Der Firmentarifvertrag: Verfassungs-, tarif- und arbeitskampfrechtliche Grundprobleme [1 ed.] 9783428512515, 9783428112517

Der Firmentarifvertrag hat bislang nur wenig juristische Aufmerksamkeit erlangt. Dies verwundert, kommt ihm doch aufgrun

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German Pages 364 Year 2004

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Der Firmentarifvertrag: Verfassungs-, tarif- und arbeitskampfrechtliche Grundprobleme [1 ed.]
 9783428512515, 9783428112517

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 225

Der Firmentarifvertrag Verfassungs-, tarif- und arbeitskampfrechtliche Grundprobleme

Von

Alexander Witt

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Alexander Witt · Der Firmentarifvertrag

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 225

Der Firmentarifvertrag Verfassungs-, tarif- und arbeitskampfrechtliche Grundprobleme

Von

Alexander Witt

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Universität der Bundeswehr Hamburg Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11251-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat in nahezu unveränderter Fassung im Wintersemester 2002 / 2003 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Für die Drucklegung wurde der Text geringfügig überarbeitet. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum 31. Dezember 2002 berücksichtigt. Nur noch in den Fußnoten berücksichtigt werden konnte die erst 2003 abgesetzte Entscheidung des BAG vom 10. Dezember 2002. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Harro Plander, möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Er hat mir während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl Freiraum und Gelegenheit zur Erstellung dieser Dissertation gegeben und damit maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Danken möchte ich ihm auch für seine hilfreichen und weiterführenden Anregungen. Ebenfalls Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Klaus Moritz für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Zu besonderem Dank bin ich Frau Richterin am Arbeitsgericht Dr. Antje Skuderis verpflichtet, die mir mit ihrer fachlichen Hilfe, ihrem Zuspruch und auch ihrer Geduld bei der Fertigstellung der Dissertation sehr geholfen hat. Danken möchte ich zu guter Letzt auch meinen Eltern, Regina und Hans-Peter Witt, für ihre finanzielle Unterstützung und Förderung meiner Ausbildung. Ihnen möchte ich dieses Buch widmen. Hamburg im Juni 2003

Alexander Witt

Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Die Krise des Flächentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung des Rechts des Firmentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

A. Die Anfänge des Rechts des Firmentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

B. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . .

40

C. 1933 – 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949 und die rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages bis heute . . . . . . . . . . . .

46

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem . . . . .

52

§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

A. Die rechtliche Bedeutung der Tariffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 § 4 Probleme der Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Probleme der Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 C. Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

8

Inhaltsübersicht

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber 187 D. Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 E. Beschränkung auf sozial mächtige Arbeitgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 F. Zulässigkeit der Angriffsaussperrung zum Abschluss eines Firmentarifvertrages ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 § 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 C. Ausschluss der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht aufgrund gegenläufiger Tarifpraxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 D. Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Schlichtungsabrede . . . . . . . . . . . 250 E. Friedenspflicht bei nachwirkendem Tarifvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 F. Friedenspflicht auch ohne Tarifbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 H. Auswirkungen personeller Veränderungen des Arbeitgeberverbandes auf die Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 § 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 § 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Satzungs- und verbandstarifvertragliche Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Verbandsinterne Abschlussverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 B. Verbandstarifvertragliche Abreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Inhaltsübersicht

9

§ 9 Exkurs: Vereinbarung eines Separatfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 B. Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Verstoß gegen die Kampfparität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 D. Verletzung des vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . 312 E. Verletzung interner Verbandspflichten seitens des Mitgliedsarbeitgebers? . . . . . 314 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 § 10 Rechtsvergleichender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 A. Länder mit vorwiegend überbetrieblichen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 B. Länder mit vorwiegend betrieblichen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 C. Länder mit mehrstufigen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 D. Vergleich der verschiedenen Tarifsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 § 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 326 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Die Krise des Flächentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

II. Abgrenzung zu anderen kollektiven Regelungsinstrumenten . . . . . . . . . . . .

32

1. Verbandstarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

2. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

3. Flächentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

4. Betriebsvereinbarung, Regelungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

5. Dreiseitige Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung des Rechts des Firmentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

A. Die Anfänge des Rechts des Firmentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

B. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . .

40

I. Der Entwurf Sulzer / Lotmars von 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

II. Der Entwurf Rosenthals von 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

III. Der Entwurf Wölblings von 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

IV. Der Entwurf Sinzheimers von 1916 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

V. Der Entwurf Brentano / Heinemann von 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

VI. Die TVVO vom 23. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

VII. Der Entwurf des Reichsarbeitsministeriums von 1921 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

12

Inhaltsverzeichnis VIII. Der Entwurf Nipperdeys von 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

IX. Der Referentenentwurf des Reichsarbeitsministeriums von 1931 . . . . . . . .

44

X. Rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages . . . . . . . . . . . . . .

44

C. 1933 – 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949 und die rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages bis heute . . . . . . . . . . . .

46

I. Die Entwicklung in der Britischen Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

II. Die Entwicklung in der Amerikanischen Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

III. Die Entwicklung im Vereinigten Wirtschaftsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

IV. Die rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages in dieser Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem . . . . .

52

I. Tarifliche Erfassung nicht verbandsangehöriger Arbeitgeber . . . . . . . . . . . .

53

1. Groß- und Spezialunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

2. Sonstige nicht verbandsangehörige Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

II. Flexibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

III. Erfassung verbandstarifvertraglich nicht geregelter Bereiche . . . . . . . . . . .

56

IV. Unternehmenskrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

V. Betriebsvereinbarungsersetzende Firmentarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

VI. Betriebsverfassungsrechtliche Organisationstarifverträge . . . . . . . . . . . . . . .

58

VII. Tarifliche Regelungen übertariflicher Zulagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

VIII. Quantitatives Verhältnis der verschiedenen Anwendungsbereiche zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

IX. Inhaltliche Unterschiede zwischen Firmentarifvertrag und Verbandstarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

X. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

A. Die rechtliche Bedeutung der Tariffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Inhaltsverzeichnis

13

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

I. Der Arbeitgeberbegriff des § 2 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

II. Umfang der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

III. Wörtliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

IV. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

V. Historische Auslegung (Entstehungsgeschichte und historisch-teleologische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

VI. Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

I. Verletzung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes oder des einzelnen Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

1. Die Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG für das einfachgesetzliche Tarifrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

a) Gleichberechtigter Schutz sowohl der Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

b) Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

aa) Die Lehre vom Doppelgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

bb) Art. 19 Abs. 3 GG als Anknüpfungspunkt (Scholz) . . . . . . . . . .

81

cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

c) Sachlich-gegenständliche Reichweite der Koalitionsfreiheit . . . . . .

84

aa) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . .

85

(a) Die sog. Kernbereichslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

(b) Heutige Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

bb) Die verschiedenen Ansichten der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

(a) Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

(aa) Differenzierungskriterium: Natürliche und ausgestaltungsbedürftige koalitionsspezifische Betätigung (Friese) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

(bb) Differenzierungskriterium: Grund- oder Rahmenbedingungen und Einzelregelungen (Wank) . . . . . . . .

90

(cc) Differenzierungskriterium: Beeinträchtigungsintensität der Regelung (Schwarze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

14

Inhaltsverzeichnis (b) Keine Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(aa) Die Koalitionsfreiheit als liberales Freiheitsrecht bei Begründung einer Regelungspflicht aus dem Sozialstaatsprinzip (Scholz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(bb) Die Lehre von der Grundrechtskonkretisierung (Säcker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

(cc) Das Tarifwesen als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Institutsgarantie (Kemper) . . . . . . . . . . . . . . . .

97

(dd) Verfassungsrechtlicher Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens bei Anwendung der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG (Löwisch) . . . . . . .

99

(ee) Verfassungsrechtlicher Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens bei Anwendung der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG (Henssler) . . . . . . . 100 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (a) Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (b) Der Eingriffsbereich: Schutzbereich und Schranken des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (aa) Individuelle und kollektive Koalitionsbildungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (bb) Individuelle und kollektive Koalitionsbetätigungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (cc) Verfassungsrechtliche Schranken der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (c) Der Ausgestaltungsbereich: Umfang und Grenzen einfachgesetzlicher Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . 115 (aa) Grundlagen der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 α) Institutsgarantie als dogmatische Grundlage der Ausgestaltungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 β) Die objektive Werteordnung der Grundrechte als zutreffende dogmatischen Grundlage der Ausgestaltungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (bb) Umfang der Ausgestaltungspflicht (Ausgestaltungsuntergrenze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (cc) Grenzen der Ausgestaltungsbefugnis (Ausgestaltungsobergrenze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. § 2 Abs. 1 TVG unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Zuordnung des § 2 Abs. 1 TVG zum Eingriffs- oder Ausgestaltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Inhaltsverzeichnis

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b) Unterschreitung der Ausgestaltungsuntergrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Überschreitung der Ausgestaltungsobergrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Individuelle Koalitionsfreiheit des den Firmentarifvertrag abschließenden Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Kollektive Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (a) Bestand des Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (aa) Eingriff in die Bestandsgarantie des Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (bb) Rechtfertigung eines Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (b) Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Individuelle Koalitionsfreiheit der übrigen Arbeitgeber . . . . . . 139 dd) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 ee) Art. 2 Abs. 1 GG – Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 d) Paritätsgebot und Ordnungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Verfassungsrechtliche Verankerung des Paritätsgebotes und der Ordnungsfunktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Paritätsgebot und Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers 145 cc) Einschränkung der Tariffähigkeit auf sozial mächtige Arbeitgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Betriebsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Verfassungsrechtliche Verankerung der Betriebsautonomie? . . . . . . . . . 150 a) Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Art. 1 i. V m. Art. 2 Abs. 1 GG – Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Art. 12 GG – Berufsfreiheit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 e) Art. 2 Abs. 1 GG – Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Auswirkungen der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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Inhaltsverzeichnis

§ 4 Probleme der Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Probleme der Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaftsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Der einfachgesetzliche Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Einschränkung der Tarifzuständigkeit aufgrund arbeitskampfrechtlicher Erwägungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Einschränkung der Tarifzuständigkeit aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Unternehmensautonomie 172 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Art. 12, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 C. Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Ausgangspunkt: Verlust der gewerkschaftlichen Tarifzuständigkeit . . . . . 177 II. Auswirkungen auf einen bestehenden Firmentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 178

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber 187 I. Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Aussperrung als primäres, arbeitgeberseitiges Arbeitskampfmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Abwehraussperrung des bestreikten Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Inhaltsverzeichnis

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b) Unterstützende Verbandsaussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Rechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Praktische Durchführbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Unterstützende Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber 195 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Sonstige Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Verletzung von Grundrechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Verbandes? . . . . . . . . 199 a) Bestandschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des arbeitskampfbetroffenen Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Durch Herausbrechen aus dem Verband? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Durch Herausbrechen aus der Tarifgemeinschaft des Verbandes? 208 c) Durch Verletzung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit der übrigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4. Verletzung der Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers? . . . . . . . . 218 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Weitere Einwände gegen die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes . . . 219 1. Verstoß gegen die Ordnungsfunktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Wertungswidersprüche zwischen der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes und der Kartellerlaubnis der Arbeitgeberseite? . . . . . . . . . . . . . 220 3. Verstoß gegen eine gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht? . . . . . . . . . . 220 4. Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht? . . . 221 5. Unzumutbarkeit des Firmentarifvertragsabschlusses aufgrund eintretender Konflikte mit dem Verband? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag als Alternative? . . . . . . . . . 223 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2 Witt

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Inhaltsverzeichnis D. Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 E. Beschränkung auf sozial mächtige Arbeitgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 F. Zulässigkeit der Angriffsaussperrung zum Abschluss eines Firmentarifvertrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag bei bestehendem Firmentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 II. Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag bei bestehendem Firmentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 III. Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag bei bestehendem Verbandstarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Erste Ansicht: Keine Geltung der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Zweite Ansicht: Absolute Friedenspflicht zu Lasten jeglichen Firmenarbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Dritte Ansicht: Geltung der relativen Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages (h. M.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 C. Ausschluss der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht aufgrund gegenläufiger Tarifpraxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Konkludenter Verzicht auf die Friedenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Einschränkende Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 D. Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Schlichtungsabrede . . . . . . . . . . . 250 E. Friedenspflicht bei nachwirkendem Tarifvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Inhaltsverzeichnis

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F. Friedenspflicht auch ohne Tarifbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. OT-Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Einzelvertragliche Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages? . . . . . . . . . 253 III. Allgemeinverbindlichkeit des Verbandstarifvertrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Zulässigkeit tariflicher Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Argumente der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Argumente der Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Verstoß gegen das „Wesen“ des Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Verstoß gegen Grundprinzipien des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Weitere Einwände gegen die Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 aa) Weitergehende Einschränkung der Friedensfunktion bei Unabdingbarkeit der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Widersprüchlichkeiten in Bezug auf den lediglich nachwirkenden Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 e) Verletzung verbandsinterner Pflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Unverhältnismäßigkeit des Firmenarbeitskampfes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 H. Auswirkungen personeller Veränderungen des Arbeitgeberverbandes auf die Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Flucht in den Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Erste Ansicht: Geltung der Friedenspflicht für Neumitglieder . . . . . . . 268 2. Zweite Ansicht: Keine Geltung der Friedenspflicht für Neumitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Dritte Ansicht: Geltung der Friedenspflicht nur für Neumitglieder, deren Beitritt sich im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation bewegt 270 2*

20

Inhaltsverzeichnis 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Zur zwingenden Regelung des § 3 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Auslegung des Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 II. Flucht aus dem Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Erste Ansicht: Fortgeltung nur des normativen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Zweite Ansicht: Fortgeltung auch der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Fortgeltung der Friedenspflicht gem. § 3 Abs. 3 TVG . . . . . . . . . . . . 278 b) Auslegung des Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Auflösung des Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 I. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

§ 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 § 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Satzungs- und verbandstarifvertragliche Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Verbandsinterne Abschlussverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Erscheinungsformen und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 II. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Abschlussverbote mit Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Abschlussverbote mit Innenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 B. Verbandstarifvertragliche Abreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Abschlussverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 II. Vorrangklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Inhaltsverzeichnis

21

III. Meistbegünstigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 § 9 Exkurs: Vereinbarung eines Separatfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 B. Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Verstoß gegen die Kampfparität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 D. Verletzung des vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . 312 E. Verletzung interner Verbandspflichten seitens des Mitgliedsarbeitgebers? . . . . . 314 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 § 10 Rechtsvergleichender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 A. Länder mit vorwiegend überbetrieblichen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 I. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 II. Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 B. Länder mit vorwiegend betrieblichen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 III. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 C. Länder mit mehrstufigen Tarifsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 I. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 D. Vergleich der verschiedenen Tarifsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 § 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 326 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

Abkürzungsverzeichnis a. A.

andere Ansicht

Abl.

Amtsblatt der EG

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für civilistische Praxis (Zeitschrift)

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)

AK-GG

Alternativkommentar zum Grundgesetz

AktG

Aktiengesetz vom 6. 9. 1965 (BGBl. I S. 1089)

Alt.

Alternative

a. M.

am Main

AP

Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung)

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz vom 2. 7. 1979 (BGBl. I S. 853, berichtigt S. 1036)

ArbVG

Arbeitsverfassungsgesetz vom 14. 12. 1973 (Österreich)

Art.

Artikel

AR-Blattei

Arbeitsrechtsblattei

AuA

Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)

AuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAT

Bundesangestelltentarifvertrag

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz vom 15. 1. 1972 (BGBl. I S. 1)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 (RGBl. I S. 195)

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Entscheidungssammlung)

BK-GG

Bonner-Kommentar zum Grundgesetz

Bl.

Blatt

BMA

Bundesministerium für Arbeit

BPersVG

Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. 3. 1974 (BGBl. I S. 693)

BRRG

Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 (RGBl. I S. 147)

Abkürzungsverzeichnis

23

BRTV

Bundesrahmentarifvertrag für Arbeiter des Baugewerbes

BT-Drks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidungssammlung)

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz vom 11. 8. 1993 (BGBl. I 1473)

bzw.

beziehungsweise

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

ders.

derselbe

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

d. h.

das heißt

dies.

dieselben

DJT

Deutscher Juristentag

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

Einl.

Einleitung

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. 3. 1957 (BGBl. II S. 753, 1678)

EMRK

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950

ESC

Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961

ErfK

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht

EU

Europäische Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union vom 7. 2. 1992 (BGBl. II S. 1251)

ev.

eventuell

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

EWIV

Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung

EzA

Entscheidungen zum Arbeitsrecht (Entscheidungssammlung)

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 (BGBl. I S. 1)

ggf.

gegebenenfalls

GK

Gemeinschaftskommentar

GMH

Gewerkschaftliche Monatshefte (Zeitschrift)

Grundl.

Grundlagen

24

Abkürzungsverzeichnis

GS

Großer Senat

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (BGBl. I S. 1761)

HandwO

Handwerksordnung vom 28. 12. 1965 (BGBl. I 1966 S. 1)

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts

HBV

Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung

HGB

Handelsgesetzbuch vom 10. 5. 1897 (RGBl. I S. 219)

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

Hs.

Halbsatz

IfM

Institut für Mittelstandsforschung

IG

Industriegewerkschaft

insb.

insbesondere

i. S. d.

im Sinne des

i. V. m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JurAn

Juristische Analysen (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristen-Zeitung (Zeitschrift)

Kap.

Kapitel

KassHdbAR

Kassler Handbuch zum Arbeitsrecht

KG

Kommanditgesellschaft

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift)

KSchG

Kündigungsschutzgesetz vom 25. 8. 1969 (BGBl. I S. 1317)

LAG

Landesarbeitsgericht

LAGE

Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte (Entscheidungssammlung)

MBG

Gesetz über die Mitbestimmung im Arbeitsleben (Schweden)

MhdbAR

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

MüKo

Münchener Kommentar zum BGB

MüKoAktG

Münchener Kommentar zum Aktiengesetz

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NJW-RR

Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport, Zivilrecht (Zeitschrift)

NLRA

National Labor Relations Act (USA)

Abkürzungsverzeichnis NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift)

NzfA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift)

obj.

objektiv

OHG

Offene Handelsgesellschaft

o. J.

ohne Jahr

25

OT

Ohne Tarifbindung

PartG

Partnerschaftsgesellschaft

PartGG

Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger freier Berufe vom 25. 7. 1994 (BGBl. I S. 1744)

PersR

Der Personalrat (Zeitschrift)

PersV

Die Personalvertretung (Zeitschrift)

rd.

rund

RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

rechtl.

rechtlich

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Entscheidungssammlung)

Rn.

Randnummer

S.

Seite(n)

SAE

Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Entscheidungssammlung)

Sec.

Section

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschland

TULR(C)A

Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act (England)

TVG

Tarifvertragsgesetz vom 9. 4. 1949

TVVO

Tarifvertragsverordnung vom 23. 12. 1918 (RGBl. I S. 1456)

u. a.

und andere

u. s. w.

und so weiter

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. 5. 1976 (BGBl. I S. 1253)

vgl.

vergleiche

WRV

Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 (RGBl. I S. 1383)

WSI-Mitt.

Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (Zeitschrift)

z. B.

zum Beispiel

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift)

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung (Zeitschrift)

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

26

Abkürzungsverzeichnis

ZIAS

Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht (Zeitschrift)

Ziff.

Ziffer

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)

ZTR

Zeitschrift für Tarifrecht (Zeitschrift)

§ 1 Einleitung A. Problemaufriss Der Firmentarifvertrag hat bislang nur wenig juristische Aufmerksamkeit erlangt.1 Dies verwundert, kommt dem Firmentarifvertrag doch in rechtlicher Hinsicht eine besondere Stellung zu. Angesichts des im kollektiven Arbeitsrecht vorherrschenden Nebeneinander von arbeitgeberübergreifender tariflicher und arbeitgeberbezogener betriebsverfassungsrechtlicher Regelung von Arbeitsbedingungen steht der Firmentarifvertrag an der Schnittstelle zwischen beiden Regelungsebenen. Zwar ist der Firmentarifvertrag Tarifvertrag im Sinne des TVG, sein Anwendungsbereich ist aber ähnlich einer Betriebsvereinbarung auf den einzelnen Arbeitgeber beschränkt. Die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrages sind vor diesem Hintergrund eng mit den Grundproblemen des kollektiven Arbeitsrechts überhaupt verbunden. Hier geht es insbesondere um die primär verfassungsrechtliche Frage, welche Stellung dem einzelnen Arbeitgeber im kollektiven Arbeitsrecht überhaupt eingeräumt bzw. einzuräumen ist. Ist der einzelne Arbeitgeber aus Sicht der Verfassung, insbesondere also des Art. 9 Abs. 3 GG, dem einzelnen Arbeitnehmer gleichzustellen, obliegt damit die tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen in erster Linie dem Arbeitgeberverband als „Gegenspieler“ der Gewerkschaft oder tritt der einzelne Arbeitgeber den Gewerkschaften gleichberechtigt gegenüber und steht daher rechtlich auf einer Ebene mit ihnen? Auf den Firmentarifvertrag bezogen heißt das: Ist der Firmentarifvertrag lediglich der „kleine Bruder“ des Verbandstarifvertrages oder gleichberechtigtes tarifliches Regelungsinstrument? Diese Fragen lassen sich nur durch eine im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchzuführende eingehende Analyse der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Tarif-, Arbeitskampf- und auch Koalitionsrechts beantworten. Dabei geht es zunächst um die Grundsatzfrage, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen Art. 9 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber bei der Regelung des Tarifrechts setzt. Aufgeworfen ist damit die seit je her kontrovers diskutierte und bis heute nicht abschließend geklärte Frage des Verhältnisses des einfachgesetzlichen Tarifrechts zur verfassungsrechtlich verankerten Koalitionsfreiheit. Hier versucht die Arbeit eine eigene Lösung aufzuzeigen. Besondere Brisanz erhält diese Frage im Rahmen des Abschlusses eines Firmentarifvertrages deshalb, weil der Firmentarifvertrag einfachgesetzlich keine seine Besonderheiten berücksichtigen1

So auch die Einschätzung von Stein, RdA 2000, 129.

28

§ 1 Einleitung

de eigenständige Regelung erfahren hat. Vielmehr geht das geltende Tarifrecht seiner Konzeption nach vom Verbandstarifvertrag als tarifvertraglichem Grundmodell aus und regelt den Firmentarifvertrag lediglich nebenher mit. Weiter stellt sich die Frage, welche Vorgaben der Verfassung, insbesondere Art. 9 Abs. 3 GG, für den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag und den Arbeitskampf im Allgemeinen zu entnehmen sind. Die Frage der Zulässigkeit des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag berührt nicht zuletzt auch Fragen nach dem verfassungsrechtlichen Stellenwert und Schutz der Mitgliedschaft des Arbeitgebers in einem Arbeitgeberverband. Auch hier gilt es, Position zu beziehen. Auch auf einfachgesetzlicher Ebene wirft der Firmentarifvertrag eine Reihe von Problemen auf. Zu verweisen ist hier auf die Probleme um die Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers, die sich wiederum in erster Linie daraus ergeben, dass sich die herrschende Dogmatik zur Tarifzuständigkeit primär am Modell des Verbandstarifvertrages orientiert. Der Abschluss eines Firmentarifvertrages wirft aber auch im Hinblick auf die tarifvertragliche Friedenspflicht eine Reihe von Problemen auf, die es zu lösen gilt. Hier geht es insbesondere um die Wirkung der verbandstarifvertraglichen und / oder firmentarifvertraglichen Friedenspflicht auf den Arbeitskampf um den jeweils anderen Tarifvertrag. Letztlich stellt sich auch die Frage, inwieweit die Verbände selbst, sei es durch verbandsinterne oder auch tarifvertragliche Regelungen, auf den Abschluss eines Firmentarifvertrages Einfluss nehmen können. Diesen aufgezeigten Fragen will die vorliegende Arbeit nachgehen. Sie möchte dabei zum einen einen Beitrag zur vertieften wissenschaftlichen Durchdringung dieser Problemfelder leisten und die wissenschaftliche Diskussion anregen. Ein Anliegen der Arbeit ist es aber zum anderen auch, im Rahmen der Debatte um die Flexibilisierung des Arbeitsrechts – hierzu sogleich mehr – die Möglichkeit des verstärkten Einsatzes von Firmentarifverträgen zur flexibleren Regelung von Arbeitsbedingungen stärker ins Blickfeld zu rücken. Dazu sollen insbesondere für die Praxis die rechtlichen Rahmenbedingungen des Abschlusses eines Firmentarifvertrages näher aufzeigt werden.

B. Die Krise des Flächentarifvertrages Der Verbandstarifvertrag mit seiner flächendeckenden Bindungswirkung gerät zunehmend in Verruf. Hauptsächlich die Arbeitgeber, oftmals aber auch die Arbeitnehmer sehen sich und vor allem ihren Betrieb in den einschlägigen Verbandstarifverträgen nicht immer ausreichend repräsentiert. Auslöser dieser Unzufriedenheit sind nicht nur der Rückgang der Produktivität, der mangelnde Warenabsatz und das hiermit zusammenhängende Schrumpfen der finanziellen Verteilungsmasse des Arbeitgebers. In Zeiten des durch die zunehmende Globalisierung steigenden Konkurrenzdrucks und sich rasant entwickelnder neuer Produktionstechniken

B. Die Krise des Flächentarifvertrages

29

bzw. Arbeitsmethoden erscheint Vielen der flächendeckende Verbandstarifvertrag mit seinen oft starren und gelegentlich in geradezu ritualisierten Arbeitskämpfen ausgehandelten Regelungen wie ein Fossil des Arbeitslebens, das den Entwicklungen des 21. Jahrhundert nicht mehr standzuhalten vermag. Auch die seit Jahren fortschreitende Abnahme der Mitgliedszahlen bei den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden ist zumindest zu einem gewissen Teil auf diese Unzufriedenheit mit dem bislang vorherrschenden System des flächendeckenden Verbandstarifvertrages zurückzuführen. So fielen beispielsweise die Mitgliedszahlen der IG Metall – einer der größten deutschen Gewerkschaften – von 2.995.738 im Jahre 19942 stetig auf 2.701.996 im Jahre 1999.3 Besonders dramatisch ist dieser Rückgang im Bereich der jungen Arbeitnehmer. So sank die Zahl der jugendlichen Mitglieder bis 25 Jahre bei der IG Metall im gleichen Zeitraum von 284.4564 auf 192.071.5 Stehen die Gewerkschaften diesen schwindenden Mitgliedszahlen mehr oder weniger hilflos gegenüber, versuchen sich die Arbeitgeberverbände durch die Errichtung neuartiger Mitgliedsformen – erinnert sei hier an die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung – diesem Trend entgegenzustellen. Gleichzeitig mehren sich auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur die Stimmen derjenigen, die die vorherrschende Praxis der flächendeckenden Verbandstarifverträge für beschäftigungshemmend halten und ihr eine direkte negative Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum nachsagen.6 Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer seit Jahren nach Möglichkeiten der Flexibilisierung des Verbandstarifvertrages zugunsten maßgeschneiderter betrieblicher Regelungen suchen. In der Praxis sind vor allem Versuche zu beobachten, hierfür das arbeitsrechtliche Regelungsinstrument der Betriebsvereinbarung nutzbar zu machen. Dies geschieht oft gesetzeskonform auf der Grundlage der Vereinbarung tarifvertraglicher Öffnungsklauseln oder bewusster Regelungslücken in Tarifverträgen. Oftmals kommt es aber auch vor, dass die Beteiligten Betriebsvereinbarungen unter bewusster Missachtung des den Schutz der Tarifautonomie bezweckenden § 77 Abs. 3 BetrVG abschließen.7 Eine große Anzahl juristischer Veröffentlichungen begleitet diese Entwicklung.8 Unter ihnen mehren sich Stimmen, die entweder in rechtspolitischer www.dgb.de unter Wir / Mitgliederzahlen / 1994. www.dgb.de unter Wir / Mitgliederzahlen / 1999. 4 www.dgb.de unter Wir / Mitgliederzahlen / 1994. 5 www.dgb.de unter Wir / Mitgliederzahlen / 1999. 6 Zusammenfassend: Wieland, Firmentarifverträge, S. 15 ff. mit weiteren Nachweisen. 7 Siehe hierzu nur den Sachverhalt der sog. Burda-Entscheidung des BAG vom 20. 4. 1999, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG sowie Lambrich, Betriebsautonomie, S. 30 ff., insb. S. 57. 8 Siehe nur Ehmann, Wandlungen, S. 581, 602 ff.; Fitting / Kaiser / Heither / Engels / Schmidt, BetrVG, § 77 Rn. 68 f.; Hanau, RdA 1993, 1 ff.; Henssler, ZfA 1994, 487 ff.; Junker, ZfA 1996, 383 ff.; Lambrich, Betriebsautonomie; Zachert, RdA 1996, 140 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 2 3

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§ 1 Einleitung

Hinsicht für eine Lockerung oder gänzliche Abschaffung des § 77 Abs. 3 BetrVG plädieren oder sogar die Auffassung vertreten, der im BetrVG geregelte Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie sei ohnehin verfassungswidrig und daher obsolet.9 Der Gesetzgeber hat diese Anregungen indessen nicht aufgegriffen und den in § 77 Abs. 3 BetrVG zum Ausdruck kommenden prinzipiellen Vorrang der Tarifvor der Betriebsautonomie auch im Rahmen der Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz vom 23. Juli 200110 aufrechterhalten. Er hat ihn sogar mit der Regelung des § 3 Abs. 2 BetrVG n. F. nochmals ausdrücklich bestätigt.11 Der Versuch, eine umfassende Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen über den verstärkten Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu erreichen, dürfte damit gescheitert sein. Damit rückt der Firmentarifvertrag aber zwangsläufig in den Brennpunkt der Flexibilisierungsdebatte. Der Umstand, dass sich der Firmentarifvertrag auf das Unternehmen des Arbeitgebers beschränkt, gibt den Tarifvertragsparteien ohne weiteres die Möglichkeit, die individuellen Belange des einzelnen Arbeitgebers und seines Unternehmens tariflich hinreichend zu berücksichtigen und damit seine Arbeitsbedingungen hinreichend flexibel zu gestalten. Auch verlaufen Tarifverhandlungen auf Unternehmensebene oftmals schneller und effektiver als auf Verbandsebene, so dass auf Arbeitskampfmaßnahmen vielfach verzichtet werden kann. Einige sehen daher bereits jetzt in dem Abschluss von Firmentarifverträgen eine ernstzunehmende Alternative zum flächendeckenden Verbandstarifvertrag.12 Firmentarifverträge sehen sich aber auch Einwendungen ausgesetzt, die hier nicht verschwiegen werden sollen. So wird aus Arbeitgebersicht eingewandt, dass der einzelne Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen um einen Firmentarifvertrag der Gewerkschaft gegenüber sowohl strukturell als auch finanziell unterlegen sei.13 Auch eine geringere volkswirtschaftliche Rücksichtnahme sagt man dem Firmentarifvertrag eher als dem Verbandstarifvertrag nach.14 Auf Arbeitgeber- und auch Arbeitnehmerseite mag zudem die Befürchtung bestehen, eine Verlagerung des Tarifvertragsabschlusses auf die betriebliche Ebene könne zu einer nicht wünschenswerten Emotionalisierung der Belegschaft führen und dadurch das Betriebsklima nachhaltig schädigen.15 Nicht zuletzt sträuben sich einige Arbeitgeber gegen den Abschluss von Firmentarifverträgen auch deshalb, weil sie während der Tarif9 Ausführlich Lambrich, Betriebsautonomie, S. 153 ff. mit weiteren Nachweisen. Siehe auch schon 1988 Rüthers, Arbeitsmarkt, S. 521, 562 ff. 10 BGBl. I S. 1852. 11 Siehe zur Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes nur Richardi, Betriebsverfassung, S. 1 ff.; insbesondere zu § 3 BetrVG n. F. Plander, NZA 2002, 483 ff. 12 Ehmann, Wandlungen, S. 581, 601 f.; Söllner, NZA 1996, 897, 899 f.; Veit, Zuständigkeit, S. 427 ff. Siehe auch Nr. 6 des Beschlusses der IG Metall zur Tarifpolitik anlässlich des 19. Gewerkschaftstages 1999, abgelegt unter www.igmetall.de. 13 So Ehmann, Legitimitätsverlust, S. 61, 73; ders., Wandlungen, S. 581, 601; K. Molitor, FS Schaub, S. 487, 492; Lambrich, Betriebsautonomie, S. 46 f. 14 So K. Molitor, FS Schaub, S. 487, 493. 15 Boldt, RdA 1971, 257, 267; Mayer-Maly, DB 1965, 32, 33.

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument

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verhandlungen regelmäßig gezwungen sind, ihre betrieblichen Ergebnisse und Wirtschaftsdaten offen zu legen. Dies kann im Hinblick auf konkurrierende Unternehmen erhebliche Nachteile mit sich bringen.16 Rechtlich wäre der Firmentarifvertrag jedenfalls dann ein geeignetes Flexibilisierungsinstrument und Alternative gegenüber dem Verbandstarifvertrag, wenn er diesem rechtlich gleichgestellt wäre. Er könnte dann den Verbandstarifvertrag dort, wo es nötig erscheint, ersetzen und so eine unternehmensbezogene maßgeschneiderte Regelung der Arbeitsbedingungen herbeiführen.

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument Bevor sich die Ausführungen den einzelnen Rechtsproblemen des Firmentarifvertrages zuwenden, soll dieser – um eine Grundlage für die weiteren Erörterungen zu schaffen – zunächst näher definiert und von den weiteren kollektivrechtlichen Regelungsinstrumenten abgegrenzt werden.

I. Begriffsbestimmung Der Begriff des Firmentarifvertrages ist gesetzlich nicht geregelt. § 2 Abs. 1 TVG bestimmt nur, dass Tarifvertragspartei „. . . einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern“ sein können. Als Firmentarifvertrag bezeichnet man einen Tarifvertrag, bei dem als Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite kein Arbeitgeberverband, sondern ein einzelner Arbeitgeber in Erscheinung tritt.17 Hiervon begrifflich abweichend verwenden Einige für einen solchen Tarifvertrag auch den Begriff Werk(s)-, Unternehmens-, Haus- oder Einzel-Arbeitgeber-Tarifvertrag.18 Inhaltliche Unterschiede bestehen allerdings nicht. Die vorliegende Arbeit hält an dem herkömmlichen Begriff des Firmentarifvertrages fest. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass der Begriff Firmentarifvertrag formal betrachtet zumindest ungenau ist.19 Dies hängt damit zusammen, dass das HGB bekanntermaßen eine Legaldefinition des Begriffes Firma enthält, die mit dem umgangssprachlichen Verständnis dieses Begriffes nicht übereinstimmt.20 Firma im juristischen Vgl. Kreuder, KritV 1994, 280, 287 f. Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 504 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 24; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 256 Rn. 3; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 121; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 50; Wieland, Firmentarifverträge, S. 2. 18 Siehe nur MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 256 Rn. 3; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 161; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 370 f. 19 Kritisch auch Frey, DB 1971, 2407. 16 17

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§ 1 Einleitung

Sinne ist nach der Definition des § 17 Abs. 1 HGB der Name des Kaufmannes, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Der Begriff Firmentarifvertrag suggeriert nun aber, dass dieser direkt mit der Firma abgeschlossen wird, die Firma also identisch mit dem Arbeitgeber i. S. d. § 2 Abs. 1 TVG ist. Dies trifft indessen nicht zu. Vertragspartei und damit Zuordnungsobjekt der sich aus einem Rechtsgeschäft unter Verwendung einer Firma ergebenden Rechte und Pflichten ist nicht die Firma, sondern der Kaufmann oder allgemeiner ausgedrückt der Unternehmensträger.21 Die Firma an sich ist demgegenüber nicht rechtsfähig. Ihr können weder Rechte noch Pflichten zugeordnet werden. Im Gegenteil: Nicht die Firma ist Träger von Rechten und Pflichten, sondern an der Firma besteht ein (absolutes) Recht des Unternehmensträgers, und dieses ist als solches durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt.22 Ist nicht die Firma, sondern der Unternehmensträger rechtsfähig, so kann auch nicht die Firma, sondern allein der Unternehmensträger Arbeitgeber i. S. d. § 2 Abs. 1 TVG und damit Tarifvertragspartei eines Firmentarifvertrages sein. Als weitere Ungereimtheit kommt hinzu, dass nach der Konzeption des HGB ohnehin nur Kaufleute i. S. d. §§ 1 ff. HGB sowie aufgrund der Verweisung in § 6 HGB die Handelsgesellschaften fähig sind, eine Firma zu führen. Gem. § 2 Abs. 1 TVG können aber auch diejenigen Arbeitgeber Partei eines Firmentarifvertrages sein, die weder Kaufmann noch Handelsgesellschaft und damit nicht firmenfähig i. S. d. § 17 HGB sind. Wer daher mit dem Begriff des Firmentarifvertrages operiert, sollte sich – um Missverständnissen vorzubeugen – dieser Friktionen zum handelsrechtlichen Firmenbegriff stets bewusst sein.

II. Abgrenzung zu anderen kollektiven Regelungsinstrumenten Der Firmentarifvertrag ist von anderen kollektiven Regelungsinstrumenten abzugrenzen: 1. Verbandstarifvertrag Unmittelbares tarifrechtliches Gegenstück zum Firmentarifvertrag ist der Verbandstarifvertrag. Dies bringt § 2 Abs. 1 TVG deutlich zum Ausdruck. Bei einem 20 Zu dieser Diskrepanz siehe auch Canaris, Handelsrecht, S. 217; Oetker, Handelsrecht, S. 54 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 338. 21 Allgemeine Ansicht. Zum Verhältnis Firma, Unternehmen und Unternehmensträger siehe nur Canaris, Handelsrecht, S. 215 f.; Oetker, Handelsrecht, S. 55 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 84 ff., 338 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen sowie aus der Rechtsprechung BGH vom 11. 12. 1978, BGHZ 73, 217, 218; BGH vom 1. 6. 1981, NJW 1981, 2569; BGH vom 8. 10. 1984, BGHZ 92, 259, 268; BGH vom 18. 5. 1998, NJW 1998, 2897. 22 Allgemeine Ansicht siehe nur Baumbach / Hopt, HGB, § 17 Rn. 33; Canaris, Handelsrecht, S. 249 f.; Oetker, Handelsrecht, S. 87, jeweils mit weiteren Nachweisen.

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument

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Verbandstarifvertrag ist auf der Arbeitgeberseite nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern ein Arbeitgeberverband Tarifvertragspartei. Da in diesem Fall auf beiden Seiten ein Verband Tarifvertragspartei ist, bezeichnet man einen solchen Tarifvertrag als Verbandstarifvertrag. Nicht notwendigerweise, aber doch im Regelfall erstreckt sich ein Verbandstarifvertrag räumlich und personell auf eine größere Anzahl von Arbeitsverhältnissen als der Firmentarifvertrag.23

2. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag Ein unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag nimmt eine Stellung zwischen dem unternehmensübergreifenden Verbands- und dem auf ein Unternehmen beschränkten Firmentarifvertrag ein. Er ist zwar Verbandstarifvertrag, da Tarifvertragspartei auf beiden Seiten ein Verband ist, sein Geltungsbereich beschränkt sich aber, ebenso wie der eines Firmentarifvertrages, auf ein einzelnes Unternehmen bzw. einen einzelnen Arbeitgeber.24 Probleme bei der Abgrenzung treten auf, wenn sich der einzelne Arbeitgeber, sofern er Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist, von seinem Verband bei den Tarifvertragsverhandlungen vertreten lässt und der Tarifvertrag von einem Verbandsfunktionär unterschrieben wird. Da auf den Abschluss eines Tarifvertrages die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB Anwendung finden, kommt es für die Qualifizierung dieses Tarifvertrages als Firmentarifvertrag oder unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag maßgeblich darauf an, ob der handelnde Verbandsfunktionär den Tarifvertrag im Namen des einzelnen Arbeitgebers oder des Arbeitgeberverbandes unterzeichnet. Nur im ersten Fall liegt ein Firmentarifvertrag vor. Fehlen hierzu eindeutige Angaben, muss das Vertretungsverhältnis mittels Auslegung festgestellt werden, was im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann. Im übrigen gilt: Selbst wenn der Verbandsfunktionär den Tarifvertrag im Namen des einzelnen Arbeitgebers unterzeichnet, führt dies nicht automatisch zu einer Tarifbindung des vertretenen Arbeitgebers. Überschreitet der Verbandsfunktionär nämlich seine ihm vom einzelnen Arbeitgeber erteilte Vertretungsmacht oder liegt eine solche – was allerdings selten sein dürfte – von vornherein nicht vor, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die Wirksamkeit des Firmentarifvertrages hängt dann gem. § 177 BGB von der Genehmigung des Arbeitgebers ab.25 Geneh23 Siehe hierzu nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 504 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 23; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 256 Rn. 3; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 51. 24 Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 25; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 212; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 51. Unklar Gamillscheg, der unter einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag einen Tarifvertrag versteht, den der Verband mit Vollmacht des einzelnen Mitgliedes für dieses abschließt. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 504. 25 Darauf verweist zu Recht Löwisch, BB 1997, 2161.

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§ 1 Einleitung

migt dieser nicht und liegen auch die Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht nicht vor, macht sich – je nach den Umständen des Einzelfalls – entweder der handelnde Vertreter des Arbeitgeberverbandes oder der Arbeitgeberverband selbst gegenüber der Gewerkschaft gem. § 179 BGB schadensersatzpflichtig. Die Gewerkschaft kann in einem solchem Fall allerdings keine Erfüllung des Tarifvertrages gem. § 179 Abs. 1 1. Alt. BGB verlangen. Naturgemäß können weder der Verbandsfunktionär noch sein Verband selbst Partei eines Firmentarifvertrages sein. Bezüglich des Erfüllungsanspruches liegt daher eine subjektive Unmöglichkeit vor. Die in § 179 Abs. 1 BGB geregelte Wahlschuld der Gewerkschaft reduziert sich in einem solchen Fall gem. § 265 BGB, der auch im Rahmen des § 179 Abs. 1 BGB Anwendung findet26, auf die in § 179 Abs. 1 2. Alt. BGB normierte Schadensersatzpflicht.27 Dabei stellt sich für die Gewerkschaft das Problem, gegenüber dem Vertreter ohne Vertretungsmacht einen konkreten Schaden zu beziffern. Regelmäßig tritt der Schaden, z. B. eine unterbliebene tarifliche Lohnerhöhung, nämlich nicht bei ihr, sondern ihren Mitgliedern ein. Zu denken wäre dann an eine Drittschadensliquidation, deren Voraussetzungen vorliegen dürften: Die vom Schaden betroffenen Arbeitnehmer haben mangels Vertragsbeziehung keinen direkten Anspruch gegen den vollmachtslosen Vertreter. Demgegenüber hat die Gewerkschaft zwar aus § 179 Abs. 1 2. Alt. BGB einen Anspruch, aber keinen eigenen Schaden.28 Diese Konstellation ist mit der Situation einer mittelbaren Stellvertretung vergleichbar, bei der die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation weitgehend anerkannt ist.29

3. Flächentarifvertrag Als Flächentarifvertrag bezeichnet man herkömmlicherweise einen Verbandstarifvertrag, der Arbeitsbedingungen einer größeren Anzahl von Arbeitsverhältnissen für eine im Tarifvertrag näher umrissene Region regelt. Gegenstück zum Flächentarifvertrag sind der Firmentarifvertrag und der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag, die beide regelmäßig nur Arbeitsverhältnisse eines einzelnen Arbeitgebers erfassen.30

26 Soergel-Leptien, § 179 Rn. 15; Löwisch, BB 1997, 2161; MüKo-Schramm, § 179 Rn. 31. 27 Soergel-Leptien, § 179 Rn. 15 f. Für den Fall des Vertreters ohne Vertretungsmacht auf Gewerkschaftsseite Löwisch, BB 1997, 2161; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 256 Rn. 19 Fn. 16. 28 Zur Drittschadensliquidation allgemein MüKo-Oetker, § 249 Rn. 276 ff. 29 Hierzu MüKo-Oetker, § 249 Rn. 283 ff. 30 Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 52.

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument

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4. Betriebsvereinbarung, Regelungsabrede Abzugrenzen ist der Firmentarifvertrag ferner von Vereinbarungen der Betriebspartner, der Betriebsvereinbarung und der Regelungsabrede. Gemeinsam ist allen drei Regelungsinstrumenten, dass ihr Geltungsbereich regelmäßig auf den einzelnen Arbeitgeber beschränkt ist. Zudem wirken die Regelungen der Betriebsvereinbarung ebenso wie diejenigen des Firmentarifvertrages unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Demgegenüber entfalten die Vereinbarungen einer Regelungsabrede keine unmittelbare Außenwirkung.31 Maßgeblicher Unterschied zwischen der Betriebsvereinbarung und Regelungsabrede einerseits und dem Firmentarifvertrag andererseits ist, dass Partner der Betriebsvereinbarung und Regelungsabrede nicht die Gewerkschaft, sondern der Betriebsrat ist.

5. Dreiseitige Vereinbarungen Nicht selten kommt es schließlich vor, dass im Zuge von Unternehmenskrisen Vereinbarungen abgeschlossen werden, an denen außer einem einzelnen Arbeitgeber und einer zuständigen Gewerkschaft auch der Betriebsrat beteiligt ist. Die rechtliche Qualifizierung einer solchen Vereinbarung ist oft zweifelhaft. Wegen der Beteiligung sowohl einer Gewerkschaft als auch des Betriebsrates könnte man die Vereinbarung entweder als Firmentarifvertrag oder als Betriebsvereinbarung ansehen. Welche von beiden Regelungsformen im Einzelfall vorliegt, ist durch Auslegung der Vereinbarung zu ermitteln.32 Nach dem BAG soll dabei deren bloße Bezeichnung als Betriebsvereinbarung oder Firmentarifvertrag nicht ausschlaggebend sein.33 Es sei vielmehr maßgeblich auf den typischen Inhalt der Vereinbarung und den wirklichen Willen der Parteien abzustellen.34 Bei der Auslegung besonders zu berücksichtigen ist nach dem BAG weiter, welche der beiden Auslegungsvarianten zu einer Wirksamkeit der Vereinbarung führen würde. Es entspreche nämlich regelmäßig dem Willen der Vertragsparteien, eine wirksame Regelung abzuschließen.35 In den Fällen, in denen eine Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam wäre, führt damit eine an den vom BAG aufgestellten Grundsätzen orientierte Auslegung zur Annahme eines Firmentarifvertrages.36 31 Allgemeine Ansicht. Siehe zu den Regelungsabreden nur GK-BetrVG / Kreutz, § 77 Rn. 8 ff.; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 224 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2353, jeweils mit weiteren Nachweisen. 32 BAG vom 7. 11. 2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt. 33 BAG vom 16. 5. 1995, AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG vom 7. 11. 2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt. 34 BAG vom 7. 11. 2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 162. 35 BAG vom 7. 11. 2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt. 36 So auch in dem vom BAG entschiedenen Fall: BAG vom 7. 11. 2000, AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG Tarifvorbehalt. Dem Urteil zustimmend Schaub, EWiR 2001, 639 f.

3*

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§ 1 Einleitung

Dieser Auffassung des BAG ist im Ergebnis zuzustimmen, in der Kürze der Ausführungen des Gerichts ist ihre Begründung allerdings missverständlich. Richtig ist sicherlich, dass eine anders lautende Bezeichnung allein einen Tarifvertrag nicht unmittelbar in eine Betriebsvereinbarung verwandelt und umgekehrt. Die ausdrückliche Bezeichnung eines Vertrages als Betriebsvereinbarung (bzw. umgekehrt) ist aber ein gewichtiges Indiz für eine entsprechende Auslegung. Es kommt deswegen zwar nicht nur, aber zumindest auch auf die Bezeichnung der Vereinbarung an. Diesen Aspekt stellt das BAG zu sehr in den Hintergrund. Kritikwürdig ist ferner die These des BAG, die Vertragsparteien wollten im Zweifelsfall keine unwirksame Vereinbarung abschließen, weshalb diejenige Auslegung zu bevorzugen sei, die zu einer Wirksamkeit der Vereinbarung führe. Richtig an diesen Ausführungen des BAG ist, dass die Parteien einer – gleich welcher – Abrede wollen, dass diese wirksam ist. Anderenfalls bräuchten sie sie gar nicht erst abzuschließen. Dieser Intention der Parteien kommt aber nicht schon bei der Auslegung der ursprünglichen Vereinbarung Bedeutung zu, sondern erst, wenn die Auslegung der Vereinbarung zu deren Unwirksamkeit führt. Die Parteien wollen im Zweifelsfall nämlich nicht irgendeine wirksame, sondern eine ganz bestimmte Vereinbarung treffen. Erst wenn sich diese als unwirksam erweist, werden sie, bevor sie das endgültige Scheitern ihres Rechtsgeschäftes in Kauf nehmen müssten, die in ihren Augen nächstbeste, dafür aber wirksame Vereinbarung abgeschlossen wissen wollen. Es ist daher zunächst zu fragen, welches Rechtsgeschäft die Vertragsparteien ursprünglich – also unabhängig von einer möglichen Unwirksamkeit – abschließen wollten. Unterzeichnet der Betriebsrat neben einer Gewerkschaft eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, wird dies regelmäßig eine Betriebsvereinbarung sein. Der Grund der Hinzuziehung des Betriebsrates liegt nämlich in aller Regel darin, dass die Parteien eine Erstreckung der getroffenen Regelungen auf die gesamte Belegschaft unabhängig von ihrer Tarifgebundenheit anstreben. Dieses Ziel können sie aber nur durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erreichen. Es entspricht daher regelmäßig dem Parteiwillen, eine dreiseitige Vereinbarung als Betriebsvereinbarung auszulegen. An dieser ursprünglichen Intention der Vertragsparteien ändert auch die möglicherweise eintretende Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung nichts. Die Vereinbarung bleibt eine – wenn auch unwirksame – Betriebsvereinbarung. Die entscheidende Frage in einem solchen Fall ist daher nicht, ob die Vereinbarung wegen der anderenfalls drohenden Unwirksamkeit als Firmentarifvertrag auszulegen ist, sondern, ob die unwirksame Betriebsvereinbarung in einen wirksamen Firmentarifvertrag umgedeutet werden kann. Erst an dieser Stelle kommt den Überlegungen des BAG, dass die Vertragsparteien im Zweifelsfall keine unwirksame Regelung treffen wollten, Relevanz zu. Wenn die Parteien nämlich eine Betriebsvereinbarung – und bei deren Unwirksamkeit hilfsweise einen Firmentarifvertrag – abschließen wollten, dann erfolgt bei Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung eine automatische Umdeutung derselben in einen Firmentarifvertrag, ohne dass es auf die einschränkenden Voraussetzungen des § 140 BGB an-

C. Der Firmentarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument

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kommt. Es liegt in einem solchem Fall eine sog. Konversionsklausel vor.37 Eine dreiseitige Vereinbarung ist daher im Regelfall als Betriebsvereinbarung auszulegen, die bei ihrer Unwirksamkeit in einen Firmentarifvertrag umgedeutet werden kann.

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Hierzu MüKo-Mayer-Maly / Busche, § 140 Rn. 6.

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung des Rechts des Firmentarifvertrages A. Die Anfänge des Rechts des Firmentarifvertrages Die Geschichte des Rechts des Firmentarifvertrages ist naturgemäß eng mit der Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts verbunden. Sie beginnt demgemäß Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der sich dramatisch entwickelnden Industrialisierung. Durch die Steigerung der Produktivität wurden viele Arbeitskräfte überflüssig. Gleichzeitig nahm auf Grund der besseren medizinischen Versorgung die Zahl der Gesamtbevölkerung stark zu. Dies führte zum Zusammenbruch des noch aus dem Mittelalter stammenden Lehnswesens mit seinen gegenseitigen Abhängigkeiten und der – wenngleich sehr bescheidenen – wirtschaftlichen Sicherheit auch der unteren Bevölkerungsschichten. Die nunmehr reichlich vorhandene Arbeitskraft wurde für diejenigen, die das Kapital in den Händen hielten und es in die überall aus dem Boden sprießenden Fabriken investierten, zu einem reinen Kostenfaktor der Produktion, der möglichst gering gehalten wurde.1 Die Arbeitsbedingungen breiter Bevölkerungsschichten verschlechterten sich gegenüber den ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen des Mittelalters nochmals drastisch. Diese Entwicklung führte zwangsläufig zu einer wachsenden Verelendung großer Massen der Bevölkerung und einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.2 Hierdurch bedingt fand insbesondere innerhalb der Arbeiterschaft eine zunehmende Solidarisierung statt, in der sich der aufkommende Unmut über die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die nicht zu Unrecht empfundene „Ausbeutung“ kanalisieren konnte. Es wurden erste Streiks zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt.3 Ziel dieser Arbeitskämpfe war vor allem die Erhöhung der Arbeitslöhne, aber auch die Einführung einer betrieblichen Mitbestimmung, z. B. über die Arbeitszeit und das betriebliche Bußsystem. Letzteres ermöglichte dem Arbeitgeber bis dato, durch einseitig erlassene Fabrikordnungen weitgehende Eingriffe in die Lebensführung der Arbeitnehmer.4 Aus dieser SolidarisierungsMitteis / Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 442 f. Hierzu anschaulich Englberger, Tarifautonomie, S. 21; Mitteis / Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 438 ff.; Wesel, Geschichte, Rn. 287 ff.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 26 ff.; Zwing, Geschichte, S. 18 f. 3 Wobei die Anfänge des Arbeitskampfes bis ins Mittelalter zurückreichen dürften. Siehe dazu Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 2 ff.; Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 6. 1 2

A. Die Anfänge des Rechts des Firmentarifvertrages

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bewegung entstanden die ersten Gewerkschaften5, die mit den Arbeitgebern vereinzelt – gesetzlich zunächst nicht geregelte – Tarifverträge abschlossen.6 Dies geschah vornehmlich auf betrieblicher, gelegentlich auch auf überbetrieblicher Ebene.7 Allerdings betrachtete die Gewerkschaftsseite den Tarifvertrag zunächst mit Skepsis und Zurückhaltung. Man war der Auffassung, dass der Tarifvertrag ein Instrument der Arbeitgeber sei und den „Klassenkampf“ mehr schwächte, als ihm nutzte.8 Erst Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts setzte eine Wende in der gewerkschaftlichen Auffassung ein, die 1869 auf dem 3. Gewerkschaftskongress in Frankfurt zu einer grundsätzlichen Anerkennung des Tarifvertrages und damit auch des Firmentarifvertrages führte.9 So statuierte sich langsam eine kollektive Regelungsebene, die auch der Gesetzgeber nicht länger ignorieren konnte. Zunächst fiel mit der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 186910, welche ab 1871 als Reichsgewerbeordnung für ganz Deutschland galt11, das Koalitionsverbot.12 Dann stellte das Reichsgericht 1910 nach längerer juristischer Diskussion klar, dass Tarifverträge trotz des § 152 Abs. 2 Reichsgewerbeordnung verbindlich seien. Aber auch nach der grundsätzlichen Anerkennung der Verbindlichkeit von Tarifverträgen durch das Reichsgericht ließ eine Kodifikation des Tarifvertragsrechts 4 So konnte der Arbeitgeber z. B. Strafen für ungebührliches Verhalten oder schlechte Kleidung verhängen. Wesel, Geschichte, Rn. 287. 5 Als deren Vorläufer kann man die aus dem Mittelalter stammenden Bruderschaften der Gesellen bezeichnen. In diesem Sinne auch Hainke, Tarifvertragversordnung, S. 7 ff. mit weiteren Nachweisen. 6 Als erster Tarifvertrag wird derjenige des Buchdruckergewerbes von 1873 angesehen. 7 Zur rechtstatsächlichen Entwicklung auch Englberger, Tarifautonomie, S. 182 ff. 8 Siehe nur die Ausführungen hierzu von Braun, Tarifverträge, S. 81; ders., Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands vom 26. 1. 1907, S. 49 ff. 9 Barthel, Handbuch, S. 433 ff. 10 BGBl. 1869, S. 245 ff. 11 RGBl. 1871, S. 392. 12 „§ 152 (1) Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. (2) Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt. § 153 Wer Andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern sucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetze nicht eine härtere Strafe eintritt.“

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§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

auf sich warten. Dies war zum einen darauf zurückzuführen, dass sich sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberseite lieber auf „Selbst-“ anstatt auf „Staatshilfe“ verlassen wollte.13 Zum anderen scheute sich aber auch der Gesetzgeber davor, diese gesellschaftlich und politisch hoch brisante und umstrittene Materie gesetzlich zu regeln. So blieb das Tarifrecht bis ins 20. Jahrhundert hinein ohne eigene Kodifikation. Rechtstatsächlich dominierte der Firmentarifvertrag zu dieser Zeit gegenüber dem Verbandstarifvertrag. Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass der Organisationsgrad auf der Arbeitgeberseite nur langsam voranschritt und den Gewerkschaften daher meist nur der einzelne Arbeitgeber als Tarifvertragspartner blieb. So betrug der Anteil der Firmentarifverträge an der Gesamtzahl der Tarifverträge nach den Angaben des Kaiserlichen Statistischen Amtes zum 31. Dezember 1912 72,8%14 und zum 31. Dezember 1913 sogar 77,2%15.

B. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik Die erste, wenn auch nicht sehr ausführliche Regelung des Tarifrechts brachte die Tarifvertragsverordnung (TVVO) vom 23. Dezember 1918 mit sich. Sie war eigentlich nur als Provisorium bis zum Erlass eines Tarifvertragsgesetzes gedacht, blieb aber mangels anderweitiger Regelung bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Kraft. Im Vorfeld und auch später, während der Geltung der TVVO, fanden deswegen intensive Diskussionen über eine gesetzliche (Neu-) Regelung des Tarifrechts statt. Hieraus sind verschiedene Entwürfe hervorgegangen, die auch unterschiedliche Regelungsansätze bezüglich des Firmentarifvertrages enthielten.

I. Der Entwurf Sulzer / Lotmars von 190216 Erster überlieferter Gesetzesentwurf für ein Tarifvertragsgesetz ist der Entwurf Lotmar / Sulzer von 1902. Darin heißt es: „I. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Gewerbeinhabern und Arbeitern, mögen sie sich auf die Löhnung oder auf Arbeitsbedingungen anderer Art oder überhaupt auf die Sinzheimer, ArbR 1921, 94 ff. Statistisches Reichsamt, Tarifverträge 1912, S. 21 Tabelle f), wobei diese Zahl tatsächlich geringer sein dürfte, da die Statistik Doppelzählungen aufweist. 15 Statistisches Reichsamt, Tarifverträge 1913, S. 14 Tabelle f), wobei diese Zahl tatsächlich geringer sein dürfte, da die Statistik Doppelzählungen aufweist. 16 Sulzer / Lotmar, Soziale Praxis, Bd. 11 (1901 / 1902), 349 ff. 13 14

B. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik

41

Interessen der beiden Gruppen der Gewerbeinhaber und Arbeiter beziehen, können durch Vertrag eines Verbandes von Arbeitern, der auf Gemeinsamkeit der Werkstätte (Fabrik) oder des Berufes beruht, mit einem oder mehreren Gewerbeinhabern oder mit einem Verbande solcher geregelt werden. Ebenso können auch Verbände von Arbeitern verschiedener Werkstätten oder Berufsarten behufs Wahrung gemeinsamer Interessen einen derartigen kollektiven Vertrag mit den betreffenden Gewerbeinhabern oder deren Verbänden abschließen.“

Der bisherigen Praxis folgend17 konnten demnach die Gewerkschaften Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern („Gewerbeinhabern“) oder deren Verbänden schließen. Damit war sowohl der Abschluss von Firmen-, als auch von Verbandstarifverträgen möglich.

II. Der Entwurf Rosenthals von 190818 Von der Zulässigkeit des Abschlusses von Firmentarifverträgen ging auch der Entwurf Rosenthals aus: § 2 (1) „Ein Tarifvertrag kann abgeschlossen werden zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern oder einem oder mehreren Arbeitgebervereinen (Berufsverein) auf der einen und mehreren Arbeitern oder einem oder mehreren Arbeiterverbänden (Berufsverein) auf der anderen Seite“

III. Der Entwurf Wölblings von 190819 Keine eindeutige Regelung bezüglich des Firmentarifvertrages enthält der Entwurf Wölblings. In dem maßgeblichen § 11 des Entwurfes werden nur die sog. Gesamtheiten erwähnt. Es ist anzunehmen, dass Wölbling von seinem Entwurf lediglich Verbandstarifverträge erfasst wissen wollte. „§ 11 Tarifverträge und andere Vereinbarungen mit Gesamtheiten von Arbeitgebern und Arbeitern über deren allgemeine Beziehung zueinander bedürfen der Schriftform, wenn sie nicht vor dem Einigungsamte, insbesondere durch Unterwerfung unter den Schiedsspruch zustandegekommen sind.“

17 18 19

Siehe hierzu oben § 2 A. Rosenthal, FG Laband, Bd. II, S. 135, 147 ff. Soziale Praxis, Bd. 18 (1908 / 09), Sp. 166 f.

42

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

IV. Der Entwurf Sinzheimers von 191620 Der Entwurf Sinzheimers von 1916 enthält – im Gegensatz zu seinen späteren Entwürfen21 – lediglich eine beschränkte Zulässigkeit von Firmentarifverträgen. „§ 2 (1) Nur Arbeiterberufsvereine können nach diesem Gesetz mit Arbeitgeberberufsvereinen oder Arbeitgebern, die nicht Vertragsmitglieder sind, Tarifverträge abschließen. (2) Arbeiter sind alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der Beamten, Staatsangestellten und Staatsarbeiter. (3) Die Berufsvereine müssen tariffähig sein.“

Danach konnte der einzelne Arbeitgeber nur dann Firmentarifverträge schließen, wenn er an keinen Verbandstarifvertrag gebunden war. Sinzheimer ging 1916 offensichtlich davon aus, dass dem Verbandtarifvertrag Vorrang gegenüber dem Firmentarifvertrag zukommen sollte.

V. Der Entwurf Brentano / Heinemann von 191822 Der Entwurf Brentano / Heinemann lehnte generell die Zulässigkeit von Firmentarifverträgen ab. Dies war folgerichtige Konsequenz des von Brentano / Heinemann favorisierten Prinzips der Zwangsverbände, bei dem jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer kraft Gesetzes einem Verband zugeordnet war. In einem solchem System von Zwangsverbänden sind Firmentarifverträge überflüssig.23 Der Entwurf hatte in diesem Punkt folgenden Wortlaut: „§ 105 a RGewO: Zu dieser Festsetzung der Arbeitsbedingungen sind sämtliche Arbeitgeber, welche Arbeiter einer bestimmten gleichartigen Tätigkeit beschäftigen, in ein vom Gewerbegericht zu führendes Verzeichnis einzutragen; desgleichen in ein gesondertes Verzeichnis die so beschäftigten Angestellten und Arbeiter. Alle so eingetragenen Arbeitgeber bilden einen Verband, desgleichen die eingetragenen Angestellten und Arbeiter.“

Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S. 211 ff. Siehe hierzu § 2 B. VII. 22 Gesetzesentwurf zur Abänderung des § 105 RGewO von 14. 12. 1918, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Brentano Nr. 243, abgedruckt bei Hainke, Tarifvertragsverordnung, S. 160 ff. 23 Vgl. hierzu die noch heute geltende Rechtslage in Österreich (§ 10 A. I.). 20 21

B. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik

43

VI. Die TVVO vom 23. Dezember 1918 Die dargestellten Entwürfe machen deutlich, dass es seinerzeit ganz unterschiedliche Ansätze zur Regelung des Rechts des Firmentarifvertrages gab. Sie reichten von der gänzlichen Unzulässigkeit von Firmentarifverträgen mangels Tariffähigkeit des Arbeitgebers in dem Entwurf Brentano / Heinemann und Wölblings über die teilweise Zulässigkeit von Firmentarifverträgen im Entwurf Sinzheimers 1916 bis zur generellen Zulässigkeit von Firmentarifverträgen im Entwurf Sulzer / Lotmars und Rosenthals. Die Regelungsbemühungen mündeten schließlich in der TVVO vom 23. Dezember 1918.24 In dieser setzten sich die Positionen Sulzer / Lotmars bzw. Rosenthals durch, denen zufolge der einzelne Arbeitgeber uneingeschränkt tariffähig war: „§ 1 (1) Sind Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern durch schriftlichen Vertrag geregelt (Tarifvertrag), . . .“

VII. Der Entwurf des Reichsarbeitsministeriums von 192125 Da die TVVO ursprünglich nur ein Provisorium bis zur endgültigen Regelung des Tarifrechts durch ein entsprechendes Gesetz sein sollte, riss die Kette der Entwürfe auch nach Erlass der TVVO nicht ab, sondern setzte sich bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten fort. Der erste bedeutende Entwurf nach Erlass der TVVO war der des Reichsarbeitsministeriums von 1921. Dieser ging vor allem auf Vorarbeiten Sinzheimers zurück.26 Darin heißt es: „§ 1 Tarifvertrag ist der schriftliche Vertrag zwischen Arbeitgebern oder ihren tariffähigen Vereinigungen und tariffähigen Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Regelung des Arbeitsverhältnisses. . . .“

Der Entwurf brachte gegenüber der geltenden TVVO keine Änderung bezüglich der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und damit der Zulässigkeit von Firmentarifverträgen mit sich. Er stellte aber einen Bruch mit der von Sinzheimer noch 1916 vertretenen Auffassung bezüglich der eingeschränkten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dar.27 Wie es zu dieser Änderung der Auffassung SinzRGBl. I , S. 1456; abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 8. ArbR 1921, 106 ff. mit Erläuterung von Sinzheimer, ArbR 1921, 94 ff. 26 Der Entwurf Sinzheimers ist abgedruckt bei Kahn-Freund / Ramm, Aufsätze, Bd. 1, S. 182 ff., sowie sein Vorentwurf hierzu, S. 442 ff. 27 Siehe oben § 2 B. IV. 24 25

44

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

heimers kam, ist nicht überliefert. Sie mag darauf zurückzuführen sein, dass man an der einmal eingeführten Regelung durch die TVVO angesichts der weiteren offenen Streitfragen nicht rütteln wollte, um eine angestrebte gesetzliche Regelung nicht zu erschweren.

VIII. Der Entwurf Nipperdeys von 192428 Auch der Entwurf Nipperdeys hielt an der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und damit an der Zulässigkeit des Firmentarifvertrages fest. „§ 1 Tarifvertrag ist der schriftliche Vertrag zwischen Arbeitgebern oder ihren tariffähigen Vereinigungen als Vertragsparteien auf der einen Seite und tariffähigen Vereinigungen von Arbeitnehmern als Vertragsparteien auf der anderen Seite . . .“

IX. Der Referentenentwurf des Reichsarbeitsministeriums von 193129 Auf gleicher Linie wie die vorherigen Entwürfe lag auch der Referentenentwurf des Reichsarbeitsministeriums. Darin heißt es: „§ 1 (1) Tarifvertrag ist der Vertrag zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern oder tariffähigen Vereinigungen von Arbeitgebern einerseits und tariffähigen Vereinigungen von Arbeitnehmern anderseits . . .“

Die weiteren Entwürfe nach Erlass der TVVO zeigen, dass sich die zuvor geäußerten konträren Ansichten zur Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und damit der Zulässigkeit von Firmentarifverträgen weitgehend angeglichen hatten und der Firmentarifvertrag als tarifliche Erscheinungsform nunmehr allgemein akzeptiert wurde.30

X. Rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages War der Firmentarifvertrag bis Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gegenüber dem Verbandstarifvertrag ein nahezu gleichberechtigtes RegelungsNipperdey, Beiträge, S. 186 ff. Abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 14. 30 A. Hueck, Tarifvertrag, S. 55; E. Molitor, Tarifvertragsverordnung, § 1 Rn. 13; F. Neumann, Tarifrecht, S. 30; Schulz, Tarifverträge, S. 16. 28 29

C. 1933 – 1945

45

instrument, änderte sich dies mit dem fortschreitenden Organisationsgrad auf der Arbeitgeberseite.31 Die Arbeitgeber bildeten als Reaktion auf die Erstarkung der Gewerkschaften zuerst anlässlich konkreter Streikmaßnahmen Anti-Streik-Vereine, aus denen später die auf Dauer angelegten Arbeitgeberverbände hervorgingen.32 Da der Gewerkschaft immer häufiger nicht nur der einzelne Arbeitgeber, sondern ein Verband als Verhandlungspartner gegenüber stand, kam es auch immer öfter zu Tarifvertragsabschlüssen auf Verbandsebene. Zählte man so z. B. 1914 im Deutschen Reich noch 10.880 Tarifverträge, die 143.000 Betriebe mit 1.400.000 Arbeitnehmern erfassten, so schrumpfte die Zahl der Tarifverträge 1927 auf 7.490, die aber ihrerseits bereits 807.000 Betriebe mit 11.000.000 Arbeitnehmern erfassten.33 Hiervon waren 4.143 mit 9,5 Millionen erfassten Arbeitnehmern Verbandstarifverträge.34 Damit sank die Zahl der Tarifverträge innerhalb von 13 Jahren um fast 1 / 4, im gleichen Zeitraum steigerte sich aber die Anzahl der tarifgebundenen Betriebe um das Sechsfache und die Zahl der erfassten Arbeitnehmer um das Achtfache.

C. 1933 – 1945 Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 blieb die TVVO trotz der oben angeführten vielfachen Reformbemühungen unverändert in Kraft.35 Die nationalsozialistische Zeit bis 1945 war geprägt durch das Verbot der Gewerkschaften 193336 und das Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934.37 Letzteres unterband den Abschluss von Tarifverträgen und ersetzte diese durch einseitige, vom Treuhänder der Arbeit erlassene Tarifordnungen (§ 32 AOG). § 65 Nr. 6 AOG hob die bis dahin noch formell gültige TVVO auf.

Nikisch, Arbeitsrecht, 1. Auflage, S. 104 ff. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 359. 33 Nikisch, Arbeitsrecht, 1. Auflage, S. 104. Ein Zusammenstellung der Jahre 1912 – 1927 findet sich bei Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, 1 – 2. Aufl., S. 52. 34 Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, 1 – 2. Aufl., S. 53. 35 Zu den sonstigen Änderungen der TVVO siehe Hainke, Tarifvertragsverordnung, S. 1. 36 Anordnung des Arbeitskomitees zum Schutz der deutschen Arbeit vom 3. 5. 1933, abgedruckt: Zentralblatt für die öffentlichen Verwaltungen und Betriebe als Arbeitgeber, 1933, S. 70. 37 RGBl. I 1934, S. 45. 31 32

46

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949 und die rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages bis heute Nachdem das sog. Dritte Reich 1945 zusammenbrach, bemühten sich die westlichen Besatzungsmächte, schnellstmöglich ein funktionierendes Tarifsystem zu schaffen. Insbesondere die amerikanische und die britische Seite hielt ein funktionierendes Tarifsystem nämlich für einen wesentlichen Eckpfeiler jeder Demokratie. Daher entstanden bereits 1946 in der amerikanischen und britischen Besatzungszone erste Regelungsentwürfe für ein neues Tarifvertragsgesetz. Die hierdurch angestoßenen Diskussionen setzten sich auch nach dem Zusammenschluss der Amerikanischen und Britischen Zone zur Bi-Zone bzw. im späteren Vereinigten Wirtschaftsgebiet fort. Maßgeblichen Einfluss bei diesen Diskussionen und damit auch bei der Entstehung des Tarifvertragsgesetzes hatte Wilhelm Herschel. Er war in führender Position im für das Tarifrecht auf britischer Seite zuständigen Zentralamt für Arbeit tätig.

I. Die Entwicklung in der Britischen Zone Der erste Entwurf eines Tarifvertragsgesetzes stammte aus dem Jahre 1946.38 Er wurde Anfang 1948 als sog. Lemgoer Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert.39 Dieser Entwurf ging von der grundsätzlichen Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers aus. „§ 1 (1) Tariffähig sind Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Arbeitgeber. (2) . . .“

Im Vorfeld dieses Entwurfes gab es an verschiedenen Orten und mit wechselnden Teilnehmerkreis mehrere Konferenzen über den Inhalt eines möglichen Tarifvertragsgesetzes. Im Zuge dieser Konferenzen kam es auch zu Kontroversen darüber, ob dem einzelnen Arbeitgeber die Tariffähigkeit zuerkannt werden sollte und damit Firmentarifverträge auch nach der neuen gesetzlichen Regelung weiterhin zulässig sein sollten. Gegen eine Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers sprachen sich bemerkenswerterweise vor allem die Gewerkschaften aus. Erstmals wurde dieser Standpunkt in der Konferenz von Hamburg am 21. November 1946 zum Ausdruck gebracht.40 Auf den Einwand Herschels – der an Abgedruckt bei Nautz, Durchsetzung, S. 165 ff. Abgedruckt nebst amtlicher Begründung bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 22 f. 40 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Verordnung über Tarifverträge am 21. 11. 1946 in Hamburg, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820, Akten des Zentralamtes für 38 39

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949

47

allen Konferenzen teilnahm –, dass ein genereller Ausschluss der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu einem Mangel an Tarifpartnern auf der Arbeitgeberseite führen könnte, einigte man sich am Ende der Sitzung auf folgende Kompromissformel: (1) Einzelne Arbeitgeber sollen einem bestehenden Tarifvertrag nachträglich beitreten können (2) Für die dann noch freibleibenden Arbeitgeber soll der Präsident des Landesarbeitsamtes in begründeten Einzelfällen die Tariffähigkeit verleihen können (öffentlicher Dienst, Monopolbetriebe, vereinzelte Spezialbetriebe, usw.)41

Auch auf der anschließenden Konferenz in Hannover am 22. November 1946 einigten sich die Teilnehmer auf die oben angeführte Hamburger Kompromissformel.42 In der am 29. November 1946 in Köln43 stattfindenden Konferenz legte Herschel den Teilnehmern einen auf der Hamburger Formel beruhenden Entwurf II des Tarifvertragsgesetzes vor, dessen § 1 lautete: „(1) Tariffähig sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. (2) Arbeitgeber, die nicht dem vertragsschließenden Arbeitgeberverbande angehören, können mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien dem Tarifvertrag beitreten. (3) Der Präsident des Landesarbeitsamtes kann einen Arbeitgeber für tariffähig erklären, wenn weder ein für ihn zuständiger Arbeitgeberverband vorhanden ist noch sein Betrieb durch Beitritt im Sinne von Abs. 2 einem bestehenden Tarifvertrag unterworfen werden kann.“

Nunmehr änderte die Gewerkschaftsseite aber ihre Ansicht zur Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und lehnte den in Hamburg und Hannover gefundenen Kompromiss und damit auch den von Herschel vorgelegten Entwurf II ab. Sie forderten die volle Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, wie sie schon die TVVO von 1918 vorsah. Dem hielt Nipperdey entgegen, dass der im Entwurf II Arbeit Lemgo bzw. der Verwaltung für Arbeit, geführt als Vorakten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Teilnehmer: Prof. Dr. Herschel als Tagungsleiter, Dr. Kosellke Zentralamt für Arbeit, Dr. Schunk Handelskammer Hamburg, Schnoor FDGB, Dr. Stelzel Vorsitzender des Lohnberatenden Ausschusses beim Landesarbeitsamt Hamburg, von Puttkammer RegDir, Pretsch RegDir, Dr. Feldmann, Landesarbeitsamtsdirektor Carlberg, alle Landesarbeitsamt Hamburg, Dr. König, Landesarbeitsgericht Hamburg, Prof. Dr. Capelle, Universität Hamburg. 41 Siehe Fn. 76. 42 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Verordnung über Tarifverträge am 22. 11. 1946 in Hannover, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820, Akten des Zentralamtes für Arbeit Lemgo bzw. der Verwaltung für Arbeit, geführt als Vorakten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. 43 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Verordnung über Tarifverträge am 29. 11. 1946 in Köln, Bundsarchiv Koblenz B 13149 / 9820, Akten des Zentralamtes für Arbeit Lemgo bzw. der Verwaltung für Arbeit, geführt als Vorakten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.

48

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

gefundene Kompromiss völlig ausreiche, um den Bedürfnissen der Zukunft hinreichend Rechnung zu tragen. Auf eine gemeinsame Formel konnte man sich wegen dieser kontroversen Ansichten nicht einigen. Am 18. Dezember 1946 fand ein weiteres Zusammentreffen in Wuppertal statt.44 An dieser Konferenz nahmen, anders als an den vorhergehenden, nur die Vertreter des Zentralamtes für Arbeit und die Gewerkschaftsvertreter teil. Die Gewerkschaftsseite lehnte den Hamburger Kompromiss in dieser Konferenz endgültig ab und forderte die Tariffähigkeit auch des einzelnen Arbeitgebers. Mit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers sollte dessen möglichst weitgehende Beteiligung am Tarifsystem erreicht werden.45 Man einigte sich daher auf den bereits angeführten Lemgoer Entwurf.

II. Die Entwicklung in der Amerikanischen Zone Auch der in der amerikanischen Zone zuständige Länderrat entwickelte 1947 einen Entwurf eines Tarifvertragesgesetzes (sog. Stuttgarter Entwurf),46 dem ebenfalls diverse Zusammenkünfte vorausgingen. Auch er sah die Zulässigkeit von Firmentarifverträgen vor. „§ 1 (1) Der Tarifvertrag ist eine schriftliche Vereinbarung zur Regelung zwischen Tarifparteien (Gewerkschaften einerseits, Arbeitgeber oder Vereinigungen von Arbeitgebern andererseits) . . .“

Kontroversen über die Tariffähigkeit einzelner Arbeitgeber, wie es sie in der Britischen Zone gegeben hatte, sind nicht bekannt geworden. Den Entwürfen der Britischen und der Amerikanischen Zone folgten Alternativentwürfe der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die allerdings inhaltlich bezüglich des Firmentarifvertrages keine Veränderungen zu den bisherigen Entwürfen brachten.47

44 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Tarifvertragsordnung beim Arbeitsausschuss des FDGB in Wuppertal am 13. 12. 1946, Lemgo, den 03. 01. 1947, Bundesarchiv Koblenz B 149 / 9820. 45 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Tarifvertragsordnung beim Arbeitsausschuss des FDGB in Wuppertal am 13. 12. 1946, Lemgo, den 03. 01. 1947, Bundesarchiv Koblenz B 149 / 9820. 46 Abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 27. 47 Sämtlich abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 29 ff.

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949

49

III. Die Entwicklung im Vereinigten Wirtschaftsgebiet Mit dem Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen zum Vereinigten Wirtschaftsgebiet gingen die Beratungen auf den Wirtschaftsrat als legislatives Gremium und die Verwaltung für Arbeit als zuständige Exekutive über. Die neu geschaffene Verwaltung für Arbeit setzte sich vor allem aus ehemaligen Mitarbeitern des Zentralamtes für Arbeit der Britischen Zone zusammen. Die SPD forcierte nun durch einen im Wirtschaftsrat eingereichten Initiativantrag die Beratungen über die Einführung des Tarifvertragsgesetzes.48 Auf diesen SPD-Entwurf folgte ein entsprechender (Parallel-)Entwurf der Verwaltung für Arbeit,49 der in den drei folgenden Parlamentarischen Lesungen überarbeitet wurde.50 Alle Entwürfe sahen die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers vor. Dass indes die Debatte über die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers noch nicht beendet war, belegt eine Aktennotiz Herschels, die dieser am 9. November 1948 anfertigte. Sie lautet: „Bearbeiter Herschel Herr Direktor Storch hat einigen Abgeordneten des Wirtschaftsrats in Aussicht gestellt, nach Inkrafttreten des Gesetzes solle eine amtliche Verlautbarung erfolgen, die folgendes klarstelle: 1. Daß nach § 2 Abs. 1 nur an diejenigen Arbeitgeber gedacht sei, die aus irgendwelchen Gründen von einem Arbeitgeberverband nicht erfaßt würden. . .“ 51

Bemerkenswerterweise hat es eine solche amtliche Verlautbarung in der Folgezeit nie gegeben. Es findet sich lediglich ein Aufsatz Herschels in der von der Verwaltung für Arbeit herausgegebenen Zeitschrift „Arbeitsblatt“ mit dem Titel „Das Tarifvertragsgesetz des Vereinigten Wirtschaftsgebietes“. In diesem Aufsatz schreibt Herschel: „. . . Während die Tariffähigkeit der Gewerkschaften rechtspolitisch unbestritten ist, gehen die Ansichten hinsichtlich der Arbeitgeber auseinander. Manche möchten nur den einzelnen Arbeitgeber, manche nur die Arbeitgeberverbände als tariffähig anerkannt wissen. Das TVG hat beiden die Tariffähigkeit verliehen. Damit hat der Gesetzgeber nicht zum Ausdruck bringen wollen, ihm schwebe es als Ideal vor, wenn jeder einzelne Arbeitgeber sich als Tarifkontrahent betätige. Vielmehr hat er die einzelnen Arbeitgeber nur deswegen mit der Tariffähigkeit ausgestattet, weil es in der Tat Arbeitgeber gibt, für die aus irgendwelchen anerkennenswerten Gründen der Beitritt zu einem Arbeitgeberverband nicht in Betracht kommt. Nur um den besonderen Bedürfnissen dieser Arbeitgeber Rechnung zu tragen, sieht das Gesetz die Tariffähigkeit auch des einzelnen Arbeitgebers vor. Es ist ja zu Abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 37. Abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 38. 50 Änderungen abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 39 ff.; die Sitzungsprotokolle des Wirtschaftsrates finden sich in ZfA 1973, 151 ff. 51 Aktennotiz der Hauptabteilung III / 1870 / 48 vom 9. 11. 1948, abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 42. 48 49

4 Witt

50

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung erwarten, daß im Regelfall die künftigen Tarifverträge von Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden.“52

Das letztlich vom Wirtschaftsrat für die Britische und Amerikanische Zone als Gesetz Nr. 68 beschlossene TVG53 hatte bezüglich der Tariffähigkeit folgenden Wortlaut: „§ 2 Abs. 1: Tarifvertragsparteien sind die Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. . . .“

Dieses Gesetz trat am 9. April 1949 nach der Genehmigung durch die Amerikaner und Briten in Kraft. Nach Inkrafttreten des GG am 23. Mai 1949 galt es gem. Art. 123, 125 GG als partielles Bundesrecht weiter. Auf die zunächst nicht erfassten Bundesländer Baden, Groß Berlin, Rheinland-Pfalz und Würtemberg-Hohenzollern wurde es erst am 23. April 1953,54 auf das Saarland sogar erst am 30. Juni 195955 ausgedehnt. Bis dato galten in diesen Bundesländern Landesgesetze, von denen dasjenige des Landes Rheinland-Pfalz am weitesten ausdifferenziert war.56 Es sah, entgegen den Bestrebungen im übrigen Bundesgebiet, die Tariffähigkeit einzelner Arbeitgeber generell nicht vor. Auch Art. 54 der rheinland-pfälzischen Verfassung – der noch heute in Kraft ist – sieht als tariffähig nur Vereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an. Die weiteren Landesgesetze trafen zu diesem Komplex keinerlei Regelungen. § 2 Abs. 1 des heute geltenden TVG hat folgenden Wortlaut: „Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern.“

IV. Die rechtstatsächliche Entwicklung des Firmentarifvertrages in dieser Zeit Bis Anfang der 70er Jahre dominierte, wie es Herschel schon 1949 prognostiziert hatte,57 der Verbandstarifvertrag tatsächlich gegenüber dem Firmentarifvertrag. Die in den sechziger und siebziger Jahren herrschende Hochkonjunktur und die damit einhergehenden Lohnsteigerungen führten allerdings dazu, dass der Tarif- und der Effektivlohn immer weiter auseinander klafften. Dies hatte zur Folge, dass große Teile der durch Verbandstarifverträge gebundenen Arbeitnehmer Arbeitsblatt 1949, 22, 23. Drucksache des Wirtschaftsrats, Wörtlicher Bericht über die 24. Vollversammlung am 9. und 10 November 1948, S. 1094 – 1100; abgedruckt auch in ZfA 1973, 159 ff. 54 BGBl. I, 1953, S. 165. 55 BGBl. I, 1959, S. 361. 56 GVBl. Rheinland-Pfalz, 1949, S. 82 f. 57 Siehe § 2 D. III. 52 53

D. Die Entstehung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) vom 9. April 1949

51

einen teilweise durchaus beträchtlichen Anteil ihres Lohnes nicht aufgrund tariflicher, sondern einzelvertraglicher und übertariflicher Lohnabreden erhielten. Da es den Gewerkschaften nicht möglich war, diese Lohnbestandteile flächendeckend tariflich zu erfassen, liefen sie Gefahr, dass die Arbeitnehmerschaft mangels effektiver tariflicher Lohnabreden das Vertrauen in die Gewerkschaften verlor. So rückte die Möglichkeit, entsprechende Gehaltstarifverträge als Firmentarifverträge abzuschließen, wieder mehr und mehr in den Mittelpunkt des gewerkschaftlichen Interesses. Der Firmentarifvertrag erlebte bis Mitte der siebziger Jahre daher eine Renaissance. Nach dem Abebben der Konjunktur in den achtziger Jahren nahm die Bedeutung des Firmentarifvertrages aber wieder ab, so dass bis Anfang der neunziger Jahre der Verbandstarifvertrag in den Mittelpunkt der Tarifpolitik rückte. Die in den neunziger Jahren einsetzende konjunkturelle Krise rief – wie bereits in der Einleitung beschrieben58 – eine zunehmende Kritik an der vorherrschenden flächendeckenden Tarifpolitik hervor und rückte damit zunehmend dezentrale Regelungsinstrumente und somit auch den Firmentarifvertrag in den Mittelpunkt des Interesses. Seine Bedeutung nahm daher in den letzten Jahren wieder zu. Nachfolgende Statistik59 aus dem Tarifregister des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung verdeutlicht dies anschaulich: Stand am Jahresende

Anzahl der Unternehmen mit Firmentarifverträgen

Zunahme in % zum Vorjahr

1990

rd. 2.550

1991

rd. 3.150

+ 23,5%

1992

3.600

+ 14,3%

1993

3.966

+ 10,2%

1994

4.134

+ 4,2%

1995

4.512

+ 9,1%

1996

4.733

+ 4,9%

1997

4.978

+ 5,2%

1998

5.371

+ 7,9%

1999

5.841

+ 8,8%

2000

6.415

+ 9,8%

2001

6.802

+ 6,0%

Indes darf trotz dieses Anstiegs nicht übersehen werden, dass der Verbandstarifvertrag weiterhin das dominierende Regelungsinstrument auf tariflicher Ebene ist. Quantitativ standen im Jahr 2001 34.437 Verbandstarifverträgen lediglich 23.158 Firmentarifverträge gegenüber.60 Etwa 22 Millionen Arbeitnehmer fielen dabei un58 59 60

4*

Siehe § 1 A. BMA, Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen 2001, S. 9. BMA, Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen 2001, S. 7.

52

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

ter den Geltungsbereich eines Verbandstarifvertrages und nur etwa 3 – 3,5 Millionen unter den Geltungsbereich eines Firmentarifvertrages.61 Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) hat auf der Grundlage der Angaben im Tarifregister und entsprechender Auskünfte einiger Arbeitgeberverbände die an einen Verbands- oder Firmentarifvertrag gebundenen Unternehmen in Relation zueinander gesetzt. Nach Branchen differenziert ergibt sich folgendes Bild:62 Wirtschaftszweig

Anzahl der Anzahl der Gesamtanzahl Anteil der firmenUnternehmen, die Unternehmen, aller tariflich tariflich gebundenen aufgrund Verbandsdie an einen gebundenen Unternehmen im mitgliedschaft an Firmentarif- Unternehmen Verhältnis zur Gesamteinen Verbandstarif- vertrag gebunanzahl aller tariflich vertrag gebunden sind den sind gebundenen Unternehmen

rd. 8.500

738

9.238

8,0%

Textil

rd. 800

68

868

7,8%

Bekleidung

rd. 800

59

859

6,9%

rd. 4.500

66

4.566

1,4%

Metall, Elektro

Bau

Nicht berücksichtigt sind bei dieser Aufstellung diejenigen Unternehmen, die neben einem Verbandstarifvertrag noch zusätzlich an einen Firmentarifvertrag gebunden sind.63 Auch diese Aufstellung zeigt, dass der Firmentarifvertrag im Verhältnis zum Verbandstarifvertrag bislang noch eine untergeordnete Rolle spielt. Abzuwarten bleibt, ob sich dieses Verhältnis bei fortschreitender Erstarkung des Firmentarifvertrags in Zukunft weiter verschieben wird.

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem Firmentarifverträge werden nicht um ihrer selbst willen abgeschlossen. Vielmehr verfolgen die an einem Firmentarifvertrag Beteiligten mit dessen Abschluss stets einen bestimmten Zweck. Bei generalisierender Betrachtungsweise lassen sich typische Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages herausarbeiten, die seine Stellung und Funktion im Tarifsystem näher präzisieren.64 BMA, Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen 2001, S. 4. IfM, Möglichkeiten, S. 95. 63 IfM, Möglichkeiten, S. 95. 64 Soweit den Leser die namentliche Nennung einzelner Unternehmen, die Firmentarifverträge abgeschlossen haben, interessiert, sei auf die Veröffentlichung der entsprechenden Firmentarifverträge im Tarifregister des Bundesministeriums für Arbeit sowie auf die diesbezügliche zusammenfassende Darstellung bei Wieland, Firmentarifverträge, S. 205 ff. verwiesen. 61 62

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem

53

I. Tarifliche Erfassung nicht verbandsangehöriger Arbeitgeber Zum klassischen Anwendungsbereich des Firmentarifvertrages gehört es, mit seiner Hilfe Arbeitgeber, die mangels Verbandsmitgliedschaft an keinen Verbandstarifvertrag gebunden sind, tariflich zu erfassen. Hierbei kann man zwischen zwei Gruppen von nicht verbandsangehörigen Arbeitgebern unterscheiden:

1. Groß- und Spezialunternehmen Einmal handelt es sich um Arbeitgeber, die von vornherein nicht die Möglichkeit haben, einem Arbeitgeberverband beizutreten, weil für ihr Unternehmen kein „passender“ Verband existiert. Es handelt sich hier in aller Regel um Arbeitgeber, die Groß- oder Spezialunternehmen betreiben. Beispiele solcher Unternehmen sind die Volkswagen AG, die Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG und die Deutsche Post AG.65 In Bezug auf die Großunternehmen ließen sich zwar noch Arbeitgeberverbände finden, die zumindest in sachlicher Hinsicht für diese tarifzuständig wären. Ein Beitritt scheidet hier aber meist deswegen aus, weil das betreffende Großunternehmen nicht in die Mitgliedsstruktur des sachlich zuständigen Arbeitgeberverbandes passt. Hinsichtlich der Spezialunternehmen lässt sich demgegenüber meist schon gar kein sachlich zuständiger Arbeitgeberverband finden. Unternehmen der bezeichneten Art finden sich nicht nur in der Privatwirtschaft. Auch die öffentliche Hand unterhält eine ganze Anzahl von „Unternehmen“, für die sich kein Arbeitgeberverband finden lässt, die also auf den Abschluss von Firmentarifverträgen angewiesen sind. Zu nennen sind hier beispielsweise die Bundesanstalt für Arbeit, das Goethe-Institut, die Deutsche Bundesbahn AG66, aber auch der Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.67 Firmentarifverträge mit Groß- und Spezialunternehmen sind meist dadurch geprägt, dass sie in inhaltlicher Hinsicht – mangels verbandstarifvertraglicher Vorlage – individuelle und auf das Unternehmen abgestimmte Regelungen enthalten.

2. Sonstige nicht verbandsangehörige Arbeitgeber Nicht selten kommt es auch vor, dass Arbeitgeber – obwohl ein zuständiger und aufnahmewilliger Arbeitgeberverband existiert – einem Verband dennoch fern bleiben. Die Beweggründe hierfür können vielfältig sein. Konsequenz ist jedenfalls, dass, soll das Unternehmen tariflich erfasst werden, mangels Verbandsmit65 66 67

Vgl. zu weiteren Beispielen Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 505. Weitere Beispiele bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 505. Zu der hier anzutreffenden Tarifstruktur Kranz, ZTR 1987, 161 ff.

54

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

gliedschaft auch hier nur der Abschluss eines Firmentarifvertrages bleibt. Anders als bei den Groß- und Spezialunternehmen finden sich für diese Gruppe von Arbeitgebern einschlägige Verbandstarifverträge, die in inhaltlicher Hinsicht oftmals als Vorlage für den abzuschließenden Firmentarifvertrag Verwendung finden. Die Gewerkschaft beschränkt sich in diesen Fällen meist darauf, von dem betroffenen Arbeitgeber zu verlangen, einen sog. Anerkennungsfirmentarifvertrag abzuschließen, mit dessen Hilfe die Inhalte des geltenden Verbandstarifvertrages übernommen werden sollen.68 Der Abschluss von Anerkennungstarifverträgen oder vielmehr die Drohung mit einem hierauf gerichteten Arbeitskampf bietet sich aus Sicht der Gewerkschaft insbesondere auch als Druckmittel an, wenn es darum geht, austrittswillige Arbeitgeber zu einem Verbleib im Arbeitgeberverband zu bewegen oder einen Wechsel in die OT-Mitgliedschaft zu verhindern.69 In seiner klassischen Funktion kommt dem Firmentarifvertrag damit die Aufgabe zu, eine Tarifflucht des Arbeitgebers durch Austritt aus oder Fernbleiben von einem Arbeitgeberverband zu unterbinden und damit tariffreie Zonen zu verhindern.

II. Flexibilisierung Neben der beschriebenen Funktion des Firmentarifvertrages, tariffreie Zonen zu verhindern, greifen die Sozialpartner gerade in jüngerer Zeit auf dieses Regelungsinstrument vermehrt auch dann zurück, wenn es nicht darum geht, den Arbeitgeber tariflich überhaupt zu erfassen, sondern den flächendeckenden Verbandstarifvertrag zugunsten maßgeschneiderter, auf das Unternehmen bezogener tariflicher Regelungen zu verdrängen.70 Dem Firmentarifvertrag kommt hier also keine „Lückenfüllerfunktion“, sondern die Funktion einer Flexibilisierung des Tarifsystems zugunsten maßgeschneiderter unternehmensbezogener tariflicher Regelungen zu. Der Firmentarifvertrag hat dabei gegenüber den ansonsten zur Verfügung stehenden Regelungsinstrumenten den Vorteil, dass es allein mit seiner Hilfe rechtlich möglich ist, von den Regelungen eines bestehenden Verbandstarifvertrages überhaupt71 bzw. auch zu Lasten der Arbeitnehmer72 abzuweichen. Einzig der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag kann in dieser Hinsicht mit dem Firmentarifvertrag gleichziehen. Sein Anwendungsbereich dürfte aber beGamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 505. So der Erfahrungsbericht von Winkler, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 10, 11. Zum praktischen Fall des Abschlusses eines Anerkennungstarifvertrages in Form eines Firmentarifvertrages nach Austritt aus dem Arbeitgeberverband siehe Bispinck, WSI-Mitt. 1999, 73, 83 (Fa. Ravensburger). 70 Hierzu mit Nachweisen aus der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion Wieland, Firmentarifverträge, S. 30 ff. Auch schon oben § 1 A. 71 Vgl. §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG für die Betriebsvereinbarung. 72 Vgl. § 4 Abs. 3 TVG für den Arbeitsvertrag. 68 69

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem

55

schränkt sein, da er stets den – zumindest aus Sicht der Gewerkschaft – schwerfälligen Umweg über den Arbeitgeberverband erfordert. Zum Einsatz des Firmentarifvertrages als Flexibilisierungsinstrument kann es dabei in verschiedenen Situationen kommen: Zunächst kann schon der Verbandstarifvertrag selbst mittels einer sog. Öffnungsklausel den Abschluss modifizierender Firmentarifverträge vorsehen.73 Vorteil einer solchen Vorgehensweise aus Sicht der Verbände ist, dass sie so den Abschluss modifizierender Firmentarifverträge zumindest bis zu einem gewissen Grad steuern können.74 Möglich ist nämlich auch, dass der einzelne Arbeitgeber und die Gewerkschaft ohne eine entsprechende Öffnungsklausel im Verbandstarifvertrag einen von diesem abweichenden Firmentarifvertrag abschließen. Auch ein solcher Firmentarifvertrag entfaltet gegenüber dem Verbandstarifvertrag Verdrängungswirkung, weil zwischen dem Verbands- und dem Firmentarifvertrag zugunsten des Letzteren der Spezialitätsgrundsatz gilt.75 Auf diesem Weg ist es der Gewerkschaft und dem einzelnen Arbeitgeber notfalls sogar gegen den ausdrücklichen Willen des Arbeitgeberverbandes möglich, von den Regelungen des Verbandstarifvertrages zugunsten einer unternehmensbezogenen Regelung abzuweichen. Inhalt derartiger Firmentarifverträge kann beispielsweise die Regelung sog. Einstiegstarife sein, die, um Neueinstellungen zu fördern, für die ersten Jahre die Zahlung eines unter dem Gehaltsniveau des Verbandstarifvertrages liegenden Einstiegsgehaltes vorsehen.76 Ein derartiger Firmentarifvertrag kann aber beispielsweise auch die Verpflichtung des Arbeitgebers enthalten, Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung in ein (befristetes) Arbeitsverhältnis zu übernehmen oder eine bestimmte Anzahl von Ausbildungsplätzen überhaupt bereitzustellen. 77

73 Zu den Rechtsfolgen der Öffnungsklausel im Hinblick auf die Friedenspflicht siehe unten § 6 G. Siehe hierzu auch das Konzept der IG-Metall zu den sog. betrieblichen Ergänzungstarifverträgen (veröffentlicht in: NZA 1998, 88 ff.). 74 Eine tarifliche Öffnungsklausel kann den Tarifvertrag nach h. M. aber auch für ergänzende oder abweichende Betriebsvereinbarungen öffnen (sog. betriebsvereinbarungsdispositiver Tarifvertrag). Vgl. nur Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 587 ff. mit weiteren Nachweisen. 75 Vgl. hierzu Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 290 mit weiteren Nachweisen. Zu dem möglicherweise hiermit verbundenen Verstoß gegen verbandsinterne Pflichten des Arbeitgebers siehe unten § 8. 76 Siehe das Beispiel bei Wieland, Firmentarifverträge, S. 219. Solche Einstiegstarife finden sich zunehmend auch in Verbandstarifverträgen. Vgl. Wieland, Firmentarifverträge, S. 225. 77 Vgl. hierzu auch Wieland, Firmentarifverträge, S. 226.

56

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

III. Erfassung verbandstarifvertraglich nicht geregelter Bereiche Zum Abschluss eines Firmentarifvertrages kann es auch dann kommen, wenn es darum geht, Bereiche tariflich durchzunormieren, die im Verbandstarifvertrag bislang noch keine Regelung gefunden haben. Der Abschluss eines Firmentarifvertrags dient hier also nicht dazu, den Verbandstarifvertrag zugunsten unternehmensspezifischer Regelungen zu modifizieren, sondern dazu, bislang tariflich überhaupt noch nicht erfasste Sachverhalte einer tariflichen Regelung zuzuführen, den Verbandstarifvertrag also insofern durch Regelungen auf der Unternehmensebene zu ergänzen. Dabei kann es sich um Regelungen handeln, die entweder ihrer Natur nach nicht in einem Verbandstarifvertrag sinnvoll geregelt werden können – z. B. die Einführung eines speziellen auf den einzelnen Arbeitgeber zugeschnittenen Versorgungswerkes. Der Abschluss eines Firmentarifvertrages kommt in diesem Zusammenhang aber auch in Betracht, wenn es um Regelungsgegenstände geht, die zwar auf Verbandsebene geregelt werden könnten, für die sich aber bislang innerhalb des Verbandes noch keine konsensfähige Mehrheit gefunden hat. Der Abschluss eines Firmentarifvertrages bietet sich aus Sicht der Gewerkschaft ferner an, wenn sie sich auf der Verbandsebene nicht durchsetzten konnte, ihr Organisationsgrad und damit ihre Durchsetzungskraft in einigen Unternehmen aber gegenüber dem verbandsweiten Durchschnitt höher ist und deswegen auf der Ebene des einzelnen Unternehmens ein Tarifabschluss möglich erscheint.78 Umgekehrt ist es denkbar, dass es dem Arbeitgeber wegen der besonderen Eigenart des einen oder anderen Mitgliedsunternehmens auf der Unternehmensebene eher möglich ist, gegenüber der Gewerkschaft eine bestimmte tarifliche Regelung durchzusetzen. Beispielhaft könnte man hier z. B. an die Einführung einer leistungsorientierten Vergütung denken, für die sich auf Verbandsebene zwar noch kein Modell finden ließ, ein solches auf der Ebene einzelner Mitgliedsunternehmen aber vorhanden ist.

IV. Unternehmenskrisen Auch im Zuge von Unternehmenskrisen kommt es des öfteren zum Abschluss von Firmentarifverträgen. Ein solcher bietet sich hier an, um zu Sanierungszwecken zeitlich befristet von den Regeln des Verbandstarifvertrages nach unten abzuweichen.79 Einige Verbandstarifverträge sehen den Abschluss derartiger „Sa78 Hierzu Buchner, Beilage Nr. 9 zu DB 2001, S. 2. Ob und inwieweit hier der abgeschlossene Verbandstarifvertrag auch bezüglich der bislang nicht geregelten Bereiche eine Friedenspflicht entfaltet, ist eine Frage des Einzelfalles und soll hier nicht vertieft werden. Siehe hierzu nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1078 ff. mit weiteren Nachweisen. 79 Berühmtestes Anwendungsbeispiel für den Abschluss eines solchen Firmentarifvertrages ist der sog. „Holzmann-Fall“. Hier verpflichteten sich die Arbeitnehmer des Holzmann-

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem

57

nierungsfirmentarifverträge“80 bei Unternehmenskrisen sogar ausdrücklich vor.81 In inhaltlicher Hinsicht drängen die Gewerkschaften darauf, dass der Sanierungsfirmentarifvertrag nicht nur eine reine – zeitlich befristete – Absenkung der materiellen Arbeitsbedingungen beinhaltet, sondern sich der Arbeitgeber als Gegenleistung dazu verpflichtet, für einen gewissen Zeitraum betriebsbedingte Kündigungen nicht auszusprechen (sog. Beschäftigungsgarantie) oder von geplanten Betriebsstillegungen bzw. Umstrukturierungen Abstand zu nehmen. Teilweise sehen derartige „Sanierungsfirmentarifverträge“ auch die Gründung sog. Qualifizierungsgesellschaften vor, in denen Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz im Unternehmen weggefallen ist – meist befristet – weiterbeschäftigt und / oder umgeschult werden.82 Rechtlich sind Firmentarifverträge, die unmittelbar Regelungen zur Betriebsstillegung oder Betriebsumstrukturierung enthalten, deswegen problematisch, weil sie den Kernbereich der Unternehmensfreiheit des Arbeitgebers tangieren und damit die höchst kontrovers beurteilte Frage aufwerfen, inwieweit die Unternehmensautonomie des Arbeitgebers der Tarifautonomie der Gewerkschaften in inhaltlicher Hinsicht Grenzen setzt.83

V. Betriebsvereinbarungsersetzende Firmentarifverträge Im Zusammenhang mit den soeben erörterten Unternehmenskrisen kommt dem Firmentarifvertrag gelegentlich nicht nur die Funktion zu, zur Sanierung des Unternehmens von den Vorgaben des Verbandstarifvertrages befristet abzuweichen. Teilweise substituiert er in diesen Fällen auch den gem. §§ 111 ff. BetrVG in Form einer Betriebsvereinbarung abzuschließenden Interessenausgleich und / oder Sozialplan. Dies geschieht in aller Regel nicht gegen, sondern in bewusstem Zusammenwirken mit dem jeweiligen Betriebsrat.84 Der Vorteil des Abschlusses eines Firmentarifvertrages gegenüber dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung liegt hier darin, dass die Gewerkschaft den Firmentarifvertrag – zumindest nach h. M. – notfalls auch mit Arbeitskampfmitteln erzwingen kann. Anders als bei den bislang Konzerns, wöchentlich auf die Vergütung für 5 Überstunden zu verzichten. Die Überstunden wurden auf einem „Sanierungsarbeitszeitkonto“ gutgeschrieben und sollten in den Jahren 2002 – 2007 in Freizeit abgegolten werden. (Vgl. hierzu Dieterich, RdA 2002, 1, 6; Rieble, NZA 2000, 225, 225 f.). 80 So der Begriff bei Buchner, Beilage Nr. 9 zu DB 2001, S. 2. 81 Hierzu auch Dieterich, RdA 2002, 1, 6; Kittner, FS Schaub, 389, 394 ff.; Hickel / Kurtzke, WSI-Mitt. 1997, 98 ff. 82 Vgl. zu firmentarifvertraglich geregelten Beschäftigungszusagen die Nachweise bei Wieland, Firmentarifverträge, S. 219. Hierzu auch Buchner, Beilage Nr. 9 zu DB 2001, S. 1 f. Zur Vereinbarung von Qualifizierungsmaßnahmen Zabel, AiB 1998, 615 ff. 83 Vgl. hierzu nur LAG Hamm vom 31. 5. 2000, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf sowie Lieb, DB 1999, 2058, 2065 und Blanke, PersR 2002, 227, 235 ff. – jeweils mit weiteren Nachweisen. 84 Zu diesem Konzept auch Zabel, AiB 1998, 615 ff.

58

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

erörterten Fallgruppen ist es hier also so, dass dem Firmentarifvertrag eine betriebsvereinbarungsersetzende Funktion zukommt. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 111 ff. BetrVG kann es vorkommen, dass ein Firmentarifvertrag betriebsvereinbarungsersetzende Regelungen enthält. Hier werden die Beteiligten aber aus Praktikabilitätsgründen stets darauf zu achten haben, ob es sich bei den zu regelnden Gegenständen um betriebliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche Normen im Sinne von § 3 Abs. 2 TVG handelt, die ebenso wie die Betriebsvereinbarung unabhängig von der jeweiligen Organisationszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers betriebsweit gelten. Nur in diesem Fall dürfte aus Sicht der Beteiligten die Vereinbarung eines betriebsvereinbarungsersetzenden Firmentarifvertrages nämlich sinnvoll sein.

VI. Betriebsverfassungsrechtliche Organisationstarifverträge Ein weiteres Anwendungsfeld des Firmentarifvertrages eröffnet die im Zuge der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgenommene Liberalisierung des § 3 BetrVG zugunsten betriebsverfassungsrechtlicher Organisationstarifverträgen.85 Nach dieser Norm können durch Tarifvertrag ein anderer Zuschnitt der betriebsverfassungsrechtlich relevanten Organisationseinheit sowie eine vom Modell des Betriebsverfassungsgesetzes abweichende andere Arbeitnehmervertretungsstruktur geregelt werden. Dass hierfür, da es ersichtlich auf die jeweiligen Besonderheiten des Betriebes bzw. Unternehmens ankommt, allein der Firmentarifvertrag – allenfalls noch der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag – als tarifliches Regelungsinstrument in Betracht kommt, liegt auf der Hand. Auch hier wird es daher zukünftig vermehrt zum Abschluss von Firmentarifverträgen kommen. Neben den firmentariflichen Regelungen im Bereich des § 3 BetrVG kommt es auch vor, dass in Firmentarifverträgen einzelne Beteiligungsrechte des Betriebsrates erweitert werden.86 So kann z. B. auch mit Hilfe des Firmentarifvertrages die in § 102 BetrVG vorgesehene Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch einer Kündigung zu einem Zustimmungserfordernis ausgeweitet werden.87

85 So auch die Einschätzung von Buchner, Beilage Nr. 9 zu DB 2001, S. 3. Siehe zu § 3 BetrVG n. F. auch Plander, NZA 2002, 483 ff. 86 Inwieweit dies überhaupt zulässig ist, ist umstritten. Das BAG nimmt eine solche Befugnis der Tarifvertragsparteien an. Vgl. nur BAG vom 10. 2. 1988, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG. Zum Streitstand generell siehe Richardi, BetrVG, Einleitung Rn. 142 ff. mit weiteren Nachweisen. 87 Ein weiteres Beispiel zur Erweiterung der Mitbestimmung durch Tarifvertrag führt Zabel, AiB 1997, 431 ff. an.

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem

59

VII. Tarifliche Regelungen übertariflicher Zulagen Vermehrt während der Hochkonjunkturphase in den 70er Jahren, vereinzelt aber auch noch heute, nutzen die Gewerkschaften den Firmentarifvertrag schließlich dazu, tariflich bislang nicht geregelte Zulagen bestimmter besonders leistungsstarker Unternehmen einer tariflichen Regelung zuzuführen.88 Angesichts der momentan andauernden konjunkturellen Krise spielt diese Funktion des Firmentarifvertrages derzeit praktisch aber nur eine sehr untergeordnete Rolle.

VIII. Quantitatives Verhältnis der verschiedenen Anwendungsbereiche zueinander Nach einer vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) 1996 durchgeführten Auswertung von rund 2.000 Firmentarifverträgen von 600 Unternehmen aus den Branchen verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe und Handel ergibt sich hinsichtlich der verschiedenen Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im Verhältnis zur Gesamtanzahl aller ausgewerteter Firmentarifverträge folgendes Bild:89 Art des Firmentarifvertrages

Alte Bundesländer Neue Bundesländer in % in %

Insgesamt in %

„typischer“ Firmentarifvertrag

31,4

29,7

31,0

Anerkennungstarifvertrag

58,5

58,5

58,5

Überleitungstarifvertrag

2,4

0,7

2,0

technischer Tarifvertrag

4,7

2,2

4,2

vorübergehend abgesenkter Firmentarifvertrag

3,0

8,9

4,3

Dabei erfasst der vom IfM als „typischer“ Firmentarifvertrag bezeichnete Firmentarifvertrag diejenigen Konstellationen, in denen im Firmentarifvertrag unternehmensspezifische Abweichungen vom Verbandstarifvertrag vorgesehen sind.90 In dieser Gruppe sind damit im Wesentlichen die Firmentarifverträge der Ziffern I.a), II.), III.), V.) und VII.) zusammengefasst. Demgegenüber erfasst die Gruppe des Anerkennungs- und Überleitungstarifvertrages die hier unter Ziffer I.b) zusammengefassten Firmentarifverträge. Ein Überleitungstarifvertrag ist nach dem IfM ein Firmentarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen zur Vorbereitung eines Verbandsbeitritts nach und nach denjenigen des einschlägigen Verbandstarifver88 89 90

Siehe hierzu nur Hess, Zulässigkeit, S. 2 ff. IfM, Möglichkeiten, S. 98. IfM, Möglichkeiten, S. 98.

60

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

trages anpassen soll.91 Technische Firmentarifverträge sind nach dem IfM die hier unter Ziffer VI.) behandelten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationstarifverträge.92 Die Gruppe der vorübergehend abgesenkten Firmentarifverträge erfassen nach dem IfM diejenigen Firmentarifverträge, in denen aufgrund Unternehmenskrisen vom Niveau des Verbandstarifvertrages zugunsten des Arbeitgebers abgewichen wird.93 Hier sind also die in Ziff. IV.) genannten Firmentarifverträge gemeint. Bemerkenswert an dieser Aufstellung ist der hohe Anteil der Anerkennungstarifverträge. Dies mag damit zusammenhängen, dass sich ein Großteil der nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber ohne die Unterstützung eines Arbeitgeberverbandes gegenüber den Gewerkschaften nicht im Sinne eines eigenen, unternehmensspezifischen Tarifwerks durchsetzen kann. Die Gründe hierfür mögen aber auch darin liegen, dass viele nicht verbandsangehörige Unternehmen mit der Tarifpolitik des für sie fachlich zuständigen Verbandes im Grunde einverstanden sind, also durchaus bereit sind, dessen Tarifergebnis zu übernehmen, aus finanziellen oder auch persönlichen Gründen einen Beitritt in den Arbeitgeberverband aber dennoch ablehnen.94 Der Abschluss eines Firmentarifvertrages im Zuge von Unternehmenskrisen nimmt demgegenüber mit 4,3% Gesamtanteil nur einen verhältnismäßig geringen Stellenwert ein. Dies verwundert, ist doch allein der Firmentarifvertrag regelmäßig rechtlich zulässiges Regelungsinstrument, um zeitweise von den Regelungen eines bestehenden Verbandstarifvertrages nach unten hin abzuweichen. Erklären lässt sich dies nur damit, dass – wie schon in der Einleitung angeführt95 – derartige Absenkungen vielfach unter Verstoß gegen die §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG mit Hilfe von Betriebsvereinbarungen vorgenommen werden.

IX. Inhaltliche Unterschiede zwischen Firmentarifvertrag und Verbandstarifvertrag Inwieweit Firmentarifverträge in materieller Hinsicht von den Inhalten einschlägiger Verbandstarifverträge abweichen, hat das IfM anhand einer Auswertung von 502 Unternehmen mit Firmentarifverträgen untersucht.96 Von diesen 502 untersuchten Unternehmen wiesen 30,5% der Unternehmen in ihren Firmentarifverträgen Abweichungen gegenüber dem einschlägigen Verbandstarifvertrag auf.97 Differenziert man diese Abweichungen danach, ob sie günstiger oder ungünstiger 91 92 93 94 95 96 97

IfM, Möglichkeiten, S. 98 f. IfM, Möglichkeiten, S. 99. IfM, Möglichkeiten, S. 99. So die Erklärung des IfM, Möglichkeiten, S. 100. Siehe § 1 A. IfM, Möglichkeiten, S. 101. IfM, Möglichkeiten, S. 102.

E. Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages im geltenden Tarifsystem

61

für den Arbeitgeber sind, ergibt sich folgendes, nach Unternehmensgrößen gegliedertes Bild:98 10 – 49 50 – 199 200 – 499 Über 500 Ohne Beschäftigte Beschäftigte Beschäftigte Beschäftigte Angaben

Insgesamt

Zugunsten des Unternehmens in %

18,0

23,0

19,8

11,1

13,3

18,3

Zu Lasten des Unternehmens in %

4,9

10,7

15,1

19,2

8,3

12,2

Die Abweichungen zu Gunsten und zu Lasten des jeweiligen Unternehmens halten sich damit bezogen auf die Gesamtzahl der Unternehmen die Waage. Interessanterweise enthalten Firmentarifverträge mit kleineren Unternehmen wesentlich häufiger Abweichungen zugunsten des Arbeitgebers als Firmentarifverträge mit größeren Unternehmen. Über die Gründe hierfür kann man nur spekulieren. Ein Aspekt ist sicher das in einem kleineren Unternehmen vorhandene engere persönliche Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber, welches eher veranlassen wird, Abstriche bei den materiellen Arbeitsleistungen hinzunehmen. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften bei kleineren Unternehmen mutmaßlich eher als bei größeren Unternehmen bereit sein werden, von den Regelungen des einschlägigen Verbandstarifvertrages zugunsten des Unternehmens abzuweichen, da bei Abschlüssen von Firmentarifverträgen mit kleinen Unternehmen regelmäßig nicht die Gefahr einer negativen Signalwirkung für die gesamte Branche droht.

X. Zusammenfassung Die dargestellten Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages zeigen, dass diesem im geltenden Arbeitsrechtssystem ganz verschiedenartige Funktionen zukommen, der Firmentarifvertrag also multifunktional einsetzbar ist. Es liegt daher durchaus nahe, den Firmentarifvertrag als tarifliche „Allzweckwaffe“ zu bezeichnen, die immer dann zur Anwendung kommt, wenn mithilfe der klassischen kollektiven Regelungsinstrumente – Verbandstarifvertrag und Betriebsvereinbarung – keine adäquate Lösung eines konkreten Problems erreicht werden kann. Die verschiedenen Anwendungsbereiche des Firmentarifvertrages machen aber auch deutlich, dass dieser nur in seltenen Ausnahmefällen als alleiniges kollektives Regelungsinstrument in Erscheinung tritt. Vielmehr kommt dem Firmentarifvertrag in den meisten Fällen lediglich eine Modifizierungs-, Ergänzungs- oder auch Lückenfüllerfunktion zu; mithin setzen seine Regelungen bereits die Existenz anderer kollektiver Regelungswerke voraus. Wirklich eigenständige und in sich abgeschlos98

IfM, Möglichkeiten, S. 102.

62

§ 2 Rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung

sene Regelungen enthält der Firmentarifvertrag demgegenüber nur in Ausnahmefällen. Im Verhältnis der einzelnen Erscheinungsformen des Firmentarifvertrages zueinander dominiert auch derzeit noch die „klassische“ Funktion des Firmentarifvertrages, nicht verbandsangehörige Arbeitgeber tariflich zu erfassen. Sollte das Bestreben nach einer zunehmenden Flexibilisierung des Tarifsystems zugunsten maßgeschneiderter unternehmensbezogener Tarifregelungen weiter an Gewicht gewinnen, dürfte die Funktion des Firmentarifvertrages als Flexibilisierungsinstrument gegenüber dem flächendeckenden Verbandstarifvertrag aber noch deutlich an Gewicht gewinnen.

§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers Voraussetzung für den Abschluss eines Firmentarifvertrages ist die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Sie ist zwar im Grundsatz durch § 2 Abs. 1 TVG anerkannt, dennoch stellen sich Zweifelsfragen.

A. Die rechtliche Bedeutung der Tariffähigkeit Der Begriff Tariffähigkeit umschreibt die Fähigkeit, Partei eines Tarifvertrages zu sein.1 Zutreffend definiert das BVerfG: „Tariffähigkeit bedeutet die Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler u. a. die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrages mit der Wirkung zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten.“2 Wer nicht tariffähig ist, kann somit keine Tarifverträge abschließen. Ein nicht tariffähiger Arbeitgeber kann daher auch nicht Partei eines Firmentarifvertrages sein. Die Tariffähigkeit ist abzugrenzen von der Rechtsfähigkeit und der Geschäftsfähigkeit. Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.3 Da auch nichtrechtsfähige Vereinigungen – dies entspricht auf Gewerkschaftsseite sogar dem Regelfall – tariffähig sein können, ist die Tariffähigkeit kein schlichter Unterfall der Rechtsfähigkeit. Beides ist vielmehr voneinander zu trennen.4 Demgegenüber umschreibt die Geschäftsfähigkeit die Fähigkeit, selbstständig und mit voller Wirksamkeit Rechtsgeschäfte abzuschließen.5 Ebenso wie die Rechtsfähigkeit hat auch sie keine Auswirkungen auf die Tariffähigkeit. Auch ein geschäftsunfähiger Arbeitgeber bleibt tariffähig und kann wirksam Partei eines 1 Siehe nur BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 313; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 522; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 3; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 8 ff.; Wieland, Firmentarifverträge, S. 41 ff.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 379, jeweils mit weiteren Nachweisen. 2 BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 313. 3 Soergel-Fahse, § 1 Rn. 1; Habermann / Weick in: Staudinger, vor § 1 Rn. 1; Palandt-Heinrichs, BGB, Überbl. vor § 1 Rn. 1; Larenz / Wolf, AT, § 5 Rn. 2 Fn. 1; MüKo-Schmitt, § 1 Rn. 6; Westermann in: Erman, BGB, vor § 1 Rn. 1. 4 So auch die zutreffende Argumentation von Wieland, Firmentarifverträge, S. 41 sowie Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen auf die Gegenansicht, die die Tariffähigkeit als Teil- oder Sonderrechtsfähigkeit ansieht. 5 Soergel-Hefermehl, vor § 103 Rn. 1; Palandt-Heinrichs, BGB, Einf. vor § 104 Rn. 2; MüKo-Schmitt, § 104 Rn. 1.

64

§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Tarifvertrages werden, wenn er sich beim Tarifvertragsabschluss von seinem gesetzlichen Vertreter vertreten lässt.6

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen ist § 2 Abs. 1 TVG, der die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers konstitutiv regelt. Eine vereinzelt gebliebene Auffassung, nach der die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers schon originär aus dessen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel folge und nicht erst konstitutiv in § 2 Abs. 1 TVG geregelt sei,7 hat richtigerweise keine Anhängerschaft gefunden. Eine Normsetzungsmacht aus einer wie auch immer verstandenen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel herleiten zu wollen, entbehrt einer juristischen Grundlage. Selbst wenn man auf die in Art. 14 GG postulierte Sozialpflichtigkeit des Eigentums abstellen wollte, ließe sich hieraus schwerlich die Tariffähigkeit des Arbeitgebers ableiten.

I. Der Arbeitgeberbegriff des § 2 Abs. 1 TVG Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG bestimmt apodiktisch, dass der „einzelne Arbeitgeber“ tariffähig ist. Arbeitgeber ist nach der herkömmlichen Definition jeder, der mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt.8 Diese Definition muss auch dem Arbeitgeberbegriff des § 2 Abs. 1 TVG zugrunde gelegt werden.9 Hieraus folgt zunächst, dass Partei eines Firmentarifvertrages nicht nur jede natürliche, sondern auch jede juristische Person sein kann, sofern sie Arbeitnehmer beschäftigt.10 Letzteres ist sogar der Regelfall. Partei eines Firmentarifvertrages können auch Personengesellschaften sein. Für die Offene Handelsgesellschaft 6 So zu Recht auch Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 240; Nipperdey / Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II A, I 1 a (Lieferung 8. 2. 1970); Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 13; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 5. 7 So ohne weitere Begründung Radke, DB 1965, 1176, 1178. 8 Brox / Rüthers, Arbeitsrecht, S. 20; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, S. 160; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 96; MhdbAR-Richardi, § 30 Rn. 1; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 135; Wieland, Firmentarifverträge, S. 43 f.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 52. 9 Siehe nur Teschner, Firmentarifvertrag, S. 5 f. 10 Einhellige Ansicht siehe nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 97; Wieland, Firmentarifverträge, S. 43 f. Tariffähig sind sowohl juristische Personen des Privatrechts, hier ist insbesondere an die Kapitalgesellschaften zu denken, als auch solche des öffentlichen Rechts, hier ist insbesondere an die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten zu denken.

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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(OHG), die Kommanditgesellschaft (KG), die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWiV) und die Partnerschaftsgesellschaft (PartG) folgt dies bereits aus den speziellen gesetzlichen Regelungen, die diesen Gesellschaften eine Teilrechtsfähigkeit zuerkennen.11 Ob auch die BGB-Gesellschaft Partei eines Firmentarifvertrages sein kann, war lange Zeit umstritten. Die Entscheidung dieses Streits hing maßgeblich von der Beantwortung der vorgelagerten – gesellschaftsrechtlichen – Frage ab, ob die BGB-Gesellschaft nur eine nicht rechtsfähige Gesamthand ist oder ob ihr eine Teilrechtsfähigkeit analog den Rechtsverhältnissen der OHG zukommt.12 Für die Praxis ist diese Streitfrage mittlerweile aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 200113 geklärt. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung ausdrücklich klargestellt, dass die nach außen auftretende BGB-Gesellschaft teilrechtsfähig analog § 124 HGB sei.14 Da jede BGB-Gesellschaft als Arbeitgeberin zwangsläufig nach außen auftritt, kommt ihr damit stets Teilrechtsfähigkeit im Sinne des § 124 HGB zu. Auch die BGBGesellschaft kann also „Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen“ (§ 124 Abs. 1 HGB) und damit Tarifverträge im eigenen Namen abschließen. Sie ist daher auf Arbeitgeberseite ebenfalls mögliche Partei eines Firmentarifvertrages. Problematisch sind Konstellationen, in denen auf Arbeitgeberseite ein Konzern in Erscheinung tritt. Ein Konzern ist die Gesamtheit rechtlich selbstständiger unter einheitlicher Leitung zusammengefasster Unternehmen.15 Bezüglich der Tariffähigkeit muss hier differenziert werden. Nach zutreffender allgemeiner Ansicht ist der Konzern an sich weder rechts- noch tariffähig.16 Er ist auch nicht Arbeitgeber der im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer.17 Arbeitgeber und somit tariffähig sind vielmehr allein die jeweiligen Konzernunternehmen im Verhältnis zu den von ihnen beschäftigten Arbeitnehmern. Der Konzern als Ganzes ist auch trotz vereinzelter gegenteiliger Stimmen keine Vereinigung von Arbeitgebern im Sinne 11 OHG: § 124 HGB; KG: §§ 161 Abs. 2 i. V. m. 124 HGB; EWiV: Art. 1 Abs. 2 EWiV VO; PartG: §§ 7 Abs. 2 PartGG i. V. m. 124 HGB. Wie hier zur Tariffähigkeit der Personengesellschaften auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 98; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 6; Wieland, Firmentarifverträge, S. 44. A. A.: MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 40; dies., TVG, § 2 Rn. 57 die unzutreffenderweise von der Tariffähigkeit der Gesellschafter als Gesamthand ausgehen. 12 Gegen eine Tariffähigkeit: Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 57. Dafür: Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 98. 13 BGH vom 29. 1. 2001, BGHZ 146, 341 ff. 14 Vgl. Leitsatz 1 der Entscheidung des BGH vom 29. 1. 2001, BGHZ 146, 341. 15 Siehe nur die Regelungen des § 18 AktG sowie MüKoAktG-Bayer, § 18 Rn. 1; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 105; Wieland, Firmentarifverträge, S. 50. 16 Martens, RdA 1970, 173, 175. 17 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 79; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 525; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 74; Konzen, RdA 1984, 65, 78; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 58; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 240; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 105; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 10 f.; Walz, Tarifvertrag, S. 35; Wieland, Firmentarifverträge, S. 50 ff.; Windbichler, Konzern, S. 461.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

des § 2 Abs. 1 TVG.18 Hiergegen spricht schon, dass es dem Konzern regelmäßig an der für eine Vereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG notwendigen körperschaftlichen Struktur mangelt.19 Auch am Erfordernis der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft fehlt es im Verhältnis der Konzerntöchter zur Konzernleitung augenscheinlich.20 Letztlich lässt sich auch der für eine Vereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG notwendige Verbandszweck – Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen – bzw. die nach h. M. notwendige Tarifwilligkeit schwerlich begründen.21 Die Tariffähigkeit des Konzerns folgt auch nicht daraus, dass – wie ebenfalls vereinzelt angeführt wird22 – der Konzern bzw. die Konzernobergesellschaft neben den einzelnen Konzerntöchtern als zweiter Arbeitgeber aller im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Diese Auffassung scheitert schon daran, dass Arbeitsverträge in der Regel allein zwischen der Konzerntochter und dem Arbeitnehmer abgeschlossen werden.23 Auch aus einer in Betracht zu ziehenden Analogie zu § 12a Abs. 2 TVG lässt sich die Tariffähigkeit des Konzerns nicht ableiten. Es fehlt schon an der erforderlichen Planwidrigkeit einer möglichen Regelungslücke. § 12a TVG ist erst nachträglich in das TVG eingefügt worden. Er dient nach der Intention des historischen Gesetzgebers allein der Regelung der tariflichen Rechtsverhältnisse arbeitnehmerähnlicher Personen.24 Regelungen für die Tarifbindung von (echten) Arbeitnehmern sollten entsprechend der Intention des historischen Gesetzgebers demgegenüber nicht getroffen werden, so dass eine Planwidrigkeit ausscheidet.25 Aber selbst wenn man dem Konzern als solchem bzw. der Konzernobergesellschaft als Arbeitgeberin eine Tariffähigkeit zusprechen wollte, wäre hiermit nicht viel gewonnen. Fehlt es nämlich jedenfalls an einem Arbeitvertrag auf der Konzernebene, können auf dieser Ebene auch unter Zugrundelegung der Tariffähigkeit des Konzerns Tarifnormen keine Geltung beanspruchen. Die in § 4 Abs. 1 TVG angeordnete unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifnormen setzt das Be18 In diese Richtung aber Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 74; Stein, Tarifvertragsrecht, S. 32. 19 So auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 105; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 10 f.; Windbichler, Konzern, S. 462 f. 20 Zum Erfordernis der Freiwilligkeit allgemein Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 215 ff. mit weiteren Nachweisen. 21 Teschner, Firmentarifvertrag, S. 10 f.; Windbichler, Konzern, S. 462 f., 480 f. Vgl. zu diesem Merkmal allgemein Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 286 ff. mit weiteren Nachweisen. 22 Däubler, Grundrecht, S. 444 f.; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 79; Walz, Tarifvertrag, S. 39 f. 23 Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 74; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 106. 24 BT-Drks. 7 / 2382 und BT-Drks. 7 / 2025. 25 So im Ergebnis auch Wieland, Firmentarifverträge, S. 52; Windbichler, Konzern, S. 461 f.

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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stehen eines Arbeitsverhältnisses und damit eines Arbeitvertrages, auf das sie einwirken können, voraus. Da aber auf der Konzernebene kein Arbeitsvertrag besteht, würden die Normen des Tarifvertrages „in der Luft hängen“.26 Strebt der Arbeitgeber oder die Gewerkschaft dennoch eine konzernweite und damit einheitliche Tarifregelung an, lässt sich dies auf mehreren tarifrechtskonformen Wegen erreichen. So ist es beispielsweise möglich, dass die Konzernobergesellschaft mit entsprechenden Vollmachten als Vertreterin der von ihr beherrschten Unternehmen auftritt und (auch) in deren Namen Tarifverträge abschließt.27 In Betracht kommt aber auch eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und der Konzernobergesellschaft dahingehend, dass sich die Konzernobergesellschaft verpflichtet, in den von ihr beherrschten Unternehmen gleichartige Arbeitsbedingungen zu schaffen.28 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Arbeitgeber und damit tariffähig i. S. d. § 2 Abs. 1 TVG jeder ist, der mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine natürliche oder juristische Person oder eine nach außen gerichtete Personengesellschaft handelt. Der Konzern als solcher ist demgegenüber nicht tariffähig. Tariffähig sind nur die einzelnen Konzernunternehmen im Verhältnis zu den von ihnen beschäftigten Arbeitnehmern.

II. Umfang der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers Umstritten ist der konkrete Umfang der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Einigkeit besteht nur darüber, dass einzelne Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 TVG jedenfalls solange tariffähig sind, wie sie keinem tariffähigen Arbeitgeberverband angehören.29 Treten sie demgegenüber einem tariffähigen Arbeitgeber26 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 106; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 12 f.; Wieland, Firmentarifverträge, S. 54; Windbichler, Konzern, S. 464. 27 Martens, RdA 1970, 173, 181; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 107; Wieland, Firmentarifverträge, S. 56. 28 Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 59; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 107; kritisch hierzu Windbichler, Konzern, S. 469 f. 29 Siehe nur BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 318; BAG vom 20. 11. 1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; BAG vom 25. 09. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Becker, AuA 2000, 18; Beuthien, BB 1975, 477; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Buchner, DB 1970, 2025, 2029; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 3; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 63 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 523 f.; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Gumpert, BB 1958, 1316, 1317; Hess, ZfA 1976, 45, 53; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 454; Jacobs, ZTR 2001, 249, 250; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 70; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 285; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 5 f.; Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; G. Müller, DB 1992, 269, 271; Natzel, SAE 2000, 43, 48; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 240; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 112; Plander, ZTR 1999, 397, 398 f.; Reuter, NZA 2001, 1097 f.; Richardi, JurAn 1971, 141, 153;

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

verband bei, ist streitig, ob ein solcher Beitritt das Ende der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zur Folge hat. Die bislang ganz h. M., der auch das BAG folgt,30 lehnt dies zwar ab,31 sie ist jedoch gerade in letzter Zeit wiederholt kritisiert worden.32 Ob diese Kritik berechtigt ist, lässt sich nur im Wege der Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG ermitteln.

III. Wörtliche Auslegung Jede Auslegung eines Gesetzestextes hat mit dem Wortsinn zu beginnen. Er ist Grundlage, aber auch zugleich Grenze jeder Auslegung.33 Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG spricht ganz allgemein davon, dass einzelne Arbeitgeber tariffähig sind. Dem natürlichen Sprachempfinden folgend wird man hierunter zunächst zu verstehen haben, dass alle Arbeitgeber, unabhängig von einer ders. in: Staudinger, Vorbem. zu § 611 Rn. 619; Rieble, NZA 2000, 225, 229 f.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2057 f.; Söllner, Grundriß, S. 133; Stein, RdA 2000, 129, 135; Thüsing, Außenseiter, S. 133; Waas, ZTR 2000, 341; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 336 ff.; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 19 f.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 382 f. 30 BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 24. 1. 2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 4. 4. 2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 20. 2. 2002, 4 AZR 22 / 01 n.v.; BAG vom 20. 2. 2002, 4 AZR 23 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 24 / 01 n.v.; BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 31 Beuthien, BB 1975, 477; Blanke, PersR 2002, 227, 122; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; dies., Arbeitsrecht, S. 200; Buchner, DB 1970, 2025, 2029; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 64; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 524; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Gumpert, BB 1958, 1316, 1317; Hensche, RdA 1971, 9, 10; Hess, ZfA 1976, 45, 53 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 250 f.; ders., Anmerkung zu BAG vom 4. 4. 2001, AP Nr. 26 zu § 4 Tarifkonkurrenz; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 70; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 285 f.; Konzen, FS Kraft, S. 291, 315 f.; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 35; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 241 f.; Oberberg, AiB 2002, 169, 180; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 112; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101; Richardi in: Staudinger, Vorbem. zu § 611 Rn. 619; ders., JurAn 1971, 141, 152 f.; Rieble, NZA 2000 225, 229; Sandmann, Anmerkung zu BAG vom 4. 4. 2001, RdA 2002, 246, 247; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2058; Söllner, Grundriß, S. 133; Stein, RdA 2000, 135, 137; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 8 f.; Valentin, Friedenspflicht, S. 75; Waas, ZTR 2000, 341, 342; Wieland, Firmentarifverträge, S. 68 f.; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 336 ff.; Zöllner / Loritz Arbeitsrecht, S. 383; LAG Köln vom 21. 11. 2001, AP Nr. 160 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. So wohl auch BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 213, 218; BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 256. 32 Heinze, DB 1997, 2122, 2126; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 500; Lieb, DB 1999, 2058 ff.; Matthes, FS Schaub, S. 477 ff.; G. Müller, DB 1992, 269, 271; Natzel, SAE 2000, 115, 117; ders., SAE 2001, 43, 48 f.; siehe auch LAG Schleswig-Holstein vom 21. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 33 Larenz, Methodenlehre, S. 307 ff.

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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etwa bestehenden Verbandsmitgliedschaft, tariffähig sind. Dabei braucht nicht auf die Kontroverse eingegangen werden, ob der wörtlichen Auslegung das Sprachempfinden zum Zeitpunkt der Entstehung des Gesetzes oder das heutige Sprachempfinden zugrunde zulegen ist.34 Beide Auffassungen führen zu demselben Ergebnis. Hätte der Gesetzgeber demgegenüber in sprachlich eindeutiger Hinsicht verbandsangehörige Arbeitgeber von der Tariffähigkeit ausschließen wollen, hätte es eines Zusatzes wie z. B. „tariffähig sind nur nicht verbandsangehörige Arbeitgeber“ bedurft. Derartige Zusätze hat der Gesetzgeber aber unterlassen, so dass der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG für eine Tariffähigkeit auch des verbandsangehörigen Arbeitgebers spricht.35 Da nicht nur Ausgangspunkt, sondern zugleich auch Grenze jeder möglichen Auslegung der Wortsinn der Norm ist, stellt sich weiter die Frage, ob eine auf die weiteren Auslegungskriterien gestützte Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG im Sinne einer Einschränkung der Tariffähigkeit auf nicht verbandsangehörige Arbeitgeber überhaupt noch möglich ist. Sollte eine solche Auslegung mit dem Wortsinn des § 2 Abs. 1 TVG nicht mehr vereinbar sein, bliebe allenfalls der Weg über eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG gangbar.36 Der Wortsinn des Begriffs Arbeitgeber wie auch die übrige Formulierung des § 2 Abs. 1 TVG schließen aber eine Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG dahin, dass nur der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber tariffähig ist, nicht aus. Die Grenze des Wortlauts des § 2 Abs. 1 TVG wäre nur dann erreicht, wenn der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 TVG ausdrücklich eingefügt hätte „tariffähig sind sowohl einzelne verbandsangehörige als auch nicht verbandsangehörige Arbeitgeber“. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG spricht daher zwar für eine Tariffähigkeit des verbandsangehörigen sowie des nichtverbandsangehörigen Arbeitgebers, eine Einschränkung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers auf nicht verbandsangehörige Arbeitgeber würde die Grenze des Wortsinns aber nicht überschreiten.37

Hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 310 f. Vgl. nur Blanke, PersR 2002, 227, 233; Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 3 f.; Krebs, SAE 2002, 219, 220; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 112; Waas, ZTR 2000, 341, 342. Das erkennen selbst diejenigen an, die im Ergebnis eine Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ablehnen. Siehe nur Natzel, SAE 2001, 43, 48. 36 So daher Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; Waas, ZTR 2000, 341, 342. 37 Demgegenüber hält Valentin (Friedenspflicht, S. 75) eine gegenteilige Auslegung wegen des Wortlautes für ausgeschlossen. So auch Waas (ZTR 2000, 341, 342) und Matthes (FS Schaub, S. 477, 482), die aber eine teleologische Reduktion für zulässig erachten. Wie hier Jacobs, ZTR 2001, 249, 250. 34 35

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

IV. Systematische Auslegung Die systematische Auslegung betrachtet die Norm nicht isoliert, sondern sieht sie im Bedeutungszusammenhang mit dem jeweiligen Gesetz, der Rechtsordnung und allgemeinen Rechtsprinzipien.38 Das TVG selbst enthält keine weiteren Regelungen, von denen in systematischer Hinsicht auf den Inhalt des § 2 Abs. 1 TVG geschlossen werden könnte. Allerdings bestimmt § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO, dass Innungen nur solange tariffähig sind, wie der Innungsverband nicht selbst gem. §§ 82 S. 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 HandwO39 Tarifverträge abgeschlossen hat. Rieble schließt hieraus, dass der Gesetzgeber, wenn er bestimmten Gruppen die Tariffähigkeit nur in bestimmten Fällen zuerkennen wolle, dies ausdrücklich, wie in § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO geschehen, zum Ausdruck bringe.40 Da § 2 Abs. 1 TVG keine solche ausdrückliche Regelung enthalte, könne hieraus im Umkehrschluss gefolgert werden, dass gem. § 2 Abs. 1 TVG alle Arbeitgeber unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit tariffähig seien.41 Diesen Erwägungen Riebles muss man aber entgegenhalten, dass die Regelungen der HandwO allein das tarifrechtliche (Sonder-)Verhältnis der Handwerksinnungen und ihrer übergeordneten Verbände zueinander regelt. Es ist daher schon sehr zweifelhaft, ob diesen Normen überhaupt Aussagen für das allgemeine Tarifrecht entnommen werden können. Jedenfalls trifft § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO nur eine Kompetenzabgrenzung zwischen konkurrierenden Verbänden auf Arbeitgeberseite. Eine Aussage über das hier in Frage stehende Verhältnis des einzelnen Arbeitgebers zu seinem Verband kann § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO demgegenüber nicht entnommen werden. Ob und inwieweit der einzelne Handwerksmeister für sein Unternehmen neben der zuständigen Innung Firmentarifverträge abschließen kann, klärt die Regelung des § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO gerade nicht. Die §§ 54 Abs. 3 Nr. 1, 82 S. 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 HandwO sind vielmehr mit den Regelungen der §§ 2 Abs. 2 – 4, 12 TVG vergleichbar, die das Verhältnis der Arbeitgeberverbände zu ihren Spitzenorganisationen regeln. Im Gegensatz zu den §§ 2 Abs. 2 – 4, 12 TVG schließen die Regelungen der HandwO eine konkurrierende Tariftätigkeit der verschiedenen Verbandsebenen nämlich aus, während die §§ 2 Abs. 2 – 4, 12 TVG eine konkurrierende Tarifsetzung zulassen und hierdurch entstehende Überschneidungen anhand der allgemeinen Regelungen der Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz aufgelöst werden. Larenz, Methodenlehre, S. 311 ff. Zur Vereinbarkeit der Tariffähigkeit von Innungen mit dem Grundgesetz siehe BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312 ff. 40 Rieble, NZA 2000, 225, 229. 41 Rieble, NZA 2000, 225, 229. Dieser Argumentation schließen sich Jacobs, ZTR 2001, 249, 250; Krebs, SAE 2002, 219, 220 und der 1. Senat des BAG in seinem Urteil vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 38 39

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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Damit können aus § 54 Abs. 3 Nr. 1 HandwO keine Schlussfolgerungen für den Umfang der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers gezogen werden. Weitere systematische Argumente sind nicht ersichtlich, so dass sich aus der systematischen Auslegung keine Anhaltspunkte für die Interpretation des § 2 Abs. 1 TVG ergeben.42

V. Historische Auslegung (Entstehungsgeschichte und historisch-teleologische Auslegung) Die historische Auslegung will den Sinn einer Norm unter Hinzuziehung der ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers ermitteln. Sie bedient sich dabei der Entstehungsgeschichte und der historischen Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers.43 Insbesondere Matthes, Natzel und das LAG Schleswig-Holstein führen in diesem Zusammenhang aus, der historische Gesetzgeber habe die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers allein zur Erfassung der nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber regeln wollen.44 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers habe nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers allein die Funktion zu verhindern, dass sich der einzelne Arbeitgeber durch Austritt aus oder Fernbleiben von einem Verband der Tarifmacht der Gewerkschaften entziehen könne.45 Diesem Zweck sei mit Beitritt des Arbeitgebers zu einem tariffähigen Verband aber Genüge getan. Die Tariffähigkeit des einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgebers entspreche daher nicht der Intention des historischen Gesetzgebers.46 Diese Erwägungen vermögen aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen: Die in § 2 D. dargestellte Entstehungsgeschichte lässt die von Matthes, Natzel und dem LAG Schleswig-Holstein behauptete Intention des historischen Gesetzgebers nicht erkennen. Sie legt sogar die gegenteilige Annahme nahe. Wie bereits erörtert, war es in der vorparlamentarischen Phase umstritten, ob der einzelne Arbeitgeber überhaupt tariffähig sein solle.47 Der Wortlaut des ursprünglichen 42 Inwieweit § 2 Abs. 1 TVG aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen eingeschränkt auszulegen ist, soll der Übersichtlichkeit halber erst an späterer Stelle erörtert werden, auch wenn die verfassungsrechtliche Interpretation richtigerweise als Teil der systematischen Interpretation anzusehen ist. 43 Larenz, Methodenlehre, S. 315 ff. 44 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; Natzel, SAE 2001, 43, 48; LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. In diese Richtung auch Lieb, DB 1999, 2058, 2058; Hess, ZfA 1976, 45, 54. 45 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; Natzel, SAE 2001, 43, 48; LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 46 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; Natzel, SAE 2001, 43, 48; LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Entwurfs zum TVG (Entwurf I) entsprach in Bezug auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dem des geltenden TVG.48 Die Gewerkschaftsvertreter vertraten in Kenntnis dieses Entwurfs zunächst die Ansicht, dass wegen des zu erwartenden hohen Organisationsgrades der Arbeitgeber auf die in dem Entwurf vorgesehene Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers gänzlich verzichtet werden könne. Erst auf den Einwand Herschels hin, dadurch könnten Arbeitgeber, die aus irgendeinem Grund einem Verband nicht beitreten, von den Gewerkschaften tariflich nicht mehr erfasst werden, einigte man sich auf den Entwurf II zum TVG,49 der Sonderregelungen für nicht verbandsangehörige Arbeitgeber enthielt, nahm ansonsten aber von einer Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers Abstand. Später lehnten die Gewerkschaftsvertreter den Entwurf II ab und forderten nun die volle Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nach Maßgabe der TVVO vom 23. Dezember 1918.50 Wörtlich heißt es hierzu in dem Protokoll der maßgeblichen Konferenz: „Der Vertreter der Gewerkschaftsseite, Brisch, setzte sich für die ursprüngliche Fassung der Tarifvertragsordnung vom 23. Dezember 1918 ein und bat, auch dem Einzelarbeitgeber ohne Einschränkung die volle Tariffähigkeit zu gewähren.“51 Diese spätere Auffassung der Gewerkschaftsvertreter setzte sich dann endgültig auf der Konferenz in Wuppertal am 18. Dezember 1946 durch. Im Protokoll zu dieser Konferenz heißt es: „Gleich bei der Frage der Tariffähigkeit einzelner Arbeitgeber, die in den beiden Entwürfen (Anmerkung des Verfassers: Entwurf I und II) eine verschiedene Regelung erfahren hat, wurde mit Rücksicht darauf, dass in Zukunft wie bisher der einzelne Arbeitgeber eine uneingeschränkte Tariffähigkeit haben müsse, der Entwurf II einstimmig abgelehnt.“52 Diese protokollarisch festgehaltenen Erwägungen zeigen, dass der Entwurf I, auf den die Regelung der Tariffähigkeit in § 2 Abs. 1 TVG zurückgeht, in der Tradition der TVVO vom 23. Dezember 1918 stand. Da die TVVO aber ihrerseits die volle Tariffähigkeit auch des verbandsangehörigen einzelnen Arbeitgebers vorsah53, folgt hieraus, dass nach dem Willen des historischen Gesetzgebers auch im Entwurf I und dem hierauf beruhenden TVG die volle Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers vorgesehen wurde. 47 Protokoll der Besprechung des Entwurfes einer Verordnung über Tarifverträge am 21. 11. 1946 in Hamburg, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820; auch Protokoll über die Besprechung in Hannover am 22. 11. 1946, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820. 48 Siehe § 2 D I. Lemgoer Entwurf. 49 Siehe § 2 D I. Entwurf II. 50 Protokoll der Besprechung in Köln am 29. 11. 1946, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820. 51 Protokoll der Besprechung in Köln am 29. 11. 1946, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820. 52 Protokoll der Besprechung in Wuppertal am 18. 12. 1946, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820. 53 Vgl. hierzu nur E. Molitor, Tarifvertragsverordnung, § 1 Anm. 13.

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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Für diese Interpretation des Entwurfs I spricht auch, dass anderenfalls der Alternativentwurf (Entwurf II) wenig Sinn gehabt hätte. Er sollte nach Auffassung der Beteiligten doch gerade als Kompromiss zu der in dem Entwurf I zum Ausdruck kommenden vollen Tariffähigkeit auch des verbandsangehörigen Arbeitgebers und dem von den Gewerkschaftsvertretern zunächst geforderten gänzlichen Ausschluss der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dienen, damit zumindest die nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber tariflich erfasst werden könnten. Wenn die mit § 2 Abs. 1 TVG nahezu wortgleiche Regelung des Entwurfs I aber – so wie es Matthes, Natzel und das LAG Schleswig-Holstein im Ergebnis unterstellen – ohnehin nur nicht verbandsangehörige Arbeitgeber erfasst hätte, wäre der Entwurf II kein Kompromiss, sondern nicht mehr als eine Klarstellung des Entwurfs I gewesen. Dies liegt aber eher fern. Zudem hätte es angesichts der Position der Gewerkschaftsseite in der Konferenz von Wuppertal, die unter Aufgabe der bisherigen Meinungsverschiedenheiten nunmehr eine vollständige und uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers forderte, nicht nur bei einem schlichten Verwerfen des Entwurfs II bleiben können. Es wären mindestens Klarstellungen zum Entwurf I nötig gewesen. Diese sind aber nach den Protokollen nicht erfolgt. Letztlich war auch ausweislich des Protokolls der Konferenz von Wuppertal nicht die Befürchtung, einzelne Arbeitgeber tariflich gar nicht erfassen zu können, für die Durchsetzung des Entwurfs I ausschlaggebend, sondern der Gedanke, „eine möglichst weitgehende Beteiligung auch der einzelnen Arbeitgeber“54 am Tarifvertragssystem zu ermöglichen. Eine Änderung dieses Sinngehalts des Entwurfes I und des nahezu wortgleichen § 2 Abs. 1 TVG könnte somit allenfalls noch im Rahmen des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens, also während der Beratungen im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, erfolgt sein. Einziger Anhaltspunkt hierfür ist die Aktennotiz Herschels vom 9. November 194855, in der dieser eine Abrede zwischen dem Direktor der Verwaltung für Arbeit Storch und einigen Abgeordneten des Wirtschaftsrats wiedergibt. Nach dieser Abrede sollte eine amtliche Verlautbarung des Inhalts erfolgen, dass bei § 2 Abs. 1 TVG nur an die nichtverbandsangehörigen Arbeitgeber gedacht sei. Vor allem Matthes und Natzel schließen hieraus, § 2 Abs. 1 TVG solle nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers nur nicht verbandsangehörige Arbeitgeber erfassen.56 Hiergegen spricht aber, dass während der gesamten Gesetzgebungsarbeiten im Wirtschaftsausschuss die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers niemals Gegenstand protokollarisch festgehaltener Diskussionen war. Wenn der letztlich beschlossene § 2 Abs. 1 TVG vom oben festgestellten Inhalt des eingebrachten Entwurfs I hätte abweichen sollen, dann hätte es hier aber eingehendere Diskussionen geben müssen. Die besagte Aktennotiz allein – die im übrigen auch die Mehrheit des Wirtschaftsausschusses hätte wieder54 Protokoll der Besprechung in Wuppertal am 18. 12. 1946, Bundesarchiv Koblenz B 13149 / 9820. 55 Siehe oben § 2 D III. 56 Natzel, SAE 2001, 43, 48.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

geben müssen – reicht jedenfalls für eine derartige Schlussfolgerung nicht aus. Der in ihr angesprochenen Klarstellung ist zudem auch keine offizielle Verlautbarung gefolgt. Es findet sich allein der bereits erwähnte „private“ Aufsatz Herschels im Arbeitsblatt.57 § 2 Abs. 1 TVG stimmt somit nach der Intention des historischen Gesetzgebers inhaltlich mit der Regelung des Entwurfs I überein. Da der Entwurf I aber seinerseits in der Tradition der TVVO stand, folgt hieraus, dass § 2 Abs. 1 TVG die Tariffähigkeit sowohl des verbandsangehörigen als auch des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers vorsehen wollte. Auch die historischen Auslegung ergibt daher, dass der verbandsangehörige ebenso wie der nichtverbandsangehörige Arbeitgeber gem. § 2 Abs. 1 TVG tariffähig ist.58

VI. Objektiv-teleologische Auslegung Die objektiv-teleologische Auslegung bestimmt den Zweck einer Norm unter Hinzuziehung von übergeordneten Kriterien der Rechtsordnung wie Zweckmäßigkeit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit.59 Auf den richtigen Maßstab für die im Folgenden vorzunehmende Zweckbetrachtung weist Waas hin, der betont, dass die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers primär dem Schutz der Gewerkschaften diene.60 § 2 Abs. 1 TVG soll zur Überwindung des strukturellen Ungleichgewichts auf Arbeitnehmerseite den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer ein funktionierendes System von Gesamtvereinbarungen zur Verfügung stellen. Die vorzunehmende Zweckbetrachtung hat daher nicht aus dem Blickwinkel der Arbeitgeber-, sondern primär der Arbeitnehmerseite zu erfolgen.61 Die Befürworter einer nur eingeschränkten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bringen in diesem Zusammenhang vor, dass die uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers gegen einen Hauptzweck des Tarifvertragsgesetzes – die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sinnvoll zu ordnen62 – verHerschel, Arbeitsblatt 1949, 22, 23. So im Ergebnis auch Beuthien, BB 1975, 477, 477; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 94. Jacobs (ZTR 2001, 249, 250) meint demgegenüber, aus der historischen Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG keinerlei Rückschlüsse auf die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ziehen zu können. 59 Larenz, Methodenlehre, S. 322 ff. 60 Waas, ZTR 2000, 341, 342; ders., Friedenspflicht, S. 108. 61 Waas, ZTR 2000, 341, 342. 62 Zur Ordnungsfunktion des Tarifrechts siehe nur Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 13 ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. aber auch zur (fehlenden) verfassungsrechtlichen Absicherung dieser Ordnungsfunktion die Ausführungen in § 3 C. I. 2. d) aa) mit weiteren Nachweisen. 57 58

B. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 TVG

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stoße.63 Eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens sei nur dann möglich, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien ein Verhandlungsgleichgewicht bestehe. Dies sei aber nur gegeben, wenn auch der einzelne Arbeitgeber bei den Tarifvertragsverhandlungen durch einen Verband repräsentiert werde und damit unter dessen Schutz stehe. Bei Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft und dem einzelnen Arbeitgeber liege ein solches Verhandlungsgleichgewicht wegen der tatsächlichen Überlegenheit der Gewerkschaft aber nicht vor.64 Der hierdurch bedingte partielle Funktionsverlust des Tarifrechts könne nur in den Fällen hingenommen werden, in denen dies notwendig sei, um das Tarifsystem nicht leer laufen zu lassen.65 Hierfür reiche es aber aus, wenn nur der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber tariffähig sei.66 Bezüglich der verbandsangehörigen Arbeitgeber sei dieser Funktionsverlust demgegenüber nicht hinnehmbar.67 Der verbandsangehörige Arbeitgeber könne tariflich ohne weiteres über seinen Verband erfasst werden, so dass hier ein Leerlaufen des Tarifsystems nicht zu befürchten sei. Soweit trotz bestehender Verbandsmitgliedschaft ein Bedürfnis für eine tarifliche Regelung auf Unternehmensebene bestehe, könne diesem Bedürfnis zudem durch den Abschluss unternehmensbezogener Verbandstarifverträge hinreichend Rechnung getragen werden.68 Dieser Argumentation ist Folgendes entgegenzuhalten: Die Tariffähigkeit ermöglicht zunächst nur den freiwilligen Abschluss von Tarifverträgen. Dabei hat es der einzelne Arbeitgeber jederzeit in der Hand, die Verhandlungen abzubrechen, wenn er sich der Gewerkschaft und ihren Forderungen nicht gewachsen fühlt. Wegen dieser Möglichkeit scheidet ein Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten des einzelnen Arbeitgebers von vornherein aus. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers allein führt daher nicht zu einem die Funktion des Tarifrechts beeinträchtigenden Machtungleichgewicht zu Lasten des Arbeitgebers. Zudem würde eine Beschränkung der Tariffähigkeit auf nicht verbandsangehörige Arbeitgeber die gezielte tarifliche Erfassung eines bestimmten Arbeitgebers deutlich erschweren. Der einzelne Arbeitgeber könnte versuchen, sich vor seiner Tarifbindung zu „drücken“, in dem er beispielsweise kurz vor Tarifvertragsabschluss den Verband wechselt. Der Gewerkschaft bliebe dann mangels Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers nur die Möglichkeit – wenn es ihr auf die tarifliche Erfassung genau dieses Arbeitgebers ankommt – sich an den neu63 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; Natzel, SAE 2001, 43, 49. In diese Richtung auch LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 64 So für die Tariffähigkeit ausdrücklich Matthes, FS Schaub, S. 477, 482 f. und Natzel, SAE 2001, 43, 49. Größere Bedeutung kommt diesem Aspekt allerdings im Rahmen des Firmenarbeitskampfes zu. Siehe nur Lieb, DB 1999, 2058, 2059 ff. Hierzu in § 5 C. I. mehr. 65 Matthes, FS Schaub, S. 477, 483; Natzel, SAE 2001, 43, 49. 66 Matthes, FS Schaub, S. 477, 483; Natzel, SAE 2001, 43, 49. 67 Matthes, FS Schaub, S. 477, 483; Natzel, SAE 2001, 43, 49. 68 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482 ff. So auch Reuter, NZA 2001, 1097, 1099 f. In diese Richtung ebenso Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 3 f.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

en Arbeitgeberverband zu wenden, um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag abzuschließen. Auch hier könnte der Arbeitgeber dann wieder kurz vor Tarifvertragsabschluss den Verband wechseln und so seiner tariflichen Inanspruchnahme wiederum entgehen. Die Gewerkschaft wäre daher immer einen Schritt langsamer als der einzelne Arbeitgeber, weil sie mangels Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers diesen tariflich nicht unmittelbar erfassen könnte. Denkbar wäre darüber hinaus auch, dass die Verbandsmitglieder – wenn alle ihre tarifliche Erfassung verhindern wollten – ihren Verband auflösen und / oder einen neuen gründen bzw. in verschiedene andere Verbände wechseln könnten. Auch der Umstand, dass für einen wirksamen Tarifvertragsabschluss auf Verbandsebene eine kongruente Tarifzuständigkeit beider Verbände notwendig ist, würde der Arbeitgeberseite bei Ausschluss der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers erhebliche Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen, die einen erfolgreichen Tarifvertragsabschluss mindestens erschweren könnten. Eine geschickte kurzfristige Änderung der eigenen Tarifzuständigkeit auf Seiten des Arbeitgeberverbandes könnte nämlich dazu führen, dass die den Tarifvertrag anstrebende Gewerkschaft nunmehr für den Arbeitgeberverband nicht mehr tarifzuständig ist und daher den angestrebten Tarifvertrag mit ihm nicht mehr abschließen kann. Zumindest für eine im DGB organisierte Gewerkschaft ist wegen § 15 Abs. 2 der DGB-Satzung eine Änderung der eigenen Tarifzuständigkeit entsprechend der Zuständigkeitsänderung des Arbeitgeberverbandes nicht ohne weiteres möglich. Aus diesen Gründen geht daher auch der angeführte Verweis auf den unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag fehl. Ein Wegfall der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers bringt zudem Probleme im Hinblick auf bestehende Firmentarifverträge mit sich. Der Wegfall der Tariffähigkeit führt nämlich zumindest nach herrschender Auffassung dazu, dass ein bestehender Tarifvertrag ipso iure endet und seine Normen nur noch gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirken.69 Dem einzelnen Arbeitgeber wäre dadurch die Möglichkeit eröffnet, sich durch den Beitritt zu einem Arbeitgeberverband den Bindungen eines bestehenden, von ihm aber nicht mehr gewollten Firmentarifvertrages einseitig zu entziehen, ohne dass die Gewerkschaft dies verhindern könnte.70 Es ist aus teleologischen Gesichtpunkten daher geradezu notwendig, auch dem verbandsangehörigem Arbeitgeber die Tariffähigkeit zuzuerkennen. Damit spricht auch das Ergebnis der teleologischen Auslegung für eine unbeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers.

69 BAG vom 15. 10. 1980, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28. 5. 1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; Frölich, NZA 1992, 1105, 1108; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 100; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 83, 53; Richardi, Kollektivgewalt, S. 220. 70 Vgl. zu dieser Problematik auch Waas, Friedenspflicht, S. 115 ff. Ähnlich auch die Argumentation von Blanke, PersR 2002, 227, 233 f.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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VII. Ergebnis Die einfachgesetzliche Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG hat gezeigt, dass es weder aus historischen noch teleologischen Gesichtspunkten angezeigt ist, die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers von seiner Verbandsangehörigkeit abhängig zu machen. Vielmehr sprechen alle Auslegungskriterien für eine unbeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der Vorgaben des Grundgesetzes Ergibt die einfachgesetzliche Auslegung, dass der einzelne Arbeitgeber unabhängig von seiner Verbandsmitgliedschaft tariffähig ist, so könnte dieses Ergebnis aber aus verfassungsrechtlichen Erwägungen einer Korrektur bedürfen. Einwände werden hier insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der individuellen und der kollektiven Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite erhoben.71 Zu überlegen ist auch, ob die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und damit die Verlagerung der Tarifpolitik auf die Betriebsebene zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der Betriebsautonomie führt. Freilich wäre hierzu deren verfassungsrechtlicher Schutz erst zu begründen.72 Im Anschluss hieran gilt es noch zu überlegen, ob die Unternehmensmitbestimmung in verfassungsrechtlicher Hinsicht Auswirkungen auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hat.73

I. Verletzung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes oder des einzelnen Arbeitgebers? Eine Verletzung der arbeitgeberseitigen Koalitionsfreiheit durch die uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und den hierdurch ermöglichten Abschluss von Firmentarifverträgen nehmen vor allem Boldt74, Natzel75, im Ansatz aber auch Matthes76 an.77 Bevor auf diese Ansichten näher eingegangen wird, gilt es, Klarheit darüber zu schaffen, welche grundsätzlichen Vorgaben Art. 9 Hierzu mehr unter I. Hierzu mehr unter II. 73 Hierzu mehr unter III. 74 RdA 1971, 257 ff. 75 SAE 2001, 43, 48 f. 76 Matthes in: FS Schaub, S. 477 ff.; ihm folgend Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 500 f. 77 Gegen eine Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG vor allem Hensche, RdA 1971, 9 ff. 71 72

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Abs. 3 GG bezüglich des einfachgesetzlichen Tarifrechts und insbesondere der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bereithält.78 Erst auf dieser Grundlage ist nämlich eine zutreffende Beantwortung der Frage, ob die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers mit der in Art. 9 Abs. 3 GG normierten Koalitionsfreiheit in Einklang steht, möglich.79 Dabei macht es die zu diesem grundsätzlichen Problemkreis anzutreffende Flut von Veröffentlichungen und Entscheidungen nahezu unmöglich, eine vollständige Meinungsübersicht in einem im Hinblick auf den Gegenstand der Arbeit vertretbaren Umfang zu geben. Die folgenden Ausführungen müssen sich daher auf die Darstellung der wesentlichen Grundzüge der Diskussion beschränken. 1. Die Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG für das einfachgesetzliche Tarifrecht Will man die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG in Bezug auf das einfachgesetzliche Tarifrecht näher herausarbeiten, ist zunächst der Frage nachzugehen, wer überhaupt Träger des durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten grundrechtlichen Schutzes ist. Dies gilt zum einen im Hinblick darauf, ob der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG die Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite gleichermaßen erfasst80, zum anderen aber auch im Hinblick darauf, ob Art. 9 Abs. 3 GG über seinen Wortlaut hinaus neben den (potentiellen) Koalitionsmitgliedern auch die Koalitionen als solche schützt81. Erst im Anschluss hieran kann auf die Frage der sachlichen Reichweite des durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Schutzes im Hinblick auf das Tarifrecht eingegangen werden.82

a) Gleichberechtigter Schutz sowohl der Arbeitnehmerals auch Arbeitgeberseite Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet „jedermann“, sich in Koalitionen zur „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zusammenzuschließen. Eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern enthält Art. 9 Abs. 3 GG seinem Wortlaut nach nicht. Die ganz h. M. geht daher davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG sowohl die Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite gleichermaßen und gleichberechtigt schützt.83 Unterschiede in der Reichweite des durch Hierzu sogleich unter § 3 C I. 1. Hierzu sogleich unter § 3 C I. 2. 80 Hierzu sogleich unter a). 81 Hierzu unter b). 82 Hierzu dann unter c). 83 Siehe nur BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BAG vom 2. 8. 1963, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAG vom 14. 2. 1967, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 111 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 457; 78 79

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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Art. 9 Abs. 3 GG gewährten Schutzes sollen sich allenfalls dann ergeben, wenn diese sich aus der Natur der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ergeben.84 Nur vereinzelt trifft diese herrschende Meinung auf Widerspruch. Vor allem Berghäuser85 versucht zu begründen, dass sich Art. 9 Abs. 3 GG allein an die Arbeitnehmerseite richte und keinen bzw. einen nur eingeschränkten grundrechtlichen Schutz für die Arbeitgeberseite bereithalte. 86 Richtig hieran ist, dass die Aufnahme der Koalitionsfreiheit in Art. 159 WRV als unmittelbare Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 3 GG ihren Ursprung in entsprechenden Forderungen der Arbeitnehmerseite hatte.87 Zutreffend hebt Berghäuser auch hervor, dass die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG primär der Überwindung des strukturellen Ungleichgewichts der Arbeitnehmerseite dient.88 Jedoch ist – und hierin liegt der Haupteinwand gegen die Auffassung Berghäusers – der Grundgesetzgeber bei dieser reinen „Überwindungsfunktion“ des Art. 9 Abs. 3 GG nicht stehen geblieben. Art. 9 Abs. 3 GG räumt den sozialen Gegenspielern nämlich das Recht ein, zur Überwindung des strukturellen Ungleichgewichts das Arbeitsleben selbstständig und eigenverantwortlich zu ordnen und zu befrieden.89 Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet damit neben der reinen „Überwindungsfunktion“ auch einen Bereich sozialer Selbstverwaltung,90 der es den Koalitionen ermöglicht, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Diese verfassungsrechtlich gewährleistete soziale Selbstverwaltung bedingt es aber, dass der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die Arbeitnehmer- sondern auch die Arbeitgeberseite erfasst. Eine autonome Ordnung des Arbeitslebens ohne die gleichberechtigte verfassungsrechtliche Absicherung auch der Tätigkeit der Arbeitgeberseite ist nämlich nicht möglich. Mit der herrschenden Meinung ist daher für die weiteren Ausführungen davon auszugehen, dass Art. 9 Abs. 3 GG die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gleichermaßen schützt.91 Kühling, AuR 1994, 126, 131; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 81; MhdbARLöwisch / Rieble, § 243 Rn. 21; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 183; ders., ZfA 1980, 357 ff. 84 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 180. 85 Koalitionsfreiheit, S. 1 ff. 86 Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 179. In diese Richtung auch Dammann, Tarifvertrag, S. 137 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, S. 48; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 80 ff.; Radke, FS Brenner, S. 112, 132. 87 Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 167 ff. 88 Berghäuser, Koalitionsfreiheit, S. 174 ff. So auch Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 80 ff. 89 BVerfG vom 6. 5. 1984, BVerfGE 18, 18, 27; Lerche, Zentralfragen, S. 26 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 159. 90 Lerche, Zentralfragen, S. 27. 91 Diese Auffassung kommt auch in der Europäischen Sozialcharta (ESC) Art. 5, 6 zum Ausdruck, die ausdrücklich auch der Arbeitgeberseite Schutz gewährt. Hierauf weist zu Recht Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 180 hin.

80

§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

b) Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet seinem Wortlaut nach jedem Grundrechtsträger, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Dies umfasst – es sei hier zum besserem Verständnis ein Vorgriff auf die noch folgenden Ausführungen erlaubt – in sachlicher Hinsicht über das eigentliche „bilden“ hinaus jedenfalls auch das Recht, Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG beizutreten und sich in ihnen zu betätigen.92 Diesen das einzelne (potentielle) Koalitionsmitglied schützenden Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG bezeichnet man als die individuelle Koalitionsfreiheit. 93 Der durch die individuelle Koalitionsfreiheit gewährte Schutz wäre aber sinnentleert, wenn neben dem einzelnen Grundrechtsberechtigten als (potentiellen) Koalitionsmitglied nicht auch die ihn aufnehmende oder von ihm gegründete Koalition selbst dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterfiele. Im Ergebnis ist daher einhellig anerkannt, dass auch die Koalitionen als solche den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen (sog. kollektive Koalitionsfreiheit). 94 Streitig ist aber seit langem, wie dieser Grundrechtsschutz der Koalitionen grundrechtsdogmatisch zu begründen ist.

aa) Die Lehre vom Doppelgrundrecht Das BVerfG und die h. L. sehen in Art. 9 Abs. 3 GG ein Doppelgrundrecht, dass neben dem oben beschriebenen Schutz des einzelnen (potentiellen) Koalitionsmitglieds als Individuum gleichzeitig und originär auch die Koalition als solche 92 So die ganz h. M. Siehe nur BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 312; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 27. 3. 1979, BVerfGE 51, 77, 87 f.; BVerfG vom 15. 7. 1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 17. 2. 1981, BVerfGE 57, 220, 245; BVerfG vom 14. 6. 1983, BVerfGE 64, 208, 213; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 76 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 147 f.; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 444 ff.; Dütz, Arbeitsrecht, S. 224; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 25; Lerche, Zentralfragen, S. 25 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 20 ff.; ErfKSchlachter, Art. 9 GG Rn. 14 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 222 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 87; ders., RdA 1969, 321, 330. 93 Vgl. nur Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 88 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 147 ff.; Dütz, Arbeitsrecht, S. 224; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 25; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 103 ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 62 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 169. 94 Siehe nur BVerfG vom 23. 4. 1986, BVerfGE 73, 261, 270; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 38; BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 357; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 282; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 64 ff.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 102 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 100; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 459; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 113 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 246 Rn. 1 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 81 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 33 f., 37; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 1975.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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schützt.95 „Die individualrechtliche Gewährleistung setzt sich nach feststehender Rechtsprechung des BVerfG in einem Freiheitsrecht der Koalition selbst fort.“96 Nur wenn auch den Koalitionen als solchen der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zukomme, sei der von dieser Grundrechtsnorm intendierte effektive Schutz der Koalitionsfreiheit gewährleistet.97 Zwar spreche der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nur von der Koalitionsfreiheit des Einzelnen. Der Grundgesetzgeber wollte mit der Statuierung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG aber an die Tradition der Weimarer Reichsverfassung anknüpfen. Da Art. 165 Abs. 1 S. 2 WRV ausdrücklich auch einen Schutz der Koalitionen vorsah, müsse Gleiches für Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gelten.98 Daher schütze Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG entgegen seinem missverständlichem Wortlaut nicht nur den Einzelnen, sondern ebenso die Koalition als solche. Wegen dieses in zweierlei Hinsicht gewährleisteten Schutzes der Koalitionsfreiheit bezeichnet man diese Auffassung auch als Lehre vom Doppelgrundrecht.99

bb) Art. 19 Abs. 3 GG als Anknüpfungspunkt (Scholz) Die von Scholz begründete Gegenansicht lehnt die Einordnung der Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht und damit einen unmittelbaren aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden grundrechtlichen Schutz der Koalitionen ab.100 Ein grundrechtlicher Schutz der Koalitionen werde vielmehr allein über die Rechtsstellungsgarantie des Art. 19 Abs. 3 GG vermittelt.101 Dieser über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelte Schutz führe aber nicht zu einem eigenen, originären Grundrechtsschutz der Koalitionen, 95 BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 319; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 4. 7. 1991, BVerfGE 92, 365, 393; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 38; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 282; BAG vom 23. 2. 1979, AP Nr. 29 zu Art. 9 GG; BAG vom 23. 9. 1986, AP Nr. 45 zu Art. 9 GG; BAG vom 2. 6. 1987, AP Nr. 49 zu Art. 9 GG; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 64 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 100; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 459; Friese, Betriebsverfassung, S. 39 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 181 ff.; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 113 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 244 Rn. 9; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 72 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 39 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 1975; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 21. 96 BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 282. 97 Friese, Betriebsverfassung, S. 39 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 181 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 37, jeweils mit weiteren Nachweisen. 98 BVerfG vom 18. 11. 1954, BVerfGE 4, 96, 101 f.; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 319; Gragert, Flexibilisierung, S. 7. 99 Vgl. nur Friese, Betriebsverfassung, S. 38; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 181. 100 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25. 101 Bruhn, Tariffähigkeit, S. 86 f.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 70; Lambrich, Betriebsautonomie, S. 161 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, S. 142; Richardi in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 541; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25, 170.

6 Witt

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

sondern stelle sich lediglich als gebündelte Ausübung der individuellen Koalitionsfreiheit der einzelnen Mitglieder dar.102 Zur Begründung ihrer Ansicht führen die Vertreter dieser Auffassung aus, dass die h. M. mit der Annahme eines eigenen, originären Grundrechtsschutzes der Koalitionen den personalen Charakter der Grundrechte verkenne. Das Grundgesetz gewähre Vereinigungen außerhalb des Art. 19 Abs. 3 GG keinen weiteren grundrechtlichen Schutz.103 Durch die von der h. M. dennoch systemwidrig vorgenommene Ausdehnung des über Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Schutzes auch auf die Koalitionen verkomme die individuelle Koalitionsfreiheit zu einem reinen Beteiligungsrecht des Einzelnen an der kollektiven Koalitionsfreiheit seines Verbandes. Dies führe zu schwer lösbaren Konflikten zwischen der individuellen Koalitionsfreiheit der einzelnen Mitglieder und kollektiven Koalitionsfreiheit des Verbandes.104 Es müsse daher auch im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG dabei bleiben, dass ein Schutz der Koalitionen allein über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelt werde. cc) Stellungnahme Einer Stellungnahme zu diesem Streitstand kann nicht mit dem von Scholz angeführten Einwand, beide Ansichten kämen in praktischer Hinsicht ohnehin zu gleichen Ergebnissen, aus dem Weg gegangen werden.105 Dies mag in den Fällen zutreffen, in denen es nicht zu innerverbandlichen Konflikten zwischen den einzelnen Koalitionsmitgliedern und der Koalition als solcher kommt. Treten derartige Konflikte aber auf, so ist es von entscheidender Bedeutung, ob man die Koalition lediglich als „Gesamthand“106 oder „Treuhänder“107 der gebündelten Einzelgrundrechte ihrer Mitglieder begreift oder ob man der Koalition (auch) einen eigenständigen und von der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder losgelösten Grundrechtsschutz zukommen lässt. Im ersten Fall läge eine Grundrechtskollision nämlich allein im Verhältnis der Koalitionsmitglieder untereinander vor, während im zweiten Fall eine solche Grundrechtskollision auch im Verhältnis des einzelnen Mitgliedes zu seiner Koalition einträte. Da die Tariffähigkeit des einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgebers zu Konflikten der bezeichneten Art führen kann, können beide Ansichten auch im Rahmen der hier behandelten Problematik zu verschiedenen Ergebnissen führen, so dass eine Stellungnahme nötig ist. 102 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 21 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, S. 213 f. Gamillscheg (Kollektives Arbeitsrecht, S. 183) bezeichnet diese Lehre daher plastisch als „Bündelungstheorie“. 103 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 70; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25. 104 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 63; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25. 105 So Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25, 170. 106 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 183. 107 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 183.

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Der von Scholz begründeten Auffassung ist insoweit beizupflichten, als die Grundrechte in der Tat primär die einzelnen (natürlichen) Personen als Individuen schützen sollen.108 Es entspricht dem durch Art. 19 Abs. 3 GG bestätigten Regelfall des Grundrechtsschutzes tatsächlich nicht, wollte man mit der h. M. auch den Koalitionen originäre (Grund-)Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG einräumen. Diesem Einwand muss aber der spezifische Bedeutungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG entgegengehalten werden, welcher letztlich die vom Normalfall abweichende Behandlung der Koalitionen rechtfertigt. Wenn man die Koalitionsfreiheit der Verbände nämlich wie Scholz auf die „gebündelte“ Ausübung der individuellen Rechte ihrer Mitglieder beschränken wollte, würde dies zu Schutzlücken innerhalb der Koalitionsfreiheit führen, die der Intention des Art. 9 Abs. 3 GG zuwiderliefen. So wäre es nur schwerlich erklärbar, wie beispielsweise der Arbeitskampf, der auch nach Scholz durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sein soll,109 vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst werden könnte.110 Die Koalitionsfreiheit schützt einen „Individualarbeitskampf“ zumindest auf Arbeitnehmerseite nämlich nach einhelliger Ansicht nicht. Im Gegenteil, ein derartiger „wilder Streik“ ist unzulässig.111 Gewährt die Koalitionsfreiheit aber keinen Schutz des „Individualarbeitskampfes“, so ist nur schwer begründbar, wie die Bündelung eines nicht vorhandenen Rechts zu einem verfassungsrechtlichen Schutz des Arbeitskampfes auf der Verbandsebene führen soll. Schon dieser Beispielsfall zeigt, dass der spezifische Bedeutungsgehalt der Koalitionsfreiheit entgegen dem grundrechtlichen Normalfall den originären Schutz der Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG fordert. Gleichfalls ist das von Scholz angeführte Argument, die Anerkennung einer eigenen Koalitionsfreiheit der Verbände würde zu schwer lösbaren grundrechtsimmanenten Konflikten zwischen der kollektiven Koalitionsfreiheit des Verbandes und der individuellen Koalitionsfreiheit der Mitglieder führen,112 nur wenig stichhaltig. Auch wenn Art. 9 Abs. 3 GG ein schrankenloses Grundrecht ist, findet es gleichwohl seine immanenten Schranken in den Grundrechten anderer und dabei insbesondere auch in der individuellen Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitglieds.113 Insofern hat bei Konflikten des Verbandes mit seinen Mitgliedern eine Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz stattzufinden.114 Zu Lasten der kollektiven Koalitions108 Zur Schutzrichtung der Grundrechte umfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, § 70 mit weiteren Nachweisen. 109 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 364 ff. 110 Hierauf weist auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 184 hin. 111 Vgl. nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1085 ff.; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 69 ff. 112 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 25; ders., Koalitionsfreiheit, S. 62 ff. 113 Vgl. nur Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 128, insb. Rn. 130 mit weiteren Nachweisen. 114 So auch Gragert, Flexibilisierung, S. 7; zur praktischen Konkordanz siehe Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, § 82 mit weiteren Nachweisen.

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freiheit des Verbandes ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz der Koalitionen kein Selbstzweck ist, sondern nur dazu dient, die individuelle Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitgliedes nicht leer laufen zu lassen und zu vervollkommnen.115 Gerade unter Beachtung dessen ist der von Scholz befürchtete Konflikt zwischen der individuellen Koalitionsfreiheit des Einzelnen und der kollektiven Koalitionsfreiheit des Verbandes befriedigend zu lösen. Es ist daher mit der h. M. davon auszugehen, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nicht nur die einzelnen (potentiellen) Koalitionsmitglieder, sondern auch die Koalition als solche schützt. Eines Rückgriffs auf Art. 19 Abs. 3 GG bedarf es insoweit nicht. c) Sachlich-gegenständliche Reichweite der Koalitionsfreiheit Galten die bisherigen Ausführungen in erster Linie dem personellen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, befassen sich die folgenden Ausführungen mit dem zentralen Problem des Art. 9 Abs. 3 GG – der Bestimmung seines sachlichen Schutzbereiches. Die Bestimmung des sachlichen Schutzbereiches bereitet besondere Probleme. Sie lassen sich zum einen auf den knappen Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zurückzuführen, der gerade für die Bestimmung des Umfangs der kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit wenig Anhaltspunkte bereit hält.116 Zum anderen hängen sie aber auch damit zusammen, dass Art. 9 Abs. 3 GG stark variierende Sachverhaltskonstellationen erfasst, die es schon im Ausgangspunkt schwer machen, einen gemeinsamen Obersatz und damit Prüfungsmaßstab zu finden.117 So reichen die im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG diskutierten Sachverhalte von der gewerkschaftlichen Werbung im Betrieb,118 der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen,119 dem Arbeitskampfrecht120, bis eben zu dem hier behandelten Bereich der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Es gibt demgemäß zu diesen einzelnen Problemkreisen vielfältige Stellungnahmen aus dem Schrifttum und der Rechtsprechung, die sich ihrerseits zwar um die Lösung der konkreten Einzelfragen bemühen, dabei aber oftmals eine Einordnung der Einzelfälle in ein Gesamtsystem des Art. 9 Abs. 3 GG vernachlässigen.121 Symptomatisch für diese Vorgehensweise, aber dem Urteil als Einzelfallentscheidung gleichfalls immanent, ist auch die Rechtsprechung des BVerfG. Sie hat bis heute den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG 115 Auf diese Schutzrichtung weist auch Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einführung Rn. 87 hin. 116 Friese, Betriebsverfassung, S. 176 ff. 117 Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 125. 118 BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352 ff. 119 BAG GS vom 20. 11. 1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 120 Siehe nur BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212 ff. 121 Siehe nur die Übersicht von Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 87 ff., 285 ff.

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nicht verbindlich festgelegt, sondern ist durch Missverständlichkeiten und Widersprüche geprägt. Im Folgenden soll versucht werden, die Eckpunkte dieser Diskussion unter besonderer Berücksichtigung der in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltenen Aussagen zum Tarifrecht darzustellen und hierauf aufbauend einen Lösungsansatz für die vorliegende Problematik zu entwickeln.

aa) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a) Die sog. Kernbereichslehre Bis zum Beschluss vom 26. Juni 1991122 folgte das BVerfG seiner im Urteil vom 18. November 1954123 erstmals entwickelten sog. Kernbereichslehre.124 Danach schütze die Koalitionsfreiheit in ihrer individuellen Ausprägung das Recht, einer Koalition beizutreten, ihr fernzubleiben und sich in ihr koalitionsspezifisch zu betätigen.125 Demgegenüber lasse sich die kollektive Koalitionsfreiheit in zwei Untergruppen aufteilen, nämlich zum einen in die (Koalitions-)Bestandsgarantie und die (Koalitions-)Betätigungsgarantie. 126 Hierbei umfasse die Bestandsgarantie das Recht der Koalitionen auf die eigene Existenz und Verbandsautonomie, während die Betätigungsgarantie das Recht auf nach außen gerichtetes koalitionsspezifisches Verhalten gewährleiste.127 Das damit als Bestandteil der individuellen sowie kollektiven Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich verbürgte Recht, sich koalitionsspezifisch zu betätigen, schränkt das BVerfG aber dahingehend ein, dass nur solche koalitionsspezifischen Betätigungen von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt seien, die unerlässlich sind, um die Aufgaben der Koalitionen in Gestalt der Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen wirksam verfolgen zu können.128 BVerfGE 84, 212 ff. BVerfGE 4, 96, 106. 124 Siehe nur BVerfG vom 18. 11. 1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333 f.; BVerfG vom 26. 5. 1970, BVerfGE 28, 295, 304 ff.; BVerfG vom 28. 4. 1976, BVerfGE 42, 133, 139; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 368; BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 247. 125 Siehe nur BVerfG vom 1. 4. 1983, BVerfGE 64, 208, 213; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 240, 367; BVerfG vom 23. 4. 1986, BVerfGE 73, 261, 270, jeweils mit weiteren Nachweisen. 126 So deutlich erst BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 38. 127 BVerfG vom 26. 5. 1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 368 f.; BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 246. 128 Siehe nur BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333 f.; BVerfG vom 26. 5. 1970, BVerfGE 28, 295, 304. Das BAG formuliert in einigen Entscheidungen hiervon abweichend, dass die koalitionsspezifische Betätigung notwendige Voraussetzung für den Bestand und die Funktion der Koalition sein müsse. Siehe nur BAG vom 14. 2. 1967, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG; BAG vom 30. 8. 1983, AP Nr. 38 zu Art. 9 GG. Vgl. aber auch BAG vom 23. 2. 1979, AP Nr. 30 zu Art. 9 GG. 122 123

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Selbst dieser von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistete Kernbereich ist nach dem BVerfG nicht absolut geschützt, sondern kann zum Schutz anderer Rechtsgüter nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden.129 Der vom BVerfG postulierte Schutz des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit ist damit jedenfalls nicht mit dem durch Art. 19 Abs. 2 GG gewährleisteten Schutz des Wesensgehaltes identisch, da dieser im Gegensatz zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit absolut geschützt ist und daher auch zugunsten kollidierender Grundrechte nicht einschränkbar ist.130 Die Eingrenzung der koalitionsspezifischen Betätigung auf das Unerlässliche, eben den Kernbereich der koalitionsspezifischen Betätigung, gab der Kernbereichsrechtsprechung des BVerfG sein typisches Gepräge. Dieser Rechtsprechung haben sich Teile der Literatur angeschlossen,131 sie ist aber vielfach auch auf Kritik gestoßen.132 Neben diesen zunächst einmal nur auf die klassische Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte abstellenden Ausführungen, stellte sich im Rahmen des Art 9 Abs. 3 GG für das BVerfG auch mehrfach die Frage, inwieweit die Koalitionsfreiheit der einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedarf, und welchen Anforderungen und Beschränkungen diese gesetzliche Ausgestaltung unterliegt.133 Relevant wurde diese Frage auch im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Absicherung des Tarifrechts, da dieses nach der Auffassung des BVerfG zu seiner Umsetzung eine einfachgesetzliche Regelungen benötige.134 Dass derartige einfachgesetzliche Ausgestaltungsregelungen, die gerade dazu dienen, den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG zu verwirklichen, anders zu behandeln sind als einfachgesetzliche Eingriffsregelungen, die den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG einschränken, hat das BVerfG im Grundsatz schon früh anerkannt. Dennoch hat es beide Bereiche in keiner Entscheidung klar voneinander abgegrenzt bzw. eine diesen Besonderheiten Rechnung tragende Lösung entwickelt.135 Vielmehr vermittelt die zu dieser Problematik ergangene Rechtsprechung den Eindruck, als vermenge das BVerfG 129 Siehe nur BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 321 f.; BVerfG vom 26. 5. 1970, BVerfGE 28, 295, 306; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 368 ff. 130 So auch Friese, Betriebsverfassung, S. 183 f.; Isensee, Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 172. 131 Siehe nur Hanau, AuR 1983, 257 ff.; Meik, Tarifautonomie, S. 27 ff. 132 Siehe nur Friese, Betriebsverfassung, S. 181 ff.; Kempen / Zachert, TVG, Einleitung Rn. 102 ff.; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 169 ff.; Otto, Gewährleistung, S. 1 ff. 133 BVerfG vom 18. 11. 1954, BVerfGE 43, 96, 107 f.; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 321; BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 317; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 240, 368 f. 134 BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 228; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 115; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 394. 135 Vgl. hierzu Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 169. Siehe auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 75 „wenig stringent“.

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die Problemkomplexe der Grundrechtseinschränkung und Grundrechtsausgestaltung miteinander. Beispielhaft hierfür sind folgende Ausführungen des BVerfG: „. . . bedarf die Koalitionsfreiheit der gesetzlichen Ausgestaltung. Diese bedarf nicht nur der Schaffung der Rechtsinstitute und Normenkomplexe, die erforderlich sind, um die grundrechtlich garantierten Freiheiten ausüben zu können. Die Bedeutung und Vielzahl der von der Tätigkeit der Koalitionen berührten Belange . . . machen vielmehr vielfältige gesetzliche Regelungen notwendig, die der Koalitionsfreiheit Schranken ziehen können.“136 (b) Heutige Auffassung Nachdem sich das BVerfG in der Entscheidung vom 26. Juni 1991137 erstmals von der bisherigen Kernbereichsrechtsprechung distanzierte, gab es sie in dem Beschluss vom 14. November 1995138 ausdrücklich auf. Nunmehr kommt es nach Auffassung des BVerfG für die Frage, ob ein koalitionsspezifisches Verhalten durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt ist, nicht mehr auf die Unerlässlichkeit des Verhaltens an. Vielmehr schütze Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG jegliches koalitionsspezifisches Verhalten. Wörtlich führt das BVerfG aus: „Insoweit gilt für Art. 9 Abs. 3 GG nichts anderes als für die übrigen Grundrechte.“139 Einschränkbar ist dieser Bereich koalitionsspezifischer Betätigung nach dem BVerfG nur zum Schutz anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte.140 Diese Rechtsprechungsänderung hat das BVerfG in seinen Entscheidungen vom 24. April 1996141, 24. Februar 1999142 und 27. April 1999143 bestätigt. Obwohl damit ein Wechsel der Rechtsprechung hinsichtlich des Umfangs und der Struktur des Schutzbereichs weg von einem eingeschränkten Kernbereichsschutz hin zu einer den sonstigen Freiheitsgrundrechten entsprechenden Struktur verzeichnet werden kann, hat das BVerfG bislang zur Frage des Verhältnisses des Grundrechtseingriffs zur Grundrechtsausgestaltung und damit zu den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG für das Tarifrecht noch keine klare Stellungnahme abgegeben. Vielmehr hat es in seinem Beschluss vom 14. November 1995 hierzu nur ausgeführt: „Ausgangspunkt der Kernbereichsformel ist die Überzeugung, dass das Grundgesetz die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht schrankenlos gewährBVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 368. BVerfGE 84, 212 ff., insb. 224. 138 BVerfGE 93, 352 ff. 139 BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 358. 140 BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 284 f.; BVerfG vom 27. 4. 1999, BVerfGE 100, 271, 283 f. 141 BVerfGE 94, 268, 283. 142 BVerfGE 100, 214, 221. 143 BVerfGE 100, 271, 282. 136 137

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leistet, sondern eine Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zulässt (BVerfGE 28, 295, 306; 57, 220, 245 f.).“144 Auch die späteren Entscheidungen des Gerichts enthalten insoweit keine weitergehenden Aussagen. bb) Die verschiedenen Ansichten der Lehre Wie bereits oben angeführt, ist die Kernbereichsrechtsprechung des BVerfG in der Literatur auf überwiegende Kritik gestoßen. Es haben sich verschiedene andere Ansichten zum sachlichen Schutzumfang der Koalitionsfreiheit herausgebildet. (a) Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen als Ausgangspunkt Der überwiegende Teil der Lehre differenziert zur Bestimmung des sachlichen Gewährleistungsgehaltes der Koalitionsfreiheit entsprechend den Ansätzen des BVerfG zwischen Eingriff und Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG. Im Zuge der Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG soll dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weitaus größerer Handlungsspielraum als bei einem Eingriff in das Grundrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet sein. Grundgedanke, der hinter dieser Trennung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelung steht, ist in zumindest begrifflicher Übereinstimmung mit dem BVerfG, dass einige Bereiche der Koalitionsfreiheit, um überhaupt einen konkreten verfassungsrechtlichen Schutz entfalten zu können, einer schutzbereichskonstitutiven einfachgesetzlichen Regelung bedürfen. Dies soll insbesondere auch im Hinblick auf das Tarifrecht gelten. Der Norm des Art. 9 Abs. 3 GG könnten in diesem Bereich allenfalls Grundaussagen bzw. Grundwertungen entnommen werden, die einfachgesetzlich auszugestalten seien. Differenzen innerhalb dieser Meinungsgruppe ergeben sich vor allem im Hinblick darauf, wie die Ausgestaltung vom Eingriff abzugrenzen ist, aber auch bezüglich des Umfanges und der Grenzen einer solchen Ausgestaltungsbefugnis des einfachen Gesetzgebers. (aa) Differenzierungskriterium: Natürliche und ausgestaltungsbedürftige koalitionsspezifische Betätigung (Friese)145 Friese geht mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG neben der individuellen und kollektiven Koalitionsbildungsgarantie auch die individuelle und kollektive Koalitionsbetätigungsgarantie bezüglich aller koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, die der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, schützt.146 144 145 146

BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 359. Friese, Betriebsverfassung, S. 208 ff. Friese, Betriebsverfassung, S. 220 ff.

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Friese betont mit dem BVerfG weiter, dass es Bereiche der Betätigungsgarantie gebe, die von vornherein einer Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber bedürfen.147 Zur Abgrenzung zwischen den ausgestaltungsbedürftigen und nicht ausgestaltungsbedürftigen Bereichen stellt Friese darauf ab, ob die koalitionsspezifische Betätigung ohne Bereitstellung einer einfachgesetzlichen Regelung faktisch möglich sei.148 Nur wenn dies nicht der Fall sei, liege eine Ausgestaltungsbedürftigkeit des entsprechenden Bereiches vor.149 Für diejenigen Schutzbereiche des Art. 9 Abs. 3 GG, die demgemäß keinerlei Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfen, ist nach Friese verfassungsrechtliche Schranke der Koalitionsfreiheit allein kollidierendes Verfassungsrecht (sog. absolute Garantie natürlicher koalitionsspezifischer Betätigung).150 Im Bereich der ausgestaltungsbedürftigen Betätigungsgarantie habe der Grundrechtsberechtigte gegen den Gesetzgeber dagegen nur einen Anspruch auf Schaffung eines einfachgesetzlichen Systems effektiver Handlungsmöglichkeiten, ohne dass bestimmte einfachgesetzliche Norminhalte gefordert werden könnten.151 Demgemäß unterlägen die so geschaffenen einfachgesetzlichen Regelungen auch nicht dem direkten Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG.152 Ein mittelbarer Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG entstehe aber bezüglich derjenigen einfachgesetzlichen Regelungen, ohne die die Koalitionszweckverfolgung – Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen – nicht sinnvoll gewährleistet werden könne (sog. notwendige Betätigungsformen).153 Ein Unterlassen oder ersatzloses Streichen dieser Regelungen würde einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit bedeuten (relative Garantie koalitionsspezifischer ausgestaltungsbedürftiger Betätigung).154 Für die traditionellen Handlungsformen bestehe eine Vermutung der Notwendigkeit.155 Die Ausgestaltung selbst müsse zudem im Interesse einer effektiven Freiheitswahrnehmung erfolgen und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die durch sie eintretende Belastung für die Grundrechtsberechtigten genügen.156 Nach dieser Auffassung Frieses ist das gesamte Tarifrecht dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen, da die Tarifvertragsparteien aus eigener Kraft keine normativ auf die Arbeitsverhältnisse einwirkenden Tarifverträge vereinbaren können.157 Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Tariffähigkeit 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157

Friese, Betriebsverfassung, S. 214 ff. Friese, Betriebsverfassung, S. 214 f. Friese, Betriebsverfassung, S. 214 ff. Friese, Betriebsverfassung, S. 213. Friese, Betriebsverfassung, S. 220 f. Friese, Betriebsverfassung, S. 221. Friese, Betriebsverfassung, S. 221. Friese, Betriebsverfassung, S. 221, 223, 228. Friese, Betriebsverfassung, S. 223 ff. Friese, Betriebsverfassung, S. 229 f. Vgl. Friese, Betriebsverfassung, S. 224.

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des einzelnen Arbeitgebers kommt es daher nach Frieses Ansicht darauf an, ob diese entweder Bestandteil der mittelbar verfassungsrechtlich geschützten notwendigen Betätigungsformen ist oder, falls dies zu verneinen wäre, ob die Anerkennung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zum einen der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient und zum anderen in Bezug auf die hierdurch eintretenden Belastungen der Grundrechtsträger verhältnismäßig ist. (bb) Differenzierungskriterium: Grund- oder Rahmenbedingungen und Einzelregelungen (Wank)158 Wank geht ebenso wie Friese mit der geänderten Rechtsprechung des BVerfG von einem weiten Schutzbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsfreiheit aus.159 Umfasst seien auf der Koalitionsbetätigungsebene alle koalitionsspezifischen Tätigkeiten, ohne dass eine Einschränkung auf den Kernbereich vorgenommen werden müsse.160 Auch Wank differenziert wie Friese streng zwischen gesetzlichen Ausgestaltungen und Eingriffen.161 Nach seiner Definition liegt eine gesetzliche Ausgestaltung immer dann vor, wenn der Gesetzgeber Grund- und Rahmenbedingungen der Koalitionsfreiheit regele, während ein Eingriff dann anzunehmen sein soll, wenn der Gesetzgeber konkrete inhaltliche Einzelfragen regele.162 Beispiel für ein solches Ausgestaltungsgesetz soll das TVG sein, während das Entgeltfortzahlungsgesetz Beispiel für ein Eingriffsgesetz sei.163 Bei den Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltung differenziert Wank wiederum. Wenn es nur um die Ausgestaltung des Grundrechts selbst gehe, ohne dass in Rechte Dritter eingegriffen werde, bedürfe die Ausgestaltung keiner Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht.164 Dies bedeutet, dass die Ausgestaltungsregelung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nur dem Schutz irgendeines, nicht notwendig verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes dienen müsse.165 Anders 158 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 14. 11. 1995, JZ 1996, 629 ff.; ähnlich auch Butzer, RdA 1994, 375 ff.; Kamanabrou, RdA 1997, 22. 159 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 181; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 14. 11. 1995, JZ 1996, 629, 631. 160 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 181; ders. in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 638. 161 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 181; ders. in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 638; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 14. 11. 1995, JZ 1996, 629, 630. 162 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 181; so auch Butzer, RdA 1994, 375, 380. 163 So die Beispiele bei Butzer, RdA 1994, 375, 380, der seinen Ausführungen die Definition Wanks zugrundelegt. 164 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 182. 165 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 182.

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sei die Rechtslage aber zu beurteilen, wenn durch die Ausgestaltung in Rechte Dritter eingegriffen werde. Wank führt als Beispiel die Regelung des Streikrechts an. Dann soll auch die Ausgestaltung einer Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht bedürfen. Es liege ein Fall der Grundrechtskollision vor, der aber anders als eine herkömmliche Grundrechtskollision am Maßstab des funktionierenden Systems bzw. der Stimmigkeit der Gesamtregelung gemessen werden müsse.166 Welches Ergebnis die vom Gesetzgeber vorgenommene Ausgestaltung letztlich habe, sei verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Maxime der Ausgestaltung sei lediglich die Förderung des objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehaltes,167 wobei der Eintritt dieses Ausgestaltungserfolges einer weiten Einschätzungsprognose des Gesetzgebers unterliege, also in Bezug auf die Grundrechtsförderlichkeit nur hinreichend wahrscheinlich sein müsse.168 Jedenfalls dürfe die Ausgestaltung nicht dazu führen, dass bei generalisierender Betrachtungsweise die bisher praktizierte Grundrechtsausübung im Ergebnis beschränkt werde.169 Die Umgestaltung einer bereits vorgenommen Ausgestaltung im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG sei der allgemeinen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterworfen.170 Die frühere Kernbereichsrechtsprechung des BVerfG müsse bei der Ausgestaltung dahingehend berücksichtigt werden, dass die Ausgestaltung nicht zu einer Aushöhlung der Grundrechtsgewährleistung führen dürfe.171 Im Rahmen eines Eingriffs in Art. 9 Abs. 3 GG lässt Wank entgegen dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG als Rechtfertigung nicht nur kollidierendes Verfassungsrecht, sondern darüber hinaus auch den in Art. 2 Abs. 1 GG normierten allgemeinen Gesetzesvorbehalt ausreichen.172 Dies begründet Wank mit dem von ihm angenommenen weiten Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG bezüglich aller koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Nur für die Koalitionsbestandsgarantie passe demgegenüber die schrankenlose Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG, so dass in diesem Bereich Eingriffe nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts zulässig seien.173 Nach Auffassung Wanks ist das TVG damit dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen. Das bedeutet für die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, dass, soweit diese Grundrechte Dritter beeinträchtigt, eine AbwäWank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 182. Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 181. 168 So Butzer, RdA 1994, 375, 381, der der Ansicht Wanks folgt und diese konsequent weiterentwickelt. 169 Butzer, RdA 1994, 375, 381. 170 Butzer, RdA 1994, 375, 381. 171 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 182. 172 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 184 f.; ders. in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 638; unklar, im Ergebnis aber wohl a.A. Butzer, RdA 1994, 375, 388 ff.; auch Kamanabrou, RdA 1997, 22, 29 ff. 173 Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Bl. 184; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 14. 11. 1995, JZ 1996, 629, 631. 166 167

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

gung der betroffenen Verfassungspositionen am Maßstab der Stimmigkeit des Gesamtsystems durchzuführen ist. (cc) Differenzierungskriterium: Beeinträchtigungsintensität der Regelung (Schwarze)174 Auch Schwarze fasst den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG weit.175 Ebenso wie Friese und Wank unterscheidet Schwarze zwischen einem Eingriff und einer Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG.176 Schwarze sieht jedoch lediglich einen graduellen und keinen strukturellen Unterschied zwischen einer Ausgestaltungs- und Eingriffsregelung.177 Die Einordnung einer staatlichen Maßnahme als Eingriff oder Ausgestaltung sei nur mit Hilfe einer wertenden Betrachtungsweise zu ermitteln.178 Ein Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG liege immer dann vor, wenn die gesetzliche Regelung den Bereich des zur Koalitionszweckverfolgung Notwendigen (synonym: Erforderlichen, Unerlässlichen), also den Kernbereich im Sinne der älteren Rechtsprechung des BVerfG, betreffe.179 Einschränkungen in diesem Bereich seien nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts möglich.180 Gleichfalls sei der Gesetzgeber in diesem Bereich verpflichtet, den Grundrechtsberechtigten ein die Grundrechtswahrnehmung erst ermöglichendes einfachgesetzliches Regelungssystem zur Verfügung zu stellen.181 Aber auch außerhalb dieses Eingriffsbereiches normiere das allen Grundrechten zugrunde liegende Optimierungsgebot einen über den Kernbereich inhaltlich hinausgehenden Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, eine möglichst effektive Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit vorzunehmen.182 Innerhalb dieses Ausgestaltungsbereichs schreibe Art. 9 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber im Unterschied zu dem soeben erörterten Eingriffsbereichs kein konkretes Regelungsziel vor. Vielmehr stehe dem Gesetzgeber hier ein weites Ausgestaltungsermessen zu, in dessen Rahmen er eine umfassende Rechtsgüterabwägung vorzunehmen habe.183 Das angeführte Optimierungsgebot stelle hierbei nur einen Teilaspekt innerhalb der Abwägung dar.184 Nach Auffassung Schwarzes muss bezüglich der Tariffähigkeit des Arbeitgebers dahingehend differenziert werden, ob diese zur Koalitionszweckverfolgung not174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184

Schwarze, JuS 1994, 653 ff. Schwarze, JuS 1994, 653, 656 ff. Schwarze, JuS 1994, 653, 656 f. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. Schwarze, JuS 1994, 653, 657 ff. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. Schwarze, JuS 1994, 653, 656 f. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. Schwarze, JuS 1994, 653, 658.

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wendig ist. Ist dies der Fall, so ist die Anerkennung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nur dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn durch sie in andere Grundrechte unverhältnismäßig eingegriffen würde. Käme man demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zur Koalitionszweckverfolgung nicht notwendig sei, wäre diese Regelung verfassungsrechtlich nur dann zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber mit der Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers sein Ausgestaltungsermessen überschritten und keine ordnungsgemäße umfassende Rechtsgüterabwägung vorgenommen hätte. (b) Keine Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen Gingen die bislang referierten Ansichten im Grundsatz von einer Trennung zwischen Eingriff und Ausgestaltung aus, lehnt eine zweite Meinungsgruppe in der Literatur diese Differenzierung ab. Auch die Vertreter dieser Meinungsgruppe erkennen zwar eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des einfachen Gesetzgebers zur Schaffung und Erhaltung des Tarifrechts grundsätzlich an, leiten diese jedoch nicht aus einer in Art. 9 Abs. 3 GG verankerten Ausgestaltungsbefugnis bzw. Ausgestaltungspflicht des einfachen Gesetzgeber ab. (aa) Die Koalitionsfreiheit als liberales Freiheitsrecht bei Begründung einer Regelungspflicht aus dem Sozialstaatsprinzip (Scholz)185 Ausgangspunkt der Auffassung von Scholz ist die These, dass Art. 9 Abs. 3 GG allein der Charakter eines liberalen Freiheitsrechts zukomme. Art. 9 Abs. 3 GG könne insofern nur die Funktion eines Abwehrrechtes gegenüber dem Staat haben.186 Demgemäß enthalte Art. 9 Abs. 3 GG auch keine Verpflichtung des Gesetzgebers, den Sozialpartnern ein Tarifsystem zur Verfügung zu stellen.187 Inhaltlich enthalte Art. 9 Abs. 3 GG eine Koalitionszweckgarantie sowie die Koalitionsverfahrens-, Koalitionsmittel- und Koalitionsbestandsgarantie.188 Der Umfang des durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionszwecks sei im Grundgesetz nicht abschließend geregelt (offener Koalitionszweck).189 Zur näheren Eingrenzung des Koalitionszwecks könne aber berücksichtigt werden, dass Art. 9 Abs. 3 GG die kommunikative Ausprägung der Art. 12, 14 GG sei.190 AufScholz, Koalitionsfreiheit, S. 1 ff.; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 154 ff. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 223 ff. 187 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 173; ders., Koalitionsfreiheit, S. 258 ff. 188 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 242. 189 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 259 ff. 190 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 329 ff.; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 268. Zu dieser kommunikativen Prägung des Art. 9 Abs. 3 GG siehe im Einzelnen weiter Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 286 ff. 185 186

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grund des Charakters der Koalitionsfreiheit als kommunikative Ausprägung der für das Arbeitsrecht materiell-gegenständlich maßgeblichen Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG finde der Koalitionszweck inhaltlich seine Grenzen im Schutzbereich dieser Grundrechte.191 Die Art. 12, 14 GG würden in diesem Zusammenhang ein weites Spektrum von Tätigkeiten umfassen, die sich vor allem auf die Bereiche der vertrags-, leistungs-, sozial-, betriebs-, vermögens-, wettbewerbs- und gemeinschaftsrechtlichen Bereiche des Arbeitsverhältnisses erstrecken würden. Zumindest diese Bereiche seien daher von der Koalitionszweckgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst.192 Neben dieser den gegenständlichen Umfang der Koalitionsfreiheit näher bestimmenden Koalitionszweckgarantie gewähre die Koalitionsverfahrensgarantie den Koalitionen das Recht auf Koalitionseinigung und Koalitionsauseinandersetzung.193 Das Recht auf Koalitionseinigung umfasse dabei jede Form der Einigung der Koalitionen über den Koalitionszweck.194 Für das Recht auf Koalitionsauseinandersetzung gelte entsprechendes.195 Die Koalitionsmittelgarantie wiederum stelle die instrumentale Ausgestaltung der Koalitionsverfahrensgarantie dar.196 Sie schütze somit die einfachgesetzlich geschaffenen Regelungen der Koalitionseinigung und Koalitionsauseinandersetzung soweit sie für die Koalitionen unverzichtbar seien bzw. zu den funktionstypischen Instrumentarien gehörten.197 Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, derartige einfachgesetzliche Regelungen der Koalitionseinigung und Koalitionsauseinandersetzung den Koalitionen zur Verfügung zu stellen, enthalte aber auch die Koalitionsmittelgarantie nicht. Allerdings sei eine solche Verpflichtung des Gesetzgebers dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmen.198 Dabei schreibe das Sozialstaatsprinzip dem Gesetzgeber keine bestimmte Regelung vor. Vielmehr verpflichte es den Gesetzgeber nur, überhaupt entsprechende Instrumentarien zu schaffen, soweit sie für die verfassungsrechtliche Garantie der Koalitionseinigung und Koalitionsauseinandersetzung unverzichtbar seien.199 Die zur Zeit vorhandenen Koalitionsmittel, insbesondere das Tarifvertragssystem, seien daher nicht unmittelbar durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Sie genössen aber insofern den „funktionalen“200 bzw. mittelbaren Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG, als ein ersatzloses Streichen dieser Vorschriften die Koalitionsmittelgarantie verletzen wür191 192 193 194 195 196 197 198 199 200

Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 268. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 373. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 279. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 281. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 282. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 297. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 297 f. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 258 f. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 297; ders., Koalitionsfreiheit S. 258 ff. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 121.

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de.201 Der Gesetzgeber sei aber nicht daran gehindert, das zur Zeit geltende Tarifvertragssystem durch ein anderes, der verfassungsrechtlichen Garantie des Koalitionsverfahrens entsprechendes Regelungssystem zu ersetzen.202 Richtschnur dieser Regelung habe dabei eine möglichst effektive und freiheitliche Koalitionseinigung zu sein.203 Schließlich umfasst die Koalitionsbestandsgarantie nach Scholz das Recht der Koalition auf ihren Bestand. Allerdings sei die Bestandsgarantie entgegen der Rechtsprechung des BVerfG nicht als Institutsgarantie der Koalitionen zu verstehen, sondern als Unterfall der koalitionsspezifischen Betätigung.204 Die Koalitionen seien nur mittelbar über Art. 19 Abs. 3 GG geschützt, indem der Gesetzgeber gehalten sei, den Koalitionen „adäquate Organisationsformen“ zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Koalitionszweck- und Koalitionsmittelgarantie wahrnehmen könnten.205 Auf der Grundlage der von Scholz vertretenen liberalen Konzeption der Koalitionsfreiheit hat diese einen sehr weiten Schutzbereich. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des von Scholz postulierten verfassungsrechtlichen Schutzes der Koalitionseinigung. Scholz kommt daher nicht umhin, diesen weiten Schutzbereich durch eine entsprechende Schrankenziehung zu relativieren. Er überträgt hierfür die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auch auf die Koalitionsfreiheit. Scholz rechtfertigt diese Übertragung damit, dass sich Art. 9 Abs. 3 GG als Kommunikationsgrundrecht auch den für alle Kommunikationsgrundrechte gleichermaßen geltenden Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterwerfen müsse.206 Der Koalitionszweck könne darüber hinaus auch in den Schranken des Art. 12, 14 GG beschränkt werden.207 Legt man der verfassungsrechtlichen Beurteilung der unbeschränkten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers die Auffassung Scholz zugrunde, so kommt es darauf an, ob diese unbeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers in das den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte Recht auf Koalitionseinigung im Sinne einer Einigung über alle Frage der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen eingreift und ob dieser Eingriff durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt ist.

201 202 203 204 205 206 207

Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 120 f.; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 297. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 120 f. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 258 ff. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 242. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 255 ff. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 335 ff. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 329 ff.

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(bb) Die Lehre von der Grundrechtskonkretisierung (Säcker)208 Nach Säcker umfasst die individuelle Koalitionsfreiheit das Recht des Einzelnen, Koalitionen zu bilden, ihnen beizutreten oder fernzubleiben und sich in ihnen zu betätigen.209 Im Rahmen der kollektiven Koalitionsfreiheit differenziert Säcker zwischen vier „Unter“-Schutzbereichen. Art. 9 Abs. 3 GG schützt danach die Koalitionsbestandsund Koalitionswohlgarantie als institutionelle Garantien. Des Weiteren soll Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionszweckgarantie als funktionale Garantie und letztlich die Koalitionsmittelgarantie als instrumentale Garantie schützen.210 Die institutionelle Garantie des Koalitionsbestandes umfasse den Bestand der Koalitionen an sich,211 während die institutionelle Garantie des Koalitionswohles die Verbandsautonomie und alle Verhaltensweisen erfasse, die notwendig seien, um die Existenz und Effektivität der Koalitionen zu sichern.212 Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG und damit auch Koalitionszweck sei, das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu überwinden.213 Dazu bedürfe es nach Säcker keiner umfassenden verfassungsrechtlichen Garantie jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens.214 Erforderlich sei lediglich, dass den Koalitionen vom Gesetzgeber wenigstens ein Kernbereich autonomer Gestaltung von Arbeitsbedingungen zugewiesen werde.215 Zu diesem Kernbereich autonomer Gestaltung sollen zumindest die Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie die koalitionsrechtliche Mitgestaltung der betriebs- und unternehmensverfassungsrechtlichen Ordnung gehören.216 Korrespondierend zu dieser inhaltlichen Bestimmung der Koalitionstätigkeit durch die Koalitionszweckgarantie sei der Gesetzgeber weiter verpflichtet, im Rahmen der Koalitionsmittelgarantie den Koalitionen die entsprechenden rechtlichen Gestaltungsmittel für die Koalitionszweckverfolgung zur Verfügung zu stellen.217 Dies folge aus der im Grundgesetz allgemein vorausgesetzten Verpflichtung des Gesetzgebers, die materiellen und instrumentellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Grundrechte überhaupt verwirklicht werden können.218 Ein im Hinblick auf diese Verpflichtung geschaffenes Gesetz stellt nach der Auffassung Säckers in methodischer Hinsicht aber keine Ausgestaltung, sondern lediglich eine Konkretisierung des Grundrechts dar.219 Säcker bezeichnet diesen Vorgang als „unmittel208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218

Säcker, Grundprobleme, S. 1 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 146. Säcker, Grundprobleme, S. 146. Säcker, Grundprobleme, S. 33 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 67. Säcker, Grundprobleme, S. 20 f., 45 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 55 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 47. Säcker, Grundprobleme, S. 45. Säcker, Grundprobleme, S. 71 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 69 f.

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bare Grundrechtsprägung“ durch Erlass eines „Ausführungsgesetzes“.220 Derartige Ausführungsgesetze seien nur dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn sie die ausgeführte Grundrechtsnorm inhaltlich unzutreffend repräsentierten oder zu sonstigen Verfassungsnormen im Widerspruch stünden.221 Wann allerdings ein solcher Widerspruch anzunehmen ist, ob also schon die Beeinträchtigung anderer Grundrechte ausreicht oder aber eine Abwägung gleich welcher Art vorzunehmen ist, führt Säcker nicht weiter aus. Das Verhältnis der Grundrechtsnorm zum Ausführungsgesetz soll vielmehr mit dem der einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zur Rechtsverordnung vergleichbar sein.222 Hier wie dort habe sich das Ausführungsgesetz bzw. die Rechtsverordnung innerhalb des durch den Inhalt, Zweck und Ausmaß des Grundrechts bzw. der Ermächtigungsgrundlage gezogenen Rahmens zu bewegen.223 Solange sich das Ausführungsgesetz innerhalb dieses Bereiches bewege, sei auch eine Umgestaltung verfassungsrechtlich zulässig.224 Nach Auffassung Säckers ist das TVG als einfachgesetzliche Ausprägung der Koalitionsmittelgarantie ein solches grundrechtskonkretisierendes Ausführungsgesetz. Die uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist demnach auf der Grundlage der Thesen Säckers dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das TVG die Koalitionsfreiheit zutreffend repräsentiert, den Koalitionen also einen Kernbereich autonomer Gestaltung überlässt, und nicht zu sonstigen Verfassungsnormen im Widerspruch steht. (cc) Das Tarifwesen als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Institutsgarantie (Kemper)225 Kemper versucht, das Verhältnis des Tarifvertragsgesetzes zur Koalitionsfreiheit über die Figur der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie zu lösen. Er führt aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG seinem Wortlaut nach unmittelbar nur die Bildung von Koalitionen schütze.226 Hierunter fielen zunächst alle Handlungsweisen, die unter das Wort „bilden“ subsumiert werden könnten. Dies sei namentlich das Recht, eine Koalition zu gründen, ihr beizutreten sowie aus ihr wieder auszutreten oder von ihr fernzubleiben.227 Auch das interne Verhalten der Mitglieder einer Koalition, wie Säcker, Grundprobleme, S. 95 ff., 148. Säcker, Grundprobleme, S. 148. 221 Säcker, Grundprobleme, S. 103. 222 Säcker, Grundprobleme, S. 103. 223 Säcker, Grundprobleme, S. 103. 224 Säcker, Grundprobleme, S. 91 ff. 225 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 1 ff., ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 165 ff. 226 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 133; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 198. 227 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 134 ff.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 191 ff. 219 220

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z. B. die innere Organisation und Geschäftsführung,228 und nach außen gerichtetes Verhalten, wie z. B. das Werben neuer Mitglieder229, werde direkt vom Begriff „bilden“ umfasst und unterfalle daher dem unmittelbaren Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Eine Einschränkung dieses unmittelbaren Schutzes soll nur zugunsten schutzbedürftiger Belange Dritter und öffentlicher Interessen zulässig sein.230 Durch die in Art. 9 Abs. 3 GG vorgenommene Zweckbestimmung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ seien über den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus weiter alle diejenigen Verhaltensweisen geschützt, die zur Verfolgung des Koalitionszweck „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ notwendig seien.231 Gerade auch die Tarifsetzung als Mittel zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen werde so vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst.232 Der verfassungsrechtliche Schutz der Tarifautonomie beschränke sich aber nicht auf die reine Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern gewährleiste auch die Schaffung und den Bestand von Normen, die den Tarifvertragsparteien erst ermöglichen, tariflich tätig zu werden.233 Insofern beinhalte Art. 9 Abs. 3 GG über seine Funktion als liberales Freiheitsrecht hinaus eine den Gesetzgeber zur Ausgestaltung verpflichtende Institutsgarantie des Tarifvertragswesens.234 Diese Institutsgarantie des Tarifwesens und die damit verbundene Regelungspflicht des einfachen Gesetzgebers umfasse aber nicht den gesamten Regelungsbestand des TVG, sondern nur dessen Kernbereich.235 Dieser beschränke sich auf gewisse typische Merkmale des Tarifwesens, wie sie sich in der geschichtlichen Entwicklung als charakteristisch herausgebildet haben.236 Hierunter sollen z. B. das Recht der Koalitionen, Gesamtvereinbarungen mit normativer Wirkung abschließen zu können,237 und das Verbot der staatlichen Zwangsschlichtung fallen.238 Dieser Kernbereich entspreche in sachlicher Hinsicht der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG.239 228 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 134 f.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 191. 229 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 192 ff. unter Aufgabe seiner bisherigen gegenteiligen Ansicht in Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 143 ff. 230 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 136. 231 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 204. 232 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 206. 233 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 225 f. 234 Kemper, Koalitionsfreiheit S. 65 ff.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 173. 235 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 232, zum Umfang dieses Kernbereichs insb. Rn. 234 ff. 236 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 143 ff.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 232. 237 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 235. 238 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 236. 239 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 25 f.

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Ob auch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zum Kernbereich des Instituts Tarifwesen gehört, erörtert Kemper nicht. Wäre dies der Fall, wären verfassungsrechtliche Einwände gegen sie von vornherein unbegründet. Ist die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers aber vom Kernbereich der Koalitionsfreiheit nicht erfasst, kommt es für die Verfassungsmäßigkeit darauf an, ob diese gesetzliche Regelung in andere Grundrechte eingreift und ob dieser Eingriff gegebenenfalls gerechtfertigt ist, wobei als Rechtfertigung jedenfalls nicht mehr die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Bereitstellung eines Tarifsystems herangezogen werden kann, da diese nur bezüglich des Kernbereiches existiert. (dd) Verfassungsrechtlicher Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens bei Anwendung der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG (Löwisch)240 Löwisch geht vom verfassungsrechtlichen Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens aus.241 Im Rahmen dieses koalitionsspezifischen Verhaltens sei auch die Tariftätigkeit der Verbände geschützt.242 Diesen weiten Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG relativiert Löwisch dadurch, dass er die Schranke der für die Privatautonomie geltenden allgemeinen Rechtsordnung aus Art. 2 Abs. 1 GG auf die Koalitionsfreiheit überträgt.243 Diese Übertragung begründet Löwisch mit dem Argument, dass die rechtlichen Befugnisse der einzelnen Koalitionsmitglieder nicht dadurch erweitert werden könnten, dass sie sich zu einer Koalition zusammenschlössen.244 Nur für diejenigen Betätigungen, die in Analogie der Kernbereichslehre des BVerfG für die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit unerlässlich seien, könne nicht auf die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern müsse auf die des Art. 9 Abs. 2 GG sowie die des kollidierenden Verfassungsrechts zurückgegriffen werden.245 Art. 9 Abs. 3 GG verpflichte den Gesetzgeber zudem, den Koalitionen den Kernbereich eines einfachgesetzlichen Tarifsystems zur Verfügung zu stellen.246 Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers kommt es unter Zugrundelegung der Auffassung Löwischs darauf an, ob sie zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehört. Ist dies der Fall, wäre sie nur dann verfassungswidrig, wenn hiergegen überwiegende andere Verfassungsrechte sprächen. Gehört sie nicht zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit, wäre die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verfassungswidrig, wenn sie aus sonstigen Gründen unverhältnismäßig ist. In Bezug auf die Tariffähigkeit des nicht verbands240 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., §§ 237, 239. Nunmehr anders und zwischen Eingriff und Ausgestaltung differenzierend MhdbAR-Löwisch / Rieble, §§ 244, 246. 241 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 237 Rn. 1 ff., insb. Rn. 7. 242 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 239 Rn. 40 ff. 243 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 237 Rn. 30 ff. 244 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 237 Rn. 30. 245 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 237 Rn. 51 ff., insb. Rn. 55. 246 MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 239 Rn. 40.

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gebundenen Arbeitgebers hält Löwisch ausdrücklich fest, dass diese zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehöre.247 (ee) Verfassungsrechtlicher Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens bei Anwendung der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG (Henssler)248 Auch Henssler nimmt einen verfassungsrechtlichen Schutz jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens an. Unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG führt Henssler aus, dass die schrankenlose Gewährleistung der Koalitionsfreiheit aber nur für die Koalitionsbildungs- und nicht für die Koalitionsbetätigungsgarantie passe.249 Zwar wolle der Grundgesetzgeber die Betätigungsgarantie nicht ausdrücklich vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG ausschließen, die Folgen eines Schutzes auch der Koalitionsbetätigungsgarantie durch Art. 9 Abs. 3 GG seien von ihm aber einfach übersehen worden.250 Henssler schließt die sich hieraus ergebende Regelungslücke des Art. 9 Abs. 3 GG ebenso wie Scholz mit einem Rückgriff auf die in Art. 5 Abs. 2 GG geregelte verfassungsrechtliche Schranke der allgemeinen Gesetze.251 Darüber hinaus sei Art. 9 Abs. 3 GG im Bereich der Betätigungsgarantie durch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkbar, was auf einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt hinausliefe.252 Eine weitergehende Differenzierung in Eingriff und Ausgestaltung lehnt Henssler indessen ab.253 Eine Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers führt nach Henssler nur dazu, dass der grundrechtliche Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG noch hinter denjenigen von Grundrechten mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt zurückbliebe, was dem Sinn des Art. 9 Abs. 3 GG zuwiderlaufe.254 Die Statuierung eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts im Bereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit führt nach Henssler aber nicht dazu, dass in die Tarifautonomie immer und jederzeit eingegriffen werden könne, solange nur ein sachlicher Grund vorläge. Vielmehr sei im Rahmen der auch bei einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung eine abgestufte Beurteilung angebracht.255 Auch die Koalitionsbetätigungsfreiheit enthalte einen Wesensgehalt, der gem. Art. 19 Abs. 2 GG trotz des Gesetzesvorbehaltes nicht antastbar sei.256 Hinzu komme der vom BVerfG als Kernbereich bezeichnete Bereich der Koalitionsbetäti247 248 249 250 251 252 253 254 255 256

MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 239 Rn. 75. Henssler, ZfA 1998, 1 ff. Henssler, ZfA 1998, 1, 3 f. Henssler, ZfA 1998, 1, 4. Henssler, ZfA 1998, 1, 6. Henssler, ZfA 1998, 1, 6. Henssler, ZfA 1998, 1, 11 f., so auch Bieback, AuR 2000, 201, 202. Henssler, ZfA 1998, 1, 11 f. Henssler, ZfA 1998, 1, 12. Henssler, ZfA 1998, 1, 12.

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gung.257 Eingriffe in diesen Bereich seien so schwerwiegend, dass sie bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführenden Abwägung nur dann gerechtfertigt sein könnten, wenn sie ihrerseits zugunsten kollidierender Verfassungsrechte erfolgten.258 Nur außerhalb dieses Kernbereichs sei demnach eine „einfache“ Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der auch unterverfassungsrechtliche Gesichtpunkte zum Tragen kommen könnten. 259 Nach Henssler käme es für die Verfassungsmäßigkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers darauf an, ob sie dem Wesens-, dem Kernbereich oder der sonstigen Koalitionsbetätigung zuzuordnen wäre. Sie wäre dann entweder in jedem Fall verfassungsgemäß, nur dann verfassungswidrig, wenn sie gegen vorrangige andere Verfassungsrechte verstieße oder bereits dann verfassungswidrig, wenn andere unterverfassungsrechtliche Rechtsgüter unverhältnismäßig beeinträchtigt würden. cc) Stellungnahme (a) Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelung Die im vorherigen Abschnitt dargestellten Ansichten haben eines deutlich gemacht: Art. 9 Abs. 3 GG ist auf der einen Seite ein klassisches Freiheitsgrundrecht, welches dem Einzelnen und der Koalition Schutz vor einfachgesetzlichen Eingriffen in den – noch zu bestimmenden – Schutzbereich bietet. Auf der anderen Seite bedarf Art. 9 Abs. 3 GG aber auch und gerade einfachgesetzlicher Ausgestaltungsregelungen, damit sein Schutzgehalt überhaupt verwirklicht werden kann. Diese Gegenüberstellung klingt zunächst widersprüchlich, macht aber das im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG anzutreffende permanente Spannungsverhältnis zwischen im Grundsatz zu unterlassenden gesetzlichen Eingriffsregelungen und zur Verwirklichung des Schutzgehalts erforderlichen gesetzlichen Ausgestaltungsregelungen anschaulich deutlich. Der erste Schritt zur Bestimmung des sachlichen Gewährleistungsgehaltes der Koalitionsfreiheit muss daher darin bestehen, beide Arten gesetzlicher Regelungen voneinander abzugrenzen. Nicht weiter hilft demgegenüber das Vorgehen derjenigen, die die gesetzlichen Ausgestaltungs- und Eingriffsregelungen nicht strikt voneinander trennen wollen und inhaltlich mit nahezu gleichen Maßstäben an Art. 9 Abs. 3 GG zu messen versuchen.260 Vor allem Henssler261, aber auch Bieback262 tendieren in diese Richtung. Ein solches VorHenssler, ZfA 1998, 1, 12. Henssler, ZfA 1998, 1, 12. 259 Henssler, ZfA 1998, 1, 12. 260 So vor allem Henssler, ZfA 1998, 1 ff. In diese Richtung aber auch BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 368; BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 41 ff.; Bieback, AuR 2000, 201, 202; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 75; MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., §§ 237, 239. 261 Henssler, ZfA 1998, 1 ff. 262 Bieback, AuR 2000, 201, 202. 257 258

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gehen übersieht, dass zwischen Ausgestaltung und Eingriff ein struktureller und nicht bloß ein gradueller Unterscheid besteht.263 Eingriffsregelungen hat der Gesetzgeber nämlich möglichst zu unterlassen, während er Ausgestaltungsregelungen zu treffen hat. Regelungen, die der einfache Gesetzgeber prinzipiell zu unterlassen hat, können aber nicht auf der Grundlage der gleichen Maßstäbe beurteilt werden wie Regelungen, die der einfache Gesetzgeber zu treffen hat. Eine andere Beurteilung wäre allenfalls dann angebracht, wenn Art. 9 Abs. 3 GG überhaupt keiner Ausgestaltung bedürfte und es damit auch keine Ausgestaltungsregelungen im Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG gäbe. Dies würde aber voraussetzen, dass sich schon dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit selbst allein mittels Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ein vollständiger und abschließender Schutz entnehmen ließe, ohne dass es für dessen Verwirklichung einer ausgestaltenden einfachgesetzlichen Regelung bedürfte. Eine solche umfassende Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG scheitert aber bereits an dem knappen Wortlaut der Vorschrift. Ein solcher Versuch würde die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG allzu schnell zum „Spielball bloßer Behauptungen“264 degradieren. Auch der von Henssler angeführte Verweis darauf, dass eine Ausgestaltung ähnlich belastend wie ein Eingriff wirken kann,265 steht einer notwendigen Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff nicht entgegen. Er macht nur deutlich, dass die Grundrechtsausgestaltung nicht unbeschränkt zulässig ist, sondern Grenzen unterliegt.266 Letztlich vermeidet auch die vorgeschlagene Übertragung von Grundrechtsschranken anderer Grundrechte auf die Koalitionsfreiheit die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung nicht.267 Der Grundgedanke dieses Ansatzes – dem einfachen Gesetzgeber durch Statuierung eines Schrankenvorbehalts einen weiten Gestaltungsspielraum zuzubilligen – ist zwar im Bereich der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit im Ansatzpunkt durchaus richtig. Dieser weite Handlungsspielraum des einfachen Gesetzgebers ergibt sich aber nicht erst aus der Übertragung fremder Grundrechtsschranken auf Art. 9 Abs. 3 GG, sondern bereits daraus, dass Art. 9 Abs. 3 GG im Ausgestaltungsbereich keine abschließenden eigenen Regelungen enthält, sondern gerade eines einfachgesetzlichen Unterbaus bedarf. Insofern ist die Übertragung von fremden Grundrechtsschranken im Ausgestaltungsbereich der Koalitionsfreiheit in methodischer Hinsicht zumindest nicht erforderlich und kann die gebotene Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen nicht vermeiden.268 263 Friese, Betriebsverfassung, S. 227; auch Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 25 f. mit weiteren Nachweisen. A. A. Schwarze, JuS 1994, 653, 658. 264 So zutreffend Säcker, Grundprobleme, S. 100. 265 Henssler, ZfA 1998, 1, 15 f. 266 Siehe hierzu sogleich § 3 C. I. 1. c) cc) (c). 267 A. A. Henssler, ZfA 1998, 1, 6; MhdbAR-Löwisch, 1. Aufl., § 237 Rn. 30; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 335 ff.

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Es gilt daher, den Eingriffs- und Ausgestaltungsbereich inhaltlich näher voneinander abzugrenzen. Ausgangspunkt hierbei muss sein, dass Art. 9 Abs. 3 GG seinem Wortlaut nach ein klassisches Freiheitsgrundrecht ist und damit in erster Linie den Einzelnen und die Koalitionen vor Eingriffen des Staates schützt.269 Den allein eingriffsschützenden und damit auf Freiheitswahrung zugeschnittenen klassischen Freiheitsgrundrechten wie beispielsweise Art. 2 GG ist eine einfachgesetzliche Ausgestaltungsbefugnis nämlich fremd.270 Im Rahmen ihres Schutzbereichs stellt sich jeder gesetzgeberische Akt als ein den Schutzbereich beeinträchtigender Eingriff dar, der der Rechtfertigung bedarf.271 Insofern ist auch im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG zunächst davon auszugehen, dass dieses Grundrecht entsprechend seinem Wortlaut primär dazu dient, staatliche Eingriffe abzuwehren. Im Zweifel ist eine einfachgesetzliche Regelung im Gewährleistungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG daher als Eingriffs- und nicht Ausgestaltungsregelung zu werten. Trotz dieses primären Abwehrcharakters des Art. 9 Abs. 3 GG darf aber folgender Aspekt – der bereits oben angeklungen ist – nicht übersehen werden: Voraussetzung für die Qualifizierung eines Grundrechts als Freiheitsgrundrecht ist, dass es dem Grundrechtsberechtigten unmittelbare eine Freiheitssphäre vermitteln kann, aufgrund derer sich der Grundrechtsberechtigte gegenüber staatlichen Eingriffen zur Wehr setzen kann. Fehlt es an einer solchen unmittelbaren Freiheitsgewährleistung, bedarf die Freiheitsgewährleistung für ihr faktisches Wirksamwerden vielmehr einer einfachgesetzlichen Regelung, würde eine rein eingriffsschützende Funktion des betreffenden Grundrechts – die gesetzliche Regelungen im Gewährleistungsbereich des Grundrechts gerade verhindern soll – dieses inhaltlich leer laufen lassen. Sie würde nämlich die notwendigen einfachgesetzlichen Ausgestaltungsregelungen gerade unterbinden und damit eine faktische Verwirklichung des Freiheitsbereiches durch eine einfachgesetzliche Komplementierung und Konkretisierung des Schutzbereiches verhindern. Ausgestaltungsbedürftige Grundrechte fordern daher anders als rein eingriffsschützende Grundrechte nicht die „Abwesenheit“, sondern „Anwesenheit“ einfachgesetzlicher Regelungen, damit ihr Freiheitsbereich von den Grundrechtsberechtigten überhaupt wahrgenommen werden kann.272 Einfachgesetzliche Regelungen wirken im Bereich der Grundrechtsausgestaltung somit auch nicht freiheitsbeschränkend, sondern freiheitsbegründend.273 268 Zur Übertragung fremder Grundrechtsschranken im Eingriffsbereich der Koalitionsfreiheit siehe unten unter § 3 C. I. 1. c) cc) (b) (cc). 269 So und damit den freiheitlichen Charakter des Art. 9 Abs. 3 GG betonend Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 1 ff.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 166; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 54; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393. 270 Anders liegen die Dinge demgegenüber bei Art. 14 Abs. 1 GG – Eigentumsgarantie –; vgl. hierzu Depenheuer in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 14 Rn. 17 ff. mit weiteren Nachweisen. 271 Hierzu allgemein Dreier in: Dreier, GG, Vorbem. Rn. 43 ff. mit weiteren Nachweisen. 272 Säcker, Grundprobleme, S. 100. 273 Vgl. Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 19 f.

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Beispiel eines solchen ausgestaltungsbedürftigen Grundrechts ist Art. 6 GG in Bezug auf den hierin verbürgten Schutz der Ehe. Ohne eine entsprechende einfachgesetzliche Regelung der Ehe und der Ehefolgen könnten sich zwar zwei Menschen zu einer dauerhaften Partnerschaft zusammenschließen, ihnen wäre es aber nicht möglich, allein aus diesem Verhalten auch nur eine Ehefolge herbeizuführen. Gäbe es in diesem Bereich nicht die Regelungen des BGB zur Ehe, würde der mit Art. 6 GG bezweckte Schutz der Ehe leer laufen. Regelungen, die die Wirkungen und Voraussetzungen einer solchen unter den Begriff der Ehe fallenden Partnerschaft zweier Menschen festlegen, sind daher keine Eingriffe in Art. 6 GG, sondern stellen eine einfachgesetzliche Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Instituts der Ehe dar.274 Die aufgrund des Wortlauts des Art. 9 Abs. 3 GG gebotene Qualifizierung der Koalitionsfreiheit als Freiheitsgrundrecht passt daher nur für diejenigen Bereiche dieses Grundrechts, die von sich heraus einen unmittelbaren Schutz des Grundrechtsberechtigten gewährleisten können. Nur in diesem Bereich stellt sich auch jede gesetzliche Regelung als Eingriff in den Schutzbereich dar. Friese fasst diesen Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG zutreffend unter dem Schlagwort der natürlichen Handlungsweisen zusammen.275 Beispiele derartiger Verhaltensweisen sind der Zusammenschluss einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zu einer Koalition unter Aufstellung eigener Koalitionsorganisationsregelungen, das gewerkschaftliche Verteilen von Webezetteln im Betrieb oder auch die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen.276 Alle diese Verhaltensweisen kann der einzelne Grundrechtsträger ohne weitere einfachgesetzliche Ausgestaltung unmittelbar schon allein aufgrund des Gewährleistungsgehalts des Art. 9 Abs. 3 GG wahrnehmen. Zwar kann es auch hier sinnvoll und unter Umständen wegen gegenläufiger Grundrechtspositionen sogar geboten sein, den Bereich der natürlichen Handlungsweisen einfachgesetzlich durchzunormieren. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass derartige grundrechtskoordinierenden Regelungen keinerlei schutzbereichskonstitutive und damit grundrechtsausgestaltende Wirkung haben. Sie sind und bleiben Eingriffsregelungen, die freilich als Rechtfertigung das kollidierende Grundrecht der jeweils anderen Seite in sich tragen. Demgegenüber passt der rein freiheitsschützende Abwehrcharakter nicht für diejenigen Bereiche der Koalitionsfreiheit, die für ihre faktische Wirksamkeit erst einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedürfen.277 Ein solcher Bereich, der der einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedarf, ist das Tarifrecht. Dass Art. 9 Abs. 3 GG auch die Tariftätigkeit der Koalitionen schützt, ist unumstritten. Der Abschluss von 274 Zu diesem Beispiel auch Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 18 f.; sowie Alexy, Grundrechte, S. 442 und Gusy, JA 1986, 183, 184. 275 So Friese, Betriebsverfassung, S. 209; auch Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 80; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 27. 04. 1999, JZ 2000, 44, 44; Schwarze, JuS 1994, 653, 656. 276 Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Arbeitskampffreiheit siehe § 5 A. 277 Ähnlich Friese, Betriebsverfassung, S. 208 ff.

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Tarifverträgen ist geradezu die klassische koalitionsspezifische Betätigung.278 Ohne einfachgesetzliche (Ausgestaltungs-)Regelung dieses Bereiches könnten die Koalitionen diesen im Grundsatz durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Freiheitsbereich nicht eigenständig wahrnehmen. Der durch Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich gewährleistete Schutz der Tariftätigkeit würde ohne einfachgesetzliche Ausgestaltungsregelung von vornherein ins Leere laufen. Weder können die Koalitionen von sich aus normativ auf die Arbeitsverhältnisse einwirkende Tarifverträge abschließen, noch hält Art. 9 Abs. 3 GG selbst eine derartige in sich abgeschlossene und keiner weiteren einfachgesetzlichen Normierung bedürfende Regelung des Tarifrechts bereit. Vielmehr benötigen die Koalitionen für ihr Tätigwerden im Bereich des Tarifrechts der einfachgesetzlichen Regelung des TVG.279 Nicht die Koalitionsfreiheit unmittelbar, sondern erst das diese ausgestaltende einfachgesetzliche TVG ermöglicht es den Grundrechtsträgern, tariflich tätig zu werden, und eröffnet ihnen damit den Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG in diesem Bereich. Allerdings trifft dies nicht für alle Bereiche des Tarifrechts zu. Die Ausgestaltungsbedürftigkeit umfasst nämlich nicht den Bereich des zulässigen Inhaltes von Tarifverträgen. Was die Grundrechtsträger inhaltlich durch Tarifverträge regeln dürfen, ist durch die in Art. 9 Abs. 3 GG getroffene Zweckbestimmung „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen“ unmittelbar vorgegeben und bedarf keiner weiteren gesetzlichen Ausgestaltung. Dies ignoriert Oetker280, wenn er in Anlehnung an Butzer281 darauf abstellt, Art. 9 Abs. 3 GG enthalte auch in diesem Bereich nur eine (ausgestaltungsbedürftige) Rahmenregelung. Ausgestaltungsbedürftig ist allein die formelle Seite des Tarifrechts, also die Frage der Voraussetzungen und Wirksamkeit von Tarifverträgen. Damit lässt sich als Zwischenergebnis folgendes festhalten: Bei gesetzlichen Regelungen im Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen zu unterscheiden. Eine Ausgestaltungsregelung liegt immer dann vor, wenn Art. 9 Abs. 3 GG für den von der Regelung betroffenen Bereich keine eigenständige und unmittelbare, also ohne einfachgesetzliche Regelung wahrnehmbare Freiheitsgewährleistung bereithält, wenn sein Schutzbereich also bezüglich dieses Bereichs „unvollkommen“ ist. Enthält Art. 9 Abs. 3 GG demgegenüber – was der Normalfall ist – eine eigenständige Freiheitsgewährleistung, ist die ein278 Siehe nur BVerfG vom 18. 11. 1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 248; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; Dieterich, RdA 2002, 1, 8; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 83; Jarras / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 28; Plander, ZTR 1988, 365, 369; ders., Gewerkschaftsbeschäftigte, S. 26; ders., AuR 1986, 65; Säcker, Grundprobleme, S. 71 ff. 279 Dies ist im Ausgangspunkt nahezu unbestritten. Siehe nur Höfling, Anmerkung zu BVerfG vom 27. 04. 1999, JZ 2000, 44, 45; auch Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 71 ff. insb. S. 81; Otto, Gewährleistung, S. 41 ff. 280 Oetker, ZG 1998, 155, 163 ff. 281 Butzer, RdA 1994, 375, 377.

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fachgesetzliche Regelung als Eingriff zu qualifizieren. Dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist das Tarifrecht zuzuordnen. Die Ausgestaltungsbedürftigkeit des Art. 9 Abs. 3 GG in diesem Bereich beschränkt sich allerdings auf das formelle Tarifrecht. Bezüglich der Frage des zulässigen Inhalts von Tarifverträgen enthält Art. 9 Abs. 3 GG demgegenüber durch seine Zweckbestimmung „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ eine in sich abgeschlossene eigenständige Regelung. Diesbezügliche Regelungen sind als Eingriffe zu qualifizieren. Bereits an dieser Stelle lässt sich noch ein weiterer Punkt für die folgende Diskussion festhalten: Wirkt die Ausgestaltung nicht freiheitsbeschränkend, sondern freiheitsbegründend, ist folgerichtige Konsequenz hieraus, dass die gesetzliche Ausgestaltung jedenfalls weniger strengen Grenzen als ein Grundrechtseingriff unterliegen muss. Im Gegensatz zum Grundrechtseingriff schafft sie doch erst den grundrechtlichen Freiheitsraum und schränkt diesen – zumindest im Regelfall – nicht ein. (b) Der Eingriffsbereich: Schutzbereich und Schranken des Art. 9 Abs. 3 GG Im Folgenden gilt es zunächst, den Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG näher zu erörtern. Zwar ist die in § 2 Abs. 1 TVG normierte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nach dem soeben Ausgeführtem dem formellen Tarifrecht und damit nicht dem Eingriffs-, sondern dem Ausgestaltungsbereich zuzuordnen. Da aber gleichwohl auch ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit durch die diesbezügliche Ausgestaltung des formellen Tarifrechts möglich erscheint, ist es notwendig, auch den Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG näher zu beleuchten. Charakteristisch für die herkömmliche Vorgehensweise, den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu bestimmen, ist, die Koalitionsfreiheit in mehr oder weniger kleine Teilschutzbereiche zu untergliedern, um so den Gesamtschutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG griffiger zu gestalten. So differenziert Säcker beispielsweise zwischen der Koalitionsbestandsgarantie, der Koalitionswohlgarantie, der Koalitionszweckgarantie und der Koalitionsmittelgarantie. 282 Demgegenüber teilt Scholz den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG in die Koalitionszweckgarantie, die Koalitionsverfahrensgarantie, die Koalitionsmittelgarantie und die Koalitionsbestandsgarantie auf.283 Das BVerfG dagegen unterscheidet im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zwischen der (Koalitions-)Bestandsgarantie und der (Koalitions-)Betätigungsgarantie. 284 Wohl nur begrifflich anders differenziert ein weiSäcker, Grundprobleme, S. 33 ff., 146. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 242. 284 Siehe nur BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 240, 367; BVerfG vom 14. 6. 1983, BVerfGE 64, 208, 213; BVerfG vom 23. 4. 1986, BVerfGE 73, 261, 270; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224, jeweils mit weiteren Nachweisen. 282 283

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terer Teil der Literatur zwischen der Koalitionsbildungs- und Koalitionsbetätigungsgarantie.285 An dem Nutzen derartiger Unterscheidungen mag man zweifeln. Sie bergen jedenfalls immer die Gefahr, sich von ihrem Ausgangspunkt, dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG, zu weit zu entfernen und sich in ihren eigenen Begrifflichkeiten zu verstricken. Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht schlechthin alle Verhaltensweisen, die sich unter die jeweiligen Untergliederungen subsumieren lassen, sondern schützt diese nur, soweit sie selbst vom Gesamtschutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst werden. Eine Untergliederung eröffnet daher allenfalls die Möglichkeit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Einzelhandlungen oder auch Handlungsgruppen zu systematisieren. Zur Ermittlung des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG kann sie jedoch nur bedingt beitragen. Im Gegenteil trägt die anzutreffende Flut der Systematisierungsversuche eher dazu bei, mehr Verunsicherung als Klarheit über den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu schaffen. Daher ist Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen nicht der Inhalt einzelner Teilschutzbereiche, sondern der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG. (aa) Individuelle und kollektive Koalitionsbildungsgarantie Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG schützt zunächst nur das Bilden von Koalitionen. Wegen der Eigenschaft des Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht286 erstreckt sich dieser Schutz auf den Einzelnen aber auch die Koalitionen selbst.287 Der Begriff „bilden“ erfasst dabei nicht nur den äußeren Akt des sich Zusammenschließens, sondern auch den Bereich der inneren Verbandsautonomie, also die Regelung des inneren Zusammenwirkens, wie sie in der Satzung zum Ausdruck kommt.288 Das Bilden einer Koalition erfasst ferner neben dem Neubilden eines Verbandes auch das Beitreten in einen bereits bestehenden Ver285 Siehe nur Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 133 ff.; auch Friese, Betriebsverfassung, S. 208 ff. mit weiteren Nachweisen. 286 Siehe hierzu § 3 C I 1 b). 287 BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 319; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 4. 7. 1991, BVerfGE 92, 365, 393; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 38; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 282; BAG vom 23. 2. 1979, AP Nr. 29 zu Art. 9 GG; BAG vom 23. 9. 1986, AP Nr. 45 zu Art. 9 GG; BAG vom 2. 6. 1987, AP Nr. 49 zu Art. 9 GG; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 64 ff.; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 100; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 459; Friese, Betriebsverfassung, S. 39 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 181 ff.; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 120 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 244 Rn. 9; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 72 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 39 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 1975; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 21. 288 BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 373; BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 357; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 191; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 121; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 246 ff.

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band.289 Wenn nämlich die Neubildung eines Verbandes den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießt, muss dies erst recht für den Beitritt in eine bereits bestehende Koalition gelten. Letztlich erfasst der Begriff „bilden“ auch koalitionserhaltende Maßnahmen, wie vor allem das Werben neuer Mitglieder.290 Spiegelbildlich hierzu gewährt Art. 9 Abs. 3 GG dem Grundrechtsberechtigten gleichfalls das Recht, eine Koalition nicht zu gründen, ihr nicht beizutreten und keine koalitionserhaltenden Maßnahmen durchzuführen (sog. negative Koalitionsfreiheit). 291 (bb) Individuelle und kollektive Koalitionsbetätigungsgarantie Ist der verfassungsrechtliche Schutz der oben dargestellten Verhaltensweisen inhaltlich nahezu einhellig anerkannt,292 so gehen die Ansichten bezüglich weiterer dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallender Verhaltensweisen auseinander. Begrifflich sollen diese weiteren Verhaltensweisen im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG unter dem Oberbegriff der Koalitionsbetätigungsgarantie zusammengefasst werden, da sie unter das in Art. 9 Abs. 3 GG verwendeten Wort „bilden“ nicht mehr subsumiert werden können. Allgemein anerkannt ist hier im Grunde nur, dass Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls einen über den reinen Bildungsschutz hinausreichenden, zusätzlichen Schutz der 289 Siehe nur BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 30. 11. 1965, BVerfGE 19, 303, 312; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 27. 3. 1979, BVerfGE 51, 77, 87 f.; BVerfG vom 15. 7. 1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 17. 2. 1981, BVerfGE 57, 220, 245; BVerfG vom 14. 6. 1983, BVerfGE 64, 208, 213; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 76; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 147 f.; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 444 ff.; Dütz, Arbeitsrecht, S. 224; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 25; Lerche, Zentralfragen, S. 25 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 20 ff.; Plander, Gewerkschaftsbeschäftigte, S. 26; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 14 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 222 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 87; ders., RdA 1969, 321, 330. 290 In diesem Sinne auch Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 192 mit weiteren Nachweisen. 291 BVerfG vom 24. 5. 1977, BVerfGE 44, 322, 352; BVerfG vom 15. 7. 1980, BVerfGE 55, 7, 21; BVerfG vom 14. 6. 1983, BVerfGE 64, 208, 213 f.; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 76; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 448 ff.; Dütz, Arbeitsrecht, S. 224; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 25; Lerche, Zentralfragen, S. 25; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 28 ff.; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 17; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 226; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 87; ders., RdA 1969, 321, 330. A. A. Verankerung in Art 2 Abs. 1 GG: Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 108 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 22 ff., 35 f. Verankerung in Art 9 Abs. 1 GG: Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 174. 292 Streit besteht allein über den verfassungsrechtlichen Schutz koalitionserhaltender Maßnahmen in Form der Koalitionswerbung. Siehe hierzu BVerfG vom 17. 2. 1981, BVerfGE 57, 220, 245 einerseits und Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 192 andererseits.

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koalitionsspezifischen Betätigung gewährleistet.293 Die Einhelligkeit dieser Auffassung muss allerdings insofern auf Verwunderung stoßen, als der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG nur das Bilden von Verbänden schützt. Es bedarf daher einer näheren Begründung, weshalb Art. 9 Abs. 3 GG über seinen Wortlaut hinaus neben der Koalitionsbildung noch weitere Betätigungen schützen soll.294 Die Begründung hierfür ergibt sich vor allem aus systematischen und teleologischen Erwägungen. Zur Bestimmung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tätigkeiten darf nämlich nicht nur singulär das Wort „bilden“ betrachtet werden. Vielmehr ist Art. 9 Abs. 3 GG in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen. Dabei wird deutlich, dass Art. 9 Abs. 3 GG das Bilden der Koalitionen nicht als Selbstzweck gewährleistet, sondern voraussetzt, dass diese dem Zweck der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen“ dienen. Gerade diese Zweckbestimmung unterscheidet die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen von den allein durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Vereinigungen.295 Da aber auch Art. 9 Abs. 1 GG das Bilden einer „allgemeinen“ Vereinigung schützt, würde es wenig Sinn machen, den Schutz der spezielleren von Art. 9 Abs. 3 GG erfassten Koalitionen inhaltlich auf das bereits durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte „bilden“ zu beschränken. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG wäre (nahezu) überflüssig und hätte allenfalls eine Klarstellungsfunktion.296 Das verfassungsrechtlich determinierte Zweckkriterium ist daher der richtige Anknüpfungspunkt und Rechtfertigung dafür, dass den unter Art. 9 Abs. 3 GG fallenden Koalitionen neben ihrer Bildung weiterer verfassungsrechtlicher Schutz zukommt.297 Auch der Umfang des weiteren verfassungsrechtlichen Schutzes knüpft an diese Zweckbestimmung an. Hier ist vor allem der Gedanke in den Mittelpunkt zu stellen, dass es widersprüchlich wäre, von den Koalitionen als Voraussetzung ihres grundrechtlichen Schutzes die in Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebene Zweckbestim293 Siehe nur BVerfG vom 11. 8. 1954, BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 6. 5. 1964, BVerfGE 18, 18, 26; BVerfG vom 30. 6. 1965, BVerfGE 19, 303, 312; BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 319 f.; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 7. 4. 1981, BVerfGE 57, 29, 37; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 2. 12. 1992, BVerfGE 88, 5, 15; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 38; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 283; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 76 f.; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Grundrechte, S. 419 ff.; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 198; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 103 ff.; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 70 f.; Plander, Gewerkschaftsbeschäftigte, S. 26; von Münch, BK-GG, Art. 9 Rn. 139, 147; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 241. 294 So auch Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 200. 295 Zu diesem Unterscheid zwischen Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG auch BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 61; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 165; Schwarze, JuS 1994, 653, 655. 296 Park, Arbeitgeberverbände, S. 84; angedeutet auch von Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 201 ff. 297 So auch Bruhn, Tarifeinheit, S. 50; Park, Arbeitgeberverbände, S. 84 f.

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mung zu fordern, ihnen im Gegenzug aber nicht auch das Recht einzuräumen, sich entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Zweckbestimmung zu betätigen. Mit dieser Erkenntnis ist jedenfalls die äußere Grenze der Koalitionsbetätigungsgarantie abgesteckt. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Handlungen der Koalitionen und des einzelnen Mitgliedes nur insoweit, wie sie der verfassungsrechtlichen Zweckbestimmung der Koalitionen – Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – entsprechen (sog. koalitionsspezifische Betätigung). Alle Verhaltensweisen, die über diese Zweckbestimmung hinausgehen, können jedenfalls nicht mehr vom Schutz der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sein.298 So kann sich z. B. die Fußballmannschaft einer großen Gewerkschaft bei der Ausübung ihres Sports nicht auf die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG berufen, da das Fußballspielen gerade nicht der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient.299 Die soeben angeführte äußere Grenze des verfassungsrechtlichen Schutzes koalitionsspezifischer Betätigung ist unstreitig.300 Unklarheit in Literatur und Rechtsprechung besteht jedoch bezüglich der Frage, ob die Koalitionsbetätigungsfreiheit alle Tätigkeiten schützt, die dieser äußeren Grenze entsprechen, oder ob sich der verfassungsrechtliche Schutz der Koalitionsbetätigungsfreiheit auf einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung im Sinne der früheren Rechtsprechung des BVerfG beschränkt. Diejenigen, die für einen solchen engeren Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG plädieren, stehen allerdings vor dem Problem, die Grenzen dieses engeren Schutzbereichs handhabbar zu bestimmen. Das BVerfG griff in seiner Kernbereichsrechtsprechung hierfür unter anderem auf die Formel des zur Koalitionszweckverfolgung „Unerlässlichen“ zurück,301 während beispielsweise Kemper den Schutzbereich auf das zur Koalitionszweckverfolgung „Notwendige“ beschränkt wissen will.302 Scholz stellt darauf ab, ob die Handlung zu den „funktionstypischen“ Instrumentarien der Koalition gehört.303 Säcker lehnt hingegen eine nähere Umschreibung des eingeschränkten Schutzbereiches gänzlich ab und 298 So ausdrücklich BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224. Das Grundrecht schützt „die Koalition selber in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer Betätigung, soweit diese gerade in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen besteht.“ BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG vom 1. 10. 1987, BVerfGE 77, 1, 62 f. Siehe auch Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 76; Bruhn, Tarifeinheit, S. 50 f.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 66 ff.; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 29; Park, Arbeitgeberverbände S. 85 f. 299 Hier wären allenfalls die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 oder Art. 8 GG einschlägig. In diesem Sinne auch Bruhn, Tarifeinheit, S. 52, ähnlich Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 216. 300 Vgl. die Nachweise in Fn. 293. 301 BVerfG vom 14. 4. 1964, BVerfGE 17, 319, 333; BVerfG vom 26. 5. 1970, BVerfGE 28, 295, 304; BVerfG vom 18. 12. 1974, BVerfGE 38, 281, 305; BVerfG vom 17. 2. 1981, BVerfGE 57, 220, 246. 302 Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 204. 303 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 297 f.

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führt nur aus, die Bestimmung des Kernbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG habe über die jeweilige situationsgebundene Bestimmung von Unterkernbereichen zu erfolgen.304 Dieser Problematik der näheren Bestimmung des eingeschränkten Schutzbereiches gehen diejenigen aus dem Weg, die einen weiten Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG annehmen, da nach ihnen jegliches koalitionsspezifische Verhalten unter den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zu subsumieren ist.305 Die Beantwortung der Frage, ob die Koalitionsfreiheit tatsächlich nur einen eingeschränkten Bereich koalitionsspezifischer Betätigung schützt, hat mittels Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG zu erfolgen. Es lassen sich hierfür allerdings weder Anhaltspunkte im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte finden. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG enthält zunächst nur Aussagen bezüglich der Koalitionsbildungsgarantie, nicht aber bezüglich der Koalitionsbetätigungsgarantie. Auch ein Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG und die Interpretation seiner Vorgängervorschrift – Art. 159 WRV – lassen keine weiteren Schlussfolgerungen in die eine oder andere Richtung zu. Zwar gab es während der Beratungen zum Grundgesetz Diskussionen darüber, ob die Koalitionsfreiheit auch das Streikrecht ausdrücklich schützen solle; eine über diese Diskussion hinausgehende Auseinandersetzung über den Umfang der Koalitionsbetätigungsfreiheit blieb jedoch aus.306 Der Schutzumfang des Art. 159 WRV war im übrigen seinerzeit mindestens ebenso umstritten wie der des Art. 9 Abs. 3 GG.307 Heranziehen lassen sich aber auch hier systematisch-teleologische Erwägungen. Zieht man nämlich die Schutzbereiche anderer Grundrechte in die Betrachtung mit ein, so kann man unschwer feststellen, dass ihnen – dem Auslegungsgrundsatz der möglichst freiheitserweiternden Interpretation folgend308 – eine Reduktion des Schutzbereiches auf einen Kernbereich gleich welcher Art fremd ist.309 Dieses Argument spricht daher dafür, auch den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG im systematischen Einklang mit den anderen Freiheitsgrundrechten weit zu interpretieren.310 Säcker, Grundprobleme, S. 147 Nr. 8. So auch Friese, Betriebsverfassung, S. 209; Henssler, ZfA 1998, 1, 8 f.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 71 ff. 306 Siehe hierzu die Verfassungsentwürfe zu Art. 9 GG (vormals Art. 12) und die Diskussionen in dem für den Entwurf der Grundrechte zuständigen Ausschuss für Grundsatzfragen. Dokumentation bei Schick / Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 / I S. 123 und Bd. 5 / II S. 580, 685 ff., 768, 804. 307 Anschütz, Verfassung, Art. 159 Anm. 1 ff.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, 1. und 2. Aufl., S. 451 ff.; Nipperdey in: Nipperdey, Grundpflichten, S. 431 ff., Tatarin-Tarnheyden in: Nipperdey, Grundpflichten, S. 534 ff. auch RG vom 27. 12. 1925, RGZ 111, 199, 202; RG vom 11. 2. 1926, RGZ 113, 33, 36 f. 308 Siehe hierzu zusammenfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 95 mit weiteren Nachweisen. 309 In diese Richtung auch Friese, Betriebsverfassung, S. 212 f.; Isensee, Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 172; nunmehr auch BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 358; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 283. 310 So auch die Argumentation des BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 378. 304 305

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Demgegenüber wird gegen einen verfassungsrechtlichen Schutz jeglicher koalitionsspezifischer Betätigung angeführt, dass es schwer falle, eine Grenze zwischen koalitionsspezifischer Betätigung und sonstigen Betätigungen zu ziehen.311 Auch wenn Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall in der Tat auftreten können, vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen. Eine Beschränkung der Koalitionsbetätigungsfreiheit auf das zur Koalitionszweckverfolgung Notwendige, wie es aus diesem Grund Kemper fordert,312 verhindert derartige Abgrenzungsprobleme nämlich nicht, sondern verlagert diese nur auf die Ebene der Abgrenzung des Kernbereichs vom sonstigen Bereich. Gerade die Kernbereichslehre des BVerfG ist maßgeblich auch deshalb auf Kritik gestoßen, weil es ihr nicht gelang, den gegenständlichen Bereich des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit griffig zu umreißen.313 Aus diesem Grund hilft auch die von Säcker vorgeschlagene Verlagerung der eigentlichen Bestimmung des Kernbereichs auf situationsgebundene Unterkernbereiche nicht weiter.314 Es können daher ebenso bei einem engen wie auch bei einem weiten Verständnis der Koalitionsbetätigungsfreiheit Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten, so dass dieses Argument weder gegen noch für einen eingeschränkten Schutz der Koalitionsbetätigungsfreiheit spricht. Auch die Überlegung, die Beschränkung des Betätigungsschutzes auf einen Kernbereich sei deswegen geboten, weil die Koalitionsbetätigungsgarantie lediglich ein Leerlaufen der Koalitionsbildungsgarantie verhindern solle,315 überzeugt nicht. Aus dieser – im Ausgangspunkt zwar zutreffenden – Annahme könnte man nämlich ebenso gut folgern, dass es gerade ein effektiver Leerlaufschutz gebiete, die Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht nur auf einen Kernbereich zu beschränken, sondern den Koalitionen einen umfassenden Schutz zukommen zu lassen. Letztlich spricht auch der denkbare Einwand, dass durch eine weite Interpretation des Schutzbereiches der Koalitionsbetätigungsfreiheit eine Kollision mit Grundrechten Dritter, typischerweise mit der dann ebenfalls weit zu fassenden Koalitionsbetätigungsfreiheit des sozialen Gegenspielers, vorprogrammiert sei, nicht gegen die weite Interpretation. Derartige Kollisionen sind im Rahmen der praktischen Konkordanz befriedigend und vor allem ohne eine generelle Einschränkung des Schutzbereichs auf einen Kernbereich zu lösen. Im Ergebnis ist daher eine Reduktion der Koalitionsbetätigungsfreiheit auf einen Kernbereich abzulehnen. Art. 9 Abs. 3 GG schützt auf der Ebene der Koalitionsbetätigungsgarantie jegliches koalitionsspezifisches Verhalten.316 So ausdrücklich Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 204. Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 204. 313 So auch die Kritik von Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 80; Gröbing, AuR 1986, 297 ff.; Henssler, ZfA 1998, 1, 8 ff.; Herschel, AuR 1981, 265, 266 ff.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 71 ff.; Isensee, Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 172 ff.; Zechlin, NJW 1985, 585, 591. 314 Säcker, Grundprobleme, S. 1 ff. 315 So Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 140 f.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 201. 311 312

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(cc) Verfassungsrechtliche Schranken der Koalitionsfreiheit Schützt Art. 9 Abs. 3 GG auf der Ebene der Koalitionsbetätigungsfreiheit jegliches koalitionsspezifisches Verhalten, so kommt den Schranken der Koalitionsfreiheit eine umso größere Bedeutung zu. Die hierzu anzutreffenden Meinungen lassen zwei Strömungen erkennen. Die wohl herrschende geht mit dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG davon aus, dass alle von der Koalitionsfreiheit geschützten Handlungen grundsätzlich schrankenlos gewährleistet sind und sich die Grenzen der Koalitionsfreiheit daher allein aus kollidierendem Verfassungsrecht, meist der Koalitionsfreiheit des sozialen Gegenspielers, ergeben.317 Die Gegenansicht hält zumindest im Bereich der Koalitionsbetätigungsgarantie eine solche schrankenlose Gewährleistung für zu weit. Mit im Einzelnen unterschiedlichen Lösungsansätzen versucht sie, Schranken anderer Grundrechten auf Art. 9 Abs. 3 GG zu übertragen.318 Ausgangspunkt derartiger Überlegungen ist die Erwägung, dass die erst im Laufe der Zeit von Rechtsprechung und Literatur im Wege der Grundrechtsinterpretation vorgenommene Erweiterung des Schutzbereiches der Koalitionsfreiheit bezüglich der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht mit der vom Grundgesetzgeber ursprünglich vorgesehenen schrankenlosen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG in Einklang zu bringen sei.319 Die schrankenlose Gewährleistung der Koalitionsfreiheit passe daher lediglich für den vom Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar erfassten Bereich der Koalitionsbildungsgarantie. 320 Gegen die Übertragung von Schranken anderer Grundrechte auf die Koalitionsbetätigungsfreiheit spricht aber in der Tat der insoweit eindeutige Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG. Er statuiert nicht einmal ansatzweise Schrankenvorbehalte, wie sie andere Grundrechte kennen. Auch die für eine Übertragung fremder Grundrechtsschranken angeführten historisch-teleologischen Argumente lassen keinen anderen Schluss zu. Richtig ist zwar, dass der Grundgesetzgeber den Umfang der Koalitionsbetätigungsfreiheit, wie er heute angenommen wird, nicht im Einzelnen überblickt haben wird. Hieraus kann aber auf keinen allgemeinen Schrankenvorbehalt der Koalitionsbetätigungsfreiheit geschlossen werden. Genauso könnte man 316 So im Ergebnis auch BVerfG vom 14. 11. 1995, BVerfGE 93, 352, 357 ff.; BVerfG vom 24. 4. 1996, BVerfGE 94, 268, 283; Friese, Betriebsverfassung, S. 213; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 226 ff.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 71 f.; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 27; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 95 ff., 124 ff. 317 BVerfG vom 10. 1. 1995, BVerfGE 92, 26, 41; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 87 ff.; Höfling in: Sachs GG, Art. 9 Rn. 126 ff.; Hufen, SAE 1997, 137, 139; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 304 ff.; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 96 ff.; Pieroth / Schlink, Staatsrecht, Rn. 756 ff. Allenfalls die Übertragung der Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG auch auf Art. 9 Abs. 3 GG wird erwogen. Hierzu allerdings ablehnend Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 126 mit weiteren Nachweisen. 318 Siehe hierzu im Einzelnen nur oben § 3 C I 1. c) bb). 319 Henssler, ZfA 1998, 1, 4 ff.; Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 184 f. 320 Henssler, ZfA 1998, 1, 4 ff.; Wank, Anmerkung zu BVerfG vom 10. 1. 1995, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG, Bl. 184; ders., Anmerkung zu BVerfG vom 24. 11. 1995, JZ 1996, 629, 631.

8 Witt

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umgekehrt argumentieren, der Gesetzgeber hätte, wenn er um die heute vorherrschende weite Interpretation des Schutzbereiches gewusst hätte, Art. 9 Abs. 3 GG trotzdem in seiner jetzigen Form belassen, da Grenze der Koalitionsbetätigungsgarantie jedenfalls die Koalitionsfreiheit der Gegenseite ist. Auch die im Zuge der Entstehung des Grundgesetzes geführte Diskussion um die Aufnahme des Streikrechts in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit, welches unter einen gesetzlichen Regelungsvorbehalt hätte gestellt werden sollen, lässt keine gegenteiligen Schlussfolgerungen zu.321 Das Streikrecht und ein Regelungsvorbehalt hierzu sind eben gerade nicht in das Grundgesetz aufgenommen worden und zwar vor allem deshalb nicht, weil man sich über den Umfang und die Grenzen des Streikrechts nicht hatte einigen können. Zudem reichen auch die ohne einen Schrankenvorbehalt verbleibenden Möglichkeiten völlig aus, dem Gesetzgeber für Normierungen im Rahmen der Koalitionsfreiheit einen hinreichend großen Handlungsspielraum zu belassen. Auch schrankenlos gewährleistete Grundrechte können zugunsten kollidierenden Verfassungsrechts beschränkt werden. Die überwiegende Zahl der Fälle, in denen in Art. 9 Abs. 3 GG von gesetzlicher Seite aus eingegriffen werden muss, betrifft gerade solche Konstellationen kollidierenden Verfassungsrechts. Neben den Fällen kollidierender Grundrechte Dritter ist hier insbesondere auch an die in Art. 109 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende verfassungsrechtliche Verantwortung des Bundes und der Länder für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu denken.322 Gerade dieser letzte Aspekt eröffnet dem einfachen Gesetzgeber im Bereich des Art. 9 Abs. 3 GG einen weiten Handlungsspielraum. Die verbleibenden Fälle, in denen der Eingriff nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden kann, können eine Schrankenübertragung von anderen Grundrechten nicht rechtfertigen, sondern spiegeln vielmehr die hohe Wertigkeit der Koalitionsfreiheit innerhalb der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung des Grundgesetzes wider. Für eine Übertragung fremder Grundrechtsschranken besteht aus diesem Grund kein Bedürfnis. Weder historische noch teleologische Erwägungen gebieten daher die Übertragung anderer Schrankenvorbehalte auf die Koalitionsfreiheit. Mit der h. M. ist somit anzunehmen, dass die Koalitionsfreiheit auch bezüglich der Koalitionsbetätigungsfreiheit entsprechend ihrem Wortlaut schrankenlos gewährleistet ist und sie ihre Grenze allein in kollidierendem Verfassungsrecht findet.323

Siehe hierzu Schick / Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 / 1, S. 685 ff. Hierauf weist auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 135 hin. Siehe auch BVerfG vom 27. 04. 1999 (BVerfGE 100, 271, 285), das zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Lohnabstandsklauseln im Rahmen des Eingriffs in Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich auf das in Art. 109 Abs. 2 GG verankerte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zurückgreift. 323 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 126 ff.; ders., FS Friauf, S. 377, 387 ff.; Hufen, SAE 1997, 137, 139; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 38; Kittner / Schiek, AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 95 ff.; Pieroth / Schlink, Staatsrecht, Rn. 756 ff. 321 322

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(c) Der Ausgestaltungsbereich: Umfang und Grenzen einfachgesetzlicher Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG (aa) Grundlagen der Ausgestaltung Im Folgenden gilt es, die Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG für die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit näher zu bestimmen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der einfachgesetzlichen Ausgestaltung diejenigen vom Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG erfassten Betätigungen bedürfen, die der Grundrechtsberechtigte ohne einfachgesetzliche Ausgestaltungsregelung nicht eigenständig wahrnehmen kann.324 Eine solche ausgestaltungsbedürftige Betätigung ist – wie bereits oben erörtert325 – das Recht, Tarifverträge abzuschließen. Dabei ist – wie ebenfalls schon ausgeführt326 –, im Blick zu behalten, dass sich die Ausgestaltungsbedürftigkeit nicht auf die Frage des zulässigen Inhalts von Tarifverträgen, sondern allein auf das formelle Tarifrecht erstreckt. Allein die Feststellung, dass das TVG, soweit es um die Normierung formellen Tarifrechts geht, dem Ausgestaltungsbereich zuzuordnen ist, beantwortet noch nicht die Frage, welche Vorgaben Art. 9 Abs. 3 GG für eine solche Ausgestaltung bereithält. Im Grundsatz konnte hierzu bereits oben festgestellt werden, dass wegen der freiheitsbegründenden Funktion der Ausgestaltung diese gegenüber einem Eingriff weniger strengen Vorgaben unterliegen muss. Aus dieser freiheitsbegründenden Funktion der Ausgestaltung folgt auch, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht das zur Zeit geltende einfachgesetzliche Tarifrecht als solches schützt. Dem Wesen einer Ausgestaltung widerspräche die Vorstellung, das einfachgesetzliche Tarifrecht als – bildlich gesprochen – schlichte Auslagerung des Schutzbereiches der Koalitionsfreiheit in das TVG aufzufassen. Die Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit im Hinblick auf das formelle Tarifrecht bedingt es vielmehr, dass der Norm des Art. 9 Abs. 3 GG nur im eingeschränktem Maße Vorgaben für die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Tarifrechts entnommen werden können. Insbesondere konkrete Einzelvorgaben enthält Art. 9 Abs. 3 GG bezüglich des einfachgesetzlichen Tarifrechts nicht. Wäre dies anders und könnte man der in Art. 9 Abs. 3 GG normierten Koalitionsfreiheit konkrete und abschließende Vorgaben für die einfachgesetzliche Regelung des Tarifrechts entnehmen, bedürfte die Koalitionsfreiheit gerade keiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung mehr. Die Grundrechtsberechtigten könnten sich in diesem Fall unmittelbar auf den Gewährleistungsgehalt der Koalitionsfreiheit berufen. Dies ist jedoch – wie bereits gezeigt327 – nicht der Fall. Der Gewährleistungsgehalt der Koalitionsfreiheit beschränkt sich im Ausgestaltungsbereich vielmehr darauf, Grundprinzipien und Leitlinien für die einfachgesetzliche Ausgestaltung vorzugeben, ohne einzelne 324 325 326 327

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Siehe zu dieser Unterscheidung oben § 3 C. I. 1. c) cc) (a). § 3 C. I. 1. c) cc) (a). § 3 C. I. 1. c) cc) (a). § 3 C. I. 1. c) cc) (a).

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konkrete einfachgesetzliche Regelungen zu fordern. Insoweit kann man durchaus mit dem BVerfG formulieren, dass Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich des Tarifrechts schützt.328 Das derzeit geltende Tarifrecht ist in seiner Gänze somit nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Die Reduktion des Gewährleistungsgehalts der Koalitionsfreiheit im Bereich des formellen Tarifrechts auf Grundprinzipien und Leitlinien, kurz eben auf einen Kernbereich, entspricht zudem dem Charakter des Grundrechts des Art. 9 Abs. 3 GG als sog. „offenes“ Grundrecht.329 Der effektive grundrechtliche Schutz der Koalitionen und ihrer Betätigung lebt nämlich gerade davon, dass sich der Gewährleistungsgehalt der Koalitionsfreiheit an verändernde soziale und wirtschaftliche Bedingungen anpassen kann. Eine solche Anpassungsfähigkeit wäre aber im Bereich des Tarifrechts ausgeschlossen, wenn Art. 9 Abs. 3 GG anstatt anpassungsfähiger Rahmenbedingungen konkrete Einzelvorgaben enthalten würde.330 Können die Grundrechtsberechtigten wegen der Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit ihr im Prinzip grundrechtlich gewährtes Recht auf Tariftätigkeit ohne eine einfachgesetzliche Regelung nicht wahrnehmen, stellt sich weiter die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, den Grundrechtsberechtigten ein einfachgesetzliches Tarifrecht zur Verfügung zu stellen. Eine solche Ausgestaltungspflicht des einfachen Gesetzgebers ist zwar im Ergebnis weitgehend anerkannt, ihre dogmatische Verankerung ist allerdings umstritten. Kemper versucht, die Ausgestaltungspflicht des einfachen Gesetzgebers aus der Figur der verfassungsrechtlichen Institutsgarantien herzuleiten.331 Nach Kemper enthält Art. 9 Abs. 3 GG eine Institutsgarantie des Tarifrechts, des Arbeitskampfes, der Koalitionen an sich und auch der Unternehmensmitbestimmung. 332 Demgegenüber geht vor allem Friese333 nicht den (Um-)Weg über eine Institutsgarantie, sondern leitet eine Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers direkt aus Art. 9 Abs. 3 GG ab.334 Uneinheitlich ist demgegenüber die Rechtsprechung des BVerfG, welches in einer Vielzahl von Entscheidungen auf die Ausgestaltungsbedürftigkeit des Art. 9 Abs. 3 GG verweist, ohne in diesem Zusammenhang auf eine Institutsgarantie zurückzugreifen. Demgegenüber verwendet das BVerfG in seiner Entscheidung vom 18. Dezember 1974 ausdrücklich den Begriff „institutionelle Garantie“.335 328 Im Sinne einer solchen (Rest-)Funktion des Kernbereichs auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 80. 329 In diesem Sinne auch Friese, Betriebsverfassung, S. 217; Isensee, Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 167 f. 330 Ähnlich auch Friese, Betriebsverfassung, S. 217. 331 Ausführlich Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 1 ff.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 173; in diese Richtung auch Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 851 f. 332 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 60 ff. 333 Friese, Betriebsverfassung, S. 152 f. 334 So wohl auch Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 75 ff. 335 Die Koalitionen haben „von der Verfassung her . . . eine institutionelle und funktionelle Garantie erhalten“ BVerfGE 38, 281, 304.

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α) Institutsgarantie als dogmatische Grundlage der Ausgestaltungspflicht? Die von Kemper zur Herleitung einer Ausgestaltungspflicht herangezogenen verfassungsrechtlichen Institutsgarantien stellen eine Untergruppe der verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantien, die neben den Institutsgarantien noch die institutionellen Garantien umfassen, dar.336 Die Einrichtungsgarantien, die bereits seit der Weimarer Republik als verfassungsrechtliche Rechtsfiguren anerkannt sind, dienen, allgemein ausgedrückt, der Sicherung und dem Fortbestand überkommener Normkomplexe und der durch sie geregelten Sachverhalte in ihren wesensbestimmenden Kernelementen.337 Dabei garantiert die verfassungsrechtliche Institutsgarantie eine vom einfachen Recht geformte Rechtsfigur wie z. B. die Ehe, während die institutionelle Garantie den Normenkomplex als solchen und den sich auf diesen Normenkomplex beziehenden Wirklichkeitskomplex, regelmäßig bestehend aus einer staatlichen Einrichtung, verfassungsrechtlich garantiert. Beispiel einer solchen institutionellen Garantie ist das durch Art. 7 GG geschützte Schulwesen. Die in Art. 7 GG gewährleistete institutionelle Garantie des Schulwesens bezieht sich nämlich sowohl auf die Garantie der Wesenszüge des einfachgesetzlichen Schulrechts, als auch auf die Schule als staatliche Einrichtung.338 Eine Institutsgarantie setzt somit zunächst voraus, dass sich der zu schützende einfachgesetzliche Normkomplex zum Zeitpunkt der Entstehung der Verfassung überhaupt schon herausgebildet hat. Etwas noch nicht Vorhandenes kann die Verfassung denklogisch nicht in dessen Kernelementen schützen.339 Weiter muss hinzukommen, dass diese einfachgesetzliche Normierung notwendig ist, um das durch die Institutsgarantie verbürgte Freiheitsrecht auch wahrnehmen zu können.340 In diesem Punkt spiegelt sich die schon oben angesprochene Unterscheidung zwischen einer Ausgestaltungs- und einer Eingriffsregelung wieder. Beide Voraussetzungen der Institutsgarantie erfüllt die einfachgesetzliche Regelung des Tarifrechts. Eine Regelung des Tarifrechts existiert inhaltlich gefestigt seit der Weimarer Republik. Das TVG regelt die „traditionelle und typische Form der Koalitionseinigung“.341 Auch ist die einfachgesetzliche Regelung des Tarifrechts, wie bereits erörtert342, notwendig, damit die Grundrechtsberechtigten tariflich tätig werden können, und daher auch notwendig, um die durch Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte Freiheit wahrnehmen zu können. 336 von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Vorb. Art. 1 – 19 Rn. 23; Sachs in: Sachs, GG, Vorb. Art. 1 Rn. 30 mit weiteren Nachweisen. 337 F. Klein, Rechtsinstitutsgarantien, S. 1 ff.; Sachs in: Sachs, GG, Vorbem. Art. 1 Rn. 30; C. Schmitt, Freiheitsrechte, S. 1 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 756 ff. 338 Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 797 ff. 339 Vgl. auch Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 791. 340 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 15 ff. 341 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 254. 342 § 3 C. I. 1. c) cc) (a).

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Damit liegen zwar die Voraussetzungen für eine Institutsgarantie des Tarifrechts vor. Allerdings spricht maßgeblich gegen die Annahme einer solchen Institutsgarantie folgende Erwägung: Alle anerkannten Einrichtungsgarantien des Grundgesetzes sind in den jeweiligen Artikeln als Begriff ausdrücklich aufgeführt. So verwendet beispielsweise Art. 7 Abs. 1 GG ausdrücklich den Begriff Schulwesen. Ebenso sind die klassischen Institutsgarantien des Eigentums oder Erbrechts in Art. 14 Abs. 1 GG ausdrücklich erwähnt. Eine solche ausdrückliche Erwähnung des Tarifrechts findet sich in Art. 9 Abs. 3 GG indessen gerade nicht. Auch den Materialien zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes lassen sich keinerlei Rückschlüsse auf eine Institutsgarantie des Tarifrechts entnehmen. Diese Nichterwähnung des Tarifrechts im Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG spricht entscheidend gegen die Einordnung des Tarifrechts als eine verfassungsrechtliche Institutsgarantie. Und noch ein weiterer Aspekt lässt sich gegen die Annahme einer Institutsgarantie des Tarifrechts anführen. Institutsgarantien haben naturgemäß einen statischen Anknüpfungspunkt – das Institut. Der einfache Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich (nur) gehalten, den Grundrechtsberechtigten zur Ausfüllung des Instituts einen Normenkomplex zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen sich die Grundrechtsberechtigten bewegen können. Verfassungsrechtlich geschützt ist damit nicht die durch den Normenkomplex geschaffene Handlungsfreiheit, sondern nur das „statische“ Institut, welches seinerseits dem Einzelnen Handlungsfreiheiten lediglich als Reflex eröffnet. Genau die gegenteilige Situation findet sich jedoch in Art. 9 Abs. 3 GG. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert in erster Linie Handlungsfreiheiten, und zwar, wie oben gezeigt, primär die Koalitionsbildungsfreiheit und aus teleologischen Gesichtspunkten auch die Koalitionsbetätigungsfreiheit. Auch das Tarifrecht ist seinerseits ein Teilbereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit. Anknüpfungspunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes ist damit aber nicht ein statisches Institut des Tarifrechts, sondern die Handlungsfreiheit der Koalitionsbetätigungsgarantie als aus teleologischen Gesichtspunkten notwendiger Annex zur Koalitionsbildungsgarantie. Insofern liegt hier gegenüber den übrigen im Grundgesetz verankerten Institutsgarantien eine gänzlich andere Ausgangssituation vor. Während bei jenen von der verfassungsrechtlich verbürgten Institutsgarantie auf die Handlungsfreiheit geschlossen wird, würde im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG von der verfassungsrechtlich verbürgten Handlungsfreiheit auf die Institutsgarantie geschlossen werden müssen. Scholz weist über diese Einwände hinaus zu Recht auch darauf hin, die vorschnelle Annahme von Einrichtungsgarantien führe dazu, dass von einem soziologischen Tatbestand unzulässigerweise auf einen rechtlichen geschlossen werde. Die mit einer derartigen Verobjektivierung einhergehende Erstarrung von Lebenssachverhalten zu Einrichtungsgarantien läuft aber den eigentlich freiheitserweiternden Grundrechten entgegen.343 Dies gilt umso mehr angesichts des „offenen“ 343

Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 238, auch schon S. 71 ff.

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Charakters der Koalitionsfreiheit, der im besonderen Maße auf eine Anpassungsfähigkeit angewiesen ist. Diese Erwägungen führen daher zu dem Schluss, dass Art. 9 Abs. 3 GG entgegen der Ansicht Kempers keine Institutsgarantie des Tarifrechts enthält. β) Die objektive Werteordnung der Grundrechte als zutreffende dogmatischen Grundlage der Ausgestaltungspflicht Den richtigen Anknüpfungspunkt zur Begründung der Ausgestaltungspflicht des einfachen Gesetzgebers hat Friese aufgezeigt, in dem sie auf den objektiven Gehalt der Grundrechte hingewiesen hat.344 Grundrechte räumen dem Grundrechtsberechtigten nämlich nicht nur Freiheitsräume ein, sondern schaffen darüber hinaus auch ein objektives Wertesystem, an dem sich jede staatliche Tätigkeit zu orientieren hat.345 Zu Recht führt Friese aus, die in Art. 1 Abs. 3 GG normierte Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte schränke nicht nur staatliches Handeln zugunsten der grundrechtlich verbürgten Freiheitsräume ein, sondern fordere vom Staat auch und gerade, dass er sich schützend und fördernd vor das Grundrecht stelle.346 Der grundrechtlichen Gewährleistung von Freiheitsbereichen liegt nicht nur der Gedanke zugrunde, staatliches Handeln im Freiheitsbereich einzuschränken, sondern die grundrechtliche Gewährleistung fordert aufgrund der mit ihr verbundenen objektiven Wertentscheidung (z. B. in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG: „Tarifautonomie soll sein“) vom Staat auch, zur Verwirklichung dieses Freiheitsbereichs positiv tätig zu werden.347 Eine solche Grundrechtsförderungspflicht des Staats ist unter dem Schlagwort der staatlichen Schutzpflichten im Bereich des Gesundheits- und Lebensschutzes für die Fälle grundrechtsverletzender Eingriffe durch Dritte weithin anerkannt.348 Ganz selbstverständlich führt das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25. Februar 1975 zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht auf Leben daher auch aus: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur – selbstverständlich – unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Friese, Betriebsverfassung, S. 218 ff. So schon BVerfG vom 25. 2. 1975, BVerfGE 39, 1, 41. Vgl. auch von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Vorb. Art. 1 – 19 Rn. 22 mit weiteren Nachweisen. Von Verfassungsvollzug spricht aber Dieterich, RdA 2002, 1, 9. 346 Friese, Betriebsverfassung, S. 219 mit weiteren Nachweisen. 347 Friese, Betriebsverfassung, S. 219; Jarass / Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 3; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 921 ff. 348 Siehe nur Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 188 ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch BVerfG vom 16. 10. 1977, BVerfGE 46, 160, 164. 344 345

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. . . Die Schutzverpflichtung des Staates muss um so ernster genommen werden, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist.“349 Auch wenn es sich bei dem das Grundrecht auf Leben enthaltenden Art. 2 Abs. 2 GG seinem Wortlaut nach um ein reines Abwehrrecht handelt, geht das BVerfG in der Entscheidung, wie gezeigt, davon aus, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Grundrechts auf Leben und zur Verhinderung rechtswidriger Eingriffe Dritter in dieses Grundrecht aktiv tätig werden müsse und dem Gesetzgeber daher eine Handlungspflicht treffe. Aber auch dort, wo es nicht nur um den Schutz grundrechtlich verbürgter Freiheiten vor Beeinträchtigungen Dritter geht, sondern wo der grundrechtliche Freiraum erst durch einfachgesetzliche Regelungen eröffnet werden muss, muss den Staat eine derartige Handlungspflicht in Form der einfachgesetzlichen Grundrechtsausgestaltung treffen. Wie bei Grundrechtseingriffen durch Dritte geht es nämlich auch hier darum, dass der Grundrechtsberechtigte ohne staatliche Hilfe sein Grundrecht nicht (mehr) ausüben kann. Unterlässt der Gesetzgeber die einfachgesetzliche Ausgestaltung eines ausgestaltungsbedürftigen Grundrechts, dann wiegt dies im Hinblick auf die Gewährleistung des durch dieses Grundrecht geschützten Freiheitsbereichs sogar um ein Vielfaches schwerer, als wenn der Gesetzgeber oder auch ein Dritter in das Grundrecht lediglich eingriffe. Der Eingriff in ein Grundrecht führt nämlich regelmäßig nur zu einem partiellen Ausschluss des Grundrechtsberechtigten vom geschützten Freiheitsbereich. Demgegenüber führt die Nichtausgestaltung eines ausgestaltungsbedürftigen Grundrechts dazu, dass der Grundrechtsberechtigte die durch das betreffende Grundrecht gewährleistete Freiheit überhaupt nicht wahrnehmen kann. Ist daher die Nichtausgestaltung im Vergleich zum Eingriff im Hinblick auf die Verwirklichung des Freiheitsbereiches die schwerwiegendere Beeinträchtigung, so folgt hieraus, dass der Gesetzgeber grundrechtlich nicht nur verpflichtet ist, Eingriffe zu unterlassen, sondern – soweit dies zur Verwirklichung des Freiheitsbereichs notwendig ist – auch verpflichtet ist, eine entsprechende Grundrechtsausgestaltung vorzunehmen, soll die mit der Statuierung des Grundrechts getroffene Wertentscheidung nicht leer laufen. Derartige Ausgestaltungspflichten – auch wenn hierzu im einzelnen Vieles streitig ist – sind dem Grundgesetz auch nicht fremd, sondern sind teilweise sogar ausdrücklich geregelt. Verwiesen sei hier nur auf die Art. 4 Abs. 3, 6 Abs. 5, 12a Abs. 2 S. 3 und 104 Abs. 2 S. 4 GG. Dieser Umstand bestätigt ebenfalls, dass der Gesetzgeber im Grundrechtsbereich auch außerhalb der Fallgruppe der von Dritten verursachten Grundrechtseingriffe verpflichtet sein kann, zur Verwirklichung des Freiheitsbereichs gesetzlich tätig zu werden.

349

BVerfG vom 25. 2. 1975, BVerfGE 39, 1, 52.

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(bb) Umfang der Ausgestaltungspflicht (Ausgestaltungsuntergrenze) Ist damit die dogmatische Grundlage der Ausgestaltungspflicht bestimmt, gilt es weiter der Frage nachzugehen, welchen inhaltlichen Anforderungen die Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers unterliegt. Dazu konnte bereits eingangs festgehalten werden, dass Art. 9 Abs. 3 GG gerade wegen seiner Ausgestaltungsbedürftigkeit nur einen Kernbereich des Tarifrechts schützt. Dieser verminderte Schutz hat unmittelbare Folgen für den Umfang der Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers. Er ist nämlich wegen dieses verminderten Schutzes jedenfalls nicht verpflichtet, den Koalitionen ein über den Kernbereich des Tarifrechts hinausgehendes Instrumentarium gesetzlich zur Verfügung zu stellen. Dies wäre allenfalls dann erforderlich, wenn der Norm des Art. 9 Abs. 3 GG über den Kernbereich hinausgehende Aussagen zu inhaltlichen Einzelfragen entnommen werden könnten. Dies ist aber – wie gezeigt350 – nicht der Fall. Als Spezifikum der Ausgestaltungstätigkeit kommt ferner hinzu, dass dem Gesetzgeber wegen der Natur der Gesetzgebung als ein schöpferisch-gestaltender Akt ein weiter Gestaltungsspielraum bezüglich seiner Regelungstätigkeit zukommt. Eine verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgeber an ein bestimmtes zu regelndes (Kern-) Tarifvertragsrecht scheidet daher ebenfalls aus. Gerade im Bereich der einfachgesetzlichen Ausgestaltung von Grundrechten darf man die Tätigkeit des Gesetzgebers nicht durch starre verfassungsrechtliche Vorgaben zu einem schlichten Verfassungsvollzugsakt degradieren.351 Schwarze formuliert plakativ, aber zutreffend, dass ansonsten an die Stelle des Gesetzgebers das BVerfG treten würde.352 Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ergibt sich folgender Maßstab für die Ausgestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers: Der Gesetzgeber kommt seiner Ausgestaltungsverpflichtung dann hinreichend nach, wenn das von ihm geschaffene Tarifrecht die Koalitionszweckverfolgung, also die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nicht leer laufen lässt, das von ihm geschaffene Tarifrecht also nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist. Dabei knüpft dieser Maßstab an die bereits oben herangezogene Rechtsprechung des BVerfG zu den Schutzpflichten des einfachen Gesetzgebers aufgrund der Beeinträchtigung von Grundrechten durch Dritte an. Auch hier statuiert das BVerfG wegen des zu berücksichtigenden weiten Gestaltungsspielraumes dem Gesetzgeber nur die Pflicht, Normkomplexe zum Schutz des gefährdeten Grundrechts zu schaffen, die „nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.“353 § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (aa). So auch Friese, Betriebsverfassung, S. 219 f. Vgl. hierzu ferner Kempen, AuR 1986, 129; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 989. 352 Schwarze, JuS 1994, 653, 657. 353 So BVerfG vom 20. 10. 1987, BVerfGE 77, 170, 215; BVerfG vom 30. 11. 1988, BVerfGE 79, 174, 202; BVerfG vom 28. 1. 1992, BVerfGE 85, 191, 212. Anders zwischenzeitlich BVerfG vom 28. 05. 1993, BVerfGE 88, 203, 254: Der Gesetzgeber muss einen angemessenen und wirksamen Schutz gewährleisten. Nunmehr wieder im Sinne der älteren 350 351

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Friese nimmt demgegenüber eine Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers dahin an, dass dieser verpflichtet sei, die „zu einer sinnvollen Verfolgung des Koalitionszweckes erforderlichen Mittel zur Verfügung“ zu stellen.354 Erforderlich sei ein Mittel dann, wenn es „zur Koalitionszweckverfolgung geeignet ist und die ohne diese Betätigungsform bestehenden Betätigungsmöglichkeiten die Chance zur Erreichung des Koalitionsziels nicht in sinnvoller Weise gewährleisten können“.355 Diese Auffassung Frieses vermag zwar zu begründen, ob ein Koalitionsmittel – beispielsweise das Tarifrecht oder die Beteiligungsrechte der Gewerkschaft im Rahmen der Betriebsverfassung – überhaupt durch den Gesetzgeber geregelt werden muss. Wie diese Regelung aber inhaltlich auszusehen hat, kann die Auffassung Frieses nicht näher erklären, da ihr nur die Notwendigkeit der Regelung des Koalitionsmittels als solches zugrunde liegt. Insofern stellt diese Auffassung Frieses das soeben gefundene Ergebnis nicht in Frage. Aus der Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit im Hinblick auf das formelle Tarifrecht356 folgt auch, dass jeder Grundrechtsberechtigte einen subjektiven Anspruch gegen den Staat auf Bereitstellung eines einfachgesetzlichen Tarifsystems hat, das den Anforderungen der Ausgestaltungsuntergrenze Rechnung trägt. Dabei soll in diesem Zusammenhang zu der verfassungsrechtlichen Grundfrage, ob und in welchem Umfang aus der objektiv-rechtlichen Werteordnung der oder einzelner Grundrechte subjektive Leistungsansprüche der Grundrechtsberechtigten gegenüber dem Staat erwachsen, nicht Stellung genommen werden.357 Für den Bereich des formellen Tarifrechts folgt ein solcher subjektiver Anspruch nämlich schon daraus, dass anderenfalls eine Grundrechtswahrnehmung in diesem Bereich gänzlich ausgeschlossen wäre, die Koalitionsfreiheit mithin eines ihrer Hauptzwecke beraubt wäre. Wäre ein subjektives Recht der Grundrechtsberechtigten auf die Ausgestaltungstätigkeit des Gesetzgebers nämlich abzulehnen, verlöre die soeben herausgearbeitete verfassungsrechtliche Ausgestaltungspflicht im Ergebnis ihren Pflichtencharakter und würde nur noch einen bloßen verfassungsrechtlichen Appell an den einfachen Gesetzgeber darstellen. Die Schaffung eines Tarifrechts hinge einzig von seinem – mangels subjektiven Rechts gerichtlich nicht steuerbaren – Willen ab. Vorliegend verfängt auch das gegen subjektive Rechte in Form von Leistungsansprüchen insbesondere im Rahmen sozialstaatlicher Teilhaberechte angeführte Argument der mangelnden Finanzierungssicherheit bzw. des bei einer Nichtfinanzierbarkeit eintretenden Konflikts mit der „Bindungsklausel“ des Art. 1 Abs. 3 GG nicht.358 Die Bereitstellung eines einfachgesetzlichen TarifRechtsprechung BVerfG vom 26. 10. 1995, NJW 1996, 651 und BVerfG vom 20. 11. 1995, NJW 1996, 651. 354 Friese, Betriebsverfassung, S. 224. 355 Friese, Betriebsverfassung, S. 224. Ähnlich Schwarze, JuS 1994, 653, 657 („notwendigen“). 356 § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (aa). 357 Hierzu nur Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 1 Rn. 152 ff. mit weiteren Nachweisen.

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rechts verlangt nämlich – anders als beispielsweise die Verwirklichung eines Rechts auf Arbeit oder die Errichtung universitärer Forschungseinrichtungen – vom Staat keine Bereitstellung größerer finanzieller Mittel, die er erst erwirtschaften muss. Richtig ist allerdings, dass wegen der relativen Unbestimmtheit der Ausgestaltungsuntergrenze die Grundrechtsberechtigten auch im Rahmen ihres subjektiven Anspruches nicht die Schaffung bestimmter einfachgesetzlicher Regelungen vom Gesetzgeber verlangen können. Den Grundrechtsberechtigten bleibt daher nur, sofern der Gesetzgeber jegliche gesetzliche Aktivitäten verweigert, ihn mit Hilfe des BVerfG zu verpflichten, überhaupt – unter Berücksichtigung der Ausgestaltungsuntergrenze – tätig zu werden. Existiert – wie es der geltenden Rechtslage entspricht – bereits ein einfachgesetzliches Tarifrecht, können die Grundrechtsberechtigten vom Gesetzgeber allenfalls verlangen, dass dieser die gesetzliche Regelung so nachbessert, dass sie der Ausgestaltungsuntergrenze entspricht. Sie haben dabei gegenüber dem Gesetzgeber aber keinen Anspruch auf bestimmte Nachbesserungen. Vielmehr können sie durch das BVerfG nur feststellen lassen, dass das geltende Tarifrecht die Ausgestaltungsuntergrenze unterschreitet. Das BVerfG kann dann den Gesetzgeber verpflichten, nachbessernd tätig zu werden. Welche konkreten Nachbesserungen der Gesetzgeber letztlich vornimmt, bleibt aber weiterhin eine Frage seines gesetzgeberischen Ermessens.359 Zusammenfassend ist damit festzuhalten: Der Gesetzgeber hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung im Bereich des Tarifwesens dann eingehalten, wenn das von ihm geschaffene Tarifrecht die Koalitionszweckverfolgung nicht leer laufen lässt, mithin nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist. Soweit der Gesetzgeber hinter diesen Anforderungen zurückbleibt, hat jeder einzelne Grundrechtsberechtigte wegen der Unterschreitung dieser Ausgestaltungspflicht einen Anspruch auf eine entsprechende Regelung. Dabei kann der Grundrechtsberechtigte aber keine bestimmte Regelung fordern, sondern nur, dass der Gesetzgeber überhaupt ein Tarifrecht zur Verfügung stellt, dass der beschriebenen Ausgestaltungsuntergrenze entspricht. (cc) Grenzen der Ausgestaltungsbefugnis (Ausgestaltungsobergrenze) Die Erfüllung der soeben beschriebenen Ausgestaltungspflicht und damit die Einhaltung der Ausgestaltungsuntergrenze bedeutet noch nicht, dass der Gesetz358 Hierzu ausführlich und mit weiteren Nachweisen Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 1 Rn. 154 ff. 359 Vgl. zu den diesbezüglichen Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG die §§ 78, 82 Abs. 1 und 95 Abs. 3 BVerfGG für das abstrakte Normenkontrollverfahren, das konkrete Normenkontrollverfahren und die Verfassungsbeschwerde. Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang bedeutenderen, über den Wortlaut der genannten Normen aber hinausgehenden Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG siehe die Kommentierungen bei Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Ulsamer, § 78 Rn. 22; Lechner / Zuck, BVerfGG, § 78 Rn. 8; Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Ulsamer, § 95 Rn. 39; Lechner / Zuck, BVerfGG, § 95 Rn. 26 ff.

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geber damit allen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Genüge getan hat. Vielmehr ist er über die Einhaltung der die Ausgestaltungspflicht regelnden Ausgestaltungsuntergrenze hinaus gehalten, den Grundrechtsberechtigten einen möglichst weiten Freiheitsraum durch Regelung eines möglichst effektiven Tarifvertragssystems zu gewährleisten. Diesbezüglich hat der einzelne Grundrechtsberechtigte allerdings keinen durchsetzbaren Anspruch auf eine solche Regelung. Es handelt sich bei dieser verfassungsrechtlichen Obliegenheit des Gesetzgebers vielmehr um eine außerhalb der subjektiven Rechte liegende verfassungsrechtliche Leitlinie der Ausgestaltungstätigkeit.360 Genauso wie der Gesetzgeber gehalten ist, selbst gerechtfertigte Grundrechtseingriffe möglichst zu vermeiden, ist er gehalten, die gesetzliche Ausgestaltung eines Grundrechts möglichst freiheitserweiternd durchzuführen, ohne dass die Grundrechtsberechtigten zugleich einen subjektiven Anspruch auf eine solche umfassende Regelung hätten. Erfüllt der Gesetzgeber mit der Regelung des Tarifrechts die Ausgestaltungsuntergrenze, ist er hierüber hinaus zu keiner weiteren von den Grundrechtsberechtigten durchsetzbaren Ausgestaltung verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn das Tarifrecht unter Umständen in der einen oder anderen Weise hätte effektiver ausgestaltet werden können. Hinsichtlich einer über die Ausgestaltungsuntergrenze hinaus gehenden Ausgestaltungsregelung stellt sich, auch wenn der einzelne Grundrechtsberechtigte auf eine solche Regelung keinen Anspruch hat, die Frage, welche Grenzen der Gesetzgeber hierbei zu beachten hat. Dabei dürfte auf der Hand liegen, dass die Ausgestaltung ihre Grenzen jedenfalls in den Grundrechten Dritter findet. Auch wenn die gesetzliche Regelung des Tarifrechts in erster Linie eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit darstellt, kann sie zugleich auch einen Eingriff in andere Grundrechte bewirken.361 Eingriff und Ausgestaltung schließen sich hier nicht gegenseitig aus. Dies gilt auch im Hinblick auf den Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch er ist bei der Ausgestaltung als anderes Grundrecht im Rahmen der Ausgestaltungsobergrenze zu berücksichtigen. Die Grenze der verfassungsrechtlich zulässigen Ausgestaltung ist jedenfalls aber nicht schon beim ersten Berühren des Schutzbereiches eines anderen Grundrechtes erreicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlichen Obliegenheit, ein möglichst effektives Tarifrecht zu schaffen, und dem dadurch bewirkten Eingriff in die betroffenen anderen Grundrechtsnormen vorzunehmen.362 Bei einer solchen Kollision der verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgestaltungsobliegenheit des Gesetzgebers mit dem Schutzbereich eines anderen Grundrechts handelt es sich zwar nicht um eine echte Grundrechtskollision, die nach den Regeln der praktischen Konkordanz zu lösen ist. Es handelt sich aber um eine sog. unechte Grundrechts360 So Friese, Betriebsverfassung, S. 221. Zur obj.-rechtl. Funktion der Grundrechte umfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 978 ff. 361 Friese, Betriebsverfassung, S. 227; Henssler, ZfA 1998, 1, 15 f. 362 A. A. Butzer, RdA 1994, 375, 380 f., der auf Seiten des Gesetzgebers jegliches zu schützendes Rechtsgut genügen lassen will. Ähnlich wie hier Friese, Betriebsverfassung, S. 227 ff.

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kollision, bei der unter Beachtung des Grundsatzes der Einheit der Verfassung die beiden kollidierenden Verfassungspositionen unter jeweils möglichst geringer Beeinträchtigung in Einklang gebracht werden müssen.363 Inhaltlich ergeben sich gegenüber einer echten Grundrechtskollision keine wesentlichen Unterschiede. Hier wie dort hat der Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative in Bezug darauf, ob die von ihm vorgenommene Regelung im Verhältnis zu dem von ihm angestrebten Regelungsziel, also der Schaffung eines effektiven Tarifvertragssystems, geeignet und erforderlich ist.364 Auch auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist hier wie dort zwischen den Einschränkungen der Effektivität des Tarifvertragssystems und dem bewirkten Eingriff in das betroffene Grundrecht abzuwägen. Erst wenn die Ausgestaltung in diesem Sinne unverhältnismäßig ist, liegt auch ein verfassungswidriger Eingriff in das betroffene andere Grundrecht vor. Die Ausgestaltung ist dann wegen Überschreitung der Ausgestaltungsobergrenze verfassungswidrig. Da es sich hier um einen Grundrechtseingriff handelt, haben die von dem Eingriff betroffenen Grundrechtsberechtigten auch einen subjektiven Abwehranspruch gegenüber dem Gesetzgeber. Bewegt sich der Gesetzgeber demgegenüber innerhalb der durch die Ausgestaltungspflicht vorgegebenen Ausgestaltungsuntergrenze und der durch andere Grundrechte gezogenen Ausgestaltungsobergrenze, ist die Ausgestaltung verfassungsgemäß. Die Grundrechtsberechtigten haben in diesem Bereich keinen Anspruch gegen den Gesetzgeber auf die Regelung eines „besseren“ Tarifvertragssystems. Vielmehr umreißt der zwischen der Ausgestaltungsunter- und Ausgestaltungsobergrenze liegende Bereich den dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsfreiraum, innerhalb dessen er die Regelung des Tarifrechts nach eigenem Ermessen durchführen kann. Ergänzend ist hier noch klarzustellen, dass diese Grenzen der Ausgestaltungstätigkeit des Gesetzgebers nicht nur bei der erstmaligen Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG Anwendung finden, sondern genauso im Zuge der Umgestaltung einer schon vorhandenen Ausgestaltung zu beachten sind.365 Solange sich eine Umgestaltung innerhalb der Unter- und Obergrenze bewegt, ist auch sie verfassungsrechtlich unbedenklich.366 Entgegen Dieterich367 und Butzer368 führt die einmal vorgenommene Ausgestaltung auch nicht dazu, dass gesetzliche Regelungen im 363 Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 657 ff. mit weiteren Nachweisen. Nicht eingegangen werden soll auf die grundrechtsdogmatische Frage, ob eine Kollision zweier Verfassungsnormen allein auf der Schutzbereichsebene oder erst auf der Eingriffsebene aufzulösen ist. Siehe hierzu nur von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Vor. Art. 1 – 19 Rn. 56 f.; Sachs in: Sachs, GG, vor Art. 1 Rn. 120 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Den folgenden Ausführungen liegt die erste Ansicht zugrunde. 364 Siehe hierzu Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 676 ff., 762 ff. mit weiteren Nachweisen. 365 So auch Friese, Betriebsverfassung, S. 230 f. 366 Im Ergebnis so auch Butzer, RdA 1994, 375, 381. 367 Dieterich, RdA 2002, 1, 11 f. 368 Butzer, RdA 1994, 375, 381.

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Bereich der vorgenommenen Ausgestaltung von nun an – auch wenn sie primär der Beschränkung der Tarifautonomie dienen369 – als Eingriffe in den Schutzbereich des durch das TVG ausgestalteten Art. 9 Abs. 3 GG zu qualifizieren wären und damit nur noch dann zulässig sind, wenn sie durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sind.370 Die mit dieser Auffassung einhergehende Erstarrung der einmal vorgenommenen einfachgesetzlichen Ausgestaltung ist schon mit dem bereits an anderer Stelle erwähnten371 offenen Charakter der Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbaren, der gerade eine Anpassungsfähigkeit der Ausgestaltungsregelungen an sich ändernde Umstände erfordert.372 Diese Auffassung ist auch deswegen abzulehnen, weil nicht einsichtig ist, weshalb der einfache Gesetzgeber zwar das Recht haben soll, die erstmalige Ausgestaltung inhaltlich mit einem relativ weiten Gestaltungsfreiraum vorzunehmen, sich hieran anschließende Umgestaltungen aber nur noch unter den strengen Voraussetzungen eines zu rechtfertigenden Grundrechtsingriffes vorzunehmen berechtigt sein soll. Die Umgestaltung ist nämlich nichts anderes, als eine partielle Ausgestaltung, die zudem wegen ihrer nur partiellen Wirkung gegenüber der erstmaligen Ausgestaltung weitaus weniger bedeutend ist.373 Im Ergebnis würde die von dieser Ansicht vertretene Erstarrung der Ausgestaltung zudem dazu führen, dass der ausgestaltende einfache Gesetzgeber allzu schnell in die Versuchung geriete, die Ausgestaltung möglichst minimalistisch vorzunehmen, um sich für zukünftige Gesetzesvorhaben in dem betreffenden Bereich nicht allzu sehr selbst zu binden. Es ist daher im Ergebnis eben gerade nicht so, dass, wie Dieterich plastisch anführt374, der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten ist, durch Ausgestaltung die Mauer selbst zu errichten, die dann vor ihm schützt. Vielmehr ist der ausgestaltende Gesetzgeber als Bauherr dieser Mauer auch nach ihrer Errichtung in den Grenzen der durch die Koalitionsfreiheit vorgegebenen „Bauskizze“ berechtigt, diese nach seinem Belieben umzugestalten und dabei gegebenenfalls auch ein Stück weit wieder einzureißen.

dd) Zusammenfassung Bei gesetzlichen Regelungen im Gewährleistungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG sind Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen zu unterscheiden. Eine Ausgestaltungsregelung liegt vor, wenn sie Bereiche der Koalitionsfreiheit betrifft, in denen der Grundrechtsträger ohne einfachgesetzliche Regelung den So die Einschränkung bei Dieterich, RdA 2002, 1, 11 f. Dieterich, RdA 2002, 1, 11 f. Vgl. zur Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG auch § 3 C. I. 1. c) cc) (b) (cc). 371 § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (aa) ). 372 § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (aa) ). 373 Dies erkennt zumindest begrifflich auch Dieterich (RdA 2002, 1, 12) an. 374 Dieterich, RdA 2002, 1, 11. 369 370

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gewährleisteten Freiheitsbereich nicht wahrnehmen könnte. Anders als Eingriffsregelungen verkürzt sie den grundrechtlichen Schutz nicht, sondern begründet ihn erst. Dem Ausgestaltungsbereich ist unter anderem die einfachgesetzliche Regelung des formellen Tarifrechts zuzuordnen. Auch einfachgesetzliche Ausgestaltungsregelungen unterliegen verfassungsrechtlichen Grenzen. Sie müssen sich innerhalb der Ausgestaltungsunter- und Ausgestaltungsobergrenze bewegen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Ausgestaltung darf im Hinblick auf das einfachgesetzliche Tarifrecht die Koalitionszweckverfolgung nicht leer laufen lassen, mithin nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich sein (Ausgestaltungsuntergrenze). Insofern schützt Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich des formellen Tarifrechts. Die vom Gesetzgeber geschaffene Regelung darf auch nicht unverhältnismäßig in andere Grundrechte eingreifen (Ausgestaltungsobergrenze). Außerhalb des Ausgestaltungsbereichs ist eine gesetzliche Regelung stets als Eingriffsregelung zu qualifizieren. Auf der Eingriffsebene schützt Art. 9 Abs. 3 GG dabei sowohl die individuelle und kollektive Koalitionsbildungsfreiheit als auch die individuelle und kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit bezüglich jeglichen koalitionsspezifischen Verhaltens. Eingriffsregelungen sind nur zugunsten kollidierenden Verfassungsrechts zulässig.

2. § 2 Abs. 1 TVG unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG Nachdem im vorherigen Abschnitt der Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG und damit dessen Vorgaben für das Tarifrecht herausgearbeitet wurden, gilt es nun, die in § 2 Abs. 1 TVG normierte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hieran zu messen.

a) Zuordnung des § 2 Abs. 1 TVG zum Eingriffsoder Ausgestaltungsbereich Festzustellen ist, dass es sich bei der Norm des § 2 Abs. 1 TVG um eine Ausgestaltungsregelung des Art. 9 Abs. 3 GG handelt. Wie bereits dargestellt375, ist die einfachgesetzliche Regelung des formellen Tarifrechts nicht dem Eingriffs-, sondern dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen. Die einfachgesetzliche Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers unterfällt damit als Teil des formellen Tarifrechts dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Dementsprechend hat sich auch die verfassungsrechtliche Überprüfung des § 2 Abs. 1 TVG an den oben herausgearbeiteten Prüfungskriterien für die Ver375

§ 3 C. I. 1. c) cc) (a).

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

fassungsmäßigkeit einer Ausgestaltungsregelung zu orientieren.376 Die getroffene Regelung muss also, um den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG zu genügen, die – mit einer entsprechenden Ausgestaltungspflicht korrespondierende – Ausgestaltungsuntergrenze und die – die Ausgestaltung in Bezug auf andere Rechtspositionen mit Verfassungsrang beschränkende – Ausgestaltungsobergrenze einhalten.

b) Unterschreitung der Ausgestaltungsuntergrenze? Nach den oben aufgestellten Kriterien genügt die gesetzliche Regelung des Tarifrechts der Ausgestaltungsuntergrenze, wenn sie die Koalitionszweckverfolgung – Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – nicht leer laufen lässt, also das vom Gesetzgeber geregelte Tarifrecht zur Koalitionszweckverfolgung nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist.377 In Bezug auf die Tariffähigkeit bedeutet dies zunächst, dass der Gesetzgeber jedenfalls den Koalitionen Tariffähigkeit verleihen muss, damit sie überhaupt Tarifverträge abschließen können. Fehlt den Koalitionen schon die Tariffähigkeit, wäre das Tarifsystem von vornherein offensichtlich ungeeignet bzw. untauglich. Allerdings kann der Gesetzgeber die Tariffähigkeit der Koalitionen von einschränkenden Kriterien wie z. B. Gegnerfreiheit, Mächtigkeit oder Überbetrieblichkeit abhängig machen.378 Eine diesbezügliche Regelung darf allerdings nicht zur Folge haben, dass ein Großteil der existierenden Koalitionen nicht mehr tariffähig ist. Diesen Anforderungen ist der Gesetzgeber in Bezug auf die Tariffähigkeit der Koalitionen mit der Regelung des § 2 Abs. 1 TVG nachgekommen. Hat er daher in ordnungsgemäßer Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung die Tariffähigkeit der Koalitionen geregelt, könnte man annehmen, er habe in Bezug auf die Tariffähigkeit bereits alles Notwendige veranlasst, damit das von ihm geschaffene Tarifsystem zur Koalitionszweckverfolgung nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist. Konsequenz einer solchen Annahme wäre, dass die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers im Hinblick auf die Wahrung der Ausgestaltungsuntergrenze verfassungsrechtlich nicht erforderlich wäre und der Gesetzgeber mithin auch ohne die Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers seiner aus der Koalitionsfreiheit folgenden Ausgestaltungspflicht Genüge getan und damit die Ausgestaltungsuntergrenze eingehalten hätte. Diese Annahme ist jedoch unzutreffend. Solange der Beitritt zu und der Austritt aus einem Arbeitgeberverband freiwillig ist, würde die fehlende Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dazu führen, dass sich jeder Arbeitgeber seiner tariflichen Erfassung durch das Fernbleiben von einem Verband entziehen könnte. Da es für § 3 C. I. 1. c) cc). § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (bb). 378 Hierzu nur Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 68 ff.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 53 ff.; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Strack, GG, Art. 9 Rn. 174 ff.; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 71 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 376 377

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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die Arbeitgeber wegen des auf der individualvertraglichen Ebene bestehenden Verhandlungsungleichgewichts zu ihren Gunsten379 im Regelfall günstiger ist, Arbeitsbedingungen nicht auf der tariflichen, sondern der individualvertraglichen Ebene auszuhandeln, würden sie verständlicherweise von der so eröffneten Möglichkeit der Tarifabstinenz oder Tarifflucht im großen Umfang Gebrauch machen. Die Tariffähigkeit nur der Koalitionen hätte damit zur Folge, dass über kurz oder lang auf Seiten der Arbeitgeber keine Tarifpartner mehr zur Verfügung stünden. Die Koalitionszweckverfolgung mit Hilfe des Tarifvertrages würde so leer laufen, das Tarifrecht wäre dann offensichtlich ungeeignet bzw. untauglich und die Ausgestaltungsuntergrenze nicht eingehalten. Zur Einhaltung der Ausgestaltungsuntergrenze ist der Gesetzgeber daher verfassungsrechtlich verpflichtet, neben der Regelung der Tariffähigkeit der Koalitionen, auch wirksame Schutzmechanismen gegen eine Tarifabstinenz oder Tarifflucht der Arbeitgeber zu schaffen. Einen solchen Schutzmechanismus hat der Gesetzgeber mit der Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers statuiert. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers macht es nicht mehr möglich, dass sich der einzelne Arbeitgeber der Tarifmacht der Gewerkschaft schon durch Austritt aus oder Fernbleiben von einem Verband entziehen kann. Zwar ist es dem einzelnen Arbeitgeber weiterhin freigestellt, in einen Verband einzutreten, von ihm fernzubleiben und auch wieder aus ihm auszutreten – insofern trägt die gesetzliche Regelung der individuellen Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers Rechnung380 –, er bleibt aber auch ohne Verbandsmitgliedschaft für die Gewerkschaft tariflich erreichbar. Die aus der Ausgestaltungsuntergrenze folgende Notwendigkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bezieht sich allerdings nur auf den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber. Der verbandsangehörige Arbeitgeber kann nämlich schon über seinen Verband von den Gewerkschaften tariflich erreicht werden. Für die Einhaltung der Ausgestaltungsuntergrenze ist es insoweit unerheblich, ob die Gewerkschaft den einzelnen Arbeitgeber tariflich über seinen Verband oder direkt erreichen kann. Die Ausgestaltungsuntergrenze fordert zudem auch nicht, dass die Gewerkschaft den Arbeitgeber sowohl über seinen Verband als auch direkt erreichen kann. Im Hinblick auf die Einhaltung der Ausgestaltungsuntergrenze verfassungsrechtlich erforderlich ist daher lediglich die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers. Aus der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers folgt aber nicht, dass es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich untersagt wäre, dessen Tariffähigkeit zu streichen.381 Versagt ist dem Gesetzgeber nur, die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeit379 Siehe hierzu nur Kittner in: Kittner / Zwanziger, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 4 ff.; MhdbARRichardi, § 6 Rn. 15 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 380 Löwisch / Rieble, TVG, Grundlagen Rn. 32; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 95; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 66. 381 Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 66.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

gebers ersatzlos zu streichen. Dies würde, wie gezeigt, die Ausgestaltungsuntergrenze verletzen. Verfassungsrechtlich durchaus zulässig ist es aber, die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers durch eine gleich wirksame andere Regelung zu ersetzen. Zu denken wäre zum Beispiel an den im Zuge der Entstehung des TVG diskutierten Entwurf II382, der eine kombinierte Unterwerfungs- und Tariffähigkeitserklärung für nicht tarifgebundene Arbeitgeber vorsah. Denkbar, allerdings im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Diskussion um die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG problematisch383, wäre auch eine Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit. Schließlich käme eine zwangsweise Unterwerfung des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers unter einen Verbandstarifvertrag, sei es auf Initiative der Gewerkschaft mittels Streiks oder durch staatlichen Unterwerfungsakt, in Betracht. Solange derartige Alternativregelungen nicht dazu führen, dass das Tarifrecht zur Koalitionszweckverfolgung offensichtlich ungeeignet oder untauglich wird, sind sie im Hinblick auf die Ausgestaltungsuntergrenze nicht zu beanstanden.384 Einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Schutz der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers als solcher enthält Art. 9 Abs. 3 GG somit nicht.385 Nur am Rande sei erwähnt, dass sich ein solcher unmittelbarer verfassungsrechtlicher Schutz der Tariffähigkeit entgegen der Auffassung Riebles386 auch nicht aus der Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers ergibt. Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie mag zwar das Recht umfassen, Verträge abzuschließen. Er umfasst aber nicht die allein durch die Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Möglichkeit, Tarifverträge zu vereinbaren. Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass die Tariffähigkeit des Arbeitgebers gem. § 2 Abs. 1 TVG mit der Ausgestaltungsuntergrenze im Einklang steht.387 Dass § 2 Abs. 1 TVG auch die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers umfasst, ist im Hinblick auf die Ausgestaltungsuntergrenze verfassungsrechtlich zwar nicht notwendig, aber unbedenklich.

c) Überschreitung der Ausgestaltungsobergrenze? Im Hinblick auf die Einhaltung der Ausgestaltungsobergrenze gilt es im Folgenden zu klären, ob und inwieweit die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers in Siehe § 2 D. I. Hierzu nur Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 19 ff. mit weiteren Nachweisen. 384 Inwieweit diese Regelungen mit der Ausgestaltungsobergrenze zu vereinbaren sind, soll offen bleiben. 385 Im Ergebnis so wie hier Matthes, FS Schaub, S. 477, 482; a.A. Hensche, RdA 1971, 9, 17. 386 Rieble, NZA 2000, 225, 230. In diese Richtung auch Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 22. 387 Zu dem insoweit als Sonderproblem der Einhaltung der Ausgestaltungsuntergrenze anzusehenden Paritätsgebot siehe unten § 3 C. I. 2. d). 382 383

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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Grundrechte Dritter eingreift. Liegt eine solcher Eingriff vor, ist eine Abwägung zwischen dem betroffenen Grundrecht und der verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsobliegenheit des einfachen Gesetzgebers, ein zur Koalitionszweckverfolgung möglichst effektives Tarifvertragssystem zu schaffen, vorzunehmen.388 Steht fest, dass die Tariffähigkeit des Arbeitgebers in andere Grundrechte unverhältnismäßig eingreift, wäre die Ausgestaltungsobergrenze überschritten und die in § 2 Abs. 1 TVG vorgenommene Ausgestaltung verfassungswidrig. Ausgeklammert werden kann bei den folgenden Ausführungen die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers. Sie ist – wie gezeigt – nach dem zur Zeit geltenden Tarifrecht im Hinblick auf die Ausgestaltungsuntergrenze verfassungsrechtlich notwendig und kann daher schon aus diesem Grund mit der Ausgestaltungsobergrenze nicht kollidieren. Die folgenden Ausführungen befassen sich deswegen allein mit der Einhaltung der Ausgestaltungsobergrenze im Hinblick auf die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers.

aa) Individuelle Koalitionsfreiheit des den Firmentarifvertrag abschließenden Arbeitgebers Denkbar ist zunächst, dass durch die Zuerkennung der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers in die individuelle Koalitionsfreiheit des den Firmentarifvertrag abschließenden Arbeitgebers eingegriffen wird.389 Durch den Abschluss eines Firmentarifvertrages werde der verbandsangehörige Arbeitgeber – so Natzel – von der Tariftätigkeit seines Verbandes ausgeschlossen, da der Firmentarifvertrag wegen des Spezialitätsgrundsatzes dem Verbandstarifvertrag vorgehe und diesen verdränge. Da es aber der individuellen Koalitionsbetätigungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers entspreche, sich an der Tariftätigkeit seines Verbandes zu beteiligen, liege in der den Abschluss eines Firmentarifvertrages erst ermöglichenden Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers.390 Ein Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers wird teilweise auch darin gesehen, dass ihn die fortbestehende Tariffähigkeit wegen des hierdurch ermöglichten direkten Zugriffs der Gewerkschaft aus dem Schutz seines Verbandes dränge.391 § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (cc). So Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501; Natzel, SAE 2001, 43, 48. 390 So ausdrücklich Natzel, SAE 2001, 43, 48. Dieses Problem wird häufiger im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber gesehen. Siehe hierzu § 5 C. 391 So ausdrücklich Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501; Natzel, SAE 2001, 43, 48. Auch dieses Problem wird häufiger im Zusammenhang mit der Zulässigkeit eines Firmenarbeitskampfes gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber gesehen. Siehe hierzu § 5 C. 388 389

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Ob man hinsichtlich beider Erwägungen überhaupt einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit des abschließenden Arbeitgebers annehmen kann, ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen. Jedenfalls scheitert eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit daran, dass die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zunächst nur ermöglicht, freiwillig Firmentarifverträge abzuschließen. Sie erweitert insofern bloß den Handlungsfreiraum des einzelnen Arbeitgebers. Schließt er daher entsprechend dieser Erweiterung freiwillig einen Firmentarifvertrag ab, kann hierin keine Verletzung seiner Koalitionsfreiheit liegen.392 Anders wäre dies nur, wenn die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers der Gewerkschaft zugleich ermöglichen würde, den Arbeitgeber mit Arbeitskampfmitteln zum Abschluss eines Firmentarifvertrages zu zwingen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Vielmehr ist die Frage der Zulässigkeit des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag von der Frage der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu trennen.393

bb) Kollektive Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitgeberverbandes Zu denken ist weiter an einen Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitgeberverbandes. Boldt führt hierzu aus, dass durch die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und den dadurch ermöglichten Abschluss von Firmentarifverträgen in den grundrechtlich garantierten Bestand (a) und die Betätigungsfreiheit (b) des Arbeitgeberverbandes verfassungswidrig eingegriffen werde.394 (a) Bestand des Arbeitgeberverbandes Boldt 395 argumentiert, dass durch den Abschluss von Firmentarifverträgen der Arbeitgeberverband für seine Mitglieder uninteressant werde, da er sie augenscheinlich nicht vor einer Inanspruchnahme durch die Gewerkschaften schützen konnte. Folge sei, dass die Mitglieder aus dem Verband austreten bzw. gar nicht 392 Zur Einwilligung in Grundrechtseingriffe ausführlich Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 887 ff. mit weiteren Nachweisen. Weitergehend BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, das von der individuellen Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers auch und gerade das Recht zum Abschluss von Firmentarifverträgen als erfasst ansieht und daher einen Ausschluss der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers sogar als mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar ansieht. 393 Siehe daher hierzu unten § 5. 394 Boldt, RdA 1971, 257, 262, der den Schwerpunkt seiner Ausführungen allerdings nicht auf die Regelung des § 2 Abs. 1 TVG, sondern auf den durch die Gewerkschaft ausgeübten Eingriff abstellt. In diese Richtung auch die Argumentation von Reuter, NZA 2001, 1097, 1098. Reuter negiert allerdings wegen der Unvereinbarkeit der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers mit der kollektiven Koalitionsfreiheit seines Verbandes lediglich die Existenz eines aus der individuellen Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers fließenden Rechts auf die eigene Tariffähigkeit. 395 Boldt, RdA 1971, 257, 262.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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mehr in den Verband eintreten. Dieser Mitgliedsverlust gefährde über kurz oder lang den Bestand des Verbandes, so dass durch den Abschluss von Firmentarifverträgen aufgrund der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers in die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes eingegriffen werde. Gegen diese Argumentation wendet Heß396 ein, die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes sei nur verletzt, wenn die Voraussetzungen der Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG vorlägen. Dies sei aber regelmäßig nicht anzunehmen, da Firmentarifverträge meist nur der Berücksichtigung betrieblicher Besonderheiten dienten und daher im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unbedenklich seien. Ob und inwieweit dies zutrifft, kann hier dahinstehen, denn es kommt vorliegend auf Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht an. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ist nur für die Fälle des Eingriffs Privater in die Koalitionsfreiheit einschlägig. In der hier zu behandelnden Konstellation geht es jedoch um die Frage, inwieweit die gesetzliche Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers in die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes eingreift. Insofern geht es vorliegend nicht um einen von einem Privatrechtssubjekt, sondern vom Staat ausgehenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Es kommt vielmehr darauf an, ob durch § 2 Abs. 1 TVG überhaupt in die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes in Form des Bestandsschutzes eingegriffen wird und ob dieser Eingriff im Rahmen der Abwägung mit der Ausgestaltungsobliegenheit des einfachen Gesetzgebers, ein zur Koalitionszweckverfolgung möglichst effektives Tarifsystem zu schaffen, gerechtfertigt ist. (aa) Eingriff in die Bestandsgarantie des Arbeitgeberverbandes Ausgangspunkt ist, dass aus der Gewährleistung der Koalitionsbildungsgarantie, mittelbar aber auch aus der Koalitionsbetätigungsgarantie, ein Recht des Arbeitgeberverbandes auf seinen Bestand folgt.397 Dieses Bestandsrecht erstreckt sich zugunsten der Koalitionen nicht nur darauf, überhaupt zu existieren, sondern auch darauf, für (potentielle) Mitglieder möglichst attraktiv zu sein, um viele Mitglieder zu erreichen und zu binden. In diesem Zusammenhang scheidet eine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes jedenfalls dann von vornherein aus, wenn der Arbeitgeberverband sich mit dem Abschluss des Firmentarifvertrages durch sein Mitglied einverstanden erklärt hat.398 Einschränkungen der eigenen Verbandsstärke muss der Arbeitgeberverband in einem solchen Fall hinnehmen. Aber selbst wenn sich der Verband mit dem Abschluss des Firmentarifvertrages nicht einverHess, DB 1975, 548, 549; ders., Zulässigkeit, S. 55. BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 1. 10. 1995, BVerfGE 92, 26, 38; Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 29; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 66; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Rn. 80. 398 Siehe § 3 C. I. 2. c) aa). 396 397

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

standen erklärt hat, liegt eine Verletzung der Bestandsgarantie des Arbeitgeberverbandes aus zwei Gründen nicht vor. Erstens ist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Abschluss von Firmentarifverträgen bzw. der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und einem möglicherweise eintretenden Mitgliedsverlust des Arbeitgeberverbandes bisher nirgends tatsächlich belegt. Schon die Ausgangsthese, dass Firmentarifverträge die Attraktivität und damit den Mitgliedsbestand des Arbeitgeberverbandes negativ beeinflussen, ist nach dem bisherigen Stand der Dinge nicht mehr als eine Behauptung. Zweitens liegt, selbst wenn man einen solchen tatsächlichen Zusammenhang unterstellen wollte, hierin jedenfalls kein Eingriff des Gesetzgebers in die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes. Ein Grundrechtseingriff würde nach dem klassischen Eingriffstatbestand nämlich voraussetzen, dass die staatliche Maßnahme – die gesetzliche Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers – imperativ und final auf die Verkürzung des betroffenen Schutzbereiches ausgerichtet ist. Das trifft aber nicht zu. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verkürzt weder in imperativer Weise den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit noch bezweckt diese Regelung eine solche Verkürzung. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dient nach der gesetzlichen Intention nicht der Schwächung des Arbeitgeberverbandes, sondern nur dazu, den Gewerkschaften im Anschluss an die Vorgängervorschriften der TVVO von 1918 möglichst viele Tarifpartner zur Verfügung zu stellen.399 In der Regelung des § 2 Abs. 1 TVG kann somit allenfalls ein über die Grenzen des klassischen Eingriffsbegriff hinausgehender sonstiger Grundrechtseingriff liegen. Über dessen Voraussetzungen herrscht weit verbreitete Unsicherheit.400 Im Zuge der Diskussion um den sonstigen Grundrechtseingriff haben sich zwei Fallgruppen herausgebildet, bei denen jedenfalls das Vorliegen eines sonstigen Grundrechtseingriffs anzunehmen ist. Dies ist zum einen die Fallgruppe der staatlichen Alleinverursachung und zum anderen die Fallgruppe der staatlich veranlassten Drittverursachung. Die Fallgruppe der staatlichen Alleinverursachung ist einschlägig, wenn die im Raum stehende Grundrechtsbeeinträchtigung allein durch eine staatliche Maßnahme ohne Hinzutreten vermittelnder Dritter bewirkt wird.401 Auf eine entsprechende staatliche Motivation soll es dann nicht mehr ankommen. Der Staat muss sich im Bereich der Alleinverursachung auch ungewollte Schutzbereichsbeeinträchtigungen zurechnen lassen. Diese Fallgruppe ist vorliegend nicht einschlägig. Die gesetzliche Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers führt nämlich nicht unmittelbar zu einem Attraktivitätsverlust und damit Mitgliedsverlust des § 3 B. V. und VI. Bauer in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 82; Jarras / Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26; Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 83; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 128 ff. 401 Hierzu Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 88; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 182, jeweils mit weiteren Nachweisen. 399 400

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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Arbeitgeberverbandes. Vielmehr bedarf es hierfür sogar mehrerer vermittelnder autonomer Willensentschlüsse Dritter. Zunächst muss die Gewerkschaft oder der einzelne Mitgliedsarbeitgeber überhaupt von der ihnen in § 2 Abs. 1 TVG eingeräumten Möglichkeit des Abschlusses von Firmentarifverträgen Gebrauch machen wollen. Ferner muss jede Seite ein abschlussbereites Gegenüber finden. Schließlich müssen die (potentiellen) anderen Mitglieder des Arbeitgeberverbandes diesen Abschluss auch noch zum Anlass nehmen, dem betroffenen Arbeitgeberverband den Rücken zu kehren und ihn hierdurch zu schwächen. Scheidet ein sonstiger Grundrechtseingriff auf der Grundlage der Fallgruppe der staatlichen Alleinverursachung somit aus, bleibt noch die Möglichkeit, einen sonstigen Grundrechtseingriff auf der Grundlage der Fallgruppe der staatlich veranlassten Drittverursachung anzunehmen. Eine solche staatlich veranlasste Drittverursachung soll zum einen vorliegen, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung zwar unmittelbar nicht vom Staat, sondern von einem Dritten ausgeht, der Dritten jedoch durch Imperative des Staates zu diesem Verhalten bestimmt wird.402 Der Dritte wirkt in einem solchen Fall mangels eigener Entscheidungsfreiheit wie ein verlängerter Arm des Staates, so dass sich der Staat dessen Verhalten zurechnen lassen muss. Zum anderen liegt ein sonstiger Eingriff auf der Grundlage der Fallgruppe Drittverursachung dann vor, wenn der Staat das Verhalten des Dritten zwar nicht erzwingt, es aber bewusst und gewollt steuert.403 Diese Steuerung kann durch finanzielle Anreize, Unterstützung oder auch nur Warnungen geschehen.404 Auch hier wird der Willensentschluss des handelnden Dritten durch die staatliche Aktivität derart vorprogrammiert, dass sich der Staat dessen Verhalten zurechnen lassen muss. Beide Varianten liegen bezüglich der in § 2 Abs. 1 TVG geregelten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht vor. § 2 Abs. 1 TVG richtet sich zunächst ersichtlich nicht imperativ an einen Dritten, der dann den im Raum stehenden Grundrechtseingriff in Form der Schwächung des Arbeitgeberverbandes hervorruft. § 2 Abs. 1 TVG erweitert lediglich die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitgebers und der Gewerkschaft, ohne hieran Zwänge zu knüpfen. Auch eine bewusste und gewollte Steuerung liegt nicht vor. Der Gesetzgeber wollte, wie bereits erwähnt,405 mit § 2 Abs. 1 TVG weder die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes beschränken noch das Verhalten der Mitgliedsarbeitgeber oder der Gewerkschaft in diese Richtung steuern. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dient nur dazu, das Tarifsystem effektiver zu gestalten und der Gewerkschaft möglichst viele Tarifpartner zur Verfügung zu stellen.406 402 Hierzu Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 89; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 187 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. 403 Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 89; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 189 f. 404 Hierzu mit weiteren Nachweisen Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 89. 405 Siehe § 2 D. bzw. § 3 B. V. – VI. 406 Siehe § 2 D. bzw. § 3 B. V. – VI.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass ein Eingriff in den Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes durch die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ausscheidet. (bb) Rechtfertigung eines Eingriffs Selbst wenn man davon ausgehen wollte, der Gesetzgeber habe bei der Regelung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes zumindest bedingt vorsätzlich in Kauf genommen, wäre der hierdurch bewirkte Eingriff – wie im Folgenden zu zeigen ist – gerechtfertigt. Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes durch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist dann gerechtfertigt und damit die Ausgestaltungsobergrenze eingehalten, wenn er gegenüber der Ausgestaltungsobliegenheit, ein zur Koalitionszweckverfolgung möglichst effektives Tarifvertragssystem zu schaffen, in einem angemessenen Verhältnis steht.407 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Austritt oder Nichteintritt (potentieller) Mitgliedsarbeitgeber und damit die Schwächung des Verbandes regelmäßig nicht monokausal auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zurückzuführen ist. Vielmehr hat ein Verbandsaustritt regelmäßig auch andere Ursachen, wie z. B. Sparen des Mitgliedsbeitrages oder eine unattraktive Verbandspolitik. Zudem ist bislang kein einziger Fall publik geworden, in dem die fortbestehende Tariffähigkeit der Mitgliedsarbeitgeber zu einem nennenswerten Mitgliedsverlust auf Seiten des Arbeitgeberverbandes geführt hat. Selbst wenn man also davon ausginge, dass sich die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers neben anderen Ursachen negativ auf die Mitgliedszahl des Verbandes auswirkt, dürfte sie dennoch keinen wesentlichen Mitgliedsverlust herbeiführen. Im Ergebnis ist die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf den Bestandsschutz daher allenfalls am Rande tangiert. Demgegenüber würde ein Wegfall der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers die Effektivität des Tarifrechts ganz erheblich beeinträchtigen. Folge der fehlenden Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers wäre nämlich – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt408 –, dass der einzelne Arbeitgeber seine tarifliche Erfassung durch verschiedene Ausweichstrategien erheblich erschweren könnte. Allein die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers erlaubt der Gewerkschaft zudem, unabhängig von auf der Verbandsebene auftretenden Schwierigkeiten der beiderseitigen Tarifzuständigkeit jedenfalls auf die einzelnen Mitgliedsarbeitgeber als Tarifpartner zurückzugreifen. Letztlich dürfte die fehlende Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und die damit verbundene 407 408

§ 3 C. I. 1. c) cc) (c) (cc). § 3 B. VI.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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Abhängigkeit des Arbeitgebers von seinem Verband nicht selten auch dazu führen, dass einzelne Arbeitgeber allein deswegen aus dem Verband austreten, um die eigene Tariffähigkeit wiederzuerlangen. Es würden damit genau die Folgen eintreten, die eine fehlende Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers gerade vermeiden soll. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers nur den freiwilligen Abschluss von Firmentarifverträgen ermöglicht. Ein Ausschluss der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers hätte damit aber zur Folge, dass die Handlungsmöglichkeiten des Mitgliedsarbeitgebers auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zugunsten seines Verbandes eingeschränkt würden. Da die Koalitionsfreiheit des Verbandes aber kein Selbstzweck ist, sondern in erster Linie dazu dient, die individuelle Koalitionsfreiheit seiner Mitglieder zu vervollkommnen, spricht die mit dem Ausschluss der Tariffähigkeit eintretende Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Mitgliedsarbeitgebers auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ebenfalls für eine Rechtfertigung des Eingriffs in den Bestandsschutz des Verbandes.409 Angesichts der anderenfalls eintretenden Nachteile für die Effektivität des Tarifvertragssystems und die Einschränkung der tariflichen Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers ist der demgegenüber verhältnismäßig geringe Eingriff in die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes durch die in § 2 Abs. 1 TVG getroffene Regelung angemessen. Er stellt damit einen angemessenen Ausgleich zwischen der Ausgestaltungsobliegenheit des Gesetzgebers und dem grundrechtlich geschützten Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes her. § 2 Abs. 1 TVG überschreitet daher im Hinblick auf den Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes die Ausgestaltungsobergrenze nicht. (b) Betätigungsfreiheit Einen Eingriff in die kollektive Betätigungsgarantie des Arbeitgeberverbandes durch die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und den Abschluss von Firmentarifverträgen könne man – so Boldt weiter – auch darin sehen, dass dem jeweiligen Arbeitgeberverband durch die Tariffähigkeit und die dadurch ermöglichte Tariftätigkeit seiner Mitglieder die Möglichkeit genommen würde, mit Wirkung für die einen Firmentarifvertrag abschließenden Mitglieder Verbandstarifverträge zu vereinbaren.410 Die in dieser Argumentation anklingende Problematik, inwieweit der Arbeitgeberverband verfassungsrechtlich überhaupt vor konkurrierender Tarifsetzung seiner Mitglieder geschützt ist, spitzt Hess auf die Frage zu, ob es für die Betätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes ausreiche, wenn dieser das Mitgliedsunternehmen unterstützen und beraten könne, was auch im Falle des Abschlusses eines Firmentarifvertrages weiterhin möglich bliebe, oder ob die Betäti409 410

In diese Richtung auch BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Boldt, RdA 1971, 257, 262.

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gungsfreiheit des Verbandes auch die „beste“ Interessenwahrnehmung durch den Abschluss eigener Verbandstarifverträge mit Wirkung für die Mitglieder garantiere.411 Hess schließt sich der letzteren Alternative an und kommt daher ebenso wie Boldt zu dem Ergebnis, dass die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und damit der (freiwillige) Abschluss von Firmentarifverträgen gegen die Koalitionsbetätigungsgarantie des Arbeitgeberverbandes verstoße.412 Bevor auf diese Ansicht näher eingegangen wird, ist festzuhalten, dass ein Eingriff in die kollektive Betätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes jedenfalls dann ausscheidet, wenn dieser sich mit der aufgrund der Tariffähigkeit möglichen Tariftätigkeit seines Mitgliedes einverstanden erklärt hat.413 Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auch hier allein auf den Fall, in dem der Verband mit dem Tarifabschluss seines Mitgliedes nicht einverstanden ist. Auch dann scheidet ein Eingriff in die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes aber im Ergebnis aus. Gegen die Argumentation Boldts und Heß spricht zunächst, dass die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers für den Arbeitgeberverband keineswegs die Möglichkeit ausschließt, Verbandstarifverträge für seine Mitglieder abzuschließen. Der Verbandstarifvertrag wird lediglich für die Dauer der Geltung des Firmentarifvertrages wegen des Spezialitätsgrundsatzes von diesem verdrängt. Endet der Firmentarifvertrag, entfaltet der Verbandstarifvertrag (wieder) seine volle Wirkung.414 Auch in Bezug auf Regelungskomplexe, die vom Firmentarifvertrag nicht erfasst werden, verbleibt die Normsetzungskompetenz beim Verband. Allenfalls partiell ist der Verband daher von einer Tarifsetzung für diese Mitgliedsarbeitgeber ausgeschlossen. Maßgebliches Argument gegen einen Eingriff in die Betätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes ist darüber hinaus, dass die aus der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers folgende partielle Unmöglichkeit der verbandlichen Tarifsetzung als solche keinen Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG darstellt. Vielmehr liegt diesbezüglich eine hiervon zu trennende Frage der Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG vor. Nach der oben herausgearbeiteten Konzeption des Art. 9 Abs. 3 GG sind Regelungen über die Voraussetzungen und den Abschluss von Tarifverträgen, also insbesondere auch über die Tariffähigkeit, dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen. Die hierbei zu beachtende Untergrenze hat der Gesetzgeber, wie soeben gezeigt,415 eingehalten. Hält sich die getroffene Regelung an diese Untergrenze, ist sie verfassungsrechtlich nur noch zu beanstanden, wenn sie in andere Grundrechte Dritter eingreift. Mit dem Einwand Hess, Zulässigkeit, S. 63. Hess, Zulässigkeit, S. 64. 413 Siehe hierzu § 3 C. I. 2. c) aa). 414 Vgl. BAG vom 19. 1. 1962, AP Nr. 11 zu § 5 TVG; BAG vom 4. 12. 1972, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1496; Löwisch / Rieble, FS Schaub, S. 467, 462 ff. 415 § 3 C. I. 2. b). 411 412

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der Verhinderung einer effektiv wirkenden Tarifsetzung durch die Arbeitgeberverbände wegen der Tariffähigkeit des einzelnen, verbandsangehörigen Arbeitgebers wird aber nicht ein Eingriff in ein Grundrecht Dritter behauptet, sondern eine anderweitige – nach dieser Ansicht zweckmäßigere – Ausgestaltung des Tarifrechts gefordert. Verlangt wird eine Erweiterung der Tarifmacht des Arbeitgeberverbandes zu Lasten seiner Mitglieder. Eine solche anderweitige Ausgestaltung kann aber nach dem oben Gesagten außerhalb der Ausgestaltungsuntergrenze nicht gefordert werden. Die durch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bedingte Einschränkung der Tarifmacht des Verbandes stellt daher für sich genommen keinen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG dar. Mit anderen Worten: Durch die mittels der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit im Bereich des formellen Tarifrechts geschaffene uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes in Bezug auf die eigene Tarifsetzung von vornherein auf ein Nebeneinander von Verbandstarifvertrag und Firmentarifvertrag reduziert. Der konkurrierende Abschluss von Firmentarifverträgen beeinträchtigt die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf die eigene Tariftätigkeit daher nicht, weil dieses Recht von vornherein durch das Recht der Gewerkschaft und auch des einzelnen Mitgliedsarbeitgebers auf Abschluss von Firmentarifverträge relativiert ist. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn – wie im Rahmen des Bestandsschutzes diskutiert – der Arbeitgeberverband durch diese Regelung in seinem Bestand gefährdet wäre. Der Bestandsschutz ist nämlich, anders als die Tariffähigkeit als solche, dem Eingriffsbereich zuzuordnen. In diesem Bereich stellt sich auch die gesetzliche (Ausgestaltungs-)Regelung des Tarifrechts als Eingriff in den Schutzbereich dar. Der Bestand des Arbeitgeberverbandes ist aber gerade – wie gezeigt416 – in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise nicht gefährdet. Die Tariffähigkeit des einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgebers und der dadurch ermöglichte Abschluss von Firmentarifverträgen beeinträchtigt den Arbeitgeberverband daher nicht in seiner kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit.

cc) Individuelle Koalitionsfreiheit der übrigen Arbeitgeber Letztlich kommt noch in Betracht, dass der Abschluss von Firmentarifverträgen mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber und damit dessen Tariffähigkeit gegen die individuelle Koalitionsfreiheit der anderen – am Firmentarifvertrag nicht unmittelbar beteiligten – Mitgliedsarbeitgeber verstößt.417 Die durch die Tariffähigkeit des Mitgliedsarbeitgebers eintretende Schwächung des ArbeitgeberverVgl. § 3 C. I. 2. c) bb) (a). Boldt, RdA 1971, 257, 259 ff., der allerdings auch hier primär auf einen Verstoß der Gewerkschaft abstellt. 416 417

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bandes führt nach Boldt in der Tat dazu, dass die individuelle Koalitionsfreiheit der anderen Mitgliedsarbeitgeber verletzt werde.418 Die individuelle Koalitionsfreiheit beinhalte nämlich auch, sich einer schutzfähigen Koalition anzuschließen. Dies werde aber vereitelt, wenn der Gesetzgeber Regelungen bereithalte, die zu einer Schwächung des Arbeitgeberverbandes führt. Dem einzelnen Arbeitgeber werde dadurch die Möglichkeit genommen, in einen starken und schützenden Arbeitgeberverband einzutreten bzw. in einem solchen zu verbleiben.419 Diese Argumentation knüpft – wie unschwer zu erkennen ist – an die Argumentation zur behaupteten Verletzung des Bestandsschutzes des Arbeitgeberverbandes an. Wegen dieser Anknüpfung ergibt sich auch für einen möglichen Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit der anderen Arbeitgeber, dass dieser jedenfalls wegen des anderenfalls eintretenden Effektivitätsverlustes gerechtfertigt ist. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verstößt daher auch nicht gegen die individuelle Koalitionsfreiheit der anderen Mitgliedsarbeitgeber.

dd) Art. 3 Abs. 1 GG Zu überlegen ist ferner, ob die dem einzelnen Arbeitgeber verliehene Tariffähigkeit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Der einzelne Arbeitgeber könnte nämlich einwenden, er sei durch die Möglichkeit der tariflichen Inanspruchnahme gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer, der nicht tariffähig ist und sich daher keinen Tarifforderungen des sozialen Gegenübers ausgesetzt sieht, ungerechtfertigt benachteiligt. Dieser Einwand erweist sich aber ebenfalls als nicht stichhaltig. Zwar muss man entgegen einer verbreiteten Ansicht420 davon ausgehen, dass der Gleichheitssatz des Art. 3 GG auch im Rahmen des Schutzbereiches des Art. 9 Abs. 3 GG Anwendung findet.421 Die durch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bewirkte Ungleichbehandlung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer ist aber jedenfalls gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig davon, ob man als Prüfungsmaßstab die alte Willkürformel422 oder die sog. „neuen Formel“423 des BVerfG anwendet. Der durch den Verzicht auf die Tariffähigkeit des Boldt, RdA 1971, 257, 260. Boldt, RdA 1971, 257, 259 ff. 420 Siehe Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 287; Scholz / Konzen, Aussperrung, S. 173. 421 So auch Zöllner, Aussperrung, S. 29 Fn. 85 a. 422 Die bis 1980 vom BVerfG und der h. L. verwendete Willkürformel gebot es, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ zu behandeln. So ausdrücklich: BVerfG vom 16. 3. 1955, BVerfGE 4, 144, 155; BVerfG vom 21. 1. 1970, BVerfGE 27, 364, 371 f.; BVerfG vom 26. 4. 1988, BVerfGE 78, 104, 121; BVerwG vom 15. 10. 1971, BVerwGE 39, 1, 4; BVerwG vom 20. 12. 1981, BVerwGE 64, 248, 261. 423 Beginnend ab 1980 nahm zunächst der 1. Senat des BVerfG eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG an, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadres418 419

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einzelnen Arbeitgebers bereits geschilderte424 eintretende Verlust der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems rechtfertigt die Ungleichbehandlung des einzelnen Arbeitgebers in jedem Fall. § 2 Abs. 1 TVG ist daher auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.425

ee) Art. 2 Abs. 1 GG – Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers Natzel wirft weiter die Frage auf, ob die uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers gegen dessen durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie verstößt.426 Der einzelne Arbeitgeber werde nämlich durch die eigene Tariffähigkeit in der Möglichkeit beschränkt, seine Arbeitsbedingungen privatautonom, also ohne tarifliche Inanspruchnahme, zu regeln.427 Er bejaht im Ergebnis einen solchen Verstoß gegen die Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers mit der Erwägung, dass zumindest die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers nicht zu Verwirklichung der Koalitionsfreiheit notwendig und damit der hierdurch erfolgte Eingriff nicht gerechtfertigt sei.428 Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Durch den freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrages – und mehr ermöglicht die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zunächst nicht –, verzichtet der einzelne Arbeitgeber freiwillig auf die Möglichkeit, Arbeitsbedingungen einzelvertraglich zuungunsten der Arbeitnehmer zu regeln. Er kann sich daher nicht auf eine Verletzung seiner Privatautonomie berufen. Abstrakt betrachtet, also unabhängig von dem konkreten Abschluss eines Firmentarifvertrages und der damit verbundenen Verdrängung einzelvertraglicher Regelungen, erweitert die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dessen Privatautonomie sogar in kollektiver Hinsicht um die Möglichkeit, überhaupt Tarifverträge abschließen zu können.429 saten anders behandelt wird obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. So BVerfG vom 7. 10. 1980, BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG vom 25. 9. 1990, BVerfGE 82, 60, 86; BVerfG vom 8. 10. 1996, BVerfGE 95, 39, 45. Ihm folgte in einigen Entscheidungen auch der 2. Senat des BVerfG sowie Teile der sonstigen Rechtsprechung und Lehre: BVerfG vom 7. 12. 1983, BVerfGE 65, 377, 384; BVerfG vom 15. 5. 1995, BVerfGE 92, 277, 318; Maaß, NVwZ 1988, 14, 21; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 18 ff.; Rüfner in: BKGG, Art. 3 Rn. 96 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863, 874. 424 § 3 B. VI. und § 3 C. I. 2. c) bb) (a) (bb). 425 Die h. M. hält es im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz sogar für zulässig, der Gewerkschaft eine gewisse Mächtigkeit abzuverlangen, dies für den Arbeitgeberverband und dem einzelnen Arbeitgeber aber nicht zu fordern. Siehe BAG vom 16. 1. 1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG – allerdings unter fehlerhafter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG vom 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 318. Vgl. auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 104; BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 256. 426 Natzel, SAE 2001, 43, 48. 427 Natzel, SAE 2001, 43, 48. 428 Natzel, SAE 2001, 43, 48. 429 In diese Richtung auch BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist daher auch mit dessen Privatautonomie vereinbar.430 ff) Zwischenergebnis Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitsgebers erweist sich im Hinblick auf die Ausgestaltungsobergrenze als verfassungsgemäß. Hierdurch bewirkte Eingriffe in die individuelle Koalitionsfreiheit sowie die Privatautonomie des den Firmentarifvertrag abschließenden Arbeitgebers liegen schon deswegen nicht vor, weil die Tariffähigkeit nur die Möglichkeit eröffnet, einen Firmentarifvertrag auf freiwilliger Basis abzuschließen. Soweit die einen freiwilligen Abschluss ermöglichende Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers demgegenüber in Grundrechte weiterer Beteiligter eingreift, ist dieser Eingriff jedenfalls wegen des ansonsten eintretenden Funktionsverlusts des Tarifrechts gerechtfertigt.

d) Paritätsgebot und Ordnungsfunktion Einige Stimmen in der Literatur sehen in der in § 2 Abs. 1 TVG geregelten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers auch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Paritätsgebot und die verfassungsrechtliche Ordnungsfunktion des Tarifsystems.431 Vertreter dieser Auffassung argumentieren, Art. 9 Abs. 3 GG enthalte ein Paritätsgebot, welches ein annäherndes Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien fordere.432 Da aber der einzelne Arbeitgeber der Gewerkschaft gegenüber bei Tarifverhandlungen unterlegen sei, stelle jeder Abschluss eines Firmentarifvertrages einen Eingriff in das Paritätsgebot dar, welcher der Rechtfertigung bedürfe.433 Eine solche Rechtfertigung lasse sich aber nur in Bezug auf den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber finden, da nur seine Tariffähigkeit notwendig sei, um das Tarifsystem nicht leer laufen zu lassen.434 Für den verbandsangehörigen Arbeitgeber sei eine Rechtfertigung demgegenüber nicht ersichtlich. Seine Tariffähigkeit verstoße daher gegen das Paritätsgebot und sei aus diesem Grund verfassungswidrig.435 Darüber hinaus entspreche nur ein auf einem Verhandlungsgleichgewicht beruhender Tarifvertragsabschluss der Ordnungsfunktion, die ebenfalls der Norm des 430 Zur Vereinbarkeit des Firmenarbeitskampfes mit der Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers siehe unten § 5 D. V. 431 Paritätsgebot: Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Matthes, FS Schaub, S. 477, 482 f. Kritisch auch Reuter, NZA 2001, 1097, 1099. Ordnungsfunktion: Boldt, RdA 1971, 257, 265 f. 432 Boldt, RdA 1971, 257, 265; Matthes, FS Schaub, S. 477, 482. In diese Richtung auch Reuter, NZA 2001, 1097, 1099. Allgemein zur Funktion der Parität im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 320 ff. mit weiteren Nachweisen. 433 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482 f. So auch Boldt, RdA 1971, 257, 265. 434 Matthes, FS Schaub, S. 477, 482 f. 435 Matthes, FS Schaub, S. 477, 483.

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Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesen wird. Die Ordnungsfunktion soll sicherstellen, dass der Tarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument bzw. die Tarifautonomie als Ganze eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens gewährleiste.436 Da auf der durch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers eröffneten Ebene des Firmentarifvertrages ein Verhandlungsgleichgewicht aber nicht bestehe, könne der Firmentarifvertrag eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens nicht verwirklichen. Der hiermit verbundene Verstoß gegen die Ordnungsfunktion sei nur in Bezug auf den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber gerechtfertigt.437 aa) Verfassungsrechtliche Verankerung des Paritätsgebotes und der Ordnungsfunktion? Voraussetzung für die behauptete Verfassungswidrigkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers im Hinblick auf das Paritätsgebotes bzw. die Ordnungsfunktion ist zunächst, dass beide Prinzipien überhaupt verfassungsrechtlich geschützt sind. Die h. M. tendiert dazu, eine verfassungsrechtliche Verankerung des Paritätsgebotes anzunehmen, die der Ordnungsfunktion aber abzulehnen.438 Die größte praktische Bedeutung kommt dem Paritätsgebot dabei allerdings nicht im Rahmen des hier behandelten Tarifrechts, sondern im Rahmen des Arbeitskampfrechts unter dem Schlagwort der Kampfparität zu.439 Gegen eine verfassungsrechtliche Verankerung des Paritätsgebots ebenso wie der Ordnungsfunktion spricht zunächst der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert den Koalitionen seinem Wortlaut nach zwar die eigenständige Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.440 Ein bestimmtes inhaltliches Ziel dieser koalitionsautonomen Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne einer durch die Ordnungsfunktion vorgegebenen sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens kann dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG aber ebenso wenig entnommen werden, wie darin Aussagen über die Notwendigkeit eines Verhandlungsgleichgewichts im Sinne des Paritätsgebots ent436 Was allerdings inhaltlich unter der Ordnungsfunktion im Einzelnen zu verstehen ist, ist bislang wenig geklärt. Neben der Deutung der Ordnungsfunktion im Sinne einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens – dies entspricht der Auffassung des BVerfG (BVerfG vom 18. 11. 1954, BVerfGE 4, 96, 107; BVerfG vom 6. 5. 1964, BVerfGE 18, 18, 28; BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 37) – trifft man auch auf die Auffassung, die Ordnungsfunktion gebiete den Koalitionen, bei ihrer Tätigkeit ein gleiches Niveau von Lohn- und Sozialbedingungen zu schaffen (Hess, DB 1975, 548). Wiederum andere verstehen die Ordnungsfunktion mehr von ihrer Wirkung her und führen an, der Tarifvertrag diene dazu, den Markt zu stabilisieren, weshalb ihm eine Ordnungsfunktion zukomme (so Mayer-Maly, DB 1965, 32, 33; Radke, DB 1965, 1176, 1176). 437 Boldt, RdA 1971, 257, 265. 438 Siehe zum Streitstand nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 320 ff. sowie Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 13 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 439 Siehe hierzu unten § 5 C. I. 440 Siehe hierzu § 3 C. I. 1. c) cc).

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halten sind. Da beide Prinzipien zudem den Handlungsfreiraum der Grundrechtsberechtigten beschränken würden, spricht – dem Auslegungsgrundsatz, Grundrechte möglichst freiheitserweiternd auszulegen, folgend441 – das Fehlen einer Erwähnung beider Prinzipien im Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG zunächst gegen deren Verankerung in dieser Vorschrift. Dennoch ist aufgrund teleologischer Erwägungen von einer Verankerung des Paritätsgebotes in Art. 9 Abs. 3 GG auszugehen. Unbestrittenermaßen dient die Koalitionsfreiheit zur Überwindung des auf der individualvertraglichen Ebene bestehenden strukturellen Ungleichgewichts und somit der Herstellung eines Kräftegleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.442 Dies geschieht unter anderem durch die Statuierung einer kollektiven Regelungsebene, die die durch das Kräfteungleichgewicht gestörte Privatautonomie auf kollektiver Ebene ergänzt.443 Eine solche kollektive Regelungsebene setzt aber, soll sie das Verhandlungsungleichgewicht auf der individualvertraglichen Ebene kompensieren, voraus, dass zumindest auf ihrer Ebene ein annäherndes Verhandlungsgleichgewicht besteht.444 Sie darf, um ihrer Funktion nachkommen zu können, weder das auf der individualvertraglichen Ebene bestehende Ungleichgewicht übernehmen, noch ein neues zu Lasten der Arbeitgeber schaffen. Auch die materielle Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages, die es überhaupt erst vertretbar macht, die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vorrangig in die Hände der Koalitionen zu legen, kann nur dann Geltung beanspruchen, wenn bei generalisierender Betrachtungsweise ein Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien besteht.445 Insofern ist auf Grundlage dieser teleologischen Erwägungen mit der h. M. von der verfassungsrechtlichen Verankerung des Paritätsgebotes in Art. 9 Abs. 3 GG auszugehen. Abzulehnen ist demgegenüber die Annahme der verfassungsrechtlichen Verankerung auch der sog. Ordnungsfunktion. Sie ist allenfalls tatsächliche und sozialpolitisch wünschenswerte Wirkung der Regelungstätigkeit der Sozialpartner.446 Eine andere Betrachtungsweise würde zwangsläufig die Gefahr einer mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbarenden Tarifzensur mit sich bringen. Die durch die Ordnungsfunktion geforderte sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens wäre inhaltlich 441 Siehe hierzu zusammenfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, S. 95 mit weiteren Nachweisen. 442 Siehe nur Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 19; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 51 ff. 443 Hierauf verweist zu Recht auch Plander (ZTR 1988, 365, 367) hin. 444 Hergenröder, Anmerkung zu BAG vom 20. 11. 1990, EzA Nr. 20 zu § 2 TVG. 445 In diesem Sinne auch BAG vom 15. 3. 1977, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 268 f.; Hergenröder, Anmerkung zu BAG vom 20. 11. 1990, EzA Nr. 20 zu § 2 TVG; Plander, AuR 1986, 65 f.; ders., ZTR 1988, 365, 367. 446 In diese Richtung auch Bruhn, Tarifeinheit, S. 177 ff.; Hensche, RdA 1971, 9, 14; Hess, DB 1975, 548; ders., Zulässigkeit, S. 45; Radke, DB 1965, 1176, 1176; Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 1307. A. A. Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 42.

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nämlich nahezu unbeschränkten Restriktionen seitens des einfachen Gesetzgebers oder der Rechtsprechung zugänglich. Letztlich würden nämlich diese Instanzen bestimmen müssen, was unter einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens zu verstehen ist. Die Ordnungsfunktion ist auch – anders als das Paritätsgebot – aus teleologischer Sicht nicht notwendig. Begründet der auf Verhandlungsgleichgewicht beruhende Abschluss eines Tarifvertrages dessen materielle Richtigkeitsgewähr, besteht kein Anlass mehr, die inhaltliche Regelungstätigkeit der Sozialpartner hierüber hinaus noch an die Erfüllung einer weitergehenden Ordnungsfunktion zu binden. Mangels verfassungsrechtlicher Verankerung der Ordnungsfunktion kann daher die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht mit ihr kollidieren. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die Vereinbarkeit der Tariffähigkeit mit dem Paritätsgebot. Dogmatisch ist die Wahrung des Paritätsgebotes im Rahmen der einfachgesetzlichen Regelung des Tarifrechts dem Ausgestaltungs-, nicht dem Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen. Der einfache Gesetzgeber hat den Koalitionen, wie bereits erörtert447, einfachgesetzlich ein Tarifsystem zur Verfügung zu stellen, dass nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist, mithin die Koalitionszweckverfolgung nicht leer laufen lässt. Bei dieser einfachgesetzlichen Regelung hat er – entsprechend dem Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG – auch das Paritätsgebot zu berücksichtigen. Das Paritätsgebot als solches ist aber kein „Grundrecht“ der Koalitionen, das der Gesetzgeber im Rahmen der Ausgestaltungsobergrenze zu beachten hat. Vielmehr konkretisiert das Paritätsgebot in inhaltlicher Hinsicht lediglich die Pflicht des Gesetzgebers, ein Tarifsystem zu schaffen. Die Beachtung des Paritätsgebotes bei der Regelung des Tarifrechts ist daher eine Frage der Ausgestaltungsuntergrenze.448 Auch im Hinblick auf das Paritätsgebot darf das vom einfachen Gesetzgeber geschaffene Tarifsystem daher nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich sein.449 bb) Paritätsgebot und Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers Der Gesetzgeber hat, gemessen an dem soeben skizzierten Maßstab, das Paritätsgebot bei der Ausgestaltung des Tarifrechts hinreichend berücksichtigt. Hierbei ist zunächst von Bedeutung, dass das Paritätsgebot überhaupt nur tangiert sein kann, wenn ein Verhandlungsungleichgewicht nicht nur im Einzelfall, sondern bei generalisierender Betrachtungsweise vorliegt.450 Es wäre nämlich schon rein tatSiehe oben § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (bb). Zu dem insoweit anderen Prüfungsmaßstab im Rahmen des Arbeitskampfrechts siehe unten § 5 C. I. 449 Siehe zur Ausgestaltungsuntergrenze allgemein § 3 C. I. 1. c) cc) (c) (bb). 450 So auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 269. Vgl. im Hinblick auf die Kampfparität auch BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 447 448

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sächlich unmöglich und könnte vom Gesetzgeber auch nicht geregelt werden, dass ein Verhandlungsgleichgewicht in jedem Einzelfall vorliegt. Es ist daher nur zu fragen, ob der einzelne Arbeitgeber als Tarifpartner gegenüber der Gewerkschaft bei generalisierender Betrachtungsweise unterlegen ist. Dies ist nicht der Fall. Es ist zwar durchaus möglich, dass der einzelne Arbeitgeber in einigen Fällen, insbesondere bei kleineren Arbeitgebern, der Gewerkschaft gegenüber unterlegen ist. In der Mehrzahl der Fälle tritt er gegenüber der Gewerkschaft aber mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen auf. Dies gilt insbesondere für größere, aber auch mittelgroße Arbeitgeber mit einer entsprechenden Anzahl von Arbeitnehmern. Ausschlaggebende Faktoren für das jeweilige Verhandlungsgewicht sind neben der reinen Größe des Unternehmens auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Betrieb, die konkrete wirtschaftliche Lage aber auch das Verhandlungsgeschick der an den Tarifverhandlungen beteiligten Personen. Von einer bei generalisierender Betrachtungsweise vorliegenden Unterlegenheit des einzelnen Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft kann man daher nicht ausgehen. Hinzu kommt, dass die Tariffähigkeit – wie bereits mehrfach betont – zunächst ohnehin nur den freiwilligen Abschluss von Firmentarifverträgen ermöglicht. Schließt der einzelne Arbeitgeber freiwillig und ohne Arbeitskampfdruck einen Firmentarifvertrag ab, spricht schon dies gegen das Vorliegen einer Ungleichgewichtslage. Der einzelne Arbeitgeber könnte sich in einer solchen Situation einfach weigern, den Tarifvertrag abzuschließen, und damit dem durch die mögliche Ungleichgewichtslage eintretenden Druck ausweichen. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers führt daher im Grundsatz nicht zu einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Paritätsgebotes. cc) Einschränkung der Tariffähigkeit auf sozial mächtige Arbeitgeber? Lässt sich eine generelle Unvereinbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers mit dem Paritätsgebot nicht belegen, bleibt noch der Ansicht G. Müllers nachzugehen, der aus Paritätserwägungen eine Reduzierung der Tariffähigkeit wenigstens auf sozial mächtige Arbeitgeber fordert.451 Die Rechtsprechung und h. L. lehnt auch eine solche Reduktion der Tariffähigkeit ab.452 Für eine Einschränkung der Tariffähigkeit auf sozial mächtige Arbeitgeber spricht, dass es bei Tarifverhandlungen zwischen sozial nicht mächtigen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Tat zu einem Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten des Arbeitgebers 451 G. Müller, DB 1992, 269, 271 f.; ders., Arbeitskampf, S. 160 ff.; ders., Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 262 ff.; ders., RdA 1990, 321, 322; ders., AuR 1972, 1, 5. Zweifelnd auch BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Anders aber später BAG vom 20. 11. 1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 452 BAG vom 20. 11. 1990, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 524; Hergenröder, Anmerkung zu BAG vom 20. 11. 1990, EzA Nr. 20 zu § 2 TVG; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 69; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 104; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 5; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20; ders., FS Kehrmann, S. 335, 337 f.

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kommen kann. Zwar mag es durchaus auch hier Konstellationen geben, in denen der sozial nicht mächtige Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft ebenbürtig auftritt. Bei generalisierender Betrachtungsweise wird man aber bezüglich des „kleinen Arbeitgebers“ anders als in Bezug auf die Gruppe aller Arbeitgeber von einem Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten des „kleinen Arbeitgebers“ ausgehen müssen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass dieses Verhandlungsungleichgewicht nicht unabweislich eintritt, sondern auf eine autonome Entscheidung des betroffenen Arbeitgebers zurückzuführen ist. Dem sozial nicht mächtigen Arbeitgeber steht es nämlich jederzeit offen, seine Verhandlungsmacht dadurch zu erhöhen, dass er einem Arbeitgeberverband beitritt, um von ihm Unterstützung zu erhalten, oder, wenn er bereits Verbandsmitglied ist, den Verband um Unterstützung zu bitten.453 Als Unterstützungsmaßnahme denkbar ist hier in erster Linie eine beratende Tätigkeit des Verbandes zugunsten seines Mitgliedes.454 Dabei kann sich die Beratung auf tarifpolitische und juristische Fragen, aber auch auf solche rein verhandlungstaktischer Natur erstrecken. Über die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungsleistungen des Verbandes steht dem Mitglied praktisch das gesamte verbandspolitische know-how des Verbandes zur Verfügung. Möglich ist zudem, dass sich der Arbeitgeberverband unmittelbar an den Tarifverhandlungen beteiligt. Dies kann sogar soweit gehen, dass sich der Mitgliedsarbeitgeber durch seinen Arbeitgeberverband bei den Tarifverhandlungen vertreten lässt und sich damit aus den Verhandlungen gänzlich zurückzieht.455 Möglich ist schließlich auch, dass sich der Arbeitgeberverband in materieller Hinsicht an den Tarifverhandlungen beteiligt, indem er beispielsweise seinem Mitglied Räumlichkeiten oder bürotechnische Einrichtungen zur Verfügung stellt. Wegen der aus der Mitgliedschaft erwachsenden Treue- und Beistandspflicht ist der Arbeitgeberverband auch verpflichtet, dem Unterstützungsverlangen seines Mitgliedes im Rahmen der Zumutbarkeit Folge zu leisten. Aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Unterstützungsmöglichkeiten des Verbandes zugunsten seines Mitgliedes456 dürfte ein nennenswertes Verhandlungsungleichgewicht zugunsten der Gewerkschaft bei bestehender Verbandsmitgliedschaft nicht mehr anzunehmen sein. Unterlässt es der einzelne Arbeitgeber demgegenüber, einem Verband beizutreten bzw. – bei bestehender Mitgliedschaft – seinen Verband um Hilfe zu bitten, so mag hieraus zwar ein Verhandlungs453 So auch die Argumentation von Gitter, FS Kissel, S. 265, 276 ff.; Hergenröder, Anmerkung zu BAG vom 20. 11. 1990, EzA Nr. 20 zu § 2 TVG; Schrader, Durchsetzungsfähigkeit, S. 206 ff. 454 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 460 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88. 455 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 460 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88. 456 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf zum Abschluss eines Firmentarifvertrages § 5 C. I. 1., 2.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

ungleichgewicht zu seinen Lasten folgen. Die insoweit eintretende Beeinträchtigung des Paritätsgebotes führt aber nicht zu einer Tarifunfähigkeit des kleinen Arbeitgebers. Dies umso weniger, als die Tariffähigkeit ohnehin nur den freiwilligen Abschluss von Tarifverträgen ermöglicht. Auch der einzelne sozial nicht mächtige Arbeitgeber hat es nämlich in der Hand, die Verhandlungen abzubrechen, den Firmentarifvertrag nicht abzuschließen und damit eine Paritätsstörung zu verhindern. Der Verweis des kleinen nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers auf die Möglichkeit des Beitritts in einen Arbeitgeberverband verletzt auch dessen negative Koalitionsfreiheit nicht.457 Dies folgt schon daraus, dass das geltende Recht den Arbeitgeber letztlich nicht zwingt, einem Verband beizutreten, sondern ihm über diesen Weg lediglich die Möglichkeit eröffnet, seine Verhandlungsmacht zu erhöhen und damit ein Verhandlungsgleichgewicht herzustellen. Es handelt sich insofern um einen lediglich „sozialadäquaten“ Druck, der die negative Koalitionsfreiheit nicht verletzt.458 Ein Vergleich mit der Situation auf Arbeitnehmerseite bestätigt dieses Ergebnis. Auch der einzelne Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber bekanntermaßen auf der individualvertraglichen Ebene unterlegen. Zum Ausgleich dieser Unterlegenheit eröffnet Art. 9 Abs. 3 GG auch und gerade ihm die Möglichkeit, Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten. Ebenso gewährt Art. 9 Abs. 3 GG dem Arbeitnehmer aber auch das Recht, eine Gewerkschaft nicht zu gründen bzw. ihr nicht beizutreten und es damit bei der bestehenden Ungleichgewichtslage zu belassen. Genauso wenig wie hieraus gefolgert werden könnte, die allein durch den Gewerkschaftsbeitritt eröffnete Möglichkeit, die gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Unterlegenheit auszugleichen, stelle einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers dar, ist die negative Koalitionsfreiheit des kleinen Arbeitgebers in der vorliegenden Konstellation verletzt. Eine Einschränkung der Tariffähigkeit auf sozial mächtige Arbeitgeber folgt letztlich auch nicht aus Ziff. A III 2 des gemeinsamen Protokolls zum Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990459. Diese Ziffer lautet auszugsweise: „Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, . . . sein; ferner müssen sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluss zu kommen.“ Es ist schon zweifelhaft, ob diese Protokollnotiz überhaupt Rechtswirkungen entfaltet.460 Aber selbst wenn man hiervon ausgehen wollte, enthielte sie allein Regelungen über die Anforderungen an tariffähige Verbände. Anforde457 Vgl. zur negativen Koalitionsfreiheit oben § 3 C. I. 1. c) cc) (b) mit weiteren Nachweisen. 458 Vgl. zum Kriterium der Sozialadäquanz im Rahmen einer möglichen Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit BAG GS vom 29. 11. 1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. So auch BVerfG vom 19. 10. 1966, AP Nr. 24 zu § 2 TVG. 459 BGBl. II 1990, S. 537 ff., 545. 460 Siehe hierzu Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 5 f. mit weiteren Nachweisen.

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rungen an die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers lassen sich dieser Ziffer demgegenüber wegen des insoweit klaren Wortlauts nicht entnehmen.461 Das Paritätsgebot gebietet daher auch keine Einschränkung der Tariffähigkeit auf sozial mächtige Arbeitgeber.

dd) Zwischenergebnis Weder die Ordnungsfunktion noch das Paritätsgebot stehen der einfachgesetzlichen Regelung der Tariffähigkeit des Arbeitgebers entgegen. Die Ordnungsfunktion ist als solche schon nicht in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verankert. Das Paritätsgebot ist demgegenüber zwar verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG verankert. Eine Verletzung scheidet aber deswegen aus, weil die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, bezogen auf die Gruppe aller Arbeitgeber, bei generalisierender Betrachtungsweise nicht zu einem Verhandlungsungleichgewicht führt. Ein solches Verhandlungsungleichgewicht liegt allerdings bezogen auf die (Teil-)Gruppe der sozial nicht mächtigen Arbeitgeber vor. Hier ist eine Verletzung aber deswegen abzulehnen, weil diese Arbeitgeber es selbst in der Hand haben, entweder ihre Verhandlungsmacht durch Hinzuziehung eines Verbandes zu stärken oder aber gar nicht erst in Tarifverhandlungen zu treten bzw. sie abzubrechen. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, auch wenn er sozial nicht mächtig ist, führt daher nicht zu einer Verletzung des Paritätsgebotes.

II. Betriebsautonomie 1. Vorüberlegung Stand bislang im Mittelpunkt der Erörterungen die Frage danach, ob und inwieweit die uneingeschränkte Tariffähigkeit des Arbeitgebers einen Eingriff in Grundrechte der Arbeitgeberseite darstellen könnte, gilt es im folgenden Abschnitt, den Blick auf das verfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebsvereinbarung zum Firmentarifvertrag zu richten.462 Spannungen zwischen beiden kollektiven Gestaltungsmitteln können vor allem deshalb auftreten, weil beide – anders als im Verhältnis des Verbandstarifvertrages zur Betriebsvereinbarung – den einzelnen Arbeitgeber als Anknüpfungspunkt haben. Sie stehen damit in einem direkten Konkurrenzverhältnis zueinander, welches 461 Vgl. hierzu ausführlich Schrader, Durchsetzungsfähigkeit, S. 136 ff., insbesondere zum einzelnen Arbeitgeber S. 144 ff. sowie Gitter, FS Kissel, S. 265, 276 f. Den Streitstand zusammenfassend auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 5 ff. sowie die Entscheidungen des BAG vom 6. 6. 2000, AP Nr. 55 zu § 2 TVG sowie BAG vom 6. 6. 2000, AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979. 462 Hierzu umfänglich, aber gegen die h. M. Lambrich, Betriebsautonomie, S. 1 ff.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

der Gesetzgeber über die §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG zugunsten des Tarifvertrages und damit auch zugunsten des Firmentarifvertrages aufgelöst hat.463 Gerade in jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stimmen derer, die diesen einfachgesetzlich angeordneten Vorrang des Tarifvertrages gegenüber der Betriebsvereinbarung für verfassungswidrig halten.464 Ob diese Auffassung zutrifft, hängt maßgeblich davon ab, ob der Betriebsautonomie als solcher überhaupt verfassungsrechtlicher Schutz zukommt.

2.Verfassungsrechtliche Verankerung der Betriebsautonomie? Zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Betriebsautonomie kommen verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht. Allerdings lehnt die h. M. im Ergebnis einen verfassungsrechtlichen Schutz der Betriebsautonomie ab.465

a) Art. 9 Abs. 3 GG Eine Strömung in der Literatur sieht die Betriebsautonomie verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG verankert.466 Vertreter dieser Auffassung führen an, dass Art. 9 Abs. 3 GG nach dem Willen des Grundgesetzgebers in der Tradition der Art. 159, 165 WRV stehen sollte.467 Art. 165 WRV sah ausdrücklich die Errichtung eines dreistufigen Rätesystems vor, auf dessen unterster Stufe der Betriebsarbeiterrat als betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer stand.468 463 Zum einfachgesetzlichen Verhältnis des Tarifvertrages zur Betriebsvereinbarung siehe Berg in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 77 Rn. 62 ff.; Glaubitz in: Hess / Schlochauer / Glaubitz, BetrVG, § 87 Rn. 1 ff.; Hess in: Hess / Schlochauer / Glaubitz, BetrVG, § 77 Rn. 1 ff.; Klebe in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 87 Rn. 25 ff.; GK-BetrVG / Kreutz, § 77 Rn. 94 ff.; GK-BetrVG / Wiese, § 87 Rn. 54 ff.; Wlotzke, BetrVG, § 77 III., § 87 I. 3, jeweils mit weiteren Nachweisen. 464 Siehe Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346 ff.; Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 188; Lambrich, Betriebsautonomie, S. 178. 465 Beuthien, ZfA 1983, 141, 164; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 294, 296; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 238; Heinze, NZA 1991, 329, 336; ders., NZA 1997, 1, 5; Kissel, NZA 1995, 1, 3; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 80 ff.; Löwisch, NJW 1997, 905, 906; Meik, Tarifautonomie, S. 102; Walker, ZfA 1996, 353, 355; Wank, NJW 1996, 2273, 2274; ders., RdA 1991, 129, 130; ders. in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 547; GK-BetrVG / Wiese, Einl. Rn. 48 ff.; ders., FS Kissel, S. 1269, 1280. 466 In diese Richtung Bender, BB 1987, 1117, 1119; Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 349 f.; Ehmann, ZRP 1996, 314, 317; Jahnke, Tarifautonomie, S. 32 f.; T. B. Schmidt, Günstigkeitsprinzip, S. 74 Fn. 99; Sodan, JZ 1998, 421, 428 f. 467 Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 349; Jahnke, Tarifautonomie, S. 32. 468 In diese Richtung Ehmann, ZRP 1996, 314, 317; Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 349 f.; Jahnke, Tarifautonomie, S. 32 f.; Sodan, JZ 1998, 421, 428 f. Zweifelnd aber Lambrich, Betriebsautonomie, S. 178.

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Diese Ansicht vermag aus zweierlei Gründen nicht zu überzeugen: aa) Zum einen steht ihr der klare Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG entgegen. Art. 9 Abs. 3 GG überträgt die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen nur den Vereinigungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Der einzelne Arbeitgeber, aber auch der Betriebsrat sind demgegenüber nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG nicht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berufen. Insbesondere ist der Betriebsrat keine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG.469 Ihm fehlt es an dem Merkmal der Überbetrieblichkeit470 und der – wegen des durch Kündigung möglichen Einflusses des Arbeitgebers auf den Betriebsrat – Gegnerunabhängigkeit.471 Auch die Erfüllung des Merkmals der Freiwilligkeit ist zweifelhaft. bb) Zum anderen trifft aber auch das Argument, der Grundgesetzgeber habe Art. 9 Abs. 3 GG als Nachfolgevorschrift für Art. 159 WRV ebenso wie für Art. 165 WRV angesehen, nicht zu. Der Ausschuss für Grundsatzfragen hatte sich im Zuge der Gesetzgebungsarbeiten zum Grundgesetz mehrfach mit den Vorgängervorschriften zu Art. 9 Abs. 3 GG auseinandergesetzt, dabei aber stets nur auf Art. 159 WRV und nicht auch auf Art. 165 WRV zurückgegriffen.472 Von Mangoldt, der als Vorsitzender dieses Ausschusses maßgeblich an der Entstehung des Grundgesetzes beteiligt war, führte in der 25. Sitzung des Grundsatzausschusses am 24. November 1948 zur Koalitionsfreiheit ausdrücklich aus: „Die bewährte Fassung des Art. 159 WRV muss beibehalten werden. Wir hatten den Art. 159 WRV bei unserer Fassung zugrundegelegt. . . .“473 Dass Art. 165 WRV bei den Beratungen zum Grundgesetz keine Rolle spielte, war wohl vor allem Folge dessen, dass das in Art. 165 WRV vorgesehene dreistufige Rätesystem bis auf die unterste Stufe der betrieblichen Mitbestimmung durch das BRRG 1920 zu keinem Zeitpunkt gesetzlich umgesetzt wurde und daher in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Weimarer Republik keine Rolle spielte.474 Es ist deswegen nur zu verständlich, dass die Väter des Grundgesetzes mit Art. 9 Abs. 3 GG nur an Art. 159 WRV und gerade nicht auch an die nie umgesetzte Vorschrift des Art. 165 WRV anknüpfen wollten. Die Auffassung, Art. 9 Abs. 3 GG stehe in der Tradition sowohl des Art. 159 WRV als auch des Art. 165 WRV, ist somit abzulehnen.475 469 So ausdrücklich für den Betriebsrat Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 189 ff.; Lambrich, Betriebsautonomie, S. 179 ff. 470 So auch Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 190; Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrates, S. 166. 471 Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrates, S. 167. A. A. wegen dem durch §§ 15 KSchG, 103 BetrVG gewährleisteten Kündigungsschutz und der Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG Lambrich, Betriebsautonomie, S. 180. 472 Siehe Schick / Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 / I, S. 124, Bd. 5 / II, S. 688. 473 Schick / Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 / II, S. 686 f. 474 Anschütz, Verfassung, Art. 165 Anm. 6; Nörr, ZfA 1992, 361, 373 ff.; GK-BetrVG / Wiese, Einleitung Rn. 12.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

cc) Auch die in diesem Zusammenhang vielfach zitierte Mitbestimmungsentscheidung des BVerfG vom 1. März 1979476 kann eine Verankerung der Betriebsautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG nicht aufzeigen.477 Zwar führt das BVerfG in dieser Entscheidung aus, die Regelung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen sei von der Verfassung nicht ausschließlich dem Tarifvertrag und Arbeitskampf als Mittel des Konfliktes und Kampfes vorbehalten, sondern könne sich auch in Form des Zusammenwirkens und der Einigung als Wesensmerkmale der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung vollziehen.478 Mithin bestehe kein Exklusivitätsanspruch des Tarifvertrages auf die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.479 Das BVerfG wollte mit diesen Aussagen aber keine verfassungsrechtliche Verankerung der Mitbestimmung und damit der Betriebsautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG belegen, sondern lediglich klarstellen, dass Art. 9 Abs. 3 GG andere konkurrierende Regelungen nicht ausschließe, sondern diesbezüglich der einfachgesetzlichen Ausgestaltung zugänglich sei. Der Entscheidung können für die verfassungsrechtliche Absicherung der Betriebsautonomie deswegen keine Aussagen entnommen werden.480 Art. 9 Abs. 3 GG enthält somit keinen verfassungsrechtlichen Schutz der Betriebsautonomie.

b) Art. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG – Allgemeines Persönlichkeitsrecht Ist die Betriebsautonomie in dem für das Arbeitsrecht zentralen Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht verankert, bleibt zu überlegen, ob die Betriebsautonomie durch die „allgemeinen“ Freiheitsgrundrechte der Arbeitnehmer verfassungsrechtlich abgesichert ist. Hierfür kommt in erster Linie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer in Betracht.481 Richtig an einer solchen Überlegung ist zunächst, dass die Betriebsautonomie als Teil der betrieblichen Mitbestimmung die Verwirklichung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer unterstützt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Selbstverwirklichung des Einzelnen in seiner sozialen Umwelt.482 Es ermöglicht – so zutreffend das 475 So im Ergebnis auch Meik, Tarifautonomie, S. 183. Vgl. auch BVerfG 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 371. 476 BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290 ff. 477 In diese Richtung aber Lambrich, Betriebsautonomie, S. 179 ff. 478 BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 371. 479 BVerfG vom 1. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 371. 480 So auch Wank, NJW 1996, 2273, 2274. 481 Däubler, Grundrecht, S. 153, primär allerdings auf Art. 1 GG abstellend. In diese Richtung auch Fabricius, FS Fechner, S. 171, 190. 482 Jarass / Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 28; Kunig in: von Münch / Kunig, GG, Art. 2 Rn. 30 ff.; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 9 ff., 59 ff.; Pieroth / Schlink, Staatsrecht, Rn. 373 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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BVerfG – „jedem einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann.“483 Diese Selbstverwirklichung fördert die Betriebsautonomie als besondere Ausprägung der betrieblichen Mitbestimmung zweifelsohne. Dabei kann offen bleiben, ob der Betriebsrat die Grundrechte der von ihm repräsentierten Arbeitnehmer vertritt,484 oder nur der Verwirklichung der Grundrechte der Arbeitnehmer dient, also als „Grundrechtshelfer“ der Arbeitnehmer auftritt.485 Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Verankerung der Betriebsautonomie als solche ist aber, dass sie nicht nur die Verwirklichung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers unterstützt, sondern aus dieser Verwirklichungsfunktion der Betriebsautonomie eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht an den Gesetzgeber zur einfachgesetzlichen Regelung der Betriebsautonomie folgt. Denn vorliegend geht es nicht darum, ob und inwieweit der Gesetzgeber verpflichtet ist, Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu unterlassen, sondern um die Frage, ob der Gesetzgeber verpflichtet ist, zur Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer auf einfachgesetzlicher Ebene eine Betriebsautonomie zu schaffen. Zu einem solchen positiven legislativen Handeln ist der Gesetzgeber aber nur dann verpflichtet, wenn vorliegend grundrechtliche Schutzpflichten eingreifen. Hiergegen spricht aber, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als klassisches Freiheitsrecht in erster Linie vor Eingriffen des Staates schützt und daher gerade keine Schutzpflichten enthält. Über diese Abwehrfunktion der Grundrechte hinaus können die klassischen Grundrechte Schutzpflichten an den Gesetzgeber nur dann enthalten, wenn der Grundrechtsträger anderenfalls seinen grundrechtlich geschützten Freiheitsraum nicht wahrnehmen kann. Hierauf ist bei der Herleitung der verfassungsrechtlichen Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers im Bereich des Tarifrechts – wenngleich unter einem anderen Blickwinkel – bereits eingegangen worden.486 Zwar schließt die Privatautonomie im Bereich des Vertragsrechts verfassungsrechtliche Schutzpflichten regelmäßig aus. Dies gilt hier aber gerade nicht, weil die Privatautonomie im Bereich des Arbeitsrechts wegen der strukturellen Überlegenheit des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer gestört ist. Zugrunde liegt der Privatautonomie nämlich der Gedanke, dass die Bürger untereinander wegen ihrer prinzipiell gleich starken Verhandlungspositionen automatisch zu einem angemessenen Interessenausgleich gelangen, ohne dass der Staat eingreifen müsste.487 Besteht zwischen den Vertragsparteien aber ein BVerfG vom 31. 1. 1989, BVerfGE 79, 256, 268. Kempen, AuR 1988, 272; ders., GewPrax 1987, 5 ff. 485 Klein, PersV 1990, 49, 53 ff.; Ossenbühl, Grenzen, S. 30 f.; ders., PersV 1989, 409, 411; Plander, Personalvertretungen, S. 58; Schmitt in: Lorenzen / Schmitt / Etzel / Gerhold / Schlatmann / Rehak, BPersVG, § 1 Rn. 83. 486 § 3 C. I. 1. c) cc). 487 BVerfG vom 19. 10. 1963, BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG 7. 2. 1990, BVerfGE 81, 242, 255; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 111 ff.; Di Fabio in: Maunz / Dürig, 483 484

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

Machtungleichgewicht, taugt die Privatautonomie als Interessenausgleichsinstrument nicht mehr.488 An die Stelle des Interessenausgleichs tritt das (Vertrags-) Diktat des überlegenen Verhandlungspartners. In einem solchen Fall können auch im Bereich des Vertragsrechts verfassungsrechtliche Schutzpflichten zugunsten des Unterlegenen entstehen. Das BVerfG formuliert in seiner Handelsvertreterentscheidung zutreffend: „Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht fehlt. . ., müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.“489 Insofern liegt die Annahme durchaus nahe, dass grundrechtliche Schutzpflichten gerade im Bereich des Arbeitsrechts verstärkt anzunehmen sind.490 Die bisherigen Überlegungen haben aber noch nicht berücksichtigt, dass der Grundgesetzgeber gerade für das Arbeitsrecht in Art. 9 Abs. 3 GG eine spezifische Regelung geschaffen hat, die das strukturelle Ungleichgewicht ausgleichen und damit die nicht funktionierende Privatautonomie kompensieren soll. Art. 9 Abs. 3 GG stellt für den Bereich des Arbeitsrechts der (nicht funktionierenden) Privatautonomie nämlich die Tarifautonomie als kollektives Regelungsinstrument zu Seite. Auf der Ebene der Tarifautonomie besteht aber typischerweise ein Verhandlungsgleichgewicht.491 Wegen der normativen Wirkung der Tarifnormen sind damit die Regelungen des Arbeitsverhältnisses im Ergebnis Resultat eines auf Verhandlungsparität beruhenden Interessenausgleiches der Beteiligten.492 Der Arbeitnehmer ist zur Verwirklichung seiner Grundrechte nicht mehr auf die Hilfe des Staates angewiesen, sondern kann wegen der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG auf der Ebene der Tarifautonomie zur Selbsthilfe greifen. Eine funktionierende Tarifautonomie schließt damit verfassungsrechtliche Schutzpflichten weitestgehend und auch in der vorliegenden Konstellation aus. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers folgt daher keine verfassungsrechtliche Schutzpflicht an den Gesetzgeber, die Betriebsautonomie einfachgesetzlich zu regeln.

GG, Art. 2 Rn. 101; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 28 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 45 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 488 Bremeier, Betriebsverfassung, S. 144; auch Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Rn. 101 mit weiteren Nachweisen. 489 BVerfG vom 7. 2. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 12 GG Bl. 126. 490 In diese Richtung Blanke, PersR 2002, 227, 228; Gamillscheg, Grundrechte, S. 1 ff.; MhdbAR-Richardi, § 10 Rn. 19 ff.; Waltermann, Privatautonomie, S. 66 ff. 491 Gamillscheg, Grundrechte, S. 95 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 19 ff.; MhdbARLöwisch / Rieble, § 255 Rn. 81 ff. 492 Daher kommt dem Tarifvertrag auch Richtigkeitsgewähr zu. Er unterliegt keiner staatlichen Angemessenheitskontrolle. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 284 ff.; Kempen / Zachert, TVG, Grundl. Rn. 88 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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c) Art. 12 GG – Berufsfreiheit der Arbeitnehmer Eine Verankerung der Betriebsautonomie in der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer scheidet ebenfalls aus.493 Unabhängig davon, ob die Betriebsautonomie sachlich überhaupt von der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer erfasst ist, würde eine Verankerung der Betriebsautonomie in Art. 12 GG ebenfalls voraussetzen, dass aus der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht an den einfachen Gesetzgeber zur Regelung der Betriebsautonomie folgt. Dies ist aber auch hier wegen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie nicht der Fall. d) Sozialstaatsprinzip Ein weiterer Ansatz, die Betriebsautonomie verfassungsrechtlich zu verankern, zielt darauf ab, entweder ausschließlich oder doch zumindest in Verbindung mit einzelnen Grundrechten das Sozialstaatsprinzip heranzuziehen.494 Richardi führt hierzu aus, dass das Grundgesetz zwar keine Verfassungsgarantie der betrieblichen Mitbestimmung an sich enthalte, aus dem in Art. 20 Abs. 1, 28 GG verankerten Sozialstaatsprinzip aber eine entsprechende Legitimation des Gesetzgebers zur Schaffung einer betrieblichen Mitbestimmung folge, um den Gedanken der Selbstbestimmung des Einzelnen zu verwirklichen.495 Er betont dabei, dass das Sozialstaatsprinzip keine genauen Vorgaben der Mitbestimmung enthalte, vielmehr der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Mitbestimmung nur an die Grundrechte der von der Mitbestimmung Betroffenen gebunden sei und diese gegebenenfalls in Ausgleich zu bringen habe.496 Diesen den Gesetzgeber zunächst nur legitimierenden Ansatz könnte man nun auf zwei Wegen versuchen, zu einem verfassungsrechtlichen Schutz der Betriebsautonomie zu verdichten. Zum einen könnte man das Sozialstaatsprinzip zur Begründung einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht heranziehen. Gegen diesen Ansatzpunkt sprechen aber die schon oben angeführten Argumente zur Verankerung der Betriebsautonomie im allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Auch bezüglich des Sozialstaatsprinzips schließt die Koalitionsfreiheit daher verfassungsrechtliche Schutzpflichten des Gesetzgebers aus. Zum anderen könnte man aber auf den Ansatz derjenigen zurückgreifen, die in dem Sozialstaatsprinzip unter anderem ein Verbot des „sozialen Rückschritts“ 493 So aber Kempen, AuR 1986, 129, 135; ders., AuR 1988, 271 ff.; ders., RdA 1994, 140, 149; Trümmer in: Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 1 Rn. 7 f. A. A. Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 12 Rn. 129. 494 Däubler, Grundrecht, S. 177 f.; Dütz, JuS 1972, 685, 687 f.; Fechner, RdA 1955, 161, 167; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 45 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Auflage, S. 37; Söllner, Grundriß, S. 41, 86. 495 Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn 39 ff. 496 Richardi in: Richardi, BetrVG, Einl. Rn 41 f.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

sehen, welches den Abbau sozialer Errungenschaften verbiete.497 Die Vertreter dieser Auffassung führen an, dass die Betriebsautonomie als Teil der betrieblichen Mitbestimmung eine solche soziale Errungenschaft sei und sich daher der Abbauschutz auf sie erstrecke.498 Unabhängig davon, ob man dieser Ansicht folgt, hilft sie bei dem hier behandelten Problem nicht weiter. Über den Umweg des sozialen Abbauschutzes kann der Betriebsautonomie allenfalls verfassungsrechtlicher Schutz im Umfang der zur Zeit geltenden Betriebsverfassung zukommen. Da die Betriebsverfassung einfachgesetzlich aber gerade den Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie und damit auch den Vorrang des Firmentarifvertrages vor der Betriebsvereinbarung anordnet, kann dem Abbauschutz verfassungsrechtlich kein weitergehender, dem einfachgesetzlichen Vorrang des Firmentarifvertrages widersprechender, Schutz der Betriebsautonomie entnommen werden. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip folgt daher keine verfassungsrechtliche Verankerung der Betriebsautonomie.

e) Art. 2 Abs. 1 GG – Privatautonomie Lambrich sieht in der „Produktionsgemeinschaft“ aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen privatautonomen Verband, der seinerseits dem verfassungsrechtlichen Schutz der allgemeinen Verbandsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG unterfalle und damit als privatautonomer Verband der Verwirklichung der Privatautonomie der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäß Art. 2 Abs. 1 GG diene. Dementsprechend komme auch der Betriebsautonomie Verfassungsrang zu.499 Ausgangspunkt dieser Auffassung ist die Abkehr vom bislang herrschenden Verständnis des Arbeitsverhältnisses als ein durch verbandsrechtliche Aspekte ergänztes (Individual-) Vertragsverhältnis hin zu einer vertragsrechtlich determinierten Verbandsbeziehung.500 Ob man angesichts der in den §§ 611 ff. BGB zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Grundkonzeption des Arbeitsvertrages als individuellen Schuldvertrag dieser Ansicht folgen kann, ist höchst zweifelhaft. Sie stößt insbesondere dann an ihre Grenzen, wenn der Arbeitgeber nur einen Arbeitnehmer beschäftigt, es also mangels anderer Arbeitnehmer schon von vornherein an einem kollektiven Element fehlt. Dieses Arbeitsverhältnis dann als vertraglich determinierte Verbandsbeziehung zu bezeichnen, erscheint wenig überzeugend. Mit Recht wird daher ein497 Däubler, Grundrecht, S. 177 f.; Dütz, JuS 1972, 685, 687 f.; Fechner, RdA 1955, 161, 167; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 46 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Auflage, S. 37. Ausführlich hierzu Schlenker, Rückschrittsverbot, S. 1 ff. 498 Däubler, Grundrecht, S. 177 f.; Dütz, JuS 1972, 685, 687 f.; Fechner, RdA 1955, 161, 167; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 45 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Auflage, S. 37. 499 Lambrich, Betriebsautonomie, S. 182 ff.; Ehmann / Lambrich, NZA 1996, 346, 350. Im Anschluss hieran: Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 194 ff. 500 Lambrich, Betriebsautonomie, S. 184. Im Anschluss hieran: Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 195 f. In diese Richtung auch Reuter, ZfA 1993, 221, 229.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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gewandt, eine solche Auffassung schlussfolgere unzulässigerweise vom rein tatsächlichen Umständen auf rechtliche Beziehungen.501 Nur weil die Mehrheit der Arbeitgeber mehrere Arbeitnehmer beschäftigt, ändert dies nichts an dem rein individualvertraglichen Charakter des Arbeitsverhältnisses. Jedenfalls aber ist die von Lambrich angenommene „Produktionsgemeinschaft“ kein Verband im Sinne des Grundgesetzes. Um ein Verband zu sein, müsste die „Produktionsgemeinschaft“ ein auf Dauer angelegter, freiwilliger Zusammenschluss mehrerer Personen zu einen gemeinsamen Zweck sein.502 Mag man zwar trefflich darüber streiten, ob die „Produktionsgemeinschaft“ ein auf Dauer angelegter, freiwilliger Zusammenschluss mehrerer Personen ist. Jedenfalls aber liegt ein gemeinsamer Verbandszweck zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht vor. In Betracht käme hierfür zwar nach der herkömmlichen Definition des Betriebs – organisatorische Einheit zur Erfüllung eines arbeitstechnischen Zwecks503 – die arbeitstechnische Zweckerfüllung. Dieser arbeitstechnische Zweck ist aber kein gemeinsamer, sondern allein der des Arbeitgebers. Die Arbeitnehmer werden diesen Zweck durch ihre Arbeitsleistung stützen und ein Stück weit mit verwirklichen. Die Festlegung dieses Zwecks und seine genaue Ausgestaltung unterliegt jedoch keiner gemeinsamen Entschließung einer aus Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Produktionsgemeinschaft, sondern ist allein auf die Unternehmerentscheidung und damit den Willen des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Erfüllung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes ist daher kein gemeinsamer.504 Lambrich führt an, dass der gemeinsame Zweck der Betriebspartner in der einvernehmlichen Regelung der innerbetrieblichen Angelegenheiten liege.505 Hiergegen spricht jedoch, dass der Arbeitgeber mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages alles andere will als die innerbetrieblichen Angelegenheiten gemeinsam mit seinen Arbeitnehmern einvernehmlich zu regeln. Er schließt mit dem Arbeitnehmer vielmehr allein deshalb einen Arbeitsvertrag, damit dieser für ihn arbeitet und seinen arbeitstechnischen Zweck erfüllt. Es erscheint wenig realitätsnah anzunehmen, dass der Arbeitgeber Arbeitnehmer (auch) einstellt, um mit ihnen inner501 Jahnke, Tarifautonomie, S. 118 f.; Richardi in: Verhandlungen des 61. DJT, Bd. I, B 29 ff.; Rieble, RdA 1996, 151, 152 f.; Riester, Deregulierung, S. 22; Stebut, FS Kissel, S. 1135, 1147 f.; Walker, FS Kissel, S. 1205, 1215 f.; Waltermann, Privatautonomie, S. 89 ff.; Wiese, ZfA 1996, 439, 454. 502 Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 33 ff.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 7 ff.; Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 27 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 503 BAG vom 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972; BAG vom 18. 1. 1990, AP Nr. 9 zu § 23 KSchG 1969; Hess in: Hess / Schlochauer / Glaubitz, BetrVG, § 1 Rn. 2 ff.; Wlotzke, BetrVG, § 1 II. 1. 504 So auch Lambrich, Betriebsautonomie, S. 188; Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 196 f. 505 Lambrich, Betriebsautonomie, S. 188 f. Im Abschluss hieran: Emmert, Betriebsvereinbarungen, S. 197.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

betriebliche Angelegenheiten zu regeln. Vielmehr ist von einem natürlichen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszugehen.506 Auch die Regelung der innerbetrieblichen Angelegenheiten ist daher kein gemeinsamer Zweck der „Produktionsgemeinschaft“. Mangels gemeinsamen Zwecks ist die „Produktionsgemeinschaft“ kein Verband im Sinne des Grundgesetzes. Der Betriebsautonomie ist deswegen weder durch Art. 9 Abs. 1 GG noch durch Art. 2 Abs. 1 GG als Ausfluss der verbandlichen Privatautonomie geschützt. 3. Ergebnis Ein verfassungsrechtlicher Schutz der Betriebsautonomie ist abzulehnen. Weder folgt er unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG, noch über eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht in Verbindung mit den Grundrechten der Arbeitnehmer bzw. dem Sozialstaatsprinzip. Ebenfalls ist die Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein Verband im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG, so dass der Betriebsautonomie auch auf diesem Wege kein verfassungsrechtlicher Schutz zukommt. Ist die Betriebsautonomie als solche mithin verfassungsrechtlich nicht geschützt, so ist die einfachgesetzliche Regelung der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG und damit der Vorrang der Tarifautonomie bzw. des Firmentarifvertrages gegenüber der Betriebsvereinbarung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Betriebsautonomie gebietet daher keine Einschränkungen der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers.

III. Auswirkungen der Unternehmensmitbestimmung Letztlich bleibt noch zu überlegen, ob die gesetzlich angeordnete Unternehmensmitbestimmung Auswirkungen auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu entfalten vermag. Diese unter dem Gesichtspunkt der Gegnerunabhängigkeit diskutierte Frage ist allerdings in erster Linie in Bezug auf die Arbeitgeberverbände erörtert worden. Die h. M. nimmt dabei im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 1. März 1979507 zu Recht an, dass die Unternehmensmitbestimmung mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geforderten Gegnerunabhängigkeit der Koalitionen zu vereinbaren ist und daher zu keiner Beschrän506 Biberacher, Rechtsetzungsmacht, S. 22; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 2, 7. Auflage, S. 1093; G. Hueck, Betriebsvereinbarung, S. 31 ff.; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 15 f. und 236 ff.; F. Neumann, RdA 1951, 1, 2 f.; Neumannn-Duesenberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 173 ff.; Veit, Zuständigkeit, S. 145 f.; Wiese, ZfA 1996, 439, 454; Zöllner, FS 25 Jahre BAG, S. 745, 755 ff. 507 BVerfGE 50, 290 ff.

C. Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers

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kung der Tariffähigkeit führt.508 Gleiches muss dann auch für den einzelnen Arbeitgeber gelten.509 Die Unternehmensmitbestimmung hat nach der Entscheidung des BVerfG vom 1. März 1979 nur dann eine verfassungsrechtlich bedenkliche Beschränkung der Gegnerunabhängigkeit zur Folge, wenn die Arbeitnehmer durch die Unternehmensmitbestimmung tatsächlich maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers in koalitions- und tarifpolitischen Fragen nehmen können. Dies ist für die Unternehmensmitbestimmung nach dem BetrVG 1952 und dem Mitbestimmungsgesetz 1976 aber schon durch das gesetzlich verankerte Übergewicht der Anteilseigner im Aufsichtsrat ausgeschlossen. Hier können sich die Arbeitnehmervertreter gegen den Willen der Anteilseigner nicht durchsetzen und somit keinen die Gegnerunabhängigkeit beeinträchtigenden maßgeblichen Einfluss auf die Koalitions- und Tarifpolitik des Arbeitgebers nehmen.510 Aber auch bezüglich der der Unternehmensmitbestimmung nach dem Montanmitbestimmungsgesetz bzw. dem Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz unterfallenden Unternehmen ist eine Verletzung des Grundsatzes der Gegnerunabhängigkeit nicht zu verzeichnen. Zwar statuieren beide Gesetze eine paritätische Mitbestimmung auf Unternehmensebene, so dass die Arbeitnehmer tatsächlich maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung des Unternehmens in koalitions- und tarifpolitischen Fragen nehmen könnten. Die hierdurch eintretende Beeinträchtigung des Grundsatzes der Gegnerunabhängigkeit ist allerdings durch eine Beschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bei solchen Fragen auszugleichen, die unmittelbaren koalitionsund tarifpolitischen Bezug haben.511 Auf diesem Wege wird in Bezug auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dessen Gegnerunabhängigkeit auch bei einer bestehenden Unternehmensmitbestimmung nach dem Montanmitbestimmungsgesetz oder dem Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz gewahrt. Selbst wer dies nicht für ausreichend hält, dürfte allenfalls zu einer Verfassungswidrigkeit der Unternehmensmitbestimmung als solcher, nicht aber der hiervon unabhängigen Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers gelangen. Allein der Ausschluss der Tariffähigkeit führt nämlich nicht zur Herstellung der Gegnerunabhängigkeit: Zum einen blieben die Arbeitnehmervertreter auch bei einem Ausschluss der Tariffähigkeit weiterhin im Aufsichtsrat, und zum anderen erstreckt sich die Unternehmensmitbestimmung als solche nicht allein auf Fragen der Tariftätigkeit des Unternehmens sondern betrifft auch sonstige Fragen der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen des Unternehmens. Eine bestehende Unternehmensmitbestimmung führt daher nicht zu einem Ausschluss der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. 508 Vgl. zu dieser Problematik Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 118 f., Rn. 257 ff. sowie ausführlich Jung, Unabhängigkeit, S. 143 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 509 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 118 f. 510 Vgl. zu diesem Argument auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 264 mit weiteren Nachweisen. 511 Vgl. zur Beschränkung des Stimmrechts die Ausführungen von Jung, Unabhängigkeit, S. 156 ff. mit weiteren Nachweisen. Ferner Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 264.

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§ 3 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers

IV. Zusammenfassung Die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Tariffähigkeit des einzelnen nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers ist sogar wegen der aus Art. 9 Abs. 3 GG fließenden Ausgestaltungspflicht an den einfachen Gesetzgeber bei der derzeitigen einfachgesetzlichen Konzeption des Tarifrechts verfassungsrechtlich notwendig. Ein ersatzloses Streichen der Tariffähigkeit des einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgebers wäre damit verfassungsrechtlich unzulässig. Die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ist demgegenüber zwar verfassungsrechtlich nicht geboten. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Tarifrechts leistet, da die gezielte Erfassung eines bestimmten Arbeitgebers anderenfalls erheblich erschwert wäre, sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Tariffähigkeit an sich zunächst nur den freiwilligen Abschluss von Firmentarifverträgen ermöglicht, ist die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers verfassungsrechtlich aber auch nicht zu beanstanden. Weder verletzt sie die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes noch die Grundrechte des den Firmentarifvertrag abschließenden Mitgliedsarbeitgebers oder der übrigen Arbeitgeber. Ebenso scheidet eine Verletzung des Paritätsgebotes oder der Ordnungsfunktion durch die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers aus. Zudem kollidiert die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers mangels verfassungsrechtlicher Absicherung auch nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise mit der Betriebsautonomie. Weiter beschränkt sich die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen auf sozial mächtige Arbeitgeber. Auch der der Unternehmensmitbestimmung unterliegende Arbeitgeber bleibt letztlich tariffähig.

D. Ergebnis Die einfachgesetzliche Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG sowie die entsprechende Kontrolle dieses Auslegungsergebnisses anhand verfassungsrechtlicher Vorgaben ergibt, dass der einzelne Arbeitgeber nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 TVG unabhängig von seiner Verbandszugehörigkeit, seiner Mächtigkeit oder dem Umstand, dass er der Unternehmensmitbestimmung unterfällt, tariffähig ist.

§ 4 Probleme der Tarifzuständigkeit A. Grundlagen Die Tarifzuständigkeit legt den Geschäftsbereich fest, innerhalb dessen eine tariffähige Partei Tarifverträge abschließen kann.1 Sie muss bei jedem Tarifvertragsabschluss vorliegen. Auch im Rahmen von Tarifverhandlungen zum Abschluss eines Firmentarifvertrages haben die Beteiligten daher auf das Vorliegen der beiderseitigen Tarifzuständigkeit zu achten. Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Tarifzuständigkeit haben sich bislang primär auf der Ebene der Verbände ergeben. Ausgangspunkt der meisten Erörterungen zur Tarifzuständigkeit ist daher die Tarifzuständigkeit der Verbände und sind damit in erster Linie die hiermit zusammenhängenden Auswirkungen auf den Verbandstarifvertrag. Probleme bei der Tarifzuständigkeit im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrages sind demgegenüber seltener Gegenstand der Erörterungen. Zweck der Tarifzuständigkeit ist, Kompetenzstreitigkeiten zwischen gleichrangigen Tarifvertragsparteien zu vermeiden und eine sachnahe Tarifpolitik zu ermöglichen. Mittelbar werden durch sie daher Tarifkonkurrenzen und Tarifpluralitäten auf ein Minimum reduziert und so dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb zur Geltung verholfen.2 Ein Tarifrecht ohne eigenständige Tarifzuständigkeit würde den Tarifvertragsparteien die unbeschränkte Möglichkeit einräumen, Tarifverträge mit jedem beliebigen Tarifpartner abzuschließen. Eine geordnete Tarifstruktur wäre erheblich erschwert. Regelungsort der Tarifzuständigkeit ist meist die Satzung des betreffenden Verbandes.3 1 BAG vom 24. 7. 1990, AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1995, AP Nr. 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 Tarifzuständigkeit; BAG vom 14. 12. 1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 530; Hofstetter, Arbeitnehmerorganisationen, S. 48; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 57; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, 7. Auflage, Bd. II / 1, S. 445; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 108; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 60; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 47; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2060; Wiedemann, RdA 1975, 78, 79. 2 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 530; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 58; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 49; Wiedemann, RdA 1975, 78, 79; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 125.

11 Witt

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§ 4 Probleme der Tarifzuständigkeit

Streit herrscht über die dogmatische Grundlage der Tarifzuständigkeit und damit deren Stellung innerhalb des Tarifrechts. Die wohl überwiegende Ansicht geht davon aus, dass die Tarifzuständigkeit eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung des Tarifvertrages ist.4 Andere sehen die Tarifzuständigkeit demgegenüber lediglich als unselbstständigen Teil der Tariffähigkeit an.5 Viel spricht für die erste Auffassung, da der Gesetzgeber im ArbGG zwei getrennte Verfahren zur Feststellung der Tariffähigkeit und Feststellung der Tarifzuständigkeit geregelt hat, was für eine Trennung auch auf der materiell-rechtlichen Ebene zwischen der Tarifzuständigkeit und Tariffähigkeit spricht. Dieser Streit braucht jedoch nicht weiter vertieft zu werden, da eine fehlende Tarifzuständigkeit nach beiden Ansichten zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Tarifvertrages führt.6 Für die Wirksamkeit des Tarifvertrages muss die Tarifzuständigkeit zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses daher auf beiden Seiten und in Bezug auf den abzuschließenden Tarifvertrag gegeben sein.7 Allerdings genügt, unter Beachtung des § 139 BGB, für eine Teilwirk3 BAG vom 17. 2. 1970, AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 19. 11. 1985, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1995, AP Nr. 8 zu § 2 Tarifzuständigkeit; BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 14. 12. 1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Buchner, ZfA 1995, 95, 98; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 87; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 531; D. Gaul, ZTR 1991, 443, 444; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 58; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 86; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 53; Wiedemann, RdA 1975, 78, 80; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 137. Zur Kritik an dieser Auffassung siehe Kutscher, Tarifzuständigkeit, S. 19 ff. mit weiteren Nachweisen. 4 Henssler, ZfA 1998, 517, 521; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 445; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 110 f.; Kutscher, Tarifzuständigkeit, S. 99 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 239 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 52, 45 f.; Söllner, Grundriß, S. 134; Wiedemann, RdA 1975, 78, 80; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 385. Offen gelassen BAG vom 27. 11. 1967, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 5 Buchner, ZfA 1995, 95, 97 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, 6. Aufl., S. 301; Richardi in: Staudinger, 12. Aufl., vor § 611 Rn. 934 ff. 6 BAG vom 27. 11. 1967, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 111 ff.; D. Gaul, ZTR 1991, 443, 444; Henssler, ZfA 1998, 517, 521; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 445 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 110 f.; Konzen, ZfA 1975, 401, 417; Link, Tarifzuständigkeit, S. 82 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 239 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 52, 45 f.; Richardi in: Staudinger, 12. Aufl., vor § 611 Rn. 934; Söllner, Grundriß, S. 134; Wiedemann, FS Fleck, S. 447, 456 f.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 384 f. Gegen die Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung: Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 89 ff.; Hillebrand, Tarifzuständigkeit, S. 1 ff.; Kraft, FS Carolsfeld, S. 255 ff. Siehe auch van Venrooy, ZfA 1983, 49 ff., der die Existenz des Merkmales Tarifzuständigkeit generell negiert. Diese Auffassungen sind aber wegen der Regelungen in §§ 2 a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 3 und auch 63 ArbGG abzulehnen. Das Beschlussverfahren über die Tarifzuständigkeit würde sinnentleert, wenn es für die Wirksamkeit des Tarifvertrages auf die Tarifzuständigkeit nicht ankäme. So auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 44. 7 Becker, AuA 2000, 18; Buchner, ZfA 1995, 95, 105 f.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 86; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 60; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 88; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 61; dies., TVG, § 2 Rn. 88; Oetker in: Wiede-

A. Grundlagen

163

samkeit des Tarifvertrages auch das partielle Bestehen der Tarifzuständigkeit.8 Eine nachträgliche Heilung der fehlenden beiderseitigen Tarifzuständigkeit durch eine entsprechende Änderung der Satzung ist demgegenüber nicht möglich. Der fehlerhafte Tarifvertrag muss vielmehr nach Änderung der Tarifzuständigkeit(en) erneut abgeschlossen werden.9 Aus der Unwirksamkeit eines zwischen tarifunzuständigen Parteien abgeschlossenen Tarifvertrages folgt weiter, dass auch Arbeitskampfmaßnahmen zwischen tarifunzuständigen Arbeitskampfparteien rechtswidrig sind. Ein solcher Arbeitskampf wäre nämlich auf ein tariflich nicht regelbares Ziel gerichtet.10 Für die Tarifzuständigkeit der Verbände ist anerkannt, dass sie den tariflichen Wirkungskreis des Verbandes in personeller, räumlicher, betrieblicher und fachlicher Hinsicht umgrenzen kann.11 Die tariffähigen Verbände können ihre Tarifzuständigkeit dabei in eigener Verantwortung autonom bestimmen.12 Dennoch sind die Verbände bei der Festlegung ihrer Tarifzuständigkeit nicht gänzlich frei. So sind sie im Hinblick auf die personelle Reichweite der Tarifzuständigkeit an die Regelungen des § 3 Abs. 1 und Abs. 2 TVG gebunden. Die Tarifzuständigkeit kann unter Beachtung dieser Vorschrift nicht über den Mitgliedsbestand des Verbandes hinaus auf Verbandsaußenseiter ausgedehnt werden.13 Möglich ist nach h. M. aber eine Reduzierung der Tarifzuständigkeit auf bestimmte Teile der Mitglieder des Verbandes.14 Grenzen für die Tarifzuständigkeit in sachlicher Hinsicht enthält Art. 9 Abs. 3 GG bzw. § 1 Abs. 1 TVG. Danach können die Verbände ihre Tarifzuständigkeit nicht auf Regelungsbereiche ausdehnen, die außerhalb des Bereichs der Arbeitsmann, TVG, § 2 Rn. 50; Richardi in: Staudinger, 12. Aufl., vor § 611 Rn. 933; Wiedemann, RdA 1975, 78, 79. 8 Wiedemann, RdA 1975, 78, 79. 9 BAG vom 24. 7. 1990, AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 48. 10 BAG vom 17. 2. 1970, AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 135; Buchner, ZfA 1995, 95, 106; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 93; Kutscher, Tarifzuständigkeit, S. 118 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 82 ff. 11 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 530; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 113; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 47; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 137. 12 BAG vom 17. 2. 1970, AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1995, AP Nr. 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 14. 12. 1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 87; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 531; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 113; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 86; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 53. 13 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 47; Wiedemann, RdA 1975, 78, 79; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 122. 14 Aktuell ist eine solche Einschränkung der Tarifzuständigkeit vor allem im Hinblick auf die Einführung sog. OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden geworden. Vgl. hierzu nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 64 f. mit weiteren Nachweisen. 11*

164

§ 4 Probleme der Tarifzuständigkeit

und Wirtschaftsbedingungen liegen.15 Anders als im Rahmen der personellen Reichweite der Tarifzuständigkeit ist aber nicht nur eine Erweiterung, sondern auch eine Einschränkung der Tarifzuständigkeit in sachlicher Hinsicht unzulässig. Ein Verband muss sich, damit er überhaupt den Status einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG innehaben und in den Genuss der Tariffähigkeit kommen kann, als Regelungsziel die Wahrung und Förderung der (gesamten) Arbeits- und Wirtschaftbedingungen gesetzt haben. Es wäre widersprüchlich, würde man dem Verband auf der tariflichen Ebene erlauben, dieses Regelungsziel auf bestimmte Teilbereiche zu beschränken.16 Eine Beschränkung der Tarifzuständigkeit auf bestimmte Regelungsbereiche, wie z. B. auf Lohnfragen, können die Verbände in ihrer Satzung daher nicht regeln. In der Praxis beschränken sich die tariffähigen Verbände meist darauf, ihre betriebliche bzw. fachliche Tarifzuständigkeit näher festzulegen. Bei den im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften herrscht dabei das sog. Industrieverbandprinzip vor, das die Tarifzuständigkeit nach Wirtschaftszweigen (Branchen), z. B. Metallindustrie, festlegt. Außerhalb des DGB trifft man neben dem Industrieverbandsprinzip auch noch auf das sog. Berufsverbandsprinzip, das die Tarifzuständigkeit nach Berufsgruppen (z. B. Ärzte) bestimmt.17 Auch eine Kombination beider Prinzipien kommt vor.18

B. Probleme der Tarifzuständigkeit I. Problemaufriss Die vorstehenden Ausführungen befassten sich in erster Linie mit der Frage der Tarifzuständigkeit von Verbänden. Im Rahmen des Abschlusses eines Firmentarifvertrages ist aber nur auf Arbeitnehmerseite ein Verband am Tarifvertrag beteiligt. Auf der Arbeitgeberseite ist kein Verband, sondern der einzelne Arbeitgeber Tarifvertragspartei. Ist Regelungsort der Tarifzuständigkeit aber die Satzung des Verbandes, könnte dies zu dem Ergebnis führen, dass sich die Tarifzuständigkeit im Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 52. So auch Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 94; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 529, 531; Löwisch, ZfA 1974, 29, 34; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 66; Wiedemann, RdA 1975, 78, 80. Anderer Ansicht aber Nipperdey / Säcker, AR-Blattei, Berufsverbände I C III 1 (Lieferung 15. 3. 1979); Otto, NZA 1996, 624, 629. 17 Zu beiden Zuständigkeitsprinzipien siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 532 und Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 54. 18 So z. B. § 4 der Satzung der Gewerkschaft HBV. Zu Recht fehlgeschlagen ist der Versuch, das Industrieverbandsprinzip als Rechtsgrundsatz der Organisation der Koalitionen zwingend vorzuschreiben. Hierzu Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 54 mit weiteren Nachweisen. 15 16

B. Probleme der Tarifzuständigkeit

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Rahmen des Abschlusses eines Firmentarifvertrages allein nach der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft richtet. Dies wiederum könnte dazu führen, dass der einzelne Arbeitgeber von beliebig vielen Gewerkschaften, wenn sie sich nur als für ihn tarifzuständig erklären, auf den Abschluss von Firmentarifverträgen in Anspruch genommen werden könnte.19 In der Praxis relevant ist diese Frage vor allem in Konstellationen, in denen sich eine nach dem Industrieverbandsprinzip organisierte Gewerkschaft auch für die branchenzugehörigen Betriebe eines ansonsten branchenfremden Unternehmens für tarifzuständig erklärt.20 Hier ist eine mehrfache Inanspruchnahme des Arbeitgebers geradezu vorprogrammiert, kann doch die allein für den branchenfremden Betrieb zuständige Gewerkschaft das Gesamtunternehmen tariflich gar nicht erfassen. Der verbleibende Teil des Unternehmens muss daher, soll er nicht tariffrei bleiben, von anderen Gewerkschaften tariflich erfasst werden. Um diese von vielen als unbillig empfundene Konsequenz zu vermeiden, wird auf verschiedenen Wegen versucht, eine Einschränkung der Tarifzuständigkeit auf diejenigen Gewerkschaften zu erreichen, die für das Unternehmen als ganzes zuständig sind und damit das gesamte Unternehmen mit einem Tarifvertrag erfassen können. Dogmatisch kann man dies auf zwei Wegen erreichen. Einerseits kann man versuchen, die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften, andererseits die des einzelnen Arbeitgebers entsprechend zu beschränken.

II. Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaftsseite Die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft – wenn sie nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert ist – erstreckt sich in Bezug auf den Abschluss eines Firmentarifvertrages in der Regel auf diejenigen Arbeitgeber, deren überwiegender Unternehmenszweck mit der in der Satzung der Gewerkschaft angegebenen Branche übereinstimmt. Eine Zuständigkeit der Gewerkschaft für einzelne branchenzugehörige Betriebe in einem ansonsten branchenfremden Unternehmen ist eher die Ausnahme.21 Vielmehr werden diese branchenfremden Betriebe (allein) von der für das Gesamtunternehmen zuständigen Gewerkschaft erfasst. Die an sich branchenfremde Kantine eines metallverarbeitenden Unternehmens unterfällt damit der Tarifzuständigkeit der für die metallverarbeitende Branche zuständigen Gewerkschaft, weil überwiegender Unternehmenszweck trotz der branchenfremden Kantine die Metallverarbeitung ist. Die für die Gastronomiebranche zuständige Gewerkschaft kann die Kantine des metallverarbeitenden Unternehmens demgegenüber mangels Tarifzuständigkeit tariflich regelmäßig nicht erfassen. Diese auf das Gesamtunternehmen bezogene Tarifzuständigkeit verhindert die oben anDazu, inwieweit hier die Friedenspflicht zu beachten ist, siehe unten § 6. Vgl. nur den Sachverhalt des BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 21 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 54. 19 20

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gesprochene mehrfache Inanspruchnahme des einzelnen Arbeitgebers weitgehend. Mehrere für die gleiche Branche zuständige Gewerkschaften sind zudem selten. Für die im DGB organisierten Gewerkschaften verhindert schon die Satzung des DGB derartige Überschneidungen.22 Aber selbst wenn der einzelne Arbeitgeber von mehreren für sein Unternehmen als ganzes zuständigen Gewerkschaften in Anspruch genommen werden sollte, wird doch zumindest eine Aufspaltung des Unternehmens in mehrere „Tarifzonen“ verhindert, weil diese Gewerkschaften eben für das Unternehmen als ganzes und nicht bloß für einzelne Teile tarifzuständig wären. Wegen dieser Vorteile einer auf das Unternehmen als ganzes beschränkten Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft gehen einige Stimmen in der Literatur davon aus, dass eine solche Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft zwingend sei.23 Der 1. Senat des BAG hat sich in seinem Beschluss vom 22. November 198824 dieser Ansicht zunächst angeschlossen und ausgeführt, dass diejenige Gewerkschaft für den Abschluss eines Firmentarifvertrages tarifzuständig sei, „deren satzungsgemäßer Organisationsbereich der Tätigkeit entspricht, die dem Unternehmen das Gepräge gibt.“25 Ausdrücklich betont der Senat in dieser Entscheidung, dass maßgebend „der Gegenstand des Unternehmens, nicht einzelner Betriebe, Betriebsabteilungen oder Nebenbetriebe“ sei, „da diese Unterorganisationen nicht tariffähig sind“26. Die h. L. teilt diese Ansicht nicht. Sie wendet ein, dass diese Auffassung die Satzungsautonomie der Gewerkschaften nicht hinreichend respektiere.27 Vielmehr sei zwar im Zweifel von einer unternehmensbezogenen Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft auszugehen, die Gewerkschaft habe aber kraft ausdrücklicher Satzungsregelung die Möglichkeit, ihre Tarifzuständigkeit auch betriebsbezogen zu organisieren. Sie kann sich damit nach der h. L. auch für branchenzugehörige Betriebe eines ansonsten branchenfremden Unternehmens für tarifzuständig erklären.28 In dem oben angeführten Beispielsfall könnte sich die Gastronomiegewerkschaft kraft ausdrücklicher Satzungsregelung damit auch für den Gastronomiebetrieb eines metallverarbeitenden Unternehmens für tarifzuständig erklären. Dieser Auffassung der h. L. hat sich der 1. Senat des BAG in seinen 22 Siehe §§ 15 f. der Satzung des DGB sowie die entsprechenden Richtlinien des Bundesausschusses zu § 15 Abs. 1 der Satzung (abgelegt unter www.dgb.de). 23 So Wiedemann, RdA 1975, 78, 81; Weyand, SAE 1991, 323, 325; wohl auch Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 101. 24 BAG vom 21. 11. 1989, AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 25 BAG vom 21. 11. 1989, AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit Bl. 647. 26 BAG vom 21. 11. 1989, AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit Bl. 647. 27 Siehe nur Blank, Tarifzuständigkeit, S. 57 ff.; Buchner, ZfA 1995, 95, 118; Henssler, ZfA 1998, 517, 522. 28 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 534 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 77 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 56 f.; ders., Anmerkung zu BAG vom 25. 9. 1996 und 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 18 f.; Wiedemann, RdA 1975, 78, 81. So ausdrücklich nunmehr auch BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG vom 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit.

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Entscheidungen vom 25. September 199629 und 12. November 199630 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung nunmehr ebenfalls angeschlossen.31 Über die h. L. und die neuere Rechtsprechung des BAG hinausgehend wenden sich Kempen / Zachert32 sowie Däubler33 sogar gegen die von der h. L. angenommene Vermutungsregelung zugunsten der unternehmensbezogenen Tarifzuständigkeit. Sie sind der Ansicht, dass die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft nicht nur kraft ausdrücklicher Satzungsregelung, sondern auch im Zweifel betriebs- und nicht unternehmensbezogen zu beurteilen sei. Zur Begründung verweisen Kempen / Zachert und Däubler darauf, dass das TVG vom Betrieb und nicht dem Unternehmen als Grundeinheit des Tarifrechts ausgehe, was in den §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 Abs. 1, 8 TVG zum Ausdruck komme. Diese gesetzliche Grundeinheit des Betriebes müsse bei der Auslegung der Satzung zugunsten einer betriebsbezogenen Tarifzuständigkeit berücksichtigt werden. Im Ergebnis ist der h. L. und neuen Rechtsprechung des BAG zu folgen. Auch wenn eine Einschränkung der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaften tarifpolitisch wünschenswert sein mag, ist sie in rechtlicher Hinsicht nicht geboten. Sie berücksichtigt nämlich in der Tat die Satzungsautonomie der Gewerkschaften nicht hinreichend. Eine Einschränkung dieser Autonomie zugunsten einer unternehmensbezogenen Tarifzuständigkeit versagt zudem dort, wo sich der Arbeitgeber Gewerkschaften gegenüber sieht, die nicht nach dem Industrieverbandsprinzip, sondern beispielsweise nach dem Berufsverbandsprinzip organisiert sind. Dort kann es schon gar keine auf die Branche beschränkte Tarifzuständigkeit geben. Ebenso wie es daher im freien Ermessen der Gewerkschaft steht, sich nach dem Industrieoder Berufsverbandsprinzip zu organisieren, muss es ihr auch möglich sein, ihre Tarifzuständigkeit im Rahmen des Industrieverbandsprinzips unternehmens- oder aber betriebsbezogen auszugestalten. Entgegen der Ansicht Kempen / Zacherts und Däublers ist die Satzung der Gewerkschaft hinsichtlich der Tarifzuständigkeit auch nicht dergestalt auszulegen, dass diese im Zweifel betriebsbezogen und nicht unternehmensbezogen ausgestaltet ist. Die übliche Tarifzuständigkeit einer nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaft richtet sich nämlich nach dem überwiegenden Unternehmenszweck. Eine Ausrichtung am jeweiligen Betriebszweck ist eher die Ausnahme. Ergeben sich daher Zweifel, welche der beiden Zuständigkeitsprinzipien die Gewerkschaft gewählt hat, kann man davon ausgehen, dass regelmäßig die rechtstatsächlich übliche Gestaltung gewollt ist, womit eine Vermutung für die unternehmensbezogene Tarifzuständigkeit spricht. BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. BAG vom 12. 11. 1996, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 31 BAG vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Bl. 749. In seiner Entscheidung vom 12. 11. 1996 verweist der 1. Senat zur Begründung nur noch auf seine Ausführungen in der vorangegangenen Entscheidung, AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit Bl. 754. 32 Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 134. 33 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 93 f. 29 30

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Nur kurz soll noch auf den gänzlich anderen Ansatz Gamillschegs eingegangen werden. Er ist der Ansicht, dass sich die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft auf alle diejenigen Unternehmen erstrecke, in denen Mitglieder von ihr tätig seien.34 Gamillscheg will dem Arbeitnehmer so die Suche nach einer tarifzuständigen Gewerkschaft ersparen bzw. einen Gewerkschaftswechsel bei einem branchenübergreifenden Arbeitsplatzwechsel unnötig machen. Allerdings müssen diese Erwägungen hinter die freie Entscheidung der Gewerkschaft, nur für bestimmte Branchen zuständig zu sein, zurücktreten. Das geltende Recht ermöglicht der Gewerkschaft bereits jetzt, die eigene Tarifzuständigkeit branchen- und berufsunabhängig auszugestalten. Macht sie von diesem Recht keinen Gebrauch und organisiert sie sich weiterhin branchen- oder auch betriebsbezogen, kann und darf die Rechtsordnung ihre Tarifzuständigkeit nicht gegen ihren Willen ausdehnen. Dem einzelnen Arbeitnehmer ist mit einer generellen Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft ohnehin nicht viel geholfen, solange die Gewerkschaft nicht freiwillig zu seinen Gunsten tätig werden will. Es bleibt demnach festzuhalten, dass mit der neueren Rechtsprechung des BAG und der h. L. davon auszugehen ist, dass die Gewerkschaften auch bezüglich des Abschlusses von Firmentarifverträgen ihre Tarifzuständigkeit in der Satzung autonom regeln können. Im Zweifelsfall ist bei einer nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaft von einer unternehmensbezogenen Tarifzuständigkeit auszugehen.

III. Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers Scheidet damit sowohl eine Einschränkung als auch eine Erweiterung der Tarifzuständigkeit gegen den Willen der Gewerkschaft aus, so bleibt zu überlegen, wie es mit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers aussieht. Würde man den für die Verbände festgestellten Befund der freien Bestimmbarkeit der eigenen Tarifzuständigkeit auch auf den einzelnen Arbeitgeber übertragen, müsste auch dieser seine Tarifzuständigkeit frei bestimmen können. Eine solche Auffassung wäre aber ersichtlich nicht haltbar. Konsequenz hieraus wäre nämlich, dass der einzelne Arbeitgeber seine Tarifzuständigkeit soweit beschränken könnte, dass er für keine oder nur die ihm genehme Gewerkschaft tarifzuständig wäre. Im Ergebnis könnte dies sogar auf einen Ausschluss der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hinauslaufen. Auch wenn eine freie Bestimmbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers daher ausscheidet, fordern dennoch einige Autoren, dass der einzelne Arbeitgeber seine Tarifzuständigkeit zumindest auf diejenigen Gewerkschaften beschränken können muss, die für seinen überwiegenden Unternehmenszweck zuständig sind.35 Die h. M. lehnt aber auch eine solche eingeGamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 536 f. Buchner, ZfA 1995, 95, 118; ders., SAE 1998, 262, 263; Heinze, DB 1997, 2122 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517 ff.; Natzel, SAE 2001, 38, 46 f. 34 35

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schränkte Bestimmbarkeit der Tarifzuständigkeit durch den einzelnen Arbeitgeber ab.36 Vielmehr soll sich der Umfang der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers nach seiner Tariffähigkeit richten. Hieraus folge, dass der Arbeitgeber stets tarifzuständig sei. Sobald sich eine Gewerkschaft auch nur für einen Betrieb des Arbeitgebers für tarifzuständig erkläre, liege wegen der unbeschränkten Tarifzuständigkeit des Arbeitgebers eine Kongruenz der beiderseitigen Tarifzuständigkeiten vor.37 Die dadurch mögliche mehrfache Inanspruchnahme des einzelnen Arbeitgebers nimmt die h. M. in Kauf. Ob dies zutreffend ist, soll im Folgenden untersucht werden. 1. Der einfachgesetzliche Befund Die Tarifzuständigkeit ist einfachgesetzlich nur in den §§ 2 a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG erwähnt. Diese Normen sprechen zunächst gegen eine Beschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Das in den §§ 2 a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG geregelte Verfahren zur Bestimmung der Tarifzuständigkeit bezieht sich nämlich allein auf die Tarifzuständigkeit der Verbände. Ein entsprechendes Verfahren zur Feststellung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers fehlt. Hieraus könnte man folgern, dass aus der Sicht des Gesetzgebers die Regelung eines solchen Verfahrens unnötig sei, weil der einzelne Arbeitgeber seine Tarifzuständigkeit ohnehin nicht verändern könne. Allerdings hält Buchner dieser Argumentation entgegen, dass die unbeschränkte Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers gegen den Sinn und Zweck der in § 2 Abs. 1 TVG geregelten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verstoße.38 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers solle nämlich nur sicherstellen, dass sich dieser nicht durch das Fernbleiben von einem Verband seiner tariflichen Inanspruchnahme entziehen könne.39 Hierfür genüge es, dass der einzelne Arbeitgeber von der für den überwiegenden Unternehmenszweck zuständigen Gewerkschaft tariflich erfasst werden könne. Eine durch die unbeschränkte Tarifzuständigkeit mögliche mehrfache tarifliche Inanspruchnahme sei vom Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 TVG jedenfalls nicht mehr gefordert und müsse deswegen durch eine entsprechende Beschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit seitens des Arbeitgebers verhindert werden können.40 Hierfür spreche auch ein Vergleich der Situation der mehrfachen Inanspruchnahme zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages mit der der mehrfachen Inanspruchnahme zum Abschluss eines Firmentarifvertrages. Im ersteren Fall sei diese mehrfache Inanspruchnahme auf eine entsprechende auto36 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 534 f.; Konzen, FS Kraft, S. 291, 308, 315 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 77; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 18 f. 37 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 534 f.; Konzen, FS Kraft, S. 291, 308, 315; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 77; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 18 f. 38 Buchner, ZfA 1995, 95, 113 f. 39 Buchner, ZfA 1995, 95, 113 f. 40 Buchner, ZfA 1995, 95, 113 ff.

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nome Willensbetätigung des Arbeitgebers zurückzuführen, die damit Rechtfertigung hierfür sei und eine Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers ausschließe. Eine mehrfache verbandstarifvertragliche Inanspruchnahme des Arbeitgebers könne nämlich nur dann erfolgen, wenn der Arbeitgeber entweder mehreren Arbeitgeberverbänden beitrete oder einem Arbeitgeberverband angehöre, der seine Tarifzuständigkeit auch auf branchenzugehörige Betriebe in branchenfremden Unternehmen erstrecke. Bei der mehrfachen Inanspruchnahme zum Abschluss eines Firmentarifvertrages sei dies aber anders. Hier hänge die mehrfache Inanspruchnahme des Arbeitgebers nur von einer entsprechenden Zuständigkeitserklärung der Gewerkschaft ab. Eine die mehrfache Inanspruchnahme rechtfertigende autonome Willensbetätigung des Arbeitgebers liege nicht vor.41 Dieser Argumentation Buchners ist nicht zu folgen. Schon ihr Ausgangspunkt ist fehlerhaft. Wie in § 3 B gezeigt, dient die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht nur dazu, zu verhindern, dass sich der einzelne Arbeitgeber durch das Fernbleiben von einem Verband seiner tariflichen Inanspruchnahme entziehen kann. Die einfachgesetzliche Auslegung hat verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bewusst auf alle – und gerade nicht nur die nicht verbandsangehörigen – Arbeitgeber erstrecken wollte. Der einzelne Arbeitgeber sollte den Gewerkschaften unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft stets als Tarifpartner zur Verfügung stehen. Diese Erkenntnis entkräftet nicht nur die Argumentation Buchners, sondern spricht mit der h. M. sogar gegen eine Einschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Anderenfalls stünde dessen unbeschränkte Tariffähigkeit nämlich im Widerspruch zur dann möglichen Einschränkbarkeit seiner Tarifzuständigkeit. Zudem wird auch der von Buchner verfolgte Schutz des einzelnen Arbeitgebers vor einer mehrfachen Inanspruchnahme durch verschiedene Gewerkschaften mittels einer Einschränkung der Tarifzuständigkeit verfehlt. Der durch eine Einschränkung betroffenen Gewerkschaft wäre es nämlich durch eine entsprechende Satzungsänderung unschwer möglich, sich entsprechend der Zuständigkeit des Arbeitgebers für den überwiegenden Unternehmenszweck für tarifzuständig zu erklären und damit auf diese Weise wieder eine beiderseitige Tarifzuständigkeit herzustellen. Die einfachgesetzliche Rechtslage spricht daher nicht gegen, sondern für eine unbeschränkte Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers.

2. Einschränkung der Tarifzuständigkeit aufgrund arbeitskampfrechtlicher Erwägungen? Eine Einschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers könnte aber aus arbeitskampfrechtlichen Gründen geboten sein. Buchner meint, eine unbeschränkte Tarifzuständigkeit und die dadurch mögliche mehrfache tarifliche 41

Buchner, ZfA 1995, 95, 109 f.

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Inanspruchnahme des Arbeitgebers führe zu einer Beeinträchtigung der Kampfparität.42 Würde es wegen der unbeschränkten Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers nämlich zu mehrfachen Arbeitskämpfen mit verschiedenen Gewerkschaften kommen, könnten sich an diesem Arbeitskampf nach der Rechtsprechung des BAG jeweils auch die nicht und vor allem die anders organisierten Arbeitnehmer unabhängig von bereits bestehenden Tarifverträgen beteiligen.43 Im Gegenzug sei der Arbeitgeber zwar berechtigt, bei jedem Arbeitskampf auch die nicht oder andersorganisierten Arbeitnehmer (mit-)auszusperren, er sei bei einer solchen Aussperrung aber anders als die streikenden Arbeitnehmer an die Friedenspflicht bestehender Tarifverträge gebunden.44 Dies führe zu einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung der Kampfparität zu Lasten des Arbeitgebers, weshalb dessen Tarifzuständigkeit zur Vermeidung solcher wiederholter Arbeitskämpfe auf eine Gewerkschaft beschränkt werden müsse. Gegen die Lösung dieses Problems auf dem von Buchner vorgeschlagenen Weg spricht aber, dass es sich hier nicht um ein typisches Problem des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag handelt. Die gleichen Beeinträchtigungen der Kampfparität können nämlich auch bei einem auf den Abschluss eines weiteren Verbandstarifvertrages gerichteten Arbeitskampf eintreten. Eine Lösung sollte daher nicht durch die allein den Firmentarifvertrag betreffende Einschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers versucht werden. Vielmehr hat eine Lösung auf der Ebene der Friedenspflicht zu erfolgen. Hier ist zunächst mit Buchner festzuhalten, dass die Friedenspflicht des bestehenden Firmentarifvertrages in der Tat unmittelbar nur den Arbeitgeber und die Gewerkschaft, nicht aber die einzelnen Arbeitnehmer bindet. Dies folgt daraus, dass nur der einzelne Arbeitgeber und die Gewerkschaft, nicht aber die einzelnen Arbeitnehmer Parteien des Firmentarifvertrages sind. Eine unmittelbare Bindung auch der Arbeitnehmer an die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter.45 Ihre Bindung an die Friedenspflicht des bestehenden Verbandstarifvertrages hat aber zur Folge – und das übersieht Buchner –, dass die Gewerkschaft gehalten ist, auf ihre Mitgliedsarbeitnehmer dahin einzuwirken, während der Geltungsdauer des von ihr abgeschlossenen Tarifvertrages keine Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Korrespondierend hierzu sind die Mitgliedsarbeitnehmer im Rahmen ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht verpflichtet, der entsprechenden Aufforderung Buchner, ZfA 1995, 95, 115 ff. Buchner, ZfA 1995, 95, 115 unter Verweis auf MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 285 Rn. 58 und die Entscheidung des BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG (III B 3 der Entscheidung). Eine gewichtige Auffassung in der Literatur teilt diese h. M. freilich nicht und stuft die Beteiligung anders oder nichtorganisierter Arbeitnehmer als grundsätzlich unzulässigen Sympathiearbeitskampf ein. Siehe zu dieser Auffassung nur Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 664 mit weiteren Nachweisen. 44 So Buchner, ZfA 1995, 95, 115 ff. unter Verweis auf BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 45 Siehe hierzu § 6 A. 42 43

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ihrer Gewerkschaft Folge zu leisten. Nötigenfalls hat die Gewerkschaft zu vereinsrechtlichen Sanktionen zu greifen, die im äußersten Fall bis zum Ausschluss der Arbeitnehmer führen können. Dies gilt im Hinblick auf eine effektive Wirkung der Friedenspflicht nicht nur für den Fall, dass die Änderung des bestehenden Tarifvertrages angestrebt wird, sondern auch für den Fall, dass die Mitgliedsarbeitnehmer versuchen, mit Arbeitskampfmitteln den Abschluss eines weiteren Firmentarifvertrages mit einer anderen Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Im Ergebnis müssen damit beide Seiten – der Arbeitgeber unmittelbar, die einzelnen Arbeitnehmer über ihre mitgliedschaftliche Treuepflicht mittelbar – die Friedenspflicht bereits bestehender Tarifverträge auch während des Arbeitskampfes um einen weiteren Tarifvertrag beachten, so dass die Kampfparität auch bei einem Arbeitskampf um einen weiteren Firmentarifvertrag gewahrt ist und es daher einer Einschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht bedarf.46 Auch aus arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten ist eine Beschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers mithin nicht geboten.

3. Einschränkung der Tarifzuständigkeit aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen? Eine Einschränkung der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers könnte sich letztlich noch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben.

a) Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Unternehmensautonomie Heinze führt an, dass die freie Bestimmbarkeit der eigenen Tarifzuständigkeit durch Art. 2, 12, 9 Abs. 3 GG geschützt sei, da sie zur wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers gehöre.47 Diesen grundrechtlichen Schutz der Bestimmbarkeit der Tarifzuständigkeit ignoriere die h. M., indem sie dem einzelnen Arbeitgeber das Recht verwehre, seine Tarifzuständigkeit auf diejenigen Gewerkschaften zu beschränken, die für das Unternehmen als Ganzes und nicht nur für einzelne Betriebe zuständig sind.48 Der Arbeitgeber habe daher aus den genannten Grundrechten das verfassungsrechtlich abgesicherte Recht, seine Tarifzuständigkeit auf diejenigen Gewerkschaften zu beschränken, die für die Branche seines Unternehmens als Ganzes zuständig sind. Für eine Beschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen tritt auch Henssler ein. Er sieht – ähnlich wie Heinze – in der Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeit46 47 48

So auch MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 62. Heinze, DB 1997, 2122, 2123 f. Heinze, DB 1997, 2122, 2123 f.

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gebers einen Eingriff in dessen durch Art. 12 GG geschützte Unternehmensautonomie.49 Henssler führt aus, die durch Art. 12 GG geschützte Berufs- und Unternehmensfreiheit erfasse nach der Rechtsprechung des BVerfG die freie Gründung ebenso wie die freie Führung eines Unternehmens. Da der Abschluss eines Firmentarifvertrages zu den wesentlichen Elementen jeder Unternehmensführung gehöre, sei er auch durch Art. 12 GG geschützt.50 Wenn aber der Tarifvertragsschluss als solcher durch Art. 12 GG geschützt sei, so müsse dies auch für die im Vorfeld eines solchen Abschlusses liegende Festlegung der Tarifzuständigkeit gelten.51 Die Festlegung der Tarifzuständigkeit durch den einzelnen Arbeitgeber sei damit als unternehmensautonome Entscheidung durch Art. 12 GG ebenso geschützt wie die Festlegung der Tarifzuständigkeit der Verbände im Rahmen ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Satzungsautonomie.52 Durch die von der h. M. angenommene Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit werde daher in die Berufsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers eingegriffen. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmerseite könne einen solchen Eingriff jedenfalls nicht rechtfertigen. Art. 9 Abs. 3 GG garantiere der Arbeitnehmerseite nur, dass sie den einzelnen Arbeitgeber überhaupt tariflich erreichen könne. Dies sei aber schon dann gegeben, wenn der Arbeitgeber tariflich wenigstens von derjenigen Gewerkschaft erreicht werden könne, die für seinen überwiegenden Unternehmenszweck zuständig sei.53 Da weitere Gründe zur Rechtfertigung des Eingriffs nicht ersichtlich seien, müsse dem Arbeitgeber zumindest die Beschränkung der eigenen Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaften, die für sein Unternehmen als ganzes zuständig sind, ermöglicht werden.54

b) Stellungnahme Eine Einschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers auf diejenigen Gewerkschaften, die für die Branche des Gesamtunternehmens zuständig sind, wäre aus Verfassungsgründen dann geboten, wenn – wie Heinze und Henssler behaupten – die Bestimmbarkeit der eigenen Tarifzuständigkeit durch den einzelnen Arbeitgeber zum einen verfassungsrechtlich geschützt ist und wenn der durch den Ausschluss dieses Bestimmungsrechts bewirkte Eingriff zum anderen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre.

49 50 51 52 53 54

Henssler, ZfA 1998, 517, 524 f. Henssler, ZfA 1998, 517, 525. Henssler, ZfA 1998, 517, 525. Henssler, ZfA 1998, 517, 526. Henssler, ZfA 1998, 517, 524 f. Henssler, ZfA 1998, 517, 526 f.

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aa) Art. 9 Abs. 3 GG Zunächst schützt Art. 9 Abs. 3 GG das Recht des einzelnen Arbeitgebers, die eigene Tarifzuständigkeit zu bestimmen, nicht unmittelbar. Wie bereits ausgeführt55, enthält Art. 9 Abs. 3 GG keinen unmittelbaren Schutz des Tarifrechts, sondern nur eine verfassungsrechtliche Ausgestaltungspflicht an den Gesetzgeber, ein einfachgesetzliches Tarifrecht zu schaffen, das der Ausgestaltungsuntergrenze entspricht. Die Ausgestaltungsuntergrenze hat der Gesetzgeber aber mit der einfachgesetzlichen Regelung des Tarifrechts auch im Hinblick auf die unbeschränkte Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers gewahrt. Die Praxis zeigt, dass das Tarifrecht im Hinblick auf die unbeschränkte Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers zur Koalitionszweckverfolgung nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist. Aus der Koalitionsfreiheit kann der einzelne Arbeitgeber daher kein Recht auf die freie oder auch nur eingeschränkte Bestimmung der eigenen Tarifzuständigkeit herleiten. bb) Art. 12, 2 GG Aber auch eine Verletzung der Berufsfreiheit bzw. der allgemeinen Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers durch die Unbeschränkbarkeit seiner Tarifzuständigkeit scheidet aus. Anders als eine gesetzliche Einschränkung der Tarifzuständigkeit erweitert die unbeschränkte Tarifzuständigkeit zunächst nämlich lediglich die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitgebers. Er kann kraft seiner umfassenden Tarifzuständigkeit mit allen für sein Unternehmen zuständigen Gewerkschaften Tarifverträge abschließen. Eine Einschränkung seiner Berufs- bzw. Handlungsfreiheit läge damit allenfalls dann vor, wenn diese Erweiterung der tariflichen Betätigungsmöglichkeiten dazu führen würde, dass der einzelne Arbeitgeber gezwungen wäre, entsprechend seiner allumfassenden Tarifzuständigkeit Tarifverträge abzuschließen. Dies ist aber nicht der Fall. Auch eine tarifzuständige Partei kann selbstverständlich den Abschluss von Tarifverträgen verweigern. Dies insbesondere auch dann, wenn sie bereits einen anderen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Es existiert nicht einmal ein Verhandlungsanspruch der Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber.56 Allerdings eröffnet die unbeschränkte Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers der Gewerkschaft die Möglichkeit, mit Hilfe von Arbeitskampfmitteln zu versuchen, den angestrebten Abschluss des Tarifvertrages zwangsweise herbeizuführen. Diese Möglichkeit wäre ihr – so könnte man auf den ersten Blick annehmen – verwehrt, wenn der Arbeitgeber von vornherein für sie nicht tarifzuständig wäre bzw. seine Tarifzuständigkeit entsprechend beschränken könnte. § 3 C. I. 1. Siehe zu dieser Problematik Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 182 ff. mit weiteren Nachweisen. 55 56

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Arbeitskämpfe zwischen tarifunzuständigen Parteien sind nämlich unzulässig.57 Diese Annahme erweist sich aber nur vordergründig als zutreffend. Die Gewerkschaft müsste nämlich lediglich – wie bereits erwähnt58 – ihre Tarifzuständigkeit entsprechend umstellen und könnte dann auch gegenüber diesem Arbeitgeber Arbeitskampfmittel anwenden. Selbst die Beschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers führt daher allenfalls zu einem Erschwernis auf Seiten der Gewerkschaft, einen (weiteren) Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber abzuschließen. Verhindern kann sie dies nicht. Damit scheidet aber ein Eingriff in die Berufsbzw. allgemeine Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers durch die Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers aus. Selbst wenn man den Blick allein auf die Festlegung der eigenen Tarifzuständigkeit des Arbeitgebers fokussieren und aus dieser isolierten Betrachtungsweise heraus einen Eingriff in den Schutzbereich der genannten Grundrechte herleiten wollte, wäre dieser Eingriff jedenfalls gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung ergibt sich zwar nicht aus der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Genauso wenig wie Art. 9 Abs. 3 GG ein Recht zugunsten des einzelnen Arbeitgebers enthält, die eigene Tarifzuständigkeit frei zu bestimmen, enthält Art. 9 Abs. 3 GG ein Recht der Gewerkschaft darauf, dass der einzelne Arbeitgeber stets für alle Gewerkschaften tarifzuständig sein muss, die sich für ihn für tarifzuständig erklären. Die Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufs- oder Handlungsfreiheit des Arbeitgebers folgt aber aus dem verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsauftrag an den einfachen Gesetzgeber, ein für die Koalitionszweckverfolgung möglichst effektives Tarifrecht zu schaffen.59 Bei der Frage, ob die unbeschränkbare Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers gegen dessen Berufs- bzw. allgemeine Handlungsfreiheit verstößt, geht es nämlich um nichts anderes als die Frage, ob sich die diesbezügliche Ausgestaltung des Tarifrechts an die Ausgestaltungsobergrenze gehalten hat.60 Es ist daher zu prüfen, ob der durch die Ausgestaltung bewirkte Eingriff in Grundrechte des Arbeitgebers zur Herstellung eines möglichst effektiven Tarifvertragssystems geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.61 Dies ist der Fall. Die unbeschränkte Tarifzuständigkeit ist zunächst geeignet und erforderlich, die Effektivität des Tarifsystems zu steigern. Ist der Arbeitgeber unbeschränkt tarifzuständig, erhöht dies die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen. Ein anderes oder gar milderes Mittel mit gleicher Wirkung ist nicht ersichtlich. Die Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist auch in Bezug auf den hierdurch bewirkten Eingriff in die Berufs- bzw. Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers verhältnismäßig. Könnte der Arbeitgeber seine Tarif57 Siehe nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 85; Kutscher, Tarifzuständigkeit, S. 118 ff. mit weiteren Nachweisen. 58 § 4 B. III. 1. 59 § 3 C. I. 1. c) cc) (cc). 60 Zur Ausgestaltungsobergrenze siehe § 3 C. I. 1. c) cc). 61 Siehe oben § 3 C. I. 1. v) cc) (cc).

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zuständigkeit nämlich auf seinen überwiegenden Unternehmenszweck beschränken, müsste im Vorwege jedes Firmentarifvertragsschlusses ermittelt werden, was überhaupt der überwiegende Unternehmenszweck des Arbeitgebers ist. Dies kann insbesondere bei Mischunternehmen mit einer größeren Anzahl von Betrieben zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Zudem würde eine Reduzierung der Tarifzuständigkeit auf den überwiegenden Unternehmenszweck eine sachnahe Tarifpolitik für die branchenfremden Betriebe des Unternehmens erschweren. Die für das Gesamtunternehmen tarifzuständige Gewerkschaft ist nämlich bezüglich der branchenfremden Betriebe nicht in dem Maße fachkundig, wie die für die brachenfremden Betriebe originär zuständige Gewerkschaft. Hinzu kommt, dass eine Reduzierung der Tarifzuständigkeit die nicht nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaften von vornherein von jeglichem Tarifabschluss mit einzelnen Arbeitgebern ausschließen würde. Eine nach dem Berufsverbandsprinzip organisierte Gewerkschaft wäre nämlich – da sich ihre Tarifzuständigkeit nicht auf Branchen, sondern einzelne Berufsgruppen erstreckt – in keinem Fall für die Branche des überwiegenden Unternehmenszwecks des Arbeitgebers zuständig. Um dennoch einen Tarifvertrag mit diesem Arbeitgeber abschließen zu können, müsste man von der betroffenen Gewerkschaft verlangen, ihr Berufsverbandsprinzip aufzugeben und sich nunmehr nach dem Industrieverbandsprinzip zu organisieren. Sämtliche Erwägungen führen daher zu dem Schluss, dass eine Beschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Effektivität des Tarifrechts führen würde. Berücksichtigt man demgegenüber, dass die Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers keine tief greifenden Beschränkungen der Berufs- und Handlungsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers mit sich bringt, steht die Unbeschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers in einem angemessenen Verhältnis zu dem hierdurch bewirkten Eingriff in seine Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit. Auch aus diesem Grund ist eine Einschränkbarkeit der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht geboten.

IV. Ergebnis Die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft beim Abschluss eines Firmentarifvertrages gleicht der beim Abschluss eines Verbandstarifvertrages. Hier wie dort steht es der Gewerkschaft frei, ihre Tarifzuständigkeit in der Satzung in personeller, räumlicher, betrieblicher und fachlicher Hinsicht frei festzulegen. Eine nach dem Industrieverbandsprinzip organisierte Gewerkschaft kann ihre Satzung nicht nur unternehmensbezogen, sondern auch betriebsbezogen ausgestalten. Sie ist dann auch für branchenzugehörige Betriebe eines ansonsten branchenfremden Unternehmens zuständig. Eine zwingende Beschränkung der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft auf den jeweils überwiegenden Zweck des Unternehmens scheidet wegen der zu respektierenden Satzungsautonomie ebenso aus wie wegen des Um-

C. Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen

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standes, dass durch eine derartige Beschränkung der einzelne Arbeitgeber vor einer mehrfachen Inanspruchnahme ohnehin nicht geschützt werden kann. Der einzelne Arbeitgeber ist demgegenüber für sein gesamtes Unternehmen und damit für alle Gewerkschaften, die sich für ihn als tarifzuständig erklären, tarifzuständig. Diese umfassende Tarifzuständigkeit ist von dem einzelnen Arbeitgeber auch nicht beschränkbar. Dies ergibt die einfachgesetzliche Rechtslage, die weder aus arbeitskampf-, noch verfassungsrechtlichen Erwägungen der Korrektur bedarf. Im Rahmen des Abschlusses eines Firmentarifvertrages kommt es daher allein auf die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft an.

C. Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen Nicht selten kommt es vor, dass ein Unternehmen grundlegende Strukturänderungen vornimmt, die zu einem Branchenwechsel führen. Diese Änderungen der Unternehmensstruktur wirken sich tarifrechtlich auch auf die Tarifzuständigkeit der beteiligten Tarifvertragsparteien aus. Diese Auswirkungen und die hiermit zusammenhängenden rechtlichen Probleme in Bezug auf den Firmentarifvertrag sollen im Folgenden dargestellt werden.

I. Ausgangspunkt: Verlust der gewerkschaftlichen Tarifzuständigkeit Die bislang für den Arbeitgeber zuständige Gewerkschaft verliert durch den Branchenwechsel des Arbeitgebers im Normalfall ihre Tarifzuständigkeit. Ist sie nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert, liegt diese Rechtsfolge auf der Hand. Aber auch die nach dem Berufsverbandsprinzip organisierte Gewerkschaft verliert ihre Tarifzuständigkeit in aller Regel, da der Branchenwechsel des Arbeitgebers meist auch einen Berufswechsel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nach sich zieht.62 Will die betroffene Gewerkschaft ihre Tarifzuständigkeit aufrechterhalten, bleibt ihr nur die Möglichkeit, ihre Tarifzuständigkeit an das neue Tätigkeitsfeld des Arbeitgebers anzupassen.63 An der Tarifzuständigkeit des einzelnen Arbeitgebers ändert sich durch den Branchenwechsel demgegenüber nichts. Er ist und bleibt für sein gesamtes Unternehmen tarifzuständig.

62 Individualrechtlich wird dies mit dem Ausspruch betriebsbedingter Änderungskündigungen verbunden sein. 63 So auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 75 f.

12 Witt

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§ 4 Probleme der Tarifzuständigkeit

II. Auswirkungen auf einen bestehenden Firmentarifvertrag Fällt damit ab dem Zeitpunkt des Branchenwechsels die Tarifzuständigkeit der bislang zuständigen Gewerkschaft weg, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf einen bestehenden Firmentarifvertrag hat. Unbestritten ist, dass ein trotz weggefallener Tarifzuständigkeit neu abgeschlossener (Firmen-)Tarifvertrag unwirksam ist.64 Hieraus folgern Einige, dass der Verlust der Tarifzuständigkeit auch die sofortige Beendigung des bislang geltenden Tarifvertrages zur Folge hat.65 Andere lehnen eine sofortige Beendigung des Tarifvertrages demgegenüber ab und stellen dessen Weitergeltung in das Belieben der Tarifvertragsparteien, indem sie ihnen ein außerordentliches Kündigungsrecht einräumen.66 Wiederum Andere lehnen eine vorzeitige Beendigung des Tarifvertrages gänzlich ab, so dass der Wechsel der Tarifzuständigkeit für den alten Tarifvertrag keine unmittelbaren Auswirkungen hat. Vielmehr bleibt der Tarifvertrag nach dieser Auffassung bis zum Ablauf seiner Geltungszeit unverändert bestehen.67 Letztlich wird auch erwogen, den Tarifvertrag zwar enden zu lassen, eine Tarifbindung der Parteien aber über eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG aufrechtzuerhalten. 68 Jedenfalls eine automatische Beendigung des Tarifvertrages durch den Wegfall der Tarifzuständigkeit ist abzulehnen. Dies würde zum einen eine erhebliche Missbrauchsgefahr mit sich bringen, da sich die Tarifvertragsparteien auf diesem Wege ohne weiteres einseitig der Bindungen eines von ihnen nicht mehr gewollten Tarifvertrages entledigen könnten. Gegen eine automatische Beendigung spricht aber auch folgende Erwägung: Im öffentlichen Recht ist anerkannt, dass der nachträgliche Wegfall der Regelungszuständigkeit die Wirksamkeit eines Rechtsaktes unberührt lässt. Sowohl der bestandskräftige Verwaltungsakt69 als auch die erlassene Rechtsverordnung70 bleiben trotz späteren Wegfalles der Regelungskompetenz des handelnden Organs wirksam. Auch der nachträgliche Kompetenzwegfall eines Gesetzgebungsorganes, beispielsweise durch den nachträglichen Entzug der GeSiehe nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 74 ff. Löwisch, Anmerkung zu BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 80 f.; dies., TVG, § 2 Rn. 105 f.; wohl auch BAG vom 4. 12. 1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG. 66 Henssler, ZfA 1998, 517, 529 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 75; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 87 ff.; Wiedemann, RdA 1975, 78, 84. Teilweise wird aber eine Nachwirkung analog § 4 Abs. 5 TVG angenommen: Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 75; Teschner, Firmentarifvertrag, S. 87 ff.; Wiedemann, RdA 1975, 78, 84.) 67 Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 134 f.; Kutscher, Tarifzuständigkeit, S. 112. In diese Richtung auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 788. 68 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 93 b. 69 Siehe nur Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 3 Rn. 52. 70 Siehe für den späteren Wegfall der Verordnungsermächtigung Bauer in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 42; Brenner in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 80 Rn. 70 und aus der Rechtsprechung zuletzt BVerfG vom 23. 3. 1977, BVerfGE 44, 216, 226; BVerfG vom 10. 5. 1985, BVerfGE 78, 179, 198. 64 65

C. Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen

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setzgebungskompetenz der Länder im Rahmen eines nach Art. 71 GG erlassenen Ermächtigungsgesetzes, lässt die Wirksamkeit eines bestehenden Landesgesetzes nach verbreiteter Ansicht unberührt.71 Wegen der normativen und damit gesetzesähnlichen Wirkung des Tarifvertrages ist dieser Grundsatz auch auf den nachträglichen Wegfall der Tarifzuständigkeit zu übertragen. Führt damit der Wegfall der Tarifzuständigkeit nicht zu einer unmittelbaren Beendigung des Tarifvertrages, kommt es auf eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG nicht mehr an. Der Tarifvertrag bindet den Arbeitgeber trotz der eintretenden Tarifunzuständigkeit der Gewerkschaft weiterhin. Allerdings kann ein Branchenwechsel des Arbeitgebers dazu führen, dass den Tarifvertragsparteien ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Tarifvertrages zusteht. Auch der Tarifvertrag muss sich als Dauerschuldverhältnis an den Grenzen der Zumutbarkeit messen lassen. Er kann daher – auch ohne eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung – bei Vorliegen eines wichtigem Grundes außerordentlich und ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden.72 Dazu muss das Festhalten an dem Tarifvertrag für die kündigende Partei aber unzumutbar sein. Ob dies der Fall ist, muss in jedem Einzelfall auch bei einem Branchenwechsel des Arbeitgebers gesondert festgestellt werden und hängt maßgeblich davon ab, inwieweit die alte und neu Branche in tariflicher, aber auch arbeitstechnischer Hinsicht (noch) vergleichbar sind. Allerdings muss sich die kündigende Partei, wenn sie die Tarifunzuständigkeit herbeigeführt hat, fragen lassen, warum sie mit der Änderung der Tarifzuständigkeit bzw. im Falle des einzelnen Arbeitgebers mit dem Branchenwechsel nicht bis zum regulärem Ende des Tarifvertrages hat warten können.73 Ein automatisches außerordentliches Kündigungsrecht scheidet jedenfalls schon aus Missbrauchsgesichtspunkten aus. Vollzieht der an einen Firmentarifvertrag gebundene Arbeitgeber also einen Branchenwechsel, verliert die bislang tarifzuständige Gewerkschaft zwar ihre Zuständigkeit, die Wirksamkeit eines bestehenden Firmentarifvertrages bleibt hiervon aber unberührt. Den Beteiligten steht ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, wenn der Branchenwechsel des Arbeitgebers ein Festhalten an dem Firmentarifvertrag unzumutbar macht. Für die Übergangszeit des Branchenwechsels bietet es sich an, einen Überleitungstarifvertrag abzuschließen, an dem sowohl die bisher zuständige wie auch die zukünftig zuständige Gewerkschaft beteiligt sind.74

71 Degenhard in: Sachs, GG, Art. 71 Rn. 11; Rengling in: Isensee / Kirchhof, HdbStR IV, § 100 Rn. 70 A. A. Heintzen in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 71 Rn. 54; Stettner in: Dreier, GG, Art. 71 Rn. 18. 72 Einhellige Ansicht, siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 771 f.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 26 ff. mit weiteren Nachweisen. 73 In diese Richtung auch Teschner, Firmentarifvertrag, S. 93. 74 So auch Blank, Tarifzuständigkeit, S. 80 f.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen A. Problemaufriss Firmentarifverträge dürfen sich, sollen sie eine echte Alternative zum Verbandstarifvertrag darstellen, nicht nur auf die Fälle beschränken, in denen eine einvernehmliche Einigung erzielt werden kann. Sie müssen sich vielmehr auch dort als kollektives Regelungsinstrument durchsetzen können, wo ohne Arbeitskampf kein Konsens zwischen den Beteiligten herzustellen ist. Gerade in dem überaus wichtigen, daher aber auch umso konfliktträchtigeren Bereich des unmittelbaren Austauschverhältnisses von Arbeit und Lohn ist ein einvernehmlicher Tarifvertragsabschluss ohne Rückgriff auf Arbeitskampfmittel oftmals nicht möglich. Das vorliegende Kapitel widmet sich deswegen der Frage, ob der Abschluss eines Firmentarifvertrages auch mit dem Mittel des Arbeitskampfes erzwungen werden kann. Zugrunde liegt der folgenden Darstellung zunächst der „Normalfall“ des Arbeitskampfes, bei dem die Gewerkschaft den Arbeitskampf zur Durchsetzung ihrer Tarifforderung mit einem (Angriffs-)Streik eröffnet und sich der Arbeitgeber damit in der Defensive befindet. Wie demgegenüber die umgekehrte Situation, in der der Arbeitgeber mit einer Angriffsaussperrung den Arbeitskampf zum Abschluss eines Firmentarifvertrages eröffnet, rechtlich zu beurteilen ist, soll am Ende des Kapitels1 erörtert werden. Die bislang h. M. geht im Rahmen der Einhaltung der allgemeinen Zulässigkeitsgrenzen von der grundsätzlichen Zulässigkeit von Arbeitskämpfen um Firmentarifverträge (im Folgenden: Firmenarbeitskämpfe) aus.2 Demgegenüber geSiehe § 5 F. BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zun Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Köln vom 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 21. 11. 2001, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051; Becker, AuA 2000, 18, 20; Blanke, PersR 2002, 224, 233 ff.; Dammann, Tarifvertrag, S. 210 ff.; Däubler, Grundrecht, S. 433; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1006 f.; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Gumpert, BB 1958, 1316, 1319; Hensche, RdA 1971, 9 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517, 534 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 456; ders., JuS 1990, 298, 300; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 158; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 423 ff.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252; KasshdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 133; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 99 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 288 f.; Künzl, ZTR 2001, 23; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; MhdbAR-Löwisch / Rieble, 1 2

A. Problemaufriss

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langt eine in jüngerer Zeit an Gewicht zunehmende Auffassung innerhalb der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der Literatur zu dem Ergebnis, dass Firmenarbeitskämpfe zumindest in Bezug auf den verbandsangehörigen Arbeitgeber aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unzulässig seien.3 Die h. M. stützt sich zur Begründung ihrer Auffassung in erster Linie auf den Regelungsgehalt des § 2 Abs. 1 TVG. Da nach dieser Norm dem einzelnen Arbeitgeber die uneingeschränkte Tariffähigkeit zukomme, sei er auch unbeschränkt arbeitskampffähig, was die generelle Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen nach sich ziehe.4 Zur Untermauerung ihrer Auffassung verweist die h. M. auf das Urteil des BAG vom 4. Mai 1955.5 In dieser Entscheidung führt das BAG – freilich nur am Rande – aus, dass das in der Satzung eines Arbeitgeberverbandes festgelegte Verbot, Firmentarifverträge abzuschließen, der Durchführung eines Streikes gegen ein Verbandsmitglied zum Abschluss eines solchen Firmentarifvertrages nicht im Wege stehe.6 Hieraus folgert die h. M., dass, wenn schon das satzungsgemäße Verbot Firmentarifverträge abzuschließen, einen Firmenarbeitskampf nicht unzulässig werden lasse, dieser bei Fehlen eines solchen Verbotes erst recht nicht unzulässig sein könne.7 Zwischenzeitlich hat das BAG in seinem Urteil vom 10. Dezember § 255 Rn. 36; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, S. 66; dies., FS Schaub, S. 657, 469 f.; Löwisch, ZfA 1974, 29, 41; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 130 ff.; Oberberg, AiB 2002, 169, 182; Ostrop, Mitgliedschaft, S. 84 f.; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 156 ff.; Säcker in: AR-Blattei, II A Tarifvertrag I 2; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2058; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 152; Seiter, Streikrecht, S. 335 Fn. 87; Söllner, Grundriß, S. 133; von Stebut, ZfA 1977, 319; Stein, RdA 2000, 129, 139; Valentin, Friedenspflicht, S. 74 ff.; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 628; Weyand, Mitbestimmung, S. 159 f.; Wieland, Firmentarifverträge, 138 f.; Zabel, AiB 1997, 431, 433; ders., AiB 1998, 615, 617; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 23 f.; ders., Tarifvertrag, S. 179; Zöllner, ZfA 1980, 505. 3 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 479 f.; Boldt, RdA 1971, 257, 258 ff.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Buchner, DB 1970, 2074, 2076 ff.; ders., ZfA 1995, 95, 121; ders., SAE 1998, 262, 266; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 100; Dietz, FS Nipperdey II, S. 141, 152 Fn. 17; Hanau, Der Arbeitgeber 1970, 404, 406; Heinze, DB 1997, 2126 ff.; Hess, Zulässigkeit, S. 98 ff., insb. 134; ders., ZfA 1976, 45, 68 ff.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 732 ff.; Kriebel, Zentralisation, S. 183 ff.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062 f.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 460 ff.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101 ff.; ders., ZfA 1990, 535, 553; Sandmann, Anmerkung zu BAG vom 4. 4. 2001, RdA 2002, 246, 247; Schleusener, NZA 1998, 239, 241 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn 192; Thüsing, NZA 1997, 294, 295 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 52 ff. 4 Siehe nur LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; KasshdbAR-Kalb, Kap 8.2 Rn. 133; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 36.; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Valentin, Friedenspflicht, S. 75. 5 AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 6 BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. In seinem Beschluss vom 25. 9. 1996, AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit hat das BAG diese Frage allerdings ausdrücklich offen gelassen. 7 Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

2002 seine Auffassung bestätigt und den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ausdrücklich für zulässig erklärt.8 Die Gegenansicht wirft der h. M. freilich ein systemwidriges Vorgehen vor. Die Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen könne nicht am Inhalt des einfachgesetzlichen § 2 Abs. 1 TVG beurteilt werden, sondern müsse sich allein an den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Koalitionsfreiheit der Beteiligten messen lassen.9 Die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite ergebe aber, dass Firmenarbeitskämpfe zumindest im Hinblick auf verbandsangehörige Arbeitgeber unzulässig seien.10 Hieraus folge, dass die Gewerkschaft sich immer dann, wenn der verbandsangehörige Arbeitgeber nicht freiwillig bereit sei, einen Firmentarifvertrag abzuschließen, an den zuständigen Arbeitgeberverband wenden müsse. Gegenüber dem Arbeitgeberverband müsse sie dann nötigenfalls versuchen, mit Arbeitskampfmitteln den Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages zu erreichen.11 Ohne bereits an dieser Stelle auf die Kritik am Standpunkt der h. M. inhaltlich eingehen zu wollen, ist der Gegenansicht zumindest im Ausgangspunkt bezüglich der erhobenen methodischen Einwände zuzustimmen. Aus der einfachgesetzlichen Norm des § 2 Abs. 1 TVG kann in der Tat nicht auf den Inhalt des höherrangigen Art. 9 Abs. 3 GG geschlossen werden.12 Dies gilt umso mehr, als § 2 Abs. 1 TVG ohnehin keine direkten Aussagen zum Arbeitskampfrecht enthält, sondern sich seinem Wortlaut nach allein auf die dem Arbeitskampf vorgelagerte Frage der Tariffähigkeit bezieht. Die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes beurteilt sich daher – jedenfalls im Ausgangspunkt13 – nicht anhand des § 2 Abs. 1 TVG, sondern muss sich am Bedeutungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG messen lassen. Dabei gleichen die gegen die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes vorgebrachten verfassungsrechtlichen Argumente inhaltlich zum größten Teil den bereits oben zur Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers erörterten. Dennoch kann im Folgenden nicht einfach auf die Ausführungen zur Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verwiesen werden. Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers eröffnete zunächst nur die BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Boldt, RdA 1971, 257, 266; Hess, ZfA 1976, 45, 65; Schleusener, NZA 1998, 239, 241. So auch, im Ergebnis aber der h. M. folgend, Hensche, RdA 1971, 9, 11. 10 Boldt, RdA 1971, 257, 258 ff.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Buchner, DB 1970, 2074, 2076 ff.; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 100 ff.; Dietz, FS Nipperdey II, S. 141, 152 Fn. 17; Hanau, Der Arbeitgeber 1970, 404, 406; Hess, Zulässigkeit, S. 121 ff.; ders., ZfA 1976, 45, 66 ff.; Krichel, NZA 1986, 731, 732 ff.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1102 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 192; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 62 ff. 11 Buchner, DB 1970, 2074, 2078 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2063 ff.; Matthes, FS Schaub, S. 477, 483 ff.; Thüsing, NZA 1997, 294, 294 f. 12 Zur Normenpyramide generell Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 64 ff. 13 Siehe zum Verhältnis des § 2 Abs. 1 TVG zu Art. 9 Abs. 3 GG § 3 C. I. sowie § 5 C. I. – III. 8 9

B. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes

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Möglichkeit, Firmentarifverträge auf freiwilliger Basis abzuschließen. Demgegenüber würde die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes auch erlauben, den Abschluss eines Firmentarifvertrages gegen den Willen einer Partei mit Arbeitskampfmitteln zu erzwingen. Dieser Unterschied ist bei den folgenden Überlegungen maßgeblich zu berücksichtigen.

B. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes Es ist heute nahezu unbestritten, dass das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt ist.14 Dieses Recht steht der Arbeitnehmer- ebenso wie der Arbeitgeberseite zu. Lediglich vereinzelte Stimmen verweigern der Aussperrung als Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite noch verfassungsrechtlichen Schutz.15 Zugrunde liegt dieser letztgenannten Auffassung die bereits oben erörterte Konzeption des Art. 9 Abs. 3 GG als primäres Arbeitnehmergrundrecht. Diese Auffassung ist, wie ebenfalls bereits dargestellt16, abzulehnen. Umstrittener ist schon der dogmatische Anknüpfungspunkt der Arbeitskampffreiheit innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG. Die h. M. geht von einer Verankerung in der kollektiven Betätigungsfreiheit der Verbände aus und stellt maßgeblich darauf ab, dass eine funktionierende Tarifautonomie als Bestandteil der durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützten kollektiven Betätigungsfreiheit notwendigerweise auch eines verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Arbeitskampf bedürfe.17 14 Siehe nur BVerfG vom 1. 7. 1979, BVerfGE 50, 290, 371; BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 253; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12. 9. 1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 93; Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 221; Friauf, RdA 1986, 188, 189 f.; Höfling, FS Friauf, S. 377, 385 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht, S. 37; Kittner / Schiek in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 140; Lerche, Zentralfragen, S. 42 ff.; von Münch in: BK-GG, Art. 9 Rn. 155; Plander, AuR 1986, 65; ders., Gewerkschaftsbeschäftigte, S. 26; Rüthers, JurAn 1970, 85, 92; Sachs, Verfassungsrecht S. 385; Säcker, Grundprobleme, S. 85 f.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 309, 321. Für eine Verankerung des Arbeitskampfes in Art. 2 Abs. 1 GG siehe Dietz, in: Grundrechte, Bd. III / 1, S. 417, 462 f.; von Mangoldt / Klein, GG, 2. Aufl., Art. 9 Anm. VII 2,3. 15 Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 232; Kittner / Schiek in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 145 ff.; Wolter in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 876 ff. In diese Richtung auch Goll, RdA 1980, 22, 25. So auch früher einige Entscheidungen der Instanzgerichte LAG Frankfurt a. M. vom 17. 4. 1979, BB 1979, 1196, 1196 f.; ArbG Lörrach vom 18. 8. 1978, BB 1978, 1361, 1361 f. 16 Siehe oben § 3 C. I. 1. a). 17 BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 253 f.; BVerfG vom 2. 3. 1993, BVerfGE 88, 103, 114; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393 f.; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeits-

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

Demgegenüber geht die Gegenansicht von der Verankerung des Arbeitskampfes in der Notstandsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG aus.18 Auch wenn der Arbeitskampf dort – anders als in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG – ausdrücklich erwähnt ist, tritt die h. M. einer Ableitung der Arbeitskampffreiheit aus Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG zu Recht mit dem Argument entgegen, dass der Schranken-Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG schon aus systematischen Gründen keine Aussagen über den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit entnommen werden kann.19 Mit der h. M. ist daher die Arbeitskampffreiheit in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG und damit in der kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit der Verbände anzusiedeln. Zutreffend bindet die h. M. die Gewährleistung der Arbeitskampffreiheit auch an das geltende Tarifrecht an. Das Recht auf Arbeitskampf ist nicht um seiner selbst Willen garantiert. Es ist vielmehr Konsequenz dessen, dass die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ohne ein sie stützendes Arbeitskampfrecht leer laufen und damit funktionslos würde. Wegen des strukturellen Ungleichgewichts der Arbeitnehmerseite würde eine freiwillige Einigung der Tarifpartner auch auf tariflicher Ebene ohne zumindest die Möglichkeit der Androhung von Arbeitskampfmitteln nur selten erreicht werden können.20 Angesichts dieser Situation den Tarifpartnern nicht die Möglichkeit des Arbeitskampfes an die Hand zu geben, würde die Tarifautonomie zumindest auf Seiten der Arbeitnehmer zu einem „kollektiven Betteln“ verkümmern lassen.21 Ihrer Funktion, ein Verhandlungsgleichgewicht auf kollektiver Ebene herzustellen, könnte sie jedenfalls nicht mehr nachkommen. Aus dieser Anbindung des Arbeitskampfes an die Tarifautonomie und damit das geltende Tarifrecht folgt weiter, dass Art. 9 Abs. 3 GG den Arbeitskampf nur insoweit schützt, als er der Durchsetzung tariflicher Ziele dient.22 Der kampf; BAG vom 12. 9. 1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 26. 4. 1988, AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Isensee, Beamtenstreik, S. 28 f.; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 156 f.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 208; Plander, AuR 1986, 65; Säcker, Grundprobleme, S. 84 f. 18 A. Hueck, RdA 1968, 430, 431 f.; Rüthers, JurAn 1970, 85, 92; Scheuner, RdA 1971, 327, 330; Wank, FS Kissel, S. 1225, 1228 f. 19 Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 94; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 150 f.; ders. in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 207; Säcker, Grundprobleme, S. 82. 20 So auch Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 208. 21 So anschaulich das BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf sowie BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Hierzu auch Plander, AuR 1986, 65. 22 Ganz h. M. BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393 f.; BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 23. 10. 1984, AP Nr. 82 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 5. 3. 1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 7. 6. 1998, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 130; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1071; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 286; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 2, 7. Auflage, S. 1010; Kalb, Arbeitskampfrecht, Rn. 96 f.; Lieb, ZfA 1982, 113, 124; Löwisch, RdA 1982, 73, 76; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 3;

B. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Arbeitskampfes

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politische Arbeitskampf, ebenso wie der arbeitnehmerseitige „wilde“ Streik, genießt den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG in Ermangelung eines zulässigen Tarifziels nicht.23 Misst man das Recht, Arbeitskämpfe zu führen, ferner an den oben aufgezeigten Abgrenzungsmerkmalen des Eingriffs- vom Ausgestaltungsbereich24, zeigt sich, dass die Arbeitskampffreiheit – im Gegensatz zum formellen Tarifrecht25 – dem Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen ist.26 Einen Arbeitskampf zu führen bzw. ihn nicht zu führen, bedarf keiner schutzbereichskonstitutiven Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber. Dieses Recht kann von den Grundrechtsträgern unmittelbar allein aufgrund der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG wahrgenommen werden. Gleiches gilt für die herkömmlichen Arbeitskampfmittel Streik – verstanden als arbeitnehmerseitige kollektive Arbeitniederlegung27 – und Aussperrung – verstanden als das arbeitgeberseitige Untersagen der Arbeitsaufnahme28 –. Bei diesen Verhaltensweisen handelt sich um „natürliche“ Handlungen, die, anders als der Tarifvertrag, von ihrer Natur her ohne gesetzliche (Ausgestaltungs-)Regelungen auskommen. In diesem Bereich ist es allenfalls sinnvoll, den Arbeitskampfmitteln Streik und Aussperrung durch entsprechende gesetzliche Eingriffsregelungen zugunsten kollidierender Verfassungspositionen Dritter Grenzen zu setzen. Da die Arbeitskampffreiheit somit dem Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen ist, stellt jegliche Regelung des Staates im Bereich der Arbeitskampffreiheit einen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte kollektive Betätigungsfreiheit der Koalitionen dar, der zu rechtfertigen ist. Diesem Ergebnis entMhdbAR-Otto, § 285 Rn. 2 ff.; Rüthers, AuR 1987, 37, 54; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 459. A. A. Birk, Unterstützungskampfmaßnahmen, S. 27 ff.; Däubler in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 90 r ff.; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 147 ff. 23 Siehe hierzu nur mit der ganz h. M. Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 200 ff. mit weiteren Nachweisen; zur Gegenansicht Zachert, AuR 2001, 401 ff. 24 Siehe oben § 3 C. I. 1. c) cc) (a). 25 Siehe oben § 3 C. I. 2. a). 26 Für die Einordnung des Arbeitskampfes in den Eingriffsbereich des Art. 9 Abs. 3: von Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 321 f.; Däubler in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 128 ff.; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 63 ff.; Kittner / Schiek in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 Rn. 140 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 86. Für eine Einrichtungsgarantie des Arbeitskampfes: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 85 ff.; Rüthers, JurAn 1970, 85, 92; ders., ZfA 1987, 1, 6 f. Für eine Ausgestaltungsbefugnis: MhdbAR-Otto, § 284 Rn. 32 (unter Rückgriff auf die Figur der Verfahrensgarantien). 27 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 985 ff.; MhdbAR-Otto, § 281 Rn. 10 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 28 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1029 ff.; MhdbAR-Otto, § 281 Rn. 19 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Die suspendierende Betriebsstillegung als Reaktion des Arbeitgebers auf einen Streik soll hier außen vor gelassen werden. Hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1030 f.; MhdbAR-Otto, § 281 Rn. 21, wiederum jeweils mit weiteren Nachweisen.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

spricht trotz der missverständlichen Ausführungen im Beschluss vom 26. Juni 199129 und dem Urteil vom 4. Juli 199530 auch die Rechtsprechung des BVerfG. Zwar führt das BVerfG in diesen Entscheidungen aus, dass die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Arbeitskampffreiheit der gesetzlichen Ausgestaltung bedürfe und dem Gesetzgeber hierfür ein weiter Handlungsspielraum zustehe. Wörtlich heißt es hierzu im Beschluss vom 26. Juni 1991: „Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Koalition diese verfassungsrechtlich geschützten Mittel einsetzen darf, ist ebenso wie beim Streik keine Frage des Schutzbereiches, sondern der Ausgestaltung des Grundrechts durch die Rechtsordnung.“31 Bei genauerer Analyse beider Entscheidungen stellt sich jedoch heraus, dass das BVerfG unter dem Begriff Ausgestaltung nicht die schutzbereichskonstitutive, einfachgesetzliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit versteht, sondern hierunter lediglich diejenigen gesetzlichen Regelungen zusammenfasst, die im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG kollidierende Grundrechtspositionen voneinander abgrenzen.32 Einige Zeilen nach dem angeführten Zitat führt das BVerfG in seinem Beschluss vom 26. Juni 1991 nämlich ausdrücklich aus, dass die Grenze der Ausgestaltung gewahrt sei, „. . . wenn die . . . koalitionsmäßige Betätigung nicht weitergehend beschränkt wird, als es der Schutz kollidierender Grundrechte der Arbeitnehmer erfordert.“33 Diese Ausführungen sind nur dann verständlich, wenn es sich bei den Ausgestaltungsregelungen, die das BVerfG im Blick hat, um kollisionsbedingte Engriffs- und gerade keine Ausgestaltungsregelungen handelt. Auch das BVerfG ordnet die Arbeitskampffreiheit daher der Sache nach dem Eingriffsbereich der Koalitionsfreiheit zu. Trotz des aufgezeigten verfassungsrechtlichen Schutzes des Arbeitskampfes und damit auch der Arbeitskampfmittel Streik und Aussperrung ist ein Arbeitskampf nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr hat sich die Durchführung eines Arbeitskampfes – zumindest nach h. M. – an den Grundsatz der Kampfparität34 und das Verhältnismäßigkeitsgebot 35 zu halten. Auch bei der Durchführung eines Firmenarbeitskampfes sind diese Grundsätze von den Beteiligten zu beachten. Auf das Verhältnismäßigkeitsgebot soll im Folgenden allerdings nicht näher eingegangen werden. Ob der Firmenarbeitskampf verhältnismäßig ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Eine generelle, vom Einzelfall losgelöste Erörterung im Rahmen dieser Arbeit führt nicht wesentlich weiter und unterbleibt daher. Mit dem Grundsatz BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 94, 212 ff. BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365 ff. 31 BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 94, 212, 225. 32 Anders Rieble, Anmerkung zu BVerfG vom 26. 6. 1991, EzA Nr. 97 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, der die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dahin versteht, dass das BVerfG auch die Arbeitskampffreiheit einem Ausgestaltungsvorbehalt ähnlich dem des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG unterstelle. 33 BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 229. 34 Hierzu sogleich mehr unter I. 35 Hierzu kritisch Mösch, Verhältnismäßigkeit, S. 1 ff. 29 30

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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der Kampfparität befassen sich die folgenden Ausführungen demgegenüber noch näher.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber Zunächst sollen sich die Ausführungen der umstrittenen Frage der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber widmen. Zweifel an der Zulässigkeit eines solchen Firmenarbeitskampfes bestehen in erster Linie im Hinblick auf die Wahrung der Kampfparität und die Verletzung von Grundrechten Dritter.

I. Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität? Ein Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen den Grundsatz der Kampfparität36 wird damit begründet, dass die Gewerkschaft dem einzelnen Arbeitgeber bei der Durchführung eines solchen Firmenarbeitskampfes allein schon aufgrund ihrer Größe und finanziellen Mittel weit überlegen sei.37 Wegen dieser Überlegenheit sei der Arbeitskampf nicht ergebnisoffen, sondern die Gewerkschaft könne dem Arbeitgeber ihre Tarifziele nahezu diktieren, ohne dass er die Chance hätte, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen.38 Diese Einschränkung der Kampfparität sei gerade in Bezug auf den verbandsangehörigen Arbeitgeber nicht gerechtfertigt, da die Gewerkschaft den einzelnen Arbeitgeber auch ohne Rückgriff auf den Firmentarifvertrag jederzeit über seinen Verband mit Hilfe des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages tariflich erreichen könne.39 Gegen diese Auffassung wird freilich eingewandt, dass gerade gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber ein solches Verhandlungsungleichgewicht nicht bestehe.40 Der verbandsangehörige 36 Einen diesbezüglichen Verstoß nehmen an: LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 736; Lieb, DB 1999, 2058, 2063; ders., Arbeitsrecht, Rn. 462; Seiter, Arbeitskampfparität, S. 85 ff.; Weiss, Koalitionsfreiheit, 86 ff. 37 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Hanau / Thüsing, ZTR 2002, 506, 509; Lieb, DB 1999, 2058, 2063; ders., Arbeitsrecht, Rn. 462; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 86 ff. 38 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Hanau / Thüsing, ZTR 2002, 506, 509; Krichel, NZA 1986, 731, 736; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 87 ff. Beschränkt auf kleine Arbeitgeber Seiter, Arbeitskampfparität, S. 85 ff. 39 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Lieb, DB 1999, 2058, 2063. 40 BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; Hensche, RdA 1971, 9, 13; Henssler, ZfA 1998, 517, 535 f.; Hess, Zulässigkeit, S. 130 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458 f.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

Arbeitgeber könne nämlich zur Stärkung der eigenen Position die Unterstützung seines Verbandes in Anspruch nehmen.41 Bevor auf diesen Streitstand eingegangen wird, soll zunächst der Inhalt des Grundsatzes der Kampfparität näher dargestellt werden. Diesen umschreibt der Große Senat des BAG in seinem Beschluss vom 21. April 1971 zutreffend wie folgt42: „Vorbehaltlich der konkreten, insbes. auch der wechselseitigen wirtschaftlichen Situation, die vorgegeben ist, muss im Prinzip sichergestellt sein, dass nicht eine Tarifpartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern dass möglichst gleiche Verhandlungschancen bestehen.“ Weiter führt der Große Senat des BAG in dieser Entscheidung aus43: „Der Grundsatz der Parität bezieht sich unbeschadet der im Grundsatz geltenden Kampfmittelfreiheit auf das Arsenal zulässiger Kampfmittel. Er muss in generellen und abstrakt formulierten Regeln ausgedrückt werden und kann deshalb nur Kriterien erfassen, die einer typisierenden Betrachtung zugänglich sind.“ Die Kampfparität soll nach dem Großen Senat also durch abstrakte Regeln sicherstellen, dass der Ausgang des Arbeitskampfes und damit der Inhalt des angestrebten Tarifvertrages ergebnisoffen ist. Disparitäten, die außerhalb struktureller Gegebenheiten liegen, werden von der Kampfparität nicht erfasst.44 Das BVerfG hat diese Rechtsprechung des BAG in seiner Entscheidung vom 4. Juli 1995 ausdrücklich bestätigt.45 Betrachtet man diese Aussagen der Rechtsprechung zur Kampfparität, wird deutlich, dass die Kampfparität nichts anderes als eine besondere Ausprägung des bereits oben erörterten Paritätsgebotes ist. Da das Paritätsgebot seine verfassungsrechtliche Absicherung im Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit findet,46 bedeutet dies auch im Hinblick auf die Kampfparität nichts anderes, als dass mit ihr eine Überprüfung des Arbeitskampfes 41 BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hensche, RdA 1971, 9, 13; Henssler, ZfA 1998, 517, 535 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 458 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 289. 42 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. So im Grundsatz ebenso, in den Einzelheiten aber umstritten auch die h. M. siehe nur Isensee, Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 181; Kaiser, Parität, S. 1 ff.; Plander, JZ 1986, 570, 571 ff.; Raiser, Aussperrung, S. 68 f.; Ramm, Arbeitskampf, S. 200 f.; Rüthers, Aussperrung, S. 37; ders., ZfA 1987, 1, 8 f.; Säcker, Grundprobleme, S. 30 f.; Scheuner, RdA 1971, 327, 332 f.; Scholz / Konzen, Aussperrung, S. 168 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 287 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 170 ff.; Zöllner, Aussperrung, S. 25 ff. Siehe auch BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 229; BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 395. Zu der früher vom BAG vertretenen formellen Kampfparität vgl. BAG vom 28. 1. 1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Den Grundsatz der Kampfparität lehnen demgegenüber ab: Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 176 ff.; Söllner, RdA 1980, 14, 21; Wolter, AuR 1979, 193, 195 ff.; Zachert / Metzke / Hamer, Aussperrung, S. 125. 43 BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 44 BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 290. 45 BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 395 f. Auch BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 229. 46 Siehe hierzu oben § 3 C. I. 2. d) aa) sowie BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 394.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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anhand des Sinn und Zwecks der Koalitionsfreiheit durchgeführt wird. Führt eine Arbeitskampfmaßnahme dazu, dass „eine Tarifvertragspartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen kann“47, ist dies mit dem Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG und damit auch mit dem Grundsatz der Kampfparität nicht vereinbar. Konsequenterweise reduzieren das BAG48 und die ihm folgende h. M.49 die Prüfung, ob die Kampfparität eingehalten ist, auf eine abstrakte Paritätskontrolle. Der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG gebietet es nämlich weder in Bezug auf die Kampfparität noch in Bezug auf das allgemeine Paritätsgebot, in jedem konkreten Einzelfall ein Verhandlungsgleichgewicht herzustellen. Es reicht vielmehr aus, dass die Kampfparität bei generell-abstrakter Betrachtungsweise gewahrt ist. Im Folgenden gilt es daher zu überprüfen, ob der Firmenarbeitskampf gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber tatsächlich bei abstrakter Betrachtungsweise zu einer Ungleichgewichtslage zuungunsten des Arbeitgebers führt. Gedanklicher Ausgangspunkt ist dabei der Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag, in dessen Rahmen unstreitig bei abstrakter Betrachtungsweise ein Verhandlungsgleichgewicht besteht. Im Hinblick hierauf würde der Firmenarbeitskampf zu einem Kräfteungleichgewicht zu Lasten des verbandsangehörigen Arbeitgebers führen, wenn dem einzelnen Arbeitgeber während eines Firmenarbeitskampfes die dem Arbeitgeberverband während eines Verbandsarbeitskampfes zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmittel entweder überhaupt nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stünden.

1. Die Aussperrung als primäres, arbeitgeberseitiges Arbeitskampfmittel a) Abwehraussperrung des bestreikten Arbeitgebers Wichtigstes Reaktionsmittel der Arbeitgeberseite auf Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft ist die Abwehraussperrung. Sie ermöglicht den Arbeitgebern, das Kampfgebiet auszuweiten und damit auf die finanzielle, aber auch verhandlungsstrategische Position der Gewerkschaft aktiv einzuwirken. Zwar ist der Normalfall der Aussperrung die Verbandsaussperrung, dennoch ist unbestritten, dass auch der einzelne Arbeitgeber im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes zum Arbeitskampfmittel der Aussperrung greifen darf.50 Unterschiede gegenüber der VerBAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 49 BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 396; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 968 ff.; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 64 f.; MhdbAR-Otto, § 282 Rn. 68 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 50 BAG vom 11. 8. 1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hensche, RdA 1971, 9, 13; Hergenröder, SAE 1993, 47 48

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

bandsaussperrung ergeben sich lediglich bezüglich der verfassungsrechtlichen Anknüpfung der Aussperrungsbefugnis des Einzelarbeitgebers. Da an der Aussperrung während eines Firmenarbeitskampfes kein Verband beteiligt ist, kann sich ihr verfassungsrechtlicher Schutz jedenfalls nicht unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben. Seiter leitet die Aussperrungsbefugnis des einzelnen Arbeitgebers daher aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG ab.51 Demgegenüber will Scholz auf Art. 9 Abs. 3 i. V. m. Art. 12, 14 GG zurückgreifen.52 Konzen sieht die Aussperrungsbefugnis des einzelnen Arbeitgebers in Art. 9 Abs. 3 GG i. V. m. dem Erforderlichkeitsgrundsatz verankert.53 Das BVerfG hat sich zur verfassungsrechtlichen Anbindung der Aussperrungsbefugnis des einzelnen Arbeitgebers noch nicht geäußert. Es hat bislang nur über den Sonderfall entschieden, in dem ein nicht verbandsangehöriger Arbeitgeber sich einem Verbandsarbeitskampf angeschlossen hat, weil er die Regelungen des umkämpften Verbandstarifvertrages auch bei sich kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme anzuwenden pflegt. Für diesen Fall hat das BVerfG die Aussperrungsbefugnis des Arbeitgebers damit begründet, dass der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber durch die Beteiligung an dem Verbandsarbeitskampf mit dem kampfführenden Arbeitgeberverband ein Kampfbündnis eingehe, dass seinerseits die Merkmale einer Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG erfülle und er deswegen berechtigt sei, auszusperren.54 Da trotz dieser verschiedenen dogmatischen Anknüpfungspunkte die Tatsache, dass die Aussperrungsbefugnis des einzelnen Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Schutz genießt, unbestritten ist, kann hier dahingestellt bleiben, welche Auffassung zur verfassungsrechtlichen Anknüpfung letztlich die zutreffende ist. Die Aussperrung des einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgebers im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ist jedenfalls rechtlich zulässig und verfassungsrechtlich geschützt. Die rechtliche Zulässigkeit der Aussperrung durch den einzelnen Arbeitgeber darf jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Die Abwehraussperrung des einzelnen Arbeitgebers im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ist als Reaktionsmittel auf einen Streik – anders als die Abwehraussperrung im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfes – nur sehr beschränkt geeignet, einen den Ausgang des Arbeitskampfes beeinflussenden Druck auf die Gewerkschaft auszuüben. Damit eine Abwehraussperrung nämlich in der Lage ist, einen nennenswerten Druck aufzubauen, muss sie eine Erweiterung des Kampfgebietes nach sich ziehen können. Vorausset61, 64; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252 f.; Konzen, SAE 1991, 335, 342; G. Müller, Arbeitskampf, S. 162; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 89 ff.; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 192; Stein, RdA 2000, 129, 139; Thüsing, Außenseiter, S. 60 ff., 141; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 20. 51 Seiter, Streikrecht, S. 92 f. 52 Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 192. In diese Richtung auch Thüsing, Außenseiter, S. 60 ff., der auf Art. 9 Abs. 3 GG i. V. m. der Tarifautonomie abstellt. 53 Konzen, AcP 177 (1977), 473, 506 Fn. 203; ders., SAE 1991, 335, 342. 54 BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 224 ff.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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zung hierfür ist aber, dass überhaupt noch Arbeitnehmer im Unternehmen des Arbeitgebers, also dem Kampfgebiet des Firmenarbeitskampfes, tätig sind, die ausgesperrt werden können. Hieran fehlt es aber meist, wenn das gesamte Unternehmen bestreikt wird. Zudem hat der Arbeitgeber an einer Aussperrung von Arbeitnehmern, die trotz des gewerkschaftlichen Streikaufrufes weiterhin arbeiten, kaum ein Interesse. Entweder führen diese Arbeitnehmer nämlich Notstands- oder Erhaltungsarbeiten durch, oder sie sind dem Streikaufruf der Gewerkschaft als sog. Streikbrecher bewusst nicht gefolgt und mindern dadurch die Solidarität auf Arbeitnehmerseite. In beiden Fällen macht eine Aussperrung gerade dieser Arbeitnehmer aus Sicht des Arbeitgebers keinen Sinn. Einzig dann, wenn nur einzelne Betriebe oder Betriebsteile eines größeren Unternehmens bestreikt werden, erweitert die Abwehraussperrung des Arbeitgebers im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes das Kampfgebiet und baut damit einen die gewerkschaftliche Verhandlungsposition beeinflussenden Druck auf. In den meisten Fällen beschränkt sich die Funktion der Abwehraussperrung des einzelnen Arbeitgebers während eines Firmenarbeitskampfes aber auf eine Manifestierung des ohnehin schon durch den Streik hervorgerufenen Produktionsstillstandes. Das BAG bezeichnet eine Aussperrung des Arbeitgebers, solange sie sich innerhalb des räumlichen und zeitlichen Rahmens des Streikaufrufs befindet, daher auch nicht als Abwehraussperrung, sondern als suspendierende Betriebsstillegung und befreit sie weitgehend von den für die Abwehraussperrung geltenden Beschränkungen.55 Die Abwehrausperrung des betroffenen Arbeitgebers ist während eines Firmenarbeitskampfes daher zwar rechtlich ebenso zulässig wie die während eines Verbandsarbeitskampfes.56 Sie ist jedoch, im Gegensatz zur Abwehraussperrung während eines Verbandsarbeitskampfes, regelmäßig nicht in der Lage, einen nennenswerten Druck auf die Gewerkschaft auszuüben. Insofern sind im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes zunächst in der Tat Unterschiede auf der Ebene der arbeitgeberseitigen Arbeitskampfmittel zu verzeichnen, die für ein Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten des verbandsangehörigen Arbeitgebers und damit für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität sprechen.

55 BAG vom 22. 3. 1994, AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 31. 1. 1995, AP Nr. 135 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11. 7. 1995, AP Nr. 138 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11. 7. 1995, AP Nr. 139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Diese Rechtsprechung des BAG ist in der Literatur überwiegend kritisiert worden. Siehe nur Kalb, FS Stahlhacke, S. 213, 222 f.; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 113; Rüthers / Fischer, Anmerkung zu BAG vom 22. 3. 1994, EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Schulte Westenberg, NJW 1996, 1256 f.; Thüsing, DB 1995, 2607 ff. Zustimmend demgegenüber MhdbAR-Boewer, § 79 Rn. 74; Hanau NZA 1996, 841, 846 f. 56 So ausdrücklich BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

b) Unterstützende Verbandsaussperrung Die Defizite der Abwehraussperrung durch den verbandsangehörigen Arbeitgeber im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes könnten aber dadurch ausgeglichen werden, dass neben dem unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber auch dessen Arbeitgeberverband berechtigt ist, auf Streikmaßnahmen der Gewerkschaft gegen sein Mitglied mit einer verbandsseitigen Abwehraussperrung zu reagieren. Dazu müsste eine solche unterstützende Verbandsaussperrung aber nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch praktisch durchführbar sein. aa) Rechtliche Zulässigkeit Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit der unterstützenden Verbandsaussperrung können deswegen aufkommen, weil der Arbeitgeberverband, anders als während eines Verbandsarbeitskampfes, mit seiner Aussperrung keine eigene Tarifforderung verfolgt. Er greift vielmehr in einen aus seiner Sicht fremden Arbeitskampf zugunsten seines Mitgliedes ein. Zwar ist Matthes der Auffassung, dass der unterstützenden Verbandsaussperrung ein konkludent erklärtes Tarifziel des Arbeitgeberverbandes dergestalt zugrunde liegt, dass er von der Gewerkschaft den Abschluss eines Verbandstarifvertrages mit dem (schuldrechtlichen) Inhalt, keinen Firmentarifvertrag abzuschließen, fordert.57 Indessen wird man eine solche Tarifforderung dem Arbeitgeberverband für gewöhnlich nicht unterstellen können. Es ist bezeichnenderweise nämlich kein einziger Tarifvertrag bekannt geworden, bei dem der Verband letztlich mit der Gewerkschaft einen solchen „Verzichtstarifvertrag“ abgeschlossen hat. Einen solchen mag der Arbeitgeberverband daher zwar zulässigerweise im Einzelfall anstreben. Ohne weitere Anhaltspunkte kann man von einem solchen Tarifziel aber nicht ausgehen. Fehlt es somit regelmäßig an einer eigenen Tarifforderung des Arbeitgeberverbandes, liegt es nicht fern, die unterstützende Verbandsaussperrung als unzulässige Sympathieaussperrung anzusehen.58 Die h. M. gelangt freilich zu einem anderen Ergebnis. Sie hält die unterstützende Verbandsausperrung auch ohne eigene Tarifforderung des Arbeitgeberverbandes für zulässig.59 Im Folgenden gilt es daher zu überprüfen, ob diese Auf57 Matthes, FS Schaub, S. 477, 481. Angedeutet auch bei Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 89. Ob ein rein schuldrechtlicher Tarifvertrag überhaupt ein Tarifvertrag im Sinne des TVG ist, mag hier dahinstehen. Hierzu Plander, ZTR 1997, 145, 148 ff. mit weiteren Nachweisen. 58 So Buchner, NZA 1994, 2, 8; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13. In diese Richtung auch Krichel, NZA 1986, 731, 733; Reuter, NZA 2001, 1091, 1103 f. 59 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1007; Hensche, RdA 1971, 9, 13; Henssler, ZfA 1998, 517, 536; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 139; MhdbAROtto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 159 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 335 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 89. Einschränkend demgegenüber Löwisch, ZfA 1980, 437, 448: Nur zulässig, wenn Ausweitung nötig ist, um Kampfparität herzustellen. Auch Matthes, FS Schaub, S. 477, 481. Angedeutet auch in BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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fassung der h. M. zutrifft und die unterstützende Verbandsaussperrung tatsächlich keine unzulässige Sympathieaussperrung ist. Streitig ist dabei schon, wann eine Arbeitskampfmaßnahme überhaupt als Sympathieaussperrung bzw. Sympathiestreik aufzufassen ist. Einige wollen darauf abstellen, ob die Arbeitskampfmaßnahme außerhalb des räumlichen oder fachlichen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertrages vorgenommen wird.60 Andere stellen darauf ab, ob die Arbeitskampfmaßnahme außerhalb des Bereichs der beiderseitigen Tarifzuständigkeit angewandt wird.61 Auf diese Abgrenzungsprobleme kommt es vorliegend indessen nicht an. Die unterstützende Verbandsaussperrung im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes erfolgt ersichtlich sowohl außerhalb des angestrebten Geltungsbereichs des umkämpften Firmentarifvertrages als auch außerhalb der beiderseitigen Tarifzuständigkeit. Die unterstützende Verbandsaussperrung ist daher jedenfalls begrifflich eine Sympathieaussperrung.62 Eine Sympathieaussperrung ist nach h. M. ebenso wie der Sympathiestreik regelmäßig unzulässig.63 Hieraus könnte man vordergründig auf die Unzulässigkeit der unterstützenden Verbandsaussperrung schließen. Im Ergebnis ist die unterstützende Verbandsaussperrung aber, obwohl sie begrifflich eine Sympathieaussperrung ist, zulässig. Grund für die von der h. M. angenommene regelmäßige Unzulässigkeit des Sympathiestreiks und der Sympathieaussperrung ist, dass Sympathiearbeitskampfmaßnahmen nicht geeignet sind, einen Binnendruck64 auf den Hauptarbeitskampf auszuüben. Der Arbeitskampfgegner der Sympathiearbeitskampfmaßnahme kann nämlich die Tarifforderung des Hauptarbeitskampfes mangels eigener Tarifbetroffenheit nicht unmittelbar erfüllen, er kann also nicht zwischen Kampf und Nachgeben wählen.65 Eine solche Situation liegt aber bei der unterstützenden Verbandsaussperrung während eines laufenden Firmenarbeitskampfes gerade nicht vor. Die unterstützende Verbandsaussperrung richtet sich nicht gegen einen am Hauptarbeitskampf nicht beteiligten Dritten, sondern gegen die den Hauptarbeitskampf führende Gewerkschaft. Die Gewerkschaft kann die Tarifforderung des Haupt60 Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 6, 14; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 40; Preis, Anmerkung zu BAG vom 12. 1. 1988, EzA Nr. 73 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. So auch BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12. 1. 1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 61 Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 162. 62 So auch Reuter, NZA 2001, 1097, 1103; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 89. 63 Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 169; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 86 ff. So auch BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 5. 3. 1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Für eine generelle Unzulässigkeit der Sympathieaussperrung Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1140 f.; Wolter in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 945. 64 Zu diesem Begriff Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1137, 1255. 65 Siehe nur BAG vom 5. 3. 1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12. 1. 1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 144; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1137; Lieb, FS Kissel, S. 653, 662 f.; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 44.

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arbeitskampfes aber ohne weiteres erfüllen und damit zwischen Nachgeben und Kämpfen wählen.66 Bei der unterstützenden Verbandsaussperrung fehlt es somit an dem von der h. M. angenommenen Grund für die regelmäßige Unzulässigkeit derartiger Arbeitskampfmaßnahmen. Die unterstützende Verbandsaussperrung im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ist daher zwar begrifflich eine Sympathieaussperrung, sie ist aber, da die von der unterstützenden Verbandsaussperrung betroffene Gewerkschaft zugleich Partei des Hauptarbeitskampfes ist, dennoch zulässig.

bb) Praktische Durchführbarkeit Die unterstützende Verbandsaussperrung muss schließlich auch in praktischer Hinsicht durchführbar sein, damit sie die Defizite der Abwehraussperrung des einzelnen Arbeitgebers ausgleichen kann. Dies könnte deswegen problematisch sein, weil die übrigen vom Firmenarbeitskampf nicht unmittelbar betroffenen Mitgliedsarbeitgeber wegen der mangelnden eigenen Tarifbetroffenheit nur ein geringes Interesse an einer Beteiligung an dem aus ihrer Sicht fremden Arbeitskampf haben werden.67 Demgemäß wird auch die Ansicht vertreten: Da es dem Arbeitgeberverband aus diesem Grund regelmäßig nicht gelänge, genügend Mitglieder für eine unterstützende Verbandsaussperrung zu mobilisieren, wäre die Möglichkeit der unterstützenden Verbandsaussperrung ebenso wie die Abwehraussperrung des einzelnen Arbeitgebers trotz deren rechtlicher Zulässigkeit kein zur Herstellung der Kampfparität im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes taugliches Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite.68 Diese Auffassung erweist sich aber als unbegründet. Zwar betrifft der Firmenarbeitskampf unmittelbar nur einen bestimmten Mitgliedsarbeitgeber. Er wirkt sich aber doch zumindest mittelbar auch auf die anderen Mitgliedsarbeitgeber aus, so dass diese mittelbare Betroffenheit genügend Anreiz für eine gemeinsame Verbandsaussperrung bieten sollte. Die andere Mitgliedsarbeitgeber riskieren nämlich bei einem aus Sicht der Gewerkschaft erfolgreichen Ausgang des Firmenarbeitskampfes, dass die Gewerkschaft sich ermuntert fühlt, auch an die anderen Mitgliedsarbeitgeber mit entsprechenden Forderungen heranzutreten. Selbst wenn diese Gefahr wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls beim betroffenen Arbeitgeber nicht gegeben sein sollte, muss doch im Prinzip jeder Mitgliedsarbeitgeber damit rechnen, gleichfalls auf den Abschluss eines Firmentarifvertrages von der Gewerkschaft in Anspruch genommen zu werden. Da so jeder Mitgliedsarbeit66 So auch Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 89. 67 So die Argumentation bei Beuthien, BB 1975, 477, 479; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Krichel, NZA 1986, 731, 734; Lieb, DB 1999, 2058, 2062 f.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1103 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 90 ff. 68 So im Ergebnis von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Krichel, NZA 1986, 731, 734; Lieb, DB 1999, 2058, 2062 f.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1103 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 90 ff.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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geber stets latent in der Gefahr schwebt, in eine Situation zu kommen, in der er auf die Unterstützung seines Verbandes angewiesen ist, dürfte diese Erkenntnis allein schon für eine ausreichende Solidarisierung innerhalb des Verbandes sorgen. Verbessern kann der Arbeitgeberverband die innerverbandliche Solidarität weiter dadurch, dass er entsprechende die Mitgliedsarbeitgeber bindende Unterstützungspflichten für den Fall des Firmenarbeitskampfes in seine Satzung aufnimmt. Die anderen Mitgliedsarbeitgeber müssen sich dann, wollen sie sich nicht satzungswidrig verhalten, an einer vom Verband angeordneten unterstützenden Verbandsaussperrung beteiligen. Allerdings ist der Arbeitgeberverband nicht verpflichtet, derartige Klauseln in seine Satzung aufzunehmen. Er kann ohne weiteres auch auf die freiwillige Solidarität seiner Mitglieder setzen. Unterlässt der Verband aber die Regelung derartiger Klauseln und tritt hierdurch ein Solidarisierungsverlust innerhalb des Verbandes ein, so geht dies zu seinen Lasten und damit letztlich zu Lasten der Mitglieder. Hierauf beruhende Beeinträchtigungen der Kampfparität können die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes ebenso wenig beeinflussen wie verbandsinterne Solidarisierungsschwächen die Zulässigkeit eines Verbandsarbeitskampfes beeinflussen können. Mit Recht hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 4. Juli 1995 deswegen auch ausgeführt, dass „der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen der Koalition beruhen. Der Organisationsgrad einer Koalition, ihre Fähigkeit zur Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern und ähnliche Faktoren liegen außerhalb der Verantwortung des Gesetzgebers. Er ist nicht gehalten, schwachen Verbänden Durchsetzungsfähigkeit bei Tarifverhandlungen zu verschaffen“69 Unter Berücksichtigung der satzungsrechtlichen Möglichkeiten des Arbeitgeberverbandes ist die unterstützende Verbandsaussperrung im Ergebnis daher als nicht weniger effektiv zu beurteilen als eine herkömmliche Verbandsaussperrung im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfes. Die unterstützende Verbandsaussperrung ist sowohl rechtlich zulässig als auch in praktischer Hinsicht geeignet, die fehlende Effektivität der Abwehraussperrung des betroffenen Arbeitgebers auszugleichen.

c) Unterstützende Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber Letztlich kommt auch eine unterstützende Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber in Betracht. Dabei können diese Arbeitgeber entweder einem anderen oder keinem Arbeitgeberverband angehören. Auch eine solche Aussperrung ist zwar begrifflich eine Sympathieaussperrung, sie ist aber ebenso wie die unterstützende Verbandsaussperrung zulässig. Auch hier kann der Arbeitskampfgegner des Sympathiearbeitskampfes – die Gewerkschaft – die Forderung des Hauptarbeitskampfes ohne weiteres erfüllen. Allerdings ist Zulässigkeitsvoraussetzung der 69

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BVerfG vom 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 396.

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Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber, dass die den Hauptarbeitskampf führende Gewerkschaft in dem betreffenden Betrieb überhaupt repräsentiert ist. Ist dies nicht der Fall, kann die Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber auf den Hauptarbeitskampf keinen Binnendruck ausüben. Trotz der rechtlichen Zulässigkeit ist die praktische Bedeutung der unterstützenden Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber eher gering. Ein Arbeitgeber, der mit dem durch den Firmenarbeitskampf betroffenen Arbeitgeber nicht einmal über einen Verband verbunden ist, hat im Regelfall kein Interesse, in dessen Arbeitskampf einzugreifen. Auch für Solidarisierungsklauseln verbleibt hier mangels verbindender Verbandsmitgliedschaft kein Raum. Die unterstützende Aussperrung durch verbandsfremde Arbeitgeber ist daher zwar rechtlich möglich, praktisch aber eher bedeutungslos. Sie kann die Kampfparität bei typisierender Betrachtungsweise nicht zugunsten des einzelnen Arbeitgebers beeinflussen.

d) Zusammenfassung Während eines Firmenarbeitskampfes steht der Arbeitgeberseite als Reaktion auf gewerkschaftliche Streikmaßnahmen das Mittel der Abwehraussperrung in dreierlei Hinsicht zur Verfügung. Zum einen kann der betroffene Arbeitgeber selbst aussperren. Zum anderen ist es aber auch zulässig, dass sein Verband oder auch sonstige Arbeitgeber ihn mit einer Abwehraussperrung unterstützen. Im Hinblick auf die praktische Durchführbarkeit dürfte im Regelfall nur die unterstützende Verbandsaussperrung als arbeitgeberseitiges Reaktionsmittel geeignet, dafür aber auch ausreichend sein, auf die Gewerkschaft einen hinreichend großen Druck auszuüben, um eine Kampfparität herzustellen. Im Vergleich zum Verbandsarbeitskampf ergeben sich im Rahmen des Firmenarbeitskampfes im Hinblick auf die Möglichkeit der Aussperrung damit in rechtlicher ebenso wie in praktischer Hinsicht keine Unterschiede.

2. Sonstige Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes Neben dem praktisch wichtigsten Reaktionsinstrument der arbeitgeberseitigen Aussperrung kann die Verhandlungsposition des einzelnen Arbeitgebers noch durch weitere außerhalb der klassischen Arbeitskampfmittel liegende Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes gestärkt werden. Zu denken ist hier zunächst an eine Unterstützung des Mitgliedsarbeitgebers im Bereich der technischen Verhandlungsführung. In Betracht kommen hier vor allem tarifpolitische und rechtliche Beratungen während der Tarifverhandlungen.70 Möglich ist auch die Bereitstellung 70 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 460 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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von Räumlichkeiten und Sachmitteln. Der verbandsangehörige Arbeitgeber kann sich sogar während der Tarifverhandlungen von seinem Verband vertreten lassen.71 Aufgrund solcher Maßnahmen sind in der technischen Verhandlungsführung praktisch keine Unterschiede zum Abschluss eines (ev. unternehmensbezogenen) Verbandstarifvertrages erkennbar. Raum für eine Einschüchterung oder ein „Weichklopfen“ des tarifpolitisch unter Umständen unerfahrenen einzelnen Arbeitgebers verbleibt damit nicht mehr. Die Verhandlungsführung durch den Verband hat zudem auch in Bezug auf die unterstützende Verbandsaussperrung positive Signalwirkung. Unmittelbar Tarifbeteiligter ist nämlich so nicht mehr nur der einzelne Arbeitgeber, sondern der Verband. Ein Scheitern der Tarifverhandlungen und der Beginn des Arbeitskampfes stellen damit nicht mehr nur einen Angriff auf den einzelnen Arbeitgeber, sondern auch auf den gemeinsamen Verband dar, konnte sich dieser gegenüber der Gewerkschaft am Verhandlungstisch doch offensichtlich nicht durchsetzen.72 In Betracht kommt neben der Unterstützung bei der Verhandlungsführung als solcher ferner eine materielle Unterstützung des verbandsangehörigen Arbeitgebers durch seinen Verband bzw. die anderen Mitglieder. In erster Linie sind hier finanzielle Hilfen des Verbandes, aber auch wirtschaftliche Solidarmaßnahmen der anderen Mitglieder denkbar. In Bezug auf die finanziellen Hilfen des Arbeitgeberverbandes liegt die Gründung von Unterstützungsfonds als Gegenstück zu den Streikkassen der Gewerkschaft nahe.73 Mit Hilfe der Unterstützungsfonds könnten dann die durch den Firmenarbeitskampf eintretenden finanziellen Belastungen der Arbeitgeber ausgeglichen werden.74 Dabei spielt es für die Beurteilung der Kampfparität auch hier keine Rolle, ob der Arbeitgeberverband im Einzelfall einen solchen Unterstützungsfond überhaupt gegründet hat und ob die Satzung dem Mitgliedsarbeitgeber ein notfalls auch gerichtlich durchsetzbares Recht auf finanzielle Zuwendungen aus dem Unterstützungsfond einräumt.75 Für die Beurteilung der Kampfparität ist allein entscheidend, dass der Arbeitgeberverband die Möglichkeit hat, entsprechende Unterstützungsfonds einzurichten. Unterlässt er dies, weil er seinen Mitgliedern die damit zusammenhängenden finanziellen (Mehr-)Belastungen nicht auferlegen will, dann ist dies zwar rechtlich ohne weiteres zulässig; die dadurch eintretende Schwächung der Arbeitskampfkraft des einzelnen Arbeit71 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 460 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88. 72 A. A. von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 460 f.; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88, die die Unterstützungsmaßnahmen in praktischer Hinsicht für ungeeignet halten. 73 So auch Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88; Zöllner, Aussperrung, S. 46. 74 Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 88. A. A. Krichel, NZA 1986, 731, 733, da die Zahlungen aus den Unterstützungsfonds nicht alle Nachteile ausgleichen könnten. Dies ist aber entgegen Krichel kein genereller Einwand gegen die Tauglichkeit der Unterstützungsfonds, sondern lediglich eine Frage der zweckmäßigen Ausgestaltung derselben. 75 A. A. wohl von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Beuthien, BB 1975, 477, 479.

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gebers geht dann aber nicht zu Lasten der Kampfparität und damit der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes. Entgegen Weiss76 sind derartige finanzielle Unterstützungsmaßnahmen durch den Arbeitgeberverband auch geeignet, die andernfalls möglicherweise eintretende Beeinträchtigung der Kampfparität auszugleichen. Zwar beeinflussen – worauf Weiss 77 zu Recht hinweist – finanzielle Zuwendungen des Verbandes nicht unmittelbar die Kampfkraft der Gewerkschaft. Im Hinblick auf die durch die finanzielle Zuwendung erreichte Erhöhung der Kampfkraft des Arbeitgebers tritt aber dennoch – dies übersieht Weiss – eine Beeinflussung der wechselseitigen Kampfkraft zugunsten des Arbeitgebers ein. In Bezug auf die Maßnahmen der anderen Mitglieder kommt eine Enthaltung vom Wettbewerb, die Übernahme von Produktionsausfällen und die Möglichkeit, aus Lieferfristüberschreitungen von kämpfenden Unternehmen keine Rechte herzuleiten, in Betracht.78 In kartellrechtlicher Hinsicht ist allerdings streitig, inwieweit derartige Unterstützungsmaßnahmen bereits im Vorwege eines Arbeitskampfes durch sog. Streikhilfeabkommen vertraglich vereinbart werden können.79 Mit der wohl h. M. kann man aber von der rechtlichen Zulässigkeit derartiger Streikhilfeabkommen ausgehen.80 Sie fallen schon, da sie die Unterstützung des durch den Arbeitskampf betroffenen Arbeitgebers bezwecken und nicht primär der Beschränkung des Wettbewerbes dienen, nicht in den Anwendungsbereich des § 1 GWB.81 Derartige wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen sind auch geeignet, die unter Umständen bestehende finanzielle Überlegenheit der Gewerkschaft auszugleichen.82 Auch hierbei gilt im Ergebnis, dass, wenn der Arbeitgeberverband bzw. die Verbandsmitglieder es unterlassen, entsprechende Absprachen zu treffen, dies nicht zu Lasten der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes geht.83 Auch die Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes bzw. der anderen Verbandsmitglieder – in Bezug auf die technische Verhandlungsführung und die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers – sind damit geeignet, eine unter Umständen eintretende Unterlegenheit des einzelnen Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft auszugleichen. Auch hier ergeben sich keine Unterschiede gegenüber der Situation des verbandsangehörigen Arbeitgebers während eines Verbandsarbeitskampfes.

Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 85. Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 85. 78 Diese Maßnahmen zusammenfassend: Zöllner, Aussperrung, S. 45 f. Siehe auch Buchner, NZA 1994, 2, 8; Hensche, RdA 1971, 9, 13; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 461; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Matthes, FS Schaub, S. 477, 481. 79 Hierzu umfassend Kraft / Hönn, ZHR 141 (1977), 230 ff. mit weiteren Nachweisen. 80 So auch Kraft / Hönn, ZHR 141 (1977), 230 ff.; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S 207, jeweils mit weiteren Nachweisen. A. A. Säcker, ZHR 137 (1974), 455 ff. 81 Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S 207 mit weiteren Nachweisen. 82 A. A. BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Krichel, NZA 1986, 731, 733. 83 A. A. wohl Beuthien, BB 1975, 477, 479; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 43. 76 77

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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3. Ergebnis Der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verstößt nicht gegen den Grundsatz der Kampfparität. In Bezug auf die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmittel steht der betroffene Mitgliedsarbeitgeber insbesondere wegen der Möglichkeit der unterstützenden Verbandsaussperrung nicht schlechter da als während eines Verbandsarbeitskampfes. Um innerhalb des Arbeitgeberverbandes genügend Solidarität für unterstützende Verbandsaussperrungen sicherzustellen, bietet es sich an, entsprechende Unterstützungsklauseln in die Satzung des Arbeitgeberverbandes aufzunehmen. Unterlässt der Arbeitgeberverband dies und unterbleibt deswegen eine ausreichende innerverbandliche Solidarität, geht die hierdurch bewirkte Beeinträchtigung der Kampfparität zu Lasten des Verbandes und führt nicht zu einer Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes. Die weiteren Unterstützungsmöglichkeiten des Arbeitgeberverbandes und seiner Mitglieder führen überdies dazu, dass der verbandsangehörige Arbeitgeber auch im Hinblick auf die technische Verhandlungsführung und seine finanzielle Position nicht schlechter als im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfes gestellt ist. Ein Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ist daher nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Kampfparität unzulässig.

II. Verletzung von Grundrechten? Verstößt der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber, wie gesehen, nicht gegen den Grundsatz der Kampfparität, kann sich seine Unzulässigkeit aber aus einer Verletzung von Grundrechten Dritter ergeben.

1. Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Verbandes? Möglich ist zunächst eine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes. Dabei scheidet eine solche Verletzung allerdings von vornherein aus, wenn – was aber eher eine theoretische Erwägung sein dürfte – der Arbeitgeberverband mit dem Abschluss des Firmentarifvertrages und auch dem Firmenarbeitskampf einverstanden ist. a) Bestandschutz Bezüglich der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes ist an eine Verletzung der Bestandsschutzgarantie zu denken. Von Bedeutung ist hierbei zunächst, dass der durch den Firmenarbeitskampf bewirkte Eingriff anders als in Bezug auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeit-

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gebers nicht durch eine staatliche Maßnahme, sondern mangels gesetzlicher Eingriffsermächtigungen unmittelbar von der Gewerkschaft als Privatrechtssubjekt ausgeht.84 Für von Privatrechtssubjekten verursachte Eingriffe in die Koalitionsfreiheit enthält Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG eine Sonderregelung, deren Voraussetzungen vorliegen müssen, wenn der Arbeitskampf aus diesem Grund unzulässig sein soll.85 Unzulässig sind nach dem Wortlaut dieser Vorschrift Abreden, die die Koalitionsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, und Maßnahmen, die hierauf gerichtet sind. Abreden im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sind zwei- oder mehrseitige Vereinbarungen, während Maßnahmen einseitige Handlungen rechtlicher oder auch rein faktischer Natur sind.86 Die Durchführung von Streikmaßnahmen im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes sind als einseitige Handlungen Maßnahmen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ist daher nach dieser Norm unzulässig, wenn der Streik im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes auf die Einschränkung der Koalitionsfreiheit des Arbeitsgeberverbandes im Hinblick auf dessen Bestandsschutz gerichtet ist. Ob dies der Fall ist, ist strittig. Eine Ansicht geht davon aus, dass jede Streikmaßnahme zum Abschluss eines Firmentarifvertrags auf die Einschränkung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf dessen Bestandsschutz gerichtet ist.87 Zur Begründung führen die Vertreter dieser Auffassung aus, dass die wahre gewerkschaftliche Intention jedes Firmenarbeitskampfes nicht der Abschluss des Firmentarifvertrages, sondern die Schwächung des Arbeitgeberverbandes sei. Die Gewerkschaft könne nämlich, wenn es ihr tatsächlich nur um den Abschluss eines betrieblichen Tarifvertrages ginge, den einzelnen Arbeitgeber genauso gut über seinen Verband mithilfe eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages tariflich erreichen.88 Andere sprechen sich demgegenüber gegen die generelle Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes aus diesem Grund 84 Der Umstand, dass die Rechtsprechung in Bezug auf das Arbeitskampfrecht als Ersatzgesetzgeber tätig wird, soll hier außer Betracht bleiben. 85 Hierüber besteht Einigkeit. Siehe nur LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 479; Boldt, RdA 1971, 257, 260 ff.; Brox /Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Hess, Zulässigkeit, S. 54 ff.; ders., ZfA 1976, 45, 68 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 464; von Münch in: BK-GG, Art. 9 Rn. 157 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 157 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 243; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 60 f. 86 Siehe nur Bauer in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 82 f.; Höfling in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 124; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 129 ff.; Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 284; Löwer, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9 Rn. 85 ff.; von Münch in: BK-GG, Art. 9 Rn. 157 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 33 ff. 87 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Boldt, RdA 1971, 257, 260 ff.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Krichel, NZA 1986, 731, 734 f. In diese Richtung auch Hanau / Thüsing, ZTR 2002, 506, 509. 88 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Krichel, NZA 1986, 731, 735.

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aus.89 Zwar könne es durchaus vorkommen, dass ein Firmenarbeitskampf allein geführt werde, um den Arbeitgeberverband zu schwächen.90 Dies könne Gewerkschaften jedoch nicht für jeden Firmenarbeitskampf pauschal unterstellt werden. Es sei vielmehr stets im Einzelfall zu prüfen, ob Ziel des Firmenarbeitskampfes tatsächlich allein die Schwächung des Arbeitgeberverbandes sei oder ob dieser lediglich der Durchsetzung tariflicher Ziele diene.91 Von Hoyningen-Huene nimmt eine Verletzung der Bestandsschutzgarantie ferner für den Fall an, dass zwar kein entsprechender Schädigungswille der Gewerkschaft erkennbar sei, der erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages aber objektiv zu einer wesentlichen Schwächung des Arbeitgeberverbandes führe.92 Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitgeberverband im Wesentlichem aus einem Großunternehmen bestehe und dieses zum Abschluss eines Firmentarifvertrages bestreikt werde.93 Diese Ansicht von von Hoyningen-Huene muss aber schon am Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG scheitern. Für die Unzulässigkeit einer Maßnahme kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift allein auf eine entsprechende subjektive Willensrichtung an. Nicht gewollte, aber objektiv beschränkend wirkende Maßnahmen erfasst Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG demgegenüber nicht.94 Es kommt mithin allein darauf an, ob die Gewerkschaft mit dem Firmenarbeitskampf subjektiv auf eine Einschränkung der von der Koalitionsfreiheit umfassten Bestandsschutzgarantie abzielt. Die in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG verwandte Formulierung „hierauf gerichtet“ bedeutet dabei, dass die Einschränkung der Koalitionsfreiheit nicht nur Nebenfolge, sondern Hauptziel der Maßnahme sein muss. Diese den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG einschränkende Voraussetzung ist folgerichtige Konsequenz daraus, dass im Beziehungsgeflecht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ständig Verhaltensweisen erforderlich sind und stattfinden, die die Koalitions89 LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051; Dammann, Tarifvertrag, S. 214; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 133; MhdbAROtto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 157 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 243; Stein, RdA 2000, 129, 138; Valentin, Friedenspflicht, S. 75 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 60 f. 90 ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 133; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 157 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 243; Valentin, Friedenspflicht, S. 75 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 60 f. 91 LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, S. 2051; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 133; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Richardi, JurAn 1971, 141, 157 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 243; Valentin, Friedenspflicht, S. 75 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 60 f. 92 Von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 464 f. In diese Richtung auch LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 93 Von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 464 f. 94 Vgl. hierzu Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 284.

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freiheit des Gegenübers zumindest als Nebenfolge faktisch einschränken. Wären alle diese Maßnahmen gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unzulässig, wäre eine sinnvolle Durchführung des Arbeitsverhältnisses nahezu ausgeschlossen.95 Zu weit geht allerdings die Auffassung Kempers, der bei einer Kollision der wechselseitigen Koalitionsfreiheit generell von der Unanwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ausgeht.96 Eine derart weitgehende Reduktion des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift ist mit deren Wortlaut nicht mehr zu vereinbaren. Die ggf. vorliegende Wahrnehmung der eigenen Koalitionsfreiheit ist aber bei der in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG genannten Voraussetzung „dieses Recht“ zu berücksichtigen. Ist eine Maßnahme nämlich ihrerseits durch die Wahrnehmung der eigenen Koalitionsfreiheit – auch unter Berücksichtigung der Koalitionsfreiheit des Gegenübers – verfassungsrechtlich gerechtfertigt, kann „dieses Recht“ des Gegenübers nicht verletzt sein. Ist der Handelnde mit anderen Worten wegen der Wahrnehmung der eigenen Koalitionsfreiheit berechtigt, die Koalitionsfreiheit des Gegenübers zu beschränken, existiert kein „dieses Recht“ des Gegenübers, in das die Maßnahme eingreifen könnte. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ist daher wegen einer Verletzung der Bestandsschutzgarantie des Arbeitgeberverbandes nur dann unzulässig, wenn Hauptzweck des Firmenarbeitskampfes nicht der Abschluss eines Firmentarifvertrages, sondern die Schwächung des Arbeitgeberverbandes ist. Eine solche Intention wird man der Gewerkschaft aber meist nicht, schon gar nicht stets, unterstellen können. Gewerkschaftliche Hauptintention des Firmenarbeitskampfes ist – wie die der weitaus meisten Arbeitskämpfe –, günstige Arbeitsbedingungen für die eigenen Mitglieder zu erreichen und nicht, den Arbeitgeberverband zu schwächen oder gar zu zerschlagen.97 Freilich kann Letzteres im Einzelfall vorliegen. Eine solche Intention müsste man aber gesondert feststellen. Dabei spricht eine rechtstatsächliche Vermutung gegen eine entsprechende Schädigungsabsicht der Gewerkschaft. Gewerkschaftliche Streikmaßnahmen im Rahmen des Firmenarbeitskampfes führen daher regelmäßig nicht zu einer Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf dessen Bestandsschutz. Sie sind daher auch nicht gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unzulässig.

b) Betätigungsfreiheit Scheidet eine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit im Hinblick auf den Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes aus, könnte der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber aber noch die kollektive KoalitionsfreiSo auch Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 284. Kemper in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 280 f. 97 So auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1007; Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; KasshdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 133; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 133. 95 96

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heit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf dessen Betätigungsfreiheit verletzen. Angeführt wird in diesem Zusammenhang, dass der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages dem Verband die Möglichkeit nehme, Verbandstarifverträge für das betreffende Mitglied abzuschließen. Da die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes aber auch gewährleiste, Tarifverträge für die eigenen Mitglieder abzuschließen, sei seine Koalitionsbetätigungsfreiheit diesbezüglich verletzt.98 Unabhängig davon, ob bezüglich einer solchen Einschränkung die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG vorliegen, könnte sich eine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes aus diesem Aspekt nur dann ergeben, wenn Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG dem Arbeitgeberverband überhaupt das Recht einräumt, ungestört von konkurrierenden Firmentarifverträgen der eigenen Tariftätigkeit nachgehen zu können. Nur wenn dies der Fall wäre, würde der erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages den Arbeitgeberverband in seiner Koalitionsfreiheit verletzen können. Denn trotz des Abschlusses eines Firmentarifvertrages kann der Arbeitgeberverband weiterhin Tarifverträge auf Verbandsebene abschließen. Seine Verbandstarifverträge entfalten lediglich für das betroffene Mitglied keine Wirkung mehr. Im Ergebnis müsste der Koalitionsfreiheit daher ein tarifrechtlicher Regelungsvorrang der Verbands- gegenüber der Unternehmensebene entnommen werden können. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG enthält aber weder einen Schutz der Tariftätigkeit des Arbeitgeberverbandes vor konkurrierenden Firmentarifverträgen noch einen Regelungsvorrang der Verbandsvor der Unternehmensebene. Die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende einfachgesetzliche Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG durch das TVG statuiert vielmehr ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag.99 Der Arbeitgeberverband kann daher auch aus Art. 9 Abs. 3 GG kein Recht darauf ableiten, ungestört von konkurrierenden Firmentarifverträgen der eigenen Tariftätigkeit nachzugehen. Vielmehr muss er die durch das TVG vorgenommene Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit im Hinblick auf das Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht akzeptieren.100 98 Boldt, RdA 1971, 257, 262; Buchner, DB 1970, 2074, 2078; Hess, Zulässigkeit, S. 128 ff.; ders., ZfA 1976, 45, 68; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Schleusener, NZA 1998, 239, 243; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 69 f. Ohne nähere Begründung auch Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503. In der Sache gleich, formal allerdings mehr auf die individuelle Koalitionsfreiheit abstellend Reuter, NZA 2001, 1097, 1102 ff. Offen gelassen BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: Jedenfalls dann keine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit, wenn der Verband für das Mitglied keine einschlägigen Tarifverträge abgeschlossen hat oder einen solchen Abschluss demnächst plant. 99 Dazu bereits § 3 C. I. 2. c) bb) (a). 100 So auch BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Henssler, ZfA 1998, 517, 534 ff.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 290; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 7; Löwisch, Anmerkung zu LAG Hamm vom 8. 8. 1985, AR-Blattei Arbeitskampf I, Allgemeines, Entscheidung 24;

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Entgegen vielfacher Kritik101 ist diese Argumentation auch methodisch richtig. Den Umfang der kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit des Verbandes anhand der einfachgesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 TVG zu messen, ist gerade kein Verstoß gegen die Normenhierachie, sondern lediglich Konsequenz der aufgezeigten Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit im Hinblick auf das formelle Tarifrecht. Die Koalitionsfreiheit selbst enthält nämlich wegen ihrer Ausgestaltungsbedürftigkeit keine Vorgaben zum Umfang der kollektiven Koalitionsbetätigungsfreiheit im Hinblick auf das Verhältnis des Firmentarifvertrags zum Verbandstarifvertrag. Aussagen hierzu enthält erst die einfachgesetzliche Regelung des § 2 Abs. 1 TVG, die zugleich den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG in dieser Hinsicht ausgestaltet. Entgegen verschiedentlicher Ausführungen ist wegen des im TVG geregelten Nebeneinanders von Verbands- und Firmentarifvertrag auch kein konkordanter Ausgleich zwischen dem Recht der Gewerkschaft auf Abschluss von Firmentarifverträgen und dem Recht des Arbeitgeberverbandes auf Abschluss von Verbandstarifverträgen durchzuführen.102 Auch dies würde nämlich bedingen, dass der Arbeitgeberverband ein Recht hätte, Verbandstarifverträge ohne konkurrierende Tarifsetzung auf Unternehmensebene abzuschließen und es würde darüber hinaus voraussetzen, dass dieses Recht mit einem Recht der Gewerkschaft, Firmentarifverträge ohne konkurrierende Tarifsetzung des Arbeitgeberverbandes abzuschließen, kollidierte. Es existiert aber weder ein solches Recht des Arbeitgeberverbandes noch ein solches der Gewerkschaft. Das durch die Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ermöglichte Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifverträgen schafft keine zwei sich gegenüberstehenden Rechtspositionen, sondern relativiert das jeweilige Recht auf die eigene Tariftätigkeit vielmehr bereits seinem Umfange nach, so dass eine Kollision gar nicht erst eintritt.103 Auch der von Weiss und Reuter angeführte Vergleich der Situation der Gewerkschaft mit der des Arbeitgeberverbandes vermag kein anderes Ergebnis zu begründen.104 Weiss führt diesbezüglich aus, dass, anders als die Gewerkschaft, der ArRichardi, JurAn 1971, 141, 158 f.; ders., AR-Blattei, SD Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag E III.; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 23. 101 Boldt, RdA 1971, 257, 261; Hensche, RdA 1971, 9, 11; Hess, ZfA 1976, 45, 65; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; Schleusener, NZA 1998, 239, 242; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 77 f. In diese Richtung auch Lieb, DB 1999, 2058, 2060. 102 So aber Jacobs, ZTR 2000, 249, 252 f.; Schleusener, NZA 1998, 239, 243. In diese Richtung auch LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24 , S. 17, 23. 103 Andersherum wäre auch in die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft nicht eingegriffen, wenn sich einzelne Arbeitgeber in einem Verband zusammenschlössen und sodann den Abschluss von Firmentarifverträgen verweigern würden. Auch das Recht der Gewerkschaft auf Abschluss von Firmentarifverträgen ist von vornherein durch das Recht der Arbeitgeberseite auf Abschluss von Verbandstarifverträgen relativiert. 104 Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 92 ff.; Reuter, NZA 2001, 1097, 1103.

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beitgeberverband als Folge der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber von der Anerkennung der Gewerkschaft als Tarifpartner abhängig sei.105 Wenn die Gewerkschaft nämlich nur mit einzelnen Arbeitgebern und nicht mit dem Arbeitgeberverband Tarifverträge abschließen wollte, dann müsste der Arbeitgeberverband seine Anerkennung als Tarifpartner gegenüber der Gewerkschaft erst mit Arbeitskampfmitteln durchsetzen.106 Dies brauche die Gewerkschaft demgegenüber nicht, da sie keinen Tarifkonkurrenten habe.107 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Reuter, der anführt, die Erstreikbarkeit des Firmentarifvertrages gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber würde den Arbeitgeberverband in den Rechtszustand der Gewerkschaften vor der Geltung der TVVO von 1918 versetzen.108 Wegen des Vorrangs des Firmentarifvertrages vor dem Verbandstarifvertrag müsste der Arbeitgeberverband die Gewerkschaft durch Druckausübung nämlich erst daran zu hindern suchen, Sondervereinbarungen in Form von Firmentarifverträgen mit den einzelnen Mitgliedsarbeitgebern abzuschließen.109 Dies entspreche der Situation der Gewerkschaften vor der Geltung der TVVO von 1918. Auch sie mussten bis zu diesem Zeitpunkt mangels normativer Wirkung des Tarifvertrages auf den einzelnen Arbeitgeber Druck dahingehend ausüben, dass dieser die Gesamtvereinbarungen der Gewerkschaft akzeptierte und nicht mit den einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern einzelvertragliche Sondervereinbarungen abschloss.110 Gegen diese Argumentation von Weiss und Reuter spricht Folgendes: Dass (potentielle) Tarifvertragsparteien in der Tarifwirklichkeit um ihre Anerkennung als Tarifpartner kämpfen müssen, ist keine Besonderheit der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber, sondern kommt allenthalben vor. Auch ein Arbeitgeberverband kann im Rahmen seiner Tarifpolitik beispielsweise festlegen, nur mit DGB-Gewerkschaften Tarifverträge abzuschließen. Eine außerhalb des DGB stehende Gewerkschaft muss in diesem Fall ebenso um ihre Anerkennung als Tarifpartner kämpfen wie es der Arbeitgeberverband für den Fall tun muss, dass eine Gewerkschaft nur Firmentarifverträge abschließen will. Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitgeberverband nur mit bestimmten, vermeintlich schwächeren Gewerkschaften Tarifverträge abzuschließen pflegt. Auch hier muss die ausgeschlossene Gewerkschaft um ihre Anerkennung als Tarifpartner kämpfen. Letztlich ist auch der ganz gewöhnliche Fall in Betracht zu ziehen, dass sich der Arbeitgeberverband für bestimmte Teilbereiche gänzlich weigert, mit der Gewerkschaft Tarifverträge abzuschließen, weil er diese Bereiche der einzelvertraglichen Regelung seiner Mitglieder überlassen will. Auch in dieser 105 106 107 108 109 110

Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 92 ff. Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 92 ff. Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 92 ff. Reuter, NZA 2001, 1097, 1103. Reuter, NZA 2001, 1097, 1103. Reuter, NZA 2001, 1097, 1103.

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Situation muss sich die Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeberverband als Tarifpartner für diese Regelungsbereiche erst durchsetzen. Da somit entsprechende Situationen auf beiden Seiten vorkommen können, führen diese – ohnehin mehr rechtspolitischen als rechtlichen – Erwägungen nicht zur Notwendigkeit der Korrektur des gefundenen Ergebnisses. Fehlt es daher schon an einem entsprechenden verfassungsrechtlichen Schutz der Tariftätigkeit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf den konkurrierenden Abschluss von Firmentarifverträgen, kommt es auf die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG an dieser Stelle nicht mehr an. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verletzt also auch die Betätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes nicht.

2. Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des arbeitskampfbetroffenen Arbeitgebers? Scheidet eine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes aus, so könnte der Firmenarbeitskampf aber doch die individuelle Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers unverhältnismäßig beeinträchtigen. Dies wird aus vier Gründen erwogen.

a) Durch Herausbrechen aus dem Verband? Zunächst nehmen Einige eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers deswegen an, weil eigentliches Ziel jedes Firmenarbeitskampfes nicht der Abschluss eines Firmentarifvertrages sei, sondern das Herausdrängen des Mitgliedsarbeitgebers mit Hilfe des Firmenarbeitskampfes aus seinem Verband.111 Zwar erkennen die Vertreter dieser Ansicht an, dass der Firmentarifvertrag aus Sicht der Gewerkschaft auch dazu dient, ihren Mitgliedern möglichst günstige Arbeitsbedingungen zukommen zu lassen. Dieses Ziel könne die Gewerkschaft aber nur dann erreichen, wenn sie mit dem Firmenarbeitskampf die Solidarität des Verbandes gegenüber seinem Mitglied schwäche und ihn damit aus dem Verband herausdränge.112 Hauptintention des Firmenarbeitskampfes bleibe damit, den Arbeitgeber aus seinem Verband herauszudrängen. Deshalb sei der Streik zum Abschluss eines Firmentarifvertrages bzw. der Firmenarbeitskampf eine Maßnahme im Sinne von Art. 9 Abs. 3 S. 2, 2. Alt. GG und damit unzulässig.113 111 Beuthien, BB 1975, 477, 479; Boldt, RdA 1971, 257, 260; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Hess, Zulässigkeit, S. 124. 112 Boldt, RdA 1971, 257, 261 f.; Hess, Zulässigkeit, S. 124. 113 Boldt, RdA 1971, 257, 260; Hess, Zulässigkeit, S. 124.

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Gegen diese Argumentation ist allerdings ebenso wie im Zusammenhang mit dem Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes114 einzuwenden, dass es rechtstatsächlich unzutreffend ist, der Gewerkschaft stets und pauschal bei jedem Firmenarbeitskampf den Willen zu unterstellen, den verbandsangehörigen Arbeitgeber mit dem Firmenarbeitskampf aus seinem Verband herausdrängen zu wollen. Vielmehr strebt die Gewerkschaft mit dem Firmenarbeitskampf als Hauptziel den Abschluss des von ihr geforderten Firmentarifvertrages an, um möglichst günstige Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder zu erreichen.115 Selbst wenn der Abschluss des Firmentarifvertrages nur dadurch erreicht werde könnte, dass die Solidarität des Verbandes gegenüber seinem Mitglied geschwächt wird, führt dies weder objektiv noch nach der Intention der Gewerkschaft zu einem Herausdrängen des Mitgliedes aus seinem Verband. Der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag berührt die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers selbst nämlich nicht. Auch kann der einzelne Arbeitgeber trotz des Firmenarbeitskampfes weiterhin sämtliche Unterstützungsmaßnahmen seines Verbandes in Anspruch nehmen.116 Verhindert wird durch einen – aus Sicht der Gewerkschaft – erfolgreichen Firmenarbeitskampf lediglich die effektive Geltung des Verbandstarifvertrages im Unternehmen des betreffenden Arbeitgebers. Diese Folge kann man aber nicht dem Herausdrängen des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus seinem Verband gleichstellen. Eine andere Beurteilung wäre dann angebracht, wenn der Abschluss des Firmentarifvertrages nur vorgeschoben und eigentliches Ziel der Gewerkschaft tatsächlich ein Ausschluss des Arbeitgebers aus dem Verband ist.117 Dies ist aber ebenso wie im Rahmen einer möglichen Beeinträchtigung des Bestandsschutzes des Arbeitgeberverbandes eine Frage des Einzelfalls.118 Da der Firmenarbeitskampf somit regelmäßig nicht mit der Intention geführt wird, den verbandsangehörigen Arbeitgeber aus seinem Verband herauszudrängen, scheidet ein Verstoß gegen die individuelle Koalitionsfreiheit des verbandsange§ 5 C. II. 1. a). So auch von LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; Dammann, Tarifvertrag, S. 214; Hensche, RdA 1971, 9, 10 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 457 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 131; Stein, RdA 2000, 129, 138; Valentin, Friedenspflicht, S. 74 f.; Waas, Friedenspflicht, S. 132 f.; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 208. 116 So auch LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 260; Dammann, Tarifvertrag, S. 214; Däubler, Grundrecht, S. 437; Hensche, RdA 1971, 9, 11 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 457 f.; Richardi, JurAn 1971, 141, 159; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 208. 117 So auch BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dammann, Tarifvertrag, S. 214; Hensche, RdA 1971, 9, 10 f.; von HoyningenHuene, ZfA 1980, 453, 457 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; KasshdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 133; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 131; Söllner, Grundriß, S. 133; Stein, RdA 2000, 129, 138; Valentin, Friedenspflicht, S. 74 f.; Waas, Friedenspflicht, S. 132 f.; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 208. 118 Siehe zum Bestandsschutz § 5 C. II. 1. 114 115

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hörigen Arbeitgebers aus diesem Grund regelmäßig aus. Allenfalls kann sich im Einzelfall eine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes aus diesem Aspekt ergeben.

b) Durch Herausbrechen aus der Tarifgemeinschaft des Verbandes? Andere wenden gegen die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ein, dass der Mitgliedsarbeitgeber durch den Firmenarbeitskampf zwar nicht gänzlich, aber doch zumindest aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes herausgedrängt werde.119 Auch dies verletze seine individuelle Koalitionsfreiheit. 120 Die individuelle Koalitionsfreiheit umfasse nämlich nicht nur die Mitgliedschaft als solche, sondern im Rahmen der Teilhabe an der Koalitionsbetätigungsfreiheit seines Verbandes auch, an der Tarifgemeinschaft seines Verbandes teilzuhaben und die verbandseigenen Tarifverträge im Betrieb anzuwenden.121 Da der Firmentarifvertrag wegen des Spezialitätsgrundsatzes dem Verbandstarifvertrag aber vorgehe, führe der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages zwangsläufig dazu, dass der verbandsangehörige Arbeitgeber aus der Tarifgemeinschaft seines Verbands herausgedrängt werde.122 Dem Arbeitgeber werde daher durch den erzwungenen Abschluss des Firmentarifvertrages ein großes Stück seiner Koalitionsfreiheit genommen.123 Dieses

119 Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., AR-Blattei SD Tarifvertrag II A Abschluss Betriebsverfassungsnormen Entscheidung I.; Hanau / Thüsing, ZTR 2002, 506, 509; Hess, ZfA 1976, 45, 64 f.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Reuter, NZA 2001, 1097, 1102 ff.; Schleusener, NZA 1998, 239, 241 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 69 ff. In diese Richtung auch Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff., Hess, Zulässigkeit, S. 124. Ebenfalls in diese Richtung aber letztlich offen gelassen Waas, Friedenspflicht, S. 133 ff. 120 Boldt, RdA 1971, 257, 259 ff.; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., AR-Blattei SD Tarifvertrag II A Abschluss Betriebsverfassungsnormen Entscheidung I; Hess, ZfA 1976, 45, 64 f.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 733 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Reuter, NZA 2001, 1097, 1102 ff.; Schleusener, NZA 1998, 239, 241 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 69 ff. In diese Richtung auch Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff. 121 Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., AR-Blattei SD Tarifvertrag II A Abschluss Betriebsverfassungsnormen Entscheidung I; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Hess, Zulässigkeit, S. 124; ders., ZfA 1976, 45, 64 f.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 732 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Reuter, NZA 2001, 1097, 1102 ff.; Schleusener, NZA 1998, 239, 241 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 69 ff. 122 Boldt, RdA 1971, 257, 259 ff.; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; Hess, ZfA 1976, 45, 64 f.; ders., Zulässigkeit, S. 124; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 732 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Reuter, NZA 2001, 1097, 1102; Schleusener, NZA 1998, 239, 241 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 69 ff. In diese Richtung auch Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff. 123 Buchner, DB 1970, 2074, 2077; ders., AR-Blattei SD Tarifvertrag II A Abschluss Betriebsverfassungsnormen Entscheidung I; Hess, ZfA 1976, 45, 64 f.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Reuter,

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Herausdrängen aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes bezwecke die Gewerkschaft gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auch, da der erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages notwendigerweise mit dem Herausdrängen des Mitgliedes aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes einhergehe.124 Zutreffend an dieser Argumentation dürfte zunächst sein, dass die Gewerkschaft mit der Durchführung eines Firmenarbeitskampfes in der Tat regelmäßig bezwecken wird, den verbandsangehörigen Arbeitgeber aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes herauszudrängen. Anderenfalls wäre der mit dem Arbeitskampf angestrebte Abschluss eines Firmentarifvertrages unsinnig und die Gewerkschaft könnte es bei den bestehenden Verbandstarifverträgen belassen. Der Abschluss des Firmentarifvertrages und das Herausdrängen des Arbeitgebers aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes sind untrennbar miteinander verbunden. Die gewerkschaftliche Intention, einen Firmentarifvertrag abzuschließen, enthält damit notwendigerweise auch die Intention, den verbandsangehörigen Arbeitgeber aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes herauszudrängen. Allenfalls dann, wenn der Firmentarifvertrag Regelungsgegenstände enthalten soll, für die sich der Arbeitgeberverband tariflich nicht interessiert, kann man hieran zweifeln. Liegt damit zwar meist eine entsprechende Intention der Gewerkschaft im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG vor, so führt dies allein aber noch nicht zu einer Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes. Vielmehr ist weitere Voraussetzung für die Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, dass die individuelle Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers überhaupt ein Recht auf Teilhabe an der Tarifsetzung seines Verbandes enthält. Anderenfalls mag die Gewerkschaft mit dem Firmenarbeitskampf zwar ein Herausdrängen des Arbeitgebers aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes bezwecken, mangels verfassungsrechtlichen Schutzes eines solchen Rechts, fehlte es aber an der Voraussetzung „dieses Recht“ im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Fragt man also, ob die Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ein Recht auf Teilhabe an der Tarifgemeinschaft und damit der Tarifsetzung seines Verbandes beinhaltet, so ist dies in dieser Allgemeinheit sicher anzunehmen. Eine Koalitionsfreiheit die nicht (auch) das Recht enthält, sich an der Tarifsetzung des eigenen Verbandes zu beteiligen, wäre sinnentleert und funktionslos. Ob das in der individuellen Koalitionsfreiheit verankerte Recht auf Teilhabe an der Tarifsetzung und damit der Tarifgemeinschaft des Verbandes aber bereits schon dann tangiert ist, wenn der verbandsangehörige Arbeitgeber mit Hilfe eines Firmenarbeitskampfes gezwungen werden soll, einen Firmentarifvertrag abzuschließen, ist damit noch nicht beantwortet. Dies ist im Ergebnis auch NZA 2001, 1097, 1102; Schleusener, NZA 1998, 239, 241; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 73. In diese Richtung auch Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff. 124 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 480; Boldt, RdA 1971, 257, 260; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; Hess, Zulässigkeit, S. 121 ff., insb. S. 124; ders., ZfA 1976, 45, 67 f.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 96 ff. 14 Witt

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zu verneinen. Wie gezeigt125, bietet die Koalitionsfreiheit wegen der im TVG vorgenommenen Ausgestaltung schon im Hinblick auf die Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes keinen verfassungsrechtlichen Schutz vor dem Abschluss konkurrierender Firmentarifverträge durch die Gewerkschaft. Gleiches gilt dann aber auch für den einzelnen Mitgliedsarbeitgeber. Ebensowenig wie sein Verband hat nämlich auch er wegen der durch das TVG vorgenommenen Ausgestaltung kein Recht darauf, seine Arbeitsbedingungen allein durch die Tarifverträge seines Verbandes regeln zu lassen. Vielmehr muss auch der verbandsangehörige Arbeitgeber das durch die Ausgestaltung ermöglichte Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit hinnehmen. Sein Recht auf Teilhabe an der Tarifsetzung seines Verbandes ist daher, ebenso wie das Recht des Verbandes auf Tarifsetzung, von vornherein durch das Recht der Gewerkschaft auf Abschluss von Firmentarifverträgen relativiert. Der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages führt daher nicht zu einem verfassungsrechtlich unzulässigen Herausdrängen des Arbeitgebers aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes.

c) Durch Verletzung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft ? Einige führen noch folgende Erwägung gegen die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandangehörigen Arbeitgeber an: Ebenso wie der Zusammenschluss einzelner Arbeitnehmer sei auch der Zusammenschluss einzelner Arbeitgeber zu einem Verband kein Selbstzweck, sondern erfolge vor allem deshalb, um der Gewerkschaft nicht mehr allein gegenüberstehen zu müssen und vielmehr gemeinsam als Verband auftreten zu können.126 Der Verbandsmitgliedschaft komme daher eine Schutzfunktion zu, die das einzelne Verbandsmitglied vor einer (tariflichen) Inanspruchnahme durch den sozialen Gegenspieler außerhalb des Verbandes abschirme. Diese Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft sei verfassungsrechtlich durch die individuelle Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers geschützt, da gerade diese Schutzfunktion einer der Hauptzwecke der Koalitionsfreiheit sei.127 Durch den Firmenarbeitskampf werde diese Schutzfunktion aber verletzt,128 da sich die Gewerkschaft nicht an den Arbeitgeberverband, sondern § 5 C. II. 1. b). LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 480; Boldt, RdA 1971, 257, 260; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., RdA 1986, 7, 17; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff.; Hess, ZfA 1976, 45, 67 f.; ders., Zulässigkeit S. 121 ff.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062. 127 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 261; Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff.; Lieb, DB 1999, 2058, 2062. In diese Richtung auch Beuthien, BB 1975, 477, 480, der eine Verletzung der Schutzfunktion aber nur dann annehmen will, wenn der einzelne Arbeitgeber nicht nur den konkret geforderten Firmentarifvertrag ablehnt, sondern sich generell gegen den Abschluss von Firmentarifverträgen wendet. 125 126

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den einzelnen Arbeitgeber halte und damit die bestehende Verbandsmitgliedschaft und deren Schutzfunktion ignoriere. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber sei daher auch aus diesem Grund unzulässig.129 Die h. M. lehnt die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer solchen Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft ab.130 Zum Teil wird unter Berufung auf die koalitionsgeschichtliche Entwicklung bestritten, dass der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband die beschriebene Schutzfunktion überhaupt zukomme.131 Der Arbeitgeberverband übe allenfalls eine Solidaritäts- und Koordinierungsfunktion bezüglich der gebündelten Tarifmacht seiner Mitglieder aus. Eine Schutzfunktion vor der Inanspruchnahme einzelner Mitglieder durch den sozialen Gegenspieler bestehe aber – anders als auf Arbeitnehmerseite – nicht.132 Entstehungsgeschichtlich gründeten sich nämlich allein die Gewerkschaften, um ihren Mitgliedern Schutz vor Ausbeutung durch den sozialen Gegenspieler zu gewähren. Die Entstehung der Arbeitgeberverbände sei lediglich Reaktion hierauf. Sie beruhe anders als die Entstehung der Gewerkschaften zudem nicht auf einer strukturellen Unterlegenheit der einzelnen Mitglieder. Mangels Schutzbedürftigkeit des einzelnen Arbeitgeber komme daher der Verbandsmitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband keine Schutzfunktion zu, die der Firmenarbeitskampf verletzen könnte.133 Auch wenn diese Auffassung koalitionsgeschichtlich richtig sein mag, überzeugt sie in rechtlicher Hinsicht nicht. Zur Debatte steht hier allein der Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Diese Norm schützt aber, wie eingangs er128 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 480; Boldt, RdA 1971, 257, 260; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., RdA 1986, 7, 17; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff.; Hess, ZfA 1976, 45, 67 f.; ders., Zulässigkeit, S. 124; Lieb, DB 1999, 2058, 2062. 129 LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Beuthien, BB 1975, 477, 481; Boldt, RdA 1971, 257, 262; Buchner, DB 1970, 2074, 2077 f.; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 98 ff.; Hess, ZfA 1976, 45, 67 f.; ders., Zulässigkeit, S. 121 ff.; Lieb, DB 1999, 2058, 2060; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 76, 96. Ebenfalls in diese Richtung aber letztlich offen gelassen Waas, Friedenspflicht, S. 133 ff. 130 LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dammann, Tarifvertrag, S. 214 ff.; Hensche, RdA 1971, 9, 12 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 289; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; Ramm, Parteien, S. 69 ff.; ders., RdA 1968, 412, 417; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. Ohne nähere Begründung auch Stein, RdA 2000, 129, 139. In diese Richtung auch ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 457 f. 131 Dammann, Tarifvertrag, S. 214 ff.; Hensche, RdA 1971, 9, 12 f.; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Ramm, Parteien, S. 69 ff.; ders., RdA 1968, 412, 417. 132 Dammann, Tarifvertrag, S. 214 ff.; Hensche, RdA 1971, 9, 12 f.; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Ramm, Parteien, S. 69 ff.; ders., RdA 1968, 412, 417. 133 Dammann, Tarifvertrag, S. 214 ff.; Hensche, RdA 1971, 9, 12; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Ramm, Parteien, S. 69 ff.; ders., RdA 1968, 412, 417.

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örtert134, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gleichberechtigt. Eine allein auf die unterschiedliche koalitionsgeschichtliche Entwicklung gestützte Differenzierung hinsichtlich der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft würde diesen grundsätzlich gleichen Schutzumfang des Art. 9 Abs. 3 GG aber ignorieren und die Arbeitgeberseite benachteiligen, denn es würde der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband gegenüber der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ein geringerer Schutzumfang zuerkannt. In der Rechtsprechung findet sich als Argument gegen eine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft häufig der Hinweis darauf, dass die Gewerkschaft nach Art. 9 Abs. 3 GG ein Recht auf freie Wahl des Tarifpartners habe und daher auch frei darüber müsse entscheiden können, ob sie einen Firmen- oder Verbandstarifvertrag abschließen wolle. Diese freie Wahl des Tarifpartners dürfe durch eine vermeintliche Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft nicht konterkariert werden, so dass Art. 9 Abs. 3 GG schon aus diesem Grund keine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft enthalten könne.135 Hiergegen wendet Lieb ein, dass diese Rechtsprechung die Grundrechte der Arbeitgeber ignoriere und mit den Grundsätzen der praktischen Konkordanz nicht vereinbar sei, da sie allein das Recht der Gewerkschaft auf freie Wahl des Tarifpartners in den Vordergrund stelle und die zugunsten des einzelnen Arbeitgebers bestehende Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft außer Betracht lasse.136 Dieser Einwand Liebs ist aber nur dann berechtigt, wenn dem von der Rechtsprechung angenommenen Recht der Gewerkschaft auf freie Wahl des Tarifpartners tatsächlich auch eine verfassungsrechtliche Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft entgegenstünde und deshalb beide Rechtspositionen in einen konkordanten Ausgleich zu bringen wären. Nur dann würde nämlich die Annahme eines uneingeschränkten Rechts der Gewerkschaft auf freie Wahl des Tarifpartners die hiermit kollidierende Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft auf Arbeitgeberseite gänzlich außer Betracht lassen und damit in der Tat den Grundsätzen der im Rahmen einer solchen Grundrechtskollision durchzuführenden praktischen Konkordanz nicht entsprechen. Ob allerdings eine verfassungsrechtlich gewährleistete Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft überhaupt besteht und damit eine Grundrechtskollision vorliegt, steht gerade zur Debatte. Insofern führt die Argumentation Liebs zu einem Zirkelschluss und hilft vorliegend nicht weiter. Den gleichen Einwand muss sich allerdings auch die Argumentation der Rechtsprechung gefallen lassen. Die von ihr angeführte Feststellung, Art. 9 Abs. 3 GG enthalte ein uneingeschränktes Recht auf die freie Wahl des Tarifpartners, beinhaltet nämlich zugleich auch schon die Feststellung, dass Art. 9 Abs. 3 GG keine die freie Partnerwahl einschränkende Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft enthalte, ob§ 3 C. I. 1. a). LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051. 136 Lieb, DB 1999, 2058, 2062. 134 135

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wohl dies doch gerade erst zu begründen wäre. Im Ergebnis können daher weder der Auffassung der Rechtsprechung noch den Einwänden Liebs Argumente zur Lösung der vorliegenden Problematik entnommen werden. Gegen einen aus der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband folgenden Schutz vor mit Arbeitskampfmitteln erzwungener firmentariflicher Inanspruchnahme wendet sich auch Oetker.137 Er führt aus, dass auch der einzelne Arbeitnehmer trotz bestehender Gewerkschaftsmitgliedschaft außerhalb des durch einen Tarifvertrag garantierten „sozialen Friedensbereichs“ vor Konflikten und Verhandlungen mit seinem Arbeitgeber nicht geschützt werde.138 So könne der Arbeitgeber den Arbeitnehmer beispielsweise trotz bestehender Gewerkschaftsmitgliedschaft versetzen, kündigen oder übertarifliche Zulagen abbauen.139 Bestehe deswegen außerhalb einer tariflichen Ordnung schon kein durch die Gewerkschaftsmitgliedschaft vermittelter Schutz zugunsten des einzelnen Arbeitnehmers vor Konflikten mit seinem sozialen Gegenspieler, so müsse dies erst recht für den einzelnen Arbeitgeber gelten.140 Eine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft bestehe daher auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite nur soweit, wie der Verband zugunsten seiner Mitglieder eine tarifliche Ordnung geschaffen habe.141 Oetker verallgemeinert dies zu der Feststellung, dass der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit nur soweit reiche, wie der durch den Tarifvertrag garantierte Friedensbereich Wirkung entfalte.142 Existiere ein solcher nicht, könne auch die Verbandsmitgliedschaft den einzelnen Arbeitgeber nicht vor einer Inanspruchnahme durch die Gewerkschaft zum Abschluss eines Firmentarifvertrages schützen.143 Konsequenz dieser Auffassung Oetkers ist, dass Raum für eine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft nur in den Fällen verbleibt, in denen der Arbeitgeberverband mit der nunmehr arbeitskampfführenden Gewerkschaft bereits einen Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat und damit zugunsten der Verbandsmitglieder eine tarifliche Ordnung seitens des Verbandes geschaffen wurde. Gegen diese Argumentation wenden Krichel, Lieb und Buchner ein, dass der von Oetker vorgenommene Vergleich zwischen der Arbeitnehmer- und Arbeit137 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. 138 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. 139 So die Beispiele bei Kempen / Zachert, TVG § 2 Rn. 100. 140 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. 141 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. 142 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. 143 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 132; zustimmend auch Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 100; Zachert, Tarifvertrag, S. 179. In diese Richtung auch BAG vom 10. 12. 2002 AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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geberseite mangels Gleichartigkeit der Situationen nicht überzeuge.144 Selbst wenn der einzelne Arbeitnehmer trotz bestehender Gewerkschaftsmitgliedschaft vor Konflikten mit seinem Arbeitgeber nicht geschützt werde, so spielten sich diese Konflikte allein auf der individualvertraglichen und nicht wie vorliegend auf der tariflichen Ebene ab.145 Die von Oetker angesprochenen individualvertraglichen Regelungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien zudem der tariflichen Gestaltung der Gewerkschaft weiterhin voll zugänglich.146 Demgegenüber seien die firmentarifvertraglichen Regelungen wegen des Spezialitätsprinzips den tariflichen Regelungen des Verbandes nicht mehr zugänglich.147 Gegen die Argumentation Oetkers spricht in der Tat, dass das individualvertragliche Verhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber schon wegen der unterschiedlichen Regelungsebenen nicht mit dem tarifvertraglichen Verhältnis des Arbeitgebers zur Gewerkschaft vergleichbar ist. Allerdings trifft es nicht zu, dass der Arbeitgeberverband sein Mitglied bei abgeschlossenen Firmentarifvertrag wegen des Spezialitätsprinzips tariflich überhaupt nicht mehr erreichen kann. Der Arbeitgeberverband kann nämlich ohne weiteres – sofern dies auch dem Willen des Mitgliedsarbeitgebers entspricht – gegenüber der Gewerkschaft im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss eines Verbandstarifvertrages auf die Aufhebung des Firmentarifvertrages drängen, um den Mitgliedsarbeitgeber wieder in den Genuss der Tarifsetzung des Verbandes kommen zu lassen. Die dem Firmentarifvertrag innewohnende Friedenspflicht bindet den Arbeitgeberverband nicht. Der Arbeitgeberverband könnte daher im Rahmen der Verhandlungen zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages sogar auf Arbeitskampfmittel zurückgreifen. Insofern zeigt sich gerade an dieser Stelle ganz deutlich, dass das durch die Ausgestaltung vorgegebene Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag nicht nur zu Lasten des Arbeitgeberverbandes geht, sondern auch Belastungen für die gewerkschaftliche Tariftätigkeit mit sich bringen kann. Auch die Gewerkschaft kann sich in dieser Situation mangels Friedenspflicht nicht auf den aus ihrer Sicht vorrangigen Firmentarifvertrag zur Abwehr der Tarifforderung des Arbeitgeberverbandes berufen. Blendet man daher die unterschiedlichen Regelungsebenen aus, bleibt es bei der Feststellung, dass weder die Gewerkschaftsmitgliedschaft den einzelnen Arbeitnehmer noch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband den einzelnen Arbeitgeber davor schützt, außerhalb des Verbandes und einer bestehenden tariflichen Friedenspflicht von dem jeweiligen sozialen Gegenspieler zur Regelung der Arbeitsbedingungen in Anspruch genommen zu werden. Dieser Vergleich spricht aber in der Tat mit Oetker gegen die Existenz einer Schutzfunktion der beschriebenen Art zugunsten des verbandsangehörigen Arbeitgebers. 144 Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2061. 145 Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 13; Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2061. 146 Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2061. 147 Krichel, NZA 1986, 731, 733; Lieb, DB 1999, 2058, 2061.

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Gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft sprechen darüber hinaus auch noch folgende Überlegungen: Standort einer möglichen Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft innerhalb der Koalitionsfreiheit wäre zunächst primär nicht die individuelle, sondern die kollektive Koalitionsfreiheit des Verbandes. Schutz vor einer Inanspruchnahme durch den sozialen Gegenspieler bietet nämlich nicht das einzelne Koalitionsmitglied, sondern die Gemeinschaft der Koalitionsmitglieder, der Verband. Rechte der einzelnen Mitglieder können sich allenfalls im Hinblick auf eine Teilhabe an dieser Schutzfunktion des Verbandes ergeben. Diese Teilhaberechte sind dann zwar im Rahmen der individuellen Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitgliedes verfassungsrechtlich geschützt. Sie bestehen aber nicht originär, sondern müssen sich aus einem entsprechenden Recht des Verbandes ableiten. Ist Ausgangspunkt der Schutzfunktion somit die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes, müsste es sich bei ihr – entsprechend dem erörterten allgemeinen Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit 148 – entweder um einen Teil der Koalitionsbildungsgarantie oder der Koalitionsbetätigungsgarantie handeln. Dass die Schutzfunktion des Arbeitgeberverbandes als solche nicht Teil der Koalitionsbildungsfreiheit ist, liegt auf der Hand. Eine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft könnte sich damit nur aus der Koalitionsbetätigungsgarantie ergeben. Dann müsste es sich bei der Schutzfunktion aber um eine koalitionsspezifische Betätigung handeln. Es fällt nun aber schon begrifflich schwer, die Schutzfunktion des Verbandes als eine koalitionsspezifische Betätigung desselben zu qualifizieren. Der Begriff Schutzfunktion knüpft nämlich nicht an ein Verhalten, sondern an einen statischen Zustand an. Es gibt denklogisch keine Tätigkeit des Inhalts „Schutz vor gewerkschaftlichen Arbeitskampfmaßnahmen zur Erzwingung von Firmentarifverträgen“. Die Schutzfunktion kann immer nur Folge einer bestimmten koalitionsspezifischen Betätigung oder die Summe mehrerer koalitionsspezifischer Betätigungen des Verbandes sein. Richtigerweise ist die Frage daher nicht, ob Art. 9 Abs. 3 GG eine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft enthält, sondern vielmehr, ob durch die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes ein koalitionsspezifisches Verhalten geschützt ist, aus dem eine solche Schutzfunktion folgt. Als mögliche koalitionsspezifische Betätigung des Verbandes, aus der eine solche Schutzfunktion folgen könnte, kommt hier der Abschluss von Tarifverträgen auf Verbandsebene in Betracht. Zu überlegen ist also, ob aus der koalitionsspezifischen Betätigung des Verbandes, Tarifverträge abzuschließen, eine Schutzfunktion zugunsten der einzelnen Verbandsmitglieder folgt, die (auch) vor der mit Arbeitskampfmitteln erzwungenen firmentarifvertraglichen Inanspruchnahme durch die Gewerkschaft schützt. Dies ist aber nicht der Fall. Wegen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG durch das TVG ist das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Arbeitgeberverbandes, Verbandstarifverträge abzuschließen, von vornherein durch das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Recht der Gewerkschaft, Firmen148

§ 3 C I. 1.

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tarifverträge abzuschließen, relativiert.149 Die verfassungsrechtlich geschützte Tariftätigkeit des Arbeitgeberverbandes bietet daher keinen Schutz der einzelnen Verbandsmitglieder vor einer mit Arbeitskampfmitteln erzwungenen firmentariflichen Inanspruchnahme durch die Gewerkschaft, da auch der Arbeitgeberverband selbst kein Recht auf von konkurrierenden Firmentarifvertragsabschlüssen ungestörten Abschluss von Verbandstarifverträgen hat. Eine gewisse Schutzfunktion kommt dem Arbeitgeberverband aber insoweit zu, als er im Rahmen seiner koalitionsspezifischen Betätigung das Recht hat, seinen Mitgliedern im Falle eines Firmenarbeitskampfes unterstützend zur Seite zu stehen und gegenüber der Gewerkschaft auf den Nichtabschluss des Firmentarifvertrages zu drängen.150 Aus diesem Recht folgt aber keine Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft vor der gewerkschaftlichen Inanspruchnahme zum Abschluss eines Firmentarifvertrages. Weitere koalitionsspezifische Betätigungen, die eine Schutzfunktion der behandelten Art vermitteln könnten, sind nicht ersichtlich. Art. 9 Abs. 3 GG enthält daher keine Schutzfunktion des Verbandes bzw. der Verbandsmitgliedschaft, die der durch Arbeitskampfmittel erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages verletzen könnte. Die soeben begründete Ablehnung einer Schutzfunktion des Arbeitgeberverbandes führt entgegen Lieb auch nicht dazu, dass die Funktion des Arbeitgeberverbandes darauf reduziert werden würde, der Arbeitnehmerseite neben dem einzelnen Arbeitgeber einen weiteren Tarifpartner zur Verfügung zu stellen.151 Erst und gerade die durch die Verbandsmitgliedschaft ermöglichten Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes zugunsten seines Mitgliedes stärken dessen Verhandlungsposition im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ganz beträchtlich, so dass der Verbandsmitgliedschaft gerade auch im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes zugunsten des einzelnen Arbeitgebers eine wichtige Bedeutung zukommt. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ist daher nicht wegen einer möglichen Verletzung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft unzulässig.

d) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 1957 Eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ist entgegen Weiss152 und Hess153 auch nicht unter Zugrundelegung der Aussagen der Entscheidung des BAG vom 15. Februar 1957 anzunehmen.154 In dieser Entscheidung meint das BAG, die individuelle Koalitionsfreiheit könne auch 149 150 151 152 153 154

Hierzu bereits § 5 C. II. 1. b) und § 5 C. II. 2. b). Zu den möglichen Unterstützungsmaßnahmen siehe oben § 5 C. I. Lieb, DB 1999, 2058, 2062. Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 67 f. Hess, Zulässigkeit, S. 129 f. AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1951.

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dann verletzt sein, wenn einem Arbeitnehmer trotz bestehender Gewerkschaftsmitgliedschaft ein fremder Tarifvertrag aufgedrängt werden solle. Hieraus folgern Weiss und Hess, dass Gleiches auch dann gelten müsse, wenn die Gewerkschaft trotz bestehender Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers versuche, diesem gegen seinen Willen einen Firmentarifvertrag aufzudrängen. Zwar sei hier anders als in dem der zitierten Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Sachverhalt ein Arbeitgeber und nicht ein Arbeitnehmer betroffen. In beiden Fällen solle dem Gegenüber aber trotz bestehender Verbandsmitgliedschaft ein fremder Tarifvertrag aufgedrängt werden. In konsequenter Fortführung dieser Entscheidung liege daher auch für den Fall des aufgedrängten Firmentarifvertrages bei bestehender Verbandsmitgliedschaft eine Verletzung der Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers vor.155 Die von Hess und Weiss vorgenommene Übertragung der Entscheidungsaussagen des BAG auf die vorliegende Sacherverhaltskonstellation überzeugt jedoch nicht. Es fehlt bereits an einer Vergleichbarkeit des vom BAG entschiedenen Sachverhalts mit dem vorliegenden. In dem vom BAG entschiedenen Fall sollte der betroffene Arbeitnehmer mittels einer Änderungskündigung dazu gezwungen werden, die Bestimmungen eines von ihm inhaltlich nicht mitbestimmten, fremden Verbandstarifvertrages kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme in sein Arbeitsverhältnis aufzunehmen. In der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation soll dem Arbeitgeber aber kein fremder Tarifvertrag aufgedrängt werden – dies wäre allenfalls für den Sonderfall des Anerkennungstarifvertrages zutreffend156 –, sondern der Arbeitgeber soll einen eigenen Tarifvertrag abschließen, auf dessen Inhalt er naturgemäß maßgeblichen Einfluss hat. Da es in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation somit nicht um die arbeitgeberseitige Übernahme eines fremden Tarifvertrages, sondern den Abschluss eines eigenen Tarifvertrages geht, sind beide Sachverhaltskonstellationen nicht miteinander vergleichbar. Auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 15. Februar 1957 kann man daher keine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers durch den Firmenarbeitskampf annehmen.157

3. Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit der übrigen Arbeitgeber Neben einer Verletzung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes und des vom Firmenarbeitskampf unmittelbar betroffenen Mitgliedsarbeitgebers kommt noch eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit der übrigen verbandsangehörigen Arbeitgeber in Betracht. Denkbar wäre eine solche Verletzung im Hess, Zulässigkeit, S. 129 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 67 f. Siehe hierzu Oetker, JZ 1998, 206 ff. mit weiteren Nachweisen. 157 Kritisch zur gesamten Entscheidung des BAG: Tophoven, Anmerkung zu BAG vom 15. 2. 1957, AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1951. 155 156

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

Zusammenhang mit einem Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen die Bestandsschutzgarantie des Arbeitgeberverbandes.158 Würde der Firmenarbeitskampf den Arbeitgeberverband in seiner verfassungsrechtlich geschützten Bestandsschutzgarantie verletzen, bedeutete dies zugleich auch eine Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit der einzelnen Mitglieder, da die Schwächung oder gar Zerschlagung ihres Verbandes auch die Koalitionsbildungsgarantie der einzelnen Mitglieder tangiert. Ein Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen die Bestandsschutzgarantie des Arbeitgeberverbandes scheidet aber, wie bereits erörtert159, im Regelfall aus. Aus diesem Grund verletzt der Firmenarbeitskampf auch die individuelle Koalitionsfreiheit der übrigen Mitglieder nicht.

4. Verletzung der Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers? In Anlehnung an die Ausführungen von Natzel zur Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers könnte man letztlich einwenden, der Firmenarbeitskampf verstoße gegen die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers.160 Der Abschluss eines Firmentarifvertrages – so Natzel – beschränke den Arbeitgeber nämlich hinsichtlich der Möglichkeit, seine Arbeitsbedingungen privatautonom, also ohne tarifliche Inanspruchnahme, zu regeln.161 Im Rahmen der Tariffähigkeit war dieser Einwand allerdings deshalb nicht zutreffend, weil es dort nur um den freiwilligen Abschluss von Firmentarifverträgen ging.162 Diese Erwägung greift bezüglich des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag nicht mehr durch. Hier schließt der verbandsangehörige Arbeitgeber gerade nicht freiwillig einen Firmentarifvertrag ab, sondern er soll hierzu mit Arbeitskampfmitteln gezwungen werden. Dennoch liegt auch in dieser Situation im Ergebnis kein unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie des Arbeitgebers vor. Diese hat nämlich hinter der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit durch das TVG im Hinblick auf die hierin angeordnete uneingeschränkte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zurückzutreten. Insoweit geht die gegenüber der Privatautonomie speziellere Tarifautonomie vor.163 Folge der Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes wäre im Hinblick auf die Privatautonomie zudem nur, dass die Gewerkschaft zur Erreichung ihrer Regelungsziele auf den Abschluss eines entsprechenden unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag ausweichen müsste. Der Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandestarifvertrages schränkt die Privat158 Siehe zur Parallelproblematik im Rahmen der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers oben § 3 C I. 2. c) cc). 159 § 5 C. II. 1. a). 160 In diese Richtung, allerdings nur auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bezogen, Natzel, SAE 2001, 43, 48. Siehe hierzu auch oben § 3 C. I. 2. c) ee). 161 Natzel, SAE 2001, 43, 48. 162 Siehe hierzu oben § 3 C. I. 2. c) ee). 163 So auch BVerfG vom 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 256 mit weiteren Nachweisen.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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autonomie des einzelnen Arbeitgebers aber ebenso ein, wie der Abschluss eines Firmentarifvertrages. Mit der Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes wäre daher aus der Sicht der Privatautonomie nichts gewonnen. Der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verstößt also auch nicht gegen dessen Privatautonomie.

5. Zwischenergebnis Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verstößt regelmäßig nicht gegen die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes als auch die individuelle Koalitionsfreiheit des arbeitskampfbetroffenen und der übrigen Arbeitgeber. Eine andere Beurteilung ist nur dann angebracht, wenn Hauptzweck des Firmenarbeitskampfes nicht der Abschluss eines Firmentarifvertrages, sondern die Schwächung des Arbeitgeberverbandes oder das Herausdrängen des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus seinem Verband ist. Solange derartige Umstände nicht vorliegen, ist der Firmenarbeitskampf im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit zulässig. Wegen der durch das TVG vorgenommenen Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG im Hinblick auf das formelle Tarifrecht beeinträchtigt der Firmenarbeitskampf weder die Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft noch führt er in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zu einem Herausdrängen des Arbeitgebers aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes. Auch der Entscheidung des BAG vom 15. Februar 1957 können keine Argumente für die Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes entnommen werden. Letztlich verletzt der Firmenarbeitskampf auch die Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers nicht.

III. Weitere Einwände gegen die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes 1. Verstoß gegen die Ordnungsfunktion? Einige sehen in dem Firmenarbeitskampf ebenso wie in der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers einen Verstoß gegen die aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG fließende Ordnungsfunktion.164 Hier wie dort scheidet ein Verstoß gegen die Ordnungsfunktion aber aus, weil diese kein durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschütztes Rechtsprinzip, sondern allein tatsächliche Folge der Tariftätigkeit der Sozialpartner ist.165 164

Boldt, RdA 1971, 257, 264 f.; Krichel, NZA 1986, 731, 736; Thüsing, NZA 1997, 294,

295. 165 Siehe hierzu oben § 3 C. I. 2. d) aa). Zu dem hier behandelnden Komplex ablehnend auch LAG Hamm vom 8. 8. 1985: Ordnungsfunktion rein rechtspolitisch relevant, DB 1985, 2155; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dam-

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

2. Wertungswidersprüche zwischen der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes und der Kartellerlaubnis der Arbeitgeberseite? Reuter führt an, dass der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag im Widerspruch zu der auch der Arbeitgeberseite in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG eingeräumten Kartellerlaubnis 166 stehe.167 Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG räume nämlich den Arbeitgebern ebenso wie den Arbeitnehmern zum Ausgleich etwaiger Ungleichgewichtslagen eine Kartellerlaubnis durch Bildung von Verbänden ein.168 Diese mit der Kartellerlaubnis bezweckte Ausgleichsfunktion würde aber unterlaufen, stünde der Gewerkschaft das Recht zu, anstatt mit dem Verband direkt mit dem Arbeitgeber Tarifverträge abzuschließen und diese gegebenenfalls auch zu erstreiken.169 Dieser Argumentation Reuters ist aber nicht zu folgen. Richtig an ihr ist zwar, dass die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsbildungsgarantie im Ergebnis eine auf die in dieser Norm genannten Zwecke beschränkte Kartellerlaubnis enthält. Nicht richtig ist aber, dass die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes die mit dieser Kartellerlaubnis intendierte Ausgleichsfunktion unterläuft und darum zu ihr im Widerspruch steht. Voraussetzung hierfür wäre nämlich, dass durch den Firmenarbeitskampf eine Ungleichgewichtslage zuungunsten des Arbeitgebers eintritt. Dies trifft, wie ausgeführt, jedoch nicht zu.170 Auch aus diesem Aspekt ergibt sich somit keine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes.

3. Verstoß gegen eine gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht? Boldt sieht in dem Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag ferner eine Verletzung einer gesamtwirtschaftlichen Friedenspflicht.171 Boldt leitet eine solche, von den Tarifvertragsparteien zu beachtende gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht aus der Funktion des Tarifvertrages, eine generelle Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu schaffen, ab.172 Diese generelle Ordnung könne nur durch die Vereinbarung von Verbandstarifverträgen erreicht werden.173 Der Abschluss mann, Tarifvertrag, S. 211; Hensche, RdA 1971, 9, 14; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 463, 465; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 289; Radke, DB 1965, 1176; Richardi, JurAn 1971, 141, 159; Wendelin-Schröder, NZA 1998, 624, 628. 166 Zur Kartellfunktion der Koalitionen bzw. des Tarifvertrages siehe Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 34 ff. mit weiteren Nachweisen. 167 Reuter, ZfA 1990, 535, 553. 168 Reuter, ZfA 1990, 535, 553. 169 Reuter, ZfA 1990, 535, 553. 170 Siehe oben § 5 C. I. 171 Boldt, RdA 1971, 257, 267. 172 Boldt, RdA 1971, 257, 267. 173 Boldt, RdA 1971, 257, 267.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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von Firmentarifverträgen verhindere diese generelle Ordnung demgegenüber.174 Es trete eine Zerstückelung der Tariflandschaft ein, was zu einer immensen Steigerung des Arbeitskampfrisikos führe.175 Dieses hohe Arbeitskampfrisiko sei aber wiederum mit der gesamtwirtschaftlichen Friedenspflicht nicht zu vereinbaren.176 Gegen diese Auffassung Boldts spricht, dass die Norm des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG einen Schutz der Ordnungsfunktion des Tarifvertrages nicht enthält.177 Wie schon an andere Stelle ausgeführt, ist die Ordnungsfunktion allein tatsächliche Folge der Tariftätigkeit der Koalitionen.178 Mangels in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verankerter Ordnungsfunktion kann aus einer solchen auch keine gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht abgeleitet werden. Ein Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen eine gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht scheidet daher ebenfalls aus.

4. Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht? Zu überlegen bleibt ferner, ob die in § 74 Abs. 2 S. 1 und § 2 Abs. 1 BetrVG geregelte betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht einem Firmenarbeitskampf entgegensteht. Mayer-Maly folgert aus diesen Normen, dass die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht jeglichen Arbeitskampf auf Betriebsebene verbiete.179 Da der Firmenarbeitskampf ein Arbeitskampf auf betrieblicher Ebene sei, verstoße dieser gegen die betriebliche Friedenspflicht.180 Gegen diese Erwägung Mayer-Malys spricht aber der insoweit klare Wortlaut beider Normen. § 74 Abs. 2 S. 1 1. HS. BetrVG verbietet nur Arbeitskämpfe zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat. Ergänzend hierzu stellt § 74 Abs. 2 S. 1 2. HS. BetrVG ausdrücklich klar, dass Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien von dem Verbot des § 74 Abs. 2 S. 1 1. HS. BetrVG nicht erfasst werden. Der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag ist aber kein Arbeitskampf zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, sondern ein Arbeitskampf zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft. Da der Arbeitgeber und die Gewerkschaft gem. § 2 Abs. 1 TVG tariffähig sind, ist der Firmenarbeitskampf gem. § 74 Abs. 2 S. 1 2. HS. BetrVG ausdrücklich von der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht ausgenommen.181 Ein Arbeitskampf zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft verstößt zuBoldt, RdA 1971, 257, 267. Boldt, RdA 1971, 257, 267. 176 Boldt, RdA 1971, 257, 267. 177 So auch Hess, Zulässigkeit, S. 120 f.; ders., ZfA 1976, 43, 65. 178 § 3 C. I. 2. d) aa). 179 Mayer-Maly, DB 1965, 32, 33 allerdings noch bezogen auf die inhaltsgleichen §§ 49, 50 BetrVG 1952. 180 Mayer-Maly, DB 1965, 32, 33. 181 Dammann, Tarifvertrag, S. 211 f.; Hensche, RdA 1971, 9, 16; Hess, ZfA 1976, 45, 63; ders., Zulässigkeit, S. 119 f.; Kriebel, Zentralisation, S. 148 ff.; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 629. 174 175

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

dem auch nicht gegen das in § 2 Abs. 1 BetrVG normierte Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. dem Gebot des Zusammenwirkens beider mit den Koalitionen. Auch wenn der Arbeitskampf zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft nicht unbedingt als Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 BetrVG angesehen werden kann, ist der Firmenarbeitskampf dennoch wegen der insoweit spezielleren Regelung des § 74 Abs. 2 S. 1 2. HS. BetrVG zulässig. Scheidet damit zwar ein direkter Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen die in §§ 74 Abs. 2 S. 1 1. Hs., 2 Abs. 1 BetrVG normierte betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht aus, könnte man mit Boldt aber zumindest zu einem mittelbaren Verstoß gegen diese Vorschriften gelangen.182 Boldt führt in diesem Zusammenhang an, dass es durch Tarifverhandlungen auf betrieblicher Ebene zwangsläufig zu einer Einbeziehung des Betriebsrates in die Verhandlungen und damit auch in den Arbeitskampf komme.183 Diese Einbeziehung führe zu einer unzulässigen Verwischung der vor allem durch die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht gezogenen Grenze zwischen dem Verbands- und dem Betriebsbereich. 184 Auch hieraus folge daher eine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes.185 Richtig an dieser Argumentation Boldts ist, dass es wegen der im Einzelfall sicherlich vorkommenden Einbeziehung des Betriebsrats in den Firmenarbeitskampf zu einem Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht kommen kann. Hieraus folgt aber keine generelle Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes.186 Vielmehr würde eine über die Grenzen des § 74 Abs. 3 BetrVG hinausgehende unzulässige Einmischung des Betriebsrates in den Firmenarbeitskampf allein zu betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsansprüchen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat führen.187 Die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes berührt dies nicht. Für die Gewerkschaft ergibt sich die Zulässigkeit eines Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag darüber hinaus aus § 2 Abs. 3 BetrVG. Ein unmittelbarer sowie auch mittelbarer Verstoß des Firmenarbeitskampfes gegen die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht scheidet daher aus.

182 183 184 185 186 187

Boldt, RdA 1971, 257, 267 f. Boldt, RdA 1971, 257, 267. Boldt, RdA 1971, 257, 267. Boldt, RdA 1971, 257, 267. So auch Hess, Zulässigkeit, S. 120. Vgl. hierzu allgemein GK-BetrVG / Wiese, § 74 Rn. 87 ff. mit weiteren Nachweisen.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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5. Unzumutbarkeit des Firmentarifvertragsabschlusses aufgrund eintretender Konflikte mit dem Verband? Letztlich führen Einige an, dass der Firmenarbeitskampf jedenfalls dann unzulässig sei, wenn der Arbeitgeber mit dem Abschluss des Firmentarifvertrages gegen verbandsinterne Verpflichtungen, insbesondere die Pflicht, ausschließlich Verbandstarifverträge abzuschließen188, verstoße und dadurch in Konflikt mit seinem Verband gerate.189 Die Gewerkschaft dürfe vom Arbeitgeber kein pflichtwidriges Verhalten gegenüber seinem Verband verlangen.190 Gegen diese Argumentation spricht jedoch, dass die internen Pflichten des Mitgliedes zu seinem Verband die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes nicht beeinflussen können. Alles andere wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich der Gewerkschaft. Auch verbandsinterne Konflikte zwischen dem Mitgliedsarbeitgeber und seinem Verband stehen der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes daher nicht im Wege.

IV. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag als Alternative? Oftmals findet sich im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes auch das Argument an, die Gewerkschaft könne ihr Tarifziel anstatt mithilfe eines Firmentarifvertrages genauso gut und vor allen Dingen ohne bzw. mit einer geringeren Beeinträchtigung der Rechte der Arbeitgeberseite über einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag erreichen.191 Auf dieses Argument soll im Folgenden nähert eingegangen werden. Zunächst könnte man überlegen, ob der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag im Hinblick auf die Kampfparität gegenüber dem Firmenarbeitskampf Vorteile mit sich bringt. Dies könnte man deswegen erwägen, weil anders als während des Firmenarbeitskampfes beim Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern der Arbeitsgeberverband der Gewerkschaft als Arbeitskampfgegner gegenübersteht. Bei einem Arbeitskampf zwischen Verbänden soll die Kampfparität nämlich – so wird argumentiert – stets gewahrt sein.192 Probleme im Zusammenhang mit der Unterstützung des einzelnen Arbeitgebers durch seinen Verband seien Siehe zu den verbandsinternen Abschlussverboten ausführlich § 8 A. Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 732; Natzel, SAE 2001, 43, 49; Reuter, NZA 2001 1097, 1103. 190 Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krichel, NZA 1986, 731, 732; Natzel, SAE 2001, 43, 49; Reuter, NZA 2001 1097, 1103. 191 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Buchner, DB 1970, 2074, 2078 ff.; Lieb, DB 1999, 2058, 2063 ff.; Matthes, FS Schaub, S. 477, 483 ff.; Thüsing, NZA 1997, 294, 294 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 103 ff. 192 Henssler, ZfA 1998, 517, 538; Lieb, DB 1999, 2058, 2064. 188 189

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

im Rahmen des Arbeitskampfes um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag weitaus seltener.193 Diese Argumentation trifft aber nur bedingt zu. Auch wenn es sich bei dem Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag formal gesehen in der Tat um einen Verbandsarbeitskampf handelt, kann man ihn nicht ohne weiteres einem gewöhnlichen Verbandsarbeitskampf gleichstellen. Vielmehr ist der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag aus kampfparitätischer Sicht letztlich nicht anders zu beurteilen als der Firmenarbeitskampf. Dies gilt zum einen im Hinblick darauf, dass der Arbeitgeberseite wegen der Zulässigkeit der unterstützenden Abwehraussperrung im Rahmen des Firmenarbeitskampf194 nicht weniger Arbeitskampfmittel zur Verfügung stehen als im Rahmen des Arbeitskampfes um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag. Zum anderen gilt dies aber auch bezüglich der praktischen Durchführbarkeit arbeitgeberseitiger Arbeitskampfmaßnahmen. Erfolgreiche Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite setzen nämlich sowohl im Rahmen des Arbeitskampfes um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages als auch während eines Firmenarbeitskampfes voraus, dass sich die vom angestrebten Tarifvertrag nicht unmittelbar betroffenen übrigen Mitgliedsarbeitgeber mit dem betroffenen Verbandskollegen solidarisch zeigen. Daran ändert nichts, dass formaler Arbeitskampfgegner im Rahmen des Arbeitskampfes um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag der Verband und nicht „nur“ der einzelne Mitgliedsarbeitgeber ist. Für die verbandsinterne Solidarität sind nämlich in erster Linie die materiellen Auswirkungen des angestrebten Tarifvertrages und nicht die formale Stellung des Arbeitsgeberverbandes entscheidend. In Bezug auf die materiellen Auswirkungen ergeben sich aber zwischen dem unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag und dem Firmentarifvertrag keine Unterschiede. In beiden Fällen entfaltet der angestrebte Tarifvertrag Rechtswirkungen in materieller Hinsicht nur für den konkret betroffenen Arbeitgeber. Der Arbeitgeberverband muss daher auch in beiden Fällen durch geeignete Solidarisierungsmaßnahmen für eine hinreichende Verbandssolidarität sorgen. Wer deswegen die Ansicht vertritt, der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag verstoße gegen den Grundsatz der Kampfparität, müsste konsequenterweise Gleiches auch für den Arbeitskampf zum Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages annehmen.195 Dies hätte aber zur Folge, dass eine Tarifpolitik, die die betrieblichen Besonderheiten berücksichtigen will, gänzlich ausgeschlossen wäre. Ein solches Ergebnis ist mit dem Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit nicht in Einklang zu bringen und verbietet sich daher. Im Hinblick auf die Kampfparität ist der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag daher nicht günstiger als der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag.196 193 194 195 196

Henssler, ZfA 1998, 517, 538; Lieb, DB 1999, 2058, 2064. § 5 C. I. 1. b) aa). So konsequent daher Beuthien, BB 1975, 477, 482 ff. In diese Richtung auch Waas, Friedenspflicht, S. 110 f.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

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Auch im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes und der betroffenen Mitgliedsarbeitgeber stellt der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags gegenüber dem mit Arbeitskampfmitteln erzwungenen Abschluss eines Firmentarifvertrages keine vorzugswürdige Alternative dar. Sowohl beim Abschluss eines Firmentarifvertrages als auch beim Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages schert der vom Tarifvertrag materiell betroffene Arbeitgeber aus der Tarifgemeinschaft des Verbandes aus und schließt einen „Sondertarifvertrag“. Soweit dem erzwungenen Abschluss eines Firmentarifvertrages wegen dieses Ausscherens des Arbeitgebers aus der Verbandsgemeinschaft negative Auswirkungen auf den Bestand des Arbeitgeberverbandes nachgesagt werden197, müsste Gleiches auch für den Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages gelten. Dies gilt ebenfalls in Bezug auf das behauptete Herausbrechen des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus der Tarifgemeinschaft des Verbandes bzw. der Vereitelung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft. 198 Auch der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag geht dem verbandsweit geltenden Verbandstarifvertrag nämlich wegen des Spezialitätsprinzips vor. Der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag würde den Mitgliedsarbeitgeber daher ebenso wie der Firmentarifvertrag aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes herausdrängen bzw. die Schutzfunktion seiner Verbandsmitgliedschaft vereiteln, käme man – entgegen der hiesigen Auffassung199 – zu einem verfassungsrechtlichen Schutz beider Positionen. Unzulässig ist der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag zudem ebenso wie der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag, wenn die Gewerkschaft als Hauptziel des Arbeitskampfes die Schädigung des Arbeitgeberverbandes bzw. ein Herausbrechen des Arbeitgebers aus dem Verband verfolgt.200 Auch im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite ist der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag daher keine vorzugswürdige Alternative gegenüber dem Firmentarifvertrag. Der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag mag daher zwar rechtlich ebenso zulässig sein wie der Firmentarifvertrag. Er ist gegenüber dem Firmentarifvertrag aber allenfalls eine gleichwertige, keinesfalls aber eine vorzugswürdige Alternative. Im Gegenteil: Wegen der dem einzelnen Arbeitgeber eröffneten Missbrauchsmöglichkeiten im Rahmen des Abschlusses eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages201 dürfte der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages einem unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag sogar vorzuziehen sein.

197 198 199 200 201

15 Witt

Siehe § 5 C. II. 1. a). § 5 C. II. 2. b) und c). § 5 C. II. 2. b) und c). § 5 C. II. 1. a) und § 5 II. 2. a). Vgl. oben § 3 B. VI.

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§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

V. Ergebnis Die Untersuchungen zur Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber haben trotz der vorgebrachten Kritik die h. M. bestätigt: Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ist in den für jeden Arbeitskampf geltenden Grenzen zulässig. Im Hinblick auf die Kampfparität bestehen weder in rechtlicher noch praktischer Hinsicht Unterschiede zum Verbandsarbeitskampf. Dies folgt vor allem daraus, dass es dem Arbeitgeberverband im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes erlaubt ist, zugunsten seines betroffenen Mitgliedes mit einer unterstützenden Verbandsaussperrung in den Firmenarbeitskampf einzugreifen.202 Zwar ist eine solche unterstützende Abwehraussperrung des Arbeitgeberverbandes eine nach h. M. regelmäßig unzulässige Sympathieaussperrung. Da hier jedoch die Gewerkschaft als Kampfgegner der unterstützenden Verbandsaussperrung zugleich Arbeitskampfpartei des Firmenarbeitskampfes ist, ist die unterstützende Verbandsaussperrung, obwohl sie eine Sympathieaussperrung ist, ausnahmsweise zulässig.203 Wegen der Möglichkeit des Arbeitgeberverbandes, durch entsprechende Satzungsklauseln für eine hinreichende Solidarität innerhalb des Verbandes zur Durchführung einer solchen unterstützenden Verbandsaussperrung zu sorgen, ist diese auch in praktischer Hinsicht nicht weniger geeignet als eine Aussperrung im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfes.204 Auch die Möglichkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers, sich bei den Tarifverhandlungen zum Abschluss eines Firmentarifvertrages durch den Verband unterstützen oder sogar vertreten zu lassen, gleicht die Tarifvertragsverhandlungen zum Abschluss eines Firmentarifvertrages weitgehend denen zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages an.205 Wegen der Möglichkeit der finanziellen Unterstützung des verbandsangehörigen Arbeitgebers durch seinen Verband gilt dies letztlich auch für die finanziell-wirtschaftliche Seite des Firmenarbeitskampfes.206 Darauf, ob der Arbeitgeberverband im konkreten Einzelfall derartige Unterstützungs- und Solidarisierungsmaßnahmen in seiner Satzung vorsieht, kommt es nicht an. Für die Beurteilung der Kampfparität ist allein entscheidend, dass der Arbeitgeberverband entsprechende Maßnahmen vorsehen könnte.207 Die Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber folgt auch nicht aus einer möglichen Verletzung der Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes, des arbeitskampfführenden Arbeitgebers oder der anderen Mitgliedsarbeitgeber. Hierbei ist zunächst von Bedeutung, dass sich eine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes wegen Verletzung der Koali202 203 204 205 206 207

§ 5 C. I. 1. b) aa). § 5 C. I. 1. b) aa). § 5 C. I. 1. b) bb). § 5 C. I. 2. § 5 C. I. 2. § 5 C. I. 1. b) bb) und 2.

C. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber

227

tionsfreiheit allein unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ergeben könnte.208 Der Streik im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ist dabei eine Maßnahme im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 2 2. Hs. GG und somit nur dann unzulässig, wenn er eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit bezweckt. Die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit muss Hauptziel des Streiks, darf also nicht bloßer Effekt desselben sein. An dieser subjektiven Schwelle scheitert regelmäßig ein Eingriff in den Bestandsschutz des Arbeitgeberverbandes209, aber auch ein Herausbrechen des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus seinem Verband.210 Beides mag zwar im Einzelfall vorliegen; eine entsprechende Intention der Gewerkschaft gilt es aber gesondert festzustellen, wobei eine rechtstatsächlich begründete Vermutung gegen eine derartige Intention der Gewerkschaft spricht. Auch ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit der übrigen Verbandsmitglieder scheidet aus diesen Gründen regelmäßig aus.211 Im Hinblick auf das aus der Koalitionsbetätigungsfreiheit fließende Recht des Arbeitgeberverbandes, Tarifverträge abzuschließen, scheidet eine Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes aus, weil dieses Recht durch den auch mit Arbeitskampfmitteln erzwungenen Abschluss konkurrierender Firmentarifverträge nicht beeinträchtigt wird. Das Recht des Arbeitgeberverbandes, Tarifverträge abzuschließen, ist wegen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG durch das TVG von vornherein um das Recht der Gewerkschaft, Firmentarifverträge abzuschließen, seinem Umfange nach relativiert.212 Gleiches gilt für das Recht des einzelnen Mitgliedsarbeitgebers, an der Tarifsetzung seines Verbandes teilzuhaben. Auch dieses Teilhaberecht ist bereits durch das Recht der Gewerkschaft, Firmentarifverträge abzuschließen, relativiert und wird daher durch den konkurrierenden Abschluss von Firmentarifverträgen nicht beeinträchtigt.213 Letztlich führt der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber auch nicht zu einer Verletzung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet eine Schutzfunktion als solche nicht. Auch eine verfassungsrechtlich geschützte koalitionsspezifische Betätigung, aus der sich eine Schutzfunktion zumindest mittelbar ableiten ließe, ist in Bezug auf den Firmenarbeitskampf nicht ersichtlich.214 Auch aus anderen Gründen als der Kampfparität oder einer möglichen Verletzung der Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite ist der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber nicht unzulässig. Weder verletzt der Firmenarbeitskampf die Privatautonomie des Arbeitgebers,215 noch lässt sich gegen 208 209 210 211 212 213 214 215

15*

§ 5 C. II. 1. a). § 5 C. II. 1. a). § 5 C. II. 2. a). § 5 C. II. 3. § 5 C. II. 1. b). § 5 C. II. 2. b). § 5 C. II. 2. c). § 5 C. III. 4.

228

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes eine gesamtwirtschaftliche oder die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht anführen.216 Gleiches gilt auch im Hinblick auf eine Ordnungsfunktion des Tarifvertrages217 und die durch die Koalitionsbildungsfreiheit erteilte Kartellerlaubnis.218 Der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes stehen auch möglicherweise eintretende innerverbandlichen Konflikte nicht entgegen.219 Erwiesen hat sich schließlich auch, dass der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag gegenüber dem Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber keine vorzugswürdige Alternative ist.220

D. Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber Der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag mit einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber wird zu Recht in den für alle Arbeitskämpfe geltenden Grenzen allgemein für zulässig gehalten.221

§ 5 C. III. 4. und 3. § 5 C. III. 1. 218 § 5 C. III. 2. 219 § 5 C. III. 5. 220 § 5 C. IV. 221 Siehe nur BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 9. 4. 1991, AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 11. 8. 1992, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 8. 8. 1985, DB 1985, 2155; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Düsseldorf vom 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Schleswig-Holstein vom 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ArbG Wesel vom 24. 7. 1985, DB 1985, 2051; BGH vom 19. 1. 1978, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Becker, AuA 2000, 18, 20; Beuthien, BB 1975, 477, 479 f.; Boldt, RdA 1971, 257, 291; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 95; Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 12; ders., DB 1970, 2074, 2076 ff.; ders., SAE 1998, 262, 266; ders., ZfA 1995, 95, 121; Dammann, Tarifvertrag, S. 210 ff.; Däubler, Grundrecht, S. 433; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 100; Dietz, FS Nipperdey II, S. 152 Fn. 17; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1006 f.; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Gumpert, BB 1958, 1316, 1319; Hanau, Der Arbeitgeber 1970, 404, 406; Heinze, DB 1997, 2126; Hensche, RdA 1971, 9 ff.; Henssler, ZfA 1998, 517, 534 ff.; Hess, Zulässigkeit, S. 98 ff., insb. S. 134; ders., ZfA 1976, 45, 68 ff.; von Hoyningen-Huene, JuS 1990, 298, 300; ders., ZfA 1980, 453, 456; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 158; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 423 ff.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 252; KasshdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 133; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 99 ff.; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 503; Krauss, DB 1995, 1562, 1564; Krichel, NZA 1986, 731, 732 ff.; Kriebel, Zentralisation, S. 183 ff.; Künzl, ZTR 2001, 23; Lauschke, AuR 1965, 102, 107; Lieb, DB 1999, 216 217

D. Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber nicht verbandsangehörigem Arbeitgeber

229

Ebenso wie die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers ist auch die Erstreikbarkeit eines Firmentarifvertrages mit einem solchen Arbeitgeber im Regelfall nicht nur zulässig, sondern in Anbetracht des geltenden einfachgesetzlichen Tarifrechts verfassungsrechtlich sogar notwendig.222 Wäre der Abschluss eines Firmentarifvertrages mit einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber nicht mit Arbeitskampfmitteln erzwingbar, könnte dieser sich nämlich – was durch dessen Tariffähigkeit gerade verhindert werden soll – durch sein Fernbleiben aus dem Verband der Regelungsmacht der Gewerkschaften entziehen. Allerdings führt der Firmenarbeitskampf mit einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber in Bezug auf die Kampfparität durchaus zu einem Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten des einzelnen Arbeitgeber. Immerhin fehlen dem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber jegliche Möglichkeiten, sich der Unterstützung eines Arbeitgeberverbandes zu bedienen. Er ist im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes daher auf die – wenig effektive – Möglichkeit der eigenen Abwehraussperrung und die – mangels verbindender Verbandsmitgliedschaft ebenfalls wenig effektive – unterstützende Aussperrung anderer Arbeitgeber angewiesen.223 Auch auf Hilfe bei den Tarifverhandlungen oder wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen kann er nicht hoffen. Dennoch führt die hierdurch bewirkte Beeinträchtigung der Kampfparität nicht zu einer Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber. Dieser hat es nämlich selbst in der Hand, ein vorliegendes Verhandlungsungleichgewicht dadurch auszugleichen, dass er einem Arbeitgeberverband beitritt. Im Hinblick auf seine negative Koalitionsfreiheit ist dies – wie bereits weiter oben ausgeführt224 – unbedenklich. Die Möglichkeit des Verbandsbeitritts steht ihm dabei selbst während eines laufenden Firmenarbeitskampfes noch offen.225 2058, 2062 f.; ders., Arbeitsrecht, Rn. 460 ff.; Löwisch, ZfA 1974, 29, 41; MhdbARLöwisch / Rieble, § 255 Rn. 36; dies., FS Schaub, S. 657, 469 f.; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 6; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 130 ff.; Ostrop, Mitgliedschaft, S. 84 f.; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 66; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101 ff.; ders., ZfA 1990, 535, 553; Richardi, JurAn 1971, 141, 156 ff.; Säcker in: AR-Blattei, Teil D II A Tarifvertrag I 2; Seiter, Streikrecht, S. 335 Fn. 87; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2058; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 152; Schleusener, NZA 1998, 239, 239; Scholz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn 192; Söllner, Grundriß, S. 133; von Stebut, ZfA 1977, 319; Stein, RdA 2000, 129, 138; Thüsing, NZA 1997, 294, 295 f.; ders., Außenseiter, S. 134; Valentin, Friedenspflicht, S. 74 ff.; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 628; Weyand, Mitbestimmung, S. 159 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 52 ff.; Wieland, Firmentarifverträge, S. 138 f.; Zabel, AiB 1997, 431, 433; ders., AiB 1998, 615, 617; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 23 f.; ders., FS Kehrmann, S. 335, 338; ders., Tarifvertrag, S. 179; Zöllner, ZfA 1980, 505. 222 Siehe zur Tariffähigkeit oben § 3 C. I. 2. 223 Zur Zulässigkeit einer solchen Aussperrung sieh § 5 C. I. 1. c). 224 § 3 C. I. 2. d) cc). 225 Die Auswirkungen eines bestehenden Verbandstarifvertrages auf den Firmenarbeitskampf bei einem solchen nachträglichen Verbandsbeitritt des Arbeitgebers werden in § 6 H. I. erörtert.

230

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

Der Firmenarbeitskampf mit einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber ist daher im Regelfall zulässig und im Hinblick auf den anderenfalls eintretenden Funktionsverlust des Tarifrechts sogar verfassungsrechtlich geboten.

E. Beschränkung auf sozial mächtige Arbeitgeber? Kommt es für die Zulässigkeit des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag – wie gezeigt226 – nicht auf eine möglicherweise bestehende Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers an, ist dennoch zu überlegen, ob die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes nicht voraussetzt, dass der betroffene Arbeitgeber sozial mächtig ist.227 Das BAG hat diese Frage in seiner Aussperrungsentscheidung vom 21. April 1971228 ausdrücklich offen gelassen. In Bezug auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist diese Frage bereits verneint worden.229 Hauptargument war dort, dass es der kleine Arbeitgeber selbst in der Hand hat, seine möglicherweise fehlende soziale Mächtigkeit dadurch auszugleichen, dass er einem Arbeitgeberverband beitritt. Dieses Argument besitzt genauso Gültigkeit für die Frage, ob die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes eine soziale Mächtigkeit des einzelnen Arbeitgebers voraussetzt. Auch hier muss sich der „kleine Arbeitgeber“ entgegenhalten lassen, dass er es jederzeit in der Hand hat, einem Arbeitsgeberverband beizutreten. Ist er erst einmal Verbandsmitglied, ist auch der an sich sozial nicht mächtige Arbeitgeber in der Lage, seine Interessen mit Hilfe des Verbandes gegenüber der Gewerkschaft zu wahren. Durch die Möglichkeit, den Verband im Rahmen eines möglichen Firmenarbeitskampfes zur Unterstützung hinzuzuziehen, ist auch die Kampfparität gewahrt. Für die Effektivität der Unterstützungsmaßnahmen des Verbandes kommt es auf die Größe des einzelnen Arbeitgebers nämlich nicht an. Hierin liegt – aus den ebenfalls schon genannten Gründen230 – auch keine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers. Die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes ist daher nicht davon abhängig, dass der einzelne Arbeitgeber eine gewisse soziale Mächtigkeit vorweisen kann.

§ 5 C. – D. So G. Müller, AuR 1972, 1, 5. Auch G. Müller, DB 1992, 269, 271; ders., Arbeitskampf, S. 160 ff.; ders., Tarifautonomie, S. 262 ff.; Seiter, Arbeitskampfparität, S. 85 ff. 228 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 229 § 3 C. I. 2. d) cc). 230 § 3 C. I. 2. d) cc). 226 227

F. Zulässigkeit der Angriffsaussperrung?

231

F. Zulässigkeit der Angriffsaussperrung zum Abschluss eines Firmentarifvertrages? Die vorangegangenen Ausführungen befassten sich ausschließlich mit Konstellationen, in denen die Gewerkschaft den Arbeitskampf mit einem (Angriffs-)Streik zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen eröffnet. Neben diesem „Normalfall“ des Arbeitskampfes ist es auch denkbar, dass nicht die Gewerkschaft, sondern der einzelne Arbeitgeber den Arbeitskampf mittels einer Angriffsaussperrung eröffnet. Eine Angriffsaussperrung mit dem Ziel einen Firmentarifvertrage abzuschließen, mag ein Arbeitgeber insbesondere dann in Erwägung ziehen, wenn sich sein Unternehmen in einer akuten wirtschaftlichen Krise befindet und er durch den Abschluss eines sog. Sanierungstarifvertrages die Arbeitsbedingungen abzusenken versucht.231 Zwar sind derartige Angriffsaussperrungen zum Abschluss eines Firmentarifvertrages seit der Geltung des TVG – soweit ersichtlich – noch nicht vorgekommen. Angesichts der zunehmenden Globalisierung und des dadurch steigenden Konkurrenzdrucks ist es aber nicht auszuschließen, dass es zukünftig doch zu Situationen kommt, in denen Arbeitgeber zu diesem Arbeitskampfmittel greifen.232 Das BAG233 und die h. L.234 halten Angriffsaussperrungen prinzipiell – bei Beachtung des Grundsatzes der Kampfparität und der Verhältnismäßigkeit – für zulässig. Dies ist auch zutreffend. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG schützt, wie schon ausgeführt235, die beiderseitige Arbeitskampffreiheit gleichermaßen und gleichberechtigt. Dieser gleichberechtigte Schutz umfasst auch die jeweiligen Arbeitskampfmittel Streik und Aussperrung unabhängig davon, ob sie nun als Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingesetzt werden.236 Allerdings dürfte die Angriffsaussperrung im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann zulässig sein, wenn auf Seiten des Arbeitgebers eine „offensichtliche wirtschaftliche Krise“237 231

So auch Freihube, Tarifbindung, S. 205. Vgl. hierzu aus empirischer Sicht auch § 2

E. IV. 232 So auch Freihube, Tarifbindung, S. 205; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1038 f. 233 BAG GS vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Offen gelassen aber BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf und BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 234 Siehe nur Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 187; Freihube, Tarifbindung, S. 204 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1037 ff.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 166 f.; KasshbdAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 201; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.1 Rn. 49, 52 ff., 170.2 Rn. 265 ff.; G. Müller, DB 1992, 269, 273 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. A. A. Däubler, JuS 1972, 642, 648; Seiter, Streikrecht, 330 ff. 235 § 3 C. I. 1. a). 236 So zutreffend auch der GS des BAG vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 237 So § 26 Nr. 3 des Entwurfes zum Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte von Birk / Konzen / Löwisch / Raiser / Seiter.

232

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

vorliegt, deren Lösung gerade die Herabsetzung der Arbeitsbedingungen durch eine tarifliche Regelung notwendig macht. Ferner ist die Angriffsaussperrung nur dann zulässig, wenn der angestrebte Firmentarifvertrag geeignet ist, die Arbeitsbedingungen im Sinne der Tarifforderung des Arbeitgebers zu ändern.238 Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die zu ändernden Arbeitsbedingungen für einen Großteil der Belegschaft zumindest auch einzelvertraglich vereinbart sind. Die Regelungen des angestrebten Firmentarifvertrages würden in einem solchen Fall nämlich wegen des zu beachtenden Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) wirkungslos bleiben. Nicht die Angriffsaussperrung zum Abschluss eines Firmentarifvertrages, sondern der Ausspruch von (Massen-)Änderungskündigungen ist in einem solchen Fall – unter Beachtung der durch das KSchG gestellten Anforderungen an die soziale Rechtfertigung derartiger Kündigungen – allein zulässiges Mittel zur Änderung der Arbeitsbedingungen. Sind die zu ändernden Arbeitsbedingungen unter Beachtung des Günstigkeitsprinzips allerdings einer verschlechternden tariflichen Regelung zugänglich, bestehen gegen die Angriffsaussperrung keine generellen Bedenken.239 Die Angriffsaussperrung ist im Hinblick auf den Firmenarbeitskampf aber nur dann zulässig, wenn man der Gewerkschaft im Gegenzug das Recht zubilligt, Streikmaßnahmen auch bei anderen als dem unmittelbar arbeitskampfführenden Arbeitgeber durchzuführen. Zwar ist ein solcher Streik als Sympathiestreik, der nach h. M. regelmäßig unzulässig ist, zu qualifizieren.240 Dennoch ist er in der vorliegenden Konstellation – ausnahmsweise – zulässig. Anders als die bereits oben erörterte unterstützende Verbandsaussperrung241 kann man einen solchen Streik bei dritten Arbeitgebern zwar nicht mit dem Argument rechtfertigen, der von der Sympathiearbeitskampfmaßnahme betroffene Kampfgegner könne die Tarifforderung des Hauptarbeitskampfes ohne weiteres erfüllen.242 Der Streik richtet sich nämlich – im Gegensatz zur unterstützenden Verbandsaussperrung – nicht gegen eine Kampfpartei des Hauptarbeitskampfes, sondern gegen einen am HauptSo zutreffend MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 73 ff. Zu den in diesem Zusammenhang relevanten Fallgruppen siehe MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 73 ff. Zur Friedenspflicht in diesem Zusammenhang siehe § 6 B. 240 So die h. M. BAG vom 5. 3. 1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 7. 6. 1988, AP Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 12. 1. 1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 6. 11. 1992, LAGE Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1137 ff.; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 14 f.; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 162 ff.; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 38 ff. Für eine ausnahmslose Unzulässigkeit des Sympathiestreiks Rüthers / Berghaus, Anmerkung zu BAG vom 12. 1. 1988, in: AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Für eine grundsätzliche Zulässigkeit des Sympathiestreiks Bieback in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 367 ff.; Plander, AuR 1986, 193 ff.; ders., ZTR 1989, 135 ff.; Seiter, Streikrecht, S. 502 ff. 241 § 5 C. I. 1. b) aa). 242 Siehe hierzu oben § 5 C. I. b) aa). 238 239

F. Zulässigkeit der Angriffsaussperrung?

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arbeitskampf nicht unmittelbar beteiligten Dritten. Kampfgegner des Streiks ist nämlich nicht der die Angriffsaussperrung durchführende, sondern ein dritter Arbeitgeber. Die in Rede stehenden Streikmaßnahmen der Gewerkschaft sind aber deshalb zulässig, weil anderenfalls die Kampfparität nicht gewahrt wäre. Es entspricht der Rechtsprechung des BAG und herrschenden Lehre, dass ein Sympathiestreik jedenfalls dann – ausnahmsweise – zulässig ist, wenn er aus Paritätsgesichtspunkten zwingend geboten ist.243 Dies ist hier der Fall. Ohne die Möglichkeit, auf eine Angriffsaussperrung mit einem (Abwehr-)Streik über die Grenzen des angestrebten Firmentarifvertrages hinaus reagieren zu können, wäre die Gewerkschaft den Arbeitskampfmaßnahmen des aussperrenden Arbeitgebers hilflos ausgeliefert. Sperrt der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nämlich nicht nur ganz kurzfristig oder nur zu einem kleinen Teil aus, blieben auf den aussperrenden Arbeitgeber beschränkte Streikmaßnahmen der Gewerkschaft wirkungslos, da wegen der Aussperrung keine Arbeitnehmer mehr im Betrieb arbeiten, die noch streiken könnten. Dies würde eine erhebliche Beeinträchtigung der Kampfparität zu Lasten der Gewerkschaft mit sich bringen. Ein Arbeitskampf, bei dem der einen Seite von vornherein die Möglichkeit genommen ist, auf Arbeitskampfmaßnahmen der Gegenseite adäquat reagieren zu können, ist mit dem Grundsatz der Kampfparität aber nicht zu vereinbaren.244 Will man daher nicht schon die Angriffsaussperrung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Kampfparität für unzulässig erklären, bleibt nur, gewerkschaftliche Streikmaßnahmen gegen dritte Arbeitgeber zuzulassen, auch wenn es sich bei ihnen um Sympathiestreiks handelt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Gewerkschaft als Reaktion auf eine Angriffsaussperrung wahllos zu Streiks bei dritten Arbeitgebern aufrufen darf. Zum einen muss sie bei ihren Streikmaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. D. h., sperrt der Arbeitgeber nur einen Teil seiner Belegschaft aus, muss sich die Gewerkschaft zunächst darauf verweisen lassen, ihre Streikmaßnahmen auf die Restbelegschaft zu beschränken. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber nur eine kurzfristige Aussperrung ansetzt. Auch hier kann und muss die Gewerkschaft das Ende der Aussperrung abwarten, um danach ihre Streikmaßnahmen – beschränkt auf die Belegschaft des betreffenden Arbeitgebers – durchzuführen. Ist eine Ausdehnung der Streikmaßnahmen auf dritte Arbeitgeber geboten, hat sich die Gewerkschaft hierbei auf solche Arbeitgeber zu beschränken, die zumindest mittelbar einen Einfluss auf Ausgang des Firmenarbeitskampfes nehmen können. Dies sind jedenfalls die in einem Konzern mit dem den Firmenarbeitskampf führenden Arbeitgeber 243 BAG vom 12. 1. 1988, AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm, 6. 11. 1992, LAGE Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1139; Konzen, DB 1990, Beilage Nr. 6, S. 1, 14 f.; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 163; MhdbAR-Otto, § 286 Rn. 46; Plander, AuR 1986, 193, 198 f.; Preis, Anmerkung zu BAG 12. 1. 1988, EzA Nr. 73 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 244 So auch die Argumentation des Großen Senats des BAG in seiner Entscheidung vom 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf in Bezug auf die Zulässigkeit der Aussperrung als arbeitgeberseitiges Arbeitskampfmittel.

234

§ 5 Zulässigkeit von Firmenarbeitskämpfen

verbundenen Arbeitgeber. In Betracht kommen aber auch – wenn der Arbeitgeber verbandsangehörig ist – seine Verbandskollegen. Letztlich kann die Gewerkschaft ihre Streikmaßnahmen auch noch auf Arbeitgeber, die mit dem arbeitskampfführenden Arbeitgeber wirtschaftlich verflochten sind, erstrecken. Nur dann, wenn man nach alledem der Gewerkschaft das Recht zubilligt, auf eine Angriffsaussperrung des Arbeitgebers mit Streikmaßnahmen nötigenfalls auch bei dritten Arbeitgebern zu reagieren, ist die Angriffsaussperrung im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes ein zulässiges Arbeitskampfmittel.245 Demgegenüber müssten diejenigen, die entgegen der h. M. von einer ausnahmslosen Unzulässigkeit des Sympathiearbeitskampfes ausgehen,246 konsequenterweise die Angriffsaussperrung zum Abschluss eines Firmentarifvertrages wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Kampfparität als unzulässig ansehen.

G. Ergebnis Die Überlegungen zur Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes haben gezeigt, dass dieser im Hinblick auf den verbandsangehörigen und auch den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber grundsätzlich zulässig ist. Die durch das TVG vorgenommene Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit bewirkt, dass auch der mit Arbeitskampfmitteln erzwungene Abschluss eines Firmentarifvertrages nicht zu einer Verletzung der Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite führt. Wegen der Möglichkeit des einzelnen Arbeitgebers, bei bestehender Verbandsmitgliedschaft seinen Arbeitgeberverband zur Unterstützung im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes heranzuziehen, ist der Grundsatz der Kampfparität gewahrt. Dies gilt auch im Hinblick auf den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber, da dieser zumindest die Möglichkeit hat, sich einem Verband anzuschließen und sich dann seiner Unterstützung zu bedienen. In diesem Zusammenhang war herauszustellen, dass auch der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag gegenüber dem Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag keine vorzugswürdige Alternative ist. Für die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes kommt es ferner nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eine gewisse soziale Mächtigkeit aufweist. Der Firmenarbeitskampf ist weiter nicht nur dann zulässig, wenn er durch einen Angriffsstreik der Gewerkschaft eröffnet wird, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber ihn mit einer Angriffsaussperrung eröffnet. Dies dürfte für den Arbeitgeber insbesondere interessant sein, wenn sich sein Unternehmen in einer wirtschaftlichen Krise befindet.247 Offen gelassen demgegenüber Waas, Friedenspflicht, S. 102. Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 142 ff.; Rüthers / Berghaus, Anmerkung zu BAG vom 12. 1. 1988, AP Nr. 90 Art. 9 GG Arbeitskampf. 247 Inwieweit hier allerdings eine bestehende tarifliche Friedenspflicht zu beachten ist, wird erst im nächsten Kapitel erörtert (§ 6). 245 246

§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf Nachdem sich die Ausführungen im vorherigen Kapitel mit der Problematik der prinzipiellen Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes befassten, soll dieses Kapitel die speziellere Frage behandeln, ob und welche Auswirkungen eine tarifvertragliche Friedenspflicht auf die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes hat. Dazu werden zunächst kurz die rechtlichen Grundlagen der tarifvertraglichen Friedenspflicht dargestellt (A.). Im Anschluss hieran folgt die Erörterung der Auswirkungen der tariflichen Friedenspflicht auf den Firmenarbeitskampf bei Bestehen eines „gewöhnlichen“ anderen Tarifvertrages (B.). Schließlich sollen einige im Rahmen des Firmenarbeitskampfes relevante tarifrechtliche Sonderkonstellationen betrachtet und deren Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes im Hinblick auf die tarifvertragliche Friedenspflicht dargestellt werden. Im Einzelnen geht es dabei um den Ausschluss der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht durch den wiederholten Abschluss von Firmentarifverträgen trotz eines bestehenden Verbandstarifvertrages (C.), die Auswirkungen tariflicher Schlichtungsabreden auf die Friedenspflicht (D.), die Geltung der Friedenspflicht während des Nachwirkungszeitraumes eines Tarifvertrages (E.), sowie um die Frage, ob es eine tarifvertragliche Friedenspflicht auch ohne eine beiderseitige unmittelbare Tarifbindung geben kann (F.). Erörtert wird in diesem Kapitel auch, ob und inwieweit durch die Vereinbarung einer Öffnungsklausel in einem Verbandstarifvertrag die Friedenspflicht dieses Tarifvertrages abbedungen werden kann (G.). Letztlich gilt es noch die Frage zu beantworten, welche Auswirkungen personelle Veränderungen des Arbeitgeberverbandes auf die Friedenspflicht und damit die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes haben. Hier sind insbesondere Konstellationen der Flucht des einzelnen Arbeitgebers in oder umgekehrt aus dem Arbeitgeberverband von Bedeutung (H.).

A. Grundlagen Die tarifvertragliche Friedenspflicht untersagt den Tarifvertragsparteien – allgemein ausgedrückt – während der Laufzeit des Tarifvertrages, Arbeitskämpfe zur Abänderung dieses Tarifvertrages zu führen.1 Verankert ist die Friedenspflicht im 1 Dies ist unstreitig; siehe nur BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 21. 12. 1987, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 27. 6. 1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags, wobei es einer ausdrücklichen Erwähnung der Friedenspflicht nicht bedarf.2 Streitig ist, ob Geltungsgrund der tarifvertraglichen Friedenspflicht eine stillschweigende Vereinbarung der Tarifvertragsparteien ist (sog. Konsenstheorie) oder ob sie unabhängig hiervon bereits dem „Wesen“ des Tarifvertrages immanent ist (sog. Immanenztheorie). 3 Gleich welcher Ansicht man folgt, ist die Friedenspflicht jedenfalls mit dem Gedanken verknüpft, dass sich die Tarifvertragsparteien an den Ergebnissen ihrer Verhandlungen, dem abgeschlossenen Tarifvertrag, festhalten lassen müssen und daher bis zum Ablauf des Tarifvertrages Arbeitskämpfe zur Abänderung des Tarifvertrages ausgeschlossen sind.4 Praktische Relevanz kommt diesem Streitstand in Bezug darauf zu, ob die Friedenspflicht der Disposition der Tarifvertragsparteien unterliegt, dies wäre Folge der Konsenstheorie, oder ob die Friedenspflicht als immanenter Bestandteil eines jeden Tarifvertrages von vornherein außerhalb der Regelungsmacht der Beteiligten steht, dies wäre Konsequenz der Immanenztheorie. Hierauf ist bei der noch zu erörternden5 Frage der Zulässigkeit von Öffnungsklauseln in Verbandstarifverträgen zugunsten firmentarifvertraglicher Regelungen näher einzugehen. In personeller Hinsicht bindet die tarifliche Friedenspflicht als Bestandteil des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages unmittelbar nur die tarifschließenden Parteien, also beim Verbandstarifvertrag die Gewerkschaft und den Arbeitgeber§ 1 TVG Friedenspflicht; LAG Niedersachsen vom 25. 3. 1987, LAGE Nr. 35 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 305 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 339; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 2; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 352; Valentin, Friedenspflicht, S. 3; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 664. 2 BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 26. 7. 1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Niedersachsen vom 25. 3. 1987, LAGE Nr. 35 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm vom 13. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 218; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 308; KassHdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 114; Söllner, Grundriß, S. 91 f.; Valentin, Friedenspflicht, S. 13; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 604. Für eine objektivrechtliche Verankerung der Friedenspflicht demgegenüber Waas, Friedenspflicht, S. 32 ff. 3 Siehe zu diesem Streit nur BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 27. 6. 1989, AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamburg vom 24. 3. 1987, LAGE Nr. 33 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 266 ff.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 218; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 308 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 238; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; Jacobi, Grundlehren, S. 204; G. Müller, DB 1959, 515; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 329; Sitzler, FS E. Molitor, S. 283, 284; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 2 f.; Stahlhacke, FS K. Molitor, S. 351, 353; Waas, Friedenspflicht, S. 32 ff. 4 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 3; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 665. 5 § 6 G.

A. Grundlagen

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verband, beim Firmentarifvertrag die Gewerkschaft und den einzelnen Arbeitgeber.6 Eine unmittelbare Bindung der einzelnen Verbandsmitglieder an die Friedenspflicht tritt weder automatisch ein, noch können sie die Tarifvertragsparteien durch eine entsprechende Vereinbarung herbeiführen. Eine solche Vereinbarung wäre nämlich ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter.7 Die tarifvertragliche Friedenspflicht entfaltet aber insoweit mittelbare Wirkung auch für die Verbandsmitglieder, als der jeweilige Verband verpflichtet ist, friedenspflichtwidrige Arbeitskampfmaßnahmen seiner Mitglieder zu verhindern und entsprechend auf sie einzuwirken (sog. Einwirkungspflicht).8 Korrespondierend hierzu sind die Verbandsmitglieder aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht gegenüber dem Verband verpflichtet, entsprechenden Aufforderungen des Verbandes Folge zu leisten.9 Unmittelbare Wirkung entfaltet die Friedenspflicht demgegenüber zugunsten der einzelnen Verbandsmitglieder. Sie gibt ihnen nämlich das Recht, die gegnerische Tarifvertragspartei auf Einhaltung der Friedenspflicht in Anspruch zu nehmen.10 In dogmatischer Hinsicht ist der die Friedenspflicht enthaltende schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages daher ein Vertrag zugunsten Dritter, nämlich zugunsten der einzelnen Verbandsmitglieder.11 6 BAG vom 1. 2. 1958, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 219; Buchner, DB 1970, 2074, 2076; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1080 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 310; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 80; Seiter, Streikrecht, S. 413 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 671. Abweichend Radke, AuR 1956, 273; ders., AuR 1957, 257; Ramm, Parteien, S. 96 ff., die auch die Verbandsmitglieder als verpflichtet ansehen. 7 Ganz h. M., siehe Boldt, RdA 1971, 257, 266; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 219; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 327. Im Ergebnis ebenso Waas, Friedenspflicht, S. 52 ff. Kritisch hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1081; Valentin, Friedenspflicht, S. 14 f. 8 RG vom 9. 6. 1925, RGZ 111, 105, 107 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1080 f.; Heckelmann, DB 1970, 158 ff.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 497 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 2; dies., TVG, § 1 Rn. 271; Waas, Friedenspflicht, S. 82; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 669. Gegen eine Einwirkungspflicht Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 221; Buchner, DB 1992, 572 ff. 9 Boldt, RdA 1971, 257, 266; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 310 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 329 f.; Waas, Friedenspflicht, S. 53 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 669. 10 BAG vom 31. 10. 1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 23. 4. 1985, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 220; Buchner, DB 1970, 2074, 2076; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1080; Hess, Zulässigkeit, S. 114 f.; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 369; Richardi, JurAn 1971, 141, 152; Schleusener, BB 1999, 684, 685; Waas, Friedenspflicht, S. 83. 11 BAG vom 31. 10. 1958, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Friedenspflicht; BAG vom 14. 11. 1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeits-

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Sachlich-gegenständlich erfasst die Friedenspflicht regelmäßig nur die im Tarifvertrag geregelten Gegenstände.12 Dabei kommt es für die Frage, welche Gegenstände tariflich geregelt sind, nicht auf eine ausdrückliche Erwähnung an. Vielmehr reicht ein entsprechender Regelungswille der Tarifvertragsparteien aus. Dieser liegt auch dann vor, wenn eine Frage bewusst keine Aufnahme in den Tarifvertrag gefunden hat.13 Die Friedenspflicht steht damit sachlich-gegenständlich in Relation zum Inhalt des Tarifvertrages, was ihr die Bezeichnung relative Friedenspflicht eingebracht hat. Den Tarifvertragsparteien ist es aber ebenfalls möglich, die Friedenspflicht kraft entsprechender ausdrücklicher Vereinbarung auf diejenigen Bereiche zu erstrecken, die im Tarifvertrag nicht geregelt sind, um damit jeglichen Arbeitskampf während der Geltungsdauer des Tarifvertrages zu unterbinden. Eine so ausgestaltete Friedenspflicht bezeichnet man als absolute Friedenspflicht.14

kampf; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Buchner, DB 1970, 2074, 2076; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1080; Hess, Zulässigkeit, S. 114 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Löwisch / Rieble, FS Schaub, S. 457, 470; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 369; Richardi, JurAn 1971, 141, 152; Schleusener, BB 1999, 684, 685; Waas, Friedenspflicht, S. 83. Teilweise wird einschränkend nur ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angenommen, der den Berechtigten zwar einen Schadensersatz-, aber keinen Erfüllungsanspruch gegenüber der friedenspflichtwidrig handelnden Tarifpartei einräumt. So ArbG Berlin vom 21. 1. 1988, NZA 1988, 369; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 220; wohl auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 135; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 671; uneinheitlich demgegenüber MhdbAR-Otto vgl. § 288 Rn. 80 einerseits und § 289 Rn. 4 andererseits. 12 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1078; Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 344; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 3; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 354; Valentin, Friedenspflicht, S. 22 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 681. 13 Dies ist im Grundsatz unstreitig. Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1078 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 5; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 681. Allerdings kann die gegenständliche Abgrenzung im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Es haben sich daher verschiedene Auffassungen herausgebildet, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Siehe hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1078 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 5; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 682, jeweils mit weiteren Nachweisen. 14 BAG vom 21. 12. 1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1078; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 323 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 12; Valentin, Friedenspflicht, S. 13; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 699 ff.

B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht

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B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht Die soeben skizzierte tarifvertragliche Friedenspflicht kann in verschiedener Hinsicht Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag oder bei bereits bestehendem Firmentarifvertrag auf die Zulässigkeit des Arbeitskampfes um andere Tarifverträge haben. Hierauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei handelt es sich bei dem die Friedenspflicht enthaltenden Tarifvertrag jeweils um einen „gewöhnlichen“ Tarifvertrag, der keine Besonderheiten wie z. B. eine Schlichtungsabrede oder Öffnungsklausel enthält. Auf diese Sonderfälle wird erst später eingegangen.15

I. Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag bei bestehendem Firmentarifvertrag Keine Besonderheiten in Bezug auf die Friedenspflicht ergeben sich auf der Ebene ablösender Firmentarifverträge, wenn jeweils dieselbe Gewerkschaft an dem geltenden und angestrebten Tarifvertrag beteiligt ist. Die Gewerkschaft und der einzelne Arbeitgeber dürfen in Konstellationen dieser Art vor Ablauf der Laufzeit des geltenden Firmentarifvertrages keine Arbeitskämpfe zum Abschluss eines weiteren Firmentarifvertrages über bereits tariflich geregelte Inhalte durchführen. Bloße Tarifverhandlungen außerhalb des Arbeitskampfes bleiben aber möglich.16 Anders ist die Situation, wenn eine weitere Gewerkschaft den Abschluss eines (zweiten) Firmentarifvertrages bzw. der Arbeitgeber gegenüber einer weiteren Gewerkschaft den Abschluss eines (zweiten) Firmentarifvertrages anstrebt. Hier sind Arbeitskampfmaßnahmen trotz der bestehenden firmentarifvertraglichen Friedenspflicht zulässig. Die Friedenspflicht des bestehenden Firmentarifvertrages beansprucht lediglich im Verhältnis der ersten Gewerkschaft zum Arbeitgeber Wirkung. Im Verhältnis der weiteren Gewerkschaft zum Arbeitgeber kann sie die Zulässigkeit des Arbeitskampfes demgegenüber nicht einschränken. Wie bereits bei der Erörterung der Tarifzuständigkeit17 angesprochen, ist Rechtsfolge der Friedenspflicht des geltenden Firmentarifvertrages allerdings, dass es dem Arbeitgeber verwehrt ist, diejenigen organisierten Arbeitnehmer auszusperren, deren Gewerkschaft Partei des geltenden Firmentarifvertrages ist. Im Gegenzug ist die an den Firmentarifvertrag gebundene Gewerkschaft verpflichtet, auf ihre Mitglieder dahingehend einzuwirken, dass diese sich dem Streikaufruf der nunmehr den Firmentarifvertrag § 6 C. – H. Allgemeine Ansicht; siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1084 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 1 Rn. 346; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 373 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 674 ff. 17 § 4 B. III. 2. 15 16

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

anstrebenden Gewerkschaft nicht anschließen. Die Arbeitnehmer sind aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht auch verpflichtet, dieser Aufforderung ihrer Gewerkschaft Folge zu leisten. Gegebenenfalls hat die Gewerkschaft zu vereinsrechtlichen Sanktionen zu greifen, die im äußersten Fall bis zum Ausschluss des betreffenden Arbeitnehmers aus der Gewerkschaft führen können. Im Ergebnis sind daher die bereits an den bestehenden Firmentarifvertrag kraft Organisationszugehörigkeit gebundenen Arbeitnehmer vom Arbeitskampf um einen weiteren Firmentarifvertrag ausgeschlossen. Weder dürfen sie vom Arbeitgeber ausgesperrt werden, noch dürfen sie mittels Streiks selbst in den Arbeitskampf eingreifen.

II. Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag bei bestehendem Firmentarifvertrag Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung der Frage, wie sich die aus einem Firmentarifvertrag fließende Friedenspflicht auf den Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag auswirkt. Auswirkungen entfalten kann die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages in dieser Situation zunächst überhaupt nur, wenn der firmentarifvertraglich gebundene Arbeitgeber Mitglied des nunmehr kampfführenden Arbeitgeberverbandes ist und sich die Regelungen des angestrebten Verbandstarifvertrages mit denen des bestehenden Firmentarifvertrages zumindest teilweise decken. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen gilt es im Folgenden, zunächst die Situation näher zu erörtern, bei der die am Firmentarifvertrag beteiligte Gewerkschaft mit der den Verbandstarifvertrag anstrebenden Gewerkschaft identisch ist. Der den Verbandsarbeitskampf führende Arbeitgeberverband ist an die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages, da er nicht Partei dieses Tarifvertrages ist, nicht gebunden. Die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages entfaltet Bindungswirkung unmittelbar nur im Verhältnis der Gewerkschaft zum einzelnen Arbeitgeber.18 Auch die Gewerkschaft ist im Hinblick auf die firmentarifvertragliche Friedenspflicht aber nicht daran gehindert, gegenüber dem Arbeitgeberverband einen Arbeitskampf zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages zu führen. Zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband besteht daher im Ausgangspunkt keine tarifvertragliche Friedenspflicht, die dem Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag im Wege stehen könnte.19 Von diesem Ausgangspunkt ist aber abzuweichen, soweit es um die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen im Geltungsbereich des Firmentarifvertrages geht. Aufgrund der Friedenspflicht des Firmentarifvertrages ist es hier nämlich der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber, nicht aber dem Arbeitgeberverband, verwehrt, Arbeitskampfmaßnahmen zum Abschluss eines weiteren (Verbands-)Tarifvertrages 18 19

So auch Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 292. So wohl auch Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 292.

B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht

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durchzuführen. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeberverband von seinem Mitglied zwar die Durchführung von Aussperrungsmaßnahmen fordern könnte, ohne seinerseits gegen die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages zu verstoßen. Es ist dem Mitgliedsarbeitgeber aber wegen der Friedenspflicht des Firmentarifvertrages verwehrt, diese Aussperrung auch tatsächlich durchzuführen. Da der Arbeitgeberverband von seinem Mitglied aber kein tarifvertragswidriges Verhalten verlangen darf, führt die Bindung des Mitgliedsarbeitsgebers an die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages dazu, dass der gebundene Arbeitgeber von der Verbandsaussperrung freizustellen ist.20 Damit sind Arbeitskampfmaßnahmen im Unternehmen des firmentarifvertraglich gebundenen Arbeitgebers ausgeschlossen.21 Da der Firmentarifvertrag nach Ablauf seiner Geltungsdauer nur noch gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt, führt ein solcher Ausschluss dazu, dass der ohne Beteiligung des betreffenden Arbeitgebers und seiner Arbeitnehmer abgeschlossene Verbandstarifvertrag, wenn der Firmentarifvertrag abläuft und nicht rechtzeitig ein neuer Firmentarifvertrag abgeschlossen wird, auch diese Arbeitsverhältnisse erfasst. Der vollwirksame Verbandstarifvertrag geht dem lediglich nachwirkenden Firmentarifvertrag nämlich vor.22 Dies kann aus Sicht der Betroffenen unbillig erscheinen, weil sie sich am Arbeitskampf zum Abschluss dieses Tarifvertrages wegen der geltenden Friedenspflicht des Firmentarifvertrages nicht beteiligen und daher auf dessen Inhalt nur beschränkt Einfluss nehmen konnten. Dies haben sie jedoch hinzunehmen. Immerhin beruht die Geltung des Verbandstarifvertrages zumindest in Bezug auf den Arbeitgeber auf seinem autonomen Willensentschluss, trotz eines bestehenden Firmentarifvertrages weiterhin (Voll-)Mitglied im betreffenden Arbeitgeberverband zu bleiben. Sowohl die Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber haben zudem die Möglichkeit, bei ihren Verbänden auf eine Ausklammerung des betreffenden Unternehmens aus dem Geltungsbereich des angestrebten Verbandstarifvertrages zu drängen, bzw. innerverbandlich auch außerhalb konkreter Arbeitskampfmaßnahmen auf die Tarifverhandlungen in inhaltlicher Hinsicht Einfluss zu nehmen. Die Friedenspflicht eines bestehenden Firmentarifvertrages führt daher bei einem Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag mit derselben Gewerkschaft dazu, dass ein solcher Arbeitskampf zwar prinzipiell zulässig bleibt, Arbeitskampfmaßnahmen im Geltungsbereich des Firmentarifvertrages aber nicht durchgeführt werden dürfen. Hieraus folgt auch, dass es den Parteien des Verbandsarbeitskampfes verwehrt ist, während der Laufzeit des Firmentarifvertrages zu versuchen, den Abschluss eines konkurrierenden unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages mit Arbeitskampfmitteln zu erzwingen, da sich hier der Geltungsbereich der Friedenspflicht des Firmentarifvertrages mit dem Geltungsbereich des angestrebten unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages deckt. So wohl auch D. Gaul, RdA 1966, 172, 179. A. A. Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 292. 22 Vgl. BAG vom 19. 1. 1962, AP Nr. 11 zu § 5 TVG; BAG vom 4. 12. 1974, AP Nr. 2 zu § 3 TVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1496; Löwisch / Rieble, FS Schaub, S. 457, 462 ff. 20 21

16 Witt

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Soweit demgegenüber eine andere als die den Firmentarifvertrag abschließende Gewerkschaft den Abschluss eines Verbandstarifvertrages anstrebt, verbietet die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages auch hier dem Arbeitgeber lediglich, diejenigen Arbeitnehmer auszusperren, die kraft Organisationszugehörigkeit bereits an den bestehenden Firmentarifvertrag gebunden sind. Im Gegenzug hierzu ist die an den Firmentarifvertrag gebundene Gewerkschaft verpflichtet, ihre Mitgliedsarbeitnehmer davon abzuhalten, in den Arbeitskampf zum Abschluss des Verbandstarifvertrages einzugreifen. Auch hier sind die Arbeitnehmer wegen ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht gehalten, dieser Aufforderung der Gewerkschaft Folge zu leisten. Bezüglich der übrigen Arbeitnehmer entfaltet die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages demgegenüber keinerlei Wirkung.

III. Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag bei bestehendem Verbandstarifvertrag Kontrovers beurteilt werden die Auswirkungen der Friedenspflicht eines geltenden Verbandstarifvertrages auf den Arbeitskampf zum Abschluss eines Firmentarifvertrages. Dabei geht es auch hier zunächst um die Situation, in der die Gewerkschaft, die Partei des Verbandstarifvertrages ist, nunmehr den Abschluss auch eines Firmentarifvertrages anstrebt.

1. Erste Ansicht: Keine Geltung der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages Kempen / Zachert 23 und Weyand 24 nehmen an, die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht habe keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag. Zur Begründung führen sie aus, dass die Gewerkschaft mit dem Abschluss eines Verbandstarifvertrages regelmäßig nicht auf die Möglichkeit des (ergänzenden) Abschlusses eines für sie günstigeren Firmentarifvertrages verzichten wolle.25 Der schuldrechtliche Teil des Verbandstarifvertrages sei aus diesem Grund dahin auszulegen, dass die Friedenspflicht den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag nicht erfasse.26

23 24 25 26

Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 101. Weyand, Mitbestimmung, S. 157 f. Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 101; Weyand, Mitbestimmung, S. 157 f. Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 101; Weyand, Mitbestimmung, S. 157 f.

B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht

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2. Zweite Ansicht: Absolute Friedenspflicht zu Lasten jeglichen Firmenarbeitskampfes Nach der Gegenansicht kommt der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages in Bezug auf den Firmenarbeitskampf absolute Wirkung zu.27 Bei bestehender Tarifbindung an einen Verbandstarifvertrag sei daher jeglicher Arbeitskampf zum Abschluss eines Firmentarifvertrages unabhängig davon, ob er sich auf Gegenstände beziehe, die im Verbandstarifvertrag geregelt sind, unzulässig.28 Begründet wird diese Ansicht mit der Erwägung, die Arbeitgeberseite müsse sich bei geltendem Verbandstarifvertrag darauf verlassen können, dass die Arbeitsbedingungen einheitlich bestehen und daher auch nur einheitlich, also mittels Verbandstarifvertrages, abgeändert werden könnten.29 Begebe sich die Gewerkschaft durch Abschluss des Verbandstarifvertrages auf die Verbandsebene, so müsse sie sich hieran auch festhalten lassen.30 Sie dürfe daher vor Ablauf des Verbandstarifvertrages nicht von der Verbands- auf die Unternehmensebene wechseln, um mit einzelnen Mitgliedsarbeitgebern Firmentarifverträge abzuschließen. Die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages sperre somit jeglichen Arbeitskampf zum Abschluss von Firmentarifverträgen.31

3. Dritte Ansicht: Geltung der relativen Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages (h. M.) Die h. M. vertritt einen vermittelnden Standpunkt: Die relative Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages gelte auch bezüglich des Firmenarbeitskampfes. Ein Firmenarbeitskampf dürfe bei bestehendem Verbandstarifvertrag also nur über Gegenstände geführt werden, die nicht bereits im Verbandstarifvertrag tariflich geregelt sind.32 27 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 228; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 135 (unklar allerdings dann die Ausführungen in Rn. 137 f.); Thüsing, NZA 1997, 294, 295. 28 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 228; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 135; Thüsing, NZA 1997, 294, 295. 29 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 228; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn 135; Thüsing, NZA 1997, 294, 295. 30 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 228; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 135; Thüsing, NZA 1997, 294, 295. 31 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 228; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 135; Thüsing, NZA 1997, 294, 295. 32 BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 21. 11. 2001, AP Nr. 160 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Köln vom 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Bauer, FS Schaub, S. 19, 44; Beuthien, BB 1975, 477, 477; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 12; ders., DB 1970, 2074, 2076; Deeken, Zusatztarifverträge, S. 86 ff.; D. Gaul, RdA 1966, 172, 176 f.; Hess, ZfA 1976, 45, 62 f.;

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

4. Stellungnahme Die Geltung der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages im Hinblick auf den Firmenarbeitskampf ist zunächst nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und der Gewerkschaft kein Tarifvertrag besteht. Die Gewerkschaft ist als Partei des Verbandstarifvertrages nämlich unmittelbar an die aus diesem Tarifvertrag folgende Friedenspflicht gebunden. Ergibt die im Folgenden noch vorzunehmende Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Verbandstarifvertrages daher, dass die hierin geregelte Friedenspflicht auch Arbeitskämpfe zum Abschluss von Firmentarifverträgen erfasst, hat der einzelne Arbeitgeber einen Anspruch gegen die Gewerkschaft auf Einhaltung der Friedenspflicht und Unterlassung des Firmenarbeitskampfes. Der die Friedenspflicht enthaltende schuldrechtliche Teil des Tarifvertrags wirkt in einem solchen Fall nämlich als Vertrag zugunsten Dritter, weshalb auch der einzelne Mitgliedsarbeitgeber unmittelbar gegenüber der Gewerkschaft berechtigt wäre, die Einhaltung der Friedenspflicht zu fordern. Auf der anderen Seite ist aber der einzelne Arbeitgeber an die verbandstarifliche Friedenspflicht unmittelbar nicht gebunden, da – wie oben ausgeführt33 – die im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages vereinbarte Friedenspflicht ansonsten ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter wäre. Allerdings gebietet es die aus dem Verbandstarifvertrag fließende Einwirkungspflicht, dass der Arbeitgeberverband auf sein Mitglied dahin einwirkt, dass dieses keine friedenspflichtwidrigen Arbeitskampfmaßnahmen durchführt. Im Ergebnis würde die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages – wenn der sie enthaltende schuldrechtliche Teil entsprechend auszulegen wäre – im Rahmen des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag also von der Gewerkschaft und dem einzelnen Arbeitgeber zu beachten sein. Dies gilt – hält man die Angriffsaussperrung für prinzipiell zulässig – für den Angriffsstreik ebenso wie für die Angriffsaussperrung.34 Es kommt somit maßgeblich auf die Auslegung des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Verbandstarifvertrages an. Gegen die Nichteinbeziehung des Firmenarbeitskampfes in die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht mit der Erwägung, die Gewerkschaft wolle sich regelmäßig eine „Hintertür“ für den Abschluss eines günstigeren Firmentarifvertrages offen lassen, spricht, ders., Zulässigkeit, S. 115 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466 f.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 158; Jacobs, ZTR 2001, 249, 254; KasshdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 133; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 290; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 36; dies., FS Schaub, S. 457, 470; Matthes, FS Schaub, S. 477, 480; Richardi, JurAn 1971,141, 152; ErfK-Schlachter, Art. 9 GG Rn. 152; Schleusener, NZA 1998, 239, 240; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 165 ff.; Stein, RdA 2000, 129, 139; Valentin, Friedenspflicht, S. 73 ff.; WendelingSchröder, NZA 1998, 624, 628; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 38; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 209; Zabel, AiB 1998, 615, 617. So im Ergebnis auch Waas, Friedenspflicht, S. 127 ff. 33 § 6 A. 34 So auch Jacobs, ZTR 2001, 249, 255.

B. Zulässigkeit eines Arbeitskampfes und Friedenspflicht

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dass eine solche Auslegung die Interessen der Arbeitgeberseite nicht hinreichend berücksichtigt.35 Die Auslegung des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages folgt den Regeln der Auslegung „normaler“ privatrechtlicher Verträge.36 Dies bedeutet, dass, sofern kein übereinstimmender anders lautender Parteiwille erkennbar ist (sog. natürliche Auslegung, § 133 BGB), sich die Auslegung am objektiven Empfängerhorizont zu orientieren hat (sog. normative Auslegung, § 157 BGB).37 Für eine Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts kommt es wegen der Funktion des Vertrages als Interessenausgleichsinstrument insbesondere auch auf die beiderseitige Interessenlage an.38 Der Arbeitgeberverband hat aber ersichtlich kein Interesse daran, die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages nicht auch auf den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag zu erstrecken. Im Gegenteil: Der Arbeitgeberverband wird in der Regel sogar stark daran interessiert sein, für sich und seine Mitglieder während der Laufzeit des Verbandstarifvertrages unveränderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen und damit seinen Mitgliedern eine sichere Kalkulationsgrundlage zu gewährleisten.39 Sein Wille beim Abschluss des Tarifvertrages wird deswegen typischerweise dahingehen, die Etablierung einer zweiten betrieblichen Arbeitskampfebene zu vermeiden. Zudem erscheint es der Gewerkschaft auch ohne weiteres zumutbar, nach Abschluss des Verbandstarifvertrages darauf zu verzichten, mit Arbeitskampfmitteln auf den ergänzenden Abschluss eines Firmentarifvertrages zu dringen. Immerhin wirken die Arbeitsbedingungen des Verbandstarifvertrages schon zugunsten ihrer Mitglieder. Weshalb neben der Verbandsebene zusätzlich auf der Unternehmensebene die Möglichkeit einer zweiten Verhandlungs- und Arbeitskampfrunde eröffnet werden müsste, ist nicht ersichtlich. Hat sich die Gewerkschaft durch ihre Zustimmung zum Abschluss des Verbandstarifvertrages mit den darin geregelten Arbeitsbedingungen einverstanden erklärt, muss sie sich deshalb interessengerechterweise hieran auch für die Dauer der Laufzeit des Verbandstarifvertrages festhalten lassen und darf nicht mit Arbeitskampfmitteln versuchen, dessen Regelungen durch den Abschluss verdrängender Firmentarifverträge zu unterlaufen. Die Auslegung des Verbandstarifvertrages, dass die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages sich nicht auch auf die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes bezieht, ist daher abzulehnen. 35 Schleusener, NZA 1998, 239, 240; Stein, RdA 2000, 129, 139; Valentin, Friedenspflicht, S. 77 f. 36 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 157; Kempen / Zachert, TVG, Grundlagen Rn. 305; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 279 Rn. 1 f.; dies., TVG, § 1 Rn. 431 ff.; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 42; Söllner, Grundriß, S. 91 f.; Stein, Tarifvertragesrecht, S. 41; Wank in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 768. 37 Soergel-Raab, § 133 Rn. 14. 38 BGH vom 14. 3. 1990, NJW-RR 1990, 817, 819; BGH vom 10. 10. 1990, NJW-RR 1991, 176, 177; BGH vom 8. 6. 1994, NJW 1994, 2228, 2229; BGH vom 31. 10. 1995, BGHZ 131, 136, 138; Palandt-Heinrichs, BGB, § 133 Rn. 18; MüKo-Mayer-Maly, § 157 Rn. 6; Schimmel, JA 2001, 339 ff.; Soergel-Wolf, § 157 Rn. 35. 39 Stein, RdA 2000, 129, 139.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Aber auch die gegenteilige Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Verbandstarifvertrages dahin, dass der Friedenspflicht im Hinblick auf den Firmenarbeitskampf absolute Wirkung zukomme, ist als nicht interessengerecht abzulehnen. Es ist im Hinblick auf das Regelungsinteresse der Gewerkschaft nämlich nicht einzusehen, weshalb die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zu Lasten des Firmenarbeitskampfes auch bezüglich derjenigen Gegenstände Geltung beanspruchen sollte, für die der Verbandstarifvertrag keinerlei Regelung enthält. Das in diesem Zusammenhang angeführte – grundsätzlich auch berechtigte – Interesse der Arbeitgeberseite an einer verbandseinheitlichen Regelung kann sich nur auf diejenigen Gegenstände erstrecken, für die der Verband eine Regelung tatsächlich getroffen hat. Enthält der Verbandstarifvertrag demgegenüber über gewisse Gegenstände keine Regelung, dann ist ein anerkennenswertes Interesse an deren verbandseinheitlicher Regelung nicht ersichtlich. Zudem wird sich die Gewerkschaft regelmäßig vorbehalten wollen, bezüglich der im Verbandstarifvertrag nicht geregelten Gegenstände weiterhin auf das ihr in § 2 Abs. 1 TVG eingeräumte Wahlrecht zwischen dem Abschluss eines Firmen- und Verbandstarifvertrages zurückgreifen zu können. Auch die Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Verbandstarifvertrages dahin, dass die in ihm geregelte Friedenspflicht absolute Wirkung bezüglich aller Arbeitskämpfe zum Abschluss von Firmentarifverträgen entfaltet, scheidet daher als nicht interessengerecht aus. Allein die vermittelnde Ansicht der h. M. berücksichtigt die beiderseitige Interessenlage der Tarifvertragsparteien angemessen, so dass der von ihr vorgenommenen Auslegung des Verbandstarifvertrages – soweit keine andere ausdrückliche tarifliche Regelung besteht – zu folgen ist. Durch Erstreckung der relativen Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages auch auf den Firmentarifvertrag wird dem Interesse der Arbeitgeberseite insoweit Rechnung getragen, als bezüglich derjenigen Materien, über die bereits im Rahmen des Verbandstarifvertrages eine Einigung herbeigeführt wurde, keine, diese Einigung unterlaufenden Arbeitskämpfe auf der Ebene des Einzelarbeitgebers geführt werden dürfen. Bezüglich der bereits im Verbandstarifvertrag geregelten Gegenstände steht dem Arbeitgeber damit eine sichere Kalkulationsgrundlage für die Laufzeit des Verbandstarifvertrages zur Verfügung. Soweit Regelungsgegenstände demgegenüber keinen Niederschlag im Verbandstarifvertrag gefunden haben, muss der Arbeitgeber jederzeit mit „Nachforderungen“ der Gewerkschaft rechnen. Soll auch dies vermieden werden, steht es dem Arbeitgeberverband frei, ausdrücklich eine absolute Friedenspflicht im Verbandstarifvertrag zu vereinbaren. Unterlässt er dies, ist der Verbandstarifvertrag interessengerechterweise dahin auszulegen, dass dessen Friedenspflicht dem Firmenarbeitskampf nur entgegensteht, als dieser Gegenstände betrifft, die bereits im Verbandstarifvertrag geregelt sind. Ist demgegenüber die den Verbandstarifvertrag abschließende Gewerkschaft mit der den Firmentarifvertrag anstrebenden Gewerkschaft nicht identisch, entfaltet die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages nur bezüglich derjenigen Arbeitnehmer Wirkung, die Mitglied der den Verbandstarifvertrag abschließenden Gewerk-

C. Ausschluss der Friedenspflicht aufgrund gegenläufiger Tarifpraxis?

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schaft sind.40 Der Arbeitgeber darf diese Arbeitnehmer nicht aussperren. Auf der anderen Seite muss die Gewerkschaft auf ihre Arbeitnehmer dahin einwirken, dass sie sich am Arbeitskampf zugunsten des angestrebten Firmentarifvertrages nicht beteiligen. Auch hier gebietet es die mitgliedschaftliche Treuepflicht der Arbeitnehmer gegenüber ihrer Gewerkschaft, dass sie dieser Aufforderung Folge leisten.

C. Ausschluss der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht aufgrund gegenläufiger Tarifpraxis? Ist im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes – wie gezeigt – die (relative) Friedenspflicht bestehender Verbandstarifverträge im Grundsatz zu beachten, so fragt sich, ob es Konstellationen gibt, in denen die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages auf die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes keine Auswirkungen hat. In der Praxis ist es zu der Situation gekommen, dass ein Arbeitgeber trotz bestehender Verbandsmitgliedschaft und geltendem Verbandstarifvertrag mehrfach Firmentarifverträge über die Inhalte des Verbandstarifvertrages abgeschlossen hat und sich nunmehr, nach Ablauf des letzten Firmentarifvertrages, einem Arbeitskampf zum Abschluss eines Folgefirmentarifvertrages unter Berufung auf die Friedenspflicht des – von ihm bislang nicht angewandten – Verbandstarifvertrages zu entziehen versucht. Das LAG Köln41, dem ein solcher Fall im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Entscheidung vorlag, vertrat hier folgende Lösung: Wüssten die Parteien des Verbandstarifvertrages bei dessen Abschluss, dass der betroffene Arbeitgeber Tarifverträge bislang nur auf Firmenebene abgeschlossen habe, sei die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht unter Berücksichtigung von Treu und Glauben dahin auszulegen, dass sie einen Arbeitskampf um einen (Folge-)Firmentarifvertrag nicht erfasse. Zum gleichen Ergebnis, aber mit einem anderen Anknüpfungspunkt war das LAG Frankfurt a. M. in seiner Entscheidung vom 23. April 1982 für eine ähnlich Fallgestaltung gekommen. Es stellte darauf ab, dass der Arbeitgeber, wenn er jahrelang andere als den die Friedenspflicht auslösenden Tarifvertrag anwende, damit konkludent auf die Friedenspflicht des nicht angewandten Tarifvertrages verzichte.42 Für den Fall des Firmentarifvertrages könnte dies bedeuten, dass der Arbeitgeber wenn er trotz bestehender Bindung an einen Verbandstarifvertrag Firmentarifverträge abschließt und anwendet, auf die Friedenspflicht aus dem Verbandstarifvertrag konkludent verzichtet. 40 Die h. M. spricht sich demgegenüber für eine generelle Zulässigkeit eines solchen Arbeitskampfes aus, scheint dabei aber das vorliegende Problem zu übersehen. Siehe nur D. Gaul, RdA 1966, 172, 176.; Hess, ZfA 1976, 45, 72; ders., Zulässigkeit, S. 118 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 138; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 37; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 209. 41 LAG Köln vom 16. 6. 1996, AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 42 LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Beiden Ansatzpunkten ist aber nicht zu folgen. Arbeitgeber und Gewerkschaft sind vielmehr auch bei gegenläufiger Tarifpraxis an die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages gebunden.

I. Konkludenter Verzicht auf die Friedenspflicht? Zunächst liegt – entgegen dem Ansatzpunkt des LAG Frankfurt a. M. – in dem mehrfachen freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrages trotz bestehender Bindung an einen Verbandstarifvertrag kein Verzicht auf den Schutz der daraus resultierenden Friedenspflicht.43 Mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrages bringt der einzelne Arbeitgeber allenfalls zum Ausdruck, dass er mit dem zur Zeit geltenden Verbandstarifvertrag nicht zufrieden sei und eine andere Regelung durch den freiwilligen (!) Abschluss eines Firmentarifvertrages herbeiführen wolle. Dies beinhaltet – legt man den objektiven Empfängerhorizont zugrunde – aber nicht zugleich die Aussage, dass er auch für die Zukunft auf die Regelungen und den Schutz des Verbandstarifvertrages verzichten wolle. Der Arbeitgeber wird sich vielmehr regelmäßig auch bei Abschluss eines Firmentarifvertrages vorbehalten wollen, nach dessen Ablauf erneut zu entscheiden, ob er wieder einen Firmentarifvertrag abschließen, oder zukünftig allein an die Regelungen des Verbandstarifvertrages gebunden sein will. In dem – auch mehrfachen – freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrages liegt daher kein Verzicht auf den Schutz der Friedenspflicht eines Verbandstarifvertrages.44 Etwas anderes könnte freilich für den – eher theoretischen – Fall gelten, in dem der Arbeitgeber trotz eines bestehenden Verbandstarifvertrages und damit geltender Friedenspflicht sich mehrmals auf einen Arbeitskampf mit der Gewerkschaft zum Abschluss eines Firmentarifvertrages einlässt, ohne sich auf die bestehende Friedenspflicht zu berufen. Allein bei einem derartigen Verhalten des Arbeitgebers liegt der Schluss nahe, hierin einen Verzicht auf die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zu sehen. Allerdings sind auch dabei die Umstände des Einzelfalls von entscheidender Bedeutung.

Ebenso – allerdings mit anderer Begründung – auch Waas, Friedenspflicht, S. 145 ff. Im Ergebnis ebenso, aber auf andere Erwägungen gestützt Schleusener, NZA 1998, 239, 240 f.; Valentin, Friedenspflicht, S. 98 f. 43 44

C. Ausschluss der Friedenspflicht aufgrund gegenläufiger Tarifpraxis?

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II. Einschränkende Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages? Auch eine einschränkende Auslegung der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht zugunsten des Firmenarbeitskampfes, wie sie das LAG Köln vornimmt, überzeugt nicht.45 Mangels ausdrücklicher Vereinbarung ist zur Auslegung des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Verbandstarifvertrags auch hier auf die beiderseitige Interessenlage unter Berücksichtigung von Treu und Glauben abzustellen. Der Arbeitgeberverband hat aber kein Interesse daran, seinem (zahlendem !) Mitglied die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht zu entziehen. Er ist im Gegenteil daran interessiert, auch dem firmentariflich gebundenen Mitgliedsarbeitgeber wenigstens die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zukommen zu lassen. Wäre auch sie ausgeschlossen, so hätte der Arbeitgeber vom Verbandstarifvertrag seines Verbandes nämlich keinerlei Vorteile mehr. Ein – vom Verband sicherlich nicht gewollter – Austritt des Arbeitgebers läge dann umso näher. Zutreffend weist Valentin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Ausschluss einzelner Mitglieder von der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages sogar gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht des Arbeitgeberverbandes gegenüber seinen Mitgliedern verstieße.46 Angesichts dieser Umstände kann eine interessengerechte Auslegung nicht zu einem Ausschluss der verbandstarifvertraglichen Friedenspflicht zu Lasten einzelner Mitgliedsarbeitgeber führen. Auch die vom LAG Köln vorgebrachte Erwägung, durch eine solche Auslegung liefe das Streikrecht der Arbeitnehmer nahezu leer, da sowohl während der Laufzeit des Firmentarifvertrages als auch während der sich hieran anschließenden Laufzeit des Verbandstarifvertrages ein Arbeitskampf unzulässig sei, vermag ein gegenteiliges Auslegungsergebnis nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn es im Einzelfall zu einer solchen „Kettenwirkung“ der Friedenspflicht kommen sollte, was keineswegs zwangsläufig ist, wäre dies im Hinblick auf das Streikrecht unbedenklich. Ebenso wenig wie die Arbeitnehmer nicht streiken dürfen, darf in einem solchen Fall nämlich auch der einzelne Arbeitgeber nicht aussperren. Zudem ist es den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber nicht verwehrt, gegenüber ihren Verbänden auf eine ausdrückliche Freistellung von der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zu dringen.

III. Ergebnis Der mehrfache freiwillige Abschluss von Firmentarifverträgen bei bestehender Bindung an einen Verbandstarifvertrag führt also weder zu einem Verzicht des einzelnen Arbeitgebers auf die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages noch kann 45 46

Ebenso – allerdings mit anderer Begründung – auch Waas, Friedenspflicht, S. 140 ff. Valentin, Friedenspflicht, S. 89.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

der die Friedenspflicht enthaltende schuldrechtliche Teil des Verbandstarifvertrages interessengerechterweise dahin ausgelegt werden, dass die Friedenspflicht einen Firmenarbeitskampf beim betreffenden Arbeitgeber nicht erfasst.

D. Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Schlichtungsabrede Eine Erweiterung der Friedenspflicht kann durch die Vereinbarung einer Schlichtungsabrede in einem Verbandstarifvertrag eintreten.47 Diese im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages verankerte Abrede verpflichtet die Tarifvertragsparteien, nach Ablauf der Geltungsdauer des Tarifvertrages und Scheitern der Tarifverhandlungen ein Schlichtungsverfahren zu durchlaufen, in dem unter Zuhilfenahme neutraler Schlichter nochmals versucht wird, eine Einigung zwischen ihnen herbeizuführen.48 Erst nach Scheitern auch dieses Schlichtungsverfahrens ist dann ein Arbeitskampf zulässig. Die genaue Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens obliegt den Tarifvertragsparteien und kann unterschiedlich ausfallen. Es ist zudem der Vereinbarungsautonomie der Tarifvertragesparteien überlassen, ob sich die Schlichtungsabrede nur auf den Inhalt des Verbandstarifvertrages oder auch auf andere Regelungsgegenstände erstreckt. Im ersteren Fall kommt der Schlichtungsabrede der Charakter einer relativen, im letzteren Fall der einer absoluten Friedenspflicht für die Dauer der Schlichtung zu. Gebunden an die aus der Schlichtungsvereinbarung folgende Friedenspflicht sind zunächst nur die Parteien des Verbandstarifvertrages. Es fragt sich daher, ob die Vereinbarung einer tariflichen Schlichtungsabrede auch die potentiellen Parteien eines Firmentarifvertrages bindet und damit Auswirkungen auf den Arbeitskampf um einen solchen hat. Dafür spricht die Überlegung, dass die Tarifvertragsparteien mit der Schlichtungsabrede eine generelle Erweiterung der Friedenspflicht in zeitlicher Hinsicht zu erreichen suchen. Da die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag – in Bezug auf die Gewerkschaft unmittelbar, in Bezug auf den einzelnen Arbeitgeber über seine mitgliedschaftliche Treuepflicht mittelbar – verbietet49, ist Gleiches auch für den Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag für die Dauer der Schlichtung anzunehmen. Ein verbandstarifvertraglich vereinbartes Schlichtungsverfahren unterbindet 47 Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 697; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1307; Matthes, FS Schaub, S. 477, 480; Valentin, Friedenspflicht, S. 126 ff. 48 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1307; Matthes, FS Schaub, S. 477, 480; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 737 ff.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 481 ff. Einschränkend MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 285 Rn. 87; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 218, die davon ausgehen, dass eine zeitliche Verlängerung der Friedenspflicht nur dann vorliegt, wenn dies ausdrücklich in der Schiedsvereinbarung geregelt ist. 49 § 6 A und. B III.

F. Friedenspflicht auch ohne Tarifbindung?

251

somit bis zum erfolglosen Durchlaufen des Schlichtungsverfahrens seitens der Verbände auch die Durchführung eines Firmenarbeitskampfes.50

E. Friedenspflicht bei nachwirkendem Tarifvertrag? Dem Firmentarifvertrag nicht im Wege steht die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages aber dann, wenn dieser wirksam gekündigt oder seine Geltungsdauer abgelaufen ist. Der Tarifvertrag befindet sich dann nämlich gem. § 4 Abs. 5 TVG nur noch im Nachwirkungsstadium. Die Nachwirkung eines Tarifvertrages erfasst nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG nur dessen Rechtsnormen. Die im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages geregelte Friedenspflicht ist aber keine Rechtsnorm des Tarifvertrages, da nur der normative Teil des Tarifvertrages Rechtsnormen enthält. Hierfür sprechen auch der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG: Wenn die von der Nachwirkung erfassten Rechtsnormen gem. § 4 Abs. 5 TVG nur solange Geltung beanspruchen, wie sie durch keine andere Abmachung ersetzt werden, dann macht dies nur Sinn, wenn eine Ablösung auch und gerade durch einen neuen Tarifvertrag möglich ist. Dies setzt aber voraus, dass auch Arbeitskämpfe zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages geführt werden können. Ein nachwirkender Tarifvertrag entfaltet daher keine Friedenspflicht mehr und steht dem Firmenarbeitskampf nicht im Wege.51 Möglich ist aber, die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages in zeitlicher Hinsicht so zu verlängern, dass sie auch für den Zeitraum der Nachwirkung gilt.52 Allerdings darf die Vereinbarung einer zeitlich unbegrenzten Friedenspflicht nicht dazu führen, dass Arbeitskämpfe für alle Zeiten ausgeschlossen sind. Dies wäre mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren.53

F. Friedenspflicht auch ohne Tarifbindung? Zu fragen ist weiter, ob es Konstellationen gibt, in denen die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages dem Firmenarbeitskampf auch dann im Wege stehen kann, wenn keine unmittelbare Tarifbindung kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit besteht. So auch Matthes, FS Schaub, S. 477, 480. So auch Bauer, FS Schaub, S. 19, 27; Feger AiB 1995, 490, 495; Herschel, ZfA 1976, 89, 104; Hess, Zulässigkeit, S. 117 f.; Jacobs, ZTR 2001, 149, 254; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 305; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170. 2 Rn. 48; Schleusener, BB 1999, 684, 684; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 366; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341. 52 BAG vom 14. 11. 1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 467. 53 Zum Ganzen Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 52 ff. mit weiteren Nachweisen. 50 51

252

§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

I. OT-Mitgliedschaft54 Zu überlegen ist zunächst, ob eine OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ausreicht, um den die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teil des von diesem Arbeitgeberverband abgeschlossenen Verbandstarifvertrages auch für den betreffenden Arbeitgeber zur Anwendung zu bringen. Die OT-Mitgliedschaft ist dadurch charakterisiert, dass der Arbeitgeber zwar Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist, seine Bindung an die vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge aber verbandsrechtlich ausgeschlossen ist. Die Fragen, ob eine solche Einschränkung der Tarifbindung überhaupt zulässig und wie hiermit tarifrechtlich umzugehen ist, werden kontrovers beurteilt. Dies braucht im Folgenden jedoch nicht vertieft werden.55 Geht man mit der h. M. von der Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft aus, so ergibt sich folgendes Bild: Wenn – vereinfacht ausgedrückt – Rechtsfolge einer OT-Mitgliedschaft die Nichtanwendung der Verbandstarifverträge auf das OT-Mitglied ist, dann hat dies zwingend zu Folge, dass auch die schuldrechtliche Friedenspflicht dieses Tarifvertrages für das OT-Mitglied keine Wirkung entfaltet. Der Arbeitskampf um den Abschluss eines Firmentarifvertrages ist daher trotz eines bestehenden Verbandstarifvertrages mit einem OT-Mitglied stets möglich.56 Ein solcher Arbeitgeber ist arbeitskampfrechtlich wie ein nicht organisierter Außenseiter zu behandeln. Wechselt ein Vollmitglied während der Laufzeit des Verbandstarifvertrages in die OT-Mitgliedschaft über, so ist nach richtiger Ansicht § 3 Abs. 3 TVG analog anzuwenden.57 Dies bedeutet – wie noch zu zeigen ist58 –, OT steht für „Ohne Tarifbindung“. In diesem Zusammenhang ist zunächst streitig, ob eine solche Aufspaltung der Mitgliedschaft innerhalb eines Verbandes überhaupt zulässig ist. Zum anderen wird diskutiert, wie sich die OT-Mitgliedschaft auf die Tarifbindung des Verbandes und seiner Mitglieder unter den Vorgaben des § 3 Abs. 1 TVG auswirkt. Vertreten wird hier zum einen die Ansicht, dass der Ausschluss der Tarifbindung für OT-Mitglieder nur mittels entsprechender Einschränkung des persönlichen Geltungsbereiches des Verbandstarifvertrages erreicht werden könne, da § 3 Abs. 1 TVG alle Mitglieder des Verbandes unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Mitgliedschaftsverhältnisses erfasse. Andere billigen dem Verband die Möglichkeit zu, seine Tarifzuständigkeit in persönlicher Hinsicht auf die T-Mitglieder zu beschränken. Abgelehnt wird, dass der Verband seine Tarifwilligkeit auf T-Mitglieder beschränken kann. Insgesamt ist hier noch vieles ungeklärt. Eine Hauptsacheentscheidung des BAG zu diesen Fragestellungen steht noch aus (zum ganzen siehe Ostrop, Mitgliedschaft, S. 1 ff.; Wieland, Firmentarifverträge, S. 121 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). 56 So auch Buchner, NZA 1994, 2, 8; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 288. 57 Siehe nur Berg, AuR 2001, 393, 395 f.; Ostrop, Mitgliedschaft, S. 129 f.; Reuter, RdA 1996, 201 f.; Wieland, Firmentarifverträge, S. 131 mit weiteren Nachweisen. Gleiches gilt im übrigen, wenn der Arbeitgeberverband keine verschiedenen Mitgliedschaften einführt, sondern einen weiteren Verband gründet, der nicht tarifwillig ist, bzw. wenn der ursprüngliche Verband seine Tarifwilligkeit aufgibt. Sobald der Arbeitgeber in diesen neuen tarifunwilligen Verband übertritt bzw. der alte Verband seine Tarifwilligkeit aufgibt, ist § 3 Abs. 3 TVG mit den oben beschriebenen Konsequenzen analog anzuwenden. A. A. für den Fall der Aufgabe der Tarifwilligkeit Ostrop, Mitgliedschaft, S. 80 ff., der diese Konstellation mit einer Ver54 55

F. Friedenspflicht auch ohne Tarifbindung?

253

dass Arbeitskämpfe zum Zwecke des Abschlusses eines Firmentarifvertrages sofort nach Übertritt möglich sind. Die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht gilt ab dem Statuswechsel nicht mehr. Die OT-Mitgliedschaft schließt daher eine Bindung des Mitgliedsarbeitgebers an die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages aus.

II. Einzelvertragliche Inbezugnahme des Verbandstarifvertrages? Fraglich ist weiter, ob die unternehmensweite einzelvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages auch zur Geltung der Friedenspflicht aus dem in Bezug genommenen Tarifvertrag führt. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die Inbezugnahme eines Tarifvertrages zu einer Tarifbindung i. S. d. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG führte. Eine solche normative Wirkung der einzelvertraglichen Inbezugnahme lehnt die h. M. aber ab.59 Vielmehr kommt der einzelvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrages allein schuldrechtliche Wirkung zu. Es kommt daher für die Frage, ob die einzelvertragliche Inbezugnahme sich auch auf die tarifliche Friedenspflicht erstreckt, maßgeblich auf die Auslegung der Bezugnahmeklausel an. Diese erstreckt sich meist aber nur auf den normativen Teil des Tarifvertrages. Arbeitnehmer werden sich nämlich regelmäßig durch die rein schuldrechtlich wirkende Inbezugnahme des Tarifvertrages nicht ihrer Möglichkeit berauben wollen, ggf. mit Arbeitskampfmitteln einen günstigeren Tarifvertrag durchzusetzen. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel ergibt daher, dass die Arbeitsvertragsparteien sich nicht an die firmentarifliche Friedenspflicht binden wollen. Selbst eine ausdrückliche Einbeziehung der tarifvertraglichen Friedenspflicht in das Arbeitsverhältnis dürfte wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unwirksam sein. Dem einzelnen nicht oder andersorganisierten Arbeitnehmer darf einzelvertraglich nicht das Recht genommen werden, zum Zwecke des Abschlusses eines Tarifvertrages Arbeitskämpfe zu führen. Eine solche Einschränkung des Rechtes, Arbeitskämpfe zu führen, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Tarifvertrag kraft Tarifbindung gem. § 3 Abs. 1 TVG normativ und zwingend gilt.

bandsauflösung vergleicht, auf die § 3 Abs. 3 TVG nicht analog angewendet werden könne. Vgl. zur Auflösung des Arbeitgeberverbandes auch § 6 H. III. 58 § 6 H. 59 Siehe nur BAG vom 7. 12. 1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 733 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 269 Rn. 9; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 218 ff.; Reichel, Bezugnahme, S. 10 ff. Anders die h. M. während der Geltung der TVVO wegen des insoweit zweideutigen § 1 Abs. 2 TVVO. Siehe zum damaligen Streitstand Herschel, DB 1969, 659 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 213 ff.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

III. Allgemeinverbindlichkeit des Verbandstarifvertrages? Letztlich könnte eine Geltung der Friedenspflicht trotz fehlender Tarifbindung noch dadurch eintreten, dass ein Tarifvertrag gem. § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dies setzt aber voraus, dass sich die Allgemeinverbindlichkeit nicht nur auf den normativen, sondern auch auf den die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages erstreckt. Das wird zu Recht allgemein abgelehnt.60 Schon mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 TVG, der ausdrücklich nur von Rechtsnormen des Tarifvertrages spricht, wäre eine Einbeziehung auch des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages nicht zu vereinbaren. Zudem würde ein anderes Auslegungsergebnis auch dem Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlichkeitserklärung widersprechen. Diese soll nämlich nicht den Abschluss weiterer Tarifverträge verhindern – was aber Konsequenz einer Geltung der Friedenspflicht wäre –, sondern allein tariflich nicht Gebundene in die Tarifgemeinschaft einbeziehen. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung soll ihnen nicht die Möglichkeit nehmen, eigene Tarifverträge nötigenfalls unter Zuhilfenahme von Arbeitskampfmitteln abzuschließen.61 Auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages führt also nicht zu einer Geltung der Friedenspflicht und steht damit auch dem Firmenarbeitskampf nicht im Wege.

IV. Ergebnis Es hat sich gezeigt, dass eine Geltung der Friedenspflicht außerhalb der beiderseitigen Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG ausscheidet. Weder eine OT-Mitgliedschaft des einzelnen Arbeitgebers im Arbeitgeberverband noch die einzelvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages noch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung führen zu einer Bindung an die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages und damit zur Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes. Soweit keine beiderseitige Tarifbindung vorliegt, kann die Friedenspflicht eines anderen Tarifvertrages dem Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag also nicht im Wege stehen.

60 Siehe nur ArbG Göttingen vom 29. 12. 1953, AP Nr. 2 zu § 5 TVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1249; D. Gaul, RdA 1966, 172, 177; Hessel, BB 1955, 1028, 1030; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 5 Rn. 38; Wank in: Wiedemann, TVG, § 5 Rn. 157 ff. mit weiteren Nachweisen. 61 D. Gaul, RdA 1966, 172, 177; Hessel, BB 1955, 1028, 1030.

G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel

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G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel I. Einführung Müssen die (potentiellen) Tarifvertragsparteien eines Firmentarifvertrages – wie bereits gezeigt62 – die Friedenspflicht aus anderen für sie geltenden Tarifverträgen für gewöhnlich beachten, so stellt sich die Frage, ob das Tarifrecht ihnen die Möglichkeit eröffnet, sich mittels der Vereinbarung einer tariflichen Öffnungsklausel von dieser Bindung zu befreien. Unter dem Begriff der tariflichen Öffnungsklausel werden eine große Anzahl verschiedener Vereinbarungen zusammengefasst.63 Gemeinsam ist allen tariflichen Öffnungsklauseln, dass sie Abweichungen vom Regelungsgehalt des betreffenden Tarifvertrages zulassen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf solche tariflichen Öffnungsklauseln, die Abweichungen von den Regelungen eines Verbandstarifvertrages durch Vereinbarung eines Firmentarifvertrages ermöglichen. Ausgangspunkt ist dabei, dass die Möglichkeit, freiwillig neben einem bestehenden Verbandstarifvertrag diesen ergänzende oder ersetzende Firmentarifverträge abzuschließen, wegen des anzuwendenden Spezialitätsgrundsatzes auch ohne eine entsprechende Öffnungsklausel im Verbandstarifvertrag besteht. Rechtliche Relevanz besitzt eine Öffnungsklausel zugunsten firmentariflicher Regelung allein im Hinblick darauf, ob der einzelne Arbeitgeber oder die Gewerkschaft den Abschluss eines Firmentarifvertrages trotz bestehenden Verbandstarifvertrages auch mit Arbeitskampfmitteln erzwingen darf, weil mit der Vereinbarung einer Öffnungsklausel auch ein (partieller) Ausschluss der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages bewirkt werden kann. Zu differenzieren ist deswegen stets danach, ob eine Öffnungsklausel zugunsten firmentarifvertraglicher Regelungen nur deklaratorisch die ohnehin geltende Rechtslage – Zulässigkeit freiwillig vereinbarter Firmentarifverträge – widerspiegelt und daher die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages unberührt lässt, oder ob mit ihr auch die Möglichkeit der kampfweisen Durchsetzung einer firmentariflichen Regelung eröffnet werden soll und sie damit auch einen partiellen Ausschluss der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zu erreichen versucht. Fehlen hierzu eindeutige Aussagen im Tarifvertrag, so ist die Öffnungsklausel für gewöhnlich im letzteren Sinne auszulegen. Die Tarifvertragsparteien wollen mit ihren Vereinbarungen regelmäßig Rechtswirkungen erzielen; eine rein deklaratorische Wiederholung der ohnehin bestehenden Rechtslage ist im Zweifelsfall nicht gewollt.64 § 6 B. Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 810 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 271 Rn. 1 ff.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 259 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 64 So auch Buchner, DB 1970, 2074; Richardi, JurAn 1971, 141, 163. In diese Richtung auch von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 468 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 228, 231; Stein, RdA 2000, 129, 139. 62 63

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

II. Zulässigkeit tariflicher Öffnungsklauseln Ob Öffnungsklauseln der bezeichneten Art rechtlich zulässig sind, hängt maßgeblich davon ab, ob es den Tarifvertragsparteien nach geltendem Recht erlaubt ist, die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages partiell oder auch gänzlich auszuschließen.65 Die bislang wohl vorherrschende Auffassung lehnt dies unter Hinweis auf die zwingende und daher der Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien weitgehend entzogene Wirkung der Friedenspflicht ab.66 Die Gegenansicht ist demgegenüber der Auffassung, dass auch die Friedenspflicht als Bestandteil des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages der vollen Vereinbarungsautonomie der Tarifvertragsparteien unterliege.67 Schließlich gehen Einige vermittelnd davon aus, dass zwar eine Einschränkung der Friedenspflicht zulässig sei, ein vollständiger Ausschluss von den Tarifvertragsparteien aber nicht vereinbart werden könne.68 Das BAG hat bislang weder zur Zulässigkeit von Öffnungsklauseln der hier behandelten Art noch zur Abdingbarkeit der Friedenspflicht im allgemeinen Stellung bezogen. In seiner Entscheidung vom 29. Januar 1975 hat es die Frage der Abdingbarkeit der Friedenspflicht vielmehr ausdrücklich offen gelassen.69

1. Argumente der herrschenden Lehre Die h. L. und die genannte vermittelnde Ansicht verfolgen zur Begründung ihrer, die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien einschränkenden Auffassung im Wesentlichen zwei Argumentationslinien. So auch Knevels, Der Arbeitgeber 1961, 278, 279. Boldt, RdA 1971, 257, 266 f.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 219 f.; Dill, Friedenspflicht, S. 50 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074 f.; D. Gaul, RdA 1966, 172, 174; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 1 Rn. 107; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 309 Fn. 14; Knevels, Der Arbeitgeber 1961, 278, 280; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 277 Rn. 14; dies. in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 357; Lohse, DB 1996, 1722, 1724; Mayer-Maly, DB 1965, 32, 33; Richardi, JurAn 1971, 141, 164 ff.; ders., AR-Blattei D, Tarifvertrag XIII, Firmentarifvertrag E. II. 2. b) (Lieferung 15. 1. 1973); Sitzler, FS E. Molitor, S. 283, 289, Stahlhacke, FS K. Molitor, S. 351, 353; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 37 f.; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 683 f. 67 Bringmann, Friedenspflicht, S. 8 Fn. 1; Buchner, DB 1970, 2074; Gaumann / Schafft, NZA 1998, 176, 187; Hess, Zulässigkeit, S. 93 ff.; Hoffmann, GMH 1970, 714 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 468 f.; A. Hueck, Tarifvertrag, S. 155 f.; Karth, Durchführungspflicht, S. 21 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 228; Matthes, FS Schaub, S. 477, 480; Reuß, AuR 1975, 1, 7; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210; Stein, RdA 2000, 129, 139; Strasser, RdA 1965, 401 ff.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 39; WendelingSchröder, NZA 1998, 624, 629. 68 Im Einzelnen differenzierend Deeken, Zusatztarifverträge, S. 91 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1077; Kriebel, Zentralisation, S. 137 f.; Valentin, Friedenspflicht, S. 82 ff. 69 BAG vom 29. 1. 1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung Bl. 86. 65 66

G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel

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Zum einen wird behauptet, die Friedenspflicht sei jedem Tarifvertrag immanent und schon deswegen der Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien entzogen.70 Die Tarifvertragsparteien könnten zwar über den Inhalt, nicht aber über das „Wesen“ des Tarifvertrages, zu dem auch die Friedenspflicht gehöre, disponieren.71 Dieser Argumentation scheint auch das BAG zuzuneigen. Im ersten Leitsatz seiner Entscheidung vom 21. Dezember 198272 heißt es nämlich: „Die mit dem Tarifvertrag seinem Wesen nach ohne weiteres verbundene Friedenspflicht dient dem Schutz des Tarifvertrags als einer Friedensordnung für den durch ihn gegenständlich erfassten und geregelten Bereich des Arbeitslebens.“ Zum anderen stellt die h. L. darauf ab, dass eine Einschränkung der relativen Friedenspflicht gegen zivilrechtliche Grundsätze verstoße. Der Ausschluss der Friedenspflicht führe zu einem Verstoß gegen den pacta-sunt-servanda-Grundsatz, also die allgemeine Vertragserfüllungspflicht,73 die besage, dass vertragliche Vereinbarungen während der Laufzeit des Vertrages eingehalten werden müssen.74 Durch den Ausschluss oder die Einschränkung der Friedenspflicht werde dem Tarifvertrag aber gerade sein verbindliches Element genommen, so dass der Tarifinhalt wegen der Möglichkeit des Arbeitskampfes stets zur Disposition stehe und damit de facto nicht mehr eingehalten werden müsse.75 Die hierdurch eintretende Unverbindlichkeit des Tarifvertrages führe zudem dazu, dass diesem mangels Verbindlichkeit der rechtsgeschäftliche Tatbestand eines Vertrages fehle.76 70 Deeken, Zusatztarifverträge, S. 91; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 179; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, TVG, 4. Aufl. § 1 Rn 107; Knevels, Der Arbeitgeber 1961, 278, 280; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 357; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 206; Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f. 71 Deeken, Zusatztarifverträge, S. 91; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 179; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, TVG, 4. Aufl. § 1 Rn 107; Knevels, Der Arbeitgeber 1961, 278, 280; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 357; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 206; Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f. 72 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 73 Boldt, RdA 1971, 257, 266 f.; Dill, Friedenspflicht, S. 45; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 1 Rn. 107; Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 309 Fn. 14; Richardi, JurAn 1971, 141, 164 f.; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 2; Stahlhacke, FS K. Molitor, S. 351, 353; Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 37 f.; Zöllner, ZfA 1973, 227, 353. 74 Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f. 75 Boldt, RdA 1971, 257, 266 f.; Dill, Friedenspflicht, S. 45; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 1 Rn. 107; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 309 Fn. 14; Richardi, JurAn 1971, 141, 164 f.; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 2; Stahlhacke, FS K. Molitor, S. 351, 353; Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 37 f. Zöllner spricht sogar von der Degradierung des Tarifvertrages zum gentlemans Agreement, ZfA 1973, 237. 76 Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 52; Valentin, Friedenspflicht, S. 58 f.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

2. Argumente der Gegenansicht Die Gegenansicht stellt maßgeblich auf die auch für den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages geltende Tarifautonomie ab.77 Diese erlaube es den Tarifvertragsparteien, tarifliche Regelungen auch über Inhalt und Grenzen der Friedenspflicht zu treffen.78 Die von der h. L. angeführten Erwägungen könnten die Einschränkung der Tarifautonomie nicht rechtfertigen.79 Soweit die h. L. auf das „Wesen“ des Tarifvertrages abstelle, arbeite sie mit nicht belegbaren Leerformeln.80 Wenn überhaupt Aussagen über das „Wesen“ des Tarifvertrages ermittelt werden könnten, dann ergäben diese sich aus § 1 TVG.81 § 1 TVG enthalte aber bezüglich der Friedenspflicht keinerlei Aussagen.82 Maßgeblich sei ohnehin nicht das „Wesen“, sondern der normative Zweck des Tarifvertrages.83 Zweck des Tarifvertrages sei der Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. Dieser Zweck werde aber weder durch die Vereinbarung einer Öffnungsklausel noch durch Ausschluss oder Einschränkung der Friedenspflicht tangiert.84 Gegen die Behauptung, die Friedenspflicht gehöre zum „Wesen“ eines jeden Tarifvertrages, spreche ferner ein Blick in die Rechtsordnungen anderer europäischer Staaten.85 So gelte in Frankreich eine Friedenspflicht nur, wenn diese zwischen den Tarifvertragsparteien ausdrücklich vereinbart werde.86 Noch weitergehend seien die Regelungen in Großbritannien. Dort fehle dem Tarifvertrag, falls nichts ausdrücklich Anderes vereinbart werde, schon jegliche rechtliche Verbindlichkeit.87 Auch die europäische Sozialcharta gehe nicht davon aus, dass die Friedenspflicht so eng mit dem „Wesen“ des Tarifvertrages verbunden sei, dass ein Tarifvertrag ohne Friedenspflicht nicht möglich wäre. Art. 6 Ziff. 4 der ESC garantiere das Streikrecht nämlich nur „vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen“. Aus dieser Formulierung werde deutlich, dass es auch

77 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 533; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 468 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 228 ff.; Reuß, AuR 1975, 1, 7. 78 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 533; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 468 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 228 ff.; Reuß, AuR 1975, 1, 7. 79 Gaumann / Schafft, NZA 1998, 176, 187; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 231; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210. 80 Däubler, Grundrecht, S. 439 f.; Schuman in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210. 81 Buchner, DB 1970, 2074. 82 Buchner, DB 1970, 2074. 83 Buchner, DB 1970, 2074. 84 Buchner, DB 1970, 2074; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 468 f. 85 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528; Strasser, RdA 1965, 401, 403; Valentin, Friedenspflicht, S. 7. 86 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528; Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 172 ff. 87 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528; Colneric, Industrial Relations Act, S. 29 f.

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Gesamtvereinbarungen geben könne, die eine solche Verpflichtung, also eine Friedenspflicht, nicht enthalten.88 Für die Einschränkbarkeit der Friedenspflicht und damit die Zulässigkeit einer Öffnungsklausel spreche letztlich auch, dass nach § 3 Abs. 3 TVG der Tarifvertrag ohne Friedenspflicht fortgelte, so dass auch diese Vorschrift die These widerlege, ein Tarifvertrag könne niemals ohne Friedenspflicht existieren.89 In dem Ausschluss der Friedenspflicht liege auch kein Verstoß gegen den pactasunt-servanda-Grundsatz. Die normativen Regelungen des Tarifvertrages blieben auch ohne Friedenspflicht bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages oder Auslaufen des alten verbindlich. Die Zulässigkeit des Arbeitskampfes führe nämlich nicht zu einer Unverbindlichkeit der Regelungen des Tarifvertrages, sondern gebe den Tarifvertragsparteien lediglich ein (weiteres) Druckmittel in die Hand, um diese Regelungen abzuändern.90 Für die Zulässigkeit der Öffnungsklausel spreche letztlich auch die Erwägung, dass es den Tarifvertragsparteien nach h. L. erlaubt sei, den persönlichen, räumlichen und sachlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach freien Ermessen festzulegen. Wenn aber schon bestimmte Personengruppen oder Sachgebiete gänzlich von den Regelungen des Tarifvertrages ausgenommen werden dürften, dann müsse dies erst Recht auch für den (partiellen) Ausschluss von der Friedenspflicht gelten.91 3. Stellungnahme Gegen die h. L. spricht in der Tat die aus Art. 9 Abs. 3 GG fließende Tarifautonomie. Nicht die Möglichkeit, Vereinbarungen über die Friedenspflicht zu treffen, sondern im Gegenteil die Entziehung dieser Möglichkeit bedarf wegen der hiermit verbundenen Einschränkung der Tarifautonomie der Rechtfertigung.92 Eine solche könnte sich ergeben, wenn man mit der h. L. annehmen wollte, dass der (partielle) Ausschluss der Friedenspflicht durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel gegen das „Wesen“ des Tarifvertrages verstoße (a) oder mit zivilrechtlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren wäre (b). Beides ist im Ergebnis jedoch nicht anzunehmen. a) Verstoß gegen das „Wesen“ des Tarifvertrages Ausgangspunkt der Argumentation, dass die Friedenspflicht dem „Wesen“ des Tarifvertrages immanent und daher unabdingbar sei, ist die These, dass der TarifDäubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528. 90 Däubler, Tarifvertragrecht, Rn. 528; ders., Grundrecht, S. 439 f.; Strasser, RdA 1965, 401, 404 f. 91 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1077. 92 So richtig Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210. 88 89

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

vertrag vor allem oder doch zumindest auch ein Friedensvertrag sei.93 Von jedem Tarifvertrag gehe deswegen wesensnotwendig eine Friedensfunktion bzw. Friedensmission aus, deren Einritt und Erfüllung die Tarifvertragsparteien nicht durch entgegenstehende Vereinbarungen, insbesondere den Ausschluss der Friedenspflicht, vereiteln dürften.94 Allein aus der Friedensfunktion des Tarifvertrages kann man aber keine Rückschlüsse auf die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht ziehen. Es ist in diesem Zusammenhang schon zweifelhaft, ob die Friedensfunktion des Tarifvertrages in rechtlicher Hinsicht überhaupt Relevanz besitzt. Die Friedensfunktion könnte ebenso – wie auch die Ordnungsfunktion des Tarifvertrages – lediglich tatsächlicher Reflex der Regelungstätigkeit der Koalitionen sein. In diesem Zusammenhang spricht gegen eine wesensbedingte Unabdingbarkeit der Friedenspflicht der zu Recht vorgebrachte Einwand, dass andere europäische Länder, die wirtschaftlich und gesellschaftlich mit Deutschland durchaus vergleichbar sind, Tarifsysteme haben, deren Tarifverträge ohne Friedenspflicht auskommen.95 Insofern kann man nicht ohne weiteres von der Friedensfunktion des Tarifvertrages auf die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht schließen. Eine Unabdingbarkeit der Friedenspflicht könnte sich aber möglicherweise aus dem Gesetz ergeben. In Betracht kommt hier allein § 1 Abs. 1 TVG, der als einzige Norm des deutschen Rechts Aussagen über die möglichen Inhalte eines Tarifvertrages enthält und damit zugleich auch Aussagen über eine mögliche unabdingbare Friedensfunktion des Tarifvertrages enthalten könnte. § 1 Abs. 1 TVG lässt aber keine solchen Rückschlüsse zu. Bezüglich des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages hebt § 1 Abs. 1 TVG nur hervor, dass dieser Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regeln kann. Aussagen darüber, ob der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages auch eine Friedenspflicht enthalten muss, lassen sich § 1 Abs. 1 TVG nicht entnehmen. Man könnte im Gegenteil aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 1 TVG nur Aussagen darüber enthält, was die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag alles regeln können, darauf schließen, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien gerade keine tariflichen Mindestinhalte vorgeben wollte. Keine Aussagen lassen sich in diesem Zusammenhang auch der Norm des § 3 Abs. 3 TVG entnehmen. Diese Vorschrift regelt lediglich die Sondersituation des Verbandsaustritts einzelner Arbeitgeber, ohne Aussagen über die notwendigen Inhalte des Tarifvertrages zu enthalten. 93 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1074 f.; Schöllkopf, Friedenspflicht, S. 3; Valentin, Friedenspflicht, S. 6; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 665. Dem Wesensargument als solchem kommt dabei keine eigenständige Begründungsfunktion zu. Siehe zum Wesensargument kritisch auch Scheuerle, AcP 163 (1964), 429 ff. 94 Siehe nur die Argumentation bei MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 271 Rn. 14; Richardi, JurAn 1971, 141, 164 f., Valentin, Friedenspflicht, S. 59. Mayer-Maly (DB 1965, 32, 33) spricht in diesem Zusammenhang sogar von Denaturierung. 95 So Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 528; Strasser, RdA 1965, 401, 403; Valentin, Friedenspflicht, S. 7.

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Allerdings lassen sich der Entstehungsgeschichte des TVG Anhaltspunkte zur (Un)Abdingbarkeit der Friedenspflicht entnehmen. So sah nämlich zunächst sowohl der Stuttgarter Entwurf zum TVG des Unterausschusses Arbeitsrecht des Länderrates in der amerikanischen Zone vom 14. März 1947 in § 696 als auch der gemeinsame Entwurf des Länderrates der amerikanischen und des Zentralamtes für Arbeit der britischen Zone vom 15. April 1948 in § 297 eine zwingende und unabdingbare Friedenspflicht während der Geltungsdauer des Tarifvertrages vor. Aufgrund des Protestes des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Entwürfe der SPD vom 10. September 194898 und des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 7. September 194899 wurde diese in den Entwürfen vorgesehene Regelung einer zwingenden Friedenspflicht aber nicht in das TVG aufgenommen. Herschel, der als Abteilungsleiter des Zentralamtes für Arbeit der britischen Zone maßgeblich an den Gesetzesarbeiten beteiligt war, führt in einem Aufsatz im Zusammenhang mit dem Erlass des TVG 1949 zur Nichtaufnahme der zwingenden Friedenspflicht in das TVG aus: „Zum einen regelt der Tarifvertrag die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien, also das schuldrechtliche Verhältnis zwischen den Vertragsteilen. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit steht den Beteiligten hierbei eine freie Gestaltungsmöglichkeit zur Verfügung. Es liegt ausschließlich bei ihnen, ob und wie sie davon Gebrauch machen wollen. Mitunter wird hierzu nicht einmal eine ausdrückliche Regelung aller Punkte erforderlich sein. Denn relative Friedenspflicht und Durchführungspflicht gehören so sehr zum wesentlichen Inhalt eines jeden Tarifvertrages, dass ihre rechtsgeschäftliche Vereinbarung auch dann angenommen werden muss, wenn sie im Vertragsbereich selbst keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die schuldrechtlichen Bestimmungen und ihre Verletzung gesetzlich näher zu regeln, weil er glaubte, sich gegenüber dem Wollen der Tarifvertragsparteien zurückhalten und deren Selbstverwaltung nicht in Fesseln schlagen zu sollen; es kam ihm darauf an, der eigenen Verantwortung der Beteiligten freie Bahn zu lassen und hierzu ist im geltenden Recht eine hinreichende Grundlage gegeben.“100 Viel spricht daher dafür, dass nach der Intention des historischen Gesetzgebers die Nichtregelung der Friedenspflicht die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien stärken sollte und die Friedenspflicht daher nach dessen Intention abdingbar sein sollte. Lässt sich deswegen weder der Friedensfunktion des Tarifvertrages an sich noch den geltenden Regelungen des TVG die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht entnehmen, so könnte sich diese allenfalls noch – wie vereinzelt angeführt wird – aus Gewohnheitsrecht ergeben.101 Derartige Argumentationsansätze dürften aber 96 Abgedruckt bei Nautz, Durchsetzung, S. 167 ff. Später in § 2 des Entwurfes geregelt (abgedruckt bei Herschel, ZfA 1973, 129, 138 ff.). 97 Abgedruckt bei Nautz, Durchsetzung, S. 195 ff. 98 Abgedruckt bei Herschel, ZfA 1973, 129, 149 ff. 99 Abgedruckt bei Herschel, ZfA 1973, 129, 144 ff. 100 Herschel, Arbeitsblatt 1949, 22. 101 So Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 310 Fn. 14 a.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

schon daran scheitern, dass es an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung von der Unabdingbarkeit der Friedenspflicht fehlt. Seit Anbeginn des Tarifrechts war nämlich umstritten, ob die Friedenspflicht der Vereinbarungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zugänglich oder ob diese unabdingbar ist.102 Dieser Streit hat sich unverändert auch nach Erlass des TVG fortgesetzt, so dass zu keinem Zeitpunkt eine allgemeine Rechtsüberzeugung vorgelegen hat.103 Auch eine gewohnheitsrechtlich verankerte Unabdingbarkeit der Friedenspflicht ist daher nicht anzunehmen. Eine „wesensbedingte“ Unabdingbarkeit der Friedenspflicht lässt sich dementsprechend nicht feststellen. Sie folgt weder aus der Friedensfunktion des Tarifvertrages, noch den Regelungen des TVG noch ist sie gewohnheitsrechtlich begründet. b) Verstoß gegen Grundprinzipien des Schuldrechts Eine Unabdingbarkeit der Friedenspflicht könnte sich aber noch aus zivilrechtlichen Grundsätzen ergeben.104 Wenngleich der Tarifvertrag kein gewöhnlicher schuldrechtlicher, sondern ein Normenvertrag ist105, so ist er dennoch ein Vertrag und muss sich daher den Grundprinzipien des Schuldrechts unterwerfen.106 Wäre die Abdingbarkeit oder auch die Beschränkung der Friedenspflicht mit Grundprinzipien des Schuldrechts nicht vereinbar, würde hieraus in der Tat deren Unabdingbarkeit folgen. Im Ergebnis ist dies aber nicht anzunehmen. Weder stellt der Ausschluss oder die Beschränkung der tariflichen Friedenspflicht einen Verstoß gegen den pacta-sunt-servanda-Grundsatz dar, noch verliert der Tarifvertrag hierdurch seine Verbindlichkeit für die Vertragsparteien und damit seinen Vertragscharakter. Der pacta sunt servanda-Grundsatz besagt nur, dass Verträge, so wie sie geschlossen sind, eingehalten und durchgeführt werden müssen.107 Ist aber eine Vertragspflicht, hier die Friedenspflicht, durch Einschränkung oder Ausschluss nicht 102 Siehe zum Streitstand vor Geltung des TVG: Für die Vereinbarungsfreiheit A. Hueck, Tarifvertrag, S. 150 ff.; Karth, Durchführungspflicht, S. 21 f.; Schall, Privatrecht, S. 80. So wohl auch RG vom 20. 10. 1910, RGZ 73, 92, 100. Für die Unabdingbarkeit Anthes, NzfA, 1930, 528, 541; Jacobi, Grundlehren, S. 204 Fn. 69; Kandeler, Streik, S. 99, 103. Zusammenfassend Kriebel, Zentralisation, S. 123 f.; Strasser, RdA 1965, 401, 402 mit weiteren Nachweisen. 103 Däubler, Tarifvertragesrecht, Rn. 531; Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn. 210. 104 Siehe die Nachweise in Fn. 84 insbesondere Valentin, Friedenspflicht, S. 8 ff. und Kriebel, Zentralisation, S. 131 ff. 105 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 510 f.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 238 Rn. 1 ff. 106 Siehe hierzu allgemein Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 487 ff. , 510 ff. 107 Belling / Hartmann, ZfA 1997, 87, 91; Belling / von Steinau-Steinbrück, SAE 1996, 253, 261; Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 161.

G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel

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Vertragsbestandteil geworden, kann sich hierauf auch der pacta-sunt-servandaGrundsatz nicht erstrecken, mithin auch kein Verstoß gegen diesen Grundsatz vorliegen. Hier gibt es nichts, was nicht eingehalten werden könnte. Auch in Bezug auf die anderen tariflichen Regelungen führt ein Ausschluss oder eine Einschränkung der Friedenspflicht durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel nicht zu einem Verstoß gegen den pacta-sunt-servanda-Grundsatz. Auch ohne eine entsprechende Friedenspflicht müssen die Regelungen des Tarifvertrages bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages nämlich eingehalten werden. Der Ausschluss oder die Beschränkung der Friedenspflicht eröffnet den Tarifvertragsparteien nur eine weitere Druckmöglichkeit, gegenüber dem Tarifpartner auf eine Abänderung des bestehenden Tarifvertrages zu drängen. Die rechtliche Verbindlichkeit des Tarifvertrages bleibt hiervon aber unberührt. Aus diesen Gründen führt der Ausschluss oder die Beschränkung der Friedenspflicht eines Tarifvertrages auch nicht dazu, dass ihm mangels Verbindlichkeit der Vertragscharakter genommen wird. Seine Regelungen bleiben – wie bereits ausgeführt – bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages mit verbindlicher Wirkung bestehen. Der Tarifvertrag ist auch ohne Friedenspflicht ein (verbindlicher) Vertrag. Der Ausschluss oder die Beschränkung der Friedenspflicht durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel verstößt somit nicht gegen allgemeine Grundprinzipien des Schuldrechts. c) Weitere Einwände gegen die Unabdingbarkeit aa) Weitergehende Einschränkung der Friedensfunktion bei Unabdingbarkeit der Friedenspflicht Unzutreffend ist zudem die der h. L. zugrundegelegte Annahme, dass die Friedensfunktion des Tarifvertrages durch die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht besser gewahrt bliebe als bei einer Abdingbarkeit der Friedenspflicht. Genau das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Ist die Friedenspflicht unabdingbar, bleibt den Tarifvertragsparteien nur die Möglichkeit – wenn sie für bestimmte Bereiche oder Mitgliedsgruppen eine ergänzende tarifvertragliche Regelung auch unter Zuhilfenahme von Arbeitskampfmitteln ermöglichen wollen – die Bindungswirkung des Tarifvertrages anderweitig zu modifizieren. Dies kann durch die Vereinbarung einer kurzen Laufzeit, erleichterte Kündigungsmöglichkeiten oder eine entsprechenden Einschränkung des sachlichen und / oder persönlichen Geltungsbereiches des Tarifvertrages erfolgen. Allen diesen von der h. L. vorgeschlagenen108 alternativen Regelungsmöglichkeiten ist aber gemein, dass sie im Ergebnis nicht nur 108 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1077; Kriebel, Zentralisation, S. 142; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 684; auch BAG vom 14. 2. 1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

die Friedenspflicht, sondern den gesamten Tarifinhalt für die betreffende Personengruppe in Frage stellen. Dies schränkt die Friedensfunktion des Tarifvertrages im Ergebnis aber stärker ein als ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Friedenspflicht durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel.

bb) Widersprüchlichkeiten in Bezug auf den lediglich nachwirkenden Tarifvertrag Letztlich steht die von der h. L. angeführte Argumentation auch im Widerspruch zu ihrer Auffassung in Bezug auf die Zulässigkeit eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages. Konsequenterweise müsste die h. L. einen derartigen Tarifvertrag für unzulässig halten. Die Vereinbarung eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrags ist nämlich nichts anderes, als die Vereinbarung eines friedenspflichtlosen und zudem noch im Hinblick auf die Bindungswirkung seines normativen Teils durch § 4 Abs. 5 TVG herabgesetzten Tarifvertrages. Erstaunlicherweise geht die h. L. aber – entgegen der einschlägigen Rechtsprechung des BAG109 – von der Zulässigkeit eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages aus.110 Die h. L. führt zur Begründung ihrer Auffassung an, dass es den Tarifvertragsparteien selbst überlassen bleiben müsse, ob und inwieweit sie einen in der Wirkungsweise lediglich eingeschränkten Tarifvertrag vereinbaren wollten.111 Einige Vertreter der h. L. betonen in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich, dass die Friedenspflicht insoweit hinter der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zurückzustehen habe.112 Es ist aber nicht einsichtig, warum den Tarifvertragsparteien im Rahmen der Vereinbarung einer Öffnungsklausel der Ausschluss oder auch nur die Be109 BAG vom 24. 2. 1973, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung. Sich hieran anschließend BAG vom 29. 1. 1975, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 7. 12. 1977, AP Nr. 9 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 5. 7. 1978, AP Nr. 7 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 31. 3. 1979, AP Nr. 14 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG vom 10. 5. 1979, AP Nr. 22 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 19. 3. 1980, AP Nr. 32 zu §§ 22, 23 BAT 1975. Dem BAG folgend Frölich, NZA 1992, 1105, 1109; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 4 Rn. 202; Kriebel, Zentralisation, S. 138 ff.; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 274 Rn. 23; dies., TVG § 4 Rn. 249; Valentin, Friedenspflicht, S. 129 ff. 110 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 879; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 364 ff.; ders., Anmerkung zu BAG, AP Nr. 6 zu § 4 TVG Nachwirkung; ders., Anmerkung zu BAG AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung. Konsequent aber MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 274 Rn. 23; dies., TVG, § 4 Rn. 249; Valentin, Friedenspflicht, S. 129 ff. Lediglich wer wie hier von der Abdingbarkeit der Friedenspflicht ausgeht, dürfte bei Ablehnung der Argumentation des BAG überhaupt zu einem anderen Ergebnis kommen. Konsequent daher Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1466; Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 298; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 364 ff. 111 Rotter, Nachwirkung, S. 100 ff.; Wiedemann, Anmerkung zu BAG, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 410. 112 So die Argumentation von Herschel, ZfA 1976, 89, 102 f.; Otto, ZfA 1976, 369, 376; Rotter, Nachwirkung, S. 100 ff.; Wiedemann, Anmerkung zu BAG, AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 410.

G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel

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schränkung der Friedenspflicht untersagt sein soll, während dies beim Abschluss eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages nach h. L. zulässig ist. Diese Widersprüchlichkeiten lassen sich auch nicht mit dem Argument entkräften, zumindest die Vereinbarung eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages während der Geltungsdauer eines weiteren nachwirkenden Tarifvertrages – diese Konstellation lag den Entscheidungen des BAG jeweils zugrunde – stelle von vornherein keine Einschränkung der Friedenspflicht und damit der Friedensfunktion des Tarifvertrages dar, weil der erste nachwirkende Tarifvertrag ohnehin keine Friedensfunktion mehr entfalte, die durch den folgenden lediglich nachwirkenden Tarifvertrag eingeschränkt werden könnte.113 Diese Argumentation ist schon deswegen nicht überzeugend, weil nicht nur der Abschluss eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages, sondern regelmäßig alle Tarifvertragsabschlüsse wegen der den Abschluss gerade bedingenden Beendigung des alten Tarifvertrages in eine Zeit fallen, in der keine Friedenspflicht (mehr) gilt. Wenn die Vereinbarung eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages aber aus Friedenspflichtgesichtspunkten deswegen zulässig ist, weil er in den Zeitraum der Geltung eines ebenfalls – friedenspflichtlosen – nachwirkenden Tarifvertrages fällt, dann muss dies erst Recht für die Vereinbarung eines Tarifvertrages mit Öffnungsklausel gelten, da auch die Vereinbarung eines Tarifvertrages mit einer solchen Klausel regelmäßig in eine Zeit fällt, in der ein Tarifvertrag nur noch nachwirkt oder gar kein Tarifvertrag mehr gilt. d) Zwischenergebnis Damit ist festzuhalten, dass der Ausschluss oder die Einschränkung der Friedenspflicht durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel entgegen der h. L. nicht im Widerspruch zum „Wesen“ des Tarifvertrages, zu tarifrechtlichen Vorgaben oder zu zivilrechtlichen Grundsätzen steht. Die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht würde die von der h. L. betonte Friedensfunktion des Tarifvertrages vielmehr stärker belasten, als es die Abdingbarkeit mit sich bringt. Zudem steht die Auffassung der h. L. auch im Widerspruch zu ihrer Argumentation im Zusammenhang mit der Zulässigkeit eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages.

e) Verletzung verbandsinterner Pflichten? Sprechen, wie gezeigt, keine grundlegenden Bedenken gegen die Vereinbarung einer die Friedenspflicht einschränkenden oder ausschließenden Öffnungsklausel, so könnten solche im Einzelfall aber dann bestehen, wenn die Vereinbarung einer derartigen Klausel gegen verbandsinterne Pflichten verstieße. Eine Verletzung verbandsinterner Pflichten kommt dabei in zweierlei Hinsicht in Betracht. Zum einen 113

So Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 366 f.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

könnte die Vereinbarung einer Öffnungsklausel eine Verletzung des verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bedeuten.114 Zum anderen könnte hierin eine Verletzung der Pflicht des Verbandes liegen, für seine Mitglieder eine kollektive Interessenwahrnehmung vorzunehmen und diese vor einer Inanspruchnahme durch die Gewerkschaft zu schützen.115 Beide Pflichtverletzungen scheiden jedoch im Regelfall aus. Zwar kann der sachlich ungerechtfertigte Ausschluss bestimmter Mitglieder oder Mitgliedsgruppen von der Friedenspflicht eines Tarifvertrages gegen den verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz116 oder auch die Pflicht des Verbandes, eine kollektive Wahrnehmung der Interessen aller seiner Mitglieder durchzuführen, verstoßen. Allerdings ist dies nur dann der Fall, wenn der Verband hierfür keine sachliche Rechtfertigung vorweisen kann, die Vereinbarung einer Öffnungsklausel also willkürlich ist.117 Dies ist für die Fälle der hier interessierenden Art aber regelmäßig nicht anzunehmen. Die Vereinbarung einer Öffnungsklausel wird entweder auf ein mit Arbeitskampfmitteln untermauertes Verlangen der Gewerkschaft118 oder auf die atypische Wirtschaftslage des Unternehmens zurückzuführen sein. Nicht selten dürfte der Wunsch zur Aufnahme einer Öffnungsklausel auch vom Mitgliedsarbeitgeber selbst ausgehen. Hinzu kommt, dass das einzelne Verbandsmitglied nach richtiger Auffassung ohnehin keinen Anspruch gegen seinen Verband auf die beste Interessenwahrnehmung hat. Das Mitglied – gleich ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer – kann seinen Verband nicht deswegen in Anspruch nehmen, weil er keinen aus der Sicht des Mitglieds günstigeren oder sonst sinnvolleren Tarifabschluss herbeigeführt hat. Richtiges Reaktionsmittel des einzelnen Mitglieds in dieser Situation ist allein der Verbandsaustritt.119 114 So Buchner, DB 1970, 2074 f.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469; Richardi, JurAn 1971, 141, 165; Valentin, Friedenspflicht, S. 88 f. 115 So von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469; Valentin, Friedenspflicht, S. 88 f. 116 Zum verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz siehe MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 251 Rn. 19. 117 Auf den Streitstand, ob dem verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz die gleichen Kriterien wie dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde zu legen sind, so die h. M. (siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 455; Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 628; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21, jeweils mit weiteren Nachweisen), oder ob dem Verband insoweit eine weitergehende Gleichbehandlungspflicht obliegt (so vor allem Buchner, DB 1970, 2025, 2029 ff.), kommt es hier in Ergebnis nicht an. 118 Auch die Aufnahme einer Öffnungsklausel in einen Verbandstarifvertrag ist mit Arbeitskampfmitteln erzwingbar. Wenn es den Tarifvertragsparteien schon erlaubt ist, mit Arbeitskampfmitteln darauf zu dringen, bestimmte Gegenstände tariflich überhaupt nicht zu regeln, dann muss es ihnen erst recht möglich sein, darauf zu dringen, bestimmte Gegenstände zwar aufzunehmen, auf sie durch Vereinbarung einer Öffnungsklausel die tarifliche Friedenspflicht aber nicht zu erstrecken. 119 So zu Recht Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 459. A. A. wohl von HoyningenHuene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Valentin Friedenspflicht, S. 88 f. In diese Richtung auch Konzen, ZfA 1975, 401, 425.

G. Auswirkung einer tariflichen Öffnungsklausel

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Selbst wenn der Verband durch die Vereinbarung einer Öffnungsklausel verbandsinterne Pflichten ausnahmsweise verletzen sollte, führt dies im Übrigen nicht unmittelbar zu einer Unwirksamkeit dieser Absprache. Das verbandsinterne Pflichtengefüge kann schon im Interesse der funktionierenden Tarifautonomie keine Folgen für die Wirksamkeit abgeschlossener Tarifverträge haben. Allenfalls dann, wenn die Tarifpartner kollusiv zu Lasten des betroffenen Mitgliedes zusammenwirken, kann ein Durchschlagen der internen Pflichtverletzung auf den Tarifvertrag in Betracht kommen.120 Auch im Hinblick auf verbandsinterne Pflichten ist die Vereinbarung einer Öffnungsklausel nach alledem regelmäßig zulässig.

III. Unverhältnismäßigkeit des Firmenarbeitskampfes? Gegen die Zulässigkeit der Öffnungsklausel könnte man letztlich noch anführen, dass der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag trotz vereinbarter Öffnungsklausel deswegen unzulässig sei, weil er wegen der bereits bestehenden Tarifregelung funktionslos und damit unverhältnismäßig sei.121 Dieser Einwand überzeugt aber schon deswegen nicht, weil Ziel des durch die Öffnungsklausel ermöglichten Arbeitskampfes nicht der Abschluss eines inhaltlich mit dem geltenden Tarifvertrag identischen Tarifvertrages ist. Der angestrebte Tarifvertrag soll inhaltlich gerade von dem bestehenden Tarifvertrag abweichen. Der aufgrund einer Öffnungsklausel geführte Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag ist daher trotz bestehender tariflicher Regelung weder funktionslos noch unverhältnismäßig.

IV. Ergebnis Die Vereinbarung einer tariflichen Öffnungsklausel und damit die Einschränkung der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zugunsten des Firmenarbeitskampfes ist entgegen der h. L. zulässig. Die von der h. L. hiergegen vorgebrachten Einwendungen überzeugen nicht. Dem Firmenarbeitskampf steht die Friedenspflicht eines Verbandstarifvertrages deswegen nicht im Wege, wenn der Verbandstarifvertrag eine Öffnungsklausel zugunsten eines Firmenarbeitskampfes enthält.

120 Gegen jegliche Außenwirkung von verbandsinternen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Öffnungsklauseln: Wendeling-Schröder, NZA 1998, 624, 627; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 22. A. A. von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f. In diese Richtung auch Konzen, ZfA 1975, 401, 425. 121 In diese Richtung vor allem MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 271 Rn. 32.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

H. Auswirkungen personeller Veränderungen des Arbeitgeberverbandes auf die Friedenspflicht I. Flucht in den Arbeitgeberverband Gehört der Arbeitgeber keinem Arbeitgeberverband an oder besteht zwar eine Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers, hat der betreffende Arbeitgeberverband aber mit der den Firmentarifvertrag anstrebenden Gewerkschaft keinen Tarifvertrag abgeschlossen, so steht der Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes jedenfalls eine verbandstarifvertragliche Friedenspflicht nicht entgegen. Wird der Arbeitgeber in einer solchen Situation von der Gewerkschaft mit Arbeitskampfmitteln zum Abschluss eines Firmentarifvertrages in Anspruch genommen, so fragt sich, ob er sich dem Arbeitskampf dadurch entziehen kann, dass er einem mit der kampfführenden Gewerkschaft verbandstariflich verbundenen Arbeitgeberverband beitritt. Eine solche den Firmenarbeitskampf beendende Flucht in den Arbeitgeberverband wäre dann möglich, wenn sich die Friedenspflicht des zwischen der kampfführenden Gewerkschaft und dem Arbeitgeberband bestehenden Verbandstarifvertrages auch auf den eintretenden Arbeitgeber erstreckte. Ob dies der Fall ist, ist streitig.

1. Erste Ansicht: Geltung der Friedenspflicht für Neumitglieder Die h. L. will die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages auch auf neu eintretende Verbandsmitglieder erstreckt wissen.122 Die Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages ergebe, dass die Friedenspflicht neben den zum Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses organisierten Verbandsmitgliedern auch alle nachträglich hinzukommenden Mitglieder erfassen solle.123 Eine andere Auslegung widerspreche der körperschaftlichen Struktur der Verbände, die gerade auf einen Mitgliedswechsel auch während der Laufzeit des Tarifvertrages angelegt sei.124 122 Bauer, FS Schaub, S. 19, 45; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Buchner, DB 1970, 2074, 2075 f.; Deeken, Zusatztarifverträge, S. 89 f.; Dietz, FS Nipperdey II, S. 141, 144; D. Gaul, RdA 1966, 172, 174 f.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, S. 83; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Knevels, DB 1964, 1663 ff.; Konzen, ZfA 1975, 401, 424 ff.; Löwisch / Rieble, FS Schaub, S. 457, 470 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 136; Valentin, Friedenspflicht, S. 114 f. Einschränkend in zeitlicher Hinsicht Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296 und Kempen /Zachert, TVG, § 3 Rn. 8, die eine Erstreckung der Friedenspflicht bei einem Eintritt nach Beginn der Tarifverhandlungen aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ablehnen. 123 Bauer, FS Schaub, S. 19, 45; Boldt, RdA 1971, 257, 266; D. Gaul, RdA 1966, 172, 174; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Knevels, DB 1964, 1663, 1664; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 136; Valentin, Friedenspflicht, S. 114 f. 124 Bauer, FS Schaub, S. 19, 45; Boldt, RdA 1971, 257, 266; D. Gaul, RdA 1966, 172, 174; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Knevels, DB 1964, 1663, 1664; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 136; Valentin, Friedenspflicht, S. 114 f.

H. Auswirkungen personeller Veränderungen auf die Friedenspflicht

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Teilweise wird auch ausgeführt, dieses Ergebnis folge schon unabhängig von einer Auslegung des Tarifvertrages unmittelbar aus der zwingenden Regelung des § 3 Abs. 1 TVG.125 § 3 Abs. 1 TVG schreibe nämlich eine Geltung des gesamten Tarifvertrages für alle aktuellen Mitglieder des Verbandes unabhängig vom Zeitpunkt deren Beitritts vor.126 § 3 Abs. 1 TVG ordne dies darüber hinaus auch nicht nur für den normativen Teil des Tarifvertrages an, sondern entfalte seine Wirkung auch im Hinblick auf die tarifliche Friedenspflicht.127 Ein bereits begonnener Arbeitskampf werde daher ab dem Zeitpunkt des Verbandsbeitritts rechtswidrig.128

2. Zweite Ansicht: Keine Geltung der Friedenspflicht für Neumitglieder Andere Autoren lehnen demgegenüber eine automatische Erstreckung der Friedenspflicht bestehender Verbandstarifverträge auf nachträglich eintretende Arbeitgeber ab.129 Der Verbandstarifvertrag sei dahin auszulegen, dass dessen persönlicher Geltungsbereich nur diejenigen Arbeitgeber erfasse, die bereits zum Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses Mitglied des Verbandes gewesen seien.130 Nachträglich eintretende Mitglieder erfasse der persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrages demgegenüber nicht.131 Eine Einbeziehung des nachträglich eintretenden Arbeitgebers sei aber dann möglich, wenn sich die Gewerkschaft mit dieser Einbeziehung ausdrücklich einverstanden erklärt bzw. ihr zumindest nicht widersprochen habe.132 Folge dieser Auffassung wäre nicht nur ein Ausschluss der Friedenspflicht, sondern ein Ausschluss jeglicher Tarifbindung des nachträglich eintretenden Arbeitgebers an bereits abgeschlossene Verbandstarifverträge. Zur Begründung führen die Vertreter dieser Ansicht aus, der Abschluss eines jeden Tarifvertrages sei Ausdruck gewerkschaftlicher Tarifpolitik. Durch die von der h. L. vorgenommene Erstreckung des Geltungsbereichs des VerbandstarifVon Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Konzen, ZfA 1975, 401, 425. Von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Konzen, ZfA 1975, 401, 425. 127 Von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469 f.; Konzen, ZfA 1975, 401, 425. 128 Bauer, FS Schaub, S. 19, 45; Boldt, RdA 1971, 257, 266; Buchner, DB 1970, 2074, 2075 f.; Deeken, Zusatztarifverträge, S. 89 f.; Dietz, FS Nipperdey II, S. 141, 144; D. Gaul, RdA 1966, 172, 174 f.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, S. 83; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 469; Jacobs, ZTR 2001, 249, 253; Knevels, DB 1964, 1663 ff.; Konzen, ZfA 1975, 401, 424 ff.; Löwisch / Rieble, FS Schaub, S. 457, 470 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 136; Valentin, Friedenspflicht, S. 114 f. 129 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 108 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 8; Radke, BB 1964, 1490, 1492. 130 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 108 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 8; Radke, BB 1964, 1490, 1492 f. 131 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 108 ff.; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 8; Radke, BB 1964, 1490, 1492 f. 132 Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 108 ff. 125 126

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

vertrages und damit auch der Friedenspflicht auf neu eintretende Arbeitgeber wäre es der Arbeitgeberseite durch eine einseitige Willensbetätigung – den Beitritt – möglich, diese Tarifpolitik der Gewerkschaft zu durchkreuzen.133 Es könnte so nämlich z. B. der Fall eintreten, dass durch den nachträglichen Beitritt Arbeitgeber von einem Verbandstarifvertrag erfasst werden, der – hätte die Gewerkschaft von dem nachträglichen Beitritt gewusst – gewerkschaftlicherseits nicht oder doch zumindest nicht so abgeschlossen worden wäre.134 Nach dieser Ansicht führt die „Flucht in den Arbeitgeberverband“ daher nur dann zur Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes, wenn sich die Gewerkschaft mit der Erstreckung des Verbandstarifvertrages auf den eintretenden Arbeitgeber einverstanden erklärt bzw. ihr nicht widersprochen hat.

3. Dritte Ansicht: Geltung der Friedenspflicht nur für Neumitglieder, deren Beitritt sich im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation bewegt Eine vermittelnde Ansicht stellt darauf ab, ob der nachträgliche Beitritt des Arbeitgebers der normalen Fluktuation des Arbeitgeberverbandes entspreche oder ob es sich bei dem beitretenden Arbeitgeber um einen der Struktur des Verbandes nicht entsprechenden und damit „ungewöhnlichen“ Zuwachs handele.135 Um einen solchen außerhalb der üblichen Fluktuation liegenden „ungewöhnlichen“ Zuwachs handele es sich jedenfalls, wenn dem beitretenden Arbeitgeber schon aufgrund seiner Größe eine überragende Bedeutung zukomme.136 Liege der Beitritt im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation, werde der eintretende Arbeitgeber sowohl vom persönlichen Geltungsbereich als auch von der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages erfasst.137 Anderenfalls falle der Arbeitgeber aus dem persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages heraus und auch die Friedenspflicht entfalte zu seinen Gunsten keine Wirkung.138

133 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 108 f.; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 8; Radke, BB 1964, 1490, 1492 f. 134 Radke, BB 1964, 1490, 1493. 135 Hoffmann, AuR 1965, 169, 170 f. 136 Hoffmann, AuR 1964, 169, 170 f. 137 Hoffmann, AuR 1964, 169, 170 f. 138 Hoffmann, AuR 1964, 169, 170 f.

H. Auswirkungen personeller Veränderungen auf die Friedenspflicht

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4. Stellungnahme a) Zur zwingenden Regelung des § 3 Abs. 1 TVG Richtig ist, dass die in § 3 Abs. 1 TVG geregelte Tarifbindung der Verbandsmitglieder als zwingendes Gesetzesrecht der Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien entzogen ist. Eine Herausnahme des nachträglich eintretenden Arbeitgebers von der Tarifbindung des geltenden Tarifvertrages und damit auch der Friedenspflicht kollidiert aber nicht mit dieser Norm. Der Ausschluss nachträglich eintretender Arbeitgeber vom geltenden Tarifvertrag beruht nicht auf einer – unzulässigen – Umgehung des § 3 Abs. 1 TVG, sondern auf einer – zulässigen – Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Verbandstarifvertrages.139 Auch § 3 Abs. 1 TVG verwehrt es den Tarifvertragsparteien nämlich nicht, bestimmte Mitglieder oder Mitgliedsgruppen vom Geltungsbereich des Verbandstarifvertrages auszunehmen.140 Die Grenze der zulässigen Ausgestaltung des persönlichen Geltungsbereiches ist allenfalls dann erreicht, wenn der Ausschluss bestimmter Mitglieder willkürlich, also ohne sachlichen Grund erfolgt.141 Der Ausschluss nachträglich eintretender Arbeitgeber vom persönlichen Geltungsbereich des Verbandstarifvertrages ist jedoch nicht willkürlich. Allein die Gefahr, dass der Verbandstarifvertrag für den neu eintretenden Arbeitgeber keine sachgerechten Regelungen enthält, ist Sachgrund genug, den Ausschluss zu rechtfertigen. Entgegen den Ausführungen Oetkers lassen sich gegen dieses Ergebnis auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit anführen.142 Zwar garantiert Art. 9 Abs. 3 GG dem einzelnen Arbeitgeber, einer Koalition beizutreten und sich in ihr tariflich zu betätigen.143 Dieses Recht geht aber nicht soweit, dass der Arbeitgeber auch einen Anspruch darauf hat, mit dem Beitritt automatisch an alle laufenden Tarifverträge des Verbandes gebunden zu werden. Gegen ein solches Recht spricht schon, dass dies mit der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie der Verbände, die auch die Bestimmung des Umfangs des persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages umfasst, nicht in Einklang zu bringen wäre. So zutreffend Hoffmann, AuR 1964, 169, 170. Zum Verhältnis Tarifgebundenheit und Geltungsbereich Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 22; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 104. 141 Dietz, FS Nipperdey II, S. 141, 144; Richardi, JurAn 1971, 141, 166; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 110, 225. Vgl. auch BAG vom 6. 4. 1982, AP Nr. 1 zu BetrAVG Gleichbehandlung (die Entscheidung bezieht sich auf den Ausschluss geringfügig Beschäftigter aus dem tariflichen Geltungsbereich). Streitig ist unter den Senaten des BAG allerdings, ob die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Tariftätigkeit unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind oder ob sich die angesprochene Willkürgrenze allein aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt. Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Rechtsprechung der verschiedenen Senate in BAG vom 30. 8. 2000, AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich und aus der Literatur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 671 ff. 142 Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 150. 143 Hierzu § 3 C. I. c) cc) (b). 139 140

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Aus § 3 Abs. 1 TVG folgt daher keine zwingende Erstreckung der Tarifbindung und damit der Friedenspflicht auf nachträglich eintretende Arbeitgeber.

b) Auslegung des Tarifvertrages Eine Erstreckung des Verbandstarifvertrages und seiner Friedenspflicht auf nachträglich eintretende Arbeitgeber könnte aber aus der Auslegung des Tarifvertrages folgen. Da eine ausdrückliche Regelung dieser Frage im Tarifvertrag regelmäßig nicht erfolgt, hat eine (ggf. ergänzende) Auslegung stattzufinden. Dabei sind drei mögliche Auslegungsergebnisse denkbar: Zum einen könnte die Auslegung ergeben, dass der eintretende Arbeitgeber sowohl vom persönlichen Geltungsbereich als auch von der Friedenspflicht des Tarifvertrages erfasst wird. Die Auslegung könnte aber auch zum Ergebnis haben, dass der Arbeitgeber nur unter den persönlichen Geltungsbereich fällt, die Friedenspflicht für ihn aber keine Wirkung entfaltet. Und letztlich könnte sich herausstellen, dass der nachträglich eintretende Arbeitgeber weder vom persönlichen Geltungsbereich noch von der Friedenspflicht des bestehenden Verbandstarifvertrages erfasst wird. Der Maßstab für die vorzunehmende Auslegung gleicht dabei im Hinblick auf den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages dem der Auslegung von Gesetzen144, während sich die Auslegung des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages – wie bereits ausgeführt145 – an den Grundsätzen über die Auslegung von Verträgen orientiert. Für die Auslegung des Tarifvertrages im Hinblick auf dessen persönlichen Geltungsbereich kommt es mithin maßgeblich auf den Wortlaut, die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck des Tarifvertrages an.146 Gegen die generelle Einbeziehung eines nachträglich eintretenden Arbeitgebers in den Geltungsbereich des Verbandstarifvertrages spricht, dass der Verbandstarifvertrag zwar in Bezug auf den Zeitpunkt der Mitgliedschaft meist „zeitneutral“ formuliert ist, sein Wortlaut also durchaus eine Einbeziehung nachträglich eintretender Arbeitgeber zulässt, der Verbandstarifvertrag inhaltlich aber in erster Linie auf die zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses auf beiden Seiten vorhandenen Verbandsmitglieder ausgerichtet ist, seine Entstehungsgeschichte und sein Regelungszweck also gegen eine Einbeziehung nachträglich eintretender Mitglieder sprechen. Dies gilt umso mehr, als beide Seiten zum Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses für gewöhnlich nicht wissen können, wie sich ihr Mitgliedsbestand zukünftig entwickelt. Die Regelungen eines abgeschlossenen Verbandstarifvertrages sind daher immer Resultat des mitgliedsmäßigen Standes des Verbandes zum Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses. Siehe nur Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 147. § 6 A. 146 Hier ist im Einzelnen vieles streitig. Siehe nur Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 147 i. V. m. § 1 Rn. 781 ff. 144 145

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Allerdings geht es zu weit, aus diesen Erwägungen zu folgern, jeder nachträglich eintretende Arbeitgeber sei vom Geltungsbereich des Verbandstarifvertrages nicht erfasst. Ist nämlich Grund dafür, dass der Tarifvertrag nur die zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses vorhandenen Mitglieder erfasst, der, dass die Tarifvertragsparteien nicht wissen können, wie sich ihr Mitgliedsbestand während der Laufzeit des Tarifvertrages entwickelt, dann findet die hierdurch gebotene Einschränkung des persönlichen Geltungsbereich dort seine Grenze, wo die Verbände bereits bei Abschluss des Tarifvertrages mit dem Eintritt des betreffenden Mitgliedes gerechnet haben. Dessen Interessen haben die Tarifvertragsparteien wegen der Vorhersehbarkeit seines Eintritts im Rahmen der Tarifverhandlungen nämlich schon berücksichtigen können. Es entspricht daher dem Sinn und Zweck und damit regelmäßig auch der Entstehungsgeschichte jedes gewöhnlichen Tarifvertrages, seinen Geltungsbereich auf diejenigen Mitglieder zu erstrecken, mit deren nachträglichem Beitritt die Tarifvertragesparteien bereits bei Abschluss des Tarifvertrages gerechnet haben. Gerechnet haben die Tarifvertragsparteien aber jedenfalls mit dem nachträglichen Beitritt solcher Mitglieder, der sich im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation des Verbandes bewegt und daher für den Verband von vornherein einkalkulierbar war. Vom Geltungsbereich des Tarifvertrages nicht erfasst werden demgegenüber diejenigen Neumitglieder, deren nachträglicher Beitritt nicht der gewöhnlichen Fluktuation des Verbandes entspricht, bei denen es sich also um einen außergewöhnlichen Zuwachs handelt. Hier ist beispielsweise an den Fall zu denken, dass einem durch mittelständische Unternehmen geprägten Arbeitgeberverband nach Abschluss des Verbandstarifvertrages ein Großunternehmen beitritt.147 Die Auslegung des Tarifvertrages hinsichtlich seines persönlichen Geltungsbereiches bestätigt daher die vermittelnde Ansicht, dass nur diejenigen nachträglich eintretenden Arbeitgeber vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst werden, deren Beitritt sich im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation der Arbeitgeberverbände bewegt. Zu überlegen ist, ob diese vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfassten Mitglieder sich zudem auch auf den Schutz der Friedenspflicht des Tarifvertrages berufen können und damit den „Altmitgliedern“ insgesamt gleichgestellt sind. Dies ist im Ergebnis anzunehmen. Vor allem die beiderseitige Interessenlage, die bei der Auslegung des die Friedenspflicht enthaltenden schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages maßgeblich zu berücksichtigen ist,148 ergibt, dass alle diejenigen Mitglieder, die vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst werden, auch von dessen Friedenspflicht erfasst werden sollen. Enthält der Tarifvertrag nämlich auch für die vom Geltungsbereich erfassten „Neumitglieder“ – wie ausgeführt – sachgerechte Regelungen, dann ist es nur folgerichtig, diese den „Altmitgliedern“ gleichzustellen, ihnen also auch den Schutz der Friedenspflicht zukommen zu lassen. Hält sich der Beitritt im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation, gilt also auch 147 148

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So das Beispiel von Hoffmann, AuR 1964, 169, 171. Siehe hierzu § 6 B. III. 4.

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die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zugunsten des nachträglich eintretenden Mitgliedes. Ein solcher nachträglicher Beitritt mit den oben beschriebenen tarifrechtlichen Folgen ist auch noch nach Beginn der Tarifverhandlungen oder sogar während des Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag möglich. Ein Rechtsmissbrauch des Arbeitgebers liegt hierin nicht.149 Will die betroffene Gewerkschaft ein solches – aus ihrer Sicht unerwünschtes – Verhalten des Arbeitgebers unterbinden, so steht es ihr frei, den Geltungsbereich des Verbandstarifvertrages von vornherein ausdrücklich entsprechend einzuschränken. Unterlässt sie dies, dann muss sie die aus ihrer Sicht negativen Auswirkungen des nachträglichen Verbandsbeitritts hinnehmen. Ist mit dem Firmenarbeitskampf schon begonnen worden, sind also alle Kampfmaßnahmen unverzüglich einzustellen. Informiert der betroffene Arbeitgeber die Gewerkschaft allerdings nicht gleichfalls unverzüglich über seinen Beitritt, so wird der Arbeitskampf zwar trotzdem wegen der unabhängig hiervon wirkenden Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages rechtswidrig, der Arbeitgeber kann jedoch von der Gewerkschaft wegen des rechtswidrig gewordenen Arbeitskampfes im Hinblick auf § 254 Abs. 1 BGB keinen Schadensersatz verlangen.

c) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass es dem einzelnen Arbeitgeber regelmäßig möglich ist, sich dem Firmenarbeitskampf durch eine Flucht in einen Arbeitgeberverband, mit dem die arbeitskampfführende Gewerkschaft einen Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat, zu entziehen. Die Friedenspflicht geltender Verbandstarifverträge erstreckt sich nämlich auch auf dem Arbeitgeberverband nachträglich beitretende Arbeitgeber. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass sich der Eintritt des Arbeitgebers im Rahmen der gewöhnlichen Fluktuation des Arbeitgeberverbandes bewegt. Zudem muss sich entsprechend der relativen Wirkung der tariflichen Friedenspflicht der Inhalt des bestehenden Verbandstarifvertrages mit dem des angestrebten Firmentarifvertrages decken. Wird der Firmenarbeitskampf durch die Flucht des Arbeitgebers in den Arbeitgeberverband aufgrund der nunmehr geltenden Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages unzulässig, kann der einzelne Arbeitgeber bei einer dennoch erfolgenden Fortsetzung des Arbeitskampfes von der Gewerkschaft Schadensersatz verlangen, es sei denn, er hat seinen Beitritt gegenüber der Gewerkschaft nicht unverzüglich angezeigt.

149 A. A. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 296; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 8. Die von Kempen / Zachert vorgeschlagene analoge Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG auf diesen Fall scheitert sowohl daran, dass eine für eine Analogie vergleichbare Interessenlage fehlt – § 3 Abs. 3 TVG regelt den Austritt und nicht wie hier den Eintritt in einen Verband –, als auch daran, dass § 3 Abs. 3 TVG ohnehin keine für die vorliegende Situation passende Rechtsfolge enthält – welche Tarifbindung soll hier fortbestehen?

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II. Flucht aus dem Arbeitgeberverband Neben der Flucht in den Arbeitgeberverband kommt es auch häufig zu einer Flucht aus diesem. Sie dient – anders als die Flucht in den Verband – dazu, sich den verbandstarifvertraglichen Regelungen zu entziehen, um eigene – meist unter dem Niveau des Verbandstarifvertrages liegende – firmentarifvertragliche Regelungen zu vereinbaren. Hier kommt es nicht selten vor, dass Arbeitgeber nach dem Austritt auch darauf spekulieren, von den Gewerkschaften tariflich gar nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, um die Arbeitsbedingungen dann „einvernehmlich“ mit dem Betriebsrat regeln zu können. Die diesem Vorhaben an sich entgegenstehenden Vorschriften der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG werden dabei von den Beteiligten oft ignoriert. Tarifrechtlich hält § 3 Abs. 3 TVG für den Fall des Verbandsaustritts des Arbeitgebers eine adäquate Regelung bereit. Nach dieser Norm bleibt die Tarifbindung des Arbeitgebers bis zum Ablauf des ursprünglichen Verbandstarifvertrages ungeachtet des erfolgten Austritts bestehen.150 Damit ist zwar ein gewisser Bestandsschutz bezüglich der Tarifbindung des Arbeitgebers gewährleistet. Dennoch hat die Gewerkschaft typischerweise ein Interesse daran, den Ausscheidenden möglichst zeitnah nach seinem Verbandsaustritt mittels eines Firmentarifvertrages erneut tariflich zu binden, um den eigenen tariflichen Machtanspruch zu unterstreichen und auch eine beständige Tarifregelung herbeizuführen. Umgekehrt liegt es oftmals auch im Interesse des einzelnen Arbeitgebers, sich nach seinem Austritt möglichst zeitnah und umfassend von den Fesseln des über § 3 Abs. 3 TVG fortgeltenden Verbandstarifvertrages zu befreien. Mittel hierfür ist der Abschluss eines Firmentarifvertrages, der nach dem Spezialitätsgrundsatz den fortgeltenden Verbandstarifvertrag verdrängt.151 Der Versuch des freiwilligen Abschlusses eines Firmentarifvertrages im Zeitraum der Fortgeltung der Tarifbindung gem. § 3 Abs. 3 TVG ist allerdings, – gleich von welcher Seite die Initiative hierzu ausgeht – nur selten von Erfolg gekrönt. Geht die Initiative vom Arbeitgeber aus, so werden seine Tarifforderungen regelmäßig deutlich unter den Regelungen des Verbandstarifvertrages liegen. Ist der betroffene Arbeitgeber nicht in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wird die Gewerkschaft aber keine Veranlassung haben, sich auf eine derartige Tarifforderung des Arbeitgebers einzulassen. Gleiches gilt, wenn die Initiative von der Gewerkschaft ausgeht. Wegen der in § 3 Abs. 3 TVG angeordneten Fortgeltung der Tarifbindung machen Forderungen der Gewerkschaft nur dann Sinn, wenn sie inhaltlich über dem Niveau des Verbandstarifvertrages liegen. Der Arbeitgeber hat aber ebenso wie im umgekehrten Fall die Gewerkschaft kein Interesse daran, freiwillig einen solchen Firmentarifvertrag abzuschließen. Ist deswegen der freiwillige Abschluss eines Firmentarifvertrages Siehe hierzu Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 45 ff. mit weiteren Nachweisen. Allgemeine Ansicht. Siehe nur Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 290 mit weiteren Nachweisen. 150 151

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unwahrscheinlich, so stellt sich mit besonderer Brisanz die Frage, ob während der fortbestehenden Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG Arbeitskampfmaßnahmen zum Abschluss eines verdrängenden Firmentarifvertrages zulässig sind. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die fortdauernde Tarifbindung gem. § 3 Abs. 3 TVG auch zu einer Fortgeltung der schuldrechtlichen Friedenspflicht zu Lasten der Gewerkschaft und des einzelnen Arbeitgebers führen würde. Arbeitskämpfe sind dann nur möglich, wenn entweder die kampfführende Gewerkschaft nicht mit der am Verbandstarifvertrag beteiligten Gewerkschaft identisch ist oder einen Firmentarifvertrag über Gegenstände anstrebt, die im Verbandstarifvertrag keine Regelung gefunden haben. Ob § 3 Abs. 3 TVG zu einer Fortgeltung der Friedenspflicht führt, ist umstritten und entscheidet sich maßgeblich an der Beantwortung der Frage, ob die fortgesetzte Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG neben dem normativen auch den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages erfasst.

1. Erste Ansicht: Fortgeltung nur des normativen Teils Eine Ansicht, der auch einige Instanzgerichte folgen152, lehnt eine Fortgeltung der Friedenspflicht nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband ab.153 Der Wortlaut und der Zweck des § 3 Abs. 3 TVG – nämlich die Tarifflucht des Arbeitgebers zu verhindern – sprächen dafür, lediglich den normativen Teil des Tarifvertrages fortgelten zu lassen.154 Allerdings folge aus dem Schutzzweck des § 3 Abs. 3 TVG auch, dass es dem Arbeitgeber untersagt sei, nach Verbandsaustritt eine Angriffsaussperrung zwecks Abänderung der Arbeitsbedingungen des fortgeltenden Tarifvertrages durchzuführen.155 Auch die – von der Regelung des § 3 Abs. 3 TVG unabhängige – Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages ergebe hinsichtlich der Friedenspflicht unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage kein anderes Ergebnis.156 152 LAG Rheinland-Pfalz vom 20. 12. 1996, LAGE Nr. 8 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Frankfurt a. M. vom 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht. 153 Berg, AuR 2001, 393, 395; Bieback, DB 1989, 477, 482; Däubler, ZTR 1994, 448, 452; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 304, 1509; Feger, AiB 1995, 490, 498; Jacobs, ZTR 2001, 249, 255; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35; Konzen, ZfA 1975, 401, 417 ff.; Löwisch / Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 170.2 Rn. 372; Moll, Tarifausstieg, S. 169 ff.; MhdbAR-Otto, § 285 Rn. 80; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21; ders., FS Kehrmann, S. 335, 341 f. 154 Moll, Tarifausstieg, S. 169 ff.; Konzen, ZfA 1975, 401, 420; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21; ders., FS Kehrmann, S. 335, 341 f. 155 Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35. 156 LAG Rheinland-Pfalz vom 20. 2. 1996, LAGE Nr. 8 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, ZTR 1994, 448, 452; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 304, 1509; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35; Konzen, ZfA 1975, 401, 417 ff.; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341 f.

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Ausgangspunkt sei dabei, dass die Friedenspflicht eine das einzelne Verbandsmitglied begünstigende Abrede sei. Jedenfalls der Arbeitgeberverband, der diese Begünstigung für sein Mitglied mit der Gewerkschaft aushandele, habe aber nur solange ein Interesse daran, den Arbeitgeber in den Genuss dieser Begünstigung kommen zu lassen, wie er tatsächlich noch Mitglied sei. Scheide er aus dem Verband aus, bestehe kein vernünftiger Grund anzunehmen, der Verband wolle ihn auch für diesen Fall weiter an der Friedenspflicht partizipieren lassen.157 Aber selbst wenn der Arbeitgeberverband eine Fortgeltung der Friedenspflicht wollte, werde sich die Gewerkschaft auf eine solche im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages zu vereinbarende Regelung interessengerechterweise nicht einlassen. Konsequenz der Fortgeltung der Friedenspflicht wäre nämlich, dass nur die Gewerkschaft, nicht aber der austretende Arbeitgeber weiter an die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages gebunden sei. Die Bindung der Gewerkschaft an die Friedenspflicht ergäbe sich in diesem Fall aus dem weiterhin bestehenden Verbandstarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband, aus dem der einzelne Arbeitgeber über einen Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) begünstigt wäre. Auf der anderen Seite binde die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages den einzelnen Arbeitgeber selbst bei bestehender Verbandsmitgliedschaft nur mittelbar über die mitgliedschaftlichen Treuepflichten des Arbeitgebers gegenüber seinem Verband.158 Trete der Arbeitgeber aus dem Verband aber aus, so zerstöre er da-mit seine Rechtsbeziehungen zu seinem Verband. Mitgliedschaftliche Treuepflichten, aus denen die Einhaltung einer fortbestehenden Friedenpflicht resultieren könnte, existierten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Daran könne auch eine entsprechende Auslegung nichts ändern.159 Konsequenz der Fortgeltung der Friedenspflicht wäre somit, dass die Gewerkschaft dem Arbeitgeber gegenüber an die Friedenspflicht weiterhin gebunden wäre, der Arbeitgeber aber keinerlei Bindungen daran mehr unterliege.160 Eine solche Vereinbarung wolle die Gewerkschaft regelmäßig nicht abschließen und der Arbeitgeberverband könne eine solche Regelung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben von der Gewerkschaft auch nicht erwarten.161 Auch die Auslegung des Tarifvertrages spreche 157 LAG Rheinland-Pfalz vom 20. 2. 1996, LAGE Nr. 8 zu § 1 TVG Friedenspflicht; LAG Hamm vom 31. 1. 1991, LAGE Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler, ZTR 1994, 448, 452; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 304, 1509; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341 f. Vgl. auch Konzen, ZfA 1975, 401, 417 ff., der im Ergebnis aber nur die Arbeitnehmerseite von der Friedenspflicht befreien will. Aus dem Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3 TVG will er demgegenüber ableiten, dass § 3 Abs. 3 TVG dem austretenden Arbeitgeber Angriffsarbeitskampfmaßnahmen verbietet. 158 Siehe hierzu oben § 6 A. 159 LAG Rheinland-Pfalz, vom 20. 12. 1996, LAGE Nr. 8 zu § 1 TVG Friedenspflicht; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341 f. 160 Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 35; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341 f.; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft, 24 S. 17, 21. 161 Kempen / Zachert, § 3 Rn. 35; Zachert, FS Kehrmann, S. 335, 341 f.; ders., NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 21.

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daher gegen eine Fortgeltung der Friedenspflicht nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers.

2. Zweite Ansicht: Fortgeltung auch der Friedenspflicht Eine andere Ansicht nimmt eine Fortgeltung der Friedenspflicht auch nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband an.162 Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3 TVG gebiete es, wenn nicht sogar den gesamten schuldrechtlichen Teil, so doch zumindest die in diesem geregelte Friedenspflicht auch nach dem Austritt des Arbeitgeber fortgelten zu lassen.163 Auch unabhängig von der Regelung des § 3 Abs. 3 TVG ergebe die Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages, dass die Friedenspflicht immer und solange (fort)gelten solle, wie der normative Teil des Tarifvertrages Wirkung entfalte. Da dies wegen § 3 Abs. 3 TVG auch nach dem Austritt der Fall sei, wirke die Friedenspflicht kraft tarifvertraglicher Vereinbarung bis zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrages fort.164

3. Stellungnahme a) Fortgeltung der Friedenspflicht gem. § 3 Abs. 3 TVG Ob § 3 Abs. 3 TVG eine Fortgeltung der Friedenspflicht des Tarifvertrages vorsieht, ist durch Auslegung dieser Norm zu ermitteln. Der Wortlaut des § 3 Abs. 3 TVG erweist sich im Hinblick auf die vorliegende Frage allerdings als unergiebig. Dieser ordnet nämlich nur an, dass die „Tarifgebundenheit“ bis zum Ende des Tarifvertrages bestehen bleibt. Ob unter dem Begriff „Tarifgebundenheit“ nun eine Bindung nur an den normativen Teil des Tarifvertrages zu verstehen ist oder ob aus diesem Begriff auch eine Bindung an den schuldrechtlichen Teil folgt, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Die systematische Auslegung spricht gegen eine Fortgeltung auch des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages und damit auch gegen eine Fortgeltung der Friedenspflicht. § 3 TVG regelt allgemein die Frage, wer tarifgebunden ist (Abs. 1 und 2) und wie lange die Tarifbindung bestehen bleibt (Abs. 3). § 3 Abs. 1 TVG 162 Bauer, FS Schaub, S. 19, 23; Bauer / Diller, DB 1993, 1085 f.; Dahlbender, Austritt, S. 48; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 729; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 470; Hromadka / Machmann / Wallner, Tarifwechsel, Rn 242; Matthes, FS Schaub, S. 477, 478; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 59; Ostrop, Mitgliedschaft, S. 85 f.; Reuter, RdA 1996, 201, 208; Schleusener, BB 1999, 684, 686; Valentin, Friedenspflicht, S. 124 ff. Unklar BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 163 Dahlbender, Austritt, S. 46 ff.; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 470; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 59; Valentin, Friedenspflicht, S. 124 ff. 164 Bauer, FS Schaub, S. 19, 21; Bauer / Diller, BB 1993, 1085 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 729; Ostrop, Mitgliedschaft, 85 f.; Schleusener, BB 1999, 684, 686.

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spricht in diesem Zusammenhang davon, dass tarifgebunden die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, sind. Dies kann aber nur bedeuten, dass mit dem Begriff Tarifgebundenheit i. S. d. § 3 Abs. 1 TVG allein die Bindung an den normativen Teil des Tarifvertrages gemeint ist. Denn „tarifgebunden“ durch den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages sind nach einhelliger Meinung trotz der Regelung des § 3 Abs. 1 TVG nicht die Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern nur die Tarifvertragsparteien selbst. Da sowohl § 3 Abs. 1 TVG als auch § 3 Abs. 3 TVG den Begriff Tarifgebundenheit verwenden, ist davon auszugehen, dass unter Tarifgebundenheit i. S. v. § 3 Abs. 3 TVG dasselbe wie in § 3 Abs. 1 TVG zu verstehen ist, mithin sich der Begriff Tarifgebundenheit in § 3 Abs. 3 TVG nur auf den normativen Teil des Tarifvertrages bezieht. Dies spricht gegen eine Fortgeltung auch des schuldrechtlichen Teils. Hiergegen spricht auch nicht der von Valentin vorgebrachte Einwand, dass der Gesetzgeber, wenn er den normativen Teil meine, wie in §§ 4 Abs. 5 und 5 Abs. 4 TVG geschehen, den Begriff „Rechtsnormen“ und nicht Tarifgebundenheit verwende. Der Begriff „Rechtsnormen“ erfasst nicht den gesamten, sondern nur einen Teilbereich des normativen Teils des Tarifvertrages. Rechtsnormen des Tarifvertrages sind nämlich alle diejenigen normativ wirkenden Regelungen des Tarifvertrages, die nicht die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien erfassen. Dies ergibt sich aus der Gegenüberstellung der § 4 Abs. 1 TVG und § 4 Abs. 2 TVG. Dass nach h. M. die §§ 4 Abs. 5, 5 Abs. 4 TVG auch die in § 4 Abs. 2 TVG geregelten gemeinsamen Einrichtungen erfassen, folgt daher auch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Normen, sondern aufgrund einer entsprechenden teleologischen Auslegung.165 Die systematische Auslegung spricht somit gegen eine Fortgeltung der Friedenspflicht nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband. Der historischen Auslegung lassen sich wiederum keine Rückschlüsse auf den Inhalt des § 3 Abs. 3 TVG entnehmen. Zwar war die in § 3 Abs. 3 TVG vorgesehene Fortgeltung der Tarifgebundenheit in den ersten Entwürfen zum TVG überhaupt nicht geregelt und wurde erst aufgrund der Entwürfe des DGB und der SPD in den Text des TVG integriert. Aussagen darüber, in welchem Umfang die Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG fortgelten sollte, finden sich in den Gesetzgebungsmaterialien aber nicht.166 Letztlich führt auch die teleologische Auslegung des § 3 Abs. 3 TVG nicht zu einer Fortgeltung der Friedenspflicht. Die Norm dient primär dem Arbeitnehmer165 Siehe nur Kempen / Zachert, TVG, § 4 Rn. 155; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 348 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Gegen eine Nachwirkung von Tarifnormen über gemeinsame Einrichtungen Henrich, Einrichtungen, S. 94. 166 Siehe Nautz, Durchsetzung, S. 110, 114 f., 118, 120 sowie § 4 S. 2 des Entwurfs des Gewerkschaftsrates der Vereinigten Zonen vom 7. 9. 1948 nebst Begründung Nr. 11, abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 32 f., und § 4 S. 2 des Entwurfs der SPD-Fraktion vom 8. 10. 1948, abgedruckt bei Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte Rn. 37.

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schutz. Dem Arbeitgeber soll die Möglichkeit verbaut werden, sich durch eine einseitige Willensbetätigung – den Verbandsaustritt – seiner tarifvertraglichen Bindung zu entledigen. Legt man diesen Schutzzweck der teleologischen Auslegung des § 3 Abs. 3 TVG zugrunde, so reicht es völlig aus, den Arbeitgeber an den normativen Teil des Tarifvertrages zu binden. Der Wegfall der Friedenspflicht kann aus der Sicht der Arbeitnehmer nämlich nicht nur negative, sondern durchaus auch positive Auswirkungen haben. Ihnen wird bei Wegfall der Friedenspflicht nämlich ermöglicht, ihrerseits Tarifforderungen, die ggf. über den Tarifbedingungen des nach § 3 Abs. 3 TVG fortgeltenden Tarifvertrages liegen, kampfweise durchzusetzen. Zudem lässt auch die durch den Wegfall der Friedenspflicht eröffnete Möglichkeit des arbeitgeberseitigen Arbeitskampfes den Schutzzweck des § 3 Abs. 3 TVG nicht leer laufen. Der Arbeitgeber könnte eine durch Arbeitskampfmittel erzwungene Abänderung des fortgeltenden Tarifvertrages nur über die Durchführung einer Angriffsaussperrung erreichen. Diese ist zwar prinzipiell zulässig,167 sie ist jedoch wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die Fälle wirtschaftlicher Notlagen des Arbeitgebers beschränkt. Bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage hat aber auch der durch § 3 Abs. 3 TVG verfolgte Arbeitnehmerschutz hinter dem Abänderungsinteresse des Arbeitgebers zurückzutreten. Vor allem die systematische, aber auch die teleologische Auslegung des § 3 Abs. 3 TVG ergibt also, dass die in § 3 Abs. 3 TVG geregelte Fortgeltung der Tarifgebundenheit allein den normativen Teil des Tarifvertrages erfasst und deswegen die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages nach dem Austritt des Arbeitgebers zumindest auf Grundlage des § 3 Abs. 3 TVG nicht mehr fortgilt.

b) Auslegung des Tarifvertrages Ergibt sich eine Fortgeltung der Friedenspflicht nicht aus § 3 Abs. 3 TVG, so könnte sie aber noch aus der Auslegung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages folgen. Auch hier kommt es wieder maßgeblich auf die beiderseitige Interessenlage an, da der Tarifvertrag zu dieser Frage regelmäßig keine ausdrückliche Regelung enthalten wird.168 Die Auslegung unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage ergibt aber, dass jedenfalls der Arbeitgeberverband kein Interesse an einer Partizipation des austretenden Mitgliedes an der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages hat. Kehrt das Mitglied dem Verband durch Austritt den Rücken zu, dann ist kein Grund mehr ersichtlich, weshalb es weiterhin unter den Schutz der durch den Verband ausgehandelten Friedenspflicht fallen sollte. Auch die Arbeitnehmerseite hat regelmäßig kein Interesse an einer Fortgeltung der Friedenspflicht, da sie für den einzelnen Arbeitgeber – worauf die Gegner der Fortgeltung der Friedenspflicht zutreffend hinweisen – ohnehin keine Wirkung zu 167 168

§ 5 F. Siehe § 6 A.

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entfalten vermag169 und damit lediglich Nachteile für die Gewerkschaft mit sich brächte. Auch die Auslegung des Tarifvertrages ergibt somit, dass die Friedenspflicht nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband nicht mehr fortbesteht.

c) Ergebnis Sowohl die Regelung des § 3 Abs. 3 TVG als auch die Auslegung des Tarifvertrages ergibt, dass die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband nicht mehr gilt. Gewerkschaft und Arbeitgeber können daher sofort nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers auf den Abschluss eines Firmentarifvertrages unter Zuhilfenahme von Arbeitskampfmitteln drängen.

III. Auflösung des Arbeitgeberverbandes Zu fragen ist schließlich, wie sich die Auflösung des Arbeitgeberverbandes während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages auf die Friedenspflicht auswirkt. Dafür kommt es maßgeblich darauf an, ob, inwieweit und auf welcher Grundlage die Normen des Verbandstarifvertrages in einem solchen Fall weitergelten. Hierzu haben sich im Wesentlichen drei Ansichten herausgebildet. Die wohl herrschende Ansicht, der auch die Rechtsprechung folgt, nimmt ab Auflösung des Verbandes eine Beendigung des Tarifvertrages ipso iure an.170 Streitig ist innerhalb der h. M. lediglich, ob die Normen des beendeten Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirken171, der Tarifvertrag jegliche Rechtswirkung verliert172 oder aber sein normativer Teil weitergilt.173 Eine andere Ansicht stellt demgegenüber darauf ab, dass die Auflösung des Arbeitgeberverbandes wertungsmäßig dem Austritt eines einzelnen Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband gleichkomme, so dass § 3 Abs. 3 TVG analog anzuwenden sei.174 Letztlich sind einige der Auffassung, dass sich die Siehe § 6 H. II. 2. Siehe nur BAG vom 11. 11. 1970, AP Nr. 28 zu § 2 TVG; BAG vom 15. 10. 1986, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28. 5. 1997, AP Nr. 25 zu § 4 TVG Nachwirkung; Frölich, NZA 1992, 1105, 1108; Heinze / Ricken, ZfA 2001, 158, 170; A. Hueck, Tarifvertrag, S. 79 f.; Jacobi, Grundlehren, S. 218; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 100; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 50; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 355; Richardi, Kollektivgewalt, S. 219; Wagenitz, Tarifmacht, S. 90 f. 171 BAG vom 15. 10. 1980, AP Nr. 4 zu § 3 TVG; BAG vom 28. 5. 1997, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung; Frölich, NZA 1992, 1105, 1108; Koberski / Clasen / Menzel, TVG, § 2 Rn. 100; MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 83, 53; Richardi, Kollektivgewalt, S. 220. 172 Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 355. 173 So Frey, RdA 1965, 363, 365 ff. 174 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 60; ders., NZA 1996, 225, 233; Kempen / Zachert, TVG, § 3 Rn. 39. 169 170

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

Koalition mit Erklärung ihrer Auflösung in einen Liquidationsverband umwandele, der bis zum Ablauf des Tarifvertrages fortbestehe; damit bliebe auch die Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG bis zum Ablauf des Tarifvertrages aufrechterhalten.175 Wenn diese angeführten Ansichten auch von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten die Auflösung des Arbeitgeberverbandes tarifrechtlich zu erfassen versuchen, so ist ihnen doch gemein, dass nach sämtlichen Ansätzen die Friedenspflicht ab Auflösung des Arbeitgeberverbandes nicht mehr gilt. Für diejenigen, die eine vollständige Beendigung ohne Fortwirkung des Tarifvertrages annehmen, ergibt sich dies von selbst. Gleiches gilt für diejenigen, die eine Fortwirkung des Tarifvertrages über § 3 Abs. 3 TVG analog oder § 4 Abs. 5 TVG annehmen. Für beide Normen ist bereits oben dargestellt worden, dass sie nur zu einer Fortgeltung des normativen Teils des Tarifvertrages führen.176 Ebenfalls können diejenigen, die nur den normativen Teil des Tarifvertrages fortgelten lassen wollen, ersichtlich zu keiner Fortgeltung auch der Friedenspflicht gelangen. Selbst diejenigen Autoren, die von einem Fortbestehen der Koalition als Liquidationsverband bis zur Beendigung des Tarifvertrages ausgehen, dürften zu keiner Weitergeltung der Friedenspflicht gelangen. Die Vertreter dieser Ansicht führen nämlich aus, dass stets dann Modifikationen an der fortgeltenden Tarifbindung des Liquidationsverbandes vorzunehmen sind, wenn dies mit dem Sinn der Fortgeltung, der Abwicklung des laufenden Tarifvertrages, nicht vereinbar sei.177 Der Abwicklung des laufenden Tarifvertrages würde es aber entgegenstehen, wenn man durch eine Fortgeltung der Friedenspflicht den Tarifvertragsparteien bzw. deren Mitgliedern die Möglichkeit nehmen würde, auch unter Zuhilfenahme von Arbeitskampfmitteln neue, den alten Tarifvertrag ablösende und damit die Abwicklung vollendende tarifliche Regelungen zu vereinbaren. Die Auflösung des Arbeitgeberverbandes führt daher im Ergebnis dazu, dass die Friedenspflicht bestehender Verbandstarifverträge ab dem Auflösungsbeschluss des Arbeitgeberverbandes keine Wirkung mehr entfaltet. Ab diesem Zeitpunkt sind Firmenarbeitskämpfe damit (wieder) zulässig.

I. Ergebnis Die Friedenspflicht bestehender Tarifverträge ist auch für die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes regelmäßig von entscheidender Bedeutung. Auf der Ebene sich ablösender Firmentarifverträge bestehen zwischen Firmenarbeitskampf und Verbandsarbeitskampf keine Unterschiede. Hier wie dort haben 175 Buchner, RdA 1997, 259, 263 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 35 ff.; Röckl, BB 1993, 1653, 1655 f. 176 Siehe hierzu für § 3 Abs. 3 TVG: § 6 H. II. und für § 4 Abs. 5 TVG: § 6 E. 177 Siehe nur Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 37.

I. Ergebnis

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die Arbeitskampfparteien die relative Friedenspflicht des bereits bestehenden Tarifvertrages zu beachten.178 Strebt demgegenüber die Gewerkschaft oder der Arbeitgeberverband bei bestehendem Firmentarifvertrag und gleichzeitiger Mitgliedschaft des Arbeitgebers in dem betreffenden Arbeitgeberverband den Abschluss eines Verbandstarifvertrages an, so führt die Friedenspflicht des bestehenden Firmentarifvertrages zwar nicht dazu, dass der Arbeitskampf zum Abschluss des Verbandstarifvertrages generell zulässig ist. Sie führt aber dazu, dass der firmentariflich gebundene Arbeitgeber und dessen firmentariflich gebundene Arbeitnehmer sich nicht an dem Verbandsarbeitskampf beteiligen dürfen.179 Wollen sie vermeiden, dass sie hierdurch an einen Verbandstarifvertrag gebunden werden, auf dessen Inhalt sie wegen des für sie geltenden Arbeitskampfverbotes keinen maßgeblichen Einfluss nehmen konnten, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, sich entweder gegenüber ihrem Verband für eine Herausnahme aus dem Geltungsbereich einzusetzen oder den Verband vor Abschluss des Tarifvertrages zu verlassen.180 Unzulässig ist demgegenüber der Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag bei bestehendem Firmentarifvertrag, da sich hier der Geltungsbereich der Friedenspflicht des Firmentarifvertrages mit dem Geltungsbereich des angestrebten unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages deckt.181 Besteht umgekehrt bereits ein Verbandstarifvertrag und strebt entweder die Gewerkschaft oder der einzelne Arbeitgeber den Abschluss eines Firmentarifvertrages an, so ist der Firmenarbeitskampf dann unzulässig, wenn sich dieser auf Regelungsgegenstände erstrecken soll, die bereits im Verbandstarifvertrag geregelt sind.182 Insofern gilt die relative Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages auch für den Firmenarbeitskampf.183 Eine andere Bewertung ist für alle drei Fallgruppen erforderlich, wenn Tarifvertragspartei auf Arbeitnehmerseite nicht jeweils dieselbe Gewerkschaft ist, sondern wenn es verschiedene sind. Dann sind Arbeitskämpfe unbeschränkt zulässig, allerdings dürfen die in der bereits tariflich gebundenen Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer weder selbst am Arbeitskampf teilnehmen, noch darf der Arbeitgeber diese Arbeitnehmer aussperren. Hier kommt die Friedenspflicht des bereits bestehenden Tarifvertrages zum Tragen.184 Auch der wiederholte freiwillige Abschluss von Firmentarifverträgen führt nicht zu einem Ausschluss der Friedenspflicht aus bestehenden Verbandstarifverträgen.185 Weder liegt in einem solchen Verhalten eine konkludente Verzichtserklä178 179 180 181 182 183 184 185

§ 6 B. I. § 6 B. II. § 6 B. II. § 6 B. II. § 6 B. III. 4. § 6 B. III. 4. § 6 B. I., II., III. 4. § 6 C.

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§ 6 Tarifvertragliche Friedenspflicht und Firmenarbeitskampf

rung des Arbeitgebers auf die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht186, noch kann man die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages dahin auslegen, dass sie diejenigen Mitgliedsarbeitgeber nicht erfasst, die bei Abschluss des Verbandstarifvertrages bereits firmentariflich gebunden sind und in der Vergangenheit schon mehrfach Firmentarifverträge abgeschlossen haben.187 Unzulässig ist der Firmenarbeitskampf – wenn die Gewerkschaft selbst Partei dieses Verbandstarifvertrages und der Arbeitgeber Mitglied des den Verbandstarifvertrag abschließenden Arbeitgeberverbandes ist – ferner bis zur erfolglosen Durchführung eines verbandstarifvertraglich vereinbarten Schlichtungsverfahrens.188 Dem Firmenarbeitskampf nicht im Wege steht die Friedenspflicht eines Verbandstarifvertrages aber dann, wenn sich der Verbandstarifvertrag nur noch im Nachwirkungsstadium befindet189 oder keine beiderseitige Tarifbindung kraft Organisationszugehörigkeit besteht.190 Insbesondere führt weder eine OT-Mitgliedschaft191 oder eine einzelvertragliche Inbezugnahme192 noch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung193 zu einer solchen beiderseitigen Tarifbindung und damit zu einer Geltung der Friedenspflicht des Tarifvertrages. Zugunsten des Firmenarbeitskampfes ausschließen können die Tarifvertragsparteien eines Verbandstarifvertrages die Friedenspflicht dadurch, dass sie eine Öffnungsklausel zugunsten des Firmentarifvertrages vereinbaren.194 Die gegen die Zulässigkeit einer solchen Öffnungsklausel von der h. L. vorgebrachten Einwände konnten nicht überzeugen.195 Weder das „Wesen“ des Tarifvertrages196 noch sonstige schuldrechtliche Grundsätze197 sprechen gegen die Vereinbarung einer Öffnungsklausel und damit den (partiellen) Ausschluss der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages. Die h. L. verstrickt sich vielmehr selbst in Widersprüche zu ihrer Argumentation im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Vereinbarung eines lediglich nachwirkenden Tarifvertrages.198 Die Vereinbarung einer Öffnungsklausel in einem Verbandstarifvertrag ist ferner nicht wegen Verstoßes gegen verbandsinterne Verpflichtungen unzulässig.199 Schließlich ist der durch die Öff186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199

§ 6 C. I. § 6 C. II. § 6 D. § 6 E. § 6 F. § 6 F. I. § 6 F. II. § 6 F. III. § 6 G. § 6 G. II. 3. § 6 G. II. 3. a). § 6 G. II. 3. b). § 6 G. II. 3. c) bb). § 6 G. II. 3. e).

I. Ergebnis

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nungsklausel ermöglichte Firmenarbeitskampf auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil bereits eine tarifliche Regelung besteht.200 Die Ausführungen haben ferner gezeigt, dass sich der einzelne Arbeitgeber durch eine Flucht in den Arbeitgeberverband regelmäßig dem Firmenarbeitskampf entziehen kann, da sich die Friedenspflicht bestehender Verbandstarifverträge auch auf nachträglich eintretende Arbeitgeber erstreckt.201 Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Gewerkschaft zum einen mit dem betreffenden Arbeitgeberverband überhaupt einen Verbandstarifvertrag abgeschlossen hat, zum anderen, dass dieser inhaltlich auch die mit dem Firmenarbeitskampf angestrebten Tarifziele regelt.202 Ferner muss sich der Eintritt des Arbeitgebers innerhalb der gewöhnlichen Fluktuation des Arbeitgeberverbandes bewegen.203 Außergewöhnliche Zuwächse – beispielsweise der Beitritt eines Großunternehmens in einen mittelständisch geprägten Arbeitgeberverband – erfasst der geltende Tarifvertrag und die in ihm enthaltene Friedenspflicht nicht.204 Der umgekehrte Fall – die Flucht aus dem Arbeitgeberverband – führt ebenso wie die Auflösung des Arbeitgeberverbandes dazu, dass ab Austritt bzw. Auflösungsbeschluss die Friedenspflicht des bestehenden Verbandstarifvertrages erlischt und deswegen ein Firmenarbeitskampf unbeschränkt zulässig ist.205

200 201 202 203 204 205

§ 6 G. III. § 6 H. I. 4. § 6 H. I. 4. § 6 H. I. 4. b). § 6 H. I. 4. § 6 H. II. und III.

§ 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes Firmenarbeitskämpfe haben – wie jeder Arbeitskampf – nicht nur Auswirkungen auf die unmittelbar arbeitskampfführenden Parteien, sondern wirken sich oftmals auch auf nicht unmittelbar Beteiligte aus. Dies kann zur Folge haben, dass ein durch Firmenarbeitskampf mittelbar betroffener Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nicht oder nicht mehr sinnvoll beschäftigen kann. Es stellt sich dann die Frage, ob der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet ist, seinen Arbeitnehmern Lohn zu zahlen. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist die Rechtslage außerhalb des Arbeitskampfes. Nach § 615 S. 3 BGB ist das Betriebs- und auch das Wirtschaftsrisiko allein vom Arbeitgeber zu tragen.1 Das Betriebsrisiko umfasst die Fälle, in denen die Erbringung der Arbeitsleistung aus tatsächlichen und im Betrieb des Arbeitgebers liegenden Gründen unmöglich ist (z. B. bei einem Stromausfall oder Brand im Betrieb).2 Das Wirtschaftsrisiko umfasst demgegenüber diejenigen Fälle, in denen die Erbringung der Arbeitsleistung zwar tatsächlich möglich ist, sie für den Arbeitgeber aber wirtschaftlich sinnlos wird, weil beispielsweise keine Abnehmer mehr für die produzierten Waren vorhanden sind.3 Kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer aus diesen Gründen nicht oder nicht mehr sinnvoll beschäftigen, gerät er auch ohne eigenes Verschulden in Annahmeverzug gem. § 615 S. 1 BGB und muss seinen Arbeitnehmern weiter Entgelt zahlen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in annahmeverzugsbegründende Weise anbietet.4 Auch während eines Arbeitskampfes kann es zu Betriebsablaufstörungen kommen, die entweder der Fallgruppe des Betriebs- oder der des Wirtschaftsrisikos 1 Siehe nur MhdbAR-Boewer, § 79 Rn. 1 ff.; Gotthardt, Schuldrechtsreform, S. 51 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 774 ff.; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 288 ff.; KassHdbARKünzl, Kap. 2.1. Rn. 529 ff.; Lakies in: Kittner / Zwanziger, Arbeitsrecht, § 77 Rn. 17 ff.; Erfk-Preis, § 615 Rn. 126 ff.; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 239 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 2 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MhdbAR-Boewer, § 79 Rn. 1 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 775; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 288 ff.; KassHdbAR-Künzl, Kap. 2.1. Rn. 530; Lakies in: Kittner / Zwanziger, Arbeitsrecht, § 77 Rn. 17; Erfk-Preis, § 615 BGB Rn. 126; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 239 f. 3 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MhdbAR-Boewer, § 79 Rn. 6 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 775; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 288 ff.; KassddbAR-Künzl, Kap. 2.1. Rn. 531; Lakies in: Kittner / Zwanziger, § 77 Rn. 20; ErfK-Preis, § 615 BGB Rn. 126; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 240. 4 Siehe nur BAG vom 8. 3. 1961, AP Nr. 13 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG vom 7. 12. 1962, AP Nr. 14 zu § 615 BGB; MhdbAR-Boewer, § 79 Rn. 80, § 78 Rn. 16 ff.

§ 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes

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zuzuordnen sind. So kann beispielsweise ein wichtiger Zulieferbetrieb bestreikt werden und daher die Produktion nicht mehr aufrecht erhalten werden.5 Bliebe es in diesen Fällen bei der geschilderten Ausgangssituation, dass der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko allein zu tragen hat, müsste er seinen Arbeitnehmern auch bei arbeitskampfbedingten Betriebsablaufstörungen weiterhin Entgelt zahlen. Durch gezielte Streiks in Schlüsselbetrieben könnte die Gewerkschaft so ganze Produktionsketten lahm legen, ohne dass die nicht unmittelbar am Streik beteiligten Arbeitnehmer ihre Entgeltansprüche verlören und deshalb der gewerkschaftlichen Streikkasse zur Last fielen. Damit wäre – überspitzt formuliert – ein Arbeitskampf auf Kosten der Arbeitgeber möglich. Da dieses Ergebnis allenthalben als unbillig empfunden wird, besteht Einigkeit, dass bei arbeitskampfbedingten Betriebsablaufstörungen eine von den Grundsätzen der Betriebs- und Wirtschaftsrisikolehre abweichende Verteilung des Entgeltrisikos vorzunehmen ist. Wie und auf welchem Weg diese allerdings vorzunehmen ist, ist höchst strittig. Auf die Einzelheiten dieses komplexen Streitstandes kann und soll nicht näher eingegangen werden.6 Die folgenden Ausführungen orientieren sich allein an der für die Praxis relevanten Rechtsprechung des BAG, die im Folgenden kurz dargestellt wird. Das BAG nahm zunächst in Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts eine Abschichtung unter Sphärengesichtspunkten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vor.7 Betriebsablaufstörungen, die auf Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmerseite zurückzuführen waren, sollten die Arbeitnehmer zu tragen haben.8 Demgegenüber sollten Betriebsablaufstörungen, die auf Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite zurückzuführen waren, von den Arbeitgebern zu tragen sein.9 Diese Rechtsprechung gab das BAG 1980 auf.10 Seither kommt es für die Verteilung des arbeitskampfbedingten Entgeltrisikos allein darauf an, ob und inwieweit dieses Auswirkungen auf die Kampfparität hat.11 Führt die fortbestehende Entgeltzahlungspflicht bei typisierender Betrachtungsweise zu einer Beeinträchtigung der Kampfparität zu Lasten der Arbeitgeberseite, muss die Entgelt5 So der Sachverhalt in der Entscheidung des BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 6 Zu den in der Literatur vertretenen Ansichten vgl. zusammenfassend KassHdbAR-Kalb, Kap. 8.2 Rn. 355 ff. sowie MhdbAR-Otto, § 290 Rn. 1 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 7 RG vom 6. 2. 1923, RGZ 106, 272 ff.; BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG vom 25. 7. 1957, AP Nr. 3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG vom 21. 1. 1958, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 8 BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 9 BAG vom 8. 2. 1957, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 10 Angedeutet bereits in BAG vom 1. 2. 1973, AP Nr. 29 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG vom 7. 11. 1975, AP Nr. 30 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. Endgültige Abkehr in BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 11 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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§ 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes

zahlungspflicht des mittelbar betroffenen Arbeitgebers entfallen.12 Eine Beeinträchtigung der Kampfparität durch eine fortbestehende Entgeltzahlungspflicht nimmt das BAG in folgenden Fallkonstellationen an: Sie liege zunächst dann vor, wenn der nur mittelbar betroffene Arbeitgeber unter den Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages fällt.13 Weiter liege eine Beeinträchtigung der Kampfparität vor, wenn zwischen dem betroffenen und dem kampfführenden Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband eine koalitionsrechtliche Verbindung besteht. Eine solche sei gegeben, wenn der betroffene Arbeitgeber entweder selbst dem kampfführenden Verband angehört oder aber eine Verbindung zumindest über einen Spitzenverband bestehe.14 Letztlich reicht für eine Beeinträchtigung der Kampfparität nach dem BAG aber auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen dem am Arbeitskampf unmittelbar beteiligten und dem nur mittelbar betroffenen Arbeitgeber aus.15 Eine genauere Konkretisierung, wann eine solche wirtschaftliche Abhängigkeit vorliegt, hat das BAG aber ausdrücklich offen gelassen.16 Lediglich für den Fall, dass beide Arbeitgeber in einem Konzern miteinander verbunden sind, hat das Gericht eine hinreichende wirtschaftliche Abhängigkeit angenommen.17 Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des BAG ergibt sich im Hinblick auf die Fernwirkungen eines Firmenarbeitskampfes folgendes Bild: Die Fallgruppe des mittelbar betroffenen Arbeitgebers, der unter den Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages fällt, ist im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes nie einschlägig. Da der Firmentarifvertrag nur für einzelne Arbeitgeber gilt, kann denklogisch kein Arbeitgeber unter den Geltungsbereich des Firmentarifvertrages fallen, ohne gleichzeitig selbst unmittelbare Arbeitskampfpartei zu sein. Aus diesem Grund kann daher eine Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht entfallen. Möglich ist aber eine kampfparitätisch bedingte Befreiung von der Entgeltzahlungspflicht aufgrund bestehender koalitionsrechtlicher Verbindungen zwischen dem mittelbar betroffenen und dem den Firmenarbeitskampf führenden Arbeitgeber. Eine solche Verbindung liegt nach den vom BAG aufgestellten Grundsätzen jedenfalls dann vor, wenn der kampfführende und der mittelbar betroffene Arbeitgeber demselben Arbeitgeberverband angehören. Aber auch wenn der kampfführende und der mittelbar betroffene Arbeitgeber verschiedenen Arbeitgeberverbänden angehören, liegt eine hinreichende koalitionsrechtliche Verbindung vor, wenn beide Arbeitgeberverbände über einen Spitzenverband miteinander verbunden

12 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 13 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 14 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 15 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 16 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 17 BAG vom 22. 12. 1980, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

§ 7 Fernwirkungen des Firmenarbeitskampfes

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sind.18 Dabei ist es im Hinblick auf die für die Kampfparität entscheidenden Einflussnahmemöglichkeiten des mittelbar betroffenen Arbeitgebers auf den Ausgang des Firmenarbeitskampfes unerheblich, dass unmittelbare Kampfpartei – anders als in den vom BAG entschiedenen Fällen – nicht ein Arbeitgeberverband sondern ein einzelner Arbeitgeber ist. Das bestehende Mitgliedschaftsverhältnis des arbeitskampfführenden Arbeitgebers bietet genügend Angriffsfläche für eine kampfparitätisch relevante Einflussnahme. Ein Ausschluss der Entgeltansprüche aus Gründen der Kampfparität ist ferner dann anzunehmen, wenn der mittelbar betroffene Arbeitgeber und der arbeitskampfführende Arbeitgeber einem gemeinsamen Konzern angehören. Auch hier ergeben sich zwischen dem Verbands- und Firmenarbeitskampf keine Unterschiede. Letztlich verbleiben bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG noch die Fälle, in denen zwischen dem kampfführenden Arbeitgeber und dem mittelbar betroffenen Arbeitgeber lediglich eine wirtschaftliche Abhängigkeit außerhalb eines Konzerns besteht. Die Frage ist hier, wann eine solche kampfparitätisch relevante wirtschaftliche Abhängigkeit anzunehmen ist. Nicht jede wirtschaftliche Verbindung kann nämlich eine solche wirtschaftliche Abhängigkeit begründen. Ansonsten käme es angesichts der in Deutschland vorherrschenden Verflechtung der Wirtschaft zu einer fast grenzenlosen Befreiung von der Entgeltzahlungspflicht. Die wirtschaftliche Verbindung zwischen dem arbeitskampfführenden und dem mittelbar betroffenen Arbeitgeber muss daher eine dauerhafte Geschäftsbeziehung sein, die zumindest für einen der betroffenen Arbeitgeber von herausragender Bedeutung ist. Dies ist im Ergebnis der Fall, wenn der mittelbar betroffene Arbeitgeber Hauptabnehmer oder Hauptlieferant des arbeitskampfführenden Arbeitgebers ist. Liegt keine dieser im Rahmen des Firmenarbeitskampfes denkbaren drei Fallgestaltungen vor, bleibt es bei der durch das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko vorgegebenen Grundregel, dass der Arbeitgeber das Entgeltrisiko zu tragen hat.

18 Es ist allerdings fraglich, ob allein eine Verbindung über den BDA ausreicht. Hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 1255 mit weiteren Nachweisen.

19 Witt

§ 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Satzungs- und verbandstarifvertragliche Klauseln A. Verbandsinterne Abschlussverbote Arbeitgeberverbände sind daran interessiert, zugunsten einer verbandseinheitlichen Tarifpolitik eine eigenständige Tariftätigkeit ihrer Mitglieder zu unterbinden. Nicht selten1 enthalten Satzungen von Arbeitgeberverbänden daher Klauseln, die den Mitgliedsarbeitgebern eine eigene Tarifpolitik und damit den Abschluss von Firmentarifverträgen untersagen. Mit dem Inhalt und der Zulässigkeit derartiger Satzungsklauseln sollen sich die folgenden Ausführungen befassen.

I. Erscheinungsformen und Inhalte Regelungsort von Abschlussverboten ist – wie schon erwähnt – meist die Satzung des Arbeitgeberverbandes.2 Im Einzelfall kann sich ein solches Verbot aber auch aus einem Beschluss des zuständigen Organs3 des Arbeitgeberverbandes ergeben.4 Je nach tarifpolitischem Interesse des Arbeitgeberverbandes sind unterschiedlich weit reichende Abschlussverbote denkbar. Möglich ist zunächst die Statuierung eins generellen Verbotes, Firmentarifverträge abzuschließen.5 In Betracht kommt Siehe dazu die Beispiele sogleich. Vgl. nur § 7 der Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Schleswig-Holstein (zitiert nach Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501); § 9 c der Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg (abgelegt in: www.kavbw.de); § 5 Abs. 1 Nr. 6 Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern (abgelegt in: www.kav-bayern.de); § 7 Nr. 1 c. Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen (abgelegt in: www.kav-nds.de); § 5 Abs. 1 Nr. 6 der Satzung des Arbeitgeberverbandes Dienstleistungsunternehmen (ar.di) (abgelegt in: www.arbeitgeberverband.com). Mangels Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers spielen derartige Klauseln auf Arbeitnehmerseite demgegenüber keine Rolle. 3 Dies ist regelmäßig die Mitgliederversammlung. 4 Auf diese Möglichkeit weist auch Buchner, DB 1970, 2025, 2029 hin. Bekannt geworden ist ein solcher Beschluss allerdings bislang noch nicht. 5 § 7 c der Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg (abgelegt in: www.kavbw.de); § 7 Nr. 1 c. Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Nieder1 2

A. Verbandsinterne Abschlussverbote

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aber auch, lediglich ein diesbezügliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu statuieren6 oder den Abschluss von Firmentarifverträgen nur für Bereiche zu untersagen, die bereits den Regelungen eines Verbandstarifvertrages unterliegen. Abschlussverbote dieser Art decken sich ihrem Umfang nach mit der relativen Friedenspflicht des vom Verband abgeschlossenen Verbandstarifvertrages und erstrecken diese damit auch auf den Bereich des freiwilligen Abschlusses von Firmentarifverträgen.7 Im Zweifelsfall ist der Umfang des Abschlussverbotes durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist stets zu fragen, ob dem jeweiligen Abschlussverbot nur verbandsinterne Wirkung zukommen soll, ob es also nur das „Dürfen“, nicht aber das „Können“ des Mitgliedsarbeitgebers regelt8, oder ob ihm auch Außenwirkung im Sinne eines Ausschlusses der Tariffähigkeit des einzelnen Mitgliedsarbeitgebers zukommen soll.9 Die ganz überwiegende Auffassung will die Satzung im Regelfall dahin auslegen, dass einem Abschlussverbot nur verbandsinterne Wirkung zukommt.10 Unabhängig von dieser Auslegung der Klausel ist im Folgenden aber weiter zu fragen, ob die Vereinbarung eines Abschlussverbotes überhaupt zulässig ist. Dabei ist zwischen Abschlussverboten mit Außenwirkung und solchen mit Innenwirkung zu unterscheiden.

sachen (abgelegt in: www.kav-nds.de); § 5 Nr. 2 Satzung des Arbeitgeberverbandes Dienstleistungsunternehmen (ar.di) (abgelegt in: www.arbeitgeberverband.com). 6 Siehe hierzu § 7 Abs. 1 g), Abs. 2 der Satzung des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Schleswig-Holstein (zitiert nach Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501). 7 Hierauf weisen auch Boldt, RdA 1971, 257, 264 und Nipperdey / Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II A, I 2 c) aa) (Lieferung 8. 2. 1970) hin. 8 So die treffende Formulierung bei Boldt, RdA 1971, 257, 264; Hessel, BB 1955, 1028, 1029; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 120. 9 In diesem Sinne legen Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501 § 7 der Satzung des kommunalen Arbeitgeberverbandes Schleswig-Holstein aus. 10 BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 24. 1. 2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 4. 4. 2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 22 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 23 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 24 / 01 n.v.; Becker, AuA 2000, 18; Beuthien, BB 1975, 477; Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 64; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 505; D. Gaul, RdA 1966, 172, 177; Gumpert, BB 1958, 1316, 1317; Hess, Zulässigkeit, S. 27 ff.; ders., ZfA 1976, 45, 54; Hessel, BB 1955, 1028, 1029; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 462 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 425 Fn. 12; Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; ders., Anmerkung zu BAG, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Matthes, FS Schaub, S. 477, 479; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 128; Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag C I. (Lieferung 15. 1. 1973); Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2059; Söllner, Grundriß, S. 133; Stein, RdA 2000, 129, 136; Richardi, JurAn 1971, 141, 150; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 39; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 120; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 22. A. A. früher Nipperdey, Beiträge, S. 86. 19*

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§ 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Klauseln

II. Zulässigkeit 1. Abschlussverbote mit Außenwirkung Die h. M. geht davon aus, dass die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers unabdingbar sei, woraus auch die Unzulässigkeit von Abschlussverboten mit Außenwirkung folge. Ausdrücklich herausgestellt wird dies jedoch nur selten. Der überwiegende Teil der h. M. begnügt sich vielmehr damit festzustellen, dass ein Abschlussverbot nur interne Wirkung habe.11 Vor allem Blanke hat aber die h. M. argumentativ untermauert.12 Er führt aus, dass die durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützte individuelle aber auch die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit der Arbeitnehmerseite verletzt sei, wenn sich der einzelne Arbeitgeber mittels einer entsprechenden Satzungsklausel bzw. eines Beschlusses des Arbeitgeberverbandes seiner Tariffähigkeit entledigen könnte.13 Eine solche Satzungsbestimmung verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG und sei daher nichtig bzw. unwirksam.14 Von der Zulässigkeit derartiger Abschlussverbote mit Außenwirkung gehen demgegenüber Kleinke / Kley / Walter aus, die dies allerdings nicht näher begründen.15 Im Ergebnis erweist sich die h. M. als richtig. Allerdings bedarf es zur Begründung der Unwirksamkeit eines verbandsinternen Abschlussverbotes mit Außenwirkung entgegen Blanke keines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Ob und inwie11 BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 24. 1. 2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG vom 4. 4. 2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 22 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 23 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 24 / 01 n.v.; BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Becker, AuR 2000, 18; Beuthien, BB 1975, 477; Boldt, RdA 1971, 257, 263 f.; Brox /Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 137; Buchner, DB 2001, Beilage 9, S. 1, 6; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 64; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 505; D. Gaul, RdA 1966, 172, 177; Gumpert, BB 1958, 1316, 1317; Hess, ZfA 1976, 45, 54; ders., Zulässigkeit, S. 27 ff.; Hessel, BB 1955, 1028, 1029; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 462 f.; Jacobs, Anmerkung zu BAG, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; ders., ZTR 2001, 249, 251; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 425; Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 286; Matthes, FS Schaub, S. 477, 479; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 128; Richardi, JurAn 1971, 141, 150; ders., AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag C I. (Lieferung 15. 1. 1973); Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 2059; Söllner, Grundriß, S. 133; Stein, RdA 2000, 129, 136; Waas, Friedenspflicht, S. 117 ff.; Weiss, Koalitionsfreiheit, S. 39; Wieland, Firmentarifverträge, Rn. 120; Zachert, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 17, 22. 12 Blanke, ZTR 2000, 211, 213. 13 Blanke, ZTR 2000, 211, 213. 14 Blanke, ZTR 2000, 211, 213. In diese Richtung auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 524, der davon spricht, dass die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit gehöre. 15 Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501 f. Unklar demgegenüber Reuter, NZA 2001, 1097, 101, der zwischen einem Abschlussverbot mit Außen- und Innenwirkung nicht deutlich unterscheidet.

A. Verbandsinterne Abschlussverbote

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weit die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers abdingbar und damit eine die Tariffähigkeit des Mitgliedsarbeitgebers ausschließende Satzungsklausel zulässig ist, ist in erster Linie eine Frage der Auslegung des die Tariffähigkeit regelnden § 2 Abs. 1 TVG. Ergibt diese, dass die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers unabdingbar ist, folgt allein hieraus schon die Unzulässigkeit von Abschlussverboten mit Außenwirkung.16 Die Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG ergibt folgendes Bild: Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG „sind“ einzelne Arbeitgeber tariffähig. Die Verwendung des Verbs „sind“ spricht zunächst dafür, dass § 2 Abs. 1 TVG bezüglich der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zwingende Wirkung zukommen soll. Wenn § 2 Abs. 1 TVG nach der Intention des Gesetzgebers nämlich nur den Kreis der potentiell tariffähigen Personen festlegen sollte, die tatsächliche Tariffähigkeit aber der Dispositionsfreiheit der Beteiligten offen stünde, hätte in § 2 Abs. 1 TVG nicht das Verb „sein“, sondern „können“ verwendet werden müssen. § 2 Abs. 1 TVG hätte dann bezüglich des einzelnen Arbeitgebers lauten müssen: „Tarifvertragsparteien können . . . einzelne Arbeitgeber . . . sein.“ Allein mit einer solchen Formulierung käme eine vom Gesetzgeber gewollte Abdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hinreichend zum Ausdruck. Die wörtliche Auslegung spricht daher für eine Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Auch die Gesetzessystematik stützt diese Auslegung. Anders, als es § 2 Abs. 3 TVG für die Spitzenorganisationen regelt, stellt § 2 Abs. 1 TVG dem einzelnen Arbeitgeber gerade nicht frei, den Abschluss von Tarifverträgen in seinen Aufgabenbereich zu stellen oder hiervon, insbesondere durch Beitritt zu einem Arbeitgeberverband, Abstand zu nehmen. Wenn der Gesetzgeber in § 2 Abs. 3 TVG den (Sonder-)Fall der Abdingbarkeit der Tariffähigkeit für die Spitzenorganisationen aber ausdrücklich regelt, spricht die Nichterwähnung einer solchen Abdingbarkeit in § 2 Abs. 1 TVG dafür, dass die hierin normierte Tariffähigkeit nicht abdingbar ist. Auch die systematische Auslegung spricht somit gegen eine Abdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Den Gesetzesmaterialien lassen sich demgegenüber zwar keine Aussagen zur vorliegenden Problematik entnehmen. Letztlich spricht aber auch die teleologische Auslegung für die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. § 2 Abs. 1 TVG soll jedenfalls verhindern, dass sich der einzelne Arbeitgeber durch Austritt aus oder Fernbleiben von einem Verband der tariflichen Inanspruchnahme entziehen kann. Dieses gesetzliche Ziel würde konterkariert werden, wenn sich der einzelne Arbeitgeber zwar nicht durch den Austritt oder das Fernbleiben von einem Verband, wohl aber durch die Aufgabe der eigenen Tariffähigkeit seiner tariflichen Inanspruchnahme problemlos entziehen könnte. Insofern ist jedenfalls 16 So zutreffend auch BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Waas, Friedenspflicht, S. 117.

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§ 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Klauseln

die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers unabdingbar. Streitig ist zwar, ob § 2 Abs. 1 TVG aus den genannten Gründen nur die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber, oder darüber hinaus auch – zur Steigerung der Effektivität des Tarifsystems – die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers vorsieht. Dieser Streitstand wurde aber zugunsten der letztgenannten Alternative bereits oben entschieden.17 Entspricht es damit dem Regelungszweck des § 2 Abs. 1 TVG, die Tariffähigkeit zum Zwecke der Steigerung der Effektivität des Tarifsystems auch auf den verbandsangehörigen Arbeitgeber zu erstrecken, läuft die Abdingbarkeit der Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers dieser gesetzlichen Intention zuwider, da der verbandsangehörige Arbeitgeber durch Aufgabe der eigenen Tariffähigkeit diese Steigerung der Effektivität des Tarifsystems gerade verhindern könnte. Insofern spricht auch die teleologische Auslegung für eine Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit sowohl im Hinblick auf den verbandsangehörigen als auch den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber. Gleichwohl, so ließe sich anführen, gelange die h. M. bezüglich der ebenfalls in § 2 Abs. 1 TVG geregelten Tariffähigkeit der Verbände zu dem gegenteiligen Ergebnis, dass es diesen freistehe, über die eigene Tariffähigkeit zu disponieren.18 Streitig ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob ein Verzicht auf die Tariffähigkeit stets auch einen Verzicht auf das Tätigwerden des Verbandes auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nach sich ziehen muss19 oder ob ein reiner Verzicht auf die Tariffähigkeit unter Beibehaltung von Beratungs- und Unterstützungstätigkeiten auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zulässig ist.20 Begründet wird die von der h. M. angenommenen Abdingbarkeit der Tariffähigkeit mit der Erwägung, dass eine unabdingbare Tariffähigkeit der Verbände gegen deren Koalitionsfreiheit verstoße.21 Wenn es den Verbänden nämlich freistehe, sich überhaupt zu bilden oder aufzulösen, müsste Gleiches erst recht für die Begründung oder den Ausschluss der eigenen Tariffähigkeit gelten.22 Siehe oben § 3 B. Buchner, NZA 1994, 2, 10; Däubler, ZTR 1994, 448, 454; ders., NZA 1996, 225, 232; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 79; Löwisch, ZfA 1974, 29, 34 ff.; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 33, 47; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 22 f.; Otto, NZA 1996, 624, 626. 19 Sog. „Alles oder nichts – Grundsatz“: Däubler, ZTR 1994, 448, 454; ders., NZA 1996, 225, 232; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 79; Löwisch, ZfA 1974, 29, 34 ff.; Löwisch / Rieble, TVG, § 2 Rn. 33, 47. 20 So Besgen, Mitgliedschaft, S. 30 ff.; Buchner, NZA 1994, 2, 10; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 22 f.; Otto, NZA 1996, 624, 626. Teilweise wird nach dieser Ansicht vertreten, dass der tarifunwillige Verband keine Koalition gem. Art. 9 Abs. 3 GG sei. So Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 527 f.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 2059. 21 Buchner, NZA 1994, 2, 10; Däubler, NZA 1996, 225, 232; ders., ZTR 1994, 448, 454; Löwisch, ZfA 1974, 29, 33 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 23; Otto, NZA 1996, 624, 625. 22 Buchner, NZA 1994, 2, 10; Däubler, NZA 1996, 225, 232; ders., ZTR 1994, 440, 454; Löwisch, ZfA 1974, 29, 32 ff.; Otto, NZA 1996, 624, 625. 17 18

A. Verbandsinterne Abschlussverbote

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Art. 9 Abs. 3 GG lasse auch nicht erkennen, dass die Koalitionszweckverfolgung immer notwendig mit einem tarifpolitischen Tätigwerden des Verbandes verbunden sein müsse.23 Ob diese Erwägungen der h. M. tatsächlich zutreffen, mag hier dahinstehen. Wichtig ist allein folgende Überlegung: Ließen sich diese verfassungsrechtlichen Erwägungen ebenfalls bezüglich der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers anführen, müsste § 2 Abs. 1 TVG auch in Bezug auf den einzelnen Arbeitgeber verfassungskonform zugunsten einer Abdingbarkeit der Tariffähigkeit ausgelegt werden. Dies ist aber im Ergebnis nicht der Fall. Der von der h. M. bezüglich der Tariffähigkeit der Verbände herangezogenen Koalitionsbildungsfreiheit können bezüglich der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ersichtlich keine Aussagen entnommen werden, da die Koalitionsbildungsfreiheit allein die Bildung der Koalitionen schützt und keinen entsprechenden Schutz des einzelnen Arbeitgebers enthält. Unmittelbar lässt sich dem Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG daher kein Recht des Arbeitgebers auf die Abdingbarkeit seiner Tariffähigkeit entnehmen. Ein solches käme daher allenfalls dann noch in Betracht, wenn die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit mit den Grenzen der durch diese Norm vorgenommenen Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar wäre. Auch dies trifft aber nicht zu. Die Ausgestaltungsuntergrenze ist erst dann unterschritten, wenn die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers die Koalitionszweckverfolgung – Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – leer laufen ließe, also das einfachgesetzliche Tarifrecht wegen der Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen offensichtlich ungeeignet oder untauglich wäre. Dies ist aber ersichtlich nicht der Fall. Im Gegenteil, zumindest die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers ist gemessen an diesen Maßstäben sogar verfassungsrechtlich notwendig. Im Hinblick auf die Ausgestaltungsobergrenze ist die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dann verfassungsrechtlich problematisch, wenn diese Regelung in andere Grundrechte eingreift und ein solcher Eingriff nicht durch den Ausgestaltungsauftrag an den Gesetzgeber gerechtfertigt ist.24 Auch dies ist aber nicht anzunehmen. Zu einer Überschreitung der Ausgestaltungsobergrenze durch die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers kann man allein dann gelangen, wenn man von einem verfassungsrechtlich gewährleisteten Vorrang der verbandlichen vor der betrieblichen Tarifpolitik ausginge.25 Nur dann müsste man dem Arbeitgeberverband nämlich in der Tat das Recht zubilligen, sich mit Hilfe des Ausschlusses der Tariffähigkeit seiner Mitgliedsarbeitgeber vor konkurrierenden Firmentarifverträgen zu schützen. Wie 23 24 25

Siehe nur Buchner, NZA 1994, 2, 10. Zur Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit durch das TVG siehe § 3 C. I. 1. c) cc). So Reuter, NZA 2001, 1097 ff.

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§ 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Klauseln

schon oben ausgeführt, existiert ein solcher die Abdingbarkeit rechtfertigender Vorrang der verbandlichen vor der betrieblichen Tariftätigkeit aber nicht.26 Die durch § 2 Abs. 1 TVG verfassungsrechtlich zulässig vorgenommene Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG statuiert vielmehr ein gleichberechtigtes Nebeneinander der verbandlichen und betrieblichen Regelungsebene. Die Unabdingbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist daher auch mit der Ausgestaltungsobergrenze vereinbar. Im Ergebnis ist somit der h. M. zu folgen. Eine Satzungsklausel, die die Tariffähigkeit des einzelnen Mitgliedsarbeitsgebers ausschließt, ist wegen der Unabdingbarkeit des § 2 Abs. 1 TVG unwirksam. Gleiches gilt auch für die Klauseln, die die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zwar nicht unmittelbar ausschließen, von diesem aber einen Verzicht auf die eigene Tariffähigkeit während der Verbandsmitgliedschaft verlangen. Hier wird vom Mitgliedsarbeitgeber nämlich etwas rechtlich Unmögliches verlangt.

2. Abschlussverbote mit Innenwirkung Rechtsfolge eines Abschlussverbotes mit Innenwirkung ist, dass der einzelne Arbeitgeber zwar weiterhin tariffähig bleibt, ihm der Abschluss von Firmentarifverträgen aber im Verhältnis zu seinem Verband untersagt ist. Schließt er trotz des Verbotes einen Firmentarifvertrag ab, berührt die Klausel dessen Wirksamkeit zwar nicht, der Mitgliedsarbeitgeber verstößt aber gegen seine mitgliedschaftlichen Pflichten gegenüber dem Verband, so dass dieser zu verbandsrechtlichen Sanktionen zu Lasten seines Mitgliedes greifen darf. Als Sanktionen denkbar sind hier die Zahlung einer in der Satzung festgelegten Strafe, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, im äußersten Fall aber auch der Ausschluss des Mitgliedes aus dem Verband. Zudem kann der Arbeitgeberverband von seinem Mitglied verlangen, dass dieses den geschlossenen Tarifvertrag bei nächster Gelegenheit wieder kündigt, um so den pflichtwidrigen Zustand zu beseitigen.27 Die h. M. hält solche Abschlussverbote mit bloßer Innenwirkung generell für wirksam.28 Das Interesse des Mitgliedsarbeitgebers an einer separaten Tarifpolitik § 5 C. II. 1. b). So auch Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 2 Rn. 8. 28 Vgl. BAG vom 4. 5. 1955, AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 24. 1. 2001, AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; BAG 4. 4. 2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 22 / 01 n.v.; BAG vom 22. 2. 2002, 4 AZR 23 / 01 n.v.; BAG vom 22. 02. 2002, 4 AZR 24 / 01 n.v.; Boldt, RdA 1971, 257, 264; Buchner, DB 1970, 2025, 2029 f.; ders., DB 2001, Beilage 9, S. 1, 6; D. Gaul, RdA 1966, 172, 177; Gumpert, BB 1958, 1316, 1317; von Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 463; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II / 1, 7. Auflage, S. 424 f.; Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; Kleinke / Kley / Walter, ZTR 2000, 499, 501 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 242; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 116; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101; Richardi, JurAn 1971, 141, 150 (anders derselbe aber in AR-Blattei, Tarifvertrag XIII Firmentarifvertrag, 26 27

A. Verbandsinterne Abschlussverbote

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mittels Firmentarifvertrages habe bei bestehender Verbandsmitgliedschaft hinter dem Interesse des Verbandes an einer verbandseinheitlichen Tarifpolitik zurückzutreten.29 Zudem stehe es dem einzelnen Arbeitgeber jederzeit frei, den Verband zu verlassen, genauso wie es ihm freistehe, dem Verband überhaupt beizutreten. Solange der Arbeitgeber freiwillig Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sei, müsse er sich dem in der Satzung oder einem entsprechenden Beschluss geäußerten mehrheitlichen Willen der anderen Verbandsmitglieder, keine Firmentarifverträge abzuschließen, beugen.30 Auch im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit der Beteiligten ergebe sich kein anderes Ergebnis, da aus den genannten Gründen auch die Koalitionsfreiheit des Mitgliedsarbeitgebers hinter der des Arbeitgeberverbandes und der übrigen Arbeitgeber zurückzutreten habe.31 Gleiches gelte auch in Bezug auf die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft. Auch sie habe die mit einem solchen Abschlussverbot verbundene Einschränkung ihrer Tariftätigkeit hinzunehmen.32 Eine Gegenposition zur h. M. nehmen Hensche und Blanke ein.33 Hensche hält der Argumentation der h. M. entgegen, dass durch die Statuierung eines verbandsintern wirkenden Abschlussverbotes die in § 2 Abs. 1 TVG unabdingbar geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu Lasten der gewerkschaftlichen Tariftätigkeit unzulässigerweise umgangen werde. Auch ein lediglich intern wirkendes Abschlussverbot sei daher unwirksam.34 In die gleiche Richtung argumentiert Blanke, der anführt, dass ein verbandsintern wirkendes Abschlussverbot gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG verstoße und daher nichtig bzw. unwirksam sei. Nach Blanke schützt Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG die Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers gerade im Hinblick auf die hierdurch ermöglichte Tariftätigkeit der Gewerkschaft.35 Führe ein intern wirkendes Abschlussverbot zu einem faktischen Ausschluss der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und deshalb zu einer Einschränkung der Tariftätigkeit der Gewerkschaft, sei dies mit dem Schutzumfang des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nicht vereinbar und eine entsprechende Satzungsklausel gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unwirksam bzw. nichtig.36 C. I. [Lieferung 15. 01. 1973]); Wieland, Firmentarifverträge, S. 68 f. Offen gelassen BAG vom 10. 12. 2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 29 Boldt, RdA 1971, 257, 264; Buchner, DB 1970, 2025, 2029; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 116; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101. 30 Boldt, RdA 1971, 257, 264; Buchner, DB 1970, 2025, 2029 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 116; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101 f. 31 Boldt, RdA 1971, 257, 264; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101. So im Ergebnis auch Buchner, DB 1970, 2025, 2029, der bei seinen Ausführungen aber mehr eine Einschränkung der Vertragsfreiheit des Mitgliedsarbeitgebers in den Mittelpunkt stellt. 32 Boldt, RdA 1971, 257, 264; Buchner, DB 1970, 2025, 2029 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 116; Reuter, NZA 2001, 1097, 1101. 33 Hensche, RdA 1971, 9, 17; Blanke, ZTR 2000, 211, 213 Fn. 11. 34 Hensche, RdA 1971, 9, 17. 35 Blanke, ZTR 2000, 211, 213 Fn. 11 und Text. 36 Blanke, ZTR 2000, 211, 213 Fn. 11.

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§ 8 Dem Abschluss eines Firmentarifvertrages entgegenstehende Klauseln

Eine vermittelnde Ansicht vertreten Nipperdey / Säcker. Sie führen an, dass ein intern wirkendes Abschlussverbot nur dann unzulässig sei, wenn es sich auch auf Sachgebiete erstrecke, für die keine verbandstarifvertragliche Regelung bestehe. Die wirtschaftliche Freiheit des Mitgliedsarbeitgebers habe hier nur dem Interesse des Verbandes an der ausschließlichen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vorzugehen.37 Im Ergebnis ist der h. M. trotz der gegen sie vorgebrachten Einwände zu folgen. Zu Recht betont sie, dass das Verhältnis des Arbeitgebers zu seinem Verband maßgeblich durch den freiwilligen Eintritt und Verbleib des Arbeitgebers im Verband geprägt ist. Mit dem freiwilligen Eintritt muss der Arbeitgeber nämlich notwendigerweise ein Stück seiner Individualautonomie zugunsten der Verbandsautonomie aufgeben. Als Ausgleich dafür partizipiert er an den Früchten der Tätigkeit seines Verbandes. Ist er mit der Tarifpolitik seines Verbandes nicht einverstanden, kann er entweder auf eine Änderung derselben drängen oder aus dem Verband austreten und ggf. einen eigenen Verband gründen. Er darf aber nicht gegen den Willen des Verbandes eine eigene Tarifpolitik durch den Abschluss von Firmentarifverträgen betreiben. Auch seine insoweit betroffenen Grundrechte stehen aus diesem Grund hinter denen des Verbandes und der der anderen Mitglieder zurück. Dies gilt ebenfalls für den von Nipperdey / Säcker angesprochenen Fall, dass sich das Abschlussverbot sachlich auch auf Bereiche erstreckt, die (bislang) nicht Gegenstand verbandstariflicher Regelungen sind. Gerade in den Fällen, in denen noch keine verbandstarifliche Regelung besteht, kann es für den Verband umso wichtiger sein, dass der einzelne Mitgliedsarbeitgeber nicht durch den Abschluss eines eigenen Firmentarifvertrages vollendete Tatsachen schafft, die einer abweichenden Verbandsregelung im Wege stehen.38 Ein verbandsintern wirkendes Abschlussverbot stellt auch keine Umgehung der unabdingbaren Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu Lasten der Tariftätigkeit der Gewerkschaften dar. Die Gewerkschaft hat nur ein Recht darauf, dass der einzelne Arbeitgeber objektiv überhaupt in der Lage ist, Firmentarifverträge abzuschließen. Sie hat aber kein Recht darauf, dass der einzelne Arbeitgeber hierzu auch subjektiv bereit ist, und zwar unabhängig davon, ob der einzelne Arbeitnehmer aus autonom gebildeten Willen nicht bereit ist, Firmentarifverträge abzuschließen, oder ob diese Tarifunwilligkeit auf eine entsprechende Satzungsklausel zurückzuführen ist.39 Für diese Fälle fordert das geltende Recht nur, dass der Gewerkschaft die Möglichkeit verbleiben muss, auf den entgegenstehenden Willen des Arbeitgebers nötigenfalls mit Arbeitskampfmitteln Einfluss nehmen zu kön-

37 Nipperdey / Säcker, AR-Blattei, Tarifvertrag II A, I 2 c) aa) (Lieferung 8. 2. 1970), diesen Ausführungen folgt auch Richardi, AR-Blattei, Tarifvertrag XIII, Firmentarifvertrag, C. I. (Lieferung 15. 1. 1973). 38 So zu Recht Buchner, DB 1970, 2025, 2029. 39 In diese Richtung auch Reuter, NZA 2001, 1097, 1101.

A. Verbandsinterne Abschlussverbote

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nen. Dies ist aber – wie bereits ausgeführt40 – auch bei Bestehen eines verbandsinternen Abschlussverbotes der Fall. Hierin liegt auch kein – nach § 826 BGB zu Leistung von Schadensersatzansprüchen verpflichtendes – Verleiten zum Vertragsbzw. Satzungsbruch durch die Gewerkschaft. Zwar kennt und billigt die Gewerkschaft den mit dem Abschluss des Firmentarifvertrages zusammenhängenden „Satzungsbruch“ des Arbeitgebers regelmäßig. Allein dies macht den Arbeitskampf jedoch nicht sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Dabei ist zunächst von Bedeutung: Die Verletzung eines relativen Rechts durch Dritte als solches wird von den Vorschriften des BGB über die unerlaubten Handlungen, zu denen auch § 826 BGB zählt, im Ausgangspunkt nicht erfasst.41 Da der Satzung des Arbeitgeberverbandes und damit auch das in ihr enthaltene Verbot, Firmentarifverträge abzuschließen, nur verbandsinterne Wirkung zukommt, vermag das Verbot als solches die Gewerkschaft hinsichtlich ihrer Arbeitskampffreiheit daher nicht unmittelbar zu binden. Der – gewerkschaftlicherseits ggf. auch bezweckte – Verstoß des Arbeitgebers gegen die Satzung als solcher ist damit jedenfalls im Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband nicht sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Eine Sittenwidrigkeit könnte sich unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des BGH aber noch aus den besonderen Begleitumständen des Einzelfalles ergeben.42 Solche besonderen Begleitumstände müssten aus dem bei Gelegenheit des Vertrags- bzw. hier Satzungsbruchs gezeigten Verhaltens der Gewerkschaft folgen.43 Auch hierbei gilt aber zunächst festzuhalten: Der Streik als solcher ist wie die Aussperrung, solange er sich im Rahmen der allgemeinen Zulässigkeitsschranken bewegt, insbesondere also den Abschluss eines Tarifvertrages zum Ziel hat, nicht nur nicht sittenwidrig, sondern sogar verfassungsrechtlich geschützt.44 Die zur Sittenwidrigkeit führenden Begleitumstände könnten damit allein aus der Kombination des von der Gewerkschaft durchgeführten Streiks und dem hiermit zusammenhängenden, von der Gewerkschaft auch in Kauf genommenen Satzungsbruchs des Arbeitgebers folgen.45 Dies ist jedoch für den Regelfall nicht anzunehmen. Sähe man nämlich in dem durch Arbeitskampfmittel veranlassten Verstoß des Arbeitgebers gegen die Verbandssatzung eine sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB, würde dies nicht nur eine Schadensersatzpflicht der Gewerkschaft auslösen, die Gewerkschaft sähe sich auch Unterlassungsan§ 5 C. III. 5. Einhellige Auffassung siehe nur Steffen in: RGRK, § 826 BGB Rn. 102; Oechsler in: Staudinger, § 826 Rn. 225; MüKo-Mertens, § 826 Rn. 124; BGH vom 24. 2. 1954, BGHZ 12, 308, 318; BGH vom 1. 4. 1992, NJW 1992, 2152, 2153; BGH vom 19. 10. 1993, NJW 1994, 128. Vgl. auch schon Motive, Bd. II, Rn. 727. 42 Vgl. nur die in der vorigen Fn. angegebenen Nachweise. 43 Oechsler in: Staudinger, § 826 Rn. 227. 44 Vgl. hierzu § 5 B. Zur mangelnden Sittenwidrigkeit siehe nur Steffen in: RGRK, § 826 Rn. 126 ff. mit weiteren Nachweisen. 45 Zur Sittenwidrigkeit aufgrund der Zweck-Mittel Relation allgemein siehe SoergelHönn / Dönneweg, 12. Aufl., § 826 Rn. 49 ff. Zum Arbeitskampf im Besonderen siehe Steffen in: RGRK, § 826 Rn. 127 f. mit weiteren Nachweisen. 40 41

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sprüchen ausgesetzt.46 Eine solche Konsequenz käme in praktischer Hinsicht aber einem Ausschluss der Tariffähigkeit des Mitgliedsarbeitgebers seitens des Verbandes durch Statuierung eines entsprechenden Verbotes in der Satzung gleich. Ein derartiges Ergebnis wäre mit der Wertung des § 2 Abs. 1 TVG, auch dem verbandsangehörigen Arbeitgeber die uneingeschränkte und vor allem unabdingbare Tariffähigkeit zuzuerkennen, nicht zu vereinbaren. Da sich der Maßstab der Sittenwidrigkeit aber auch und vor allem an den Wertmaßstäben der geltenden Rechtsordnung zu orientieren hat47, folgt hieraus, dass über die Generalklausel der Sittenwidrigkeit das insoweit speziellere (Tarif-)Recht nicht ausgehebelt werden darf. Auch aus der Kombination von Streikmaßnahmen bei gleichzeitiger Inkaufnahme eines Satzungsbruchs des Arbeitgebers folgen daher im Regelfall keine besonderen Umstände des Einzelfalles, die zu einer Sittenwidrigkeit des Gesamtvorganges im Sinne des § 826 BGB und damit zu einem unzulässigen Verleiten zum Vertragsbruch führen. Eine andere Beurteilung ist allein dann angebracht, wenn Hauptziel der Gewerkschaft nicht der Abschluss des Firmentarifvertrages und der Satzungsbruch damit lediglich in Kauf genommene Begleiterscheinung ist, sondern wenn eigentliches Ziel der Gewerkschaft der Bruch der Satzung durch den Arbeitgeber ist, sei es, um seine Position innerhalb des Verbandes zu schwächen oder um auf diesem Wege gegen das verbandsinterne Abschlussverbot als solches vorzugehen. Verbandsinterne Abschlussverbote verstoßen daher weder gegen die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft und ihrer Mitglieder noch gegen die zwingende Wirkung des § 2 Abs. 1 TVG, da es der Gewerkschaft nach wie vor erlaubt ist, zu versuchen, den Abschluss eines Firmentarifvertrages mit Arbeitskampfmitteln zu erreichen. Ein unzulässiges Verleiten zum Vertragsbruch liegt hierin regelmäßig nicht. 3. Ergebnis Verbandsinterne Abschlussverbote mit Außenwirkung sind generell unzulässig. Sie bewirken stets einen unzulässigen Ausschluss der in § 2 Abs. 1 TVG zwingend vorgesehenen Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Demgegenüber sind verbandsinterne Abschlussverbote mit bloßer Innenwirkung zulässig. Das Interesse des einzelnen Arbeitgebers an einer eigenen Tarifpolitik und Tariftätigkeit hat bei bestehender Verbandsmitgliedschaft – auch im Hinblick auf die beiderseitige Koalitionsfreiheit – hinter dem Interesse seines Verbandes und der anderen Mitglieder an einer verbandseinheitlichen Tarifpolitik zurückzutreten. Dies insbesondere deshalb, weil es dem einzelnen Arbeitgeber freisteht, einem Verband überhaupt beizutreten und auch ihn wieder zu verlassen, wenn er mit dessen Tarifpolitik nicht einverstanden ist und tarifpolitisch auf eigenen Füßen zu stehen wünscht. 46 47

Oechsler in: Staudinger, § 826 Rn. 122 ff. mit weiteren Nachweisen. Seiter, Streikrecht, S. 464 mit weiteren Nachweisen.

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Letztlich muss auch die Gewerkschaft die mit der Zulässigkeit eines lediglich verbandsintern wirkenden Abschlussverbotes verbundene Einschränkung ihrer Tarifpolitik aufgrund der hierdurch eintretenden geminderten Bereitschaft des Arbeitgebers, Firmentarifverträge abzuschließen, hinnehmen. Solange die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers durch ein solches Abschlussverbot nicht angetastet wird und die Gewerkschaft weiterhin die Möglichkeit hat, auf den Willen des Arbeitgebers mit Arbeitskampfmitteln Einfluss zu nehmen, sind ihre Rechte weder im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG noch im Hinblick auf § 2 Abs. 1 TVG verletzt.

B. Verbandstarifvertragliche Abreden Neben den soeben behandelten verbandsinternen Klauseln finden sich auch in Verbandstarifverträgen oftmals Klauseln, die den Abschluss von Firmentarifverträgen unterbinden oder doch zumindest die effektive Geltung solcher Verträge zu verhindern suchen. Beweggrund für die Vereinbarung derartiger Klauseln ist meist der, dass die am Verbandstarifvertrag beteiligten Parteien „ihren“ Tarifvertrag vor dem wegen des Spezialitätsprinzips diesem vorgehenden Firmentarifvertrag schützen wollen. Im Folgenden soll erörtert werden, ob und inwieweit solche verbandstarifvertraglichen Klauseln einer firmentarifvertraglichen Regelung im Wege stehen.

I. Abschlussverbote 1. Inhalt Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote untersagen den Tarifvertragsparteien – wie schon ihr Name zum Ausdruck bringt –, anderweitige Tarifverträge abzuschließen. Das bekannteste verbandstarifvertragliche Abschlussverbot ist wohl § 19 S. 1 des Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV). Dieser lautet: „Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, mit anderen Organisationen und einzelnen Arbeitgebern keine Tarifverträge zu vereinbaren, die von diesem Tarifvertrag inhaltlich abweichen.“48 Auf den ersten Blick scheinen tarifliche Abschlussverbote damit in inhaltlicher Hinsicht weitgehend identisch mit den bereits oben erörterten verbandsinternen Abschlussverboten zu sein. Dennoch ergeben sich zwischen beiden Unterschiede. Tarifvertragsklauseln der bezeichneten Art erfassen nämlich zunächst meist, wie auch § 19 S. 1 BRTV zeigt, den Abschluss konkurrierender Firmen- ebenso wie den konkurrierender Verbandstarifverträge. Sie sind damit sachlich weiter gefasst als die verbandsinternen Abschlussverbote, die nur den Abschluss konkurrierender Firmentarifverträge durch die Mitglieds48 Zu dieser Klausel Rieble, NZA 2000, 225, 230 f.; Söllner, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 33, 39.

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arbeitgeber untersagen. Andererseits bindet ein tarifliches Abschlussverbot, da es dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages zuzuordnen ist, nur die am Verbandstarifvertrag beteiligten Tarifvertragsparteien. Dies hat für den Abschluss von Firmentarifverträgen zu Folge, dass das Abschlussverbot es unmittelbar nur der Gewerkschaft untersagt, Firmentarifverträge abzuschließen. Eine unmittelbare Bindung auch des Mitgliedsarbeitgebers vermag das verbandstarifliche Abschlussverbot demgegenüber nicht zu entfalten. Allerdings ist eine solche Klausel regelmäßig so auszulegen, dass der Arbeitgeberverband auf seine Mitgliedsarbeitgeber einzuwirken hat, dass diese keine gegen die Klausel verstoßenden konkurrierenden Firmentarifverträge abschließen. Da die Mitgliedsarbeitgeber zudem aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflichten verpflichtet sind, dieser Einwirkung des Verbandes Folge zu leisten, entfaltet das tarifliche Abschlussverbot auch für den einzelnen Mitgliedsarbeitgeber zumindest mittelbare Wirkung. Insofern gilt hier nichts anderes als bezüglich der Bindung der Mitgliedsarbeitgeber an die verbandstarifvertragliche Friedenspflicht.49

2. Zulässigkeit Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote können in rechtlich zulässiger Weise ebenso wie die bereits erörterten verbandsinternen Abschlussverbote keine Auswirkungen auf die Tariffähigkeit der Mitgliedsarbeitgeber haben.50 Dies folgt schon daraus, dass deren Tariffähigkeit – wie oben herausgestellt51 – unabdingbar ist. Auch die Tariffähigkeit der Gewerkschaft wird durch die Vereinbarung eines Abschlussverbotes nicht tangiert. Zwar kann eine Gewerkschaft ihre Tariffähigkeit generell ausschließen; ein nur partieller Ausschluss der Tariffähigkeit ist aber nach zutreffender einhelliger Ansicht nicht möglich52, so dass auch ein entsprechender Ausschluss der gewerkschaftlichen Tariffähigkeit zu Lasten des Firmentarifvertrages nicht möglich ist. Auch wenn ein verbandstarifvertragliches Abschlussverbot demnach keine Auswirkungen auf die Tariffähigkeit hat und den Abschluss von Firmentarifverträgen also nicht unmittelbar verhindern kann, führt der entgegen einem tariflichen Abschlussverbot erfolgende Abschluss eines Firmentarifvertrages dennoch dazu, dass sich die beteiligte Gewerkschaft Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen seitens des Arbeitgeberverbandes aussetzt und der beteiligte Mitgliedsarbeitgeber – will sich sein Arbeitgeberverband nicht seinerseits Schadensersatzansprüchen der Gewerkschaft wegen Verletzung der tarifvertraglichen Einwirkungspflicht aussetzen – mit verbandsrechtlichen Sanktionen rechnen muss. Hierzu § 6 B. III. Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; Rieble, NZA 2000, 225, 230. 51 Siehe oben § 8 A. II. 1. 52 Siehe nur Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 94; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 529; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 20; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 19. 49 50

B. Verbandstarifvertragliche Abreden

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Mit ausführlicher Begründung hat sich daher Rieble unter dem Eindruck des „Holzmann-Falles“ gegen die Zulässigkeit derartiger Tarifklauseln ausgesprochen.53 Die Vereinbarung eines Abschlussverbotes komme arbeitgeberseitigen Höchstarbeitsbedingungen gleich.54 Da tarifvertragliche Höchstarbeitsbedingungen zu Lasten der Arbeitnehmer aber unzulässig seien, müsse Gleiches auch für tarifvertragliche Höchstarbeitsbedingungen zu Lasten der Arbeitgeber gelten.55 Ferner verstoße die Vereinbarung einer solchen Klausel gegen die Interessenwahrnehmungspflicht der Gewerkschaft gegenüber ihren Mitgliedern, da die Gewerkschaft sich immer die Möglichkeit offen lassen müsse, in Notfällen durch Vereinbarung eines Firmentarifvertrages von den Regelungen des Verbandstarifvertrages abzuweichen.56 Zudem sei letztlich anerkannt, dass ein Verband in seiner Satzung keine Beschränkung auf einzelne Vertragspartner oder Themenbereiche vornehmen dürfe.57 Dies müsse konsequenterweise dann aber auch für eine entsprechende tarifvertragliche Beschränkung gelten. Da das tarifvertragliche Abschlussverbot einen Ausschluss bestimmter Vertragspartner – nämlich aller anderen als der des geltenden Verbandstarifvertrages – enthalte, sei es auch aus diesem Grund unzulässig.58 Söllner hat die Kritik Riebles noch um einen weiteren Aspekt erweitert: Es gehöre zu den sinnstiftenden und damit unabdingbaren Prinzipien des geltenden Tarifrechts, dass zumindest für Notfälle eine vom Verbandstarifvertrag abweichende firmentarifliche oder doch zumindest unternehmensbezogene verbandstarifliche Regelung zulässig sei. Eine entgegenstehende Vereinbarung sei daher auch wegen Denaturierung der Tarifautonomie unzulässig.59 Schließlich führt Jacobs an, derartige Tarifklauseln seien deswegen unwirksam, weil sie die zwingende Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers mittelbar beseitigten.60 Richtig an diesen Einwänden ist zunächst, dass die Vereinbarung eines tariflichen Abschlussverbotes in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Vereinbarung von tariflichen Höchstarbeitsbedingungen zu Lasten des Arbeitgebers aufweist, da wegen des Abschlussverbotes ein tarifliches Abweichen von den Regelungen des Verbandstarifvertrages zugunsten des Arbeitgebers nicht zulässig ist. Allerdings bewirkt ein verbandstarifvertragliches Abschlussverbot auch, dass nicht nur tarifliche Abmachungen zugunsten, sondern auch solche zu Lasten des einzelnen Arbeitgebers ausgeschlossen sind. Insofern kann man das verbandstarifvertragliche Abschlussverbot im Ergebnis nicht mit der Vereinbarung tariflicher Höchstarbeitsbedingungen im herkömmlichen Sinne vergleichen. Auch ein die Unzulässigkeit 53 Rieble, NZA 2000, 225, 230 f. Ihm folgen Jacobs, ZTR 2001, 249, 251; Söllner, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 33, 39. 54 Rieble, NZA 2000, 225, 230. 55 Rieble, NZA 2000, 225, 230. 56 Rieble, NZA 2000, 225, 230. 57 Rieble, NZA 2000, 225, 230. 58 Rieble, NZA 2000, 225, 230. 59 Söllner, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 33, 39. 60 Jacobs, ZTR 2001, 249, 251.

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tarifvertraglicher Höchstarbeitsbedingungen bewirkender Verstoß gegen das in § 4 Abs. 3 TVG geregelte zwingende Günstigkeitsprinzip liegt hier nicht vor. Tarifvertragliche Abschlussverbote untersagen nämlich nur den Abschluss von abweichenden Tarifverträgen, nicht aber auch – wie es für tarifvertragliche Höchstarbeitsbedingungen typisch wäre –, den Abschluss abweichender Individualvereinbarungen. Zudem gilt das Günstigkeitsprinzip ohnehin nur zugunsten der Arbeitnehmer, nicht aber zugunsten der Arbeitgeber.61 Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote sind daher nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot der Vereinbarung tarifvertraglicher Höchstarbeitsbedingungen unzulässig. Auch der von Rieble gezogene Schluss von der Unzulässigkeit einer durch Satzung bewirkten Einschränkung der Tarifzuständigkeit auf bestimmte Sachgebiete oder Verhandlungspartner auf die Unzulässigkeit eines tarifvertraglichen Abschlussverbotes überzeugt nicht. Grund für die von der h. M. angenommene Unzulässigkeit derartiger die Tarifzuständigkeit einschränkender Satzungsklauseln ist die Erwägung, dass es keine Tarifvertragspartei in der Hand haben soll, sich durch Statuierung entsprechender Satzungsregelungen der tariflichen Inanspruchnahme auf bestimmten Sachgebieten oder seitens bestimmter Verhandlungspartner von vornherein einseitig entziehen zu können.62 Ein solcher Fall liegt in Bezug auf die verbandstarifvertraglichen Abschlussverbote aber nicht vor. Durch die Vereinbarung einer solchen Klausel entzieht sich nicht eine Partei einseitig dem tariflichen Regelungswillen der anderen, sondern beide Tarifvertragsparteien schränken ihre Tarifautonomie gleichermaßen und vor allem im beiderseitigen Zusammenwirken ein. Aber auch dass ein solches Abschlussverbot Auswirkungen auf (potentielle) Tarifvertragsparteien haben kann, die selbst nicht an der Statuierung des Abschlussverbotes beteiligt waren, führt nicht zur Unzulässigkeit des Abschlussverbotes. Auch hier gilt im Grunde das Gleiche, wie schon im Rahmen der Zulässigkeit von verbandsinternen Abschlussverboten mit Innenwirkung angeführt: Da ein tarifvertragliches Abschlussverbot keine Außenwirkung hat und ein Arbeitskampf deswegen weiterhin zulässig bleibt, schließt sie – anders im übrigen als die Einschränkung der Tarifzuständigkeit – den Abschluss eines weiteren Tarifvertrages nicht aus, sondern erschwert ihn nur. Klauseln, die sich allein auf die Bereitschaft, einen Tarifvertrag abzuschließen, auswirken, sind – anders als Klauseln, die die Tariffähigkeit oder die Möglichkeit des Arbeitskampfes ausschließen –, aber weder tarif- noch verfassungsrechtlich unzulässig.63 Ebenfalls greift der von Söllner und Rieble vorgebrachte Einwand, das geltende Tarifrecht bzw. die Interessenwahrnehmungspflicht der Gewerkschaft gebiete es, die Möglichkeit einer Abweichung vom Verbandstarifvertrag durch Vereinbarung 61 Vgl. zu dieser Funktion des Günstigkeitsprinzips Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 381 ff. mit weiteren Nachweisen. 62 Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen MhdbAR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 20; dies., TVG, § 2 Rn. 33; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2 Rn. 65 f. 63 Siehe hierzu § 8 A. II. 2.

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eines Firmentarifvertrages in Notfällen stets zu ermöglichen, nicht durch. Solange den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit bleibt, den Tarifvertrag notfalls außerordentlich zu kündigen64, besteht aus Notfallgesichtspunkten kein Bedürfnis, Abschlussverbote als unzulässig anzusehen. Letztlich kollidiert – entgegen der Auffassung von Jacobs – ein verbandstarifvertragliches Abschlussverbot auch nicht mit der in § 2 Abs. 1 TVG zwingend geregelten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers. In diesem Zusammenhang kann auf die Ausführungen zur Zulässigkeit des verbandsinternen Abschlussverbots mit Innenwirkung verwiesen werden.65 Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote sind daher zulässig.

II. Vorrangklauseln 1. Inhalt Neben den Abschlussverboten können Verbandstarifverträge auch sog. Vorrangklauseln enthalten. Sie sollen bewirken, dass der die Klausel enthaltende Tarifvertrag konkurrierenden Tarifverträgen vorgeht. Meist geht es bei der Vereinbarung einer Vorrangklausel darum, den zwischen Verbands- und Firmentarifvertrag geltenden Spezialitätsgrundsatz auszuschalten.

2. Zulässigkeit Die Zulässigkeit tarifvertraglicher Vorrangklauseln wird zu Recht allgemein abgelehnt.66 Den Tarifvertragsparteien fehlt die Kompetenz, die Geltung von Tarifnormen anderer als ihrer eigenen Tarifverträge auszuschließen oder auch nur auf deren Verhältnis zueinander, zumindest soweit es zu Lasten des anderen Tarifvertrages geht, Einfluss zu nehmen.67 Dies wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Zulässig sind Vorrangklauseln daher allenfalls, wenn für den eine solche Klausel enthaltenden Tarifvertrag und den zu verdrängenden Tarifvertrag eine Identität der Tarifvertragsparteien besteht.68 Auf das Verhältnis des VerbandstarifHierzu Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 26 ff. mit weiteren Nachweisen. § 8 A. II. 2. 66 Siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 754; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 483; Schröder, DB 1957, 632, 633; Waas, ZTR 2000, 341, 343 f.; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 280; Wiedemann / Arnold, ZTR 1994, 399, 400. 67 Memminger, Konkurrenz, S. 68; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 483; Schröder, DB 1957, 632, 633; Waas, ZTR 2000, 341, 343; Wank in: Wiedemann, TVG, § 4 Rn. 280; Wiedemann / Arnold, ZTR 1994, 399, 400. 68 Siehe nur Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Auflage, S. 483; Wiedemann / Arnold, ZTR 1994, 399, 400. 64 65

20 Witt

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vertrages zum Firmentarifvertrag können die Parteien des Verbandstarifvertrages daher nicht zu Lasten des Firmentarifvertrages Einfluss nehmen, da es jedenfalls auf Arbeitgeberseite an einer Identität der Tarifvertragsparteien fehlt. Daran ändert es auch nichts, dass der einzelne Mitgliedsarbeitgeber über § 3 Abs. 1 TVG an den Verbandstarifvertrag tarifgebunden ist. Die in § 3 Abs. 1 TVG geregelte Tarifgebundenheit betrifft nämlich nur den normativen und nicht, wie vorliegend, auch den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages. Die Parteien eines Verbandstarifvertrages können daher eine Vorrangklausel nicht wirksam zu Lasten konkurrierender Firmentarifverträge vereinbaren.

III. Meistbegünstigungsklauseln 1. Inhalt Meistbegünstigungsklauseln sollen als Sanktion für einen konkurrierenden Tarifvertragsschluss bewirken, dass dessen Inhalte in den verdrängten Tarifvertrag aufgenommen werden, damit so ein Ausbrechen einzelner Mitglieder aus dem Verbandstarifvertrag unterbunden wird und stets einheitliche Arbeitsbedingungen gewährleistet sind. Die Meistbegünstigungsklausel steigert damit maßgeblich die Kartellwirkung des Verbandstarifvertrages.69 Beispiel für eine solche Klausel ist § 19 S. 2 BRTV. Diese Norm lautet: „Schließt eine Tarifvertragspartei gleichwohl einen Satz 1 widersprechenden Tarifvertrag ab, so kann die andere Tarifvertragspartei verlangen, dass die abweichenden Bestimmungen ganz oder teilweise Inhalt dieses Tarifvertrages werden.“ Meistbegünstigungsklauseln haben – wie § 19 S. 2 BRTV zeigt – nur schuldrechtliche Wirkung; sie führen nicht zu einer automatischen Aufnahme der Inhalte des abgeschlossenen Tarifvertrages in den die Klausel enthaltenen Tarifvertrag. Die Aufnahme des Inhalts des von der einen Tarifvertragspartei abgeschlossenen Tarifvertrages erfolgt vielmehr durch eine entsprechende Änderungsvereinbarung, auf deren Abschluss der andere Teil freilich einen Anspruch hat. Eine automatische Aufnahme des Tarifinhaltes wäre nur über eine aufschiebend bedingte Verweisung auf den neuen Tarifvertrag möglich. Angesichts der strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die das BAG an eine solche Blankettverweisung stellt,70 wäre deren rechtliche Zulässigkeit sehr zweifelhaft. Keinen Schutz bietet die Meistbegünstigungsklausel allerdings für Fälle, in denen – beispielsweise wegen der guten wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers – „nach oben“ von den Regelungen des Verbandstarifvertrages abgewichen wird. Eine Übernahme solcher Regelungen in den Verbandstarifvertrag wäre aus der Sicht der GeWaas, ZTR 2000, 341, 344 f. Siehe hierzu nur BAG vom 19. 4. 1972, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; BAG vom 9. 7. 1980, AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form; BAG vom 10. 11. 1982, AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form. Zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen auf das Schrifttum Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 198 ff. 69 70

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werkschaft nämlich keine Sanktion, sondern vielmehr höchst willkommen, weshalb in diesem Fall auch aus Sicht des Arbeitgeberverbandes eine Übernahme sinnlos ist. 2. Zulässigkeit Bedenken gegen die Zulässigkeit einer schuldrechtlichen Meistbegünstigungsklausel ergeben sich vor allem im Hinblick darauf, dass diese zwar nur schuldrechtlich wirkt, dennoch Ähnlichkeiten mit der – rechtlich problematischen – dynamischen Verweisung auf einen anderen Tarifvertrag aufweist. Vor allem Rieble überträgt deswegen die Bedenken, die gegen eine solche dynamische Verweisungsklausel sprechen, auf die tarifliche Meistbegünstigungsklausel.71 So führt er aus, dass die dynamische Verweisung und damit auch die Meistbegünstigungsklausel den Aushandlungsmechanismus des Tarifvertrages außer Kraft setze und daher die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages verletzt sei.72 Ohne hier auf die vielschichtigen Zulässigkeitsprobleme der dynamischen Verweisungsklausel näher eingehen zu wollen73, kann dieser Einwand aber schon deswegen nicht durchgreifen, weil die Meistbegünstigungsklausel trotz ihrer Ähnlichkeit rechtlich nicht mit einer dynamischen Verweisung vergleichbar ist. Charakteristisch an einer dynamischen Verweisungsklausel ist nämlich, dass der Inhalt eines anderen Tarifvertrages ohne weiteres Zutun der Tarifvertragsparteien Gegenstand des die Verweisungsklausel enthaltenen Tarifvertrages wird. Dies ist bei einer schuldrechtlichen Meistbegünstigungsklausel aber nicht der Fall. Hier müssen beide Tarifvertragsparteien mitwirken, damit der abgeschlossene Tarifvertrag Inhalt des die Meistbegünstigungsklausel enthaltenden Tarifvertrages wird. Die den konkurrierenden Tarifvertrag abschließende Partei muss den Tarifvertrag überhaupt ersteinmal abschließen und hat damit schon maßgeblich Einfluss auf dessen Inhalt. Und die durch die Meistbegünstigungsklausel begünstigte Tarifvertragspartei muss ihr in dieser Klausel eingeräumtes Recht auch ausüben, um den Inhalt des abgeschlossenen Tarifvertrages in „ihren“ Tarifvertrag zu übernehmen.74 Insofern liegt entgegen Rieble kein Verstoß gegen das Aushandlungsgebot vor.75 Die Vereinbarung einer schuldrechtlichen Meistbegünstigungsklausel ist daher zulässig.

71 72 73 74 75

20*

Rieble, NZA 2000, 225, 230 f. Rieble, NZA 2000, 225, 230 f. Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen Wiedemann in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 198 ff. Auf diese Unterschiede weist auch Waas, ZTR 2000, 341, 346 hin. So auch Waas, ZTR 2000, 341, 346.

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IV. Ergebnis Zulässiges Mittel, um den Abschluss von Firmentarifverträgen zu unterbinden, ist die Vereinbarung eines verbandstarifvertraglichen Abschlussverbotes.76 Ebenso wie das innerverbandliche Abschlussverbot hat aber auch ein solches keine unmittelbare Außenwirkung und berührt daher die Wirksamkeit eines hiergegen verstoßenden Firmentarifvertrages nicht.77 Die unter Missachtung eines verbandstarifvertraglichen Abschlussverbotes den Firmentarifvertrag abschließende Gewerkschaft setzt sich aber Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen seitens des am Verbandstarifvertrag beteiligten Arbeitgeberverbandes aus. Demgegenüber hat die Gewerkschaft wegen der nur schuldrechtlichen Wirkung des verbandstarifvertraglichen Abschlussverbotes gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber keinen Anspruch. Sie kann aber von dem Arbeitgeberverband verlangen, dass dieser auf sein Mitglied dahin einwirkt, dass dieses keine gegen das Abschlussverbot verstoßenden Firmentarifverträge mit anderen Gewerkschaften abschließt. In diesem Rahmen ist der Arbeitgeberverband auch verpflichtet, gegen sein das Abschlussverbot verletzendes Mitglied mit verbandsrechtlichen Sanktionen vorzugehen. Der verbandsangehörige Arbeitgeber sieht sich daher verbandsrechtlichen Sanktionen ausgesetzt, wenn er entgegen dem bestehenden Abschlussverbot Firmentarifverträge vereinbart; auf diesem Weg ist er mittelbar an das verbandstarifvertragliche Abschlussverbot gebunden.78 Ein solches Verbot ohne unmittelbare Außenwirkung verstößt weder gegen die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers79 noch gegen das Verbot von tariflichen Höchstarbeitsbedingungen.80 Auch kann man ein verbandstarifvertragliches Abschlussverbot nicht einem partiellen Ausschluss der Tarifzuständigkeit für bestimmte Bereiche bzw. Personen gleichstellen und daraus seine Unzulässigkeit ableiten.81 Letztlich kollidiert die Vereinbarung eines Abschlussverbotes auch nicht mit der Interessenwahrnehmungspflicht der Gewerkschaft gegenüber ihren Mitgliedern.82 Ein weiteres zulässiges Mittel, den Abschluss von Firmentarifverträgen mittelbar zu verhindern, ist die Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Meistbegünstigungsklausel.83 Sie bewirkt, dass der Inhalt eines geschlossenen Firmentarifvertrages auch Inhalt des Verbandstarifvertrages wird. Von den Regelungen des Verbandstarifvertrages abweichende firmentarifvertragliche Sonderkonditio76 77 78 79 80 81 82 83

§ 8 B. I. § 8 B. I. 2. § 8 B. I. 2. § 8 B. I. 2. § 8 B. I. 2. § 8 B. I. 2. § 8 B. I. 2. § 8 B. III.

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nen für einzelne Arbeitgeber sind so weitestgehend ausgeschlossen.84 Meistbegünstigungsklauseln sind rechtlich stets zulässig. Insbesondere sind sie weder an den Maßstäben einer tariflichen dynamischen Verweisungsklausel zu messen, noch setzen sie den Aushandlungsmechanismus und die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages außer Kraft, da die Aufnahme des Inhalts des Firmentarifvertrages in den Verbandstarifvertrag nicht automatisch erfolgt. 85 Unzulässig sind demgegenüber sog. Vorrangklauseln, die im Hinblick auf konkurrierende Tarifabschlüsse den Vorrang des diese Klausel enthaltenden Tarifvertrages festlegen sollen.86 Den Tarifvertragsparteien fehlt die Kompetenz, zu Lasten eines fremden Tarifvertrages Einfluss auf dessen Rangverhältnis zum eigenen Tarifvertrag zunehmen.87 Dies gilt auch und vor allem für das Verhältnis des Verbands- zum Firmentarifvertrag.88

84 85 86 87 88

§ 8 B. III. 1. § 8 B. III. 2. § 8 B. II. § 8 B. II. 2. § 8 B. II. 2.

§ 9 Exkurs: Vereinbarung eines Separatfriedens A. Ausgangslage Besondere Brisanz besitzt der Abschluss eines Firmentarifvertrages dann, wenn er während eines Verbandsarbeitskampfes zwischen einzelnen Mitgliedsarbeitgebern und der arbeitskampfführenden Gewerkschaft abgeschlossen wird. Dies ist deswegen der Fall, weil die Friedenspflicht des Firmentarifvertrages, wenn er Inhalte des umkämpften Verbandstarifvertrages regelt, Geltung auch bezüglich des laufenden Verbandsarbeitskampfes entfaltet und dadurch der abschließende Arbeitgeber aus der „Arbeitskampffront“ seines Verbandes ausscheren muss.1 Das BAG beschreibt einen solchen Firmentarifvertragsabschluss deshalb auch zutreffend als Vereinbarung eines Separatfriedens.2 Die Beweggründe für den Abschluss eines solchen Separatfriedens können vielfältig sein. So mag der Arbeitgeber von vornherein der Durchführung des Verbandsarbeitskampfes skeptisch gegenüber gestanden haben und deswegen eher als sein Verband gewillt sein, auf die Forderungen der Gewerkschaft einzugehen, um so den Arbeitskampf zu beenden. Auch kann ihn der Verbandsarbeitskampf – gerade bei Schwerpunktstreiks – im Verhältnis zu seinen Verbandskollegen härter treffen und er deswegen eher als der Verband bereit sein, einen Tarifvertrag abzuschließen. Möglich ist auch, dass die Gewerkschaft einzelnen Arbeitgebern ein „gutes Angebot“ macht, sei es, weil sie um deren unterdurchschnittlich schlechte wirtschaftliche Lage weiß oder aber einzelne Arbeitgeber bewusst aus dem Verbandsarbeitskampf herauslösen will. Ganz gleich aus welchen Gründen es letztlich zur Vereinbarung des Separatfriedens kommt – er schwächt die Kampfkraft des Arbeitgeberverbandes meist empfindlich. Zu überlegen ist daher, ob die Vereinbarung eines Separatfriedens während des laufenden Verbandsarbeitskampfes rechtlich zulässig ist.

1 Vgl. zu den Auswirkungen einer firmentarifvertraglichen Friedenspflicht auf den Verbandsarbeitskampf § 6 B. II. 2 BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

C. Verstoß gegen die Kampfparität?

311

B. Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG? Zunächst ist zu erwägen, ob die Vereinbarung eines Separatfriedens gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG verstößt und der zugrundeliegende Firmentarifvertrag aus diesem Grund nichtig ist. Immerhin, so könnte der Arbeitgeberverband anführen, trete durch die Vereinbarung des Separatfriedens eine erhebliche Schwächung seiner Kampfkraft ein, so dass seine grundrechtlich verbürgte Arbeitskampffreiheit beeinträchtigt werde. Hinzu komme, so mag der Verband weiter anführen, dass die den Firmentarifvertrag abschließende Gewerkschaft kaum leugnen könne, dass der Abschluss des Separatfriedens subjektiv zumindest auch der Schwächung der Kampfkraft des Arbeitgeberverbandes diene. Trotz dieser Erwägungen ist die Vereinbarung eines Separatfriedens nicht nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nichtig. Wie bereits dargestellt3, ist eine Abrede oder Maßnahme nur dann gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nichtig, wenn das die Koalitionsfreiheit beeinträchtigende Verhalten nicht seinerseits durch die Wahrnehmung anderer Grundrechte – wozu auch die eigene Koalitionsfreiheit gehört – gerechtfertigt ist. Ebenso wie der Arbeitgeberverband aber aufgrund der Koalitionsfreiheit das Recht hat, Arbeitskämpfe zum Abschluss von Tarifverträgen zu führen, hat auch die Gewerkschaft dieses Recht. Dies gilt für den Arbeitskampf um Verbands- ebenso wie für den um Firmentarifverträge.4 Die als Ergebnis eines Arbeitskampfes erreichte Vereinbarung eines Separatfriedens durch Abschluss eines Firmentarifvertrages ist damit ihrerseits durch die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft geschützt, so dass hierin kein ungerechtfertigter Eingriff in die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes liegt. Die Vereinbarung eines Separatfriedens verstößt daher nicht gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG.

C. Verstoß gegen die Kampfparität? Überlegen könnte man noch, ob die Vereinbarung eines Separatfriedens wegen der dadurch eintretenden Schwächung der Kampfkraft des Arbeitgeberverbandes gegen den Grundsatz der Kampfparität verstößt.5 Auch dies ist aber nicht der Fall. Kommt es zur Vereinbarung eines Separatfriedens mit einzelnen Arbeitgebern, ohne dass die Gewerkschaft den Arbeitskampfdruck zuvor mittels Schwerpunktstreiks speziell für diese Arbeitgeber erhöht hat, ist das Ausbrechen des Mitgliedsarbeitgebers aus der Arbeitskampffront des Verbandes durch Vereinbarung eines Separatfriedens allein auf eine mangelnde innerverbandliche Solidarität zurückzuführen. Derartige „innere Schwächen“ der Koalitionen sind aber – wie bereits an 3 4 5

§ 5 C. II. 1. a). Siehe hierzu oben § 5 B. und C. II. 1. b). Vgl. zum Grundsatz der Kampfparität § 5 C. I.

312

§ 9 Exkurs: Vereinbarung eines Separatfriedens

anderer Stelle ausgeführt6 – im Hinblick auf die Kampfparität unbeachtlich. Anders ist die Ausgangssituation, wenn die Gewerkschaft die Vereinbarung eines Separatfriedens dadurch zu erreichen versucht, dass sie den Arbeitskampf durch gezielte Schwerpunktstreiks auf einzelne Arbeitgeber fokussiert und so eine ungleiche Arbeitskampfbelastung innerhalb des Arbeitgeberverbandes herbeiführt. Hierdurch eintretende Solidarisierungsdefizite des Arbeitgeberverbandes sind nicht „hausgemacht“, sondern durch die Gewerkschaft verursacht. Dennoch verstößt auch eine mittels Schwerpunktstreiks erreichte Vereinbarung eines Separatfriedens nicht gegen den Grundsatz der Kampfparität. Dem Arbeitgeberverband stehen nämlich hinreichend Möglichkeiten zur Verfügung, einer solchen Fokussierung des Arbeitskampfes entgegenzuwirken und damit eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts zu seinen Lasten zu verhindern. Das BAG hat, bestätigt durch das BVerfG, dem Arbeitgeberverband als Reaktion auf eine gewerkschaftlichen Fokussierung des Arbeitskampfes auf einzelne Mitgliedsarbeitgeber nämlich das Instrument der erweiternden Abwehraussperrung an die Hand gegeben.7 Die erweiternde Abwehraussperrung eröffnet dem Arbeitgeberverband die Möglichkeit, einer Fokussierung des Arbeitskampfes durch Ausweitung des Kampfgebietes effektiv entgegenzuwirken. Durch eine solche Erweiterung des Kampfgebietes wird der Arbeitskampfdruck wieder auf alle Verbandsarbeitgeber gleichmäßig verteilt, so dass auch unter kampfparitätischen Gesichtspunkten keine Unzulässigkeit des Separatfriedens anzunehmen ist.

D. Verletzung des vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses? Zu erwägen bleibt weiter, ob die Vereinbarung eines Separatfriedens gegen eine Treue- bzw. Rücksichtnahmepflicht der Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeberverband verstößt. Als Anknüpfungspunkt für eine solche Pflicht kommt mangels rechtsgeschäftlicher Verbindung zwischen den Arbeitskampfparteien allenfalls ein vortarifvertragliches Vertrauensverhältnis analog dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis in Betracht. Zwar gehen die h. L.8 und Rechtsprechung9 von der Exis§ 5 C. I. 1. b) bb). BAG vom 10. 6. 1980, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 10. 06. 1980, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf jeweils unter A V. 3); BVerfG vom 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212 ff. 8 Grundlegend Seiter, ZfA 1989, 283 ff. Siehe auch Arnold, Dauerrechtsbeziehung, S. 1 ff.; Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 199; Künster, Culpa in contrahendo, S. 1 ff.; MayerMaly, Anmerkung zu BAG AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 376, 466 f. 9 BAG vom 12. 9. 1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG vom 29. 1. 1985, AP Nr. 83 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Niedersachsen vom 31. 1. 1984, DB 1984, 993; ArbG Düsseldorf vom 30. 10. 1981, DB 1982, 387; ArbG Stuttgart vom 10. 12. 1981, DB 1982, 331. Angedeutet in: LAG Schleswig Holstein vom 9. 12. 1983, DB 1984, 993. 6 7

D. Verletzung des vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses?

313

tenz eines solchen vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses aus.10 Da § 2 Abs. 1 TVG den Gewerkschaften aber gerade erlaubt, Tarifverträge neben dem Verband auch mit dessen einzelnen Mitgliedsarbeitgebern abzuschließen, spricht allein schon die aus dieser gesetzlichen Regelung folgende Wahlmöglichkeit der Gewerkschaft gegen die Existenz einer aus einem vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnis folgende Treuepflicht, die diese Wahlmöglichkeit wieder einschränken würde. Auch von einem konkludenten Verzicht der Gewerkschaft auf den Abschluss von Firmentarifverträgen durch die Aufnahme von Tarifverhandlungen auf Verbandsebene ist nicht auszugehen, der Arbeitgeberverband kann hierauf berechtigterweise auch nicht vertrauen. Eine andere Betrachtungsweise mag allenfalls dann geboten sein, wenn die Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeberverband hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass sie einen Tarifvertragsabschluss allein mit ihm und nicht mit seinen einzelnen Mitgliedsarbeitgebern anstrebe. Dafür reicht es aber nicht aus, dass die Gewerkschaft überhaupt Tarifverträge mit dem Arbeitgeberverband abschließt bzw. mit diesem einen Verbandsarbeitskampf führt. Vielmehr muss sie hierüber hinaus noch durch weitere Verhaltensweisen zum Ausdruck bringen, dass sie Tarifverträge allein mit dem Verband und nicht mit den einzelnen Verbandsmitglieder abschließen will. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ihr ein Mitgliedsarbeitgeber im Zuge des Verbandsarbeitskampfes oder auch im Vorfeld den Abschluss eines Firmentarifvertrages angeboten hat, die Gewerkschaft aber unter Hinweis darauf, dass sie nur mit dem Verband Tarifverträge abschließe, den Abschluss abgelehnt hat. Liegen solche besonderen Umstände nicht vor, verbietet auch das vortarifvertragliche Vertrauensverhältnis der Gewerkschaft nicht, während des Verbandsarbeitskampfes einen Separatfrieden mit einzelnen Mitgliedsarbeitgebern abzuschließen. Selbst wenn ein solcher Abschluss im Einzelfall gegen die vortarifvertragliche Vertrauenspflicht verstieße, wäre Rechtsfolge eines solchen Verstoßes im übrigen ohnehin nicht die Unwirksamkeit des dem Separatfrieden zugrundeliegenden Firmentarifvertrages. Das vortarifvertragliche Vertrauensverhältnis vermag allein im Verhältnis der Gewerkschaft zum Arbeitgeberverband Wirkung zu entfalten. Dem Arbeitgeberverband stünden deswegen lediglich Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche gegenüber der Gewerkschaft zu. Aus einem vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnis kann daher ebenfalls keine Unzulässigkeit des Separatfriedens abgeleitet werden. 10 Zurückgegriffen auf das vortarifvertragliche Vertrauensverhältnis wird beispielsweise bei der Diskussion um die Herleitung der arbeitnehmerseitigen Verpflichtung zur Durchführung von Notstands- und Erhaltungsarbeiten während eines Arbeitskampfes (vgl. hierzu Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 466 mit weiteren Nachweisen) und zur Begründung einer Verschwiegenheitspflicht bezüglich vertraulicher Informationen, von denen eine der Tarifvertragsparteien im Zuge von Tarifverhandlungen Kenntnis erlangt hat (vgl. hierzu Seiter, ZfA 1989, 283, 305; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 376). Einige entnehmen dem vortarifvertraglichen Vertrauensverhältnis sogar ganz allgemein ein Gebot des fairen Arbeitskampfes (so Seiter, ZfA 1989, 283, 305; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 376).

314

§ 9 Exkurs: Vereinbarung eines Separatfriedens

E. Verletzung interner Verbandspflichten seitens des Mitgliedsarbeitgebers? Letztlich ist noch zu erörtern, ob und inwieweit der Abschluss eines Firmentarifvertrages und damit die Vereinbarung eines Separatfriedens im Verhältnis des einzelnen Mitgliedsarbeitgebers zum Arbeitgeberverband pflichtwidrig ist. Pflichtwidrig ist der Abschluss jedenfalls dann, wenn der Verband generell oder auch während des konkreten Verbandsarbeitskampfes seinem Mitglied den Abschluss von Firmentarifverträgen untersagt hat. Zulässigkeit und Rechtsfolgen eines solchen innerverbandlichen Abschlussverbotes sind bereits oben erörtert11 worden. Sie lassen die Wirksamkeit des Firmentarifvertrages zwar unberührt, können aber zu innerverbandlichen Sanktionen des Arbeitgeberverbandes gegenüber dem Mitgliedsarbeitgeber führen. Zu erörtern sind an dieser Stelle daher nur noch die Fälle, in denen der Arbeitgeberverband die Vereinbarung eines Separatfriedens bzw. den Abschluss eines Firmentarifvertrages nicht ausdrücklich untersagt hat. Auch in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung eines Separatfriedens im Verhältnis der Mitgliedsarbeitgeber zu ihrem Verband pflichtwidrig ist. Die durch die Vereinbarung eines solchen Friedens eintretenden negativen Auswirkungen auf die Verbandssolidarität sind so gewichtig und für das einzelne Verbandsmitglied auch erkennbar, dass es die mitgliedschaftliche Treuepflicht auch ohne ausdrückliche Regelung gebietet, keinen Separatfrieden während eines laufenden Verbandsarbeitskampfes ohne Zustimmung des Verbandes zu vereinbaren. Will der einzelne Mitgliedsarbeitgeber den Verbandsarbeitskampf nicht mittragen, bleibt ihm nur die Möglichkeit des Austritts aus dem Verband. Die Vereinbarung eines Separatfriedens durch Abschluss eines Firmentarifvertrages während des laufenden Verbandsarbeitskampfes ist daher verbandsintern pflichtwidrig. Ein solcher Verstoß des Arbeitgebers gegen seine mitgliedschaftlichen Pflichten führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des den Separatfriedens enthaltenen Firmentarifvertrages, sondern berechtigt den Arbeitgeberband nur, gegenüber seinem Mitglied zu verbandsrechtlichen Sanktionen zu ergreifen.12

F. Ergebnis Die Vereinbarung eines Separatfriedens durch Abschluss eines Firmentarifvertrages während des laufenden Verbandsarbeitskampfes hat sich daher weder im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG13, die Kampfparität14 noch bezüglich des vorSiehe hierzu oben § 8 A. Vgl. zu den Rechtsfolgen eines verbandsinternen Abschlussverbotes mit Innenwirkung § 8 A. II. 2. 13 § 9 B. 14 § 9 C. 11 12

F. Ergebnis

315

tarifvertraglichen Vertrauensverhältnisses15 als rechtlich unzulässig erwiesen. Allein im Verhältnis des einzelnen Mitgliedsarbeitgebers zu seinem Verband verstößt die Vereinbarung eines Separatfriedens gegen die mitgliedschaftliche Treue- und Rücksichtnahmepflicht. Dies hat aber keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des dem Separatfriedens zugrunde liegenden Firmentarifvertrages, sondern zieht allenfalls verbandsrechtliche Sanktionen gegenüber dem Mitgliedsarbeitgeber nach sich.16

15 16

§ 9 D. § 9 E.

§ 10 Rechtsvergleichender Überblick Eine Arbeit zu den Rechtsfragen des Firmentarifvertrages tut gut daran, den Blick zumindest punktuell auch auf die Tarifsysteme und damit die Stellung des Firmentarifvertrages in anderen Industrienationen zu richten Eine solche grenzüberschreitende Betrachtung kann nämlich Anhaltspunkte dafür bieten, in welche Richtung sich die zukünftige Entwicklung des deutschen Tarifsystems und damit die des Firmentarifvertrages bewegen mag. Sie ist zudem deshalb von Bedeutung, weil Art. 137 Abs. 3 Spiegelstrich 3 EGV dem Europäischen Rat – nach allerdings umstrittener Auffassung – auch die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Tarifvertragsrechts einräumt.1 Sollte sich zukünftig daher auf der Grundlage dieser Kompetenz ein europäisches Tarifvertragssystem etablieren, dann wird sich dieses maßgeblich an den Tarifsystemen der anderen Mitgliedstaaten anlehnen müssen, um konsensfähig zu sein. Erste Ansätze in diese Richtung enthält bereits die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000.2 In deren Art. 28 heißt es nämlich: „Die Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen . . .“ Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Tarifsysteme einiger ausgewählter europäischer Staaten sowie über das Tarifsystem Japans und der USA als zwei der bedeutendsten außereuropäischen Industrienationen gegeben werden. Hierbei ist zwischen drei Gruppen von Ländern zu unterscheiden. Die erste umfasst diejenigen Länder, deren Tarifsystem wie das deutsche3 durch eine vorwiegend überbetriebliche Tarifpolitik geprägt ist. In der zweiten Gruppe lassen sich Länder zusammenfassen, deren Tarifsystem sich durch eine vorwiegend betriebliche Tarifpolitik auszeichnet. Die dritte Gruppe umfasst Länder, deren Tarifsystem durch ein nahezu gleichberechtigtes Nebeneinander von betrieblicher und überbetrieblicher Tarifpolitik charakterisiert ist.

1 So Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 144 ff.; Schwarze, EU-Kommentar, Art. 137 Rn. 19. Die Gegenansicht beruft sich auf die Reglungssperre des Art. 137 Abs. 6 EGV. Vgl. Krebber in: Callies / Ruffert, EUV / EGV, Art. 137 Rn. 9. 2 Abgedruckt in BT-Drks. 14 / 4584, S. 9 ff. 3 § 2 D. IV.

A. Länder mit vorwiegend überbetrieblichen Tarifsystemen

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A. Länder mit vorwiegend überbetrieblichen Tarifsystemen Aus der Gruppe der Länder, deren Tarifsystem durch eine vorwiegend überbetriebliche Tarifpolitik geprägt ist, sollen die Tarifsysteme Österreichs und Portugals exemplarisch dargestellt werden.

I. Österreich Aus deutscher Sicht vielleicht auffälligstes Merkmal des österreichischen Tarifsystems ist, dass die Gründung von tariffähigen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen nicht ausschließlich auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit beruht.4 Vielmehr findet sich in Österreich ein Dualismus von freiwilligen Vereinigungen und gesetzlichen Zwangsvereinigungen mit Zwangsmitgliedschaften für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber an.5 Da zumindest über diese Zwangsmitgliedschaft jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer tariflich erreicht werden kann, verzichtet das österreichische Tarifvertragsrecht – für Europa einzigartig6 – bis auf wenige Ausnahmefälle auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers.7 Allein die großen öffentlichrechtlichen Arbeitgeber sind gem. § 7 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) tariffähig.8 Dem Firmentarifvertrag kommt in Österreich daher nahezu keine Bedeutung zu. Dort mehren sich aber – ebenso wie in Deutschland9 – die Stimmen derer, die für eine verstärkte Öffnung des österreichischen Tarifsystems zugunsten betrieblicher Tarifverträge und damit für den Firmentarifvertrag plädieren.10 Anders als in Deutschland ist dies wegen der fehlenden Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers aber nur über eine Gesetzesänderung möglich.11 4 Zum Grundsatz der Freiwilligkeit im deutschen Koalitionsrecht siehe nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 406; Kempen / Zachert, TVG, § 2 Rn. 18, MhdbAR-Löwisch /Rieble, § 243 Rn. 51 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. 5 Die hierdurch zwangsläufig eintretende Kollision mit dem in Österreich ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. 12 Staatsgrundgesetz bzw. Art. 11 EMRK, der in Österreich Verfassungsrang hat) löst das österreichische Recht einfachgesetzlich dadurch auf, dass den Zwangsvereinigungen die Tariffähigkeit in dem Umfang aberkannt wird, in dem sich ihre Mitglieder in freiwilligen Vereinigungen tariflich betätigen (§ 6 ArbVG). Hierzu – auch aus österreichischer Sicht – Runggaldier, ZIAS 1997, 1, 3 ff. 6 Vgl. die Übersicht von Rebhahn, NZA 2001, 763, 764. 7 § 4 ArbVG. Die vollständige Fassung des Arbeitsverfassungsgesetzes ist veröffentlicht in www.ris.bka.gv.at. 8 § 7 ArbVG. Vgl. zur Tariffähigkeit in Österreich allgemein Marhold / Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 45 ff. 9 § 1 A., B. 10 Siehe nur den Beitrag von Winkler in: Tomandl / Aigner, Strukturwandel, S. 41, 46. 11 Vgl. auch die Ausführungen von Marhold / Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 46 Fn. 71 die darauf verweisen, dass der österreichische Gesetzgeber in letzter Zeit im

318

§ 10 Rechtsvergleichender Überblick

II. Portugal Das deutsche und portugiesische Tarifsystem gleichen sich in rechtlicher Hinsicht in weiten Teilen. Tariffähig sind ebenso wie in Deutschland die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und einzelne Arbeitgeber.12 Dementsprechend trifft man in Portugal sowohl Verbandstarifverträge (sog. Kollektivverträge) als auch Firmentarifverträge (sog. Unternehmensübereinkommen) an. Eine in Portugal verbreitete Zwischenform ist ein Tarifvertrag, an dem auf Arbeitgeberseite mehrere einzelne Arbeitgeber beteiligt sind (sog. kollektive Arbeitsübereinkommen).13 Ebenso wie das deutsche ist auch das portugiesische Tarifsystem in tatsächlicher Hinsicht durch den Verbandstarifvertrag geprägt.14 Eine Tendenz zur Stärkung des Firmentarifvertrages ist bislang nicht auszumachen.

B. Länder mit vorwiegend betrieblichen Tarifsystemen Gegenstück zu den Ländern, deren Tarifsysteme durch eine vorwiegend überbetriebliche Tarifpolitik und damit den Verbandstarifvertrag geprägt sind, sind Länder, deren Tarifsysteme sich durch eine vorwiegend betriebliche Tarifpolitik auszeichnen und deren Tariflandschaft daher maßgeblich durch den Firmentarifvertrag charakterisiert ist. Die bedeutendsten Vertreter dieser Gruppe sind außerhalb Europas die USA und Japan und in Europa England.

I. USA Das kollektive Arbeitsrecht und damit auch das Tarifrecht der USA ist gesetzlich im „National Labor Relations Act“ (NLRA) von 1935 geregelt. Tarifverträge werden in den USA nicht nur vorwiegend, sondern fast ausschließlich auf Betriebsbzw. Unternehmensebene geschlossen.15 Dies ist aber weniger Resultat einer auf Flexibilisierung und Dezentralisierung ausgerichteten jüngeren Entwicklung des amerikanischen Tarifsystems, als vielmehr traditionell durch die Besonderheiten des amerikanischen Tarif- und Koalitionsrechts bedingt.

Zuge von Privatisierungen auch privaten Unternehmen durch spezialgesetzliche Regelungen die Tariffähigkeit teilweise zuerkennt. 12 Deinert, Kollektivvertrag, S. 355; Pinto, ZIAS 1989, 1, 11; Wollmann, Portugal, S. 117. 13 Zum ganzen Pinto, ZIAS 1989, 1, 8 ff.; Wollmann, Portugal, S. 117 ff. 14 Burgess, WSI-Mitt. 1997, 112, 114; Deinert, Kollektivvertrag, S. 360. 15 Bittner, ZIAS 1990, 346, 346 f.; Rebhahn, NZA 2001, 763, 764; Reimann / Ackmann, Einführung, § 70 5. a); Thüsing, AuR 2000, 325, 326. Thau (Arbeitsrecht, S. 119) berichtet davon, dass auch Tarifverträge auf Abteilungsebene vorkommen.

B. Länder mit vorwiegend betrieblichen Tarifsystemen

319

Zwar ist es in den USA nämlich rechtlich möglich, Tarifverträge auch auf Verbandsebene abzuschließen – tariffähig ist neben dem einzelnen Arbeitgeber auch ein Zusammenschluss von mehreren Arbeitgebern16 –, ein solcher Abschluss ist aus der Sicht der beteiligten Gewerkschaft aber wenig praktikabel und wird daher vermieden.17 Anders als in Deutschland kann nämlich nicht jede Gewerkschaft von jedem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband den Abschluss eines Tarifvertrages verlangen und damit beliebig zwischen den Tarifvertragsebenen wechseln. Vielmehr muss sich die Gewerkschaft ihr Recht auf Abschluss eines Tarifvertrages gegenüber der Arbeitgeberseite erst „erkämpfen“. Dazu muss es der tarifwilligen Gewerkschaft gelingen, in einer Abstimmung mindestens 50% der Stimmen der im angestrebten Tarifgebiet tätigen Arbeitnehmer zu erlangen.18 Schafft sie dies, ist das Tarifgebiet „unionized“.19 Die betreffende Gewerkschaft hat dann für eine gewisse Zeit ein Alleinvertretungsrecht für alle in dem Tarifgebiet tätigen Arbeitnehmer.20 Ihr steht in diesem Fall sogar ein Verhandlungsanspruch gegenüber der Arbeitgeberseite zu.21 Ein von ihr abgeschlossener Tarifvertrag hat Bindungswirkung auch für Außenseiterarbeitnehmer.22 Erreicht sie allerdings diese erforderliche Mehrheit der Stimmen nicht, darf sie für eine bestimmte Zeit in diesem Gebiet gewerkschaftlich überhaupt nicht tätig werden und damit auch keine Tarifverträge abschließen. Regelmäßig bedarf es einer erheblichen Anstrengung, die geforderten 50% der Stimmen zu erreichen. Dabei gilt: Je größer das angestrebte Tarifgebiet, desto schwieriger ist es, das geforderte Quorum zu erreichen. Um das Tarifgebiet möglichst klein zu halten, beschränken sich die amerikanischen Gewerkschaften daher meist darauf, Abstimmungen maximal auf Unternehmenswenn nicht sogar auf Betriebsebene durchzuführen.

II. Japan Anders als in den USA ist die in Japan anzutreffende Vorherrschaft des Firmengegenüber dem Verbandstarifvertrag23 nicht durch die Rechtsordnung determiniert, sondern Folge eines traditionell anderen gesellschaftlichen Verständnisses der 16 Dies geht zwar aus dem NLRA nicht unmittelbar hervor, entspricht aber der Rechtsprechung des U. S. Supreme Court. Vgl. die Ausführungen und Nachweise von Thüsing, AuR 2000, 325, 326. 17 Siehe zu den „multiemployer bargaining units“ auch Thau, Arbeitsrecht, S. 138 ff. 18 Zu den Einzelheiten dieses Wahlverfahrens siehe Bittner, ZIAS 1990, 346, 347 ff.; Däubler, ZIAS 1995, 279, 290 ff.; Reimann / Ackmann, Einführung, § 70 4.; Thau, Arbeitsrecht, S. 135 ff. 19 Bittner, ZIAS 1990, 346, 352. 20 Bittner, ZIAS 1990, 346, 352; Reimann / Ackmann, Einführung, § 70 4. c). 21 Reimann / Ackmann, Einführung, § 70 5.; Thau, Arbeitsrecht, S. 150 ff. 22 Rebhahn, NZA 2001, 763, 766; Sec. 9(a) NLRA. 23 Siehe nur Araki, ZIAS 1993, 5, 9; Marutschke, Einführung, S. 207; Nichimura in: Tomandl, Arbeitsrecht, S. 117.

320

§ 10 Rechtsvergleichender Überblick

Arbeitsbeziehungen. Anders als in den übrigen westlichen Industrienationen gilt in Japan (noch) das Prinzip der lebenslangen Beschäftigung. Ein Wechsel des Arbeitgebers ist daher eher unüblich.24 Hieraus resultiert eine sehr intensive und emotional geprägte Beziehung des einzelnen Arbeitnehmers zu „seinem“ Unternehmen.25 Diese Fokussierung auf ein Unternehmen hat auch Auswirkungen auf das japanische Tarifsystem. So ist das japanische Gewerkschaftsbild von den sog. Unternehmensgewerkschaften geprägt, deren Wirkungskreis sich jeweils nur auf ein bestimmtes Unternehmen erstreckt.26 Es fehlt damit bereits auf Arbeitnehmerseite an einer oder mehreren unternehmensübergreifenden Gewerkschaften, die in der Lage wären, unternehmensübergreifende Verbandstarifverträge abzuschließen.

III. England27 Anders als in den USA oder Japan ist die Dominanz des Firmentarifvertrages in England28 nicht schon traditionell im kollektiven Arbeitsrecht verankert, sondern hat sich erst nach und nach herausgebildet. Bis in die achtziger Jahre hinein dominierte auch in England der flächendeckende Verbandstarifvertrag, der sog. „multi employer bargaining“. Erst im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat der „workplace bargaining“, also der Firmentarifvertrag, den „multi employer bargaining“ zunehmend verdrängt.29 Trotz dieser ähnlichen tatsächlichen Entwicklung unterscheidet sich das englische Tarifrecht ganz erheblich vom deutschen. Ein erster grundlegender Unterschied besteht darin, dass es an einer verfassungsrechtlichen Absicherung der Tarifautonomie fehlt. Das gesamte englische Tarifrecht ist ausschließlich einfachgesetzlich im Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (TULR(C)A) geregelt.30 24 Marutschke, Einführung, S. 206; Nishitani, FS Däubler, S. 211, 212 ff., der darauf hinweist, dass sich dieses Prinzip wegen der sich verschlechternden Wirtschaftslage auf dem Rückzug befindet. 25 Marutschke, Einführung, S. 206. 26 Araki, ZIAS 1993, 5, 8 f.; Däubler, ZIAS 1995, 279, 300 f.; Marutschke, Einführung, S. 207. Nach Nishitani, FS Däubler, S. 211, 215, sind in Japan ca. 95% aller organisierten Arbeitnehmer Mitglieder von Unternehmensgewerkschaften. Zum japanischen Gewerkschaftsrecht allgemein siehe Yasueda in: Tomandl, Arbeitsrecht, S. 91 ff. 27 Mit dem englischen Tarifvertragssystem ist das irische eng verwandt. Siehe vergleichend: Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 109 ff.; Deinert, ZfA 1999, 361 ff. 28 Vgl. hierzu Burgess, WSI-Mitt. 1997, 112, 113 ff.; Deinert, ZfA 1999, 361, 381, 391; ders., Kollektivvertrag, S. 389; Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 112; Kulbe, Vereinbarungen, S. 15 ff.; Rebhahn, NZA 2001, 763, 764; Scherpenberg, Arbeitsbedingungen, S. 31 f. 29 Deinert, Kollektivvertrag, S. 389; Scherpenberg, Arbeitsbedingungen, S. 31 ff. 30 Deinert, ZfA 1999, 361, 366 ff.; ders., Kollektivvertrag, S. 379.

C. Länder mit mehrstufigen Tarifsystemen

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Darüber hinaus besteht in England ebenso wie in Deutschland die Möglichkeit, Verbands- ebenso wie Firmentarifverträge abzuschließen.31 Die Tarifverträge englischen Rechts unterscheiden sich aber in ihrer Wirkungsweise ganz wesentlich von den deutschen, da ihnen die rechtliche Verbindlichkeit fehlt.32 Eine mit § 4 Abs. 1 TVG vergleichbare Rechtsnorm existiert im englischem Tarifrecht nicht. Allerdings führt dieser Umstand nicht dazu, dass die Regelungen des englischen Tarifvertrages für das einzelne Arbeitsverhältnis gänzlich bedeutungslos wären. Sie entfalten nämlich auf zwei (Um-)Wegen zumindest mittelbar eine gewisse Bindungswirkung. Zum einen kommen den Regelungen des Tarifvertrages auch für das einzelne Arbeitverhältnis deswegen eine Wirkung zu, weil das englische Arbeitsrecht relativ großzügig auf das Instrument der konkludenten, einzelvertraglichen Inbezugnahme auf einen Tarifvertrag zurückgreift.33 Zum anderen entfaltet der englische Tarifvertrag auch auf der Ebene der Tarifvertragsparteien eine gewisse Bindungswirkung. Gerade weil dem englischen Tarifvertrag nämlich eine rechtliche Verbindlichkeit fehlt, fehlt ihm auch jegliche Friedenspflicht, die Arbeitskämpfe während der Laufzeit des Tarifvertrages untersagen könnte. Dies hat zur Folge, dass die Tarifvertragsparteien unter dem permanenten Druck eines drohenden Arbeitskampfes stehen, wenn sie oder ihre Mitglieder sich nicht an den – rechtlich unverbindlichen – Tarifvertrag halten.34 Letztlich kommt als dritte Besonderheit des englischen Tarifrechts noch hinzu, dass in England – ebenso wie in den USA – eine Gewerkschaft, wenn sie mit dem Arbeitgeber in Tarifverhandlungen treten will, erst von diesem als Verhandlungspartner anerkannt werden muss (sog. Recognition). Anders als in den USA geschieht dies jedoch nicht durch ein formalisiertes Abstimmungsverfahren, sondern die Recognition muss von der Gewerkschaft ggf. mit Arbeitskampfmitteln gegenüber dem Arbeitgeber erstritten werden.35

C. Länder mit mehrstufigen Tarifsystemen Exemplarisch für diese Länder soll das Tarifsystem Frankreichs und Schwedens kurz dargestellt werden.

Deinert, ZfA 1999, 361, 380 f.; ders., Kollektivvertrag, S. 381. Deinert, ZfA 1999, 361, 381 ff.; ders., Kollektivvertrag, S. 383 ff.; Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 114 f. 33 Deinert, ZfA 1999, 361, 386; ders., Kollektivvertrag, S. 383 ff.; Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 114 f.; Kulbe, Vereinbarungen, S. 73 ff.; Rebhahn, NZA 2001, 763, 764; Scherpenberg, Arbeitsbedingungen, S. 70 ff. 34 Scherpenberg, Arbeitsbedingungen, S. 88 f. 35 Kulbe, Vereinbarungen, S. 45 ff.; Scherpenberg, Arbeitsbedingungen, S. 29 f., 36 ff. 31 32

21 Witt

322

§ 10 Rechtsvergleichender Überblick

I. Frankreich In Frankreich beherrschte bis etwa Anfang der achtziger Jahre, ebenso wie in Deutschland noch heute, der Verbandstarifvertrag die Tariflandschaft. Nach und nach trat diesem der Firmentarifvertrag zur Seite. Größere Verbreitung fand der Firmentarifvertrag dabei aber nicht als ausschließliches, sondern als den Verbandstarifvertrag ergänzendes tarifliches Regelungsinstrument.36 So waren 1985 34,4% aller tarifgebundenen Arbeitnehmer sowohl den Regelungen eines Verbandstarifvertrages als auch denen eines Firmentarifvertrages unterworfen,37 demgegenüber nur 3,6% aller tarifgebundenen Arbeitnehmer allein den Regelungen eines Firmentarifvertrages.38 Vergleicht man das deutsche mit dem französischen Tarifrecht, zeigen sich vielfältige Gemeinsamkeiten. Zunächst genießt die Koalitionsfreiheit und auch die Tarifautonomie in Frankreich ebenso wie in Deutschland Verfassungsrang.39 Gleichfalls wirken Tarifverträge auch in Frankreich ummittelbar und zwingend.40 Ebenso sind auf Arbeitgeberseite der Arbeitgeberverband und der einzelne Arbeitgeber tariffähig.41 Anders als in Deutschland existiert in Frankreich aber seit 1982 auf der Verbands- und Unternehmensebene ein – an gewisse Voraussetzungen geknüpfter – Verhandlungsanspruch gegenüber dem sozialen Gegenspieler.42 Dieser besitzt auf der Unternehmensebene einen höheren Stellenwert als auf der unternehmensübergreifenden Ebene43 und wird daher zumindest mit zu der geschilderten Aufwertung des Firmentarifvertrages beigetragen haben.

II. Schweden Ein weiteres Land, in dem sich der Firmentarifvertrag zu einem tariflichen Ergänzungsinstrument zum Verbandstarifvertrag entwickelt hat, ist Schweden.44 Das schwedische Tarifsystem ist allerdings im Unterschied zum französischen seit jeher durch den Abschluss von aufeinander aufbauenden Tarifverträgen verschie36 Burgess, WSI-Mitt. 1997, 112, 113 f.; Rebhahn, NZA 2001, 763, 764; Zachert, DB 1991, 1221, 1223. 37 Vgl. die Nachweise bei Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 132. 38 Vgl. die Nachweise bei Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 132. 39 Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 5 ff. 40 Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 115; Jeammaud / Le Friant, NZA 1995, 210, 215; Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 165 ff.; Thillet-Pretnar / Bonnechère in: Jura Europae, Arbeitsrecht, Bd. I, Frankreich, 30.00 Nr. 48. 41 Siehe die Nachweise bei Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 137. 42 Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 111. 43 Siehe zum Ganzen Krieger, Tarifvertragsrecht, S. 138 ff. 44 Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 111; Rebhahn, NZA 2001, 763, 764.

C. Länder mit mehrstufigen Tarifsystemen

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dener Ebenen geprägt.45 Tarifverhandlungen werden traditionell nicht nur auf einer der drei möglichen Verhandlungsebenen (Spitzenverbände, Verbände, Unternehmen) geführt, sondern vollziehen sich auf allen drei Verhandlungsebenen koordiniert und nacheinander. Steht eine neue Tarifrunde an, wird zunächst auf der Ebene der branchenübergreifenden nationalen Spitzenverbände verhandelt.46 Hier werden grobe Rahmenbedingungen festgelegt. Dieser Verhandlungsrunde auf nationaler Ebene kam früher große Bedeutung zu. In letzter Zeit ist ihre Bedeutung eher rückläufig.47 An die erste Verhandlungsrunde auf nationaler Ebene schließt sich die zweite Verhandlungsrunde auf der Ebene der jeweiligen Branchenverbände an, welche die zunächst groben Vorgaben der ersten Verhandlungsrunde weiter konkretisieren.48 Wegen der rückläufigen Bedeutung der Verhandlungen auf der branchenübergreifenden nationalen Ebene beginnen die Tarifverhandlungen zunehmend gleich auf der Branchenebene.49 An diese zweite Verhandlungsrunde schließt sich letztlich die dritte Verhandlungsrunde auf Unternehmensebene an. Erst diese letzte Verhandlungsrunde setzt die Vorgaben der vorherigen Verhandlungsrunde in einem Firmentarifvertrag konkret um bzw. passt sie an das einzelne Unternehmen an.50 Durch den Rückgang der Verhandlungen auf nationaler Ebene haben die Verhandlungen auf der Unternehmensebene deutlich an Gewicht gewonnen. In rechtlicher Hinsicht gleicht das schwedische Tarifrecht dem deutschen in weiten Teilen. So genießt die Koalitionsfreiheit ebenso wie in Deutschland Verfassungsrang.51 Als Partei eines Tarifvertrages kann in Schweden auf der Arbeitgeberseite der einzelne Arbeitgeber und ein Arbeitgeberverband auftreten.52 Tarifverträge wirken auch in Schweden zwingend;53 es gilt im Grundsatz das Günstigkeitsprinzip, das aber tariflich ausgeschlossen werden kann.54 Anders als in Deutschland existiert zwischen den Sozialpartnern ein Verhandlungsanspruch auf der Verbands- und Unternehmensebene.55 Deinert, Kollektivvertrag, S. 417 f.; Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 763. Deinert, Kollektivvertrag, S. 417 f.; Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 763; Schmidt, Reform, S. 30 ff. 47 Deinert, Kollektivvertrag, S. 417 f. 48 Deinert, Kollektivvertrag, S. 417 f.; Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 763. 49 Burgess, WSI-Mitt. 1997, 112, 115; Deinert, Kollektivvertrag, S. 417 f. 50 Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 763. 51 Deinert, ZfA 1999, 361, 372 Fn. 72; ders., Kollektivvertrag, S. 408; Schmidt, Reform, S. 65 ff. 52 Vgl. § 23 des Gesetz über die Mitbestimmung im Arbeitsleben vom 10. Juni 1976 (als deutsche Übersetzung abgedruckt bei Schmidt, Reform, S. 346 ff.). 53 §§ 26, 27 MBG, allerdings herrscht in Schweden die auch schon in Deutschland während der Weimarer Republik verbreitete Auffassung vor, der Tarifvertrag wirke nicht unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis ein, sondern werden mittels Stellvertretung der einzelnen Mitglieder durch den Verband in dieses einbezogen. Birk, AuR 1979, 65, 70; Deinert, ZfA 1999, 361, 387; Schmidt, Reform, S. 146. 54 Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 768. 45 46

21*

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§ 10 Rechtsvergleichender Überblick

D. Vergleich der verschiedenen Tarifsysteme Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass Ähnlichkeit mit dem deutschen Tarifsystem nur die Tarifsysteme derjenigen Länder aufweisen, deren Tarifpolitik entweder vorwiegend überbetrieblich geprägt ist oder deren Tarifpolitik sich durch ein Nebeneinander von betrieblicher und überbetrieblicher Tarifsetzung auszeichnet. Demgegenüber bestehen zu den Tarifsystem derjenigen Länder, deren Tarifpolitik überwiegend betrieblich geprägt ist, erhebliche Unterschiede. Von diesen Ländern können daher – ohne eine grundlegende gesetzliche Änderung des deutschen Tarifrechts – keine nennenswerten Impulse für das deutsche Tarifsystem bzw. die deutsche Tarifpolitik ausgehen. Auch erscheint es angesichts der vielfältigen Besonderheiten des Tarifrechts dieser Länder als wenig wahrscheinlich, dass von ihnen im Rahmen einer Europäisierung des Tarifrechts maßgebliche Impulse ausgehen werden. Dies führt auch zu dem Schluss, dass trotz der in den letzten Jahren zu verzeichnenden Stärkung des Firmentarifvertrages jedenfalls eine weitestgehende Verdrängung des bislang vorherrschenden Verbandstarifvertrages durch den Firmentarifvertrag eher unwahrscheinlich ist. Demgegenüber weist das Tarifrecht derjenigen Länder – mit Ausnahme Österreichs –, deren Tarifsysteme durch eine vorwiegend überbetriebliche oder durch ein Nebeneinander von betrieblicher und überbetrieblicher Tarifpolitik geprägt sind, weite Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Tarifrecht auf. Eine weitere Erstarkung des Firmentarifvertrages hin bis zu einem gegenüber dem Verbandstarifvertrag gleichberechtigten tariflichen Regelungsinstrument erscheint daher durchaus möglich. Gezeigt hat die Darstellung der verschiedenen Tarifsysteme auch, dass ein künftiges europäisches Tarifrecht bezüglich des Firmentarifvertrages im Verhältnis zum deutschen Tarifrecht keine grundlegenden Unterschiede mit sich bringen dürfte, da die meisten Tarifrechtsordnungen der europäischen Länder diesbezüglich übereinstimmen, so dass erhebliche Rechtsänderungen um des Konsens Willen nicht zu erwarten sind. Im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der deutschen Tarifpolitik ist insbesondere das in Schweden oder Frankreich praktizierte Zusammenspiel von Verbands- und Firmentarifvertrag von Interesse. Die Tarifpolitik dieser Länder trägt nämlich ebenso dem auf Effektivitäts- und Steuerungsgründen beruhenden Bedürfnis nach zentralisierten Tarifabschlüssen Rechnung, wie sie das Bedürfnis nach dezentralen, die Besonderheiten der jeweiligen Unternehmen berücksichtigenden Tarifabschlüssen berücksichtigt. Funktionsvoraussetzung für ein solches Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag ist aber, dass die Regelungsdichte verbandstariflicher Normen dort, wo ein Bedürfnis nach einer dezentralen Tarif55 Vgl. §§ 10 ff. MBG, sowie Birk, AuR 1979, 65, 67 ff.; Deinert, Kollektivvertrag, S. 409 ff.; Europäische Kommission, Arbeitsbedingungen, S. 110; Ring / Olsen-Ring, Einführung, Rn. 766; Schmidt, Reform, S. 108 ff.

D. Vergleich der verschiedenen Tarifsysteme

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politik besteht, soweit reduziert wird, dass sie noch genügend Spielraum für eine betriebliche Regelung lässt. Hier sind die Verbände gefragt. Um die dann allerdings notwendig werdenden zwei Verhandlungsrunden nicht allzu sehr in die Länge zu ziehen, könnten die Tarifvertragsparteien, ähnlich wie in Schweden,56 Fristen vereinbaren, innerhalb derer der Firmentarifvertrag abgeschlossen sein muss. Verstreicht die Frist, tritt entweder automatisch eine vorher vereinbarte Regelung in Kraft, oder aber die Regelungskompetenz fällt wieder zurück auf die Parteien des Verbandstarifvertrages.

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Siehe hierzu Schmidt, Reform, S. 33.

§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Es hat sich gezeigt, dass der Firmentarifvertrag gegenüber dem Verbandstarifvertrag ein gleichberechtigtes tarifliches Regelungsinstrument ist. Dies hat insbesondere die eingehende Analyse des Art. 9 Abs. 3 GG ergeben. Entgegen anders lautender Stimmen in Literatur und Rechtsprechung überlässt Art. 9 Abs. 3 GG dem einfachen Gesetzgeber einen relativ weiten Spielraum bei der Ausgestaltung des kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere des Tarifrechts. Das derzeit einfachgesetzlich geregelte gleichberechtigte Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag ist daher verfassungsrechtlich ebensowenig zu beanstanden, wie eine einfachgesetzliche Veränderung dieses Verhältnisses bis an die Grenzen der Funktionsfähigkeit des Tarifsystems zu beanstanden wäre. Auch der Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag unterliegt im Ergebnis keinen strengeren Grenzen als der um den Abschluss eines Verbandstarifvertrages. Insbesondere steht ihm die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers in einem Arbeitgeberverband nicht entgegen, da Art. 9 Abs. 3 GG das Verbandsmitglied nicht vor einer Inanspruchnahme durch den sozialen Gegenspieler schützt. Eine solche verfassungsrechtlich abgesicherte Schutzfunktion enthält die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers nicht. Insofern ist der einzelne Arbeitgeber tarif-, arbeitskampf- und verfassungsrechtlich den Verbänden gleichgestellt. In rechtlicher Hinsicht hat sich der Firmentarifvertrag daher als geeignetes Mittel zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts und damit als echte Alternative gegenüber dem Verbandstarifvertrag und auch der Betriebsvereinbarung erwiesen. Ihm sollte bei der künftigen Debatte um die Flexibilisierung des Arbeitsrechts eine maßgebliche Funktion zukommen. Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit lassen sich im Einzelnen wie folgt zusammenfassen: I. Der Firmentarifvertrag ist vom unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag sowie der Betriebsvereinbarung bzw. Regelungsabrede abzugrenzen [§ 1 C. II. 1. – 4.]: 1. Abgrenzungsmerkmal zum unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag ist, dass bei jenem als Tarifvertragspartei nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern der Arbeitgeberverband in Erscheinung tritt. Schwierigkeiten bei der Abgrenzung können hier auftreten, wenn den Firmentarifvertrag nicht der einzelne Arbeitgeber, sondern ein Vertreter des Verbandes unterzeichnet. Durch Auslegung ist dann zu ermitteln, ob der Tarifvertrag im Namen des Arbeitgebers oder des Verbandes abgeschlossen wurde [§ 1 C. II 2.]. Nur im ersten Fall liegt ein Firmentarifvertrag

§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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vor. Handelt der Verbandsfunktionär zwar im Namen des Arbeitgebers, fehlt ihm aber die für eine wirksame Stellvertretung notwendige Vollmacht, hängt die Wirksamkeit des Tarifvertrages von der Genehmigung durch den Arbeitgeber gem. § 177 BGB ab. Verweigert dieser die Genehmigung des Tarifvertrages, macht sich der Arbeitgeberverband bzw. sein Vertreter gegenüber der Gewerkschaft schadensersatzpflichtig (§ 179 BGB). Eine Erfüllung gem. § 179 Abs. 1 1. Alt. BGB ist aber ausgeschlossen [§ 1 C. II. 2.]. 2. Die Betriebsvereinbarung bzw. Regelungsabrede unterscheidet sich vom Firmentarifvertrag dadurch, dass auf Arbeitnehmerseite der Betriebsrat und nicht die Gewerkschaft Vertragspartner ist [§ 1 C II 2., 4.]. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich hinsichtlich sog. dreiseitiger Vereinbarungen, bei denen neben dem Arbeitgeber und der Gewerkschaft auch der Betriebsrat die Vereinbarung unterzeichnet. Ob eine Betriebsvereinbarung oder ein Firmentarifvertrag vorliegt, muss auch hier durch Auslegung ermittelt werden. Regelmäßig wird der maßgebliche Parteiwille dahin gehen, dass wegen der Geltung der Betriebsvereinbarung auch für Außenseiter primär der Abschluss einer Betriebsvereinbarung gewollt ist. Wenn sich diese als unwirksam erweist, kann die Betriebsvereinbarung in einen Firmentarifvertrag umzudeuten sein [§ 1 C. II. 5.]. II. Die rechtsgeschichtliche und rechtstatsächliche Entwicklung des Rechts des Firmentarifvertrages lässt sich wie folgt zusammenfassen: 1. Der Firmentarifvertrag existiert als kollektives Regelungsinstrument schon seit Beginn des Tarifrechts und war bis zum Erlass der TVVO im Jahre 1918 sogar das dominierende tarifliche Regelungsmittel [§ 2 A. und B. X.]. Auch die Mehrzahl der im Vorfeld des Erlasses der TVVO von 1918 eingebrachten Entwürfe zur Regelung eines Tarifvertragsgesetzes ebenso wie die TVVO selbst sahen die Tariffähigkeit des Arbeitgebers und damit die Existenz des Firmentarifvertrages vor [§ 2 B. I. – IX.]. 2. Anhand der – teilweise nicht veröffentlichten – Materialien zur Entstehung des TVG lässt sich nachweisen, dass während der Vorarbeiten zur Regelung des TVG zunächst streitig war, ob der einzelne Arbeitgeber überhaupt tariffähig sein sollte oder ob man von seiner Tariffähigkeit wegen des erwarteten hohen Organisationsgrades der Arbeitgeber ganz Abstand nehmen bzw. die Tariffähigkeit auf nicht verbandsangehörige Arbeitgeber beschränken sollte. Die ausgewerteten Materialien haben aber auch gezeigt, dass sich derartige Beschränkungen aufgrund erfolgreicher Intervention der Gewerkschaften nicht durchsetzen konnten, so dass man sich darauf einigte, dem einzelnen Arbeitgeber in Anknüpfung an die Regelung der TVVO auch im TVG die volle Tariffähigkeit zuzubilligen [§ 2 D.]. 3. In rechtstatsächlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass der Firmentarifvertrag rein quantitativ in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen hat. Er wird in der Tarifpraxis in vielfältiger Weise eingesetzt [§ 2 D. IV., E.].

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§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

III. Als grundlegende Wirksamkeitsvoraussetzung jedes Firmentarifvertrages stellt sich die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dar. Sie ist in § 2 Abs. 1 TVG einfachgesetzlich geregelt. Der genaue Umfang der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist jedoch streitig. Die Arbeit gelangt diesbezüglich zu folgenden Ergebnissen: 1. § 2 Abs. 1 TVG enthält keinen eigenständigen, vom herkömmlichen Arbeitgeberbegriff abweichenden tarifrechtlichen Arbeitgeberbegriff [§ 3 B. I.]. Hieraus folgt z. B., dass der Konzern als solcher oder auch die Konzernobergesellschaft kein (zweiter) Arbeitgeber aller im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer ist. Der Konzernverbund stellt ferner keine Vereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG dar [§ 3 B. I.]. 2. Die umstrittene Frage, ob auch der verbandsangehörige Arbeitgeber tariffähig ist, ist mittels Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG zu beantworten [§ 3 B. II. – VI.]: a) Da der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG keine diesbezüglichen Einschränkungen enthält, spricht die wörtliche Auslegung für eine unbeschränkte und damit für eine Tariffähigkeit auch des verbandsangehörigen Arbeitgebers [§ 3 B. III.]. b) Aus dem systematischen Zusammenhang der Normen lassen sich weder Argumente für noch gegen die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers entnehmen [§ 3 B. IV.]. c) Die historische Auslegung belegt, dass die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nach dem Willen des historischen Gesetzgebers auch den verbandsangehörigen Arbeitgeber hat erfassen sollen [§ 3 B. V.]. d) Zum gleichen Ergebnis führt die teleologische Auslegung. Eine fehlende Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers würde zu einer erheblichen Funktionsbeeinträchtigung des Tarifsystems führen, weil der einzelne Arbeitgeber seine tarifliche Erfassung durch geschickte Strategien erheblich erschweren könnte. Zudem könnte sich der Arbeitgeber bei einem beitrittsbedingten Wegfall seiner Tariffähigkeit von der Bindung an einen bis dahin geltenden, ihm aber nicht mehr genehmen Firmentarifvertrag lösen [§ 3 B. VI.]. § 2 Abs. 1 TVG sieht daher die Tariffähigkeit auch des verbandsangehörigen Arbeitgebers vor. 3. Dieses Auslegungsergebnis verstößt nicht gegen die in Art. 9 Abs. 3 GG geregelte Koalitionsfreiheit: a) Dabei ist als Ausgangspunkt zunächst von Bedeutung, dass Art. 9 Abs. 3 GG einen gleichberechtigten Schutz der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gewährleistet [§ 3 C. I. 1. a)] sowie als sog. Doppelgrundrecht das einzelne (potentielle) Koalitionsmitglied ebenso wie die Koalition als solche schützt [§ 3 C. I. 1. b)]. b) In sachlicher Hinsicht lassen sich der Koalitionsfreiheit bezüglich der einfachgesetzlichen Regelung des Tarifrechts nur im beschränkten Maße Vorgaben entnehmen. Ausschlaggebend hierfür ist der Umstand, dass der Schutzbereich der

§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Koalitionsfreiheit im Hinblick auf das formelle Tarifrecht erst der einfachgesetzlichen Ausgestaltung bedarf. Die einfachgesetzliche Regelung des formellen Tarifrechts, wozu auch die Regelung der Tariffähigkeit des Arbeitgebers gehört, greift daher nicht in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ein, sondern gestaltet diesen aus [§ 3 C. I. 1. c) cc) (a)]. Da eine solche Ausgestaltungsregelung, anders als eine Eingriffsregelung, den grundrechtlichen Schutz nicht verkürzt, sondern ihn erst begründet, unterliegt der einfache Gesetzgeber im Rahmen der Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG weniger strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben als im Rahmen einer schutzbereichsverkürzenden Eingriffsregelung. Im Einzelnen gilt hier: aa) Der Gesetzgeber ist zwar hinsichtlich des konkreten Inhalts der von ihm vorzunehmenden Ausgestaltung frei. Er ist allerdings von Verfassungs wegen verpflichtet, überhaupt ausgestaltend tätig zu werden (sog. verfassungsrechtlicher Ausgestaltungsauftrag) [§ 3 C. I. 1. c) cc) (c) (aa), (bb)]. bb) Inhaltlich muss sich der Gesetzgeber bei seiner Ausgestaltungstätigkeit an eine Ausgestaltungsunter- und eine Ausgestaltungsobergrenze halten. Die Ausgestaltungsuntergrenze legt dabei den Mindestumfang der Ausgestaltungstätigkeit des Gesetzgebers fest. Sie verpflichtet den Gesetzgeber, ein Tarifrecht zu schaffen, dass zur Koalitionszweckverfolgung, also zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen, nicht offensichtlich ungeeignet oder untauglich ist. Insofern schützt Art. 9 Abs. 3 GG nur einen „Kernbereich“ des formellen Tarifrechts [§ 3 C. I. 1. c) cc) (c) (bb)]. Die Ausgestaltungsobergrenze setzt dem Gesetzgeber demgegenüber Grenzen im Hinblick auf andere Werte mit Verfassungsrang. Sie verlangt, dass das vom Gesetzgeber geschaffene Tarifrecht nicht unverhältnismäßig in andere Werte mit Verfassungsrang eingreift [§ 3 C. I. 1. c) cc) (c) (cc)]. c) Gemessen an diesen Maßstäben ist sowohl die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen als auch diejenige des verbandsangehörigen Arbeitgebers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden [§ 3 C. I. 2.]. Die Tariffähigkeit des nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers ist in Bezug auf die Ausgestaltungsuntergrenze sogar – zumindest bei der derzeitigen einfachgesetzlichen Konzeption des Tarifrechts – verfassungsrechtlich notwendig [§ 3 C. I. 2. b)]. Auch greift die Tariffähigkeit des – insbesondere verbandsangehörigen – Arbeitgebers nicht unverhältnismäßig in andere Rechte mit Verfassungsrang ein, überschreitet also auch die Ausgestaltungsobergrenze nicht [§ 3 C. II. 2. c) – § 3 C. III.]. Hierfür sind folgende Erwägungen ausschlaggebend: aa) Die Tariffähigkeit des Arbeitgebers greift nicht in dessen individuelle Koalitionsfreiheit ein, da sie nur den freiwilligen Abschluss eines Firmentarifvertrages ermöglicht [§ 3 C. I. 2. c) aa)]. bb) Ein Eingriff in die kollektive Bestandsschutzgarantie des Arbeitgeberverbandes durch die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers ist zweifel-

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§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

haft [§ 3 C. I. 2. c) bb) (a) (aa)]. Selbst wenn man dies aber annehmen wollte, wäre ein solcher Eingriff jedenfalls nicht unverhältnismäßig [§ 3 C. I. 2. bb) (a) (bb)]. cc) Gleiches gilt für einen möglichen Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit der anderen verbandsangehörigen Arbeitgeber [§ 3 C. I. 2. c) cc)]. dd) Die Tariffähigkeit des verbandsangehörigen Arbeitgebers greift auch nicht in die Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf dessen Tariftätigkeit ein. Eine derartige Beschränkung der Tariftätigkeit des Arbeitgeberverbandes ist nämlich nicht dem Eingriffs-, sondern dem Ausgestaltungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen und findet daher im Rahmen der Ausgestaltungsobergrenze keine Beachtung [§ 3 C. I. 2. c) bb) (b)]. ee) Auch verletzt die Tariffähigkeit des Arbeitgebers weder den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers [§ 3 C. I. 2. c) dd) und ee)]. ff) Da die Ordnungsfunktion des Tarifrechts nur die tatsächliche Folge der Tariftätigkeit der Sozialpartner darstellt, kann die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hiergegen auch nicht verstoßen [§ 3 C. I. 2. d) aa)]. gg) Zwar enthält Art. 9 Abs. 3 GG ein auch im Rahmen der Ausgestaltung zu berücksichtigendes Paritätsgebot [§ 3 C. I. 2. d) aa)]. Dieses ist jedoch gewahrt, weil der Arbeitgeber bei generalisierender Betrachtungsweise der Gewerkschaft gegenüber nicht unterlegen ist [§ 3 C. I. 2. d) bb)]. Dies gilt selbst für den „kleinen“ Arbeitgeber, weil dieser es jedenfalls durch den Beitritt in einen Arbeitgeberverband in der Hand hat, etwaige Disparitäten auszugleichen [§ 3 C. I. 2. d) cc)]. hh) Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verletzt ferner nicht die Betriebsautonomie, weil diese als solche keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt. [§ 3 C. II.]. Ein Schutz der Betriebsautonomie folgt weder unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG [§ 3 C. II. 2. a)], einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht in Verbindung mit Grundrechten der Arbeitnehmer [§ 3 C. II. 2. b) und c)] bzw. dem Sozialstaatsprinzip [§ 3 C. II. 2. d)], noch ist die Produktionsgemeinschaft bestehend aus Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Verband im Sinne des Grundgesetzes [§ 3 C. II. 2. e)]. ii) Letztlich steht in verfassungsrechtlicher Hinsicht auch die durch die Unternehmensmitbestimmung tangierte Gegnerunabhängigkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht entgegen [§ 3 C. III.]. IV. Weitere Wirksamkeitsvoraussetzung eines jeden Firmentarifvertrages ist das Vorliegen der beiderseitigen Tarifzuständigkeit. Dabei ist beim Abschluss eines Firmentarifvertrages Folgendes zu beachten: 1. Die Tarifzuständigkeit einer nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten Gewerkschaft erstreckt sich im Regelfall auf all diejenigen Arbeitgeber, deren

§ 11 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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überwiegender Unternehmenszweck mit der in der Satzung einer Gewerkschaft angegebenen Branche übereinstimmt [§ 4 B. II.]. Aufgrund der Satzungsautonomie der Gewerkschaften ist es aber auch möglich, dass diese sich für branchenzugehörige Betriebe eines ansonsten branchenfremden Unternehmens für tarifzuständig erklären [§ 4 B. II.]. 2. Der einzelne Arbeitgeber ist demgegenüber unbeschränkt und unbeschränkbar für das gesamte Unternehmen und damit gegenüber allen Gewerkschaften, die sich für sein Unternehmen als Ganzes oder auch nur für einzelne Betriebe seines Unternehmens tarifzuständig erklären, tarifzuständig [§ 4 B. III.]. Eine Einschränkbarkeit der eigenen Tarifzuständigkeit ist weder aus arbeitskampf- [§ 4 B. III. 2.] noch verfassungsrechtlichen Erwägungen geboten [§ 4 B. III. 3.]. 3. Kommt es zu einer Umstrukturierung des Unternehmens, die mit einem Branchenwechsel des Unternehmens einhergeht, führt dies regelmäßig zu einem Verlust der Tarifzuständigkeit der bislang zuständigen Gewerkschaft [§ 4 C. I.]. Ein bestehender Firmentarifvertrag bleibt dennoch wirksam. Beiden Tarifvertragsparteien steht aber ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, wenn der Branchenwechsel das Festhalten an dem Firmentarifvertrag unzumutbar macht [§ 4 C. II.] V. Nicht für die Wirksamkeit des Firmentarifvertrages, umso mehr aber für dessen Praxistauglichkeit als tarifliches Regelungsinstrument von Bedeutung ist die Frage der Zulässigkeit des Arbeitskampfes zum Abschluss eines Firmentarifvertrages. Umstritten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, ob Gewerkschaften gegenüber verbandsangehörigen Arbeitgebern den Abschluss von Firmentarifverträgen erstreiken dürfen. Hier lässt sich Folgendes festhalten: 1. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verstößt nicht zu Lasten des Arbeitgebers gegen den in Art. 9 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Kampfparität [§ 5 C. I.]. a) Dem einzelnen Arbeitgeber stehen als Reaktion auf einen Streik der Gewerkschaft mit dem Ziel des Abschlusses eines Firmentarifvertrages die Durchführung einer eigenen Abwehraussperrung sowie die Möglichkeit, seinen Verband bzw. andere einzelne Arbeitgeber um Durchführung einer unterstützenden Abwehraussperrung zu bitten, zur Verfügung [§ 5 C. I. 1.]. Um innerhalb des Arbeitgeberverbandes für eine hinreichende Solidarität zur Durchführung derartiger unterstützender Verbandsaussperrungen zu sorgen, kann der Verband entsprechende Hilfeleistungsverpflichtungen in seiner Satzung begründen. Unterlässt der Arbeitgeberverband dies und unterbleibt deswegen eine ausreichende innerverbandliche Solidarität, so berührt die hierdurch bewirkte Beeinträchtigung der Kampfparität nicht die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes [§ 5 C. I. 1. b) bb)]. b) Erhöht werden kann die Kampfkraft des verbandsangehörigen Arbeitgebers dadurch, dass der Arbeitgeberverband Unterstützungsfonds einrichtet, um den vom Arbeitskampf betroffenen Mitgliedsarbeitgeber finanziell zu unterstützen [§ 5 C. I. 2.]. Möglich ist auch, dass sich die anderen Mitgliedsarbeitgeber zur Stützung ihres

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vom Firmenarbeitskampf betroffenen Verbandskollegen aufgrund entsprechender Satzungsklauseln verpflichten, sich diesen gegenüber des Wettbewerbs während des Firmenarbeitskampfes zu enthalten [§ 5 C. I. 2.]. Schließlich ist es auch zulässig, dass der verbandsangehörige Arbeitgeber auf das tarifrechtliche, tarifpolitische und verhandlungstaktische Know-how seines Verbandes zurückgreift und sich von diesem bei den Tarifverhandlungen beraten lässt oder die Tarifverhandlungen sogar gänzlich in dessen Hände legt [§ 5 C. I. 2.]. 2. Der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber verletzt auch keine Grundrechte Dritter: a) Gewerkschaftliche Streikmaßnahmen im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes verstoßen in der Regel (vgl. V. 2. f)) nicht gegen die Koalitionsbestandsgarantie des Arbeitgeberverbandes, da gewerkschaftliche Hauptintention eines Streiks nicht die Schwächung des Arbeitgeberverbandes, sondern der Abschluss eines Firmentarifvertrages ist [§ 5 C. II. 1. a)]. b) Sie verletzen auch nicht die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitgeberverbandes im Hinblick auf dessen Möglichkeit, Verbandstarifverträge für seine Mitglieder abzuschließen. Wegen der durch das Tarifrecht bewirkten Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit muss der Arbeitgeberverband nämlich das in § 2 Abs. 1 TVG vorgesehene Nebeneinander von Verbands- und Firmentarifvertrag verfassungsrechtlich hinnehmen [§ 5 C. II. 1. b)]. c) Gewerkschaftliche Streikmaßnahmen verletzen in der Regel (vgl. V. 2. f)) auch die individuelle Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitgebers nicht [§ 5 C. II. 2.]. Die Gewerkschaft bezweckt mit dem Firmenarbeitskampf nicht das Herausbrechen des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus seinem Verband, sondern will – jedenfalls im Normalfall – lediglich eine betriebsspezifische tarifliche Regelung durchsetzen [§ 5 C. II. 2. a)]. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass der einzelne Arbeitgeber wegen des zwischen dem Firmen- und Verbandstarifvertrag geltenden Spezialitätsgrundsatzes durch den mit Arbeitskampfmitteln erzwungenen Abschluss eines Firmentarifvertrages aus der Tarifgemeinschaft seines Verbandes herausgedrängt wird. Auch dies hat er aber wegen des durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Tarifrechts bewirkten Nebeneinanders von Verbands- und Firmentarifvertrag im Hinblick auf seine individuelle Koalitionsfreiheit hinzunehmen [§ 5 C. II. 2. b)]. Schließlich führt der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber nicht zu einer im Hinblick auf die individuelle Koalitionsfreiheit unzulässigen Verletzung der Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft, da diese nicht vor einer Inanspruchnahme des einzelnen Arbeitgebers zum Abschluss von Firmentarifverträgen schützt [§ 5 C. II. 2. c)]. d) Da der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber nicht die Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes verletzt, verletzt er in der Regel (vgl. V. 2. f)) auch die Koalitionsfreiheit der übrigen Mitgliedsarbeitgeber nicht [§ 5 C. II. 3.].

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e) Auch eine Verletzung der Privatautonomie des durch den Firmenarbeitskampf betroffenen Arbeitgebers scheidet aus, da die Privatautonomie rechtlich hinter die Tarifautonomie zurückzutreten hat [§ 5 C. II. 4.]. f) Im Hinblick auf die Verletzung der Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitgebers, des Arbeitgeberverbandes und der übrigen Verbandsmitglieder ist der Firmenarbeitskampf mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber aber dann unzulässig, wenn Hauptzweck des Firmenarbeitskampfes nicht der Abschluss eines Firmentarifvertrages, sondern entweder die Schwächung des Arbeitgeberverbandes oder das Herausbrechen des einzelnen Mitgliedes aus seinem Verband ist. Die Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes ergibt sich in diesen Fällen aus Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG [§ 5 C. II. 1. a), II 2. a) und c)]. 3. Auch aus sonstigen Gründen folgt keine generelle Unzulässigkeit des Firmenarbeitskampfes mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber. a) Der Firmenarbeitskampf verstößt weder gegen eine verfassungsrechtliche Ordnungsfunktion, die mit der Koalitionsbildungsfreiheit verbundene Kartellerlaubnis der Arbeitgeberseite noch gegen eine gesamtwirtschaftliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht [§ 5 C. III. 1. – 4.]. b) Gegenüber dem Firmenarbeitskampf ist der Arbeitskampf zum Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages keine aus rechtlichen Gründen vorzuziehende Alternative, da kampfparitätisch kein Unterschied zwischen dem Firmenarbeitskampf und dem Arbeitskampf um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag besteht. Zudem sind dem Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitskampfes um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag, anders als im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes, Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet, um sich einer tariflichen Erfassung zu entziehen [§ 5 C. IV.]. 4. Der Firmenarbeitskampf ist auch gegenüber einem nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber zulässig. Im Hinblick auf die Kampfparität kann der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber zwar auf keine Unterstützungsmaßnahmen eines Arbeitgeberverbandes zurückgreifen. Dies ist aber unbedenklich, weil es dem Arbeitgeber jederzeit freisteht, einem Arbeitgeberverband beizutreten und dann dessen Unterstützung in Anspruch zu nehmen [§ 5 D.]. 5. Ebenfalls ist die Zulässigkeit des Firmenarbeitskampfes aus kampfparitätischen Gesichtspunkten nicht auf Arbeitskämpfe gegen sozial mächtige Arbeitgeber zu beschränken, da auch der „kleine“ Arbeitgeber Unterstützungsmaßnahmen des Arbeitgeberverbandes in Anspruch nehmen bzw. einem Arbeitgeberverband zu diesem Zwecke beitreten kann [§ 5 E.]. 6. Zulässig ist es auch, dass nicht – wie im Normalfall – die Gewerkschaft mit einem (Angriffs-)Streik, sondern der Arbeitgeber mit einer Angriffsaussperrung den Firmenarbeitskampf eröffnet. Allerdings muss man der Gewerkschaft dann – ebenso wie der Arbeitgeberseite im umgekehrten Fall [§ 5 C. I. b) und c)] – das

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Recht zugestehen, zur Herstellung der Kampfparität auch bei dritten Arbeitgebern Streikmaßnahmen zu ergreifen [§ 5 F.]. Im Rahmen der für alle Arbeitskämpfe geltenden allgemeinen Zulässigkeitsschranken ist der Firmenarbeitskampf daher unabhängig von der Größe und Verbandszugehörigkeit des einzelnen Arbeitgebers zulässig. VI. Wie jeder Arbeitskampf ist auch der Firmenarbeitskampf nur dann zulässig, wenn seiner Durchführung keine tarifliche Friedenspflicht entgegensteht. 1. Im Hinblick auf die Friedenspflicht eines bestehenden Firmentarifvertrages gilt Folgendes: a) Die relative Friedenspflicht eines bestehenden Firmentarifvertrages untersagt Arbeitskämpfe zum Abschluss eines weiteren Firmentarifvertrages über Gegenstände, die bereits geregelt sind [§ 6 B. I.]. b) Den Arbeitskampf zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages untersagt die relative Friedenspflicht eines bestehenden Firmentarifvertrages demgegenüber nicht, da diese eine Bindungswirkung allein im Verhältnis der Gewerkschaft zum einzelnen Arbeitgeber entfaltet. Allerdings ist die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen im Geltungsbereich des Firmentarifvertrages unzulässig [§ 6 B. II.]. 2. Die aus einem bestehenden Verbandstarifvertrag folgende relative Friedenspflicht untersagt auch die Durchführung von Firmenarbeitskämpfen, so dass während der Laufzeit des Verbandstarifvertrages die Durchführung eines Firmenarbeitskampfes unzulässig ist [§ 6 B. III.]. Auch die durch die Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Schlichtungsabrede bewirkte zeitliche Verlängerung der Friedenspflicht haben die Parteien eines Firmenarbeitskampfes zu beachten [§ 6 D.]. 3. Dem Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag steht die Friedenspflicht nicht entgegen, wenn der Tarifvertrag nur noch nachwirkt [§ 6 E.], der Arbeitgeber OT-Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist, ein Tarifvertrag lediglich einzelvertraglich in Bezug genommen ist oder der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde [§ 6 F.]. 4. Ausgeschlossen werden kann die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrages zugunsten von Firmenarbeitskämpfen durch Vereinbarung einer sog. Öffnungsklausel [§ 6 G.]. Gegen die Zulässigkeit einer Öffnungsklausel spricht weder das „Wesen“ des Tarifvertrages [§ 6 G. II. 3. a)] noch der pacta sunt servanda Grundsatz [§ 6 G. II. 3. b)]. Ein auf Grundlage einer solchen Öffnungsklausel geführter Firmenarbeitskampf ist wegen der bereits bestehenden Tarifregelung im Verbandstarifvertrag nicht funktionslos und damit auch nicht unverhältnismäßig [§ 6 G. III.]. 5. Spezifische Probleme treten auf, wenn der Arbeitgeber während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages in einen Arbeitgeberverband ein- oder aus ihm austritt:

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a) Der Eintritt des Arbeitgebers in einen Arbeitgeberverband führt dazu, dass die Friedenspflicht eines geltenden Verbandstarifvertrages auch den eintretenden Arbeitgeber erfasst, soweit sich sein Eintritt innerhalb der gewöhnlichen Fluktuation des Arbeitgeberverbandes bewegt. Handelt es sich um einen außerhalb der gewöhnlichen Fluktuation liegenden Eintritt, so gilt die Friedenspflicht des bestehenden Verbandstarifvertrages für ihn nicht. Geschieht dieser Eintritt anlässlich der Durchführung eines Firmenarbeitskampfes („Flucht in den Arbeitgeberverband“), muss nach dem Eintritt des Arbeitgebers in den Verband der Firmenarbeitskampf wegen der nunmehr geltenden Friedenspflicht unverzüglich eingestellt werden [§ 6 H. I.]. Allerdings muss der Arbeitgeber die Gewerkschaft über seinen Beitritt in Kenntnis setzen [§ 6 H. I.]. b) Tritt der Arbeitgeber während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages aus dem Verband aus, führt dies im Hinblick auf die Friedenspflicht dazu, dass diese nach dem Austritt des Arbeitgebers nicht mehr gilt. Nach dem Austritt kann ein Firmenarbeitskampf also sofort beginnen [§ 6 H. II.]. 6. Löst sich der Arbeitgeberverband während der Laufzeit eines Verbandstarifvertrages auf, verliert die Friedenspflicht aus bestehenden Verbandstarifverträgen ihre Wirkung, so dass von da an ein Firmenarbeitskampf beginnen kann [§ 6 H. III.]. VII. Firmenarbeitskämpfe können sich wie jeder Arbeitskampf auch auf nicht unmittelbar am Arbeitskampf beteiligte Dritte auswirken. In diesem Zusammenhang ist der nur mittelbar von einem Firmenarbeitskampf betroffene Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern dann von der Entgeltzahlungspflicht befreit, wenn dies andernfalls zu einer Beeinträchtigung der Kampfparität führen würde. Dazu kommt es im Rahmen eines Firmenarbeitskampfes jedenfalls dann, wenn der nur mittelbar betroffene Arbeitgeber mit dem arbeitskampfführenden Arbeitgeber koalitionsrechtlich verbunden oder von ihm wirtschaftlich abhängig ist [§ 7]. VIII. Nicht selten finden sich in Satzungen von Arbeitgeberverbänden oder Verbandstarifverträgen Klauseln, die den Abschluss eines Firmentarifvertrages zu unterbinden versuchen. Hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Klauseln ist wie folgt zu differenzieren: 1. Eine verbandsinterne (Satzungs-)Klausel, die dem einzelnen Arbeitgeber den Abschluss eines Firmentarifvertrages untersagt, hat keine Außenwirkung. Sie beseitigt also weder die Tariffähigkeit des Mitgliedsarbeitgebers, noch berührt sie die Wirksamkeit eines gegen die Klausel verstoßenden Firmentarifvertrages. Dies folgt aus der zwingenden Wirkung des § 2 Abs. 1 TVG [§ 8 A. II. 1.]. Verbandsinterne Abschlussverbote entfalten aber rechtliche Wirkung im (Innen-)Verhältnis des Arbeitgebers zu seinem Verband. Daraus folgt, dass sich der Mitgliedsarbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Abschlussverbot ggf. verbandsrechtlichen Sanktionen ausgesetzt sieht [§ 8 A. II. 2.]. Abschlussverbote mit bloßer Innenwirkung sind im Unterschied zu Abschlussverboten mit Außenwirkung deswegen zulässig, weil sie zum einen die in § 2 Abs. 1 TVG geregelte Tariffähigkeit des Ar-

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beitgebers unberührt lassen, zum anderen aber auch, weil das Interesse des einzelnen Arbeitgebers an einer eigenen Tarifpolitik und Tariftätigkeit bei bestehender Verbandsmitgliedschaft – auch im Hinblick auf die beiderseitige Koalitionsfrei-heit – hinter dem Interesse seines Verbandes und dem der anderen Mitglieder an einer verbandseinheitlichen Tarifpolitik zurückzutreten hat [§ 8 A. II. 2.]. 2. Auch in Verbandstarifverträgen geregelte Abschlussverbote können weder die Tariffähigkeit der einzelnen Mitgliedsarbeitgeber noch diejenige der Gewerkschaften beschränken bzw. ausschließen. Sie haben nur Innenwirkung und lassen die Wirksamkeit eines dennoch abgeschlossenen Firmentarifvertrages unberührt [§ 8 B. I.]. Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote mit Innenwirkung verstoßen weder gegen das Verbot tariflicher Höchstarbeitsbedingungen, noch bedeuten sie unmittelbar oder auch mittelbar einen unzulässigen partiellen Ausschluss der Tarifzuständigkeit für bestimmte Bereiche bzw. Personen. Schließlich verstößt die Vereinbarung eines Abschlussverbotes auch nicht gegen die Interessenwahrnehmungspflicht der Gewerkschaft gegenüber ihren Mitgliedern [§ 8 B. I. 2.]. 3. Unzulässig ist demgegenüber die Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Vorrangklausel, da den Tarifvertragsparteien die Kompetenz fehlt, dem eigenen Tarifvertrag zu Lasten fremder Tarifverträge Vorrang einzuräumen [§ 8 B. II.]. 4. Zulässig ist aber die Vereinbarung einer verbandstarifvertraglichen Meistbegünstigungsklausel, also einer Klausel, die die Aufnahme konkurrierender Tarifverträge in den die Klausel enthaltenden Tarifvertrag erzwingt. Sie ist weder an den Maßstäben einer dynamischen Verweisungsklausel zu messen, noch setzt sie den Aushandlungsmechanismus und die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrages unzulässigerweise außer Kraft [§ 8 B. III.]. IX. Gelegentlich kommt es vor, dass zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber während eines laufenden Verbandsarbeitskampfes ein Firmentarifvertrag abgeschlossen wird, um den Arbeitskampf im Verhältnis der Gewerkschaft zum abschließenden Arbeitgeber zu beenden. Die Vereinbarung eines solchen Separatfriedens ist in rechtlicher Hinsicht zulässig. Sie verstößt weder gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG [§ 9 B.], die Kampfparität [§ 9 C.] noch gegen ein vortarifvertragliches Vertrauensverhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband [§ 9 D.]. Allerdings verstößt der Mitgliedsarbeitgeber mit der Vereinbarung eines Separatfriedens in aller Regel gegen seine mitgliedschaftliche Treuepflicht. Dies lässt die Wirksamkeit des qua Separatfriedens zustandegekommenden Firmentarifvertrages aber unberührt und zieht allenfalls verbandsrechtliche Sanktionen nach sich [§ 9 E.]. X. Den Abschluss von Firmentarifverträgen sieht – dies zeigt der abschließende rechtsvergleichende Überblick – nicht nur die deutsche Rechtsordnung vor. Vielmehr ist der Firmentarifvertrag auch in anderen Industrienationen ein rechtlich und tatsächlich anerkanntes tarifliches Regelungsinstrument. Allerdings gibt es Unter-

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schiede hinsichtlich des Stellenwertes des Firmentarifvertrages innerhalb der einzelnen Tarifsysteme. Es lassen sich dabei drei Ländergruppen voneinander unterscheiden. So gibt es Länder, in denen der Firmentarifvertrag fast keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt [§ 10 A.], Länder, in denen der Firmentarifvertrag das dominierende tarifliche Reglungsinstrument ist [§ 10 B.], und Länder, in denen der Firmentarifvertrag ein gleichberechtigtes Regelungsinstrument neben dem Verbandstarifvertrag ist und er oftmals als tarifliches Spezifizierungs- und Ergänzungsmittel genutzt wird [§ 10 C.].

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Sachverzeichnis Abschlussverbote – verbandsinterne Abschlussverbote siehe dort – verbandstarifvertragliche Abschlussverbote siehe dort Allgemeinverbindlichkeit siehe Friedenspflicht Angriffsaussperrung siehe Aussperrung Arbeitgeber – BGB-Gesellschaft 65 – i. S. d. § 2 Abs. 1 TVG 64 ff. – Mächtigkeit 230 – Vertretung 33 f. Arbeitgeberverband – Auflösung siehe Friedenspflicht – Bestandsgarantie siehe Kollektive Koalitionsfreiheit – Betätigungsgarantie siehe Kollektive Koalitionsfreiheit Arbeitskampf – Kampfparität siehe dort – Verfassungsrechtliche Grundlagen 183 ff. Arbeitskampf Firmentarifvertrag siehe Firmenarbeitskampf Art. 12 GG siehe Berufsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG siehe Koalitionsfreiheit Ausgestaltung 101 ff., 115 ff. – Ausgestaltungsobergrenze 123 ff. – Ausgestaltungsuntergrenze 121 ff. – Dogmatischer Anknüpfungspunkt 115 ff. – durch § 2 Abs. 1 TVG 127 ff. – Koalitionsfreiheit 115 ff. – Objektive Werteordnung der Grundrechte 119 f. Aussperrung – Abwehraussperrung 189 ff. – Angriffsaussperrung 231 ff. – durch einzelnen Arbeitgeber 189 f. – Sympathieaussperrung 193 f.

– Unterstützende Verbandsaussperrung 192 ff. – Verfassungsrechtlicher Schutz 190 Berufsfreiheit – Arbeitgeber siehe Tarifzuständigkeit – Arbeitnehmer siehe Betriebsautonomie Betriebsautonomie 149 ff. – Berufsfreiheit Arbeitnehmer 155 – Koalitionsfreiheit 150 ff. – Privatautonomie 152 ff. – Produktionsgemeinschaft zw. Arbeitgeber und Arbeitnehmern 156 – Sozialstaatsprinzip 155 f. – Verfassungsrechtliche Schutzpflichten 150 f. – Verfassungsrechtliche Verankerung 150 Betriebsvereinbarung 35 – Abgrenzung 35 – Flexibilisierungsinstrument 29 BetrVG – § 2 Abs. 1 221 – § 74 Abs. 2 S. 1 221 – § 77 Abs. 3 29-30, 35 BGB – § 177 34 – § 179 34 f. – § 826 299 f. BGB-Gesellschaft siehe Tariffähigkeit Dreiseitige Vereinbarungen 35 f. – Umdeutung 36 Einzel-Arbeitgeber-Tarifvertrag siehe Firmentarifvertrag Einzelvertragliche Inbezugnahme siehe Friedenspflicht Fernwirkungen siehe Firmenarbeitskampf Firmenarbeitskampf 180 ff. – Angriffsaussperrung 231 ff.

Sachverzeichnis – Art. 2 Abs. 1 GG 218 – Betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht 221 ff. – Fernwirkungen 286 ff. – Friedenspflicht siehe dort – Gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht 220 – Kampfparität 187 ff. – Koalitionsfreiheit Arbeitgeber 199 ff., 217 ff. – Koalitionsfreiheit Arbeitgeberverband 199 ff. – Bestandsschutz 199 ff. – Betätigungsfreiheit 202 ff. – Mächtigkeit Arbeitgeber 230 – Ordnungsfunktion 219 – Privatautonomie Arbeitgeber 218 – Schutzfunktion Verbandsmitgliedschaft 210 ff. – Separatfrieden siehe dort – Tarifgemeinschaft Arbeitgeberverband 208 ff. – Unterstützungsmaßnahmen Arbeitgeberverband 192 ff., 196 ff. – Verbandsinterne Abschlussverbote 290 ff. – Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote 301 ff. Firmentarifvertrag – Abgrenzung 32 ff. – Abschlussverbote siehe dort – Anwendungsbereiche 52 ff. – Arbeitskampf siehe Firmenarbeitskampf – Begriff 31 – Geschichtliche Entwicklung 38 ff. – Meistbegünstigungsklauseln 306 ff. – Parteien 31, 63 – Tarifzuständigkeit siehe dort – Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag als Alternative 223 ff. – Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote siehe dort – Vorrangklauseln 305 f. Flächentarifvertrag – Begriff 34 – Krise des 28 Flucht aus dem Arbeitgeberverband siehe Friedenspflicht

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Flucht in den Arbeitgeberverband siehe Friedenspflicht Friedenspflicht 235 – Allgemeinverbindlichkeit 254 – Auflösung des Arbeitgeberverbandes 281 f. – Ausschluss durch gegenläufige Tarifpraxis 247 ff. – Betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht siehe Firmenarbeitskampf – Einzelvertragliche Inbezugnahme 253 f. – Firmenarbeitskampf bei bestehendem Firmentarifvertrag 239 ff. – Flucht aus dem Arbeitgeberverband 275 ff. – Flucht in den Arbeitgeberverband 268 ff. – Gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht siehe Firmenarbeitskampf – Grundlagen 235 ff. – Nachwirkender Tarifvertrag 251 – Öffnungsklausel 255 ff. – OT-Mitgliedschaft 252 f. – Schlichtungsabrede 250 – Verbandsarbeitskampf bei bestehendem Firmentarifvertrag 240 ff. Gesamtwirtschaftliche Friedenspflicht siehe Firmenarbeitskampf Geschichtliche Entwicklung siehe Firmentarifvertrag Gewerkschaft – Mitgliedszahlen 29 – Tarifzuständigkeit siehe dort Handlungsfreiheit Arbeitgeber siehe Tarifzuständigkeit Haustarifvertrag siehe Firmentarifvertrag Individuelle Koalitionsfreiheit – Koalitionsbetätigungsgarantie 108 ff. – Koalitionsbildungsgarantie 107 ff. Kampfparität – Beurteilungsmaßstab 189 f. – Separatfrieden siehe dort – Verfassungsrechtliche Grundlagen 188 f. Koalitionsfreiheit – § 2 Abs. 1 TVG siehe TVG § 2 Abs. 1

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Sachverzeichnis

– Abgrenzung Eingriff und Ausgestaltung 88 ff. – Ausgestaltung siehe dort – Doppelgrundrecht 80 ff. – Eingriff und Ausgestaltung 101 ff. – Firmenarbeitskampf siehe dort – Gleichberechtigter Schutz 78 – Individuelle Koalitionsfreiheit siehe dort – Institutsgarantie 97 ff., 117 ff. – Kernbereichslehre 85 f. – Kollektive Koalitionsfreiheit siehe dort – Schranken 113 ff. – Schutzbereich 106 ff. – Separatfrieden siehe dort – Tariffähigkeit siehe dort – Tarifzuständigkeit siehe dort Kollektive Koalitionsfreiheit – Begriff 80 – Bestandsschutz 132 ff., 199 ff. – Betätigungsfreiheit 137 ff., 202 ff. – Koalitionsbetätigungsgarantie 107 ff. Konzern siehe Tariffähigkeit Lemgoer Entwurf 46 Meistbegünstigungsklausel – Inhalt 306 – Zulässigkeit 307 Nachwirkender Tarifvertrag siehe Friedenspflicht Objektive Werteordnung der Grundrechte 119 ff. Öffnungsklausel 255 ff. – Friedenspflicht 255 ff. – pacta sunt servanda Grundsatz 262 f. – Verbandsinterne Pflichten 265 f. – Wesen des Tarifvertrages 259 ff. – Zulässigkeit 256 ff. Ordnungsfunktion 142 ff. – Firmenarbeitskampf siehe dort – Tariffähigkeit siehe dort Paritätsgebot 142 ff. – Tariffähigkeit siehe dort Privatautonomie – Firmenarbeitskampf siehe dort

– Tariffähigkeit siehe dort Produktionsgemeinschaft siehe Betriebsautonomie Rechtsvergleichung 316 – England 320 f. – Frankreich 322 – Japan 319 – Österreich 317 – Portugal 318 – Schweden 322 f. – USA 318 Regelungsabrede 35 Schlichtungsabrede siehe Friedenspflicht Schutzfunktion der Verbandsmitgliedschaft siehe Firmenarbeitskampf Separatfrieden 310 ff. – Kampfparität 311 f. – Koalitionsfreiheit 311 – Verletzung interner Verbandspflichten 314 f. – Vortarifvertragliches Vertrauensverhältnis 312 ff. Sozialstaatsprinzip siehe Betriebsautonomie Stuttgarter Entwurf 48 Sympathieaussperrung siehe Aussperrung Tariffähigkeit 63 – Art. 2 Abs. 1 GG 141 f. – Art. 3 Abs. 1 GG 140 f. – Art. 9 Abs. 3 GG 127 ff. – Begriff 63 – BGB-Gesellschaft 65 – Grundgesetz 77 ff. – Individuelle Koalitionsfreiheit 131 f., 139 – Koalitionsfreiheit 127 ff. – Kollektive Koalitionsfreiheit 132 ff. – Bestandsschutz 132 ff. – Betätigungsfreiheit 137 ff. – Konzern 65 ff. – Mächtigkeit 146 ff. – Ordnungsfunktion 142 ff. – Paritätsgebot 142 ff. – Privatautonomie Arbeitgeber 141 f. – Unternehmensmitbestimmung 158 f. – Verbandsangehöriger Arbeitgeber 67 ff.

Sachverzeichnis Tarifgemeinschaft Arbeitgeberverband siehe Firmenarbeitskampf Tarifzuständigkeit 161 ff. – Arbeitgeber 168 ff. – Berufsfreiheit Arbeitgeber 174 – Gewerkschaft 165 ff. – Grundlagen 161 ff. – Handlungsfreiheit Arbeitgeber 174 ff. – Koalitionsfreiheit 174 – Unabdingbarkeit durch Arbeitgeber 170 – Unternehmensautonomie 172 ff. – Unternehmensumstrukturierung 177 ff. – Wegfall 177 ff. TVG – § 2 Abs. 1 31 ff., 64 ff., 293 ff. – Ausgestaltungsobergrenze 130 ff. – Ausgestaltungsuntergrenze 128 ff. – Historische Auslegung 71 ff. – Koalitionsfreiheit 127 ff. – Objektiv-teleologische Auslegung 74 ff. – Systematische Auslegung 70 f. – Wörtliche Auslegung 68 f. – § 3 Abs. 1 163, 271 – § 3 Abs. 3 178, 278 ff. – § 4 Abs. 5 241 f., 251 TVVO 40 ff., 43, 72, 205 Unternehmensautonomie siehe Tarifzuständigkeit

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Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag 33 f. – Abgrenzung 33 – Begriff 33 – Firmenarbeitskampf 223 ff. Unternehmensmitbestimmung – Tariffähigkeit siehe dort Unternehmenstarifvertrag siehe Firmentarifvertrag Unternehmensumstrukturierung siehe Tarifzuständigkeit Verbandsinterne Abschlussverbote 290 ff. – Außenwirkung 292 ff. – Innenwirkung 296 ff. Verbandstarifvertragliche Abschlussverbote 301 ff. – Inhalt 301 – Zulässigkeit 302 Vorrangklauseln 305 f. – Inhalt 305 – Zulässigkeit 305 Werktarifvertrag siehe Firmentarifvertrag Wesen des Tarifvertrages siehe Öffnungsklausel WRV – Art. 159 79, 111, 151 – Art. 165 151