommenden Interessen heranzuführen. Solchen wäre gerade dann, wenn man von HANS EHRENBERGS bedeutsamer und tiefgründiger Behandlung des „Lebens"-Begriffs in FICHTES Spätwerk ausgeht, eine Hindeutung auf die Diskussion des FiCHTEschen Werkes, wie eine solche im Anschluß an die Edition seit mehr als vierzig Jahren in Gang gekommen ist, als Bezugspunkt künftiger Reflexionen empfehlend zu benennen. Denn auch in FICHTES spätesten Entwürfen des spekulativen Gedankens sind sysfematische Grundlinien der spekulativen Interpretation des Gedankens einer unvordenklichen Faktizität aufzuzeigen, in deren Licht das eigentümliche Absehen von ROSENZWEIG abermals eine neue Klarheit gewinnen mag. Immerhin erörtert GöRTZ — in Auseinandersetzung mit Mos6s — das „Desiderat" einer systematischen Konfrontation SCHELLINGS und ROSENZWEIGS als eine offene Perspektive. Seine eigene „Relecture" Hegels im Blick auf ROSENZWEIG indessen darf als hervorragender Beleg dafür gelten, daß die kritische Konfrontation ROSENZWEIGS mit jenem von ihm verlassenen „Topos" des Deutschen Idealismus auch heute noch eine immer weiter dringliche Klärung jenes „anderen" Denkens von ROSENZWEIG als einen Ertrag in Aussicht stellen kann, der jenes von LEVINAS in der Einführung zu MOSES mit großem Ernst behauptete Hinauskommen über die gesamte abendländische Metaphysik als konkrete Einweisung in eine durchaus noch nicht abgegoltene Frage zu begreifen möglich macht. Daß er dabei die wohlfeilen Grenzen bloß philosophiehistorischer Untersuchung zu überschreiten zwingt, gab und gibt ROSENZWEIG eine Bedeutung, welche sein Denken auf der
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Schneide zwischen Religion und philosophischer Existenz so fragwürdig macht, wie HEIDEGGERS Deutung von HöLDERLINS Dichtung die Philosophie an Grenzen des Verstehens ihrer Wahrheit manövriert. Es sei ein „Welttag des Herrn", von dem nach GöRTZ ROSENZWEIGS Versuch einer „anderen" Dialektik des Geistes und des faktischen Lebens gegenüber der teleologischen Struktur des Geistesprozesses bei Hegel sich in eine Verschiedenheit der Intention bestimmen lasse, die den genannten Unterschied auch als den zwischen Teleologie und Eschatologie festzulegen erlaube. Darin ist gewiß so viel richtig, daß für Hegel sich eine „Eschatologie" im Sinne der überlieferten Religion der Urgemeinde als eine überwundene Stufe für den sich selbst in seiner Geschichtlichkeit und geschichtlichen Gegenwart denkenden sittlichen Geist darstellt. GöRTZ entwickelt diese Konzeption von ROSENZWEIG in seinem Kapitel einer „Relecture" der Idee ROSENZWEIGS, die eine „erfahrende Philosophie" auf ganz anderer Grundlage als derjenigen Hegels und der klassischen Metaphysik zu entwickeln sich bestrebt. In Übereinstimmung mit dem so interpretierten theosophischen Ansatz in SCHELLINGS Weltaltern soll nach ROSENZWEIG der „Welttag des Herrn" als „Gottestag der Ewigkeit" gefeiert werden. Solche Intention hat in der Sache analog bei Hegel (freilich heute zumeist unbeachtet) eine Stellungnahme evoziert, wenn er gegen GöRRES in einer der letzten wissenschaftlichen Publikationen wenige Zeit vor seinem Tode, der Rezension von GöRRES' geschichtsphilosophischen Vorlesungen, eben solche Hyperbolik eines die Sittlichkeit der konkreten geschichtlichen Gegenwart transzendierenden Schrittes in ein schlechthin entbindendes Gottesbewußtsein radikal und geradezu mit nicht zu begütigender Erbitterung verwirft. Er argumentiert gegen eine wohlfeile Ersparung eines denkenden Erkennens, insofern der göttliche Geist in seinem (von der „wahren" Geschichtsphilosophie aufzuschließenden und auch beweisend zu erkennenden) Zusammenwirken mit dem menschlichen Weltgeist die Wahrheit einer wirklichen Gegenwart zu stiften und als geschichtliche zu begründen habe, statt den Prozeß des Wirklichen in einer Hingabe an ein Angerufensein durch den „Herrn" preiszugeben und sich der konkrefen sifflichen Verantwortung zu entledigen, um in der Utopik phantasierter künftiger Geschichtsräume, von einem nichts als müßig imaginierten „Ende" der Geschichte her über das Heute zu spekulieren. Allerdings liegt dieser Standpunkt jenseits des „Welttages" des Geistes. Bei GöRRES wird die „wiederherstellende Weltzeit, die das Heil erwirbt", als eine Metabole der Geschichtszeit vorgestellt; „was diese gesetzt, wird in der andern aufgehoben, was dort untergegangen, wird hier wiedergeboren, was absteigend und Sturz in der einen gewesen, wird in der andern ansteigen und sich erheben, wie es zuvor aus dem Tag in die Nacht gegangen, so nun die Nacht in den Tag durch die Morgenfrühe, und hat verkehrtes Thun jenen ersten Sabbath entweiht, und seine stille Feier durch die ganze geschaffene Welt gestört, dann wird im heilbringenden Erlösungswerke sich der Werktag der Geschichte durch alle Welt zum neuen Sabbath weihen." (/. Görres: lieber die Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte. Drei Vorträge. Breslau 1830. 94 f.)
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Für Hegel besitzt das Verlassen eines beweisenden Denkens dadurch, daß mit der „Umkehrung" angefangen werde, nicht mehr und andere denunziatorische Kraft als jede Weigerung, den „Knoten" zu lösen, der einem jeden zu seiner Zeit in der Wirklichkeit aufgegeben sei. An dessen Auflösung gelte es „schuldig" zu werden, während eine „Unschuld" verweigerter „Erfahrung" konkreter Zeitgenossenschaft bei einer anderen „Schuldigkeit" dafür verantwortlich wird, durch das inhibierte Tun einem jeweils möglichen Guten die nötige Kraft geschwächt zu haben. Nach Hegels letzten geschichtsphilosophischen Reflexionen gilt dies gerade für ein aus dem Gott heraus denkendes Denken, das den menschlichen Geist so sehr auf seine geschöpfliche Faktizität zurückwirft, daß ihm in seiner Freiheit, der er durch die Weltgeschichte bei Hegel inne geworden sei, kein höheres Ziel erdenklich werden könne, als ihm sein je eigener „Lebenstag" gebiete. Diesseits einer Eschatologie weiß sich solches „absolutes Wissen" in der unvergänglichen Gegenwart des Ewigen in der Zeit und in seinem je geschichtlichen Tun darum ungleich schwerer von Gott gesehen und gewogen, da der Trug der Urgemeinde von ihm gewichen ist. Hegels „absolutes Wissen" besagt nach ungedruckten Ausführungen in einer Vorlesung über die Weltgeschichte, daß Gottes Geist in der Gemeinde wie in jedem Moment der Weltgeschichte und in deren Endschaft anwesend sei und als gegenwärtig weile. Damit entfällt aber eine „Eschatologie", darin ein letztes Gericht über das „Maß" unbedingter menschlicher Freiheit befinden und diese unvermeidlich relativieren werde, da der Mensch für Hegel aus dem „absoluten Wissen" der (weltgeschichtlich vollendeten) Vernunft sich der Schuldigkeit seines jeweiligen geschichtlichen Daseins zu entsinnen und eben darum schlechthin zu bekümmern habe. Wenn Hegel SCHILLERS Wort zitiert, die „Weltgeschichte" sei das „Weltgericht", so ist dies keine Bildungsarabeske einer wohlfeilen Rhetorik. Für Hegel liegt hierin — um einen äußersten Bogen „von Jonien bis Jena" zu schlagen — ein respondierender Anklang an den Spruch des ANAXIMANDER, wonach es eine im Gang des Geistes als dessen „Vernunft" zu erkennende „Dike" schon füge, daß nicht ein Gott erst richten müsse, was der weltgeschichtliche Prozeß als ein Recht erwirkendes Gericht in seinem Fortgang ausübe. Die aus dem Tun des (menschlichen) Weltgeistes, den Hegel einmal in aller Schärfe von dem Gottes unmißverständlich unterscheidet, hervorgehende Geschichte des daseienden Geistes zwinge aus der Dialektik seiner wirklichen Fortbewegung „Buße und Strafe" in dieser Endlichkeit aus ihr selbst zu entrichten. Weil die radikal gedachte (gott-lose) menschliche Freiheit als sittliche Entscheidung für oder gegen das Gute (nicht eine fruchtlose Reflexion gegen die naturbedingte Determiniertheit) keinen Lohn wie ein „Trinkgeld" zu erhoffen freistelle, so bedeutete sinngemäß Hegel in einem von HEINRICH HEINE (mit fühlbar nachklingendem Schrecken) berichteten Apercu demselben mit schneidendem Hohne, müsse der Mensch mit seinem redlichen Tun in dieser Endlichkeit seines — von Gott nicht eigens bedankten — durch es selbst „getrösteten" (guten) Gewissens auszukommen lernen.
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Auch Hegels Philosophie geht im Grunde gleich jenem Gedanken NIETZSCHES von der „Ewigen Wiederkehr" einzig auf die Problematik aus, wie das Faktum menschlicher Freiheit in seiner rätselhaften Radikalität gedacht und unentlohnbar ertragen werden müsse, ohne freilich die Reflexion solchen Bewußtseins in den subtilen Aporien und auch — für Hegel fraglos daraus folgenden — Widersinnigkeiten eines trivialen und leichthin herbeigezweifelten Atheismus um seine sittliche Tiefe zu betrügen. Es ist dem solchermaßen faktischen Bewußtsein der Freiheit die Entscheidung nicht nur für diesen transitorischen geschichtlichen Moment auferlegt. Vielmehr muß diese unbedingt „auf immer" als geschehene Entscheidung und zur fortan unabänderlichen Wirklichkeit konkretisierte Tat verantwortet und ertragen werden. Denn solche (hier nicht NIETZSCHES Reflexion auf die Ewigkeit zu vindizierende) „Gottlosigkeit" einer bürdelosen Willkür, die sich lediglich vordergründig eines Gerichtes enthoben zu sein beredet, dünkte ihn ohne das Absehen auf die Ewigkeit nicht klüger als jener — bei GöRRES von ihm angetroffene und hart getadelte — trunkene „Eschatologismus" einer romantischen Utopie, deren rabulistischer Gedankentanz von den letzten Menschheitstagen als einer geschichtlichen Katastrophe der Welt handelt, da nach den Glossolalien des in prophetischen Worten taumelnden Hierophanten solcher Weisheit der als Chaos sich selbst wiedergebärende Gott mit der Welt alle Rechenschaft in ihr zunichte macht, weil er wie in einer „Apokatastasis panton" das geschichtliche Werk der Freiheit zerschlägt. Allein für GöRRES soll diese Handlung ihrerseits nicht in die menschliche Geschichte als konkreter Fortgang des Bewußtseins der Freiheit fallen. Es sei „kein Werden in dieser Gottesthat, kein Verlauf noch Ablauf ist in sie eingegangen, und der stille Sabbath, in dem die Gottheit sie ausgeübt, hat Abend nicht, noch Morgen, nur einen ewig heitern Mittagspunkt, der ohne Schatten aus eigenem Lichte sich beleuchtet." (Görres, a. a. O. 74) Dann bUebe im Sinne Hegels allerdings erst recht keine Zeche einer Schuld zu begleichen, wo in die Bodenlosigkeit entfällt, was als die geschichtliche Welt keinerlei Wirklichkeit gewinnt und vor dem als Gott enthüllten Chaos gar keinen Bestand behält, das alle Freiheit ebenso wie die Wahrheit der Vernunft athetiert. Kurt Rainer Meist (Bochum)
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Der allseitig Abwesende Hegels Stellung in Mannheims Konservatismus-Konzeption
Karl Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens. Hrsg, von David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984. 288 S. (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft. 478.) Konservatismus-Studien zu beurteilen heißt, eine Wissenssoziologie der Wissenssoziologie zu versuchen. Sachlich hat man dabei eine mehrschichtige Aufgabe zu lösen, d. h. Probleme zu bewältigen, die sich aus der schnell variierenden historischen Perspektive ebenso ergeben wie aus MANNHEIMS zwar gleichzeitig artikulierten aber unterschiedlichen Akzentsetzungen. Der Konservatismus fordert MANNHEIM wie seine ganze Epoche heraus: er scheint für viele eine Antwort auf die großen Fragen des Nachkriegs- (und des nachrevolutionären) Deutschland bereitzuhalten. Das Schattenbild eines in der Mentalität vornehmen und politisch effektiven deutschen Konservatismus wirkt in den 20er Jahren in Deutschland nachhaltig. Der Ungar MANNHEIM blickt allerdings auf den Konservatismus auch aus der Perspektive seines Landes, so daß seine Konservatismus-Konzeption keineswegs ausschließlich als interessefreier Beitrag zur Wissenssoziologie gelten darf. Die historische Dynamik, die das Auftreten des konservativen Denkens ermöglicht, erläutert MANNHEIM modellhaft an einer Reihe von historischen Ereignissen, die, obzwar verallgemeinernd-exemplifizierend eingesetzt, aus der ungarischen intellektuellen Geschichte der Vorkriegszeit stammen. Mit der neuen Ausgabe von MANNHEIMS Studie über den Konservatismus liegt die erste vollständige Veröffentlichung dieses Werkes vor. Der Klassiker der Konservatismus-Forschung (und der Wissenssoziologie überhaupt), das Urmanuskiipt, aus dem MANNHEIM später im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik eine umfassende Variante in 2 Teilen veröffentlichte, war bis heute faktisch unbekannt und wurde erst 1980 im Nachlaß PAUL KECSKEMETI aufgefunden. Die Textgrundlage der Konservatismus-Studie wurde dadurch noch komplexer und komplizierter zu überblicken. MANNHEIM nutzte nämlich 1947 für eine englische Version Texte aus dem Original, die in der veröffentlichten Fassung bislang ausgespart worden waren. Eine wichtige Voraussetzung sowohl der Konservatismus-Auffassung wie auch der Wissenssoziologie MANNHEIMS isf sein Bruch mit der „immanentistischen" Auffassung der Geschichfe des Denkens. MANNHEIM attackiert damit vor allem den Versuch, die Entwicklung philosophischer Entwürfe aus einem eigengesefzHchen Entfalfungszusammenhang des Denkens zu erklären. Dagegen steht seine These von der Verflochtenheit des Denkens in die existentiellen Bezüge (deren negative Version eben die Beseitigung der Vorstellung eines eigengesetzlichen Entfaltungszusammenhangs bildet). Es folgt hieraus eine Abwertung der PhilosoMANNHEIMS
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phie bzw. der Philosophiegeschichte sowohl in der Wissenssoziologie überhaupt wie auch im spezifischen Kontext der Konservatismus-Frage. Konservative Ideologien werden so nicht an ihrem philosophischen Wahrheitsgehalt gemessen, mit der Frage ihrer philosophischen Plausibilität konfrontiert, sondern ihr Gehalt (i. e. ihr Wahrheitsgehalt) wird isoliert thematisiert, ohne Rücksicht darauf, ob und wie die betreffende Aussage in philosophischen Richfungen begründet ist. Die politologische und die philosophisch-theoretische Geltung einer These werden nicht aufeinander bezogen. Ein erhellendes Beispiel dafür liefert MANNHEIMS Beurteilung von NOVALIS' Die Christenheit und Europa. Er zeichnet dieses Werk als ein für sich wertvolles Werk aus, charakterisiert es aber im ganzen eher als ein „Traumgebilde denn als eine politische Ideologie". Interessant ist dabei nicht so sehr, ob und wieweit dieses Werk direkt politisch ist, auch nicht die politische Wirkung, die es tatsächlich ausgeübt hat. Wichtig ist, daß MANNHEIM aufgrund seiner wissenssoziologischen Voraussefzung mif der immanenten (geschichts)philosophischen Bedeutung des Werks nichts anzufangen wußte und seine Bedeutung für die Entstehung des konservativen Denkens nicht gewichten konnte. Diese Abwertung der Philosophiegeschichte wie des systematisch Philosophischen überhaupt läßt sich am aufschlußreichsten an Fiegel demonstrieren. Sie wird hier aber auch besonders problematisch. Bei Hegel fallen philosophische und politische Deutung schon traditionellerweise auseinander, wie es am Beispiel der These von der Vernünftigkeit des Wirklichen oder bei der Annahme, Hegel antizipiere den totalen Staat, gut zu studieren wäre. Interessanterweise findet sich bei MANNHEIM auch ein expliziter Verzicht auf Hegels Analysen, der sich auf mehrere Gründe zurückführen lassen könnte. Zunächst einmal könnte man annehmen, daß MANNHEIM nicht in dem Ausmaß über philosophisches Wissen verfügte, wie es beispielsweise bei MAX SCHEUER oder GEORG LUKäCS vorauszusetzen war. Allerdings sprechen gerade die bei der Entwicklung der Konservatismus-Konzeption herangezogenen philosophischen Begründungen von ADAM MüLLER bis SAVIGNY gegen diese Hypothese, weil beide die bis heute philosophisch am wenigsten aufgearbeiteten Konzeptionen vertreten. So scheint hinter MANNHEIMS Desinteresse in Sachen Philosophiegeschichte eine bewußte strategische Entscheidung zu stehen. Dafür spricht, daß MANNHEIM selbst die Vorteile eines solchen Philosophieverzichts betont, wenn er darauf hinweisf, daß es für den Soziologen keine Frage sei, ob die Logik des dynamischen Denkens nun von SCHELLING, Hegel und ADAM MüLLER auf je eine selbsfändige Art oder von SCHELLING und Hegel gemeinsam ausgearbeitet worden sei, wobei ADAM MüLLER diese Konzeption dann später übernommen hätte. Allerdings übersieht MANNHEIM hier, daß die Philosophiegeschichte gerade in diesem Fall auch für die Wissenssoziologie von enfscheidender Bedeufung isf. Die Tafsache nämlich, daß ADAM MüLLER sich 1804 versuchsweise mif der Philosophie der Gegensäfze auseinandersetzt, kann als wissenssoziologischer Beweis dafür gelten, daß der Konservatismus seine eigene Konzeption dadurch artikulieren kann, daß er seine theoretischen Hauptgegner gegeneinander ausspielt. Die von MANNHEIM
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genannten beiden möglichen Entstehungsgeschichten der Philosophie ADAM markierten dann zwei verschiedene wissenssoziologische Ausgangssituationen: die Artikulation eines Selbstverständnisses in Absetzung von der Philosophie des deutschen Idealismus oder die unabhängige Gewinnung des eigenen Selbstverständnisses. Auch über andere Wege führt die Reflexion der Behandlung von Philosophie und Philosophiegeschichte in MANNHEIMS Konservatismus-Konzeption zur Problematisierung seiner Relation zu Hegel. Selbst MANNHEIMS Hinweise, mit denen er seinen Verzicht auf eine direkte Analyse Hegels begründet, verschaffen Einsicht in diese Problematik. Meist ist es gerade Hegel, dessen Thesen entweder genutzt werden, ohne daß sein Name erwähnt würde, oder die in einer verzerrenden Weise mit Inhalten identifiziert werden, die mit der Philosophie des deutschen Idealismus nicht in Einklang zu bringen sind. So zeigt sich, daß der explizite Verzicht auf eine Analyse der Hegelschen Philosophie zum Schaden der Konservatismus-Analyse MANNHEIMS gereicht. Darauf weist auch der einleitende Aufsatz von KETTLER, MEJA und STEHR (Mannheim und der Konservatismus. Über die Ursprünge des Historismus) in der Erschließung der näheren zeitgeschichtlichen Umstände von MANNHEIMS Habilitation hin. Treffend belegef wird MANNHEIMS Schwanken zwischen entgegengesetzten konzeptionellen Inhalten, was darauf hinweist, daß die Hegelauseinandersetzung MANNHEIMS zu wenig klar artikuliert ist. So zeigt sich z. B. eine Diskrepanz zwischen der Charakteristik Hegels als des Vorbereiters des Marxismus und der Charakteristik der Hegelschen Philosophie als der dritten Stufe des konservativen Denkens. Nichf zu vergessen ist die zentrale Rolle, die Hegel in LUKäCS' Geschichte und Klassenbewußtsein zugesprochen wird — ein Werk, das als eine der stimulierenden Herausforderungen hinter MANNHEIMS Konservatismus-Versuchen steht. Hier wirkt Hegel auf eine Konzeption, die sowohl wissenssoziologisch-methodisch als auch politisch als Artikulation des richtigen Bewußtseins des Proletariats versus Konservatismus akzeptiert werden muß. So kann man nicht darüber hinwegsehen, daß eine deutlichere Explikation des Hegel-Bildes auch zur Bestimmung der eigenen Stellung MANNHEIMS im politischen Spektrum seiner Zeit tunlich gewesen wäre. Zudem wechselt der Wissenssoziologe K. MANNHEIM selber die Perspektive: bald scheint er im Konservatismus — zumindest andeutungsweise — eine chancenreiche Alternative für die Gegenwart zu erblicken, bald herrschen — eher indirekt — liberale Optionen vor. ln diesem Zusammenhang wird deutlich, daß eine nicht nur subkutane, sondern explizite Hegel-Interpretation gerade durch den Zwang zur Konkretisierung der Konservatismus-Konzeption eine deutlichere Bestimmung von MANNHEIMS eigenem Standort nach sich ziehen könnte. Allerdings scheint diese philosophisch-begründende Analyse mit der Funktion der Wissenssoziologie schwer zu vereinbaren. Auch darin mag einer der möglichen Gründe liegen, warum MANNHEIM die vorbereitete und versprochene explizite Hegel-Analyse am Ende seines anspruchsvollen Werkes nicht durchführte. Überdies scheint der wohl wichtigste praktische Grund dieser „ausgebliebenen" Hegel-Analyse der gewesen zu sein, daß MANNHEIM in der Charakteristik MüLLERS
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der Protagonisten des philosophischen Konservatismus freigiebig von Hegelschen Denkmustern Gebrauch gemacht hat. Es ist vor allem ADAM MüLLER, dem MANNHEIM viele auffällige Hegelsche Attribute beilegt, so daß er ihn im Endeffekt in einem viel stärkeren Maße im Hegelschen Geist rekonstruiert, als es MüLLERS Texte eigentlich erlauben (oder als es ihm selber genehm gewesen wäre). Dynamik und Vermittlung, die Begriffskorrelation „Begriff" und „Idee" sind die wichtigsten Anhaltspunkte dieser Durchdringung der MüLLERschen Philosophie mit Hegels Gedanken. Dadurch entsteht dann die Schwierigkeit, Hegel selber in diesem hegelisch ausgebauten Rahmen zu plazieren. Schon der Anfangssatz, mit dem MANNHEIM seine Hegel-Analyse einleiten will, deutet darauf hin: „Wir wenden uns nunmehr Hegel zu, dessen Weg in der bisher analysierten gemeinsamen sozial-geistigen Problematik des deutschen konservativen Denkens einen dritten Typus bedeutet." Es ist ersichtlich, daß nach den vorausgehenden Analysen MüLLERS die Typisierung Hegels mit Hegelschen Begriffen eine tatsächlich kaum zu bewältigende Aufgabe dargestellt hätte. Das Ausbleiben der versprochenen Hegel-Deutung ausschließlich als Scheitern des Unternehmens der wissenssoziologischen Begründung der KonservatismusKonzeption anzusehen, wäre vermutlich übertrieben, vor allem, weil es den Ergebnissen und Verdiensten der Arbeit nicht gerecht würde. Dennoch bleibt der Abbruch der Arbeit beim Übergang zur versprochenen Hegel-Analyse ein Symptom dafür, daß die Hegelschen Gedanken vermutlich noch lange ein schwieriges, vielleicht das tiefste theoretische Geheimnis der MANNHEiMschen Konservatismus-Konzeption bleiben werden. Zumindest ist sein Geist in den stets virulenten, selbst aber kaum explizierten Hinweisen auf den Historismus sowie in MANNHEIMS inhaltlichen und methodischen Reflexionen auf Entsprechung und Widerspruch zwischen Geschichtlichkeit und Systematik gegenwärtig. Endre Kiss (Budapest)
G. W. F. Hegel: Fenomenologia de l'esperit. T. 1—2. Traducciö de Joan Leita. Ediciö a cura de Ramon Valls i Plana. Barcelona: Editorial Laia 1985. 407 u. 345 S. Mit der Übersetzung der Phänomenologie des Geistes von JOAN LEITA liegt die erste vollständige katalanische Übersetzung eines Hegelschen Werkes vor. Sie gehört zu einem anspruchsvollen Projekt, das beabsichtigt, 150 Hauptwerke der Philosophiegeschichte auf Katalanisch herauszugeben. Es sollte deshalb besonders darauf hingewiesen werden, daß diese Übersetzung eine Begrifflichkeit in einer Sprache ausbildet, die noch mangelhafte philosophische Präzision aufweist. Die Phänomenologie ist von ihrem bekanntesten hispanischen Kommentator, RAMON VALLS I PLANA, mit einer Einleitung herausgegeben worden. Dort vertritt er
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noch einmal die These seines Buches Del yo al nosotms (Barcelona, 1971, 2. Aufl. 1979); vgl. Hegel-Studien. 9 (1974), 275-279; 20 (1985), 256-258. Er hält die Phänomenologie für die Beschreibung des Weges, der zur Intersubjektivität und zur Freiheit führt. Dabei legt er nicht nur Wert auf dieses Ziel und dieses Ergebnis, sondern besonders auf die Dramatik, welche diesen langen Prozeß kennzeichnet. Nur mit der wiederholten Aufhebung des eigenen Widerspruchs und der Negativifät kann sich das individuelle Bewußfsein (Ich), das die phänomenologische Erfahrung macht, auf die Ebene der Intersubjektivität — dadurch auch auf die Absolutheit und Freiheit — des Wissens und der Gemeinschaft (Wir) erheben, ln der Phänomenologie fallen schließlich Wissen und Macht — Wissenschaft und Politik — in einem einzigen Prozeß zusammen. Diese Auslegung von RAMON VALLS bleibt maßgeblich für die Prägung der in der Übersetzung gebrauchten Terminologie, die Neologismen vermeidet und die Annäherung an die Alltagssprache sucht, um eine brauchbare und verständliche philosophische Sprache zu schaffen. Als Beispiele können folgende Übersetzungsvorschläge dienen: Aufhebung/superaciö, Bedürfnis/fretura, Bestimmtheit/ determinitat, Bestimmung/determinaciö, Beziehung/referencia, Dingheit/reitat, EigendünkeEinfatuaciö, Einsicht/intel. lecciö, Entäußerung/alienaciö, Entfremdung/estranyament, erscheinen/apareixer, scheinen/pareixer, Gewissen/consciencia moral, Selbständigkeit/suficiencia, Täuschung/delusiö, Wirklichkeit/realitat efectiva. Bisweilen vermißt man einen ausführlicheren kritischen Apparat und eine größere philosophische Aufmerksamkeit in einer Übersetzung, die sonst im allgemeinen philologisch richtig ist. Der Philosoph und Theologe JOAN LEITA bemüht sich, die kontextuellen Referenzen der Personal- und Demonstrativpronomen jeweils zu explizieren. So hilft er dem Leser, geht aber selbst das Risiko einer Festlegung ein. Bedauerlicherweise wurde für die Übersefzung die Theorie-Werkausgabe benutzt, und deswegen fehlen z. B. die Beilagen der hisforisch-krifischen Ausgabe, die noch nicht in spanischer Übersetzung vorliegen, das Verständnis des Hegelschen Werkes aber wesentlich bereichert hätten. Dennoch kann man, da es sich hier zunächst um eine Studienausgabe handelt, erwarten, daß diese Übersetzung zusammen mit ihrer Einleitung, chronologischen Tafel, Bibliographie und dem Register der terminologischen Entsprechungen (allerdings fällt das in den Bänden der katalanischen Sammlung sonst übliche Sachregister hier weg) eine wertvolle Studienhilfe und wohl ein Marksfein in der Entwicklung der katalanischen Philosophie ist. Goncal Mayos (Barcelona)
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Zur Hegelforschung in China
1. Während des Niedergangs der chinesischen Dynastie wandten sich die chinesischen Intellektuellen der europäischen Zivilisation zu. Der Beginn der Hegelforschung in China darf mit einem Artikel aus dem Jahre 1903 angesetzt werden. Der weitere Fortgang dieser Hegelforschung und Hegelrezeption läßt sich in drei Phasen darstellen. In der Zeit von 1903 bis ca. 1949 geht es wesentlich um die Übersetzung und Bekanntmachung der wichtigsten Hegelschen Werke, wobei die Forschungsperspektiven stark vom Neohegelianismus bestimmt wurden. Dieser Anfangsphase verdankt sich Hegels Popularität in China. Zwischen 1949 und 1978 konnten wegen der strengen Direktiven der politischen Ideologie des Sozialismus im Wesentlichen nur Hegels Logik und die Geschichte der Philosophie bearbeitet werden, wobei alle Forschungsarbeiten in eine orthodox-marxistische Kritik münden mußten. Hegels Ästhetik und Geschichtsphilosophie wurden zwar übersetzt, aber meist als Repräsentanten der preußischen Ideologie abgetan. Die Hegel-Diskussion beschränkte sich im Wesentlichen auf die formelle Unterscheidung zwischen dem rationalen Kern der Hegelschen Dialektik und dem Idealismus, der als „reaktionärer Mantel" kritisiert wurde. Erst nach 1978 setzt sich die Forderung nach einer wissenschaftlichen Hegelforschung durch, die frei von allen politischen Tabuisierungen Hegels Werk in den Blick fassen soll. Vor allem geht es darum, Hegel zunächst einmal originär zu verstehen. Durch diese Forderung wurde die Aufmerksamkeit auf Hegels Jugendarbeiten gelenkt, die vorher in der chinesischen Forschung kaum beachtet wurden. Auch für die Zukunft besteht hier noch eine große Forschungslücke. In dieser Zeit rücken auch Hegels Natur- und Geistesphilosophie ins Zentrum des Interesses, und es läßt sich absehen, daß die Hegel-Rezeption bereits einige forscherische Erfolge hatte und noch haben wird. Die Grundlage der Hegelforschung bilden natürlich die vorhandenen Übersetzungen; und hier liegen erhebliche Erschwernisse. Bislang sind nämlich nur folgende Werke Hegels in chinesischer Sprache greifbar: 1962 und 1979 erschien in zwei Bänden die Übersetzung der Phänomenologie des Geistes. Die Wissenschaft der Logik wurde ebenfalls in zwei Bänden 1966 und 1976 übersetzt. Der erste Teil der Enzyklopädie, die „Logik", erschien in Übersetzung im Jahre 1950, die Grundlinien der Philosophie des Rechts 1961. Im Jahr 1956 bereits wurden die drei Bände der Vorlesungen zur Ästhetik übersetzt, im gleichen Jahr ein Band der Geschichtsphilosophie. Die Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie kamen in 4 Bänden 1962 heraus, Hegels Naturphilosophie liegt in einem Band seit 1980 vor. Leider fußen die meisten Übersetzungen auf den Ausgaben GLöCKNERS oder LASSONS, die durch die neuere Forschung in vielen Punkten bereits überholt sind. Die empfindlichste Lücke ist wohl ein völliges Fehlen von Übersetzungen zu Hegels Jugendschriften und zu Schriften der Jena-
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er Zeit. Hier wird eine Ausgabe vorbereitet, die sich nicht nur mit den frühen Schriften Hegels beschäftigt, sondern die Hegels Schriften insgesamt in neuer Übersetzung herausbringen soll. Erstmals orientiert sich hier eine Übersetzung an der neuen historisch-kritischen Ausgabe der Hegelschen Werke, die vom Hegel-Archiv (Bochum) besorgt wird. Als vordringliche Aufgabe wird die Übersetzung der Jugendschriften sowie der Jenaer Schriften geplant. Unabhängig von dem Übersetzungsprojekt wird demnächst ein zweibändiges Hegel-Lexikon erscheinen. Es ist nicht zu verkennen, daß im Augenblick in China die Tendenz zunimmt, die gesamte gegenwärtige Philosophie der Welt zu rezipieren. Dadurch kann aber die Hegelforschung nicht wesentlich eingedämmt werden. Allein im Jahre 1987 wurden mehr als 30 Aufsätze über Hegel in verschiedenen Zeitschriften und Hochschulblättern publiziert. Es geht vor allen Dingen um eine Behandlung der Hegelschen Ästhetik, um die Auseinandersetzung mit Hegels Begriff der Negation, um eine Interpretation der Geschichte der Philosophie, um Begriffsklärungen zu Begriffen wie Geschichte, Unendlichkeit, Reflexion, Natur usw. Selbstverständlich ist auch Hegels eigene Beurteilung Chinas ein Brennpunkt des Interesses. Interessant an dieser neuen Porschung ist, daß sich nach langjähriger Beschäftigung mit Hegels vollendetem System die Aufmerksamkeit nun auf die Entwicklungsgeschichte seines Denkens richtet, daß vor allem Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, nicht die Konzeption des absoluten Wissens in den Vordergrund rückt. So kann man mit gutem Recht behaupten, daß neben der KANxforschung die Hegelforschung mit ihrer großen Anzahl von Abhandlungen die Priorität in der Rezeption ausländischer Philosophie in China hat. Es fragt sich natürlich, wie es gerade zu diesen Schwerpunkten gekommen ist. Eine unübersehbare Ursache für das Interesse an Hegel liegt in der politischen Situation der Vergangenheit. Hegels Philosophie als das Erbe, das im Marxismus fortgetragen wird, ist ein primäres Interessefeld, wenn man sich über die Vorgeschichte des Marxismus womöglich unter der Perspektive seiner Überwindung Klarheit zu verschaffen sucht. Darüber hinaus dient auf der anderen Seite Hegels Philosophie dem chinesischen Leser als Peld exemplarischen Lernens in der klassischen Philosophie. Hegels Werke waren beinahe die einzigen Werke der klassischen Philosophie, die lange Zeit hindurch zugänglich waren. Ein beklagenswerter Mangel der Hegelforschung in China liegt ohne Zweifel darin, daß aufgrund fehlender Quellen, vor allem aufgrund der Unzugänglichkeit der Hegelschen Jugendschriften und der Jenaer Schriften, in denen sich Hegels Entwicklung zum System verfolgen ließe, die Porschung nicht auf dem neuesten Stand des Wissens betrieben werden kann. Auch beschränken sich bis heute noch eine ganze Reihe von Arbeiten auf eine marxistisch-leninistische Interpretation, viele Ansätze bleiben zu allgemein und vage, weil die Konzentration auf ein einzelnes Problem eine bessere Quellenlage voraussetzen würde. Es bleibt zu hoffen, daß diese Porschungssituation sich möglichst bald durch zureichendere Grundlagen ändern wird.
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Zu erwähnen ist abschließend, daß es zumindest zwei Publikationsorgane gibt,die geeignet sein möchten, die Forschungssituation aufzubessern. Es ist einmal die Zeitschrift Deutsche Philosophie, die vom Institut für ausländische Philosophie der Hubei-Universität unter der Leitung von ZHANG SHIYING in Peking herausgegeben wird. Diese Zeitschrift befaßt sich, wie ihr Titel andeutet, speziell mit der deutschen Philosophie; sie wurde im Oktober 1985 ins Leben gerufen. Das zunehmende Interesse an deutscher Philosophie, besonders in der Zeit gegenwärtigen Umbruchs, motivierte die Redaktion dazu, die deutsche Philosophie seit dem 18. Jahrhundert zum Interessenschwerpunkt zu erheben. Vor allem werden zunächst Übersetzungen klassischer Texte und Abhandlungen publiziert, Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum original abgedruckt, daneben Rezensionen zu neuen Publikationen, Tagungsberichte und Diskussionen im deutschsprachigen Raum. Ein zweisprachiges Inhaltsverzeichnis und eine kurze Zusammenfassung vor jedem Artikel informieren im Überblick. Es läßf sich feststellen, daß in den bisher vorliegenden 5 Heften (die Zeitschrift erscheint zweimal jährlich) auch Hegel eine intensive Berücksichtigung gefunden hat. Die zweite der Zeitschriften, die sich besonders der deutschen Philosophie widmen, sind die Kant-Hegel-Studien, die von JIANG PEIZHI und Yi XIN (Shanghai) herausgegeben werden. Von dieser Zeitschrift sind bislang (d. h. seit 1986) zwei Bände erschienen, die die beiden deutschen klassischen Philosophen KANT und Hegel ins Zentrum rücken. Auch hier gibt es neben Aufsätzen, Übersetzungen einiger kurzer aber zentraler Texte, Dokumentationen des Meinungsaustausches zwischen chinesischen Gelehrten und Forschungsdokumenten. Im ersten Band z. B. findet sich ein Auszug aus Hegels Positivitäts-Schrift, einer Schrift, die dem chinesischen Leser bislang nur in deutscher Version zugänglich sein konnte. Der zweite Band bietet einen Überblick über die Eorschung zu Hegels Dialektik in der UdSSR. Es ist zu wünschen, daß sich in beiden Publikationsorganen das Interesse an der deutschen und der europäischen Philosophie weiter in der bisherigen Weise durchsetzen kann, d. h. daß durch die Repräsentation und Diskussion dem chinesischen Leser eine ausführlichere und fundierte Beschäftigung mit der deutschen Philosophie möglich werden kann. Zu erwähnen ist ferner, daß ausgehend von den Initiativen, denen sich auch die genannten Zeitschriften verdanken der Versuch gemacht wird, in internationalen Symposien die europäische Philosophie bekannt zu machen. Im April 1988 z. B. fand in Wuhan unter der Leitung von ZHANG SHIYING, dem Leiter des Instituts für ausländische Philosophie der Hubei-Universität, ein Symposion statt, in dem sich Porscher aus Deutschland, Frankreich, den USA und Japan, sowie eine große Anzahl chinesischer Wissenschaftler und Studenten zusammenfanden. Hier wurde LEIBNIZ', KANTS und selbstverständlich Hegels Philosophie in der Konzentration auf seine Theorie der Subjektivität, seinen Begriff des absoluten Geistes sowie der Negativität zur Diskussion gestellt. Der spezifische Aspekt war die Frage nach der Leistung der Philosophie für die Bestimmung der Stellung des Menschen in der modernen (bürgerlichen) Gesellschaft. Vermutlich wird in der Zeitschrift Deutsche Philosophie eine Auswahl der
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Beiträge dieses Symposions noch 1989 erscheinen können. Die Beiträge werden zweisprachig veröffentlicht. Es bleibt die Hoffnung zu äußern, daß die vielfältigen Initiativen gerade zur Hegelforschung in den nächsten Jahren Frucht tragen können. Einige neuere Monografien zu Hegel seinen anschließend vorgestellt. 2.
Shuren Wang: Neue Untersuchungen zur spekulativen Philosophie. Eine Stu-
die über Hegels System. [Chinesisch.] Peking: Renmin-Verlag 1985. 431 S. Der Verfasser beabsichtigt nicht, das ganze Hegelsche System im allgemeinen zu behandeln, sondern es geht ihm um den Versuch herauszuheben, was in Hegels System heute noch lebendig und wirkmächtig ist. Ihn interessieren dabei vor allem folgende Probleme: Die Beziehung zwischen „Sein" und „Nichts", wie sie in der Logik dargestellt wird; die Frage nach dem Ursprung der Hegelschen Ästhetik; die Frage nach der Idee von Praxis bei Hegel. Da solche Probleme in China bisher nicht eingehend diskutiert worden sind, betritt der Verfasser interpretatorisches Neuland. Den genannten Fragestellungen gemäß gliedert er seine Interpretation in drei Teile. Zunächst geht es um die Feststellung, daß Hegels Wissenschaft der Logik die Entstehung der dialektischen Logik bedeutet und daß sie die Einheit von Ontologie, Erkenntnistheorie und Logik repräsentiert. Dies läßt sich am besten an Hegels Lehre vom konkreten Begriff demonsfrieren. In der anschließenden Untersuchung des zweiten Teils zur Ästhetik weist der Verfasser besonders auf die herausragende Stellung der Ästhetik in Hegels System hin. Hegel faßt allerdings die Ästhetik in der Phänomenologie des Geistes noch mit der Religion zu einem Kapitel zusammen. Dies ist erklärungsbedürftig, wenn man die herausragende Stellung der Ästhetik zuvor behauptet hat, und der Verfasser bietet als Erklärung zwei Gründe an. Zunächst meint er, Hegel habe sich zu der Zeit mit der Ästhetik noch nicht konkret befaßt (eine These, die aufgrund der enfwicklungsgeschichtlichen Studien zum jungen Hegel der letzten Jahre in Deutschland außerordentlich problematisch geworden ist). Dann weist er darauf hin, daß Religion und Ästhetik bis hin zur Renaissance zusammen behandelt worden sind, daß also Hegels Konzeption zumindest auf einer wohleingespielten philosophischen Tradition beruht. In einem abschließenden letzten Teil stellt der Verfasser Hegels Äuffassungen der Praxis, der Freiheit, der Geschichte der Philosophie sowie seine KANxkritik zur Diskussion. In der gesamten Untersuchung werden Hegels Auffassungen gemäß marxistischer und dialektisch-materialistischer Prinzipien dargestellt und kritisiert. Man vermißt dabei den Versuch, Quellen und geschichtliche Entwicklung des hegelschen Systems rückblickend ebenso zu gewichten wie die Perspektive auf die marxistische Zukunft akzentuiert worden ist.
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Zhixue Liang: Zu Hegels Naturphilosophie. [Chinesisch.] Shanghai: Ren-
min-Verlag 1986. 182 S. Auch in China kommt eine zunehmende Tendenz der deutschen Hegel-Forschung der letzten Jahre zum Tragen, nämlich die Naturphilosophie Hegels nicht mehr als willkürliche, absurde Theorie zu verurteilen, sondern sich mit ihr wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Man versucht vor allem, die Naturphilosophie vom damaligen Stand der Wissenschaft aus zu verdeutlichen. Das vorliegende Buch darf als Resultat eines solchen Versuches gelten. Auf der Basis guter Fachkenntnisse, die der Verfasser sich durch die Übersetzung von Hegels Naturphilosophie ins Chinesische (1980) erworben hat, legt er den Akzent zunächst auf die geschichtliche Originalität der Hegelschen Naturphilosophie. Unter Rücksicht auf den Forschungssfand der Nafurwissenschaft im 18. und 19. Jahrhundert wählt er nicht nur den zweiten Teil der Enzyklopädie, sondern auch Hegels Jenaer Systementwürfe zur Grundlage seiner Interpretation. Der Verfasser weist u. a. darauf hin, daß Hegels Auseinandersetzung mit dem Mechanismus in England und Frankreich einen Hintergrund seiner Naturphilosophie bildet. Hegel wollte die empirische Naturwissenschaft durch die Vernunft zur Naturphilosophie umbilden. Wieweit dieses Unternehmen gelingt, erörtert der Verfasser am Begriff der Natur bei Hegel, an Hegels Methode der Beobachtung der Natur sowie an seiner Einteilung der ganzen Natur in drei Bereiche. Anschließend wird der Blick auf die philosophischen Probleme im mechanischen und organischen Bereich gelenkt. Den Schluß der Abhandlung bildet eine Darstellung des Schicksals der Hegelschen Naturphilosophie von seinen Lebzeiten bis heute, wobei der Verfasser die neuere Forschung von D.v.ENGELHARDT (1976), vgl. Hegel-Studien. 14 (1979), 333—340; O. BREIDBACH (1982), vgl. Hegel-Studien. 18 (1983), 411—413; und D. WANDSCHNEIDER (1982) berücksichtigt. Bei dieser Untersuchung der Hegelschen Naturphilosophie will der Verfasser nicht bei der allgemeinen Interpretation stehenbleiben, sondern zugleich Hegels Thesen bzw. Hypothesen mit den heutigen Ergebnissen der Wissenschaft vergleichen. Es geht ihm darum, zu zeigen, daß, was in Hegels Zeit als absurd gilt, heute noch von Bedeutung ist. Dies breitgesteckte Ziel der Arbeit läßt die Einzelheit bedauerlicherweise zu kurz kommen. Besonders bemerklich macht sich, daß eine Darstellung der Hegelschen Naturphilosophie fehlt.
4.
Shiying Zhang: Hegels Geistesphilosophie. [Chinesisch.] Shanghai: Renmin-
Verlag 1987. 322 S. Das Buch behandelt den dritten Teil der Enzyklopädie, Hegels Philosophie des Geistes, berücksichtigt aber auch Hegels Rechtsphilosophie von 1820 sowie die von
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herausgegebenen Vorlesungen zur Rechtsphilosophie, die Vorlesung zur Ästhetik sowie die Vorlesung zur Religionsphilosophie. Als roter Faden zieht sich die These durch das Buch, daß für Hegel die Geistesphilosophie die höchste Form der Erkenntnis darstellt und daß sie dies als Philosophie vom Menschen bzw. vom Wesen des Menschen: Geist bzw. Freiheit, leiste. Diese Hochschätzung des Prinzips der Subjektivität verfolgt der Verfasser insbesondere in Hegels Auffassung vom Staat, vom Recht sowie von der Tugend. Einen plausiblen Zugang zu Hegels Philosophie des Absoluten entdeckt der Verfasser in zwei Aspekten, nämlich einmal darin, daß Hegel das Absolute durch den dialektischen Prozeß des Erkennens für erkennbar erklärt, und zum anderen, daß er diesen Prozeß zugleich als den Prozeß der Entwicklung des menschlichen Geistes betrachtet. Auf diese Weise kann Hegel die Verwirklichung menschlicher Freiheit als auf eine systematische Exposition angewiesen erweisen und ihn zugleich im Zusammenhang mit seinem Begriff des philosophischen Systems erörtern. Das Buch wendet sich vorwiegend an chinesische Leser und stellt im Wesentlichen eine kommentarartige Interpretation für Hegels Geistesphilosophie zur Verfügung, die sich auf eine historische Aufarbeitung der Gründe der Geistesphilosophie sowie auf die Frage ihrer gegenwärtigen Bedeutung konzentriert. ILTING
5. Lin He: Gesammelte Vorträge zu Hegels Philosophie.
[Chinesisch.] Shanghai:
Renmin-Verlag 1986. 693 S. Das vorliegende Buch enthält 24 Aufsätze und Vorträge über Hegels Philosophie, die in der Zeit zwischen 1930 und 1983 entstanden sind. In der Intention, den chinesischen Leser in Hegels Philosophie bzw. in sein logisches System einzuführen, ordnet der Verfasser diese Artikel nicht chronologisch sondern am Leitfaden des Hegelschen Systems. Dementsprechend werden Hegel und seine Zeit, die Phänomenologie des Geistes, die Logik, die Naturphilosophie und die Geistesphilosophie nacheinander behandelt. Besonderes Interesse verdient ein dieser Darstellung des Hegelschen Systems angeschlossener Aufsatz, der den Versuch enthält, Hegel mit ZHUXI, einem großen chinesischen Philosophen (1130—1200) zu vergleichen. Beide Philosophen sind objektive Idealisten und erheben entweder den absoluten Geist (Hegel) oder „Li" (ZHUXI) zum Wesen der Wirklichkeit. Während Hegel aber das Interesse zu haben scheint, mit Hilfe der Philosophie den Weltgeist darzulegen, legt ZHUXI den Akzent auf eine moralisch verbesserte Innenwelt des Individuums. Das Buch schließt mit einigen Aufsätzen, die über die praktische Erfahrung der Begegnung des Verfassers mit Hegels Philosophie berichten. Der Verfasser, der sich lebenslang mit Hegel befaßt hat, hat sich einen Namen als „chinesischer Hegel" gemacht. Durch das Studium im Ausland stark von Neohegelianismus beeinflußt, hat er sich zunächst der Übersetzung der „Logik der Enzyklopädie"
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zugewandt, dann zusammen mit anderen Übersetzern die Phänomenologie und die Geschichte der Philosophie ins Chinesische übertragen. Sicher nicht ohne Bedeutung ist es, daß sich der Verfasser vom Neohegelianer zum Marxisten wandelte, auch wenn dies aus politisch-ideologischen Gründen erklärlich ist. Shen Zhang (Peking)
KURZREFERATE UND SELBSTANZEIGEN
Jürgen Werner: Darstellung als Kritik. Hegels Frage nach dem Anfang der
Wissenschaft. Bonn: Bouvier 1986. 215 S. „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?" An der Beantwortung dieser, von Hegel zu Beginn seiner Wissenschaft der Logik formulierten Frage, entscheidet sich die Möglichkeit einer dialektischen Methode, die das Begründungsproblem immanent gelöst haben will. WERNER entwickelt in seiner Dissertation den Hegelschen Wissenschaftsbegriff vor dem Hintergrund einer Prinzipienphilosophie (DESCARTES, KANT), deren Programm an dem nicht aufgehobenen Widerspruch von Darstellung und Kritik scheiterfe. Hegels Logik setzf einen Anfang, der in der Kritik sich selbst zu begründen vermag. Er ist nicht „absolut", sondern aporetisch, indem sein kritisches Moment — die bestimmte Negation — der Selbstexplikation des Begriffs inhäriert. Diese Grundthese verifiziert WERNER am Übergang der Begriffe Sein—Nichts—Werden. Angelpunkt seiner Analyse ist der Begriff der Bewegung. In einer schrittweise komplexer werdenden Betrachtung zeigt der Autor das selbstkritische Bewegungsmoment der logischen Gestalten im „Übergang" als erster Form, im „spekulativen Satz" als Sprachform und in der „Reflexion" als strukfureller Vollendung der ersten Sentenz der Logik auf. Dabei erweist sich das „Werden" jeweils nicht als ein separat zu denkendes Moment der Begriffsbewegung; es isf vielmehr im Sinne der logischen Subsfanz von „Sein" und „Nichts", die ineinander verschwinden („werden"), zu verstehen. WERNER erörtert in schlüssiger Form ein Grundproblem der Hegelschen Logik. Verdienstvoll ist die historisch-systematische Einordnung der anfangs erwähnfen Fragestellung, bzw. der im Zusammenhang mit DESCARTES und KANT entwickelte dialogische Versuch der Beantwortung. Die Arbeit zeigt ein hohes Maß an kriti-
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scher Auseinandersetzung, die der thematisierten wissenschaftlichen Methode Rechnung trägt. Axel Foeller-Mancini (Bochum)
D. F. Scheltens: Hegels Rechtsfilosoße. Een inleiding. Tilburg: Tilburg University Press 1988. VIll, 174 S. möchte in dieser Einführung zur Rechtsphilosophie Hegels dessen Grundidee, die Vernunft in den Ereignissen und Institutionen zu erkennen, klar herausarbeiten. Diese Idee wird den juristischen und rechtstheoretischen, zeitgenössischen Positionen gegenüber abgegrenzt durch eine Paraphrase des abstrakten Rechts, des Gewissens und der Sittlichkeit, die aus der Vogelschau vorgeht. Die philosophischen Begriffe und die schwierigen Übergänge werden dabei einfachheitshalber übergangen. Lu De Vos (Löwen) SCHELTENS
Gongal Mayos I Solsona: Histdricidad entre Idgica e emyirica. Una lectura de la filosofia de la histöria Hegeliana [Historizität, zwischen Logik und Empirie. Eine Lektüre der Hegelschen Geschichtsphilosophie]. Barcelona, Phil. Diss. 1988. In seiner von R. VALLS I PLANA betreuten Dissertation analysiert der Verfasser die Geschichtsphilosophie des späten Hegel. Ein erster Teil enthält die entwicklungsgeschichtliche Darstellung der wichtigsten Hegelschen Schriften und die Herausarbeitung der jeweils unterschiedlichen Funktion der Geschichte im System, die Wandlung von der vierstufigen zu dreistufigen Struktur der Weltgeschichte sowie mögliche Erklärungen dieser Wandlung. Daran schließt sich eine Analyse und ein Rekonstruktionsversuch innerhalb der Vorlesungen (nach der Ausgabe von LASSON) an, der insbesondere den logischen Leitfaden eruieren will. Im driften Teil untersucht der Verfasser Strukturelemente der Hegelschen Thematisierung der Geschichte wie z. B. die Freiheit als Ziel der Geschichte, Hegels Konzeption des Staats und der Verfassungen (insbesondere seine Kritik der Demokratie und der liberalen Tradition sowie seine Option für die Monarchie) sowie die Rolle des absoluten Geistes bzw. der Religion, die Spannung von Geist und Natur, Hegels Konzeption der List der Vernunft. Unter dem letzten Aspekt geht es um die argumentative Rechtfertigung der empirischen Verwirklichung der Logik in der Geschichte, wodurch unmittelbar der vierte Teil vorbereitet wird, der die Folgerungen aus einer Annahme der Harmonie zwischen geschichtlicher Logik und
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Empirie zieht. Die spezifische Bedeutung der Geschichtsphilosophie innerhalb des Systems stellt sich hier dar als eine diachronisch-logische Version des Ganzen der Geistphilosophie. Ihr spekulativ-logischer Kern liegt in der Annahme eines parallelen Prozesses von Selbsterkenntnis und Selbstschöpfung. — Abschließend erörtert der Verfasser Hegels Auffassung des Fortschritts und das Problem der Rede vom „Ende der Geschichte". G. M. (Barcelona)
G. W. f. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Hrsg, von Gerd Irrlitz und Karin Gurst. Band 1. Westberlin: Verlag Das Europäische Buch 1984. C, 483 S. (eurobuch 2.) Als Einleitung zu Hegels Vorlesungen enthält dieser Band einen großangelegten Essay von GERD IRRLITZ „Über Hegels Philosophiegeschichte und über deren Stellung in der Philosophiegeschichtsschreibung". Verf. liefert eine stupende Übersicht sovcohl über den Vorlesungstext Hegels als auch über die Vorgeschichte der Philosophiegeschichtsschreibung bis zu Hegels eigenem Ansatz. In einem ersten Kapitel, „Die philosophiehistorischen Vorlesungen", erörtert Verf. das Gesamtkonzept vornehmlich im Lichte der von MARX und ENGELS geübten kritischen Würdigungen von Hegels Leistung. Dabei stehen die bekannten schematisierten Kategorien eines so disponierten Vorverständnisses zur Verfügung: Idealismus und dialektische Methode; die Einheit von Denken und Sein eröffnet eine Einsicht in die „Grundfrage" der Hegelschen Philosophie, den Konflikt zwischen Idealismus und Materialismus. Ungleich instruktiver, da von beachtlichem Materialreichtum, bietet sich das zweite Kapitel dar: „Die Stellung der Hegelschen Vorlesungen in der Geschichte der Philosophiegeschichtsschreibung". Verf. beginnt hier seinen Überblick bei PLATON und ARISTOTELES (THEOPHRAST), um sodann vor allem die Entwicklungen der Philosophiegeschichtsschreibung seit dem Humanismus der Renaissance bis zur Aufklärung darzustellen. Dabei versucht Verf. darzutun, in welchen einzelnen Gesichtspunkten Hegel eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Vorläufern in die eigene Konzeption einfließen läßt. So hebt er zurecht hervor, daß Hegel die Philosophie in ihrem strukturellen Kontext mit der übrigen Geschichte in Kunst, Wissenschaften, Gesellschaft darzustellen gesucht habe, um ein genuin „geschichtliches" Entwicklungsgeschehen aufzuzeigen. Ziel und Zweck des Hegelschen ünternehmens sei es letztlich, Geschichte und System in einen begrifflich ausgewiesenen Einklang zu bringen. Diese Intention findet aber der Autor ebensowohl in Vorstufen bei GARVE oder auch FüLLEBORN. Doch verdankt sich der ' entscheidende systematische Anstoß letztlich Kant. Wertvoll ist auch der Über-
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blick über die Versuche nach Hegel, das von ihm konzipierte Programm auf die eine oder andere Art partiell einzulösen. Kurt R. Meist (Bochum)
Pekka Kalli: Totuuden historia. G. W. F. Hegelin filosofianhistorian käsitteen ja esityksen tarkastelu [Die Geschichte der Wahrheit. Eine Betrachtung des Begriffs und der Darstellung von G. W. F. Hegels Geschichte der Philosophie, finn.]. Tampere: Tampereen Yliopisto 1989. 108 S. (Tampereen Yliopisto. Matemaattisten tieteiden laitoksen julkaisuja. A 210.) Im Ausgang von Hegels Einleitung zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, die KALLI zugleich als eine Einleitung zur gesamten Hegelschen Philosophie interpretiert, versucht er, Begründung und Aufbau des Begriffs der Geschichte der Philosophie darzustellen, sowie das Verhältnis beider. Als Einführung in die Problemstellung wird zunächst KANTS Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Geschichte dargestellt, dann die Gestaltung von Hegels Geschichte der Philosophie in der Jenaer Periode (1801—1806). Im Anschluß daran erörtert KALLI, wie Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie seinen Begriff der Geschichte der Philosophie konzipiert, und betrachtet ebenso das Problem der Anfänge der Philosophie. Abschließend wird die Periodisierung der Darstellung der Geschichte der Philosophie sowie das Problem des endgültigen Abschlusses der Geschichte der Philosophie dargelegt. In der entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung zur Jenaer Zeit wendet sich KALLI gegen die These von HEINZ KIMMERLE, daß es in der Jenaer Periode zwei voneinander unmißverständlich unterschiedene Begriffe der Geschichte der Philosophie gäbe. Aus dem Kontext der Differenz-Schiiit wird verdeutlicht, daß Hegel nicht, wie KIMMERLE meint, die Einsicht vertritt, die Philosophie habe keine Geschichte. Vielmehr hat nach Hegel die Philosophie drei Anfänge, einen logischen, einen historischen und einen phänomenologischen. Der phänomenologische Anfang darf dabei als der eigentlich geschichtliche Ansatz aufgefaßt werden und zugleich als Brücke zwischen den historischen und logischen Anfängen. Hegels Begriff des Endes der Geschichte entspringt einer „Metaphysik der Zeit", wodurch Hegels Konzeption der Geschichte der Philosophie sich von NEWTONS oder KANTS Zeitbegriff unterscheidet. Hegels Zeitbegriff vereint die Geschichte, die Philosophie und die Gesellschaft; so markieren Geschichtlichkeit der Philosophie und die „ewige Philosophie" für Hegel keine Alternativen. Die Philosophie hat jeweils eine Beziehung zu ihrer Zeit, aber jede Zeit ist ein Moment des fortschreitenden Ganzen, Moment eines Fortschritts, dessen Endpunkt nicht auszumachen ist. Pekka Kalli (Tampere)
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Otto Pöggeler: Preußens Kulturpolitik im Spiegel von Hegels Ästhetik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987. 48 S. (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge. G 287.) Der konkrete Kontext der Vorlesungen über Ästhetik soll anhand der entscheidenden Kunstwerke, Theateraufführungen und ihrer Bedeutung für Preußen und Europa in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Wiener Kongreß verdeutlicht werden. Hatte Hegel zunächst alle Hoffnung auf die Reform der Verfassung in Preußen gesetzt, so ließ deren Scheitern bildungspolitische Konzeptionen in den Vordergrund rücken, eine kulturpolitische Neubestimmung der Aufgabe der Kunst wurde erforderlich. Kapitel I widmet sich der Theater-, Oper- und Konzert-Rezeption Hegels und seiner Zeitgenossen. Die Unterschiede in der Einschätzung des Don Giovanni (E. Th. A. Hoffmann, Kierkegaard, Hotho, Hegel) oder des Freischütz zeigen die Differenzen in der Auffassung der Funktion der Kunst. Wird mit H. das Schöne als Handlung bestimmt, dann ist unterstellt, daß die Kunst auf die gestalthafte Darstellung des Göttlichen verpflichtet ist, ihre Gestalthaftigkeit macht sie in der Moderne zu etwas Vorletztem. Die Auseinandersetzung um die Gemäldesammlung der Gebrüder BOISSEREE zeigt „Die Geburt des Museums" (Kap. II). Hegels kulturpolitische Konzeption (Kap. III) erinnert heute daran, daß auch dann noch Aufgaben bleiben, „wenn die politische Konstellation den Menschen und Völkern nicht gestattet, ihren eigentlichen Interessen gemäß die Ordnungen des Lebens aufzubauen", für uns heute muß die Frage lauten, „wie Europa gemäß seiner Herkunft seinen spezifischen Beitrag in die entstehende Weltzivilisation einbringen kann". (48) Elisabeth Weiser (Bochum)
Johanna Christine Janowski: Der Mensch als Maß. Untersuchungen zum Grundgedanken und zur Struktur von Ludwig Feuerbachs Werk. Zürich, Köln: Benziger; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn 1980. 360 S. (Ökumenische Theologie. Bd 7.) In ihrer Tübinger Dissertation (ursprünglicher Titel: Der Mensch als Maß und das Maß des Menschen) beschäftigt sich die Theologin J. C. JANOWSKI mit den Thesen „Mensch als Maß" versus „Gott als Maß", die sie am Beispiel der Philosophie LUDWIG FEUERBACHS erläutert und gegenüberstellt. Eine der entscheidenden Grundlagen für FEUERBACHS Einstellung zum Christentum sieht JANOWSKI in dessen Verhältnis zu seinem Lehrer Hegel. JANOWSKI geht zunächst von der Vermutung aus, daß FEUERBACH die Philosophie Hegels — ebenso wie die christliche Lehre — nur deshalb verneine, weil er sie mißverstanden habe (vgl. 21 ff). Im Gegensatz dazu heißt es jedoch an anderer Stelle, FEUERBACH
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habe die von ihm kritisierten Gegenstände bewußt entstellt, um sie später besser verneinen zu können. Für JANOWSKI hat der entscheidende Bruch FEUERBACHS mit Hegel bereits vor dem 22. 12. 1828 stattgefunden; in einem seiner Dissertation beigefügten Brief an Hegel. Hier stelle FEUERBACH Forderungen, die nicht nur über Hegel hinausgingen, sondern — bewußt oder unbewußt — eindeutig die Entscheidung gegen Hegel beinhalteten. Dies sei im wesentlichen die Forderung nach Verwirklichung der Idee. Sie sei die Grundforderung FEUERBACHS wie Hegels, lasse sich aber nach FEUERBACH charakterisieren als Forderung nach (1.) neuer Philosophie, (2.) neuer Weltperiode oder Geschichte, (3.) neuer Religion (genauer: der Selbstaufhebung und Verwirklichung der Religion), (4.) negierender Kritik des Christentums als Religion der absoluten Subjektivität, damit als ablehnende Überwindung Hegels. Dennoch charakterisiert JANOWSKI das Verhalten FEUERBACHS gegenüber Hegel als das eines ängstlichen Schülers, der es nicht wagt, dem strengen Lehrer seine Forderungen vorzutragen. Obwohl mit der Kontroverse FEUERBACH-Hegel die Weichen für dessen eigenständige religiöse Position gestellt sind, wird dieser Punkt im weiteren Verlauf der Schrift keinesfalls zur Diskussion gestellt, sondern als Argumentationsbasis benutzt. Ebenso verhält es sich mit dem Fazit der gesamten Arbeit: FEUERBACHS Thesen sind nicht miteinander zu vereinbaren, sie schließen sich — so die von JANOWSKI vertretene theologische Lehrmeinung — aus. Dieses Fazit wird vorab formuliert und in einer facettenreichen Eklektik gegen FEUERBACH bestätigt. Thorsten Nurnus (Bochum)
Marek N. Jakubowski: Czyn, Przyszlosc, Naröd. Poglady Filozoficzne Augusta Cieszkowskiego [Tat, Zukunft, Volk. Die Pfiilosophischen Anschauungen
August Cieszkowskis]. Warszawa, Poznan 1989. 175 S. Es handelt sich bei dieser detaillierten Studie um die überarbeitete Fassung der Dissertation JAKUBOWSKIS. Der Autor rekonstruiert die zentralen Gehalte der Philosophie CIESZKOWSKIS und stellt die philosophiegeschichtlichen Bezüge zum deutschen Idealismus (insbesondere Hegel und seine Schüler, aber auch FICHTE), zu den französischen Sozialtheoretikern (FOURIER, SAINT-SIMON) und zur „romantischen Nationalphilosophie" Polens dar. Die Einleitung ordnet CIESZKOWSKIS Prolegomena zur Historiosophie (1838) dem „Umschwung" der Jahre 1836—1845 zu, der die praktische Verwirklichung der Philosophie fordert. Mit seinen Thesen vom „Ende der Philosophie", vom „Übergang der Philosophie ins Leben" und mit seinem Pathos der „Tat" formulierte CIESZKOWSKI Losungen, die für den Junghegelianismus charakteristisch blieben, wenngleich CIESZKOWSKI selbst in dieser Bewegung eher Außenseiter blieb. Im 1. Kapitel zeigt JAKUBOWSKI, wie sich CIESZKOWSKI um die Überwindung dessen bemühte, was er für den kontemplativen Charakter der Philosophie Hegels
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hielt. CiESZKOWSKi feierte zwar Hegels Dialektik als „Stein der Weisen" für die Erkenntnis der Geschichte, vermißte aber den Zukunftsbezug der Hegelschen Geschichtsphilosophie und versuchte diese Leerstelle produktiv zu füllen, indem er eine dreigliedrige Epocheneinteilung (Vergangenheit = Altertum vor Christi Geburt; Gegenwart = Mittelalter; Zukunft) in Analogie zur dialektischen Triade entwickelte. Das 2. Kapitel analysiert die Antwort, welche CIESZKOWSKI in seinem Lebenswerk Vater unser auf Hegels Diagnose moderner Zerrissenheit und „Entzweiung" zu geben versucht. Unter bewußter Vermeidung einer detaillierten Utopie, entwickelt CIESZKOWSKI eine Philosophie der Zukunft, die einerseits von FOURIER, SAINT-SIMON, und den polnischen Romantikern beeinflußt ist, andererseits deren kollektivistische Implikationen vermeidet. Im 3. Kapitel erörtert JAKUBOWSKI CIESZKOWSKIS Kritik an Hegels Begriff „Geist", den er als unvollständige Synthese von Idee und Natur versteht. Ähnlich wie SCHELLING bemüht sich CIESZKOWSKI demgegenüber um eine „Rehabilitierung der Materie". Für ihn ist nicht die Philosophie, sondern der Wille, der sich in der „Tat" manifestiert, die höchste Stufe des „absoluten Geistes". Das 4. Kapitel („Wille und Tat") untersucht diese zentralen Kategorien CIESZKOWSKIS, wobei JAKUBOWSKI die Einflüsse Hegels und LICHTES (insbesondere dessen Unterscheidung von „Tatsache" und „Tathandlung") sorgfältig gegeneinander abwägt. CIESZKOWSKIS „Tathandlung" ist der Prozeß, in dem der Mensch eine neue Wirklichkeit schafft, sich aber gleichzeitig, als Schöpfer, selbst erzeugt. Das 5. Kapitel skizziert CIESZKOWSKIS Programm einer „Polnischen Philosophie", die er als Synthese von deutscher Kontemplation und französischem Aktivismus bzw. Praktizismus konzipierte. Dies Programm bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, daß Polen eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung spielen würde. In dem Ausblick, der die Studie beschließt, bietet JAKUBOWSKI einen kritischen Überblick über die Rezeptionsgeschichte, in dem er neben der polnischen Forschung insbesondere auf die Deutungen von G. LUKäCS, A. CORNU, K. LöWITH, H. MARCUSE und J. GEBHARDT eingeht. Norbert Waszek (Erlangen)
Wilhelm Waetzoldt: Deutsche Kunsthistoriker. Bd 1: Von Sandrart bis Rumohr. Bd 2: Von Passavant bis Justi. 3. unveränd. Aufl. Berlin: Wissenschaftsverlag Volker Spiess 1986. 333 u. 311 S. Für die Hegel-Forschung ist die Neuauflage der 2bändigen Kunstgeschichte des DILTHEY- und WöLFFLiN-Schülers WILHELM WAETZOLDT schon darum ein Gewinn,
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weil im 2. Band der Deutschen Kunsthistoriker die der Hegel-Schule entstammenden Kunsthistoriker HEINRICH GUSTAV HOTHO und CARL SCHNAASE gewürdigt werden. Unter dem Titel „Geschichtsphilosphische Methode" vereinigt WAETZOLDT die beiden Hegelianer unter einer Charakteristik ihres Versuches, kunsthistorische Einsichten allgemein-publikumswirksam darzulegen. Man zieht „aus den Bildeindrücken den novellistischen Gehalt gleichsam ab, um . . . die Stimmungsessenz einer Bildgattung literarisch herauszudestillieren" (2.59). Neben dieser Anerkennung der Lebendigkeit des Wirkens und des methodischen Zugriffs finden die Hegelianer aber harsche Kritik. „Fast ohne empiristische und objektive Kunstanschauung, voll selbständiger Geistestätigkeit" lassen sie ihre Phantasie walten, „die in der Kunstgeschichte und Kunstphilosophie noch wenig durch prinzipielle Erkenntnisse geregelt war" (2.51). WAETZOLDT schließt sich dieser Kritik BAYERSDORFERS an, und zwar mit der Vermutung, daß sich die spekulativen Höhenflüge, die noch heufe die Vorworfe kunsfhisforischer Arbeiten zieren, aus dieser Tradition herleiten. Bei aller Berechtigung bedarf diese Darstellung und Kritik der Differenzierung. Dennoch aber bleiben die beiden Bände auch dem heufigen Leser interessanf, nicht allein, weil sie eine der wenigen Stellungnahmen zur Kunstgeschichte im Anschluß an Hegel überhaupt enthalten, sondern auch, weil sie diese Versuche in das Umfeld der zeitgenössischen Diskussion einordnen. So findet man in dem ersten Band die Anschauungen GOETHES, HERDERS, MEYERS, der Brüder BOISSEREE oder des Hegel bekannten VON RUMOHR dokumentiert und analysiert. Im zweiten Band wird dieses Spektrum ergänzt um die zum großen Teil gegen Hegel und die Hegelianer gerichtete kunsthistorische Debatte etwa bei GUSTAV FRIEDRICH WAAGEN oder FRANZ THEODOR KUGLER, um nur zwei herauszugreifen. Die Kunsthistoriker der Hegelschule erscheinen in diesem Spektrum mehr und mehr historisch orientierter Forschung als kunstvolle Gebilde einer fremden, absonderlichen Welf: der spekulafiven Philosophie Hegels enfstammend sind sie an der Historie nur beiher interessiert. G-S
Dietmar Voss: Wahrheit und Erfahrung im ästhetischen Diskurs. Studien zu Hegel, Benjamin, Koeppen. Frankfurt a. M. Bern: Peter Lang 1983. 369 S. Der Zweck dieses Buches liegt, wie Voss im Vorwort erklärt, darin, eine Fixierung der Hauptlinien einer „kohärenten materialistischen Theorie" der Kunst zu entwickeln. Erreichbar erscheint dieser Zweck durch eine kritische Konfrontation mit der ästhetischen Philosophie Hegels, der ästhetischen Theorie BENJAMINS. Die Resultate dieser Überlegungen sollen an der Analyse dichterischer Prosa erhärtet
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werden, um zu zeigen, wie weit die Kunst heute noch dem Anspruch genügen kann, „Wahrheitsvermittlung" zu sein. Natur und Grenze der in diese Überlegungen integrierten Hegelinterpretation sind damit benannt. Weder eine eingehende Analyse der Texte noch die Diskussion der Literatur über Hegels Ästhetik liegt in der Intention des Verfassers, sondern eine Art „Übersetzung" oder Reformulierung der Hegelschen Begriffe in die Sprache des geschichtlichen Materialismus. Leider wird an den einzelnen Beispielen nicht klar (es sei besonders auf die Reformulierung des Geistbegriffs hingewiesen, vgl. 93), was unter Integration des Idealismus in den Materialismus genau gemeint ist. Denn der Materialismus des Verfassers wirkt zeitweise wie eine Mischung aus marxistischen und psychoanalytischen Begriffen, konzipiert etwa im Sinne MARCUSES oder LYOTARDS. Auf dieser Folie bleiben auch die direkten Aussagen über Hegels Ästhetik entweder zu oberflächlich oder gehen an der Sache vorbei, so wenn Hegel vorgeworfen wird, daß er die Kunst nicht als „Diskurs des Unbewußten" im Sinne FREUDS oder LACANS konzipiert. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese materialistische Reformulierung ca. 10—15 Jahre zu spät erscheint, wobei die entliehene Aktualisierung der materialistischen Konzeption bei LACAN, FREUD, LYOTARD nicht über das Manko hinwegtäuscht, daß die zugrundeliegenden idealistischen Konzeptionen als solche gar nicht zu Wort kommen. Paolo D'Angelo (Rom)
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. ,Frankfurter Ausgabe'. Hrsg, von Dietrich Eberhard Sattler. Bd 16: Sophokles. Hrsg, von Michael Franz, Michael Knaupp und D. E. Sattler. Frankfurt a. M.: Verlag Roter Stern 1988. 463 S. Als HöLDERLINS SoPHOKLES-Übersetzung 1804 erschien, brach SCHILLER in unmäßiges Gelächter aus. Seitdem sind die angeblichen Übersetzungsfehler HöLDERLINS immer wieder Gegenstand der Kritik gewesen. Auf der anderen Seite ist aber ebenso seit BETTINE VöN ARNIM, besonders aber seit MARTIN HEIDEGGER die philosophische Bedeutung dieser Texte unstrittig, wenn auch bisher noch nicht zureichend aufgehellt. So sind die HöLDERLiNschen Übertragungen wichtig zur Beurteilung von Hegels ganz paralleler SoPHOKLES-Deutung, deren Anfänge sich ebenfalls bis ins Tübinger Stift zurückverfolgen lassen. In den Jahren, in denen HöLDERLIN in Frankfurt und Homburg vor der Höhe wieder mit Hegel zusammen war, beschäftigte er sich wieder intensiver mit SöPHöKLES. HöLDERLINS Übertragung (besonders der Antigone) dient der Begründung der „vaterländischen Umkehr", es geht um eine Transponierung des Griechischen ins Christliche (so spricht HöLDERLIN stets von Gott bzw. Daimon als „Geist"). Es geht um nicht weniger als um eine Revolution des Geistes.
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Die vorliegende Ausgabe stellt gegenüber den bisherigen schon allein deshalb einen ungeheuren Fortschritt dar, weil sie endlich deutlich macht, welche Ausgabe HöLDERLIN bei seiner Übersetzungsarbeit tatsächlich benutzt hat, nämlich die Juntina von 1555 — eine schon damals längst veraltete Edition. Der Text der alten funtina ist hier HöLDERLINS Übertragung zeilengetreu gegenübergestellt. Für Nicht-Altphilologen hat man den griechischen Text durch eine deutsche Interlinearversion verständlich zu machen gesucht (an der der Hofer Spezialist ALBRECHT SEIFERT wesentlich beteiligt war) — ein gewiß problematisches Verfahren, aber immerhin ein Anhaltspunkt zur Überprüfung der „Gesetze" von HöLDERLINS Übertragungsverfahren. Außer den Tragödien Ödipus der Tyrann und Antigonä samt ihren Anmerkungen enthält der wertvolle Band u. a. die Zitate aus Aias, den Chor aus Ödipus auf Kolonos, das Antigone-Zitat aus dem Fragment philosophischer Briefe (vormals Über Religion) sowie das Hyperion-Motto. Eine instruktive Einleitung der Herausgeber sowie ein Glossar und eine Zeittafel erhöhen die Benutzbarkeit des Bandes. C. J.
Winfried Nolting: Die Objektivität der Empfindung: Hölderlin. Mit einer Einleitung zu Kant und Hegel. Stuttgart; Steiner Verlag 1989. 222 S. Innerhalb der von HELMUT ARNTZEN aus dem Nachlaß herausgegebenen dreibändigen Studie zu einer Geschichte der literarischen Empfindung beschäftigt sich dieser (zweite) Band NOLTINGS mit HöLDERLIN. Vor allem anhand einer subtilen Auslegung des Homburger Aufsatzes Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes demonstriert NöLTING, daß „HöLDERLIN ... in einzigartiger Weise ein Strukturmoment der historischen Empfindung [gewahrt], welches weder spielerisch wie in KLEISTS Marionettentheater affirmiert zu werden vermag noch rhetorisch gefesselt wie in SCHILLERS Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung und in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen existieren kann, aber ebensowenig im System des Wissens (Hegel) begriffen ist" (51 f). NOLTING sieht in HöLDERLINS Fragment einen Diskurs am Werk, der sein Scheitern thematisiert; die Odendichtung wird dann als „Form eines Sprechens" interpretiert, „welches der Diskurs nicht erreicht" und das eben deswegen der „strengen Empfindung" zu verdanken ist (55). Als Kontrastfolie zu diesem Begriff der Empfindung dient in der vorliegenden Studie vor allem Hegel, und hier besonders die Konstruktion der Empfindung als „Ölbergszene des Geistes" (51) in der Enzyklopädie (vgl. 41—50). Hegels Theorie der Empfindung beinhalte, so die These, „Hinweise für eine Theorie der Dichtung . . ., die die Dichtung nicht als Medium innerer Erfahrung ansieht, um das Schema äußerer Erfahrung dem seit der Aufklärung immer noch wirksamen Legitimationsprinzip für Kunst als moralisch-sittliche Veranstaltung anheimzugeben.
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sondern . . . ihre Legitimation in der Ankunft einer abhanden gekommenen Gegenwart hat" (42). Interpretiert werden hier detailliert die Paragraphen 398—401 der Enzyklopädie, die die Empfindung als das erste Ende des Sichfindens in der Differenz von Sich und Welt bestimmen. Positives Interesse vermöge Hegels Theorie der Empfindung da zu erwecken, „wo sie schließlich zur Semantik der Sinne wird" (46). Den Bogen zu KANT sieht NOLTING darin geschlagen, daß für Hegel die uneigentliche Symbolik der Empfindung darin bestehe, „daß die Welt dem Subjekt, durch die Empfindung vermittelt, Bedeutung verleiht" (47). Obwohl die Arbeit sich als literaturwissenschaftliche versteht und das Thema „HöLDERLIN und die Philosophie" bewußt ausklammert (vgl. 52), leistet sie einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtig neu erwachten Diskussion um Hegels Theorie vom Werden des subjektiven Geistes innerhalb seiner Anthropologie. Christoph Jamme (Bochum)
Claudia Kaläsz: Hölderlin. Die poetische Kritik instrumenteller Rationalität. München: edition text -t- kritik 1988. 173 S. (Dialektische Studien.) In dieser Frankfurter Dissertation von 1982 wird ein Motiv in HöLDERLINS Werk freigelegt, das in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit findet: die (ästhetische) Kritik der Naturbeherrschung, die auf der Selbst- und Eigenständigkeit (ja Widerständigkeit) des Objektiven gegenüber dem Subjektiven beharrt. Dabei sieht sie gerade in der „Kritik des aufgeklärten Erfahrungsbegriffs in der Gestalt des transzendentalen Idealismus" (7) das Denkmotiv, das bei HöLDERLIN Philosophie und Poesie verzahnt. Hinter der KANT- und FiCHTE-Kritik (34 ff, 18 ff) verbirgt sich in HöLDERLINS Werk, da hat KALäSZ durchaus Recht, ein versteckter Diskurs über die „Dialektik der Aufklärung". Sie sieht in diesem Zusammenhang auch, daß Hegels — etwa im sog. Ältesten Systemprogramm vorgetragene — Kritik des „mythen- und religionskritischen subjektiven Vernunftbegriffs der Aufklärung" (8) ganz analoge Ziele verfolgt, nämlich die Überwindung der (von HöRKHEIMER in unserem Jahrhundert so genannten) „instrumenteilen Vernunft". HöLDERLINS Kritik der instrumenteilen Rationalität verdichte sich, so die Hauptthese der vorliegenden Arbeit, in seinem Konzept der poetischen Sprache (49 ff). In der poetischen Sprache gelinge es, „verlorene Qualitäten der Natur erinnernd zu bewahren" (34) und die Antinomie von Freiheit und Naturnotwendigkeit ästhetisch aufzulösen. Leider sind die Bemerkungen zum Empedokles-Drama zu kurz und zu oberflächlich (68—72), als daß sie deutlich werden lassen könnten, daß gerade hier HöLDERLIN den Prozeß der „Dialektik der Aufklärung" hellsichtig als einer der ersten diagnostiziert. So wird ein gewiß bedeutsames Thema entdeckt wie gleichzeitig auch — wenigstens teilweise — verschenkt, weil KALäSZ — im Bestre-
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ben, das Gesamtwerk unterläßt.
HöLDERLINS ZU
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berücksichtigen — wichtige Einzelanalysen CJ.
Markus Winkler: „Decadence actuelle". Benjamin Constants Kritik der französischen Aufklärung. Frankfurt a. M., Bern, New York, Nancy: Peter Lang 1984. 418 S. (Bonner Romanistische Arbeiten. 20.) Die politischen Lehren von Hegel und dem liberalen Politiker und Religionsphilosophen, Literaturkritiker und Romancier BENJAMIN CONSTANT gleichen sich in gewissen Hinsichten; in ihrer Jugendzeit müssen zwischen beiden intellektuelle und/oder persönliche Beziehungen bestanden haben, obwohl Hegel nirgendwo den Namen von CONSTANT erwähnt (vgl. dazu jetzt JACQUES D'HONDT, in: Der Weg zum System. Hrsg, von Jamme/Schneider. Frankfurt a. M. 1989). Insofern ist die vorliegende Arbeit von MARKUS WINKLER, die den Versuch unternimmt, „an CONSTANTS Aufklärungskritik die Einheit seines Werks darzustellen", auch für die Hegel-Forschung von nicht geringem Interesse. Im Zentrum von CONSTANTS Aufklärungskritik steht die politische Umwälzung von 1789. Berücksichtigt werden in dieser Arbeit aber nicht nur CONSTANTS politische Reflexionen (deren Höhepunkt ins Jahr 1806 fällt), sondern auch seine religionsphilosophischen Überlegungen (d. h. seine Kritik der aufklärerischen Irreligiosität in seinem Sbändigen Spätwerk De la religion). Eine gute Bibliographie und — was leider selten ist — ein Namenregister erhöhen die Benutzbarkeit dieser zuverlässigen Studie noch. C.J.
Ursula Rautenberg; Siegfried Grosse: Die Rezeption mittelalterlicher deutscher Dichtung. Eine Bibliographie ihrer Übersetzungen und Bearbeitungen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 1989. 459 S., 2 Abb. Am Beginn der Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft stehen einige Schüler Hegels, wie KLAUS WEIMAR (Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München 1989) jetzt herausgearbeitet hat, nämlich vor allem HINRICHS, HOTHO, RöTSCHER und KARL ROSENKRANZ. Damit spielen die Hegelianer auch eine wesentliche Rolle bei der Entdeckung der altdeutschen Literatur. ROSENKRANZ' Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter (Halle 1830) ist die „erste Geschichte der deutschen Nationalliteratur im Mittelalter" (U. RAUTENBERG, in: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg, von A. Gethmann-Siefert/O. Pöggeler. Bonn 1986. 352); sie
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LITERATURBERICHTE UND KRITIK
verdankt der Hegelschen Phänomenologie des Geistes wie den Vorlesungen zur Ästhetik wesentliche Anregungen. Schon 1827 hatte ROSENKRANZ, angeregt durch seine Beschäftigung mit der Phänomenologie, die Abenteuerreihe Parzivals als Weg zur Einheit mit dem göttlichen Geist interpretiert und ist damit für die Parzival-Vorschung bestimmend geworden. Auch als Rezensent (von San Martes d. i. ALBERT SCHULZ' Übersetzung des Parcival 1836) hat er sich in die beginnende Rezeption mittelalterlicher deutscher Dichtung (durch Übersetzungen und Bearbeitungen) aktiv eingeschaltet. Die vorliegende Bibliographie, eine bewunderungswürdige Aufarbeitung der Übertragungen der deutschsprachigen mittelalterlichen Literatur von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, erlaubt nun — gerade weil sie sich der Mühe unterzogen hat, auch die Rezensionen zu verzeichnen (die zudem in einem speziellen Register erfaßt sind) — den bis heute vernachlässigten Anteil des Hegelianismus an der Entstehung der (Alt-)Germanistik nachzuweisen — neben vielen, ungleich wichtigeren Bedürfnissen, die dieses Werk zweier Bochumer Forscher erfüllt. C. J.
Werner Künzel: Foucault liest Hegel. Versuch einer polemischen Dekonstruktion dialektischen Denkens. Frankfurt/M: Haag und Herchen 1985. 208 S. Die Entwicklung der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, die weitgehend durch ein Loslösen von Hegel gekennzeichnet ist, hat erstmalig VINCENTES DESCOMBES in seinem Buch Das Selbe und das Andere (Frankfurt/Main 1981; Paris 1978) dargestellt. Während DESCOMBES einen chronologischen Abriß gibt, trägt Künzel am Beispiel von FOUCAULTS Hegel-Lektüre eher systematisch entscheidende Motive zusammen, die die gegenwärtige Diskussion um die Postmoderne bestimmen. Ohne auf die Rezeptionsgeschichte von Hegel in Frankreich einzugehen, werden die Einwände FOUCAULTS unmittelbar mit dem dialektischen Denken konfrontiert. Die Rekonstruktion von FOUCAULTS Hegel-Kritik, die oftmals durch den Verweis auf sie verschärfende Positionen bei BATAILLE, DELEUZE, DERRIDA und LACAN eine Ergänzung finden, schlägt dabei in eine aus dem Zentrum des Systems geführte Dekonstruktion um. ln sechs Kapiteln werden unter Zugrundelegung des FoucAULTschen Diskursbegriffes einerseits die dialektischen Grenzziehungen und Ausschlußmechanismen markiert, zu denen u. a. die Illusion der Einheit von Denken und Sein, der methodische Anspruch auf Totalität, die Hypostasierung des selbstbezüglichen Wissens sowie die teleologische Geschichtskonstruktion gehören. Andererseits bildet die mit FOUCAULT vollzogene Dekonstruktion dergestalt eine Negativfolie, in der ein Denken durchscheint, das nicht länger die Identität versöhnter Widersprüche anstrebt, sondern „gerade die Differenz respektiert und bestätigt, die bisher eben den Preis — das Opfer — der Dia-
Kurzreferate und Selbstanzeigen
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lektik ausmachte" (199). Die Rettung des Anderen vor einem ihn auch sprachlich namhaft machenden Zwangsmechanismus des identifizierenden Denkens erweist sich dann am Abschluß dieser Untersuchung als deren oberste, ethische Maxime. H.-J. G.
Manfred Riedel: Für eine zweite Philosophie. Vorträge und Abhandlungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988. 249 S. (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft. 720.) Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als leihe RIEDEL seine Stimme der „postmodernen" Rationalitätskritik. Sein neues Buch legt schon im Titel die Überzeugung nahe, daß sich an jenen „Denktypus, den wir von ARISTOTELES bis hin zu Hegel und HUSSERL kennen", nicht mehr einfach anknüpfen läßt. RIEDEL, dessen internationaler Ruf u. a. auf seinen einflußreichen Studien zu Hegels Rechtsphilosophie begründet ist, spricht offen von der „Verlustgeschichfe des Gedankens". Das Projekt einer „ersten" Philosophie ist vielfach aufgegeben worden, und RIEDEL konstatiert diesen „Abschied". Zwischen RIEDEL und den vorwiegend französischen Philosophen der Posfmoderne bleibt jedoch eine entscheidende Distanz, ln deren Rede vom „Ende der Philosophie" erkennt RIEDEL die Illusion, das Denken hätte sich nun in der Andersheit zu „verwirklichen", also etwa „in Wissenschaft oder Politik, in Kunst oder Technologie". Im Gegensatz zu den Vertretern der Postmoderne betont RIEDEL, daß lediglich ein Weg der Philosophie zu Ende gegangen sei. Für ihn ist aber mit NIETZSCHE und HEIDEGGER der Weg einer „zweiten" Philosophie eröffnet. Da dieser Weg erst angezeigt ist, gilt es suchend aufzubrechen: so sind RIEDELS hier vorgelegfe Studien spurenlesend unterwegs. Aus dem reichen Fundus der darin enthaltenen Wegzeichen können hier nur einige Beispiele Erwähnung finden. Von eminenfer Bedeutung ist RIEDELS Auseinandersetzung mit HEIDEGGER. SO darf der Aufsafz über Heidegger und der hermeneutische Weg zur praktischen Philosophie als der Kristallisationspunkt der Sammlung bezeichnet werden. Aber auch Hegel, dem RIEDELS frühe Arbeiten sich so gründlich widmeten, begegnet uns in dieser Sammlung wieder. Zu einer Zeit, da die Naturphilosophie die politische Philosophie — deren Primat von HOBBES bis MARX unangefochten war — zu verdrängen scheint, demonstriert RIEDEL in seinem Vortrag Hegel, Heraklit und die moderne Physik, daß sich in Hegels HERAKLiT-Interpretation eine Denkerfahrung verbirgt, die unser Denken noch einholen muß. Es bietet sich an, darauf ein Motto aus RIEDELS Vorwort anzuwenden: „Philosophie, die einmal überholt erschien, erhält sich in der Zeit, wenn sie Erfahrungen der Zeit zurückholt." Einen besonderen Hinweis verdienen die beiden Interviews, die der hier vorgelegten Sammlung von Vorträgen und Abhandlungen als Anhang beigegeben
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LlTERy\TURBERICHTE UND KRITIK
sind. Das nur nachträglich fixierte, gesprochene Wort RIEDELS dürfte sich zur einführenden Lektüre auch des nicht streng fachkundigen Lesers vorzüglich eignen. Norbert Waszek (Erlangen)
Theodor Bodammer: Philosophie der Geisteswissenschaften. Freiburg, Mün-
chen: Alber 1987. 312 S. In diesem philosophischen Handbuch unterzieht BODAMMER die Geisteswissenschaften einer wissenschaftsphilosophischen Reflexion. Er versuchf, den Begriff der „Geisteswissenschaften" näher zu bestimmen, wobei er auf Hegel zurückgreiff, da bei diesem bereits die Rede von einer „Philosophie des Geistes" und von einer „Wissenschaft des Geistes" sei. Besonders Hegels Philosophie des objektiven Geistes, die den Formen menschlicher Vernünftigkeit nachgeht, wie diese sich im gesellschaftlichen und geschichtlichen Lebenszusammenhang real niedergeschlagen haben (vgl. 25), und seine Philosophie des absoluten Geistes, welche jene reflexiven Repräsenfationen des menschlichen Geisfes einbezieht, in denen der Geist sich seiner selbst bewußt wird, sind entscheidend für den terminologischen Gebrauch des Wortes „Geisteswissenschaften" bei DILTHEY. Auf diese Weise bestimmen sowohl Hegel als auch DILTHEY eine der Herkunftsbedingungen des Terminus „Geisteswissenschaften", da die Geisteswissenschaften in der Folge Hegels bei DILTHEY den Status reflektierender Wissenschaften, deren ,Tatsachen' dem Zweck menschlicher Selbstbestimmung dienen, erhalten (vgl. 27). Bei der Auseinandersetzung mit LüBBES Verständnis des Identitätsbegriffes in der Geschichfswissenschaftsfheorie führf BODAMMER Hegel erneut an, da dessen Unterscheidung zwischen „abstrakter" bzw. „formeller" und „wesentlicher" bzw. „in sich konkreter" Identität zur differenzierteren Klärung und Verwendung des Begriffs „Identität" bei LüBBE hilfreich gewesen wäre. Während im Falle der „absfrakten" Identitäf das „Mit-sich-Identische" unterschieden wird von dem, womit es nicht identisch ist, der Unterschied also äußerlich bleibt, bringt die „wesentliche" Identität aufgrund ihrer reflexionslogischen Struktur die Unterschiede aus und in sich selbst hervor, d. h. das Identische differenziert sich zu einer Vielfalt von Bestimmungen, die das Identische wiederum mit sich selbst vermitteln, da es sie zwar aus sich selbst heraussetzt, sie jedoch Teile dieser Einheit bleiben (vgl. 205 f). Da LüBBE sich auf den Aspekf der Identifizierbarkeit und unverwechselbaren Unterscheidbarkeif von Individuen beschränkt, macht er nur Gebrauch von Hegels Begriff der „abstrakten" Identität, und eine Bearbeitung des Themas der Integration der verschiedenen Momente eines Lebenszusammenhangs zu einer Einheit, einer Identität, ist so nicht möglich. Sabine Ebert (Bochum)
BIBLIOGRAPHIE ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1987
Zusammenstellung und Redaktion: Elisabeth Weisser (Bochum)
In dieser laufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach den Namen der Autoren. Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen sind in einem Anhang gesondert zusammengestellt. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis zum Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden im nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt: Edgardo Albizu (Lima, Peru), Georgia Apostolopoulou (Athen), Gabriella Baptist (Roma), Claudia Becker (Bochum), Gentscho Dontschev (Sofija), Felix Duque (Madrid), Istvän Feher (Budapest), Pierre Garniron (Paris), Sok-Zin Lim (Seoul), Eric von der Luft (New York), Mariano de la Maza (Santiago de Chile), Swiatoslaw Florian Nowicki (Warszawa), Lu de Vos (Leuven), Friedhelm Nicolin (Bonn), Bärbel Stemmrich-Köhler sowie Wolfgang Bonsiepen, Hans-Jürgen Gawoll, Annemarie Gethmann-Siefert, Friedrich Hogemann, Walter Jaeschke, Christoph Jamme, Hans-Christian Lucas, Kurt R. Meist, Helmut Schneider und Elisabeth Weisser vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche Hilfe bisher schon leisteten, sei besonders gedankt.
Joseph et la logique hegelienne. — In: Foi et Vie. Paris. (1987), N.3, 73-83.
ABEL, OLIVIER:
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Ein Versuch, in der argumentativen Struktur der Josephsgeschichte und der Wissenschaft der Logik H. s eine Entsprechung aufzuzeigen.
Self-Consciousness and the Quasi-Epic of the Master. — In: The Philosophical Forum. New York. 18 (1987), N. 4, 304-328. ABOULAFIA, MITCHELL:
Verf. geht dem Problem von ,Herr und Knecht' nach. Seine leitende Frage ist dabei: „Wie resultiert die Entwicklung des Selbstbewußtseins in einer solchen Begierde nach Anerkennung, die so stark ist, daß das Selbstbewußtsein willig wird, sein Leben in einem Kampf auf Leben und Tod aufs Spiel zu setzen?" Zwar sei für H. die Bereitschaft des Herrn, sein biologisches Leben zu opfern, aufs engste mit der Natur des Selbstbewußtseins verknüpft, aber er sorge hier nicht für eine angemessene Erklärung für die Genese des Selbstbewußtseins im Individuum. Die Lektüre der Phänomenologie des Geistes ist hier stark durch Kojeve und
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BIBLIOGRAPHIE
Hypolite vorgeprägt. Der Gang, die fehlende Erklärung zu rekonstruieren, speist sich ausdrücklich stark aus Mead und Freud.
La idea hegeliana de la hermeneutica juridica y su significado para la actual problemätica de la racionalidad etica [Die Hegelsche Idee der juristischen Hermeneutik und ihre Bedeutung für die aktuelle Problematik der ethischen Rationalität]. — In: Actas de las Segundas Jornadas Nacionales de Etica [Akten der II. Nationalen Tagung über Ethik]. Buenos Aires 1987. 1—8. ALBIZU, EDGARDO:
ln den Abteilungen „Das Recht als Gesetz" und „Das Gericht" in H. s Philosophie des Rechts (1821) findet man eine Theorie, die „juristische Hermeneutik" zu nennen ist. Man darf sie nicht mit der spekulativen Logik verwechseln. Das Verhältnis zwischen beiden Theorien kann in zwei Problembereichen — Vernunft und Zufälligkeit; Vernunft und juristisches Räsonnieren — untersucht werden. Auf diese Weise kann man wichtige Konsequenzen heranziehen, die die Hegelschen Begriffe von Vernunft und Logik zu verstehen erlauben. — Im Denken H. s findet man eine unterliegende Theorie der Unvernunft bzw. Entrationalisierung und des logischen Kollapses bzw. Abfalls, deren Sinn man erst begreift, indem die Idee der Logik mit den Problemen der Anwendung des Gesetzes zum einzelnen Fall verglichen wird. Die These der Vernünftigkeit des Wirklichen gewinnt damit eine höhere Präzision. Die Vernunft schließt also nicht den an der moralischen Subjektivität sowohl als auch an der Rechtspflege der modernen bürgerlichen Gesellschaft sich zeigenden Rückschritt des Bewußtseins der Freiheit aus. Die Relevanz dieser Theorien H. s für die heutige Problematik der ethischen Rationalität tritt so in den Vordergrund.
La paradoja del ahora en el pensamiento de Husserl [Das Paradoxon des Jetzt im Denken Husserls]. — In: Escritos de Filosofta. N. 15/16. Buenos Aires 1985 [recte 1987]. 167-202. ALBIZU, EDGARDO:
The purpose of this article is threefold. Firstly, it is argued that there is in the Husserlian notion of the present a basic ambiguity which goes against the idea of apodicticity, i. e. the noetical nucleus of the pure ego. Secondly, the former hypothesis is „verified" by way of a comparison between the Husserlian and the Hegelian notions of the „now". The methodologies pursued in both positions are also taken into account. Finally, a correction in these theories of time is advanced in Order to determine the concepts of „present" and „now". It is a non-Hegelian and non-Husserlian determination which resorts to both sources accomplishing at once a critical Prolongation and a rupture with their presuppositions.
J.: Gadamer: On making oneself at home with Hegel. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 19 (1987/1988), N. 1, 23-40.
AMBROSIO, FRANCIS
Verf. attempts to specify the limit of Gadamer's agreement with H., noting that Gadamer's hermeneutics seeks both to differentiate itself from and to align itself with H. and Heidegger. The analysis first concerns various particular issues, e. g., experience, dialectic, dialogue, truth, wholeness, etc.; but then proceeds to ask the more general question: „How is it that Gadamer can both distance himself from and identify himself with H. . . . fundamentally, as constitutive moments of one unified and sustained relationship?" Verf. answers that Gadamer continues in a four-sided dialogue with Heidegger and the Greeks as well as with H.,
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1987
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and that this dialogue in pari reveals to Gadamer the nature or law of relationships, of identity and difference, and of what H. calls the „concrete universal", or what Gadamer calls „belonging-together".
AMENGUAL, GABRIEL: Moralität als Recht des subjektiven Willens. — ln: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 207-215.
Der Status des zweiten Teils der Grundlinien der Philosophie des Rechts innerhalb der gesamten Rechtsphilosophie soll geklärt werden. Dieser definiert sich durch „den Ort im Entwicklungsprozeß des Freiheitsbegriffs", den die Moralität einnimmt. Die Frage, inwieweit die Moralität eine Morallehre ist, steht in Bezug zu diesem Problemfeld und wird diskutiert.
Del ideal de comunidad populär al concepto de espiritu [Vom Ideal der Volksgemeinschaft bis zum Begriff des Geistes]. — In: Estudios Filosoficos. 26 (1987), N. 101, 59—107. AMENGUAL, GABRIEL:
Diese Untersuchung verfolgt eine Evolutionslinie H. s von Tübingen bis Frankfurt, die mit dem Ideal eines freien und gemeinschaftlichen Volkes nach dem Vorbild der griechischen Polis ansetzt und in die ersten Formulierungen des Geistbegriffes mündet. In der dynamischen Auffassung eines sichselbstkonstituierenden Ganzen von Verhältnissen, dessen Verwirklichung gleichzeitig eine Verwirklichung der Religion darstellt (Systemfragment), sieht Verf. den spezifischen Beitrag H. s gegenüber Hölderlins und Schellings Konzeption der Einheit des Mannigfachen.
AMENGUAL, GABRIEL: La nueva ediciön de las „Lecciones sobre Filosofia de la Religion" de Hegel [Die neue Ausgabe der „Vorlesungen über Philosophie der Religion" von Hegel]. — In: Pensamiento. Madrid. 43 (1987), N. 172, 479 -486.
Verf. rezensiert die spanische Edition der Vorlesungen über Philosophie der Religion, Band 1 (Madrid 1984, hrsg. von Ricardo Ferrara). Er gibt einen Überblick über die Editionsgeschichte und vergleicht die spanische mit der deutschen Ausgabe von W. Jaeschke; beide Ausgaben sind in einer Zusammenarbeit entstanden. Die Übersetzung bezeichnet er als „sehr gut" und setzt sich mit einigen exemplarischen Lösungen derselben auseinander. Er analysiert die „lange und dichte" Einleitung des spanischen Herausgebers und begrüßt schließlich diese Ausgabe als die endgültige für die spanische Sprache.
The paradox of civü society in the structure of Hegel's views on ,Sittlichkeit'. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 216—225. AVINERI, SHLOMO:
Verf. zeigt, inwiefern die meisten der gängigen Interpretationen von H. s „Bürgerlicher Gesellschaft" ungenau und einseitig sind. Komplexität und Ambivalenz der H. sehen bürgerlichen Gesellschaft werden in den Vordergrund gerückt.
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BIBLIOGRAPHIE
Der Begriff Gewissen als zentrale Kategorie der Hegelschen Ethik. — ln: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 226-234. BAL, KAROL;
H. unterscheidet zwei Hauptmomente des Gewissens: „subjektives" oder „individuelles Gewissen" und „objektives" oder „vergesellschaftetes Gewissen". Unter der „Moralität versteht H. individuelle Moral und unter der Sittlichkeit — gesellschaftliche". Verf. zeigt, welche zentrale Bedeutung diese Differenzierung des „Gewissens" für die H. sehe Ethik hat.
Lezioni sulla filosofia della religione di Hegel. Problemi e significato della nuova edizione [Hegels Vorlesungen über Religionsphilosophie. Probleme und Bedeutung der neuen Ausgabe]. — In: Cultura e scuola. N. 104. Roma 1987. 119—126. BAPTIST, GABRIELLA:
Anhand einer Besprechung der von Walter Jaeschke besorgten Ausgabe der Religionsphilosophie H. s stellt Verf. die verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen vor. Berücksichtigt werden dabei die jeweiligen philosophiegeschichtlichen und philologischen Hintergründe, sowie die heutigen Diskussionen, die um Probleme der Nachschriftenedition entstanden sind.
Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie. — ln: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim/Glan. 41 (1987), 19-42. BARTUSCHAT,
WOLFGANG:
Verf. untersucht in sorgfältiger Analyse der Grundlinien den eigentümlichen systematischen Status des „abstrakten Rechts". Dessen eigentliche inhaltliche Zweckbestimmung erkennt Verf. darin, daß dergestalt das autonome Individuum von Anfang an in den systematischen Ansatz eingebracht wurde, wobei dessen Wollen selber als ein ursprüngliches Recht aufgewiesen wird. H. s Rechtsphilosophie ist sonach eine solche der modernen Subjektivität, deren Existenz im Staate der Moderne von H. verankert worden ist.
BAUM, MANFRED: Hegels Kritik an Kants Moralprinzip. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 235-244.
Verf. zeigt, wie H. mit dem zentralen Begriff seiner praktischen Philosophie, dem der Sittlichkeit, eine Abgrenzung vom Kantischen Moralprinzip leistet.
Das Verhältnis der Hegelschen Dialektik zum Marxismus in der Ansicht von Engels. — In: Universität loannina, Sektion für Philosophie (Hrsg.): Erstes Griechisches Symposium. Karl Marx und die Philosophie (loannina, 3.-5. November 1983). [Neugriechisch.] Athena 1987. 83-101. BAYONAS, AUGOUSTOS:
Verf. untersucht den Begriff der Dialektik bei H., Marx und Engels, die materialistische „Wiederherstellung" der idealistischen Dialektik H. s durch Marx und Engels, den MaterieBegriff dieser drei Denker und die Differenzierung der dialektischen von der metaphysischen Denkweise bei Hegelianismus und Marxismus. Nach Verf.s Meinung kann man ak-
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1987
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zeptieren, daß H. eine materialistische Theorie vorbereitet hat, weil H. — wie Marx im „Kapital" betont — als erster die allgemeinen Formen der Dialektik vollständig erarbeitet hat, die auch von der materialistischen Dialektik gebraucht werden können. Allerdings ist die Methode der „Wiederherstellung", die Marx und Engels gebrauchen, ein Schema, das schon H. gebraucht hatte, um von seinem idealistischen Standpunkt aus das richtige Verhältnis von sinnlicher und intelligibler Welt „wiederherzustellen".
Hegel und was Kotzebue ermordet. - In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 49-61. BECCHI, PAOLO:
Verf. geht dem Zusammenhang zwischen der Ausdifferenzierung, die der Begriff „Überzeugung" erfahren hat, und der Bildung neuer politischer Richtungen nach. Von besonderem Interesse ist dabei H. s Haltung gegenüber „dem politischen Mord, dem Terrorismus und vor allem der ihnen zugrundeliegenden Ideologie, d. h. die Ethik der Überzeugung". Die Berücksichtigung der Vorlesungsnachschriften (1819/20) ist für die Beurteilung der Grundlinien dabei unverzichtbar.
Questioni di filologia hegeliana. In difesa di Karl-Heinz Ilting [Fragen der Hegelphilologie. Zur Verteidigung von Karl-Heinz IIting]. — In: Material! per una storia della cultura giuridica. Bologna. 17 (1987), N. 1, 65-91. BECCHI, PAOLO:
Verf. berichtet über Iltings editorische Tätigkeit sowie über die Diskussionen, die um die Definition verbindlicher Kriterien bei der Ausgabe von Nachschriften aus H. s Vorlesungen entstanden sind. Dabei werden auch die allgemeineren Probleme der Edition philosophischer Texte behandelt und schon bekannte Zweifel am Quellenwert von Vorlesungsnachschriften diskutiert.
Metaphysik nach Kant: Lo Hegel-Kongress die Stoccarda. - In: Verifiche. Trento. 16 (1987), 313-318.
BIASUTTI FRANCO:
Verf. berichtet über den Hegel-Kongreß der Internationalen Hegel-Vereinigung in Stuttgart (18.-23. Juni 1987).
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: een steen des aanstoots [Hegel: ein Stein des Anstoßes]. — In: Denk-wijzen 3. Een inleiding in het denken van G. W. F. Hegel, F. Nietzsche, G. Frege en E. Husserl. Hrsg, von H. Berghs. Leuven-Amersfoort 1987. 13—38.
BOEY, KOEN:
H. gibt einen Begriff der Geschichte als Ansatz eines metaphysisch-ethischen Daseins. Gegen die Geschichte als Entwicklung zur Freiheit argumentieren Popper und Althusser unzureichend, zurecht aber protestiere Glucksmann gegen einen Elend produzierenden Geist.
J.: Contradiction in Hegel's Science of logic. — In: Review of Metaphysics. New Haven, Gönn. 40 (1987), 515-534. BOLE, THOMAS
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BIBLIOGRAPHIE
Ausgangspunkt der Analysen des Verf. s sind H. s Behauptungen in der Wissenschaft der Logik, daß jedes Ding in sich selbst widersprüchlich ist und spekulatives Denken sich von dem alltäglichen dadurch unterscheidet, daß es an der Notwendigkeit des Widerspruchs festhält. H. s Ausführungen beweisen nach seiner Meinung nicht, daß jedes wesenhafte Ding in sich widersprüchlich ist; sie machen jedoch deutlich, daß es nicht durch einfache Selbstidentität und bloße Differenz zu anderem charakterisiert werden kann. H. s Forderung, daß die Philosophie den Widerspruch denken muß, kann aber in anderer Hinsicht ein Sinn abgewonnen werden. H. will zum Ausdruck bringen, daß in einer kritischen Philosophie abweichende Behauptungen nicht zu eliminieren, sondern in das Bedenken einer Sache einzubeziehen sind, ln der Anerkennung des Widerspruchs distanziert sich das Denken vom bloßen Sein und erfaßt sich als Denken.
Die kritische Vernunft und die Versöhnung des Allgemeinen und Besonderen im System der Sittlichkeit. — ln: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 235-244. BOROWICZ-SIEROCKA, BEATA:
Im ersten Teil wird die H. sehe Auffassung der Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem rekonstruiert; der zweite Teil will mit dem begrifflichen Instrumentarium der Philosophie Adornos die Notwendigkeit dartun, über die H. sehe Auffassung hinauszugehen.
BRAUN, BERNHARD: Übereinstimmung und Differenz der Hegeldeutung bei Karl Marx und Friedrich Engels. — In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie. Salzburg. 32 (1987), 93—107.
BREIDBACH, OLAF:
Hegels Evolutionskritik. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22
(1987), 165-172. La creation chez Hegel et Schelling. — In: Revue Thomiste. Toulouse. 87 (1987), 260-279. BRITO, EMILIO:
Nicht um einen Beitrag zur H.- bzw. Scheüing-Forschung geht es dem Verf., sondern um einen Vergleich der „deux theories speculatives". Dabei konzentriert er sich auf drei Gesichtspunkte: zum einen auf die Thematik der Schöpfung ex nihilo (welche zugleich Begriffe wie Weisheit und Freiheit miteinbegreift), zum zweiten auf das Verhältnis zwischen Trinität und Schöpfung, und schließlich auf die Bezüge zwischen Schöpfung und Zeit.
A.: Hegel, Adorno and the concept of transcendent critique. — In: Philosophy and social criticism. Chestnut Hill, Mass. 12 (1987), N. 4, 297-328. BUCHWALD,
CANTILLO, CLEMENTINA: La musica nelTestetica hegeliana [Die Musik in Hegels Ästhetik]. — In: Atti delTAccademia di Scienze Morali e Politiche. Napoli. 98 (1987), 105-137.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1987
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Unter Berücksichtigung von H. s konkreter Musikerfahrung und -bildung sowie der damaligen Diskussionen um die Musik (etwa bei Herder, Solger, Schelling, Schleiermacher, Wackenroder, Tieck) stellt Verf. H. s Auffassung der Musik als Kunst der Zeitlichkeit, der Innerlichkeit und der Subjektivität und daher als geschichtlich-epochalen Ausdruck der modernen und christlichen Welt und Höhepunkt der Romantik dar. Leitfaden der Analyse bilden die Vorlesungen über die Ästhetik, wobei auch die Jenaer Geistesphilosophie und die Phänomenologie in Betracht gezogen werden.
Legislazione e legislatore neH'idealismo classico tedesco [Gesetz und Gesetzgeber im klassischen deutschen Idealismus]. — In: L'educazione giuridica [Die jurishsche Ausbildung]. Bd 5: Modell! di legislatore e scienza della legislazione [Modelle des Gesetzgebers und Wissenschaft der Gesetzgebung]. Teil I: Filosofia e scienza della legislazione [Philosophie und Wissenschaft der Gesetzgebung]. Hrsg, von Alessandro Giuliani und Nicola Picardi. Perugia 1987. 335—355. CESA, CLAUDIO:
Nach der Darstellung der Positionen Fichtes und Schellings analysiert Verf. H. s Auffassung hinsichtlich des Problems der Gesetzgebung von den Jenaer bis zu den Berliner Jahren. Bei kontinuierlicher Identifizierung zwischen Staat und Volk entwickelt sich H. s Position von der Idee eines staatsgründenden Helden und Gesetzgebers bis zur Zentralität einer vernunftmäßigen Verfassung und einer gesetzgebenden Versammlung.
CHAUMONT, JEAN-MICHEL: Amour, famille et propriete. Arendt, Hegel, Marx et la question du majorat. — In: Revue Philosophique de Louvain. Louvain-La Neuve. 85 (1987), N. 67, 371—401.
H. Arendt ist zuzustimmen, wenn sie dem Majorat eine gewisse Legitimität zuerkennt. Allerdings setzt diese Eigentumsform einen doppelten Verzicht voraus: einerseits den auf das Postulat der individuellen Autonomie, andererseits den auf das Prinzip der modernen Familie: die Liebe. Daher ist es verständlich, daß die Heutigen sich dieser Form entledigt haben.
Die Sittlichkeit als die Wahrheit des Subjektiven und Objektiven Geistes. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 250—255. CHRONIS, NIKOLAOS:
Verf. fragt, ob für H. die Freiheit „eine bloße spekulative Konzeption oder die Grundlage des menschlichen Handelns ist?" Die Antwort findet sich in H. s Lehre von der Sittlichkeit. Der „synäretische Charakter der Sittlichkeit" in seinen Konsequenzen für die Ethik soll dargestellt werden.
B.: Altizer and Christian theology. — In: Clio. Kenosha, Wisc. 16 (1987), N. 4, 331-344. CoBB, JR., JOHN
Verf. argues that the self-described atheist Altizer is „an idealist in the H. ian tradition." From the perspective of Whiteheadian naturalism, H.'s identifications of spirit with reality, of reality with the world of human experience, and of human experience with cultural and historical dialecttc, mark significant advances over the dualism of Descartes, the empiricism
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BIBLIOGRAPHIE
of Hume and even the idealism of Kant. However, in the last instance, Verf. prefers Whitehead's understanding of spirit and reality to H.'s.
O.: Die Quelle der Sittlichkeit in Hegels Phänomenologie des Geistes. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 256—261. DAHLSTROM, DANIEL
Eine bisher von der Forschung wenig beachtete Bedingung für die Entstehung und die Auflösung der Sittlichkeit in H. s Theorie, die Sexualität, wird hier herausgestellt und ihre Relevanz für das sittliche Selbstverständnis herausgearbeitet.
Le Congres Hegel de Stuttgart (18—21 juin 1987). — ln: Revue philosophique de Louvain. Louvain-la-Neuve. 85 (1987), 538-546. DEPRE, OLIVIER:
Verf. berichtet über den Hegel-Kongreß der Internationalen Hegel-Vereinigung in Stuttgart (18.-23. Juni, 1987).
DERBOLAV, JOSEF: Hegels Theorie der Handlung. — In: Derbolav: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Sankt Augustin 1987. 137—145.
Wiederabdruck des zuerst 1965 erschienenen Aufsatzes; vgl. Hegel-Studien. 3 (1965), 209-223.
Hegel und die Sprache. Ein Beitrag zur Standortbestimmung der Sprachphilosophie im Systemdenken des Deutschen Idealismus. — In: Derbolav: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Sankt Augustin 1987. 147-169. DERBOLAV, JOSEF:
Wiederabdruck des zuerst 1959 erschienenen Aufsatzes; vgl. die Festschrift für L. Weisgerber: Sprache — Schlüssel zur Welt. Düsseldorf 1959. 46—48. Siehe dazu: Hegel-Studien. 1 (1961), 342.
„Wer denkt abstrakt?" Zu Hegels Philosophie des Praktisch-Konkreten. — In: Derbolav: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Sankt Augustin 1987. 171 — 183.
DERBOLAV, JOSEF:
Wiederabdruck eines zuerst 1970 erschienenen Aufsatzes; vgl. Wissenschaft und Weltbild. 23 (1970), 248—259. - H.s semantische Umkehrung der Begriffe „abstrakt" und „konkret" hat oft Anstoß erregt. H. hat aber eine Philosophie des Konkreten entwickelt, die mit den abstrakten Verkehrungen des Humanen und den Verstellungen des sittlichen Bewußtseins kritisch abrechnet. Verf. interpretiert zuerst den Aufsatz Wer denkt abstrakt? „Das Resultat dieser Exegese wird dann übertragen und weiterverfolgt im philosophischen Horizont des großen Geist-Kapitels der Phänomenologie, wobei ergänzend auch einige Textstellen der Reehtsphilosoplüe herangezogen werden."
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Hegels BildungsVerständnis und wie weit ihm die Pädagogik folgen kann. — In: Derbolav: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Sankt Augustin 1987. 183 — 195. DERBOLAV, JOSEF:
Wiederabdruck des zuerst erschienenen Aufsatzes; vgl. Wiener Jahrbuch für Philosophie. 13 (1980), 125—139. Siehe dazu: Hegel-Studien. 18 (1983), 505.
DERBOLAV, JOSEF: Die kritische Hegelrezeption des jungen Marx und das Problem der Emanzipation des Menschen. — In: Derbolav: Impulse europäischer Geistesgeschichte. Sankt Augustin 1987. 195—213.
Wiederabdruck des zuerst 1962 erschienenen Aufsatzes; vgl. Studium Generale. 15 (1962), 272—288. Siehe dazu: Hegel-Studien. 3 (1965), 438.
N.: Ser y entender en Hegel y Santo Tomäs [Sein und Verstehen bei Hegel und dem Heiligen Thomas]. — In: Doctor Communis. Roma. 40 (1987), 269-277. DERISI, OCTAVIO
H. identifiziere Sein und Verstehen im endlichen Bewußtsein des Menschen und verwechsle dabei, im Gegensatz zu Thomas von Aquin, das Esse realissimum und actualissimum der Transzendenz Gottes mit dem endlichen Sein und Verstehen. Somit verfalle er in einen „bloß transzendentalen pantheistischen Monismus", der zudem nihilistisch sei, weil es das Sein der menschlichen Kreatur als eine Teilnahme am Sein Gottes zerstöre.
Hegel en Espana. — In: Diälogo Filosöfico. Madrid. 3 (1987), N. 1, 45-61.
DIAZ, CARLOS:
Nach einer kurzen Beschreibung der möglichen negativen Konsequenzen des neuen akademischen Interesses an H., gibt Verf. in chronologischer Reihenfolge einen Überblick über die wichtigsten Bücher, die in den beiden letzten Jahrzehnten über H. in Spanien geschrieben worden sind. Schließlich werden zwei Autoren erwähnt, die durch Aufsätze und sonstige Arbeiten einen Platz in dieser Bestandsaufnahme verdienen.
La estructura de la Fenomenologia del espfritu [Die Struktur der Phänomenologie des Geistes]. — In: Diaz: Estudios sobre Hegel [Studien über Hegel]. Bogota: Univerdidad Nacional de Colombia. 1987. 65-93. DIAZ, JORGE AURELIO:
In diesem Aufsatz ist der Ausgangspunkt ein Abschnitt des Kapitels „Die Religion". Damit ist die Frage gestellt, welches der eigentliche Unterschied zwischen den einzelnen Gestalten des Bewußtseins und den besonderen Momenten des Geistes sei. Der Verf. versucht den Sinn solcher Unterschiede zu erklären. Sie erweisen sich sowohl als innere Unterschiede hinsichtlich der Einheit der Phänomenologie des Geistes wie auch als Konstitutive von dieser Einheit.
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BIBLIOGRAPHIE
Neuere Diskussionen um das sog. „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". — In: Philosophisches Jahrbuch. Freiburg i. Br., München. 94 (1987), 342—361. DINKEL, BERNHARD:
Der Verf. gibt eine kritische Darstellung neuerer Literatur über das „Systemprogramm", besonders der Arbeiten von Pöggeler, Jamme, Henrich, Schneider. Er plädiert gegen Hegel für Schelling als Verf. des Systemprogramms. — Eine Erwiderung auf seine Argumente erfolgte durch Ch. Jamme: Ideen und Mythos. In: Philosophisches Jahrbuch. 95 (1988), 371-375.
DONTSCHEV, GENTSCHO: Hölderlin, Hegel, Schelling. [Bulgarisch.] — In: Filosofska missal. Sofia. 43 (1987), N. 2, 49—60.
Hölderlin, Hegel und Schelling sind eine einzigartige Erscheinung in der Geschichte der Philosophie. Jeder von ihnen hat seine eigene philosophische Denkweise, und dennoch wird ihr Denken wenigstens in einer bestimmten Entwicklungsperiode von einer leitenden Idee getragen. Sie ist die Idee des Menschen, der Befreiung, der Selbstbefreiung des Menschen und seines Denkens, und zwar so, daß die Selbstbefreiung des Denkens eine Voraussetzung für die Selbstbefreiung des Menschen und die Selbstbefreiung des Menschen eine Voraussetzung für die Selbsfbefreiung des Denkens ist.
Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel. — In: Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums Luzern 1986. Hrsg. v. Karen Gloy u. Dominik Schmidig. Bern, Erankfurt/M., New York, Paris 1987. 109-136. DüSING, KLAUS:
Verf. skizziert die H. sehe und die Schellingsche Fortentwicklung der ersten gemeinsamen Identitätskonzeption der Jenaer Jahre (vgl. die Beiträge im Kritischen Journal) und verdeutlicht, inwiefern die vorgestellten Einheitsmodelle eine Überwindung der negativen Theologie leisten.
Duso, GIUSEPPE: La critica hegeliana del giusnaturalismo nel periodo di Jena [Hegels Kritik des Naturrechts in der Jenaer Periode]. — In: II contratto sociale nella filosofia politica moderna [Der Gesellschaftsvertrag in der modernen politischen Philosophie]. Hrsg. v. Giuseppe Duso. Bologna 1987. 311-362. In der Auseinandersetzung mit Hobbes, Locke, Kant, Fichte und Rousseau und durch eine kritische Durchdringung des Naturrechts entwickelt sich in Jena H. s Auffassung des Verhältnisses zwischen Individuum und Staat als Versuch, die Aporien des Naturrechts zu überwinden, die zunächst im Rahmen der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Rechtslehre behandelt werden. Bei der Forderung nach einem organischen Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der politischen Macht gewinnen Spinoza und die griechische Polis eine besondere Bedeutung. Später wird die Theorie der Anerkennung erarbeitet, wobei der Einzelne sich nicht unmittelbar in der Sittlichkeit des Volkes befindet, sondern durch die ökonomische und politische Sphäre, durch die Arbeit, das Eigentum und den Vertrag vermittelt ist. Nicht der Einzelne, sondern das Volk, in Ständen organisiert, ist der wahrhafte Grund
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des politischen Lebens, das in seiner Konkretheit durch die Verfassung und das Vertretungssystem konstituiert wird.
Die logischen Leitlinien der Hegelschen Differenz von Moralität und Sittlichkeit in Hegels Philosophie des Rechts. — ln: HegelJahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 262 -272. ELEY, LOTHAR;
Die Architektonik der Enzyklopädie setzt ihre Form und formale Vorzeichnung in der Wissenschaft der Logik voraus. Verf. geht dem Verhältnis der dialektischen Logik zu den materialen Wissenschaften nach und zeigt, wie die „dialektische Logik" zum „Widersacher der Hegelschen Theorie der Sittlichkeit" wird.
ELLRICH, LUTZ: Die Rolle des Scheinbegriffs in Hegels Kritik des Vertragsrechts. — ln: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim/ Glan. 41 (1987), 183-201.
Verf. erörtert H. s Vertragstheorie strikt immanent unter Rekurs auf die begriffsstrategischen Konzepte H. s selber einschließlich der einschlägigen Ausführungen der dialektischen Logik. Dabei tritt eine kritische Pointe in H. s Argumentation für und wider die Vertragstheorie des modernen Vernunftrechts hervor. H. versucht zu zeigen, daß eine „konventionalisierte" Festsetzung des Vertragsrechtes sowohl von der „lebensweltlichen" als auch der staatlichen Seite her gegebenen „Sittlichkeit" eine jeweils „autonome Begründung" fordere. Doch H. s Kritik findet nicht die Billigung des Verf., da es H. mißlinge, eine jeweils verbindliche Unmittelbarkeit der Begründung des Vertragsrechts zu finden, um der — auch vom Verf. beklagten — „Bodenlosigkeit" des Vertragsrechts zu entgehen.
Hegel on the Inner and the Guter. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), N. 2, 133-147. EMERSON, MICHAEL:
Die Diskussion über Inneres und Äußeres wird innerhalb der Phänomenologie des Geistes im Kapitel „Beobachtende Vernunft" verfolgt und so die Dialektik von Innerem und Äußerem entfaltet.
Hegel und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes. — In; Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 129-142.
FALKE, GUSTAV;
Technema. [Neugriechisch.] — In: Ho Polites. Heft 81-82. Athen 1987. 43-47. FARAKLAS, GEORGIOS:
Die Struktur des „Technischen" und des „Artifiziellen" ist von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Frage, wie die Natur die Gesellschaft durch Selbstaufhebung hervorbringt. Verf. untersucht auch H. s Auffassung. Verf. meint, H. habe immer die Technik als Kunstgriff der Vernunft in ihrer Auseinandersetzung mit der Natur betrachtet und ihren doppelten, d. h. sowohl den subjektiven als auch den objektiven Aspekt hervorgehoben. Dies zeigt H. s Analyse des teleologischen Tuns. H. habe allerdings dies teleologische Schema mit den
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BIBLIOGRAPHIE
technischen Konnotationen gebraucht, um die Erkenntnis, die Entstehung des freien Subjekts, den Staat und die Weltgeschichte zu erklären.
Hegel e il linguaggio. Per una bibliografia sul tema [Hegel und die Sprache. Für eine Bibliographie zum Thema]. — In: Teoria. Pisa. 7 (1987), N. 1, 139-159. FERRARIN, ALFREDO:
Verf. analysiert die Auseinandersetzungen mit H. s Sprachphilosophie, besonders diejenigen der letzten dreißig Jahre. Die Untersuchungen, die das Thema im allgemeinen behandeln (Simon, Bodammer, Cook), oder die dessen Voraussetzungen erörtern (Löwith, Clark, Gadamer, Lebrun), werden ausführlich untersucht, sowie diejenigen, die besondere Aspekte der Problematik herausarbeiten (Derrida, Surber, Burbidge). Zum Schluß geht Verf. auch auf die italienische Diskussion um H. s Sprachphilosophie ein und gibt ein bibliographisches Verzeichnis mit mehr als siebzig Titeln.
La dialettica hegeliana tra epistemologia e scienza. Aggiornamento sugli studi anglo-americani [Die Hegelsche Dialektik zwischen Epistemologie und Wissenschaft. Über die neueren anglo-amerikanischen Studien]. — In: Cultura e Scuola. N. 103. Roma 1987. 114-124. FERRINI, CINZIA:
In dem ersten Teil ihres Berichts über die jüngsten Entwicklungen der H.-Rezeption im anglo-amerikanischen Sprachraum betont Verf. hauptsächlich das wachsende Interesse für H. s System von der Seite traditionell analytischer Kreise. Dies findet seinen Ausdruck in einem originellen Dialog zwischen wissenschaftstheoretischen Instanzen und phänomenologisch-hermeneutischen Orientierungen. Zum Schluß werden in einer bibliographischen Anmerkung die englischen Übersetzungen aus H. s Texten angeführt, die seit 1960 als Neuerscheinungen oder revidierte Wiederauflagen erschienen sind.
Flur, IGNACY S.: The ancient genesis of Hegel's and Heideggers philosophies. [Polnisch.] — In: Studia Filozoficzne. N. 263. Warszawa 1987. 133-147. The author analyzes ancient inspirations of H.'s and Heidegger's philosophical standpoints. He presents, in particular, interpretations of the central categories of the classical German philosophy, such as „Sein", „Dasein", „Geist", and „Dialektik". A comparison of these categories leads him to conclude that while H.'s System has been inspired by postSocratic Philosophy, Heidegger's System has been inspired by pre-Socratic philosophy. The author describes H.'s philosophy as „strong idealism and dialectism" and Heidegger's philosophy as „weak idealism and dialectism". (Zusammenfassung des Verfassers.)
Hegels Heidelberger Intermezzo. Enzyklopädie, Ästhetik und kulturpolitische Grundsätze. — In: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800. Hrsg, von Friedrich Strack. Stuttgart 1987. 528—556. FULDA, HANS FRIEDRICH:
H. s Intermezzo in Heidelberg (1816—1818) ist charakterisiert durch die Enzyklopädie von 1817, die erste Vorlesung über Ästhetik 1818 und eine neue Quelle, die Einblick gibt in He-
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gels damalige Grundsätze der Kulturpolitik (§ 158 der Vorlesung über Naturrecht und Staatswissenschaft von 1817/18). Der Verf. sieht in H. s Enzyklopädie eine Antwort auf die zeitgenössischen Forderungen an eine Enzyklopädie. H. s neue Wissenschaftssystematik löst die Triade „Ich-Welt-Gott" der metaphysica specialis ab und ersetzt sie durch einen Manifestationsprozeß des Gegenstands der Philosophie. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil bleibt auch die geschichtliche Dimension nicht aus dem System H. s ausgeschlossen. H. s Heidelberger Ästhetik ist nur noch in den Notizen zum Abschnitt „Kunstreligion" der Enzyklopädie (ed. H. Schneider 1974) greifbar, die hier zum ersten Mal teilweise interpretiert werden. Das Anliegen der Heidelberger Ästhetik wird in der Bestimmung der Art und Weise des Erfassens von Wahrheit durch die Kunst gesehen, wodurch sich die Kunst von anderen Weisen solchen Erfassens unterscheidet. Der historische Wandel ihrer Formen erweist sich als zu ihrem Wesen gehörig. Kulturpolitisch fordert H. für die Kunst Förderung und Schutz durch den Staat.
GADACZ, TADEUSZ: Freedom as reconciliation: the essence of the individual's freedom in the philosophy of Hegel. — In: International Philosophical Quarterly. New York. 27 (1987), N. 106, 173-190.
Verf. untersucht den Zusammenhang des Freiheitsbegriffs bei H. mit Selbstbewußtsein, Wille, Recht und Staat. Höchste Freiheit kann der Mensch nach H. nur in der Erkenntnis Gottes und in der Versöhnung mit Gott finden.
GAETE, ARTURO:
La idea absoluta. — In: Diälogos. Rio Piedras. 22 (1987),
N. 50, 49-91. Verf. analysiert Abschnitt für Abschnitt das letzte Kapitel von H. s Wissenschaft der Logik, über die „Absolute Idee", mit der pädagogischen Absicht, die notwendigen Mittel für eine erste Lektüre des Textes zu liefern.
F.: Dialectics and the Sciences. Philosophical questions concerning Contemporary conceptions of development. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), 244—248.
GERAETS, THEODORE
Verf. berichtet über eine Tagung, die vom 27.—30. Mai 1986 in Moskau von der „International Association for the Study of Dialectical Philosophy — Societas Hegeliana" gemeinsam mit dem Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der U. S. S. R. abgehalten wurde.
GETHMANN-SIEFERT, ANNEMARIE: Die Sammlung Boisseree in Heidelberg. Anspruch und Wirkung. — In: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800. Hrsg, von Friedrich Strack. Stuttgart 1987. 394—422.
Verf. stellt die Entwicklung der Sammlung altdeutscher Gemälde der Brüder Boisseree und ihres Freundes Bertram hinsichtlich ihres kunsttheoretischen Anspruches und ihrer kunstpolitischen Wirkung dar. Während die Sammlung allgemein als Bestandteil eines christlich-romantischen Gesamtkunstwerkes (in Parallele zum Bau des Kölner Domes) verstanden wird, bleibt H. trotz seiner Begeisterung über die ästhetische Qualität der Bilder
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BIBLIOGRAPHIE
skeptisch. Wie Goethe ist er überzeugt, daß die geschichtliche Zukunft nicht über eine Restitution der Vergangenheit, der vergangenen Kulturdenkmäler, gehen kann.
GIACCHE, VLADIMIRO: Sulla teoria hegeliana dell'azione [Zu H. s Theorie der Handlung]. — In: Giornale critico della Filosofia italiana. Firenze. Sesta Serie, vol. 7. 66 (68) (1987), 378-387.
Verf. bespricht das Buch von R. Enskat, Die hegelsche Theorie des praktischen Bewußtseins (Frankfurt a. M. 1986). Nach einer kurzen Darlegung der Hauptthesen kritisiert er auch anhand von Textverweisen zwei Grundannahmen Enskats, und zwar die angebliche zentrale Stelle des allgemeinen Wohls und des kategorischen Imperativs Kants in der Rechtsphilosophie H. s. Schließlich stellt Verf. den Sammelband: Hegel's Philosophy of Action (New York 1983) vor, hierbei zeigt er Produktivität und Grenzen der angelsächsischen Lektüre für die Interpretation H. s praktischer Philosophie auch anhand moderner Handlungstheorien auf.
Bemerkungen zu Hegels Begriff der Handlung. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 51—71. GIUSTI, MIGUEL:
GIVSAN, HASSAN: Moralität als Kritik der Sittlichkeit. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 82-97.
Anhand zweier Thesen soll die Deutung, die das Verhältnis zwischen Logik und Rechtsphilosophie bei Theunissen, Henrich und Dove erfahren hat, kritisiert werden. Moralität bezeichnet erstens „die geschichtliche Kritik der substantiellen Sittlichkeit", und zweitens ist sie als Kritik das Kriterium und Prinzip der wesentlichen Begriffe der Rechtsphilosophie.
Les fondements d'une ethique dialectique. Hegel et Rosenzweig. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 273—283. GOUHIER, ALAIN:
Verf. geht den Differenzen zwischen der H. sehen und Rosenzweigschen Dialektik nach und zeigt die Probleme einer „dialektischen Ethik" auf. „Une ethique dialectique serait ainsi, SOUS ses formes hegeliennes et rosenzweigiennes, non point la construction d'etapes prealablement programmees, les etapes d'echecs et d'erreurs s'integrant dans le tableau d'ensemble primordial, mais la Science des chances offertes ä l'action de faire advenir ce qui est promis comme fruit d'une responsabilite originaire."
Die Entfaltung des Rechts aus dem Geist der Geschichte. Perspektiven bei Hegel und Savigny. — In: Rechtstheorie. Berlin. 18 (1987), 437-461. GRAWERT, ROLF:
Verf. läßt H. und Savigny gleichermaßen in ihrem zeitgenössischen Wirkungszusammenhang als je verschiedene Verfechter einer neuen Rechtskonzeption auftreten, die jeweils in unterschiedlicher bzw. konträrer Weise auf einem neuartigen Begriff und Verständnis der „Geschichte" aufbauen sollten. Dabei erscheint Savigny als entschiedener Vertreter eines historischen Rechtsbewußtsein, in dem die Kontinuität der Tradition dominiert, die H. s vehemente Kritik auf sich zieht. Während Savigny die positive (wissenschaftliche) Erkenntnis der
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„geschichtlichen" Rechtsüberlieferung in den Vordergrund rückt, plädiert H. für ein Eigenrecht der Gegenwart und ihrer eigentümlichen rechtsschöpferischen Vernunft, die gegen das historisch eruierte „Lebensprinzip" des (bei Savigny romantisch konzipierten) „Volksgeistes" aufgeboten wird. Diese Unterschiede finden Ausdruck in der rechtspolitischen Kontroverse zwischen H. s Anhängern und der „historischen Schule" bezüglich der Kodifikations-Frage bzw. der Problematik einer unabdingbaren Rechtserneuerung nach dem Wiener Kongreß innerhalb des „Deutschen Bundes". Diese Konfrontation findet ihren begrifflich angemessenen Ausdruck in der divergenten Auffassung des Staates bei H. und Savigny. Letzterer neigt zur Anerkennung der überlieferten ständischen Gliederung der Gesellschaft, die im Staat bisher die Verteilung der Herrschaft regelte. Dagegen konzentriert sich H. s Ansatz auf die „organische" Verfassung des staatlichen Verbandes, d. h. für H. ist der Staat nicht primär aus historischem Herkommen erwachsen, sondern bildet sich eher aus dem „heuristischen" Gesichtspunkt einer Bewältigung der „bürgerlichen Gesellschaft" und deren Antagonismen. Beide Ansätze bilden letztlich nur zwei verschiedene „Übergangstheorien" von Staat und Recht innerhalb des Fortganges in das 20. Jahrhundert.
GUINLE, JEAN-PHILIPPE: Actualite de la morale hegelienne. — In: Revue Philosophique de la France et de l'Etranger. Paris. 177 (1987), N. 3, 257-271.
An der H. sehen Moral sticht hervor, daß sie zu einer Philosophie des Rechts gehört. Während Kant und Fichte sich bemüht hatten, das Recht mit seinem Zwangscharakter von der Moral, die Freiheit beinhaltet, zu trennen, hat H. versucht, sie zu versöhnen, indem er die subjektive Moral zur notwendigen Vermittlung zwischen abstraktem Recht und Staat machte.
Die Negativität des Sollens. Zur Konzeptualisierung des Selbst-seins im Übergang von Hegels Phänomenologie des Geistes zur Logik. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 284 —292. HANZIG, EVELYN:
Die von H. für notwendig erachtete Unterscheidung zwischen Moralität und Sittlichkeit hält an der Möglichkeit einer Begründung von Ethik in nur sehr eingeschränkter Form fest. Es muß deshalb gezeigt werden, wie „das Wollen im Sollen aufgeht". Verf. expliziert den Sinn, in welchem bei H. von einem Sollen gesprochen werden darf. Es wird verdeutlichf, daß H. s Sollen keine moralphilosophischen Implikationen beansprucht. Die „Nahtstelle", an der „Sollen und Wollen durch ihr Aufeinander-Bezogensein" aufgebrochen werden, ist der Übergang von der Phänomenologie des Geistes zur Logik, „wo der Wert des Lebens in den Bann reflektierten Wollens gezogen wird".
S.: Hegel's Jena logic and metaphysics. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), 209—221.
HARRIS, H.
Vergleichende Charakteristik von Übersetzungen der Jenaer Logik H.s von 1804/05 (englische, französische, italienische Übersetzung) mit zahlreichen Mitteilungen über das Zustandekommen dieser Übersetzungen aus der persönlichen Kenntnis des Verf.
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BIBLIOGRAPHIE
Die Bedeutung der ,Bildung' für die Sittlichkeit. — ln: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 293-299. HAUSER, CHRISTIAN:
Die vorklassische Tradition des Bildungsbegriffs und der H. sehe Begriff der Bildung werden einander gegenübergestellt. Es zeigt sich, „daß die vordialektische Tradition unter Bildung ein kumulatives Fortschreiten verstand, wohingegen H. ein dialektisches Fortschreiten setzte", das gegen die rein quantitative eine qualitative Veränderung stellt. Den Zusammenhang zwischen „Bildung" und „Sittlichkeit" stellt Verf. in einem dritten Schritt heraus.
WOLFHART: Fichte-Schelling-Hegel. — ln: Buchstabe und Geist. Hrsg. v. Walter Jaeschke. Hamburg 1987. 85—115. HENCKMANN,
Das eigene Profil jeder der drei großen in der Nachfolge von Diltheys Kant-Edition stehenden historisch-kritischen Ausgaben erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der jeweiligen Edition. In Teil drei (101—115) berichtet Verf. über die Differenzen in der editorischen Konzeption der verschiedenen Gesamtausgaben von H. s Werken, insbesondere über die neue kritische Ausgabe: Gesammelte Werke.
C.: The metamorphosis of Judaism in HegeTs philosophy of religion. — ln: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 19 (1987/1988), N. 1, 41-52. HODGSON, PETER
Verf. zeigt, anhand der vier Vorlesungen H. s über Philosophie der Religion in Berlin, die Wandlungen seiner Auffassung des Judentums. Die allgemeine Richtung dieser Wandlung sei eine steigende Gunst und Sympathie, die aber die ambivalente Einstellung H. s nicht aufzuheben vermag. Obwohl H. kulturelle Vorurteile zu überwinden suche, bleibe für ihn die Stellung des Judentums in der Religionsgeschichte unpräzis, weil er den inneren Reichtum des Judentums letztlich unterschätzt habe.
Hegel und die Metaphysik (1932). — ln: Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Bd. 2: Philosophische Frühschriften 1922—1932. Hrsg, von Ganzelin, Schmid, Noer. Frankfurt/M. 1987. HORKHEIMER, MAX:
Was nach der Preisgabe der H. sehen Grundansicht von seinem System noch bleibt, sind, abgesehen von der dialektischen Methode, nur dessen Bruchstücke. Alle die Totalitäten, durch welche die große Totalität, das Subjekt-Objekt, bestimmt ist, sind nichts als sinnleere Abstraktionen, das Denken immer nur das bestimmte Denken eines bestimmten Menschen; es ist von der gesamtgesellschaftlichen Situation jeweils mitbestimmt.
Hegel at Oxford, 1986. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), 225-229. HOULGATE, STEPHEN:
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ln: The Owl of Minerva.
Bericht über die achte Konferenz der Hegel Society of Great Britain. Gemeinsam mit dem Hegel-Archiv (Bochum) wurde diese Tagung vom 11. —13. 9. 1986 in Oxford unter dem Titel „History — Philosophy - Politics" abgehalten.
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M. W.: Hegel: The real and the rational. — In: International Studies in Philosophy. Binghamton, New York. 19 (1987), N. 1, 11 — 19.
JACKSON,
A vigorous defense of H.'s political theory against the Haym/Engels (mis)interpretation which has been dominant in the English-speaking scholarly and populär worlds since the mid-19th Century. Haym's Interpretation, bolstered by Engels' frequently requoted misquotation of H., Claims that H. says that whatever is real, i. e., all that is now in existence, is rational and therefore unassailable. But in fact what H. does is to identify the actual (was wirklich ist) with the rational, Accordingly, Jackson spells out carefully and in some detail H.'s systematic distinction between actuality (Wirklichkeit) and reality (Realität).
N.: The hegelian conception of war as means of rationalization. [Polnisch.] — In: Studia Filozoficzne. N. 262. Warszawa 1987. 141-152.
JAKUBOWSI, MAREK
A.: TWO paradigms for the philosophy of history. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), 195—204.
JOHNSON, PATRICIA
H. faßt das Verhältnis des Endlichen und Unendlichen unter den beiden Paradigmen der Selbstvervollkommnung und der Gemeinschaft in gegenseitiger Anerkennung. Die beiden logischen Paradigmen finden ihre Anwendung in der Philosophie der Weltgeschichte, indem das Unendliche durch die List der Vernunft die endlichen Zwecke der Menschen als Mittel der Selbstvervollkommnung benutzt.
Over de maatstaf van een filosofische kritiek. De betekenis van de filosofische krihek in Hegels vroege systeeemontwerpen [Ueber den Maßstab einer philosophischen Kritik. Die Bedeutung der philosophischen Kritik in Hegels frühesten Systementwürfen]. — In: Tijdschrift voor Filosofie. Leuven. 49 (1987), 241—274.
JoNKERS, PETER:
Nach H. ist die Idee der Philosophie oder das Absolute die Bedingung und die Voraussetzung jeder philosophisch gültigen Kritik. Damit reißen zwei Probleme auf. Erstens: wie kann eine solche Idee gerechtfertigt werden? Zweitens wird das Verhältnis der kritisierten Endlichkeit zur ausgewiesenen Unendlichkeit zum Problem. Beide Probleme werden von H. am Anfang der Jenaer Zeit unzureichend gelöst.
L.: Hegel's Concept of Recognition. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 19 (1987/1988), N. 1, 5-22.
JURIST, ELLIOT
Der Begriff der Anerkennung steht im Zentrum der H.-Interpretation der letzten 50 Jahre. Dies ist einmal darin begründet, daß durch die Publikation der Jenaer Manuskripte die Bedeutung dieses Begriffs für die H. sehe Philosophie erkannt wurde, zum andern, daß die berühmte Herr-Knecht-Dialektik der Phänomenologie des Geistes mit diesem Begriff operiert. Verf. geht es weniger um die Nachzeichnung schon vorhandener Interpretationen (von A. Kojeve, L. Siep), als um die Analyse des Begriffs der Anerkennung von einer neuen Perspektive aus. Er unterscheidet vier verschiedene Bedeutungen: die religiöse, soziale, interpersonale Form der Anerkennung und Anerkennung als Erkenntnis seiner selbst. Alle diese Bedeutungen lassen sich in der Phänomenologie des Geistes nach weisen. Verf. will zeigen, daß
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BIBLIOGRAPHIE
der Ursprung des H. sehen Begriffs — insbesondere Anerkennung als Erkenntnis seiner selbst — in der Anerkennung begründet ist, wie sie in der griechischen Tragödie erscheint.
ARMIN: Bildung und Handeln. Anmerkungen zu Hegels Bildungstheorie. — In: Bildung als Herausforderung durch die Gegenwart und Aneignung der Tradihon. Festgabe für Josef Derbolav zu seinem 75. Geburtstag am 24. März 1987. Hrsg. v. Peter Menck u. a., o. O. [Manuskriptdruck]. 99—117. KAISER,
H.s Bildungstheorie hat ihren systematischen Bezugspunkt im Begriff des Menschen als handelndem Wesen. Unter diesem Gesichtspunkt werden der Zweck der Bildung und Erziehung, der Charakter dieses Vorgangs, die verschiedenen Arten der Bildung, die Orte und Institutionen der Bildung, der Bildungsgegenstand, der Lernbegriff und die dem Bildungsvorgang angemessene Methode erörtert.
Hegel et l'etat de droit. — In: Archives de Philosophie. Paris. 50 (1987), 55—94. KERVEGAN, JEAN-FRANCOIS:
Der Begriff des Rechtsstaats wird seit dem 19. Jahrhundert eine zentrale Kategorie des deutschen öffentlichen Rechts. H. verwirft diesen Begriff nicht. Vielmehr arbeitet er ihn spekulativ auf mit dem Ergebnis, daß seine wahre Bedeutung mehr sozialer als politischer Natur ist.
In den Fesseln des Zeitgeists? Jakob Friedrich Fries, der Vorgänger Hegels. — In: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800. Hrsg. v. F. Strack. Stuttgart 1987. 515-527. KöNIG, GERT:
Jakob Friedrich Fries war der Vorgänger H. s auf dem Lehrstuhl in Heidelberg. Beide standen seit ihrer gemeinsamen Zeit in Jena in einer von Konkurrenz geprägten, gespannten Haltung. Verf. vergleicht den einseitigen antisemitischen Ruf, den sich Fries durch die zusfimmende, aber doch anders zu versfehende Rezension einer antisemitischen Schrift zugezogen hatte, mit der ebenso undifferenzierten Diffamierung, die H. wegen seiner angeblichen Konstruktion der Natur in der Schrift über die Planetenbahnen traf. Bei beiden hochgespielten Angriffspunkten handelt es sich nicht um die Essenz eines ausgedehnten Lebenswerks, sondern um Randphänomene, die aus dem Geist der Zeit heraus zu verstehen sind.
Moralische Schönheit. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 300-306. KöPCKE-DUTTLER, ARNOLD:
Über Schillers Kallias-Fragment, das in der Gestalt des barmherzigen Samariters die lebendige Gestalt moralischer Schönheit zur Anschauung bringt, und H. s frühe Schriffen suchf Verf. nach entsprechenden Konzeptionen bei anderen Denkern, so etwa bei dem Dichter Tagores und dem Philosophen Sri Aurobindos.
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Kozu, KUNIO: Zur Chronologie des Objektivitäts-Abschnitts der Hegelschen Logik in den Nürnberger Gymnasialkursen. [Japanisch.] — In: Rinrigaku-Nenpo. Tokio. 36 (1987), 87—104. ln der Nürnberger Zeit wurde die Gliederung der Hegelschen Logik, vor allem der subjektiven Logik geändert: die Ideenlehre wurde in die Begriffslehre eingeführf und der Objekfivifäfs-Abschnitt enfstand. Daraus ergibt sich, daß die Idee teleologisch begriffen wird. Es fragt sich dabei, wie der Zweck und die Idee miteinander Zusammenhängen. Ihr Zusammenhang entwickelt sich von der Trennung zur Einheit der beiden in drei Stadien. 1) Der Zweck ist direkt vor der Ideenlehre geordnet. Er macht noch nicht ein Kapitel aus. Einerseits ist die Idee überhaupt als Einheit von Subjektivität und Objektivität bestimmt, wobei ihr tätiger Charakter nicht genug ausgedrückt wird. Der Zweck wird andererseits als die Subjektivität und Objektivität vermittelnde Tätigkeit aufgefaßt, die sich von der Tätigkeit der Idee des Lebens unterscheidet. 2) Der Zweck macht ein Kapitel aus, wobei ihn der „Prozeß" der Ideenlehre vermittelt. Seine Tätigkeit ist nämlich als subjektiv hinzustellen, daher geht die Darstellung vom „Prozeß" zur Idee nicht teleologisch über. 3) Der Zweck ist als das zweite Kapitel der subjektiven Logik vor der Ideenlehre als dem dritten Kapitel geordnet, wobei die Idee überhaupt als die innere Zweckmäßigkeit teleologisch betrachtet wird. So wird die Trennung des Zwecks von der Idee überwunden. Der Zweck als etwas Objektives vermittelt den Begriff als etwas Subjektives an die Idee als Einheit von Subjektivität und Objektivität. Er kennzeichnet sich als die äußere Zweckmäßigkeit. — Anhand noch nicht veröffentlichter Schülerhefte lassen sich in der Entwicklung des Objektivitäts-Abschnitts der Logik in den Nürnbei'ger Gymnasialkursen, einschließlich der bisher bekannten Texte, 5 Fassungen unterscheiden.
Die Konzeption der Handlung in der Hegelschen Philosophie des Rechts. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 307—311. KUDEROWICZ, ZBIGNIEW:
Anknüpfend an die Kritik des polnischen Michelet-Schülers Cieszkowski an der H. sehen Geschichtsphilosophie stellt Verf. die Frage, ob der Vorwurf der Kontemplafivifät auch die H. sehe Philosophie des Rechfs und die H. sehe Konzeption der Handlung betrifft.
Zur Begründung von Moralität in Hegels Rechtsphilosophie (1821) und Schellings Neuer Deduktion des Naturrechts (1796). — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 312-316. KUEBART, GERHARD:
Verf. vergleicht die Weise, in der ScheUing in seiner Neuen Deduktion des Naturrechts eine Begründung der Moralität „im Geiste Spinozas" anstrebt, mit H. s 1821 veröffentlichtem Werk Naturrecht und Staatswissenschaften im Grundrisse.
Das Ende der Liebe zur Weisheit. Zur PhilosophieKritik und Philosophenschelte bei Georg Büchner im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Hegelrezeption. — In: Georg Büchner 1813—1837: Revolutionär, Dichter, Wissenschaftler. Basel, Frankfurt a. M. 1987. 276-281. KUHNIGK, MARKUS:
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BIBLIOGRAPHIE
Verf. versucht die Rekonstruktion des Verhältnisses von Büchner zu H. anhand des dichterischen Werks. Gezeigt wird, wie Büchner teil hat an der seit 1830 ausufernden kritischen Diskussion um die Hegelsche Philosophie. Büchner kritisiert vor allem die „lebenvernichtende Kraft des philosophischen Begriffs überhaupt" und steht damit in einer Linie mit Autoren wie Mundt, Gruppe und Kühne.
Musik bei Kant und Hegel. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 143-163. KULENKAMPFF, JENS:
Hegelian-Marxist Millenarianism. — In: History of European Ideas. Oxford [u. a.]. 8 (1987), 271—281. LAMB, DAVID:
An H. s Kritik der klassischen Korrespondenztheorie zeigt Verf. daß ihre Modifikation zur Übereinstimmung zwischen Gegenstand und Begriff den Ursprung eines revolutionären Wahrheitsverständnisses im Marxismus darstellt. Hierbei wird nicht nur die Formung von Gegenständen nach Maßgabe der Vernunft durch die praktische Tätigkeit ersetzt, sondern der Marxismus teilt mit H. auch die Annahme einer finalen Bewegung der Wahrheit, die sich schließlich in der Revolution von der Vorgeschichte der Menschheit zur wirklichen Geschichte vollendet.
Sublime et eternite. Kant et Hegel, lecteurs d'un poeme de Haller. — In: Revue de l'Enseignement Philosophique. Paris. 37 (1987), N. 3, 1-18. LARDIC, JEAN-MARIE:
Verf. übersetzt erneut das „Unvollkommene Gedicht über die Ewigkeit" von Haller, das als exemplarisch für die Unmöglichkeit gilt, in der Kunst dem Unendlichen oder Unbedingten Ausdruck zu verleihen, und stellt die Interpretationen Kants und H. s dar. In der ersten Anmerkung über den quantitativen unendlichen Prozeß in der Wissenschaft der Logik und in einem Zusatz zum § 104 der Enzyklopädie kritisiert H. Kants Auffassung des Erhabenen auch unter Heranziehung des Gedichtes von Haller. Nur das Denken, schon als mathematisches, kann das Unendliche affirmativ fassen, die Kunst bleibt dagegen ungenügend dafür.
E.: Howison's post-Hegelian personalism and the „Conception of God" discussion. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), N. 2, 131-144. LAUDER, ROBERT
A chronological sketch of the part of Howison's career from about 1880 to 1895, when his Hegelianism, which had been nurtured under the influence of Harris, Brokmeyer, and Michelet, gradually gave way in his thinking to a decidedly non-Hegelian personalism and pluralism. The denouement of this development came in the famous 1895 debate with Royce, Mezes, and LeConte. In reaction to Royce's monism, Howison rejected organic wholes and argued instead for an irreducible plurality of „strictly free minds" which „cannot be contained in the unity of any Single Consciousness".
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LLEWELYN, JOHN: A point of almost absolute proximity to Hegel. — ln: Deconstruction and Philosophy. The Texts of Derrida. Edited by John Sallis. Chicago and London 1987. 87—95.
Derridas Begriff der ,differance' (mit a) steht sowohl in größter Nähe zu H. s Begriff der .Differenz', als er auch den radikalsten Bruch markiert. .Differance' und dialektische .Differenz' stehen selbst nicht in dialektischer Beziehung zueinander, insofern die erste die Unentscheidbarkeit als eine Art transzendentaler Nicht-Einheit der Begriffe ist, erweist sich z. B. selbst H. s Phänomenologie in ihrem Trauerfeier-Charakter als eine Art Selbst-Dekonstruktion von einem ewig sich vernichtenden und sich vollendenden Kreis, wobei die Textualität als einziger, wahrhafter Rest bleibt. Verf. gibt eine Querlektüre von verschiedenen Derrida-Texten, die sich direkt oder indirekt mit H. auseinandersetzen, wobei hauptsächlich Glas sich als die nicht-Euklidische Geometrie eines Moebius-Bandes herausstellt, wo der H. sehe Kreis quadriert, das Dreieck zur Abvierung geöffnet wird.
„An Mademoiselle Christiane Hegel". Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonzept des Dekans Göritz. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 9—16. LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
Philosophie und Wirklichkeit. Einige Bemerkungen wider die Legende von Hegel als ,preußischem Staatsphilosophen'. — In: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie. Hannover. 9 (1987), 154-161. LUCAS, HANS-CHRISTIAN:
Die politische Interpretation von H. s philosophischer Identitätssetzung von Vernünftigkeit und Wirklichkeit hat schon früh zu der sogenannten Akkomodationsthese geführt. Der Doppelcharakter der Grundlinien der Philosophie des Rechts hat diesen Vorwurf unwiUentlich gefördert, der in Hayms These vom .preußischen Staatsphilosophen' gipfelt, die sich jedoch (auch in ihren neuen Varianten) als Legende ausweisen läßt. Neu aufgefundene Quellen zu H. s Rechtsphilosophie scheinen nun endlich den .wahren' Hegel zu erweisen, der (,liberaler' als in den Grundlinien) die Identität als Ziel eines Prozesses angibt. (Stichwort .Werden' statt .Sein'.) Dies ist jedoch immer schon der Sinn dieser These gewesen, — insofern sind die neu aufgefundenen Texte nicht gegen den Drucktext auszuspielen, bieten jedoch als sekundäres Material wichtige Zusatzinformation.
Identitä contraddizione fondamento. Gli albori della logica hegeliana [Identität, Widerspruch, Grund. Die Anfänge der Hegelschen Logik]. — In: II Pensiero. Rivista di Filosofia. Roma. 28 (1987), 3—37. LUGARINI, LEO:
Wenn das von Schelling in Jena aufgeworfene Problem hauptsächlich dasjenige einer Identitätsphilosophie war, entwickelt H. in Polemik gegen Schellings Auffassung des Absoluten das Thema des Widerspruchs in Auseinandersetzung mit der antiken Tradition und ihrer scholastischen und modernen Aufarbeitung (Cusanus De beryllo und Bruno Della causa, principio et um). Bei der so entwickelten Dialektik der Alterität ist das Dritte dann nicht das Ausgeschlossene, sondern das Einssein des Bestimmten und seines Entgegengesetzten, das vom Satz des Grundes sanktioniert wird. In dem Grund als Sich-Einteilen, Ur-teil, Differenz der ursprünglich zweiseitigen Identität ist Brunos .Magie' vernünftige Tätigkeit geworden.
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BIBLIOGRAPHIE
Reason and the problem of modernity. — In: The Philosophical Forum. New York. 18 (1987), N. 4, 275 -303.
MAKER, WILLIAM:
Verf. untersucht H. s Denken als in theoretischer und praktischer Hinsicht ausgezeichnetes Unternehmen der philosophischen Moderne, um es der überaus langen und vielschichtigen Reihe von Kritikern der Moderne entgegenzuhalten. Auf diesem Wege will er H. sowohl von seinen .Vorgängern' als auch von den Kritikern der Moderne und von deren Bild der Moderne ab- und ausgrenzen. Er präsentiert darum H. s Versuch der Legitimierung der Moderne und sucht seinerseits diese Sicht zu aktualisieren: Wenn H. in dieser Hinsicht zuzustimmen wäre, „hätten unsere modischen Post-Modernen unrecht. Es gibt mehr für Philosophen zu tun, als philosophischen Selbstmord zu begehen."
CHRESTOS: Wirklichkeit und Mythos in Hegels Dialektik. [Neugriechisch.] — In: Euthyne. H. 182. Athen 1987. 54—59.
MALEBITSES,
H. meinte, durch seine Dialektik die griechische Mythologie der Tragödie und die jüdisch-christliche Mythologie vom eschatologischen Wiedergewinn des verlorenen Paradieses überwunden zu haben, aber er ist gescheitert. Seine Dialektik hat zu einem ambivalenten geschlossenen System geführt, das die Macht hat, das höchste Gute zum höchsten Bösen zu verdrehen. Diese Verdrehung ist nicht nur eine Implikation des Systems, die nach H. s Tod gewirkt hat, sondern H. selbst hat durch seine politische Stellungnahme dazu beigetragen.
Identität und Sittlichkeit. Variationen über ein Hegel-Thema. - In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 139—149. MARGREITER,
REINHARD:
Verf. verfolgt entscheidende Charakterisierungen, die die Moderne und ihr Verhältnis zur Sittlichkeit bei H. und bei Nietzsche erfahren hat.
Reason and mythology, or „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". — In: Dialectics and Humanism. Warszawa. 13 (1987), 147—161. MARKIEWICZ, BARBARA:
Nach einem kurzen Überblick über die Überlieferungsgeschichte des Manuskripts des sog. „Systemprogramms" werden die philologischen Probleme und die Kontroversen über den Autor dieses Manuskripts dargestellt. Bezugspunkt ist die Neuedition des Systemprogramms durch Jamme/Schneider (1984).
The Hegelian Concept of Culture. — In: Praxis International. Oxford. 6 (1986-87), 113-123. MARKUS, GYORGY:
Innerhalb von H. s Auffassung der Kultur, die als Bildung verstanden wird, unterscheidet Verf. vier Bedeutungsdimensionen. Über den pädagogischen, historischen und soziologischen Aspekt hinaus entwickelt H. den metaphysischen Begriff einer geistigen Kultur, die alle Formen des Absoluten (Kunst, Religion und Philosophie) umfaßt. Auf diese Weise leistet H. nicht nur eine Konzeptualisierung, sondern er hebt insbesondere die resignative Tatsache hervor, daß nach dem Verlust allgemeinverbindlicher, religiöser Vorstellungen ein destruktiver Nihilismus nicht aufgehalten werden kann.
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Der Bildungsprozeß des Menschen in Hegels „Phänomenologie des Geistes" und Goethes „Faust". — ln; Goethe-Jahrbuch. Weimar. 104 (1987), 128-156. MAROTZKI, WINFRIED;
Vf. interpretiert Goethes Mephisto-Figur auf dem Hintergrund des strukturtheoretischen Prinzips der Negativität von H. Danach stellt Mephisto eine vitale Lebenskraft dar, in der Gut und Böse unterschiedliche Ausdrucksformen einer identischen Potenz sind, Faust ein geistiges Lebensprinzip. Mit H. können daher Faust und Mephisto als Verkörperungen des menschlichen Subjektes verstanden werden, das mithilfe eines gesonderten Prozesses, nämlich der Bildung, seine Zweiheit in eine Einheit zu verwandeln vermag.
Das Ideal der Volksbildung beim jungen Hegel. — In; Pädagogische Rundschau. Sankt Augustin. 41 (1987), 5—21. MENZE, CLEMENS;
Verf. untersucht des jungen H. s Volkserziehungs-Konzept, das eng mit der Französischen Revolution verbunden ist. Dazu will er „in Beschränkung besonders auf die Berner Zeit als erstes die Verknüpfung zwischen Religionskritik und Bildung zu erfassen versuchen, sodann den Ausgangspunkt markieren, von dem her sich das neue Bewußtsein aus den Köpfen der unzeitgemäßen Vordenker in eine die Gegebenheiten verbessernde, das ganze Volk umfassende Bewegung umsetzen und wirksam machen läßt, und schließlich die Umrisse des neuen Zukunftsentwurfs vorstellen". Die Entwürfe der frühen Frankfurter Zeit, insbes. der Plan der Stiftung einer „neuen Religion", werden vor diesem Hintergrund eher verständlich.
Moss, M. E.; The Crocean concept of the pure concept. — In; Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), 39—52. Croces Begriff des „reinen Begriffs", der von der Intuition ausging, läßt sich mit dem Begriff des konkreten Allgemeinen bei Hegel vergleichen. Im Gegensatz zu H. stellte Croce jedoch andere notwendige und hierarchische Begriffsverbindungen unter den reinen Begriffen her, die er „Grade" (gradi) nannte. Ein weiterer Unterschied zu H. besteht darin, daß es sich bei den reinen Begriffen Croces nicht um metaphysische Entitäten handelt, sondern um Produktionen des Bewußtseins.
Hegel and Indian Philosophy. — In; Synthesis Philosophica. Zagreb. 2 (1987), N. 1, 203—224. NANAJIVAKO, BHIKKU; CEDOMIL, VELGACIC;
Verf. setzt sich mit der H. sehen Geschichtsphilosophie und seiner Einstellung zu „östlichen Philosophien" kritisch auseinander, so mit der Interpretation des buddhistischen Nihilismus in der Enzyklopädie und der Logik. Verf. setzf H. s Idealismus mit dem Advaitavedäntah in Beziehung und führt die Kritik von TiUich, Jaspers und K. C. Bhattacharyyas an der H. sehen Philosophie als Beleg für ihren Anspruch an, der die Anerkenntnis der Eigenständigkeit östlicher Philosophie ausschließen muß.
Die naturphilosophische und naturwissenschaftliche Literatur aus Hegels privater Bibliothek. — In; Hegel und die Naturwissenschaften. Hrsg, von Michael John Petry. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. 479-499. NEUSER, WOLFGANG;
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BIBLIOGRAPHIE
Die Liste gibt den naturwissenschaftlich-philosophischen Bestand der H. sehen Bibliothek anhand der Liste des Auktionskatalogs des „Königlichen Auktionskommisarius Rauch" (nach dem Exemplar der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Berlin) wieder.
WOLFGANG: Sekundärliteratur zu Hegels Naturphilosophie (1802—1985). — In: Hegel und die Naturwissenschaften. Hrsg, von Michael John Petry. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. 501—537. NEUSER,
Chronologische Liste der Literatur zu H. s Naturphilosophie aus Skandinavien, Frankreich, Italien, Niederlanden, dem englischen- und deutschsprachigen Raum aus der Zeit von 1803-1985,
NICOLACI, GIUSEPPE: Le aporie del pensare tra fondamento e concetto [Die Aporien des Denkens zwischen Grund und Begriff]. — In: Giornale di Metafisica. Genova. N. S. 9 (1987), N. 1, 135-151.
Verf. präsentiert die einleitenden Seiten der subjektiven Logik H. s, „Vom Begriff im allgemeinen", und zeigt die Aporien von H. s sowie von jedem philosophischen Begründungsprojekt auf: Der Begriff des Begriffs, in seiner doppelten Gestalt einer aus der Entwicklung der objektiven Logik und damit aus der philosophiegeschichtlichen Erinnerung entstandenen Instanz sowie gleichzeitig eines neuen Anfanges und einer neuen Begründung nicht nur für den subjektiven Teil der Logik, ist sokratisch das Unwissen der Tiefen des Ursprungs, der selbstreferentiell Voraussetzung wird.
J. P. Hebels „Schatzkästlein" als Schülerprämie an Hegels Gymnasium. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 17—23. NICOLIN, FRIEDHELM:
FLORIAN SWIATOSLAW: Hegel's concept of civil society. [Polnisch.] — In: Studia Filozoficzne. N. 262. Warszawa 1987. 51—80. NOWICKI,
The author discusses H. s concept of civil society (bürgerliche Gesellschaft) on the basis of his whole System in this Version, which the Encyclopedia presents, and which the Phüosophy of Right also shows with respect to this particular matter. In connection with this first a notion of the objective spirit is considered, next — a notion of the Sittlichkeit. In his analysis of H. s concept of civil society the author recalls Marxist category of socio-economical basis, ln relation to this two questions can be asked, which are however difficult to be univocal answered: 1) is civil society a general notion or does it refer only to capitalistic society? 2) what kind of relation is there between the civil society and the State. Moreover, in H.'s considerations on civil society the author finds many anticipations of economical analysis of capitalism made by Marx. (Zusammenfassung des Verfassers.)
Hegel on Political Sentiment. — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim/Glan. 41 (1987), 75—88. O'MALLEY, JOSEPH J.:
Verf. kritisiert die These Iltings, daß das von H. bis 1820 vertretene Ideal einer republikanischen Demokratie für die Grundlinien in das dualistische Bild eines autoritären Staates einerseits und einer apolitisch bürgerlichen Gesellschaft andererseits zerfällt. Indem Verf. die Erörterung der politischen Gesinnung seit den Vorlesungen über Rechtsphilosophie
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(1817—1820) hin zu den Grundlinien verfolgt, stellt er die Kontinuität von H, s Staatsauffassung dar. Selbst dort, wo Ilting eine Akkomodation an die Karlsbader Beschlüsse vermutet (§ 270), hält H. an einem Staat fest, der erst dann zu seiner eigentlichen und organischen Wirklichkeit gelangt, wenn er von der politischen Gesinnung aller Bürger als Zweck gewußt wird.
L'immutabilitä di Dio. II pensiero di S. Tommaso di fronte ad Hegel e a Kierkegaard [Die Unveränderlichkeit Gottes. Das Denken Thomas gegenüber Hegel und Kierkegaard]. — In: Doctor Communis. Roma. 40 (1987), 278-284. ORLANDO, PASQUALE:
H. s Denken hat in der These vom Werden Gottes als Heilsgeschichte seinen theologischen Mittelpunkt, was aber notwendigerweise zur Verabsolutierung der Immanenz und zum Pantheismus führt. Um die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Kreatur zu bewahren, kritisiert Kierkegaard H. s System sowie seine theologische Implikationen als mystifizierend und hält dagegen an der UnVeränderlichkeit Gottes fest. Gegenüber diesen zwei Denkern bietet Thomas eine theologisch besser ausgewogene Perspektive, insofern er sowohl die Unveränderlichkeit Gottes als auch dessen Wirkung in der Geschichte durch die Schöpfung und die Menschwerdung betont, wobei die scheinbaren Widersprüche zwischen diesen zwei Aspekten theoretisch gelöst werden.
ORZEL, JöSEF: The relationship between state and civil society in Hegel and Marx. [Polnisch.] — In: Studia Filozoficzne. N. 262. Warszawa 1987. 81-95.
The author examines the relationship between civil society and the state in the social philosophy of Hegel and Marx. This relationship concerns the era of free-market capitalism and is constituted by the dialectics of the general and the particular. H. ascribes to the state generality, and Marx — particularity. Both philosophers regard the economic sphere of civil life as struggle between the particular Interests of individuals. In H. these Interests take a general form, as a result of which the ontic level of economic laws rises to the level of generality of the state. According to Marx, the general (generals market laws) arises only with the universalization of the market. The level of the state rises to the level of generality of the market. The Hegelian vision of the generality (of the interest) of the state does not contain the moment of its particularity. Marx's emphasis on particularity does not rule out an interpretation according to which the Status of the state and its interest is expressed in the relationship between the particular moment, and the general moment. (Zusammenfassung des Verfassers.)
Anamnesis. Hegel e il dibattito filosofico-teologico contemporaneo [Anamnesis. Hegel und die zeitgenössische philosophisch-theologische Diskussion]. — In: II tempo della memoria. La questione della veritä nelTepoca della frammentazione. Atti del Secondo Colloquio SU Filosofia e Religione (Macerata, 16—18 maggio 1985) [Die Zeit des Gedächtnisses. Die Frage nach der Wahrheit in der Epoche der Fragmentierung. Akten des zweiten Kolloquiums über Philosophie und PEPERZAK, ADRIAAN:
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BIBLIOGRAPHIE
Religion, Macerata, 16.—18. Mai 1985]. A cura di Giovanni Ferretti. Torino 1987. 85-112. Innerhalb der zeitgenössischen Situation eines radikalen Historizismus einerseits und eines genauso radikalen Skeptizismus gegenüber den Daten unseres geschichtlichen Gedächtnisses andererseits problematisiert Verf. H, s Auffassung der Erinnerung sowohl im Rahmen der Wiederaufnahme der Platonischen Anamnesis — wobei die Erinnerung als Abstieg in sich auf das .Innere' verweist, wo die Wahrheit als Durchsichtigkeit und Licht des Begriffes gegeben ist, — als auch in der Auseinandersetzung mit dem .Äußeren', mit dem Aufstieg in das Ganze und mit dem Problem des geschichtlichen Erbes. Die christliche Anamnesis des Kultes und die .memoria Christi' in der hoffnungsvollen und blinden Annahme des Leidens und selbst des Bösen bieten allerdings gegenüber der H. sehen Auffassung einer Allmächtigkeit der Vernunft und einer Absolutheit der begrifflichen Helligkeit die Möglichkeit einer Orientierung auch für unsere Zeit.
Freedom and Social Categories in FJegeTs Ethics. — In: PhUosophy and Phenomenological Research. Buffallo, N. Y. 47 (1986-87), 209-232.
PiNKARD, TERRY:
Verf. versucht eine Rekonstruktion von H. s ethischer Theorie, die er als Korrektiv zum Formalismus der praktischen Philosophie bei Kant versteht. Im Gegensatz zu Kant orientiert sich H. nicht an moralischen Regeln, sondern ausgehend von einer Kritik des kategorischen Imperativs und des kantischen Personenbegriffs entwickelt er eine Theorie der ethischen Beziehungen (Familie, Gesellschaft, Staat), in denen der freie Wille seine ihm angemessenen Objekte findet. Gerade wegen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung weicht H. von der neuzeitlichen Vertragstheorie ab, deren Gefahr, daß schwächere gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen werden, erst ein Staat vermeidet, wo das höchste Gut aller durch eine Verfassung bestimmt und aufbewahrt ist.
PLEINES, HANS-ECKHARDT: Praktische Bildung und Moral. - In: HegelJahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 149-156.
H. s Auffassung der „praktischen Bildung" und Moral, ihrer beider Beziehung unter den Bedingungen der Vernunft will Verf. verständlich machen. H. s Bildungskonzeption ist auf die „konkrete Allgemeinheit" eines in sich gegliederten wie vollendeten Lebens und Handelns „gemäß der Vernunft" verpflichtet, und insofern kommen wirkliche Moral und vollendete Bildung überein.
OTTO: Die Heidelberger Jahrbücher im wissenschaftlichen Streitgespräch. — In: Heidelberg im säkularen Umbruch. Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800. Hrsg. v. Friedrich Strack. Stuttgart 1987. 154-181. PöGGELER,
H. wurde bereits 1808 von Creuzer zur Mitarbeit an den neu gegründeten Heidelberger Jahrbüchern aufgefordert. Erst 1816 jedoch kam es zu einer Mitarbeit, als H. die Redaktion mehrerer Abteilungen der Jahrbücher übernahm. Die Ablehnung einer zu langen Rezension führte bei dieser Tätigkeit zum Bruch mit seinem alten Freund Paulus. H. selbst veröffentlichte in den Heidelberger Jahrbüchern eine Rezension des ersten Bandes der Werke Jacobis sowie seine Rezension der Württembergischen Ständeverhandlungen.
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OTTO: Rationalität — Mythologie — Kunst. — In: Wege zur Kunst und zum Menschen. Festschrift für Heinrich Lützeier zum 85. Geburtstag. Hrsg. V. Frank-Lothar Kroll. Bonn 1987. 111 — 126.
PöGGELER,
Hat die Philosophie in der modernen Welt noch Aufgaben, so muß sie auch zu klären suchen, wie Vernunft, Rationalität und Kunst heute zueinander stehen. Verf. verfolgt kritisch die Bestimmungen dieses Verhältnisses in der Geschichte; Weisen für Aristoteles und Plato die Mythen auf das hin, was sich philosophisch nur andeufen läßf? Ist die Kunst für die christliche Verpflichtung auf den Logos nur Verführung, die vom Logos wegführt? Ist dem Verweis der Goethezeit auf das Symbol nicht die Allegorie entgegenzustellen, die das Leben in einer geschichtlichen Weise zur Neuorientierung führt? Hat H. nicht doch recht, wenn er die Kunst zu etwas Zweitrangigem macht, weil sie die Rechtfertigung im Begriff nicht zu leisten vermag? Muß gegen Heideggers Rückwendung alles Technischen auf das Dichterische nicht O. Beckers „mantische Phänomenologie" (Pöggeler) berücksichtigt werden? Die Begrenztheit der Rationalität der Wissenschaften fordert die Integration in die Ganzheit des Lebens, diese führt in einen Bereich, „in dem auch die Kunst auf ihre Weise das Leben durchsichtig" macht.
Hegel et la politique des droits de l'homme. theologique et philosophique. Quebec. 43 (1987), 217—234. PONTON, LIONEL:
—
In: Laval
Im Artikel über das Naturrecht von 1802 überdenkt H. mit Mißtrauen die Menschenrechte und die Politik der Menschenrechte, die er als „entremeles" begreift. Die Enzyklopädie (1830) und die Rechtsphilosophie gestatten ihm eine Nuancierung dieser ersten Kritik. Die Menschen- und die Staatsbürgerrechte werden klar unterschieden, die Politik der Menschenrechte und die Trias „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" erhalten dort einen konkreten und wahren Inhalt.
Pozzo, RICCARDO: Le edizioni dei carteggi di Hegel e la storia della critica [Die Ausgaben von Hegels Briefwechsel und die Geschichte der Kritik]. — In: Rivista di storia della filosofia. Milano. 47 (1987), 237—271. Verf. rekonstruiert die Rezeption der Briefe H. s in der Forschung und unterscheidet dabei drei Phasen. Eine erste setzte mit der Edition von Karl Hegel am Ende des letzten Jahrhunderts ein; sie brachte unter anderem die sogenannte Hegel-Renaissance hervor und ermöglichte die geschichtliche Rekonstruktion von H. s ersten Denkschritten (K. Fischer, Dilthey). In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts diente H. s Briefwechsel zum Umriß seiner philosophischen Entwicklung sowie zur Problematisierung des Verhältnisses zwischen seinem Leben und seinem Werk (etwa Glöckner, Haering, Koyre, Croce). Erst in den 50er Jahren bereitete Hoffmeister eine kritische Edition vor, die es in der Folge erlaubte, H. s Briefe auch unter Berücksichtigung von philosophie-, ideen- und sozialgeschichtlichen Aspekten zu untersuchen (z. B. Nicohn, H. S. Harris, Beyer, d'Hondt, Uting).
K. : Die Dialektik von Herr und Knecht bei Hegel und Marx. [Neugriechisch.] — In: Universität lonnina, Sektion für Philosophie (Hrsg.): Erstes Griechisches Symposium. Karl Marx und die Philosophie (loanina, 3.-5. November 1983). Athena 1987. 102—113. PSIMMENOS, NIKOS
V. vergleicht H. s Auffassung von „Herrschaft und Knechtschaft" und Marxens Betrachtung von der „Entfremdeten Arbeit" und kommt zu dem Schluß, daß Marx ausgehend von
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BIBLIOGRAPHIE
dem H. sehen Moment der Anerkennung H. s Position kritisch reformuliert und als gültig auch für die Gegenwart und die Zukunft erwiesen hat; so zeigt sich, daß, wenn auch H. die Geschichte spekulativ erfaßte, H. s Analyse keineswegs der konkreten Realität fremd ist.
Absorbed in the Spectacle of the World: Hegel's Criticism of Romantic Historiography. — In: Clio. Kenosha, Wisc. 16 (1987), N. 4, 297-315. REDDING, PAUL:
Behandelt wird H. s Kritik der Historiographie, wie er sie in den Einleitungen zu seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte entwickelt. Dabei gerät auch Gadamers Wahrheit und Methode in den Blick, wo der romantische hermeneutische Begriff des „Verstehens" in Verbindung mit der H. sehen Idee der „Anerkennung" gebracht wird. Als Resultat wird festgehalten, daß „for H., historiography had a theatrical structure".
A few critical remarks on Croce's historidsm. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), N. 1, 53—69. RINALDI, GIACOMO:
Verf. will die Grundsätze der Philosophie B. Croces umreißen und insbesondere die in der Gestaltung seines „absoluten Historismus" durch die kritische Auseinandersetzung mit H. gespielte entscheidende Rolle hervorheben. Jedoch scheinen ihm beinahe alle seine gegen H. sehe Grundbegriffe — wie z. B. den unausweichlichen „metaphysischen Horizont" jeder echten Philosophie, die innere Einheit der Gestalten der Selbstentwicklung des Geistes, das unumgängliche Verhältnis der Philosophie zu den positiven Wissenschaften, das „sittliche" Wesen des Staates, usw. — erhobenen Einwendungen nicht imstande zu sein, ihre innere Kohärenz und Gültigkeit ernsthaft in Frage zu stellen. In mehr als einem Fall glaubt er, der Unangemessenheit von Croces Interpretation des H. sehen Denkens, auf die sich solche Einwendungen stützen, ihre Unwirksamkeit zuschreiben zu können. In der unzureichenden Aneignung dessen, was im H. sehen Idealismus noch heute unbestreitbar „lebendig" ist, hält er endlich für möglich, den Hauptgrund für die Schwierigkeiten, in die sich auch die originellsten und „konstruktivsten" Aspekte seiner „Philosophie des Geistes" verwickeln, zu sehen.
An apology for Hegel's idealism against its realist metaphysician critics. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 19 (1987/ 1988), N. 1, 53-62. RINALDI, GIACOMO:
Die Kritik an H. bzw. am H. ianismus, die Verf. zu widerlegen bemüht ist und deren Quellen er hauptsächlich in der aktuellen Neo-Scholastik erblickt, richtet sich vornehmlich gegen drei Lehren der H. sehen Philosophie: 1. Die dialektische Einheit von Identität und Nicht-Identität, die Verf. auch als coincidentia oppositorum anspricht; 2. den Prozeßcharakter alles Seienden (becoming); 3. den idealistischen Grundcharakter seiner Philosophie. — Wenn diese Attacken nicht haltbar seien — und dies ist Verf. bemüht zu zeigen — dann sieht er kein Hindernis, von H. s Philosophie ausgehend in der Philosophie, aber auch in den Wissenschaften, ein vernünftiges Bild des Universums zu zeichnen.
Rizzi, LINO: Strafe und sittliche Systematik im Geist des Christentums. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 317- 324.
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Die Forderung H. s in seinen frühen Schriften, den Verbrecher zu bestrafen, weil „er sich isoliert" hat, setzt die Kategorien der platonischen Metaphysik voraus. Der Begriff des Lebens als Ganzes verlangt nicht nur die Erteilung der Strafe, sondern auch die Wiedergewinnung der Einigkeit, die mittels der christlichen Ethik der Versöhnung erreicht werden kann. Verf. zeigt wie beim jungen H. „kraft des Liebesbegriffs als Pieroma Vergeltungsrecht und Versöhnung nicht in einer sich ausschließenden, sondern in einer ergänzenden Beziehung zueinander stehen".
Lukäcs et la lecture marxiste de Hegel. Traduit de l'anglais par F. Dugre. — In: Laval theologique et philosophique. Quebec. 43 (1987), 81-90.
ROCKMORE, TOM:
Verf. prüft zwei Themen in den H.-Studien von G. Lukäcs: Marx' Beziehung zu H. auf der einen Seite und die Affirmation, daß das Marxsche Denken die Wahrheit des H. sehen sei auf der anderen Seite. Lukäcs' Absicht bleibt in allen Studien konstant: die Herabsetzung des Idealismus zugunsten des Materialismus.
RODI, FRITHJOF: „Der Rhythmus des Lebens selbst". Hegel und Hölderlin in der Sicht des späten Dilthey. — In: Reports on Philosophy. Warszawa, Cracow. 11 (1987), 3-13.
Verf. wendet sich gegen die Interpretation Gadamers, der späte Dilthey habe im Begriff des objektiven Geistes den Übergang des jungen H. vom Leben zum Geist nachvollzogen. Die behauptete uneingestandene Nähe Diltheys zu H. nach 1900 beruht auf dem Prozeß geistiger Einheitsbildung, den Dilthey im Zusammenhang mit seinen Studien über H. und Hölderlin auch „Schaffen" nannfe. In seinem späten Aufsatz über Hölderlin (1906) spricht Dilthey in einem der Musik entnommenen Paradigma vom „Rhythmus des Lebens selbst". Verf. siehf hier eine Verbindung mit dem dialektischen Bewegungsgesetz des Lebens im Sinne des jungen H.
Les „Principes de la Philosophie du Droit" sont-ils structures dialecticquement? — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 325—329. ROSEN, MENAHEM:
Die Prinzipien der Rechtsphilosophie beinhalten wie der Verf. zeigt, eine „dialectique du fini ou de l'individualite" als schwächere Version der Logik oder der Phänomenologie.
Can there be a religion of reason? — In: HegelStudien. Bonn. 22 (1987), 98-110. ROTENSTREICH, NATHAN:
Chemische Einsichten wider Willen. Hegels Theorie der Chemie. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 173—179. RUSCHIG, ULRICH:
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BIBLIOGRAPHIE
SAMONä, LEONARDO: Filosofia e teologia tra Heidegger e Hegel [Philosophie und Theologie zwischen Heidegger und Hegel], — In: Filosofia e teologia. Napoli. 1 (1987), N. 1, 111—116.
Heideggers Provokation der Theologie durch ein gottloses Denken, das aber dem Sagen Gottes Gehör verschaffen soll, überspringt gerade den wesentlichen Punkt der Theologie, der darin besteht, auf einmal sowohl den Überschuß Gottes als auch sein Wohnen im menschlichen Denken zu thematisieren. In dieser Hinsicht kann die H. sehe Position auch mit ihren Aporien vom Interesse sein, da trotz den angeblichen Überwindungen eine doppelte Geltung von Glauben und Vernunft angenommen wird, was dann die Kritik sowohl an der objektivistischen als auch an der sentimentalistischen Reduktion Gottes ermöglicht. In dem Sichkreuzen des Weges der Vernunft in Gott und des Weges Gottes in der Vernunft besteht der wahrhafte Nukleus für eine Wiedergewinnung der Spezifität der Theologie als systematisch strukturierten Diskurses über Gott, der aber gleichzeitig in der Annahme des Diskurses Gottes über sich selbst fundiert ist.
Dalla rappresentazione al concetto. Religione e filosofia nelle lezioni berlinesi di Hegel [Von der Vorstellung zum Begriff. Religion und Philosophie in Hegels Berliner Vorlesungen]. — In: Teoria. Pisa. 7 (1987), 51-83. SAMONä, LEONARDO:
Die immer wieder betonte Ambiguität, die bei H. das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie charakterisiert, erweist sich nicht bloß als ein kritischer Punkt seines Denkens, sondern zeigt vielmehr in der Annahme der Unlösbarkeit der Verbindung zwischen Religion und Philosophie ihre spekulative, weiterhin theoretisch fruchtbare Bedeutung. Besonders anhand der Berliner Vorlesungen über Religionsphilosophie untersucht Verf. die Funktion von Empfindung, Gefühl und Vorstellung sowie die systematische Stellung des Begriffes der Religion unter Berücksichtigung der phänomenologischen und logischen Aspekte der Problematik. Wenn einerseits das symbolische, metaphorische, analogische „Bild" der religiösen Vorstellung Ausdruck eines geistigen Inhaltes jenseits des Bildes selbst und also Ausdruck einer Differenz ist, deckt sich andererseits der Weg von der empirischen Betrachtungsweise zum Denken des Absoluten mit der Steigerung von der unmittelbaren und abstrakten Objektivität bis zu ihrem Einschluß in den Bezug des Denkens auf sich selbst, wobei die Differenz, trotz jeder Aufhebung, erhalten bleiben muß: Gerade deswegen erweist sich die Religion als unüberwindbar, die Vorstellung als notwendig.
Hegels Begriff der Strafe und die moderne Strafvollzugsproblematik. — In: Hegel-Jahrbuch. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 164—169. SCALA, KLAUS:
Mit Ausnahme der theologischen Jugendschriften hat sich H. s Theorie der Strafe vom System der Sittlichkeit (1802) über den Naturrechtsaufsatz von 1803 bis zur Enzyklopädie nicht geändert. Wie das Recht, so leitet H. auch das Verbrechen aus dem freien Willen ab. Gegenüber anderen Bestimmungen in der Rechts-, Geschichts- und Religionsphilosophie geht H. hier nicht über den Einzelnen hinaus, der Verbrecher repräsentiert nichts Allgemeines.
Ist Sittlichkeit notwendig? — In: Hegel-Jahrbuch. Hrsg. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 171 — 184.
SCHABER, PETER:
V.
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Verf. überprüft die H. sehe Ansicht der prima fade Richtigkeit des Geltenden, insbesondere des sittlich Geltenden.
Hegel und die Vertragstheorie. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 111-128. ScHNÄDELBACH, HERBERT:
Standards of Progress in Hegel's Philosophy of History. — In: Dialogue. Journal of Phi Sigma Tau. Montreal, Kingston. 29 (1987), N. 2-3, 33-38.
SHELTON, MARK:
Verf, untersucht das berühmte H. sehe Diktum, die Weltgeschichte sei ein „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Er entwickelt als Aufgabe „to appropriate a practical Standard of historical progress from H. s philosophy of history". Dazu klärt er vor allem den hier zugrundegelegten Begriff der Freiheit.
SiEMEK, MAREK J.: Dimensionen des Hegelschen Subjektbegriffs. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 330-338. ln der Frage nach der Subjektivität konzentriert sich der wesentliche Sinn der H. sehen Dialektik. Verf. zeigt einige Schwierigkeiten auf, die dieser Begriff bereitet, und schlägt Wege zu ihrer Überwindung vor.
Indagini sulla struttura nel nesso hegeliano di „Logica" e di „Fenomenologia" [Untersuchungen zur Struktur der Hegelschen Verknüpfung von Logik und Phänomenologie]. — In: Rivista di Teoretica. Perugia. 1 (1985), 145—187. STELLA, ALDO:
STEPELEVICH, LAWRENCE S.: From absolute knowledge to absolute egoism. — In: Hegel-Jahrbuch. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 178-184.
Verf. überprüft das Verhältnis zwischen H. und dem „letzten Hegelianer" Stirner, insbesondere was die Auffassung der Ethik anbelangt.
Making Hegel into a better Hegelian: August von Cieszkowski. — In: The Journal of the History of Philosophy. Claremont, Calif. 25 (1987), N. 2, 263 -273. STEPELEVICH, LAWRENCE:
The term „praxis" was first introduced into the post-Hegelian dialogue by August von Cieszkowski (1814—1894). His influence upon Young Hegeüanism, and Marxism in particular, was direct, powerful, and enduring. Cieszkowski was the first devoted Hegelian who found reason to critique, by a radical assertion of dialectical method over philosophical Content, a central element of H.'s own System — the philosophy of history. Taking what he understood to be H.'s four historical moments of the World Spirit, i. e., Ancient, Greek,
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BIBLIOGRAPHIE
Roman, and Christian-Modern, Cieszkowski recast them into a more dialectically appropriate triad: past, present, and future. The future, which H. had not considered, was defined as the synthetic ground of past practice and present theory, and was, in short, soon to appear as an age of post-theoretical praxis. This paper submits, and would prove, that Cieszkowski's far-reaching proposals were based upon a serious misreading of H.
Art and philosophy in the early development of Hegel's System. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), N. 2, 145-162.
TAFT, RICHARD:
Taft presents a thesis of the „impoverishment" of art in the development of H.'s thought from Tübingen to Berlin. By „impoverishment" is not meant „degradation", for H. always remained convinced of the importance of art, both in itself and for philosophy; but rather, „impoverishment" here means that, as H.'s thought became more rigorously systematic, and as art assumed its proper place within his System, art thereby lost „a certain fertility which it had had in his earlier views". Such „impoverishment" was demanded by the System itself as it unfolded, and was apparently not the result of any conscious decision on H.'s part. The paper is augmented (163—166) by a response from William Desmond and a counterresponse from Taft.
GRAZIA: II passaggio hegeliano dalTessere all'essenza [H. s Übergang vom Sein zum Wesen]. — In: Giornale di Metafisica. Genova. N. S. 9 (1987), N. 1, 83-104. TAGLIAVIA,
Verf. parallelisiert die Problematik des Anfanges der Seinslogik und den Übergang zur Wesenslogik, dabei wird besonders die voraussetzungslose Voraussetzung des reinen Wissens sowie die philosophische und geschichtliche Bestimmtheit behandelt.
L'individu est-il ou non un accident de la substance ethique? — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 339—346. TEXIER, JACQUES:
Aufgrund einer Analyse der Phänomenologie, der Grundlinien und der Enzyklopädie problematisiert Verf. H. s Thematisierung des Subjektwerdens der ethischen Substanz in der Weltgeschichte. Die Vorherrschaft der Substanz und ihrer Notwendigkeit trotz jeder Wechselwirkung schon auf dem logischen Niveau der letzten Sektion der Wesenslogik zwingt aber, das ethische Leben unter dem Zwang der Kategorie der absoluten Substanz zu denken, wobei selbst die Freiheit des Einzelnen zu einer bloßen List der Vernunft wird. Die Heraushebung eines absolut freien Einzelnen, dessen Freiheit dem Absoluten gleicht und also kein bloßes Akzidenz der ethischen Substanz ist, würde eine anthropologische Interpretation H. s voraussetzen, die schon über H. hinaus wäre, wonach das Subjektwerden der Substanz eine Auflösung des Absoluten implizieren würde.
A.: The Begriff in Hegel's conception of light and color and the question of modernity. — In: Kinesis. Carbondale, 111. 16 (1987), N. 2, 81-96.
TURNER, PETER
Verf. skizziert zunächst H. s Theorie des Lichtes und resümiert dessen Argumente gegen Newtons und für Goethes Ansicht. Er setzt sich anschließend mit der Interpretation von
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M. J. Pehy und J. N. Findlay auseinander. Petry vertritt die Auffassung, daß Goethes und Newtons Farbentheorien sich ergänzen, insofern jene von der subjektiven, diese von der objektiven Erfahrung ausgeht. H. s Fehler bestand allein darin, daß er Goethes Theorie als Widerlegung der Newtonschen verstand. Dieser Interpretation hält Verf. den Anspruch der H. sehen Naturphilosophie entgegen, eine objektive Erklärung der Naturphänomene zu leisten. Nach Findlay ist H. s Naturphilosophie zwar im Detail unhaltbar, nicht aber als naturphilosophischer Entwurf; Aktualisierungsmöglichkeiten sind durchaus gegeben. Dieser Interpretationsrichtung schließt sich Verf. an. So läßt sich nach seiner Meinung in H. s Theorie des Lichtes der Gedanke der Diskretheit einbringen, solange man diese nicht als Zusammensetzung materieller Stoffe versteht.
Zwei Hegel-Nachschriften von J. E. Erdmann. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 45—49. TUSCHLING, BURKHARD:
Le determinazioni della riflessione nella „Scienza della logica" di Hegel [Die Reflexionsbestimmungen in Hegels „Wissenschaft der Logik"]. — In: Virgilio Melchiorre (a cura di): La differenza e 1'origine [Die Differenz und der Ursprung]. Milano 1987, 133—149. VERRA, VALERIO:
Auch im Rahmen zeitgenössischer Diskussionen über das Thema der Differenz, vor welchem H. als „unzeitgemäß" erscheint, schildert Verf. H. s Behandlung der Reflexionsbestimmungen in der Wesenslogik. Besonders hervorgehoben ist die Tatsache, daß der Standpunkt des Verstandes und der Metaphysik mit ihren Denkgesetzen und Wesentlichkeiten der Reflexion sich schließlich in Sätzen ausdrückt, die in ihrem relationalen Charakter als ein wechselseitiges Ineinandergehen enthüllt werden.
Guerre et Connaitre chez Hegel. — In: Les etudes philosophiques. Paris 1987. N. 2-3, 277-298. VETO, MIKLOS:
Obwohl Verf. überzeugt ist, daß H. s Lehre vom Krieg mit Recht als eine Glorifizierung des Krieges dargestellt worden ist und daß eine solche Apologie eine Erklärung und Kritik aus H. s politischen und sozialtheoretischen Quellen erfordere, versucht er einen Zusammenhang zwischen dieser Lehre und H. s Erkenntnistheorie zu rekonstruieren. Dies soll eine metaphysisch-ethische Deduktion der H. sehen Lehre vom Krieg ergeben. In der Durchführung sucht Verf. zu zeigen, daß der Krieg gemäß dem logischen Modell des Wissens entwickelt wird, gegenüber diesem Wissen jedoch ein „Plus" besitzt, wie es die Überlegenheit einer „praktischen" gegenüber einer theoretischen Deduktion darstelle.
W.: The State and Social Purpose in Idealistic Political Philosophy. — In: History of European Ideas. Oxford [u. a.]. 8 (1987), 333-347. VINCENT, ANDREW
Am Beispiel von H. s politischer Philosophie versucht Verf. die idealistische Argumentation zu rekonstruieren, die eine Überwindung der Einseitigkeit eines auch gegenwärtig wieder vertretenen, liberalen Individualismus (Nozick, Rawls) leisten soll. So bietet zwar H. s Auffassung des Staates als Verkörperung moralischer Zwecke die Grundlage für eine positive Theorie politisch verantwortlicher Bürger, die durch den utilitaristisch gedeuteten Liberalismus verloren gegangen ist. Aber die prinzipielle Schwäche einer solchen Auffassung liegt
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BIBLIOGRAPHIE
darin, daß sie den ihr innewohnenden Egalitarismus nicht mit der Ungleichheit der existierenden Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert versöhnen kann.
P.: The nature and legitimacy of Hegel's critique of the Kantian moral philosophy. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 73 - 87. ViNCENZO, JOSEPH
Hegel on representation and thought. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), N. 2, 123—132. VRIES, WILLEM DE:
Verf. geht von H. H. Price's Einteilung der Begriffstheorien aus. Danach gibt es im wesentlichen zwei: die klassische und symbolistische Begriffstheorie. Jene geht auf Platon zurück und versteht unter Begriff ein spezielles Objekt; Price nennt diese Theorie auch Inspektivismus (inspectivism). Nach der symbolistischen Theorie bedeutet der Umgang mit Begriffen eine gewisse Fähigkeit, mit Symbolen umzugehen. Hier ist zu unterscheiden zwischen denen, für die die Wahrnehmungsbilder die primären Symbole sind (imagists), und denen, für die es die Wörter sind (nominalists). Die genannten Theorien können als ,representationalism' auftreten oder nicht. Verf. vertritt die Auffassung, H. habe diese verschiedenen Ansätze in einer fein strukturierten Theorie der geistigen Aktivität synthetisiert, wobei H. den klassischen ,representationaT Standpunkt von Platon und Descartes verwarf und den symbolischen ,representationalism' mit dem klassischen ,nonrepresentationalism' verband.
Die dialektische Notwendigkeit des Negativen und ihre ethische Relevanz. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 185—194. WANDSCHNEIDER, DIETER:
Läuft die H. sehe Dialektik auf eine unterschiedslose Rechtfertigung des Bestehenden — auch des Negativen — hinaus? Verf. überprüft das Verhältnis zwischen den Formen logisch-begrifflicher Dialektik und gesellschaftlicher Realdialektik und zeigt, daß das Negative bei H. zwar „logisch-begrifflich notwendig, das reale Desaster, der Krieg, die Vernichtung hingegen" es nicht ist. Im realen Handeln gibt es die Möglichkeit, dieses zu „antizipieren und auszugrenzen".
Eduard Gans on poverty: Between Hegel and SaintSimon. — In: The Owl of Minerva. Villanova, Pa. 18 (1986/1987), N. 2, 167-178.
WASZEK, NORBERT:
Gans' career may be seen in two periods, pre-1830, when he was publidy uncritical of H., and post-1830, when he did in fact either challenge or modify some of H.'s conclusions, especially in political Science. Specifically with regard to the issue of poverty, while H. held, for example, that a poor dass is a natural and inevitable result of the conflicts of civil society and that the most which can be done is to find policies and practices to alleviate the suffering of this dass, Gans, on the other hand, foUowing Saint-Simon, came to beheve that policies and practices were discoverable which could really eliminate poverty. However, Gans' thoroughly Hegelian anhpathy to the notion of communal property separated him not only from Saint-Simon, but also from the more radical Young Hegelians such as Marx and Rüge.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1987
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Eduard Gans' Briefe an Athanase Jourdan. — In: Hegel-Studien. Bonn. 22 (1987), 25—44. WASZEK, NORBERT:
Hegel's „Habilitationsthesen": A translation with introduction and annotated bibliography. — In: Hegel and modern philosophy. Hrsg, von David Lamb. London, New York, Sydney 1987. 249-260. WASZEK, NORBERT:
Englische Übersetzung (mit lateinischem Text) der Habilitationsthesen Hegels. Historische Einleitung und kommentierte Bibliographie.
75 Jahre kritische Hegel-Ausgaben. Zu Geschichte und Stand der Hegel-Edition. — In: Pädagogische Rundschau. St. Augustin. 41 (1987), H. 1, 101-116. WIGGER, LOTHAR:
Das 75-jährige Bestehen des Felix-Meiner-Verlages war Anlaß, an die wechselvolle Geschichte der Hegel-Editionen, und damit auch an die kritischen Neu-Ausgaben Hegelscher Werke in der „Philosophischen Bibliothek" zu erinnern. An einen Überblick über den Stand der Edition der „Gesammelten Werke" schließt sich eine kurze Vorstellung der vier im Jahre 1986 erschienenen Bände aus der „Philosophischen Bibliothek" (Jenaer Kritische Schriften III; Jenaer Systementwürfe I; Jenaer Sysfementwürfe III; Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik. Erstes Buch. Das Sein (1812)) an. Ausführlicher wird das Projekt der Vorlesungseditionen, seine zu bewältigenden Probleme und die verschiedenen Lösungsvarianten anhand der von den Mitarbeitern des Hegel-Archivs herausgegebenen Bände der Heidelberger Rechtsphilosophie-Vorlesung von 1817/18, der Vorlesungen über Religion und der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Teil 4) dargestellt und gewürdigt.
WiNFiELD, RICHARD DIEN: Logic, language and the autonomy of reason:
reflections on the place of Hegel's analysis of thinking. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 17 (1987), N. 2, 109-121. H. s Analyse des Denkens gibt Verf. Anlaß, im Blick auf neueste Diskussionen H. s Darstellung der Stellung von Logik und Denken, der Voraussetzungen des Bewußtseins und deren Bedeutung für die Autonomie des Denkens sowie die Darstellung des Zusammenhangs von Sprache und Denken zu überprüfen.
Derbolavs Bildungstheorie und Hegel. — In: Bildung zwischen Herausforderung durch die Gegenwart und Aneignung der Tradition. Festgabe für Josef Derbolav zu seinem 75. Geburtstag am 24. März 1987. Hrsg. v. Peter Menck u. a. [Als Manuskript gedruckt.] 281-294. ZDARZIL, HERBERT:
H. s Gedanken über Bildung und Erziehung setzen bei den anthropologischen Faktoren an, die für das Individuum gelten. Die Bildung muß das Handeln allgemein machen, wofür der Schule eine besondere Bedeutung zukommt. So erfolgt Bildung durch Heraustreten aus der Unmittelbarkeit. Derbolav betont im Ausgang von Th. Litt das Zusichkommen an objektiven geistigen Gehalten durch die Bildung. Er entwickelte seine dialektisch-reflexive Didak-
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BIBLIOGRAPHIE
tik im Anschluß an H. in der Überzeugung, daß Bildung und Bildungstheorie eine allgemeingültige Normierung des Handelns zur Voraussetzung haben.
V.: Ambivalenz und Dialektik: Von Benjamin zu Bachtin — oder Hegels kritische Erben. — In: Romantik. Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik. Hrsg, von Volker Bohn. Frankfurt a. M; 1987. 232-256. ZiMA, PETER
H. s Glaube an politische und kulturelle Werte wird von den Jung- und Nachhegelianern kritisiert. Sie übernehmen von seiner Philosophie nur den Begriff der Vermiftlung, der über eine coincidentia oppositorum nicht mehr hinausreicht. Dieser Begriff findet sich in Bachtins Darstellung der Rolle des Karnevals im ausgehenden Mittelalter und in Benjamins Baudelairestudien wieder. Der Karneval zeigt in seiner Vermischung von Heiligem und Profanem, Menschlichem und Tierischem die Ambiguität der Moderne. Dies spiegelt sich auch in dem Werk Baudelaires und in dem Bezug zwischen modernem Kunstwerk und moderner Warenwelt.
CH.: Rechtliche und moralische Verantwortung. Hegels Überwindung der Kan tischen Ethik und das Ende der Moderne. — In: Hegel-Jahrbuch 1987. Hrsg. v. H. Kimmerle, W. Lefevre, R. W. Meyer. Bochum 1987. 195—206. ZIMMEREI, WALTHER
Verf. versucht „unser eigenes Interesse an Moralität und Sittlichkeit als Ergebnis einer Genese zu betrachten, an der auch H. teilhat — allerdings ohne unsere Probleme zu teilen".
CAI: Hegel's phenomenological dialectic and the structure of Whitman's „Song of Myself“. — In: Clio. Kenosha, Wisc. 16 (1987), N. 4, 317-329. ZONG-QI,
Verf. untersucht eine Strukturanalogie zwischen Walt Whitmans 1855 publiziertem 52teiligem Gedicht Song of Myself und H. s Phänomenologie des Geistes.
Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen (1984—1986)
ALBERT, KARL:
Mystik und Philosophie. Sankt Augustin 1986.
162—167: Böhme und die Philosophie des deutschen Idealismus. [Abschnitt] III. — Verf. unterscheidet bei H. zwischen drei Phasen der Beziehung zur Mystik: ln der ersten Phase entsteht das Gedicht „Eleusis"; die zweite Phase bildet der Versuch, die Mystik mit der Eigenart des dialektischen Denkens in Verbindung zu bringen, während H. in der dritten Phase eine geistesgeschichtliche Deutung der Mystik anstrebt, so etwa in den Vorlesungen zur Ästhetik. Während das Eleusis Gedicht Anlaß gibt zu der Vermutung, daß der junge H. selbst mystische Erfahrungen hatte, bemüht seine spätere Philosophie sich lediglich um eine systematische und historische Interpretation der Mystik.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
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Quality, genus, and law as forms of thinking. — In: Auslegung. Lawrence, Kansas. 13 (1986), N. 1, 71—85. BALABAN, ODED:
Verf. compares the movement from substance to subject with that from Wirklichkeit to Vernünftigkeit. The former process is analyzed historically in terms of four distinct modes of thinking: (1) by qualities (mythical thinking), (2) by genus and species (Aristotelian thinking), (3) by laws (scientific thinking), and by universals creating species (H. ian thinking). ln the fourth mode, the question is how the universal defines the individual. For H., the universal manifests itself as quality, genus, and law; thus his mode of fhinking encompasses the other three. The culmination of such thinking is the judgement (rather than the sentence), specifically and most importantly the value judgement, insofar as this judgement comprehends the universal as subject.
Der Begriff der Liebe in der Philosophie. Ein Vergleich zwischen Hegel und Schopenhauer. — In: Schopenhauer-Jahrbuch. Frankfurt. 67 (1986), 192-198. BENDER, CHRISTIANE:
Die fundamentale Differenz zwischen H. und Schopenhauer verhinderte, daß bisher die Frage nach Gemeinsamkeiten gestellt wurde. Die Philosophie Kants stellt einen Berührungspunkt dar. Verf. zeigf wie in Kants und H. s Behandlung der Liebesthematik Gedankenelemente aus Kants Kritik der praktischen Vernunft auftauchen: „sie begreifen die Liebe als eine Seinsweise, welche die an den Intellekt gebundene Sicht des Menschen . . . überwindet". Die Thesen der Arbeit stützen sich überwiegend auf die Frankfurter Fragmente (1797—1800) von H., auf Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung (3. Aufl. 1859), die kleineren Schriften sowie auf Über die Grundlage der Moral (1838).
Hegels Begriff der Freiheit. — In: Philosophische-Theologische Grenzfragen. Festschrift für Richard Schaeffler zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hrsg, von J. Kirchberg und J. Müther. Essen 1986. 21-33. BITTNER, RüDIGER:
J. M.: Thomistic Theology and the Hegelian Critique of Religious Imagination. — In: The New Scholasticism. Washington, DC. 59 (1985), 60-78. BRADLEY, DENIS
H. habe, wie Thomas von Aquin, das „unlösbare Band" zwischen Theologie und Philosophie bekräftigl. Ein Vergleich beider Lehren zeige aber eine gegensätzliche Bewertung der Theologie, die auf einer radikalen Divergenz bezüglich der respektiven Auffassungen von Sein, insbesondere der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer totalen begrifflichen Vermittlung des Seins zurückzuführen sei. Was H. an der fhomistischen Theologie möglicherweise unerträglich gefunden hätte, sei das Paradoxe, daß dem Theologen Gott letztlich ein Unbekannter bliebe.
Ser, Nada y Devenir. Una interpretaciön del comienzo de la Ciencia de la Lögica de Hegel [Sein, Nichts und Werden. Eine Interpretation des Anfangs von Hegels Wissenschaft der Logik]. — In: Revista Latinoamericana de Filosoffa. Buenos Aires. 12 (1986), 301—321. BRAUER, DANIEL:
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BIBUOGI^PHIE
Verf. analysiert das erste Kapitel der Wissenschaft der Logik. Er kritisiert Tugendhadts Deutung, nach welcher H. mit Parmenides die logische Sphäre mit der Wahrnehmung vermische, indem er zeigt, daß für H. das „Nichts" kein Inhalt einer Anschauung, sondern vielmehr die Inhaltsleere des Denkens des Seins ist. Gegen Trendelenburgs Kritik an H. stellt er klar, daß der Begriff des „Werdens" nicht aus einer empirischen Anschauung abgeleitet wird. Schließlich untersucht er das Verhältnis zwischen logischem Werden und der Zeit.
RUDOLF: Der Blick und die Dialektik der Anerkennung. Geschichtsphilosophischer Kommentar zur Phänomenologie der Fremdexistenz bei Husserl, Hegel und Sartre. — ln: Die Krise der Phänomenologie und die Pragmatik des Wissenschaftsfortschritts. Hrsg, von M. Benedikt und R. Burger. Wien 1986. 65—76. BURGER,
Gegen die verschiedenen Formen von , Postismen', die ihm das Problem des Anderen unzureichend zu behandeln scheinen, wendet Verf. sich zurück zu Sartre, wobei er Husserl und H. als dessen entscheidende Quellen behandelt. Bei H. kommt insbesondere die Dialektik von Herr und Knecht bzw. die Dialektik der Anerkennung in den Blick.
Über einige Aspekte der Hegelschen Auffassung der Praxis. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 286—296. CECHäK, VLADIMIR:
Nach Verf. wird H. s Auffassung der Praxis, in der man über das instinktive Verhalten zur Welt hinausgeht, im wesentlichen durch die bewußte Tätigkeit des Menschen bestimmt. So ist die Arbeit nicht bloß ein vergegenständlichender Ausdruck des Selbstbewußtseins, sondern auch, wie Verf. anhand der Herr-Knecht-Dialektik zeigt, die Grundlage gesellschaftlicher Beziehungen. Während das Verhältnis von Herr und Knecht dem Modell der ,Zwangsarbeit' entspricht, wird es durch die reziproke Befriedigung der Bedürfnisse in der bürgerlichen Gesellschaft aufgehoben, die man daher als eine praktische Gesellschaft bezeichnen kann.
CiFOLETTi, GIOVANNA: II calcolo infinitesimale e la ricostruzione della sua
storia da parte di Hegel [Die Infinitesimalrechnung und die Rekonstruktion ihrer Geschichte durch Hegel]. — In: Filosofia oggi. Bologna. 9 (1986), 447-473. Verf. untersucht H. s Ausführungen über die Infinitesimalrechnung in der Wissenschaft der Logik sowohl hinsichtlich H. s Kenntnisse von deren Geschichte und der darin implizierten ,Metaphysik' als auch unter Berücksichtigung der von H. ausgearbeiteten logischen und ontologischen Aspekte dieses mathematischen Problems. Dabei wird besonders der qualitative Charakter mancher mathematischen Elemente hervorgehoben: Das Unendliche ist für H. nicht ein Jenseits des Endlichen, sondern vielmehr aufgehobenes Quantum, d. h. „qualis". H. s Einsicht in die begriffliche Relevanz der Infinitesimalrechnung ist darüber hinaus eng verbunden mit der Anerkennung ihrer zentralen Bedeutung in der Konstruktion einer mathematischen Naturwissenschaft.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
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J.: The linguistic turn in Kierkegaard's attack on Hegel. — In; International Studies in Philosophy. Binghamton, New York. 17 (1985), N. 3, 1-13. CLOEREN, HERMANN
Parallels exist between Kierkegaard and O. F. Gruppe in their respective attacks on H., and both foreshadow 20th Century analytic philosophy in its emphasis on philosophy of language. Both Gruppe and Kierkegaard Charge that H. failed „to carry out a critical reflection on the nature of language and its function in thinking". Kierkegaard, following Gruppe, holds that language is transcendental and a priori and that philosophers must recognize it as such if they are to use it authentically and effectively. Both anticipate Wittgenstein in their emphasis on ordinary language. For example, Kierkegaard claims that H. should not use terms in „absolute" senses in accord with the inherent pretense of speculative philosophy, but instead should use them in their natural, „relative" senses. Verf. concludes that neither Kierkegaard nor Wittgenstein practice what they preach in this regard.
Mediation and negativity in HegeTs phenomenology of Christian consciousness. — In: The Journal of Religion. Chicago. 66 (1986), N. 1, 46-67. DE NYS, MARTIN J.:
H. asserts about his own philosophy of religion (1) that it considers religion from its own Standpoint and not as an Outsider, and (2) that it speculatively apprehends even the most advanced form of religion by means of the philosophical consciousness which both includes and surpasses religious consciousness. Given these two Claims, Verf. investigates H.'s phenomenology of religious consciousness, and attempts to show (1) how religious consciousness understands itself; and (2) how mediation and negation contribute toward the movement of self-conscious religious consciousness from its own level toward the level wherein it will comprehend itself in speculafive thought.
Faith and Enlightenment. — In; Dionysius. Halifax. 10 (1986), 129-135.
DOULL, JAMES;
Beleuchtet werden H. s Aussagen über das Verhältnis der Aufklärung zum (christlichen) Glauben, besonders in dem „Der Glaube und die reine Einsicht" betitelten Kapitel der Phänomenologie des Geistes. Dabei wird H. s Position innerhalb des Triangels Augustianianismus, Jansenianismus und Calvinismus verortet.
HegeTs critique of hellenic virtue. — In: Dionysius. Halifax. 9 (1985), 3-17.
DOULL, JAMES:
H.'s favorable comments on Greek Sittlichkeit were made in the light of his concept of subjective freedom, which he had developed in consideration of both the French Revolution and a „new revolution" which began during H.'s lifetime, continued through Marx et al., and has by now transformed the world to such an extent that H.'s Rechtsphilosophie is difficult to understand and use in the modern world, since it describes generally unfamiliar institutions. The new revolution, be it fascist or socialist, involves the aim of fulfilling fhe „natural will" and economic rights of each individual. Buf H.'s view of the Greeks can be very helpful toward comprehending and shaping the modern world in terms of H. ian political philosophy, since in many ways the concepts and institutions described by Plato are less remote from our modern world than those described by H. in Rechtsphilosophie.
328
BIBLIOGRAPHIE
Das Werden des Philosophischen Wissens von der Natur. Natur, Naturwissenschaft und Dialektik in Hegels Naturphilosophie. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 325—333. DREES, MARTIN:
Nach H. nimmt die Naturphilosophie einerseits die Fakten der Naturwissenschaften auf, andererseits unterzieht sie das naturwissenschaftliche Wissen einer Umbildung, insofern sie die Erfahrung nicht als letzte Bewährung gelten läßt. Soll solche Umbildung nicht zu einer puren Applikation der Schematik der H.sehen Logik auf die einzelwissenschaftlichen Daten geraten, muß der in der Logik entfaltete Reflexionszusammenhang eine Entsprechung in der natürlichen Wirklichkeit finden. Damit stellt sich die Frage nach der immanenten Dialektik der Natur: „Hier ergibt sich das Paradoxon, daß H. allenthalben die Objektivität der Dialektik in der Natur aufzeigt, um zugleich zu bestreiten, daß die Natur dialektisch sei. Entwicklung wird zwar in der Natur akzeptiert, aber eine Entwicklung der Natur augenscheinlich geleugnet." Verf. sieht diesen Mangel in H.s Abhängigkeit vom Stand der zeitgenössischen Naturwissenschaft begründet, die noch nicht über eine eigentliche Evolutionstheorie verfügte. Nach seiner Auffassung wäre H. die Dialektik in der Natur zur Dialektik der Natur geworden, hätte ihm dies der Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis erlaubt.
Der Entwicklungsbegriff zwischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie um 1800. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 309-316. ENGELHARDT, DIETRICH VON:
Um 1800 läßt sich eine allgemeine Zunahme des Sinns für Geschichte feststellen. In den Naturwissenschaften ist es der moderne Evolutionsgedanke, dem Lamarck Geltung verschafft. Der dialektische Charakter des Ansatzes von Lamarck veranlaßte Ch. C. Gillispie, eine Verbindung zwischen Lamarck und H. herzustellen. H. wendet sich jedoch — wie Schelling — gegen den Gedanken einer Realdeszendenz der Arten: „Entwicklung kennzeichnet nach H. zwar die belebte und unbelebte Natur; diese Entwicklung von der Materie zum Menschen ist aber metaphysisch zu verstehen, ist eine spekulative Verbindung von Begriff und Phänomen, die ihre philosophische Begründung in der Logik erhält und zugleich immanent in der Analyse der Phänomene der belebten Natur manifest wird." Verf. ist der Meinung, daß damit H. s Verhältnis zur modernen Evolutionslehre noch nicht festgelegt ist.
El fenömeno de la desaparieiön de la filosoffa (Diälogo con Heidegger y Hegel) [Das Phänomen des Verschwindens der Philosophie (Dialog mit Heidegger und Hegel)]. — In: Actas del Tercer Congreso Nacional de Filosofia, Buenos Aires 13—18 de octubre de 1980. Bd 1. Buenos Aires 1982. 139-147.
PERNANDEZ PEREIRO, ANTONIO:
Verf. zieht eine Bilanz über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Heidegger und H. bezüglich der Frage nach dem Ende der Philosophie. Er warnt dabei vor der Verwechslung zwischen Heideggers Rede vom Schicksal und H. s Begriff der Idee. Daraufhin folgen Ausführungen über das neue Sein der philosophischen Entitäten, die nunmehr durch den Geist der Programmierung und Organisierung bestimmt seien.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
329
Einheit in geschichtlichen Rechtsbegriffen? Zum Begriff des Rechts bei Kant, Hegel und Benjamin. — In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Mainz, Wiesbaden. 71 (1985), 246—261.
FOLKERS, HORST:
Verf. stellt „Kant, H. und Benjamin — zweifellos durch eine gemeinsame Tradition verbunden — als sich wechselseitig interpretierende Denker eines systematischen Rechtsbegriffs" vor. Gezeigt wird, wie der H. sehe Rechtsbegriff an den Schwächen des Kantischen ansetzt und in der Kraft vernünftiger Selbstbestimmung die Dichotomie von Natur und Vernunft aufhebt. Ausgangspunkt des H. sehen Rechtsbegriffs ist der Wille, den H. vom Zwang befreit. „In seiner abstraktesten Form ist dieses Recht Person und Eigentum, abstraktes Recht." In drei Hinsichten bestimmt Verf. die Stärke des H. sehen Rechtsbegriffs: „Indem H. a) die Freiheit als den Boden des Rechts betont, kann er b) Recht als den Grundbegriff des Sittlichen darstellen und c) das Zusammenbestehen der Menschen wesentlich in Formen der Identität, als Vereinigung, als Hilfe, Ergänzung und wechselseitigen Aufbau, erkennen."
Le prove di Dio in Hegel [Die Gottesbeweise bei Hegel]. — In: Rivista di teoretica. Perugia. 1 (1985), 9—42, 107—144.
FORNARI, FABRIZIO:
Hegels Heidelberger Encyklopädie. — In: Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386—1986. Bd 2: Das neunzehnte Jahrhundert. 1803—1918. Hrsg, von W. Doerr. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo 1985. 298—320. FULDA, HANS FRIEDRICH:
Anläßlich des 600jährigen Bestehens der Ruprecht-Karls-Universität fragt Verf. nach der bildungsgeschichflichen Bedeutung von H. s Heidelberger Encyclopädie. Der Neuhegelianismus nahm dieses Werk H. s positiv auf, während die neuere Forschung es eher vernachlässigt. Anhand der Funktionen, die die literarische Form Encyklopädie im 18. Jh. ausübte, verdeutlicht Verf. das Spezifische der H. sehen philosophischen Encyklopädie. Es wird deutlich, wie sich H. s Encyklopädie-Konzept von den üblichen allgemeinen Wissenschaftssystematiken seiner Zeit abhebt. Eine neue Wahrnehmung der Aufgabe der Philosophie zeichnet H. s Heidelberger Encyklopädie gegenüber den Encyklopädien der Zeitgenossen aus.
GASCHfi, RODOLPHE: Nontotalization without spuriousness: Hegel and Derrida on the Infinite. — In: Journal of the British Society for Phenomenology. Manchester 1986, N. 3, 289—307. Während H. s Begriff des Unendlichen in der Wissenschaft der Logik in seinem dialektischen Denken kein Jenseits der Endlichkeit bedeutet und so synonym ist mit Idee, Absolutem, Geist oder absolutem Geist, versucht Derrida, diese ,unechte' Unendlichkeit als Teil eines metaphysischen Systems zu umgehen durch seine spezifische Konzeption des Textes, der sich in nicht abschließbaren Selbstreferenzen (mises en abyme) als grenzenloses Phänomen in ,wahrer' Unendlichkeit jedem eindeutigen Zugriff entzieht.
MARIO: Lineamenti per la metodologia dialettica del conoscere scientifico in Hegel [Grundlinien für die dialektische Methodologie des wissenschaftlichen Erkennens bei Hegel]. — In: Giornale di Metafisica. Genova. N. S. 8 (1986), 309-352. GULLI,
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BIBLIOGRAPHIE
Verf. interpretiert H. s Theorie des Urteils in der Wissenschaft der Logik als Weg der Aufhebung der Bestimmtheit, wie er schon in der Phänomenologie des Geistes dargelegt wurde. Dadurch wird H. s erkenntnistheoretische Problematik zusammen mit seiner Auffassung der Objektivierungsakte des Bewußtseins verstanden, was durch eine parallele Lektüre von Logik und Phänomenologie erhellt wird. In diesem Rahmen analysiert Verf. die Entsprechungen zwischen negativem Urteil und Wahrnehmung, Urteil der Reflexion und Selbstbewußtsein, Urteil der Notwendigkeit und Vernunft (besonders zwischen hypothetischem Urteil und dem Kapitel „Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst").
Hegel. Notas heterodoxas para su lectura [Heterodoxe Anmerkungen zur Lektüre Hegels], — In: La filosofia en Colombia. Siglo XX [Die Philosophie in Kolumbien. 20stes Jahrhundert]. Hrsg. V. Rüben Sierra Mejia. Bogota 1985. 125—138. GUTIERREZ GIRARDOT, RAFAEL:
Wiederabdruck eines 1968 geschriebenen Aufsatzes; zuerst veröffentlicht in: Gutierrez: Horas de estudio [Studien-Stunden]. Bogota 1976.
Hegels Begriff der Moderne. — In: Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985. 34-58. HABERMAS, JüRGEN:
Verf. zeigt, wie der Begriff der Religion in den Jugendschriften H. s sich gleichermaßen gegen die Orthodoxie wie auch gegen die Aufklärer wendet, da beide den „Zustand der Entzweiung" festigen, und unfähig sind, „die Religion zur sittlichen Totalität eines Volksganzen auszubilden und ein Leben in politischer Freiheit zu inspirieren". Abschnitt II zeigt, daß H. s Konzeption der versöhnenden Vernunft sich nicht bruchlos aus der Subjektivität herleiten läßt. Indem er im Geist des Christentums auf die Intersubjektivität von Verständigungsverhältnissen rekurriert, „verfehlt er das für die Selbstbegründung der Moderne wesentliche Ziel, das Positive so zu denken, daß es aus demselben Prinzip, aus dem es hervorgeht, auch überwunden werden kann — eben der Subjektivität". Die Einsicht, daß die bürgerliche Gesellschaft eine vollkommen neue, mit den klassischen Formen der societas civilis oder der Polis unvergleichliche Realität darstellt, „mag der Grund dafür sein, daß H. den Spuren einer kommunikativen Vernunft. . . nicht weiter gefolgt ist". Die abstrakte Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem wird von H. in der Folge durch die „absolute Selbstbeziehung eines aus seiner Substanz zum Selbstbewußtsein gelangenden Subjekts, das die Einheit wie die Differenz des Endlichen und des Unendlichen In sich trägt", ersetzt. Diese Denkfigur gestattet es, mit den Mitteln der Subjektphilosophie die subjektzentrierte Vernunft zu überwinden. Abschnitt IV verfolgt die Konsequenzen dieser Denkfigur für die politische Sphäre und zeigt, wie die Logik des sich selbst begreifenden Subjekts, den „Institutionalismus eines starken Staates" erzwingt.
Fichtes transzendentale Dialektik und Hegels phänomenologische Dialektik. Eine transzendentallogische Rekonstruktion. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 194—207. HAMMACHER, KLAUS:
Ausgehend von der aristotelischen logischen Unterscheidung von konträren und kontradiktorischen Gegensätzen überprüft Verf. in einer Vergleichung Fichtes und H. s Dialektik. ,Neuere Dialektik' gilt ihm dabei als „die mit Kant neu auftauchende Argumentationsweise
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
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des inneren Dialogs". An zehn Leitsätzen wird der transzendentallogische Hintergrund von Fichtes Dialektik aufgedeckt, danach H. s Dialektik „als Logik der Phänomene" überprüft. Dessen Verfahren wird dabei „eine verallgemeinernde Simplifizierung" nachgewiesen. Hinsichtlich der Unterscheidung von Irrtum und Meinung ergeben sich bei H. Schwierigkeiten, die Fichtes transzendentale Logik längst gelöst hatte. — Der Aufsatz enthält keine Anmerkungen, dafür 24 Exkurse.
Hegel'S theoiy of punishment reconsidered. — In: Dialogos. Rio Piedras, Puerto Rico. 43 (1984), 71—80. HARVEY, CHARLES W.:
Verf. argues that H.'s theory of punishment as the annulment of crime is not only the retributive theory which it is usually thought to be, but also reformative, insofar as it restores the right, or the balance of ethical Order. H. believed that punishment should focus not upon the criminal, but upon the crime, seen as the violation of this Order. Particular events are thus subsumed under the rubric of a conception of universal jusfice. If punishment does not aim at the ideal of justice, i. e., if it aims at retribution for a particular crime, then it is simply a wrong, not a wrong which annuls another wrong and thus creates an instantiation of right. Retribution for the crime, reformation of the right, and deterrence from further crime, all play a part in H.'s theory of punishment, but mere revenge has no part.
Eigentum und Bewußtsein. — In: Annali della Facoltä di Fettere e Filosofia. Universitä di Napoli. Napoli, Roma. 27 (1984/85), 49 -69. HOGREBE, WOLFRAM:
Bewußtsein und Selbstbewußtsein konstituieren eine Form des Besitzens und des Eigentums geistiger Inhalte. Nach Kant hat vor allem H. auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht. Das in der Anschauung Wahrgenommene und Erinnerte ist Eigentum geworden. H. nennt es BUd. Die Bilder sind jedoch nicht beliebig verfügbar, sondern müssen durch die erinnernde Einbildungskraft freigesetzt werden. In Zeichengebung und Sprache findet dieser Vorgang seinen Ausdruck. H. s persönlichkeitstheoretische Eigentumstheorie enthält damit eine Grundlegung der Semiotik.
„Potentia hominis" — Spinoza, Hegel, Marx über das menschliche Wesen. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 170-178. HONGISTO, MARKKU; OITTINEN, VESA:
Im Zusammenhang mit der Begründung einer marxistischen Ontologie (H. H. Holz) die eine Rehabilitierung des monistischen Substanzbegriffs voraussetzt, gehen Verf. kurz auf H. s Spinoza-Rezeption ein. H. übernimmt nur diejenigen Momente des Spinozismus, die objektiv-idealistisch umdeutbar sind; die Bewegungslosigkeit der Substanz ergänzt er durch das Reflexionsprinzip der Leibnizschen Monadologie, so daß er bewußf materialistische Konsequenzen vermeidet.
Werden des Wissens als Fortschreiten zum Konkreten. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 88—93. HORSTMANN, HUBERT:
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BIBLIOGRAPHIE
Für H. ist das Werden des Wissens ein Prozeß des ständigen Fortschreitens vom Abstrakten zum Konkreten. Auch die Wissenschaftsentwicklung unterliegt, wie besonders Marx und Engels gezeigt haben, diesem Gesetz.
Hegels Lehre vom Organismus. Ein Aspekt der Naturphilosophie im deutschen Idealismus. [Japanisch] — In: Bulletin of the Institute for Humanities Research. Kanagaea University. Yokohama. 19 (1985), 3-18. ISAKA, SEISHI:
Verf. will H. s Lehre vom Organismus im Hinblick auf Schellings Naturphilosophie erläutern. Obschon H. s Naturphilosophie von Schellings früher Naturphilosophie beeinflußt ist, fängt H. in der Phänomenologie des Geistes an, Schellings Identitätsphilosophie zu kritisieren. H. entwickelt seine eigene Naturphilosophie und besonders seine Lehre vom Organismus. Deren Eigentümlichkeit liegt darin, daß der Organismus als Einheit eines Ganzen und der dieses konstruierenden Momente in Fluß des Lebensprozesses dialektisch begriffen werden soll. — Schelling übt einerseits durch seine romantische Naturanschauung Einfluß auf damalige Anatomen, Biologen und Ärzte aus, rezipiert aber andererseits die anatomische Methode. H. s Kritik richtet sich daher gegen die Auffassung des Organismus nach dem Vorbild der anatomischen Methode, wie in folgender Formulierung aus der Phänomenologie deutlich wird: „so daß nicht jene Wirklichkeit, wie die Anatomie sie findet, als ihre Realität gelten darf, sondern nur sie als Prozeß, in welchem auch die anatomischen Teile allein einen Sinn haben". H. ist der Ansicht, daß der Organismus weder romantisch noch anatomisch aufgefaßt werden darf, sondern in Wirklichkeit als ein sich entwickelnder Prozeß zu begreifen ist. Die Differenz zwischen Schelling und H. in bezug auf das Erkennen des Organismus liegt prinzipiell darin, daß es bei Schelling auf der Anschauung (= dem unmittelbaren Wissen) beruht, während es bei H. auf das Begreifen nach der Sache selbst sich gründet.
Hegel, una filosofia de lo real [Hegel, eine Philosophie des Wirklichen]. — In: Universitas Philosophica. Bogota. 4 (1986), N. 7, 45-62.
JARAMILLO, CABO FRANCISCO:
Statut logique de l'alterite chez Hegel. — In: Philosophie. Paris. 13 (1986), 68—81.
JARCZYK, GWENDOLINE; LABARRIERE, PIERRE-JEAN:
Le
Die Überlegungen der Verf. nehmen ihren Ausgangspunkt von dem Kommentarwerk: ]. Biard u. a.: Introduction ä la lecture de la Science de la Logique de Hegel, I. L’Etre (1981); 11. La doctrine de l'Essence (1983). — Sie weisen einen der gängigsten Vorwürfe gegen H. zurück, nämlich daß er aus seiner Philosophie jede Möglichkeit verbannt habe, die reale Andersheit in Betracht zu ziehen.
Hegel: la conscience malheureuse, ou l'acces ä la raison. — In: Le cahier du College International de Philosophie. Paris 1986. N. 2, 106—108.
JARCZYK, GWENDOLINE; LABARRIERE, PIERRE-JEAN:
Bericht über ein Seminar im Rahmen des College International de Philosophie. In dem Seminar wurde der Abschnitt B des IV. Kapitels der Phänomenologie des Geistes behandelt.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
333
De la democratie ä la representation. A propos de la politique hegelienne. — In: Philosophie. Paris. 13 (1986), 38—67. KERVEGAN, JEAN-FRANCOIS:
Zu den meistkritisierten Aspekten der politischen Philosophie H. s gehören die Zurückweisung der Demokratie, des allgemeinen Stimmrechts und der parlamentarischen Repräsentation. Es wäre aber verfehlt, hierin eine Befürwortung des Totalitarismus zu erblicken. Vielmehr geht es H. um eine Vermittlung zwischen der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft und der des Staats.
On the Limits of Contemporary Reflection on Freedom: An Analysis of Marxist and Existenzialist Responses to Flegel. — In: Dionysius. Halifax. 10 (1986), 85—128. KIERANS, KENNETH:
Am Leitfaden des Problems moderner Subjektivität gibt Verf. einen analytischen Überblick derjenigen Rezeptionen, die die Philosophie H. s im Marxismus und Existentialismus des 20. Jahrhunderts erfahren hat. Während marxistische Interpreten (Kojeve, H. Marcuse, Habermas) ausgehend von H. eine Theorie revolutionärer Subjektivität entwickeln, reagiert der Existentialismus (Löwith, Hyppolite, Fackenheim) in der Weise darauf, daß er die Gefahren einer Aushöhlung insfitutioneller Autoritäten wie etwa der Religion thematisiert. Einen Versuch, über beide Interpretationslinien hinauszukommen, repräsentiert nach Verf. das Denkens Heideggers. Wenn Heidegger sich in seiner H.-Deutung zurecht dagegen wendet, daß man alles dem menschlichen Willen unterordnet, dann stellt er weitergehend ebenfalls das Problem, ob die menschliche Subjektivität überhaupt aufgegeben werden soll. Vor diesem Hintergrund erkennt Verf. in H. s Aufstieg zum absoluten Wissen eine Möglichkeit, die sich sowohl jenseits einer revolutionären Reduktion von Natur und Geschichte als auch deren existentialistischen Konterparts bewegt.
Die idealische Dialektik der Natur. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 42 — 64. KIM, HONG-MYONG:
Der Verf. versucht, die positive Bedeutung der H. sehen Naturphilosophie zu zeigen, indem er die das Naturphänomen interpretierende Dialektik in H. s Naturphilosophie beleuchtet. Dabei betont er, daß H. s Naturphilosophie nicht bloße Idealisierung der Natur ist, sondern sich auf damalige Naturwissenschaft gründet.
Das Problem der Erbschaft der Hegelschen Philosophie und der Begriff „Offenheit" bei E. Bloch. [Koreanisch.] - In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 141-160. KIM, JIN:
Hier werden die Debatten zwischen Gropp und Cornu, Gropp und Behrens und außerdem Gropps Kritik an Lukäcs und Bloch kritisch behandelt. Der Verf. vertritt die Ansicht, daß Bloch von H. beeinflußt worden sei. Bloch habe das H. sehe System um die Begriffe „Offenheit", „Novum" und „Zukunfts-Dimension" erweitert und sie in den Bezeichnungen „das Ganze", „utopisches Totum" entwickelt.
Die Auflösung von Hegels Phänomenologie in Hermeneutik. Zum Wahrheitsanspruch eines spekulativen Erfahrungsbegriffes. — In: Die Krise der Phänomenologie und die Pragmatik des WissenKORTIAN, GARBIS:
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BIBLIOGRAPHIE
Schaftsfortschritts. Hrsg. v. M. Benedikt und R. Burger. Wien 1986. 53-64. Nach Fichte ist das Vernunftwesen so eingerichtet, daß, indem es denkt, es in der Regel nicht sein Denken, sondern nur das Gedachte betrachtet. Damit formuliert er ein Selbstverständnis, das dem spekulativen Erfahrungsbegriff der H. sehen Phänomenologie und der von Heidegger ausgehenden philosophischen Hermeneutik gemeinsam sind.
La Science la plus difficile de toutes. Matiere et mesure dans la critique hegelienne de Newton. — In: Philosophie. Paris. 13 (1986), 15-37. LACROIX, ALAIN:
Sicherlich hat H. Newton Aussagen, ja sogar theoretische Annahmen unterstellt, die nicht die seinen sind. Andererseits hat er aber nach den Strukturen der klassischen Physik gefragt und so philosophische, vielleicht sogar epistemologische Perspektiven eröffnet, die es heute geraten sein lassen, seine Theorie der Physik ernstzunehmen.
DIETER: Der Kreis der philosophischen Wissenschaften. Überlegungen zur systematischen Struktur der Philosophie Hegels. — ln: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 215—219. LANG,
H. s Kennzeichnung der Philosophie als in sich geschlungener Kreis ergibt sich aus seinem Verständnis der Philosophie als Selbstdarstellung des Absoluten. Philosophie hat nicht irgendeine partikulare Wirklichkeit, sondern das Ganze zu erfassen. Dieses Ganze läßt sich nur in einer Folge von Sätzen erfassen, in der der erste Satz als Korrektur des letzten gilt. Verf. will nun anhand des faktischen Entwicklungsganges der H. sehen Philosophie zeigen, daß H. s Methode keinen Rückgang auf den Anfang und somit keine Kreisbewegung im strikten Sinne erlaubt, sondern eher eine spiralige Gestalt annimmt.
Hegel's Idea about Morality. — In: Dialectics and Humanism. The Polish Philosophical Quarterly. Warszawa. 12 (1986), 243-252. LEY, HERMANN:
Ausgehend von der Frage, ob es relativ konstante Werte gibt oder ob sie von sozialen Bedingungen abhängig sind, analysiert Verf. H. s Theorie der Moralität sowohl im Hinblick auf ihre kognitive Grundlegung als auch im Hinblick auf ihre geschichtliche Durchführung. Nach H. geht die historische Entwicklung der Moralität in Widersprüchen vor sich, von denen ebenso das Individuum wie die sozialen Kontexte geprägt sind. Wahrhafte Moralität besteht für H. darin, an dem zu partizipieren, was zu einer bestimmten Zeit wirklich ist, um dergestalt etwas Neues zu schaffen, das von der Geschichte für die Zukunft aufgenommen werden kann.
SOK-ZIN: Grundprobleme der Hegelschen Geschichtsphilosophie. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 11—41.
LIM,
Es geht dem Verf. um die Vermittlung von Freiheit und Geschichte durch die Begriffe „Vernunft" und „Praxis". Die Geschichte bestehe aus den dialektischen konstitutiven Momenten der Freiheit und Notwendigkeit. Die Zufälligkeit in der Geschichte werde vom Pathos als realem Täter des freien Willens sowie der treibenden Kraft des Pathos einge-
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schränkt. Dadurch entfaltet sich die Weltgeschichte. Hier werden für die menschliche Geschichte die Konstruktion der Welt und die Entfaltung der Geschichte aus der Natur vorausgesetzt. Das Pathos, das bei H. die Grundursache der politischen Ereignisse und Veränderungen in der Weltgeschichte sei, gelte als das Prinzip der Vermittlung von Natur und Menschen, werde also als Praxis betont.
La duplicite du Souvenir — Hegel et Proust. — In: Le cahier du College International de Philosophie. Paris 1986. N. 2, 137-143. MALABOU, CATHERINE:
Verf. untersucht die Rolle der Erinnerung in der Philosophie H. s und dem literarischen Werk Prousts und gelangt zu dem Ergebnis, daß H. s Unterscheidung des ,konservierenden' „Gedächtnisses" von der Vergessenes wachrufenden „Erinnerung" bei Proust wiederkehrt als „memoire volontaire", die vom Bewußtsein gesteuert wird, und der „ecriture ä proprement parier", in der die Spuren unvordenklicher Zeit eingeschrieben sind.
Relativität und Totalität des Wissens. Die Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels in Schweden. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 220-243. MANNINEN, JUHA:
Der erste Kontakt eines schwedischen Philosophen mit der Philosophie H.s zeigte sich wohl in den Vorlesungen Benjamin Höijers (gest. 1812) an der Universität Uppsala seit 1803, die von H.s „Differenzschrift" ausgingen. In der Folgezeit trat eine Reihe von Hegelianern in Schweden auf, die jedoch auch Kritik an H. und Modifikationen der Philosophie H.s vortrugen (Atterboom, Snellman, Geijer, Boström, Borelius, Afzelius u. a.). In ihren Schriften spiegeln sich die Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linkshegelianern sowie die konkurrierenden Einflüsse von H. und Schelling. Auf die Dauer blieb H.s Philosophie in Schweden jedoch eine Randerscheinung, die mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ihre Wirkung verlor.
Hegels Triebbegriff als funktional interpretiertes Negationspotential von Subjektivität. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 279-285. MAROTZKI, WINFRIED:
Auf der Grundlage der Enzyklopädie von 1830 analysiert Verf. den Triebbegriff H. s, wie er in der Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes verstanden wird. Hierbei erweist sich der Trieb als subjektives Negationspotential, dessen inhaltliche Ausdifferenzierung bei der Entwicklung von Organismen eine jeweils verschiedene Rolle spielt.
Hegel on negation and personal idenhty. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 253—262. MAURY, ANDRE:
Gegenstand der Untersuchung ist H. s Darstellung des Selbst in der Phänomenologie des Geistes, der Stil der Darstellung ist („in a vague way") an Wittgenstein orientiert. Verf. konzentriert sich auf den Begriff der Anerkennung, um H. s Theorie des Selbst als anti-reali-
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BIBLIOGRAPHIE
stisch herauszustellen und um sie an der These zu messen, daß persönliche Identität eine Gesamtheit von Glauben („a set of beliefs") sei.
La concepciön hegeliana del Estado y su crftica por el joven Marx [Hegels Auffassung des Staates und die Kritik des jungen Marx]. — In: Revista de Filosofia de la Universidad de Costa Rica. San Jose. 23 (1985), 31-48. MOLINA JIMENEZ, CARLOS:
Die Abhandlung gibt, erstens, einen Überblick über die Entwicklung der H. sehen Auffassung des Staates, die in eine detailliertere Behandlung, wie sie die Enzyklopädie und die Grundlinien der Rechtsphilosophie aufweisen, mündet. Zweitens wird die immanente Kritik des jungen Marx vorgestellt, die theoretische Widersprüche und epistemologische Schwächen nachweist, und dabei einige seiner späteren Thesen vorbereitet.
Der geschichtliche Zeitort der Freiheit. Überlegungen zu Hegels letzten Entwürfen einer Geschichtsphilosophie. — In: Philosophisch-Theologische Grenzfragen. Festschrift für Richard Schaeffler zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Hrsg, von J. Kirchberg und J. Müther. Essen 1986. 127-152. MEIST, KURT RAINER:
Logic and the metaphysics of Hegel and Whitehead. — In: Process Studies. Claremont, California. 15 (1986), N. 1, 32-52. NUSSBAUM, CHARLES:
Verf. argues that H.'s distinction between the logic of reason and the logic of the understanding has become obsolete, and that the shortcomings which H. saw in the logic of the understanding do not exist in modern mathematical logic. Verf. further tries to show that a philosopher need not adopt a dialectical logic of reason in order to develop a full-blown systematic metaphysics. For example, Whitehead's logic was non-dialectical, his idea of logic followed the „ordinary meaning" of the term, and his metaphysical project was „considerably more modest than that of H.", but still Whitehead's categoreal structure of reality seems more suited to explaining the ontology of the modern world than does H.'s System.
TODOR L: Hegel und die materialistische Philosophie. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 31—44.
OiSERMAN,
Unter weitgehender Berücksichtigung von Lenins Konspekt der Wissenschaft der Logik entwickelt Verf. die These, daß die Philosophie H. s einen umgestülpten Materialismus darstellt. Einerseits nimmt H. der Sache nach materialistische Gedanken, wie etwa die Behauptung einer freien, sich selbst bewegenden Materie auf, um mit ihnen anderseits jedoch bloß den Idealismus zu bestätigen. So ist das System H. s durch die Zweideutigkeit gekennzeichnet, daß die dialektische Negation des Materialismus dessen inhaltliche Anerkennung und Aneignung einschließt.
Abhandlungen zur Hegel-Forschung / Nachträge 1984—1986
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ONYEWUENYI, I. C.: Faith as an unaccomplished form of reason in Hegels philosophy. — In: The Nigerian Journal of Philosophy. Lagos 1984-1985. 4-5, 154-160.
PETERS, KLAUS: „Der Begriff isf das Freie". — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 244-252.
Die Entwicklung des Freiheitsbegriffs in der Geschichte der neuzeitlichen Philosophie ist für H. die Verwirklichung des Freiheitsbegriffs der Reformation im Denken. Freiheit ist Aufhebung des Anderen, Fremden in der Aneignung durch den Begriff, der „das Freie ist". Für Descartes war die Freiheit des Denkens Ausgangspunkt, bei H. ist sie nur als Resultat.
PsiMMENOS, NIKOS: Der Begriff der Objektivität in Hegels Auffassung der vorsokratischen Philosophie. — ln: Philosophische Tradition im Dialog mit der Gegenwart. Festschrift für Hansjörg A. Salmony. Hrsg. v. Andreas Cesana und Olga Rubitschon. Basel, Boston, Stuttgart 1985. 231-242. H. stellte die Philosophie der Vorsokratiker als Periode der Versenkung des Denkens in die Objektivität dar, während erst bei den Sophisten und in deren Spuren bei Sokrates und den Sokratikern die Subjektivität entdeckt wird. Es erfolgt hier eine Rückkehr des Geistes zu sich, die erst die Totalität des Objektiven herbeiführt, zu der wesentlich auch die Subjektivität gehört. Allerdings fand H. auch schon bei Zenon eine Form der Subjektivität, die in der Anwendung auf die Dialektik bei den Sophisten ihre Fortsetzung fand.
RAMBALDI, ENRICO I.: Hegels Kritik des Fallgesetzes bei Newton. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 317—324.
Ein Beispiel für den konkreten Reichtum der H. sehen Naturphilosophie sieht Verf. in H. s Analysen des Galileischen Fallgesetzes {Enzyklopädie § 267). H. s Einwände gegen Newtons Erklärung sind nicht unberechtigt, da dieser in seine mathematische Darstellung nicht zwingende physikalische Vorstellungen einmischt. Verf. weist darauf hin, daß Galileis eigene Erklärung weit mehr H. s Forderungen entgegenkommt als Newtons. Galilei gibt zunächst eine Definition a priori des Falles, die er aus dem Begriff der Einfachheit der Natur gewinnt. Er zeigt dann, daß diese Definition mit der Empirie übereinstimmt.
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Verf. tries to deepen the reader's understanding of the compleX relationship between H. and Kierkegaard. His analysis of their relationship skims over the well known differences but concentrates on the similarities which commentators often neglect. For example, both H. and Kierkegaard emphasize the overarching immediacy of faith for the believing consciousness. They also show some agreement about the role of Imagination in tandem with faith; and both reject Cartesian foundationalism.
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BIBLIOGRAPHIE
Antifoundationalist epistemology, Hegel on drcularity. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 208—214. ROCKMORE, TOM;
In systematischer und aktualisierender Absicht stellt Verf. die Zirkularität als H. s zentrales methodologisches Konzept dar. Dabei hebt er hervor, daß dieser methodische Ansatz aus einem kundigen Umgang H. s mit der philosophischen Diskussion seiner Zeit erwachsen ist. Mit Fichte und gegen Reinhold habe H. eine „antifoundationalist" Epistemologie entwickelt. Ausgangspunkt der (hier nur kurz vorgetragenen, man vergl. das inzwischen veröffentlichte Buch: Hegel's Cicular Epistemology) Textanalyse sind die Differenzschnit und insbesondere die Enzyklopädie (von 1830). Durch die Zirkularität seines methodischen Ansatzes könne H. das Problem einer nicht ausweisbaren Letztbegründung vermeiden.
RODEN, ALLAN R. VAN: Beyond Hegel's ontological claim. — In: Dialogue. Kingston, Ontario. 23 (1984), 305—314.
Overcoming his initial surprise that Charles Taylor sees H.'s logic as an ontology, Verf. proceeds to examine the senses in which this claim is true, and finds that the idea of ontology „undergirds" and „interpenetrates" (306) not only H.'s logic, but H.'s entire systematic Work. Basically, H.'s ontological claim is an updating of Aristotle's assertion of the unity of thought and being, and Stands firmly against Kant, for whom thought and being seem irrevocably separate. One goal of H.'s System is to articulate this unity.
Technology and alienation. — In: Ultimate Reality and Meaning. Assen. 9 (1986), N. 1, 4—16. ROTSTEIN, ABRAHAM:
A study of the alienation produced in human beings as they exist in various forms as replicas, from imago Dei to Frankenstein's monster to robots to clones to Woody Allen's character Tom Baxter stepping off the movie screen into the audience in „The Purple Rose of Cairo". The replica problem involves H. to the extent that in PhG one becomes what one is partially through the externalization of one's inner nature in the Creation of artifacts, images, institutions, and other public manifestations of one's physical, social, and political life. Any such replica can never represent the inner seif fully or faithfully, and is thus inauthentic and false at its level. Modern technology makes this Situation worse, but Verf. concludes that the problem is ancient and is very well expressed in the letters of St. Paul.
SAARINEN, AINO: The dialectics of master and slave from a feminist standpoint. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 263—269.
Der Rückgriff auf die Dialektik von Herr und Knecht in H. s Phänomenologie dient Verfasserin zu einer Kritik des unzureichenden H.-Verständnisses in S. de Beauvoirs Le Deuxieme Sexe, das ohnehin durch Sartres Perspektive geprägt sei. Die von de Beauvoir beschriebene Andersheit der Frau müsse nicht im Sinne der Subordination, sondern vielmehr als Ausdruck einer dichotomischen Situation gewertet werden.
Hegels Auseirrandersetzung mit der Kantischen Freiheitslehre. [Japanisch.] — In: Studies in Philosophy, Institute of Philosophy University of Tsukuba. 10 (1985), 63—87. SASAZAWA, YUTAKA:
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Während für Kant der Begriff der Freiheit „den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft" ausmacht, bedeutet für H. die Freiheit „die Substanz, das Wesen" und das „Wahrhafte" des Geistes. H. bezeichnet die Freiheit, die das Wesen des Geistes ist, als „das Bei-sich-selbst-Sein", so ist sie bei ihm für die Weise des Geistes genommen, der seinen eigenen Bestehungsgrund (Substanz) nur in sich selbst hat. Insofern ist wohl zu sagen, daß H. dem Gedanken Kants nachfolgt, der die Entstehung der Freiheit in der „Autonomie des Willens" findet. In der Tat rühmt H. Kants Prinzip von „Freiheit und Autonomie des Willens". Jedoch ist nicht zu sagen, daß die Freiheitsbegriffe beider Denker dieselben wären. Die Differenz zwischen ihren Begriffen entstammt ihrem unterschiedlichen Verständnis des Bestimmungsgrunds des Willens. Bei H. bedeutet dieser das substantielle Allgemeine der Sittlichkeit. Deshalb stellt H. die eigentümliche Freiheit als die „substantielle Freiheit" dar. Bei Kant bedeutet der Bestimmungsgrund dagegen das formelle Allgemeine der reinen Vernunft, und deshalb wird der Freiheitsbegriff Kants von H. als Abstraktum kritisiert.
SCHILT, JAAP: Ervaring in de „Phänomenologie des Geistes" van Hegel als element van de negatief dialectische filosofie van Adorno. — In: Stoicheia. Amsterdam. 1 (1986), N. 2, 65 — 72.
Adorno möchte Hegels philosophisches Bewußtsein zur Erfahrung hinführen, daß es in sich entzweit sei und daß diese Entzweiung prinzipiell nicht aufhebbar sei.
SCHMIDT, GERHARD: Die Geschichtlichkeit der „sittlichen Idee". Reflexionen über Hegels Staatsbegriff. — In: Philosophische Tradition im Dialog mit der Gegenwart. Festschrift für Hansjörg A. Salmony. Hrsg. v. Andreas Cesana und Olga Rubitschon. Basel, Boston, Stuttgart 1985. 287-302.
In der Geschichte zeigt sich für H. im Gegensatz zu Kant die Verwirklichung der Vernunft. Der Ursprung des Staats ist die Geschichtlichkeit der sittlichen Idee, die sich an die Zeit ausliefert. Der Staat ist die Substanz und das Wirkliche der Weltgeschichte. Der Mensch ist in den göttlichen Prozeß einbezogen, der sich in der Geschichte abspielt. Die geschichtliche Verwirklichung der sittlichen Idee im Staat wird von H. in Analogie zur Menschwerdung Gottes verstanden. So konnte H. auch von der Göttlichkeit des Staats sprechen. Man muß diesen Geschichtspantheismus H. s verstehen, bevor man sinnlose politische Anklagen oder Verteidigungen H. s vorbringt.
SENSI, PIERGIORGIO: Intorno ad un' interpretazione delT intero hegeliano come sintesi originaria [Das Hegelsche „Ganze" als ursprüngliche Synthesis]. — In: Rivista di teoretica. Perugia. 1 (1985), 209—217.
Die Autonomie des Kunstwerks und die Kunst als gesellschaftliche Praxis. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 94-140. SHIM, KWANG-HYUN:
In diesem Aufsatz kritisiert der Verf. Adornos Begriff „autonome Kunst" und P. Bürgers „Institution-Kunst". Weiterhin präzisiert er die doppelte Bedeutung der autonomen Kunst in der Gesellschaft als Ansatzpunkt. Die Kunst sei sowohl eine Form der Ideologie, als auch
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BIBLIOGRAPHIE
ein Kampfmittel gegen die bestehende ideologische Unterdrückung. Sie werde zwar durch die soziale Wirklichkeit bestimmt, aber könne sie auch ändern. Also besitze die Kunst relative Autonomie. Hier wird die Kunst als Praxis betont und der Verf. greift auf H. s ästhetischen Ansatz zurück, d. h. die Theorie der ästhetischen Handlung.
SKüLASON, PäLL; In defence of the absolute spirite. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 21—30. Verf. verteidigt H. s Konzeption des Absoluten Geistes hauptsächlich gegen mögliche, an orientierte. Formen der Kritik des absoluten Wissens als unzulässige Überschreitung der menschlichen Limitation. Die aufsteigende Dialektik zum Absoluten und die absteigende Dialektik, welche zeige, wie die Welt im Licht des Absoluten aufzufassen sei, erscheinen Verf. stets noch als angemessene Entgegnung auf irrationale oder fehlgeleitete rationale Tendenzen unserer Zeit. KANT
SoTO BRUNA, MA. JESUS: La subsunciön hegeliana de lo natural en lo racio-
nal [Die Hegelsche Subsumierung des Natürlichen im Rationalen]. — In: Anuario Filosöfico. Universidad de Navarra. 19 (1986), N. 1, 227—233. Am Leitfaden der H. sehen Interpretation und Kritik der Metaphysik und Ethik des Aristoteles soll der Ansatz von der Wissenschaft der Logik geklärt werden. Zunächst werden die Aristotelischen Gedanken über das Verhältnis zwischen Physis und Logos und das Wesen der Substanz erörtert. Es folgt H. s Auslegung und seine Aufnahme des Modells des „sich selbst denkenden Denkens". Daraus ergebe sich, daß für H. das Wesen der natürlichen Dinge nicht wie für Aristoteles in der Physis eingebettet sei, sondern seine wahre Realität im Logos besitze.
Interpretazioni recenti del rapporto tra tempo e totalitä in Hegel [Letzte Interpretationen der Beziehung zwischen Zeit und Totalität bei Hegel]. — In; Temporalitä ed escatologia. Atti del Primo Colloquio SU filosofia e religione (Macerata 10.—12. 3. 1984) [Zeitlichkeit und Eschatologie. Akten des ersten Kolloquiums über Philosophie und Religion]. A cura di Giovanni Ferretti. Torino 1986. 153—192. TOTARO, FRANCESCO:
Sowohl die neomarxistische (De Giovanni, Bodei) als auch die neo- bzw. antiheideggerianische (Vitiello) Interpretation der Zeitproblematik bei H. beabsichtigen, H. s Denken von dem Vorwurf zu befreien, er habe bloß eine geschlossene empirisch-geschichtliche oder ontologische Totalität sanktioniert. Wenn dabei die eine interpretatorische Richtung die spekulative Bedeutung von H. s Logik der Zeit unterschätzt, reduziert die andere H. s Denken zu einem bloß negativen. Bei H. aber transzendiert der Sinn, das Ewige, die Zeit, wenn auch nur in der Aporie der Beziehung zwischen Endlichem und Unendlichem. Die Zeit ist so weder der radikale Sinn des Seins noch des Daseins, sie ist vielmehr das Feld, wo sich der Sinn des Seins in freier Begegnung des Endlichen und Unendlichen abspielt.
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Bildung und Reflexion bei Hegel. — ln; Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 279-285. VäYRYNEN, KARI:
In der Phänomenologie des Geistes betont H. die anthropologische Seite im Bildungsbegriff als Entäußerung und Entfremdung. Im Prozeß der Aufklärung zeigte sich historisch die negative Kraft der Bildung. H. bezeichnete die Bildungsform der eigenen Zeit als Reflexionsbildung, die durch die Bildung im vernünftigen Selbstbewußtsein aufzuheben ist.
Dialektik contra Metamorphose. — In: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie — Societas Hegeliana. Köln 1986. 299-308. VERRA, VALERIO:
Im Gegensatz zu der von der Forschung oft hervorgehobenen Affinität zwischen Goethes und H. s Naturauffassung thematisiert Verf. den Unterschied, besonders anhand H. s Kritik an Goethes Metamorphosenlehre in der Naturphilosophie. Wenn die Metamorphosenlehre als Erklärungsprinzip für das Pflanzenleben angenommen werden kann, weil es sich noch um ein unvollkommenes Leben handell, das selbst höhere Organisationsformen wie das Sexualverhältnis nur analogisch vorwegnimmt, versagt sie schon vor der Selbstzweckfunktion des Tieres, die sich als kreisförmiger und syllogistisch gegliederter Prozeß und nicht so sehr als geradlinige Entfaltung zeigt. Obwohl H. s Kritik auch mit spezifischen naturwissenschaftlichen und epistemologischen Problemen der Zeit, wie etwa mit der Diskussion über die Kontinuität der Naturformen, zusammenhängt, bleibt ihre systematische und methodologische Bedeutung weiterhin anregend, da sie exemplarisch für die Auseinandersetzung zwischen einer Konzeption der Leitfäden suchenden „zarten Empirie" und der spekulativ vorgehenden „Anstrengung des Begriffs" ist.
WATSON, STEPHEN: Aesthefics and the foundation of Interpretation. — In: Journal of Aesthefics and Art Criticism. Baltimore, Md. 45 (1986), N. 2, 125-138.
Die Mängel, die H. der Kunst aufgrund der gewandelten Anforderung der Moderne nachweist, werden von den Theoretikern des zwanzigsten Jahrhunderts wiederholt. Verf. geht den erkenntnistheoretischen Wurzeln dieser Einschätzung der Kunst bei Kant nach und zeigt, wie H. s Auffassung der Kunst die letzten Konsequenzen aus diesen Prämissen zieht. Schellings Weg aus diesen Prämissen führt zu einer anderen Einschätzung der Kunst, ihm widmet sich der zweite Teil der Untersuchung.
Donagan's critique of Sittlichkeit. — In: Idealistic Studies. Worcester, Mass. 15 (1985), N. 1, 1—17.
WESTPHAL, MEROLD:
Alan Donagan's The Theory of Momlity offers a modern Kantian ethics which seriously considers H.'s critique of Kant's ethics. Nevertheless, Verf. argues that Donagan misunderstands H.'s ethics and that Donagan should have given H. closer study. For example, to Donagan's Charge that H. degrades moraüty, as is exemplified by the Franz Jägerstätter case where private Moralität feil under Nazi Sittlichkeit, Verf. replies that such analysis condemns only the corrupt and warmongering mentality, not Sittlichkeit itself, and he uses as a counterexample the private Moralität of currently active white supremicist groups in the U. S. against American Sittlichkeit. Donagan agrees with H. that the first formulation of the categorical imperative is inadequate; but whereas both Kant and H. believe all formulations
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BIBLIOGRAPHIE
of this imperative to be equivalent to the first, Donagan recognizes otherwise, and thus is able to show that H.'s critique of Kant falters in the face of subsequent formulations.
WOLFGANG: Schopenhauer und Hegels Logik. Einführung in eine noch ausstehende Kontroverse. — In: Schopenhauer. Hrsg, von Jörg Salaquarda. Darmstadt 1985. 314—347. WEIMER,
Verf. zeigt, daß Schopenhauers theoretische Einwände gegen H. von der Axiomatik der klassischen Logik geleitet werden, die, weil sie zu Inkonsistenzen führt, ihre eigene Revision veranlaßt. Aufgrund eines deduzierend-kommentierenden Verfahrens der Seinslogik legt Verf. dar, in welcher Weise nicht nur Schopenhauers Kritik an der Voraussetzungslosigkeit der Philosophie unberechtigt ist, sondern wie die Willensmetaphysik ebenso den von ihr abgelehnten Begriff des Absoluten implizit in Anspruch nimmt, um dessen Überprüfung es H. allererst geht. Was die noch bevorstehende Auseinandersetzung mit den Vorwürfen einer Rehabilitierung der Theologie und einer Herabsetzung der Ethik zugunsten einer optimistischen Geschichtsphilosophie betrifft, plädiert Verf. für eine vorurteilslose Offenheit, die man gerade vom Standpunkt Schopenhauers im Hinblick auf H. einhalten müsse.
Heraclitus' philosophy and Hegels dialectic. — In: History of political thought. Exeter. 6 (1985), 381—404. WILLIAMS, HOWARD:
Phenomenology and theology: Hegel's alternative to dogmatism and idealism. — In: Essays in phenomenological theology. Ed. by Steven W. Laycock and James G. Hart. Albany (N. Y.) 1986. 67-88. WILLIAMS, ROBERT R.:
Der Aufsatz fragt — ausgehend von Ricoeur — nach „phänomenologischen" Motiven im Werk H. s. Dabei wird die These entwickelt, der „ontological turn" der Kantischen Transzendental- und Identitätsphilosophie sei eine dritte Alternative gegenüber Dogmatismus und Idealismus. Abschließend setzt sich Verf. mit den in Westphals Buch History and Truth in Hegel's Phenomenology entwickelten Thesen zum Problem der göttlichen Transzendenz bei H. auseinander.
Woo, KI-TONG: Hegels Phänomenologie des Geistes und die Geschichtlichkeit — J. Hyppolites Genese et de la Phenomenologie de l'Esprit. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 241—249. Diese kurze Arbeit ist eine Rezension des Buchs von J. Hyppolite, das ins Koreanische übersetzt wurde. Der Verf. meint, J. Hyppolite sehe das in der „Phänomenologie des Geistes" enthaltene philosophische Denken im geschichtlichen Kontext. Hierdurch werden in der „Phänomenologie des Geistes" die geschichtliche Kontinuität und die Wirklichkeit (Konkretheit) genau erläutert.
Yoo, HEON-SIK: Der Begriff des Anderen und die spekulative Fassung der Negativität. [Koreanisch.] — In: Hegel-Studien. Seoul. 3 (1986), 65-93.
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Dem Problem des Anderen bei H. wird anhand der Begriffe ,Subjektivität', ,Totalität' und ,Verhältnis' nachgegangen. H. s Kritik an den Reflexionsphilosophen, die den Gegensatz zwischen A und 'A verschärfen, überwindet deren subjektive Auslegung, indem er beide — A und 'A — auf eine Ebene setzt. Die Totalität produziert das Andere durch Selbst-Negation. Erkenntnistheoretisch bietet sich mit dieser Lösung die Chance zur Überwindung des Solipsismus.